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German Pages 343 [348] Year 1999
Karl-Joachim Hölkeskamp
Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland HISTORIA Einzelschriften
131
Franz Steiner Verlag Stuttgart
KARL-JOACHIM HÖLKESKAMP
SCHIEDSRICHTER, GESETZGEBER UNDGESETZGEBUNG IM ARCHAISCHEN GRIECHENLAND
HISTORIA ZEITSCHRIFT FÜR ALTE GESCHICHTE REVUE D’HISTOIRE · ANCIENNE JOURNAL OF ANCIENT HISTORY RIVISTA
·
DI STORIA ANTICA
·
EINZELSCHRIFTEN HERAUSGEGEBEN VON MORTIMER CHAMBERS/LOS ANGELES HEINZ HEINEN/TRIER FRANÇOIS PASCHOUD/GENEVE HILDEGARD · TEMPORINI/TÜBINGEN GEROLD WALSER/BASEL ·
HEFT 131
FRANZ STEINER VERLAG STUTTGART
1999
KARL-JOACHIM HÖLKESKAMP
SCHIEDSRICHTER, GESETZGEBER GESETZGEBUNG
UND IM
ARCHAISCHEN
GRIECHENLAND
FRANZ STEINER VERLAG STUTTGART
1999
Gedruckt
mitUnterstützung derFritz Thyssen Stiftung
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
[Historia / Einzelschriften] Historia: Zeitschrift für alte Geschichte. Einzelschriften. –Stuttgart: Steiner Früher Schriftenreihe Reihe Einzelschriften zu:Historia Bd. 131. Hölkeskamp, Karl-Joachim: Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung imarchaischen Griechenland. –1999
Hölkeskamp, Karl-Joachim: Schiedsrichter, Gesetzgeber undGesetzgebung im archaischen Griechenland / Karl-Joachim Hölkeskamp. –Stuttgart: Steiner, 1999 (Historia: Einzelschriften; Bd. 131) Zugl.: Bochum, Univ., Habil.-Schr., 1991 ISBN 3-515-06928-3
ISO 9706
Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig undstrafbar. Diesgilt insbesondere fürÜbersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung odervergleichbare Verfahren sowie fürdieSpeicherung inDatenverarbeitungsanlagen. © 1999byFranz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, SitzStuttgart. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Druckerei Proff, Eurasburg. Printed in Germany
Carissimae coniugi consortique
in rebus antiquis eruditissimae
INHALTSVERZEICHNIS
9
VORWORT
I. GESETZGEBER, SCHIEDSRICHTER UND„RECHTSKODIFIKATION“IM ARCHAISCHEN GRIECHENLAND: DAS PROBLEM IN MODERNER SICHT 11
1. Der Gegenstand inderneueren Forschung: Voraussetzungen, Annahmen
undUrteile
2. NeueFragen, Ansätze undPerspektiven
11 21
II. NOMOTHETEN, AISYMNETEN UNDNOMOTHESIE IN DER ANTIKEN TRADITION: ÜBERLIEFERUNGSGESCHICHTE ALS QUELLENKRITIK
28
1. Das antike Interesse amGegenstand alsProblem
28
2. Nomothesie, Nomos undPoliteia beiPlaton undAristoteles 3. DerNomothet inderTradition: Quellen undtypische Motive
34 44
III. GESETZGEBER UNDGESETZE INDENPOLEIS DER ARCHAISCHEN ZEIT: 60 EMPIRISCHE DATEN UNDANALYSEN
1.
Methodische Vorbemerkung
2. Die einzelnen Poleis ARGOS: 67 – ARKADIEN (PHENEOS?): 71 – AXOS (OAXOS): 73 – CHALKIDIER IN THRAKIEN: 77 – CHIOS: 80 – DIDYMA: 87 – DREROS: 87 – ELEUTHERNA: 95
– ELIS: 97 – ELTYNIA: 107 – EPHESOS: 109 – ERETRIA: 115 – GORTYN: 117 – HIMERA: 128 – KATANE: 130 – KEOS: 144 – KLEONAI: 148 – KNOSSOS: 149 – KORINTH: 150 – KOROPE: 158 – KOS: 159 – KROTON: 161 – KYME: 162 – KYME IN DER AIOLIS: 163 – KYRENE: 165 – KYZIKOS: 172 – LEONTINOI: 173 – LOKRIS: 176 – LOKROI EPIZEPHYRIOI: 187 – LYTTOS: 198 – MANTINEIA: 203 – MASSALIA: 204 – MAZAKA: 208 – MEGARA HYBLAIA: 210 – MILET: 211 – MYKENE: 217 – MYTILENE: 219 – NAXOS (KYKLADEN): 226 – NAXOS (SIZILIEN): 227 – PAROS: 228 – PHAISTOS: 228 – PHLEIUS: 230 – PRAISOS: 232 – PRIENE: 232 – RHEGION: 234 – RHIZENIA (PRINIAS?): 237 – SELINUS: 239 – SYBARIS: 241 – SYRAKUS: 242 – THEBEN: 246 – THERA: 251 – TIRYNS: 257 – ZANKLE: 260
60
67
8
Inhaltsverzeichnis
IV. GESETZE UNDGESETZGEBUNG IMARCHAISCHEN GRIECHENLAND: ERGEBNISSE UNDPERSPEKTIVEN 262
1. Diagnose:
Zusammenfassung
2. Voraussetzungen:
derempirischen Analysen
Institutionen undVerfahren
262 270
3. Bedingungen: Schriftlichkeit und“ Monumentalisierung”
273
4. Ursachen undFolgen: Differenzierung undDynamik
280
QUELLEN- UNDLITERATURVERZEICHNIS
1. Textausgaben, Fragmentsammlungen undKommentare 2. Editionen undSammelwerke 3. Literatur REGISTER
287 287
289 290
322
1. Begriffe undSachen 2. Historische undmythische Personen
322
3. Belege
328 328 338
a)Literarische Zeugnisse b) Inschriften
326
VORWORT
Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Frühjahr 1991 der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum vorgelegen hat. Die seitdem erschienene Literatur habe ich so vollständig wie möglich berücksichtigt. Der ursprüngliche und lange verfolgte Plan, alle epigraphisch bezeugten Gesetze bis etwa 450 v. Chr. ausführlich zu dokumentieren undzu analysieren, mußte allerdings aufgegeben werden; ein solches Vorhaben hatsich nach dem Erscheinen der Sammlungen vonKoerner undvanEffenterre/Ruzé –jedenfalls für die nähere Zukunft – zunächst einmal erledigt. Dieliterarische Tradition zu denfrühen Gesetzgebern undihren Gesetzen hoffe ichjedoch einigermaßen erschöpfend behandelt zuhaben. Gern komme ich nun der Pflicht der Danksagung nach. Zunächst sind hier die Freunde undfrüheren Kollegen in Cambridge zuerwähnen; denn dort wurde die Arbeit konzipiert und in weiten Teilen geschrieben. Paul Cartledge, Sir Geoffrey Lloyd und Anthony Snodgrass haben mir zugehört, durch ihre kritischen Fragen neue Perspektiven eröffnet und mir mehrfach Gelegenheit gegeben, erste Ergebnisse vor verschiedenen Publica zur Diskussion zu stellen. Eine solche, mir besonders wichtige Gelegenheit hat mir dann auch Hans-Joachim Gehrke geboten, mit demich darüber hinaus seit Jahren über das Thema diskutieren kann. Als Gutachter im Habilitationsverfahren haben sich Justus Cobet, Volkmar von Graeve und Karl-Wilhelm Welwei zur Verfügung gestellt; dabei –unddanach –haben sie mirviele Hinweise gegeben. Michael Zahrnt hat es auf sich genommen, den ganzen Text gleich mehrfach kritisch zu lesen, ebenso wie Hans Beck undUweWalter. Sie haben viele Verbesserungen undErgänzungen vorgeschlagen. Die Herausgeber derHistoria-Einzelschriften, namentlich Kurt Raaflaub, haben das Buch in diese Reihe aufgenommen. Wieder einmal zuletzt nenne ich die Kollegin, der ich besonders verbunden bin, Elke Stein-Hölkeskamp: Ohnesie, ihre Ermutigung undUnterstützung, hätte ichdieArbeit nicht begonnen, undohne sie, ihren kritischen Rat undihre Hilfe, wäre sie nie abgeschlossen worden. DieWidmung soll dafür wenigstens eine geringe Anerkennung sein. Ferner binicheiner Reihe von Institutionen, die mich materiell undideell unterstützt haben, verbunden: Master undFellows von Darwin College, Cambridge, haben mich nicht nurzumersten Finley Fellow inAncient History gewählt, sondern auch wirklich in ihre Mitte aufgenommen. AmCenter for Hellenic Studies in Washington konnte ich ein ungestörtes Jahr über dieThematik nachdenken undmitdemDirektor undden anderen Junior Fellows diskutieren. DieFritz Thyssen Stiftung hat mir ein Forschungsstipendium verliehen, als das Projekt weiter fortgeschritten war, undschließlich einen Zuschuß zu denDruckkosten gewährt. Meine neue akademische Heimat in Köln –das Institut für Altertumskunde, seine Ressourcen undvor allem die ihm angehörenden Kollegen und botmireinUmfeld, indemderAbschluß derArbeit endlich möglich wurde. Mitarbeiter – Köln, imApril 1999
Karl-Joachim Hölkeskamp
I. GESETZGEBER, SCHIEDSRICHTER UND„RECHTSKODIFIKATION“IM ARCHAISCHEN GRIECHENLAND: DAS PROBLEM IN MODERNER SICHT
1. Der Gegenstand inderneueren Forschung: Voraussetzungen, Annahmen
undUrteile
Nachverbreiteter, indermodernen Forschung weitgehend unstrittiger Ansicht kames
in vielen
griechischen Gemeinwesen des Mutterlandes, Kleinasiens, Siziliens und der Magna Graecia imLaufe des 7. und6. Jahrhunderts zu einer Feststellung des Rechtes durch die schriftliche Fixierung der Gesetze, die dadurch erst einmal öffentlich gemacht wurden undvon nunan allgemein zugänglich und (damit) in ihrer Auslegung undAnwendung kontrollierbar waren. Weithin scheint es immer noch selbstverständlich zusein, daßdie Entstehung solcher mehr oder weniger umfassender „Kodifikationen“eine ubiquitäre panhellenische Bewegung war, die ihrerseits einen wichtigen Schritt im vielschichtigen Prozeß derBildung undder inneren Konsolidierung der archaischen Poleis darstellte undletztlich sogar diegesamte Epoche kennzeichnete1 : Nochjüngst hatmandas Jahrhundert von etwa 670 bis zurMitte des 6. Jahrhunderts sogar als „ Zeitalter der Gesetzgeber“bezeichnet2. Diese allgemeine „ Kodifikationswelle“gilt allgemein als erster undwichtigster Ausdruck eines „mächtig erstarkten Staatsgedankens“–ja als Voraussetzung undbereits erste „kraftvolle“Manifestation derIdee derPolis. Die umfassende Kodifikation des Rechts war danach also zugleich die wesentliche Voraussetzung, das Fundament undauch schon das erste undvielleicht langfristig wichtigste Resultat der dynamischen Entwicklung derPolis zueiner übergeordneten Ordnungsmacht, die „ vorstaatliche“ soziale Organisationsformen undpartikular-individualistische Tendenzen des alten Adels gewissermaßen mediatisierte undin der schließlich der nomos als „ die beherrschende Norm“ nicht nurdas „ Rechtswesen“imengeren Sinne, sondern auch die gesamte politische Struktur durchdrang3 . Selbst wennV. EHRENBERGS Vorstellung vonderPolis als „Rechtsstaat“nicht mehr ausdrücklich undungebrochen vertreten wird, so gelten doch die diesem Bild zugrundeliegenden wesentlichen Annahmen nachwievorunbestritten, nämlich daßdie Entstehung von Gesetzgebung undRechtskodifikation als notwendiges undentscheidendes Stadium
1
2
3
Vgl. etwa HIRZEL 1900, 39ff.; ZIMMERN 1912/1931, 128ff.; BUSOLT 1920, 371ff.; SMITH 1922, 188; BONNER/SMITH 1930, 67ff.; DE SANCTIS 1939/1967, 466ff.; SEAGLE 1941, 103ff.; BURY 1951, 76; 144ff.; BERVE 1951, 152f.; EHRENBERG 1965a, 62f.; vgl. 94; 1967, 21f.; WILLETTS 1967, 8; 1968, 204; 1973, 25; 1977, 168; 1982, 235f.; AUSTIN/VIDAL-NAQUET 1972/1984, 41f.; SHIPP 1978, 14ff.; LLOYD 1979, 241; SNODGRASS 1980, 119f.; MURRAY 1980/1982, 229f.; THOMAS 1981, 58; GSCHNITZER 1981, 75; PICCIRILLI 1981a, 12; BISCARDI 1982, 280ff.; FINE 1983, 104; vgl. 100ff.; VANEFFENTERRE 1985, 214ff.; vgl. auch JEFFERY 1976, 42ff.; MEIER 1980, 71 u.ö.; GAGARIN 1986, 141 u.ö.; CAMASSA 1986; 1987, 615ff.; 1994, 97ff.; 1996, 564ff.; FERGUSON 1991, 182; MORRIS 1997, 95. VANEFFENTERRE/RUZÉ I, S. V; 1ff.; vgl. auch ANDREWES 1982, 370; SIEWERT 1994, 27f.; GEHRKE 1997, 50, dervoneiner „ Epoche derNomothetik“spricht; ders. 1998, 45. BUSOLT 1920, 381; EHRENBERG 1961/1965, 111f.; 134f.; 1967, 23; siehe ferner MÜHL 1933, 9; 16; 43 undpassim; MEYER 1937, 527; vgl. 521f.; 534 u.ö.; WOLFF 1962/1968, 99 und passim; WILLEITS 1965, 83; vgl. 76f.; 79; außerdem 1968, 207f.; vgl. 204ff. und 1955, 207; EMLYNJONES 1980, 104; 106; THOMAS 1994, 344ff. Siehe zur Begriffsgeschichte des Konzepts „ / Polis“ „ Stadtstaat“etc.: SCHAEFER 1960/1963; GAWANTKA 1985 und dazu HÖLKESKAMP AAHG 42, 204; WALTER 1998; CARTLEDGE 1998, 384f. 1989, 197–
12
I. Gesetzgeber –Schiedsrichter –„Rechtskodifikation“
imProzeß derinstitutionellen
Ausdifferenzierung von Recht undGericht, Normen und Verfahren unddamit überhaupt derGenese undFormierung des klassischen Stadtstaates mitseiner aufbürgerlicher Gleichheit undpolitischer Partizipation beruhenden Grundordnungzusehen sei4. Als bemerkenswertestes Kennzeichen derbesonderen „Rechtskultur“ dervoll entwickelten Polis des 5. und4. Jahrhunderts gilt sogar ein ausgeprägter GesetKraft zespositivismus, jene tiefe Identifizierung vonRecht undpositivem Gesetz, aufder„ undUniversalität des legalistischen Prinzips“undder spezifische „strenge Legalismus“ des klassischen Stadtstaates beruht hätten unddie die direkte „Frucht der großen Gesetzgebungsbewegung“seit dem7. Jahrhundert gewesen sei5.
Ferner wird dabei oft als selbstverständlich angenommen, daß diese Kodifikationen dieunmittelbare Folge jener allgemeinen Krise derarchaischen Zeit gewesen sein müssen, dieausderallenthalben in Griechenland auftretenden wirtschaftlichen Not, denwachsendensozialen Spannungen zwischen Aristokraten undbreiteren Schichten undden damit
zusammenhängenden, in verschiedenen Formen auftretenden politischen Gegensätzen resultierte undsich imLaufe des7. Jahrhunderts dynamisch verschärfte. Daraus entstandenimmer wieder akute, sich bisweilen zuoffenen Bürgerkriegen zuspitzende Konflikte –nicht nurzwischen Adelunddemos, sondern auch undzugleich zwischen denverfeindeten Parteiungen innerhalb der führenden Gesellschaftsschicht. Oft genug scheint es dabei zuschließlich ausweglos erscheinenden, das Gemeinwesen völlig paralysierenden Pattsituationen gekommen zusein. ZurÜberwindung solcher tiefgreifenden, die Existenz des Gemeinwesens grundsätzlich in Frage stellenden Gegensätze einigte mansich in einer Reihe von Fällen auf die Bestellung von diallaktai bzw. katartisteres –oder sogenannten Aisymneten, wie sie in derneueren Forschung in Anlehnung anAristoteles’ Begrifflichkeit zumeist zusammenVersöhner“ fassend kategorisiert werden6. Diese Schiedsrichter zwischen den Parteien, „ und„Mittler“zwischen den sich gegenüberstehenden gesellschaftlichen undpolitischen Gruppen waren natürlich inaller Regel keine „ ordentlichen“Beamten, wennmandenn für das 7. Jahrhundert überhaupt schon die Existenz institutionalisierter Magistraturen voraussetzen kann. Nicht selten sollen sie eigens von auswärts, aus anderen griechischen Städten, gerufen worden sein. Jedenfalls standen diese „ Schiedsrichter“grundsätzlich außerhalb undüberderinstitutionellen Ordnung derjeweiligen Polis, soweit eine derartige Ordnung sich bereits etabliert hatte. In dieser Hinsicht waren sie denTyrannen sehr ähnlich, die zurgleichen Zeit vielerorts an die Macht kamen undsich dabei die gleichen krisenhaften Verhältnisse undgesellschaftlichen Konstellationen zunutze machten, die die Einsetzung solcher „ Vermittler“erzwingen mochten7. In gewisser Weise scheinen sie ja auch tatsächlich „gewählte Tyrannen“gewesen zu sein, wie Aristoteles seine Kategorie
4
5
SNODGRASS 1980, 118ff.; STARR 1986, 57f. Vgl. auch WOLFF 1962/1968, 111; SPAHN 1977, 61; GAGARIN 1986, 139ff.; 146 undpassim; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, S. 2. WOLFF 1980, 560f.; vgl. auch dens. 1962/1968, 110f.; 114, sowie 99ff. passim; GAGARIN 1986,
141; 146. 6
7
BUSOLT 1893, 628f.; 1920, 372ff.; HEUSS 1946/1969, 93f.; WIEACKER 1961, 48f.; EHRENBERG 1965a, 55f.; GEHRKE 1986, 44. Vgl. auch SCHAEFER 1955/1963, 286f.; 1957/1963, 312f.; BRACCESI 1978, 337; ROEBUCK 1980; EDER 1986, 272ff. undpassim. Siehe dazu HUMPHREYS 1977, 358f.; BRACCESI 1978, 377ff.; GEHRKE 1993, 66f., sowie kritisch Diskurs“über STEIN-HÖLKESKAMP 1996, 676ff. undpassim, und–mit Blick auf den klassischen „ Tyrannis –MCGLEW 1993, 87ff. u.ö.
1. DerGegenstand inderForschung
13
Aisymneten“definierte8: Sie wurden immer zurLösung einer ganz bestimmten Aufder „ gabe bestellt –oft schon regelrecht „gewählt“–und mußten dazu mit außerordentlichen Vollmachten undbesonderen, weitreichenden Befugnissen ausgestattet werden. Denn sie
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sollten als „ Wieder-ins-Lot-Bringer“ die akkumulierten konkreten Probleme angehen und (möglichst einvernehmlich) lösen, die sozialen Gegensätze entspannen undausgleichen unddamit dieinnere Ordnung undEintracht derBürgerschaft, ihre soziale, politische und institutionelle Balance (wieder) herstellen. Damit gelten sie –übrigens in derspäteren antiken Tradition ebenso wie in der modernen Forschung –geradezu alsZentralfiguren derganzen Epoche. Diediesen Gestalten schon immer zugeschriebene Bedeutung beruht nicht zuletzt darauf, daßsie großes Anseheninganz Griechenland genossen zuhaben scheinen; siesollen auchmitdemOrakel des Apollon in Delphi inVerbindung gestanden haben, undeinige von ihnen –wie etwa Solon–wurden bekanntlich zudenSieben Weisen gezählt. Dieses Ansehen undsogar ihre „ Macht“seien dabei, so dieFormulierung vonA. HEUSS, derbesonderen „ geistigen und sittlichen Autorität“entsprungen, dievorallem –ineiner Zeit, dieja aucheine Epoche des intellektuellen Aufbruchs undderNeugier, derEntstehung understen Blüte der griechischen Philosophie und„ Wissenschaft“war–aufihrer unabhängigen Position als „ freier Intelligenz“ , aufbesonderer Originalität, auf Erfindungsreichtum, Rationalität undOffenheit fürneue Lösungen beruht haben soll10.
Die anspruchsvolle neue Aufgabe wiederum, die sie mitHilfe dieser Fähigkeiten lösen sollten, bestand nicht zuletzt in der Fixierung undmöglichst dauerhaften Sicherung dererreichten Lösungen, Kompromisse undkonkreten Regelungen. Damit wurden die „ Aisymneten“notwendig zu „ Nomotheten“ , das heißt: zu Gesetzgebern undStiftern von festen Normen undRegeln, Geboten undVerboten, Sanktionen undStrafen. Denn–auch dies gilt in der modernen Forschung als mehr oder minder ausgemacht –Gesetzgebung und„Rechtskodifikation“oderauch: die„Verrechtlichung“der(dabei) entstehenden Ordnung derBürgerschaft waren einwesentliches, ja das entscheidende Instrument zurBeilegung derinneren Konflikte undzurNeukonstituierung vonwirklich undimeigentlichen Sinnne geordneten Bürgerschaften11. Nachallgemeiner Ansicht erfaßten die Maßnahmen undRegelungen derGesetzgeber denn auch alle jene Rechtsbereiche undkonkreten Materien, die für diese neue innere Ordnung der Bürgerschaft unddie „ Polis“als Garanten undAusdruck dieser Ordnung 8
Aristot.Pol. 1285a29– 35; b25– 26; 1295a10– 40 (zu Pittakos); siehe dazu im ein18, sowie 1285a35– zelnen Kapitel II 2 und3. Vgl. BUSOLT 1893, 629 mit Anm. 1; 1920, 372f.; WEISS 1923, 83f.; HEUSS 1946/1969, 94; EHRENBERG 1965a, 55f.; BERVE 1967, 94; 354; JEFFERY 1976, 47; 90; RUNCIMAN 1982, 357; SHIPLEY 1987, 49. Siehe aber MEIER 1980, 102 Anm.26. 9 MEIER 1978, 237f.; 241; 1980, 71; 75; 80; 118; vgl. 102; 225; 232; 490; 1987, 107. 10 HEUSS 1946/1969, 93ff.; vgl. etwa – mit einigen Abstufungen – LATTE 1946/1968, 244; WIEACKER 1956, 490f.; VERNANT 1962/1982, 36; 67f. u.ö.; FINLEY 1970/1981, 100ff.; WELLETTS 1977, 164; EMLYN-JONES 1980, 103ff.; vgl. 97ff.; MEIER 1980, 70ff.; 1982, 141ff.; 1987, 106ff.; MURRAY 1980/1982, 229; GEHRKE 1986, 43ff.; 93f.; 1993, 62; EDER 1986, 280; ERLER 1987, 21f.; MALKIN 1989, 135f.; 144; 150f.; MARTIN 1993. 11 GILBERT 1885, 279f.; TOEPFFER 1894, 1088; BUSOLT 1893, 628f.; 1920, 375; SMITH 1922, 188ff.; WEISS 1923, 82ff.; MEYER 1937, 521f.; SCHOTTLAENDER 1965, 28; BERVE 1967, 11; GEHRKE 1978, 167; 1986, 44; FERENCZY 1984, 2008; GAGARIN 1986, 58ff. Vgl. auch EDER 1986, 274f.; MEIER 1987, 115f.; LABARBE 1991, 519; MCGLEW 1993, 91ff.; VANEFFENTERRE/
RUZÉ I, S. 5.
14
I. Gesetzgeber –Schiedsrichter –„Rechtskodifikation“
generell, für die gesellschaftlichen undwirtschaftlichen Verhältnisse der Bürger und für denfriedlichen (unddasheißt ebenso immer: rechtlichen) Verkehr dieser Bürger untereinander imbesonderen als konstitutiv zugelten haben: Dazugehörten erstens die Stärkung der „staatlichen“Strafgewalt durch Beschränkung der Selbsthilfe, die Einführung bzw. Ausgestaltung formalisierter Gerichtsverfahren, Klage- und Berufungsmöglichkeiten, sowie die normative Festsetzung undAbstufung der Strafen, die noch von archaischer Strenge waren; zweitens die Regelung der „ bürgerlichen“Verhältnisse, vor allem hinsichtlich Erbschaft, Vormundschaft und Adoption, Ehe und Mitgift, Grundbesitz und Schuldrecht, Güterverkehr, Handel und Sklaverei; schließlich Maßnahmen gegen den luxuriösen Lebensstil desAdels, denAufwand der Frauen unddie Verschwendung bei Begräbnissen12.
Andiesem entscheidenden Punkt wird bei einer genaueren Prüfung undschärfer differenzierenden Auswertung dermodernen Literatur allerdings deutlich, daßderbeschriebene allgemeine Konsens in derForschung eben doch nicht umfassend, sondern imeinzelnen recht begrenzt ist. Keineswegs unstrittig ist etwa, ob auch das „ Blutrecht“unddie Einrichtung formal geregelter gerichtlicher Verfahren bei Tötungsdelikten vonAnfang an und durchgängig Gegenstand der frühen „Kodifikationen“gewesen seien13 –tatsächlich scheinen diese besonders schweren Delikte etwa in dem(doch recht umfassend anmutenden) Recht vonGortyn nicht thematisiert worden zusein14. Verschiedentlich hat mandahergemutmaßt, daßsich der„staatliche“Verfolgungsanspruch undderGerichtszwang bei Tötungsdelikten erst imweiteren Verlauf desFixierungsprozesses „ ausganz anderen Ansätzen“entwickelt hätten, nämlich „ aus ethischen undreligiösen Forderungen“undvor allem aus einem „ Bedürfnis nach Frieden undSicherheit“in der Polis, das wiederum schlicht alsKonstante vorausgesetzt wird. Wenigstens zunächst sei dieAhndung solcher Delikte jedenfalls nochnach denalten, ungesatzten Regeln undRitualen denVerwandten des Getöteten undihrem traditionellen privaten Vergeltungsanspruch überlassen geblieben15.
Schon bei einer kurzen Durchsicht dereinschlägigen Handbücher stellt sich dann heraus, daß nicht nur in dembesonderen Fall des Blutrechts, sondern bei praktisch allen vermuteten zentralen Gegenständen undMaterien überhaupt nicht gesichert ist, daß sie
inden„Gesetzgebungen“dereinzelnen Poleis wirklich behandelt wurden. Relativ , dietatsächlich Regelungen einer Mehrzahl von Rechtsgeumfassende „ Kodifikationen“ bieten enthielten, sindja allenfalls für Solon, Zaleukos undCharondas überliefert; hinzu kommt natürlich der„ Code“von Gortyn. Selbst in diesen Fällen kann mandieses Konzept nurmiterheblichen Reserven verwenden16. Hingegen sind einige Gesetze, die für
jeweils
12 KOHLER/ZIEBARTH 1912, 91; BUSOLT 1920, 377ff.; SMITH 1922, 195ff.; BONNER/SMITH 1930, 77ff.; MÜHL 1933; MEYER 1937, 525ff. Vgl. zum „Code“von Gortyn vor allem WILLETTS 1968, 207f.; THOMAS 1994, 346f.; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, S. 5ff. 13 So etwa BUSOLT 1920, 380; BERVE 1951, 152; HAMMOND 1959/1967, 144; VERNANT 1962/1982, 72ff.; EHRENBERG 1967, 22; BISCARDI 1982, 282ff.; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, S. 5. 14 Siehe etwa BONNER/SMITH 1930, 71 Anm. 1;79; WILLETTS 1967, 9 zum Recht von Gortyn. Vgl. generell SEAGLE 1941, 109. 15 MEYER 1937, 526; 531; vgl. 528ff. Siehe ferner SMITH 1922, 192; 196f.; BONNER/SMITH 1930, 79; SEAGLE 1941, 109; FINE 1983, 104; GAGARIN 1986, 89 Anm.23 (vgl. allerdings ebda. 63f.; 78f; 86ff. unddazuHÖLKESKAMP 1990). 16 Vgl. allgemein etwa ROBB 1994, 130; 99ff.; DAVIES 1996. S. auch Kapitel II 2 und3 zu Material-
1. DerGegenstand inderForschung
15
die Identifizierung der Kernmaterien der „Kodifikationen“in Anspruch genommen zu werden pflegen, überhaupt nur als einzelne, isolierte Maßnahmen in der Überlieferung erwähnt –wieetwa das frühe Gesetz über denMordprozeß aus Kyme17. Auch denübrigen namentlich bekannten Gesetzgebern –Androdamas aus Rhegion, Pheidon von Korinth undPhilolaos aus Theben und auch Pittakos aus Mytilene –werden jedenfalls aus8. drücklich immer nurjeweils einzelne bzw. ganz wenige Gesetze zugeschrieben1 Schon damit erweisen sich dieinderForschung verbreiteten Annahmen hinsichtlich derkonkreten Gegenstände unddes Umfangs der archaischen „Kodifikationen“als durchaus problematisch bzw. problematisierungsbedürftig. Diese Ambivalenzen haben natürlich auch mit der (selbst für antike Verhältnisse) höchst komplizierten, disparaten undin ihrem historischen Wert sehr unterschiedlichen Überlieferung zutun. So ist derkurze Abschnitt über „ VerfassungsGesetzgeber“und „ stifter“in der Politik des Aristoteles (1273b30– 1274b28) nicht nur die am häufigsten zitierte Quelle imengeren Sinne, sondern dient vielfach auch als Beleg für die Sichtweise unddie „historische“Deutung derarchaischen Gesetzgebung in der historiographischen undphilosophischen Tradition19. Gerade hier wird aber einerseits deutlich, daßAristoteles fast durchweg sehr selektiv vorgeht undnureinige wenige, ihmtypisch und/oder für seine Deutung wichtig erscheinende Maßnahmen einiger weniger namentlich erwähnter Gesetzgeber nennt. Andererseits ist keineswegs ausgemacht und eigentlich noch nicht einmal wahrscheinlich, daßihmtatsächlich sehr viel wirklich zuverlässiges Material, womöglich auch noch in umfangreichen, detaillierten undsystematischen Kompendien geordnet, vorgelegen hat20. Derzunächst zufällig undwillkürlich erscheinende Eindruck derUnverbundenheit der überlieferten Gesetze, ihrer Vereinzelung undIsoliertheit, wird bei näherem Hinsehen sogar durch die in den erwähnten Handbüchern, Darstellungen und Sammlungen des griechischen Rechts vorgenommene systematische Ordnung des gesamten noch vorliegenden Materials, das heißt durch Kategorisierung des Bestandes aller überlieferten normativen Satzungen undgesetzesförmlichen Maßnahmen imweitesten Sinne nach Rechtsmaterien, eindrucksvoll bestätigt21. Ausdieser Diskrepanz zwischen der allgemeinen Einschätzung einerseits unddenvorliegenden konkreten Daten andererseits sind aber bislang praktisch keine Konsequenzen gezogen worden. Manakzeptiert vielmehr diesen Befund mitderschlichten Feststellung, daßdie frühen Gesetzgeber ihre Maßnahmen eben nicht zugruppieren undzuklassifizieren pflegten –noch nicht einmal nach denbekannten grobenKriterien, die später Hippodamos vonMilet vorgeschlagen haben soll, oder denjenigen, die Demosthenes beiläufig erwähnt: die Unterscheidung nach ὕ ηund β ά ρ ις , βλ β θ ά ν α τ ο ςbzw. nach Regeln für denprivaten Umgang der Bürger miteinander einerseits
auswertung, Interpretation undBegrifflichkeit derQuellen; Kapitel III 2 zudenbekannten Gesetzen. 17 Aristot.Pol. 1269a1– 3. Vgl. dazu deneinschlägigen Abs. in Kapitel III 2. 18 Aristot.Pol. 1265b12– 16; 1274a31– 32; b1– 26. Vgl. zu denEinzelheiten diejeweiligen Abs. in 5; b18– Kapitel III 2. 19 Vgl. dazuundzumFolgenden imeinzelnen Kapitel II 2 und3. 20 1274b2– 3;b23– 25; vgl. in diesem Zusammenhang auch 1274a22– 8 zu Zaleukos undCharon25; b5– das. Das wird vonRUSCHENBUSCH 1983, 321ff. völlig verkannt. 21 Vgl. dieAngaben in Anm.10. Auch diewichtige Sammlung derfrühen Rechtsinschriften von VAN EFFENTERRE/RUZÉ I-II istnachmodernen, abstrakten Kriterien geordnet.
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I. Gesetzgeber –Schiedsrichter –„Rechtskodifikation“
undfürihröffentliches Leben, ihr Verhältnis zurPolis als ganzer andererseits22. Sie hätten es einfach bei demunsystematischen Nebeneinander von „zivil-“und „strafrechtlichen“Gesetzen undVerfahrensregeln, sakralrechtlich-religiösen Geboten, Verboten und Vorschriften zurLebensweise undgesellschaftlichen Moral belassen23. Häufig findet sich auch die immunisierende Behauptung, daßes sich eben nicht um wirkliche „ Codes“ bzw. Prozesse derRechtsfeststellung und„Kodifizierung“vonGesetzesrecht immodernen Sinne gehandelt habe24: Denn es sei ja bei keiner dieser antiken „ Kodifikationen“um die vollständige und erschöpfende Erfassung und systematische Aufnahme desgesamten Rechts (oder wenigstens sehr weiter Rechtsgebiete) gegangen. Nach moderner Vorstellung richtet sich aber eine echte „Kodifizierung“in erster Linie gerade auf die rationale, auf allgemeinen Grundsätzen beruhende Vereinheitlichung aller Einzelgesetze und„statutes“undihre organische undklar strukturierte Zusammenfügung zueinem kohärenten unddefinitiven System vonbesonderem Rang undbesonderer normativer Bindungskraft, das(zumindest demAnspruch nach) auf Dauer undauf die Zukunft angelegt, alle denkbaren undvoraussehbaren Rechtsfälle regeln und in sich geschlossen sein sollte25.
Wieallgemein unstrittig ist, hatesallerdings überhaupt zukeiner Zeit in Griechenland oder auch imVorderen Orient „Gesetzbücher“und„Kodifikationen“gegeben, die diese
Kriterien undAnsprüche wirklich uneingeschränkt undvollständig erfüllt hätten. Weder die assyrischen undhethitischen Rechtstexte noch die frühen Rechte in Mesopotamien, diesumerischen Codes derKönige Ur-Nammu undLipit-Istar, die Gesetze vonEsnunna undweitere akkadische „Codes“undnoch nicht einmal dasberühmte Recht des Königs 6. Hammurabi können in diesem Sinne als echte „ Kodifikationen“gelten2 Zunächst erfüllen diese „Gesetzbücher“durchweg nicht das zentrale Kriterium der Vollständigkeit der Aufnahme des„ Rechts“ unddererschöpfenden Erfassung derRechtsmaterien. Bei diesen Texten habenochnicht einmal die„gesetzgeberische“Absicht, dasZiel einer allgemeinen
22 Aristot.Pol. 1267b39, vgl. b22ff.; Demosth. 24,192. 23 Vgl. ausdrücklich etwa SMITH 1922, 196; BONNER/SMITH 1930, 78f.; siehe ferner EHRENBERG 1930/1965, 538. Siehe dazu auch EDER 1986, 273; VANEFFENTERRE 1991, 84f. 24 Vgl. insofern etwa LEMOSSE 1957, 131f.; GAGARIN 1982, 145f.; GOODRICH 1986, 95 und die Titel derfolgenden Anm. 25 Vgl.zummodernen Konzept der„Kodifikation“undihren einzelnen Kriterien generell SEAGLE 1941, 103; 110 u.ö.; LEMOSSE 1957, 131; PRINGSHEIM 1957, 301ff.; CARDASCIA 1957, 66f.; GAGARIN 1982, 129; BOTIÉRO 1982, 414; EDER 1986, 273, sowie GOODRICH 1986, 23f.; 99ff.; WESTBROOK 1989, 201ff.; 218ff. Vgl. jetzt HUMPHREYS 1985, 251; 255; 256; GOODY 1986, 134f. füreinen flexibleren Begriff des„Code“ . 26 Vgl. generell SEAGLE 1941, 102ff.; 1947, 23; KOROSEC 1957, 93; FINKELSTEIN 1961, 101ff.; SAWER 1965, 58; PAUL 1970, 5; 23ff.; LLOYD 1979, 241f.; WESTBROOK 1988, 82ff.; 1989, 202ff.; KIENAST 1994, 17f. und passim; Vgl. zu den assyrischen Rechten etwa DRIVER/MILES 1935, 12ff. undpassim; CARDASCIA 1957, 55; 66 undpassim, ferner KOSCHAKER 1921, 16f.; 25; 65ff.; 79ff. (siehe dagegen allerdings DRIVER/MILES 1926, 63ff.); RIES 1983, 6; 33ff. mit weiteren Nachweisen.Vgl. zum hethitischen Recht NEUFELD 1951, 101ff. u.ö.; KOROSEC 1957, 96ff. und passim; RIES 1983, 6; 37ff. mit weiterer Literatur. Vgl. zu den sumerischen und akkadischen Codes“SZLECHTER 1957, 74ff.; 1980; 1981; RIES 1983, 5f.; 8ff.; 11ff.; 16ff. mit weiteren Nach„ weisen. Vgl. zumCharakter desRechts desHammurabi etwa DRIVER/MILES 1952, 41ff. undpassim, ferner SEAGLE 1941, 104ff.; 1947, 13ff.; 23; SZLECHTER 1957, 82ff.; CARDASCIA 1957, 67; SAWER 1965, 58f.; JACKSON 1975, 26ff.; BOTTÉRO 1982, 414ff.; RIES 1983, 18ff.; SEALEY 1994, 30ff.; SAUREN 1989, 1ff.; RENGER 1994, 27ff. mitweiterer Literatur.
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Regelung undverbindlichen Normierung imVordergrund gestanden: Gerade der „ Code“ des Hammurabi mit seinen stilisierten Prologen undEpilogen sei eher als „politische“ Charta und Apologie des Herrschers, ja als „ Testament“zu charakterisieren. Dieser Code“sollte seinen Anspruch, diebesondere königliche Pflicht zurHerrschaft mit und „ durch Recht undGerechtigkeit wahrhaft erfüllt zu haben, dokumentieren und richtete sich damit weniger an Richter undGerichte als andie Nachwelt, zukünftige Könige und die Götter27.
Nachmodernem Verständnis sind dann allerdings auch die Maßnahmen griechischer Gesetzgeber imeigentlichen Sinne, etwa die„ Gesetze desZaleukos“oder dieSatzungen Drakons unddiejenigen Solons, selbst in ihrer Gesamtheit keine echten „Codes“ 28. Auch dieRevision und„Kodifikation“derathenischen Gesetze durch Nikomachos gegen Ende des5. Jahrhunderts stellte inAnsatz undErgebnis lediglich eine Sammlung von verstreuten, ursprünglich einzeln eingeführten Sakral- undSäkularvorschriften dar, die das nach modernem Verständnis vorauszusetzende Mindestmaß anSystematik ebenfalls vermissen Recht“ läßt29. Selbst das„ vonGortyn, dasindererhaltenen Fassung ja auch erst aus dem 5. Jahrhundert stammt, kann danach nicht als „Code“im strengen Sinne gelten: Dieser Sammlung vonVorschriften zuvielerlei eigentums-, erb- undeherechtlichen Gegenständen undEinzelfällen, von Verfahrensregeln, Ergänzungen und Zusätzen verschiedener Art, Differenziertheit, Genauigkeit und„Reife“ , diesogar ihre unterschiedliche, zumTeil sehr frühe Entstehungszeit deutlich erkennen lassen, fehlt es durchaus anVollständigkeit, rationaler Durchbildung, gleichmäßiger Ordnung und systematischer Einheitlichkeit30. Das gilt auch für dasZwölftafelrecht, dasLivius ehrfürchtig als fons omnis publici privatique iuris despopulus Romanus bezeichnet31. Sogar beim Codex Iustinianus –dem ersten „Code“ , dernachFormundGehalt, Konsequenz undKlassifizierung derRechtsmaterien undStrenge der Ordnung als umfassend-systematisierendes Gesetzgebungswerk gelten darf –hatmanZweifel angemeldet, ob dieses Werk wirklich alle Kriterien einer 2. echten „Kodifikation“immodernen Sinne erfüllt3 27 28
29
FINKELSTEIN 1961, 101; 103; 106; BOTTÉRO 1982, 423; 444. Vgl. auch RIES 1983, 40ff.; WHITELAM 1979, 17ff.; 207ff.; PAUL 1970, 23ff.; vgl. 5ff.; SAUREN 1989, 3; 54; RENGER 1994, 51f. undpassim. Siehe etwa STAHL 1987, 193f.; MÉLÈZE MODRZEJEWSKI 1991, 9; ROBB 1994, 126ff.; SEALEY 1994, 10f.; 30ff.; 55. Vgl. Kapitel IV 1 zudenEinzelheiten. GAGARIN 1982, 145f.; TRIANTAPHYLLOPOULOS 1985, 41 Anm.3. Vgl. auch HARRISON 1955; JONES 1956; 104ff.; DOW1959; MACDOWELL 1978, 48ff.; STROUD 1979, 6ff. mit den Einzelheiten. Vgl. dazu zuletzt OSTWALD 1986, 414ff.; vgl. 405ff.; 511ff.; SEALEY 1987, 35ff.; 45ff.; A. NATALICCHIO, Sulla cosidetta revisione legislativa in Atene alla fine delV secolo, QS 32, 1990, 90; N. ROBERTSON, The laws of Athens, 410– 61– 399B.C.: the evidence for review andpublication, JHS 110, 1990, 43– 75; P.J. RHODES, The Athenian code of laws, 410– 399B.C., JHS 111, 1991,
100. 87– 30 WILLETTS 1955, 6 u.ö.; 1968, 203; 1977, 164; 170f.; 1982, 240, vgl. 237ff.;
GAGARIN 1982, 129; 145f. und passim; 1989; VANEFFENTERRE 1985, 215; SEALEY 1994, 37ff.; DAVIES 1996, 55f. undpassim. Vgl. außerdem bereits LEMOSSE 1957, 136f., vgl. 131ff.; WILLETTS 1967, 9 undpassim; WHITLEY 1997, 655, bzw. 1998, 320 nennt diesen Prozeß „gradual elaboration andcodification“ oder„progressive codification“ . 31 Liv. 3,34,6. Vgl. auch WIEACKER 1956, 467 undpassim; GOODRICH 1986, 29; 95 undneuerdings WESTBROOK 1988, 74ff., auf dessen Hypothesen zum Ursprung derZwölftafeln hier nicht einzuge-
henist. 32 Vgl. allerdings KOROSEC 1957, 93; GOODRICH 1986, 29ff.; 95ff. undbereits 7f., diedenCodex Iustinianus füreineechte „Kodifikation“halten.
SCHULZ 1934/1936,
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I. Gesetzgeber –Schiedsrichter –„Rechtskodifikation“
Es scheint also in Griechenland, selbst unter denentwickelten Verhältnissen des 5. Jahrhunderts, keine „ Kodifikationen“immodernen Sinne gegeben zuhaben. Trotz dieses grundsätzlichen Vorbehalts istmanin deraltertumswissenschaftlichen Forschung bislang durchweg dabei geblieben, dasPhänomen der Gesetzgebung im konzeptuellen Rahmen eines allgemeinen Musters von „ Kodifikation“zu beschreiben undzu deuten33 –weder die Begrifflichkeit selbst noch ihre impliziten Vorannahmen wurden dabei grundsätzlich problematisiert. Mangelangte allzu ofteinfach nicht überdieebenso allgemeine wie negative Feststellung hinaus, daßdie „Codes“dergriechischen Gesetzgeber denKatalog abstrakter Kriterien des Idealtyps einer „ Kodifikation“eben nicht vollständig erfüllten –aber eine ganze Serie vonVoraussetzungen, Annahmen undVermutungen überdiese „Codes“ , ihre konkreten Inhalte undihren allgemeinen Charakter blieb davon unberührt. So wirdnachwievorzumeist schlicht vorausgesetzt, daßdietatsächlich überlieferten einzelnen Gesetze regelmäßig nureinzelne Teile eines „ Gesetzbuches“ , einer aufvielfältige Weise zusammenhängenden undaufeinander bezogenen „Sammlung von Gesetzen“ gewesen sein müßten. Sie seien nurdiezufällig auf unsgekommenen Bruchstücke eines einheitlichen, umfassenden, womöglich systematischen Gesetzgebungswerkes –ja, erst seit dem6. Jahrhundert sei „ dasGesetz durchaus Einzelbestimmung“gewesen3 4. Es gilt daher als methodisch durchaus unproblematisch, die Einzeldaten zu denverschiedenen Gesetzgebern undihrer Tätigkeit –selbst wenn sie in verschiedene Zeiten und unterschiedliche Zusammenhänge gehören undin unterschiedlichsten Überlieferungskontexten erwähnt sind–fürdieSchlußfolgerung inAnspruch zunehmen, daßsie, wie etwa Zaleukos und Charondas in Unteritalien und Sizilien, jeweils und durchweg umfassende, schriftlich fixierte „ codes of law“ , „Rechtsordnungen“oder „Stadtrechte“geschaffen hätten, die die meisten, wenn nicht überhaupt alle Aspekte des Lebens in demjeweiligen Gemeinwesen irgendwie erfaßt undgeregelt haben müßten35. Dieses methodische Verfahrenwird bezeichnenderweise nicht nuraufdieliterarisch überlieferten Daten angewandt, sondern auch auf die nicht unbedeutenden epigraphischen Zeugnisse: Die erhaltenen Bruchstücke früher Satzungen aus Dreros, Gortyn, Knossos undeiner Reihe weiterer kleinerer Gemeinwesen aufKreta werden als„ Relikte“ lawcodes“ derjeweiligen lokalen „ aufgefaßt undalsunmittelbare Indizien dafür genommen, daßspätestens amEnde des 6. Jahrhunderts jede Polis (jedenfalls aufKreta) bereits über irgendeine Artvon „ civil code“ verfügt habe36. Regelmäßig sei darin zunächst –undzwar eben doch relativ umfassend undsystematisch –dasgeltende ungeschriebene Recht aufgenommen worden, das sich noch auf vorstaatlichen, religiösen Grundlagen über Generationen hinweg entwickelt habe: Die 33 Auch DIAMONDS Definition von „early codes“ , „central codes“bzw. „late codes“in „legal terms“ (1971, 57; 74; 85 u.ö.), auf diehier nicht eingegangen werden soll, unterscheidet sich nicht grundsätzlich davon.
34 So LATTE 1946/1968, 245. Vgl. etwa auch WIEACKER 1971, 756f.; JEFFERY 1976, 43. 35 So GRAHAM 1982, 191. Vgl. etwa auch FREEMAN 1891, II 60; FINE 1983, 102; RUSCHENBUSCH 1983, 322f.; FERENCZY 1984, 2007ff.; SAUNDERS 1991, 93; THOMAS 1994, 346ff.; CAMASSA 1996, 568ff. 36 Siehe insbesondere GRAHAM 1982, 191; JEFFERY 1976, 188, vgl. 43; 189 (zu demfrühen Gesetz aus Dreros). Vgl. außerdem JEFFERY 1961/1990, 61; 310ff.; 315f.; WOLFF 1962/1968, 111; WILLETTS 1973, 26; 1977; 170; 1982, 237; BISCARDI 1982, 280f.; FINE 1983, 100ff. undneuerdings MORRIS 1997, 95; OSBORNE 1997, 76f.; 80. Siehe dagegen allerdings GAGARIN 1986, 97; 138; WHITLEY 1997, 665; 1988, 320.
1. DerGegenstand inderForschung
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„ allgemeine Rechtsüberzeugung“ , die austraditionellen Sitten, Regeln undNormen und einem Vorrat anUrteilen bzw.themistes im„ kollektiven Gedächtnis“derhocharchaischen 7. Gesellschaft bestanden habe, sei damit fixiert, formalisiert undvereinheitlicht worden3 Zugleich aber gelten die „ Kodifikationen“als bedeutende Errungenschaften mit großem Reform- undInnovationspotential –ja, wie bereits angedeutet, als eigentlicher Durchbruch zurStaatlichkeit. Dieser Schub sei dieAuswirkung derFixierung undVeröffentlichung selbst, dieansich schon einen „ wesentlichen AktderBindung undObjektivierung des öffentlichen Lebens“darstellten. Denn die Garantie der „privaten Rechtssicherheit“ undzugleich die Grundlegung der Gleichheit vor demkodifizierten und objektivierten (undinsofern allein schon neuen) Recht gelten selbstverständlich als wesentliche Voraussetzung einer „ bürgerlichen“Gleichheit, die dann zu einem konstit utiven Merkmal der klassischen Polis werden sollte38. Allein durch ihre „ öffentliche“Existenz hätten die „ Codes“ansich schon einen weiteren Schub derVerbesserung der allgemeinen Rechtssituation undderReform desGerichtswesens mitsich gebracht39. Undzugleich hätten sie dabei insgesamt eine qualitative Veränderung derForm unddes materiellen Gehalts des zuvor „ oralen“ Rechts bedeutet40. Zudem hätten die „ Codes“auch bereits auf die veränderten Verhältnisse undneuen Bedürfnisse der sich gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch rapide entwickelnden Poliswelt reagiert, indem sie die „ Rechtsgebiete“ Eröffnung“undRegelung ganz neuer „ initiierten41 –ebenjene bereits erwähnten Materien, die als typische, immer wieder thematisierte Gegenstände von „ Kodifikationen“aus den Einzeldaten extrapoliert worden sind. Damit dienten die „Codes“letztlich schon der „ bewußten Korrektur der sozialen Entwicklung“ 42. In diesen wesentlichen gemeinsamen Grundmerkmalen haben sich nach dernochimmer allgemein akzeptierten Ansicht die„allgemeine Tendenz“derfrühen „großenGesetzgebungen“ , ihrstrukturell überall gleicher Charakter, ihre besondere Tragweite undFolgewirkung oderdochzumindest diedurchweg ähnlichen „nomothetischen Prinzipien“und ihre Umsetzung in „ spezifisch nomothetische Lösungen“konkret manifestiert43.
37 Siehe etwa JEFFERY 1976, 42; GSCHNITZER 1981, 73; FINE 1983, 100f.; GEHRKE 1986, 43; OLIVA 1988, 32; 34f. Vgl. auch WIEACKER 1971, 756f.; SHIPP 1978, 15; WELWEI 1983/1998, 70; RUSCHENBUSCH 1983, 317; RAAFLAUB 1985, 64; EDER 1986, 273; SEALEY 1987, 116ff.; THOMAS 1994, 342; 345, sowie bereits LATTE 1946/1968, 244; BERVE 1951, 150ff.; JUST 1969, 197ff. ROTH 1976, 334f., nimmt diegriechischen „Kodifikationen“als Beispiel einer „early IndoEuropean collection of oral laws“ , scheint von einer allgemeinen indoeuropäischen Wurzel derKodifikationsidee auszugehen.
38 MEYER 1937, 521f.; BERVE 1951, 153; BURY 1951, 144ff. Vgl. auch BUSOLT 1920, 381f.; SCHAEFER 1955/1963, 286; EHRENBERG 1961/1965, 111; 134; FINLEY 1970/1081, 100. Siehe auchnoch, allerdings sehrviel zurückhaltender, WELWEI 1983/1998, 70; 72; MEIER 1980, 80, dagegenJUST 1969, 199f. 39 S. etwa SNODGRASS 1980, 118ff.; vgl. AUSTIN/VIDAL-NAQUET 1972/1984, 42; MEIER 1980, 83; DONLAN 1997, 14. 40 So etwa EDER 1986, 274. Vgl. generell dazu PRINGSHEIM 1957, 305, sowie SEAGLE 1941, 106ff. 41 So etwa BUSOLT 1920, 380; SMITH 1922, 188; 192f.; BONNER/SMITH 1930, 74. Vgl. auch BURY 1951, 145; GSCHNITZER 1981, 75; FINE 1983, 103f.; RAAFLAUB 1985, 63f.; GEHRKE 1986, 44, sowie JUST 1969, 200ff., dereine (spätere) Welle von „ Reformgesetzgebungen“nach einem Schub
derFixierung bestehenden Rechts zuvermuten
scheint.
42 GSCHNITZER 1981, 75. Vgl. etwa PRINGSHEIM 1957, 305; ROEBUCK 1980, 1930. 43 Siehe nur BUSOLT 1920, 379; MEYER 1937, 525; GEHRKE 1986, 44; 1995, 21ff. Vgl. in
dieser
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I. Gesetzgeber –Schiedsrichter –„Rechtskodifikation“
Darin steckt diepraktisch nie problematisierte Annahme, daßdiegroßen Gesetzgeber des7. und6. Jahrhunderts vonAnfang andasneue Instrument der„Satzung“bewußt, ja geradezu virtuos undprofessionell44 zuhandhaben wußten –undvor allem, daßsie sich dieses Instruments höchst zweckrational zur Erreichung bestimmter, durchaus weitreichender undabstrakter Zielsetzungen bedienten, ja daßGesetzgebung als Verfahren zu diesen Zwecken eben„ erfunden“wurde. Dies wird keineswegs nurvonjener weit überwiegenden Mehrheit derForscher vorausgesetzt, diedieGesetzgebungen als eine wichtige Konzession der Aristokraten an die unzufriedenen und zunehmend selbstbewußten breiteren nichtadligen Schichten innerhalb der werdenden Polis interpretieren: Danach habederdemos gegen diewillkürliche undparteiische Anwendung desgeltenden Rechts durch korrupte aristokratische Richter – die„schiefen Sprüche“vonHesiods „geschenke45–aufbegehrt, die Forderung nach Fixierung, Objektivierung und fressenden Königen“ Veröffentlichung des Rechts erhoben und schließlich, möglicherweise sogar in blutigen Unruhen, auchdurchgesetzt46. Auch die neuerdings vonW. EDERvorgetragene Alternative geht vondergleichen Voraussetzung aus: Danach waren die „Kodifikationen“eher frühzeitige und durchaus planvolle Reaktionen der Aristokratien auf die zunehmende Destabilisierung desStatus quomitseinen traditionellen gesellschaftlichen, ökonomischen undpolitisch-institutionellen Hierarchien –die„großen Gesetzgebungen“sollten also die bestehenden Verhältnisse einerseits durch deren Fixierung und andererseits durch ihre disziplinierende undintegrierende Wirkung auf dieherrschenden Gruppen selbst festigen undgegen denunkontrollierten Wandel zuderen Ungunsten sichern4 7. In jedem Falle wird dabei zunächst ein allgemeiner, durchaus zielgerichteter undgeradezu rigoroser Wille zur Regelung, planmäßigen Ordnung undbewußten Gestaltung praktisch aller wichtigen Seiten des „ profanen“ , ganz „gewöhnlichen gesellschaftlichen Lebens“mitdemInstrument der schriftlich fixierten Satzung vorausgesetzt bzw. sogar
explizit postuliert48. Darüber hinaus seien die Grundordnungen der sich gerade konsolidierenden Poleis alssolche ihrerseits regelmäßig zumGegenstand derfrühesten Gesetzgebung geworden, derinstitutionelle Rahmen deswerdenden Stadtstaates undseine konstitutiven Elemente
44 45 46
Hinsicht auch ADCOCK 1927, 95ff.; MÜHL 1933; VALLET 1958, 317 u.ö.; WILLETTS 1973, 25; GAGARIN 1986, 77ff.; 97; 136ff. So RUNCIMAN 1982, 372. Vgl. auch MEIER 1982, 141ff.; 1987, 107ff. Hes.Op. 37ff.; 220f.; 248ff.; 258ff. Vgl. nurGILBERT 1885, 279; BUSOLT 1893, 628; 1920, 371f.; BONNER/SMITH 1930, 67; BERVE
1951, 150f.; 1967, 10f.; PRINGSHEIM 1957, 304f.; BURN 1960, 81; VERNANT 1962/1982, 48; 21; 24; JUST 1969, 200ff.; FINLEY 1970/1981, 100; 1983, 30; 107; MEIER 1978, 226; 241 u.ö.; GSCHNITZER 1981, 75; MURRAY 1980/1982, 228; WELWEI 1983/1998, 69f.; ANDREWES 1982, 370; GEHRKE 1986, 43; SAUNDERS 1991, 93. 47 Siehe jetzt vor allem EDER 1986, bes. 263f.; 278ff.; 299f. und dazu HÖLKESKAMP 1989a, 311f. Vgl. bereits SCHAEFER 1955/1963, 286f.; 1957/1963, 312ff.; HORVAT 1957, 289f.; HAMMOND 1959/1967, 144; ROEBUCK 1980, 1923f.; 1930; MURRAY 1980/1982, 229; WELWEI 1983/1998, 70ff.; 72ff., dagegen LINK 1994a, 170ff. 48 Siehe etwa WILLETTS 1973, 26; GRAHAM 1982, 191. Vgl. auch BUSOLT 1920, 380f.; WEISS 1923, 80f.; MEYER 1937, 521f.; 527; WIEACKER 1961, 25; 47f.; 1971, 756f.; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, S. 2ff. EHRENBERG 1967,
2. Fragen –Ansätze –Perspektiven
21
seien also aktiven Eingriffen undsogar radikalen Reformen durch derartige Satzungen unterworfen worden: Ja, diegesamten politischen Infrastrukturen dertypischen Polis und ihre „rational durchdachte“ , schon am Ende des 6. Jahrhunderts „die Aristokratie transzendierende“ , „geordnete undhochentwickelte Verfassung“ , dieMagistraturen, Räte und Versammlungen seien letztlich der„ freien“ , praktisch voraussetzungslosen undoriginellen„Erfindung“derSchiedsrichter undgroßen Gesetzgeber zuzuschreiben4 9.
2. NeueFragen, Ansätze undPerspektiven Diese überragende Bedeutung
als Dreh- undAngelpunkt derFrühgeschichte derPo-
lis, diedengroßen Gesetzgebern undihrem Werk in fast allen allgemeinen wie speziellen Arbeiten zuGesellschaft, Wirtschaft, „ Politik“ undMentalität imGriechenland des 7: und 6. Jahrhunderts zumeist implizit oder explizit zugeschrieben wird, resultiert allerdings keineswegs aus einer wirklich eingehenden undsystematischen Untersuchung derSache selbst. Die gesamte moderne Forschung bietet entweder nur summarische Abrisse und/oder allgemeine bzw. verallgemeinerte Schlußfolgerungen, die auf den dürren katalogartigen Zusammenstellungen der literarisch überlieferten Zeugnisse in den Handbüchern –vor allem zur Rechts- undVerfassungsgeschichte1 –beruhen. Allenfalls beruft mansich noch aufeinige wenige, alsbesonders wichtig undgewissermaßen repräsentativ geltende frühe Rechtsinschriften: Immer wieder zitiert (allerdings oft nurzu Illustrationszwecken) werden dieberühmten „ Verfassungsgesetze“vonDreros undChios, zuweilen auchdasSiedlungsgesetz unddasStatut überdieKolonie ausdemozolischen Lokris2. – Gerade zu diesen Zeugnissen gibt es andererseits natürlich zahllose Einzelstudien3 wie etwa auch zudemfragmentarisch erhaltenen Gesetz über Mord aus demsizilischen Leontinoi4, zuden(kurz nach derMitte des6. Jahrhunderts zudatierenden) Statuten aus Eretria5, zudenfrühesten Rechtsinschriften aus Gortyn undmehreren anderen Poleis auf 49
FINLEY 1970/1981, 100f.; GEHRKE 1986, 44f. Vgl. bereits BUSOLT 1893, 628; WHIBLEY 1896, 59f. (im Anschluß an MAINE); ELMORE 1922, 131f.; BURY 1951, 145f.; WIEACKER 1961, 25; 47f.; LLOYD 1966, 223; JEFFERY 1976, 231f.; MURRAY 1980/1982, 127; 1991, 5; 10f.; MEIER 1978, 226; 237 u.ö.; 1980, 71; 75f.; 1982, 141; 1987, 196; 108 u.ö., sowie (eher zurückhaltend) HEUSS 1981, 13. Siehe dagegen allerdings EHRENBERG 1930/1965, 538; GAGARIN 1986, 70; 71f.; 77. BUSOLT 1893, 426; 1920, 377, hält es zumindest für fraglich, ob die Gesetzgebung des Zaleukos die „Organe derVerfassung selbst“betroffen habe, wenn sie in das„Staatsrecht“regelnd „eingegrifhätte. fen“
1
Immer wieder zitiert werden BUSOLT 1920, 371ff.; SMITH 1922, passim; BONNER/SMITH 1930, 67ff., sowie MEYER 1937, 541ff. JEFFERY 1976, 42; 231f. bzw. 86; 189f.; RUNCIMAN 1982, 359; 369f.; 372; GEHRKE 1986, 45. Vgl. zu den Inschriften von Dreros und Chios KOERNER 1987b. Vgl. zu Dreros speziell EHRENBERG 1943/1965; GAGARIN 1986, 81ff. (und dagegen HÖLKESKAMP 1990, 124). Vgl. zur Inschrift von Chios EHRENBERG 1937/1965; JEFFERY 1956; OLIVER 1959; JUST 1969; 195ff. und passim; AMPOLO 1983; GAGARIN 1986, 89ff. Vgl. zu derlokrischen Inschrift zuletzt MAFFI 1982. S. auchdieentsprechenden Abschnitte inKapitel III 2. Vgl. zuletzt CORDANO 1986. VANDERPOOL/WALLACE 1964; JEFFERY 1961/1990, 61; 84f. Siehe neuerdings CAIRNS 1984; GAGARIN 1986, 91ff.
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3
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I. Gesetzgeber –Schiedsrichter –„Rechtskodifikation“
Kreta6 , wie neuerdings auch ausPhaistos7, undzu den auch erst 1962 entdeckten und nochnicht lange publizierten frühen Satzungen ausTiryns8. Auch spezifische Rechtsma– terien –wie etwa das frühe Strafrecht undStrafverfahren undvor allem das Blutrecht9 undeinzelne, alsbesonders wichtig geltende (oder nurzufällig relativ gutbezeugte) „ Ge0, setzgebungen“wie die sogenannte Große Rhetra1 die Gesetze Drakons11 undSolons12 undnatürlich das schon mehrfach erwähnte „Recht“von Gortyn13 sind immer wieder unter denverschiedensten rechts-, verfassungs- undsozialhistorischen Gesichtspunkten untersucht undausgewertet worden. In diesen Einzelstudien wird allerdings entweder (wenn überhaupt) nursehr zurückhaltend aufgrößere Zusammenhänge eingegangen, oder manwiederholt lediglich dieorthodoxe Ansicht vondergrundsätzlichen allgemeinen und zukunftweisenden Bedeutung solcher wichtiger Satzungen –die dann oft eben doch als Teil einer umfassend-systematischen „Kodifikation“zuverstehen seien1 4. Gerade injüngster Zeit sinddemThema dergroßen Gesetzgeber undderihnen in der Tradition zugeschriebenen Gesetze auch wieder zahlreiche quellenkritische undüberlieferungsgeschichtliche Arbeiten gewidmet worden. Dabei geht es nicht immer nur(und zuweilen nicht einmal in erster Linie) umdie Herausarbeitung des jeweils authentischen Kerns indenvorliegenden, zumeist erheblich späteren undaufvielfältige Weise kontaminierten Quellen15 oderumsehrspezielle Einzelprobleme wieetwadieIdentität dessyrakusanischen Gesetzgebers Diokles16. Besonderes Interesse gilt neuerdings vor allem der 7, Tradition an sich, demvielschichtigen Bild der großen Gesetzgeber Lykurg1 Drakon 6
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Vgl. etwa WILLETTS 1955, 105ff.; JEFFERY 1961/1990, 310; 315, und jetzt wiederum GAGARIN 1986, 93ff.; WHITLEY 1997, 649ff. Vgl. Kapitel III 2 zuDREROS, ELTYNIA, GORTYN etc. DIVITA/CANTARELLA 1982. Vgl. deneinschlägigen Abs. in Kapitel III 2. JAMESON/PAPACHRISTODOULOU 1973; KOERNER 1985. Vgl. Kapitel III 2, Abs. TIRYNS. Vgl. nur CALHOUN 1927; LATTE 1931/1968, sowie auch 1920; RUSCHENBUSCH 1960; 1968; HARRISON 1971; MACDOWELL 1978. Siehe neuerdings GAGARIN 1979, 302ff.; NÖRR 1983, sowie
zueinem anderen Rechtsfeld COHEN 1983mitweiterer Literatur.
10 Siehe bereits
44/1958; HAMMOND 1950; HUXLEY 1962, 44ff. mit den WADE-GERY 1943– Anm. 120ff.; OLIVA 1966, 123ff.; vgl. neuerdings BRINGMANN 1975/1986; 1980/1986; LÉVY 1977; WELWEI 1979/1986; CARTLEDGE 1980, 99ff.; WALTER 1993, 157ff.; NAFISSI 1991, 71ff.; THOMMEN 1996; M. MEIER 1998, 186ff. S. auch Kapitel III 1; IV 2. 11 Siehe nurWELWEI 1992, 138ff.; CARAWAN 1998, 33ff., mitweiterer Literatur. Vgl. Kapitel IV 1. 12 Grundlegend bleibt RUSCHENBUSCH 1966; WELWEI 1992, 161ff. Vgl. Kapitel III 1; IV 1. 93; 13 Siehe vor allem WILLETTS 1967; GAGARIN 1982; DAVIES 1997. Vgl. bereits HEADLAM 1892– WILLETTS 1955; vgl. auch Kapitel III 2, Abs. GORTYN. in the establishment of legal sy14 Vgl. etwa JEFFERY 1961/1990, 310, wo die Kreter als Pioniere „ stems“undvieler früher „Codes“bezeichnet werden (vgl. ebda., 53ff.; 61; 315f.). Siehe ferner STROUD 1968, 81f. (vgl. 75ff.) zuDrakons „ . Vgl. zumsog. „Verfassungsgesetz“von general code“ Chios als (Teil) einer „east Greek constitution“ : JEFFERY 1976, 231f.; vgl. 43; 285; DIES. im Zusam1961/1990, 61; 336f.). Nach STARR 1965/1986, 285 ist auch die „Große Rhetra“nur „ menhang
mit denanderen
Zeugnissen einer politischen Kodifizierung“zusehen;
vgl.
BRINGMANN
Abstrakβ ε ιςals Bezeichnung einer „ ρ ύ 1980/1986, 461. Siehe noch OLIVER 1935, 9f. zumBegriff κ tion“ , nämlich „theancient Lawof theLand“ ; vgl. JEFFERY 1961/1990, 53f. 15 Vgl. etwa MÜHL 1929, 105ff.; 432ff. (zu Zaleukos undCharondas); CHRIMES 1949/1951, 319ff., vgl. 305ff.; HUXLEY 1962, 41ff. mit denAnm. 119f.; OLIVA 1967, 273ff. undneuerdings HOOKER 1988, 340ff. (zu Lykurg). Vgl. dazu generell Kapitel II 3. 16 Vgl. PAIS 1899; DESANCTIS 1903/1970; ADCOCK 1927, 99f. undneuerdings MANNI 1979. 17 Siehe insbesondere PICCIRILLI 1978; 1980, XIff.; 1981, passim; ferner ROUSSEL 1960, 39ff.; TIGERSTEDT 1965, 70ff.; 162ff.; 191f.; 210ff.; SZEGEDY-MASZAK 1978; OLIVA 1984, 534ff. Vgl. zumLykurg-Bild bei Aristoteles WEIL 1960, 242ff.; TIGERSTEDT 1965, 282ff. Siehe Kapitel II 3.
2. Fragen –Ansätze –Perspektiven
23
undSolon18, Zaleukos undCharondas19 in dieser Tradition unddenimLaufe einer langen, gerade ideengeschichtlich besonders interessanten Entwicklung mitdiesen undanderenNamen verbundenen Legenden, Motiven undTopoi: Es geht jetzt also auch umdie historische bzw. historiographisch-literarische Be- undVerarbeitung dieser Figuren, die
politischen und moralischen Sicht- und Denkweisen und die philosophischsystematischen Vorstellungen, die sich in derEntfaltung dergroßen Gesetzgeber zuzentralen Figuren in der Frühgeschichte der Polis zu Stiftern ihrer Ordnung undGaranten ihrer Stabilität widerspiegeln20. Diese Dimension derÜberlieferung bzw. Überlieferungskritik ist derAnsatzpunkt dertraditionsgeschichtlichen undquellenkritischen Überlegungenimfolgenden Kapitel.
Darüber hinaus dokumentieren gerade diese neueren Arbeiten nicht nur, was über die wichtigsten frühen Gesetzgeber und„ Kodifikationen“eigentlich insgesamt bekannt ist – sie demonstrieren auch, ob manihre durchaus unterschiedlichen methodischen Ansätze undkonkreten Ergebnisse nunakzeptiert oder nicht, wiewenig von diesem Material im einzelnen undbeiunbefangener Betrachtung alseinigermaßen zuverlässig oder garunumstritten authentisch gelten kann. Einerseits liegen einige wenige, dürre Informationen zu Persönlichkeiten wie Solon, Pittakos undDemonax vor–vonZaleukos undCharondas hingegen haben wirüberhaupt keine unstreitig historischen Daten; vonanderen Gesetzgebern kennen wir nicht mehr als denNamen21. Andererseits liegt uns ein keineswegs geringer, allerdings (jedenfalls aufdenersten Blick) sehr diffuser Bestand vonteils in der literarischen Tradition, teils inschriftlich erhaltenen Gesetzen undsonstigen gesetzesähnlichen Maßnahmen wie etwa Kultsatzungen, Verträgen undsonstigen Volksbeschlüssen vor, die aus verschiedenen Zeiten von der Mitte des 7. bis zum Anfang des 5. Jahrhunderts undausverschiedenen Poleis vonKleinasien über Kreta bis Unteritalien stammen. In solchen „ Satzungen“imweitesten Sinne wurde eine breite Skala von ganz unterschiedlichen, zumeist sehr konkreten sozialen undökonomischen, rechtlichen, religiösen und„ politischen“Gegenständen aufdieeine oder andere Weise thematisiert und verbindlich geregelt22. Es besteht also eigentlich eine auffällige Dissonanz zwischen dem, was wir konkret undsicher über die Entstehung vonGesetzgebung unddie frühen Gesetze wissen, und dem,waswirgenerell über diepanhellenische Welle der„Kodifikationen“in archaischer Zeit zuwissen bzw.annehmen zudürfen glauben –nämlich überdie erwähnten Ursachen undAnlässe großer „Gesetzgebungen“ , ihren umfassenden undtendenziell systematisierenden Charakter, ihre bewußte undplanvolle Zielorientiertheit, ihre allgemeine, in die
18 Vgl. generell
RUSCHENBUSCH 1958, 399ff.; 421ff. undpassim. Siehe zu Solon: ADCOCK 1927, 107f.; VONDER MÜHL 1942; PICCIRILLI 1977, IXff.; MOSSE 1979. Vgl. zum Bild Drakons und Solons bei Aristoteles NEWMAN 1887, 372ff.; WEIL 1960, 106ff.; 125ff. u.ö.; PICCIRILLI 1976. 19 Vgl. dazu ADCOCK 1927, 97ff.; VANCOMPERNOLLE 1981; 1982, sowie 1976, 381ff.; CAMASSA 1988, 133ff. undgenerell SZEGEDY-MASZAK 1978. Siehe zu Zaleukos bei Aristoteles NEWMAN 1887, 377f. 20 Grundlegend dazujetzt SZEGEDY-MASZAK 1978; PICCIRILLI 1984. Vgl. zuAristoteles: WEIL 1960, 1983, 81ff. undpassim, unddieanderen genannten Arbeiten. 412ff.; ROMER 1982; DAVID 1982–
21 Vgl. imeinzelnen Kapitel II 1 und3. 22 Siehe Kapitel III 1 und 2. Die
neuen grundlegenden Sammlungen (KOERNER und VAN EFFENTERRE/RUZÉ I– II) enthalten fast ausschließlich epigraphische Zeugnisse. Vgl. zur Aussagefähigkeit dieses Materials generell RHODES 1995.
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I. Gesetzgeber –Schiedsrichter –„Rechtskodifikation“
undihre reformatorische undinnovatorische Tragweite und schließlich die langfristigen Folgewirkungen dieses Rationalisierungs- undModernisierungsschubs für die Etablierung derklassischen „ Stadtstaatlichkeit“ . Zukunft weisende Tendenz
Diese Dissonanz, oder zumindest eingewisses Unbehagen daran, hatsich gerade in jüngster Zeit darin niedergeschlagen, daßwenigstens einzelne, zumTeil durchaus zentrale Aspekte undFacetten dieses hergebrachten Bildes in unterschiedlichen Zusammenhängen undausverschiedenen Blickwinkeln in Zweifel gezogen worden sind. So ist etwa längst darauf hingewiesen worden, daßselbst in derliterarischen Überlieferung imGrunde genommen nurviele einzelne Gesetze wirklich bezeugt sind, jedoch eigentlich keine breite „ Publikation“des „ Rechts“bzw. derGesetze als umfassende, viele Regeln beinhaltende Einheit –dafür habe es ja noch nicht einmal einen eindeutigen abstrakten Begriff gegeben23. Nicht nurseien etwa „ schriftlich niedergelegte Verfassungsgesetze“von Anfang an kaum bekannt gewesen, überhaupt habe es der (sonst so hoch entwickelten) „legalistischen Kultur“dergriechischen Stadtstaaten auch später noch an „ Klarheit, Systematik, juristischer Bestimmtheit undNüchternheit“gefehlt –man„ behalf sich“eben mitzahllosen „Einzelbestimmungen“ , unddasgriechische Recht blieb daher eigentlich immer und unordentlich undunbestimmt“undkamüber ein „ überall „ unsystematisches Durcheinandervonwichtigen undunwichtigen Bestimmungen“nie hinaus24. So waren etwa gerade diefrühesten undalsbesonders bedeutend geltenden Rechtsinschriften ausKreta, wiedie doch sehr spezifischen „constitutional provisions“ausDreros, offenbar nicht Teile einer breiter angelegten, allgemeinen „ Kodifikation“ , sondern eindeutig Einzelgesetze –undob das imgesamtgriechischen Vergleich eine Ausnahme bzw. einen Sonderfall darstellt, ist keineswegs ausgemacht25. Grundsätzlich ist ja auch durchaus fraglich, ob für „ Unternehmungen großen Kali, für bers“ wieeine umfassende Gesetzeskodifikation odergareinen „Verfassungsneubau“ dieesweder unmittelbare Vorbilder nocheinfach nachzuahmende Modelle gab, bereits im 7. Jahrhundert die intellektuellen und institutionellen Voraussetzungen bestanden: Mit großer Eindringlichkeit istimmer wieder darauf hingewiesen worden, daßmandoch keiAbstand von dergegebenen neswegs einfach damit rechnen darf, daßsich bereits jener „ große zuRealität“entwickelt hatte oder überhaupt schon entwickeln konnte, ohne den „ sammenhängende Systeme“zu entwerfen undpraktisch umzusetzen gar nicht möglich oder auch nurdenkbar war26 –unddasgilt eben auch undgerade für die Erstellung allgemeiner „ lawcodes“unddieInitiierung umfassender innovatorischer Gesetzgebungen. Damit erscheint übrigens auch fraglich (oder jedenfalls auf neue, grundsätzlichere Weise beweisbedürftig), obdennim7. Jahrhundert überhaupt schon dieimmerhin relativ desRechts“alssolchem erhoben werden konnte abstrakte Forderung nachderFixierung „ –ausdrücklich undzuverlässig überliefert isteine solche explizit undunmittelbar auf eine 7. „ Kodifikation“zielende Forderung jedenfalls nicht2 Daraus ergibt sich notwendig eine weitere Konsequenz: Es ist keineswegs selbstverständlich, sondern im Gegenteil höchst
23 24 25 26
JONES 1956, 102 Anm.4, vgl. 33f.; ROBERTSON 1989, 264. Vgl. auch Kapitel II 1. EHRENBERG 1930/1965, 538; WILLETTS 1977, 165. Vgl. ANDREWES 1982, 370; ROBERTSON 1989, 264 (gegen GAGARIN 1986, 97; 127; 138). MEIER 1980, 71; HEUSS 1981, 13. Vgl. ferner MEIER 1970, 14.
27 So EDER 1986, 276.
2. Fragen –Ansätze –Perspektiven
25
fraglich, ob „ Rechtsfeststellung“undGesetzgebung welcher Art auch immer von vornherein, gewissermaßen in einem intellektuellen Vorgriff aufdieZukunft, als Konstituierungunddauerhafte Sicherung eines „gleichen Rechts“undallgemeiner Gerechtigkeit, ja als Voraussetzung für eine schon „bürgerliche“Gleichheit „ vor demGesetz“ , für politische Partizipation undsogar für eine „Demokratisierung“begriffen werden konnten – oderauchals abstrakte umfassende Garantie derErhaltung bestehender Verhältnisse, sozialer Hierarchien undökonomischer Überlegenheit. Vielleicht wurde mansich der Ungleichheit, Unausgeglichenheit undUngerechtigkeit des „ Rechts“ , respektive des Verfestigungseffekts unddesStabilisierungspotentials der Fixierung von Regeln undNormen, erst durch die „Kodifikationen“selbst wirklich bewußt29. Wie demauch sei: Viele der überlieferten (und als authentisch anzunehmenden) Einzelgesetze können jedenfalls nicht so ohne weiteres als direkte Reaktionen –weder in dereinen noch in deranderen Richtung–aufdieUnzufriedenheit undUnruhe breiterer Schichten interpretiert werden. Diese alten undneuen offenen Fragen undProbleme legen ihrerseits ebenfalls (wie schon derzuvor skizzierte Stand derEinzelforschung) eine bestimmte Weise des methodischen Vorgehens für die folgenden Darlegungen nahe: Eine Untersuchung, die den Gegenstand sowohl imDetail, alsauchindenallgemeinen gesellschaftlichen, institutionellen undintellektuellen Zusammenhängen neuerschließen undbegreifen will, mußaus pragmatischen undgrundsätzlichen methodischen Gründen vonderfundamentalen Ebene der 0. überlieferten einzelnen Gesetze und„ Gesetzgebungen“ausgehen3 Es kommt zunächst darauf an,denBestand an Daten undInformationen über Gesetzgeber undGesetze möglichst vollständig zudokumentieren, quellenkritisch aufzuarbeiten undumfassend auszuwerten –undzwar zuerst einmal unabhängig von generellen Voraussetzungen undAnKodifinahmen, allgemeinen bzw.verallgemeinernden Einordnungen undUrteilen über „ kationen“unddie Gesetzgebung an sich31. Dazu gehört vor allem, daßdie einzelnen als authentisch anzunehmenden Gesetze zunächst in ihrem jeweiligen konkreten Kontext (soweit rekonstruierbar) gesehen werden müssen, dasheißt, daßdie besonderen Umstände undAnlässe ihres Zustandekommens namhaft zu machen und damit ihre mögliche Situationsgebundenheit undPrägung durch eine jeweils spezifische Situation zuthematisieren sind. Erst dannkönnen unddürfen die einzelnen Gesetzgeber, konkreten Gesetze undGesetzgebung generell in einen allgemeinen historischen Kontext gestellt werden, der die unterschiedlichen zeitlichen undspezifischen örtlichen Umstände einerseits umfaßt und andererseits überlagert undtranszendiert. Dieser Kontext besteht in einem komplexen Geflecht von Voraussetzungen, Bedingungen undImpulsen, langfristigen Strukturen und
28 Vgl. THOMAS 1977, 455f.; 1981, 58f.;
imAnschluß anFINLEY 1983, 30.
GAGARIN
29 Vgl. THOMAS 1977, 455; 458; 1981, 58f. 30 Das gilt allgemein seit längerer Zeit als
31
1986, 123f.; R. THOMAS 1992, 67ff.; 1995, 60
Desiderat. Vgl. VANEFFENTERRE 1985, 313, sowie UNGERN-STERNBERG 1978, 179 mit Anm.2. Die Arbeiten von TRIANTAPHYLLOPOULOS (1968) undneuerdings GAGARIN (1986) erfüllen diese Erwartungen nicht: Vgl. RUSCHENBUSCH 1970 bzw. 1989; THOMAS 1981; ROBERTSON 1989; WALLACE/WESTBROOK 1989; CANTARELLA 1987, 158ff.; HÖLKESKAMP 1990 undCOHEN 1989, 90ff.; 1990, 287ff. Dagegen postuliert OSBORNE 1997, 78f. undpassim, vonvornherein „ a common structure embodied infurther legislation“für„specific laws“generell –dieExistenz dieser umfassenden „Struktur“wäre aber ihrerseits erst einmal zubeweisen.
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I. Gesetzgeber –Schiedsrichter –„Rechtskodifikation“
konkreten Umständen und kontingenten Anlässen, die erst durch ihre Akkumulation und ihr vielschichtiges Aufeinanderbezogensein jene Verdichtung staatlicher bzw. spezifisch stadtstaatlicher“Strukturen initiierten unddynamisch vorantrieben32, die als Prozeß der „ Entstehung undFormierung der„ klassischen Polis“ gilt undseit Jahren (wieder) imZentrum des Interesses der neueren Forschung steht: Bevölkerungsanstieg, ökonomische Differenzierung undsoziale Stratifizierung unddiekomplexe Krise derarchaischen Zeit – Ressourcenverknappung, Intensivierung der Spannungen zwischen Adel und demos, Verschärfung der Rivalitäten innerhalb der traditionell ohnehin hochgradig kompetitiven Aristokratien 33;Verdichtung urbaner Strukturen und territoriale Konsolidierung relativ kleiner autonomer Einheiten; Entstehung von Kulten und religiösen Zentren, also Tem4;Ausbildung und Ausd peln, und von öffentlichen Räume (agorai)3 ifferenzierung der typischen institutionellen Infrastruktur vonHerrschaftsrollen (Magistraturen), Räten und Primärversammlungen; Intensivierung der Kontakte und der wechselseitigen Beeinflussung imBereich dieser entstehenden „stadtstaatlichen Zivilisation“–Austausch undHandel, kriegerische Expansion, Kolonisation und der Aufstieg panhellenischer religiöser Zentren; dieDynamisierung dieser „ peer polity interaction“zwischen deneinzelnen auto5; nomen Einheiten dersich (dabei) integrierenden undweiter konsolidierenden Poleis3 die intellektuelle Verarbeitung undWiderspiegelung dieser Entwicklungen undderen Rolle im Gesamtprozeß selbst36. Die Grundlage derEinordnung des konkreten Gegenstandes in diese komplexen institutionen-, gesellschafts- und gewissermaßen zivilisationsgeschichtlichen Zusammenhänge bilden dabei natürlich jene neueren Arbeiten, die gerade die Vernetzung undKomplexität dieses Geflechts vonFaktoren undImpulsen bereits aufdieeine oder andere Weiseexplizit thematisiert haben37– auchwennsie, wieoben angedeutet, zuweilen diegene-
32 Vgl. zumKonzept
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35
36 37
„ Stadtstaat“BURKE 1986 undzuletzt CHARLTON/NICHOLS 1997 mit weiteren Nachweisen, ferner GRIFFETH/THOMAS 1981a, xiiiff.; 1981b, passim; DUTHOY 1986; LEVY 1990; FERGUSON 1991; SCHULLER 1993; HANSEN 1998; WALTER 1998. Vgl. zu den Faktoren und Impulsen derEntstehung von„ Stadtstaatlichkeit“undzurBildung „primärer“Staaten im frühen undarchaischen Griechenland etwa MEIER 1978, 224ff.; THOMAS 1981; RUNCIMAN 1982; RENFREW 1982, 279ff.; CHERRY 1984, vgl. 1978; STAHL 1987, 140ff.; WHITLEY 1991, 39ff.; HÖLKESKAMP 1992; 1992/1995; 1994; FUNKE 1993, 43ff.; MORRIS 1997; SMALL 1997, jeweils mit weiteren Nachweisen. Siehe außerdem allgemein zurEntstehung von „ Staatlichkeit“die einzelnen Beiträge in CLAESSEN/SKALNIK 1978; COHEN/SERVICE 1978, sowie HAAS 1982, 19ff.; LEUTHÄUSSER 1998, 63ff.; NICHOLS/CHARLTON 1997, die dieverschiedenen Ansätze unddengegenwärtigen Stand der Forschung widerspiegeln. Vgl. auch Kapitel IV 2. Vgl. dazu STEIN-HÖLKESKAMP 1989 und neuerdings OSBORNE 1996, 187ff. Vgl. STARR 1977, 46ff.; 119ff. undKapitel IV 4. Vgl. nur SNODGRASS 1991; 1993; MORRIS 1991, sowie – mit anderen Akzenten – VALLET 1983/1996, 463ff.; HÖLKESKAMP 1994, 142ff.; AMPOLO 1996; HÖLSCHER 1991, 355ff.; 1998. Vgl. auch Kapitel IV 2 und3. Vgl. zudenKonzepten generell RENFREW 1982; 1986. S. zur Sache BOARDMAN 1980/1981, 37ff. und passim; SNODGRASS 1986; 1993, 32ff.; STEIN-HÖLKESKAMP 1989; HÖLKESKAMP 1990a, 75ff.; 1992/1995, 67f.; SHERRATT/SHERRATT 1993, 361ff. Vgl. außerdem jetzt GIANGIULIO 1996, 518ff.; BRAVO 1996, 552ff.; MORRIS 1997, 94ff.; SMALL 1997, 107ff. Vgl. dazu allgemein MEIER 1978; HÖLKESKAMP 1992, 106f.; 1992/1995, 79ff. und demnächst ausführlicher HÖLKESKAMP (in Vorb.). Siehe insbesondere SNODGRASS 1977; 1980; 1986; SPAHN 1977, 59ff.; CARTLEDGE 1980; RUNCIMAN 1982; WELWEI 1983/1998, 35ff.; COLDSTREAM 1984; STARR 1986; STEIN-
2. Fragen –Ansätze –Perspektiven
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relle panhellenische Bedeutung vonSatzung und„ Kodifikationen“und(wenigstens implizit) dabei einen bestimmten, innovatorisch-zukunftweisenden Typ von „ Gesetzgebungen“ bereits voraussetzen. Erst injüngster Zeit sindschließlich einige Studien erschienen, die die schriftliche Fixierung des Rechts im archaischen Griechenland, ihre Voraussetzungen, Bedingungen undFolgen eigens thematisieren undals gewissermaßen voraussetzungslos zuuntersuchendes Problem begreifen38. Indenfolgenden Untersuchungen geht es also darum, die kausale und/oder funktionale Rolle genau unddifferenziert zubestimmen, diedieFixierung, Verschriftlichung und Publizierung bestimmter Normen undRegeln, also das Gesetz als neue (staatliche) Satzung in diesen weiteren Zusammenhängen –aber auch imVerhältnis zumalten (vorstaatlichen, nicht formalisierten, „oralen“ ) Recht –gespielt haben. Es geht umden spezifischen Stellenwert dieses Teilprozesses imallgemeinen Prozeß dergesellschaftlichen Differenzierung und„ Verstaatlichung“ , derreligiösen, genuin politischen undinstitutionellen Integrierung einer besonderen ArtvonGemeinwesen, für die„ Recht“ , Gerechtigkeit und Rechtlichkeit, Sitte undGesetz schon früh eine unstreitig zentrale undvielschichtige Bedeutung hatten bis hinzuihrer Konsolidierung als Bürgerschaften, die sich als imWortsinne „ autonom“ begriffen.
HÖLKESKAMP 1989, 57ff.; 94ff. u.ö.; vgl. ferner MEIER 1980; 1982 und 1987; DETIENNE 1988a;
1988b.
38 Vgl. etwa GEHRKE 1993; 1995; 1997, 44ff.; 1998, 40ff.; R. 3f.; 10, sowie HÖLKESKAMP 1992; 1992/1995 und1994.
THOMAS 1995; GSCHNITZER
1997,
II. NOMOTHETEN, AISYMNETEN UNDNOMOTHESIE IN DER ANTIKEN TRADITION: ÜBERLIEFERUNGSGESCHICHTE ALS QUELLENKRITIK
1. Das antike Interesse amGegenstand alsProblem Bei einer detaillierten Untersuchung derGesetzgebung im7. und6. Jahrhundert allgemein undderRolle derfrühen „ Gesetzgeber“und„ Schiedsrichter“imbesonderen ist manmiteiner (selbst fürantike Verhältnisse) besonders schwierigen undkomplizierten Überlieferungssituation konfrontiert. Das liegt nicht allein undnicht einmal in erster Linie daran, daßüber diese Gesetzgeber unddieihnen zugeschriebenen Gesetze –von denprominenten Sonderfällen Lykurg, Solon, Zaleukos undCharondas einmal abgesehen–fast nurvereinzelte Daten undisolierte Angaben vorliegen1. Voneiner ganzen Reihe dieser „ Nomotheten“ist überhaupt nichts außer denbloßen Aisymneten“und„ Aisymneten“ChaiNamen überliefert: Wirwissen weder etwas über dieangeblichen „ gewählten Tyrannen“Tynremon inApollonia undPhobias inSamos2, nochüberden„ nondas in Euboia3. Dievier in Tegea kultisch verehrten „ Gesetzgeber“Antiphanes, Krisos, Tyronidas undPyrrhias sind ebenso schattenhafte Gestalten4 wiejene angeblichen Nomotheten“Helianax ausdemsizilischen Himera undTimares bzw. Timaratos, Phy„ tios, Helikaon, Aristokrates undTheokles bzw. Theaitetos, die nach der pythagoreischen Tradition neben demgroßen Gesetzgeber Zaleukos im unteritalischen Lokroi Epizephyrioi undin Rhegion Gesetze gegeben haben sollen5. Aber selbst für die relativ reiche Tradition über die bekannten undimmer wieder gewissermaßen exemplarisch zitierten „ Nomotheten“der Frühzeit gilt, daßpraktisch sämtliche Nachrichten undEinzelinformationen in sehr unterschiedlichen Zusammen1
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Eine wirklich erschöpfende Gesamtanalyse gibt es, wie gesagt, nicht. GAGARIN 1986, 58ff., ist keineswegs vollständig, sondern höchst selektiv –zudem sind seine quellenkritischen Kriterien zumindest unklar, wenn nicht zweifelhaft: vgl. WALLACE/WESTBROOK 1989; ROBERTSON 1989; HÖLKESKAMP 1990. Siehe ferner etwa BONNER/SMITH 1930, 69ff.; ADCOCK 1927; MEYER 1937, 522ff. Anm.2; SZEGEDY-MASZAK 1978; VANCOMPERNOLLE 1981; 1982, die aber durchwegnicht alle Gesetzgeber eingehend behandeln. Theodoros Metochites Misc. S. 668 MÜLLER/KIESSLING, derdiese beiden Namen neben Pittakos aus Mytilene undinteressanterweise Periander aus Korinth nennt. Die Überlegungen von BERVE Aisymnetie“des Phobias undihrer historischen Veror1967, 107; 582 undSHIPLEY 1987, 49, zur „ tung sindreine Spekulationen. Plut.Solon 14,4, wodieser Tynnondas wiederum mit Pittakos undsogar mit Solon verglichen wird. Es ist auch in diesem Falle müßig, über dieFrage zuspekulieren, ober nuneinschlichter „Tyrann“ war (JEFFERY 1976, 68, dagegen BERVE 1967, 538) oder ein „echter Aisymnet“(TOEPFFER 1894, 1089; BUSOLT 1920, 374f. Anm.5; DELIBERO 1996, 233f.). Undvollends fraglich dürfte wohl sein, ob die obskure Notiz des Historikers Polyzelos von Rhodos (frg.4, FHG IV, S.482f. = FGrHist ηbei Hes.Op. 9f. als Vokativ des Namens jenes „Archons“ver521 F 9 = Schol.Hes.Op. 9), der Τ ν ύ stand, derdenProzeß zwischen Hesiod undseinem Bruder leitete, letztlich auch auf diesen Tynnondas zu beziehen sei (C. MÜLLER, FHG IV, S.482f.; vgl. BERVE 1967, 538; WEST 1978, 141f. ad loc.). Paus. 8,48,1. Für die Behauptung vonGILBERT 1885, 128, es habe sich bei denvier Gesetzgebern umdie Stifter der„demokratischen Verfassung“vonTegea nach 370 v. Chr. gehandelt, gibt es nicht dengeringsten Beleg. η τ σ ίχ ρ Suda s.v. Σ ο ο ς ; Iambl.vita Pyth. 27,130; 30,172. Vgl. zurÜberlieferung über Pythagoras und die Pythagoreer generell VON FRITZ 1940, 3ff. und passim. Diese Tradition wird von RUSCHENBUSCH 1983 einfach ignoriert.
1. Dasantike Interesse amGegenstand
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hängen überliefert sind underst einmal ausdieser zumTeil fragmentarischen undimmersehr späten literarischen, insbesondere historiographischen Überlieferung mühsam eruiert werden müssen –eine Überlieferung, indersich ungewöhnlich viele verschiedene Traditionsstränge undSchichten imLaufe eines langen Formierungs- undTransformierungsprozesses abgesetzt undüberlagert haben. Dasbesondere quellenkritische Problembesteht paradoxerweise gerade injenem spezifischen undsehr intensiven Interesse derTradition andiesem Gegenstand, dassich in dieser Vielschichtigkeit niedergeschlagenhat. Denn nomos unddike, „Gesetz“ , „Recht“und„Gerechtigkeit“bilden geradezu den Kernbestand des Wertekodex undgenerell des intellektuellen Haushalts der gesamten klassischen Poliswelt. Ihre allgemeinen Grundlagen undihr Charakter, ihre praktische Umsetzung unddauerhafte Sicherung durch die Konstituierung einer gerechten, ausgeglichenen undstabilen Ordnung desZusammenlebens in derPolis waren in derVorstellungswelt derin ihrlebenden Griechen undin ihrem besonderen, „politischen“Nachdenken über die spezifisch griechische, überlegene undüberhaupt beste Lebensweise immer die eigentlich wichtigsten Gegenstände. Konzepte wie themis und dike, nomos, eunomia undisonomia unddie sich in diesen Begriffen manifestierenden Wertvorstellungen waren bekanntlich sogar seit denersten, fürunsnochgreifbaren Anfängen dieser Zivilisation grundlegend für dasSelbstverständnis griechischer Gemeinwesen undihrer Mitglieder –darauf wirdin anderem Zusammenhang genauer einzugehensein6. Nicht zuletzt spielten dabei „ Gesetz“und„ Recht“gerade fürihre eigene besondere Sicht der Entstehung der Polis, derKonstituierung ihrer Ordnung undihrer erfolgrei-
chen Entfaltung unddamit fürdiehistorische Dimension undLegitimität ihrer besonderen stadtstaatlichen Identität eine zentrale Rolle. Vor diesem Hintergrund wird die besondere Intensität derBeschäftigung mitdenberühmten „ Gesetzgebern“der–ausder Sicht des5. und4. Jahrhunderts – großen alten Zeit in derhistoriographischen undbiographischen Tradition letztlich erst verständlich: Die Initiatoren der ursprünglichen „ Grundgesetze“einer Polis bzw. die Stifter dergrundsätzlich immer noch bestehenden gesamten „ Verfassung“ , wie etwa Solon undLykurg, mußten unter diesen Umständen zuidentitätsstiftenden und-sichernden Gründerfiguren werden. Ineinigen Poleis genossen „Gesetzgeber“ja sogar kultische Ehren –wie etwa in Tegea7 undvor allem in Sparta, wodemgroßen Lykurg nach derÜberlieferung einTempel geweiht war8.
In diesem Zusammenhang kommt es zunächst auf den anderen entscheidenden Faktor derTraditionsbildung an, dermitdiesem intensiven „ historischen“Interesse gewissermaßen konvergierte, esverstärkte undinmancher Hinsicht vielleicht erst sorecht weckte. Es geht umjene besondere philosophische undpraktische Bedeutung, die im politischen Denken undinsbesondere in denverfassungstheoretischen Analysen und Gesetzen“ Entwürfen einerseits denungeschriebenen undpositiv fixierten Normen und„ 6
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Vgl. WOLF 1950– 1970; OSTWALD 1969; MEIER 1970; 1980; TIMPE 1980, 72f.; 77; A. MAFFI, 423; Leggi scritte e pensiero giuridico, in: CAMBIANO/CANFORA/LANZA 1992, 419– HÖLKESKAMP (in Vorb.). Vgl. zu nomos undpoliteia: BORDES 1982, 359ff. Siehe auch Kapitel II 2, 3; IV, 3. Paus. 8,48,1. Vgl. dazu allgemein FARNELL 1921, 361f. Hdt. 1,66,1; Aristot.frg. 534ROSE = Plut.Lyk. 31,4; Ephoros FGrHist 70 F118 (= Strab. 8,5,5); Paus. 3,16,6. Vgl. dazuetwa PICCIRILLI 1978, 918f.
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II. Nomotheten –Aisymneten –Nomothesie
als solchen undandererseits derGesetzgebung als WegundVerfahren zurKonstituierung undkonkreten Gestaltung der richtigen politeia zugemessen wurde. So beschäftigten sich im 4. Jahrhundert bekanntlich nicht nurPlaton undAristoteles selbst, sondern auch eine ganze Reihe mehr oder weniger prominenter Mitglieder derAkademie
bzw. desPeripatos außerordentlich intensiv undausführlich mitdiesem Gegenstand – ja, Gesetz, Gesetzgebung undihre Funktion fürdie Polis scheint eines derwichtigsten Themen dergroßen Schulen gewesen undnoch längere Zeit geblieben zusein. Allein von Theophrast waren in derAntike außer seinen bekannten naturwissenschaftlichen Arbeiten undden„ Charakteren“nochzahlreiche philosophisch-politische Einzelschriften bekannt –über Politik generell und„ 9, über politische auf Einzelfälle angewandt“ Bräuche bzw. Herkommen10 undallerlei politische ethische undsonstige Probleme11, über Könige, Königtum undTyrannis12 undnatürlich über die ideale Polis13. Darunter waren nicht weniger als fünf unmittelbar einschlägige Arbeiten zudenThemen Gesetz undGesetzgebung. Dazuzählen nicht nurdiegroße, insgesamt 24 Bücher umfassende Sammlung vonGesetzen „ in alphabetischer Reihenfolge“ , vondereine Reihe vonzum Teil längeren Fragmenten erhalten ist14, ein Auszug aus diesem Werk in zehn Büüber die Gesetze“undeine weitere über Gesetzeschern15, eine weitere Abhandlung „ übertretungen16; Theophrast widmete außerdem den Gesetzgebern eine eigenständige Abhandlung in immerhin drei Büchern17. Schon früher scheint Speusippos –dernoch im5. Jahrhundert geborene Neffe und Schüler Platons undspäter sein Nachfolger als Haupt derAkademie –mitParmenides vonElea dieRolle desPhilosophen als Gesetzgeber seiner Stadt behandelt zuhaben18; er hatte der„Gesetzgebung“ebenfalls bereits eine eigene Schrift gewidmet19. Auch der Vernächste Leiter derAkademie, Xenokrates, verfaßte außer Abhandlungen über die„ fassung“ , den„Staatsmann“unddie „Eintracht“20noch eine selbständige Schrift über „ die Macht des Gesetzes“21.Herakleides Pontikos –umdie Mitte des4. Jahrhunderts
9
Politik in 6 Büchern (Π ῦα ο ιτικ λ ο α ν ῶ ο ιτικ λ ´- β ´): – ς ´): Diog.Laert. 5,45; Politik in 2 Büchern (Π ´ ὺ ο Diog.Laert. 5,50; Politik, auf Einzelfälle ςα angewandt (Π ο λ ιτικ ιρ ρ ὸ ῶ νπ ςτο ὺ ςκα ´- δ ´): Diog.Laert. 5,45. Vgl. dazu WEHRLI 1983, 496f.; 512f. und allgemein 474ff.; ferner PODLECKI
1985 mitweiterer Literatur.
10 In4 Büchern (Π ο λ ιτικ α ν ν ῶ θ ῶ ἐ ´- δ ´): Diog.Laert. 5,45. , ἠθ μ , ἐρω τ ικ ά ή ,φ α τ α ικ 11 Ineinem Buch (Π π ικ ά ά υ σ ο ικ ὰ ιτ λ α β λ ρ ο ´): Diog.Laert. 5,47. α σ ιλ 12 Über dasKönigtum in 2 Büchern (Π ία ρ ὶβ ε ςα ε ´β ´): Diog.Laert. 5,49; AnKassander über das σ ιλ ε ία ρ ὶβα ρ νπ ο ςα ρ ν ε ὸ ά α δ σ ςΚ Königtum in einem Buch (Π ´): Diog.Laert. 5,47; Über die Erzieω ὶπ έ ρ α ιδε ςα ε ία hung des Königs in einem Buch (Π ςβασιλ ´): Diog.Laert. 5,42; Über die Tyrannis ineinem Buch(Π ρ ὶτυραννίδ ο ςα ε ´): Diog.Laert. 5,45. Vgl. WEHRLI 1983, 498. ρ ισ τ ῶ α π τ ό οα λ ςἂ νἄ ε ιςοἰκοῖν 13 Wie Poleis ambesten einzurichten seien (Π ´): Diog.Laert. 5,49; η Überdiebeste Verfassung (Π ςπ ο λ ρ τ ία ὶτῆ ιτε ςα ε ςἀρίσ ´): Diog. Laert. 5,45. μ ω νκ ό 14 Ν α τ ὰσ το ιχ ε ῖο νκ δ ´: Diog.Laert. 5,44. Vgl. dazu grundsätzlich HAGER 1876; BLOCH 1940, 15
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355ff.: SZEGEDY-MASZAK 1981; WEHRLI 1983, 479f.; PODLECKI 1985, 235ff. ῆ μ ω Ν ν ςα ό ἐ μ π ιτο ´-ι´: Diog.Laert. 5,44. ρ ὶνόμ ω ν ν α μ ω Π ε α ν ό ρ α ρ ὶπ ´: Diog.Laert. 5,47. α ε ´; Π ρ ὶνομοθετ Π ε ῶ ν α ´-γ ´: Diog.Laert. 5,45. Frg.1LANG = F 118ISNARDI PARENTE (mit Kommentar 364f.) = F 3TARÀN (mit Kommentar 237ff.) = Diog.Laert. 9,23. Vgl. allgemein KRÄMER 1983, 22ff. ρ ὶνομ Π ο ε θ ε σ ία ς : Diog.Laert. 4,5. Vgl. dazuKRÄMER 1983, 36f. ο ία ν ςα ο ρ ρ ὶὁμ Π ὶπ ε ε ´: Diog.Laert. ο λ ιτ ε ό ία ο ιτικ λ ςα ςα ´: Diog.Laert. 4,13; Π ´: Diog.Laert. 4,12; Π 4,12. ρ ὶδυνά Π ε μ ε ω ςνό μ ο υα ´: Diog.Laert. 4,12; vgl. noch frg. 3HEINZE = 254–256ISNARDI PARENTE
1. Dasantike
Interesse
amGegenstand
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ebenfalls ein führendes Mitglied derAkademie, aber wohl auch demPeripatos wenigstens indirekt verbunden22 –behandelte nicht nur in einzelnen Abhandlungen Gerechtigkeit, Tugend, Herrschaft und andere ethisch-politische Kernthemen23, sondern schrieb auch ein Buch über die Gesetze „ undVerwandtes“ 24.In diesen Zusammenhang gehört zweifellos auch noch die pseudoplatonische Schrift „ Minos oder über das Gesetz“25.
Auch aus der Schule desAristoteles ist eine ganze Reihe vonArbeiten zudiesem Thema bezeugt –selbst in späterer Zeit erlosch dasInteresse daran nicht. So hat noch Hermippos von Smyrna (der derSchule nicht persönlich angehörte, aber die literarischen undbiographischen Studien des Peripatos fortzusetzen suchte26), mehrere Viten berühmter Gesetzgeber verfaßt, diein derAntike wahrscheinlich unter diesem Titel als selbständige Schrift in mindestens sechs Büchern vorlag27. Und noch später hat ja Herakleides Lembos neben denAuszügen ausden(mit dereinen bekannten Ausnahme nursehr fragmentarisch erhaltenen) 158 Politien desAristoteles undseiner Schule auch eine epitome ausdenGesetzgeberviten desHermippos angefertigt28. In dieser Tradition standen neben Dikaiarch, demTraktate über verschiedene Politien29 undderTripolitikos über die Mischverfassung30 zugeschrieben wurden, vor allem Aristoxenos vonTarent, der sich mit Erziehung undwiederum mit Gesetzen befaßt zu haben scheint31 – undnatürlich derbereits erwähnte Theophrast, dersich offenbar besonders intensiv und ausführlich mitGesetzgebung undGesetzen beschäftigte. Das gilt auf besondere Weise auch für seinen Schüler Demetrios vonPhaleron32, demnicht nurzwei größere Werke über „Gesetzgebung“und„Verfassung“in Athen33, (= Plut.mor. 446D-E; 1124D-E; Cic.rep. 1,3). Vgl dazu KRÄMER 1983, 65. 22 Vgl. dazu generell GOTTSCHALK 1980; KRÄMER 1983, 88ff.; WEHRLI 1983, 523ff. 23 Π ρ ῆ ς ε ρ ὶδικαιοσύν ὶτ η : Diog.Laert. 5,86 und92; Κ ε ς ῆ ο ιν ςα ῶ ρ ςτ ´: Diog.Laert. 5,86; Π ὶἀρετ επ ε 45WEHRLI. Siehe dazu KRÄMER 1983, ῆ ςα ´: Diog.Laert. 5,87; vgl. Cic.leg. 3,14 undfrgg. 144– χ ρ ἀ 97; WEHRLI 1983, 524; 526. 24 Ν μ ό ω να ῶ ντούτο ὶτ α νσυγγεν ῶ ´κ ις : Diog.Laert. 5,87, vgl. 9,50 (= frg. 150WEHRLI) unddie frgg. 144ff.WEHRLI. Vgl. dazu GOTTSCHALK 1980, 131ff.
25 Μ ίν ω ο ρ ςἢπ υ . Vgl. dazu KRÄMER 1983, 126f., sowie 36f. mitweiteren Nachweisen. ὶνόμ ε 26 Vgl. WEHRLI 1983, 583f. 27 Π 88WEHRLI (und vgl. WEHRLIS Kommentar ρ ε ὶτ ο ῶ ννομ θ ε τ ῶ νbzw. π ο ρ θ ὶνομ ε : frgg. 80– ε τ ῶ ν 37. Siehe insbesondere frgg. 80 und82 (= Pap.Oxy. 11, 1367, frg. 1 u. 2); 81 91ff.); FHG III, S. 36– (= Origen.contra Cels. 1,15); 83, 87 und88 (= Athen. 4,154D; 13,555C; 14,619B); sowie 84 (= Xenokr.frg. 98HEINZE = F 252 ISNARDI PARENTE = Porphyr. de abstin. 4,22). 28 Aristot. frg. 611ROSE (= FHG II, S. 209ff., unter Herakl.Pont.), jetzt in der Edition von DILTS. Vgl. generell dessen Einleitung (7ff.); WEHRLI 1983, 584f.; Pap.Oxyrh. 11, 1367, frg. 1, col. 1 (= Hermippos frg. 82WEHRLI), vgl. dazu GEIGER 1985, 43f.; 63. 29 Frg. 1WEHRLI (= Suda s.v. Δ ρ χ α ία ικ ο ς ) und dazu WEHRLIS skeptischer Kommentar 64f.; frg. 69WEHRLI (= Cic.Att. 2,2). Siehe allgemein WEHRLI 1983, 57. 30 Frgg. 70– 72WEHRLI (vgl. den Kommentar 65f.) (= Cic.Att. 13,32; Photios Bibl. 13; Athen. 4,141Aff.). Π α ιδ ε υ τικ μ ο ὶνό ο ιin mindestens 10 Büchern, vgl. Diog.Laert. 8,15; Π μ ιin mindestens ο ο λ ιτικ ο ὶνό 8 Büchern, vgl. Athen. 14,648D. Siehe frgg. 42– 46WEHRLI (vgl. den Kommentar 62ff.) undgenerell WEHRLI 1983, 541f. 32 Vgl. generell WEHRLI 1983, 559ff., sowie 1968, 519f., zu seinen Werken „staatsethischen undpoli, ferner GEHRKE 1978, 149ff. mitweiteren Nachweisen. tischen Inhalts“ 33 Π ρ ε ὶτ η ῆ σ ή ν ινομ η ςἈθ σ ο ιπ ή ν θ ο ε λ ιτε νin zwei Büchern: σ ιῶ ία ρ νἈθ ὶτ ῶ ςin 5 Büchern; Π ε
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32
II. Nomotheten –Aisymneten –Nomothesie
ein weiteres Buch über diepoliteia34, zweijeweils selbständige Schriften über „Rechtsgrundsätze“undüber „ Politik“ inmehreren Büchern undebenfalls einTraktat „überdie Gesetze“zugeschrieben wurden35. Dieser Demetrios warbekanntlich als makedonischer Statthalter inAthen auch selbst einberühmter, wennauch nicht unumstrittener Gesetzgeber36 –seine Aktivitäten als „ Nomothet“in den Jahren um undnach 31737 reichten von anscheinend antidemokratisch-oligarchischen Verfassungsreformen, der Einrichtung oder zumindest Aufwertung derNomophylakie undderEinführung dergynaikonomoi über die Sittengesetzgebung wiedieRegelung desTotenkultes, dieAbschaffung derChoregie undihre Ersetzung durch dieöffentliche Agonothesie bis hinzuReformen des Vertrags-, Kredit- undBodenrechts38. Dabei wurde Demetrios einerseits möglicherweise vonseinem Lehrer Theophrast beeinflußt, dessen bereits erwähnte umfassende Sammlung von Gesetzen undInstitutionen ihm zur Verfügung gestanden haben könnte39 –Theophrast lebte übrigens unter der Herrschaft des Demetrios in Athen und mag ihn auch direkt unddetailliert beraten haben40. Anderseits zeigen insbesondere seine Maßnahmen zurgynaikonomia undzurnomophylakia, daßer, wenn auch vielleicht nurmittelbar, vonAristoteles undwomöglich vonPlaton beeinflußt worden sein könnte41. Überhaupt
soll eine ganze Reihe vonPolitikern, einflußreichen Beratern vonKönigenundeben auch Gesetzgebern und„Verfassungsstiftern“ausderAkademie hervorgegangen sein42 –verschiedentlich wurden angeblich gerade die letzteren direkt auf Platons Empfehlung eingeladen bzw. bestellt. So soll Platon selbst es zwar abgelehnt haben, fürdieneugegründete Stadt Megalopolis Gesetze zuverfassen, scheint aber statt dessen wenigstens seinen Schüler Aristonymos benannt zuhaben43. Auch die Gesetzge-
147WEHRLI. Vgl. allgemein DOW/TRAVIS 1943, 154. Diog.Laert. 5,80; siehe frgg. 139– 138WEHRLI mit demKommentar siehe die frgg. 131– 72ff. Vgl. WEHRLI 1983, 563. νin 2 ο ῶ 35 Δ ρ ὶπ λ ιτικ ίκ ε ρ νin einem Buch: Diog.Laert. 5,80 und81; Π α ω ια ε ὶνόμ : Diog.Laert. 5,81; Π Büchern: Diog.Laert. 5,80. Vgl. dazu WEHRLI 1983, 562. 36 Demetrios von Phaleron frgg. 15WEHRLI (= Marm.Parium B 13) und 16 (Cic.rep. 2,2). Vgl. WEHRLI 1968, 514ff. 37 Vgl. zudemTitel insbesondere DOW/TRAVIS 1943, 153ff., anders GEHRKE 1978, 173ff. 38 Siehe etwa Demetrios vonPhaleron frg. 32WEHRLI (= FGrHist 228 F 6 = Pollux 8,102) zurNomophylakie; frg. 135WEHRLI (= Cic.leg. 2,63) zudenAufwandsbeschränkungen beim Totenkult. Vgl. zu den Einzelheiten etwa DOW/TRAVIS 1943, 164f.; WEHRLI 1968, 515ff.; GEHRKE 1978, 151ff.; 162ff.; 171ff.; SZEGEDY-MASZAK 1981, 66f.; J.M. WILLIAMS, The Peripatetic School andDeme98; CH.HABICHT, Athen. Die Getrius of Phalerum’s Reforms at Athens, AncW 15, 1987, 87– schichte derStadt in hellenistischer Zeit, München 1995, 62ff. mitweiteren Nachweisen. 39 Vgl. DOW/TRAVIS 1943, 144f.; 153; 159. 40 Vgl. nurDOW/TRAVIS 1943, 145. 1323a2, wo die gynaikonomia unddie nomophylakia zusammen mit der 41 Vgl. Aristot.Pol. 1322b37– paidonomia, gymnasiarchia unddenAufsichtsmagistraten über gymnastische unddionysische Agone als Einrichtungen genannt werden, die spezifisch fürwohlgeordnete undfriedliche Poleis seien. Vgl. dagegen allerdings GEHRKE 1978, 151ff.; TRAMPEDACH 1994, 253f. 47, 49f. undpassim; MORROW 1960, 8f; 42 Siehe allgemein Plut.mor. 1126C. Vgl. SCHUHL 1946– KLOSKO 1986, 188. Vgl. allerdings BRUNT 1993b, 289ff. undjetzt TRAMPEDACH 1994, 21ff.; 37ff. undallgemein 144ff., der die Zuverlässigkeit der Überlieferung skeptisch beurteilt. In diesem Zusammenhang kommt es aberohnehin mehraufdieTradition alssolche undihre Entstehung an. 47, 49. 43 Plut.mor. 1126 C; Diog.Laert. 3,23; Ael.var.hist. 2,42. Vgl. dazu SCHUHL 1946–
34 Ὑ ρτ ῆ π ὲ ςπ ο λ ιτ ε ία ςα ´: Diog.Laert. 5,81;
1. Dasantike
Interesse
amGegenstand
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bervonElis, Phormion44, vonPyrrha, Menedemos, undvonKnidos, Eudoxos45, kamen ausderAkademie. Platon selbst soll auchvondenBürgern Kyrenes (wiederum vergeblich) eingeladen worden sein, ihnen Gesetze zugeben undeine wohlgeordnete politeia zuschaffen46. Undnicht zuletzt wares –jedenfalls nach einem Traditionsstrang –der große Aristoteles selbst, derfürStagira Gesetze schrieb, als seine Heimatstadt aufseine Bitte hin nach ihrer Zerstörung durch Philipp vonMakedonien wieder gegründet wurde47.
Diese intensive Beschäftigung mitder„Nomothesie“inTheorie undPraxis seit dem 4. Jahrhundert hat dann in der Folgezeit praktisch die gesamte antike Überlieferung entscheidend geprägt. Deren unmittelbare Abhängigkeit gerade von dengenannten Autoren wird allein schon an der Häufigkeit deutlich, mit der die einschlägigen Werke des Theophrast, Hermippos, Aristoxenos, Demetrios vonPhaleron undHerakleides Pontikos in den ausführlichsten unddetailliertesten erhaltenen Darstellungen der beiden wichtigsten „ Nomotheten“zitiert werden, nämlich in Plutarchs Viten des Lykurg48 und des Solon49. Ähnliches läßt sich mutatis mutandis auch für unsere Hauptquelle zu den traditionell bedeutendsten westgriechischen Gesetzgebern derFrühzeit, also die längerenAbschnitte bei Diodor über Zaleukos, Charondas undDiokles vonSyrakus wenigstens vermuten50. Die erwähnten Sammlungen vonGesetzen undAbhandlungen über Gesetzgebung undGesetzgeber dienten dabei nicht nurals mehr oder weniger einfach zugängliche Quellenbasis, indem sie eine Fülle von bequem zusammengestelltem undschon vorstrukturiertem Material boten. Nicht zuletzt gingen dabei zwangsläufig auch diephilosophischen Sichtweisen dieser gelehrten Akademiker undPeripatetiker, ihre Kriterien der Materialauswahl undtheoretischen Kategorien der Systematisierung undBeurteilung derDaten in dieTradition ein–unddiese wurzelten natürlich in derumfassenden philosophischen undtheoretischen Aufarbeitung des Problems von„ Gesetz“und„ Gesetzgebung“undinsbesondere der Funktionen, Aufgaben undZielsetzungen des „ Gesetzgebers“durch Platon undAristoteles selbst. Aufdiese Weise beeinflußten sie auch noch mittelbar jede spätere Beschäftigung mitdemGegenstand, die Perspektiven und Sichtweisen aller späteren Autoren, wenn sie nicht überhaupt ganz unmittelbar als Quellen“oder jedenfalls besondere Autoritäten herangezogen wurden –auch dafür „
44 Plut.mor. 1126C, vgl. 805D. S. dazuTRAMPEDACH 1994, 41ff. 45 Plut.mor. 1126C, vgl. TRAMPEDACH 1994, 47ff.; 57ff. Vgl. auchJ. BOLLANSÉE, in: SCHEPENS et al. 1998, Nr. 1006 (S. 170ff.) 46 Plut.mor. 779D; Ael.var.hist. 12,30. 47 Plut.mor. 1126D, vgl. 1097B; Diog.Laert. 5,4; Diod. 16,52,9; Val.Max. 5,6,5; Plin.nat. 7,109; Dio Chrys.or. 2,29; 47,8 (= frg. 657ROSE); Ael.var.hist. 12,54; vgl. 3,17. Siehe dazu DURING 1957, 292 und–wiederum skeptisch –TRAMPEDACH 1994, 53f.; 49ff. ιλ ο 48 Siehe nurLyk. 5,4 (= Hermippos, Π ν , frg. 86WEHRLI); Lyk. 31 (= Aristoxenos, Π ρ ὶνομοθετῶ ε μ ο ι, frg. 44WEHRLI). ό τ ικ ο ὶν ν , frgg. 147; 146; 149; 148WEHRLI), soω ρ ὶνόμ 49 Vgl. etwa Solon 1; 22; 31; 32 (= Herakl.Pont., Π ε wie 2; 6; 8 (= Hermippos, Über dieSieben Weisen, frgg. 7; 8; 10WEHRLI) und23 (= Demetrios v. , frg. ν ω ὶνόμ ρ ε η σ ο ινομ ή ν θ ε , frg. 147WEHRLI); 31,5 (= Theophr., Π ῆ σ ία ς ρ ὶτ ςἈθ ε Phaleron, Π 27HAGER = 99WIMMER = 23SZEGEDY-MASZAK). 35,5 (Diokles). Vgl. dazu im 50 Diod. 12,11,4– 19,3 (Charondas); 12,20,1– 21,3 (Zaleukos); 13,34,6– einzelnen Kapitel III 2, Abs. KATANE; LOKROI EPIZEPHYRIOI; SYRAKUS.
34
II. Nomotheten –Aisymneten –Nomothesie
bieten ja gerade die beiden erwähnten Biographien Plutarchs zahlreiche Beispiele rekter längerer Zitate, kurzer Erwähnungen undindirekter Anspielungen51.
2.
Nomothesie, Nomos
di-
undPoliteia beiPlaton undAristoteles
Tatsächlich manifestiert sich dasbesondere philosophische undhistorische, praktische undpolitische Interesse dieser Epoche an Gesetz undGesetzgebung in geradezu verdichteter undgebündelter Form injenen Werken, die Platon undAristoteles selbst verfaßt haben unddie unserhalten sind. Dabei handelt es sich in erster Linie einerseits umdenPolitikos undnatürlich die Nomoi, die selbst eine Art „Gesetzeskodex“oder Gesetzbuch darstellen (sollen)1, und andererseits um die Politik und, in mancher Hinsicht, die Ethiken2. Zwar ist wenigstens theoretisch dieauffeste Normen undGesetze gegründete Polis bzw.politeia weder für Platon noch fürAristoteles diebeste denkbare Form derPolis bzw. ihrer „Verfassung“ ; denndieeinmal festgelegten unddannunflexiblen undgewis-
sermaßen mechanisch anzuwendenden Gesetze könnten ja garnicht denwechselnden Umständen, derVielfalt desrealen Lebens undderunendlichen Unterschiedlichkeit der darin vorkommenden Einzelfälle gerecht werden –insofern sei die Herrschaft derGesetze demIdeal derHerrschaft desWissens, derreinen Vernunft, Einsicht undTugend unterlegen3. Dieses Ideal ist aber keine wirklich realistische Option, wie auch Platon schließlich zugibt. Denn die absolute, ungebändigte undunkontrollierte Macht der Herrschenden in diesem Idealstaat sei eben nichts fürMenschen –tatsächlich undpraktisch wirddamit dieHerrschaft derGesetze bzw. desGesetzes ansich zurrelativ besten Form einer politeia4. In denNomoi rückt diese Überlegung endgültig in denVordergrund. In seinem Alterswerk postuliert Platon schließlich sogar, daß der nomos der unumschränkte Herr η ς ) derHerrschenden sein solle –nureine so geordnete Polis genieße Sicher(δ εσ ό τ π heit, Stabilität unddie Gunst der Götter5. Grundsätzlich müßten sich die Menschen no-
51 Siehe etwa Lyk. 5,6 (vgl. Plat.Leg. 691E); Lyk. 5,7; 6,2; 31,3 (Aristoteles).
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So GÖRGEMANNS 1960, 102. AufEinzelheiten unddiezahllosen umstrittenen philosophischen und sonstigen Probleme der Platon-Interpretation braucht hier nicht eingegangen zu werden. Vgl. etwa MORROW 1941/1971; CAIRNS 1942/1958; MORROW 1948; WOLF 1970, 302ff. und passim; DE . Siehe zu denNomoi Gesetz“ Recht“und„ ROMILLY 1971, 179ff., zuPlatons Konzeptionen von„ allgemein vor allem MORROW 1960 (hier besonders 544ff.); HENTSCHKE 1971, 163ff. ferner CAIRNS 1942/1958, 297ff.; WICHMANN 1966, 532ff.; WOLF 1970, 197ff.; DE ROMILLY 1971, 243ff.; STALLEY 1983, passim; KLOSKO 1986, 188ff.; 198ff. u.ö.; LAKS 1990, 209ff.; BRUNT 1993; SCHÖPSDAU 1994, 91ff.; TRAMPEDACH 1994, 232ff. u.ö.; COHEN 1995a, 234ff.; PIÉRART III). 1995, 258ff. S. zudeneinzelnen Stellen denKommentar vonSCHÖPSDAU 1994 (zuNomoi I– Siehe dazu vor allem VON LEYDEN 1985, 71ff. u.ö. Vgl. ferner WORMUTH 1948; DE ROMILLY 1971, 210ff.; HENTSCHKE 1971, 375ff. u.ö.; KAMP 1987; JOHNSON 1990, 69; 74ff.; COHEN 1995a, 229ff., mitweiteren Nachweisen. Plat.Pol. 293Aff.; 294A-C; 300C; Leg. 875A-D; vgl. ferner Rep. 427A. Siehe auch Aristot.Pol. 1284a11ff.; 1286a9ff. Vgl. dazu etwa BORDES 1982, 385ff.; 416ff.; KLOSKO 1986, 134; 167f.; 190, ferner zu Aristoteles BORDES 1982, 485ff.; KAMP 1987, 370ff. Vgl. zu den einzelnen Belegen den Kommentar zurPolitik vonSCHÜTRUMPF 1991a undb; 1996. Plat.Pol. 300B-C; Leg. 739B-C; vgl. auch 691C-D; 713C-714A; 875A-D; Aristot.Pol. 1287a27ff., sowie 1287b1ff. Vgl. dazu etwa MORROW 1948, 38f.; GILL 1979, 150ff.; 162f. Leg. 715D. Vgl. dazu umfassend WOLF 1970, 220ff.; BORDES 1982, 424ff. und jetzt
2. Nomothesie bei Platon undAristoteles
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moi geben, weil sie sonst wie die wildesten Tiere lebten6. Wirkliche Gesetze sind für Platon jetzt sogar die (möglichst genauen) „ μ α ή τ αγ ε geschriebenen Kopien“(μ ιμ γ ρ α μ μ έ ν α ) derWahrheit, die direkten Ableitungen bzw. unmittelbaren Manifestationen der höheren, göttlichen Vernunft7 –schließlich leitet er selbst den Begriff nomos auch etymologisch noch vondiesem Konzept (ν ο ῦ ς ) ab8. Auch fürAristoteles ist dieHerrschaft desGesetzes mitderjenigen derVernunft in eins zu setzen9 –wobei die Gesetze auch derallgemeinen Zustimmung bedürfen und (daher) demWohl des Ganzen dienlich sein müssen10. Vor allem sei das (gute) Gesetz μ ο (ν ό ςbzw. εὐνομ ία ) gleichbedeutend mit der (guten) „Ordnung“(τ ά ξ ιςbzw. ε ὐ τ α ξ ία ) derganzen Polis11. Genau darum dreht sich letztlich diePolitik desAristoteles insgesamt, wieer es explizit undgeradezu als Programm amEnde derNikomachischen Ethik formuliert: Die genaue unddetaillierte Untersuchung der Gesetzgebung (ν ο μ ο θ ε σ ία ) soll undmußdazu dienen, nicht nurdieverschiedenen „Verfassungen“oder Formen einer politeia unddie Ursachen ihres Wandels bzw. ihrer Stabilität zuerklären undzudeuten, sondern auchdiejeweils beste Ordnung oder Variante einer Ordnung zu bestimmen –undschließlich die entscheidende Frage zubeantworten, wie diese Ordnung eben durch Gesetze undSitten (ν μ ο ιςκ ό α ὶἔθ ι) herzustellen sei12. ε σ Überhaupt stehen ja auch bei Platon immer die Polis als Ganze undihre Ordnung insgesamt im eigentlichen Mittelpunkt des Interesses13. Die vielen verschiedenen, in unterschiedlichen Zusammenhängen diskutierten politischen Institutionen undVerfahrensregeln, gesellschaftlichen undwirtschaftlichen Einrichtungen werden immer als Teile dieser Gesamtordnung begriffen undnurals solche aufeinander undwiederum auf das Ganze dieser Ordnung bezogen. Sie werden also auch immer, direkt oder indirekt, nach ihrer Funktion undihrem Wert in einem einheitlichen undvereinheitlichten, in sich geschlossenen, möglichst ausgewogenen, „gerechten“undnicht zuletzt stabilen System der (relativ) guten Polis bzw.politeia beurteilt. Dadie Polis, ihre Verfassung (π ο λ ιτε ία ) undihre Gesetzgebung (ν μ ο θ ο ε σ ία ) untrennbar zusammengehören undaufeinander bezogen sind14, will Platon (wiederum zumindest in denNomoi) dann auch
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TRAMPEDACH 1994, 221ff.; DIHLE 1995, 125f.
Leg. 874E-875A. Pol. 300C; Leg. 713E-714A, vgl. auch 645A-B; 713Aff.; 835E. Vgl. dazu MORROW 1948, 40f.; 1960, 564ff. Vgl. dazu GILL 1979, 159. Pol. 1287a28ff., vgl. EN 1180a21ff. Vgl. dazu KAMP 1987, 377f. Siehe zum Konzept des „Gesetzes“bei Aristoteles generell außerdem BIEN 1973, 224ff.; 238ff. u.ö.; VONLEYDEN 1985, 71ff.; KAMP 1990, 58ff.; COHEN 1995, 35ff.; DIHLE 1995, 126ff. EN 1129b14ff.; 1130b22ff; Pol. 1218a28ff.; vgl. außerdem Pol. 1283b37ff.; [Aristot.] Rhet.ad Alex. 1420a25ff.; 1422a2ff.; 1424a10ff. Siehe wiederum Plat.Leg. 715B. Vgl. dazu MORROW 1960, 561f.; HENTSCHKE 1971, 407f. u.ö. Pol. 1326a29ff.; 34f. Vgl. auch Plat.Phileb. 26B; Hipp.Maior 284D. Siehe dazu VONLEYDEN 1985, 98f. Vgl. zurBegrifflichkeit außerdem KAMP1990, 87ff. u.ö. EN 1181b12ff, bes. 20ff.; vgl. Rhet. 1360a18ff. Vgl. nur Leg. 739Bff., ferner 664A undschon Rep. 462C-D; 466A u.ö. Vgl. dazu undzum FolgendenWOLF 1970, 356ff.; HENTSCHKE 1971, 60ff.; 395f. u.ö.; TRAMPEDACH 1994, 232ff. Leg. 678A, vgl. 714B-C, ferner Hipp.Maior 284D, vgl. dazu WOLF 1970, 363ff. Siehe auch Ariο μ ςund ό stot.Rhet. 1360a17ff. Vgl. allerdings weiter unten imText zurDifferenzierung zwischen ν beiAristoteles. ία ε ιτ λ ο π
II. Nomotheten –Aisymneten –Nomothesie
36
diesen Maßstab streng undkonsequent auf die Gesetzgebung einer Polis generell und auf sämtliche Gesetze imbesonderen angewandt sehen: Jedes einzelne Gesetz für sich ebenso wiedieGesetzgebung als solche mußderallgemeinen, grundsätzlichen Zielsetzung desGanzen gerecht werden15: VondenGesetzen hängt fürihn–wieauch fürAristoteles –die Stabilität undgerade damit die Wohlfahrt derganzen Stadt (ἡ ία ρ η σ ω τ ῆ ω ) entscheidend ab16. τ ςπ ό λ ε ς Dies ist dennauch dergemeinsame Nenner dervielen einzelnen detaillierten Gesetze, derpeinlich genauen Vorschriften undVerbote, diePlaton in denzuweilen reichlich langatmig anmutenden Ausführungen in denNomoi darstellt, in ihren Funktionen und Folgen analysiert undabwägt. Nicht nurdieKonstituierung derPolis unddieEinteilung ihrer Bürgerschaft, die Institutionen undihr formales Verhältnis untereinander, die komplizierten Verfahren derBestellung vonMagistraten undRäten unddievielfältigen Kontroll- undÜberwachungsprozeduren sollen bis ins einzelne festgelegt werden17; darüber hinaus müssen die gesamte Existenz jedes einzelnen Bürgers, seine wirtschaftlichen Verhältnisse undseine Lebensweise, seinganzes Leben vonZeugung undGeburt über Erziehung undHeirat bis zumBegräbnis, seine religiösen Überzeugungen, seine Ansichten zuallem undjedem undsogar seine Gefühle, Leidenschaften undprivaten Wünsche einem planvollen, engmaschigen Netz vonnormativen Regelungen, genauen Anleitungen und abgestuften Strafen fürjede Abweichung unterworfen werden18. Auch Aristoteles fordert imPrinzip eine derartige Gesetzgebung, diealle Bereiche desöffentlichen undprivaten Lebens regeln undregulieren solle19, selbst wenn die Gesetze wegenihres allgemeinen Charakters in derPraxis nicht füralle konkreten Einzelfälle Vorsorge treffen könnten20. Wennnundie einzelnen Gesetze wesentlich als Bausteine eines umfassenderen und übergeordneten Ganzen gesehen werden, dann kann Gesetzgebung nicht allein in der Formulierung undImplementierung konkreter Regelungen bestehen. Vielmehr muß dabei notwendig dieVorstellung mitschwingen, daß„ Nomothesie“imeigentlichen Sinn immer auch aufdiebewußte Ausfüllung undplanvolle Gestaltung derOrdnung als Gesamtheit ziele. Jede Gesetzgebung –gerade diejenige über dasbreite Spektrum derzu regelnden Einzelgegenstände, diescheinbar nichts miteinander zutunhaben –gilt dabei zumindest implizit als Stadium in derRealisierung eines zugrundeliegenden nomothetischen Gesamtplans. Jeder einzelne Akt der Gesetzgebung ist also eine Etappe in der
15 Leg.705E-706A; 707D; 714B-C, vgl. Hipp.Maior 284D; Protag. 326D. Vgl. dazu HENTSCHKE 1971, 198; 252; 259ff. u.ö. 16 Rhet. 1360a19f., vgl. auch EN 1181b13ff.; Pol. 1269a29ff., sowie [Plat.] Minos 314D. Vgl. dazu jetzt COHEN 1995, 25ff.; DIHLE 1995, 125ff.
Einzelheiten brauchen hier nicht wiederholt zuwerden. Vgl. nurCAIRNS 1942/1958, 297ff.; GERNET 1951; MORROW 1960, 95ff.; 153ff.; 241ff. 553f. u.ö.; WOLF 1970, 222ff.; PIÉRART 1974, 49ff.; 89ff. u.ö.; STALLEY 1983, 97ff.; 112ff. u.ö.; KLOSKO 1986, 211ff.; 222ff., jeweils mitweiteren Nachweisen. 18 Siehe etwa Leg. 631D-632C; 636D-E; 737C-745B; 842D-E usw., vgl. auch Protag. 326C. Siehe dazu MORROW 1960, 297ff.; WOLF 1970, 243ff.; 281ff. etc.; PIÉRART 1974, 160ff. u.ö.; STALLEY 1983, 123ff. u.ö.; SAUNDERS 1991, 212ff.; TRAMPEDACH 1994, 233ff. zudenEinzelheiten. 19 EN 1180a3f.; 33ff., vgl. 1ff.; Pol. 1297b37ff.; 1333a37ff.; Rhet. 1354a31; vgl. außerdem EN 1128a29ff.; Pol. 1266b8ff.; 1272a21ff.; 1282b1ff.; 1334b28ff.; [Aristot.] Rhet.ad Alex. 1422b5ff. 20 Pol. 1287b15ff.; EN 1137b11ff.; vgl. Pol. 1282b1ff.; Rhet. 1354a31-b15; Magna Mor. 1198b27ff.
17 Diebekannten
2. Nomothesie beiPlaton undAristoteles
37
Umsetzung eines abstrakten Konzepts, dasauf die spezifische Ratio, denZweck und dasZiel derjeweiligen Gesamtordnung ausgerichtet ist21. Damit verwischt sich wenigstens tendenziell die Unterscheidung zwischen konkreter Gesetzgebung undder „Nomothesie“als umfassender Stiftung der Ordnung insgesamt. Das bedeutet wiederum zugleich, daßdie Vorstellung einer schrittweisen, langsamen, gewissermaßen prozessualen undautonomen Entfaltung in dieser Theorie der Gesetzgebung keinen rechten Platz haben kann –im Gegenteil: Es ist gerade ein we-
sentliches Ziel dieser Stiftung, daß die rechtliche, institutionelle und sittliche Ordnung insgesamt, nachdem sie erst einmal (undzwar möglichst schnell) perfektioniert worden ist, keiner Veränderungen undschon garkeiner permanenten gesetzgeberischen Weiterentwicklung mehr bedürfen soll –sie muß, umals gutundgelungen zugelten, als ganze dauerhaft undstatisch in sich selbst ruhen22. Die Etablierung einer Ordnung durch Gesetzgebung wird damit zu einem einmaligen Akt der Setzung undGestaltung einer intellektuell antizipierten monolithischen Einheit, die durch Vernunft und Einsicht in die Bedürfnisse undNotwendigkeiten, Grenzen undZwänge menschlicher Existenz in der Polis als zweckmäßig, richtig und„gut“ erkannt worden ist.
Diese teils expliziten, teils nur impliziten Annahmen bündeln undmanifestieren sich in dersowohl bei Platon als auch bei Aristoteles geradezu allgegenwärtigen Denk23. Immer wieder wird die umfassende Stiftung der Ordnung figur des „ Gesetzgebers“ als dieSchöpfung derpoliteia oder deskosmos derPolis durch einen solchen nomothetes begriffen undformuliert24 –insofern ist derGesetzgeber der Gründer der Stadt und Garant ihrer Erhaltung25. Under ist natürlich immer undoft in erster Linie derErzieher derBürgerschaft26. Platon undAristoteles schreiben dementsprechend ihren (prospektiven) Gesetzgebern ganz besondere individuelle Fähigkeiten zu, nämlich eine genaue Kenntnis derNatur des Menschen wiederPolis, undvorallem eine nurwenigen Sterblichen zuteil werdende überlegene Einsicht in die Prinzipien, die derwahren Gesetzgebung zugrundeliegen, also in die Ordnung undStruktur des Ganzen27. Aristoteles defi21 Vgl. etwa Plat.Leg. 714C; 817B; Aristot.Pol. 1282b10ff.; 1297a35ff. 22 Vgl. etwa Plat.Leg. 772B-C; 798A-B; 816C; 846C; 957B unddazu MORROW 1960, 570; BRUNT 1993a, 249. Die Notwendigkeit von Modifikationen wird von Platon zwar mehrfach anerkannt
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(Leg.769D-E; 772A; 835A-B; 846B-C; 957A-B), aber nur als (möglichst rasch durchzuführende) Ergänzung undAusbau der gesetzten Grundstruktur. Siehe auch Aristot. Pol. 1269a13ff. unddazu WORMUTH 1948, 48. Vgl. generell auch DEROMILLY 1971, 239ff. Vgl. zum „Gesetzgeber“bei Platon allgemein CAIRNS 1942/1958, 290ff.; WOLF 1970, 345ff.; HERRMANN 1972; GILL 1979, 158; SZEGEDY-MASZAK 1981, 2ff.; STALLEY 1983, 31ff.; KLOSKO 1986, 238f.; LAKS 1990, 223ff.; ARRIGHETTI 1990, 351ff.; PIÉRART 1995, 260ff., bzw. bei Aristoteles BIEN 1973, 222ff.; SZEGEDY-MASZAK 1981, 9ff.; MICALELLA 1983; KEYT 1987, 54ff.; JOHNSON 1990, 94ff.; 98ff.; vgl. 79; 111 Anm.10. Plat.Leg. 769D-E, vgl. 678A; 822E usw.; Aristot.Pol. 1284b17ff.; 1296b34ff.; 1297b37ff. sowie 1265a18ff. usw. Plat.Leg. 744E-746B, vgl. 742D-E; Aristot.Pol. 1253a30ff. Plat.Leg. 631D, sowie auch 823A; Pol. 308D-E. Vgl. dazu auch HENTSCHKE 1971, 284ff. u.ö.; STALLEY 1983, 42ff. mit weiteren Nachweisen; Aristot. EN 1108b3ff.; 1180b23ff.; vgl. Pol. 1263a37ff.; 1334a9ff.; DEROMILLY 1971, 239ff. Plat.Leg. 632D, vgl. 691D-E; 742D; 835Aff. Vgl. dazu MORROW 1960, 556; 564f.; HENTSCHKE 1971, 259ff. u.ö. Siehe auch Aristot.Pol. 1288b25ff., vgl. 1286a22ff; 1325a7ff.; Rhet. 1360a17ff., sowie Pol. 1333a37ff. und17ff.
II. Nomotheten –Aisymneten –Nomothesie
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28.Mit dieser beniert diese Fähigkeiten generell undexplizit als φ η ρ σ ό ιςνομ ν ή ο θ ε τικ sonderen intellektuellen Gabe wird derGesetzgeber also zurErkenntnis undzumtieferen Verständnis der umfassenden Leitgedanken undder Ziele wahrer Gesetzgebung ήundgutes Leben29, Vernunft undEinsicht, Freiheit undFreundschaft ρ ε τ befähigt –ἀ zwischen denBürgern30 undnicht zuletzt die innere Geschlossenheit derPolis31. Diese grundsätzlichen Vorgaben sollen denGesetzgeber undsein gesamtes Werk inspirieren, das dementsprechend wiederum umfassend unddetailliert, systematisch undwohlgeordnet, einheitlich undvereinheitlichend undin die Zukunft gerichtet sein soll32 –und jede einzelne seiner Maßnahmen soll wiederum demumfassenden Gesamtkonzept untergeordnet sein undseiner Verwirklichung dienen33. Diese Vorstellungen vonGesetzgebung undvomGesetzgeber werden in derimmer wieder gebrauchten Metaphorik besonders deutlich: Das umfassende Gesetzgebungswerk wird mit einem gewebten Stoff verglichen, es wird als festes „Gewebe“bezeichnet34. Der Gesetzgeber ist der Handwerker, der Baumeister undSchiffszimmermann, derausderMasse desvorhandenen Materials diefürdaserst geplante Hausbzw. Schiff geeigneten Teile und passenden Bausteine auswählt undsie zu dem komplexen, fertigen, möglichst guten, zweckmäßigen undvor allem haltbaren Endprodukt zusammenfügt35.
Sowohl Platon als auch Aristoteles legen dentheoretisch postulierten Maßstab der wirklichen, umfassenden, systematischen undvereinheitlichenden Nomothesie auch an die (guten) alten Gesetzgeber an, auf die sie in ihren Werken oft direkt oder indirekt anspielen. Immer wieder schreibt Platon ohne weiteres dengeradezu archetypischen Nomotheten Minos, Lykurg undSolon eine derartige Gesetzgebung zu36. Ganz allgemeinwirddabei dasgute Regime nicht nurin Sparta undAthen, sondern auchin vielen anderen großen undkleinen Städten in Unteritalien, Sizilien undanderwärts wiederum auf Lykurg undSolon sowie auf Charondas undandere ungenannte Gesetzgeber zurückgeführt37.
28 EN1141b24ff.; 32; vgl. dazu MICALELLA 1983, 88ff.. 29 Plat.Leg. 688A-B, vgl. 630E-631A; 963A. Siehe auch Aristot.Pol. 1269b29ff.; 1325a7ff. Vgl. dazu etwa MORROW 1960, 562f.
30 Plat.Leg. 701D, vgl. 688E; 693B-C; 743C; Rep. 462A-B. Siehe auch Aristot. EN 1155a23ff.; Pol. 1334a3ff.
31 Plat.Rep. 462A-B; Leg. 923B. Vgl. MORROW 1960, 561 zuLeg. 739C-E. 32 Siehe etwa Plat.Leg. 632C-D (und generell 631Aff.); 664A; 688A-B; 719D-E; 723Bff.; 743D-E; 746C-747B; 769D; 842D-E; 916D-E usw.; Aristot.Pol. 1266b8ff.; 1272a21ff.; 1297b37ff.; 1319b33ff.; 1325a6ff.; 1333a37ff.; 1334a3ff.; Rhet.1354b4ff. usw.; vgl. auch noch Pol. 1297a35ff.; 1274b28. 1309b35ff.; 1334b29ff. Siehe unten zuPol. 1273b27–
33 Plat.Leg. 744A, vgl. auch 626A-B; 664A; 668A-B; 706A; Aristot.Pol. 1269a29ff.; 1333a37ff. 1326a5, vgl. auch 1258a25ff. und dazu HENTSCHKE 34 Plat.Leg. 734E-735A; Aristot.Pol. 1325b40– 1971, 259f.
35 Plat.Leg. 858B bzw. 803A; vgl. auch Cratyl. 388D-389A; 428D-429B unddazu WOLF 1968, 285f. 1326a5, vgl. auch 1326a35-b5. Vgl. allgemein HERRMANN 1972, S. ferner Aristot.Pol. 1325b40– 149ff.; STALLEY 1983, 33; KEYT 1987, 54f.; SAUNDERS 191, 349. 36 Leg. 630B-E; 858E; Symp. 209D, vgl. auch Leg. 624A-B; 626A-B (zu Minos); Leg. 632D; 691E– 692A; Epist. 7,354B-C (zu Lykurg); Phaedr. 278C (zu Solon). Vgl. WOLF 1970, 345f.; ARRIGHETTI 1990, 351ff.
37 Rep. 599D-E; vgl. auch Symp. 209D-E; Phaedr. 258C; 278C; Protag. 326D. Siehe ferner Ari-
2. Nomothesie bei Platon undAristoteles
39
Zwar nimmt Platon dann an anderer Stelle an, daß der spartanische Kosmos mit Doppelkönigtum, Gerousia undEphorat undseine bewundernswerte Stabilität erst das Resultat derAkkumulation undKombination voneinzelnen Maßnahmen mehrerer, namentlich nicht genannter Gesetzgeber seien. Gerade das, nämlich gewissermaßen den zufälligen Charakter dieses Prozesses, hält er denfrühesten Gesetzgebern dannjedoch vor, indem er die Schlichtheit undUnvollständigkeit ihrer Einrichtungen kritisiert38. Auch Aristoteles diagnostiziert –wenn auch scheinbar ausanderer Sicht –schwerwiegende Versäumnisse Lykurgs (und anderer, auch hier nicht namentlich genannter Gesetzgeber)39: Wiederum werden die wesentlichen Mängel derjeweiligen Gesetzgebung darauf zurückgeführt, daßdie Gesetzgebung über die Lebensweise derFrauen, die Sicherung des Grundbesitzes unddie Syssitien nicht konsequent, wirklich erschöpfend undin sich geschlossen gewesen sei –unddadurch letztlich sogar das Gegenteil der (ja nicht völlig falschen) Intentionen derGesetzgeber bewirkt habe40. Dabei sei auch noch einkeineswegs völlig perfektes (nämlich umfassendes, dieἀρ ήansich undinsgesamt ε τ repräsentierendes) Prinzip zuralleinigen Anleitung der Gestaltung verabsolutiert worden41.
sogenannten Generell finden also weder bei Platon noch bei Aristoteles die „ Staatsmänner undGesetzgeber voneinst undjetzt“ ganz unzweideutige undungeteilte Zustimmung42. Sie werden nämlich immer wieder, durchaus auch explizit, danach beurteilt, ob sie ihre jeweilige Polis undderen „ Verfassung“gutundrichtig eingerichtet undgeordnet haben –und das heißt eben: umfassend undbis in alle Einzelheiten, systematisch undin sich selbst ruhend. Dabei werden sie zumindest implizit daran gemessen, wieeine solche Ordnung nachAnsicht vonPlaton bzw. Aristoteles vonvornherein habe aussehen müssen oder inZukunft zugestalten sei. Diezeitgenössischen Realitäten, auch die politischen Ordnungen vonSparta undKreta (von Athen einmal ganz abgesehen), erfüllten ihre Ansprüche bekanntlich jedenfalls kaum–undin denmeisten anderenStädten seien dieGesetze sogar ineinem nachgerade chaotischen Zustand43.
Diese allgemeinen theoretischen Interessen bestimmen bei Platon undAristoteles
auch diebesondere ArtundWeise, indersie imLaufe ihrer Argumentationen mitempi-
rischen Daten undnicht zuletzt mit denvonihnen benutzten historischen Materialien umgehen, die ihre Überlegungen, Hypothesen undFolgerungen stützen, belegen oder auch nurillustrieren sollen. Diese Interessen sind dieGrundlage derKriterien derselek-
stot.Rhet. 1398b16ff.
38 Leg. 691D-692B, vgl. 684B. Siehe dazu imeinzelnen MORROW 1960, 56ff.; 67ff. 39 Aristot.frg. 611, 9ROSE (= Heracl.Lemb.Exc.Pol. 9DILTS). Vgl. dazu TIGERSTEDT 1965, 282; DAVID 1982/1983, 81f.; 84f.; E. HERRMANN-OTTO, Verfassung und Gesellschaft Spartas in der 40. Kritik desAristoteles, Historia 47, 1998, 18– 40 Pol. 1270a4ff., vgl. 1269b12ff; 1270b19f.; 1271a27ff. Vgl. zur Figur des Lykurg bei Aristoteles generell WEIL 1960, 242ff.; TIGERSTEDT 1965, 295f.; DAVID 1982/1983, 84ff.
41 Pol.1271b1ff.; 1333b10– 1334a11 in Anlehnung an Plat.Leg. 626Aff.; 630A-D. 42 Leg. 693A, vgl. 662C; 857C. Siehe dazuTIGERSTEDT 1965, 273. 43 Pol. 1324b5ff. Vgl. dazu WORMUTH 1948, 48. Vgl. zu Platons Kritik am zeitgenössischen Sparta etwa MORROW 1960, 45ff.; TIGERSTEDT 1965, 269ff., jeweils mit Nachweisen. Vgl. zu Aristoteles’Kritik an Sparta v.a. WEIL 1960, 231ff.; TIGERSTEDT 1965, 292ff.; DE LAIX 1974; DAVID 345. 1982/1983, 84ff.; E. SCHÜTRUMPF, Aristotle on Sparta, in: POWELL/HODKINSON 1994, 323– Vgl. zuAristoteles’Kreta-Bild außerdem WEIL 1960, 144ff.; HUXLEY 1971.
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II. Nomotheten –Aisymneten –Nomothesie
tiven Auswahl, der theoriegeleiteten Einordnung, Interpretation undBeurteilung der immer wieder eingestreuten, oft auch ausführlicher referierten Informationen zuzeitgeVerfassungen“ nössischen „ , Gesetzen undGesetzgebungen einerseits undvor allem zu denalten Gesetzgebern, denihnen zugeschriebenen Regelungen undanderen frühen (authentischen oderjedenfalls vonihnen fürauthentisch gehaltenen) Gesetzen undEinrichtungen andererseits. So erwähnt Platon nicht nurganz allgemein eine Vielzahl vongriechischen Poleis undanderen Staaten undspielt dabei aufihre Gesetze, Institutionen undOrdnungen als solche an–vomunteritalischen Lokroi Epizephyrioi etwa stellt er nuren passant fest, daß dessen Gesetze allenthalben als gut galten44. In seine Argumentation fließen auch und(jedenfalls in denNomoi) geradezu zwangsläufig zahllose Einzeldaten ein: In den unterschiedlichsten Zusammenhängen kommt er aufeinzelne, zuweilen sehr spezifische undcharakteristische (oder als charakteristisch geltende) gesellschaftliche Einrichtungen, politische Institutionen, besondere Sitten undRegeln in vielen verschiedenen Poleis wie auch bei Nichtgriechen zu sprechen oder spielt zumindest darauf an–dabei beschränkt er sich keineswegs auf Sparta, Kreta undAthen45. Beispielsweise vergleicht er die spartanische Form derHelotie mitähnlichen Einrichtungen in Herakleia Pontike undThessalien46; er erwähnt die Speisegemeinschaften in Sparta undauf Kreta ebenso wie Syssitien undGymnastik in Boiotien, Milet undThurioi47. Einzelne besondere Sitten bzw. Beschränkungen hinsichtlich desWeingenusses wiederum in Sparta undauf Kreta sowie in Karthago, Persien, Thrakien undanderwärts werden gleich mehrfach diskutiert underwogen48, ebenso wieetwadieRegelungen undGebote hinsichtlich Musik, Tanz, Dichtung undKunst in Sparta undÄgypten, diegerade Platon als zentral für das gesamte System der Erziehung galten49. Zudem enthält Platons Gesamtentwurf einer wohlgeordneten Polis eine ganze Reihe von mehr oder weniger unmittelbar aus demzeitgenössischen positiven Recht übernommenen oder wenigstens davon beeinflußten gesetzesförmlichen Regelungen, Einzelbestimmungen undVerfahren: Nicht zuletzt im Ehe-, Familien-, VormundschaftsundAdoptionsrecht sowie imdamit verbundenen Erbrecht vonPlatons Polis Magnesia finden sich zahlreiche Anklänge an attisches, kretisches undsonstiges griechisches Recht des4. Jahrhunderts50. Dasgilt insbesondere auch fürdie sehr detaillierten Regelungen hinsichtlich des Grundeigentums unddessen Bewirtschaftung –vonderGrenzverrückung, anderen Übergriffen undSchädigungen desNachbarn undihrer Verfolgung bis hinzudenbis inseinzelne geregelten Wasser- undWegerechten51.
44 Leg. 638B, vgl. auch 694A (zu Persien). Siehe dazu MORROW 1960. 45 Vgl. generell MORROW 1960, 40ff. undpassim; A. POWELL, Plato andSparta: modes of rule andof 321 (zu Sparta); non-rational persuasion in the Laws, in: POWELL/HODKINSON 1994, 273– MORROW 1960, 17ff. u.ö.; REBENICH 1998, 357 mit weiteren Nachweisen (zu Kreta); MORROW 1960, 74ff. u.ö. (zuAthen). 46 Leg. 776C-D. 47 Leg. 842B, vgl. 636A-B. 48 Leg. 674A, vgl. 637D-E. 49 Leg. 660D-E, vgl. 656C-E; 657B. 50 Vgl. für die Einzelheiten BECKER 1932 undvor allem GERNET 1951, CIVff.; anders jetzt BRUNT 1993, 269ff. u.ö.
51 Leg. 842E-846A. Vgl. dazu imeinzelnen
KLINGENBERG 1976.
2. Nomothesie bei Platon undAristoteles
41
In ähnlichen Zusammenhängen benutzt Platon, wiegesagt, außerdem „historisches“ Material, also alte (oder vielmehr als alt undauthentisch geltende) Gesetze undkonkrete Einzelmaßnahmen, die dengroßen Gesetzgebern der Frühzeit zugeschrieben wurden undoft in den betreffenden Poleis noch geltendes Recht waren. Dazu gehören etwa Platons detaillierte Vorschriften über die Landlose der5040 Bürger vonMagnesia, die natürlich ein Echo des traditionellen spartanischen Rechts waren52. Seine Einteilung dieser Bürger in vier Vermögensklassen spiegelt hingegen die „ solonische“Ordnung wider53, wie auch das Verbot der Mitgift bzw. die strenge Beschränkung der Aussteuer54. Undauch die sehr genau undenggefaßten Regelungen des Gesetzes über Testamente lehnen sich wohl an die entsprechende Gesetzgebung Solons an55–die weitgehende, ja unumschränkte Freiheit des Erblassers, über sein gesamtes Vermögen testamentarisch zu verfügen, die nach Platon vonanderen „ alten Gesetzgebern“eingeführt worden sei, lehnt er ausdrücklich undvehement ab56. Zumindest eine Regelung scheint er schließlich auch direkt ausjenen Gesetzen übernommen zuhaben, die demCharondaszugeschrieben wurden, nämlich dasGebot derunmittelbaren Zahlung bei Kaufgeschäften undderNichteinklagbarkeit vonKreditgeschäften57. historischen“Daten aus ihrem angeDamit löst Platon diese empirischen oder „ stammten Kontext undstellt sie in einen ganz neuen, systematisch undabstrakt konstruierten Zusammenhang –er benutzt sie als Bausteine in seinem eigenen Gesamtentwurf, genau wie derwahre, also kenntnisreiche underfahrene, vergleichende undvorausschauende Gesetzgeber undArchitekt einer wirklich guten Ordnung in seiner Idealvorstellung. Unddasheißt wiederum: Wannimmer Platon die „ alten Gesetzgeber“bzw. ihre konkreten, historischen Gesetze oder die zeitgenössischen Rechte diskutiert, geschieht dies vor demHintergrund seines eigenen Rasters von Kriterien, Maßstäben und Urteilen imSinne seiner besonderen Vorstellung vonGesetzgebung. Auch bei Aristoteles finden sich in der Masse des empirischen historischen und zeitgenössischen Materials zu „ , politischen Einrichtungen undVerfahVerfassungen“ ren nicht nurdie schon erwähnten (und noch weitere) Anspielungen auf die alten Gesetzgeber undihr Werk derStiftung ganzer Ordnungen. Im Zuge seiner systematischklassifizierenden Analyse der Polis undihrer Typen, derverschiedenen politeiai, ihrer Varianten undderdazu gehörenden mehr oder weniger zweckmäßigen Gesetze kommt er auch immer wieder auf einzelne, ganz spezifische historische Gesetze zusprechen. Wie er diese Daten systematisch behandelt, zeigt das folgende Beispiel: Das angebliche Gesetz des Charondas über die Straflosigkeit derArmen unddie Bestrafung der Reichen bei Nichtteilnahme andenGerichtsversammlungen kannfürAristoteles garnichts anderes sein als eine typisch oligarchische Maßnahme zur Sicherung des faktischen Übergewichts der Reichen58. An anderer Stelle erwähnt er jene Maßnahmen zur Beschränkung des Umfangs von individuellem Landbesitz und zur Erhaltung der ur52 53 54 55 56 57
Leg. 740Aff; 741B-C. Vgl. dazu BECKER 1932, 130ff. BECKER 1932, 126. Leg. 742C; 774C-D. Vgl. dazu BECKER 1932, 106ff.; 109f. Leg. 923C-924A. Vgl. BECKER 1932, 263ff., bes. 264; 274.
Leg. 922E. Leg. 849E-850A; 915D-E; Theophr. frg. 21HAGER = 97WIMMER = 21SZEGEDY-MASZAK (= Stob. 4,2,20HENSE). Siehe dazuetwa SZEGEDY-MASZAK 1981, 72. 58 Pol. 1297a21ff, vgl. 14ff.; 34f.
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II. Nomotheten –Aisymneten –Nomothesie
sprünglichen kleroi durch Veräußerungsverbote bzw. -beschränkungen, die etwa Solon (und auch anderen Gesetzgebern) zugeschrieben worden seien unddie nach seiner Darstellung etwa auch in Lokroi undLeukas gegolten hätten59 –sie dienen demabstrakten
Zweck derVereinheitlichung undFestigung derBürgerschaft durch die Sicherung einer etwagleichen Grundausstattung aller Bürger. Natürlich werden diese empirischen Daten nicht wirklich „ historisch“genommen, etwa als möglichst vollständig undunvoreingenommen zusammelnde, für sich zubeurteilende unddann erst zuordnende Gruppe vonMaterialien undInformationen. Wie konkrete Daten beiAristoteles generell dienen sie vielmehr als Illustrationen undselektiv ausgewählte Beispiele zurStützung dertheoretischen Analyse undabstrakten Konstruktion, also gewissermaßen der Auffüllung eines bereits philosophisch undsystematisch strukturierten unddadurch vorgeformten Rasters vonKategorien undKlassifikationen –unddabei liefert die theoretisch-systematische Analyse selbst eben nicht nur dieMaßstäbe derallgemeinen Klassifizierung undBeurteilung, sondern bestimmt sogar von vornherein die Kriterien derAuswahl des Materials. Das bedeutet zugleich, daß historische Gesetze tendenziell immer nuralsfunktionale Teile in einer gewissermaßen objektiv zusammenhängenden Struktur wahrgenommen werden (können) –eben wiederum als Bausteine des geordneten oder zu ordnenden Gesamtsystems der „ Verfassung“ , der ganzen κοινω ν ία ήund(wie in den erwähnten Beispielen) ihres π ο λ ιτ ικ ökonomisch-institutionellen Fundaments60. Erst vordiesem Hintergrund werden auchAristoteles’selektive Auswahl deshistorischen Materials undseine Anordnung undInterpretation in dembereits erwähnten Abschnitt derPolitik über die frühen Gesetzgeber verständlich61. Dort unterscheidet er bekanntlich zwischen bloßen Gesetzgebern (ν μ ο θ έ τ ο α ι und denjenigen, die „nur“ γ ιο ρ ο υ ίgewesen seien) einerseits unddenwenigen wirklichen Stiftern und μ ω νδημ ν ό Schöpfern von „ Verfassungen“(δ γ μ ο ιο ρ ὶπ η υ ο λ ιτεία ς ) andererseits –hier nennt er überhaupt nur Solon undLykurg62. Zuder ersten Gruppe zählt er ausdrücklich Pittakos, den Gesetzgeber und„Aisymneten“vonMytilene63, ferner offenbar denBakchiaden Philolaos, derGesetze für Theben erlassen haben soll, Androdamas vonRhegion, Gesetzgeber derChalkidiker in Thrakien, undanscheinend auch densagenhaften Onomakritos aus Lokroi64 sowie schließlich denAthener Drakon undZaleukos undsogar Charondas, dieGesetzgeber imepizephyrischen Lokroi bzw. in Katane undanderen chalkidischen Städten Süditaliens undSiziliens65 –an anderer Stelle bezeichnet er Charondas dagegen als einen derbesten Gesetzgeber undnennt ihnin einem Atemzug mit Solon
undLykurg66. 59 Pol. 1266b14ff; 1319a10ff. Vgl. dazu DAVID 1982/1983, 82ff. 60 Pol. 1266b15, vgl. a36ff.; b1ff. 1274b28. Vgl. dazu generell NEWMAN 1887, 372ff.; SCHÜTRUMPF 1991b, 362ff. 61 Pol. 1273b30– RUSCHENBUSCH 1983, 321ff., zieht die Möglichkeit einer Selektion gar nicht erst in Erwägung, undauch OSBORNE 1987, 76ff., wird demnicht gerecht: Aristoteles’Erkenntnis- undSystematisierungsinteressen spielen keine Rolle.
γ ό ; ferner zuletzt ς ρ ιο υ 62 Pol. 1273b32ff. vgl. 1274b18f. Vgl. CLASSEN 1962 zum Konzept des δημ JOHNSON 1990, 94ff.; 139f. Anm.41. 63 Pol. 1274b18ff., vgl. 1285a30ff.; a35ff. 64 Pol. 1274a25ff.; a31ff.; b23ff. 65 Pol. 1274a22ff.; b15ff. 66 Pol. 1296a18ff.
2. Nomothesie bei Platon undAristoteles
43
In diesem systematischen Zusammenhang einer grundsätzlichen undallgemeinen Diskussion der alten Gesetzgeber hat er weder an diesen Figuren noch an den ihnen zugeschriebenen konkreten Gesetzen mehr als nurein sehr mäßiges „ historisches“Interesse. Er betont vielmehr, daßdie Gesetze desAndrodamas über denTotschlag und das Epiklerat unddie meisten Gesetze des Charondas eigentlich nicht sonderlich bemerkenswert seien –die letzteren fielen allenfalls noch durch ihre genauere undschärfere Formulierung auf, durch die sie den„modernen“Gesetzen überlegen gewesen seien67. Aus einem ähnlichen Grund findet Aristoteles auch Drakon undseine Gesetzgebung kaum interessant; denn der habe seine Gesetze, die sich durch nichts weiter als durch ihre Strenge ausgezeichnet hätten, ja bloß in eine bereits bestehende politeia eingefügt68. In einer eingeschobenen Passage derAthenaion politeia –die ja, wenn schon nicht von ihmselbst, so doch ausseiner Schule stammt –wird Drakon dann allerdings doch zumStifter einer umfassenden Ordnung69. Daslegt denVerdacht nahe, daßweder die systematische Einteilung der„Gesetzgeber“und„Verfassungsstifter“noch dasallgemeine Wissen unddie historischen Daten zudiesen altehrwürdigen Figuren undihrem Werk, auf denen ihre jeweilige Zuweisung zu der einen oder anderen Kategorie beruhten, festgestanden zuhaben scheinen. Überhaupt nennt Aristoteles bei einigen dieser Gesetzgeber nurjenes einzelne konkrete Gesetz, das er in dessen jeweiliger Gesetzgebung für besonders spezifisch und eigen“(ἴδιο „ ) hielt70 (wobei seine Kriterien der „Eigentümlichkeit“nicht explizit ν deutlich gemacht werden) –dazu gehören etwa die sogenannten ν μ ο ιθ ίdes ο ε τικ ό Philolaos, das heißt über Adoption und Landlose, das Gesetz des Charondas über falsche Zeugenaussage undderen Anfechtung71 unddie Maßregel des Pittakos über Strafverschärfung wegen Trunkenheit72. Es scheint so, als obAristoteles in diesem Zusammenhang deswegen wenig Bemerkenswertes andiesen „ Nomotheten“fand, weil ihre Gesetze zwar irgendwie spezifisch, charakteristisch und neu, vielleicht auch notwendig undsogar unverzichtbar für die Ordnung derPolis sein mochten. Aber solche konkreten Gesetze sind nicht das, wasihn wirklich interessiert; denn sie sind eben nicht diese Ordnung selbst –die nomoi sind keinesfalls mit der politeia identisch73. Dieses Konzept bezeichnet ja die Ordnung (τ ά ξ ις ) derPolis, derBürgerschaft undihrer Institutionen als in sich zusammenhängendes undstrukturiertes Ganzes undschließt dabei auch die verbindliche Definition des herrschenden Elements (κ ρ ιο ύ ν ) unddasZiel (τ ο έ λ ς ) dieser Gemeinschaft ein74. Eine solche Ordnung als ganze zustiften undeinzurichten istja dieAufgabe deswahren po-
67 68 69 70 71 72 73
Pol. 1274b5ff. Pol. 1274b15ff.
[Aristot.] Ath.Pol. 4,1ff.; 41,2. Vgl. dazu RHODES 1981; CHAMBERS 1990 adlocum. Pol. 1274b4ff.; b19f. Vgl. NEWMAN 1887, 381f. Pol. 1274b2ff.; b5ff. Pol. 1274b19ff., vgl. EN 1113b30ff.; Rhet. 1402b9ff. Vgl. zu dieser Unterscheidung etwa Pol. 1273b32ff.; 1289a15ff., ferner EN 1181b12ff.; Pol. 1265a1f.; 1274b15f. 74 Vgl. Pol.1289a15ff., sowie 1270b21f.; 1274b38; 1278b8ff.; 1290a7ff.
II. Nomotheten –Aisymneten –Nomothesie
44
litikos undnomothetes75– unddie haben, wie gesagt, für Aristoteles eben nurSolon und Lykurg jemals imstrengen Sinne wirklich erfüllt76. Gemessen an diesem hohen Anspruch lassen alle anderen „ Gesetzgeber“für Aristoteles die konzentrierte, konsequente undumfassende Neuordnung ihrer jeweiligen Polis vermissen. Er konnte offenbar hinter deren Gesetzen, auch wenn sie noch so detailliert, genau formuliert undvielfältig waren undweite Bereiche desbürgerlichen und politischen Lebens zuregeln schienen, kein systematisches Konzept einer umfassenden Stiftung bzw. Neuordnung dereigentlichen „ Verfassung“erkennen. Bezeichnenderweise ist für seinen Geschmack selbst in Platons großem Entwurf eines „Gesetzesstaates“ allzuviel von bloßen nomoi undbei weitem nicht genug vondereigentlichen politeia von Magnesia die Rede77. Dieses Urteil ist ebenso wie die Einteilung derfrühen Gesetzgeber in die erwähnten zwei Kategorien offensichtlich das unmittelbare Resultat vonAristoteles’eigenen theoretisch-abstrakten Überlegungen: Daseine wiedasandere ist zugleich Ergebnis undnotwendige Folge seiner Analyse mitihren besonderen Voraussetzungen undsystematischen bzw. systematisierenden Kategorien.
3. Der Nomothet in der Tradition:
Quellen undtypische Motive
Diese schlichte Tatsache führt direkt zueiner im Zusammenhang dieser Untersuchung wichtigen Schlußfolgerung: Die Quellen, die Aristoteles undPlaton vorlagen und auf denen auch die katalogartige Zusammenstellung dereinzelnen namentlich erwähnten „Nomotheten“undder ihnen zugeschriebenen Gesetze im aristotelischen Exkurs über die Gesetzgeber beruht haben muß, scheinen keineswegs durchweg undunisono behauptet (bzw. auch nursuggeriert) zuhaben, daßdie „ Nomothesie“derFrühzeit immerin erster Linie eine umfassende Setzung undsystematische Reorganisation derganzenpoliteia bedeutet habe –oder bedeuten mußte, umdiese Bezeichnung wirklich zu verdienen. Dabei konnten Platon undAristoteles anscheinend nicht nur auf bloße Gesetzbücher“zurückgreifen1. Invielen Sammlungen vonnomoi undsogar regelrechte „ einschlägigen Abschnitten ihrer Werke setzen die beiden ja auch bereits die Existenz einer sehr differenzierten undauf mannigfache Weise ausgestalteten historischen und biographischen Tradition über diefrühen Gesetzgeber voraus. In demerwähnten Exkurs ) ς έ ιν etwa wird das direkt in der Polemik gegen diejenigen ungenannten Autoren (τ deutlich, die eine ununterbrochene Abfolge vonGesetzgebern konstruiert hätten. Diese Reihe habe mitOnomakritos vonLokroi begonnen, derallerdings seinerseits schon sein nomothetisches Handwerk auf Kreta gelernt haben soll, undhabe über seinen Gefährten, denKreter Thaletas, dessen Schüler Lykurg undZaleukos bis hinzuCharondas, der angeblich wiederum als Schüler des letzteren galt, gereicht2. Diese Bemerkung spielt aufmehrere verschiedene, allerdings engmiteinander ve rbundene Aspekte eines sehr vielschichtigen Geflechts vonMythen, Topoi undLegen) Tradidenan, dasdie historische (bzw. eher pseudo-historische oder „historisierende“ 75 Pol. 1274b36ff. 76 Pol. 1273b30ff. 77 Pol. 1265a1ff.
1
2
Vgl. dazu Plat.Leg. 858B, ferner 843E-844A; Aristot. gewisse Sophisten (vgl. Isokr. 15,80ff.): EN 1181a12ff. Pol. 1274a25ff.
EN 1181b7ff., sowie seine Polemik gegen
3. DerNomothet in derTradition
45
tion offensichtlich schon im 4. Jahrhundert umdie undmit den frühen Gesetzgebern aufgebaut hatte3. Erstens wurden fast alle großen Gesetzgeber derFrühzeit, insbesondere Lykurg undSolon, Zaleukos undCharondas, auf die eine oder andere Art mit einer Biographie“ausgestattet. Dabei wurden sie oft zugleich auch noch in eine „intellektu„ elle Genealogie“von Philosophen, Weisen undGesetzgebern gestellt4. Dazu gehört etwa die mindestens schon auf Ephoros zurückgehende Tradition, daß Lykurg nicht nur
mit Thaletas (bzw. Thales) von Kreta,
sondern sogar
mit Homer persönlich bekannt
war5–unddieser Thaletas soll seinerseits ja selbst derUrheber vieler spezieller ν μ α ιμ ό der Kreter gewesen sein6. Solon etwa unterhielt angeblich persönliche Kontakte mit Thales (von Milet)7, mit demskythischen Weisen Anacharsis, demzumindest später bezeichnenderweise ein Werk über die ν αder Skythen wie der Griechen zugeμ ιμ ό schrieben wurde8, undnicht zuletzt mitdemSeher Epimenides, wiederum einem Kreter, derihmauch noch bei seiner Gesetzgebung tatkräftig geholfen haben soll9. Einige Zeit später galten bekanntlich Zaleukos undCharondas sogar als Schüler des Pythagoras10, der mit der Zeit seinerseits ebenfalls zu einem bedeutenden Nomotheten aufsteigen sollte11.
DasMotiv derweitreichenden persönlichen Kontakte derGesetzgeber ist miteinem anderen Topos derTradition untrennbar verbunden, derals weiteres Standardmotiv eineridealtypischen Gesetzgeberbiographie zugelten hat: Bevor sie Nomotheten werden, sammeln die späteren Gesetzgeber reiche Erfahrungen aller Artunderwerben insbesondere Kenntnisse der Sitten undGesetze anderer Städte undfremder Völker, zumeist durch ausgedehnte Reisen12, auf denen sie ja auch ihre persönlichen Kontakte knüpfen. So soll Lykurg –nach einer Tradition, die bereits Herodot bekannt warunddie Aristo3 4
5 6 7 8 9 10
11 12
Vgl. dazu generell –allerdings mit einigen Unterschieden in der Einzelinterpretation:
ADCOCK
1927; SZEGEDY-MASZAK 1978; PICCIRILLI 1984, 1031ff.; CAMASSA 1988, 154f.; SEALEY 1994, 25ff.; OGDEN 1997,124f. Vgl. auchTIMPE 1980, 68ff. zuMoses als Gesetzgeber. Vgl. etwa VONFRITZ 1967, 2299; SZEGEDY-MASZAK 1978, 202f. Vgl. zu den Wurzeln und der Zeugnisse bei SNELL 1938 –etwa die kritische Sieben Weisen“– Entfaltung derTradition über die „ Analyse von FEHLING 1985, sowie NAFISSI 1991, 130ff.; RÖSLER 1991, 358ff.; MARTIN 1993 1007 (S. 112ff.), mit Kritik an und zuletzt J. BOLLANSÉE, in: SCHEPENS et al. 1998, Nr. 1005– FEHLING und weiteren Nachweisen. Vgl. zum persönlichen Kontakt, zum Lehrer-Schüler-
Verhältnis undzuallgemeinen chronologischen Zusammenhängen als typischen Motiven in antiken Biographien generell FAIRWEATHER 1974, 261ff.; 1983, 321ff. undpassim; FEHLING 1985, allerdings mit zuweilen eigenwilliger Argumentation. Vgl. zur Problematik der antiken (politischen) Biographie generell außerdem MOMIGLIANO 1971; GEIGER 1985, 9ff.; 30ff.; G. SCHEPENS, in: SCHEPENS et al. 1998, VIIff., jeweils mitweiteren Nachweisen. FGrHist 70 F 140 (= Strab. 10,4,19); Plut.Lyk. 1,2; vgl. auch Lyk. 4,1f. (zuThales). Ephoros, FGrHist 70 F 149 (= Strab. 10,4,16). Plut.Solon 5,1; 6,1ff. 102; Plut.Solon 5,1ff. Diog.Laert. 1,101– Plut.Solon 12,4. Vgl. etwa Diod. 12,20,1; Suda s.v. Ζ ο κ ά λ ε υ ς(zu Zaleukos); Aristoxenos frg. 43WEHRLI (= Diog.Laert. 8,16); frg. 17WEHRLI (= Porphyr.vita Pyth. 21; vgl. Iambl.vita Pyth. 33f.), sowie Iambl.vita Pyth. 104; 130; 172; 267; Sen.epist. 90,6 (zu Zaleukos undCharondas); s. dazu etwa PUGLIESE CARRATELLI 1987, 99ff. Aristoxenos frg. 17WEHRLI; Iambl.vita Pyth. 25; Diog.Laert. 8,3; Porphyr.vita Pyth. 21; Cic.Tusc. 5,10. Vgl. dazu VONFRITZ 1940, 18ff. Vgl. zu diesem Motiv etwa BONNER/SMITH 1930, 73; SZEGEDY-MASZAK 1978, 202; RIHLL 1989, 280f., sowie allgemein FAIRWEATHER 1974, 268.
46
II. Nomotheten –Aisymneten –Nomothesie
teles wiederum zu akzeptieren bereit war–nach Kreta gekommen sein13; außerdem wurden ihmReisen nachÄgypten14, insionische Kleinasien undsogar bis nach Indien15 zugeschrieben. Auch Solon sei in seiner Jugend viel gereist, vor allem wiederum nach Ägypten16, dasnach der(späteren) Tradition schon frühbekannt warfürsein Recht und füreine beeindruckende Reihe königlicher Gesetzgeber17. DasPotential anKombinationsmöglichkeiten war damit noch längst nicht ausgeschöpft: Später wurden solche Bildungsreisen nach Ägypten etwa auch Thales (von Milet)18 und natürlich Pythagoras zugeschrieben, der zudem noch in Kreta gewesen sein soll, wo er seinerseits denerwähnten Seher Epimenides getroffen habe19. Diese Kombination vonweiten Reisen undpersönlichen Kontakten mitallenthalben bekannten undverehrten Weisen, Poeten undPhilosophen sollte natürlich vor allem suggerieren, daß die zukünftigen großen Gesetzgeber in ganz besonderem Maße über Weisheit, Kenntnisse undvielfältige Einsichten unddamit über einbesonderes, nomothetisch wertvolles Wissen verfügten, das dann in ihre Gesetzgebungen einfließen konnte20. So galt nach Ephoros die Gesetzgebung des Zaleukos für Lokroi Epizephyrioi, dasdamit als erste Polis überhaupt schriftliche Gesetze erhalten haben soll, als Zusammenstellung verschiedener (offenbar noch älterer) kretischer, lakonischer und„areopa21. Charondas, der gerade wegen seiner Bildung besonders geachtet gitischer“ν α μ ιμ ό gewesen sei, gabseine Gesetze erst nachsorgfältiger Prüfung vieler anderer ν μ ι ο θ ο ία ε σ –so jedenfalls Diodor in seinem Bericht über die Gründung von Thurioi, dessen Gesetzgebung er demCharondas zuschreibt22. Übrigens scheint Diodor an anderer Stelle dann sogar anzudeuten, daß Charondas ein ganz konkretes Gesetz, nämlich dasjenige über das Epiklerat, von Solon übernommen habe23. Es ist nicht sehr überraschend, daßdiese Traditionen keineswegs allgemein unstrittig undgewissermaßen kanonisiert waren –im Gegenteil: Isokrates konnte beispielsweise behaupten, daßnatürlich Athen dieerste Polis mitgeschriebenen Gesetzen gewesen sei, also eben nicht Lokroi, unddaßauch Lykurg seine Gesetzgebung ausAthen übernommen habe24. Schon nach Herodot glaubten die Spartaner selbst allerdings, daß ihrgroßer Gesetzgeber seine Neuordnung desKosmos unddieErrichtung derEunomie
13 Ephoros, FGrHist 70 F 149 (= Strab. 10,4,19); Hdt. 1,65; Aristot.Pol. 1271b20ff. Vgl. dazu TIGERSTEDT 1965, 296; PERLMAN 1992, 199ff. 14 Diod. 1,96,2, wohl nach Hekataios vonAbdera (FGrHist 264 F 25). 15 Siehe generell Plut.Lyk. 4,1ff.; vgl. zu der Indienreise Aristokrates, FGrHist 591 F 2 (= Plut.Lyk.
4,6).
16 Plut.Solon 2,1; vgl. zu der Ägypten-Reise Diod. 1,96,2, wiederum nach Hekataios von Abdera (FGrHist 264 F 25). 95,6 17 Diod. 1,94,1– 18 Diog.Laert. 1,27. 19 Diog.Laert. 8,3. 20 Vgl. dazugenerell SZEGEDY-MASZAK 1978, 203; RÖSLER 1991, 362ff. 21 Ephoros, FGrHist 70 F 139 (= Strab. 6,1,8); vgl. F 138b (= Ps.-Skymn. 314f., GGMI, S.209).
4. 22 12,11,3– 23
12,18,3. Vgl. SZEGEDY-MASZAK 1978, 204 mit Anm.27.
155. 24 4,39; 12,152–
3. DerNomothet inderTradition
47
durchweg aus Kreta übernommen habe25 –undauch dieser Traditionsstrang wird bei Aristoteles bereits vorausgesetzt, wennnicht sogar als historisch akzeptiert26. Das bedeutet zugleich, daßAristoteles, ebenso wie Platon, nicht nurdie zweifellos recht alte Tradition 27von der Entstehung von Gesetzgebung überhaupt bzw. der „ Erfindung“der schriftlichen Aufzeichnung von Gesetzen in Kreta kannte28. Sie spielen auch bereits auf einen Mythos an, derzumindest in der späteren Überlieferung noch vielschichtiger undteilweise widersprüchlich werden sollte29: Danach wardersagenhafte König Minos dererste Stifter einer politeia undfrüheste Gesetzgeber vonKreta30 –was allerdings auch nicht vonAnfang an die kanonisierte Traditionsvariante war. Denn nach einem anderen Überlieferungsstrang kommt die besondere Ehre, zuerst nomima gegeben, synoikismoi veranlaßt undpoliteiai gestiftet zuhaben, einem noch früheren Nomotheten namens Rhadamanthys zu, demMinos dann nurnachgeeifert habe31 –dieser noch ältere Gesetzgeber wird dann allerdings wiederum mit demZeus-Sohn undBruder des Minos, dembesonders gerechten Richter Rhadamanthys verwechselt32. Wie demauch sei: Schon um400 scheint Charon vonLampsakos die angeblichen Gesetze des Minos ziemlich ausführlich behandelt zu haben33–und Minos war in der späteren Tradition zweifellos diezentrale Figur derfrühesten Gesetzgebung34. Aufdiese Weise, nämlich als Imitationen bzw. Kombinationen noch älterer, ja bis andenmythischen Anfang der „ Geschichte“von Hellas zurückreichender Gesetze, die der Gesetzgeber als seit unvordenklichen Zeiten bewahrt unddaher besonders gut erkannt hatte, gewannen diese Gesetzgebungswerke undfundamentalen Ordnungsstiftungen eine überzeitliche Geltung undBindungswirkung bis in dieGegenwart unddamit einen besonderen Anspruch auf Respekt undLegitimität35. Diese Tradition mitallen ihren Varianten unddiedahinter stehende Vorstellung der besonderen Legitimierung desNomotheten undseines Werkes sind wiederum mitdem weiteren Standardmotiv der göttlichen Inspiration der frühen Gesetzgeber oder der
25 Hdt. 1,65; Ephoros, FGrHist 70 F 149 (= Strab. 10,4,17f.)- hier wird deutlich, daß es auch eine Theorie“der Übernahme derkretischen Gesetze in Sparta, also in umgekehrter Richtung, gegeben „ zu haben scheint. Vgl. außerdem [Plat.] Minos 318C-D; Poseidonios, FGrHist 87 F 70 (= Strab. 16,2,38); Paus. 3,2,4.
26 Pol. 1271b20ff. 27 Archilochos bei Herakl.Lembos Exc.polit. 14DILTS (= [Herakl.Pont.], FHGII, S. 211). 28 Vgl. [Plat.] Minos 318C-D; Aristot.Pol. 1271b20ff.; 1274a25ff.; Plut.Lyk. 4,1ff. und bereits Hdt. 1,65,4. Vgl. dazuallgemein undzuAristoteles imbesonderen HUXLEY 1971. 29 Vgl. dazu generell POLAND 1932, 1902ff.; MORROW 1960, 23f.; 38f.; PERLMAN 1992, 199; GEHRKE 1997, 64, vgl. 60ff. ν νπ ία ο λ ιτε ὴ τικ η ρ 30 Herakl.Lembos Exc.Polit. 14DILTS (= [Herakl.Pont.], FHG II, S.211): τ νΚ ὴ . ν ο ς ε ῖο ςγενόμ η α ςσπ ο υ δ ῆ σ α ιΜ α ὶνομοθέτ κ ο μ ρ τ τα ίν ρ τικ ῶ κ α τ α σ ω ,π ό γ ςκα ε α εἅ τ ιπ ς ςτ λ έ 31 Ephoros, FGrHist 70 F 147 (= Strab. 10,4,8); F 149 (= Strab. 10,4,19); Nicol.Dam., FGrHist 90 F 103aa (= Stob. 4,2HENSE). 32 Diod. 4,60,3. 33 FGrHist 262 T 1 (= Suda s.v. Χάρω ν ). 34 Vgl. nur Plat.Leg. 624A-B; 630D; [Plat.] Minos 320A; 321B; Aristot.Pol. 1271b31ff., sowie 1329b1ff. Vgl. noch Strab. 16,2,38; Paus. 3,2,4; Diod. 5,78,3; Dion.Hal.ant. 2,61,2; Cic.rep. 2,2; Tac.ann. 3,26; Theodoret.Graec.affect.cur. 9,7. Siehe außerdem Ephoros, FGrHist 70 F 147 (= Strab. 10,4,8); F 149 (= Strab. 10,4,19), wo Minos immerhin als Nachfolger undNachahmer des Rhadaο manthys wirkt. Welche der beiden Figuren der in F 149 (= Strab. 10,4,16ff.) vorausgesetzte ν μ ο θ η έ τ ςist, scheint mirnicht ganz eindeutig zusein. 35 Vgl. auch SZEGEDY-MASZAK 1978, 203.
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II. Nomotheten –Aisymneten –Nomothesie
göttlichen Herkunft ihrer Gesetze verbunden, dasebenfalls bereits vonEphoros, Platon undAristoteles vorausgesetzt bzw. explizit erwähnt wird36. So waretwaZeus derStifter bzw. Inspirator der Gesetze des Rhadamanthys37 bzw. des Minos38 –beide galten ja bereits in den Epen als seine Söhne39. Lykurg stand bekanntlich mit Delphi in enger Verbindung undsoll seine Gesetze vonApollo erhalten haben40. Undnach einer Variante der Überlieferung, die auch schon in deraristotelischen „ Politeia derLokrer“berichtet wird, warZaleukos ein Hirte, demAthene imTraum die Gesetzgebung für Lo-
kroi aufgab41.
Daran zeigt sich zugleich, daßsich mitdenBiographien derGesetzgeber je nach literarischem Zusammenhang –oder auch nach philosophisch-systematischen Notwendigkeiten –dieunterschiedlichsten Motive verbinden ließen: Während Zaleukos in dem erwähnten, bei Aristoteles vorausgesetzten Traditionsstrang also Hirte undsogar Sklave war42, warer nach Diodor (bzw. seiner „ pythagoreischen“Quelle) vonadeliger Abkunft undangesehen wegen seiner Erziehung –eben einSchüler desPythagoras43. Aristoteles selbst hatte in anderem Zusammenhang –unddasheißt auch hier: ganz imSinne seiner theoretischen Voraussetzungen undphilosophischen Zielsetzungen –wiederum behauptet, daßdie besten Nomotheten aus derGruppe der „ mittleren“Bürger gestammt hätten. Dazurechnete er nicht nurSolon, Lykurg (weil er kein König war) undCharondas, sondern überhaupt fast alle frühen Gesetzgeber44. Darin spiegelt sich das Grundmotiv, daßdie eigentliche Funktion derGesetzgeber imdauerhaften Ausgleich derGegensätze in der Polis besteht –er mußin der „ Mitte“stehen, zwischen undüber den Parteien, umin seiner unddurch seine Person denAusgleich unddie schließliche Befriedung derBürgerschaft zugleich bewerkstelligen undrepräsentieren zukönnen45.
Das entspricht wiederum demin derTradition regelmäßig vorausgesetzten Anlaß der Berufung eines Gesetzgebers: Es ist nicht so sehr eine konkrete, völlig verfahren undausweglos erscheinende Konstellation vonGegensätzen, sondern eher eine relativ 36 Vgl. generell Clem.Alex.strom. 1,170,3 zu Minos undLykurg. Siehe ferner 37
Plut.Numa 4,7. Vgl. dazu SZEGEDY-MASZAK 1978, 204f. Ephoros, FGrHist 70 F 147 (= Strab. 10,4,8); F 149 (= Strab. 10,4,19); F 174 (= Clem.Alex.strom.
1,170,3).
38 Ephoros, ebda.; Plat.Leg. 624A-B; 632D; vgl. [Plat.] Minos 319C; Chamaileon frg. 13WEHRLI (= Clem.Alex.strom. 1,170,3); Poseidonios, FGrHist 87 F 70 (= Strab. 16,2,38); Dion.Hal.ant. 2,61,2; Plut.Numa 4,7; Val.Max. 1,2 ext.4 usw. 39 Il. 14, 321f. 40 Plat.Leg. 624A; 632D; Aristot.frg. 535ROSE (= Clem.Alex.strom. 1,170,3); Ephoros, FGrHist 70 F 149 (= Strab. 10,4,19); F 174 (= Clem.Alex.strom. 1,170,3), vgl. F 118 (= Strab. 8,5,5). Siehe schon Hdt. 1,65, sowie (allerdings ablehnend) Xen.Lak.Pol. 8,5, ferner Polyb. 10,2,8ff.; Poseidonios, FGrHist 87 F 70 (= Strab. 16,2,38) unddazu WALBANK 1967 zu Polyb. 9,2,9 mit weiteren Nachweisen; Cic.nat.deor. 3,91; Dion.Hal.ant. 2,61,2; Val. Max. 1,2,ext.3; Plut.Lyk. 5,3; 6,1 usw.; Numa 4,7f.; Comp.Lyc.et Numa 1. 41 Aristot. frg. 548ROSE (= Schol.in Pind.Olymp. 11,17; Clem.Alex.strom. 1,170,3): Chamaileon frg. 13WEHRLI (= Clem.Alex.ebda.). Vgl. auch Plut. Numa 4,7; mor. 543A; Val.Max. 1,2 ext.4; Theodoret.Graec.affect.cur. 9,9. Vgl. dazu CAMASSA 1986; 1988, 135ff., auf dessen mythengeschichtlicheund-vergleichende Überlegungen hier nurhingewiesen werden kann. 42 Aristot.frg. 548ROSE (= Schol.in Pind.Olymp. 11,17). 43 Diod. 12,20,1. 44 Pol. 1296a18ff. 45 Vgl. SZEGEDY-MASZAK 1978, 199ff.
3. DerNomothet inderTradition
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abstrakte Vorstellung. Diese besteht darin, daßdie Polis eigentlich noch gar keine ist; denn sie befindet sich in einem im wahrsten Sinne des Begriffs „vorpolitischen“Zu46.Daszugrundeliegende Motiv desFortstand dervölligen Gesetzlosigkeit, derἀ μ ία ο ν schritts der Gemeinschaft vonderAnomie zurHerrschaft derGesetze (und damit zur Polis) findet sich schon bei demSophisten Kritias47, beim Anonymus Iamblichi48 und dann etwa auch bei Isokrates49. Undin verschiedenen Zusammenhängen wird bereits bei Herodot mehrfach eine lineare Entwicklung voneiner solchen unerträglichen Aus-
gangslage hinzueiner besseren, höheren, gerechten undwirklich gesetzlich geordneten Organisation des Gemeinwesens vorausgesetzt, die notwendig undgradlinig über die Zwischenstufe der Einsetzung eines weisen undgerechten Richters bzw. eines Ordnungsstifters undGesetzgebers verläuft. So seien die Lakedaimonier zunächst diejenigen mit den schlechtesten Gesetzen von allen Griechen (κ ν ω τ ν ά μ ώ τα τ ο ι... π α κ ο ν ο ) gewesen –erst durch Lykurg undsein Werk sei ihre vorbildliche unddauerή ν ω ν Ἑ λ λ hafte Ordnung, die allenthalben bewunderte ε μ ίηbegründet worden50. Nicht viel ν ὐ ο anders war nach Herodot ursprünglich die Lage bei den Medern: Dort herrschte eine unerträgliche allgemeine „ Gesetzlosigkeit“(ἀ ), dienurdurch dieEinsetzung eines μ ίη ν ο weisen undgerechten Richters gemildert werden konnte –allerdings nutzte Deiokes, dersich in dieser Rolle zubewähren wußte, sein überragendes Ansehen undseine Unersetzlichkeit raffiniert undvonvornherein absichtsvoll dazu aus, dieAlleinherrschaft bei denMedern zubegründen undihren kosmos dementsprechend mitallen möglichen Regeln undVorschriften einzurichten, wobei er bezeichnenderweise wiederum ganz besonders auf die strenge Rechtlichkeit der Prozesse geachtet haben soll51. Nachdem schließlich die„ Anomie“ , zuderen Wesen als gesetzlosem Zustand geradezu notwendig die absolute Instabilität undpermanente Unsicherheit der gesamten Verhältnisse in der Polis gehören, durch die „ Eunomie“dervomGesetzgeber errichteten Ordnung überwunden ist, mußdieser ihr nurnoch jene Dauerhaftigkeit verleihen, die sie erst wirklich als neue undgute Ordnung vollendet. Denn dabei wird selbstverständlich vorausgesetzt, daßeine echte undgewissermaßen unteilbare „ Eunomie“durch Änderungen undErgänzungen gar nicht mehr verbessert werden kann; ihre Dauer und unerschütterliche Festigkeit ist sogar ein unverzichtbarer Bestandteil einer wirklich vollendeten „ Eunomie“ . Daher läßt Lykurg Könige und Geronten und schließlich alle Bürger schwören, bis zu seiner Rückkehr von einer erneuten Reise zumOrakel von Delphi nurja nichts andervonihmerrichteten politeia zuändern –unddann kehrte er nicht zurück, so daßdie einmal errichtete Ordnung unangetastet bleiben mußte52. Auch 46
KLEINGÜNTHER 1933, 124f. Vgl. SZEGEDY-MASZAK 1978, 201ff.; PICCIRILLI 1984, 1031ff.
47 FVS 88 B 25 (= Sext.Emp. 9,54). Vgl. auch OSTWALD 1969, 51. 48 FVS 89,6,1ff. Vgl. dazu etwa KLEINGÜNTHER 1933, 106; DREHER 1983, 25ff.; 61ff., dessen Ar-
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50
gumentationsweise allerdings etwas undurchsichtig ist. Isokr. 4,39: π ρ α β α λ α ο ῦ ὶ σ ρτο α αγ ὰ ν ,κ η ὺ α ω ςἝ ςἀνόμ ς νοἰκοῦντα λ λ η ςζῶ δ τ ά ν ρ α ςκ α ὶσπ ο ν τ ο ῶ ὺ ὲ νὑ ντ ω ςμ π ὸδυναστειῶ τ α ὶτού ,κ , το υ ο υ ν ὺ μ έ ς νὑβριζομένο ς νἀπ ςδ ι᾽ἀναρχ ο λ λ ὲδ ία υ η τ ώ κ α α κ σ ·πρ σ α , το ῶ να η ή μ λ α π μ ιή ὐ τ λ ο έ γ ν ν ο ὺ ῖςδ ρ ε α ο νκυ ία μ ὲ ά δειγ ςἀπ ,τ ρ ν ξ ὴ ν ν α π ε ῶ τ ᾽αὑ γ ὰ ρκ α ὶνόμ ο υ ςἔθ ε τ οκ σ . α α τ ο ὶπ τε α κ ο ν λ ιτ ία τή ε σ Hdt. 1,65,2, vgl. 65,4f.; Thuk. 1,18,1; vgl. auch Aristot.Pol. 1306a37-b2, sowie Plut.Lyk. 2,5, woν μ nach vor Lykurg ἀ ο ία η νἐ κ . Vgl. auch MEYER α ν ο π ὶἀ ὶπ ρ τ ο τ α νχρόν λ ὺ ά νΣ π ὴ ξ ία κ α τέ ετ σ χ
1892a, 277. 51 Hdt. 1,96,1– 100,2. Vgl. auch KLEINGÜNTHER 1933, 51; 124f. 101, besonders 96,2– 3; 99,1– 3; 97,1– 52 Plut.Lyk. 29,1ff.; vgl. auch bereits Thuk. 1,18,1; Diod. 7,12,8.
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II. Nomotheten –Aisymneten –Nomothesie
Solon, seinerseits derÜberwinder derangeblich jahrzehntelang ununterbrochen andauernden staseis53, ließ die Athener schwören, anseinen Gesetzen wenigstens zehn Jahre lang nicht dasGeringste zuändern, wiewiederum schon Herodot behauptete –derspäteren Tradition wardasoffensichtlich noch zuwenig: Danach sollten sie hundert Jahre lang unverändert gelten54. Indiegleiche Richtung zielten, wiemanspäter glaubte, auch jene Gesetze, wonach derjenige, dereine Änderung derbestehenden (alten undguten) Gesetze beantragte, seinen Antrag mit einer Schlinge umdenHals vor der Volksversammlung vertreten mußte –damit wurde derAntragsteller erdrosselt, wenn derVorschlag abgelehnt wurde. Derartige Gesetze wurden wie manche andere Regelung sowohl demZaleukos als auch, wenigstens vereinzelt, demCharondas zugeschrieben55 – übrigens sollen auch diese beiden „ Nomotheten“ , wiederum wenigstens nachbestimmtenVarianten derTradition, erst nach inneren Unruhen in ihren Heimatstädten zu„ Gesetzgebern“bestellt worden sein56. Diese allgemeine Grundvorstellung vomGesetzgeber alsÜberwinder der„ Anomie“ undStifter einer neuen undendlich dauerhaften Ordnung derPolis, derdabei zugleich einvorbildlich konsequenter Verfechter einer ebenso gerechten undgleichmäßigen wie kompromißlos strengen Rechtlichkeit ist, bildet auch dasgemeinsame Fundament der anderen typischen biographisch-literarischen Motive undTopoi, die auf die eine oder andere Weise, in verschiedenen Varianten undKombinationen mitdenViten verschiedener Gesetzgeber verbunden wurden, weil sie gewissermaßen fließend waren undsich ziemlich frei vondereinen Figur aufandere übertragen ließen57. So wird das ursprünglich offenbar mythische Motiv der Einäugigkeit des Gesetzgebers, das noch in seiner alten, allerdings zur„ Dreiäugigkeit“abgewandelten Form auf densagenhaften Oxylos, denFührer derHerakliden bei ihrer Rückkehr undspäteren König undGesetzgeber vonElis, bezogen wurde58, in derVerbindung mitanderen Gesetzgebern auf die eine oder andere Weise imSinne derallgemeinen Grundprinzipien der „Eunomie“umgedeutet. Das wird zunächst wiederum an derTradition über den Spartaner Lykurg besonders deutlich59, die vielleicht schon auf Ephoros zurückgeht60. Danach soll Lykurg einAuge verloren haben, als er in dengewalttätigen Auseinandersetzungen umseine bereits fertiggestellte Gesetzgebung voneinem jungen Heißsporn namens Alkander mitdemStab tätlich angegriffen undverletzt wurde. Seine Gesetzge-
53 Plut.Solon 12,1; 13,1; vgl. [Aristot.] Ath.Pol. 5,1f.
54 Hdt. 1,29,2; vgl. andererseits Plut.Solon 25,1; [Aristot.] Ath.Pol. 7,2; 11,1. 55 Demosth. 24,139ff., wo Zaleukos allerdings nicht namentlich genannt wird; Hierokles apud Stob. 3,39,36HENSE; AG I, S. 220 s.v. Β ρ ό χ ο . Vgl. Diod. 12,17,1f., wodas Gesetz demCharondas zugeς schrieben wird. Siehe zurSache Kapitel III 2, Absatz LOKROI EPIZEPHYRIOI. 56 Vgl. Aristot.frg. 548ROSE (= Schol.Pind.Ol. 10,17,i) zu Zaleukos. Nach Diod. 12,11,1 hatte es in Thurioi (!) Unruhen gegeben, bevor Charondas dortGesetzgeber wurde. 57 Vgl. dazu allgemein FAIRWEATHER 1974, 266 u.ö.; 1983, 323; LEFKOWITZ 1981, 48; OGDEN 1997, 124f. undvorallem SZEGEDY-MASZAK 1978, 205ff., auchzumFolgenden. 58 Paus. 5,3,4; Apollod.Bibl. 2,8,3; Suda s.v. Τριόφ μ ο ς ; vgl. zu Oxylos als Gesetzgeber: Ariθ α λ stot.Pol. 1319a12ff.
59 Plut.Lyk. 11,1ff. mit der Variante bei Dioskurides FGrHist 594 F1 (= Plut.Lyk. 11,9); Plut.mor. 227A-B; Ael.var.hist. 13,23 und Paus. 3,18,2 (= FGrHist. 596 F 19b und c); Val.Max. 5,3,ext.2; Stob. 3,19,13HENSE; Olympiodor in Plat.Gorg. 44,2 –ebenfalls abweichend. Vgl. dazu insgesamt MANFREDINI/PICCIRILLI 1980, 251ff. (zu Plut.Lyk. 11). PICCIRILLI 1981,
60 Vgl. MEYER 1892a, 280 mitAnm. 1;zurückhaltend
10.
3. DerNomothet inderTradition
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bung hatte also keineswegs bereits vonAnfang an ihren späteren Rang als allgemein akzeptierte undfür alle Zukunft unstreitig verbindliche Ordnung erreicht –erst nach
diesem Zwischenfall, der die Bürgerschaft insgesamt zur Besinnung bringt, setzt die weitere innere Befriedung ein: DieSpartaner geben ihre alte Sitte auf, mitihren Stöcken zurVersammlung zuerscheinen. Undnatürlich vergibt Lykurg demjungen Mannund gründet schließlich noch das Heiligtum der Athena Optilitis61. Mit der Stiftung der neuen Gesetze allein warderZustand der„Anomie“noch längst nicht überwunden –und fürihre Dauerhaftigkeit undUnantastbarkeit mußte Lykurg erst nochsorgen. Damit engverwandt undebenso fundamental ist dasMotiv derausnahmslosen und absoluten Geltung der Gesetze, das in einer anderen Variante des Motivs der „ Einäugigkeit“im Vordergrund steht. Zaleukos, der Gesetzgeber von Lokroi Epizephyrioi, opfert sogar freiwillig eines seiner Augen, als sein Sohn nach demvonihmselbst gegebenen Gesetz wegen Ehebruchs mit Blendung bestraft werden soll, damit der Sohn nur ein Auge zuverlieren brauche undihmso wenigstens die Sehkraft des anderen Auges erhalten bleibe62. Die eigentliche Moral dieser Geschichte besteht natürlich darin, daß der große „Nomothet“durch sein persönliches Vorbild die strenge undim wahrsten Sinne wörtliche Anwendung seiner Gesetzgebung einschärft, die–erst einmal in Kraft gesetzt –auchfürihren Stifter absolut verbindlich sein muß.
In diesem Exempel ist einweiterer Aspekt derTradition zumindest
implizit angeüberpersönliche wieüberzeitliche Geltung undUnantastbarkeit der Gesetzgebung ist letztlich erst wirklich vollendet, wenn der Gesetzgeber selbst dieBühne verlassen hat. Dasist nicht nurkeineswegs soparadox, wiees aufdenersten Blick scheinen mag, sondern sogar konsequent undunvermeidlich; denn allein derUrheber derGesetze kann sie noch ändern oder wieder aufheben, undallein derSchöpfer einer solchen „ Nomothesie“selbst kann zumindest prinzipiell seinem eigenen Werk nicht unterworfen sein. Damit wirdderGesetzgeber durch seine bloße Existenz zueiner potentiellen Gefahr für daseigentliche Fundament dervonihmgeschaffenen Eunomie, nämlich ihre strikte Geltung, Unveränderlichkeit undDauerhaftigkeit. Darin besteht der gemeinsame Nenner dervariantenreichen Geschichten vom(freiwilligen) Exil und/oder Todvieler großer Gesetzgeber –diediesbezüglichen Motive in denverschiedenen Biographien sind sich nicht nur auffällig ähnlich, sondern werden zuweilen in völlig identischer Form von mehreren Gesetzgebern erzählt63. Solon verließ Athen freiwillig für zehn Jahre, weil er immer wieder umAuslegung undÄnderung seiner Gesetze angegangen undvonallen Seiten bedrängt worden sei: Sein Werk sollte für sich selbst stehen. Undin seiner Abwesenheit mußten dieGesetze natürlich erst recht völlig unangedeutet:
Diegewissermaßen
61 Plut.Lyk. 11,18 und 10; mor. 227B; Paus. 3,18,2 (= FGrHist 596 F 19c). Vgl. SZEGEDY-MASZAK 1978, 206; VANWEES 1998, 337f. 62 Ael.var.hist. 13,24; Val.Max. 6,5, ext.3. Nach Herakl.Lembos Exc.polit.frg. 61DILTS (= [Herakl.Pont.] 30,3, FHGII, S. 221) handelte es sich bei demDelikt umDiebstahl. 63 Vgl. generell zu Episoden über den Tod in den „Biographien“berühmter Persönlichkeiten FAIRWEATHER 1974, 269f. mit den Varianten; SZEGEDY-MASZAK 1978, 206f.; RIHLL 1989, 281; LEFKOWITZ 1981, 72f.; 85f.; 96f. u.ö. (zu diesem Motiv in Dichterbiographien). Vgl. zumMotiv des Exils etwa FAIRWEATHER 1984, 324; 326ff.
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II. Nomotheten –Aisymneten –Nomothesie
tastet bleiben –darauf wurden die Athener in dembereits erwähnten Schwur ausdrücklich festgelegt64. Nach der ausführlichen Tradition über Lykurg ging der spartanische Gesetzgeber ähnlich vor. Als seine Gesetze unddiepoliteia als Gesamtwerk fest etabliert waren und nach seinen Vorstellungen funktionierten, wollte Lykurg –wie es bei Plutarch sogar ausdrücklich betont wird–seine „ Nomothesie“in ihrer ganzen „ Schönheit undGröße“ möglichst „ unsterblich“und„ unveränderbar“füralle Zukunft machen65. Daher ließ er auch, wie schon erwähnt, Könige, Geronten undalle Bürger schwören, seine Gesetze unverändert zulassen undsich ansie zuhalten, bis er selbst vonseiner Reise nach Delphi zurückgekehrt sei. Dort bestätigte ihmübrigens der Gott, daß seine Gesetze die eudaimonia undarete derStadt sicherstellen würden –undzwarwiederum ausdrücklich: solange dort diepoliteia des Lykurg bewahrt werde66. Unddamit die Spartaner aufimmer anihren Eidgebunden blieben, beging Lykurg dannnach einer Variante derÜberlieferung Selbstmord durch Verhungern, wodurch noch sein Todzum Wächter“seines Werks geworden sei; bei anderen Autoren heißt es, daßer sich nach „ Kreta begeben habe unddort auchgestorben sei67. Auch der Gesetzgeber des sizilischen Katane, Charondas, soll entweder ins Exil nach Rhegion geflohen sein oder Selbstmord begangen haben –indiesem Falle ist wiederum die Variante des Selbstmords besonders vielsagend. Der Gesetzgeber verstößt, immer unabsichtlich undohne es selbst zunächst zubemerken, gegen eines seiner eigenenGesetze: Er erscheint bewaffnet in derVolksversammlung. Seine Gegner machen ihnhämisch darauf aufmerksam undwerfen ihmvor, daßer damit sein eigenes Gesetz annulliert habe. Daraufhin zieht er die Waffe undgibt sich denTod68. Die gleiche Geschichte wurde auch vonDiokles, einem sehr schattenhaften „Nomotheten“aus Syrakus69, undin einer späten undvereinzelten Quelle schließlich auchnoch vondemanderengroßen Gesetzgeber deswestgriechischen Raumes, nämlich Zaleukos, berichtet70. Indieser „floating legend“verknüpfen sich dieverschiedenen Grundmotive derGesetzgebertradition auf vielschichtige Weise miteinander71: Die strenge Pflicht zurausnahmslosen Anwendung wird–wieschon in derVariante desEinäugigkeitsmotivs bei Zaleukos –vomGesetzgeber noch einmal dadurch eingeschärft, daßer als souveräner Schöpfer der „Nomothesie“sich selbst seinen Gesetzen freiwillig unterwirft. Zugleich wirddamit dieabsolute Gültigkeit derneuetablierten Ordnung vollends unwiderruflich; denn mitdieser Unterwerfung findet dermenschliche Urheber desGesetzeswerkes den
64 [Aristot.] Ath.Pol. 11,1f.; vgl. bereits Hdt. 1,29,1f., sowie Plut.Solon 25,6. Vgl. LEFKOWITZ 1981, 43ff. mitdenEinzelheiten undweiteren Nachweisen zuSolons Reisen. η ς ν έ μ ο εν γ ῳ γ νἔρ ο ςἐ 65 Lyk. 29,1: ...ἀ λ ο ὶμέγεθ ςκ α ία ή θ ςκάλ σ ο σ ε α ῆ ςνομ ςτ ὸτ γ α σ θ ε ὶςκ α ὶἀγαπ . ν ο λ λ έ τ ,..., ἀθάνα ν ε ο ἰςτ ὸμ τ ο ὴ ν ν ἀ α π ὐ ο τ λ κ α ιπ ε ὶἀκίνη ῖν κ α ὶὁ δ β α διζο ῷ ν η ε , ἐπεθύμησ ύ ς σ 6. 66 Plut.Lyk. 29,5– 67 Plut.Lyk. 29,2ff.; 7– 9. Sein Tod in Kreta wurde von Aristoxenos (frg. 44WEHRLI = Plut.Lyk. 31,7), Timaios (FGrHist 566 F 128 = Plut.Lyk. 31,7) undbei Aristokrates (FGrHist 591 F 3 = Plut.Lyk. 31,10) berichtet; bei Apollothemis ist Elis genannt (FHG IV, S. 314). Vgl. auch noch Val.Max. 5,3,ext.2; Nikolaos v. Damaskos FGrHist 90 F 56 (Exc.de virtut. I, S. 341DE BOOR); Tertull.apol. 4,6; 46,14 (mißverstanden); Suda s.v. Λ γ ο ς(824). ρ υ κ ο ῦ 68 Diod. 12,19,1f.; Val.Max. 6,5,ext.4. 69 Diod. 12,19,2; 13,33,2f. 70 Eustath.ad. Il. 1,190 (S. 131f. VANDERVALK). 71 Vgl. grundlegend SZEGEDY-MASZAK 1978, 206ff., sowie MCGLEW 1993, 107f.
3. DerNomothet inderTradition
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Tod. Erst jetzt kann die Ordnung an sich die völlige undnunmehr gewissermaßen ungeteilte „ Autonomie“und–in einem ebenso wörtlichen Sinne –die endgültige Souveränität erlangen. Undindem die voneinem einzigen (zwar überragenden undzumeist göttlich inspirierten, aber dennoch menschlichen) Gesetzgeber geschaffene Ordnung ihren Stifter überdauert, gewinnt sie neben derüberpersönlichen Geltung nunauchjene überzeitliche Kraft undVerbindlichkeit, die sie weiteren menschlichen Eingriffen entzieht undfüralle Zukunft unantastbar macht.
In diesen vielfach aufeinander bezogenen undineinander greifenden Motiven kristallisiert sich zugleich derwesentliche Grundzug derÜberlieferung: In dergesamten Tradition mit allen ihren Varianten scheint nicht erst seit Platon undAristoteles, sondern schon bei Herodot dieinhärente Tendenz angelegt gewesen zusein, Gesetzgebung als einmaligen Akt der Stiftung eines organisch zusammenhängenden undirgendwie schon vonAnfang ankomplexen, geschlossenen, in sich selbst ruhenden undgeradezu absolut vollendeten Regelwerkes zubegreifen –oder bei einzelnen Gesetzen nach einemsolchen Zusammenhang zusuchen undihngegebenenfalls zukonstruieren. Nicht erst bei Platon undAristoteles bestand dieser Zusammenhang ganz wesentlich in einem abstrakten philosophischen Prinzip, dasderGesetzgebung insgesamt vonihren Schöpfern regelmäßig zugrundegelegt worden sei –ob es sich (wie bei Platon undAristoteles postuliert undphilosophisch begründet wird) umdieἀ ή undeindemgemäßes Leben, ρ ε τ Vernunft undEinsicht handelte, oder umdie σ η , die etwa Aischines als das ρ ο σ ν ύ ω φ leitende Prinzip bezeichnet, dasDrakon, Solon unddie anderen Gesetzgeber derguten, alten Zeit bei ihren umfassenden, dasprivate undöffentliche Auftreten für alle Altersgruppen in der Bürgerschaft regelnden Gesetzgebungen bewußt in den Vordergrund gestellt hätten72. Trotz dertheoretischen Differenzierung desAristoteles wurde dabei Gesetzgebung immer wieder mit der Stiftung undinstitutionellen Ausgestaltung einer politeia untrennbar verbunden, wenn nicht implizit identifiziert –wie etwa durch eine Formulierung des Isokrates deutlich wird, woes zwar nicht voneinem Gesetzgeber, wohl aber von der Polis Athen heißt, daß sie als erste νόμ ή σ α τ σ τε νκα ία ιτε λ ο ὶπ α ο υ οκ ςἔθ τ ε το73.
Diese Idee der„ Nomothesie“unddiebeherrschende Vorstellung deseinzelnen Gesetzes als Teil einer bewußt gesetzten Ordnung verdichtet sich bekanntlich in derZuweisung aller ehrwürdigen, als alt undbewährt geltenden Einrichtungen, Regeln und Gesetze aneine Gründer- undStifterfigur mitbestimmten überragenden, ja heroischen Eigenschaften undgöttlicher Inspiration, die ebenfalls zu Beginn des 4. Jahrhunderts schon recht deutlich unddifferenziert ausgebildet gewesen zusein scheint. Schon Herodotsetzt ja in seinem Exkurs über Lykurg bereits mehrere (anscheinend in einigen Hinsichten miteinander konkurrierende) Versionen einer Tradition voraus, die demgroßen Gesetzgeber jedenfalls durchweg die Einrichtung des gesamten, zu seiner, Herodots, Zeit immer noch bestehenden spartanischen kosmos zuschrieben –under selbst scheint sogar zuakzeptieren, daßdie Spartaner demLykurg nicht nurdie immer noch geltende ι), τ ία ο μ ω ν Ordnung desKriegswesens, dieEinrichtung der„ Schwurgemeinschaften“(ἐ 72 Aischin. 1,6f.; 3,2, vgl. 1,6ff. passim. 73 Isokr. 4,39. Vgl. dazu etwa KLEINGÜNTHER 1933, 120f.
54
II. Nomotheten –Aisymneten –Nomothesie
„ Dreißigschaften“(τ κ ά ρ ιη δ ε ς ) und„Speisegemeinschaften“(σ υ σ ίτ σ ια ) verdankt hätten, sondern auch die Stiftung der Gerousia unddes Ephorats74, also zentraler Institu-
tionen ihrer „ Verfassung“ . Für die Annahme, daß sich hinter denkonkurrierenden Versionen schon das gemeinsame Grundmotiv derOrdnungsstiftung verbarg, lassen sich auchdieVarianten der Tradition über Lykurgs Verwandte mitdenvielsagenden Namen Ε μ ο ςundΕὔκ ν ο ὔ ο σ μ ο ςanführen: Anscheinend hatte schon derDichter Simonides behauptet, daßLykurg nicht der Sohn des Ε μ ὔ ο ν ο ς , sondern sein Bruder gewesen sei –vomgemeinsamen Vater Prytanis75. Offenbar gab es also auch darüber bereits im5. Jahrhundert verschiedenen Versionen. Die Vorstellung derKonstituierung deskosmos als Ganzem in einem einzigen großenStiftungsakt durch den„Nomotheten“Lykurg, die dann später derLakedaimonion politeia Xenophons undderLykurg-Vita Plutarchs zugrundeliegt76 unddie auch in der systematischen Kritik der „ Verfassung“Spartas in derPolitik des Aristoteles vorausgesetzt wird77, ist dann schon dasResultat eines Prozesses derVereinfachung undVerengung, Konzentrierung und Kanonisierung verschiedener Überlieferungsstränge und Motive, ein Prozeß, der sich erst bei der Entfaltung undAusfächerung derTradition über Lykurg vollzog. Dieser Prozeß hatte zwar schon früh eingesetzt, nämlich anscheinend vor der Zeit Herodots undseiner Quellen, verlief aber offensichtlich nie, auch später nicht, einfach linear, gradlinig undgewissermaßen eindimensional: Lykurg war ja noch in derspäteren Tradition weder deralleinige Stifter aller Institutionen Spartas nochdieeinzige, gewissermaßen konkurrenzlose Gründer- undGesetzgebergestalt. Thukydides erwähnt dengroßen „ Nomotheten“in seiner Notiz über die altehrwürdige undstabile politeia unddie „Eunomie“in Sparta erst gar nicht78. Für Platon vollzog sich die Entwicklung der spartanischen Ordnung bis zu ihrer Vollendung in drei Stufen –Lykurg ist dabei nur für die mittlere Stufe verantwortlich79. Aristoteles hat wahrscheinlich sogar ausdrücklich die (anscheinend verbreitete) Idee abgelehnt, alles undjedes auf Lykurg zurückzuführen, wieausdemdiesbezüglichen, sicherlich aufAristoteles beruhenden Exzerpt des Herakleides Lembos hervorgeht80. Und nicht nur PlatonundAristoteles, sondern auchviele spätere Autoren, selbst Plutarch, schreiben nicht
5. Vgl. dazu HOW/WELLS adlocum. 74 Hdt. 1,65,4– 75 Simonides frg. 123PAGE (= Plut.Lyk. 1,8) unddazu MANFREDINI/PICCIRILLI 1980, 220f. Vgl. Dieuchidas von Megara FGrHist 485 F 5 (ebda.); Phlegon von Tralles FGrHist 257 F 1; 2; Ael.var.hist. 13,23 etc. unddazu L. PICCIRILLI, Simonide poeta o Simonide genealogista? (Plut. 276; ders. 1984, 1033, mit weiteren NachweiLyk. 1,8 = Simon. fr. 123Page), RFIC 106, 1978, 272– μ ο , dessen ς σ ο κ ὔ sen. Nach Paus. 3,16,6 hatte Lykurg einen Sohn mitdembezeichnenden Namen Ε Grab beim Lykurg-Heiligtum gelegen habe.
76 Xen.Lak.pol. 1,2ff.; Plut.Lyk. 5,10ff. und dazu BORDES 1982, 165ff.; MOSSE 1996, 1328ff. Vgl. auch Diod. 7,12,1ff.
35; vgl. 1269a29– 1271b18. 77 1273b32– 78 Thuk. 1,81,1. Vgl. dazu undzum Folgenden
generell KAHRSTEDT 1927a, 2444f.; KLEINGÜNTHER 1933, 122ff.; PICCIRILLI 1978, 923f., ferner OLIVA 1967, 273ff.; 1984, 533ff.; NAFISSI 1991, 51ff.; MOSSE 1996, 1326ff.; THOMMEN 1996, 23ff. –mit einigen Unterschieden, die den Kern der Sache aber nicht betreffen. 79 Plat.Leg. 691E-692A. 80 Exc.polit. frg. 9DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 2,1, FHGII, S. 210 = Aristot. frg. 611,9ROSE).
3. DerNomothet inderTradition
55
Lykurg, sondern demKönig Theopompos zumindest dieEinrichtung desEphorats zu81. Dieser König spielt auch sonst inderTradition eine gewichtige Rolle –aufihnundden anderen König Polydoros führt etwa Plutarch denberühmten Zusatz zur sogenannten „ Großen Rhetra“über die „ schiefen Beschlüsse“zurück, auf den sich auch der schon vonTyrtaios erwähnte Orakelspruch ausDelphi beziehe82. Nochbei Pindar halten sich 83. Hellanikos die Spartaner als Dorier „immerdar an die Satzungen des Aigimos“ schließlich scheint behauptet zu haben, daßdie Könige Eurysthenes undProkles die politeia in Sparta eingerichtet hätten84 –dagegen polemisierte wiederum Ephoros, der darin (wie Herodot) allein dasWerk desLykurg sah85.
Auch Solon galt zwar schon im5. Jahrhundert allgemein als „Nomothet“Athens, als Urheber deralten undguten Gesetze derStadt86. Dasist in derTradition allerdings keineswegs seine einzige Rolle: Mindestens ebenso oft, undgerade noch bei Platon, ist er in erster Linie ein herumreisender „Weiser“undnatürlich ein Dichter87. Undwenn im5. undfrühen 4. Jahrhundert aufseine „Gesetzgebung“angespielt wird, bezieht man sich dabei ausdrücklich undunmittelbar nur auf konkrete Einzelgesetze88 undnicht etwaauf eine „solonische Verfassung“ . Aber selbst als „Gesetzgeber“in diesem umfassenden Sinne war Solon keineswegs ohne Konkurrenz: In den unterschiedlichsten Textzusammenhängen wirder ineinem Atemzug mitDrakon genannt –so etwa ineiner Komödie des Kratinos89 einerseits und in demvon Andokides herangezogenen Psephisma desTeisamenos andererseits, woDrakons thesmoi geradezu gleichrangig neben Solons nomoi genannt werden90. Undsowohl bei Lysias als auch anscheinend in den
81 Aristot.Pol. 1313a25ff.; Plat.leg. 692A (vgl. allerdings epist. 8,354B); Plut.Lyk. 7,1; vgl. 29,10; Kleom. 10,2ff.; mor.779E; vgl. außerdem etwaCic.rep. 2,33,58; leg. 3,7,16; Val.Max. 4,1,ext.8. 82 Plut.Lyk. 6,7ff. mit Tyrt. frg. 3bDIEHL3 (= 4WEST = 1b PRATO bzw. GENTILI/PRATO = FGrHist 580 F 3a). Nach Diod. 7,12,5f., wo auf das gleiche Gedicht angespielt wird (frg. 3bDIEHL = 4WEST = 14 PRATO bzw. GENTILI/PRATO = FGrHist 580 F 3b), erhielt wieder Lykurg diesen Spruch. Vgl. dazu auch die Kommentare von MANFREDINI/PICCIRILLI 1980, 240ff. (zu Plut.Lyk. 6) sowie vonPRATO, S.63ff.; 150ff. (zulb und14). 83 Pyth. 1,121ff. 84 Hellanikos FGrHist 4 F 116 (= Strab. 8,5,5); vgl. anscheinend auch Plat.Leg. 684A in Verbindung mit683D und692B. 85 Ephoros FGrHist 70 F 118 (= Strab. 8,5,5); vgl. F 149 (= Strab. 10,4,16). 86 Vgl. neben Hdt. 1,29,1f. etwa Alkidamas bei Aristot.Rhet. 1398b16ff., vgl. 8ff. unddas Psephisma des Teisamenos bei Andok. 1,83, sowie Lys. 30,2 und26; Xen.Symp. 8,39; Plat.Symp. 209D; Leg. 858E; Rep. 599D-E. Vgl. zum Folgenden generell FUKS 1953, 1ff.; 33ff. u.ö.; RUSCHENBUSCH 1958, 398ff.; MOSSE 1979, 425ff.; 1996, 1330ff., sowie HANSEN 1989a, 71ff. mit weiteren Nachweisen.
34 passim; Plat.Tim. 20E-27A; 87 Vgl. nur Hdt. 1,30–
Protag. 343A; Kritias 108D; 110B; 113A; Rep. 536D; Charm. 155A; 157E; Laches 188B; 189B; epist. 2,311A. Vgl. dazu die Beobachtungen von FINLEY 1971/1975, 50ff., sowie ARRIGHETTI 1990, 351ff. (zu Solon bei Platon); A. SZEGEDY214. MASZAK, Thucydides’Solonian Reflections, in: DOUGHERTY/KURKE 1993, 201– 88 Vgl. etwa Hdt. 2,177,2 unddann Andok. 1,95 und111; Lys. 10,15ff. Das gilt auch für Aristoph.Av. 1660ff.; Nub. 1187ff., sowie etwa Plat.Tim. 27A-B. Vgl. dazu HANSEN 1989a, 91. 89 Frg. 274KOCK = FAC I, frg. 274 = 300KASSEL/AUSTIN. 90 Andok. 1,83, vgl. auch 1,81f.; Xen.Oec. 14,4. Vgl. zumGesetzgeber als „rhetorischer Figur“generell R. THOMAS 1994, 124ff. undpassim, mitweiteren Nachweisen.
56
II. Nomotheten –Aisymneten –Nomothesie
Demoi desEupolis werden mitSolon auch Themistokles undPerikles sowie Miltiades undAristeides ausdrücklich als „Nomotheten“bezeichnet91. Erst umdie Mitte des 4. Jahrhunderts wurde Solon zueinem „Verfassungsstifter“ imeigentlichen Sinne, indem er zumBegründer derDemokratie bzw. derpatrios politeia stilisiert wurde92 –eine Rolle, die allerdings zuvor schon Kleisthenes zugeschriebenworden warunddiebald sogar diesagenhafte Gründergestalt Theseus übernehmen sollte93. In dieser Funktion warSolon nicht nurwiederum nicht konkurrenzlos, sondern sogar vonAnfang anumstritten: Denn diese Funktion warja überhaupt erst durch die Inanspruchnahme desgroßen Namens fürpropagandistische Zwecke in denpolitischen Kontroversen des ausgehenden 5. und4. Jahrhunderts entstanden. Genau darauf spielt Aristoteles ja in seiner Charakterisierung Solons als „ Verfassungsstifter“an94, wenn er einige“(ungenannte) Leute zitiert, dieihnfür einen guten „Nomotheten“hielten, weil „ er die Oligarchie beendet unddie altehrwürdige Demokratie eingerichtet habe. FürAristoteles selbst hater dieschon bestehenden Institutionen des„ oligarchischen“Areopags undder„aristokratischen“ , weil durch Wahl besetzten Ämter nicht angetastet, sondern nurdas„demokratische“Element desVolksgerichts hinzugefügt –aber genau daswerde ihmvon„anderen“ , ebenfalls ungenannten Kritikern vorgeworfen: Die Etablierung desVolksgerichts sei derAnfang jener unseligen Entwicklung gewesen, die zurÜbermacht des„ tyrannischen demos“geführt habe –unddamit waroffenbar die „ jetzt bestehende Demokratie“gemeint.
Bei aller Vielschichtigkeit, bei allem Reichtum anMotiven undVarianten undbei allen politisch-ideologisch motivierten Unterschieden derPerspektive liegt derÜberlieferung insgesamt jedoch ein deutlich erkennbares Muster zugrunde: die schon angedeutete Verdichtung undKonzentrierung dergesamten alten, als grundlegend verehrten undimmer noch verbindlichen „Gesetzgebung“undderkonstituierenden Stiftung der immer noch gültigen (oder wiederherzustellenden) Ordnung auf einige wenige und schließlich eine einzige Gestalt95. Gerade Lykurg undschließlich Solon werden damit – was auch immer manihnen zuschreibt undwie auch immer mansie sieht –recht eigentlich die „ Erfinder“derEunomie, dieπ ρ ῶ τ ο ιεὑρετ α ίdernomoi unddergesamten Ordnung in Sparta respektive Athen96. Diese seit dem5. Jahrhundert insbesondere vondenSophisten verbreitete undgewissermaßen intellektuell allgemein eingebürgerte Denkfigur hat bei demerwähnten 91 Lys. 30,28;
Eupolis Demoi (KOCK, S. 279; FAC I, S.279; KASSEL/AUSTIN V, S. 342ff.); vgl. auch 100KOCK FAC frg.118 104KASSEL/AUSTIN. Vgl. Demosth. 22,30ff. undauch Isokr. 7,16ff.; 20; 15,232, derallerdings eine „gemäßigte“Demokratie meint; vgl. auch [Aristot.] Ath.Pol. 7,1; 41,2 u.ö. Siehe dazu etwa RUSCHENBUSCH 1958, 405ff.; FINLEY 1971/1975, 39f.; WALTERS 1976, 129ff.; HANSEN 1989a, 74ff., besonders 93ff.; R. frg.
92
=
I,
=
THOMAS 1994, 121ff.
93 Vgl. zu Kleisthenes schon Hdt. 6,131,1, vgl. 5,69,2; Isokr. 16,26f.; [Aristot.] Ath.Pol. 29,3; 41,2. Bei Isokrates 7,16f.; 20; 15,232 werden Solon undKleisthenes in mancher Hinsicht aufdiegleiche Stufe gestellt. Vgl. zu Theseus etwa [Demosth.] 59,75; Isokr. 12,128f. Siehe dazu im einzelnen RUSCHENBUSCH 1958, 408ff.; 418ff. mit weiteren Nachweisen; OSTWALD 1986, 370ff.; FINLEY
1971/1975, 34ff.
94 Pol. 1273b35– 1274a7. Vgl. dazu auch HANSEN 1989a, 90f.; 95. 95 Vgl. dazu FINLEY 1971/1975, 44 u.ö.; TIMPE 1980, 71f. (zuMoses); 96 Vgl. dazujetzt HANSEN 1989a, 82 u.ö., auchzumFolgenden.
LEFKOWITZ 1981,
48.
3. DerNomothet in derTradition
57
Konzentrierungsprozeß auf jeden Fall Pate gestanden97. Wie etwa ein gewisser Ameinokles ausKorinth dieTriere undderberühmte Pheidon vonArgos die Maße, die Gewichte und die Münzprägung erfunden haben sollen98 und überhaupt alle „ Techniken“ , Fertigkeiten undWissenschaften, aber auchInstitutionen undandere menschliche Einrichtungen einem π ρ ῶ τ ο ή ςals Urheber zugeschrieben wurden99, so galten ςεὑρε τ Minos oder Rhadamanthys als erster Stifter undregelrechte „ Erfinder“dernomima, der synoikismoi von Städten undauch ihrer politeiai100. Gerade für Ephoros, der sich nicht nurfür die kretische Frühgeschichte, sondern auch fürdiefrühen „Nomotheten“imallgemeinen besonders interessiert zuhaben scheint, waren diese „ Erfindungen“offenbar besonders wichtig –zugleich warer es auch, dersich der„ Heurematographie“aufvielenGebieten besonders intensiv angenommen hat101. ρ ῶ τ Die Idee des Gesetzgebers als π ο ή ςεὑρετ ςderGesetze, derdamit die gesamte Ordnung seiner Polis stiftet, ist untrennbar mit demfundamentalen Konzept dernomoi und ihres prinzipiellen Charakters verbunden, das ebenfalls von Sophisten entwickelt undexplizit formuliert wurde: Recht und„Sitte“gelten nicht mehr selbstverständlich als ewige göttliche Regeln, sondern die nomoi können nunals „ in der Zeit entstandene menschliche Heuremata“begriffen werden, eben als „ gesetzte“ , ja geradezu willkürlich oktroyierte Vorschriften undRegeln102. Etwa in demberühmten Fragment des Kritias heißt es nicht nur, daß „ die Menschen Gesetze aufgestellt zu haben scheinen, damit die dike der Herrscher (tyrannos) sei“ , sondern irgendein „schlauer undgedankenkluger ρ ή η ) habe anscheinend auch die Götterfurcht νἀν Mann“(π μ υ κ ν ό ιςκ ςτ α ὶσο φ ὸ ςγνώ (und die Götter überhaupt) „zuerst“(π ρ ῶ τ ο ν ) erfunden, undzwarzueinem rationalen, sehr irdischen Zweck, nämlich als Abschreckung der„Schlechten“–undgenau derselbe Mann ist es dann, derdamit undmit dennomoi dieanomia beseitigt: Derπ ρ ῶ τ ο ς ή ρ ςderGötter ist danach also nichts anderes alseinNomothet103. ε ὑ τ ε geDamit sind alle Voraussetzungen dafür vorhanden, daß die Polis generell als „ setztes“ , durch konkrete Satzungen geordnetes unddurch dasihnen zugrundeliegende zweckrationale Prinzip zusammengehaltenes Gebilde begriffen werden kann. Unddiese Sichtweise legt wiederum geradezu nahe, die Etablierung dieser rechtlich-politischen 97 Vgl. KLEINGÜNTHER 1933, 121ff., vgl. 95ff.; SZEGEDY-MASZAK 1978, 208. 98 Thuk. 1,13,2f.; Plin.nat. 7,56,206 (Ameinokles); Ephoros FGrHist 70 F 176 (= Strab. 8,6,16) Strab. 8,3,33, sowie Hdt. 6,127,3 (Pheidon). Vgl. dazu KLEINGÜNTHER 1933, 149 undpassim. 99 Siehe die Liste bei Plin.nat. 7,56,191– 58,210. Vgl. dazu generell KLEINGÜNTHER 1933, 17ff.; K. THRAEDE, Das Lob des Erfinders. Bemerkungen zurAnalyse der Heuremata-Kataloge, RhM 105, 1278 s.v. Erfinder II (geistesgeschichtlich), hier 1192ff.; 1962, 158; ders., RLAC 5, 1962, 1191– 1198ff. mitvollständigen Nachweisen derantiken Belege undderLiteratur. 100 Ephoros FGrHist 70 F 149 (= Strab. 10,4,17), vgl. F 147 (= Strab. 10,4,8), sowie Nikolaos v. Damaskos FGrHist 90 F 103aa (= Stob.Floril. 44,25HENSE). Vgl. dazu KLEINGÜNTHER 1933, 122; 148; sowie generell 121ff. 101 Vgl. sein Werk Π ρ ε ὶτ ά τ ω ν(z.B. Strab. 13,3,6 = FGrHist 70 T 2a; Plin.nat. 1,7 = T 33d) ῶ νεὑρημ und die Fragmente daraus: FGrHist 70 F 2ff. Vgl. dazu etwa KLEINGÜNTHER 1933, 148ff. mit weiteren Nachweisen.
102 KLEINGÜNTHER 1933, 95, sowie 96f. (etwa zu Aristoph.Nub. 1420ff.); TIMPE 1980, 72f. Vgl. für eine differenzierte Behandlung desnomos-Konzepts in derSophistik, die hier nicht geleistet zuwerden braucht: GUTHRIE 1969, 55ff.; KERFERD 1981, 111ff.; DREHER 1983, 55ff.; DE ROMILLY 1988/1992, 111ff.; 165ff. 180ff. mitweiteren Nachweisen. 103 FVS 88 B 25 (= Sext.Emp. 9,54), Z.5ff.; 12ff., sowie Z.40. Vgl. dazu genauer KLEINGÜNTHER 1933, 113f.; DEROMILLY 1988/1992, 108ff.; weitere Nachweise bei DREHER 1983, 28ff.; 64ff.
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II. Nomotheten –Aisymneten –Nomothesie
Ordnung als einmaligen undumfassenden, durch allgemeine Grundsätze, Zwecke und Ziele bewußt geleiteten Stiftungsakt eines menschlichen „ Gesetzgeber-Erfinders“zu beschreiben. Auf der anderen Seite zieht genau diese Vorstellung auch die Konsequenz nach sich, daßeine in einem derartigen, notwendig einmaligen Aktgestiftete Ordnung kaum als dasProdukt eines sich in derZeit vollziehenden, unpersönlichen oder sogar überindividuellen historischen Prozesses gesehen werden kann: Der„ erste Erfinder“mußgeradezu notwendig eine schon fertige, in sich geschlossene, zusammenhängende und vom„ersten“Anfang anvollendete Ordnung schaffen –wie, umnoch einmal aufdiese Beispiele zurückzukommen, Lykurg, derSchöpfer desebenso strikt wiedetailliert und systematisch geordneten spartanischen kosmos, undSolon, dergroße „Nomothet“und Vater derDemokratie“104. Mit ihrer „Setzung“als vollendetem Ganzen wird die Ord„ nung dann bereits wieder, zumindest prinzipiell, weiteren Eingriffen oder gar derper-
manenten Um-undNeugestaltung durch Menschen entzogen –unddie Unantastbarkeit undüberzeitliche Unveränderlichkeit derGesetze undderpoliteia können dannwieder, wiegesagt, als ihre vornehmste Tugend undihrgrößter Vorteil angesehen werden.
Dieses vielschichtig verknüpfte Raster vonIdeen, Motiven undSichtweisen wurde
danndurch Platon undAristoteles, wennauchindurchaus unterschiedlicher undjeweils vielfach gebrochener Weise, bereitwillig aufgenommen, in systematische Bahnen ge-
lenkt undgeradezu formalisiert. Diese Vorstellungen wurden insgesamt undmit ihren Einzelmotiven in einen philosophisch begründeten undkohärenten Zusammenhang eingeordnet unddienten dabei dieser Konstruktion als Fundament undBeleg. Es wäre noch nicht einmal allzu überspitzt zu behaupten, daß Platon undAristoteles „ historische“ Gesetze als solche, als (jedenfalls möglicherweise) für sich stehende, in ganz spezifische Zusammenhänge gehörende undganz konkreten, situationsgebundenen Zwecken dienende einzelne Maßnahmen, nicht wahrnahmen –oder garnicht wahrnehmen konnten, weil sie nicht nurtheoretisch irrelevant, sondern auch in ihrem jeweiligen philosophischen Konzept nicht unterzubringen waren. Derdabei immer vorausgesetzte bzw. postulierte umfassende Gestaltungswille des Gesetzgebers, sein Ziel, die Ordnung grundsätzlich insgesamt, ganz bewußt undvon allgemeinen Prinzipien geleitet einzurichten, steht auch hinter Platons Forderung, die Gesetzgebung als solche undauch alle einzelnen Gesetze durch allgemeine, ihren moralischen Zweck erläuternde, anspornende undbelehrende Präambeln (π ) einια ρ ίμ ο ο zuleiten105 –wasnach Platon bis dahin noch kein Gesetzgeber getan hatte106. Er selbst formuliert in denNomoi detailliert undmit einiger Sorgfalt eine ganze Reihe solcher „ Prooimien“für die verschiedensten Gesetze undGesetzeskomplexe107. Erst später – möglicherweise von Platon undsicherlich durch pythagoreische Traditionen beein-
104 Vgl. KLEINGÜNTHER 1933, 123 einerseits undHANSEN 1989a, 82 andererseits. 105 Leg. 722D-723A; 772E; 916A u.ö. Vgl. dazuMORROW 1960, 553f.; WOLF 1970, 210ff. 106 Leg. 722E. Siehe auch das ablehnende Urteil des Poseidonios bei Sen.epist. 94,38. Vgl. generell zur (späten) Entstehung des Konzeptes von Gesetzesprooimien: MORROW 1960, 555f.; RIES 1983, 81ff. Vgl. dagegen DELATTE 1922, 179ff.
107 Leg. 741A-C (zu Gesetzen über Landlose undGrundbesitz); 772E-773E (Eherecht); 823C-D (Jagd); 854B-C (Tempelraub); 870A-C (Mord); 923A-C (Erbrecht). Vgl. dazuMORROW 1960, 553f.
3. DerNomothet inderTradition
59
flußt108 –wurden dann auch den Gesetzen des Zaleukos109 unddes Charondas110 solche
Prooimien beigelegt. Dies wardie eigentlich nurkonsequente Fortführung undVollendung derinhärenten undgeradezu selbstläufigen Tendenz dergesamten historiographischen undphilosophischen Traditionen, die Gesetzgeber undGesetzgebung, die Entstehung undKonsolidierung rechtlicher undpolitischer Ordnungen überhaupt zum Thema und intellektuellen Problem machten. Denn diese Tradition hatte mittlerweile dengroßen Nomotheten teils abwechselnd, teils zugleich als legendäre Gründergestalt einer heroischen Frühzeit und als abstrakt konstruierte Denkfigur zu begreifen undselbstverständlich zu benutzen gelernt. Damit mußten auch die Konstituierung derPolis undihrer „ Verfassung“generell unddie Gesetzgebung als einmaliger, geradezu übermenschlicher Akt der Stiftung dieser Ordnung imbesonderen zugleich zumzentralen Kristallisationspunkt einer „ historischen“Identitätsfindung derreal existierenden Poleis des 5. und4. Jahrhunderts und zur größten Herausforderung für die Philosophen undTheoretiker der idealen, ja utopischen Polis werden.
108 Vgl. dazu ausführlich DELATTE 1922, 177ff., der allerdings behauptet, daß die Prooimien auf früheren, schon im5. Jh. entstandenen „documents pythagoriciens“beruhen müßten (182f.). Vgl. dagegen neuerdings VALLET 1958, 314f.; MORROW 1960, 555f.; RIES 1983, 83ff. νsind bei Stob.Floril. ω μ ιανό ρ ίμ ο ο α 109 Diod. 12,20,2; Cic.leg. 2,14. Die ausführlichen Ζ λ ε ύ κ ο υπ 44,19HENSE, überliefert. Vgl. dazu ausführlich DELATTE 1922, 188ff. νliegen bei Stob.Floril. ω ιανόμ 110 Cic.leg. 2,14; 3,5. Die ausführlichen Χ ίμ ο ο ρ ίο ν υπ τα ρ ν α ώ δ αΚ α 44,24HENSE vor. Vgl. dazu wiederum ausführlich DELATTE 1922, 195ff. VERNANT 1962/1982, 75, scheint sie für historisch zuhalten.
III. GESETZGEBER UNDGESETZE INDENPOLEIS DERARCHAISCHEN ZEIT: EMPIRISCHE DATEN UNDANALYSEN Streng genommen kannunseine Quelle nie sagen, was wir sagen sol„ len. Wohl aber hindert sie uns,Aussagen zumachen, die wir nicht machen dürfen. DieQuellen haben ein Vetorecht. Sie verbieten uns, Deutungen zuwagen oder zuzulassen, die aufgrund eines Quellenbefundes schlichtweg als falsch oder als nicht zulässig durchschaut werden können.“ (KOSELLECK
1. Methodische
1979, 204)
Vorbemerkung
Wenn mandasvielschichtige Bild derantiken Tradition über die „Nomotheten“der alten Zeit, ihre Rolle alsRetter einer innerlich zerrissenen Bürgerschaft undihr „ nomothetisches“ Werkals Gründer einer neuen stabilen Ordnung einerseits unddie Vorstellungen der modernen Forschung über die historische Schlüsselfunktion der „Rechtskodifikationen“ für die Entwicklung derPolis unddie innovative Rolle der„Aisymneten“undGesetzgeber als Stifter solcher umfassenden, schriftlich fixierten Rechtsordnungen andererseits1 miteinander konfrontiert, stellt man eine auffällige Affinität der Grundmuster und Sichtweisen fest. In vieler Hinsicht spiegelt die moderne Forschung offensichtlich eine sehr fortgeschrittene Entwicklungsstufe derantiken Traditionsbildung wider, dienicht nur zeitlich, sondern auchhinsichtlich derEntwicklung, Ausdifferenzierung undKombination verschiedener Quellen undMotive ziemlich spät anzusetzen ist: DieEntfaltung undAusgestaltung eines elaborierten Idealtyps des großen „ Nomotheten“begann ja erst im 5. Jahrhundert, und die endgültige, staatsphilosophisch undverfassungstheoretisch fundierte undsystematische Ausformung des Konzeptes der umfassenden Stiftung der PoNomothesie“wurde anscheinend überhaupt erst im 4. Jahrhundert lisordnung durch „ durch Platon undAristoteles vollzogen –underst danach konnte sich die Vorstellung vom schöpferischen „ Nomotheten“wirklich entwickeln, der die gesamte Grundordnung der Polis, die Verhältnisse ihrer Bürgerschaft unddasLeben jedes einzelnen Bürgers durch , die schon in derantieinGeflecht vonNormen gestaltet. UnddieIdee der„Aisymnetie“ unddann immer identifiziert der Nomothesie “ „ Konzept dem partiell mit kenTradition eindeutiger in eins gesetzt wurde, umdann in der modernen Forschung geradezu zum allgemeinen Etikett und Gattungsbegriff zu werden, ist aller Wahrscheinlichkeit nach überhaupt erst vonAristoteles inhaltlich definiert worden2 . Gerade dasverrät die suggestive Wirkung deraristotelischen Konzepte undKategorienaufdie meisten modernen Ansätze, diesich demPhänomen derfrühen Gesetzgebung (unddemProblem derEntstehung derPolis3) mitdemZiel einer systematischen Einord1 2
3
Vgl. dazu Kapitel I1. Vgl. dazu ROMER 1982, 25ff., insbesondere 26; 30; MCGLEW 1993, 79f. Siehe auch Kapitel I 2 und III 2, Abs. MYTILENE. Vgl. dazu generell GAWANTKA 1985, passim, und dazu K.-J. HÖLKESKAMP AAHG 42, 1989, 197ff., sowie HÖLKESKAMP 1989, 149ff.; AMPOLO 1996; DAVIES 1997. SAKELLARIOU 1989 ist wenig hilfreich. Vgl. dazu auch Kapitel I 2; IV 2.
1.Methodische
61
Vorbemerkung
nung undgenerellen Erklärung in dementsprechenden Kategorien und Mustern anzunähernversuchen. Diese Ansätze beruhen dabei vonvornherein auf einer ganzen Reihe von allgemeinen Voraussetzungen undverallgemeinernden Annahmen4. Dazu gehören nicht nurdiezuweilen sehr bestimmten Vorstellungen darüber, wasgrundsätzlich undregelmä-
ßig als Kanon derGegenstände undInhalte von Gesetzgebung und„Kodifikation“des Rechts in archaischer Zeit anzunehmen sei. Manbegegnet auch demPostulat, daßes solche umfassenden Stiftungen vonNormen undSatzungen einfach gegeben haben müsse, weil sie ein wichtiges, ja unumgänglich notwendiges Stadium der Entfaltung der klassischen Polis dargestellt hätten –wasübrigens wiederum bereits dieAnnahme eines „rechtlichen“Charakters der „Stadtstaatlichkeit“undihrer Entstehung als Prozeß einer fortschreitenden umfassenden „ Verrechtlichung“im engeren Sinne der Fixierung undVer-
schriftlichung aller Normen voraussetzt. In diesen Zusammenhang gehören gerade deswegen auchprinzipielle Annahmen über die Polis generell, ihre „ Verfassung“undinnere Ordnung unddie naturgemäß zentrale Rolle von „ gesatztem“Recht in positivem“und„ dieser Ordnung. Dasbesondere Problem besteht nunkonkret gerade darin, daßin dermodernen Forschung mitdemaristotelischen Raster derKategorien auch das konzeptionelle Grundmuster unddamit einganz spezifisches, gewissermaßen holistisches Modell von „Nomothesie“ , vonderStiftung vonRecht undderebenso systematischen wieganzheitlichen Gestaltung derPolis durch Satzung weitgehend ungebrochen undoft sogar ganz unmittelbar übernommen worden ist. Dasbedeutet letztlich nichts anderes, als daßjenes Modell der Nomothesie“ , dasPlaton undAristoteles theoretisch ausgestalteten, das dann die weitere „ Entwicklung derTradition prägte unddasdabei die Selektion undInterpretation derüberNomothesien“belieferten Daten zu denals geschichtlich geltenden „ Nomotheten“und„ einflußte, zurDarstellung, Analyse undBeurteilung des, wie manja annimmt, realen historischen Phänomens derarchaischen „Kodifikationen“benutzt wird–unddies, obwohl diesobeschriebene historische Realität schon zurZeit derEntstehung derfrühen Schichten der in dieses Modell eingeflossenen Traditionen längst vergangen war. Undmanhat sich dieses Modells bedient, obwohl Platon undAristoteles das ihnen vorliegende Material zwar immer wieder benutzten, die darin enthaltenen konkreten Angaben zu Gesetzgebern undGesetzen zitierten unddamit argumentierten undschon dadurch –mangels älterenMaterials –ihrerseits zuprimären „Quellen“wurden. Dabei ist allerdings eine fundamentale Tatsache immer wieder aus demBlick geraten: Die beiden großen Theoretiker (und wiederum nicht nur sie) wollten diese Daten ja gar nicht „historisch“sehen, behistorisch“ schreiben underklären –ganz im Gegenteil5: Die historischen oder ihnen als „ geltenden Daten und Fakten waren für sie als solche gar nicht von Interesse, sondern dienten nuralsBausteine, Beispiele undIllustrationen imZusammenhang ihrer systematischen (und eben nicht „ historischen“ ) Behandlung derStiftung vonOrdnung durch Gesetzgebung als politisch-philosophischem Problem undethisch-erzieherischer Aufgabe. Es ist also nicht nurdieArt undWeise, wiedieantike Überlieferung hinsichtlich der Gesetzgeber undihres „ nomothetischen“Handelns entstanden ist undsich entwickelt hat, wiesie dabei mitihren Quellen umgegangen istundwiesie Daten bewahrt hat(oder auch nicht), dievonvornherein eine historische, modernen quellenkritischen Standards gerecht
4 5
Vgl. zumFolgenden bereits Kapitel I 1. Vgl. dazu allgemein FINLEY 1965/1975, 11f. Siehe zur Sache 45f.
außerdem ROMER 1982,
25ff.; 41f.;
62
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
werdende Analyse desGegenstandes äußerst schwierig macht. Gerade bei diesem besonderen Gegenstand sind es eben auchjene staatstheoretischen Deutungsmuster undphilosophisch-politischen Begriffsraster, diedie Überlieferung geformt undstrukturiert haben unddie denBlick des Historikers (zumal des modernen) auf die geschichtliche Realität derarchaischen Gesetzgebung möglicherweise eherverstellen –zumindest aber wäre ihre theoretische Legitimität undmethodische Anwendbarkeit als immer noch gültiger konzeptioneller Rahmen erst einmal ganzneuzuerweisen.
Ausdiesen Vorbehalten undFragen ergibt sich die Zielsetzung der anschließenden Untersuchungen: Es geht umein Bild der Gesetzgebung in archaischer Zeit, das eben nicht durch die erwähnten Deutungsmuster (und natürlich noch weniger durch diehistoriographischen Konventionen undbiographischen Topoi) derÜberlieferung gefiltert und eingefärbt ist, sondern in einem sehr unmittelbaren Sinne wirklich „ historisch“sein soll. Dasheißt zunächst nichts anderes, als daßdabei eine möglichst genaue Darstellung der gesamten Gesetzgebung undaller überlieferten Gesetze, ihrer Formen undVerfahren und auch der Rolle ihrer Initiatoren undTräger angestrebt wird, die die Vielfalt und Vielschichtigkeit derüberlieferten Fakten undDaten zumeigentlichen Gegenstand derAnalyse macht undinallen Einzelheiten differenziert undmöglichst trennscharf herausarbeitet. Zu diesem Zweck soll –wie in der allgemeinen Grundsatzkritik an den Vorstellungen der – modernen Forschung über die archaischen „ Kodifikationen“bereits angedeutet wurde6 einsehrnaheliegender undeinfacher, aberdennoch bisher kaum beschrittener Wegeingeschlagen werden, der in vieler Hinsicht eine Umkehrung des üblichen Vorgehens darstellt. Wenn mit den prinzipiellen Vorbehalten gegenüber hergebrachten Sichtweisen, Interpretationsstrukturen undBegriffsmustern ernst gemacht werden soll undwenn daher diearchaische Gesetzgebung auchnicht ohneweiteres als typologisch einheitliches, generell definierbares oder sogar schon fertig definiertes Phänomen, als berechenbare und leicht einzukalkulierende Größe in derGeschichte der archaischen Polis vorausgesetzt werden darf, dann mußeine solche Analyse aufderfundamentalen Ebene des einzelnen konkreten „ Gesetzes“ansetzen. Damit stellt sich natürlich sofort dasintrikate, endgültig undallgemein unstreitig wohl Gesetz“zuverstehen ist. überhaupt nicht zulösende Problem, wasgenerell unter einem „ Aufdieverschiedenen Definitionsvarianten undihre rechtsphilosophischen undrechtssystematischen Implikationen braucht hierabergarnicht eingegangen zuwerden, weil es in diesem Zusammenhang gerade darauf ankommt, denzunächst zugrunde gelegten Gesetzesbegriff relativ allgemein undweit zufassen undin derkonkreten Anwendung flexibel zuhandhaben7 . Eine allzu enge, juristisch differenzierte, also gewissermaßen „moderne“ Gesetz“anzuDefinition des Konzepts auf die Entstehung undfrühe Entwicklung von „ wenden, würde wiederum vonvornherein zueiner selektiven Vorstrukturierung des Materials undzueiner Interpretation derdaraus eruierten Daten führen, die denBlick auf den spezifisch archaischen Charakter derVerhältnisse unddie Besonderheit derfrühen Gesetzgebung imRahmen dieser Verhältnisse verstellen müßten.
6 7
Vgl. Kapitel I 2. Vgl. die „Arbeitsdefinitionen“von LATTE 1946/1968, 244; EHRENBERG 1965a, 26; 62; FAURE . Vgl. 1978, 318; BOTTÉRO 1982, 416, Siehe ferner GOODY 1986, 134f. zum Konzept des „code“ außerdem TRIANTAPHYLLOPOULOS 1985, 5ff. und dazu MANTHE 1990, 290ff.
1. Methodische
Vorbemerkung
63
Unter einem Gesetz soll daher hier ganz allgemein eine ausdrücklich festgelegte, nämlich als „ Satzung“niedergelegte und daher schriftlich fixierte Regelung oder Vorschrift mit normativem Charakter imweitesten Sinne dieser Begriffe verstanden werden, die auf die eine oder andere Weise eindeutig als verpflichtend undverbindlich gekennzeichnet ist unddie dabei eine allgemeine undgleiche Geltung für alle Adressaten ohne Ausnahme beansprucht –also für jene Gruppe, die der Regelung unterworfen ist, sei es „ die Polis“ , eine besondere Gruppe, ein Gremium oder ein Magistrat. Dabei wird diese Verbindlichkeit undGültigkeit inderRegel durch Sanktionen gegen die Mißachtung oder Verletzung ihres materiellen Gehalts sowie derdarin eingeschlossenen Gebote oder Verbote audrücklich gesichert undeingeschärft. DieVorschrift (mitsamt denSanktionen) und wiederum ihre verbindliche Geltung sollen ferner vondenerwähnten Adressaten auch als legitim undeben gültig angenommen werden, nämlich durch ein dafür vorgesehenes geregeltes unddaher wenigstens rudimentär formalisiertes Verfahren derInkraftsetzung und Verbindlichmachung, dasseinerseits allgemein alslegitim gelten muß–etwa in derForm eines Beschlusses einer dafür (vondenAdressaten) alszuständig anerkannten Institution. Eine derartige, ausschließlich aufformalen Kriterien aufbauende Definition bietet den indiesem Zusammenhang entscheidenden Vorteil, daßsie mitrelativ wenigen Vorannahmen und vor allem gänzlich ohne konkrete inhaltliche Vorgaben auskommt: Weder werdendabei abstrakte Annahmen hinsichtlich der typischen Gegenstände undInhalte von Gesetzen undGesetzgebung unddesfür dengesetzlichen Charakter einer Vorschrift notwendigen Mindestgrades anAllgemeinheit gemacht; noch wird damit die ohnehin immer 8, formaler Vereinbarung und„Vertrag“ fließende Grenze zwischen „ Gesetz“ und„Dekret“ vonvornherein willkürlich fixiert. Zugleich vermeidet die Arbeitsdefinition dabei bewußt eine differenzierte Klassifizierung undHierarchisierung derin einer Gesellschaft geltendenNormen, diegerade füreine archaische Gesellschaft undihr Rechtssystem ja auf keinenFall einfach vorausgesetzt werden können9 –eher wohl imGegenteil: Derartige Unterscheidungen und Einordnungen setzen ein ausdifferenziertes Rechtssystem und ein dementsprechend abstraktes, abstraktionsfähiges unddann auch bewußt abstrahierendes Rechtsdenken voraus. Die (durchaus absichtlich) tastend und provisorisch formulierte Arbeitsdefinition soll vielmehr weitgehend offen für die verschiedensten Arten von normativen Regelungen sein, sie soll ein noch fließendes undungeschiedenes Spektrum von Varianten abzudecken in derLage sein –nurso ist jene Unvoreingenommenheit gegenüber der anfänglichen Offenheit derarchaischen Zeit unddemdarin angelegten Potential anVarianten undOptionen gewährleistet, dieeine genuin historische Analyse undErklärung derEntstehung undEntwicklung derarchaischen Gesetzgebung erst möglich macht.
Dererste Schritt zueiner solchen
neuen Sicht
mußnotwendigerweise in einer Siche-
rung der empirischen Basis bestehen, die in demzuvor postulierten Sinne unvoreinge-
nommen ist. Diesem Zweck dient die folgende umfassende Dokumentation aller überlieferten Gesetze aus archaischer Zeit in dersoeben definierten weiten Bedeutung des Begriffs: Darin werden sämtliche einschlägigen Nachrichten in der antiken Überlieferung zunächst unter quellenkritischen Gesichtspunkten geprüft undjene daraus noch zueruierenden Daten undFakten im einzelnen analysiert, die sich als einigermaßen sicher –oder dochzumindest wahrscheinlich –authentisch herausstellen.
8
9
Hier liegt dasProblem derSammlung vonRHODES/LEWIS. Vgl. dazu HÖLKESKAMP 1990, 119f.; 123 gegen GAGARIN 1986, 51ff.
64
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
Eine solche Dokumentation darf sich dabei allerdings nicht ausschließlich –und in vieler Hinsicht nicht einmal in erster Linie –auf eine nochmalige Aufarbeitung der bekannten literarischen Tradition stützen, auchwenn sie umfassender undkritischer angelegt ist als dievorliegenden Zusammenstellungen10. Vorallem müssen die recht zahlreichen undzumTeil bedeutenden epigraphischen Zeugnisse, dieallein schon wegen ihres Ranges als authentische unddaher historisch unzweifelhaft zuverlässige Urkunden eine unverzichtbare, gewissermaßen kontrollierende Ergänzung zur literarischen Tradition darstellen, systematisch undmöglichst umfassend ausgewertet werden. Eine derartige Analyse, die das im weitesten Sinne relevante epigraphische Material bis in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts erfaßt unddabei auch alle erhaltenen Fragmente berücksichgesetzesförmlichen“Chatigt, soweit sie überhaupt noch Rückschlüsse auf Inhalt und „ rakter derursprünglichen Urkunde zulassen, ist bislang nur ansatzweise versucht worden11. Immerhin kann mannunauf diebeiden großen Sammlungen inschriftlich erhaltenerGesetze derarchaischen ZeitbisetwazurMitte des5. Jahrhunderts zurückgreifen, die in denKommentaren zu denaufgenommenen Zeugnissen auch viele historische Beob2. achtungen zuInstitutionen undVerfahren derfrühen Gesetzgebung enthalten1
FürdiePräsentation desliterarischen wiedesepigraphischen Materials unddieAnalyse dereinzelnen Gesetze wurde mitAbsicht die Form eines alphabetisch nach „Poleis“ (oder ähnlichen politischen Einheiten) geordneten Katalogs gewählt, weil nur auf diese
Weise derpostulierte Grundsatz eines völlig offenen undunvoreingenommenen Neuansatzes aufderfundamentalen Ebene deseinzelnen Gesetzes wirklich konsequent praktisch umgesetzt werden kann: Durch eine solche schematische Einteilung werden diegewonnenenDaten undEinzelresultate nicht schon vonvornherein etwa einem allgemeinen systematischen Raster oder einer chronologisch-entwicklungsgeschichtlichen Vorstrukturierung unterworfen. Indeneinzelnen Lemmata desKatalogs werden dannjeweils nicht nurderkonkrete Gegenstand, der Inhalt unddie etwa vorgesehenen Sicherungs- und Sanktionsbestimmungen sowie –wenn dies dieproblematische Quellenlage zuläßt –die konkreten Umstände, derAnlaß undZweck jedes einzelnen Gesetzes detailliert behandelt. Es wird außerdem immer wieder danach gefragt, wasbei deneinzelnen Gesetzen –undauch hier erweisen sich die inschriftlich erhaltenen Urkunden als besonders ergiebig –jeweils den gesetzesförmlichen“Charakter eigentlich ausmacht; obundaufwelche Weise sie also die „ erwähnten generellen Kriterien eines Gesetzes erfüllen. Daraus lassen sich wiederum recht oft einige Rückschlüsse auf die konkreten formalen Voraussetzungen undBedingungen vonGesetzgebung, diedaran beteiligten Institutionen unddie Verfahren der Inkraftsetzung vongesatzten Normen ziehen. Darauf wirddannnocheinmal umfassend und systematisch zurückzukommen sein.
10 Vgl. Kapitel I 1 und2. 11 Vgl. GAGARIN 1986, 81ff., besonders 81 Anm. 1;95 unddagegen HÖLKESKAMP 1990, 121ff. 461. Vgl. zu 12 Vgl. zu KOERNER die Rez. von K.-J. HÖLKESKAMP, ZRG, Rom. Abt. 114, 1997, 456– 616; 71, 1999 VANEFFENTERRE/RUZÉ I-II die Rezensionen vonG. PETZL, Gnomon 69, 1997, 612– (im Druck). Hilfreich sind die Konkordanzen SEG 43, 1993, 1235; 44, 1994, 1735 undFELL 1997, 184ff. AufVerweise aufdieSammlung vonRHODES/LEWIS habe ichverzichtet.
1.Methodische
Vorbemerkung
65
Diegroßen Poleis Sparta undAthen werden ausunterschiedlichen Gründen nicht in eigenen Abschnitten behandelt. Sparta bleibt nicht nurdeswegen unberücksichtigt, weil es angeblich keine geschriebenen Gesetze hatte –Lykurg soll sie ja ausdrücklich verboten haben13. Tatsächlich gibt es praktisch keine verläßlichen Daten über spartanische Gesetze14, die die oben aufgeführten Kriterien wenigstens ansatzweise erfüllen. Das gilt auch für die sogenannte „Große Rhetra“ , diezwar Regelungen über wesentliche spartanische Institutionen –Phylen und Oben, Könige, Gerousia unddamos15 –enthält, deren im Wortsinne „orakelhafter“Charakter sie aber in jeder Hinsicht zu einem Ausnahmefall macht. ImFalle Athens kann schon deswegen voneiner systematischen Analyse abgesehen werden, weil das Mordgesetz Drakons undvorallem natürlich die Gesetzgebung Solons wiekaumeine andere immer wieder ausführlich undgründlich –wenn auch zumeist isoliert –untersucht worden sind16 undeine erneute Behandlung nurwenig Neues erwarten läßt. Außerdem werden Drakons Regelungen underst recht viele derSolon zugeschriebenen Gesetze, etwa zumErbrecht, zu Luxus undBestattungsaufwand, ohnehin in verschiedenen Zusammenhängen alswichtige Zeugnisse herangezogen. In diesem Zusammenhang geht es aber nicht nurumdieeinzelnen Gesetze undihre nicht zu unterschätzende Bedeutung fürdie Entwicklung vonGesetz undGesetzgebung in demoben definierten Sinne. DasProblem besteht auch darin, daßvor allem Solons Gesetzgebung als ganze oft implizit und zuweilen explizit als Idealtyp einer archaischen Nomothesie“undals Folie für dieAnalyse eines angeblich gesamtgriechischen Phäno„ mensgenommen wird–die solonische Gesetzgebung ist damit geradezu diewesentliche Ausgangsbasis für viele jener allgemeinen und verallgemeinernden Annahmen, deren methodische Tragfähigkeit undsachliche Schlüssigkeit hier inFrage gestellt werden. Gegen die verbreitete Einschätzung des solonischen Werks als Idealtyp lassen sich jedoch von vornherein grundsätzliche Einwände erheben. Es ist zunächst keineswegs evident, daßdiese „ Gesetzgebung“denfür dieGesetzgebungen im ganzen griechischen Raumexemplarischen unddaher ohne weiteres generalisierbaren Normalfall einer archaischen „ Nomothesie“darstellte. Erstens mußbezweifelt werden, daß die konkreten Verhältnisse, diezurWahl Solons führten undauf die seine Gesetze einwirken sollten, ohne weiteres mit denjeweiligen Umständen der frühen „ Gesetzgebung“in anderen Städten vergleichbar sind–auchSolons Maßnahmen waren natürlich situationsgebunden undauf ganz spezifische Probleme zugeschnitten. Zweitens wurde Solon selbstverständlich und unisono seit derAntike eine besondere Bedeutung zugemessen –nach welchen Maßstäben und ob überhaupt zu Recht, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls hebt ihn allein schon die brillante, bis in die moderne Forschung nachwirkende Selbstdarstellung des Dichters Solon als des neutralen, über denParteien stehenden Schiedsrichters undOrdners, dessen Position derMitte, des Maßes unddesAusgleichs mit der wahren „ Euno13 Plut.Lyk. 13,1ff., vgl. auch mor. 221B-C; 227B. Siehe dazu vor allem CARTLEDGE 1978, 35f.; BORING 1979, 24ff.; GAGARIN 1986, 57f., vgl. 26; 77; 140; DETIENNE 1988b, 56ff.; THOMMEN 1996, 42f. 14 Die epigraphischen Zeugnisse IG V 1,1155 undvor allem V 1,722 (=LSCG Suppl. Nr. 28), das von bezeichnet worden ist, erscheinen zu problematisch, um early lex sacra“ BEATTIE 1951, 46ff., als „ eine eigene Behandlung zurechtfertigen. Vgl. dazuKapitel III 2, Abs. ARKADIEN. 15 Plut.Lyk. 6,1ff. Vgl. dazu Kapitel IV 2. 16 Vgl. Kapitel IV 1 (neuere Literatur indenAnmerkungen).
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
66
mie“ identisch
füruns, aber auch schon für die antiken Autoren über die stummen“Gesetzgeber seiner Zeit hinaus. UndAristoteles wies ihmdann auch anderen, „ nocheinen besonderen Rang als„Verfassungsstifter“zuundsetzte ihndamit ausdrücklich 18 überdiebloßen „Gesetzgeber“ –eine Einschätzung, diewiederum auchindermodernen Forschung vorherrscht. Gerade dies macht esaber umso fragwürdiger, Solons Gesetzgebung insgesamt als repräsentatives Beispiel undeigentlichen Maßstab für die Gesetzgebunginderarchaischen Polis zumachen. Umletztlich zueiner wirklich fundierten allgemeinen Einschätzung des Phänomens zugelangen, diedann etwa auch einen Vergleich zwischen Solon undseinen Gesetzen einerseits und anderen Gesetzgebern undihren Maßnahmen andererseits einschließen könnte, mußzunächst deroben vorgezeichnete Wegeingeschlagen werden. Die vorgeschlagene Methode, einneues, unvoreingenommenes unddifferenziertes Bild derEntstehungundEntfaltung vonGesetzgebung imarchaischen Griechenland vonderEbene des einzelnen Gesetzes herStück für Stück aufzubauen, legt damit aber geradezu nahe, eben nicht zuerst Solons Gesetzgebung als Gesamtwerk in den Blick zu nehmen (und damit womöglich tendenziell doch wieder zumMaßstab für die Analyse aller anderen Fälle zu machen), sondern alle anderen, undgerade dieweniger prominenten undoft unspektakulären, Gesetze indenVordergrund zustellen. sei17, zumindest
Gedichte hin: Frg. 5DIEHL3 = frgg. 5; 6WEST= frgg. 7; 8GENTILI/PRATO; frg. 243DIEHL3 = 36WEST = 30GENTILI/PRATO; frg. 25DIEHL3 = 37WEST = 31GENTILI/PRATO unddie Definition der „ Eunomie“frg. 3DIEHL3 = 4WEST = 3GENTILI/PRATO, Z.32ff. Vgl. zu Solon generell WOLF 1950, 189ff.; MURRAY 1980/1982, 235ff.; LORAUX 1984, 199ff.; 1988, 95ff.; OLIVA 1988; MANVILLE 1990, 153ff.; STAHL 1992, 385ff.; RAAFLAUB 1985, 54ff.; 1993, 70ff., mit weiteren Nachweisen; McGLEW 1993, 87ff.; CARTLEDGE 1998, 390f. Vgl.
17 Ich weise nur auf die bekanntesten
auch Kapitel IV 1 und3. 18 Pol. 1273b30ff. Vgl. dazu Kapitel II 2.
2. Dieeinzelnen Poleis
67
2. Dieeinzelnen Poleis ARGOS
Unter denrelativ zahlreichen epigraphischen Zeugnissen aus Argos –überwiegend handelt es sich umkürzere Inschriften auf Weihgeschenken im Heraion1 –finden sich auch einige Bruchstücke früher Gesetzestexte, die zwar wegen ihres sehr fragmentarischen Erhaltungszustandes inhaltlich nicht mehrvollständig rekonstruiert werden können, aber dennoch in mehrfacher Hinsicht recht aufschlußreich sind. Eines dieser Dokumente ist offenbar eine lex sacra, die boustrophedon in relativ großen Buchstaben auf einen Steinblock geschrieben ist; dieser Stein stammt ohne Zweifel aus dem Heiligtum der Athena (Polias) auf der Larisa, derAkropolis vonArgos2. Dasandere Gesetz, ebenfalls boustrophedon geschrieben, befindet sich auf einer Bronzeplatte, die im Heraion gefundenwurde3. Beide Inschriften werden allgemein in das(frühe) 6. Jahrhundert datiert. Dasauf derLarisa gefundene undrelativ guterhaltene Dokument bezieht sich ohne Zweifel auf Tempel und Kult der Athena Polias4. Im ersten Teil hält es fest, daß zu der Zeit, alsdiejenigen sechs Damiorgen amtierten, deren Namen einzeln in derlinken Spalte des Textes aufgeführt sind, bestimmte Gegenstände (oder vielleicht auch Arbeiten) im Heiligtum aufgehoben bzw. ausgeführt wurden; diese Arbeiten oder „ Schätze“(τ ὰ ) werden sodann zuWeihungen –wohl dergenannten Damiorgen –an Athena ρ μ έ α χ τ α Polias erklärt5 . Zudiesen „Schätzen“gehören anscheinend auch diekultischen Gerätschaften, deren Benutzung inder folgenden gesetzesförmlichen Vorschrift näher geregelt wird. Zunächst 6 der Gebrauch dieser Gegenstände außerhalb desTempelbezirks wirddem„Privatmann“ . Hingegen wirddasδα μ ό σ –darunter sindwohldiePolis bzw. ihre Repräιο ν untersagt7 sentanten, etwa Magistrate, zu verstehen8 –ausdrücklich zur Benutzung der genannten
1
Vgl. dazu JEFFERY 1961/1990, 151ff. und den Katalog 168ff., sowie die A.JOHNSTON, ebda., 443ff. mit denNachweisen; s. ferner FOLEY 1988, 124ff.
2
LSCG Suppl. 27; KOERNER Nr. 25; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 88, mit Kommentar und weiteren Nachweisen; vgl. zuerst VOLLGRAFF 1929, 206ff., ferner SEG 11 (1954) 314; BUCK 1955, Nr. 83; HAINSWORTH Nr. 32. Vgl. noch WÖRRLE 1964, 60ff. IG IV 506; KOERNER Nr. 29; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 100, jeweils mit Kommentar und weiteren Nachweisen. Vgl. zuerst ROGERS 1901, 159ff.; H.F.DE Cou, in: WALDSTEIN 1905, 273f. (Nr. 1826), sowie SEG 11 (1954) 302. Vgl. zum Inhalt generell etwa JEFFERY 1961/1990, 158; KELLY 1976, 131. Siehe zu densprachlichen Problemen desTextes im einzelnen die Kommentare von VOLLGRAFF 1929, 209ff.; U. Ph. 19; BOISSEVAIN, Ad inscriptionem in arce Argorum repertam, Mnemosyne n.s. 58, 1930, 13– SCHWYZER 1930, 321ff.; BOURGUET 1930, 1ff. mit einigen Unterschieden. LSCG Suppl. 27, Z.1ff. Vgl. zum Begriff hε διέ σ τ α ςetwa SCHWYZER 1930, 322ff.; BUCK 1955, S. 283f. gegen
3
4
5 6
1929, 226f. LSCG Suppl. 27, Z.5ff. Vgl. JEFFERY 1961/1990, 158. Vgl. dazu etwa SCHWYZER 1930, 325; BUCK 1955, S. 284; 10 (S. 65). F.SOKOLOWSKI zu LSCG Suppl. 27, Z.9–
Ergänzungen
von
VOLLGRAFF
7 8
JEFFERY
1974, 1973–
326;
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
68
Gegenstände zukultischen Zwecken ermächtigt9 . Wenn aber jemand (ein „ Privatmann“ μ oder ein Vertreter des δα ό σ ιο ν ) etwas beschädigt, soll er den Schaden beheben –auf welche Weise undinwelchem Ausmaß, soll derDamiorg (oder die Damiorgia als Kollektiv)10 verbindlich festlegen und gegebenenfalls durchsetzen11. Der Tempelwächter ) soll dafür zuständig sein–wasvielleicht heißen könnte, daßer eine gewisse ο μ φ λ ίπ ο ς (ἀ 12. Aufsichts- undmöglicherweise auchAnklagefunktion hatte Es ist offensichtlich, daß diese von Form und Inhalt her zweifellos gesetzesförmlichen Vorschriften nicht unselbständiger Teil eines größeren Ganzen sind, sondern eine einzelne, aufsehrkonkrete Umstände ausgerichtete Maßnahme darstellen. Diese Satzung, dietrotz desFehlens einer Ratifikationsformel relativ vollständig undin sich geschlossen erscheint, dürfte voneinem ganz bestimmten Vorgang, vielleicht derimersten Teil vorausgesetzten Weihung, unmittelbar veranlaßt worden sein.
Zugleich dokumentiert dieses Zeugnis den hohen Grad der institutionellen Ausdifferenzierung, den die Polis Argos schon zu Beginn des 6. Jahrhunderts erreicht hatte. Denn es gibt bereits eine begriffliche undwohl auch sachlich definierte Unterscheidung ) μ ν privaten“ ό ιο σ zwischen dem„ α Einzelnen einerseits unddem„ öffentlichen“Ganzen (δ andererseits. DieDamiorgen gelten offensichtlich alsdessen bevollmächtigte Vertreter und öffentlicher“ damit alsTräger genuin „ Funktionen: Eine ihrer Aufgaben hatte anscheinend mit(derAufsicht über?) chremata imHeiligtum derAthena Polias zutun, eine andere ist die in dieser Satzung formal festgelegte Durchsetzung eines Schadensersatz- und Strafanspruchs13. Nicht zuletzt deswegen erscheint es auch sehr wahrscheinlich, daß die sechs am Anfang des Textes genannten Damiorgen bereits eine fest institutionalisierte, mehrstellige undvermutlich kollegiale „leitende Behörde“waren1 4. Daskönnte, mußaber keineswegs notwendig bedeuten, daßsiewenigstens zurZeit derFixierung dervorliegenden Satzung –wiediegleichnamige, allerdings oft einstellige Einrichtung in anderen Poleis –die eponymen Magistrate vonArgos waren15. Es mußnicht einmal bedeuten, daßihre Zahl von Anfang anfestgestanden hätte undimmer gleich geblieben wäre. Offenbar gab es ja einmal–möglicherweise unter ungewöhnlichen Umständen –neun Damiorgen in ein und derselben (einjährigen?) Amtsperiode, wiejene Liste vonneun Namen unter derauffälligenFormel ἐ [έαδ]α μ γ ιορ ο ν ν ὶἐανάσσα ν τ οzudokumentieren scheint, die auf einem stelenförmigen Stein fixiert war, derwohleinTürpfosten gewesen sein dürfte undjedenfalls auch vonderLarisa stammt16. Ob es sich bei diesem Fragment –das wie die lex
9 10 11 12
LSCG Suppl. 27, Z.9ff. 1974, 326. Vgl. dazuJEFFERY 1973– LSCG Suppl. 27, Z.11ff. LSCG Suppl. 27, Z.13 und den Kommentar von F.SOKOLOWSKI ad loc. Vgl. dazu VOLLGRAFF 1929, 233f.; JEFFERY 1961/1990, 158, anders KOERNER, S. 77 zuNr. 25. 13 Vgl. bereits BOURGUET 1930, 3f.; ferner WÖRRLE 1964, 67f. undallgemein WELWEI 1983/1998,
61. 14 Vgl. auch BUSOLT 1920, 507; HUXLEY 1960, 600; WÖRRLE 1964, 12; 62f.; 69; KELLY 1976, 131. 15
So etwa MURAKAWA 1957, 392; HAMMOND 1960, 36; KELLY 1976, 131; VELIGIANNI TERZI 1974, 1977, 4ff.; vgl. allgemein BUSOLT 1920, 505ff. Siehe dazu eher zurückhaltend JEFFERY 1973– 325; WELWEI 1983/1998, 61.
16 VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 87, mit Kommentar undNachweisen. Vgl. etwa IG IV 614 mit VOLLGRAFF
1928, 321ff.; SEG 11 (1954) 336; JEFFERY 1961/1990, 168 (Nr. 7); 405 zu Tafel 26,7;
2. Dieeinzelnen
Poleis
69
sacra in dasfrühe 6. Jahrhundert gehören könnte, wahrscheinlich sogar noch etwas älter ist –umdenSchluß eines „Dekrets“handelt, mußallerdings offenbleiben17. Eindeutig um ein Gesetz muß es sich hingegen bei demanderen oben bereits genannten Dokument gehandelt haben, das auch noch in die Mitte des 6. Jahrhunderts gehören dürfte. Dieser Text warboustrophedon auf eine Bronzeplatte geschrieben, die im Heraion aufbewahrt worden zusein scheint18. Vondieser Platte ist allerdings nurein stark zerstörtes Bruchstück erhalten, so daßderText der Inschrift nicht mehr zusammenhängend rekonstruiert werden kann19. Allgemein unstrittig ist jedoch, daß im ersten, noch erhaltenen Teil des Dokuments offenbar Sanktionen gegen denjenigen festgelegt waren, der die Inschrift mitdemText des eigentlichen Gesetzes beschädigte. Diese Sanktionen bestanden in schweren Strafen wie Verfluchung, TodundVerbannung –undzwar, wie zu vermuten ist, für Verbrechen gegen die Polis20. Wieder muß die Damiorgia oder ein einzelner Damiorgos eine zentrale Rolle gespielt haben, vermutlich bei derDurchsetzung desGesetzes, derVerhängung und/oder Exekution derStrafen. Denn in einer noch lesbarenZeile, indervoneinem besonderen Fall die Rede ist, heißt es: „Wenn keiner Damiorgosist“ , dann hat, so mußwohl ergänzt werden, ein anderer Funktionsträger bestimmte Pflichten zuübernehmen, nämlich wahrscheinlich eben die strafrechtlichen Aufgaben der Damiorgia –diese Ergänzung wird jedenfalls durch eine offenbar fast gleichlautende, jedoch besser erhaltene Klausel in einem Gesetz aus dembenachbarten Mykene nahegelegi, dasebenfalls in das6. Jahrhundert zudatieren ist21. In einem Gesetz, das die Verhängung schwerster Strafen für bestimmte Verbrechen vorsah, ist es nicht sehr wahrscheinlich, daßeine solche Vorschrift bloß als pragmatische Ersatzregelung diente, etwa für den Fall der Verhinderung des zuständigen Damiorgen oder anstelle einer langwierigen Einberufung des ganzen Damiorgenkollegiums –eine Vermutung, die bei der entsprechenden Klausel in demerwähnten Gesetz aus Mykene 2. vielleicht naheliegt2 In diesem Zusammenhang dürfte eine solche Vorschrift eher eingeführt worden sein, weil dafür eine konkrete Notwendigkeit undwomöglich ein unmittelbarer Anlaß vorlagen, die über alltägliche Sachzwänge hinausgingen. Deranvisierte Fall dürfte dieVakanz derDamiorgia gewesen sein, die –wie die ἀ ρ χ ίαin Athen oder die ν α 1967, 128f. (Nr. 2). Vgl. zu Datierung und Interpretation des Dokuments JEFFERY 1974, 323f., sowie HUXLEY 1960, 599f.; HAMMOND 1960, 33ff.; 1961/1990, 156ff.; 1973– WÖRRLE 1964, 60ff.; 64f.; GUARDUCCI 1967, 129 –dort auch gegen VOLLGRAFFS Ansicht (1932, 369ff.), daßes sich umlegendäre Namen handele. So die Vermutung von HAMMOND 1960, 35. IG IV 506 undneuerdings JEFFERY 1961/1990, 405 zu Tafel 27,9; vgl. 168 (Nr. 9); KOERNER Nr. 29; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 100. Vgl. zuerst ROGERS 1901, 159ff., der die Inschrift noch in das 7. Jh. datieren wollte (162), ferner H.F.DECou, in: WALDSTEIN 1905, 273f.; 333ff. (Nr. 1826); SEG 11 (1954) 302. Die Ergänzungsvorschläge vonROGERS 1901, 160ff., sind zwar ingeniös undzumTeil auch plausibel, aberdochauchrecht spekulativ. 1974, 326; KELLY 1976, 132. Eine sehr ähnliche Regelung Vgl. JEFFERY 1961/1990, 158; 1973– stammt aus der Mitte des 5. Jh.: VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 110; vgl. M.Th. MITSOS, Une in249. Argos, BCH 107, 1983, 243– scription d’ 1974, 326 unter Hinweis auf IG IV 493 (= IG IV 506, Z.7; vgl. dazu JEFFERY 1961/1990, 158; 1973– γ ίαε . Vgl. dazu denAbἴεκ τ λ ρ μ ιο ὲδα ἰμ KOERNER Nr. 24; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 101): Α satz MYKENE. Siehe auch noch KELLY 1976, 132. 1974, 327. Vgl. JEFFERY 1973– GUARDUCCI
17 18
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21 22
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
70
μ inKreta –aufdie Paralysierung dernormalen Verfahren undAbläufe derBeία κ ο σ ἀ stellung von Magistraten durch schwere innere Auseinandersetzungen zurückzuführen war. Tatsächlich gibt es ja einige Indizien dafür, daß Argos um die Mitte des 6. Jahrhunderts nicht nuräußere Rückschläge erlitt, sondern auch (zumindest zumTeil als Folge davon) eine Zeit innerer Wirren durchmachte2 4. Vielleicht wardas Gesetz über dieschweren Strafen fürVerbrechen, dieoffenbar MordundTotschlag unter denBürgern einschlossen, selbst eine Reaktion aufdenAusbruch scharfer, nicht mehr im „bürgerlichen“ Rahmen zuhaltender Gegensätze: Dannwärees aufganz besondere Weise einAnlaßgesetz, das durch Sanktionen gegen Beschädigung unddie Aufbewahrung im sakral geschützten RaumdesHeraion nocheigens gesichert werden mußte. Auchein weiteres, eindeutig durch einen konkreten Vorgang veranlaßtes Gesetz aus derZeit umoderkurz vor48025 ist ohne dieunmittelbare Gefahr desoffenen Ausbruchs innerer Gegensätze nicht erklärbar –unddiese Voraussetzung warin Argos auch in den Jahren nach derWende vom6. zum5. Jahrhundert eindeutig gegeben2 6. Derfast vollständig erhaltene Text (dessen Herkunft ausArgos selbst zwar nicht ganz unumstritten ist, der aber ohne Zweifel aus der Argolis stammt27) ist ebenfalls auf eine Bronzetafel geschrieben, dieanscheinend zuröffentlichen Anbringung aneiner Wandbestimmt war28. WenndasDokument auchkeine einleitende Ratifikationsformel hat, so ist es doch in eindeutig gesetzesförmlichen Wendungen formuliert und war womöglich ein Volksbeschluß29.
DerGegenstand desTextes ist eine besondere Regelung, die denSchatz derAthena bzw. dessen konkrete Verwendung in einem bestimmten Fall betraf. Es heißt dann30: ) unter einem gewissen ο ά λ ισ {τ Wenn irgendein Magistrat (τ ις}...τ ) denRat(β έ λ ο ςἔχ ο ν Ariston oder diejenigen, die mit ihmἀ ρ τ ῦ ν α ιwaren, oder ein anderer „Schatzmeister“ μ ία (τ α ς ) entweder zurRechenschaft zieht –also vermutlich eine formale Rechenschaftsoder Klage gegen sie erhebt undführt, undzwar anscheinend eben ablegung beantragt – wegen der(von ihnen bei derVolksversammlung beantragten unddurchgesetzten?) Verwendung desTempelschatzes31, dannsollte dieser Magistrat mitVerbannung undEinzie1974, 326. 23 [Aristot.] Ath.Pol. 13,1 bzw. Aristot. Pol. 1272b7ff.; vgl. auch JEFFERY 1973– 24 Vgl. etwa TOMLINSON 1972, 189f.; KELLY 1976, 130ff.; GEHRKE 1986, 114f. unddie Anmerkung S. 188 mitHinweis aufDiod. 7,13,2; Paus. 2,23,7. IG IV 554; KOERNER Nr. 27; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 107. Vgl. DGE 78; BUCK 1955, Nr. 84; SEG 11 (1954) 315; HAINSWORTH Nr. 33 und bereits REINACH 1891, 171ff.; O.A.DANIELSSON, Zurargivischen Bronzeinschrift derSammlung Tyskiewicz, Eranos 1, 1896, 28– 37; VOLLGRAFF 1930, 26ff. zum Text, sowie JEFFERY 1961/1990, 169 (Nr. 20) zur Datierung, ferner BRANDT 1992, 84ff. mitweiteren Nachweisen. 26 Vgl. dazu etwa WELWEI 1974, 182ff. undneuerdings GEHRKE 1985, 24ff.; 361ff. mit allen Nachweisen. 27 JAMESON 1974, 67ff., hat nachzuweisen versucht, daßdie Inschrift nicht aus Argos, sondern aus Halieis stammt: ebda. 68f. zurLiteratur überdieses Problem; vgl. dagegen neuerdings BRANDT 1992, 83ff. mitweiteren Nachweisen. 28 Vgl. REINACH 1891, 171; VOLLGRAFF 1930, 26. 29 Vgl. VOLLGRAFF 1930, 27. 30 Vgl. etwa JEFFERY 1961/1990, 161; WÖRRLE 1964, 32; 45; 48; 54ff.; JAMESON 1974, 68f.;
25
KOERNER
1987, 494f.
JAMESON
1974, 75; KOERNER 1987, 495.
31 Vgl. dazu WÖRRLE 1964, 32; 45. Die Interpretation
dieses Passus
ist höchst
umstritten;
vgl.
2. Dieeinzelnen Poleis
71
werden32. Der (jeweils amtierende) durchzuführen, widrigenfalls „ sie selbst“ , also die Ratsmitglieder, derAthena haftbar sein sollten33. Diese Maßnahme setzt nicht nurdieExistenz einer bereits funktional differenzierten Organisation vonMagistraten undRatsgremien voraus, von deren jeweiligen konkreten Kompetenzen in diesem Zeitraum allerdings nicht viel bekannt ist34. Darüber hinaus gab es offenbar auch ein geregeltes Zusammenwirken verschiedener Institutionen, etwa hinsichtlich derEinbringung vonAnträgen in derἀ λ ια ία , undoffenbar auch reguläre, also formalisierte Verfahren derRechenschaftsablegung undderKlageerhebung35. Diese allem Anschein nach üblichen undfest etablierten Verfahren werden nuninsofern zumGegenstand dieser Satzung, als sie für einen bestimmten, ganz konkreten Fall suspendiert werdensollen, nämlich füreine Verwendung vonTempelschätzen zuungewöhnlichen Zwekken –auch in dieser Hinsicht handelt es sich also um ein typisches Anlaßgesetz36, über dessen nähere Umstände undHintergründe allerdings wiederum nurVermutungen angestellt werden können37. FürdieAnnahme, daßdieerwähnten Verfahren ansich allgemein undumfassend gesetzlich geregelt gewesen wären, etwa imRahmen einer systematischen „ , Kodifikation“ gibt es hingegen keinerlei Hinweise in der epigraphischen oder literarischen Überliefe-
hung seines Besitzes zugunsten der Athena
bestraft
ο λ ά–hatte die Konfiskation Rat –wiederum die β
rung. ARKADIEN (PHENEOS?)
Dieguterhaltene Bronzetafel miteiner archaischen Inschrift ausArkadien, diezuerst vonD. ROBINSON veröffentlicht wurde1, ist miteiniger Sicherheit in das letzte Viertel des 6. Jahrhunderts zu datieren. Das Zeugnis stammt wohl ursprünglich nicht aus Kleitor oderLusoi, sondern eher ausdemauch nicht weit vondemangeblichen Fundort entfernt 32 Vgl. dazu etwa KOERNER 1987, 469. 33 Vgl. dazu WÖRRLE 1964, 48; KOERNER 1987, 469f.; 495; RUZÉ 1997, 241ff. Vgl. auch die Formel 450 v.Chr.): VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. ιἔδο ία ἀ λ ια ξ εamAnfang eines Proxenie-Dekrets (475– ξ 35, Z.1(dort weitere Nachweise). 34 Vgl. zu denἀ ρ τῦ ν α ιetwa WÖRRLE 1964, 72ff.; TOMLINSON 1972, 198; skeptisch JAMESON 1974, 74f. mitweiteren Nachweisen; GEHRKE 1985, 362. 35 Vgl. etwa WÖRRLE 1964, 45; 54ff. u.ö.; BRANDT 1992, 85; 88. 36 KOERNER 1987, 495 mit Anm.278, will esdeswegen ein „Dekret“nennen, das, wie er einräumen –nämlich eine allgemeine Bindungswirkung für freilich auch weiterhin Folgen haben kann“ muß,„ 37
die Zukunft. WÖRRLE 1964, 119 Anm.61; vgl. 45, vermutet eine besondere Notsituation nach der Schlacht bei mit Sepeia; KOERNER 1987, 495, will darin eineAbwehrmaßnahme der„ Oligarchie“sehen, diesich „ zuverteidigen suchte –eine m.E. wenig überzeugegen die„ heraufziehende Demokratie“ aller Kraft“ gende Spekulation.
1
1943; KOERNER Nr. 35 mit Nachweisen und Kommentar; vgl. außerdem BEATTIE 1947; 156 (Nr. 73); BUCK1955, Nr. 155– 1960, 239ff.; LSCG 16; JEFFERY 1961/1990, 241 (Nr. 2); 408 mit Tafel 40; GUARDUCCI 1959– Suppl. 32 (mit Ergänzungen S. 232); SEG 11 (1954) 1112; 22 (1967), 320; IPArk Nr. 20 mit Korrekturen, Varianten undweiteren Nachweisen, aufdiehiernicht eingegangen zuwerden braucht. Vgl. zudenstrittigen sprachlichen Fragen vor allem A.MORPURGO DAVIES, S.E.G. XI 1112 e il sincre354. tismo dei casi in arcado-cipriota, PP 19, 1964, 346– ROBINSON
J. undL.ROBERT, REG 57, 1944, 210– 211 (Nr. 107); 61; 1948,
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
72
liegenden Pheneos, wie L. JEFFERY wahrscheinlich machen konnte2. Ganz in der Nähe dieser Siedlung liegt nämlich einHeiligtum derDemeter Thesmia3 , auf dassich dieVorschrift in den ersten beiden Zeilen dieses Dokuments sehr wohl beziehen könnte: Dort wenneine Fraueinbuntes Kleid trägt, soll sie es derDemeter Thesmophoheißt es, daß„ 4. rosweihen“ Diefast vollständig erhaltene undgutlesbare Inschrift beinhaltet also offenbar sakralrechtliche Regelungen, die sich auf dieangemessene Kleidung derFrauen imTempelbezirk undbei Kulten bzw.Festen beziehen. Ähnliche Vorschriften finden sich in einer ganzenReihe vonvergleichbaren, wennauch zumeist erheblich jüngeren leges sacrae –etwa in Kultsatzungen derHeiligtümer der Demeter von Dyme in Achaia5 und der Despoina vonLykosura inArkadien sowie inderSatzung überdieMysterien vonAndania in Messenien7. Immerhin istaucheine derartige lexsacra ausLakonien erhalten, die noch in das späte 6. Jahrhundert zu datieren ist8. Wiealle diese Gesetze enthält auch das archaische Kultgesetz ausArkadien besonders genaue, bis ins Detail gehende Vorschriften über unzulässige, das heißt: bunte undallzu luxuriöse Kleidung. In diesem Fall geht es sogar ausschließlich umeinen sehr genau umschriebenen Verstoß gegen eine (in diesem Zusammenhang selbst gar nicht genannte) Norm bzw. umdie dagegen gerichteten Sanktionen: Wenn die Frau ihre unangemessene Bekleidung nicht derGöttin weiht, soll sie als besonders hartnäckige Missetäterin einer weiteren, schwereren Strafe verfallen –einem Fluch oder auch der Todesstrafe9 . Derjenige, der –wohl zum Zeitpunkt des Verstoßes – alsDamiurg amtiert, soll 30 Drachmen bezahlen, wohlweil erdieTatnicht verhindert und damit seine Aufsichtspflicht verletzt habe10; undwenn er dasversäumt bzw. verweigert, soll erwegen Asebie angeklagt werden. Schließlich wird auch noch festgelegt, daßdas– dasheißt wohl: dieVorschrift, dieSanktionsdrohung gegen denMagistrat oder derFluch –zehnJahre inKraft bleiben soll11. Der einigermaßen unvermittelte Beginn des Textes ohne Ratifikationsformel oder vergleichbare Einleitung legt denSchluß nahe, daßes sich hier umdiezufällig erhaltene Fortsetzung (undmöglicherweise denSchluß) einer ganzen Serie vonkurzen, aufeinander bezogenen sakralrechtlichen Vorschriften handeln könnte, die auf ähnlichen Bronzetafeln
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JEFFERY 1961/1990, 208f.; vgl. bereits dies., 1949, 30f. gegen ROBINSON 1943, 191. Paus. 8,15,4. In Kleitor gab es allerdings ebenfalls ein Demeter-Heiligtum: Paus. 8,21,3. Vgl. zur 2764, hier 2732; Verehrung der Demeter Thesmophoros in Arkadien O.KERN, RE 4,2 (1901) 3713–
2750f.
Sodieseit BEATTIE 1947, 67ff. allgemein akzeptierte
Interpretation
derbeiden ersten Zeilen.
DGE 429, vgl. LSCG Suppl. 33 (mit weiteren Nachweisen) aus dem3. Jh. IG V 2, 514; DGE675; vgl. auch LSCG 68 (mit weiteren Nachweisen) ausdem3. Jh. IGV 1, 1390; SGDI 4689; DGE74 undneuerdings LSCG 65 mit weiteren Nachweisen. Vgl. ferner LSCG Suppl. 32 mit weiteren Beispielen, sowie generell BEATTIE 1947, 67; 1951, 58; MILLS 1984, 258ff. LSCG Suppl. 28; vgl. IG V 1, 722; SGDI 4412; BEATTIE 1951, 46ff. Danach war denFrauen die Verwendung bestimmter, vompolianomos nicht genehmigter Stoffe bei derHerstellung von (zu weihenden) Kleidungsstücken untersagt.
9 Vgl. dazu BEATTIE 1947, 69f.; MILLS 1984, 258; KOERNER 1987b, 463. 10 Vgl. BEATTIE 1947, 71f.; MURAKAWA 1957, 393; KOERNER 1987b, 463f.;
anders MILLS
258f. Vgl. zur Damiurgie VELIGIANNI TERZI 1977, 33ff. 1960, 241f.; MILLS 1984, 258f.; 11 Vgl. dazu GUARDUCCI 1959–
464.
KOERNER 1987b,
1984,
2. Dieeinzelnen
73
Poleis
fixiert und offenbar am Tempel oder sonstwo im Tempelbezirk öffentlich angeschlagen waren12. Diese Möglichkeit berechtigt allerdings kaum zu dem Schluß, daß hier das Fragment einer umfassenden und systematischen Gesetzgebung vorliegt. Denn selbst wenn der vollständige Text dieser lex sacra etwa denvielfältigen Vorschriften der erwähnten Kultsatzung vonAndania entsprochen haben sollte, hätte es sich auch nur umein einzelnes Gesetz gehandelt –ein Gesetz nämlich, das sich auschließlich auf einen spezifischen, genau bezeichneten Gegenstand bezog undeine Reihe präzise charakterisierter undkonkret darauf bezogener Tatbestände regelte. Selbst in diesem Falle wäre es also ein gegenstandsgebundenes Gesetz, dasauchdurch denOrtseiner Fixierung undVeröffentlichung ineinen bestimmten Zusammenhang eingebunden war.
Axos (OAXOS)
AusAxos imnördlichen Mittelkreta –einer schon in hocharchaischer Zeit recht bewie der große, aus polygonalen Blöcken errichtete Tempel (wohl des Apollon) aufderAkropolis unddiereichen Funde, zudenen etwa die bekannten „Mitren“ zählen, auch aus der „Unterstadt“bezeugen1 –hat sich eine ganze Reihe von Bruchstükken archaischer Inschriften erhalten, die zumTeil noch aus demfrühen 6. Jahrhundert stammen2. Diese Reste hat L. JEFFERY –aus epigraphischen Gründen und anscheinend wegen derunterschiedlichen Fundorte –in drei Gruppen eingeteilt, die sie als Fragmente eines frühen „ legal code“ einer etwas späteren, um525 bis 500 zu datierenden Gesetz3, gebung4, die der eigentliche undwichtigste „ Code“von Axos gewesen sei, undschließlich eines dritten, zwar in die gleiche Zeit zu datierenden, aber nicht dazugehörenden . „ Code“ bezeichnet5 Die zur ersten Gruppe zählenden frühesten Inschriften, die von einem weiteren, unterhalb des Hauptheiligtums liegenden archaischen Tempel (der Aphrodite oder der Ardeutenden Polis,
temis) stammen6, lassen sich durchweg inhaltlich nicht mehr rekonstruieren: Auf den mehralszehnBruchstücken, dienurzumTeil zusammenzugehören scheinen, sind überhaupt nurzwei einzelne Wörter sicher zuerkennen7 –daßhier Fragmente von Gesetzen
12 Vgl. etwa ROBINSON 1943, 192; BEATTIE 1947, 72, sowie den Kommentar bei BUCK1955, Nr. 16.
1
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Vgl. dazu etwa LEVI 1930– 1931, 44ff.; besonders 57ff.; 71ff.; E. KIRSTEN, RE 17,2, 1937, 1687– 1692 s.v. Oaxos, hier 1689f.; vgl. auch M. GUARDUCCI zuICret II v (S. 42ff.) mit Nachweis der antiken Zeugnisse. ICret II v, 1ff.; KOERNER Nr. 101ff. Vgl. bereits B. HAUSSOULLIER, Inscriptions de Crète, BCH 9, 28; HALBHERR/COMPARETTI 1888, 129ff.; COMPARETTI 1893, 383ff. Einige dieser Inschrif1888, 1– 5129). ten sind auch in SGDI aufgenommen undausführlich kommentiert (5125– JEFFERY 1961/1990, 316 (Nr. 21); ICret II v, 12– 14. JEFFERY 1961/1990, 316 (Nr. 22); ICret II v, 1– 8; 11, sowie JEFFERY 1949, 36. JEFFERY 1961/1990,
316 (Nr. 23); JEFFERY 1949, 34ff. Vgl.
dagegen WHITLEY 1997,
654f.; 1998,
326.
1931, 50ff.; KIRSTEN, 14, vgl. S. 48. Vgl. zudiesem Tempel insbesondere LEVI 1930– II v, 12– RE 17,2, 1937, 1689, der ihn für Artemis reklamiert hat. InICret II v, 12 ist außer einpaarWortfetzen vorallem dasWort καρ π ο ςnoch erkennbar –vielleicht ICret
sinddamit „Feldfrüchte“bzw.Zahlungen insolchen Naturalien gemeint (vgl. HALBHERR 1897, 193). Nurdarauf gründet sich M.GUARDUCCIS Urteil: „ Dealiqua lege agi e fructu debitique mentione sine ullo dubio colligendem est.“Siehe auch KOERNER Nr. 108.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
74
vorliegen, läßt sich also nurausderAnbringung derInschriften auf Steinblöcken folgern, dievielleicht einmal zueiner Mauer oder Tempelwand gehörten: Aufdiese Weise wurden viele archaische Gesetze öffentlich aufgestellt. Diezuderzweiten Fragmentgruppe zusammengefaßten Inschriften waren ursprünglich offenbar guterkennbar –die Größe der einzelnen Buchstaben liegt immerhin zwischen 7 und9 cm–undabsichtlich öffentlich auf jenen polygonalen Blöcken angebracht, ausdenen die Wände des alten Apollon-Tempels bestanden8 . Die relativ ambesten erhaltene Inschrift, dieallerdings vielleicht schon nicht mehr ins 6. Jahrhundert, sondern späterzudatieren ist, läßtimmerhin nocheinige Einzelheiten erkennen, diewenigstens einige allgemeine Rückschlüsse auf denInhalt des Dokuments erlauben9 : Darin waren offenbar die „Rechtsverhältnisse“zwischen der Polis, die mindestens zweimal als solche in Erscheinung tritt10, einerseits und wahrscheinlich fremden (Bau-?)Handwerkern, die mit Arbeiten für die Polis beauftragt waren, andererseits detailliert geregelt: Diese Spezialisten11 hatten offenbar bestimmte, konkret festgelegte Aufgaben, die sie anscheinend zumindest teilweise innerhalb bestimmter Fristen und/oder ohne Entlohnung zu erfüllen hatten12. Dafür wurden ihnen umgekehrt Privilegien zugesichert –nämlich die ἀ , τέ ια λ ε wobei diese Immunität wiederum durch genau festgelegte Ausnahmen beschränkt war13, unddasRecht aufτρ ὴἐ η ίο νἀ ο ε π ο ν ι(also wohl: τρ φ ὰἰνἀ δρ ν τρ ), dasvielleicht soίῳ garmiteiner Ehrung wiederσ vergleichbar war14. Auch in mehreη σ ιςἐ ίτ ρ υ νπ τ α ν ε ίῳ renanderen Bruchstücken kommen Begriffe wieτέ κ ν α und έρ νmehrfach vor1 5, auch γ ο 6 bzw. Ansprüche undPrividarin gehtes allem Anschein nachumAufträge undFristen1 legien vonHandwerkern17. Eshandelt sichbeidiesen Fragmenten, dieohne Zweifel zumindest inhaltlich aufeinander bezogen waren (wenn sie nicht überhaupt nurein einziges Dokument darstellten), derPoalso umschriftlich fixierte undöffentlich angebrachte Vereinbarungen zwischen „ lis“einerseits und Individuen bzw. nach Funktionen, Aufgaben undStatus definierten Gruppen vonIndividuen andererseits, diebestimmte gegenseitige Ansprüche undRechte, Pflichten undLeistungen detailliert undverbindlich festlegten. 8
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Vgl. etwa COMPARETTI 1893, 383f.; LEVI 1930– 1931, 44f.; JEFFERY 1949, 36; F. BLASS zu SGDI 5125ff.; M. GUARDUCCI zu ICret II v, 1ff. (S. 48). ICret II v, 1; KOERNER Nr. 101; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 28 mit weiteren Nachweisen. Vgl. 2); COMPARETTI 1893, 383ff. (Nr. 183); SGDI bereits HALBHERR/COMPARETTI 1888, 129ff. (Nr. 1– 5125, jeweils mit ausführlichem Kommentar. Vgl. für eine Datierung in dieerste Hälfte des5. Jh. etwa KIRSTEN, RE 17,2, 1937, 1690; JEFFERY/MORPURGO DAVIES 1970, 149. ICret II v, 1, Z.7; 11. μ α κ έν σ ο α . ς ; Z.6: εργ ICret II v, 1, Z.3: τέκ ν α ]ςτ ; Z.7; 11; vgl. JEFFERY/ ίσ ᾶ τ ιπ ο έ ς ν ό λ ι ἀμ ο ICret II v, 1, Z.6: π έ ν τ α ς εργακσα[μ ᾽ἀμέρ MORPURGO DAVIES 1970, 149; GEHRKE 1995, 16. ICret II v, 1, Z.3; 12ff. Vgl. den Kommentar von COMPARETTI 1893, F. BLASS und M. GUARDUCCI, jeweils ad loc. ICret II v, 1, Z.2; 15. Vgl. dazuwiederum diegenannten Kommentare. 104. Vgl. bereits ICret II v, 2, Z.2; 9; II v, 3, Z.4; II v, 4, Z.5; KOERNER Nr. 102– 186), wiederum mit den HALBHERR/COMPARETTI 1888, 139ff.; COMPARETTI 1893, 395ff. (Nr. 184– Kommentaren
derHerausgeber.
16 Vgl. auchICret II v, 4, Z.3, wovondreiTagen dieRede ist. ohne Schädi(„ ια β ε β ά λ , die wohl als ἀ ία 17 Vgl. insbesondere ICret II v, 2, Z.10; II v, 4, Z.2: ἀβλοπ gungdesRechts eines Dritten“ , so F. BLASS zuSGDI 4986, Z.12, ausGORTYN) zuverstehen ist; vgl. auch COMPARETTI 1893 und M. GUARDUCCI ad loc.
2. Die einzelnen
75
Poleis
Darum mußes auch injener Inschrift gegangen sein, die offenbar nicht amHauptheiligtum, sondern aneiner Ecke desunteren Tempels angebracht war: In demerhaltenen Fragment ist immerhin nocherkennbar, daßvon ερ γ α σ τ α ίeinerseits unddemMagistrat der Polis (κ 40 Stateren) für Abgaben μ ό ο σ ς ) andererseits, sowie von Summen (30– 8. und/oder Bußen dieRede war1
Inhaltlich undformal stehen diese Vereinbarungen damit einer ganzen Reihe vonDokumenten ausdem6. und5. Jahrhundert sehr nahe. So gibt es etwa deutliche Parallelen zudem„Dekret“über Aufgaben, Rechte undPrivilegien desπ ν ω μ ά ν ο ικ ιν α σ ά τ ςundμ Spensithios19, das aus einer nicht sicher zu identifizierenden Polis in Zentralkreta stammt –vielleicht wares „Dattalla“20.In auffällig ähnlicher Formulierung wie in denDokumenten aus Axos werden darin demSpensithios undseinen Nachkommen nicht nur θ , ά ο ρ π ) zugesiἀ τέ ισ λ ιαπ ε θ ό ν ά τ νund genau definierte Ansprüche auf „Entlohnung“(μ ω ς chert21, sondern sogar Schutz vor Vollstreckung und das Recht, nur vor dem kosmos gerichtlich belangt werden zu können22, was vielleicht mit der (Zusicherung der) ) zuvergleichen ist. β β λ (ἀ ε ά ια β λ ο π ία ἀ Inschriftlich fixierte Vereinbarungen, die diesem „Dekret“hinsichtlich ihres Charakters, konkreten Gegenstands undihrer inhaltlichen Regelungen ähnlich sind, liegen auch aus anderen kretischen Poleis vor, nämlich Eleutherna23 undGortyn24, sowie auch aus demzyprischen Idalion25: Darin geht es umdie Atelie, die detaillierte Festlegung des μ ισ θ ό ςund die Garantie dieser Privilegien zugunsten des Arzies Onasilos und seiner der Brüder. In demsogenannten Patrias-Dekret, einer rhetra derEleer, werden Patrias, „ 18
JEFFERY 1949, 34ff., bes. 36; vgl. VAN EFFENTERRE 1979, 280 mit Anm. 7; 291; KOERNER Nr.
19
JEFFERY/MORPURGO DAVIES 1970, 118ff. (erste Edition
105.
mit
ausführlichem Kommentar);
VAN
EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 22. Vgl. vor allem VAN EFFENTERRE 1973, 31ff.; BEATTIE 1975, 8ff.; KOERNER 1981, 180ff.; HGIÜ I, Nr. 26 mit Übersetzung. Siehe auch noch GSCHNITZER 1974, 265ff.; R. THOMAS 1992, 69ff.; 1995, 68f.; WHITLEY 1997, 656ff.; 1998, 321f. mit weiteren Nachweisen. Vgl. zum Problem des Status des Spensithios als Fremder oder (neuer) Bürger: JEFFERY/MORPURGO DAVIES 1970, 149ff.; VAN EFFENTERRE 1973, 37ff.; GSCHNITZER 1974, 268f.; VANEFFENTERRE 1979, 279ff. undneuerdings C.E. GORLIN, The Spensithios Decree andArchaic
165. Cretan Civil Status, ZPE 74, 1988, 159– 20 Vgl. VIVIERS 1994, 239ff. undpassim, zustimmend
WHITLEY 1998, 325. Vgl. dazu etwa JEFFERY/MORPURGO DAVIES 1970, 148f.; VAN EFFENTERRE 1973, 38f.; GSCHNITZER 1974, 269; BEATTIE 1975, 24; 42. 22 Vgl. dazu MERKELBACH 1972, 102f.: VAN EFFENTERRE 1973, 43ff.; GSCHNITZER 1974, 271ff.; KOERNER 1981, 187f. 23 ICret II xii, 9; KOERNER Nr. 111; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 25. Vgl. bereits SGDI 4957, sowie JEFFERY/MORPURGO DAVIES 1970, 149; VANEFFENTERRE 1973, 38. Siehe generell, auch zum Folgenden, etwa VAN EFFENTERRE 1979, 279ff., bes. 281f. Vgl. noch VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 26 115; ICret II, xii, 16 Ab. = KOERNER Nr. 114– 24 ICret IV 79; KOERNER Nr. 154; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 30 (eine Vereinbarung zwischen der Polis und fremden und/oder freigelassenen Handwerkern); vgl. auch KOERNER Nr. 153 = VAN EFFENTERE/RUZÉ I, Nr.16 = ICret IV 78 (Dekret überSchutz gegen Übergriffe durch Sanktionen gesichert); KOERNER Nr. 143 = VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 15 = ICret IV 58; ICret IV 144. Vgl. ferner JEFFERY/MORPURGO DAVIES 1970, 135f.; 148f; VANEFFENTERRE 1973, 38; 1979, 281; 286 u.ö.; KOERNER 1981, 185f. Vgl. zuICret IV 78 ausführlich KOERNER 1987b, 482ff. 25 VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 31 mit weiteren Nachweisen. Vgl. DGE 679; BUCK 1955, Nr. 23; KOERNER 1981, 195ff.
21
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
76
ρ ο Schreiber“ φ ), seine Familie undseinBesitz unter besonderen Schutz gestellt, der ε (γ ύ ς 6. durch Sanktionen gegen nachlässige Magistrate gesichert wird2 In dersogenannten rhetra derChaladrier wirdschließlich einem gewissen Deukalion eine ganz ähnliche Zusicherunggemacht, außerdem wirdihmdasBürgerrecht verliehen undLand (offensichtlich zu seinem Unterhalt) übertragen27.
Dieübrigen Inschriftenreste vonderAkropolis vonAxos, die zwar die Herstellung eines kohärenten Sinnzusammenhangs nicht mehr erlauben, jedoch noch eine Reihe einzelner Begriffe erkennen lassen, scheinen sich dagegen aufvöllig andere Gegenstände zu beziehen28. In diesen Fragmenten, die zusammengehören könnten, ist zwar einmal auch voneinem κόσ μ ο ςdieRede, esgingjedoch dabei umWeihungen imZusammenhang mit einem Krieg, offenbar „ desZehnten“(der Beute?), anPoteidan, also Poseidon29 –ob die 0. Inschrift etwaeinen Symmachievertrag fixierte, läßt sich nicht mehrentscheiden3 Vielleicht war schließlich auch nochjene heute verschollene, nurdurch eine problematische Abschrift ausdem16. Jahrhundert bekannte lexsacra, dieebenfalls noch in das frühe 5. Jahrhundert gehört haben müßte, auf einem großen Stein (vom Hauptheiligtum aufderAkropolis?) angebracht3 1.Darin waren einerseits Strafen bzw. Bußen gegen Priester festgelegt, die mehr als dasihnen zustehende Opferfleisch verlangten: einStater (an diePolis) unddasDuplum seines regulären Anteils (an denGeschädigten?). Demfür die Verfolgung des Delikts zuständigen κ μ ό ο σ ς , der die Eintreibung unterließ, wurde die gleiche Strafe angedroht32 –eine ArtderSanktion, dieauchsonst in archaischen Gesetzen vielfach bezeugt ist33. Andererseits wurde fürdiesogenannten Κ τε ι–entweder ein ν ίο υ δα ) eine Summe von12 StateFest oderaucheine bestimmte Familie –durch denRat(β ο λ ά renbereitgestellt34. Wiedemauchsei: Diebehandelten Fragmente bilden kaum einen einheitlichen, auch nuransatzweise systematischen „code“–etwagarden„main code“der Polis Axos35, der womöglich sogar das Resultat derAktivitäten eines Gesetzgebers, „ Aisymneten“oder 6. „ Thesmotheten“gewesen wäre3 Es handelt sich umeinzelne, ganz konkrete, spezifische 26
27 28
37; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 23 mit Kommentaren und Nachweisen. Vgl. IvOlympia 2; vgl. SGDI 1152; DGE 409; BUCK 1955, Nr. 61; KOERNER 1981, 190ff. Vgl. dazu auch VANEFFENTERRE 1979, 282; 287f. VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 21, mit weiteren Nachweisen. Vgl. insbesondere IvOlympia 11; SGDI 1153; DGE 415; BUCK 1955, Nr. 63; KOERNER 1981, 201ff. Vgl. dazu auch VAN EFFENTERRE 1979, 282, sowie den Absatz ELIS. 8); COMPARETTI 1893, 8; vgl. bereits HALBHERR/COMPARETTI 1888, 143ff. (Nr. 5– ICret II v, 5– KOERNER Nr.
190); SGDI 5126A-C. 401ff. (Nr. 187– ICret II v, 6, Z.1ff. KIRSTEN, RE 17,2, 1937, 1691; vgl. dagegen M. GUARDUCCI zu ICret II v, 6. LSCG Suppl. 113; KOERNER Nr. 106– 107. Vgl. bereits HALBHERR/COMPARETTI 1888, 151ff. (Nr. 10); COMPARETTI 1893, 407ff. (Nr. 191); IIGA 13, 6; SGDI 5128; ICret II v, 9 unddazu S. 48. Vgl. dazu auch JEFFERY 1961/1990, 316 (Nr. 24). LSCG Suppl. 113, Z.1ff.; 9ff. Vgl. dazu KOERNER 1987b, 466; 478. Vgl. denKommentar vonM.GUARDUCCI zu ICret II v, 9, Z.9ff., sowie generell KOERNER 1987b, 467ff. Vgl. auch die Abschnitte ARKADIEN; DREROS; ELIS. LSCG Suppl. 113, Z.11ff. Vgl. dazu (mit unterschiedlicher Interpretation) COMPARETTI 1893, 416; M. GUARDUCCI zu ICret II v, 9 ad loc. WILHELM 1951, 28.
29 Vgl. insbesondere 30 31
32
33 34
35 So dieFormulierung beiJEFFERY 36
1949, 36. Das suggeriert jedenfalls VANEFFENTERRE 1973, 39 Anm.29.
2. Dieeinzelnen Poleis
77
Gegenstände betreffende bzw. die Belange der unmittelbar Beteiligten regelnde undordnende Maßnahmen. Immerhin müssen diese Regelungen als wichtig genug gegolten haben, uminschriftlich amHaupttempel derPolis auf derAkropolis dauerhaft fixiert und„veröffentlicht“zu werden. Daswärebeiderzuletzt genannten lex sacra sowieso naheliegend. Aber auch im Falle derVereinbarungen mitdenfremden Handwerkern gehörte ja auch die Polis selbst zu den erwähnten Beteiligten –schon daher verbietet es sich, in diesen Regelungen schlicht Verträge zusehen, womöglich immodernen Sinne einer „ privatrechtlichen“Vereinbarung zwischen gleichrangigen Partnern37. In erster Linie handelte es sich hierbei um Dekrete, also Beschlüsse derPolis undihrer Organe –wie die Ratifikationsformeln zu Beginn eines der späteren Dokumente aus Gortyn38 und des sogenannten Spensithios9) Dekrets (gleichgültig, ob nundie dort genannten Dataleis eine Polis waren oder nicht3 , 0. Auch ebenso eindeutig belegen wie dieBezeichnung rhetra in denelischen Inschriften4 dieformale Fassung dereinzelnen Klauseln unterscheidet sich nicht vonderSprache archaischer Gesetze: Infast allen derbesprochenen Dokumente tauchen dietypischen Konditionalsätze auf. Aberwieinvielen anderen Fällen handelt essich beidiesen Beschlüssen Kodifinicht umunselbständige Teile eines größeren Ganzen, etwa einer umfassenden „ kation“ , sondern es sindeinzelne gegenstands- undsituationsgebundene Maßnahmen. CHALKIDIER INTHRAKIEN
Nach einer kurzen Notiz in der„Politik“des Aristoteles soll ein gewisser Androdamasaus Rhegion den„Chalkidiern in Thrakien“Gesetze gegeben haben, an denen Ari-
stoteles allerdings wieder einmal nichts Besonderes finden konnte. Dennoch erwähnt er ausdrücklich, daßAndrodamas Regelungen über das Blutrecht undüber Erbtöchter getroffen habe1. Bei diesen „Chalkidiern“dürfte es sich umeine (oder eher mehrere) jener kleineren Poleis im Raum auf derchalkidischen Halbinsel gehandelt haben2, die vielleicht schon seit dem8. Jahrhundert von Chalkis auf Euboia direkt oder indirekt –das heißt: vonbereits
37
Vgl. auch VANEFFENTERRE 1979, 280f.
38 ICret IV 78:...τ ά δ [ι]. ιςπ α ν σ ίδ σ π ο ᾽ἔα ετο ῖςΓορτυνίο δ 39 Die Formel lautet: ἔα . Vgl. ις λ α ὶἐσπ ό μ ε ικ δ ῦ σ α λ ε εΔ τα ςπ ν σ έ α
40
1 2
dazu GSCHNITZER 1974, 270; vgl. 265ff.; BEATTIE 1975, 21; KOERNER 1981, 182f.; VIVIERS 1994 mit Überblick; vgl. dagegen JEFFERY/MORPURGO DAVIES 1970, 126f.; 148 bzw. VAN EFFENTERRE 1973, 35ff., jeweils mit unterschiedlichen Einzelergebnissen. Vgl. etwa KIECHLE 1960, 346; QUASS 1971, 8; nicht eindeutig KOERNER 1987b, 191; 202. Siehe auch denAbsatz ELIS.
ὰ ὗτ ,ο η ς κ ᾴ ρ ὶΘ ῖςἐ π ιτο σ ῦ ιδε κ λ 26· ἐγέν η ςΧα μ α ε ςῬηγῖν 1274b23– τ οδ ο α ὶἈνδροδά ὲκ ςνομοθέτ ις ιτ ο ινἔχ ε ῦλέγ ο τ ὐ να δ ὲ εοὐ νγ λ ρ υ λ ο ςἐστίνο νἀ ή ὴ ᾽ἴδιό ὐμ λ α ρ ίτ ν ὰκ ὶτ ὰ ετ ικ ςἐπ ὰ ικ ο φ π ε ν. ἄ
·
Eine Polis namens Chalkis „ inThrakien“(Athen. 11,502B) bzw. „auf demAthos“(Steph.Byz. s.v. 2090 s.v. ) hat es anscheinend nicht gegeben. Vgl. E. OBERHUMMER, RE 3,2 (1899) 2089– Χ α λ κ ίς egemonia Chalkis 9; ZAHRNT 1971, 253; S.N. CONSOLO LANGHER, Dall’alleanza con la Persia all’
Europea nell’ 326, hier 291ff. mit weiteren Nachantica, a cura di L. AIGNER FORESTI et al., Mailand 1994, 291– weisen.
diOlinto: vicende e forma politica deiCalcidesi diTracia, in: Federazioni e federalismo
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
78
etablierten Kolonien aus, wie etwa auch in Sizilien –gegründet wurden3. Diebesonders engen Kontakte, diedieMutterstadt Chalkis sowohl mitihren westgriechischen Kolonien alsauchanscheinend mitdenSiedlern aufderChalkidike unterhielt, gelten dabei als starkesIndiz dafür, daßdererwähnte Androdamas ebenauchdorteine allen Chalkidiern (und nicht nurdenwestgriechischen) gemeinsame „ Gesetzgebung“eingeführt habe –also, wie zuweilen suggeriert wird, den „ Code des Charondas“ , derja nicht nur weit über das Siedlungs- undKolonisationsgebiet der Chalkidier hinaus im östlichen Mittelmeer rezipiert worden sein soll, sondern auch– wieausdrücklich bezeugt sei–inderchalkidischen Gründung Rhegion gegolten habe, aus der der „ Nomothet“der thrakischen Chalkidier schließlich stammte4. Vondiesem Zusammenhang wird auch die Datierung der „ Gesetzgebung“desAndrodamas in das(späte) 7. Jahrhundert unddamit seine Einordnung in dieReihe dergroßen Gesetzgeber derarchaischen Zeit hergeleitet5 . Obwohl über die oben zitierte allgemeine Feststellung desAristoteles, daßAndrodamasunter anderem Gesetze über Tötungsdelikte (π ρ ὶτ ε ὰφ ο ν ά ικ ) undüber Erbtöchter ρ ρ ο ή ὶτ υ (π ε ὰ ς ) gegeben habe, hinaus keine weiteren, inhaltlich konkretisierten ςἐπ ικ λ Angaben zuseiner Gesetzgebung vorliegen, werden auchindieser Hinsicht immer wieder Parallelen undregelrechte Verbindungen zum„ Recht desCharondas“undanderen frühen Gesetzgebungen“hergestellt. „ Eine solche Querverbindung scheint sich geradezu aufzudrängen, weil auch Charondas ein Gesetz über Erbtöchter erlassen haben soll6 . Tatsächlich spielt die epikleros –also dieTochter, dieihren Vater mangels eines (grundsätzlich zuerst undsogar allein berechtigten) legitimen männlichen Nachkommen beerbt –in demabsolut auf die Erhaltung des Hauses“ „ undseine Weitergabe in männlicher Linie fixierten Erb- undFamilienrecht vieler griechischer Poleis schon sehr früh, seit archaischer Zeit, eine zentrale Rolle7: Ausführliche undgenaue Vorschriften über dieVerheiratung derepikleros mitdemnächsten Verwandten aus der Familie ihres Vaters, dessen Rechte und Pflichten gegenüber der Erbin einerseits undüberdieRechte derepikleros (undihres Ehemannes) amErbe selbst, sowie über dieWeitergabe anihre Erben andererseits sind bekanntlich nicht nurimgroßen„Recht vonGortyn“erhalten8. Aufdiesen Rechtskomplex bezieht sich wohl auch ein (nur fragmentarisch erhaltenes) Gesetz aus Phaistos, das in die zweite Hälfte des
3
4
5 6 7
8
Die „chalkidische“Kolonisation in Thrakien generell unddie Interpretation dereinschlägigen Zeugnisse im besonderen –z.B. Hdt. 7,185,2; 8,127; Thuk. 4,110,1; Aristot. frg. 98ROSE (= Plut. mor. 761A-B; vgl. dasCarmen populare 44DIELS II, p. 205); Polyb. 9,28,2; Strab. 10,1,8 usw. –ist um2074; BRADEEN 1952, passim; DESALVO stritten. Vgl. etwa L. BÜRCHNER, RE 3,2 (1899), 2069– 1968, 47ff. und–mit anderen Ergebnissen –ZAHRNT 1971, 4ff. mit vollständiger Darlegung des Materials; dagegen neuerdings wieder GRAHAM 1982, 113ff. miteherkonservativer Sicht. Vgl. etwa DARESTE 1902, 18; SMITH 1922, 189; BONNER/SMITH 1930, 70; DUNBABIN 1948, 75; DE SALVO 1968, 49f., ferner BRADEEN 1952, 357; VALLET 1958, 319 und320; RUSCHENBUSCH 1983, 322. Vgl. auch denAbsatz RHEGION. Vgl. dieAngaben in dervorigen Anm., ferner JEFFERY 1976, 43; anders ZAHRNT 1971, 16 mit Anm.27 (möglicherweise 5. odersogar 4. Jh.). Diod. 12,18,3f. Vgl. etwa DARESTE 1902, 21; SMITH 1922, 197; BONNER/SMITH 1930, 79; 319; CORDANO 1978, 97; ROEBUCK 1980, 1930. Vgl. dazu generell GERNET 1921, passim; ASHERI 1963, 16ff.; SCHAPS 1975, 53ff.; SEALEY 1994, 16ff.; 83ff. 19; KOERNER Nr. 174; VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 51, ICret IV 72, coll. VII 15– IX24; XII 6– mit weiteren Nachweisen. Vgl. dazu ASHERI 1963, 17; WILLETTS 1967, 23ff. und den Absatz
VALLET 1958,
GORTYN.
2. Dieeinzelnen Poleis
79
6. Jahrhunderts zu datieren ist und offensichtlich
(zumindest) Vorschriften über das „ mütterliche Erbteil“(τ α ο ὰμ τρ ια ) enthalten hat9. Im Gegensatz dazu war die epikleros nach athenischem Recht gar keine Erbin im eigentlichen Sinne, sondern wirklich nur epikleros; das Erbe ihres Vaters ging aufjeden Fall undgegebenenfalls bereits zu ihren Lebzeiten auf ihren männlichen Nachwuchs über, sobald dieser die Volljährigkeit erreichte10. Schon Solon hat anscheinend differenzierte Regelungen über die Verheiratung derepikleros andennächsten, zumVollzug derEheunddamit zurZeugung eines männlichen Erben fähigen Verwandten getroffen11.
Ebensowenig läßt sich das Gesetz des Androdamas über Tötungsdelikte, über das ebenfalls weiter nichts bekannt ist, für die Rekonstruktion einer allgemeinen chalkidischen Gesetzgebung (des Charondas) in Anspruch nehmen12 –in diesem Fall ist ein entsprechendes Gesetz desCharondas nochnicht einmal bezeugt. Unddie Vermutung eines Zu3 sammenhangs mitdenGesetzen über Mordbzw. über den Mordprozeß aus Leontinoi1 undKyme14 beruht ihrerseits wiederum allein auf derhypothetischen Annahme, daß ein solcher „ chalkidischer Code“existierte. Dieleider allzu dürre Nachricht bei Aristoteles mußdeswegen aber keineswegs frei erfunden sein: Möglicherweise gabestatsächlich einen „ Gesetzgeber“bei denthrakischen Chalkidiern, derausRhegion, vielleicht überChalkis, dorthin gekommen sein könnte und vielleicht indas6. Jahrhundert zudatieren wäre–aufjeden Fall vor die Begründung der Tyrannis desAnaxilaos inRhegion imJahre 494 undvermutlich auch vor denMachtverlust der Mutterstadt nach derNiederlage gegen Athen imJahre 506. Diesem „Gesetzgeber“ wurden in derQuelle des Aristoteles anscheinend mehrere Gesetze zugeschrieben, die ihmoffensichtlich nicht weiter interessant, weil „altertümlich“erschienen –dazu gehörte eine (vermutlich sehr spezielle, situationsbezogene) Regelung über epikleroi, die anderen archaischen Gesetzen über Adoption, Erbrecht unddie Erhaltung derkleroi ent5, sprochen haben dürfte1 sowie einGesetz überTötungsdelikte wiediejenigen desDrakon unddiegenannten Regelungen ausKymeundLeontinoi16. Alle diese Gesetze sind jedoch ohneZweifel einzelne, inkeinerlei allgemeine Systematik eingegliederte, sondern für sich stehende Maßnahmen.
9
SEG 32, 1982, 908; DI VITA/CANTARELLA 1978; VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 39. Vgl. den
Absatz PHAISTOS. 10 Vgl. zu den Einzelheiten etwa ASHERI 1963, 16f.; HARRISON 1968, 9ff.; 132ff.; MACDOWELL 1978, 95ff., jeweils mitNachweisen. 3. 53); [Aristot.] Ath.Pol. 9, 2; vgl. insbesondere Plut.Solon 20, 2– 11 RUSCHENBUSCH 1966, 88f. (F51–
12 Vgl. etwa SMITH 1922, 197 Anm. 1 undBONNER/SMITH 1930, 79 Anm.2; ferner CORDANO 1978, 96f.; vgl. 91; ROEBUCK 1980, 1929f. Auch die chronologisch nicht einzuordnende Nachricht, daßes denChalkidiern“einGesetz gebe, wonach ein Magistrat oderGesandter mindestens 50 Jahre alt bei„ sein müsse –Herakl. Lemb. Exc.polit. frg. 63DILTS = [Herakl.Pont.] frg. 31, 2 (FHG II, S. 222) – läßt sich (gegen DESALVO 1968, 50) dafür nicht in Anspruch nehmen. 13
Vgl. den Abs. LEONTINOI.
14 Die Nachricht ist wahrscheinlich noch nicht einmal auf daschalkidische Kyme in Italien zu beziehen. Vgl. denAbs. KYME. 15 16
Vgl. dazu die Abs. KORINTH; THEBEN. Vgl. dazu die Abs. KYME INDERAIOLIS;
LEONTINOI.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
80 CHIOS
Ineiner bekannten undimmer wieder zitierten Inschrift ausChios1 ist eine Reihe von Vorschriften undVerfahrensmodalitäten fixiert, die praktisch alle zentralen Institutionen einer entwickelten Polis –die Magistrate (δ μ ή ρ α χ ο ι und β α ὴ σ ιλ ) einen Rat (β ο ε λ ῖς ) undoffenbar auch denδῆ μ ο σ ίη μ η ο δ ςselbst –ausdrücklich betreffen undinsbesondere ihrZusammenwirken bestimmten formalen Regelungen unterwerfen. Derin ionischem Alphabet boustrophedon geschriebene Text ist allerdings nicht vollständig erhalten; erwaraufallen vier Seiten einer Stele angebracht –in vertikal verlaufendenZeilen aufeiner derbeiden großen Flächen (A) unddenbeiden Schmalseiten (B und D), horizontal auf der anderen Fläche (C) –, von der nur der obere Teil erhalten ist2. Auchwenn es sich der Form nach strenggenommen nicht „genau umeinen κ β ις ρ “ , eiύ nen „Bruder“der solonischen „Gesetzespyramiden“handeln kann3 , steht doch ohne Zweifel fest, daß dieser Stein frei stehend und von allen Seiten zugänglich, also wahrscheinlich in einem öffentlichen Raum aufgestellt gewesen sein muß. Dafür spricht auch dierelative Größe (bis zu4 cm) derdadurch gutlesbaren Buchstaben4 . DasDokument ist in dieZeit umoder kurzvor550 zu datieren5 . Es ist auf Chios gefunden worden, undes gibt keine wirklich zwingenden Argumente gegen die nächstliegende Annahme, daßes sich nämlich auf die Institutionen von Chios in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts bezieht6. 1
2 3 4
5
6
MEIGGS/LEWIS Nr. 8; KOERNER Nr. 61; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 62, jeweils mit Kommenta-
ren undweiteren Nachweisen. Vgl. zuerst WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, 64ff. (Nr. 25); O. HOFFMANN, SGDI Bd. 4, S. 873ff.; DGE 687. Grundlegend bleibt JEFFERY 1956, 157ff., wichtig jetzt WALTER 1993, 89ff., sowie HGIÜ I, Nr. 10 mit Übersetzungen. Vgl. noch SEG 16, 1959, 485; JEFFERY 1961/1990, 414 zuTafel 65, 41. Einige kleinere Varianten undunterschiedliche Lesarten (MEIGGS/LEWIS, S. 15f.) sind etwa von WADE-GERY 1958a, 198f.; OLIVER 1959, 299ff.; vgl. SEG 17, 1960, 376 undHANSEN 1985, 274ff. vorgeschlagen worden. Dasist dievonJEFFERY vorgeschlagene undeingehend begründete Reihenfolge, die zu Recht weitgehend Zustimmung gefunden hat: Vgl. etwa WADE-GERY 1958a, 198f.; OLIVER 1959, 296; MEIGGS/LEWIS, S. 15; 17. Vgl. außerdem JEFFERY 1961/1990, 336f. 1931, 104f. Vgl. dageSo WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, 64; 65; s. auch GUARDUCCI 1929– gen JEFFERY 1956, 159f.; 1961/1990, 53ff.; 336; MEIGGS/LEWIS, S. 16; STROUD 1979, 48. JEFFERY 1956, 157. JEFFERY 1956, 159f.; vgl. zustimmend OLIVER 1959, 296; JEFFERY 1961/1990, 337; 343 (Nr. 41). Vgl. dagegen für eine Frühdatierung WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, 65; BUSOLT/SWOBODA
1926, 845 (um 600). Diejüngst vorgetragene
Hypothese, daßderStein vielleicht aus Erythrai auf demgegenüberliegenden kleinasiatischen Festland stammen könnte, beruht auf vier Argumenten: Erstens könne das Material des Steins eigentlich nurvon dort kommen (W.G. FORREST bei MEIGGS/LEWIS, S. 17; SEG 35, 1985, 921). Zweitens ergänzt HANSEN (1985, 275) denAnfang derersten Zeile auf Seite A: [Boein Kult derHestia Boulaia ist für Chios nicht, für Erythrai dageη μ α ο– τ ςΙστίη ςἕνε]κ λ α ίη ςδή gen sehr wohl bezeugt (Syll.3 1014 = IvErythrai 201). Drittens ergänzt HANSEN (1985, 276) die bei. und λ τ κ ιακ denersten Zeilen derSeite D wie folgt: τ νὅρ μ τε ισ ιῶ ν ῆ ο η ιπ ρ ι Ἀ]ρ ς ώ ο ι]ῶ τ | [ἰεροπ bringt dasmiteinem Zeugnis über denAmtsantritt des ἱερ ο π ο ιό ςin Erythrai in Verbindung (Syll.3 410 = IvErythrai 24). Unddazupasse dannauch die schon von JEFFERY auf derGrundlage von DGE 702, Z.13ff. (= IvErythrai 1) vorgeschlagene Ergänzung von A, Z.6: ἐ[ξ ] die ebenfalls in ν ή τ σ τα ε Erythrai bekannte Amtsbezeichnung eines „ , derfür die Eintreibung von Bußen zuofficial auditor“ ständig gewesen sei (SEG 35, 1985, 921). Die Schlußfolgerung beruht auf einer Kumulation von Hypothesen. Selbst wenn mandiese Ergänzungen, dieja durchweg nur Vermutungen darstellen, akzeptiert, lassen sich die einzelnen Argumente relativieren: Nicht nur ist derKult derHestia Boulaia
2. Dieeinzelnen
81
Poleis
Über die politischen Verhältnisse auf Chios in diesem Zeitraum gibt es zwar keine Überlieferung –zumindest gegen Ende des Jahrhunderts war es jedenfalls ein ziemlich bedeutendes, anGröße undBevölkerungszahl den wichtigen ionischen Poleis auf dem wieMilet undEphesos –kaum nachstehendes Gemeinwesen, kleinasiatischen Festland – das anscheinend in denanderthalb Jahrhunderten zuvor schon weitreichende Handelsbeziehungen aufgebaut hatte undauch bereits eine hochentwickelte Landwirtschaft gehabt haben dürfte, diesichvorallem auf denAnbau vonWein stützte. Insgesamt ist miteiner gewissen, vielleicht für griechische Verhältnisse sogar überdurchschnittlichen Stabilität derwirtschaftlichen (undpolitischen) Verhältnisse zumindest bis zu den Perserkriegen zu rechnen7. Obwohl dieUrkunde keine entsprechende Ratifikationsformel (mehr) hat, handelt es sich mitgroßer Wahrscheinlichkeit umein „Gesetz“ , dasvoneiner „Volksversammlung“ τρ α beschlossen wurde8 –nämlich um eine der δ ι, die in dem Satzrest am Anfang μ οῥῆ ή deserhaltenen Teils derUrkunde erwähnt werden. Dortistvoneiner bestimmten Aufgabe oder Funktion die Rede, die in der „Wacht“über diese ῥ ῆ τρ α ι, also wohl ihrer Einhaltung, Durchführung und gegebenenfalls Durchsetzung, bestand9 . Diese spezifische
Funktion wurde dabei einer Institution
–vermutlich
einem Beamten
–(neu?)
übertragen,
oder ihre Erfüllung sollte (erneut) explizit angemahnt undeingeschärft werden1 0. Diese Annahme wirdbesonders dadurch nahegelegt, daßdergesamte übrige erhaltene Text der Seite A Regelungen über die Amtsführung der wichtigsten Magistrate enthält. In der nächsten Klausel, die noch mit einiger Plausibilität zu rekonstruieren ist11, werden be-
7
8
9 10 11
auch sonst in Griechenland vielfach bezeugt, etwa inAthen (vgl. RHODES 1972, 34f.; 131f. mit den Nachweisen) undAndros (IG XII 5,1, 732), wie HANSEN (1985, 276 Anm.4) selbst einräumt. Darüber hinaus ist überhaupt nicht ausgemacht, daßes sich hier umeinen anderen Kult als denjenigen des„staatlichen“Herdfeuers (undseiner Göttin) imPrytaneion oderBouleuterion gehandelt habe –einen Kult, denes praktisch überall in Griechenland gab (vgl. generell S.G. MILLER, The Prytaneion. Its Function and Architectural Form, Berkeley etc. 1978, 13ff.; 108f. u.ö. mit Nachweisen; SOURVINOU-INWOOD 1993, 12; vgl. auch EHRENBERG 1937/1965, 90; GERNET 1952/1968, 384ff.; JEFFERY 1956, 162; AMPOLO 1983, 415). Die Rekonstruktion der ersten beiden Zeilen von D ist interessant, aber offenkundig spekulativ. Dasgilt auch für die von L. JEFFERY selbst nur als eine von ], ν ισ τη τά mehreren Möglichkeiten erwogene Ergänzung vonA, Z.6 –ebenso denkbar wäre etwa ἐ[π ein Amtstitel (?), derschon im 6. Jh. in Samos bezeugt ist (JEFFERY 1956, 163; 1961/1990, 330; vgl. dieInschrift ausdemspäten 6. Jh.: MEIGGS/LEWIS Nr.16 mitdemKommentar). Vgl. dazu allgemein ROEBUCK 1986, 81ff., sowie bereits dens., 1950/1984, 33f.; 1953/1984, 22ff.; BOARDMAN 1967, 252f. u.ö.; JEFFERY 1976, 230ff.; WALTER 1993, 95ff. Vgl. zur Rolle von Chios in Naukratis undzum Handel mit Ägypten AUSTIN 1970, 25 mit Anm.2 (S. 61); Anm.4 (S. 62f.) mitweiteren Nachweisen. Vgl. zurrelativen politischen Stabilität in Chios undzu ihren Vorausset1979, 70ff.; GEHRKE 1985, 42 mit Anm.4; 1986, 121f. zungen außerdem O’NEIL 1978– Vgl. etwa ROEBUCK 1986, 86 undbereits WADE-GERY 1943– 1944/1958, 63, dernoch die (weniger judicial pronouncements“(sc. desdemos) hanwahrscheinliche) Möglichkeit erwägt, daßes sich um„ ῆ ρ τ α ιplädiert. delte. Vgl. dagegen LARSEN 1949/1969, 197, derfür denRat als Beschlußorgan der ῥ ή τ A,Z.1– ῥ ρ 2: δή μ α ο ςφ υ λ ά σ [ν ?- . σ ω Vgl. dazu etwa JEFFERY 1956, 162f. unter Hinweis auf die Thesmotheten in Athen, über die es [Ari--] stot.] Ath.Pol. 3,4 heißt: ὅ ρ ά π ψ ν α τ ω ε . Siehe noch JEFFERY ςἀναγ ςτ μ ιαφ τ λ τ τ ω υ λ ά ὰθ σ ικ έ σ 1976, 42; GEHRKE 1993, 51ff.; 1995, 16, auch zumFolgenden. 6. Vgl. dazu grundlegend JEFFERY 1956, 162f.; KOERNER Nr. 61; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, A, Z.3– Nr. 62, jeweils zurStelle. Die von OLIVER (1959, 300) vorgeschlagene Alternative ist nicht nur nicht bezeugt, wieerselbst einräumt, sondern auch indiesem Kontext kaumplausibel.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
82
zeichnenderweise diejenigen, die sich bestechen ließen, während sie als δ μ ρ ή α χ ο ςoder β α σ ιλ ε ύ ςamtierten, miteiner Strafe bedroht –offenbar in Form einer Buße, die ein anderer Magistrat12 einzutreiben (undandieHestia abzuführen?) hatte, undzwar noch währendderDelinquent imAmtwar, also vordemregulären Endeseiner Amtszeit oder seiner Absetzung wegen des Delikts13. Es ist immerhin möglich, wenn auch nicht beweisbar, daßdiese Sanktionsdrohung sich gegen Verfehlungen der Magistrate im Zusammenhang mit der erwähnten Aufsichtsfunktion richtete14. Möglicherweise bezog sich auchdiefolgende, leider nursehr fragmentarisch erhalteneunddementsprechend sehr verschieden rekonstruierte Klausel15 auf das Verfahren und dieVerurteilung beibestimmten Delikten –obessich dabei umVergehen von Magistraten handelte, läßt sich allenfalls vermuten. Wiedemauchsei: Dieplausibelste Rekonstruktion läuft jedenfalls darauf hinaus, daß hier Regeln für eine Appellation an den demos fixiert werden sollten, dieetwa die Verdoppelung derStrafsumme im Falle einer Verurteilung – oder einer Bestätigung desUrteils einer anderen Instanz, also einer Verwerfung der Berufung–durch den„versammelten demos“vorsahen16. Umbesondere Verfahrensregeln bei derBerufung geht esjedenfalls injenen wenigen Satzfragmenten, die auf derSeite B des Steines gerade noch lesbar sind, wenn sie auch nicht sicher vervollständigt und inhaltlich rekonstruiert werden können, sowie in dem erheblich besser erhaltenen Text derSeite C. DieVermutungen über denkonkreten Inhalt der Reste auf Seite B hängen davon ab, welche Reihenfolge der drei Zeilen man annimmt17: Aufjeden Fall ist dort einerseits voneinem Urteil die Rede, gegen das Berufung κ möglich sein soll bzw. bereits eingelegt worden ist –ἤ κ η λ τ ο ςδίκ ηkann als einigermaßensicher undunstreitig ergänzt gelten. Andererseits ist die Wendung ἢ τ α ιin ῆ νδ ὲἀ δικ ρ ὰ derzweiten Zeile eindeutig lesbar18. Wenn die darauf unmittelbar folgenden Worte π α
163, hatἐξετα ή η ςoder ἐπ σ ςals mögliche Titel vorgeschlagen, unter Hinweis τ ά τ ισ τ auf DGE 702 (= IvErythrai 1) einerseits (akzeptiert von OLIVER 1959, 299) bzw. DGE 714 (= MEIGGS/LEWIS Nr. 16) ausSamos andererseits. 13 Vgl. JEFFERY 1956, 163, die auch noch die ansprechende Ergänzung ἢα ὐ τ ε ινvorschlägt – νὀφ είλ ὸ eine Sanktionsdrohung, diebekanntlich inarchaischen (Straf-)Gesetzen häufig vorkommt. 14 Vgl. dazu allgemein KOERNER 1987, 496. ὅ η σ ν νδή μ οκεκλημ έ η | [- ν ν 9 (nach MEIGGS/LEWIS): [- ε [ί ο|α η σ ὴδιπ 15 A, Z.7– λ λ ο ια ιτιμ , wieJEFFERY treffend bemerkt, (1956, 163). Sie [.]. Diese Zeilen „bristle withdifficulties“ α λ ρ ο ιω α π --]glauben, daßZ.7 einerseits und8f. andererseits ---] zu --] zwei verselbst undOLIVER (1959, 298; 300) schiedenen Klauseln gehören. FüreinSatzende nach κ μ gibt es aber kein Indiz auf demStein έ ν ο η εκ λ
12
JEFFERY 1956,
(vgl. MEIGGS/LEWIS, S. 15f.; WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, 66). Deswegen ist der ebenfalls nach Autopsie entwickelte Vorschlag von WADE-GERY (1958a, 198) letztlich überzeugender: [ὁ [ίη –wenn derjenige, der an den ὴδιπ η ) τιμ σ λ μ έ ν ή οκεκλημ ]ὲ οἁ λ ο νδ ῖ, (ἡ μ ν ε ο μμ λ α ε ό ςἢ κ κ ἐ
16
17
versammelten demos appelliert unddieAppellation zurückgewiesen wird, soll erdasDuplum zahlen. ---] Vgl. auch WADE-GERY 1958a, 196. νδ ὲἀ δικ ῆ τ α ι η Die drei Zeilen lauten (nach MEIGGS/LEWIS, S. 14): η --] | [- ἢ νδ η τ ο ςδί[κ ᾽ἥκκλ [α ρ μ ρ ά χ ς . WADE-GERY (1958a, 198) hatgegen JEFFERY (1956, 161; 164) die ω η ι στα ῆ ὰ δ ρ τ π α --]immerhin möglich Reihenfolge B 3 (das dannzumText derSeite A zuziehen wäre?), B 2 –B 1 für ---] gehalten. Ich halte mich aus verschiedenen Gründen, die hier nur angedeutet werden können, an JEFFERY: Erstens hatsie gewichtige epigraphische Argumente für ihre Ansicht vorgetragen, etwa die ρ χ ιzu Beω μ ά η Zeilenführung; zweitens hat in WADE-GERYS Vorschlag dasgut erkennbare Wort δ ginn von Z.3 keinen Platz. Vgl. auch KOERNER Nr. 61; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 62, jeweils
zur Stelle. 18 Vgl. JEFFERY 1956, 164; WADE-GERY 1958a, 198; OLIVER 1959, 298 mit kleiner Abweichung.
2. Dieeinzelnen Poleis
83
ρ μ χ ά ω ιzu dieser Wendung zuziehen sind, wäre hier von Berufungen gegen Urteile δη desdemarchos die Rede19. Es ist aber auchdenkbar, daßdiese beiden Zeilen schon zudenweiteren Regelungen desVerfahrens derBerufung gehören, deren größter Teil auf derSeite C des Steins festgehalten ist20. Die Erwähnung des Demarchen und einer Geldsumme in Stateren in unbekannter Höhe wäre dann so zuverstehen, daßfür eine Berufung die in Frage stehende Summe beim Demarchen zuhinterlegen sei. Dann wäre auch derAnfang des erhaltenen Textes von Seite C weniger unvermittelt; denn die dort fixierte Vorschrift, daß an die β ο λ ὴδημ ο σ ίηzuappellieren sei, wäre damit diefolgerichtige Fortsetzung dieser Regelung21.
Sodann wird der genaue monatliche Termin des Zusammentritts dieser β ή„mit ο λ der Bestellungsmodus dieses Gremiums –nämlich die ο ή sollte sich einerseits mit den„ λ Wahlvonjeweils 50 Mitgliedern je Phyle23. Diese β übrigen Angelegenheiten“desdemos befassen undandererseits eben mitallen Urteilen, gegendieim(abgelaufenen) Monat Einspruch erhoben worden war24. Über dieForm, inderdieβ ή dieAngelegenheiten desdemos generell unddieApο λ pellationen im besonderen behandeln sollte, lassen sich wiederum nur Vermutungen anstellen, weil der erhaltene Text ausgerechnet in der Mitte des entscheidenden Verbums abbricht. Einerseits könnte manannehmen, daß der Rat die letztlich verbindlichen Entscheidungen in allen „ Angelegenheiten desdemos“trifft, also auch über die angefochtenen Urteile gewissermaßen ais „Berufungsinstanz“zu befinden hatte2 5 –womöglich ρ τ α ιbeschlossen wurμ οῥῆ ή könnte er sogar das Gremium gewesen sein, in demdie δ ήgeweden: Derdemos selbst wäre dann nur eine Art Wahlversammlung für die β ο λ τρ α ι, sondern auch die sen26. Dagegen sprechen jedoch nicht allein der Begriff δ μ οῥῆ ή betonte Bezeichnung eben dieses demos als „ , also als tatsächlich tagende versammelt“ (undsicherlich –in welcher ArtvonVerfahren auch immer –entscheidende) Institution in denobenerwähnten Regelungen derSeite A. Dies ist wohl eher ein Indiz dafür, daßdie β ο ήdie Geschäfte des demos in der Art eines Ausschusses mit probouleutischen Funkλ tionen führte undindieser Eigenschaft auch Vorlagen über Berufungen zurEntscheidung durch den„ versammelten demos“ vorbereitete27. Vielleicht waren diese Regelungen jenem Strafgewalt“2 2 festgelegt sowie
Vgl. etwa JEFFERY 1956, 162; 164; GEHRKE 1993, 52. OLIVER 1959, 301; vgl. 298, und von JEFFERY 1961/1990, 337, durchaus als Möglichkeit erwogen; vgl. auch dies. 1956, 164; 1976, 231; MEIGGS/LEWIS, S. 17. 21 C, Z. 1– 3: ἐκκαλέσ ὴ ν θ μ ω η τ ο ἐ ν ν ὴ . σ ςβο δ ίη λ 7: τ 22 C, Z.3– ῆ ιτρίτ η ιἐ ἐ π ιθ μ ο σ ίη ώ ϊο η . Vgl. zumVerständnis des ς ξἙβδομ γ ὴ ἡ α ερ ἀ δ β έ ίω σ ο θ ν λ ω letztgenannten Begriffs WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, 69 und JEFFERY 1956, 166, die die Möglichkeit eines passiven Sinns mit derBedeutung „unter der(Androhung einer) Strafe (Buße für Nichterscheinen)“–im Sinne desoligarchischen Tricks bei Aristot. Pol. 1297a14ff. –für wenig wahrscheinlich hält; vgl. auchJUST 1969, 195f., derallerdings zuweitreichende Schlüsse zieht. ἡ 9: λεκ ο ὴ η μ δ ὴ(sc. ἡβ 23 C, Z.7– λ )π ο ήο τ σ ε ν ν ίη τ τ ῆ · Vgl. dazu(und auch zumProblem ς ᾽ἀ π υ λ ὸφ derPhylen in Chios, aufdasich nicht eingehen kann) etwa JEFFERY 1956, 166. λ κ νἔκ ιἂ α ]|[ό ]σ 15 (nach MEIGGS/LEWIS): τ [ςὁ 24 C, Z.9– α ]|α δή ά α ὶδίκ η τ ὰ σ τ σ έ ω οκ τ ρ ᾽ἄλ[λ π |μ η ν ὸ ςπά|σ ι[...]. α ι] τομ ςἐπ ]- |[α [τ ν ιγένω ο τ |η 25 So –mit Vorbehalt –JEFFERY 1956, 164; vgl. EHRENBERG 1950/1965, 287. 26 LARSEN 1949/1969, 197. 27 WADE-GERY 1958a, 199; skeptisch wiederum MEIGGS/LEWIS, S. 16f. Die Frage bleibt offen bei JEFFERY 1961/1990, 337; 1976, 232; WELWEI 1983/1998, 260; ROEBUCK 1986, 87; GEHRKE 19
20 Vgl.
1993, 51 mit Anm.9f.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
84
(allerdings höchst umstrittenen) Verfahren einer „ gegen Verdikte derἀ ρ Berufung“ χ α ίan die Heliaia ähnlich, das Solon in Athen eingeführt haben soll unddas häufig als ἔφ ε σ ις 8. bezeichnet worden ist2
Wieauch immer das in dieser ῥή ρ τ αgeregelte Verfahren im einzelnen ausgesehen haben mag:DasGesetz setzt offensichtlich dasBestehen wichtiger Institutionen derPolis bereits voraus29. Es gab nicht nur verschiedene, begrifflich und wohl auch funktional voneinander abgesetzte Magistrate: Aufdereinen Seite finden sich die β α σ ιλ ε ῖς , diewie in einer Reihe anderer Städte im6. Jahrhundert offenbar ein Kollegium von Funktionsträgern der Polis bildeten, das, vergleichbar mit Athen, aus einem basileus und den 0. Phylenkönigen“bestanden haben könnte3 Aufderanderen Seite gab es das Amtdes „ ρ μ χ α ο ή , das wahrscheinlich, wie andernorts das der damiorgoi (wenn sie denn den ς δ demarchoi entsprochen haben sollten), ebenfalls mehrstellig war. Dieses Amtscheint zumindest eine eindeutig definierte „ Kompetenz“gehabt zuhaben, nämlich eine irgendwie 1. richterliche, also urteilende Zuständigkeit3 Undzweifellos gab es bereits zumZeitpunkt derFormulierung dieses Gesetzes einen als beschlußfassende Institution fest etablierten ῆ ρ τ α ι–deren Existenz ja offensichtlich ebenfalls bereits vorausgesetzt demos, dessen ῥ explizit derbesonderen Aufmerksamkeit entweder einer weiteren Institution oder wurde – dererwähnten Magistrate anvertraut wurden3 2. Auch diewichtige, vielleicht überhaupt die zentrale Instanz, die β ο , ist σ ίη ὴδημ ο λ allem Anschein nach nicht erst durch dieses Gesetz eingeführt worden: Ihr Bestehen 3. scheint zumindest grundsätzlich ebenfalls in demGesetz vorausgesetzt zu werden3 Es gilt alsausgemacht, daßdieses Organ, dasja geradezu emphatisch als ἡ ο σ ίη ὴἡδημ β ο λ bezeichnet wird, vielleicht nicht allzu lange zuvor neben einen archaischen, aristokratisch rekrutierten undbeherrschten Ratgetreten sein müsse, wieetwain Athen der(angebliche) solonische Ratder400 neben denalten Areopag34.
28 Vgl.
29 30
31 32 33 34
JEFFERY 1956, 164; WADE-GERY 1958a, 199, sowie 192ff. unter Berufung auf [Aristot.] Ath.Pol. 9,1; Plut.Solon 18,2f. in Verbindung mit Lys. 10,16; Demosth. 24,105; vgl. 114. Vgl. dazu etwa MACDOWELL 1978, 30ff.; RHODES 1972, 200; 203f.; 1981, 160ff. (zu Ath.Pol. 9,1); BAUMAN 1990, 4f.; MANVILLE 1990, 151f. mit Anm. 75 für die „ φ ε σ ιςals traditionelle“Sicht der ἔ „ Appellation“ ; vgl. dagegen neuerdings wieder HANSEN 1982/1989, 247 mit weiteren Nachweisen in denAnmerkungen; vgl. auch noch HARRISON 1971, 72ff.; SEALEY 1987, 61ff.; 85ff. Vgl. generell WELWEI 1983/1998, 260f.; GEHRKE 1993, 51ff.; 59; WALTER 1993, 91ff.; RUZÉ 1997, 364ff. Vgl. etwa JEFFERY 1956, 165 (mit Nachweisen), die im Anschluß an BUSOLT 1920, 351f. auf die Institution derβ α σ ιλ ε ῖςinElis, Megara undseinen Kolonien, Milet, Kos, Nasos, Kyme, Kyzikos, Ephesos usw. hinweist. Vgl. ferner DREWS 1983, 25f.; CARLIER 1984, 446ff. undgenerell WELWEI 1983/1998, 260; CARLIER 1984, 373ff.; WALTER 1993, 95. Vgl. etwa WELWEI 1983/1998, 260; GEHRKE 1993, 52. Vgl. dazu oben, sowie etwa JEFFERY 1976, 42; HÖLKESKAMP 1992, 96; 1994, 147; 149; 152; GEHRKE 1993, 52; ROBINSON 1997, 90ff. MEIGGS/LEWIS, S. 16; WELWEI 1983/1998, 260. Vgl. etwa nur WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, 69; BUSOLT 1920, 351; BUSOLT/SWOBODA 1926, 845; EHRENBERG 1937/1965, 89f.; LARSEN 1949/1969, 197; HAMMOND 1959/1967, 152; BURN1960, 225; JEFFERY 1956, 166; 1976, 231f.; RHODES 1972, 209 Anm.2; 1981, 153 (zu Ath.Pol. 8,4); VANBERCHEM 1980, 34; ZIMMERMANN 1975, 294f.; WELWEI 1983/1998, 64; 260; ROEBUCK 1986, 87; GEHRKE 1993, 52.
2. Die einzelnen Poleis
85
Adelsrats“ist allerdings für Chios nirgendwo ausdrückDie Existenz eines solchen „
lich bezeugt. Daher fragt es sich, ob die β ήnicht tatsächlich das einzige Ratsgremium ο λ war–eine β ὴ η μ ο δ λ ο σ ίη , dieebennicht als „Volksrat“inbewußtem Gegensatz zueinem alten „ Adelsrat“konstituiert worden war, sondern vonAnfang anundimmer eine öffentliche Instanz desGemeinwesens darstellte, dieδη μ ο indemSinne war, daßsieein Rat σ ίη μ ο ςals Ganzem war, dasheißt: derPolis als solcher35. desδῆ Aber unabhängig von derFrage, wie manes im Fall Chios mit der Existenz eines solchen Rates hält, mußjedenfalls eine betont als δ ήkeineswegs μ η ο ο σ λ ίηbezeichnete β eineindeutig undbewußt „parteilich“ -antiaristokratisch konstituierter Volksrat sein. Denn nicht nurkannsich derBegriff δ μ ό η σ ιο ςsehr wohl aufdasGemeinwesen bzw. die Geμ ο beiHipponax vonEphesos η σ meinschaft alsganze beziehen36: So meint dieβ ὴ ίη δ ο υ λ 37. Mehr als einmal nimmt das ohne Zweifel den Willen der Gesamtheit „ des Volkes“ öfKonzept etwa–in einem allgemeinen, undifferenzierten Sinne –die Bedeutung von „ fentlich“im Gegensatz zu „privat“ 38 oder auch von „profan“im Gegensatz zu „heilig“ (ἱερ ό ς ) an39. UndderAristokrat Alkaios kannδᾶ μ ο ό λ ιςineins setzen –und ςsogar mitπ sich selber dazurechnen, wenn auch nurin propagandistisch überspitzter Gegenüberstellung undAbgrenzung zum„ Tyrannen“Pittakos40.
Vor allem ist das in der Urkunde explizit festgelegte und(damit) ebenfalls betonte Verfahren derRekrutierung einer gleichen Anzahl vonBouleuten aus allen Phylen gewissermaßen eine formale Garantie fürdendieganze Gemeinschaft derPolis repräsentierenden Charakter des Rates41. Und schließlich stellt auch der die Berufungen verhandelnde ρ τ α ιbeschließende δῆ μ ο und ῥῆ ςκεκλημέν ο ςoffensichtlich zuallererst eine Institution derganzen Gemeinde dar: Dadurch wird ebenfalls nahegelegt, daßder Rat als Ausschuß des demos ein Organ der Polis und(damit) aller Politen ist –vielleicht am ehesten zu vergleichen mitdenbezeichnenderweise ja genauso emphatisch so bezeichneten „ Zwanzig“ 42. imarchaischen Dreros: ο ἱἴκ α ἱτ τ ᾶ ιο ςπ ό λ ιο ς AuchdieMagistratur desdemarchos waroffenbar keineswegs eine „modernere“Einrichtung, die in Konkurrenz oder gar bewußter Opposition zu den älteren, „aristokratischen“β α ιλ σ ε ῖςentstanden wäre, etwa gar als „Volkstribune“43–es scheinen ja gerade seine Entscheidungen undUrteile zusein, gegen die dieAppellation an denRat und/oder dendemos möglich sein undgeregelt werden sollte44. 35
36 37
38
39 40 41 42 43
44
1983, 401ff., besonders 413f.; 416; WALTER 1993, 93; vgl. bereits MAZZARINO 1947, SEALEY 1976, 120f. Vgl. zum Folgenden insgesamt AMPOLO 1983, 405ff.; 412ff. im Anschluß an DONLAN 1970, 384ff; vgl. bereits MAZZARINO 1947, 239f; RUZÉ 1985, 165; 167. Frg. 128 MASSON=WEST= 77DIEHL, Z.4. Vgl. dazu DONLAN 1970, 387; AMPOLO 1983, 406. AMPOLO 1983, 406 mit Nachweisen. Siehe auch Solon frg. 3DIEHL3=GENTILI/PRATO, Z.26, wo das jeden inseinem Hauserreicht. ν κ ό α κ ν ιο μ σ ό η δ So bei Solon frg. 3DIEHL3=GENTILI/PRATO, Z.12. Vgl. dazu DONLAN 1970, 389, Anm.21. Frgg. 70, Z.7 und 12 in Verbindung mit 129, Z.20LOBEL/PAGE. Vgl. DONLAN 1970, 391f.; 394. So mit Recht AMPOLO 1983, 415f.; GEHRKE 1993, 51f.; WALTER 1993, 93f. MEIGGS/LEWIS Nr. 2, Z.4. Vgl. AMPOLO 1983, 414. Vgl. zur Sache den Abs. DREROS. Vgl. etwa BUSOLT 1920, 351f.; EHRENBERG 1937/1965, 90; 1950/1965, 287f.; LARSEN 1949/1969, 197; vgl. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, 67; 70f.; BURN 1960, 225; GEHRKE 1985, 41 Anm. 1;1986, 45 undzurückhaltender JEFFERY 1956, 164f.; ZIMMERMANN 1975, 295. 1979, 69. Siehe bereits MAZZARINO 1947, 239; EHRENBERG 1950/1965, 272 Vgl. O’NEIL 1978– μ ο Anm.4, derrichtig bemerkt, daßδῆ ςindieser Bezeichnung „theobject of rule“sei. AMPOLO
239 mit Anm.715 (S. 393);
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
86
Wenn aber weder die β ο ὴδημ σ ο ίηnoch dasAmtdes demarchos undnoch nicht λ einmal
der „versammelte
demos“eigentlich „ antiaristokratische“Einrichtungen gewesen
sein können, sondern eben grundsätzlich Organe der Polis insgesamt darstellten, waren sie auch nicht unbedingt erst das Resultat eines säkularen Prozesses der Überwindung traditioneller aristokratischer Herrschaftsformen unddergleichzeitigen Entfaltung genuin 5. ) undder„Rat“(β demokratischer“Institutionen4 Die„ „ ό ρ ά λ γ ο λ ) in α Versammlung“(ἀ Mytilene, indie sich derausgestoßene Aristokrat Alkaios zurücksehnte, waren sicherlich weder „ demokratisch“nochneu: Schon seinVater undderVater seines Vaters hatten dar-
anteilgenommen46. Die„Verfassung“vonChios undihre Organe bzw. deren
Stiftung, Neukonstituie-
rung oder umfassende, etwa „demokratische“Reformierung4 7 w aren mithin überhaupt nicht dereigentliche Gegenstand desvorliegenden Gesetzes. Es ging darin –wenn nicht allein, sodochinerster Linie – umdieformale Festlegung undmöglichst genaue Fassung konkreter Vorschriften fürganzbestimmte gerichtliche Verfahren48. Über einen konkreten Anlaß des Gesetzes –den Mißstand oder das regelungsbedürftige Problem, das damit gelöst werden sollte49 –sind allerdings nicht einmal Vermutungen möglich. Jedenfalls liegt hier keine „ Verfassungsurkunde“vor. Es scheint nicht einmal völlig sicher, ob das ausdrücklich erwähnte Bestellungsverfahren für die Mitglieder der β ὴ ο λ , die„Wahl der50 ausjeder Phyle“ μ ο σ ίη η δ , mitdiesem Gesetz eingeführt oder vielleicht
nurmodifiziert wurde. Undes ist ebensowenig ausgemacht, daßdie präzise Festlegung eines monatlichen Sitzungstermins bedeutet, daßderRat überhaupt erst jetzt wirklich dauerndundregelmäßig zusammentrat –anscheinend bezog sich diese Klausel auch nurauf dieTermine fürdieBehandlung derBerufungen. Auch dieses Gesetz, dasohne Zweifel einwichtiges Dokument archaischer Gesetzgebung und ein bedeutendes Zeugnis der „ Verfassungsgeschichte“ der Polis im 6. Jahrhundert darstellt, ist ansich „nur“ eine konkrete Maßnahme –undnichts spricht dafür, daßsieineine allgemeine „ Kodifikation“eingebunden war.
45 Das nimmt die überwiegende
Mehrheit derForschung an: vgl. etwa WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, 70f.; BUSOLT 1920, 351f.; EHRENBERG 1937/1965, 90; 1950/1965, 287f.; HAMMOND 1959/1967, 152; FORREST 1960, 180; BURN1960, 224f.; HUXLEY 1966a, 83; GEHRKE 1985, 41; 1986, 45. Vgl. dagegen mit Recht MAZZARINO 1947, 238ff.; AMPOLO 1983, 404 u.ö.; WELWEI 1983/1998, 260; WALTER 1993, 91f. 46 Frg. 130LOBEL/PAGE, Z.18ff. Vgl. dazu PAGE 1955, 177ff.; AMPOLO 1983, 410; ROEBUCK 1986, 88. Vgl. auch den Absatz MYTILENE. 47 Vgl. noch COOK 1982, 201; RUZÉ 1985, 165; 167 und schon WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, , die also 67; JEFFERY 1961/1990, 61; 336f.; 1976, 231f. („ a glimpse of an east Greek constitution“ wohl umfassender zu denken ist; vgl. 43; 285); GEHRKE 1986, 45; KOERNER zu Nr. 61; VAN
, „constitutional docuI, Nr. 62, die es –m.E. irreführend –als „Konstitution“ loi constitutionnelle“bezeichnen. Vgl. zur Beurteilung des „Verfas, „Staatsordnung“bzw. „ ment“ : FORREST 1960, sungsgesetzes“von Chios als eines (verfrühten) „start on the road to democracy“ 180, sowie JEFFERY 1956, 167; so auch GEHRKE 1993, 52 (vgl. aber 51); dagegen mit Recht EFFENTERRE/RUZÉ
WALTER 1993, 91f.
48 Vgl. WELWEI 1983/1998, 260f. undinsofern auch GAGARIN 1986, 89ff. 49 DieSpekulationen vonJUST(1969, 196ff.) zudenmöglichen Anlässen sindwenig hilfreich.
2. Dieeinzelnen Poleis
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DIDYMA
Dieerst vorwenigen Jahren in derNähe derHeiligen Straße von Didyma gefundene auf einer Stele ausgrobkörnigem Marmor1 stellt offenbar ein „religiöses Dokument“dar, dastrotz des fragmentarischen Erhaltungszustandes des Steins noch als eine Kultsatzung mitgesetzesförmlichen Regelungen undVorschriften zuerkennen ist2. DerText ist ohne Zweifel in die zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts zu datieren. Er η enthielt anscheinend Bestimmungen über die Anteile des Priesters amOpferfleisch (γ ρ έ oder ἱερ ), die ihmnach demVollzug des Opfers zustanden. Dabei dürften diese ώ σ υ ν α Anteile ineinem festen Formular imeinzelnen unddetailliert benannt worden sein, wie die überzeugende Ergänzung derletzten drei Zeilen der Inschrift nach späteren milesischen Opfervorschriften nahelegt, in denen regelmäßig undin durchweg gleicher Reihenfolge diese Anteile desPriesters genau aufgezählt wurden3 . Auch in diesem Fall ging es also nicht umeine umfassend-allgemeine „Gesetzgebung“ ; vielmehr mußes sich umdiekonkrete Regelung eines sehr spezifischen, präzise gefaßten undengeingegrenzten Gegenstandes gehandelt haben. Inschrift
DREROS
Aus Dreros, einer kleinen undnicht sehr bedeutenden Stadt im Nordosten Kretas1 , stammt bekanntlich das älteste bislang gefundene „ staatsrechtliche“Dokument auf Stein, das unbestritten eines derwichtigsten Zeugnisse für die Frühgeschichte der Polis über. Diepraktisch vollständig erhaltene Inschrift mit demgesetzlichen Verbot haupt darstellt2 derIteration des Kosmosamtes innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren gehört nach allgemeiner Ansicht indieZeitum650, aufjeden Fall aber noch in diezweite Hälfte des
7. Jahrhunderts3 .
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GÜNTHER
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GÜNTHER
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1980, 167ff. (Nr. 4); vgl. auch A. JOHNSTON, in: JEFFERY 1961/1990, 473 (I). 1980, 168ff. Vgl. GÜNTHER 1980, 169f. unter Hinweis auf LSAM 44, Z.1ff.; 48, Z.15ff.; 52B, Z.3ff.; vgl. auch χ γ ά λ 40, Z.3ff. (= IvPriene 364; DGE722). Danach lautet der Text: κ α ισπ θ ε σ α ὶτ|ο ἰρ έ ω ς γί[ν ]ὶνεφ ]ἀ ν [ὸ η α π ίοκ[α ὸἰερ ]. ρ ν κ λ ῶ α ν κ α ν σ ὶγ η σ α ὶσκολ μ ο ίρ ὴ ν ιὸ κ ν α ὶἰερ Vgl. MARINATOS 1936, 214ff.; E. KIRSTEN, RE Suppl. 7 (1940) 128–149; M. GUARDUCCI, in: ICret I ix, S. 83ff. mit demMaterial unddenDaten; vgl. D.J. BLACKMAN, in: STILLWELL et al. 1976, 283ff. MEIGGS/LEWIS Nr. 2; JEFFERY 1961/1990, 315 (Nr. 1); 413 zuTafel 59, la; KOERNER Nr. 90; VAN
I, Nr.81 mitweiteren Nachweisen undKommentar. Vgl. zuerst DEMARGNE/VAN 333ff. mit der Korrektur DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1938, 194f., ferner –mit einigen Unterschieden, aufdiehier nicht eingegangen zuwerden braucht –EHRENBERG 1943/1965, 98ff.; BUCK 1955, Nr. 116; GUARDUCCI 1967, 187ff. (Nr. 4); HAINSWORTH Nr. 60; GALLAVOTTI 1977, 130ff. (vgl. SEG, 27, 1977, 620); HGIÜI, Nr.2 mitneuer Übersetzung. MEIGGS/LEWIS zu Nr. 2; vgl. bereits EHRENBERG 1943/1965, 98; JEFFERY 1961/1990, 310f.; 315 (Nr. 1); GUARDUCCI 1967, 187; DUHOUX 1982, 29ff.; KOERNER 1987b, 451. EFFENTERRE/RUZÉ EFFENTERRE 1937,
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III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
DasDokument gehört zueiner Gruppe voninsgesamt acht Inschriften4 , darunter einer in eteokretischer Sprache5, die auf dreizehn ursprünglich 20 bis 30 cm breiten und tiefen, aberzumTeil weit über einen Meter langen Steinblöcken angebracht waren. Diese Blöcke sindzueinem späteren Zeitpunkt indie(erst in hellenistischer Zeit erbaute) Zisternegestürzt. Siestammen aller Wahrscheinlichkeit nach ausderOstmauer deshocharchaischen Tempels für Apollon6 (Delphinios oder Pythios), dessen Anfänge bis in die Mitte des 8. Jahrhunderts zurückreichen dürften7 –eine Datierung, die durch bedeutende FundevonKultfiguren, Keramik, Metallobjekten etc. gesichert erscheint8 . DerTempel waroffenbar derreligiöse Mittelpunkt derhocharchaischen Polis Dreros. Bezeichnenderweise schloß er imrechten Winkel an die südwestliche Ecke der ältesten Agora anundwarmitihrdurch eine Treppenstraße, die sogenannte Nordtreppe, engund unmittelbar verbunden9 . DieAgora –eine fast rechteckige, etwa 30x40 Meter große Terrasse mitStufenreihen anzwei Seiten –ist ihrerseits eine derältesten bekannten Anlagen ihrer Art: Sie wurde wohl schon gegen Ende des 8. Jahrhunderts gestaltet undausge0. baut1
Indiesem Rahmen waren also dieInschriften angebracht, bei denen es sich offenbar um„offizielle“Dokumente bzw. Urkunden imweitesten Sinne zu verschiedenen profanen, „politischen“undreligiösen Gegenständen handelt1 1. Das gilt wohl auch für den eteokretischen Text, über dessen konkreten Inhalt allerdings nur spekuliert werden 2, kann1 undfür einige dernur sehr fragmentarisch erhaltenen Inschriften: Ein nichtssa-
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Weitere sechs dieser Inschriften wurden zuerst publiziert von VANEFFENTERRE 1946, 588ff. (Nr. 1– 93 6); vgl. neuerdings JEFFERY 1961/1990, 315 (Nr. 1c-h); DUHOUX 1982, 28ff.; KOERNER Nr. 91–
4); VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr.66 (Nr. 1); I, Nr. 64 (Nr. 2); I, Nr. 68 = II, Nr. 89, mit völ(Nr. 2– lig anderer Lesung (Nr. 3); I, Nr. 27 (Nr. 4); II, Nr. 10 (Nr. 5). WHITLEY 1997, 653; 1998, 325. Vgl. zuNr. 3 außerdem VANEFFENTERRE 1961, 69ff.; zuNr. 5 etwa MACDONALD 1956, 69ff. 5 VANEFFENTERRE 1946a, 131ff.; JEFFERY 1961/1990, 315 (Nr. 1b), sowie DUHOUX 1982, 37ff. 6 DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1937, 333, vgl. 28; VANEFFENTERRE 1946, 588; 1946a, 131; 1961, 545; JEFFERY 1961/1990, 311; DUHOUX 1982, 29. Vgl. zu der Zisterne DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1937, 27ff.; KIRSTEN, RE Suppl. 7, 1940, 131. 7 Vgl. dazu MARINATOS 1935, 478ff.; 1936, 219ff., bes. 253ff. mit der ersten und grundlegenden Beschreibung, Analyse undDatierung desDelphinion; ferner KIRSTEN, RE Suppl. 7, 1940, 132ff. (Apollon Pythios) undneuerdings BEYER 1976, 13ff. 8 MARINATOS 1936, 257ff.; vgl. auch KIRSTEN, RE Suppl. 7, 1940, 135f.; DUHOUX 1982, 27f.; POUNDER 1984, 249 mitweiteren Nachweisen. 9 MARINATOS 1936, 229; DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1937, 11; BEYER 1976, 13 mit Tafel 8, 2. Vgl. auch KOLB 1981, 106; COLDSTREAM 1984, 21. 10 DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1937, 10ff. Vgl. auch MACDONALD 1956, 66f.; MARTIN 1951, 226f.; WILLETTS 1955, 197; 1965, 58; COLDSTREAM 1977, 278f.; 280; 315; HÖLKESKAMP 1992, 101f. 11 DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1937, 333; VAN EFFENTERRE 1946, 595; 599; 601; MACDONALD 1956, 69; JEFFERY 1961/1990, 61; 310; 315 (Nr. 10); DUHOUX 1982, 29f.; 32. 12 Vgl. VANEFFENTERRE 1946a, 136; M. LEJEUNE, L’inscription Isaluria de Dréros: étéocrétois ou 285, hier 274. Vgl. die verschiedenen Deutungen als Bilingue (VAN crétois? REA 49, 1947, 274– EFFENTERRE 1946a, 131ff.; LEJEUNE, a.O. 277ff.) bzw. als durchweg griechischer Text (V. 140). Vgl. jetzt die ausführliGEORGIEV, Une inscription prétendue étéocrétoise, RPh73, 1947, 132– che Analyse von DUHOUX 1982, 37ff.
2. Dieeinzelnen
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Poleis
3
gender Rest über diePrepsidai unddieMilatioi (vielleicht außenpolitischen Inhalts?)1 und eine Regelung über Opfer bzw. die Verteilung von Opfern14 scheinen jedenfalls mit der Formel ἔα δ εbegonnen zuhaben –es handelt sich also umBeschlüsse. In denanderen kleinen Fragmenten ging es anscheinend umVorschriften zureligiösen Reinigungen und Eiden15 undandererseits wohl umeine Aufzählung von Weihgaben an Gottheiten, möglicherweise (Apollon) Pythios und(Zeus) Agoraios16. Zwei weitere Inschriften sind etwas besser erhalten. Die erste17 –auch sie ein Beschluß der Polis (π ό λ ιἔα ), anscheinend nach Beratung mit den Phylen18 –legte fest, δ ε daßeinFunktionsträger mitderBezeichnung ἀ ρ γ έ τ α ςkeine Strafe verhängen sollte gegen γ ρ έ τ α diejenigen imDienst desTempels(?)19. Bei demἀ ςhandelte es sich möglicherweise umeine Art „Herold“ , dessen Aufgabe imZusammenrufen der „Bürger“zur Versammlung20 oder des militärischen Aufgebots zum Schutz der Stadt bestanden haben könnte undderin dieser Funktion grundsätzlich auch zur Disziplinierung undBestrafung von Fernbleibenden berechtigt undverpflichtet war21. Wiedemauch sei: Offensichtlich handelte es sich bei dieser Vorschrift umeine Ausnahmeregelung unddamit eine explizite Beschränkung der(prinzipiell vielleicht nicht einmal positiv fixierten undtraditionell weitreichenden) „ Kompetenzen“ eines bestimmten Funktionsträgers der Polis oder der Phylen22 durch einen formalen Beschluß mitdemCharakter eines Gesetzes. Auch die andere Inschrift23 scheint einen Beschluß festzuhalten –wiederum ist wenigstens derBegriff ἔα δ εsicher zulesen. Allerdings ist weder erkennbar, wer derTrägerdieser Entscheidung war24, noch ist deren konkreter Gegenstand unstrittig rekonstruierbar: Je nach Lesung könnte es sich umSatzungen bezüglich derἀ γ ι, der alten doriέ α λ schen Gruppierungen derJungmannschaft einer bestimmten Altersstufe vor demEintritt in dieHetairien gehandelt haben25; oderes liegen hier, wieH. VANEFFENTERRE neuerdings vorschlägt, Reste einer Regelung bzw. einer bestimmten Ergänzung zu anderen Regelungen vor, die sich auf die Jagd und ihren Beginn beziehen26. Auch wenn offensichtlich eine genauere Bestimmung des Inhalts wieder einmal nicht möglich ist, darf wohl festge-
VAN EFFENTERRE 1946, 588ff. (Nr. 1); VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 66. 14 VANEFFENTERRE 1946, 600ff. (Nr. 4), akzeptiert von DUHOUX 1982, 29;
13
KOERNER Nr. 93, vorsichtiger VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 27. 15 VAN EFFENTERRE 1946, 602f. (Nr. 5); VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 10. Vgl. MACDONALD 1956, 69ff. Vgl. auch GALLAVOTTI 1977, 135; DUHOUX 1982, 115, vgl. 112ff. 16 VANEFFENTERRE 1946, 603f. (Nr. 6), akzeptiert von DUHOUX 1982, 29. 17 VAN EFFENTERRE 1946, 590ff. (Nr. 2); KOERNER Nr. 91; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 64. 18 Vgl. dazu VANEFFENTERRE 1946, 591f. undneuerdings RUZÉ 1984, 256f.; GEHRKE 1993, 54 mit
Anm.25; 59. 19 Vgl. VANEFFENTERRE 1946, 591 zueiner alternativen Lesart; ferner dens. 1961, 546. 20 21 22 23
Vgl. VANEFFENTERRE 1946, 595, akzeptiert von DUHOUX 1982, 29. Vgl. VAN EFFENTERRE 1946, 596, zustimmend M. GUARDUCCI, in ICret IV, S. 55; WILLETTS 1955,
203 Anm.3.
Vgl. auch VANEFFENTERRE 1946, 596f. VAN EFFENTERRE 1946, 597ff. (Nr. 3); KOERNER Nr. 92; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 68= II, Nr.
89. 24 DerBegriff π ό λ ιςtaucht indiesem Zusammenhang jedenfalls nicht auf. 25 26
VAN EFFENTERRE 1946, 599f.; vgl. WILLETTS 1955, 23 mit Anm. 1; GEHRKE 1993, 54; 1995, 16. Vgl. zu den ἀ γ έ λ α ιetwa WILLETTS 1955, 12ff. u.ö.; 1965, 112ff. u.ö.; JEFFERY 1976, 190. VAN EFFENTERRE 1961, 547ff., neuerdings offenbar akzeptiert von DUHOUX 1982, 29; VAN EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 89.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
90
wiebeidenmeisten anderen Texten –umimweitesten Sinne halten werden, daßes sich– „ normative“Regelungen sehr spezifischer undkonkreter Gegenstände gehandelt haben muß. Gerade dasgilt auch undinsbesondere für dieeingangs erwähnte berühmte Inschrift staats-“oder „ „ verfassungsrechtlichen“Inhalts, dieja in dengleichen Fundzusammenhang gehört: Auch sie war, wiegesagt, mitgroßer Wahrscheinlichkeit auf der Ostwand desDelphinions angebracht27. Das vollständig erhaltene Dokument bietet sprachlich und epigraphisch kaum Probleme –lediglich Lesung undInterpretation dereinleitenden religiösen Formel sind strit8. tig2 DerWortlaut dereigentlichen Ratifikationsformel (ἇ δ ·ἔα ι) unddesTextes δ λ επ ό selbst sind dagegen akzeptiert, unddermaterielle Gehalt ist allgemein bekannt: Ein ehemaliger kosmos soll innerhalb vonzehnJahren nicht wieder kosmos werden dürfen; wird eresdennoch, schuldet ererstens dasDuplum aller Strafen, dieer verhängt, soll er zweitens auf Lebenszeit „unbrauchbar“sein, undgelten drittens alle seine Handlungen als kosmos als null undnichtig. Schließlich werden diejenigen, diedenEid abzulegen haben, derkosmos selbst, die damioi unddie „Zwanzig derPolis“bestimmt. DieForm derEinleitung unddesInhalts lassen kaumeinen anderen Schluß zu, als daßdiese Satzung ein Beschluß der„Polis“Dreros als ganzer, dasheißt: der VersammBürger“war. Und selbst wenn dieser Akt ein bloßes Akklamatilung aller berechtigten „ onsritual gewesen sein sollte, stellt er doch ein offenbar unverzichtbares formales VerfahrenzurInkraftsetzung derVorschrift dar29. Ein solches Beschlußverfahren setzt nicht nurein durchaus „rationales Bewußtsein“ vonder Polis als (geradezu im ursprünglichen Wortsinn) „autonomer“undals solcher aucheigenständig handelnder Größe voraus, wieesja nicht zuletzt in derschon erwähntenRatifikationsformel unmittelbar undexplizit zumAusdruck kommt3 0. Vorallem kann sich dieses Verfahren als solches überhaupt erst aufderschon vorhandenen Basis einer 1. wenigstens rudimentär entwickelten institutionellen Organisation der Polis entwickeln3
27 28
29
MEIGGS/LEWIS Nr. 2 mit demmaßgebenden Text, denich in derFolge zitiere; KOERNER Nr. 90; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 81. Vgl. die weiteren Angaben oben, Anm. 2, sowie VAN EFFENTERRE
1961, 548. Vgl. DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1937, 339ff.; GUARDUCCI 1939, 20ff.; EHRENBERG 1943/1965, 199f.; GALLAVOTTI 1977, 132 undneuerdings POUNDER 1984, 245f.; 248ff., derim Anschluß an BUCK1955, Nr.116 darin eine Fluchformel orientalischen Ursprungs sieht. DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1937, 342; JEFFERY 1976, 189; WELWEI 1983/1998, 66; HÖLKESKAMP 1992, 95f.; AMPOLO 1996, 301; 310 mit Anm.23, sowie, allerdings mit Vorbehalten, GEHRKE 1993, 53 mit Anm.20; 59. Vgl. ferner GRAHAM 1960, 105 unddenAbs. THERA zum Be-
schluß überdieAussendung vonKolonisten. Angesichts desInhalts, derTendenz undderTerminologie scheint mir EHRENBERGS Überlegung (1943/1965, 99, zitiert nach der deutschen Übers. bei
daßderRat oder die Beamten für das Volk oder den 1969, 28) wenig plausibel, „ , ursprünglich vielleicht sogar Staat handelten –sowohl in seinem Namen als in seinem Interesse – ohnegezwungen zu sein, dieVolksversammlung zu befragen“ ; vgl. aber ebda. 98; 104. Siehe dazu ferner WILLETTS 1965, 68 (allerdings mit problematischen Annahmen). Die Gegenposition von DUSANIC 1978, 59, ist nicht mehrals eine Behauptung. GSCHNITZER [Hrsg.]
30 Vgl. etwa EHRENBERG 1943/1965, 99; MEIGGS/LEWIS, S. 3 (zuNr. 2); GRAHAM 1960, 103. 31 Vgl. mit Recht EHRENBERG 1943/1965; 99; 104; GRAHAM 1960, 103; 105, ferner RUNCIMAN 1982, 359; KOERNER 1987b, 452; STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 97f.; HÖLKESKAMP 1992, 94ff.;
2. Dieeinzelnen Poleis
91
Darüber hinaus zeigt gerade der Inhalt der Vorschrift selbst, daß die Einrichtungen der kleinen Polis Dreros um die Mitte des 7. Jahrhunderts bereits dieses notwendige Mindestmaß anDifferenzierung undInstitutionalisierung erreicht hatten. In der Polis –oder auch neben derPolis als Institution der Beschlußfassung –gab es zunächst die (oberste?) Behörde des kosmos, die wohl schon als eine mehrstellige Magistratur zu verstehen ist32. Auch hatte der kosmos –bzw. die kosmoi –zumindest eine explizit genannte unddamit bereits definierte Kompetenz, nämlich eine richterliche Zuständigkeit33. Neben ihnen werden als weitere Institutionen noch die damioi und die genannt: Die einen waren sicher Magistrate, dievomkosmos offen„ Zwanzig derPolis“ sichtlich bereits begrifflich undauchfunktional getrennt waren –unddasgilt unabhängig vondemletztlich kaum endgültig zulösenden Problem ihrer konkreten Rolle und Zuständigkeit. Es mußeinfach offenbleiben, obsiemitderEinrichtung derdamiorgoi in anderen Poleis zuvergleichen sind34, über die auch nicht viel Sicheres bekannt ist; ob sie etwa 5 über den kosmos eine Art institutionalisierter Aufsichtspflicht ausübten3 oder ob sie als (den τίτ α ι in Gortyn vergleichbare) „Finanzbeamte“schon gewissermaßen abstrakte Kompetenzen hatten36. Die andere Institution, die so emphatisch als die „Zwanzig der Polis“bezeichnet wird, dürfte wohl kaum nur irgendein „ Ausschuß“eines (notwendig danngrößeren) Rates odereinweiteres vonderVolksversammlung (zusätzlich) bestelltes Gremium gewesen sein37. Das ist schon angesichts der Größenverhältnisse undder zu vermutenden Bürgerzahl derPolis Dreros um650 wenig wahrscheinlich. Außerdem setzt diese Annahme einen noch höheren Grad aninstitutioneller Differenzierung voraus, was Zwanzig“ zumindest ohne konkrete Indizien ansich schon wenig plausibel erscheint. Die „ waren wohl selbst derRat„ derPolis“–offenbar schon eine institutionalisierte Instanz mit bestimmten Kriterien derMitgliedschaft; denn die fixierte Zahl der „ Zwanzig“setzt ja – wiebeiähnlich benannten Einrichtungen anderer Poleis –bereits voraus, daßdieBestellung der Mitglieder wenigstens ansatzweise an definierte Kriterien gebunden und damit 8. formal geregelt war3 1992/1995, 72ff.; 1994, 135ff.; GEHRKE 1993, 53; 1997, 59f.; ROBB 1994, 85ff., auch zum Fol-
32
genden. Vgl. EHRENBERG 1943/1965, 102; WILLETTS 1955, 106ff.; WELWEI 1983/1998, neuerdings GAGARIN 1986, 82ff.
61f. Vgl.
dagegen
33 Vgl. dazu DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1937, 343f.; EHRENBERG 1943/1965, 100; HÖLKESKAMP 1992, 95; GEHRKE 1993, 54, sowie allgemein RUNCIMAN 1982, 357; WELWEI 1983/1998, 60ff.; KOERNER 1987b, 453. GAGARIN (1986, 81ff., bes. 86) sieht in dieser Unterbindung des Mißbrauchs dieser Funktion sogar deneigentlichen Gegenstand derInschrift –dassteht natürlich in eklatantem 34
35 36
37 38
Widerspruch zu ihrem Wortlaut: vgl. WALLACE/WESTBROOK 1989, 364; HÖLKESKAMP 1990, 124. Vgl. etwa MURAKAWA 1957, 403f.; JEFFERY 1976, 190; KOERNER 1987b, 454f.; dagegen EHRENBERG 1943/1965, 104. Vgl. neuerdings noch VAN EFFENTERRE 1985c mit einer weiteren Theorie. Zumindest erwogen von DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1937, 346f.; so anscheinend auch bei WILLETTS 1955, 168; PERLMAN 1992, 197. Vgl. etwa DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1937, 347; EHRENBERG 1943/1965, 104; MEIGGS/LEWIS, S. 3 (zu Nr. 2); WELWEI 1983/1998, 63; GEHRKE 1993, 53. Vgl. dazu das eher skeptische Urteil
von KOERNER 1987b, 454f.
commission decontrôle“des 1937, 347, nennen die „Zwanzig“eine „ Rates. WILLETTS 1955, 168 (vgl. auch dens. 1965, 68) hält sie für einen Ausschuß der Volksversammlung. Vgl. dazu jetzt KOERNER 1987b, 453f. WELWEI 1983/1998, 64. Vgl. auch EHRENBERG 1943/1965, 103; MEIGGS/LEWIS, S. 3 (zu Nr. 2); HÖLKESKAMP 1992, 95 und(mit Vorbehalten) GEHRKE 1993, 53f. Vgl. auch KOERNER 1987b, 454, DEMARGNE/VAN EFFENTERRE
92
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
Dasgilt mutatis mutandis auch für denkosmos bzw. die Benennung der einzelnen kosmoi –der Begriff der „ Wahl“ist dabei allerdings nur mit Vorbehalt zu gebrauchen. Dasexplizite Verbot derWiederwahl zueinem Amtinnerhalb eines in Jahren festgesetzten Zeitraums impliziert ebenfalls notwendig, daß sich das Grundprinzip des (sehr wahrscheinlich schon jährlichen) Wechsels bzw. einer ArtRotation unddamit ein rudimentär 9. formalisiertes Bestellungsverfahren bereits durchgesetzt hatten3 Durch Form undInhalt dieser Iterationsbeschränkung müssen die Entwicklung von Kriterien undRegeln der(Aus-)Wahl undBestellung der kosmoi unddamit die institutionelle Einbindung undAusgestaltung derEinrichtung deskosmos zugleich bestätigt, fixiert undvorangetrieben worden sein. DennderZugang zudiesem Amt–unddamit eben das Amtselbst –wurden zumGegenstand einer positiven gesetzlichen Norm, deren Verbindlichkeit offensichtlich in erster Linie auf der Ratifikation durch „ die Polis“als solche beruhte, diewiederum nurdurch die in einer Versammlung institutionalisierte Gesamtheit desVerbandes der„Bürger“handeln konnte. Diese Verbindlichkeit der Norm, die offenbar ohne Einschränkungen, für alle und allgemein gelten sollte unddiesich „ diePolis“damit zugleich selbst auferlegte, realisierte sich auf zwei Ebenen: Einerseits werden die betroffenen Magistrate selbst, die kosmoi bzw. dereinzelne gerade amtierende kosmos, unddieanderen, offenbar auch wichtigen Institutionen der Polis, nämlich die damioi unddie „ , durch einen Eid auf die Zwanzig“ 0 –ob dieser Eid jährlich, Einhaltung der Norm besonders und ausdrücklich festgelegt4 vondenjeweils neuen Inhabern dieser Funktionen bei Antritt desAmtes, zuwiederholen war, mußdahingestellt bleiben, ist abernicht unwahrscheinlich41. Andererseits wird die Verbindlichkeit des materiellen Gehalts der Vorschrift durch diedarin genau festgelegten Sanktionen betont undeingeschärft, die denjenigen treffen sollten, der unter Bruch der Vorschrift erneut kosmos wurde: Nicht nur wurden alle Amtshandlungen deszuUnrecht amtierenden kosmos generell undkategorisch für ungültig erklärt –wobei es allerdings unwahrscheinlich ist, daßdamit (unter derVoraussetzung, daßdas Amtbereits mehrstellig war) etwa auch alle Handlungen deranderen kosmoiundalle unter seinem Vorsitz oder auf seinen Antrag hingetroffenen Beschlüsse anderer Gremien als aufgehoben gelten sollten42. Offensichtlich sollte ja nurderzuUnrecht insAmtgekommene kosmos ganz speziell unddirekt getroffen werden. Er mußte dennja auch das Duplum fürjedes Urteil zahlen, daser gefällt hatte –dabei mag es sich eher um verhängte Bußen undStrafen alsumeinen abstrakten „ Streitwert“gehandelt haben43, wie es jedenfalls durch jene vergleichbaren Strafandrohungen gegen Magistrate wegen bestimmter Vergehen im Amt, wegen Vernachlässigung der Verfolgungs- und Strafpflicht etc. nahegelegt wird, dieausanderen, zumTeil ebenfalls recht frühen Inschriften bekannt sind44.
derzurückhaltend formuliert: „ So kann mandie20 wohl ambesten als dieVertreter derUnterabteilungen von Dreros verstehen, aus denen im Lauf der Zeit der Rat in der uns bekannten Form erwuchs.“ 39 So anscheinend auch WILLETTS 1955, 106; GEHRKE 1993, 54. Vgl. DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1937, 346; EHRENBERG 1943/1965, 102. So etwa MEIGGS/LEWIS, S. 3 (zu Nr. 2); KOERNER 1987b, 455. 42 Vgl. EHRENBERG 1943/1965, 100; KOERNER 1987b, 453. 43 Vgl. dazu KOERNER 1987b, 453. 44 Vgl. dazu KOERNER 1987b, 475f., sowie 483f. Vgl. etwa auch die Abs. ARKADIEN undELIS. 40 41
2. Dieeinzelnen
Poleis
93
Zweitens sollte der gegen das Verbot ins Amtgekommene kosmos auf Lebenszeit η τ ρ ο ςsein. Darunter ist sicherlich nicht die „strenge Atimie“ κ ἄ σ , also die Ächtung und völlige Vernichtung mindestens der gesellschaftlichen, wenn nicht der physischen Exi5. stenz desBetroffenen zuverstehen4 Auchindemvergleichbaren Gesetz desApellias aus Erythrai, das in das späte 5. oder frühe 4. Jahrhundert gehört, sind zwar die „Atimie“ undsogar die „Verfluchung“als Strafe für ein sehr ähnliches Delikt vorgesehen, nämlich für die gesetzwidrige wiederholte Bekleidung des Schreiberamtes, die Beschäftigung eines solchen Schreibers undsogar für die Einbringung eines diesbezüglichen Antrags4 6. Aberauchhier ist dabei, wieindemGesetz vonDreros, eine Geldbuße festgesetzt, die als Nebenstrafe“einer totalen Atimie ja gar nicht sinnvoll wäre. Der Begriff ἄ „ η σ τ ο ρ ςin κ demDokument ausDreros dürfte sich also aufdenlebenslänglichen Verlust derFähigkeit beziehen, nocheinmal dasAmtdeskosmos (oder irgendeine andere „ öffentliche“Funkti-
on) zubekleiden47.
Eine solche miteiner scharfen Sanktion bewehrte Beschränkung der Iteration einer wichtigen Magistratur war keineswegs einmalig. Neben demerwähnten, allerdings er8 heblich später zudatierenden Gesetz desApellias4 undeinem weiteren, etwa gleichzeitigen Gesetz aus Erythrai, das die Iteration des Amtes der ἑλεορέον τ ε ςinnerhalb eines Zeitraums vonzehn Jahren miteiner Geldbuße belegte49, gibt es auch eine vergleichbare 0: Regelung aus Gortyn, die kaum jünger als das Gesetz von Dreros sein dürfte5 Darin wurde verboten, dasAmtdeskosmos innerhalb eines Zeitraums vondrei Jahren, dasjenigedesgnomon innerhalb vonzehnJahren unddieFunktion deskosmos xenios innerhalb vonfünf Jahren erneut zubekleiden5 1 – allerdings ist in diesem Fall nicht mehr auszumachen, obundgegebenenfalls welche Sanktionen gegen Verstöße darin vorgesehen waren. Ohne Zweifel wurden solche Maßnahmen nicht ohne Anlaß ins Werk gesetzt –und dasgilt gerade auch für dasfrühe Gesetz ausDreros, daszielgerichtet undmit scharfen Sanktionen einer bestimmten, offenbar sehr konkreten und greifbaren Entwicklung gegensteuern sollte: Daswohl wichtigste Amtsollte nicht allzu oft von allzu wenigen Personenbekleidet werden. Dabei kamesvielleicht nochnicht einmal darauf an, die Monopolisierung des Amtes durch einen Einzelnen unddie Ausnutzung der damit verbundenen Macht zurErrichtung einer Tyrannis zuverhindern52 –dazuwarauch die kontinuierliche Bekleidung einer Stelle indem(immerhin ja wohl mehrstelligen) kosmos kaum geeignet. Vgl. aber DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1947, 345. Siehe dagegen KOERNER 1987b, 453. IvErythrai 1, Z.9ff. mit dem Kommentar von H. ENGELMANN und R. MERKELBACH (S. 18ff.); KOERNER Nr. 74; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 84. Vgl. gegen DEMARGNE/VAN EFFENTERRE (1937, 342; 344f.) etwa KOERNER 1987b, 460f.; 471 u.ö. 47 Vgl. etwa EHRENBERG 1943/1965, 101f.; KOERNER 1987b, 453. 48 IvErythrai 1; KOERNER Nr. 74 (Ende des 5. Jh.); VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 84 (ähnlich). 49 IvErythrai 17 mit dem Kommentar von H. ENGELMANN und R. MERKELBACH (S. 78f.). Vgl. B. 199, undjetzt KOERNER 1987b, 457ff.; HAUSSOULLIER, Loi inédite d’ Erythrées, RPh 54, 1928, 191– KOERNER Nr. 77; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 85. 50 ICret IV 14g-p, 2; KOERNER Nr. 121; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 82; GEHRKE 1997, 57. Vgl. bereits SGDI 4979, Z.2. 51 Vgl. dazu KOERNER 1987b, 455ff. unddenAbsatz GORTYN. 52 Vgl. DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1937, 343; WILLETTS 1965, 68. Siehe dagegen etwa EHRENBERG 1943/1965, 101f.; KOERNER 1987b, 453. 45 46
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
94
Generell scheint dieinstitutionalisierte undschon damit beschränkte Macht vonMagistraturen kein geeignetes Sprungbrett fürTyrannisaspiranten gewesen zusein. Esist aber zweifellos richtig, daßes scharfe Gegensätze innerhalb derlokalen Elite, Positionskämpfe umRang undEinfluß, gegen die mächtige Konkurrenz, und dabei eben auch undvielleicht insbesondere Rivalitäten umdenZugang zumkosmos zwischen den potentiell „ amtsfähigen“Herren gewesen sein müssen, die diese Maßnahme veranlaßt haben dürften53. Sie reagiert offenbar auf eine Situation, in der einige wenige aus dieser Gruppe allzu erfolgreich waren undimmer wieder in denkosmos gelangten, was die Spannungen aufdaskonkrete FelddesZugangs zudieser einen Institution zuspitzte –im Gegensatz etwa zu der erwähnten Regelung aus Gortyn werden andere Magistraturen, wiediedamioi, derVorschrift ja nicht unterworfen. Diese Zuspitzung bedeutete zugleich eine Verschärfung undKonkretisierung dergesamten Konflikte, dieeine Entspannung undBefriedung durch eine spezifische undganz gezielte Regelung naheliegend undwomöglich unabweislich erscheinen ließen, aber auch erst möglich machten. Eine solche Regelung mußte notwendig allgemein akzeptabel und tragbar, also „neutral“sein, für alle Beteiligten verbindlich gemacht werden undgerade damit die Rivalitäten kanalisieren undeinbinden. Die sich gerade erst als übergeordnete Instanz konsolidierende Polis konnte hier allein jenen Rahmen bieten, in demdie Formulierung und Implementierung einer solchen Regel, ihre praktische Durchsetzung durch Verhängung vonSanktionen gegen Verletzer praktisch underfolgversprechend bewerkstelligt werden konnte. UnddieVersachlichung undFormalisierung von Zugangsregeln und-kriterien, zudereine solche Regelung objektiv beitrug, trieben ihrerseits die Institutionalisierung von„ Ämtern“ undMagistraturen voran –unddamit denProzeß derweiterenKonsolidierung derPolis selbst5 4. Dies waren aber erst dielangfristigen undgewissermaßen kumulativen strukturellen Folgen solcher (undvieler anderer) Maßnahmen undAnstöße, dieaufdie Institutionalisierung vonVerfahren undEntscheidungsabläufen unddie Versachlichung von Herrschaft hinausliefen. Zunächst warein frühes Gesetz wie die Iterationsbeschränkung in derkleinenPolis Dreros nichts als eine unmittelbare Reaktion auf ein konkretes, die „Polis“und ihre „Bürger“(die dazu zuwerden gerade erst im Begriff waren) handfest betreffendes Problem derFormen undderTolerierbarkeit von aristokratischen Auseinandersetzungen umPositionen undFunktionen „derPolis“ . Auchdieses Gesetz wardaher kaum–etwa zusammen mitdenanderen Inschriften, Kodifikation“ fragmenten vomDelphinion –integrierter Bestandteil einer umfassenden „ die womöglich sogar systematisch „profanes“und„sakrales“Recht in einem einzigen 5. umfassenden „ judicial-religious code“zusammengefaßt hätte5 Tatsächlich ist dasschon auskonkreten Gründen ausgeschlossen: Schrift undBuchstaben sind nämlich keineswegs einheitlich –schon deswegen können diese Inschriften, dieja zudem ganz verschiedene, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht miteinander in Beziehung stehende Gegenstände be-
53 Vgl. WELWEI 1981, 19; STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 97f., sowie in dieser Hinsicht wieder KOERNER 1987b, 452f., dessen Ansicht, daßjeweils ein startos einen kosmos gestellt habe, allerdings problematisch ist; LINK 1994, 105ff.; WHITLEY 1997, 660; 1998, 322. diesen Prozessen grundsätzlich WELWEI 1981, 19f.; 1983/1998, 63, vgl. 49; STEINHÖLKESKAMP 1989, 97f.; HÖLKESKAMP 1994, passim. MACDONALD 1956, 69; COLDSTREAM 1977, 302, sowie, zumindest indirekt, JEFFERY 1961/1990, 310 undin diesem Fall auch WHITLEY 1997, 653.
54 Vgl. zu 55
2. Dieeinzelnen Poleis
95
6.
treffen, wohl kaum bewußt undunoactu als einheitlicher „Code“fixiert worden sein5 Vielmehr sind sie sicherlich je nach Gelegenheit undkonkretem Anlaß beschlossen, am Tempel angebracht unddadurch veröffentlicht worden –wie eben auch das berühmte Gesetz über die Iteration des Kosmosamtes: Gerade dieses Gesetz ist ja tatsächlich, so wie es vorliegt, vollständig und in sich auch inhaltlich völlig geschlossen5 7. Es ist damit
noch eindeutiger als viele andere Gesetze ausdemarchaischen Griechenland ein in eine bestimmte Situation gehörendes undandiesen konkreten Anlaß gebundenes Einzelgesetz.
ELEUTHERNA
AusEleutherna imnördlichen Mittelkreta1 hatsich eine Anzahl zumeist kleinerer Inschriftenreste erhalten, dieL. JEFFERY ebenfalls, allerdings miteiniger Zurückhaltung, als Code“ Fragmente eines „ vomAnfang des6. Jahrhunderts2 undmehrerer Gesetze ausder Zeit kurz nach 500 bezeichnet hat3 . Unter deninsgesamt neunzehn Bruchstücken sind allerdings nur ganz wenige, die wenigstens vorsichtige Vermutungen über ihren ursprünglichen Inhalt erlauben. Sowohl dieanscheinend früheste Inschrift alsauchdieMehrzahl derübrigen Reste wohl jüngeren Datums lassen kaum mehr als einzelne Wörter erkennen4. Bei keinem einzigen Bruchstück istnocheine detaillierte Rekonstruktion desursprünglichen Inhalts desTextes möglich. Es kanndaher auchnicht entschieden werden, ob die einzelnen Dokumente sachlich irgendwie zusammenhingen –epigraphische Gründe, nämlich unterschiedliche Größe, abweichende Form undGestaltung derBuchstaben, scheinen eher dagegen zusprechen. Wiedemauchsei: Es dürfte zumindest einigermaßen sicher sein, daßdiese Inschriften ursprünglich durchweg auf denWänden vonTempeln undanderen öffentlichen Gebäuden angebracht waren, auch wenn dieTräger später anderweitig als Baumaterial verwendet wurden –nicht zuletzt deswegen sinddieInschriften soschlecht erhalten5 .
56 Vgl. JEFFERY 1961/1990, 311, vgl. 61. 1937, 341; MEIGGS/LEWIS, S. 2 (zu Nr. 2); GUARDUCCI 1967, 188.
57
DEMARGNE/VAN EFFENTERRE
1
Vgl. zu der Polis, von dernur wenige hier einschlägige archäologische Zeugnisse existieren: L. 53; M. GUARDUCCI, in: ICret II xii, S.141ff.; R. SCHEER, in: BÜRCHNER, RE 5,2 (1905) 2351– LAUFFER 1989, 213, mitallen Daten undNachweisen. JEFFERY 1961/1990, 316 (Nr. 26) zuICret II xii, 1. JEFFERY 1961/1990, 316 (Nr. 27); 310 zu ICret II xii, 2– 19. Die Nr. 3, 4, 9, 11, 13, 16Aa, Ac und 115) wenigstens erwähnt; diese Zeugnisse finden sich –mit Aus16b sind bei KOERNER (Nr. 109– nahme von Nr. 13 –auch bei VANEFFENTERRE/RUZÉ (Nr. 3 = I, Nr. 10; Nr. 4 = I, Nr. 83; Nr. 9 = 15 = I, Nr. 46). I, Nr. 25; Nr. 11= I, Nr. 14; 16Aa, Ac = II, Nr. 67; 16Ab = I, Nr. 26, sowie Nr. 14– Vgl. zum Teil bereits HALBHERR/COMPARETTI 1888, 161ff. (Nr. 1ff.); COMPARETTI 1893, 415ff. 4958. Vgl. zu einigen weiteren Zeugnissen – z. B. VAN 198); SGDI 4953– (Nr. 193– EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 98 –WHITLEY 1997, 654f.; 1998, 326f. Die Inschriften ICret II xii, 2; 6; 7; 10; 12; 17; 18 und19 sind so fragmentarisch, daßsie hier nicht
2 3
4
weiter behandelt
5
zuwerden brauchen.
Vgl. FABRICIUS 1885, 94; COMPARETTI 1893, 415f.; M. GUARDUCCI, in: ICret II xii, S. 146 (allgemein
19). zuNr.1–
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
96
Jedenfalls mußes sich umUrkunden von öffentlicher Bedeutung gehandelt haben, was schon ausdemVorkommen vonBegriffen wie δᾶ μ ο μ ο ιςundκόσ ό λ ς(?), π ςund der Nennung der anscheinend zwei eponymen kosmoi zu schließen ist6 . In manchen Bruchstücken scheinen auch noch die für archaische Gesetze typischen Wendungen zu erkennen zusein, nämlich dermitα ἰetc. eingeleitete Konditionalsatz7 . Damit besteht tatsächlich einiger Grund zuderVermutung, daßes sich bei denDokumenten, die sich offenbar aufinEleutherna ansässige Fremde –dasheißt: Angehörige einer „anderen Polis“ (ἀ λ λ ο π ο λ ιᾶ τ α ι) beziehen8 , umgesetzliche Vorschriften handelte, deren Inhalt imeinzelnenallerdings nicht mehrzurekonstruieren ist9.
Eine weitere Inschrift scheint Regelungen –ebenfalls in der Form eines Gesetzes oderDekrets –übereinen Kultodereinreligiöses Fest, offenbar für Dionysos, bzw. hin-
0.
sichtlich derdaran beteiligten Personen enthalten zuhaben1 In einen ähnlichen, nämlich Gesetz über die Kireligiösen, Zusammenhang gehört vielleicht auch das angebliche „ , dessen Inhalt aber auchnicht mehrzuerkennen ist11. tharaspieler“ Wiederum einen ganz anderen Gegenstand scheint einweiteres Dokument gehabt zu haben, dasM.GUARDUCCI unzweideutig als„ Gesetz“bezeichnet hat. AusdenResten des Textes sind allerdings kaum mehr als einige wenige Begriffe ausdemBereich von Gartenbau undLandwirtschaft zuentziffern12. Außerdem haben sich noch einige Fragmente erhalten, die allem Anschein nach prozeßrechtliche Regelungen über Zeugen (in einem Gerichtsverfahren?) enthielten13 sowie MaßeundSummen –möglicherweise Bußen undStrafsummen –fixierten14: Mehrfach ist
6 7
8
9
10
ICret II xii, 4, Z.1 und5; 14a, Z.5 und6; 16Ab, Z.3, ferner 9, Z.2. Vgl. zu derzuletzt genannten Inschrift die Kommentare von COMPARETTI 1893, 425 (zu Nr.200) undM. GUARDUCCI adloc. unterHinweis aufdieguterhaltene Formel amAnfang vonICret I ix, 1 ausDreros. ICret II xii, 3, Z.6; 4, Z.5; 9, Z.4; 11, Z.3; 13, Z.3. ICret II xii, 3, Z.1; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 10 mit Nachweisen und Kommentar. Vgl. COMPARETTI 1893, 418ff. (Nr. 194); SGDI 4954; GUARDUCCI 1967, 190f. (Nr. 6), sowie ICret II xii, 4, Z.4f.; vgl. COMPARETTI 1893, 421f. (Nr. 195); SGDI 4955. Vgl. denKommentar von M. GUARDUCCI S. 148 und149 adloc., unter Hinweis auf das große „ Recht von Gortyn“ICret IV 72, col. VI 47; vgl. auchdies., in: ICret I, S. 72. Siehe außerdem dieneue Inschrift ausLyttos (vgl. den Abs. LYTTOS): VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 12; VAN EFFENTERRE 1985a, 157ff.; 1985b, 247ff., Seite A, Z.lf. unddazu etwa VANEFFENTERRE 1985a, 179; 186. In ICret II xii, 3, Z.4 werden „Eide“undVerfluchungen erwähnt; vgl. COMPARETTI 1893, 420f. Aus II xii Nr.4 ist nichts erkennbar. ObII xii, 11, Z.1ff. auch in diesen Zusammenhang gehört –so anscheinend M.GUARDUCCI, in: ICret II, S. 152adloc. – , istschwer zuentscheiden. ICret II xii, 9 mit demKommentar von M. GUARDUCCI; vgl. bereits FABRICIUS 1885, 91ff.; COMPARETTI 1893, 425ff. EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 25.
(Nr. 200); SGDI 4957. Vgl. dagegen KOERNER Nr.111; VAN
in diesem Zusammenhang bedeuten soll, läßt II xii, 16Ab. Über das, wasderBegriff ἀπ μ ία α ι, α τ μ ιῶ α φ sich nurspekulieren; vgl. M.GUARDUCCI adloc.: „fortasse territorium abhisservis (sc. ἀ nach Athen. 6, 263F) cultum.“ ): Garten, Pflanzung; ο ς π ο ς(= κῆπ 12 ICret II xii, 15a-b, Z.5f.: συ ): Feigenbaum; κᾶ κ ία(= συκέ α κ σ έρ ο ς(= χέρσο ): Der Begriff bezeichne einen „aufgegebenen und unbebauten Acker“(M. ς
11
ICret
GUARDUCCI, in: ICret II, S. 155 ad
13 ICret II xii, 13, Z.4,
14
199). ICret
ferner
loc.).
8; vgl. dazubereits
FABRICIUS 1885,
94; COMPARETTI 1893, 424 (Nr.
II xii, 13, Z.1ff.; vgl. denKommentar vonM.GUARDUCCI adloc.; KOERNER Nr.113.
2. Die einzelnen
Poleis
97
vom„Doppelten“dieRede, dasbekanntlich in vielen archaischen Gesetzen als Strafe bzw. Bußzahlung festgelegt war15. Schließlich istjüngst nocheine Stele mitweiteren Inschriften ausderZeit um500 gefunden worden. Darin waren allem Anschein nach gesetzesförmliche Einschränkungen bezüglich bestimmter Trinksitten undsich ebenfalls darauf beziehende sakralrechtliche 6–bei aller Unsicherheit derRekonstrukVerbote undOpfervorschriften (?) festgehalten1 tionjedenfalls auchwieder sehr spezifische Regelungen einiger genau bestimmter Gegendabei nämlich
stände. Damit steht außer Frage, daßessich beidiesen Fragmenten kaum umTeile eines etablierten „ legal system“ handeln kann: Die Materien dieser Gesetze, wenn mansie als solche akzeptieren darf, waren zweifellos außerordentlich disparat undwohl auch (wie in vielen anderen Fällen) sehr konkret undengdefiniert. Wahrscheinlich liegen auch hier die Reste vonRegelungen vor, die nicht abstrakt undsystematisch, sondern gewissermaßen konkret undsituationsgebunden formuliert unddann einzeln, vonFall zuFall, inschriftlich fixiert undveröffentlicht wurden. ELIS
Dersagenhafte Oxylos, dereinäugige Führer derDorier auf ihrem Marsch durch die Peloponnes, galt nicht nur als Gründer und erster König von Elis, dessen fruchtbare Landschaft er sich vondenHerakliden als Lohn ausbedungen hatte1. Er wurde offenbar auch als Gesetzgeber angesehen, demzumindest ein Gesetz zugeschrieben wurde, das dasInteresse desAristoteles fand: Danach durfte manin Elis keine Schulden auf einen bestimmten Teil seines Grundbesitzes aufnehmen2 , waswohl heißen soll, daß ein Mindestanteil jedes Landloses grundsätzlich von jeder Verpfändung als Sicherheit ausgenommen warunddaher selbst imFalle derZahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht an denGläubiger fallen konnte. DieZuweisung eines solchen Gesetzes andensagenhaften Gründer des Staates, auf denja sogar dererst imJahre 471/70 durchgeführte Synoikismos von Elis zurückprojiziert worden zu sein scheint3, besagt natürlich an sich keineswegs, daß dieses Gesetz selbst gänzlich unhistorisch sein muß. Es handelt sich offenbar um eine Variante der Maßnahmen zumSchutz derkleineren bäuerlichen Landbesitzer und(damit zugleich) zur
15
ICret II xii, 13, Z.3: τ ὰ νδιπ . Vgl. denKommentar vonM. GUARDUCCI adloc. Siehe auch λ ο ν ία noch II xii, 5, Z.6. Vgl. etwa denAbsatz DREROS.
16
VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 98. Vgl. H. VAN EFFENTERRE, Loi archaïque sur l’excès de boisson, in: Eleutherna II 1 (H. VAN E., TH. KALPAXIS, A.B. PETROPOULOS, E. STAURIANOPOULOS), Rhe21; SEG 41, 1991, 739. thymno 1991, 17–
1
Ephoros FGrHist 70 F 115 (= Strab. 8,3,33); F 122a (= Strab. 10,3,2); Paus. 5,3,5ff.; 4,1ff.; Apoll.Bibl. 2,8,3. Vgl. dazuim einzelnen E.MÜLLER-GRAUPA, RE 18,2 (1942) 2034ff., ferner zur Ein- (bzw. Drei-)Äugigkeit des Oxylos –und anderer Gesetzgeber: PICCIRILLI 1978, 933; 1980, XXIf.; 1981, 2; vgl. auch Kapitel II. Siehe generell zu Elis etwa SWOBODA 1905, 2368ff.; WELWEI 1983/1998, 262ff. undjetzt GEHRKE 1986, 103f. Aristot.Pol. 1319a12ff. Ephoros FGrHist 70 F 122a (= Strab. 10,3,2). Vgl. zu demSynoikismos außerdem Diod. 11,54,1; Strab. 8,3,2. Vgl. dazu SWOBODA 1905, 2381.
2
3
98
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
Sicherung der Zahl der Landlose, wie auch Aristoteles bereits erkannt hat4 . Denn er nennt es in unmittelbarem Zusammenhang mitjenen altertümlich anmutenden Satzungen, die es sowohl inSparta –hier wahrscheinlich als ungeschriebenes Prinzip –als auch in mehrerenanderen Städten gegeben haben dürfte, nämlich den Gesetzen, die denVerkauf der ρ ο ιüberhaupt untersagten oder dochzumindest (wie anscheinend in Lokroi ρ ῶ τ ο ικλῆ π Epizephyrioi) anbesondere Bedingungen, wieetwa eine erwiesene Notlage desEigentümers, knüpften unddamit erschwerten5. Natürlich wurden solche Gesetze in derTradition immer wieder, ob zuRecht oder zuUnrecht, großen Gesetzgebern der alten Zeit zugeschrieben: Danach wollte schon Pheidon der Korinther –ὢ η ννομ ο θ ςτ έ τ ρ ῶ νἀ –mitden(wenn auch ungleichen) κλῆ ρ ο ιdieZahl derHäuser undderBürν τ ω ιο τά χ α gersichern6. Auchdieνό μ ο ιθ ε τικ ο ίdes Philolaos dienten demZiel, dieZahl derLandlose in Theben stabil zu halten7. Aufderanderen Seite soll nicht zuletzt Solon untersagt haben, unbegrenzt undohne Einschränkungen Landzuerwerben8 . Zweifellos enthalten diemeisten dieser Daten einen historischen Kern–trotz oder geradewegen deroftsicherlich erst späten undsekundären Zuweisung solcher Regelungen aneinen legendären Gesetzgeber. Indiesem konkreten Fall erscheint dieVermutung, daß es auchinElis eine derartige Maßnahme inderFormeiner gesetzlichen Beschränkung der Hypothekenaufnahme gegen Grundeigentum als Sicherheit gegeben hat9 , einerseits aufgrund der allgemeinen Überlegung durchaus wahrscheinlich, daßdasfruchtbare undertragreiche Elis ja noch mindestens bis weit in das 5. Jahrhundert hinein offensichtlich agrarisch, dörflich und„bäuerlich“bestimmt blieb, auch wenn (oder wiederum: eben weil) esvoneiner Aristokratie vonGrundbesitzern, Vieh- undPferdezüchtern beherrscht wurde10 –gerade unter solchen Verhältnissen erscheint eine solche Beschränkung der Verkehrsfreiheit desGrundeigentums sinnvoll. Andererseits spricht eine ganz konkrete Parallele dafür, daß diese spezifische Maßnahme zuErhaltung des Kerns derLandlose undzur Sicherung ihrer Eigner sehr wohl ρ ο ι der ersten attischen ῆ λ authentisch sein könnte: Unter den Vorschriften über die κ Siedler auf Lemnos (ob es sich um„ Kleruchen“im eigentlichen Sinn gehandelt hat, ist dabei gleichgültig)11 scheint schon festgelegt gewesen zu sein, daß der Inhaber des ρ ο ῆ ςsein Land in aller Regel weder verkaufen, verpachten oder austauschen noch – κ λ unddarauf kommt es indiesem Zusammenhang an–durch Hypotheken belasten durfte12. Diese Regelung dürfte im Kern genauso altwie dieerste Ansiedlung vonAthenern sein, also in dieJahre umoder kurz vor 500 gehören –in die gleiche Zeit also wie das berühmte Salamis-Dekret, auf das die Regelungen für Lemnos tatsächlich direkt Bezug Aristot.Pol. 1319a 10ff.; vgl. 1266b14ff. Siehe dazu generell BUSOLT 1920, 144f.; 379; 380; LENSCHAU 1921, 811f.; ASHERI 1963, 1ff.; KIECHLE 1963, 210ff.; SHIPP 1978, 14f.; HENNIG 1980, 50ff. mitAnm.47, dagegen etwa LINK1991, 145ff.; 167f. 5 Aristot.Pol. 1266b19ff. Vgl. dazu den Abs. LOKROI EPIZEPHYRIOI. 6 Aristot.Pol. 1265b12ff. Vgl. dazu denAbs. KORINTH. 7 Aristot.Pol. 1274b1ff. Vgl. dazu denAbs. THEBEN. 8 RUSCHENBUSCH 1966, F 66 (Aristot.Pol. 1266b14ff.) 9 Vgl. auch GEHRKE 1985, 52. 10 Vgl. SWOBODA 1905, 2381f.; WELWEI 1983/1998, 263f.; GEHRKE 1986, 104. 11 Vgl. dazu generell B.D.-MERITT, H.T.WADE-GERY, M.F.MACGREGOR, in: ATL III, S. 290ff.; GRAHAM 1964/1983, 174ff.; BRUNT 1966, 80, vgl. 78ff.; MEIGGS 1972, 424. 12 IG II2 30; SEG 3 (1929) 73b/c, Z.3ff. Vgl. auch LURIA 1925, 312ff.; KAHRSTEDT 1934, 40, vgl. 1; 32ff.; ASHERI 1963,3.
4
2. Die einzelnen Poleis
99
nehmen und das sehr wahrscheinlich ähnliche Verfügungsbeschränkungen hinsichtlich derκ ρ ῆ ο λ ιhat13. Damit ist natürlich noch nicht gesagt, daß das elische Gesetz in die gleiche Zeit gehört. Die Zuweisung an den legendären Gründer und Gesetzgeber Oxylos scheint aber jedenfalls darauf hinzudeuten, daßes als alt undaltertümlich galt, also sicherlich älter ist als derSynoikismos unddiedamit verbundenen politischen Reformen derJahre um470. Daß es noch in das 6. Jahrhundert gehört14, muß allerdings eine Vermutung bleiben. Ziemlich eindeutig ist hingegen, daßjedenfalls für Aristoteles dieses Gesetz nicht als Teil einer umfassenden Neuordnung oder „ Nomothesie“galt –er nennt Oxylos als Gesetzgeber ausschließlich im systematischen Zusammenhang spezifischer Gesetze über die ρ ῆ ο ιundnicht etwa indembesonderen Exkurs überdie „Verfassungsstifter“und„ κ λ Gesetzgeber“ .
Außer dieser Nachricht liegen noch mehrere frühe Gesetze undähnliche Texte aus Elis vor, die auf den bekannten, im Heiligtum von Olympia gefundenen Bronzetafeln festgehalten waren. DieDatierung dieser Zeugnisse ist (wie bei derepigraphischen Hinterlassenschaft aus archaischer Zeit generell) nach wievor nicht eindeutig undendgültig geklärt –nicht einmal die relative Chronologie der einzelnen Tafeln ist unumstritten1 5. Jedoch steht fest, daß die hier in Frage stehenden Fragmente nicht jünger als das erste Viertel des 5. Jahrhunderts sein können undeinige von ihnen mit einiger Wahrscheinlichkeit noch in das6. Jahrhundert gehören. Dasunstrittig älteste dieser Zeugnisse, das spätestens um525 datiert werden muß16, ist allerdings so schlecht erhalten, daßeine zusammenhängende inhaltliche Rekonstruktionnicht mehrmöglich ist. Immerhin istnoch zuerkennen, daßes sich umeine gesetzesähnliche Regelung gehandelt haben muß, die Strafandrohungen für den Fall der Verletzung irgendwelcher Vorschriften enthielt, diesichgegen einen „Kultbeamten“(θ ε ο ο κ λ ) ό ς gerichtet zuhaben scheinen: Für eine solche Übertretung hatte er anscheinend eine Buße zu zahlen, die dem Zeus von Olympia geweiht werden sollte17. Welche Rolle der μ ἰα ρ α ό ο ς , ein anderer Funktionsträger, dessen „Titel“noch erkennbar ist, dabei spielte,
13 IG I3 1; KOERNER Nr. 1; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 6, mit Kommentar undweiteren Nachweisen. Vgl. MEIGGS/LEWIS Nr. 14, Z.3ff., sowie den Kommentar S. 27; KAHRSTEDT 1934, 40. 14 So etwa KIECHLE 1963, 211; GEHRKE 1986, 44; SIEWERT 1994, 27f. (allerdings recht hypothetisch). Die extrem frühen Datierungen –bis hinauf in das frühe 6. Jh. (W. DITTENBERGER, K. PURGOLD, in: IvOlympia, Sp. 3f.; 8; BUCK 1955, S. 259ff. zu Nr. 61ff.) –sind heute zumeist aufgegeben worden; vgl. grundsätzlich JEFFERY 1961/1990, 216ff.; 220f.(Nr. 1ff.); siehe ferner KIECHLE 1960, 344ff. (mit höherer Datierung); GEHRKE 1985, 365f. Außerdem scheint auch die relative Zeitstellung von IvOlympia 2 und3 nicht unstrittig zu sein; vgl. etwa KIECHLE 1960, 344ff.; GEHRKE 1985, 366; anders JEFFERY 1961/1990, 220 (Nr. 9 und15). Vgl. dazu zuletzt SIEWERT 1994, 17ff., der eine weitere Urkunde ähnlicher Artvorgelegt hat, sowie einstweilen SEG42, 1992, 373; 375ff. 16 IvOlympia 1; KOERNER Nr. 36. Vgl. bereits IGA 109; IIGA 111,1; ROBERTS Nr. 290; SGDI 1147, sowie JEFFERY 1961/1990, 408 zu Tafel 42,2, vgl. 220 (Nr. 2), mit Unterschieden in den Lesungen, aufdiehiernicht eingegangen werden muß.Vgl. zurDatierung etwaJEFFERY 1961/1990, 219, ferner KIECHLE 1960, 344, der für eine Datierung in das frühe 6. Jh. plädiert. Noch älter könnten allerdings die Reste einer prozeßrechtlichen Vorschrift sein, die SIEWERT (1994, 23f. undpassim) mit guten 15
Gründen in die erste Hälfte des 6. Jh. datiert. 17 Vgl. W.DITTENBERGER, K.PURGOLD, in: IvOlympia, Sp.lf.;
KOERNER
1987, 497.
100
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
kannausderfast völlig zerstörten ersten Zeile desTextes nicht mehr sicher rekonstruiert womöglich wareres, dermitderEintreibung derBuße beauftragt war. werden – Daswarjedenfalls die Pflicht des ἰαρόμ α ο ςnach einem anderen, später zu datierendenundleider „maßlos fehlerhaften“Dokument1 8, in demeinerseits zunächst demθ ο ε κ ό λ ο ςSicherheit undSchutz seiner Person undseines rechtmäßigen, amSchluß dann anscheinend einzeln aufgeführten Besitzes generell garantiert wurde. Unmittelbar anschließend wurden dann andererseits detaillierte Regelungen für denFall festgelegt, daß ersich aufunrechtmäßige Weise, also wohl durch Mißbrauch seiner öffentlichen Funktion als Magistrat oder Priester, fremdes Eigentum aneignete: Derθ ε κ ο ό λ ο ςmußte dann 500 Drachmen bezahlen, undzwar ausdrücklich injedem einzelnen Fall, wahrscheinlich wiederum andenZeusvonOlympia. Überdiese Buße hatte der ἰα μ ρ α ο ό ςzu entscheiden –ober für das Urteil und/oder dieEintreibung zuständig war, läßt sich wieder nicht mit letzter Sicherheit sagen. Dasgilt auch fürdiedurchaus plausible Vermutung, daßdasim gleichen Zusammenhang erwähnte Duplum die Strafe für den ἰα μ α ο ρ ό ςwar, wenn er dieser Strafpflicht nicht nachkam19. Daßdiedortebenfalls erwähnte δ γ ία wiederum ρ μ ιο α dabei eine Rolle gespielt haben könnte, kannebenfalls nurvermutet werden. Beide Vorschriften scheinen nur mehr oder weniger unvollständige Teile längerer 0, Gesetze gewesen zusein2 die vielleicht noch weitere Regelungen über den θ ο λ ς ό κ ε ο unddenἰαρόμ α ο ς , überihre Rechte undPflichten undvorallem über die ihnen bei deren Verletzung oderVernachlässigung drohenden Strafen enthielten. Dabei dufte es sich aber umsehr konkrete undbestimmte Vorschriften gehandelt haben, die auch nicht annähernd densystematischen Charakter einer allgemeinen gesetzlichen Grundlage dieser Magistraturen bzw.Priesterämter imRahmen einer umfassend „ gesatzten“Ordnung gehabt hätten. Diese Vermutung kannsich immerhin darauf stützen, daßjedenfalls die vorliegenden Reste noch erkennen lassen, daß diese beiden Texte eindeutige Ähnlichkeit hinsichtlich des Stils undderFormulierung derKlauseln undauchihres Inhalts mitvollständig erhaltenen Urkunden zeigen, dieebennicht denCharakter einer allgemeinen Satzung haben.
Dasgilt zunächst für diezweifellos ebenfalls zu der Gruppe der älteren Inschriften 21,durch dieeinem Mann namens Patrias –„ demSchreiber“ zählende „ Rhetra derEleier“ 18
19 20 21
IvOlympia 4; KOERNER Nr. 39; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 24 mit weiteren Nachweisen. Vgl. bereits BÜCHELER 1881, 620f.; COMPARETTI 1881, 365ff.; IGA 113b (add.) und die Abb. IIGA 114,9; ROBERTS Nr. 295; SGDI 1154; DGE 411 mit einigen Unterschieden, die hier nicht im einzelnen aufgezeigt werden müssen. Die Datierung derälteren Herausgeber in das 6. Jh. (vgl. noch SEG 11, 1954, 1178) ist von JEFFERY 1961/1990, 220 (Nr. 10) nach unten –ca. 475 –korrigiert worden, anders jetzt wieder KOERNER und VANEFFENTERRE/RUZÉ (s. oben). Vgl. KOERNER 1987, 495f., sowie bereits die Kommentare von ROBERTS (S. 367ff.) und DITTENBERGER und PURGOLD (IvOlympia, Sp. 12ff.). Vgl. W. DITTENBERGER, K. PURGOLD, in: IvOlympia, Sp.2; 12; ROBERTS, S. 369. IvOlympia 2; KOERNER Nr. 37; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 23 mit weiteren Nachweisen. Vgl. vor allem JEFFERY 1961/1990, 408 zu Tafel 43,15, vgl. 220 (Nr. 15); KOERNER 1981, 190ff., jeweils mit Kommentar. Vgl. bereits AHRENS 1880, 578ff.; IGA 112 und die Abb. IIGA 112,4; ROBERTS Nr. 292; SGDI 1152; DGE409; BUCK1955, Nr. 61. Das Dokument wird oft in das 6. Jh. datiert. Dasgilt wohl auchdannnoch, wenndasJahr 580 als terminus ante quem –nach Paus. 5,9,4 soll es seit der50. Olmpiade zwei Hellanodiken gegeben haben, in derInschrift wird nur einer genannt –endgültig aufgegeben werden muß (vgl. GEHRKE 1985, 365 gegen W.DITTENBERGER, K.PURGOLD, in: IvOlympia, Sp.8; AHRENS 1880, 578; GLOTZ 1903, 143ff. undnoch BUCK1955; SEG 11, 1954, 1176; 18, 1962 158; KIECHLE 1960, 344). Neuderdings ist das Zeugnis zuweilen an
2. Dieeinzelnen Poleis
101
–Schutz undSicherheit
gewährt wurden22. Das ziemlich vollständig erhaltene Dokument enthält einen verbindlichen undgültigen „ Spruch“der Polis Elis, also einen gesetzesförmlichen Beschluß23 –daswird durch die Einleitungsformel ausdrücklich und eindeutig ρ ατ ά τ ο festgestellt: Ἀρ ῖς α λ ε ίο ις . Und am Schluß wird auch noch die verbindliche Geltung durch Hinterlegung imHeiligtum gesichert: ὀ π ίν α ρ ὸ ξἰα λ υ ν π ία ι. In diesem ςὈ Beschluß wurde zunächst demPatrias undseinen Nachkommen –wie demθ ε ο κ ό λ ο ςin dembereits diskutierten Zeugnis –persönliche Sicherheit undSchutz desEigentums zugebilligt. Diese verbindliche Garantie wurde dann durch verschiedene, genau festgelegte Sanktionen für bestimmte Verstöße bzw. Unterlassungen gesichert, die in die typische sprachliche Form früher Gesetze, nämlich in aneinander gereihte Konditionalsätze gekleidetwaren24 : Wennjemand ihn„anklagt“(oder sogar „verflucht“ )25, soll er verbannt sein; wennderInhaber des „höchsten Amtes“(τ ὸμέγισ τ ο ντέλ ) bzw. diebasileis dieStraο ς fen(für Verstöße) nicht auferlegen, mußten sie, undzwarjeder vonihnen, eine Buße von zehn Minen zahlen, die wiederum demolympischen Zeus zu weihen war und die der übrigen Strafen“(für Verstöße bzw. UnterHellanodikas ihnen auferlegen sollte26. Die „ γ ία lassungen) hatte hingegen dieδα ρ μ aufzuerlegen27. Undwenn dasunterlassen wurιο μ γ ιο ίαund/oder der Hellanodikas28 –bei der „Rechenschaftsableρ de, soll sie –die δα 29das Duplum bezahlen. Wenn einer einen Angeklagten bestraft, derimRecht ist, gung“ soll er ebenfalls eine Buße vonzehn Minen erlegen, wenner ihn wissentlich straft3 0. Umgekehrt sollen alle diese Strafen auch denPatrias treffen, wenn er in seiner Funktion als Schreiber“irgendein Unrecht tut. „ Diese Urkunde stellt, wie gesagt, einen vollständigen und in sich geschlossenen Beschluß der Polis Elis dar, eine spezifische, detaillierte Regelung eines konkreten Gegenstandes –nichts deutet etwadarauf hin, daßmananläßlich dieser „ Satzung“gewissermadas damals in Elis geltende Strafrecht zu publizießen „die Gelegenheit benutzt“hätte, „ 31.Diese Hypothese ist eine allzu abstrakte Konstruktion, die offensichtlich von moren“ dernen Annahmen über angeblich umfassende archaische „ Kodifikationen“inspiriert ist. (KOERNER 1981, 190), ja sogar in die Mitte des 5. Jh. herabdatiert worden (JEFFERY 1961/1990, 218; 220 [Nr. 15]; vgl. SEG 31, 1981, 359). Diese Interpretation derersten Zeile hat sich, so scheint es allgemein durchgesetzt. Vgl. etwa schon F. BLASS zu SGDI 1152; W. DITTENBERGER, K. PURGOLD in: IvOlympia, Sp.6 und neuerdings KIECHLE 1960, 346; JEFFERY 1961/1990, 218 mit Anm.5; KOERNER 1981, 190ff.; 1987, 474. An1899, 80ff.; BUCK1955, Nr. 61 undnoch GAGARIN 1981, 160. ders dagegen DANIELSSON 1898– Vgl. etwa KIECHLE 1960, 346; JEFFERY 1961/1990, 218; OSTWALD 1969, 7f.; QUASS 1971, 7f.; VAN EFFENTERRE 1979, 280; KOERNER 1981, 191; GEHRKE 1993, 58; 1995, 17f.; HÖLKESKAMP 1994, 147f.; 150, auch zumFolgenden. Vgl. dazu GAGARIN 1981, 159f. Siehe zumFolgenden wiederum KOERNER 1981, 190ff, sowie dens. 1987, 474ff. Vgl. dazu u.a. DANIELSSON 1898–1899, 138f.; LATTE 1920, 64f.; VAN EFFENTERRE, 1979, 287f.; KOERNER 1981, 191f. Dazu vermag ich nichts Definitives zu sagen. Vgl. dazu auch LATTE 1920, 59 mit Anm. 27; CARLIER 1984, 408ff.; KOERNER 1987, 475. 1974, 327f. Vgl. dazu JEFFERY 1973– 1899, 93f.; BUCK 1955, S. 260 (zu Vgl. dieunterschiedlichen Auffassungen vonDANIELSSON 1898– Nr. 61) unddazu KOERNER 1981, 193; 1987, 475. Vgl. zur Bedeutung von μ ρ α ά α σ etwa BUCK 1955, S. 364 (Glossary, s.v.); KOERNER 1987, 475f. τ Vgl. zu dieser Klausel insbesondere KOERNER 1981, 194; 1987, 493f.; anders VANEFFENTERRE 1979, 288. So KOERNER 1987, 474.
denAnfang
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III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
102
„ Satzungen“ausAxos, Eleutherna undGortyn undim sogenannten Spensithios-Dekret geht es ausschließlich undganz speziell umStatus, Rechte undPflichten eines (fremden?) „Spezialisten“in derPolis3 2. In diesem Fall könnte sogar ein ganz konkreter Anlaß denAnstoß zueiner solchen fixierten unddann im Heiligtum hinterlegten Regelung gegeben haben –vielleicht eine unrechtmäßige Anklage oder Verurteilung desSchreibers Patrias33.
Wiein denvergleichbaren
Eine derartige einmalige undsituationsgebundene Satzung warauch die dem„PatriRhetra der Chaladrier“über die Verleihung des as-Dekret“wiederum eng verwandte „ Isoproxenie“undder„ Isodamiorgie“sowie eines Landanteils an einen Bürgerrechts, der„ gewissen Deukalion34. Diese ebenfalls vollständig erhaltene Inschrift ist in die Zeit um 5. oder(spätestens) kurz nach500 zudatieren3 Werallerdings derTräger dieses Beschlusses, diesonst nirgendwo bezeugten „Chaladrier“ , eigentlich war, ist ein völlig offenes Problem: Es mußsich zwar umeine irgendwie als „ Gemeinde“konstituierte undwenigstens insofern autonome Einheit hanPolis“Elis gleichgesetzt werden deln, die aber offenbar nicht so ohne weiteres mitder„ darf –dagegen spricht schon die besondere, keinesfalls zufällige Einleitungsformel. Diese 6 oder eine ihrer PeChaladrier“könnten entweder ein demos derEleier gewesen sein3 „
7,
Selbstverwaltung“ rioikenpoleis3 dieja über eine gewisse, allerdings begrenzte, lokale „ verfügten38, oderaucheiner jener kleineren „ Staaten“ anderamphiktionischen Ver, die „ 39. waltung des Heiligtums von Olympia unter der Vormacht der Eleier beteiligt waren“ Manwirdinjedem Fall annehmen dürfen, daßderText bzw. diedarin erwähnten Institutionen dieVerhältnisse inElis generell widerspiegeln40. In dieser „Rhetra“werden demDeukalion offenbar besondere Privilegien zugestanden–er undwiederum auch seine Nachkommen sollen nämlich nicht nur „Chaladrier : Dasdürfte nach allsein“ , sondern auch denproxenoi unddendamiorgoi „gleich sein“ 1 gemeiner Ansicht heißen, daßdiese Ämter4 nicht allen „Chaladriern“offenstanden, sondern nureiner bestimmten, wie auch immer definierten engeren Gruppe zugänglich wa2. ren4 Auchwurde ihm, wieerwähnt, Landzugeteilt, undzwarin derPisatis43. Undwie-
Vgl. generell dazu VAN EFFENTERRE 1979, 279, 279ff., sowie JEFFERY/MORPURGO DAVIES 1970, 118ff. zumSpensithios-Dekret. Siehe auch die Abs. Axos; ELEUTHERNA; GORTYN. 33 Vgl. etwa JEFFERY 1961/1990, 218 Anm.5. 34 IvOlympia 11; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 21. Vgl. JEFFERY 1961/1990, 408 zu Tafel 42,8, vgl. 220 (Nr. 8); KOERNER 1981, 201ff., jeweils mit Kommentar; vgl. bereits IGA 113 und die Abb. IIGA 112,6; ROBERTS Nr. 294; SGDI 1153; DGE 415; BUCK1955, Nr. 63. 35 JEFFERY 1961/1990, 220 (Nr. 8); KOERNER 1981, 202. Vgl. noch KIECHLE 1960, 346; 349. 36 Vgl. etwa W.DITTENBERGER, K.PURGOLD, in: IvOlympia, Sp. 29f. 320, 37 KIECHLE 1960, 348f. Vgl. dazu zuletzt J. ROY, The Perioikoi of Elis, in: HANSEN 1997, 282– 32
hier 293ff.
38 Vgl. dazu GSCHNITZER 1958, 7ff.; WELWEI 1983/1998, 263; 264. 39 KOERNER 1981, 202f. im Anschluß an KAHRSTEDT 1927, 161; 166f. 40 Vgl. WELWEI 1983/1998, 263f.; GEHRKE 1985, 365. 41 Vgl. zurMagistratur desproxenos zuletzt KOERNER 1981, 203 mit weiteren Nachweisen, sowie zur Damiorgie VELIGIANNI TERZI 1977, 16ff..
42 Vgl. etwa EHRENBERG 1937/1965, 87f.; 43
MURAKAWA
1974, 327; KOERNER 1981, 203; GEHRKE 1985, 365. Vgl. dazu KOERNER 1981, 203.
1957, 389; VATIN 1961, 241; JEFFERY 1973–
2. Die einzelnen Poleis
103
derenthielten dieRegelungen aucheine scharfe Strafandrohung gegen jeden, „ deres ihm 44. gewaltsam wegnimmt“ Diese Garantie wurde allerdings durch eine interessante Klausel amSchluß des Dokuments qualifiziert undeingeschränkt: Sie sollte nurdann undnurso lange gültig bleiben, „wenn nicht der δᾶ μ ο ςbeschließt“45 –nämlich etwas Anderes, und das heißt wohl: die Aufhebung der Privilegien. Selbst wenn also der Zugang zu den (einflußreichen, wennnicht entscheidenden) Funktionen wiederDamiorgie imGemeinwesen der„Chaladrier“–undwohl in Elis generell –offenbar noch nicht einmal theoretisch allgemein und durchaus nicht gleich war, wirdeine Versammlung des δ μ ο ᾶ ςals Institution und, zumindest formal, auch als Träger bestimmter Entscheidungen ausdrücklich genannt –unddabei ist keineswegs gesagt, daßderKreis dieses δᾶ μ ο ςnotwendig „relativ eng begrenzt“ 6 gewesen wäre4 undetwamitden„ Amtsfähigen“zuidentifizieren sei. Die wesentlichen strukturellen Voraussetzungen für ein formalisiertes Gesetzgebungsverfahren imweitesten Sinne, nämlich die Existenz fest etablierter Polisorgane und der notwendigen, wenigstens rudimentären Formen institutionalisierter Interaktion zum Zweck derVerabschiedung verbindlicher Beschlüsse mit demausdrücklichen Anspruch aufDurchsetzung, waren inElis also offenbar bereits vorhanden. Entscheidende Einrichtungen der Polis, insbesondere bestimmte Magistrate undihre Funktionen, werden nicht nuralsbestehend vorausgesetzt, sondern durch diese Beschlußorgane normativen, sanktionsbewehrten Vorschriften unterworfen. Das bedeutet zugleich: Die wesentlichen institutionellen Grundlagen einer „klassischen“Polisordnung dürften sogar schon mehrere Jahrzehnte vor demSynoikismos in denJahren um470, vor derSchaffung eines „städtischen“politischen Zentrums undder damit angeblich verbundenen Einführung einer „ gemäDemokratie“mehr oder weniger „ ßigten“Zuschnitts47 bestanden haben –weder die räumliche Konzentrierung politischer Einrichtungen undVerfahren noch ihre breite undbewußte „ Demokratisierung“scheinen also dafür eine notwendige Voraussetzung gewesen zusein48.
44 Siehe
KOERNER 1981,
203f. Vgl. dazu auch BRAVO 1980, 811ff.
45 Vgl. dazu KOERNER 1981, 204, dessen etwas zufein gesponnen erscheinen.
Überlegungen
zum Hintergrund
dieser Klausel allerdings
46 Anders KOERNER 1981, 204. Vgl. dazu allgemein EHRENBERG 1937/1965, 88; WELWEI 1983/1998, 263; GEHRKE 1985, 52f.; 365. 47 Vgl. etwa SWOBODA 1905, 2392f.; 2425; BUSOLT 1920, 148f. mit Anm.4 (S.148); 156 mit Anm.2; 437; KAHRSTEDT 1927, 160; 165ff., derdie angebliche „Demokratisierung“als objektiven terminus post quem für viele der Inschriften nimmt; vgl. ferner ANDREWES 1952, 2; FORREST 1960a, 226; 229. Nachderbesser begründeten undzurückhaltender formulierten Ansicht vonGEHRKE , die die bei Ari(1985, 52f.; 365ff.; 1986, 104) gab es um500 in Elis eine „gemäßigte Oligarchie“ stot.Pol. 1306a12ff. erwähnte „strikte Aristokratie“im Laufe des 6. Jh. abgelöst habe und sich ihrerseits um470, im Zusammenhang mit demSynoikismos, in eine „ausgeprägte Bauerndemokratie“ gewandelt habe. Vgl. zurProblematik dieser (aristotelischen) Kategorien undihrer Anwendung auf archaische Verhältnisse HÖLKESKAMP 1989, 149ff. Besonders bezeichnend fürdiese Problematik ist die Demokrairreführende Behauptung vonO’NEIL1981, 339f., daßesinElis ebenschon vor470 eine „ tie“ gegeben haben müsse.
48 Vgl. dazu grundlegend SIEWERT 1994, 18f.;
263f.; WALTER 1993, 119ff. Siehe neuerdings noch 1997, 108ff.
WELWEI 1983/1998,
29f.;
ROBINSON
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
104
Diese Folgerung wird nicht nurdadurch gestützt, daßalle bisher behandelten Zeugnisse –undwohl eben auch das älteste Dokument aus dem6. Jahrhundert –als rhetrai, also als verbindliche undals Normen formulierte Beschlüsse der„Polis Elis“bezeichnet worden sein dürften49. Einweiterer Text, dervonfrüheren Herausgebern ebenfalls zuder 0 Gruppe der ältesten Inschriften gezählt wurde5 und erst neuerdings (und keineswegs 1, allgemein unstrittig) andenAnfang des5. Jahrhunderts herabdatiert worden ist5 nennt sogar ausdrücklich eine „Vollversammlung“(δ μ ο ᾶ ςπ ), λ α θ ύ ω ν ά ) undeinen „Rat“ ο λ (β ohne die –also ohne deren (formal notwendige) Beteiligung –etwas nicht geschehen 2. könne5 Leider ist derText nicht nurandieser Stelle sehr lückenhaft. Allem Anschein nach ging es umVorschriften überdenKultunddas Heiligtum in Olympia –Vorschriften, die zweifellos wiederum gesetzesförmlich, jedenfalls ausdrücklich verbindlich und sanktionsbewehrt waren: Wenigstens ist nämlich noch deutlich erkennbar, daßStrafandrohungen in der Form von Bußen, auch wieder in doppelter Höhe, diese Regelungen einschärften53. Besonders auffallend undwichtig indiesem Zusammenhang ist dabei eine Klausel in derMitte des (erhaltenen) Textes, wooffenbar auf eine andere „alte Satzung“ , vielleicht einanderes Gesetz, alsverbindlichem Maßstab Bezug genommen wird: τ ]ὰ ζ ίκ α ια κ ατ 54.Die erwähnte institutionelle Ausdifferenzierung der „Polis Elis“ φ ο ςτἀρχαῖον τ ὸγρά hatte also um500 bereits dazugeführt, daßmaneinen expliziten, interessanterweise ter᾽ –verschiedenen Begriff von „geschriebeminologisch vonrhetra –odergenauer: ρ ρ ά τ α nem“ , „gesatztem Recht“(undseiner Verbindlichkeit) entwickelt hatte5 5. Im Rahmen diesesAusdifferenzierungsprozesses hatte sichohneZweifel eben auch bereits eine regelmäßige, formal notwendige Beteiligung der zuvor erwähnten Institutionen des δᾶ μ ο ςund ο λ derβ άamformalen Verfahren derEinführung oder auch geregelten Revision solcher 6. Gesetze“ „ entwickelt undgefestigt5
In einem
7,
weiteren Text5 dessen Anfang zwar verloren ist, der im entscheidenden Teil jedoch vollständiger erhalten ist als die soeben analysierte Inschrift, werden diese
49 Vgl. OSTWALD 1969, 7; QUASS 1971, 7f. 50 IvOlympia 3; KOERNER Nr. 38; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 108. Vgl. bereits IGA 111 und die Abb. IIGA 112,3; SGDI 1157; DGE 410. Vgl. für eine Datierung in das 6. Jh. W.DITTENBERGER, K.PURGOLD, in: IvOlympia, Sp.3f.; BUSOLT 1920, 148; SEG 11 (1954) 1177; KIECHLE 1960, 344; OSTWALD 1969, 8 undneuerdings anscheinend auch GEHRKE 1985, 366. 51 JEFFERY 1961/1990, 220 (Nr. 9) datiert dieInschrift „ ca. 475?“ , anders wiederum KOERNER undVAN
52 53
EFFENTERRE/RUZÉ (vorige Anm.).
3, Z.8: ἄν α μ νπ ο α λ θ νκ λ ὰ ὶ ζᾶ ύ . Vgl. BUSOLT 1920, 148; WELWEI ο ν τ α ε υ ςβο 1983/1998, 263. Vgl. dazu etwa W. DITTENBERGER, K. PURGOLD, IvOlympia, Sp. 9; KIECHLE 1960, 345. IvOlympia
54 IvOlympia 3, Z.5; vgl. Z.6. 55 Vgl. dazuOSTWALD 1969, 8; QUASS 1971, 9f. unter Hinweis aufdieKonzepte, mitdenen das„Recht von Gortyn“auf sich selbst verweist. Siehe dazu Kapitel IV 3 unddemnächst HÖLKESKAMP (in Vorb.).
56 Vgl. RUZÉ 1984, 257. 57
IvOlympia 7; KOERNER Nr. 41– 43; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 109 mit weiteren Nachweisen. Vgl. etwa JEFFERY 1961/1990, 408 zu Tafel 42,5; vgl. bereits BUECHELER 1881, 621; COMPARETTI
1881, 373ff.; IGA 113c (add.) unddie Ab. IIGA 113,8; ROBERTS Nr. 296; SGDI 1156; DGE 412; BUCK 1955, Nr. 64.
2. Dieeinzelnen Poleis
105
Zusammenhänge noch deutlicher. Auch diese Bronzetafel, die etwas jünger als die vorige sein mag, dürfte noch indieZeit um500 zudatieren sein5 8. Es handelt sich wohl umdas Schlußstück eines ursprünglich längeren Gesetzes, dasmöglicherweise das Verhalten von Fremden imHeiligtum von Olympia generell regelte undinsbesondere wiederum Strafen fürverschiedene Verstöße undÜbertretungen enthalten haben mag5 9 –diese Vorschriften könnten denjenigen aufeiner anderen, ihrerseits auch nurfragmentarisch erhaltenen Tafel aus der gleichen Zeit (also um500) geähnelt haben, die sich ausdrücklich auf ξέ ν ο ι im 0. Heiligtum bezogen und eindeutig die Festlegung von (Geld-)Bußen einschlossen6 Jedenfalls betreffen die ersten Zeilen des erhaltenen Teils dieses in diesem Zusammenhang besonders interessanten Gesetzes anscheinend zunächst die besondere Verantwortung eines θ ρ ό ε α ς , also eines offiziellen Festgesandten einer anderen Polis6 1,für dasVerhalten der Leute in seiner Begleitung und unter seiner Führung –und diese sind natürlich „ Fremde“ . Füreine bestimmte, schwere Form der religiösen Verunreinigung6 2 wird dem Übeltäter selbst unddemθ ρ εα ό ςauferlegt, einen Ochsen als Buße zu geben undeine 3. vollständige, gründliche kultische Reinigung desentweihten Heiligtums durchzuführen6 Sodann folgt wiederum eine in dertypischen Wendung archaischer Gesetzessprache 4: formulierte Klausel6 Wenn jemand (vermutlich ein Richter oder Magistrat) gegen die geschriebene Regel“(π „ ρτ ο ὸγράφ ὰ ς ) Recht spricht bzw. urteilt, so soll der Spruch ungültig sein, der Spruch derVolksversammlung jedoch (ἀ ία ) soll ο σ μ ρ αἀδα δ τ έκ αρά das(end-)gültige Urteil sein6 5.Indiesem Fall istdie ρά ρ natürlich nicht als (Beschluß α τ über eine) normative Regel zuverstehen, sondern eben als „Spruch“in einer konkreten Sache66. Aber auch hier ist es wieder dieVolksversammlung, diezumindest formal die im doppelten Sinne „ entscheidende“Instanz zusein scheint. Dasgilt nochineiner anderen, in diesem Zusammenhang noch wichtigeren Hinsicht, wie die unmittelbar folgende Klausel der gleichen Satzung eindrucksvoll belegt –darin werden nämlich diegenauen Verfahrensregeln für eine rechtmäßige undverbindliche Änderung derzuvor genannten geltenden Satzungen festgelegt: Anderartigen Änderungen, Rat der seien es Streichungen oder Ergänzungen, mußten danach auf jeden Fall der „ ο μ ς 500“ , und zwar ausdrücklich vollzählig6 7, und wieder der schon erwähnte δᾶ π λ εθ ω νbeteiligt werden68. ύ
58 Vgl. JEFFERY 1961/1990, 219; 220 (Nr. 5), sowie SEG 31 (1981) 362. 59 Vgl. W.DITTENBERGER K.PURGOLD, IvOlympia, Sp. 18f.; KOERNER 1987, 464. IvOlympia 5; KOERNER Nr. 40; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 4. Vgl. JEFFERY 1961/1990, 408 zu Tafel 42,8; vgl. bereits IGA 115 und die Abb. IIGA 113,12; SGDI 1158. Vgl. außerdem COMPARETTI 1881, 378. Siehe zurDatierung JEFFERY 1961/1990, 219; 220(Nr. 4). 61 KOERNER 1987, 464f., sowie bereits COMPARETTI 1881, 378. Vgl. generell L. ZIEHEN, RE 5 A 2 2244 s.v. Theoroi, 2239ff. (1934) 2239– 62 Vgl. zurArtdieses Vergehens (β ) neuerdings BAIN 1981, 43f.; JOCELYN 1981, 45f. mit weiteν ε έ ω remMaterial. 63 Vgl. insgesamt W. DITTENBERGER, K. PURGOLD, in: IvOlympia, Sp. 19; KOERNER 1987, 465. 64 Vgl. GAGARIN 1981, 159 mit Anm. 25. έ ςκ λ τε 65 Dervollständige Text lautet (IvOlympia 7, Z.3– ἴε ι, ἀ ο δ ά ᾽ε φ ο ςδικ 4): α ἰδ ρτ ὸγρά ιςπ έτ ὰ . ρ α μ α ἀ ο δ σ τ σ α ία τ ε λ ε αρά ία ,ἀ δ έκ ε ἴεδικαδό α ἀ δ ίκ 66 Vgl. W. DITTENBERGER, K. PURGOLD, in: IvOlympia, Sp. 19 im Anschluß an ROBERTS, S. 369; ferner QUASS 1971, 7f. 67 Vgl. zum Begriff ἀλ ν α έ ο ςetwa W. DITTENBERGER, K. PURGOLD, in: IvOlympia, Sp. 20; BUCK 1955, S. 51; WALTER 1993, 121 Anm.33. 6. Vgl. dazu schon SWOBODA 1905, 2425. 68 IvOlympia 7, Z.4–
60
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
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Ausepigraphischen wiehistorischen Gründen verbietet es sich, wie gesagt, diese In9. schrift in spätere, „ demokratische“Zeiten herabzudatieren6 Es besteht auch überhaupt kein Grund, die β ο λ άin derzuvor genannten Inschrift mitdemalten „aristokratischen“ Ratder„Neunzig“zuidentifizieren unddamit vonderhier ausdrücklich als „ Rat der500“ 0. bezeichneten Institution, dieja auch β ο genannt wird, zuunterscheiden7 Dafür steht λ ά andererseits fest, daßesbereits um500 inElis nicht nurgenerell institutionelle Voraussetzungen für Gesetzgebungsverfahren gab, sondern auch schon formale Vorschriften für ein spezielles Verfahren zur Änderung bereits bestehender „gesatzter“Normen71. Man hatte also offenbar sogar schon einen Begriff vombesonderen Rang der geschriebenen Regelung –die erwähnten möglichen Änderungen, Ergänzungen oder Streichungen, wurden offenbar erst nach dreimaliger Beschlußfassung „ rechtsgültig“ , wie abschließend explizit vorgeschrieben wird72. Genau dies wird schließlich auch in der oft behandelten Allianz zwischen Elis und Heraia imwestlichen Arkadien deutlich, diewahrscheinlich noch in das 6. Jahrhundert (undjedenfalls nicht später als 500) zudatieren ist73. Zwar handelt es sich nicht um ein Gesetz, sondern umeinen zwischen zwei Gemeinwesen auf hundert Jahre, also faktisch unbefristet abgeschlossenen Vertrag über eine Symmachie74. Bezeichnenderweise wird ρ α τ aber dasAbkommen nicht nurals ρά bezeichnet75. Es ist auch wieder in denfür Gesetze im engeren Sinn typischen Wendungen formuliert76 undbetont –wie die anderen rhetrai –insbesondere die Sanktionen, diebei Verstößen gegen die Vereinbarung zuverhängen sind: Die Buße voneinem Talent in Silber, zuzahlen andenZeus vonOlympia, wirdgenau fixiert77. Vorallem abergilt auchdiese Arteiner ρ ρ als etwas „Geschrieα ά τ φ benes“(τ ε ὰγρά α ), dem ausdrücklich ein besonderer Rang zugemessen zu werden scheint: Dennnicht nurjeder Verstoß gegen deneigentlichen Inhalt derVereinbarung wird mitdererwähnten Buße bedroht, sondern auch undvor allem mußjeder, „Privatmann, Magistrat oder δᾶ μ ο ς “ , dieBuße erlegen, der„dasGeschriebene“beschädigt78.
69 So etwa KAHRSTEDT 1927, 160; vgl. auch BUSOLT 1920, 148 Anm.4. Unklar ist JEFFERY 1973– 1974, 327. Anders schon SWOBODA 1905, 2424f. 70 So etwa KIECHLE 1960, 344f. Anm.29, unter Hinweis aufAristot.Pol. 1306a14ff. 71 Vgl. mit Recht wiederum WELWEI 1983/1998, 263f. 72 IvOlympia 7, Z.5f. und dazu den Kommentar von W.DITTENBERGER, K.PURGOLD, Sp. 20; SWOBODA
1905, 2425.
73 IvOlympia 9; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 52. Vgl. bereits GUARDUCCI 1967, 202f. (Nr. 1); JEFFERY 1961/1990, 408 zuTafel 42,6; HAINSWORTH Nr. 16; MEIGGS/LEWIS Nr. 17; StV Nr. 110; HGIÜ Nr. 29 mit weiteren Nachweisen. Siehe bereits ROBERTS Nr. 291; Syll.3 9; SGDI 1149; DGE 413; BUCK 1955, Nr. 62. Vgl. zur Datierung insbesondere MEIGGS/LEWIS, S. 32; JEFFERY 1961/1990, 218f.; 220 (Nr. 6); H. BENGTSON, in: StV, S.9 (zu Nr. 110). 74 MEIGGS/LEWIS 17, Z.2. Vgl. dazu auch EHRENBERG 1937/1965, 88. 75 MEIGGS/LEWIS 17, Z.lf.: ἀρά . Vgl. auch OSTWALD ο τ λ ρα ίο ρ α ιςκ τ λ τ ε ίο α ῖςἘ ις ὶτο ο ῖρα :κ 1969, 7f. 76 MEIGGS/LEWIS 17, Z.3ff. Vgl. GAGARIN 1981, 159. 77 MEIGGS/LEWIS 17, Z.5f. ε ἴτ :α ὰ τ σ ε ετελ ἴτ α 78 MEIGGS/LEWIS 17, Z.7ff.: ai δ ςα εέτ :α ἴτ ο ιτ ο έ λ α δ ρ ά ῒ κα φ :τ α ε α γ έτ ὰ ιρτ ι. Vgl. dazuHÖLKESKAMP (in Vorb.). ν ο έ ῦ τ μ ο ν τἐ :ἐ ρ ς ο δᾶ π ικ ιά ᾽ἐγραμ ιτ οτοι ντα ᾽ἐνεχο
᾽
2. Dieeinzelnen Poleis
107
Diehierbehandelten rhetrai sindzwarnurzufällig erhaltene Überreste, abersie zeigen doch deutlich, sowohl durch die unterschiedlichen Buchstabenformen unddie verschiedenen Zeiten ihrer Niederlegung als auch inhaltlich, daßsie durchweg eigenständige, auf einen bestimmten Gegenstand –oder genauer: auf konkrete, regelungsbedürftige Fälle – bezogene Vorschriften undNormen waren, diesich offenbar nach undnach, über mehrereJahrzehnte, imHeiligtum in Olympia ansammelten79. Auch sie waren situationsbezogeneAnlaßgesetze undebennicht Regelungen imRahmen einer systematischen gesetzgeberischen Ordnungsstiftung. Auch in Elis, das erstaunlicherweise schon um500 hochentwickelte Institutionen undVerfahren derGesetzgebung hatte, scheint es also keine umfassende „ Kodifizierung“desRechts gegeben
zuhaben.
ELTYNIA
Eine wenigstens teilweise gut erhaltene Inschrift aus demkretischen Eltynia, die in dieZeit um500 zudatieren ist undauf einem breiten Mauerblock –vermutlich Teil einer Tempelwand –angebracht war, enthält ein Gesetz über Körperverletzung und(tätliche) Beleidigung vonKnaben1. DerAnfang desTextes ist sicherlich zu [τ ά δ ]τ ο λ ῖςἘ ε δ ᾽ἔα τ υ ν ιο ῦ σ ιzuergänzen –eshandelt sich also offensichtlich umeinen Beschluß derVolksversammlung vonEltynia. Dieerhaltenen Klauseln desGesetzes zeigen dietypische Genauigkeit derinhaltlichen Festlegung injeder Hinsicht: Nicht nurwirddasDelikt nach Grad undSchwere abgestuft –von der leichten Körperverletzung bis zur „schweren Schlägerei“einerseits und zur bloßen (verbalen) Beleidigung andererseits werden die entsprechenden Bußen genau differenziert, undselbst die Straflosigkeit des Zuschlagens als Abwehr einer Tätlichkeit wird noch ausdrücklich festgestellt2. Dabei wird sogar noch nach der Altersklasse des Täters unterschieden –es macht einen Unterschied, ob ein erwachsener Mann oder ein junger Mannauseiner agela dasDelikt begeht3. Schließlich spielen auchnoch die Orte, andenen dertätliche Angriff bzw. die Beleidigung stattgefunden hat, eine Rolle: Ausdrücklich genannt werden zunächst dasandreion, danndasHausderagela, die symboletra –vielleicht der „Trainingsplatz“– , der Tanzplatz bzw. der Tanz als gesellschaftliches Ereignis und schließlich eine weitere Örtlichkeit, die für die Jungmannschaft bestimmt gewesen sein dürfte4. Es scheint so, als ob es strafverschärfend wirkte, wenn diese Delikte in der Öffentlichkeit begangen wurden. 79
Vgl. JEFFERY 1976, 169.
1
Nr. 94; VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 80 mit weiteren Nachweisen. Vgl. bereits ICret I, Analyse von GEHRKE 1997, 43ff., auchzumFolgenden. DasProblem dernachträglich hinzugefügten ersten Zeile desTextes kann hier unberücksichtigt bleiben. DasFragment ICret I, x, 1 (= VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 93) aus der Zeit um600 läßt keine detallierten Schlußfolgerungen über Form undInhalt zu undbleibt daher au-
2 3 4
KOERNER
x, 2; VANEFFENTERRE 1991, 85 undzuletzt die grundlegende
ßerBetracht. ICret I, x, 2, Z.2f.; 8ff. bzw. 4f. ICret I, x, 2, Z.5 bzw. 7. ICret I, x, 2, Z.6. Was mit symboletra gemeint ist, bleibt unklar, undder letzte Begriff ist nicht mehr zu rekonstruieren; vgl. GEHRKE 1997, 44 mit Anm.89. Vgl. zuandreion, agela etc. generell etwa WILLETTS 1955, 7ff.; 22ff. u.ö.; LINK 1994, 9ff.; 22ff. undpassim, undjetzt 37ff. mitweiteren Nachweisen.
GEHRKE
1997,
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
108
DasGesetz enthält außerdem ähnlich genaue Verfahrensregeln, die allerdings nicht durchweg erhalten sind. Zunächst istvoneiner (nicht mehrbestimmbaren) Frist die Rede, wobei allerdings umstritten bleibt, obessich dabei umeine Zahlungsfrist handelt, also die Frist, in derdieBuße zuentrichten war, oder aber umdendurchaus begrenzten Zeitraum nach derTat, in demdie Klage erhoben werden mußte, wenn der Strafanspruch nicht verfallen sollte5 . Als Richter fungierte derkosmos, wahrscheinlich als Kollegium. Die Entscheidung war unter Eid zu fällen6. Auffälligerweise ist es wiederum der kosmos, der auch gleich fürdieEintreibung derStrafe „ fürdiePolis“zuständig ist, also sowohl judikative als auch exekutive Befugnisse hatte7.
Wiein anderen kretischen Poleis setzt diese Satzung also offensichtlich ausgebildete institutionelle Strukturen voraus8 –undzwar nicht nur die typischen traditionellen Einrichtungen wie die agela, sondern auch die Existenz einer Volksversammlung undvor allem die zentrale Rolle des kosmos, dessen Funktion als Gericht hier im Mittelpunkt steht. Derkosmos „erkennt“unter Eid, waswohl wiebeim ὄ μ ν ρ υ ίν ν τ ε ινin Gortyn α κ heißen soll, daßes sich hierbei umeine Tatsachenentscheidung auf Grund einer Würdigung von Beweisen undAussagen echter, wissender Zeugen handelt9 . Zugleich ist der kosmos aber auchalsExekutive und(dabei zugleich) als Repräsentant derPolis tätig, die hierja nicht nuralsVersammlung, sondern auchnochineiner anderen Hinsicht als Größe eigenen Rechts erscheint –neben demGeschädigten ist sie nämlich derEmpfänger eines 0. bestimmten Teils derverhängten Buße1 Selbst wenndiese Satzung einweiteres Zeugnis für die hochentwickelten Strukturen kretischer Poleis anderWende zum5. Jahrhundert ist, darf doch bezweifelt werden, daß sie „Teil einer größeren Rechtsaufzeichnung“11oder gar eines ganzen „ law code“war. Vielmehr verrät auch dieses Gesetz, daßein konkretes Problem es notwendig gemacht haben dürfte: Einerseits ist hier an häufiger vorkommende Gewalttätigkeiten etwa im Zuge bestimmter hergebrachter Formen der Sozialisation, Initiationsrituale und sonstiger Gepflogenheiten zu denken12. Andererseits war auch das in dieser Gesellschaft offenbar ebenfalls sensible Problem der Verletzung der Ehre in aller Öffentlichkeit –undgenau darum geht es ja wesentlich –schon deswegen regelungsbedürftig, weil die Ahndung solcher Verletzungen bzw. dieWiederherstellung derEhre durch Selbsthilfe und„ Eigenmacht“auf „ private“Vergeltung hinauslaufen mußten. Dann konnten die Tätlichkeiten selbst wiedieReaktionen derBetroffenen oder ihrer Familien sehr leicht zueiner Eskalation vonKonflikten führen, diedemeigentlichen Anlaß nicht mehr angemessen waren. ImInteresse derSicherung des allgemeinen inneren Friedens mußte die Polis eingreifen, indem sie Verfahren derBegrenzung undKanalisierung solcher Streitigkeiten etablierte.
5
I, x, 2, Z.2f. Vgl. dazu KOERNER, S. 345f. (zu Nr. 94) im Anschluß an LATTE 1931/1968, 275; GEHRKE 1997, 44. 6 ICret I, x, 2, Z.8. Vgl. dazu KOERNER, S. 348 (zu Nr. 94); GEHRKE 1997, 53f. 7 ICret I, x, 2, Z.3. Vgl. dazu KOERNER, S. 346 (zu Nr. 94). 8 Vgl. die Abschnitte AXOS, DREROS, ELEUTHERNA, GORTYN. 9 Vgl. KOERNER, S. 348 (zu Nr. 94); GEHRKE 1997, 53f. 10 ICret I, x, 2, Z.3. Vgl. dazu generell LATTE 1931/1968, 288; GEHRKE 1997, 48f. 11 So GEHRKE 1997, 43. Vgl. dagegen WHITLEY 1997, 655; 1998, 320. 12 Vgl. die brillante Analyse vonGEHRKE 1997, 31ff.; 40ff., ferner LINK1994, 22ff. u. ö. ICret
2. Die einzelnen Poleis
109
Dies geschah aufzweifache Weise, nämlich einerseits durch Sanktionen gegen mutwillige Körperverletzung undandererseits durch ein Verfahren, in demdie Ehre des Geschädig-
tenundin aller Öffentlichkeit Beleidigten genauso öffentlich wiederhergestellt wurde – undzwarkontrolliert, garantiert unddurchgesetzt durch diePolis selbst undihre richterlichen und exekutiven Organe13. Vor diesem Hintergrund ist diese Maßnahme durchaus auch als isoliertes Anlaßgesetz verständlich. EPHESOS
In Ephesos, einer derbedeutendsten Poleis im ionischen Kleinasien1, scheint es seit der Tyrannis des Pythagoras um600 immer wieder zu schweren Auseinandersetzungen umdieHerrschaft überdieStadt gekommen zusein2, diegleich mehrfach zurEinsetzung von„Aisymneten“unddabei –zumindest ineinem Fall –auchzueiner Neugestaltung der politischen Ordnung durch eine Reformgesetzgebung geführt haben sollen. Esgibt allerdings keine wirklich glaubwürdigen Zeugnisse über die internen Verhältnisse von Ephesos im 7. undfrühen 6. Jahrhundert, als die Stadt zunächst unter dem harten Regiment des Pythagoras gelitten haben soll, demdie durchweg sehr viel spätere Überlieferung praktisch alle typischen Eigenschaften undMerkmale eines „ klassischen“ Tyrannen zuschrieb. Auch über die Herrschaft des Melas unddann des Pindaros, der schließlich von seinem Onkel Kroisos vertrieben wurde, gibt es kaum gesicherte Nachrichten3. Dementsprechend schlecht bezeugt ist damit auch die Rolle des Pasikles, der als Vertrauter des exilierten Tyrannen Pindaros, Verwalter seines Vermögens und Vormund seines Sohnes (ἐ π ο ίτρ π ο ς ) inEphesos zurückgeblieben sein soll4. Dieser Pasikles wird in φ ε σ einer anderen, ebenso problematischen Quelle als Ἐ ίω χ ω νbezeichnet, der seiνἄρ nerseits bald denMachtkämpfen zumOpfer gefallen sei und–angeblich unter maßgeblicher Beteiligung des erwähnten Sohnes des Pindaros –ermordet worden sein soll5 . Aus der Kombination dieser beiden Zeugnisse ist dann der Schluß gezogen worden, daßPasikles anscheinend beseitigt worden sei, weil er eben nicht nurals ἐπ π ο ο ςund„Stattίτρ νundsogar χ ω halter“ desTyrannen fürdessen Sohnregiert habe, sondern selbst zumἄρ zum„Aisymneten“derEphesier gewählt worden sein müsse6 .
13 So treffend GEHRKE 1997, 44f. 1
2
3 4 5 6
Vgl. generell L. BÜRCHNER, RE 5,2 (1905) 2773ff.; BENNDORF 1906, 9ff.; W. ALZINGER, RE Suppl. 12 (1970) 1588ff. (zuTopographie, Bauten undFunden); KNIBBE 1970, 248ff. (Inschriften, Institutionen, Kulte etc.); V.MITSOPOULOU-LEON, in: STILLWELL et al. 1976, 306ff. mit weiteren Nachweisen, ferner GEHRKE 1986, 170ff. Baton von Sinope FGrHist 268F 2 (= Suda s.v. Π ρ α γ ); Ael.var.hist. 3,26; frgg. 48; 49; Poό ς υ θ α lyaen. 6,50. Vgl. dazu im einzelnen BERVE 1967, 98ff.; 576ff.; VANBERCHEM 1980, 31ff. mit weiteren Nachweisen. Siehe bereits BÜRCHNER, RE 5,2 (1905) 2788f.; BENNDORF 1906, 27ff.; MAZZARINO
1947, 197ff.; JEFFERY 1976, 222ff.
Vgl. diein dervorigen Anm.genannten Belege undTitel, ferner Hdt. 1,26 über Kroisos’Einnahme vonEphesos, wobezeichnenderweise derin derspäteren Überlieferung so prominente Tyrann Pindaros gar nicht erwähnt wird. Vgl. auch noch LENSCHAU 1950, 1697f. Ael.var.hist. 3,26. Kallimachos frg. 102PFEIFFER; vgl. dazu STROUX 1934, 310ff. daran BERVE 1967, 99.
So STROUX 1934, 312f. undim Anschluß
110
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
Diese Vermutung ist allerdings nicht einmal in denwenigen vorliegenden, einigermaßenobskuren undunzuverlässigen Quellen irgendwie begründet. Erstens sind der Titel eines „ Aisymneten“bzw. eine solche Amtsbezeichnung für Ephesos überhaupt nicht bezeugt. Zweitens läßt sich nicht einmal feststellen, was mitdemEtikett ἄ ρ χ ω νeigentlich
gemeint gewesen sein könnte: eine institutionalisierte Magistratur oder etwa eine außerordentliche, einer Tyrannis ähnliche Machtstellung –dasistja auch gar nicht der eigentliche Gegenstand der Geschichte bei Kallimachos. Offensichtlich beruht die Annahme einer „ Aisymnetie“desPasikles nach demEnde derTyrannis desPindaros also auf allgemeinen Annahmen überAnlaß, Charakter undFunktion der„ Aisymnetie“als„ Wahltyrannis“zum Zweck derinneren Befriedung derPolis7.
Dasgilt letztlich auchfür diekaumbesser bezeugte Tätigkeit eines gewissen Aristarchos ausAthen, dienurauseiner Notiz in derSudabekannt ist8 . Umoderkurz vor 550 – nach dersynchronistischen Zeitangabe inderNachricht9 –soll dieser Mann nach Ephesos berufen undmit„alleiniger Herrschaftsgewalt“(μ ό ν ρ α χ ο ςἐξουσ ία ) ausgestattet worden sein; erhabe dieStadt dannfünf Jahre lang mitUmsicht undSorgfalt regiert. Diese Nachricht wirdfast durchweg1 0 soverstanden, daßdieser Aristarchos aus einer anderen, in diesem Fall allerdings als„ stammverwandt“geltenden Stadt für eine befristete Zeit, nämlich fünf Jahre, zumneutralen „ Aisymneten“undbevollmächtigten „Ordner“der
innenpolitischen Verhältnisse inEphesos berufen worden sei –ähnlich wie Demonax aus Mantineia zumkatartister in Kyrene, Androdamas aus Rhegion zum Gesetzgeber der Chalkidier inThrakien undeine Kommission aus Paros als „ Schiedsgericht“in Milet bestellt wurden11. ImRahmen seiner Tätigkeit als„Ordner“ soll Aristarchos –wiederum wie vorallem Demonax in Kyrene –imZusammenhang miteiner beträchtlichen Erweiterung derBürgerschaft eine grundlegende Phylenreform durchgeführt haben: Damit wird diejenige Ordnung derfünf (oder sechs) Phylen undderchiliastyes in Ephesos, dienach einer aufEphoros beruhenden Notiz inältester, noch„mythischer“Zeitentstanden sein soll, im 4. Jahrhundert jedenfalls bereits als „alt“ galt unddiebis in römische Zeit dann im wesentlichen unverändert blieb12, aufebendiesen Aristarchos zurückgeführt13.
7
Vgl. STROUX 1934, 312 mit Anm.19 unter Hinweis auf BUSOLT 1920, 372f. Vgl. dazu auch Kapitel
II 3. S.v. Ἀρίσ ρ χ τ α ν ο κ ω ρ χ ο νεἶχ μ ό ν α ς : οὗ έ σ νἐξουσ νἘφ ε ῳ ν α τ η ίω νἐ νἥ ο ὴ ςτ νἈθ ία νἐ κτ ῶ ή η κ ν τ ξ ε ο ν ό κ τ λ ρ . ἐκάλ ο ς ε ,ὅ α ὐ σ ο τ υ ρ α ς α ν ἱπ νἦρ ν τ ο δ ὐ ὸ ῶ τ ὲἄ ῶ ιἐμμελ ςτ ο ν α εκ ίᾳ ὶσ νκηδεμ ὺ ν α β ίω νὅ ν η τ ύ εἍρπ σ π ὺ μ α ο ἐ ὶτ νσ ρ ντ υπ α ο ὴ ῖδ ο νΚ γ α νἈθ ὸ ῦ η ςΚ κτ δ ὲἐ ῶ α ν έ σ τ α . ὑπ ιν σ τε ἔ ρ σ α . Π ιςἀπ α έ ν ρ ςἔτυχ ε ό σ α τ σ ιν ἐ ά π 9 Vgl. dazuBENNDORF 1906, 29; VANBERCHEM 1980, 33 Anm.44. 10 Vgl. allerdings MAZZARINO 1947, 378f. mitAnm.559 gegen die Authentizität derganzen Nachricht. 11 Vgl. etwa BÜRCHNER, RE 5,2 (1905) 2789; BENNDOF 1906, 29f.; SAKELLARIOU 1958, 124; BERVE 1967, 100; HEGYI 1968, 101; 1977, 7; RUZÉ 1985, 163 mit Anm.16; GEHRKE 1985, 57; 1986,
8
170. Siehe dazu auch die Abs. CHALKIDIER INTHRAKIEN; KYRENE; MILET.
12 Ephoros FGrHist 70 F 126 (= Steph.Byz. s.v.Β έν ν ). Vgl. allgemein zur Phylenordnung von Epheα sos BUSOLT 1920, 118f. mit Anm.8; SAKELLARIOU 1957, 220ff.; 1958, 132ff.; ROEBUCK 1961/1979, 73; 80 mit Anm.19, undneuerdings KNIBBE 1970, 267f.; JONES 1987, 311ff. mit weiteremMaterial. 13 Vgl. insbesondere BERVE 1967, 100; 577; HEGYI 1977, 7 (SAKELLARIOU 1958, 132f. Anm.7 ist ungenau); ferner bereits BENNDORF 1906, 30f.; SAKELLARIOU 1957, 227; VANBERCHEM 1980, 33; eher skeptisch dagegen GEHRKE 1985, 57f. Anm.3.
2. Dieeinzelnen Poleis
111
Diese Vermutung ist allerdings in denvorliegenden Quellen ebensowenig begründet wiedieAnnahme, daßdiese differenzierte Neueinteilung der(dabei zugleich erweiterten) Bürgerschaft eher demTyrannen Pythagoras undseinen Nachfolgern zuzuschreiben ist.
Ebenso möglich (und durchaus nicht unplausibel) ist schließlich noch die Variante, daß diese Ordnung überhaupt nicht uno actu entstanden ist, sondern sich schon unter dem 4. Regime derTyrannen zuentwickeln begann undsich dann schrittweise entfaltete1 Die immer wieder angeführten Parallelen – vorallem dieReform desDemonax in Kyrene, die kleisthenische Phylenordnung in Athen und die Umgestaltung der Phylen in Samos – können natürlich weder eine ungefähre Datierung in die Mitte des 6. Jahrhunderts noch gar die Zuweisung an einen einzigen „Aisymneten“oder gar Rückschlüsse über deren konkreten Inhalt sichern; denn es handelt sich ja immer umganz spezifische, situationsgebundene Reaktionen aufkonkrete Notwendigkeiten, Probleme undHerausforderungen. Diese durchaus unterschiedlichen Reformen entziehen sich nämlich gerade der EinordnungindasRaster einer angeblich allgemeinen, geradezu panhellenischen, jedenfalls vielerorts undmit einer gewissen gleichmäßigen Regelhaftigkeit auftretenden Tendenz zu Neuordnungen und/oder Erweiterungen der Bürgerschaften undihrer Unterabteilungen strukturell überall gleicher Art im 6. Jahrhundert, auf der solche Analogieschlüsse letztlich beruhen. So wardieEinführung einer neuen Einteilung derBürgerschaft vonKyrene durch Demonax, die tatsächlich etwa umdie Mitte des 6. Jahrhunderts stattgefunden hat, ebenso durch eine besondere, untypische, wenn nicht einmalige Ausgangslage bedingt15 wie die späteren Reformen desKleisthenes in Athen, deren Voraussetzungen wiederum spezifisch athenische waren undderen entscheidender Anlaß in einer außergewöhnlichen innenpolitischen Konstellation bestand16. UndüberdieEntwicklung derinspäterer Zeit in Samos geltenden Phylenorganisation, diezuweilen demPolykrates zugeschrieben wird17, ist nur so wenig bekannt, daß selbst eine grobe Datierung problematisch bleiben muß – underst recht jede Vermutung über etwaige Anlässe undPhasen ihrer Entstehung und 8. frühen Entwickung1
Wenn schon die Einführung des späteren Phylensystems von Ephesos durch den Aisymneten“Aristarchos nicht plausibel gemacht, geschweige denn nachauswärtigen „ gewiesen werden kann, sogilt dies erst recht für die generelle Einschätzung seiner Tätigkeit alsStifter einer „Verfassung“fürEphesos, diezumindest bis zurweiteren „Demokratisierung“der Verhältnisse durch Mardonios bestanden haben soll. Nach dem Vorbild , soll seiner Heimatstadt Athen, mitihrer nicht lange zuvor etablierten „ Musterverfassung“ , vielAristarchos eine neue politische Gesamtordnung von „ gemäßigt demokratischem“ ) Zuleicht „ kleisthenischem“ solonischem“(oder auch, gewissermaßen als Vorläufer, „ schnitt inEphesos eingeführt haben19. In diesem Zusammenhang ist ihmsogar die Konο ι, τ η λ π ίκ stituierung eines neuen, „ jüngeren“Rates zugeschrieben worden, nämlich derἐ σ ίαnach Strabon alle Angeledie neben der(„ alten“ , aristokratisch beherrschten) γερου Vgl. etwa ROEBUCK 1961/1979, 82, im Anschluß an SAKELLARIOU 1958, 133 Anm.77. Vgl. dazu HÖLKESKAMP 1993 unddenAbs. KYRENE. Vgl. dazu JONES 1987, 58ff.; STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 168ff., vgl. 154ff. Vgl. ROEBUCK 1961/1979, 81 mit Anm.22 im Anschluß an BELOCH 1912, 375. Vgl. das Material bei JONES 1987, 195ff.; SHIPLEY 1987, 284ff. 18 Vgl. mit Recht SHIPLEY 1987, 289. 19 So übereinstimmend etwa BÜRCHNER, RE 5,2 (1905) 2789; BENNDORF 1906, 30; PICARD 1922, 620; BERVE 1967, 100; GEHRKE 1985, 57; 1986, 170f.
14 15 16 17
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
112
genheiten der Stadt entschieden haben sollen20: Das neue Gremium der ἐ η τ π ίκ ο λ ι sei ήin Athen unddie β ο υ wahrscheinlich –wie die β λ ο ὴδημ σ ίηin Chios –mit einer ο λ festen, jeweils gleichen Zahl von Repräsentanten der neuen Phylen besetzt worden; es habe schließlich die Funktionen des alten Rates auf den religiös-sakralrechtlichen Bereich reduziert2
1.
Dies ist wiederum eine Konstruktion, die offensichtlich aus (scheinbaren) Parallelfällen inAthen undChios22 abgeleitet ist. Indenwenigen relevanten inschriftlichen Zeugnissen aus Ephesos, die erst aus dem frühen 3. Jahrhundert stammen, werden die η τ ο ιimmer nurgemeinsam mitderγερου genannt, undzwar ausschließlich in σ λ ία ἐ π ίκ Zusammenhängen, die sich auf das berühmte Heiligtum beziehen23 –die Formulierung bei Strabon unddie wenigen vorliegenden Daten sprechen sogar eher dagegen, daß es sich überhaupt umein permanent institutionalisiertes Gremium handelte24, geschweige dennumeinselbständiges „Verfassungsorgan“allgemeinpolitischen Charakters. Tatsächlich wissen wir also nichts über die fünfjährige μ ρ ό χ ν ο α ςἐξου des Ariσ ία starchos in Ephesos –selbst wenn mandavon ausgeht, daßdie Nachricht einen historischen Kern enthält25. Aber selbst wenn das der Fall sein sollte undein gewisser Aristarchos tatsächlich als neutraler „Schiedsrichter“und„Ordner“nach Ephesos berufen wurde, heißt das keineswegs zwangsläufig, daß er auch als „ VerfasNomothet“die gesamte „ sung“ vonGrund aufneugestaltete –undwennerwirklich eine neue „Ordnung“geschaffen haben sollte, war diese jedenfalls nicht von Dauer und hinterließ offenbar (schon deswegen) kaumSpuren; dennschon wenig später herrschte wieder einTyrann in Ephesos. Aberwieetwader„Schiedsspruch“derParier in Milet zubelegen scheint, gab esja auch „Befriedungen“ohne erkennbare Eingriffe in dasinstitutionelle Gefüge einer Polis26. Nomothesie“des Letztlich überhaupt nicht wirklich bezeugt ist auch die angebliche „ Freundes desgroßen Heraklit, Hermodoros, dessen RatundTatdieEphesier aber nicht angenommen hätten undderdeswegen verbannt worden sei27. Davon ist nurdieVerbannungdesHermodoros tatsächlich überliefert, des„wertvollsten Mannes“in Ephesos –so bezeichnet ihn jedenfalls Heraklit, der den Ephesiern eben wegen der Exilierung des Rat“ Hermodoros den„ gab, daßsich alle erwachsenen Männer aufhängen unddie Stadt denUnmündigen hinterlassen sollten28.
20 21
Strab. 14,1,21:
ι ο η τ ο ικαλούμεν λ ίκ , τούτο ἱἐπ η νο α ἦ μ ιςδ νδ ν έ ο ὲγερου ὲσυνῄεσ σ ίακαταγραφ
κ α ὶδιῴ ο ν ν . κ υ ά α π τ
VANBERCHEM 1980, 33ff.
22 Vgl. denAbs. CHIOS. 23 OLIVER 1941, 53f. (Nr. 1, Z.2 und4); 54f. (Nr. 2, Z.5); vgl. AMPOLO 1983, 410f. und bereits BUSOLT 1920, 443f. Anm.2 (S. 444). 24 Vgl. OLIVER 1941, 16ff.; anders wiederum PICARD 1922, 93. 25 Dagegen jedenfalls MAZZARINO 1947, 378f. Anm.559; skeptisch schon WILAMOWITZMOELLENDORFF
1906a/1937, 160 Anm. 1.
26 Hdt. 5,28f. Vgl. dazu denAbs. MILET. Vgl. etwa MAZZARINO 1947, 216ff.; BERVE 1967, 578; GEHRKE 1985, 58 und bereits BERNAYS 1869, 84f. 28 FVS 22 B 121 = MARCOVICH Frg. 105 (= Strab. 14,1,25; Diog.Laert. 9,2).
27
2. Dieeinzelnen
113
Poleis
Voneiner unpopulären Gesetzgebertätigkeit desHermodoros ist weder hier noch in denspäteren Anspielungen auf diese Episode irgendwo die Rede29 –danach sollen die Vonunssoll niemand derwertvollste sein –undwenn, Ephesier lediglich gesagt haben: „ woanders und bei anderen.“Daß Hermodor in Ephesos, wenn auch ohne Erfolg, als gewirkt habe, kann erstens nurdamit begründet werden, daßdie offensichtNomothet“ „ lich erst relativ spät konstruierte Geschichte vonderBeteiligung desnach Italien ins Exil 0 gegangenen Hermodoros anderAbfassung der Zwölftafelgesetze in Rom3 irgendeinen (authentischen) „ Anknüpfungspunkt“ gehabt haben müsse31. Zweitens enthalten die pseudo-heraklitischen Briefe –ziemlich späte und obskure Zeugnisse, die in phantasievoller undoft recht eigenwilliger Weise verschiedene Traditionen über Heraklit undseine mehrere ausdrückliche Anspielungen auf die Lehre verarbeiten undzumTeil verzerren32 – Gesetze des Hermodoros undseine Verbannung33. Drittens sei es zweifellos auch dieser Manngewesen, aufdensich eine beiHesych erhaltene Nachricht des Polemon beziehe34, wonach ein gewisser (offensichtlich ionisch schreibender) Hermodor Vorschriften über dieangemessene Fußbekleidung freier Frauen gegeben habe, also ein für archaische Ge-
setzgeber angeblich typisches Luxusgesetz35. Das ist natürlich offensichtlich nur eine unddabei ist in demkurzen Fragment des Polemon noch nicht einmal ausVermutung – drücklich voneinem „ Gesetz“ dieses Ioniers Hermodor dieRede. Überhaupt scheinen diese Schlußfolgerungen wiederum aus allgemeinen Annahmen , ihren Charakter undihre Gegenstände hergeleitet zu überdiearchaischen „Nomothesien“ sein36. Die empirische Basis in der Überlieferung ist dafür jedenfalls sehr dürftig. Die einzigen expliziten Erwähnungen einer Gesetzgebungstätigkeit des Hermodor in den seltsamen Briefen setzen dieLegende vomExil inItalien –unddamit von der Beteiligung an derGesetzgebung derZwölftafeln –bereits voraus37: Hier könnte es sich auch umeine bloße Rückübertragung von Rom auf Ephesos handeln. Die Tradition über Hermodors Tätigkeit in Rom ist nämlich selbst erst spät entstanden. Und vielleicht war die Statue Hermodori Ephesii, die Varro auf dem Comitium gesehen haben wollte und mit dem
29 Vgl. denKontext bei Diog.Laert. 9,2f.,
außerdem Cic.Tusc.
5,26,105 unddie übrigen Belege bei
MARCOVICH Frg. 105.
30 Plin.nat. 34,11,21; Strab. 14,1,25; Pompon.Dig. 1,2,2,4. Vgl. dazu im einzelnen 859ff.; WIEACKER 1971, 765ff.; SIEWERT 1978, 340; 343f.
MÜNZER
1912,
So WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, 71 Anm. 1; GEHRKE 1985, 58 Anm. 6. Vgl. dazu grundlegend BERNAYS 189, 4ff.; und passim; KIRK 1954, 29f. u.ö.; ATTRIDGE 1976, 1ff.; L. TARÀN, in MONDOLFO-TARÀN. 285ff. mit weiteren Nachweisen. 33 Nr. 7, Z.lff.; Nr. 9, Z.4ff.; vgl. auch Nr. 8, Z.4ff.; Z.29ff. nach MONDOLFO-TARÀN; vgl. bereits BERNAYS 1869, 61ff.; 81ff.; 90ff. 34 Polemon frg. 96, FHG III, p. 147(= Hesych. s.v. Σ ῳ ρ κ ο υ δ ώ δ ικ ο α ρ ὰἙρμ λ μ νπ α ί): Π ω έ γ γ ρ ε ά φ θ α η ιφ σ ί « ὑπ η ν Σ κ υ ρ δ ν λ υ ικ α ἐ ε έ θ η ὴ τ τ ς ρ ὰ ίν ». ε ῖν α ςλευ δ α τ ὲφ ο α σ θ λ μ κ ὰ α ὶμ ςκ ή ο δ 35 Vgl. zuerst (und · noch sehr vorsichtig) WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, 71 Anm. 1, und sodann vor allem MAZZARINO 1947, 217f., derdas sogar mit Heraklits Äußerung gegen denReichtum der Ephesier in Zusammenhang bringt (FVS 22 B 125a); vgl. auch H.DIELS zu FVS 22A 3a (Bd. I, S. 143); MÜNZER 1912, 860; WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1955b, 84 Anm. 2; SCHOTTLAENDER
31 32
1965, 25f.; BERVE 1967, 578.
36 Vgl. dazuetwa Kapitel I 1, sowie denAbs. KEOS. 37 In denBriefen wird nämlich aufHermodors Reise nach Italien angespielt: Nr. 8, Z.lff.; 27f. nach MONDOLFO-TARÀN. Vgl. dazu auch L.TARÀN, in MONDOLFO-TARÀN, S. 297; 301f. Offensichtlich nicht griechisch, sondern römisch ist natürlich auch das Hermodor zugeschriebene Gesetz über die ίαihrer Söhne (Nr. 9, Z.4ff. MONDOLFO-TARÀN); ο τιμ derFreigelassenen unddie ἰσ ία ε ιτ λ ο ἰσ ο π vgl. dazu schon BERNAYS 1869, 96ff.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
114
„ Mitautor“der Zwölftafeln identifizierte38, ja tatsächlich eine Weihung jener beiden Gesandten ausEphesos, die nach einer erhaltenen Inschrift Hermocrates –undbezeichnenderweise Heraclitus hießen39. Damit wäre das gesamte Hermodor-Motiv in der (römischen) Tradition vollends fragwürdig. Wenn es jedoch wider Erwarten tatsächlich einen (woher auch immer stammenden) antiken Traditionsstrang über Hermodoros als „ Nomotheten“gegeben haben sollte, könnte dieser genauso entstanden sein wiedie (zweifellos erfundene undspäte) Behauptung, daßdergroße Heraklit selbst vondenEphesiern umdieAbfassung von Gesetzen angegangen worden sei–derhabe dasjedoch abgelehnt, weil die Polis bereits durch eine „ üble Verfassung“(π ρ ὰ η π ο ο ν λ ιτε ία ) verdorben sei40. Einerseits wurden ja bekanntlich –nicht zuletzt etwa Pythagoras –Gesetzgebungen zugeschrieben4 1. Anvielen „ Weisen“ dererseits gab es ja gerade von Heraklit nicht nurÄußerungen zu Ursprung, Charakter undWert des νόμος42,sondern mit seiner Person wurden auch allerlei Anekdoten und biographische Topoi verbunden43. Hier könnte auch der Ursprung einer Tradition übèr seinen Freund Hermodor undseine „ Nomothesie“gelegen haben.
Für eine angebliche besondere „nomothetische Aktivität“im Ephesos des beginnenden5. Jahrhunderts sind zuweilen sogar epigraphische Zeugnisse in Anspruch genommen worden44. Dabei handelt es sich um eine Inschrift aus dem 6. oder frühen 5. Jahrhundert, die nur einen Teil der gesamten auf zwei großen Blöcken erhaltenen Texte bildet. Diese Blöcke gehörten wahrscheinlich zueiner ganzen WandmitInschriften 5. durchaus unterschiedlichen Inhalts4 Ein Text enthält detaillierte religiöse Regeln für die Beobachtung undDeutung des Vogelflugs46. Die andere Inschrift ist hingegen ein authentisches Zeugnis früher Gesetzgebung: Sie fixiert prozeßrechtliche Vorschriften über das Ritual desEides, deneinZeuge vordemRichter zuleisten hatte47. Diebeiden Inschriften stellen wohl kaum zwei Bruchstücke ein unddesselben einheitlichen „ Code“ vonGesetzen dar48; denndazuerscheinen dieMaterien doch wohl zu verschieden. Vielmehr dürfte essich beidemProzeßgesetz (wie in vielen anderen Fällen) umeinganz spezifisches Einzelgesetz zueinem konkreten Gegenstand gehandelt haben – esläßt sichjedenfalls nicht beweisen, daßesnochanderes undmehrgeregelt hätte als das Eidesritual. Es bleibt also dabei: Auch für Ephesos ist eine umfassende „ Kodifikation“ oder gar die Stiftung einer politischen Ordnung weder ausdervorliegenden literarischen nochderepigraphischen Überlieferung zubeweisen. 38 Plin.nat. 34,11,21. 39 Vgl. MÜNZER 1912, 860f. zu CIL I 588 = VI 373 = ILS 34; vorsichtig 1965/1970, 449f. zu Liv. 3,31,8. 40 Diog.Laert. 9,2. 41 So mit Recht KIRK 1954, 4f. Vgl. dazu auch Kapitel II 3. 42 Vgl. nur FVS 22 B 44 und114 = MARCOVICH Frgg. 23 und103. 1939,12ff. 43 Vgl. dazu KIRK 1954, 3ff., sowie bereits DEICHGRÄBER 1938– 44
MAZZARINO
1947, 217f.
zustimmend OGILVIE
45 LSAM Nr. 30 (mit weiteren Nachweisen); vgl. JEFFERY 1961/1990, 339f.; 344(Nr. 55a-b). 46 LSAM Nr. 30A mit demKommentar S. 85f.; vgl. bereits IGA 499 unddie Abb. IIGA 20,11; Syll.3 1167; SGDI 5600; DGE 708. 47 LSAM Nr. 30B; KOERNER Nr. 82. Vgl. bereits HEBERDEY 1899, 48f.; SGDI 5598; DGE, S.462 (zu Nr. 708). Vgl. dazu LATTE 1920, 36. 48 So F.SOKOLOWSKI zu LSAM Nr. 30 (S. 84f.).
2. Dieeinzelnen Poleis
115
ERETRIA
Dietraditionelle Herrschaft derReiteraristokratie imeuboischen Eretria soll nach einer jüngst vertretenen Ansicht1 zueinem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im letzten Drittel des 6. Jahrhunderts2 durch eine „demokratische Verfassung“ersetzt worden sein, als deren „ Urheber“der„ Nomothet“Diagoras zugelten habe3 . Eine gesetzgeberische odergar(imSinne deraristotelischen Differenzierung) „verfassungsstiftende“Tätigkeit des Diagoras ist allerdings nirgendwo bezeugt. Aristoteles erwähnt inseiner Analyse dermöglichen Ursachen und(trivialen) Anlässe vonσ τ ά σ ε ιςin Oligarchien lediglich, daß Diagoras aus persönlichem Groll die Herrschaft der Hippeis gestürzt habe4. Nacheiner zusammenhanglosen Notiz beiHerakleides Lembos schließlich sollen dieEretrier einer Persönlichkeit namens Diagoras postum eine Statue errichtet haben–dabei dürfte es sich wohl umdengleichen Diagoras gehandelt haben5 . Genaueres ist weder über die Person des Diagoras6 undseine Rolle in deninneren Auseinandersetzungen in Eretria7 noch über die näheren Umstände undFolgen dieser Gegensätze irgendwo überliefert8 . Vorallem läßt sich auch dieAnnahme einer „ frühen Demokratie“in Eretria nurauf ganz wenige undhöchst unsichere Indizien stützen9. Daßdiese „ Verfassung“gar das Resultat einer umfassenden, womöglich radikal reformerischen Ordnungstiftung undGesetzgebung durch einen „ Nomotheten“Diagoras gewesen sei, ist überhaupt nicht zubelegen.
1
2
GEHRKE
1985, 63f. Vgl. HÖLKESKAMP 1989 zur Kritik von GEHRKES Kategorien generell.
Vgl. zudieser Datierung außerdem E.ZIEBARTH, in: IG XII 9, p.147 (Testimonia et Notae), Z.115ff., sowie GILBERT 1885, 66.
3
4 5
6
7
8
9
GEHRKE
1985, 63.
ὶς ε Pol. 1306a35f.: τ νἀδικηθ ε σ δ α ρ ςκατέλυ γ ὴ νἐ ό νἘ ρ ια ε νΔ ρ ὴ ντ ᾽ὀλιγ ω τ έ ίᾳ νἱππ ρ χ ῶ α ία ντ . μ ο ν ά ρ ὶγ π ε Herakl.Lembos frg. 40DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 12, FHG II, p. 217). ) identisch, der nach ς Er war offensichtlich nicht mit Diagoras ὁΜ ή λ ιο ς(genannt ὁἄθεο Ael.var.hist. 2,23 demNikodoros, ν μ ο ο η θ έ ςin Mantineia, bei derAbfassung seiner Gesetze zur τ Seite gestanden haben soll. Diese Identifizierung wird lediglich durch ein spätes undumstrittenes Zeugnis suggeriert (Suda s.v. Δ ρ γ α ό ια ς ), wonach dieser Diagoras wie derbei Herakl.Lembos erwähnte, in Eretria geehrte Diagoras in Konrinth gestorben sein soll (vgl. WELLMANN 1903, 310f. zu
denEinzelheiten,
sowie
denAbs.MANTINEIA).
Ganz anders als GEHRKE halten denn auch BERVE (1967, 39f.) undDE LIBERO (1996, 233) ihn für einen (ansonsten natürlich unbekannten) Tyrannen vonEretria. Vgl. die Nachweise bei GILBERT 1885, 66f.; GEHRKE 1985, 63f. mit denAnmerkungen. Die dort erwähnte Arbeit von R.G.VEDDER, Ancient Euboea. Studies in the History of a Greek Island from theEarliest Times to 404 B.C., Diss. University of Arizona 1978, warmirnicht zugänglich. Weder dieUnterstützung desIonischen Aufstandes noch derim Jahre 490 dieKatastrophe herbeifüh101; Paus. 7,10,2; Plut.mor. 510B) reichen als Beweis rende Verrat zweier Aristokraten (Hdt.6, 100– fürdieExistenz einer „frühen Demokratie“aus(gegen GEHRKE 1985, 63f. mit Anm.3 u. 4). Selbst wenn dieErgänzung derEinleitungsformel eines frühen Proxeniedekrets ausEretria (IG XII Suppl. μ ι] richtig sein sollte, würde ο έ 549) durch WALLACE 1936, 277f.: [ἔ ι[δ α ὶτο δο ]ι: κ χ σ : τε ν ιβο|λ ε ε daszwar dieExistenz von Rat undVolksversammlung als Entscheidungsträgern in Eretria belegen, abernochlängst nicht dieEinführung einer (durch unddurch) „demokratischen Verfassung“durch einengesetzgeberischen Akt.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
116
AuchausdemEretria derZeitvor500gibt es also keine Indizien für eine „Nomothesie“ imeingangs beschriebenen Sinne. Wohl aber sind auch in diesem Fall inschriftliche Zeugnisse für frühe Gesetzgebungsaktivitäten erhalten. Es handelt sich um Vorschriften verschiedenen Inhalts, die in boustrophedon ausgeführten Inschriften auf zwei offenbar zusammengehörenden Blöcken festgehalten sind10. Diese Blöcke waren ursprünglich Teile einer Mauer –wahrscheinlich derEcke derWandeines (öffentlichen) Gebäudes11. Vondeninsgesamt vier Texten12, diespätestens indie Zeit kurz nach 525 zudatieren sind13, lassen immerhin drei trotz vieler Lücken noch vorsichtige Rückschlüsse auf ihren Inhalt zu. Lediglich von der als Nummer 2 gezählten Inschrift ist noch die Formel ἐ ὶ π ]ν τ ο ς(?) erhalten, vommateriellen Gehalt dieser unter einem gewissen GoΓ ό λ οἄρχ[ο los, der offenbar als höchster (eponymer) Magistrat, als Archon bzw. ἀρ χ ό ςamtierte, erlassenen Vorschrift ist nichts mehr zuerkennen14. Dievierte, auch nursehr lückenhaft erhaltene Inschrift enthielt (offenbar recht detaillierte) Vorschriften über Zahlungen –anscheinend anSeeleute, diedas KapKenaion imNorden unddie Petalischen Inseln im 5. Süden deseuboischen Sundes passierten: DerSinn dieser Regelungen ist unklar1 Dieals die Nummern 1 und3 gezählten Inschriften enthielten anscheinend genaue unddifferenzierte Bestimmungen über die Zahlung von Bußen. Allerdings dürften die 16, dortgebrauchten Wendungen χ ρ εμ α τ α δό bzw. δ κ α έ κ ιμ α σ τα τερα ς die immer wieder
aufdie früheste Münzprägung in Eretria bezogen worden sind17, eben noch nicht Bußen in Geld bezeichnet haben, sondern wohl eher Sachwerte bzw. Gewichte. Zumindest der erste Text betraf außerdem prozeßrechtliche Regelungen über Eidesleistungen18. Leider lassen sich weder ausdieser noch aus der dritten Inschrift irgendwelche Anhaltspunkte hinsichtlich derTatbestände eruieren, gegen die diese Sanktionen verhängt wurden. Es läßt sich nurvermuten, daßes sich umVergehen „öffentlichen“Charakters handelte, also umDelikte, dieirgendwie die Polis, ihre Institutionen oder ihre Kulte berührten19. Dafür scheinen jedenfalls jene besonderen Regelungen zusprechen, diefür den Fall festgelegt 10 IG XII 9, 1273.1274 (Addenda ultima, pp.VIII– IX) mit offenbar falscher Unterteilung der einzelnen Texte undproblematischen Lesungen; DGE 800; vgl. VANDERPOOL/WALLACE 1964, 381ff. mit Ta69; CAIRNS 1991, 297ff. undjetzt KOERNER Nr. 72– 73; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 91; feln 67– SEG 41, 1991, 725. 11 JEFFERY 1961/1990, 55; 84; 87 (Nr. 9); VANDERPOOL/WALLACE 1964, 382. 12 Ich folge der Einteilung und auch, wo nicht ausdrücklich anders vermerkt, den Lesungen von 1964, 385ff. Vgl. jetzt CAIRNS 1974, 147f. gegen JEFFERY 1961/1990, 84; 87 (Nr. 9); VANDERPOOL/WALLACE 525); GUARDUCCI 1967, 220 (Mitte des6. Jhdts.). 1964, 390 (550– 14 VANDERPOOL/WALLACE 1964, 385; 387; 389. Vgl. JEFFERY 1976, 35f.; KOERNER 1987b, 480 mit Anm.179. 15 VANDERPOOL/WALLACE 1964, 385; vgl. 387f.; 391, die nurinsoweit ZIEBARTH (1929, 123; IG XII Suppl., pp. 177; 204) gefolgt sind; vgl. auch JEFFERY 1961/1990, 85. ZIEBARTHS weitere SpekulaVANDERPOOL/WALLACE
13
alten Schiffahrtsvorschriften“beruhen tionen überdiese „
XII 9, 1273.1274. 16
VANDERPOOL/WALLACE
aufderüberholten
Lesung
derInschrift in IG
1964, 385, Nr. 1, Z.3f.; Nr. 3, Z.1.
17 So jedenfalls CAIRNS 1984, 148ff.; 153f. mit der älteren Literatur; (anders etwa VOLKMANN 1939, 99ff.) undnoch JEFFERY 1961/1990, 84; VANDERPOOL/WALLACE 1964, 389f; GUARDUCCI 1967, 221f.;
1987b, 480 mit Anm. 180 (etwas unklar). 2; vgl. 389; ZIEBARTH 1929, 123; GUARDUCCI 1964, 385, Nr. 1; Z.1– 1967, 221; KOERNER 1987b, 480 Anm.180. 19 Vgl. andeutungsweise KOERNER 1987b, 479f.
18
KOERNER
VANDERPOOL/WALLACE
2. Dieeinzelnen
117
Poleis
wurden, daß diese Bußen nicht gezahlt wurden20: Im dritten Text wird ausdrücklich bestimmt, daß–wenn derzur „Zahlung“Verpflichtete (das heißt vielleicht: derdazu in einemVerfahren Verurteilte) dieBuße nicht erlegte –derἀρ χ ό ς„handeln“ , also wohl den zahlen machen“ Schuldigen „ , die Buße eintreiben sollte. Und wenn er nicht „handelte“ (und damit seine implizit vorausgesetzte Strafpflicht verletzte), sollte er selbst die Buße zahlen müssen21. ρ χ Interessanterweise wurde demἀ ό ςdabei ausdrücklich vorgeschrieben, daßer ἀ π ὸ zu„handeln“habe–offensichtlich wareralso anandere, in diesem „Gesetz“selbst ν ο ῥ ε τ nicht genannte Entscheidungen, Vorschriften oder Regeln, vielleicht zumVerfahren der Eintreibung und/oder zurHöhederBußen, gebunden. Obsich diese formelhaft anmutende Wendung etwa auf bereits bestehende, vielleicht ihrerseits ebenfalls schon fixierte Gesetze“bezog22, mußallerdings dahingestellt bleiben. „ , die noch nicht einmal inhaltlich zusammenzuhängen scheinen, Rechtstexte“ Diese „ sind wohl kaum Teile einer systematischen undgeschlossenen „Kodifikation“–es handelt sich eher umsehr konkrete, bestimmte Fälle betreffende (und diese dabei definierende)Regelungen, dieihrerseits (aus gegebenem Anlaß?) andere Vorschriften ergänzt, präzisiert odermodifiziert haben mögen. GORTYN
Eine vergleichsweise große Anzahl vonInschriften ausdemkretischen Gortyn mit offenbar gesetzesförmlichen Vorschriften imweitesten Sinne ist eindeutig früher zu datieren , der–zumindest in der vorliegenden, inschriftlich erals dersogenannte „große Code“ . haltenen Fassung –erst aus derZeit umoder kurz vor 450 stammt1 Dieälteste Gruppe dieser Texte besteht auszahlreichen, oftnursehr kurzen Fragmenten vonInschriften, die teilweise einzeilig undlinksläufig, teilweise boustrophedon aufjenen Blöcken angebracht waren, die die Stufen undWände des demApollon Pythios geweihten Tempels bildeten2. 3. In Zeile 3 haben 4; Nr. 3, Z.2– 1964, 385, Nr. 1, Z.3– , im Sinne von «Exil» (als Strafe ή γ ίαstatt φ γ 1964, 385 (vgl. 389) φ υ υ α ιμ α τ αδόκ für Nichtzahlung); dies ist nicht glücklich, wieCAIRNS 1984, 152, gezeigt hat, derχρέμ γ ιᾶals Bezeichnung für eine „Wertstrafe“in Form von „sound objects of barter“liest; vgl. [ὶ]υ κ α KOERNER 1987b, 480 Anm.180; zustimmend A.JOHNSTON, in: JEFFERY 1961/1990, 434. 3: ἰὰ ις νμ τ σ ὲτείσ ιhό 21 VANDERPOOL/WALLACE 1964, 385, Nr. 3, Z.2– α ρ ιε χ ο σ ὸ ε :π ι: ἀ :ἀ ν ς π ὸῥετο ὐ τ : ὀφ ὸ ν . Vgl. dazuJEFFERY 1961/1990, 84; KOERNER 1987b, 480. Die Spekuν έ ε λ ο ιει α ὲπ ἂ ν :μ · CAIRNS 1991, 308ff., über einen „demokratischen“Hintergrund derMaßnahmen berulationen von 20
VANDERPOOL/WALLACE VANDERPOOL/WALLACE
henauffalschen Voraussetzungen. 22 Vgl. zurBedeutung von ῥετός/ῥ η τ ό : „Gesetz“vgl. JEFFERY 1961/1990, 84; ς Spruch“ ,„ etwas anders WILHELM 1909, 172 (Nr. 149): „ . Abmachung“
1 2
KOERNER
1987b, 480;
Vgl. dazu Kapitel I 1 und2; III 1. 40; JEFFERY 1961/1990, 315 (Nr. 2); vgl. 55; 311ff. undzuletzt WHITLEY 1997, 654; ICret. IV 1– 1998, 320; 326. Die meisten dieser zum Teil sehr kurzen Bruchstücke sind etwa schon von 4984) publiziert und ausführlich COMPARETTI (1890, 77ff.; 1893, 9ff.) undF.BLASS (SGDI 4962– kommentiert worden. Die früheren Herausgeber haben dabei viele derkleineren Reste anders organisiert bzw. in anderer Reihenfolge zusammengestellt als M.GUARDUCCI in ICret IV –darauf wird in 126) und derFolge nurnochausnahmsweise hingewiesen. DieSammlungen vonKOERNER (Nr. 116– 38; 52; 61; 68; 78; 84; 92) enthal25; 37– 12; 22– VANEFFENTERRE/RUZÉ (I, Nr. 1 und82; II, Nr. 11– tenjeweils nureine Auswahl (vgl. dieKonkordanz FELL1997, 192).
118
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
Heiligtums soll zwar schon aus dem7. Jahrhundert stammen3 . Die Inschriften, auf denen diese Datierung wesentlich beruht, sind jedoch ihrerseits allem Anschein nach nicht älter als etwa 600, sie dürften zumTeil sogar nach der Mitte des 6. Jahrhunderts zudatieren sein4. Dieser zeitliche Ansatz wird durch dieTatsache bestätigt, daßdie Träger dieser Zeugnisse in einer „ Quadertechnik“verbaut waren, die bereits Orthostaten und„ regelrechte Läufer- undBinderschichten“hatte, also füreine hohe Datie-
Dieälteste Anlage dieses
rung (allzu) „sehr entwickelt“erscheint5 . Aufjeden Fall lassen dieerhaltenen Fragmente noch eindeutig erkennen, daßdie Inschriften nicht gleichzeitig, sondern über einen Zeitraum von vermutlich mehreren Jahrzehnten entstanden sind, daßsie also keinen fortlaufenden Text odergareine systematisch organisierte undeinheitliche „ Kodifikation“ gebildet haben können –dazu sind die Unterschiede im Schriftbild, in der Sorgfalt derAusführung undin der Größe der Buchstaben zudeutlich6 . Es mußsich mithin umeine größere Zahl einzelner Regelungen und Vorschriften gehandelt haben, die nach undnach, wohl jeweils auf konkrete Veranlassung hin, anderTempelwand angebracht worden sind.
Viele derBruckstücke, diezuweilen nurausdenResten einzelner Wörter bestehen, lassen zwar nicht einmal mehr Vermutungen hinsichtlich ihres Inhalts zu7. Dennoch lassen sich zwei generelle Beobachtungen machen: Erstens enthielt ein ziemlich großer Teil , diezumeist in derEinderTexte genau angegebene bzw. festgelegte Beträge in „Geld“ 9 oderdes ὀδελός10angeς heit desλέβη 8,manchmal auch in derjenigen des „Dreifußes“ wahrscheinlich handelt es sich dabei umStrafen bzw. Bußen oder Entschägeben sind– digungen, offenbar für(konkret genannte) Vergehen undwohl insbesondere für Verstöße 1. gegen die in derjeweiligen Inschrift festgelegten Vorschriften1 Dafür spricht nicht zu2 –bekanntletzt, daß hier und da das „ Duplum“einer bestimmten Summe festgelegt ist1 lich eine fürarchaische Gesetze typische Verschärfung gerade solcher Strafvorschriften. Aufderanderen Seite taucht diese auffällige Gemeinsamkeit vieler Zeugnisse in den unterschiedlichsten konkreten Zusammenhängen auf: Die einzelnen Gegenstände und
3 4 5
6
HALBHERR 1890, 25, vgl. 20ff.; WEICKERT 1929, 62, vgl. 33; M.GUARDUCCI, in: ICret IV, S. 5; 33; WILLETTS 1977, 208. Vgl. dazu grundlegend JEFFERY 1961/1990, 311ff. Siehe auch bereits DESANCTIS 1908/1972, 45ff.; DEMARGNE 1947, 348 Anm.2. Vgl. dagegen für einen früheren Ansatz ROBERTS, S. 25ff.; COMPARETTI 1890, 113f.; 1893, 367ff.; GUARDUCCI 1938, 272f. unddies., in: ICret IV, S. 40ff. Vgl. JEFFERY 1961/1990, 312 nach WEICKERT 1929, 62. Vgl. auch HALBHERR 1890, 23f.;
M. GUARDUCCI, in: ICret IV, S. 41. Vgl. generell JEFFERY 1961/1990, 311ff.; GAGARIN 1982, 136; 1986, 138 mit Anm. 1, sowie be11; 14; reits COMPARETTI 1893, 342; M.GUARDUCCI, in: ICret IV, S. 41. Vgl. etwa nur ICret IV 9–
20a; 28; 29 fürdieUnterschiede. Auffolgende Fragmente braucht daher inderFolge nicht mehr im einzelnen eingegangen zuwerden: 40. ICret IV 2; 5; 12; 16; 19; 24; 27; 28; 31– 8. Vgl. 8 ICret IV 1,1d-f; 3d-f; 5; 6; 7; 8e-f; 10f-h, k-l- m-n, a*-b*, p*; 11h-i; 14g-p,1 und2; 21, Z.7– dazugenerell M.GUARDUCCI, in: ICret IV, S. 41f. 9 ICret IV 8a-d. 10 ICret IV 25u; 26a,b; 34(?). 11 Vgl. etwa COMPARETTI 1893, 343ff.; DESANCTIS 1908/1972, 46ff.; GAGARIN 1986, 95f., gegen
7
dessen allgemeine Voraussetzungen und Schlußfolgerungen allerdings erhebliche Vorbehalte beste-
hen; vgl. HÖLKESKAMP 1990, 116ff.
12 ICret IV 10q-r; 13g-i,2.
2. Die einzelnen Poleis
119
Vorschriften derjenigen Dokumente, deren Inhalte wenigstens noch in groben Umrissen erkennbar sind, sind offensichtlich genau so verschieden, ja disparat, wie es ihrem Charakter als einzelne, jeweils selbständig getroffene Regelung nach durchaus zu erwarten war. Die Spannweite derthematisierten Gegenstände reicht dabei von den sakralrechtli13über eine unklare Satzung, die sich anscheichen Vorschriften einer „Opferordnung“ ρ ό nend auf die π θ ε σ ιςdes Verstorbenen bei Begräbnissen bezog14, bis hin zu allerlei offenbar detaillierten Regelungen über Weiderechte, über (vermutlich imZusammenhang damit entstehende) Schäden undüber entsprechende Entschädigungen und Bußen, die allerdings noch nicht einmal sicher zusammengehören15, und zu ähnlichen Strafvorschriften, anscheinend etwafürdieBeschädigung vonBäumen16. Daneben finden sich einerseits Verfügungen über Fremde, ihren Status und ihre Rechte17 undandererseits imeinzelnen nicht mehr rekonstruierbare Bestimmungen über Dinge, die als Sicherheit verpfändet waren18. Nicht zuletzt sind unter den erhaltenen Zeugnissen auch adoptions- underbrechtliche Regelungen, die sich auf spezifische Probleme aufdiesem Rechtsgebiet, etwadiejeweiligen Ansprüche leiblicher respektive adop9, tierter Nachkommen ammütterlichen (und väterlichen) Erbe1 sowie Prozeßrechtliches beiStreitigkeiten umdasErbe eines verstorbenen Adoptivsohnes seitens seines leiblichen Vaters beziehen dürften20 –dieAdoption unddiedamit unmittelbar zusammenhängenden erbrechtlichen Konsequenzen unddasErbrecht generell sindja auch zentrale Gegenstände 21. desgroßen „Rechts vonGortyn“ Auchinganz anderen Zusammenhängen scheinen formale Regeln eines gerichtlichen Verfahrens eine wichtige Rolle zu spielen22, auch hier allerdings immer wieder mit der 23 Fixierung bestimmter Strafen undfester Bußsätze verbunden, etwa wenn „Eideshelfer“
13 ICret IV 3; vgl. etwa COMPARETTI 1893, 22ff. (Nr. 8– 11); SGDI 4963. Siehe auch das etwas Zeugnis ICret IV 65; vgl. bereits HALBHERR 1897, 162ff. (Nr. 1); SGDI 4990. 14
15
spätere
ICret IV 22B; KOERNER Nr. 137; VAN EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 85. Vgl. bereits COMPARETTI 1893, 34f. (Nr. 20); SGDI 4973. Siehe dazu WILLETTS 1955, 216f.: ENGELS 1998, 51ff. 5; vgl. COMPARETTI 1893, 21f. (Nr. 1– 6); SGDI 4962. Siehe neuerdings GAGARIN ICret IV 1,1–
1982, 136; 1986, 138 Anm.52. 88). 16 ICret IV 10c-e; vgl. COMPARETTI 1893, 64 (Nr. 86– 17 ICret IV 13b,2, vgl. g-i mit demKommentar S. 68, ferner 30,4 mit dem Kommentar S.85; VAN 38) und allgemein Sp. EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 1. Vgl. bereits COMPARETTI 1893, 43ff. (Nr. 29– 77; 4981. 345, sowie SGDI 4976– 18
ICret IV 30; KOERNER Nr. 126; VAN EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 68. Vgl. bereits HALBHERR 1897,
227f. (Nr. 31); SGDI 4981; WILLETS 1955, 217. 19
ICret IV 20; KOERNER Nr. 122; VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 37. Vgl. bereits COMPARETTI 1893,
37f. (Nr. 23); 43 (Nr. 28); SGDI 4974. 20
21 22 23
ICret IV 21; KOERNER Nr. 123; VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 38. Vgl. bereits COMPARETTI 1893, 31ff. (Nr. 19) undallgemein Sp. 345; SGDI 4972. IX 24; X 39– XI 23; KOERNER Nr. 169; 174; 180; VAN 54; VII 15– ICret IV 72, Coll. V 9– 49; 51 bzw. 40, jeweils mit Kommentar. Vgl. auch WILLETTS 1955, EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 48– 64ff.; 1965a, 60 u.ö.; 1967 adloc. Vgl. noch ICret IV 9c-g; vgl. bereits COMPARETTI 1893, 69 (Nr. 145); SGDI 4970. ICret IV 4; KOERNER Nr. 117; VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 61. Vgl. bereits ROBERTS Nr. 9e und 13); SGDI 4964. Vgl. MEISTER 1908, 576. Die Ledazu S. 327; COMPARETTI 1893, 24ff. (Nr. 12– sung ist allerdings höchst umstritten. Vgl. zu den„Eideshelfern“generell GAGARIN 1989, 47ff.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
120
und,wiederum ananderer Stelle, „Geschworene“ (?) erwähnt werden24. Vielleicht ging es dabei auch umTötungsdelikte undderen Ahndung25.
Indenmeisten, wennnicht überhaupt inallen Regelungen tauchen immer wieder, leiderinzumeist nicht mehrzurekonstruierenden Kontexten, die Magistrate derStadt auf– 26undinsbesondere derξέν 28undderτίτας29.Zuν derκόσμο ς ιο ςκόσμος27,derγνώμω mindest vereinzelt wird auch dieπ ό λ ιςselbst genannt30, vielleicht auch ihre Unterabtei1 ρ άbezeichnet lungen3 und nicht zuletzt ihre institutionalisierte „ γ ο Öffentlichkeit“–ἀ vielleicht auch in diesem Zusammenhang die Versammlung selbst oder zumindest den öffentlichen zentralen Ortvon (regelmäßigen) Versammlungen, undnach dem„ Großen Code“ „ gibt esandiesem Ortsogar einen eigens reservierten „Stein, vondemman(zum 32. Volk) spricht“ Wie in anderen kretischen und sonstigen griechischen Poleis der archaischen Zeit dieMagistrate bestimmten, offenbar sehr konkreten Normen unterworfen: Einerseits soll derκ μ ό ο σ ςὀἐπ ισ τ ά ς , deresversäumte, dieBuße für ein einzelnes, nicht mehr erkennbares Vergehen in einer Höhe von 50 λ η τ ε ςeinzutreiben, die gleiche Summe έβ selbst schulden3 3–eine Strafvorschrift, die in archaischen Gesetzen geradezu regelmäßig vorkommt. Dieunmittelbar folgende Bestimmung, vondernurnoch derAnfang erhalten ist, legte wahrscheinlich fest, daßgegebenenfalls derτίτ α ςdie Strafe vondembetreffendenκόσ μ ο ςeintreiben mußte, widrigenfalls er selbst wiederum das „Duplum“der Buße zuzahlen hatte34– es läge dann auch hier eine verschärfte Sanktion vor, wie sie sich des öfteren in archaischen Gesetzen gerade über die Vergehen von Magistraten findet: eine
werden
24 ICret IV 8i mit dem Kommentar ad loc., S. 52; vgl. bereits COMPARETTI 1893, 68 (Nr. 132); SGDI 4969. Siehe auchnoch MEISTER 1908, 579. DieLesung ist ebenfalls unsicher. 25 ICret IV 8a-d und9 mit demKommentar S. 52; KOERNER Nr. 118 und119; VANEFFENTERRE/RUZÉ 135) undallgemein Sp. 345. II, Nr. 11 und78. Vgl. bereits COMPARETTI 1893, 68 (Nr. 134– 26 ICret IV 10i; 14g-p,1 (όσ μ ο ςὀἐπ ισ ά τ ); 14g-p,2; 25s; 29. Vgl. auch die etwas späteren Inschrifς ή ιο ten, etwa ICret IV 53. ObderBegriff ἀ α ςin Dreros verρ ν(ICret IV 9a-b, i-l) mit demἀγρέτ γ gleichbar ist, also vielleicht eine Art „Herold“bezeichnete, mußdahingestellt bleiben (so jedenfalls M. GUARDUCCI, in: ICret IV S. 53f. im Anschluß an VANEFFENTERRE 1946, 595f.). Vgl dazu den Abs. DREROS.
27 ICret IV 14g-p,2; 30,4; vgl. bereits SGDI 4979 bzw. 4981. 28 ICret IV 14g-p,2; vgl. bereits SGDI 4979. 29 ICret IV 14g-p,1; 15a-b,2. 30 ICret IV 13e,2 (π ρ ]ο ᾶ ι); vgl. auch 10q* (δ ό γ λ ντ ᾶ ις ιἀ ); g-i,2 ([ἐ ). Siehe dazu auch M. ο ς μ ᾶ ). Consilia, Comitia“ GUARDUCCI, in: ICret IV, S. 32 (zudenBezeichnungen für„ 31 ICret IV 19,3 mit M. GUARDUCCIS Kommentar S. 73; vgl. bereits COMPARETTI 1893, 38(Nr. 27); SGDI 4975; VANEFFENTERRE 1946, 592; LINK 1994; GEHRKE 1997, 35ff.
32 ICret IV 13,g-i,2; 72, Coll. X 33ff.; XI 11ff. Vgl. dazu M. GUARDUCCI, in: ICret IV, S. 32 (zu den Consilia, Comitia“ ); vgl. auch KOERNER Nr. 180; VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Bezeichnungen für „ XI 23; WILLETTS 1955, 107; Nr. 40 und den Kommentar von WILLETTS 1967, S.76 zu X 33– 33
HÖLKESKAMP 1994, 145f.; GEHRKE 1997, 59f. LINK 1994, 116f. unterschätzt die Bedeutung der agora. ICret IV 14g-p,1; KOERNER Nr. 121; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 82. Vgl. bereits COMPARETTI
54); SGDI 4979, und dazu DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1937, 343f.; 50; 51– 1893, 47f.(Nr. 49– 93. Vgl. die Abs. Axos; ELEUTHERNA; ERETRIA u.a. 34 in: ICret IV, S.71 (zu 14g-p,1); siehe die analogen Strafvorschriften ICret IV 78 (= KOERNER Nr. 153; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 16), Z.7f., vgl. 4ff. Vgl auch WILLETTS 1955, 105f.; KOERNER 1987b, 479. GAGARIN 1986, M. GUARDUCCI
2. Die einzelnen
Poleis
121
Sanktion, diewohl die Verbindlichkeit undDurchsetzung des materiellen Gehalts besonders einschärfen sollte.
Andererseits wurde –wiederum ähnlich wieschon inDreros –die Iteration derwichtigsten Ämter innerhalb bestimmter Fristen untersagt: Niemand sollte innerhalb von drei Jahren erneut κ ό μ σ ο ςwerden dürfen, innerhalb vonzehn Jahren γνώ μ ώ νundinnerhalb vonfünf Jahren ξέν ιο ςκόσμος35.ImGegensatz zudemGesetz ausDreros undähnlichen Maßnahmen findet sich hier allerdings keine ausführliche Strafvorschrift gegen denjenigen, dergegen dieVorschrift eines dieser Ämter vorzeitig erneut bekleidete –vielleicht ist sie verloren36. Wieschon beidemerwähnten Gesetz ausDreros lassen sich auch in diesem Fall nur vage Vermutungen über einen etwaigen konkreten Anlaß für die Festlegung dieser Vorschriften anstellen: Ganz allgemein wird mansagen können, daßsie als Indiz für Spannungen innerhalb derGruppe der „ Amtsfähigen“angesehen werden müssen, die durch eine auffällig häufige Bekleidung deroffensichtlich wichtigen unddaher begehrten Ämter durch einen alszueng empfundenen Kreis vonPersonen hervorgerufen oder mindestens verschärft worden sein dürften. Darüber hinaus könnte in diesem Falle auch noch eine Rolle gespielt haben, daßderdirekte undwomöglich kontinuierliche Wechsel derselben Person zwischen diesen drei verschiedenen Ämtern erschwert werden sollte. Auchwenn 7, dies nicht mehr als eine Mutmaßung sein kann3 so ist es doch immerhin denkbar, daß hierin einer derkonkreten Gründe für die Festsetzung einer jeweils anderen, mindestens aberdreijährigen Frist fürdieWiederbekleidung jeder einzelnen derdrei Funktionen lag.
Aufeiner anderen wichtigen Ebene lassen diese Vorschriften jedoch klare undeindeutige Schlußfolgerungen zu: Beide Normen –sowohl die Strafandrohung gegen den pflichtvergessenen κ μ ο ό σ ςals auch die Beschränkung der Möglichkeit der Iteration – setzen eine institutionelle Struktur derMagistraturen in Gortyn voraus, die schon im (frühen) 6. Jahrhundert hinsichtlich derBegriffe und„Amtsbezeichnungen“sowie derFunktionen dereinzelnen Amtsinhaber außerordentlich differenziert gewesen sein muß. Darüber hinaus sind gerade Iterationsfristen überhaupt erst möglich geworden, als bereits sowohl eine zeitliche Begrenzung der betreffenden Magistratur (offenbar die Annuität) galt als auch wenigstens rudimentär entwickelte formale Regeln einer Bestellung der wechselnden Inhaber ausgebildet waren. Undnicht zuletzt könnten diegenau festgesetztenAbstufungen dieser Fristen auch noch dafür sprechen, daßmanexplizit Unterschiede inRangundBedeutung dereinzelnen Magistraturen derPolis machen wollte. Auchhinsichtlich derkonkreten Funktionen dieser einzelnen Magistraturen wird, wie gesagt, der fortgeschrittene Differenzierungsgrad zumindest des Ämterwesens noch durchaus deutlich. Nicht nur ist der κ μ ο ό σ ςhier –wie auch sonst in Kreta –ganz allge-
54); SGDI 4979. Vgl dazu M. 1893, 48 (Nr. 51– loc.; VAN EFFENTERRE 1948, 32f.; WILLETTS 1955, 106; GAGARIN 1986, 93f.; KOERNER 1987b, 455f. Siehe auch den Abs. DREROS. 36 Ziemlich unklar hier KOERNER 1987b, 455. Vgl. zur Sache denAbs. DREROS. 37 Vgl. dazumitRecht KOERNER 1987b, 456f. gegen diewenig überzeugenden Erklärungsversuche von WILLETTS 1955, 107, derdafür ein angeblich geringes Prestige dereinen oder anderen Magistratur
35 ICret IV 14g-p,2; vgl. bereits
COMPARETTI
GUARDUCCI, in: ICret IV S. 71 ad
desKreises derzu einer Kandidatur berechtigten Personen anführt; vgl. auch LINK 1994, 106ff.; GEHRKE 1997, 57. und/oder einen unterschiedlichen Umfang
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
122
mein, umfassend undungeschieden „ dashöchste Amt“ 38.Ähnlich wie in Dreros hat der Inhaber bzw. haben die Inhaber dieses (sicherlich auch hier mehrstelligen) Amtes offenbarzumindest eine bestimmte, gewissermaßen positiv definierte Funktion, nämlich in der Rechtsprechung: Derκ ό μ σ ο ς- alsKollektiv oder als einzelnes Mitglied dieses Kollektivs –hatte zumindest dieFunktion derDurchsetzung undVollstreckung vonUrteilen39. Übrigens wäre derProzeß derDifferenzierung undKonsolidierung konkreter Funkμ tionen desκ ό ο σ ςumsoweiter fortgeschritten, wennin demverlorenen Teil derKlausel mit der Strafandrohung ausdrücklich eine besondere Art von Prozessen oder eine bestimmte Gruppe vonRechtsfällen genannt gewesen sein sollte, in denen er zurVollstrekkungeines Urteils verpflichtet war–wieimgroßen „Code vonGortyn“ μ ο ς , woderκόσ explizit nurmitFällen befaßt war, indenen die Erben (ἐ ά λ ν λ τ ε ο ) sich anihnwandς ιβ π ten, wenn eine Erbin einen anderen Mannals denjenigen Verwandten, der„vorgeschrieben“ war, geheiratet hatte40. Vielleicht istsoauchdieApposition ὀἐπ μ ά ισ τ ο ςzu όσ ςin diesem Zusammenhang zuerklären: DieStrafandrohung richtete sich genau gegen denmit 41. dieser bestimmten Rechtsangelegenheit betrauten κόσμ ος Auchderξέν ιο ςκόσ μ ο ςhatte –wieindiesem konkreten Fall die „Amtsbezeichnung“ selbst schon eindeutig erkennen läßt –ganz spezifische Aufgaben, zu denen wiederum (wenigstens unter anderem) „ judikative“Funktionen imweitesten Sinne gehört zu haben scheinen42: Er war für die „ Fremden“unddie Freigelassenen43 zuständig –also für alle diejenigen, dienicht zurPolisgemeinschaft gehörten. Obderξ ο μ ςMitglied des ν ιο έ ςκόσ κ μ ο ό ςalsKollektiv war,wiezumeist angenommen wird44, oder ob er als „Einzelbeamσ 5, ter“ sogar außerhalb des eigentlichen Kollegiums stand4 wird sich mitletzter Sicherheit nicht entscheiden lassen –wenn der „ Fremdenkosmos“jedoch tatsächlich ein auf wenige ο μ ς ό σ bestimmte Aufgaben spezialisierter Funktionsträger außerhalb des eigentlichen κ gewesen sein sollte, wäredies einIndiz füreine weitere Stufe imProzeß derfunktionalen Ausdifferenzierung derMagistratur in Gortyn.
38 Vgl. dazu generell 39
40
BUSOLT/SWOBODA 1926, 747ff.; VANEFFENTERRE 1948, 100f.; WILLETTS 1955, 103ff. u.ö.; LINK 1994, 97ff.; GEHRKE 1997, 56f. Vgl. etwa DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1937, 343f.; GAGARIN 1986, 94; vgl. 84f. Siehe ferner in ο ι μ ό σ dieser Hinsicht WILLETTS 1955, 205; 1967, 32, der allerdings anscheinend glaubt, daß die κ geerbt“hätten. diese Funktion (wie auchdiemilitärische Führung) vondenKönigen gewissermaßen „ , sondern nur „vollstreckende“ Nach KOERNER 1987b, 478f. hätten die κ μ ο ιkeine „richterlichen“ ό σ
Zuständigkeiten gehabt. ICret IV 72, Coll. VIII 53– IX 1; vgl. KOERNER Nr. 174 (hier S. 534ff.) unddenKommentar WILLETTS 1967, S. 73 ad loc., sowie S. 32; vgl. bereits BUSOLT/SWOBODA 1926, 749. Vgl. dazu M. GUARDUCCI, in: ICret IV, S. 70; WILLETTS 1955, 105; KOERNER 1987b, 478f.
41 42 Vgl. nur etwa BUSOLT 1920, 487; 542; GEHRKE
BUSOLT/SWOBODA 1926,
von
749; LINK 1994, 29; 59f.;
1997, 56ff.
43 ICret IV 78, Z.4, sowie 1ff.; vgl. KOERNER Nr. 153; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 16 undbereits COMPARETTI
1893, 73 (Nr. 148); SGDI 4982; KOHLER/ZIEBARTH 1912, 33 (Nr. 1), außerdem ICret
IV 79 (= KOERNER Nr. 154; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 30), Z.15, sowie 12ff.; vgl.
bereits
1893, 84ff. (Nr. 150); SGDI 4984. Siehe dazu etwa BUSOLT 1920, 291; WILLETTS 1955, 107; 109f. 44 Vgl. etwa RIJG, S. 429f.; BUSOLT/SWOBODA 1926, 749. 45 So neuerdings KOERNER 1987b, 455f. COMPARETTI
2. Die einzelnen
Poleis
123
α Auch dem τίτ ς–vermutlich ebenfalls bereits eine mehrstellige Institution, wie aus nurwenig später zu datierenden Zeugnissen hervorgeht46 –wird in dieser Vorschrift explizit eine definierte Aufgabe übertragen, deren Vernachlässigung wiederum unter Strafe gestellt, wahrscheinlich also mitBußen geahndet worden zusein scheint: Sie haben die Bußen von denjenigen κ μ ο ό ιeinzutreiben, die ihrerseits ihrer Pflicht der Auferlegung σ undEintreibung einer Buße in bestimmten Fällen nicht nachgekommen waren4 7 –eine Funktion desτ ίτ α ι, diesich in praktisch identischer Form, undzwar einςbzw. derτίτα schließlich derAndrohung einer Strafe fürihre eigene Nachlässigkeit, auch in denbereits erwähnten späteren Dokumenten findet48. Auch dieses Amt wird dabei offensichtlich als feste Einrichtung der Polis, wahrscheinlich auch schon mitbestimmten konkreten Funktionen, bereits vorausgesetzt. Das gilt zumindest grundsätzlich auch unabhängig von der Frage, ob man sie auf dieser Grundlage ganz allgemein als „ Finanzbehörde“bezeichnen kann, deren Funktion auch in Aufsichts-“und der „Strafeintreibung“bestand49, oder ihnen sogar ein umfassendes „ Disziplinierungsrecht gegenüber demκ μ ό ο σ ςzuschreiben darf5 0. μ ν , die sonst in ω ν ώ Schließlich gab es auch eine Institution mit der Bezeichnung γ 1. Gortyn nicht bezeugt ist5 Man wird dieses Amt wohl nicht ohne weiteres mit dem μ ν ά μ ω νgleichsetzen dürfen5 2, dernach demgroßen „Code“einem δικασ ά τ ςoder dem ο μ ςbei Gerichtsverfahren und ähnlichen Funktionen als „Sekretär“zugeteilt ςκόσ ιο ν έ ξ 3 ο μ ) assiγ ς ό ρ ό σ ς(κ ο war5 unddernach einem sehr viel späteren Zeugnis auch demἱερ stierte54. Denn dessen Funktionen als „ Erinnerer“ , „recorder“und„Archivar“scheinen, trotz ihrer Wichtigkeit in anderen Poleis, hier doch nicht bedeutend genug gewesen sein, umein Verbot derIteration dieses Amtes innerhalb von zehn Jahren zu rechtfertigen – μ ω νmußvielmehr ein μ ο ό σ ςnurdrei Jahre. Derγνώ immerhin betrug dieFrist für denκ – vielleicht eben doch als Mitglied wichtiger und einflußreicher Magistrat gewesen sein ε ύ desκόσμ ςin Erythrai, derals „Schreiber“und„Sekretär“der ο ς , wieja auchderγραφ obersten Behörde“offenbar selbst angehörte: Bezeichnenderweise durfte dieses Amt „ ebenfalls erst nach Ablauf vonzehnJahren erneut bekleidet werden55.
46 Vgl. M.GUARDUCCI, in: ICret IV, S. 70 unter Hinweis auf ICret IV 78, Z.5 und 79, Z.20. Vgl. auch WILLETTS 1955, 105; KOERNER 1987b, 479. 47 Vgl. KOERNER 1987b, 479. 48 ICret IV 78, Z.4ff.; 79, Z.16ff.; LINK 1994, 98; GEHRKE 1997, 57f. 49 So KOERNER 1987b, 479; 483. 50
51
So etwa DEMARGNE/VAN EFFENTERRE 1937, 346f. mit Anm. 6; WILLETTS 1955, 105f., der sie – ohne daß dies belegt wäre –für Beauftragte des Rats hält. ε ν ςals Zeugen bei Grundμ ο Die Erwähnung der ἐπ ν ε μ ο ςin Athen (Lys. 7,25) undderγνώ ν ώ ιγ stücksverkäufen in Iasos (Syll.3169, Z.52 aus dem4. Jh.) bietet kaum sachlich bedeutsame Paralle-
len. 52
53
54 55
So etwa M. GUARDUCCI, in: ICret, S. 71; WILLETTS 1955, 107, dagegen KOERNER 1987b, 456; RUZÉ 1988, 85f. ICret IV 72, Coll. IX 32; XI 16; 53 mit demKommentar von WILLETTS 1967, 74 zu IX 32; vgl. außerdem ICret IV 42, Z.5f. unddazu LATTE 1920, 30 mitAnm.4; RUZÉ 1988, 84f. ICret IV 260, Z.5. IvErythrai 17; KOERNER Nr. 77; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 85. Vgl. bereits M. GUARDUCCI, in: ICret IV, S. 71. Vgl. auch KOERNER 1987b, 456 Anm.37; 458; GEHRKE 1997, 58.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
124
An dieser Stelle lassen sich bereits mehrere allgemeine Ergebnisse festhalten: Selbst diefragmentarischen Reste derfrühesten Inschriften aus Gortyn indizieren, daßnicht nur diewesentliche strukturelle Voraussetzung jeder Gesetzgebung, nämlich ein Mindestmaß anKonsolidierung von Institutionen undformalen Verfahren derEntscheidung über und derDurchsetzung von Gesetzen, bereits in hohem Maße gegeben war. Darüber hinaus verraten wenigstens einige dieser Fragmente56 eine bereits durchaus differenzierte Rechtssprache“undinsbesondere eine ausführliche Genauigkeit der Klauseln und Vor„ schriften –manche belegen eine schon geradezu ausgefeilte „ Technik“derFormulierung vonNormen. Diese relativ hochentwickelte Präzision, ja Raffinesse der „ Gesetzgebungstechnik“ manifestierte sich, so weit wir überhaupt sehen können, allerdings ausschließlich in einzelnen Maßnahmen, die sich auf konkrete Gegenstände bezogen unddiese dabei präzise definierten und eng umschrieben. Auch vor der großen Inschrift aus der Mitte des 5. Jahrhunderts gibt es mithin keinerlei Anzeichen für den Versuch einer allgemeinen , obwohl doch allem Anschein nach diewesentlichen institutionellen und Kodifizierung“ „ formalen Bedingungen in besonderem Maße gegeben waren. Vielleicht war die soeben charakterisierte konkrete „ Technik“selbst dem(ja ziemlich abstrakten) Ziel einer umfassenden undsystematischen „ Gesetzgebung“sogar fremd. Diese allgemeinen Eindrücke werden nicht nur durch weitere, an anderen Orten in Gortyn gefundene undauchnochindas6. Jahrhundert zudatierende Dokumente zu sehr verschiedenen Gegenständen bestätigt57: Es handelt sich dabei umdie äußerst fragmentarischen Reste vonVorschriften, diesich auf die Freilassung vonSklaven bezogen zuhabenscheinen undin denen auch wieder derκόσ μ ο ςgenannt wird58; ferner umeine Vereinbarung „ derGortynier“mitdenΛ ε ν εβ α ίο ι, dievielleicht denSatzungen über die gegenseitigen Rechte undPflichten derPolis einerseits undfremder „ Spezialisten“andererseits entspricht, etwadenDekreten ausAxos undEleutherna oder auch demsogenannten 9; Spensithios-Dekret5 und schließlich umein möglicherweise ähnliches Dekret, das einer τέ λ ε ια bestimmten Person die ἀ , einen dem „Vollbürger“entsprechenden Rechtsstatus undweitere besondere Privilegien übertrug60.
Auch die erheblich umfangreicheren Reste von Gesetzesinschriften auf der „NordundOstmauer“anderAgora, die allerdings schon in das (frühe) 5. Jahrhundert gehören 1, dürften6 passen zudemoben skizzierten Bild –nicht zuletzt auch jenes Dokument, von demimmerhin sieben Kolumnen mit detaillierten Rechtstexten erhalten sind unddas häu-
8, wohl auch 4; 6 und 7– 56 Vgl. unter diesem Aspekt noch einmal ICret IV 13g-i; 14g-p,1 und 2; 21,5– 4. Siehe dazu allgemein HÖLKESKAMP 1994, 151ff.; GEHRKE 1995, 17. g; 30,1– 9c– 57 Vgl. JEFFERY 1961/1990, 315 (Nr. 3), vgl. 55; 313. 58
ICret IV 62; KOERNER Nr. 144; VAN EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 3. Vgl. bereits HALBHERR 1897,
59
ICret IV 63 mit M. GUARDUCCIS Kommentar S. 118 (zuZ.5) unter Hinweis auf ICret II v,1 (Axos) bzw. II xii,9 (Eleutherna); VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 59. Vgl. auch die Abs. Axos;
166f. (Nr. 2).
ELEUTHERNA.
60
61
ICret IV 64 mit dem Kommentar von M. GUARDUCCI S. 119f.; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 8. JEFFERY 1961/1990, 315 (Nr. 4) zu ICret IV 41– 51; vgl. auch M. GUARDUCCI, in: ICret IV, S. 40. Vgl. zurAgora unddiesen Mauern etwa M. GUARDUCCI, in: ICret IV, S. 7ff.; 87ff., ferner generell MARTIN 1951, 229ff.
2. Dieeinzelnen Poleis
125
Code“von Gortyn bezeichnet worden ist62. Die Inschrift enthält wieüber eine Reihe sehr konkreter, eng definierter Gegenstände –undauch in diesem Fall hängen diese Regelungen allem Anschein nach kaum miteinander zusammen und sind überhaupt nicht systematisch aufeinander bezogen: In derersten erhaltenen Kolumne geht es umVerletzungen undSchäden, die von Tieren verursacht wurden, was wenigstens bedingt mit Solons Gesetz über die 3: β λ η β ά τε τρ α π ό δ ω ν vergleichbar sein könnte6 Bis infeine Details werden die aus derartigen Schäden entstehenden Ansprüche unddie zulässigen Verfahren ihrer Anmeldung undDurchsetzung festgelegt64. Sodann finden sich Regelungen über Entschädigungsansprüche bei Nichtrückgabe geliehener oder sonstwie überlassener Tiere65; über denVerkauf flüchtiger Sklaven –oder genauer: die spezifischen Fälle, in denen ein solcher Verkauf nicht oder nicht sofort möglich sein sollte, etwa wenn es sich umdenSklaven eines κόσ μ ο ςhandelte6 6; ferner über Rechte undPflichten des Gläubigers undseines in Knechtschaft geratenen Schuldners – insbesondere für den Fall, daß dieser einem Dritten Unrecht tat und dementsprechend Entschädigung leisten mußte, undfürdenweiteren Fall, daßumgekehrt derSchuldknecht als Geschädigter Entschädigungsansprüche hatte6 7. Auch hier besteht der gemeinsame Nenner offenbar nicht in den thematisierten Rechtsgegenständen, sondern eher in derpeniblen Genauigkeit undden genau fixierten Abstufungen, mitdenen einerseits die (an die Polis zu zahlenden) Bußen und die etwa 8 einem Geschädigten zustehenden Entschädigungen in ihrer Art undHöhe6 und andererseits dieprozeßrechtlichen Einzelregelungen, diederFeststellung undDurchsetzung dieser Ansprüche (vor allem im Fall ihrer Strittigkeit) bzw. der Eintreibung der Summen 9. dienten, festgelegt werden6 Derkonkrete Charakter der geregelten Gegenstände einerseits und die dementsprechende Präzision derBestimmungen, Straf- undVerfahrensvorschriften andererseits sind schließlich auch das gemeinsame Merkmal der anderen Inschriften aus dem gleichen 0, Fundzusammenhang undauch vonanderen Stellen in Gortyn7 die ebenfalls eine sehr
fig als der „zweite
derum geradezu peinlich genaue Vorschriften
128; VAN 62 ICret IV 41 mit M. GUARDUCCIS Kommentar S. 93ff.; KOERNER Nr. 127– EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr.65, jeweils mit Kommentar undweiteren Nachweisen, auch zumFolgenden. Vgl. bereits COMPARETTI 1893, 249ff. (Nr. 152); RIJG I, S. 392ff. (Nr. XVIII) mit demKommentar S. 484ff.; KOHLER/ZIEBARTH 1912, 28ff. (Nr. 1); SGDI 4998; DGE 181. Vgl. außerdem WILLETTS 1955, 4; 217ff. u.ö.; GAGARIN 1986, 138 mit Anm.52; DAVIES 1996, 35f.; 46f. 63 Plut.Solon 24,3 (= RUSCHENBUSCH 1966, F 35). II 17 mit demKommentar von M.GUARDUCCI S. 93ff. ad loc.; vgl. auch 64 ICret IV 41, Coll. I 1– RIJG I, S. 484f.; WILLETTS 1955, 217f. 17 mit M. GUARDUCCIS Kommentar S. 95 ad loc.; vgl. bereits RIJG I, 65 ICret IV 41, Col. III 7– S.485f. 17 mit M. GUARDUCCIS Kommentar S. 96 adloc.; vgl. auch RIJG I, S. 66 ICret IV 41, Col. IV 6– 486f.; WILLETTS 1955, 50. 16 mit M. GUARDUCCIS Kommentar S. 97 ad loc.; vgl. bereits 17; VI 2– 67 ICret IV 41, Coll. V 4– RIJG I, S. 487f. 68 Vgl. nurICret IV 41, Coll. II 2ff.; IV 2f.; V 1ff.; VI 4ff.; VII 5ff. 69 Vgl. nur ICret IV 41, Coll. III 14ff.; IV 14ff.; V 1; 7ff.; VI 4ff. 50 unberück70 Vgl. JEFFERY 1961/1990, 315 (Nr. 4), wobei die unverständlichen Reste ICret IV 48– 61 –teilweise aufgenomsichtigt bleiben. Dieebda. unter Nr.5 angeführten Fragmente ICret IV 52– 71, menvon KOERNER (Nr. 140ff.) undVANEFFENTERRE/RUZÉ (I, Nr.3; 15; II, Nr.21; 90) und65–
126
III.Gesetzgeber
undGesetze: Daten undAnalysen
große Spannweite vonGegenständen thematisieren: Neben Vorschriften über die genaue Höhe von Bußen und Entschädigungen bei unrechtmäßiger Pfändung vor allem von 1, Sklaven undSklavinnen undfürdiediesen selbst dabei zugefügten Schäden7 über Wasserr echte anFlußläufen72 undüber Grund undBoden der Polis, der zwar zur Nutzung 3, freigegeben war, aber nicht verkauft oder verpfändet werden durfte7 finden sich detaillierte Regelungen überLeichenzüge, diebeiFehlen eines „ μ ο öffentlichen Weges“(δ α σ ία ) auch über Privatgrund geführt werden durften –natürlich wiederum einschließlich ό δ ς ὀ einschlägiger Strafvorschriften beiVerstößen unterschiedlicher Art74. Mehrere, voneinanderunabhängige Texte enthalten verfahrensrechtliche Vorschriften7 5 –einerseits, bei Prozessen über strittige Grundstücksgrenzen, hinsichtlich der dabei einzuhaltenden Fristen, derEide des Richters undder Sanktionen gegen ihn bei Versäumnissen7 6 undandererseits, ineinem nicht mehr zurekonstruierenden Zusammenhang, hinsichtlich des Sohnes unddermännlichen Agnaten desRichters als„Eideshelfern“77.
Einige andere Einzelregelungen betreffen anscheinend unmittelbar oder berühren zumindest diejenigen Rechtsmaterien, dieauch in demerwähnten „ zweiten Code“bzw. in dereigentlichen „großen Kodifikation“auf dieeine oder andere Weise thematisiert wurden: Gemeint sind damit vor allem jene wiederum sehr eingehenden prozeßrechtlichen undsonstigen Vorschriften, die solche Schäden unddie daraus resultierenden Kompensationsansprüche betrafen, indie(etwa als Pfänder überlassene) Sklaven undSklavinnen entweder als Schädiger oder als Geschädigte verwickelt waren unddie erst im gerichtlichen Streit zwischen ihrem ursprünglichen Besitzer, der sie verpfändet hatte, unddem
dieetwaindie gleiche Zeit gehören, lassen wegen ihres schlechten Erhaltungszustands kaum detaillierte Schlußfolgerungen überihren Inhalt zu–siescheinen auchnichts Neues zubieten. 71
72
131; VAN ICret IV 43Aa-b, mit M. GUARDUCCIS Kommentar S. 101; KOERNER Nr. 130– EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 70, jeweils mit weiteren Nachweisen. Vgl. bereits RIJG I, S. 401f., Col. I; vgl. 491; KOHLER/ZIEBARTH 1912, 38f. (Nr. 8 I); WILLETTS 1955, 220 mit Anm. 1; DAVIES 1996, 50f. Auch die nursehr fragmentarisch erhaltene Inschrift ICret IV 45B scheint sich auf Pfändung(vonLand?) zubeziehen. ICret IV 43 Bb mit M. GUARDUCCIS Kommentar S. 102; KOERNER Nr. 133; VAN EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 70, mit weiteren Nachweisen. Vgl. bereits COMPARETTI 1893, 295ff. (Nr.
154, Col. II); RIJG I, S. 402f.(Col. II 2), vgl. 492; SGDI 5000 IIb; KOHLER/ZIEBARTH 1912, 39 (Nr. 8 IIb). Vgl. generell, auch zumFolgenden, GAGARIN 1982, 136f. 73 ICret IV 43Ba mit M. GUARDUCCIS Kommentar S. 101f.; KOERNER Nr. 132; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 47, mit weiteren Nachweisen. Vgl. bereits COMPARETTI 1893, 295ff. (Nr. 154, Col. II); RIJG I, S.402f. (Col. II 1); vgl. 492; SGDI 5000 IIa; KOHLER/ZIEBARTH 1912, 38f. (Nr. 8 IIa); SEG 29 (1979) 825. 137; VAN 74 ICret IV 46B mit M. GUARDUCCIS Kommentar S. 46f.; KOERNER Nr. 136– EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 85, mit weiteren Nachweisen. Vgl. bereits KOHLER/ZIEBARTH 1912, 35 (Nr. 4). 75 So anscheinend auch ICret IV 45B (= KOERNER Nr. 135), Z.5ff. 76 ICret IV 42B; KOERNER Nr. 129; VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 5, mit weiteren Nachweisen. Vgl. bereits COMPARETTI 1893, 287ff. (Nr. 153); RIJG I, S. 399f.; KOHLER/ZIEBARTH 1912, 32 (Nr. 2). Siehe dazu auch LATTE 1920, 30; WILLETTS 1955, 219 mitAnm.5; KOERNER 1987b, 491. 77 ICret IV 51 mit M. GUARDUCCIS Kommentar S. 109ff.; KOERNER Nr. 139; VAN EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr.13 mitweiteren Nachweisen. Vgl. bereits KOHLER/ZIEBARTH 1912, 35f. (Nr. 5) unddazuetwaLATTE 1920, 31; GAGARIN 1989, 47ff.
2. Dieeinzelnen Poleis
127
8.
„ Pfandgläubiger“entschieden werden mußten7 Und schließlich liegt auch noch das Fragment einer erb- undfamilienrechtlichen Regelung vor, in demdie Erbtochter (π α ο ιο κ ο ) gleich zweimal genannt wird–einmal vermutlich in einer Definition der„Erbτρ ς tochter“ , diewörtlich mitderjenigen im„großen Code“übereinstimmen dürfte7 9. Es scheint demnach so, als ob nicht einmal aufjenen großen Rechtsgebieten, die in denbeiden erhaltenen „Codes“nachallem, waswirwissen, denbreitesten Raum einnahmen, diese „Kodifikationen“wirklich umfassend oder gar erschöpfend das „geltende Recht“enthielten: Sowohl auf demGebiet des Adoptions- undErbrechts, insbesondere hinsichtlich der Erbtochter, als auch auf dem Sektor des Vermögens-, Pfand- und Schadensrechts unddenjeweils darauf bezogenen prozeßrechtlichen Regelungen, die ja den überwiegenden Teil des großen „ Rechts von Gortyn“respektive des sogenannten „ zweiten Codes“ausmachen80, scheint es eine gewisse, womöglich sogar erhebliche Anzahl vonbesonderen, von den „Codes“selbst unabhängigen Einzelgesetzen zu spezifischen Fällen undProblemen gegeben zuhaben. Selbst die erwähnten Gesetze älteren Datums, die in eben diese Gebiete fielen, wurdenoffenbar keineswegs in die „Codes“aufgenommen: Manhatnicht einmal die sachlichenErgänzungen zueinzelnen Bestimmungen, dietatsächlich in diegroße Inschrift hineingenommen wurden, systematisch indenText integriert: Diese Zusätze –unter anderem finden sich in einer einigermaßen willwiederum überdieErbtochter undihrVermögen – 1. kürlichen Reihenfolge amEndederelften bzw.inderzwölften undletzten Kolumne8 Beide „Codes“enthalten denn auch auffallend zahlreiche Verweise auf Regelungen undVorschriften, dieselbst überhaupt nicht indenTexten vorkamen –auchnicht, wie die 2. Formulierungen nahelegen, in den verlorenen Teilen8 Solche Verweise beziehen sich wiederum nicht nur auf anderswo festgelegte Strafsätze, Bußen undÄhnliches, sowie anscheinend auf Verfahrensregeln83, sondern unter anderem84 auch auf anderweitig festgelegte Regelungen über Schenkungen undhinsichtlich desErbrechts –undbeide Gebiete 85. sindja, wiegesagt, zentrale Gegenstände desgroßen „Codes“ ICret IV 47 mit M. GUARDUCCIS Kommentar S. 107; KOERNER Nr. 138; VAN EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 26 mitweiteren Nachweisen Vgl. bereits etwa DGE 182; KOHLER/ZIEBARTH 1912, 34f. (Nr. 3): Siehe andererseits ICret IV 41, Coll. V undVI. 79 ICret IV 44 mit M. GUARDUCCIS Kommentar S. 103; KOERNER Nr. 134; VAN EFFENTERRE/RUZÉ : ICret IV 72, Coll. VII 15– II, Nr. 50, mit weiteren Nachweisen. Vgl. andererseits den„großen Code“ IX 24 passim, mit demKommentar von WILLETTS 1967, 70ff. adloc. ICret IV 44, Z.13 ist fast siδελ π ιό ςἐ ρ ό ςτο οπ ςzuergänzen –vgl. dieDefinition ICret IV 72, Col. VIII 40ff. α τ ὐ α τ cherzuἀ 16; vorsichtiger allerdings VAN mit dem Kommentar von WILLETTS 1967, 71 zu VII 15– EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 50. 80 ICret IV 72, Coll. V 9– 54; VII 15– 19 bzw. ICret IV 41 passim. Vgl. generell bereits IX 24; XII 6– COMPARETTI 1893, 255f., ferner WILLETTS 1967, 18ff.; 23ff.; 30ff.; LINK 1994, 53ff.; 67ff. III 16); XII 1ff. 81 ICret IV 72, Coll. XI 24f. (zu Col. I 1ff.); XI 31ff. (zuIX 24ff.); XI 46ff. (zu II 45– IX 24). Vgl. dazu die Kommentare von COMPARETTI (zuX 14ff. sowie III 20ff.); XII 6ff. (zuVII 15– XII 1893, 236ff.; M. GUARDUCCI, in: ICret IV, S. 72ff. undWILLETTS 1967, 78ff. (zu Coll. XI 24– 166; 167 und 174; VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 176 bzw. 165– 19), sowie KOERNER Nr. 163; 175– 33 mit53; 51 (mit anderen Einteilungen). 6; 45 bzw. 30 und16; 32– 24); VAN 82 Vgl. dazu generell COMPARETTI 1893, 258; WILLETTS 1967, 61 (zu Col. III 20– EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 32. 83 Vgl. etwa ICret IV 41, Col. VII 11; ferner IV 72, Coll. I 46; 55 sowie VI 31; IX 24; XI 26ff. 84 Vgl. etwa auchnochICret IV 41, Coll. I 11; II 6, ferner ICret IV 72, Col. IV 11und30f. Siehe dazu M. GUARDUCCI, in: ICret IV, S. 72. 85 ICret IV 72, Coll. III 20f.; 29f.; IV 45f.; 48; X 44f. 78
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
128
Diesbelegt nocheinmal diemehrfach angedeutete allgemeine Schlußfolgerung: Die in Gortyn ohne Zweifel schon um500 hochentwickelte „ Technik“der Gesetzgebung mit ihren peinlich genauen Formulierungen, detaillierten Normen undRegelungen vieler Einzelfälle und(zuweilen sogar ziemlich abwegig erscheinender) Abweichungen von der Regel realisierte sich gerade nicht in einer umfassend-systematisierenden Kodifizierung des geltenden Rechts an sich: Auch in Gortyn scheint es eine derartige Gesetzgebung zweite Code“ernicht gegeben zuhaben. Selbst der„ große Code“unddersogenannte „ scheinen vonCharakter, Anlage undStruktur herals Sammlungen von Einzelgesetzen zu eingegrenzten Gegenständen. HIMERA
Wie in den anderen chalkidischen Kolonien in Unteritalien und auf Sizilien1 sollen nachallgemeiner Ansicht auchin dieser Polis, deramweitesten nach Westen vorgescho-
benen undrelativ isoliert gelegenen griechischen Siedlung an der Nordküste Siziliens2, dieGesetze desCharondas vonKatane gegolten haben3 . Diese Vermutung kannsich allerdings nicht auf zuverlässige undeindeutige Zeugnissestützen. Dereinzige direkte Hinweis scheint eine ziemlich obskure Notiz in denPythagoras-Viten des Iamblichos unddes Porphyrios zusein, die erst im dritten nachchristlichenJahrhundert entstanden sind, wenn sie auch wohl auf demgleichnamigen Werk des Aristoxenos basieren dürften4. Tatsächlich scheint die Tradition über die „ Gesetzgebung“des Charondas älter zu sein: Schon für Platon warCharondas ganz allgemein derν η ςfür viele Poleis in μ ο θ έ τ ο Italien undSizilien5, undbei Aristoteles heißt es dann noch genauer, daßCharondas aus Katane für die Bürger seiner eigenen Stadt undfür die anderen chalkidischen Städte in Italien undSizilien alsNomothet fungierte6.
1
Vgl. allgemein BUSOLT 1920, 377; BONNER/SMITH 1930, 69f.; STAUFFENBERG 1963, 103; ROEBUCK 1980, 1923; PICCIRILLI 1981a, 8; GRAHAM 1982, 191; LESCHHORN 1984, 48ff.; 290 FISCHER-HANSEN 1996, mit weiteren Nachweisen. Siehe Thuk. 6,3ff. und Ps.-Skymn. 283– υ ίο αῬηγ ιντ νθ έ σ σ ὴ υ ε τ (GGMI, pp.207f.): Μ ὰ , ἡτ ᾽ἔχο τα ις λ ό ῦ ιπ ο τ α δ ῖν τ ν ο ά ε ξ ο υΛ ὸΝ π ᾽ἀ . ν α λ λ ίπ ο λ ιςἔσ ,Κ χ ία η ικ ο ν ,Κ π α τά η ,ἐ ᾽ἀ π ὶτ ν ο α λ ῦδ μ π έρ η ρ ο ὲπ θ τ ῆ ο ῦκειμ ν ε έ λ ςΣ ικ ία , Ζάγκ ς α ι, εἶθ ν α ρ μ ε έ ύ ο λ α νἐπ ᾽Ἱμ ικ α η σ θ ίσ κ λ ινδ ά π α νδ λ ω ύ α ύ ικατῳ τ κ οπ ο ὶΜ ια ὸτού ό λ π ε ιςΕὔβ ᾽ἀ μ έ ν κ α ρ ιο . Vgl. Abs. KATANE; ὶ Τα ο νἐχομέν ις υ ε λ ό η . εἰσ ιπ α τ ναὗ έ ω ὶνδ κ α ιδ ὲπ ᾶ ι Χα σ λ
2
Vgl. zur Lage undTopographie Himeras Thuk. 6,62,2; 7,58,2 unddazu GOMME/ANDREWES/DOVER adloc.; ZIEGLER 1913, 1614f.; VALLET 1958, 85ff.; 1978/1996, 126; 135f.; N. BONACASA in: STILLWELL et al. 1976, 393.; MARTIN et al. 1980, 573ff.; BARETTA 1983, 308ff.; BERGQUIST 1992, 111f.; FISCHER-HANSEN 1996, 339ff. mit weiteren Nachweisen. DARESTE 1902, 18; BONNER/SMITH 1930, 70; DUNBABIN 1948, 68; 75; VALLET 1958, 316 u.ö.; GRAHAM 1964/1983, 18; ROEBUCK 1980, 1928; CAMASSA 1996, 566. α ὶ ρ ινκ β α ύ α ὶΣ ακ ν ρ ό ω τ Frg.17WEHRLI (= Porphyr.vita Pyth.21; vgl. Iambl.vita Pyth.33):... Κ ὶ ,α α ἷςκ ά ς ςτιν α λ α ὶἄλ ν ιο έ νκ ὶΤαυρομ η α νκ α ὶῬ Κ α τά ν τ ακ ν α α νκ γ α νκ ὶἈκράγα ιο ὶἹμέρ ή . λ τ ,κ ῦ ο ρ κ ο ο τ ῦΛ υ ο κ μ ο υ ύ ν ό ε ςἔθ λ ε τ οδ α ρ ώ ν ιὰ Χ α δ α ὶΖ α τ υκ ίο ετ α ν α ο τ α ῦΚ Rep.599E; auchTheodoret. Graec.affect.cur. 9,8. ὶ α ιςκ α ίτ λ ο ῦπ ο τ α ν ῖο ῖςαὑ ςτο α τ α 24: νομ α ςὁΚ δ ν Pol. 1274a23– ο α θ ὶΧαρώ έ τ α ιδ ... κ ν τ ο ᾽ἐγένο . ν ία λ ε ικ α ὶΣ κ ν ία λ α ῖςΧ τ α κ ιδ ῖςἄ ιςτ ρ ὶἸτα α λ α ικ λ λ α ῖςπ ε ῖςπ ιτα λ σ ε ό
KROTON; NAXOS; RHEGION; ZANKLE.
3
4
5 6
2. Die einzelnen Poleis
129
Inwieweit diese allgemeinen Bemerkungen eine auf direkter Erinnerung bzw. Kenntnis beruhende authentische Tradition widerspiegeln, ist natürlich nicht sicher auszumachen. Es ist aber durchaus möglich, daßdie Polis Himera von ihrer Mutterstadt Zankle undvielleicht auchvonKatane eine Reihe vonGesetzen undEinrichtungen übernommen hat, die traditionell demCharondas zugeschrieben wurden. Allgemein könnte dafür zunächst sprechen, daßdiechalkidischen Städte des Westens von ihrer Gründung an und auch später noch sehr enge undvielfältige Beziehungen untereinander undzuihrer Mutterstadt Chalkis aufEuboia unterhalten zuhaben scheinen7. Voneiner derPoleis ausdieser Gruppe, nämlich Rhegion, andessen Gründung wiederum Zankle beteiligt gewesen sein könnte8 , ist ausdrücklich bezeugt, daß dort die „Gesetze des Charondas“gegolten hätten9 . Imvorliegenden Fall kommt einkonkretes Indiz hinzu: Himera wurde –wohlum650 –zwar auf Initiative undunter Führung von Zankle gegründet, allerdings wahrscheinlich unter Beteiligung vonKolonisten ausderMutterstadt Chalkis undjener Flüchtlinge aus Syrakus, dieΜ η τίδ υ λ α ιgenannt wurden10: Daher gabes in Himera einen offensichtlich erheblichen dorischen Bevölkerungsanteil, undmansprach einen chalkidisch-dorischen 1–zugleich aber betont Thukydides ausdrücklich, daßdort diebesonderen Mischdialekt1 Gesetze undEinrichtungen der Chalkidier galten bzw. sogar (vor-)herrschten: ν α δ ὲ μ ιμ ό 12. σεν ρ τ ά ὰ τη Χ α κ ὰ λ ιδ ἐκ ικ
Diese dürftigen Nachrichten erlauben jedoch auf keinen Fall weiterreichende Schlußfolgerungen. Schon gar nicht läßt sich daraus ableiten, daßauch in Himera, wie angeblich in Rhegion undanderwärts, in einem einmaligen Stiftungsakt –vielleicht durch einen μ ε Gesetzgeber“namens Helianax, angeblich ein Bruder des Lyrikers Stesichoros Ἱ „ 13–ein in allen chalkidischen Gründungen verbreiteter, einheitlicher, demCharonρ α ῖο ς daszuzuschreibender „Code“vonGesetzen „oligarchischen“Zuschnitts eingeführt wordensei14. Manwirdhöchstens damit rechnen können, daßdiechalkidischen Städte, dieja nicht nurenge Verbindungen untereinander undgemeinsame Traditionen, sondern auch vergleichbare Probleme und Bedürfnisse hatten, eine Reihe von ähnlichen Regeln, be-
7 8 9
Thuk. 4,61,4, wovoneinem γ ν έ ο ςΧα κ λ ιδ ικ ό dieRede ist. Vgl. etwa VALLET 1958, 316 Anm.5; ν 386f., sowie DUNBABIN 1948, 68 u.ö.; VALLET 1962/1996, 87ff.; 1978/1996, 115ff.; STAUFFENBERG 1963, 97f.; 101; ZAHRNT 1971, 15; ASHERI 1980, 110; 131f. u.ö. Antiochos von Syrakus, FGrHist 555 F9 (= Strab. 6,1,6). Herakl.Lemb.frg. 55DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 25,4, FHG II, p. 219; Ael.var.hist. 3,17) Vgl. Abs. RHEGION.
10 Thuk. 6,5,1; Diod. 13,62,4; Strab. 6,2,6 (wo die Tradition offenbar
mißverstanden ist: siehe ZIEGLER 1913, 1615; DUNBABIN 1948, 56 Anm. 5; VALLET 1958, 82f.; 89; GOMME/ANDREWS/ DOVER adThuk. 6,5,1). Vgl. generell FREEMAN 1891, I 410ff.; DUNBABIN 1948, 20; 56; 300; BÉRARD 1957, 240ff.; VALLET 1958, 81ff.; GRAHAM 1964/1983, 104f.; ASHERI 1980, 131ff. Thuk. 6,5,1. Vgl. dazu BUSOLT 1893, 415; VALLET 1958; 89f.; ROEBUCK 1980, 1924.
11 12 Thuk. 6,5,1. 13 Vgl. VALLET 1958, 316 Anm.7 unter Berufung auf SUDA s.v. Σ η σ ; CORDANO 1994, 421. ρ ίχ ο ο τ ς Stesichoros lebte etwavon630 biszurMitte desfolgenden Jahrhunderts undsoll mit Himera so eng α ερ verbunden gewesen sein, daßer in derÜberlieferung immer wieder Ἱμ ῖο ςgenannt wurde (Plat. Phaedr. 244A; Paus. 2,22,6; 9,2,3; 11,2; Athen. 12,512F; Ael.var.hist. 10,18 usw.; vgl. die Fabel ρ α ε ῖο ς , die keineswegs völlig gebei Aristot.Rhet. 1393b8ff.). Vgl. zurIdentität des Stesichoros Ἱμ
14
sichert ist, etwa MAAS1929, 2458ff.; DUNBABIN 1948, 169; VALLET 1958, 255ff. VALLET 1958, 316; vgl. SARTORI 1980– 81, 266f. Siehe dazu im einzelnen Abs. KATANE; RHEGION.
III.Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
130
währten Regelungen und „ Gesetzen“entwickelten –vielleicht eben auch durch Anlehnung, Übernahme bzw. Austausch, die durch ihre jeweiligen Mutterstädte oder auch durch Chalkis vermittelt worden sein mögen15.
Wieeng, aber zuweilen auch prekär dieBeziehungen zwischen Himera, Zankle und anderen Poleis derRegion gewesen sind, wird durch ein neues Dokument aus Himera erhellt16: Auf einer Reihe kleiner Bruchstücke von Bronzetafeln, deren ursprünglicher Aufbewahrungsort nicht klar zusein scheint, wareine Satzung fixiert, die ausepigraphischen Gründen andasEnde des6. oderdenAnfang des5. Jahrhunderts zudatieren ist17. Darin geht es offenbar umeinen γ ῆ ςἀναδασ μ ό ς–also wahrscheinlich eine radikale Maßnahme, dienurvoneiner besonderen Notlage veranlaßt worden sein kann. In diesem Fall könnte etwa die zwingende Notwendigkeit bestanden haben, eine größere Gruppe vonFlüchtlingen ausderMutterstadt Zankle nach ihrer Vertreibung imJahre 493 aufzunehmen. Vielleicht wurde durch diese dramatischen Ereignisse die Umverteilung des Landes als ein Aktder„Neugründung derapoikia“ notwendig18. Dafür könnte auch die Erwähnung von„ Phratrien“(und einer Phyle?) sprechen, die auf eine Neuordnung der Bürgerschaft zumZweck derIntegration derZuwanderer zudeuten scheinen –vielleicht ging es umeine Umstrukturierung, die der Reform des Demonax in Kyrene ähnelte1 9. Aufjeden Fall warauch diese Satzung keine Routinemaßnahme, sondern ein hochgradig situationsgebundenes Gesetz, dasin in einer schwierigen Lage ein drängendes konkretes Problem lösen sollte. KATANE
Katane –eine gegen Ende des 8. Jahrhunderts von Naxos aus gegründete Kolonie aufSizilien1 –brachte nach derantiken Tradition einen dergroßen, immer wieder in den
verschiedensten Zusammenhängen exemplarisch angeführten Gesetzgeber hervor: Charondas wurde nicht nur mit demanderen berühmten Gesetzgeber des westgriechischen Raumes, nämlich Zaleukos ausdemepizephyrischen Lokroi, in einem Atemzug genannt, sondern oft sogar mit Solon und Lykurg auf die gleiche Stufe gestellt2. Wie mit diesen
15 Siehe in dieser Hinsicht CORDANO 1978, 90f. 16 BRUGNONE 1997 mitweiteren Nachweisen. 17 BRUGNONE 1997, 262f.; 300. 18 BRUGNONE 1997, 300ff., vgl. 268; 293ff. Vgl. zu den Ereignissen (Thuk. 6,4,5; Aristot.Pol. 1303a35 etc.) VALLET 1958, 336ff.; 1978/1996, 147ff. Wie ungewöhnlich (und selten) eine solche μ ό ῆ ςundältere Tyrannis, Chiron 19, 1989, 207– ςἀναδασ Maßnahme war, zeigt jetzt H.BRANDT, Γ 220. 19 BRUGNONE 1997, 299ff., vgl. 271ff.; 274ff. Vgl. zur Reform des Demonax HÖLKESKAMP 1993 und den Abs. KYRENE.
1
DUNBABIN 1948, 10 u.ö.; mit weiteren Nachweisen, sowie G.RIZZA, in: STILLWELL et al. 1976, 442f.; 96; 101f. u.ö., mit neuerer Literatur. 21, sowie 1252b12ff.; 1297a21– 8; 1296a19– 30; b5– Vgl. etwa Plat.rep. 599E; Aristot.Pol. 1274a22– μ νfrg. 97,5WIMMER = 21,7 SZEGEDY-MASZAK (= Ioh.Stob.floril. 4,2,20 ω ρ ὶνό ε 24; Theophr. π ρ ὶνομοθετ ε HENSE); Hermippos π frg. 7, FHGIII, S. 37; ferner dasFragment eines unbekannten ν ῶ 19,2 Komödiendichters: Adespota frg. 110KOCK = FAC frg. 110 und den Kontext Diod. 12,11,3– (siehe dazu ausführlich denText weiter unten). Siehe auch Herod.Mim. 2,46ff. (vgl. dazudenAbs.
Vgl. nurThuk. 6,3,3; Strab. 6,2,3. Siehe dazu ZIEGLER 1919, 2473ff.;
BÉRARD 1957, 82ff. VALLET 1978/1996,
2
2. Dieeinzelnen
Poleis
131
großen Gestalten derarchaischen „ Nomothesie“verband sich auch mitPerson undWerk des Charondas eine Reihe dertypischen biographischen Motive undhistoriographischen Topoi –wie Zaleukos galt auch er derspäteren Tradition etwa als Schüler des Pythagoras3. DieGesetze, dieer für seine Heimatstadt geschrieben habe, sollen in vielen Städten Siziliens undUnteritaliens ebenfalls angenommen worden sein–sie galten als vorbildlich undgenossen inganz Griechenland hohes Ansehen4 . Wie im Fall des Zaleukos wurden die nomoi unddie nomothesia des Charondas oft allgemein und summarisch angeführt –über die einzelnen Gegenstände und den konkretenGehalt der„Gesetze desCharondas“finden sich inderverzweigten, bis in die Spätantike reichenden Tradition dagegen überraschend wenige detaillierte Nachrichten, unddarunter ist kaum einmal eine historisch halbwegs gesichert erscheinende Information. Und wie imFall der„Gesetze des Zaleukos“ist dasin derForschung längst allgemein anerkannt5 –unddennoch geht manbis heute fast durchweg undgeradezu selbstverständlich vonderExistenz eines „CodedesCharondas“aus, weist ihmeine Vielzahl einzelner Gesetze zuundschließt daraus allem Anschein nachsogar auf eine allgemeine, bewußte und zweckrationale Zielsetzung derganzen „ Nomothesie“ : Wiewiederum auch derangebliche CodedesZaleukos“soll das „nomothetische Werk“des Charondas eine „Gesetzgebung „ in großem Stil“gewesen sein, die „weitgreifend“in praktisch alle Bereiche des öffentlichenLebens dersich konsolidierenden Polis undauch in dieprivate Lebensführung ihrer Bürger regelnd undnormsetzend eingegriffen unddabei eine bewahrende, „ aristokratischkonservative“ , ja vielleicht auch„oligarchische“Grundtendenz gehabt habe6 .
Diese Schlußfolgerungen beruhen auf einer Quellengrundlage, die sie weder von der undDichte noch von der historischen Zuverlässigkeit der spärlichen Angaben her trägt. Vor allem lassen sich die vorliegenden konkreten Daten auch nicht so ohne weiteres in dasgrößere, geordnete undwomöglich bewußt strukturierte undeinheitlich Gesetzgebungswerkes“einfüausgerichtete Ganze eines wie auch immer geschlossenen „ Quantität
gen.
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Kos); Cic.leg. 1,22,57; Val.Max. 6,5, ext. 4; Strab. 12,2,9; Ael.var.hist. 3,17; Theodoret. η(mit Mißverständnis). α ν τ ά Graec.aff.cur. 9,8; Ioh.Stob.floril. 4,2,24HENSE; Steph.Byz. s.v. Κ Vgl. etwa Diog.Laert. 8,16; Aristoxenos frg. 17WEHRLI (= Porphyr.vita Pyth. 21); Sen.epist. 90,6; Iambl.vita Pyth. 7,33; 27,130; 30,172; 36,267; Schol. Plat. rep. 599E GREENE. Vgl. dazu ausführlich CORDIANO 1990, 67ff. undKapitel II 3. 25; Aristoxenos frg.17WEHRLI (= Porphyr.vita Pyth. 21); Plat.rep. 599E; Aristot.Pol. 1274a22– Sen.epist 90,6; Iambl.vita Pyth. 7,33. Ausdrücklich bezeugt ist die Übernahme seiner Gesetze in Rhegion: Herakl.Lembos Exc.polit. frg. 55DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 25,4, FHG II, S. 219). Siehe dazu den Abs. RHEGION, sowie die Abs. CHALKIDIER IN THRAKIEN; HIMERA; KYME; LEONTINOI; NAXOS; ZANKLE.
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Vgl. etwa schon NIESE 1899, 2181f.; LATTE 1930, 671ff.; MEYER 1937, 522f. Anm.2; DUNBABIN 1948, 73, ferner vor allem BUSOLT 1920, 378; VALLET 1958, 314f.; CORDANO 1978, 89ff.; ROEBUCK 1980, 1928f. Vgl. auch Kapitel II 3. MÜHL 1929, 50 u.ö. Vgl. auch BUSOLT 1920, 380f.; DUNBABIN 1948, 73f.; BERVE 1951, 152; VALLET 1958, 316; STAUFFENBERG 1963, 102; FINE 1983, 102ff.; ROEBUCK 1980, 1930, sieht in , s. auch CORDANO 1986, 44f.; dem „Code“wiederum „ the reflection of a moderate oligarchy“ PUGLIESE CARRATELLI 1987, 101f.; AMPOLO 1996, 561ff. und (zurückhaltender) CAMASSA 1996, 569ff. Vgl. gegen diese Verallgemeinerung bereits GILBERT 1885, 250f. undzuletzt LINK 1994a, der allerdings auchallzu großes Vertrauen indieZuverlässigkeit derÜberlieferung setzt.
132
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
Dabei ist es ansich keineswegs unwahrscheinlich, daßCharondas –wiewohl auch Zaleukos –eine historische Gestalt war.Allerdings ist noch nicht einmal eine annähernde Datierung dieser Persönlichkeit möglich: DieNachrichten über persönliche Beziehungen desCharondas zuZaleukos undanderen Philosophen undGesetzgebern sind reine Legenden (und würden mangels verläßlicher Daten für Zaleukos sowieso nicht weiterführen)7; eine Datierung in das(späte) 6. Jahrhundert8 ist kaum besser begründet als frühere Ansätze9 . Jedenfalls wurden demCharondas wohl schon früh –vielleicht sogar in einzelnen bestimmte, ganzkonkrete Regelungen zugeschrieben: Aristoteles kannte Fällen zuRecht – jedenfalls gleich mehrere Gesetze, andenen erganzallgemein dieGenauigkeit (ἀ ρ ε ιβ ία κ ) hervorhebt, an deres, wie er moniert, selbst denGesetzgebern seiner eigenen Zeit mangele10.
Diese allgemeine Einschätzung wird zumeist als Indiz dafür genommen, daß Aristoteles eine Sammlung der„ Gesetze des Charondas“vorgelegen habe, diebestenfalls eine revidierte, „ modernisierte“unddifferenziertere Fassung derursprünglichen Gesetze enthielt11. Dasmagnatürlich richtig sein, ist vielleicht sogar wahrscheinlich, aber es ergibt sich keineswegs zwingend ausdiesem Urteil desAristoteles (wenn es denn überhaupt in derSache zutreffend war). Denn die Genauigkeit der Bestimmungen unddie Präzision derFormulierung ist, wie aus inschriftlich erhaltenen Dokumenten aus archaischer Zeit sehr gutzuerkennen ist, solchen frühen Gesetzen keineswegs fremd –eher im Gegenteil12. Undan anderer Stelle in der „ Politik“zitiert Aristoteles offensichtlich aus einem Gesetz desCharondas“denBegriff ὁ „ μ ο ι, ohne allerdings mehr als nureine allgeο σ ίπ υ 3: meine Andeutung über deninhaltlichen Kontext zumachen1 Dieser zweifellos altertümliche Begriff spricht zumindest dafür, daß die dem Aristoteles bekannte Sammlung nicht durchweg und völlig einheitlich nurjüngeres Material enthielt, sondern wohl auch wirklich archaische Gesetze, diedemCharondas schon zuvor, zuRecht oder zuUnrecht, zugeschrieben worden waren14.
Vgl. schon Aristot.Pol. 1274a25– 30, dazu NIESE 1899, 2181. Siehe zu denEinzelheiten Kapitel II 3. Vgl. etwa NIESE 1899, 2181, der auf der Basis von Herakl.Lembos Exc.polit. frg.55DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 25,4, FHGII, S. 219) meint, daßseine Gesetze vor der(ebda. im folgenden Satz erwähnten) Tyrannis desAnaxilas, der494 inRhegion dieMacht ansich riß, dort eingeführt gewesen sein müssen; vgl. auch ZIEGLER 1919, 2473. ADCOCK 1927, 106, hat auf ein anderes mögliches Indizhingewiesen: Hermippos hat in seinem Werk π νDemonax, derum die Mitte des ῶ ρ ὶνομοθετ ε 6. Jh. in Kyrene Gesetze gegeben habe, im ersten Buch behandelt (frg. 1, FHGIII, S. 36), dasangebliche „ Singen“ derGesetze desCharondas inAthen kamdannerst im6. Buchvor(frg.7, FHGIII, S. 37 = Athen. 14,619B; vgl. dazu denAbs. MAZAKA). 9 MEYER 1937, 522, datiert ihn noch vor die Mitte des 7. Jh.; ROEBUCK, 1980, 1928 mit Anm.17, in dieZeit (kurz) vor600. 8. Vgl. dazuundzumfolgenden auch Kapitel II 2 und3. 10 Pol. 1274b7– 11 Vgl. etwa NIESE 1899, 2181; BUSOLT 1920, 378. 12 Vgl. nurdasMaterial in denAbs. DREROS; ELIS; LOKRIS; LYTTOS unddie Zusammenfassung in
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Kapitel IV 1. 14. 13 Pol. 1252b12– 14 Vgl. in dieser Hinsicht schon NIESE 1899, 2181; DARESTE 1902, 19f.; BUSOLT 1920, 378; 1927, 102; LATTE 1930, 671; 1931/1968, 254; VERNANT 1962/1982, 75f.
ADCOCK
2. Dieeinzelnen Poleis
133
Wie demauch sei: Jedenfalls gibt sich Aristoteles auch in diesem Fall –trotz der so prononciert gelobten Genauigkeit und der ausdrücklich vermerkten weiten Verbreitung dieser nomoi in Sizilien und Italien15 –nicht sonderlich beeindruckt von den einzelnen Gesetzen, die er in dieser Sammlung vorfand. Zunächst einmal gehört auch Charondas für ihn nicht in die herausgehobene Kategorie der „Verfassungsstifter“wie Solon und Lykurg: Wie Zaleukos galt er nurals ν μ ο ο η θ έ τ ς16. Undwiederum wie bei den anderen namentlich genannten bloßen Gesetzgebern Philolaos, Drakon, Pittakos und Androdamas17 ist fürihnauch ausden„ Gesetzen desCharondas“nurein einziges Gesetz wirklich erwähnenswert, weil er es für spezifisch unddiesem „ Nomotheten“eigentümlich (ἴδ ιο ) ν hält. Dabei handelt es sich umeinbesonderes Verfahren wegen falscher Zeugenaussagen, fürdasCharondas als erster die Möglichkeit derförmlichen Anfechtungserklärung eingeführt habe18. Ob nunmit dieser neuen Möglichkeit auch schon ein formalisiertes Verfahren der Anklageerhebung und womöglich ein Schadenersatzanspruch des durch eine Falschaussage Geschädigten verbunden waroder nicht –aufjeden Fall setzt diese Maßnahme bereits dieÜberwindung des archaischen Prozesses mitseiner rein „ formalen Beweistheorie“voraus undkönnte diese Entwicklung zugleich vorangetrieben haben19. Damit ist zugleich klar, daß diese Vorschrift, wenn sie denn ein authentisches „Gesetz des Charondas“sein sollte20, nicht sehr alt sein kann, selbst wenn darin die Einführung bzw. Weiterentwicklung eines regelrechten Meineidverfahrens noch gar nicht vorgesehen war: Sie kann höchstens indas6. Jahrhundert gehören –aber auchdasist nureine Vermutung aufderBasis allgemeiner rechtsgeschichtlicher Erwägungen21.
Ananderer Stelle undin einem ganz anderen Zusammenhang zitiert Aristoteles noch einmal ausdrücklich aus den„ Gesetzen des Charondas“ : Danach soll es darin eine Vorschrift „über die Gerichtshöfe“gegeben haben, die für die Nichtteilnahme an Sitzungen unterschiedliche Strafen vorsah, nämlich hohe Bußen fürdieReichen undniedrige für die Armen22. Diese Maßnahme gilt allgemein ebenfalls als historisch oder zumindest an sich 23–zuweilen wohl nicht zuletzt deswegen, weil diese Maßnahme mit der unverdächtig“ „ aristokratisch-konservativen“ angenommenen „ , „bewahrenden“bzw. „oligarchischen“ 25. 15 Pol. 1274a23– 34 zuLy16 Pol. 1274a22f.; νομ ο θ έ ν .; Vgl. 1273b32– τ δ α λ ςκτ α ὶΧαρώ α ιδ ν τ λ οΖ ά κ ε ο ᾽ἐγένο υ ς...κ μ ιο γ ρ υ ο ὶπ kurg undSolon als δη ο λ ιτε ία . Vgl. dazuwiederum Kapitel II 2 und3. ς 26 (An32; b1– 23 (Pittakos); 1274b23– 5 (Philolaos); 1274b15–18 (Drakon); 1274b18– 17 Pol. 1274a31– drodamas). Vgl. dazu im einzelnen die Abs. THEBEN; MYTILENE; CHALKIDIER INTHRAKIEN.
ρ ῶ τ ο ς 7: Χαρώ ν(π ιῶ ρ υ ν τ ρ 18 Pol. 1274b5– δ α μ ο υδ ο δ υ νψ ε ῶ ιτ α ἱδίκ να ὴ λ νἐ ιπ νοὐ δ έ τ σ ὲ ᾽ἴδιο νμ . ις η ψ γ κ ὰ ρἐπ ίσ σ ο ετ ίη ὴ νἐπ η ίσ κ ψ ιν ), κ τ λ . Vgl. auch Demosth. 47,51; Plat.leg. 937B-D zurἐπ ηim attischen Proνδίκ 19 Vgl. LATTE 1930, 671f.; BERNEKER 1959, 1365. Vgl. zur ψ ρ ιῶ υ τ ρ α μ υ δ ο ε
zeß BERNEKER 1959, 1366ff.;
HARRISON 1971, 192ff. mit weiteren Nachweisen. grundsätzliche Authentizität der Nachricht außerdem etwa DARESTE 1902, 27; BONNER/SMITH 1930, 77; DUNBABIN 1948, 73; ROEBUCK 1980, 1929 (dessen weitreichende Interpretation vomText allerdings nicht gedeckt ist: „ a law guarded against perjury..., perhaps by requi); GAGARIN 1986, 74; CAMASSA 1996, 569. ring an evidentiary oath“ Vgl. BERNEKER 1959, 1365. ῖςδ 24: ...π ρ ε ᾽ ι, το ὶτ σ ω ὴδικά ζ ὰ Pol. 1297a21– νμ δικ νἂ ρ ή ία ια α τ σ ο τ ιζημ α ῖςμ ιςεἶν ο ρ ὲ νεὐπ ό ις . ο υνόμ ο τ ο δ ν ῖςμ ,ἢ η ο ὲ μ ῖςΧαρώ ν γ ν τ ν ά τ ν ε λ ρἐ ο ῖςδ ,ὥ ά ρ ν π δεια σ ε ιςἄ ρ ικ ο ὲμ ἀ π ό Vgl. etwa DARESTE 1902, 26; KOHLER/ZIEBARTH 1912, 89f.; BUSOLT 1920, 379; VALLET 1958,
20 Vgl. für die
21
22 23
316 Anm.4; 318; CORDANO 1978, 94; GAGARIN 1986, 75.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
134
Tendenz dergesamten Nomothesie des Charondas übereinzustimmen scheint24. Aristoteles selbst erwähnt dieses „Gesetz des Charondas“im Zusammenhang seiner systematischen Aufzählung derjenigen fünf „ Vorwände“ , die „gegen dendemos“(oder genauer: die regelmäßige aktive Partizipation des demos in Volksversammlung, Gerichten und Ämtern) gerichtet seien undzugleich die Beteiligung der Reichen sicherstellen sollten – deswegen faßt er diese indirekten, absichtlich verschleiernden Vorkehrungen unter der ρ χ ικ α Rubrik ὀ ὰ λ ιγ σ ο φ ίσ μ α τ α τ ῆ ο ςνομ θ ε σ ία ςzusammen undstellt sie den entsprechenden „ demokratischen“Tricks gegenüber25. Aristoteles erwähnt dieses „Gesetz desCharondas“hier offensichtlich nuren passant, nämlich alsillustrierendes undstützendes Beispiel fürseine eigenen theoretischen Überlegungen zursystematischen Analyse von Oligarchie undDemokratie. Damit verbietet es sich eigentlich vonvornherein, daraus aufeinen tatsächlichen allgemein „oligarchischen“ Charakter der„ Kodifikation desCharondas“zuschließen –mankönnte sogar imGegenteil argumentieren, daß die Vorschrift ja die (zumindest formale) Beteiligung breiterer Schichten geradezu notwendig voraussetzt26. Aufjeden Fall bedeutet dieoffensichtliche Beiläufigkeit beim Zitieren dieses Beispiels wohl auch, daß die Nachricht selbst, gewissermaßen als isolierte Information, sicherlich ebenfalls aus jener Sammlung stammte, die Aristoteles als „ Gesetze des Charondas“ kannte. Damit ist aber wiederum noch nichts über die Echtheit undgegebenenfalls das wirkliche Alter dieser Maßnahme gesagt, diezuweilen in eine spätere Zeit als das 7. oder auch 6. Jahrhundert datiert wird. Wenn sie authentisch ist, dürfte sie tatsächlich jünger 7. sein, dasiewirklich keinen „ archaisch“anmutenden Charakter hat2
Als nicht ganz unproblematisch erweisen sich auch jene anderen Vorschriften über genau festgelegte Bußen undEntschädigungen, für bestimmte, im einzelnen definierte Miundnach Schwere abgestufte Vergehen, die –wie es in der bekannten Stelle der „ 28: Danach hatte der desHerodas ausKoshieß –„Charondas geschrieben hat“ miamben“ verurteilte Täter das Duplum einer bestimmten Strafe für die vorsätzliche Mißhandlung undVergewaltigung einer Sklavin zuzahlen; fürdasEinschlagen einer Türwareine Mine fällig, ebenso für tätlichen Angriff; für Brandstiftung und sonstige (größere) Beschädigungen desHauses habe derGesetzgeber sogar eine Strafe vontausend Drachmen festgelegt, dienochzusätzlich zumDuplum des entstandenen Schadens fällig war29. Ein solcher Katalog fester Strafmaße scheint nicht nurmitderin derliterarischen Überlieferung oft bezeugten Tendenz der archaischen „Nomotheten“zur Fixierung solcher Maßstäbe undRegelungen übereinzustimmen –gerade vonZaleukos, mitdemCharondas ja in der DUNBABIN 1948, 74; VALLET 1958, 316 mit Anm.4; CAMASSA 1996, 570f. 35 unddann a35– 38. Vgl. etwa LATTE 1930, 671, sowie Kapitel II 2, auch zum Fol25 Pol. 1297a14–
24 Vgl. etwa ADCOCK 1927, 101; genden.
26 Vgl. ROEBUCK 1980, 1929, derdie Nachricht auf seine Weise, nämlich für seine Einschätzung des , ja „egalitären“Verhältnisse im Katane des Reflektion“der„ „ Code“als „ gemäßigt oligarchischen“ ausgehenden 7. Jh. inAnspruch nimmt; vgl. auch CORDANO 1978, 94. 27 Vgl. bereits NIESE 1899, 2181. Mitdieser Möglichkeit rechnet OSBORNE (1987, 76ff.) gar nicht erst, wennerausderErwähnung beiAristot. a.O. auf„ a full andvaried range of enactments“durch Charondas undandere Gesetzgeber schließt. 28 Herod.Mim. 2,48: τα η τ ῦ . Vgl. dazudenAbs. Kos. ς ν δ α ψ εΧαιρώ ᾽ἔγρ 54. Vgl. zumText im einzelnen CUNNINGHAM 1971, 91ff. ad loc. 29 Mim. 2,46ff.; 50–
2. Dieeinzelnen Poleis
135
Tradition immer wieder verglichen (und mehr als einmal verwechselt) wurde, wird das ausdrücklich behauptet30. Undnicht zuletzt paßt anscheinend auch die minutiöse Differenzierung vonVergehen, entsprechenden Strafen undKompensationen gutzudervonAristoteles diagnostizierten ἀ ε ιαder „Gesetze des Charondas“31. Tatsächlich ist sehr ρ ιβ κ wohldenkbar, daßeinsolcher gesetzlicher Strafenkatalog wenigstens in seinem Kern aus archaischer Zeit stammt –gerade in den historisch zuverlässigsten Quellen, den frühen Inschriften, finden sich ja sehr viele Gesetze, die nicht nur ausführliche Sanktionsbestimmungen für Verstöße gegen ihren Gehalt, sondern oft eben auch genaue Strafsätze (undetwaderen Verdoppelung inbestimmten Fällen) vorschrieben, undgerade dasgroße „ Recht von Gortyn“enthält sogar genaue Bußen für sehr ähnliche Delikte32. Allerdings erscheinen die genannten Summen außerordentlich hoch –vielleicht zu hoch für eine frühe Datierung des Katalogs in der vorliegenden Form33. Es ist daher zu vermuten (und im Kos des 3. Jahrhunderts eigentlich sogar ziemlich wahrscheinlich), daßhier auf einen jüngeren Strafenkatalog angespielt wurde, der zumindest in Hinsicht aufHöheundArt derBußen abgeändert, vielleicht auch umneue, differenziertere Tatbestände ergänzt underweitert worden war, dertraditionell aber immer noch als Werk des Charondas galt –wobei es auch noch fraglich ist, ob dieses Etikett wirklich auf einer echten Erinnerung aneine Übernahme der„ Gesetze desCharondas“inKosberuht hat.
Aufderanderen Seite kann kein Zweifel bestehen, daß mandemCharondas tatsächlich Gesetze zuschrieb, die zumindest altertümlich wirkten und vielleicht wirklich aus archaischer Zeit stammten. Dabei handelt es sich umjenes Gesetz, aus demAristoteles, wiebereits erwähnt, nurdenBegriff derὁμ ο σ ίπ υ ο ιzitiert, derdiejenigen bezeichnet habe, die„gemeinsam essen“ , weil siezueinunddemselben oikos gehörten –umdenoikos als erste (undfrüheste) gesellschaftliche undwirtschaftliche Einheit geht es Aristoteles an 34. Damit liegt die Vermutung nahe, daß Aristoteles auf ein dieser Stelle der
„ Politik“ wahrscheinlich altes „ Gesetz des Charondas“über denoikos bzw. die denoikos konstituierende Familie und möglicherweise auch über das dazu gehörige Eigentum anspielt. Vielleicht handelte es sich umein Gesetz, das die Stellung der Erben und insbesondere der Erbtochter geregelt hat–immerhin wurde demCharondas ja in der späteren, allerρ ω ή νausdrücklich λ ικ νἐπ ρ ὶτ ῶ μ ο dings höchst problematischen Überlieferung einν ε ςπ ό 5. zugeschrieben3 Es könnten aber auch Gesetze gewesen sein, die hinsichtlich ihres InNomotheten“ Adoptionsgesetzen“des „ halts undZwecks entweder den thebanischen „ Philolaos oder auchdenRegelungen zurSicherung derZahl deroikoi undderBewahrung der„alten kleroi“ähnelten, diedenGesetzgebern Pheidon in Korinth undOxylos in Elis
30 Ephoros FGrHist 70 F 139 (= Strab. 6,1,8). Vgl. denAbs. LOKROI EPYIZEPHYRIOI 31 Pol. 1274b7– 8. Vgl. dazu oben, sowie DARESTE 1902, 24; BONNER/SMITH 1930, 78; 81; VALLET 1958, 318; 320; ROEBUCK 1980, 1929; GAGARIN 1986, 64f.; CAMASSA 1996, 569. 32 Vgl. etwa ICret IV 72, Col. II 2ff.; siehe auch Plut.Solon 23,1 (= RUSCHENBUSCH 1966, F 26), sowie etwa die Abs. ARGOS; DREROS; GORTYN; LYTTOS etc.
33 Vgl. mit Recht LATTE 1930, 672; 1931/1968, 285. 5. Vgl. etwa BUSOLT 1920, 378; sowie 143 Anm.7; 34 Pol. 1252b12–
DUNBABIN 1948, 73; VERNANT 1962/1982, 74ff. 35 Diod. 12,18,3. Vgl. BONNER/SMITH 1930, 80; ROEBUCK 1980, 1929f.; GAGARIN 1986, 67 mit
Anm.70.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
136
zugeschrieben wurden unddie es wiederum auch im epizephyrischen Lokroi gegeben 6. haben soll3 Aberauchdies kannnatürlich nureine Vermutung sein. 37 Dasandere allgemein als relativ altertümlich angesehene „Gesetz des Charondas“ wird direkt nurin einer sehr kurzen Notiz in einem längeren Fragment aus Theophrasts β ρ ὶσυμ ε ο Abhandlung π λ α ίω νim Rahmen seiner „Gesetze“erwähnt3 8: Danach legten 39) Charondas undPlaton (nämlich inden„Gesetzen“ offenbar imUnterschied zu anderen „ Nomotheten“fest, daßbei dergeschäftlichen Transaktion des Kaufs die Übergabe des Eigentums unddie Bezahlung desPreises zurgleichen Zeit erfolgen sollten; wenn einer der Beteiligten, also Verkäufer oder Käufer, demanderen traue und ihm Kredit oder sonstwie einen Aufschub gewähre, habeerimStreitfall kein Recht aufKlage, daer selbst daserlittene Unrecht zuverantworten habe4 0. DasGesetz istimKernsicher echt, auchwenndaszuweilen dahinter vermutete Motiv für eine solche Maßnahme –nämlich eine „aristokratisch-konservative“, Handel und Wandel bewußt bremsende Zielrichtung dieses Gesetzes undder ganzen Gesetzgebung desCharondas41 –aufallgemeinen Annahmen überdenCharakter archaischer „Nomothesien“beruht, die schon aus grundsätzlichen Erwägungen heraus fragwürdig sind42. In diesem speziellen Fall bietet sich sogar eine alternative Erklärung an: Das Gesetz, das Kreditgeschäfte ja keineswegs rundweg verbot, sondern nur die Einklagbarkeit solcher Geschäfte ausschloß, könnte ja auchnurdemrelativ beschränkten Ziel gedient haben, die unkontrollierte Verbreitung allzu riskanter und damit konfliktträchtiger Transaktionen dieser Artzuverhindern43. Aber auch das sind wiederum nur Vermutungen, die insbesondere keinerlei plausible Anhaltspunkte für eine genauere zeitliche Einordnung dieses Gesetzes desCharondas“liefern können. „
Weitere Erwähnungen konkreter „ Gesetze des Charondas“finden sich in dererhaltenen„älteren“Überlieferung nicht. Dieübrigen Nachrichten stammen –miteiner Ausnahme –durchweg aus erheblich späteren Quellen; und unter quellenkritischen Gesichtspunkten sind sie allesamt noch wesentlich problematischer als die bei Aristoteles und Theophrast vorliegenden wenigen Daten. Allgemein bleibt hier zunächst festzuhalten, daß jene Sammlung der „Gesetze des Charondas“ , aus der Aristoteles und vielleicht auch Theophrast die erwähnten konkreten Angaben bezogen zu haben scheinen, jedenfalls nicht auf einem in sich geschlossenen, einheitlichen „ Gesetzbuch“beruht haben dürfte: η ις ψ π ίσ κ Aller Wahrscheinlichkeit nach sind nämlich zumindest die Gesetze über die ἐ undüber die Bußen für Abwesenheit von Gerichtssitzungen jüngeren Datums als etwa 16; 1319a9ff., sowie 1266b16ff. Vgl. dazu die Abs. ELIS; 36 Pol. 1265b12–
KORINTH; THEBEN.
Vgl. etwa DARESTE 1902, 21; BONNER/SMITH 1930, 682 und auch LATTE 1930, 672; ferner DUNBABIN 1948, 73; CORDANO 1978, 95; GAGARIN 1986, 65; 70f.; 75. 38 Theophr.frg.97,5WIMMER = 21,7SZEGEDY-MASZAK (= Ioh.Stob.floril. 4,2,20HENSE). 39 Leg. 915D-E, vgl. auch 849E. Siehe dazu auch SZEGEDY-MASZAK 1981, 72. μ α α ὶλ ικ α ν κ ε ιδιδό μ λ ε α ύ ο υ σ ῆ ρ 40 Theophr. ebda.: οὗ χ α ρ α τ ο ι(sc. Χαρώ ρπ ὰ ν δ α )γ α ν λ ά τ ω ςκ ὶΠ β ά ν ε . ,ἐ ιν ς ία ὰ ν ικ δ δ ῆ ςἀ α έτ ιτ ἶν ιςπ ε ν ιο ἴτ α ρ ισ τε γ ὰ μ ναὐ ὴ ε ἶν τ ὸ ν ύ ῃ α ιδίκη σ 41 Vgl. dazuoben imText, hier insbesondere BUSOLT 1920, 379; dagegen wiederum MÜHL 1933, 66, · 37
dervom„fortschrittlichen Rechtssystem“desCharondas
42
spricht.
Vgl. dazu Kapitel I1, sowie die Abs. LOKROI EPIZEPHYRIOI; RHEGION und zu den anderen chalkidischen Gründungen.
43 Vgl. MÜHL 1929, 18; 1933, 65ff. und im Anschluß MASZAK
1981, 72.
daran
etwa VALLET 1958, 319; SZEGEDY-
2. Die einzelnen Poleis
137
dasjenige, aus demdas Konzept derὁ μ ο σ ίπ υ ο ιstammte –diese Gesetze werden kaum verschiedene unselbständige Teile einer einzigen umfassenden undgewissermaßen uno actu„gesatzten“Kodifikation gewesen sein. Wennes sich indemeinen oder anderen Fall umauthentische Gesetze ausarchaischer Zeit handeln sollte, waren das wohl eher einzelneMaßnahmen, die zueinem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt einem einzigen Nomotheten“zugeschrieben wurden, fortan schlichtweg zuden„ „ nomoi des Charondas“ zählten undineine Sammlung unter dieser Bezeichnung eingingen –daskönnte übrigens auch für denbei Herodas überlieferten gesetzlichen Katalog von Vergehen undStrafen gelten.
ImLaufe derweiteren Entfaltung undVerzweigung derTradition wurde anscheinend insbesondere dem Charondas auf geradezu systematisch anmutende Weise noch eine Vielzahl weiterer Gesetze zugeschrieben44. Ein Stadium dieses Ausfächerungs- und Erweiterungsprozesses ist in dem längeren Exkurs über den „ Nomotheten“bei Diodor 19,3) greifbar, dernach allgemeiner Ansicht nicht nurmitspäteren philosophi(12,11,3– schen Ideen, moralischen Betrachtungen undexemplarischen Anekdoten durchsetzt ist45, sondern auchmitgroben Mißverständnissen undVerwechslungen hinsichtlich derFakten: Dieser Exkurs ist insgesamt inhaltlich weitgehend unzuverlässig unddaher als Quelle und historischen“Charondas praktisch unbrauchMaterialbasis für eine Rekonstruktion des „ bar46.
Gesetzgeber“vonThurioi47 –in eklatantem Zunächst hält Diodor Charondas fürden„ Widerspruch zurälteren Tradition, die ihnnurals Gesetzgeber von Katane kannte, wie Κ α τ α ν α ῖο Aristoteles, derihnausdrücklich alsὁ ςbezeichnet, dererst denBürgern seiner Heimatstadt unddann denanderen Poleis in Sizilien undItalien Gesetze geschrieben habe48. Als „ Gesetzgeber“ von Thurioi, das ja überhaupt erst nach der Mitte des 5. Jahrhunderts gegründet wurde, galt früher bekanntlich der Sophist Protagoras49. Es entspricht denn auch durchaus der communis opinio, daß dieser eindeutige Anachronismus unddieziemlich offensichtliche Nachlässigkeit des „ Historikers“Diodor seineGlaubwürdigkeit auchinanderer Hinsicht beeinträchtigen5 0. Dennoch werden viele, ja zuweilen fast alle derdannimeinzelnen berichteten Gesetze immer wieder als Material für eine Rekonstruktion der „Kodifikation“des Charondas in Anspruch genommen. Diese Versuche müssen vonderVoraussetzung ausgehen, daßderthurische Gesetzgeber Protagoras bei seiner nomothetischen Tätigkeit auf dieverschiedenen „Stadtrechte“des westgriechischen Raumes zurückgegriffen habe –darunter vor allem dasjenige des Zaleukos,
44 Vgl. dazuimeinzelnen Kapitel II 3. 45 Daswird sogar vonMÜHL1929, 26; 35; 39 u.ö. eingeräumt. Vgl. dazu grundlegend 46
47
48 49 50
ADCOCK 1927, 102ff.; SZEGEDY-MASZAK 1978, 199ff. Vgl. NIESE 1899, 2182; SCHWARTZ 1905, 685, vgl. 663ff.; BUSOLT 1920, 672; MEYER 1937, 522f. Anm. 2; DUNBABIN 1948, 73. Diod. 12,11,3, vgl. 11,1ff.; 17,3; 18,1, sowie Val.Max. 6,5,ext.4; Themist.orat. 2,31b; Schol.Plat.rep. 599E GREENE. 25. Pol. 1274a23– Herakl.Pont. π ρ μ ε ὶνό ω νfrg.150WEHRLI (= Diog.Laert. 9,50). Vgl. dazu MENZEL 1910/1938, 66ff.; EHRENBERG 1948/1965, 313f. Vgl. etwa auch schon GILBERT 1885, 251; CORDANO 1978, 96f.
138
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
derseinerseits ebenfalls mitThurioi inVerbindung gebracht wurde51, undeben dasgroße Werk“ „ desCharondas: Darauf sei diefalsche Zuweisung Diodors zurückzuführen5 2. Daswäre natürlich wenigstens denkbar –jedoch wiederum nurunter derVoraussetzung, daßschon im5. Jahrhundert solche „ Gesetze des Charondas“und/oder „ des Zaleukos“allenthalben bekannt undvielerorts sogar geltendes Recht waren. Dabei wird allerdings zumindest tendenziell genau dasbereits vorausgesetzt, wasmitdiesem Material ja erst dargelegt werden sollte –nämlich der Umfang, die einzelnen Gegenstände undeigentlich zuallererst die Existenz solcher allgemeinen, umfassenden undsystematisch an-
gelegten „ Stadtrechte“ . Wenn es ein „Recht des Charondas“als „Stadtrecht“von Katane gegeben hätte, das invielen Städten Siziliens undderganzen Magna Graecia geradezu enbloc angenommen worden wäre53 –warum übernahm manes in Thurioi nicht ebenfalls? Daß das gerade nicht geschehen ist, belegt eindeutig die erwähnte Passage π β ο λ α ίω ρ ν , wo die ε ὶσυμ entsprechenden Gesetze vonThurioi eben nicht mitdemdort zitierten „ Gesetz des Charondas“ identisch sind, sondern davon ausdrücklich unterschieden werden –undEphoros tadelte dieThurier dafür, daßsiesichgerade nicht mitden(einfachen undklaren) „ GesetzendesZaleukos“begnügen mochten, sondern sieanGenauigkeit zuübertreffen versucht hätten54. Vielleicht lagdasalles einfach daran, daßunter demNamen des Charondas und desZaleukos ebennureinzelne Gesetze, aberkeine fertigen „Codes“umliefen. Wiedemauch sei: DieVersetzung desCharondas nach Thurioi ist nicht der einzige Fall, in demDiodor kaum mitderübrigen Tradition in Übereinstimmung zubringen ist. Zuweilen wird er sich gewisser Unstimmigkeiten sogar selbst bewußt –die Geschichte vomToddes Charondas, derSelbstmord begangen haben soll, als er versehentlich bewaffnet in derVolksversammlung erschienen war unddamit gegen das von ihm selbst erlassene Gesetz verstoßen hatte, war nach Diodors eigenem ausdrücklichem Zeugnis auchmitdermysteriösen Gestalt desDiokles verbunden, der–wiederum nach Diodor – als „Nomothet“in Syrakus gewirkt haben soll5 5. Es mußdanach bezweifelt werden, ob mandasdabei berichtete Gesetz über dieTodesstrafe für dasbewaffnete Erscheinen auf derAgora bzw. in derVolksversammlung –angesichts desoffensichtlich anekdotischen Charakters der ganzen Überlieferung und der gewissermaßen fließenden Vergabe des Motivs an verschiedene Gesetzgeber –überhaupt noch für authentisch halten darf und demeinen oder anderen vonihnen einigermaßen plausibel zuweisen kann5 6.
51 Athen. 11,508A; Suda s.v. Ζ ά λ ε κ υ ο . Vgl. dazu ADCOCK 1927, 104f. ς 52 Vgl. etwa DARESTE 1902, 18ff.; KOHLER/ZIEBARTH 1912, 89f.; MÜHL1929, 57. Erheblich zurückhaltender ist etwa MEYER 1937, 522f mit Anm.2. CRISPO 1940, 117ff., akzeptiert praktisch die gedesZaleukos zu. samten Nachrichten beiDiodor –undweist siedem„ lokrischen Code“ 53 So explizit DARESTE 1902, 29. 54 Vgl. mit Recht ADCOCK 1927, 105, unter Hinweis auf Theophr. frg. 97,5WIMMER = 21,6SZEGEDYMASZAK (= Ioh.Stob. 4,2,20HENSE), sowie Ephoros FGrHist 70 F 139 (= Strab. 6,1,8). 55 Diod. 12,19,1f., vgl. 13,33,3; 35,5; Val.Max. 6,5,ext.4. Vgl. dazu SCHWARTZ 1905, 685, sowie Kapitel II 3 unddenAbs. SYRAKUS. 56 Vgl. für die Authentizität etwa MÜHL1929, 57f.; BONNER/SMITH 1930, 78; VANWEES 1998, 337; 367 (im Rahmen seiner These über die „Kultur“des Waffentragens). Siehe dagegen schon NIESE 1899, 2182, zurückhaltend zuletzt CAMASSA 1996, 571.
2. Dieeinzelnen
Poleis
139
Das gleiche Problem stellt sich für jene Vorschrift, mit der Charondas angeblich die Revision seiner Gesetze erschweren wollte –ein Gesetz, das Diodor in einer geradezu aristotelischen Formulierung als der „ Nomothesie“des Charondas eigentümlich (ἴδ ιο ν ) undgeradezu einmalig charakterisiert57: Danach mußte derjenige, derdie Änderung eines bestehenden Gesetzes beantragte, seinen Vorschlag in der Volksversammlung mit einer Schlinge umdenHals vertreten –under wurde damit erdrosselt, wenn dasVolk seinen Antrag ablehnte. Nach derälteren undwohl auch besseren Überlieferung bei Demosthenesgalt genau dieses Gesetz (bzw. eine Variante davon) in Lokroi Epizephyrioi, wo man es natürlich demdortigen „Nomotheten“Zaleukos zugeschrieben zuhaben scheint5 8. Dieinhaltliche Übereinstimmung zwischen Diodors Version einerseits undderschon vonDemosthenes angeführten Geschichte andererseits erstreckt sich sogar auf den konkreten Fall einer Gesetzesänderung unter den solchermaßen erschwerten Bedingungen: Danach wurden die bei Körperverletzung vorgesehenen Vorschriften über die Talion dahingehend modifiziert, daßderjenige, dereinem ohnehin nureinäugigen Mann sein verbliebenes Auge ausschlug undihn damit seiner gesamten Sehkraft beraubte, seinerseits nicht nurmitdemVerlust eines Auges, sondern mitdervölligen Blendung bestraft werdensollte5
9.
Zweifellos liegt hier eine weitere Verwechslung Diodors vor, der wiederum eine 0 –mit Überlieferung, die eigentlich –ob zu Recht oder zu Unrecht, ist hier ohne Belang6 1. demNamen des Zaleukos verbunden war, auf Charondas übertragen hat6 Wenn aber weder das Gesetz über dieTodesstrafe für die erfolglose Beantragung einer GesetzesänGederung noch das (nur in diesem Zusammenhang erwähnte) „ Talionsgesetz“zuden „ setzen des Charondas“gerechnet werden darf, mußdas eigentlich auch für die beiden anderen jener insgesamt drei Gesetze gelten, dienach Diodor in Thurioi jemals revidiert wurden unddieebenfalls überhaupt nurim Zusammenhang mitdieser Änderung erwähnt werden62. Dasangebliche „zweite Gesetz“ , dessen Modifikation erfolgreich betrieben worden sein soll, betraf das Recht derFrauen, sich scheiden zu lassen undnach ihrem eigenen Willen einen anderen Mannzuheiraten. Diese „ Regelung“soll nundahingehend geändert worden sein, daß weder Männer noch Frauen nach einer selbst herbeigeführten Scheidung einen Partner heiraten durften, derjünger war als der verlassene oder verstoßene Ehegatte. Bezeichnenderweise wurde der Antrag angeblich von einem älteren Mann der Gefahr durchgesetzt, der von seiner Frau verlassen worden war–undnachdem er „ derSchlinge entkommen“war, kehrte sogar seine Frau zuihmzurück, weil sie nunkeinenjüngeren Mannmehrheiraten konnte63. Selbst wenn man von der geradezu penetranten moralischen Tendenz dieser Geschichte einmal absieht, gibt es noch genügend andere Gründe, die ganze Passage als
57 12,17,1ff. 58 Demosth. 24,139– 141; Polyb. 12,16,9ff. Vgl. dazu zuletzt CAMASSA 1996, 571ff. 59 Diod. 12,17,4– 5, vgl. dagegen Demosth. 24,140f.; Ael.var.hist. 13,24. 60
Vgl. zur Sache den Abs. LOKROI EPIZEPHYRIOI. CRISPO 1940, 119f.; VALLET 1958, 317. LATTE 1931/1968, 284f., hält dagegen daran fest, daßsowohl Zaleukos als auch Charondas solche Gesetze gegeben hätten; unklar BONNER/SMITH 1930, 75.
61 Vgl. auch MÜHL 1929, 27f.; 62 12,17,3. 63 12,18, 1f.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
140
historisch wertlos zuverwerfen64 –undzwar einschließlich des scheinbar harten Kerns nämlich des zurDisposition gestellten „ Gesetzes“über Scheidung und Wiederverheiratung undseiner geänderten Fassung. Nicht nur dürfte dieses „ Gesetz“wohl kaum die gesellschaftlichen undrechtlichen Realitäten der Stellung der Frauen unddes Familienrechtes imThurioi des 5. Jahrhunderts oder gar imKatane derarchaischen Zeit widerspiegeln. Es hatauch, jedenfalls indervorliegenden Form, praktisch nichts mitdem konkreten Inhalt besser bezeugter Satzungen über Scheidung zu tun, in denen es eben nicht umeine abwegige undauch noch für Männer undFrauen gleichermaßen geltende Normierung derPartnerwahl ging, sondern in erster Linie etwa umdieStellung der(ungeborenen) Kinder, die Mitgift bzw. ihre Rückgabe undgenerell die vermögens- und 65. wieetwaimgroßen „Recht vonGortyn“ erbrechtlichen Konsequenzen derScheidung – Gravierende Vorbehalte bestehen auchgegen dieAuthentizität des „dritten Gesetzes“ , dasjemals geändert worden sein soll –undzwar nicht nurdeswegen, weil es wieder nur bei Diodor undnurimZusammenhang mitdemobskuren „Gesetz desCharondas“über das Verfahren bei der Revision von Gesetzen erwähnt wird. Außerdem ist der Antragsteller, der schließlich wiederum nach der praktisch identischen Formulierung Diodors „ derSchlinge entkommt“ , auch noch eine Frau, wasja überhaupt nichts mitderRealität zutunhaben kann6 6. Wiederum gibt es noch weitere gewichtige Gründe, auch den eigentlichen Kern der Nachricht –dieExistenz eines „ Gesetzes des Charondas“π ρ ω ή ν–als zuρ ὶτ ε ῶ νἐπ λ ικ mindest in dervorliegenden Form unhistorisch abzulehnen. Diodor behauptet zunächst, daßdieursprüngliche, dannrevidierte Regelung sich auch„ beiSolon“gefunden habe. Ob allerdings das Gesetz über die Pflicht des nächsten Verwandten einer epikleros aus der Klasse der Theten, sie zu heiraten oder mit 500, 300 oder 150 Drachmen (für Pentako7, siomedimnoi, Hippeis bzw.Zeugiten) auszustatten6 in dieser Form überhaupt solonisch sein kann, steht keineswegs fest. Genau damit bringt Diodor jedoch das erwähnte ursprüngliche, später geänderte Gesetz desCharondas inuntrennbaren Zusammenhang: Der nächste männliche Verwandte müsse entweder die epikleros heiraten oder sie, falls sie mittellos sei, miteiner Mitgift von500 Drachmen ausstatten –undes wardiese alternative 8: Option, die nach einer rührseligen Anekdote bei Diodor dann aufgehoben wurde6 Die spätere, wahrscheinlich nachsolonische undjedenfalls noch vonDemosthenes undIsaios als geltendes athenisches Recht vorausgesetzte Regelung wird also (in vereinfachter Form) demCharondas zugeschrieben, während die strengere, einfachere (und ältere?) Vorschrift als sekundäre Änderung seines ursprünglichen Gesetzes vorgestellt wird. Wenn manalso nicht vonderreichlich konstruierten Voraussetzung ausgehen will, daß 69, Charondas „ eine Anleihe beim attischen Recht gemacht habe“ kann dieses Gesetz kaum
der Sache,
DARESTE 1902, 20; KOHLER/ZIEBARTH 1912, 90; MÜHL 1929,28f.; BONNER/SMITH 1930,79 und(allerdings eher zurückhaltend) NIESE 1899, 2182; CRISPO 1940, 120f. (authentisches Gesetz aus Lokroi). MÜHL1929, 28ff.; 1933, 81ff., hatte dabei sehr wohl Code des erkannt, daßdasGesetz keinerlei Parallelen imgriechischen Raumhat–diese suchte er im „
64 Vgl. allerdings für die Authentizität wieder
Hammurabi“ .
55. 65 ICret IV 72, Coll. II 45– IV 15; XI 46– III 16; III 44– ν ο ν χ ο υκίνδυ ὴτ 66 12,18,3– ὸ ν νἐκτ 4. Vgl. die Formulierung in 12,18,4: ἡμ α νὀρφ ὲ ο ῦβρό ν . γ ε ἐξέφ υ 67 Demosth. 43,54; Isaios 1,39. 68 12,18,4. 69 MÜHL 1929, 24. Vgl. für die Authentizität auch DARESTE 1920, 21; KOHLER/ZIEBARTH 1912, 90.
2. Dieeinzelnen Poleis
141
authentisch sein–eskönnte sich höchstens, wie dergesamte Kontext bei Diodor nahelegen könnte, umeine bereits recht differenzierte, vielleicht tatsächlich aus Athen übernommene Regelung aus Thurioi handeln, die Diodor (wie die gesamte Gesetzgebung dort) kurz undbündig demCharondas zugeschrieben hat70.
Auchjenes „Gesetz des Charondas“ist wohl kaum alt undauthentisch, wonach diejenigen, diesich einer „ falschen Anklage“(σ υ κ ο φ α ν τ ία ) schuldig gemacht hatten, in der
Öffentlichkeit einen Tamariskenkranz tragen mußten und dann aus der Stadt verbannt wurden71. Jedenfalls kann dieses „ Gesetz“nicht einem „ Nomotheten“des archaischen Katane zugeschrieben werden, schon allein, weil es eine voll entwickelte undregelmäßig praktizierte Popularklage voraussetzen würde72. Tatsächlich ähneln das „ Gesetz“in der vorliegenden Formulierung, die darin vorgesehene Strafe undnicht zuletzt die nach Diodor angeblich dahinterstehende „Motivierung“ , die in einer gewissermaßen moralisch erbaulichen Abschreckung (die Sykophanten mußten allen Bürgern zeigen, daßihnen „ der erste Preis derBosheit“zuerkannt worden war) bestanden haben soll, auffällig den„ Sittengesetzen“desZaleukos unddesDiokles73. Unddiese Gesetze dürften zumindest in der überlieferten Form auch nicht authentisch sein: Sie haben die immer gleiche moralisierend-belehrende Tendenz, die den uns bekannten echten Gesetzen der archaischen Zeit
völlig fremd ist74.
Dasgilt natürlich gerade auch für das „Gesetz“ , das Charondas „über den schlechten Umgang“(π ρ ὶτ ῆ ε ιλ ία ςκακομ ς ) gegeben haben soll unddas angeblich sogar besondere δ μ ίκ ιλ α ία ικα κ ο ςundschwere Strafen vorsah75. Das ebenso erbauliche wie wenig konkrete Dictum μ ὴ κ α κ ο ῖςὁμ ίλ ε ιwurde –mit einer ganzen Serie ähnlicher Ratschläge wie ὴ μ ψ ε ύ δ ο υundθεο έ ὺ α , γον ςτίμ α ςα ἰδ ο ῦ–auch Solon zugeschrieben76 undfindet sich in sehr ähnlicher Formauchschon beiTheognis77 –undumeine allgemeine Lebensweisheit dieser Art(undnicht umeine „gesatzte“Norm) geht es auch in derPassage aus dem „ Phoenix“desEuripides, aufdenDiodor etwas später anspielt78. Dasimmer wieder unterstellte erzieherische Ziel des „Nomotheten“tritt in einem weiteren angeblichen „ Gesetz“desCharondas –derVorschrift über die Strafen für diejenigen, die imKrieg ihren Posten verlassen bzw. sich garnicht erst zumKriegsdienst gestellt hatten –vollends in denVordergrund: Sie mußten drei Tage in Frauenkleidung auf derAgora sitzen. Durch diese „Ehrenstrafe“seien nicht nur andere Bürger davon abgehalten worden, es ihnen gleich zutun; zugleich seien auch die auf diese Weise Bestraften
70 Diod. 12,11,3f.; 18,1; 12,1ff. Vgl. GERNET 1921, 354; CORDANO 1978, 97. Nach CRISPO 1940, 121f. stammte auchdieses Gesetz ausLokroi. 71 Diod. 12,12,2. Vgl. fürdieAuthentizität allerdings DARESTE 1902, 25f. 72 Vgl. LATTE 1931/1968, 292. 73 BUSOLT 1920, 378 mit Anm.4; unklar MÜHL 1929, 34; vgl. CRISPO 1940, 119, der das Gesetz genau ausdiesen Gründen füreinechtes Gesetz ausThurioi hält, dasaufZaleukos zurückgehe. Vgl. ADCOCK 1927, 103, sowie die Abs. LOKROI EPIZEPHYRIOI; SYRAKUS. wiederum DARESTE 1902, 25; MÜHL 1929, 35 und anscheinend BONNER/SMITH 1930, 82. 76 Apollod. apud Diog.Laert. 1,60. Vgl. ADCOCK 1927, 103. 77 Theognis 31f.; κα κ ο μ ίλ ά ν ῖσ ε ι/ ἀ σ ρ ο σ δρ ιν . ο ιδ ὴ π ὲμ 78 Diod. 12,14,1; vgl. das etwas längere Zitat bei Aeschin. 1,152 (= Euripid. Phoenix frg. 812NAUCK). 74
75 Diod. 12,12,3. Vgl. für die Authentizität
142
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
dazuangespornt worden, beinächster Gelegenheit ihre Entehrung durch besonderen Mut rückgängig zumachen79. Imgleichen Zusammenhang behauptet Diodor, daß dies eine Besonderheit der Gesetzgebung des Charondas gewesen sei –„andere Gesetzgeber“hätten für diegenannten Delikte dieTodesstrafe vorgesehen. Wenn mansich auch vor allgemeinen Schlußfolgerungen über griechische Kriegsdienstgesetze ausgerechnet ausdieser Quelle hüten sollte, verrät diese Bemerkung doch zumindest, daßdieTodesstrafe als Regel galt. Angesichts derrealen undnicht zuletzt derideologischen Bedeutung des Kriegsdienstes für diePolis undihre Bürgerschaft sind ein solches „mildes“Gesetz undeine solche Strafe eigentlich 0. undenkbar8 Charondas soll sich auchnochaufeiner anderen Ebene umdie Erziehung bemüht haben: Angeblich legte er gesetzlich fest, daß alle Söhne der Bürger das Lesen und Schrei-
benzuerlernen hatten unddiedafür erforderlichen Lehrer vonderPolis bezahlt werden 1. sollten8 Daran schließt Diodor längere Erwägungen überdenNutzen derSchrift unddie besondere Weisheit des Gesetzgebers an, derdarin diejenigen, die schon früher die Finanzierung ärztlicher Behandlungen ausöffentlichen Mitteln eingeführt hätten, weit übertroffen habe: Während diese nurfür diekörperliche Gesundheit derBürger Sorge getragenhätten, habe Charondas ihre Seelen vonderKrankheit derUnbildung geheilt. Selbst wenn mandiese Passage als offensichtlich spätere philosophisch-pädagogische Zutat beiseite läßt, erscheint es höchst fraglich, ob der Kern der Sache, nämlich dieses „ Gesetz“ ,
alsMaßnahme desSophisten undGesetzgebers Protagoras für Thurioi denkbarist82. Es könnte jedenfalls mindestens ebenso gutnichts weiter als ein erfundenes Beispiel fürdiekonkrete Umsetzung derallgemeinen moralisch-erzieherischen Ziele sein, die dem„Nomotheten“ja auchsonst grundsätzlich unterstellt wurden83. Auch das sogenannte „Stiefmuttergesetz“ist in ein Stück praktisch-handfeste Lebensphilosophie eingebettet: Danach sollte einWitwer mitKindern, dersich noch einmal verheiratete undseinen Kindern damit eine (unerwünschte) Stiefmutter bescherte, vonder aktiven Teilnahme ampolitischen Leben ausgeschlossen werden84 undbei seinen Mitbürgern kein gutes Ansehen mehr genießen –so heißt es in denvonDiodor in diesem Zusammenhang zitierten Versen eines unbekannten Komikers über den Gesetzgeber Cha85. Nomothesie“ Wennjemand es nämlich derart anSorge umdas Wohl rondas undseine „
wenigstens
2. Vgl. für die Authentizität dieser Nachricht wiederum DARESTE 1902, 26; 79 Diod. 12,16,1– KOHLER/ZIEBARTH 1912, 90; MÜHL1929, 38; 1933, 10f.; BONNER/SMITH 1930, 78; CAMASSA 1996, 570. BUSOLT 1920, 378 mit Anm.4, hält es wiederum für ein (echtes) thurisches Gesetz, das den„Geist desZaleukos überFrauenzucht undKleiderprunk“atme; vgl. CRISPO 1940, 118. 80 LATTE 1931/1968, 292. 4; Vgl. für die Authentizität wiederum DARESTE 1902, 28; BONNER/SMITH 81 Diod. 12,12,4; 13,1– 1930, 80. 82 So NIESE 1899, 2182; MÜHL 1929, 36. Vgl. allerdings COHN-HAFT 1956, 8f. Vgl. auch denAbs. Kos. 83 Vgl. mit Recht ADCOCK 1927, 103. 84 Diod. 12,12,1. Daßhier σύμβου λ ο ςnicht in einem allgemeinen Sinne gebraucht ist, sondern in der β ο υ λ ο ι, ist μ ύ präzisen technischen Bedeutung derbei Aristot.Pol. 1307b13ff. fürThurioi bezeugten σ keineswegs sozwingend, wieBUSOLT 1920, 378 Anm.4, undMÜHL1929, 34 suggerieren. Vgl. für die Authentizität auch schon etwa DARESTE 1902, 20; KOHLER/ZIEBARTH 1912, 89; BONNER/SMITH 1930, 80. 85 Adespota frg. 110KOCK = FACfrg. 110 (= Diod. 12,14,1).
2. Dieeinzelnen Poleis
143
seiner eigenen Kinder undvor allem an Einsicht fehlen lasse, könne er auch nur ein schlechter Ratgeber des Vaterlandes sein: Dennwerin seiner ersten Ehe glücklich war, solle damit zufrieden sein –undwenn er schlechte Erfahrungen gemacht habe, sei es schlicht Dummheit, es noch einmal zuversuchen86. Selbst wenn manvon vornherein von dieser demGesetzgeber ausdrücklich unterstellten, wohl etwas kruden „ Philosophie“absieht, stellt sich die Frage, wie das eigentlich zudemangeblichen Gesetz überdieWiederverheiratung geschiedener Männer (und Frauen)passen soll. Die ganze Tendenz derErzählung macht letztlich auch dieeigentliche inhaltliche Information verdächtig –wenn auch nicht auszuschließen ist, daßsich in dieser historisch wertlosen Tradition etwaeine erb- undfamilienrechtliche Regelung zumSchutz vonKindern auserster Eheentfernt undsehr gebrochen gespiegelt haben könnte87. Das einzige bei Diodor erwähnte Gesetz, das einen wirklichen authentischen Kern enthalten könnte, ist eine Regelung ausdemErbrecht. Bezeichnenderweise findet Diodor, wenigstens auf denersten Blick, nichts Besonderes an demGesetz. Danach schrieb es vor, daß das Vermögen einer unmündigen Waisen von den nächsten Verwandten des Vaters (inderRegel also seinen Brüdern) verwaltet, die Waise selbst aber vondennächstenVerwandten derMutter aufgezogen werden sollte. Damit wollte derGesetzgeber angeblich dasLeben derWaisen vordenNachstellungen dergierigen väterlichen Verwandtenschützen, dieja imFalle desAblebens derWaisen ihrerseits dasErbe antreten könnten –genau deswegen würden sieandererseits dasErbegutverwalten, weil sieesja vielleicht dochbekämen; umgekehrt hätten dieVerwandten aufdermütterlichen Seite kein Interesse amToddesErben, weil sie sowieso nicht erbberechtigt seien88. Wasauchimmer manvondiesem GradanMißtrauen halten mag, derdemGesetzgeberganz selbstverständlich unterstellt wurde: Auchimgroßen „Recht vonGortyn“gibt es jedenfalls eine Regelung, diedieVerwaltung desVermögens etwa dernoch nicht heiratsfähigen Erbtochter vondereigentlichen Vormundschaft trennte89. Ein solches Gesetz wäre also durchaus vor derMitte des5. Jahrhunderts undwohl auch schon früher denkbar – wiederum aber gibt es keinerlei Möglichkeit festzustellen, ob es sich um ein „ Gesetz des Charondas“(aus Katane) handelte oder eher umeine in Thurioi eingeführte Regelung, welcher Provenienz auchimmer. Nomothesie“ Weitere Nachrichten über die Gegenstände undkonkreten Inhalte der „ desCharondas sind nicht überliefert. Zwarwird zuweilen aus derNotiz über das „Mordgesetz“ GedesAndrodamas, derausRhegion stammte unddiedortangeblich geltenden „ setze des Charondas“bei seiner „ Nomothesie“für die Chalkidier in Thrakien übernommenhaben soll9 0, undauch aus der fragmentarischen Inschrift aus Leontinoi auf ein
86
Darauf soll sich nach Diod. 12,14,2 auch derSatz des Philemon beziehen, daßes nicht so sehr erstaunlich sei, einmal zur See gefahren zu sein, als sich demein zweites Mal auszusetzen (frg. 183KOCK = FAC frg. 48A mitAbweichung).
87 Vgl. ADCOCK 1927, 105. 3. Vgl. fürAuthentizität 88 Diod. 12,15,1–
dieser Nachricht etwa NIESE 1899, 2182; DARESTE 1902,
KOHLER/ZIEBARTH 1912, 89, sowie MÜHL 1929,
36f.;
BONNER/SMITH
20;
1930, 80; CAMASSA 1996,
569. 89 ICret IV 72, Coll. VIII 42– 53; XII 9– 17. Vgl. dazu WILLETTS 1967, 25, sowie 73; 79 adloc. 90 Aristot.Pol. 1274b23– 25. Vgl. denAbs. über die CHALKIDIER INTHRAKIEN.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
144
1.
„ Blutrecht des Charondas“geschlossen9 Dies läßt sich aber ebensowenig zwingend zeigen oderauch nurplausibel begründen wie die Behauptung, daßCharondas das „ Ge2: wohnheitsrecht“mit derbei Aristoteles diagnostizierten ἀ ρ ίβ ε ια kodifizierte9 Dies beκ ruht eindeutig auf bestimmten, axiomatisch gesetzten Annahmen über den umfassenden undbewahrenden Charakter einer „typischen“archaischen „Nomothesie“93. Tatsächlich ist es vielmehr so, daßeine Reihe vonGesetzen –die vielleicht auch in einer Sammlung zusammengefaßt waren – unter demNamen desCharondas bekannt war. NachdenIndizien, diesich ausderrelativ frühen undguten Überlieferung bei Aristoteles undTheophrast eruieren lassen, bildeten diese „Gesetze des Charondas“aber keineswegs eine geschlossene Einheit. Sie müssen noch nicht einmal in einem losen Zusammenhang miteinander gestanden haben, undmöglicherweise gehörten sie auch gar nicht der gleichenZeit undrechtlichen Entwicklungsstufe an.WiedieGestalt des Charondas selbst ist auchseine große „Nomothesie“letztlich alsgenuin historisches Phänomen nicht faßbar. KEOS
Keos, eine Insel derKykladen vor derSüdspitze Attikas mitvier lange Zeit autono1, genoß in derAntike denRuf besonderer Sittenstrenge: Angeblich waren men„Städten“ Hetairen undFlötenmädchen ausdenPoleis derInsel verbannt2. Dazuscheint gutzupassen, daß nach einer (wohl auf Aristoteles zurückgehenden) Nachricht des Herakleides Lembos ein gewisser Aristeides sich umdieguten Sitten unddas anständige Benehmen derFrauen auf Keos gekümmert haben soll3. Andergleichen Stelle wird eine Sitte „ aus alter Zeit“ erwähnt, wonach Knaben undMädchen bis zurHochzeit nurWasser tranken. Drittens werden nochbestimmte Regeln derTrauer umVerstorbene genannt: Männer sollenweder durch ihre Kleidung nochdurch ihre Haartracht Trauer gezeigt haben; lediglich dieMutter eines verstorbenen Knaben trauerte einJahr lang4. Weder über die Person des Aristeides noch über den konkreten Inhalt seiner Maßnahmen zursogenannten ε γ υ μ ία ν κ ὐ α ο ικ σ ῶ νliegen weitere Angaben vor; ebensowenig enthält dieNotiz irgendwelche Anhaltspunkte für eine Datierung. Und schließlich wird zwischen deneinzelnen genannten Regeln undSitten weder explizit ein innerer ZusamGemenhang hergestellt noch implizit suggeriert. Dennoch gilt dieser Aristeides als der „
91 Vgl. etwa VALLET 1958, 319;
CORDANO 1978, 96f.; 1986, 33; 49ff. ROEBUCK 1980, 1930; vgl. dazuauchbereits, allerdings zurückhaltender, BONNER/SMITH 1930, 79 Anm.2. Siehe auch denAbs.
LEONTINOI.
92 Vgl. etwa VALLET 1958, 320; ROEBUCK 1980, 1928.
93 Vgl. dazuKapitel I1. 1
2 3
4
Vgl. J.L. CASKEY, in: STILLWELL et al. 1976, 446f. mit Literatur; vgl. auch HUXLEY 1978, 231ff. Phylarchos FGrHist 81 F 42 (= Athen. 13,610D). ιρ Herakleides Lembos Exc.polit.frg. 28DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 9,3f., FHG II, p. 215): Ἀ η μ ία . σ τε ς ίδ ςἐπ ε ε λ γ ν κ ο ν υ σ εμ α ῶ ε ικ ὐ ῖτ ο ιν σ ο ῖςτελευτῶ ο υ .ἐ π ὲτ ὶδ ρ ιγάμ Ebda.: Κ ιμέχ α ρ α ὶτ ὸ ἱκό π α ὶα λ α α α ρἔπ ἱπ ῖδ ο ε ιὸ ν ςκ ο ν ὕ ιν δ ω . ό υ τ ς ο τ ςἐνια ν ή ρ ὶδ α σ ὲν έ ο τ η υ τε λ τ ε υ ;μ ν ά ρ κ ἢ ο υ ρ ὶἐσθ α ῆ τ σ ιπ ε ά ν θ έν ο ν ἐ σ τ δ έ δρ ο ὐ ιπ ςἐ ν ἀ
2. Dieeinzelnen Poleis
145
setzgeber“vonKeos in archaischer Zeit5 , der sogar mitSolon, Zaleukos, Charondas und Pittakos aufeine Stufe gestellt werden könne6. Diese Einschätzung beruht aufdernieproblematisierten undoftauchnurimplizit vorausgesetzten generellen Grundannahme, daß gesetzliche Regelungen und Vorschriften über dieLebensweise unddasöffentliche Auftreten, insbesondere der(freien, „bürgerlichen“ ) Frauen ein typischer undgeradezu konstitutiver, jedenfalls regelmäßig anzutreffender bzw. anzunehmender Bestandteil archaischer „ Gesetzgebungen“gewesen seien; denn solche „Gesetzgebungen“sollten ja –wenigstens tendenziell unddemunterstellten diegesamte Ordnung derwerdenden Polis umfassend regeln unddabei Anspruch nach– nicht zuletzt eben auch das „ private“Leben der Bürger (und ihrer Frauen) einheitlichen undimSinne der Polisgemeinschaft vereinheitlichenden Normen undRegeln unterwerfen7 . Solche Vorschriften undinsbesondere Verbote werden also in aller Regel in den Rahmen eines weiten, innerlich zusammenhängenden „ nomothetischen“Komplexes gestellt. Dazu werden dann nicht nur die den großen „Gesetzgebern“regelmäßig zugeschriebenen „ Luxusgesetze“imengeren Sinne gerechnet8, wie etwajene Regeln, die Zaleukos inLokroi Epizephyrioi eingeführt haben soll9 unddieinfast identischer Form auch in Syrakus gegolten hätten10: Eine Frau sollte (wie natürlich auch in Sparta11) keinen Goldschmuck undkeine extravaganten, etwa pupurgesäumten Kleider tragen dürfen –es sei denn, siewareine Hetäre; siesollte beiNacht nicht die Stadt verlassen dürfen –es sei denn, siewollte Ehebruch begehen. In Syrakus warangeblich noch vorgeschrieben, daß eine Frau bei Tag nurin Begleitung (mindestens) einer Dienerin in derÖffentlichkeit erscheinen durfte, während sie andererseits nachderRegel desZaleukos vonnicht mehr als einer Dienerin begleitet werden sollte –esseidenn, siewarbetrunken. Genau dieses Problem soll dann ein zweiter konkreter Gegenstand des allgemeinen Sittengesetzgebung“gewesen sein: Dazuwerden nämlich auch dieVorKomplexes der„ schriften gerechnet, die den Weingenuß beschränken sollten und die Trunkenheit unter Strafe stellten: So soll etwa Zaleukos sogar die Todesstrafe für den Konsum ungemischten Weins vorgesehen haben1 2. Und in Massalia, wie später noch in Milet, hätten die 3. Frauen überhaupt nurWasser trinken dürfen1 Nicht zuletzt soll ja dergroße Pittakos in Mytilene die Strafen für Delikte, die imZustand derTrunkenheit begangen worden waren, empfindlich verschärft, ja verdoppelt haben14.
5 6 7
8 9 10 11 12
13
Vgl. etwa MEYER 1937, 524; 526f. BUSOLT 1920, 379, sowie 380; BONNER/SMITH 1930, 82; MÜHL 1939, 310f.; CRISPÒ 1940, 125; GEHRKE 1978, 168 mit Anm.98; GAGARIN 1986, 68. Vgl. etwa BUSOLT 1920, 381; BERVE 1951, 152; BENGTSON 1969, 111, ferner auch ANDREEV 1975, 76 mit Anm.16; GEHRKE 1978, 167ff.; 187; GAGARIN 1986, 78; CAMASSA 1996, 569. Vgl. auchKapitel I. Wie möglicherweise auch dem Charondas (Stob.flor. 44,40) und dem Pittakos (Sappho frg. 98bLOBEL-PAGE = T 9GENTILI/PRATO) undnatürlich Solon (Plut.Solon 21,4). Vgl. dazu die Abs. KATANE; MYTILENE.
Diod. 12,21,1f. Vgl. dazu denAbs. LOKROI EPIZEPHYRIOI. Phylarchos FGrHist 81 F 45 (= Athen. 12,521B-C). Vgl. auch denAbs. SYRAKUS. Herakl. Lembos Exc.polit.frg.13DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 2,8, FHGII, p. 211). Athen. 10,429A. Vgl. auch den Abs. LOKROI EPIZEPHYRIOI. Theophrast frg. 117WIMMER (= Athen. 10,429A-B; Ael.var.hist. 2,38). Vgl. dazu den Abs. MASSALIA.
14 Aristot.Pol. 1274b19ff.; EN 1113b31ff.; Rhet. 1402b12ff.; Plut.mor. 155F; Diog.Laert. 1,76. Vgl. dazu den Abs. MYTILENE.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
146
Schließlich werden auch noch diezahlreichen Normen undRegeln über den Ablauf zulässigen Aufwand unddas Auftreten undVerhalten der Trauernden (insbesondere wiederum derFrauen) in dengenerellen Zusammenhang der archaischen Gesetzgebung über Lebensweise und„ bürgerliche“Sitten eingeordnet. SolcheGesetze, diedieSchlichtheit undEinheitlichkeit vonGräbern undZeremonien garantieren sollten, sind wiederum für Syrakus überliefert15 undwurden, was nicht überraschen kann, auch demLykurg zugeschrieben16. Pittakos soll demUsus allzu großer und pompöser Trauerzüge durch dieBeschränkung derTeilnehmer auf die Familienmitglieder gegengesteuert haben17. AuchausAthen sind ähnliche undin diesem Fall sehr ausführlicheVorschriften überliefert, diezumeist natürlich aufSolon zurückgeführt werden18: Diesedetaillierten Regeln betrafen nicht nurdieKleidung derFrauen (sie sollten nicht mehr alsdrei Kleidungsstücke tragen), dieGegenstände, diesiezukultischen Zwecken mitführendurften (diese sollten bescheiden undvongeringem Wert sein), undihr Verhalten bei derTrauer undamGrab(sie sollten sichmitdemonstrativen Trauerbekundungen offenbar zurückhalten). AuchdieAufbahrung desToten, derAblauf desTrauerzuges unddie Reinigungsriten scheinen bis ins Einzelne geregelt worden zu sein. Insbesondere soll auch Solon einerseits denKreis derdabei zuzulassenden (weiblichen) Verwandten des Toten präzise festgelegt undandererseits denAufwand bei derAusstattung des Toten auf drei Gewänder beschränkt haben19. Gerade die beiden zuletzt genannten Normen stimmen auffallend mit wesentlichen Vorschriften desGesetzes über Bestattungen ausIulis aufKeos überein, dasin einer Inschrift aus demletzten Viertel des 5. Jahrhunderts erhalten ist20. Aus der Formulierung desersten Satzes desTextes istzuschließen, daßhiernicht einunmittelbar zuvor gefaßter Beschluß veröffentlicht wurde, sondern bereits geltende undwomöglich erheblich ältere Regelungen (nochmals?) fixiert werden sollten21. Manhat daher nicht nurvermutet, daß dieses Gesetz nach Inhalt und„ Tendenz“ indasspäte 6. Jahrhundert gehöre undbereits zudieser Zeit geradezu direkt aus der Gesetzgebung Solons, wenn auch mit einigen Mo-
von Begräbnissen, dendabei
15
Diod. 11,38,2f. Vgl. den Abs. SYRAKUS.
16 Plut.Lyk. 27,1ff.; mor. 238D; Herakl. Lembos Exc.polit.frg. 13DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 2,8, FHGII, p. 211). Vgl. dazu GARLAND 1989, 1ff.; ENGELS 1998, 55ff. 17
Cic.leg. 2,26,65f. Vgl. den Abs. MYTILENE.
26,66 (Demetrios v. Phaleron, FGrHist 228 F 9 = frg. 18 Cic.leg. 2,25,63–
139WEHRLI
=
1966, F 72a); Cic.leg. 2,23,59 (= RUSCHENBUSCH 1966, F 72b); [Demosth.] 43,62 (= RUSCHENBUSCH 1966, F 109); Plut.Solon 21,4ff. (= RUSCHENBUSCH 1966, F 72c); vgl. auch Plut.Solon 12,4f. zu Epimenides. S. dazu GARLAND 1989, 3ff.; ENGELS 1998, 77ff.; 97ff. 19 Cic.leg. 2,23,59; 25,64; Plut.Solon 21,5. 20 IG XII 5,593A, Z.2ff. (drei Tücher zur Bedeckung des Toten, deren Wert den Betrag von 100 Drachmen nicht übersteigen durfte); Z.23ff. (die zugelassenen weiblichen Verwandten). Vgl. bereits KOEHLER 1876, 139ff.; RIJG II, Nr. 2; Syll.3 1218; SGDI 5398; DGE 766; BUCK 1955, Nr. 8 und zuletzt LSCG Nr. 97; KOERNER Nr. 60; GARLAND 1989, 11ff.; ENGELS 1998, 60ff. mit denEinzelRUSCHENBUSCH
heiten undweiteren Nachweisen. ]. Vgl. etwa bereits KOEHLER 1876, [ν ω ]ν έ ]φ ]ο θ ι[μ ιπ ρ [μ 21 IG XII 5,593A, Z.1: Ο ἵδ ε ὶτ γκα εν τ[α ό ῶ 140f.; RIJG II, S. 14; AMPOLO 1984, 94. Aufdemgleichen Stein · findet sich ein anderes Dokument, μ ω ιbeginnt: IG XII 5, 593B, ιδή ῶ ὶτ α ικ ῆ λ dastatsächlich mitderbekannten Formel ἔδο ιβου ῆ ν τ ε ξ 3. Z.1–
2. Dieeinzelnen Poleis
147
difikationen, übernommen worden sei22. DieInschrift wird auch mitderspäteren spärlichen Nachricht über deneingangs erwähnten Aristeides in Zusammenhang gebracht und
(zumindest indirekt) als Indiz für dieAuthentizität des „ Gesetzgebers von Keos“gewertet23. Zuweilen gilt diese Inschrift sogar als eindeutiger, gewissermaßen urkundlicher Beleg für die generelle Glaubwürdigkeit der literarischen Tradition über die Bedeutung der„Sittengesetzgebung“indenfrühen „Codes“überhaupt24. Diese Schlußfolgerung setzt wieder voraus, was erst zubeweisen wäre. Tatsächlich deutet nichts darauf hin, daßdie zitierte, demAristeides zugeschriebene Regelung über –wennes denn als „Gesetz“gegolten haben sollte, was ausder γ υ μ ία dieἐυκο ν σ α ικ ῶ ν Formulierung desHerakleides nochnicht einmal eindeutig hervorgeht –nureinTeil einer allgemeinen „ Sittengesetzgebung“war, die sich, neben der Regel über den Genuß von Wasser statt Wein, auchaufdasVerhalten bei Begräbnissen erstreckt hätte. Dieerwähnte Formulierung deutet ja gerade an, daßes zwischen dendrei Gegenständen keine Verbin-
dunggab.
Darüber hinaus ist festzuhalten, daßdie in der Inschrift bewahrten älteren Normen, selbst wenn sie den einschlägigen Maßnahmen Solons entlehnt sein sollten, allem Anschein nach nicht Teil einer systematischen undumfassenden „ Sittengesetzgebung“im Rahmen einer allgemeinen „ Kodifikation“waren: Esdürfte sich eher umein spezifisches, aufeinen einzigen Gegenstand bezogenes Einzelgesetz mitwahrscheinlich durchaus differenzierten Bestimmungen gehandelt haben –amehesten vergleichbar einerseits mit dem vielleicht ebenfalls indas6. Jahrhundert zurückreichenden undauch inhaltlich recht ähnlichen τεθ μ ό ςüberBestattungen imRahmen derSatzungen derLabyaden inDelphi, die in einer Inschrift aus der Zeit um400 vorliegen25, undandererseits mit dem Gesetz aus 6. Gambreion über dieTrauer, dasallerdings erst ausdem3. Jahrhundert datiert2 Daszuletzt genannte Gesetz ist nochineiner weiteren Hinsicht voneinigem Interesse: Es enthält spezifische Vorschriften über die zulässige Trauerzeit und die angemessene Trauerkleidung derFrauen einerseits undderMänner undKinder andererseits27 . In diesemFall kommen also beschränkende Normen über Frauenkleidung in einem ganz spezifischen Kontext vor: Sie sind–wiewohl auchindemerwähnten Gesetz Solons –gewissermaßen funktionaler Bestandteil anderer, ihrerseits ganz konkreter und spezifischer Vorschriften. Dasgilt vorallem auchfürdieVerbote desTragens vonSchmuck undextravaganter, bunter undbesonders wertvoller Kleidung: Diese Beschränkungen kommen fast durchwegineinem religiösen Kontext vor, insbesondere alsBestandteile vonVorschriften über dasAuftreten undVerhalten bei Kulten undin Tempeln –wie schon in demarchaischen Gesetz aus Arkadien28, denRegeln für denDemeterkult in Patras29 undin Lykosura aus
22 So etwa schon KOEHLER 1876, 148 undderKommentar RIJG II, S. 14ff. Vgl auch GUARDUCCI 1926, 89. 23 MEYER 1937, 524 mit Anm.2; 526f. Vgl. auch den Kommentar RIJG II, S. 14 und neuerdings AMPOLO 1984, 94. 24 Vgl etwa KOEHLER 1876, 139; ADCOCK 1927, 96; ferner auch RIJG II, S. 12ff.; BUCK 1955, S. 191; AMPOLO 1984, 93f.
25 BUCK1955, Nr. 52, C, Z.19ff.; vgl. RIJG II, Nr. 28; SGDI 2561; DGE 323 undneuerdings LSCG Nr. 77 mit weiteren Nachweisen (nur C, Z.19ff.); KOERNER Nr. 46. Vgl. AMPOLO 1984, 84f.; 94. 26 RIJG Nr. 3; Syll.3 1219 undjetzt LSAM Nr. 16. 27 LSAM Nr. 16, Z.4ff., sowie Z.11ff. Vgl. dazu MILLS 1984, 264 mit Anm.35. 28 LSCG Suppl. Nr. 32. Vgl. dazu denAbs. ARKADIEN. Vgl. generell MILLS 1984, 258ff.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
148
dem3. Jahrhundert30 und den besonders ausführlichen Vorschriften der sogenannten 1. Mysterieninschrift ausAndania, dieindas1.Jahrhundert gehört3 Durchweg handelt es sich dabei umbesondere Einzelgesetze zu spezifischen, wohl definierten Gegenständen, diein einem konkreten, nämlich religiösen undsakralrechtlichenKontext standen –keines dieser Gesetze, unddamit auchkeine derdarin enthaltenen Vorschriften gegen aufwendige Kleidung undpersönlichen Luxus, gehörte in eine gewissermaßen „ staatlich“ -profane, systematische und einheitliche „ Sittengesetzgebung“mit moralisch-erzieherischer Zielsetzung, etwa imRahmen einer allgemeinen undumfassen: Die genannten Materialien dennoch für die Annahme einer solchen den„Kodifikation“ Gesetzgebung“in Anspruch zunehmen, ist eine Konstruktion, die sich höchstens auf „ eine unzuverlässige, durch spätere philosophische, insbesondere wohl pythagoreische,
2.
Vorstellungen kontaminierte Überlieferung stützen kann3 Zugleich sind damit dieverallgemeinernden Schlußfolgerungen hinsichtlich einer allgemeinen „Gesetzgebung“in Keos hinfällig, die ausder dürren Nachricht über Aristeides gezogen worden sind–womit die Möglichkeit, daßes sich trotzdem umeine historische Persönlichkeit handelte, natürlich nicht ausgeschlossen ist. Mit größter Wahrscheinlichkeit warerjedoch nicht derStifter einer umfassenden „Sittengesetzgebung“–ebensowenigwieandere, besser bezeugte „Nomotheten“derarchaischen Zeit33. KLEONAI
Das in der nördlichen Peloponnes, amSchnittpunkt derwichtigsten Verbindungen zwischen demIsthmos vonKorinth undderArgolis gelegene Kleonai –eine Polis, die sich imVergleich zuihren großen Nachbarn eher bescheiden ausnahm undauch kaum lange wirklich autonom gewesen zu sein scheint1 –ist derHerkunftsort einer Reihe von kleineren epigraphischen Zeugnissen ausdem6. Jahrhundert, die imZusammenhang der Diskussion über die Entwicklung undVerbreitung der verschiedenen Alphabetvarianten aufderPeloponnes eine Rolle gespielt haben2. Dabei haben sichvorallem nachdemFund derfrühen Inschrift im„Schlangenboustrophedon“in Tiryns, durch den die Zugehörigkeit dieser Polis zumVerbreitungsgebiet der argivischen Schrift feststeht3 , einige neue Einzelerkenntnisse ergeben: Unter anderem dürfte jene Stele miteinigen wenigen, kaum nochleserlichen undinhaltlich nicht mehrrekonstruierbaren Resten einer lexsacra ausder Mitte des 6. Jahrhunderts, die nach ursprünglicher Ansicht ausTiryns stammen sollte4, 29 LSCGSuppl. Nr.33 mitdemKommentar adloc.
30 LSCG Nr. 68, Z.2ff. mit dem Kommentar ad loc; Syll.3 999. 31 LSCG Nr. 65, Z.15ff. mit demKommentar adloc; vgl. bereits IG V 1, 1390; Syll.3 736; SGDI 4689; DGE 74. 32 Vgl. dazu grundsätzlich Kapitel II 3, anders hier MILLS 1984, 264f. 33
Vgl. dazu die Abs. KATANE; LOKROI EPIZEPHYRIOI; MASSALIA; MYTILENE; SYRAKUS.
1
Vgl. dazu generell F. BÖLTE RE 11, 1 (1921), 721ff.; JEFFERY 1961/1990, 147f.; TOMLINSON 1972, 29f.u.ö. Vgl. etwa JEFFERY 1961/1990, 144ff.; 151ff. mit denErgänzungen von A. JOHNSTON, S. 443ff.; JAMESON 1974, 67ff.; FOLEY 1988, 124ff., bes. 127.
2 3
VERDELIS et al. 1975, 187. Vgl dazu den Abs. TIRYNS.
4
PEEK1941, 198ff. (Nr. 5); vgl. auch die Abb. (Tafel 70); SEG 11 (1954) 369; JEFFERY 1961/1990, 150 (Nr. 8) vgl. 149.
2. Dieeinzelnen Poleis
149
wohl eher nach Kleonai gehört haben –diese Folgerung mußjedenfalls durch die Ähnlichkeit derwenigen nocherkennbaren Buchstaben mitderSchrift deranderen Zeugnisse
ausKleonai gezogen werden5 . Dazugehört auch derwenigstens teilweise besser erhaltene Text einer lex sacra, der wohl aufallen vier Seiten eines länglichen viereckigen Blocks vertikal undboustrophedon angebracht war: Auf einer derbeiden breiten Seiten undauf einer Schmalseite ist die Inschrift gut erhalten, auf der anderen breiten Fläche sind zumindest noch Spuren der Schrift erkennbar, die verbleibende Schmalseite, auf derwahrscheinlich der Anfang der lex sacra stand, ist verloren6 . Dieses Dokument stammt ebenfalls ausderZeit umdieMitte des 6. Jahrhunderts. Es enthielt Regelungen, die in archaischem „ Gesetzesstil“ , nämlich einer Reihe von Bedingungssätzen, formuliert waren. DieVorschriften betrafen die Reinigung von(verschiedenenArten) religiöser Befleckung7. Darunter waren anscheinend auch bestimmte, zur Reinigung vonBlutschuld vorgeschriebene Verrichtungen, wie sie etwa auch in derliterarischen Überlieferung bezeugt sind8 . Das ist jedoch ebensowenig eindeutig gesichert wie dieVermutung, daßderText auch denAusschluß (des Befleckten) vonöffentlichen Opfern unter bestimmten Bedingungen vorsah9 . Eine genauere Rekonstruktion desTextes ist
wegen des Verlustes wichtiger Teile derInschrift nicht möglich. DerBlock dieser lex sacra warursprünglich offensichtlich vonallen Seiten zugänglich, also freistehend in einem Heiligtum aufgestellt. DieForm des Trägers unddie Art derAufstellung legen die Vermutung nahe, daßes sich nicht umden unselbständigen Teil einer größeren „ Kodifikation“gehandelt hat, sondern umein Einzelgesetz mit spezifischen Regelungen zueinem konkreten Gegenstand. KNOSSOS
Aus Knossos, das auch in geometrischer undarchaischer Zeit (zumindest bis zum Ende des7. Jahrhunderts) eines derbedeutenderen kretischen Siedlungszentren gewesen zusein scheint1, stammen die Reste einer Inschrift, die D. COMPARETTI als „Gesetz“und L. JEFFERY sogar als „Fragmente“eines frühen „legal code“bezeichnet haben2 . Die In5 6
7 8
9
VERDELIS et al. 1975, 187; A. JOHNSTON, in: JEFFERY 1961/1990, 443; FOLEY 1988, 127. Vgl. auch JEFFERY 1961/1990, 149; 147ff. IG IV 1607; KOERNER Nr. 32; VAN EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 79. Vgl. zuerst DICKERMANN 1903, 3); IIGA 45,12; DGE 129; PEEK 1941, 200 mit Tafel 71; JEFFERY 1961/1990, 147ff. (mit figs. 1–
150 (Nr. 6), vgl. 148; 405 zuTafel 25,6a-c; GUARDUCCI 1967, 240f. (nur Teil c); LSCG Nr. 56 und SEG 25 (1971) 358. F. SOKOLOWSKI zu LSCG Nr. 56 unter Verweis auf LSCG Suppl. Nr. 65 (Thasos) und Nr. 115 (Kyrene), beide allerdings aus demspäten 4. Jh., sowie Nr. 112 (Lato), sogar erst aus dem2. Jh. Vgl. auch JEFFERY 1961/1990, 148. Vgl. etwa DICKERMANN 1903, 152ff. undneuerdings GAGARIN 1986, 89 Anm.23, unter Hinweis auf Apoll.Argon. 4,700ff.; Athen. 9,410A-B, ferner Plut.Solon 12; vgl. dazu das Material bei HEWITT 1910, 99ff. So etwa M.FRAENKEL zu IG IV 1607. danach
1
K. BRANIGAN, in: STILLWELL et al. 1976, 459f.; S. HOOD, in: HOOD/SMYTH 1981, 16ff.; 28 mit
2
weiteren Nachweisen; ferner neuerdings COLDSTREAM 1984a; 1991, 287ff. ICret I, viii, 2; KOERNER Nr. 89; VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 17. Vgl. zuerst N. NOVOSADSKY,
MDAI (A) 11, 1886, 180f.;
HALBHERR/COMPARETTI
1888a, 175ff.; COMPARETTI 1893, 439ff. (Nr.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
150
ist wohl in die Mitte des 6. Jahrhunderts zudatieren3 . Danurwenige Wörter erhalten sind, ist eine inhaltliche Rekonstruktion des Textes nicht möglich –anscheinend ging es umAngaben von Mengen bzw. Summen, vielleicht Bußen im Rahmen einer schrift
Strafbestimmung4. Wiein mehreren anderen Fällen befinden sich auch diese Inschriftenreste auf einem Block, derzueiner freistehenden Mauer odereiner Gebäudewand aus ähnlichen Blöcken, auf denen die Inschriften fortgesetzt wurden, gehört haben muß5 . Ob mandaraus den Schluß ziehen darf, daßes sich umeine ganze Wandnach Artderjenigen mitdemgroßen Code“ vonGortyn handelte6, istdamit allerdings keineswegs gesagt. Auseinem anderen „ Grunde ist eine solche Vermutung in diesem Falle sogar fragwürdig. In markantem Gegensatz zudenfrüheren Jahrhunderten gibt es nämlich auchnachachtzig Jahren intensiver Ausgrabungstätigkeit weder epigraphisches Material noch überhaupt irgendwelche nennenswerten archäologischen Zeugnisse irgendeiner Art aus dem Knossos des 6. Jahrhunderts7, aus dem die Inschrift ja unzweifelhaft stammt. Die Stadt scheint, vermutlich sogar ziemlich plötzlich, zuvölliger Bedeutungslosigkeit abgesunken zusein –ob inFolge eines unglücklichen Krieges mitLyttos undSparta, wieverschiedentlich vermutet worden ist, magdahingestellt bleiben8 . Jedenfalls warKnossos um550 nach allem, was gegenwärtig bekannt ist, kaum eine bedeutende oder sich zumindest entwickelnde Polis, die notwendig unddringend eines großen „Gesetzescodes“bedurft hätte. Abgesehendavon erscheint sogar fragwürdig, obdiese Siedlung zudieser Zeit vonihren instituKotionellen Voraussetzungen herüberhaupt inderLagegewesen wäre, sich eine große „ Rechts“ difikation“imStil des„ vonGortyn zugeben. Wasauchimmer in dieser Inschrift geregelt worden sein mag, es wird sich wohl eher umeine konkrete Einzelregelung irgendeiner Artgehandelt haben. KORINTH
, der der Korinther“ Nach einer Notiz desAristoteles meinte ein gewisser Pheidon „ der Häuser“ derältesten Gesetzgeber überhaupt gewesen sei, daßdieGesamtzahl „ undderBürger gleich sein solle, auchwennschon vonAnfang andie Landlose derGröße nach ungleich gewesen seien1. Es ist allgemein unstrittig, daß diese Nachricht wahrscheinlich einen authentischen Kern enthält: Es habe in Korinth offenbar einsehr frühes wieverschiedene ähnliche Satzungen ausarchaischer Zeit in andeGesetz gegeben, das– einer
renPoleis –demSchutz derBesitzer vonLandlosen
3 4 5 6
7 8
1
(kleroi)
undder Stabilisierung der
205); SGDI 5071. Vgl. auch JEFFERY 1949, 36 mit Anm.62; 1963/1990, 310; 315 (Nr. 13); WHITLEY 1997, 654; 1998, 326. JEFFERY 1961/1990, 315 (Nr. 13). μ ά ςkommt zweimal vor; vgl. dazu COMPARETTI 1893, 439. κ ρ DerBegriff δα Vgl. COMPARETTI 1893, 440f.; JEFFERY 1961/1990, 55. S. HOOD, in: HOOD/SMYTH 1981, 19. Vgl. S.HOOD/SMYTH 1981, 16ff., bes.18f.; COLDSTREAM 1984a, 313ff., bes. 321; 1991, 297ff. Paus. 2,21,3 in Verbindung mit Strab. 10,4,7. Vgl. HUXLEY 1962, 67; 136; S. HOOD, in: HOOD/SMYTH 1981, 19; COLDSTREAM 1984a, 321.
ς υ ο υ ςἴσ ο ςοἴκ ὺ , το ν νἀρχαιοτάτω ῶ η ςτ 16: Φ είδ ω ν... ὁΚ ρ θ ,ὢ ννομοθέτ ιο ίν ς ο Pol. 1265b12– ή ᾠ θ η δ ε ῖν ν ο δια υ ςεἶχ ο ν ίσ υ ο ςἀ μ έ ν ε ὺ ντο ςκλήρ ιν ο τ κ α ὶτ ὸπρῶ ἰτ ὸπλῆ θ α ὶε ο ,κ ςτ ν νπ ῶ ῶ λ ιτ ο γ εθ ο . ς μ έ ν τ ε π ά α τ ὰ ςκ
2. Dieeinzelnen Poleis
151
Grundbesitzverhältnisse gedient habe. DasGesetz sei sicherlich schon vor der Tyrannis des Kypselos undseines Sohnes Periander erlassen worden, also unter demexklusiven oligarchischen“Regime der Bakchiaden, zu denen der „ „ Gesetzgeber“Pheidon vermutlich selbst gehörte2, wie nach Aristoteles auch der ebenfalls „ der Korinther“genannte Philolaos, derimExil als„Nomothet“denThebanern Gesetze gegeben haben soll undder
sogar ausdrücklich als Bakchiade bezeichnet wird3. Derdirekte Vergleich zwischen den„Gesetzgebungen“des Pheidon unddes Philolaos, deraufdieAnnahme einer engen sachlichen Affinität zwischen demGesetz des ersterenüberdieZahl der„Häuser“undderBürger einerseits unddenGesetzen über Adoption μ ο (ν ό ιθ ε τικ ο ί) des letzteren, dienach Aristoteles dieZahl derkleroi in Theben sichern sollten4, andererseits hinausläuft, führt dannbereits andie Grenze dieses nurrecht allgemeinen gemeinsamen Nenners der im Detail undin der generellen Einschätzung recht unterschiedlichen Interpretationen dieser Nachrichten: Bei fast keinem Problem besteht auchnurannähernd Einigkeit.
Schon die zeitliche Einordnung der „Gesetzgebung“des Pheidon, für die es außer demerwähnten reichlich vagen Urteil desAristoteles, daßPheidon einer derältesten Gesetzgeber überhaupt gewesen sei, keinerlei ausdrückliche Hinweise gibt, undebenso derjenigen des Philolaos in Theben ist gleich in mehrfacher Hinsicht umstritten: Die vorgeschlagenen Datierungen reichen vom(späten) 8. Jahrhundert5 bis indie zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts6. Unddies hängt keineswegs nur von der Position des jeweiligen Gelehrten zu der umstrittenen Frage der traditionellen „ niedrigen“Datierung hohen“oder „ derKypseliden ab: DasEnde derBakchiadenherrschaft als terminus ante quem der Gesetzgebung desPheidon (undals terminus post quem des thebanischen Exils des Philolaos) wird darin entweder umdie Mitte des 7. Jahrhunderts –das traditionelle Datum der Machtübernahme desKypselos ist dasJahr 657/6567 –oder etwa eine Generation später, nämlich um620, angesetzt8 .
2
3 4 5
Vgl. etwa BUSOLT 1920, 379; BONNER/SMITH 1930, 80; O’N EILL 1930, 172; Vgl. MEYER 1937, 523; 526; LENSCHAU 1938, 1940, 1944; WILL 1955, 317ff.; ZÖRNER 1971, 116; OOST 1972, 13f.; ROEBUCK 1972/1979, 115f. Anm.8; 1980, 1925; JEFFERY 1976, 145f.; WELWEI 1983/1998, 78f.; SALMON 1984, 57; 63f.; 154f.; 194; GEHRKE 1986, 131. LANEFox 1985, 215 meint allerdings: „ Pheidon...was expressing a view, notlegislating“–hält ihn aber dennoch offenbar für eine historische Persönlichkeit. Vgl. generell zuletzt DELIBERO 1996, 137ff. ν ὲ Pol. 1274a31ff.: ἐγ ὸμ β ο ςτ α α ιλ ίο νδ λ η ις .ἦ έ ν ό ό λ α η ... Φ ιλ ε ο τ ςΘ ο ρ ςὁΚ ίν ᾽ὁΦ ο ιο θ ςνομοθέτ γ έ ν ο ςτ ῶ ν Β κ α χ ια δ ,κ τ ῶ ν λ . Vgl. insbesondere WILL1955, 318f.; BERVE 1967, 14; JEFFERY 1976, 145f.
Aristot.Pol. 1274b1– 5. Siehe dazuCAMASSA 1996, 569, unddenAbs. THEBEN. Vgl. etwa JEFFERY 1976, 145; ROEBUCK 1980, 1925 undSALMON 1984, 64f., vgl. 126; 403, plä-
fürdieZeitnachderGründung vonSyrakus. So anscheinend GEHRKE 1986, 131. Vgl. die„hohe“Datierung, dienach wie vorvon derüberwiegenden Mehrheit derForschung akzeptiert wird, etwa SERVAIS 1969, 28ff. mit derälteren Literatur; BERVE 1967, 14ff.; 520; 521; OOST 1972, 16 mit Anm.26; DREWS 1972/1979, 259 mit Anm.10 (S. 273f.); WELWEI 1983/1998, 78; 81; DELIBERO 1996, 141ff.; SALMON 1984, 186 mitAnm. 1hält die Frage zu Unrecht für endgültig zugunsten dertraditionellen Chronologie entschieden; STEIN-HÖLKESKAMP 1996, 658ff.. Vgl. vor allem WILL 1955, 363ff.; siehe bereits BELOCH 1913, 274ff.; ferner BURN 1960, 403ff.; ROBINSON 1965, 7 undneuerdings GEHRKE 1986, 130ff. dieren
6
7
8
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
152
Darüber hinaus hängt die jeweilige Entscheidung in der Datierungsfrage wesentlich Deutung undEinordnung derMaßnahme selbst ab. Allerdings ist die eingangs erwähnte Nachricht bei Aristoteles, zu der es keinerlei Parallelüberlieferung gibt9, weder sprachlich noch inhaltlich völlig unzweideutig undklar, undzwar nicht nur wegen ihrer Knappheit, sondern auch wegen ihrer Einbindung in denkonkreten Kontext seiner Argumentation indiesem Abschnitt: Aristoteles erwähnt dasGesetz nämlich eher en passant imZusammenhang einer seiner vielen kritischen, ja polemischen undzuweilen verzerrenden Kommentare zuPlatons Nomoi10. Einerseits gilt dort zunächst der fundamentale Grundsatz, daß der (bekanntlich auf 5040) fixierten Anzahl vonBürgern eine ebenso unabänderliche Zahl vonkleroi entsprechen müsse, so daß jeder Bürger ein Los habe –in jeder Hinsicht unveräußerlich, sei es durch Verkauf oder Verlust, unteilbar underblich: Dies ist für Platon die unverzichtbare Basis derwohlgeordneten undvorallem stabilen Polis der„ Gesetze“ . Immer wieder geht es ihmumeine kompromißlose undgeradezu absolute Sicherung dieses Prinzips gegen alle möglichen Gefährdungen undAuflösungstendenzen11. Für Aristoteles heißt andererseits genau dasnotwendig, daßdann auch die (durchaus erstrebenswerte) Fixierung und dauerhafte Stabilisierung derabsoluten Zahl derBürger durch geeignete Maßnahmen und sorgfältige, vorausschauende Planung gesichert werden müsse: Dem schenke Platon kaumAufmerksamkeit, ja erglaube offenbar, daßsich dieZahlenverhältnisse auf natürlichemWegeungefähr ausglichen –ein Vorwurf desAristoteles, derallerdings angesichts eines längeren undsehrdetaillierten Abschnitts inden„ Gesetzen“ , dersich genau auf das Problem derschwankenden Zahl derBürger bezieht, nicht ganz treffend erscheint12. Diebesondere Kritik anPlaton, dieAristoteles unter anderem mit demHinweis auf dasGesetz des Pheidon verdeutlichen will, besteht nunoffenbar darin, daßPlaton nicht nurdiegleiche Anzahl von„Häusern“ , kleroi undBürgern, sondern auch undin erster Linie die gleiche Größe und Unteilbarkeit der einzelnen Landlose auf gewissermaßen ewige Dauer fixieren wollte, ohne eben, wiegesagt, zunächst für diefundamentale Voraussetzung seines eigenen Prinzips dergleichen Zahl bei gleicher Größe gesorgt zu ha-
vondergenerellen
9
ObHdt. 6,127,3 wirklich aufPheidon „denGesetzgeber“zu beziehen ist (so etwa LENSCHAU 1938, 1940, 1944), magdahingestellt bleiben: Dort heißt es, daßunter denFreiern derAgariste auch ein jenes Pheidon, derfür die gewisser Leodekes war,derSohn desPheidon, desTyrannen vonArgos, „ Peloponnesier Maße gemacht“hatte (vgl. dazu How/WELLS ad loc.). Bei Schol.Pind.Ol. 13,27d ῖο . Verwechslungen des ν ο ςἦ νἈργε ιςτ ρ ιν θ ίο ὸμέτρ heißt esdagegen: Φ ο ρ ῶ τ ο ςκό ψ α ε ςΚ ίδ π ὁ ν ω Nomotheten“aus Korinth undmögliche falsche berühmten Tyrannen Pheidon vonArgos mit dem„ Zuschreibungen andeneinen oder anderen können, selbst wenn mansie so oder so sicher erkennen könnte, wohl kaum etwa Greifbares odergarneue Einsichten bieten. Vgl. dazuauch BERVE 1967, 521; OOST 1972, 13; KELLY 1976, 114 mit Anm.6 (S. 190). Es ist daher auch ganz müßig, darüber zuspekulieren, obsich eine obskure Notiz desNikolaos v. Damaskos auf den„Gesetzgeber“bezieht ο ιά ο υ σ ινΚ σ ζ α τ νσ τ ιΦ ε α ίδ νκ τ ὰφ ία ω ιλ (FGrHist 90 F 35 [= Exc.de insid. S. 10,27DE BOOR): ὅ ρ ιν θ ίο η ςἀπέθαν ιςβοη μ έ ν ε ν . Vgl. F.JACOBY adloc.; O’NEILL εν θ γ ο ῶ ν ν ω ἐ π α ιθ ίρ τ ω έ ε ἑ σ ν τ ςἐ ῶ κ 1930, 172f. mit älterer Literatur, sowie –allerdings sehr zurückhaltend –KELLY 1976, 118 mit Anm. 14 (S. 190). Siehe dagegen etwa LENSCHAU 1938, 1943; ZÖRNER 1971, 71; SALMON 1984,
72.
10 Pol. 1264b26ff.; 1265a18ff. unda38ff.; b1ff. Vgl. dazu generell MORROW 1960/1973, 145ff.; und speziell 1265b12ff.; NEWMAN adloc.; LINK 1991, 62f. 11 Leg. 737E; 740Aff.; 741B-C; 855A; 877D; 923Aff. etc. Vgl. dazu MORROW 1960/1973, 153f., sowie ausführlich MORROW 1960, 103ff.
12 Leg. 737C; 740A-741A. Vgl. dazu MORROW 1960, 110f. mit Anm.44; 1960/1973, 155.
2. Die einzelnen Poleis
153
ben, nämlich die absolute Stabilität derAnzahl der Bürger über die Generationen hinweg.
Dafür zuerst einmal Vorsorge zutreffen, sei eigentlich sogar wichtiger als die Fixierung undGarantierung der(gleichen) Größe dereinzelnen kleroi –undimGegensatz zu Platon, sowill Aristoteles offenbar suggerieren, habe schon einer derältesten „Nomotheten“ diese Priorität imGrundsatz indenVordergrund gestellt, indem er dieZahl der„ Häuser“ unddiederBürger aneinander koppelte, obwohl die Größe ihrer kleroi ganz unterschiedlich war(unddabei, soscheint Aristoteles zuglauben, auch garnicht total nivelliert wer3. densollte)1
Dieoffensichtliche Instrumentalisierung dieses Beispiels imRahmen vonAristoteles’ Argumentation markiert gewissermaßen Möglichkeiten und Grenzen einer historischen Einschätzung und Auswertung der darin enthaltenen Information. Erheblich erschwert wirdihre Interpretation dabei nicht nurdurch dasbereits erwähnte Problem derzeitlichen Nomotheten“Pheidon. Vor allem ist natürlich problematisch, daß AriEinordnung des „ stoteles diese Notiz für die spezifischen Zwecke seiner theoretischen undsystematischen (und eben nicht wirklich „historisch“interessierten) Argumentation aus einer Quelle, die wir noch nicht einmal kennen und daher auch nicht quellenkritisch beurteilen können, entnommen undsie ihres Kontextes entkleidet hat. DieNachricht ist damit „ historisch“in jeder Hinsicht isoliert. Aufderanderen Seite legt dieangedeutete Schieflage derKritik des Aristoteles an Platon als neuer Kontext derNachricht denVerdacht nahe, daß die Information sich nicht ganz undgar harmonisch und zwingend darin einpassen ließ. Nicht zuletzt daher wirdmanfolgern dürfen, daßdieNachricht alssolche schon derälteren Tradition bekannt warundvermutlich auchnicht völlig frei erfunden ist. Die Frage stellt sich also, worin dannihrauthentischer Kernbestanden haben könnte. Zunächst ist sicherlich wiederum unstreitig, daß Pheidon die offenbar ungleiche Grundbesitzverteilung, wie sie zum Zeitpunkt seiner „ Nomothesie“(wann immer das gewesen sein mag) in Korinth bestand, nicht angetastet hat: Seine Maßnahme hat nichts ῆ , zutun. Sie scheint im ς ῆ μ ὸ ςγ ςτ , etwaimSinne eines ἀναδασ miteiner „Bodenreform“ Gegenteil auf die Fixierung undStabilisierung derbestehenden Verhältnisse abgezielt zu konservativen“undtendenzihaben undhatte zumindest insofern wohl tatsächlich einen „ ell sogar „aristokratischen“Zug14 (wenn denn ein solches Etikett für die Verhältnisse im 7. Jahrhundert wirklich sinnvoll sein sollte). Das mußjedoch keineswegs heißen, daß sich das Gesetz unmittelbar undwomöglich ausschließlich auf die Sicherung des größeren „ aristokratischen“Grundbesitzes bezog –also denBestand deroikoi undkleroi derBak5. chiaden selbst garantieren sollte1 Man müßte dann ja sogar einen Schritt weitergehen undvermuten, daßPheidon allein diese „Oligarchie“vonangeblich über 200 Familien mit ihren kleroi auchmitdem„ Bürgerstatus“unddamit demMonopol derpolitischen Rechte herrschende Kaste“überhaupt erst etabliert habe –und er wäre ausgestattet undsomit als „ dann dementsprechend früh, noch in das8. Jahrhundert zudatieren16.
13 Pol. 1265a38-b16. 14 Vgl. etwa WILL 1955, 318; 480 undinsofern auch OOST 1972, 13; ROEBUCK 1972/1979, 115f. Anm.68. 15 Vgl. etwa BERVE 1967, 14; BOCKISCH 1982, 62ff. ; Paus. 2,4,4; Diod. 16 JEFFERY 1976, 145f. Vgl. zudenBakchiaden undihrer „Herrschaft“(Hdt. 5,92β
7,9,3ff.; Strab. 8,6,20) generell etwa WILL 1955, 295ff.; OOST 1972, 10ff.; BOCKISCH 1982, 60ff.; SALMON 1984, 55ff.; E. STEIN-HÖLKESKAMP, DNP 2, 1997, 406f. s.v. Bakchiadai, jeweils mit
weiteren Nachweisen.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
154
Einwichtiger
ist allerdings sicherlich
richtig: Das Gesetz des Pheidon offenbar voraussetzt, allerdings explizit nurandeutet) einJunktim zwischen Besitz eines kleros undvollberechtigter Zugehörigkeit zurPolis enthalten zuhaben. Vielleicht wurde hier sogar zumersten Malder(sicherlich erst rudimentär entwickelte) Status des „ Bürgers“gewissermaßen definiert –zumindest das entscheidende Kriterium, nämlich Landbesitz, wurde offenbar mitdemPolitenstatus verbunden17. Aber–unddasist eine entscheidende Verschiebung des Akzents –dieses Junktim sollte für alle Besitzer eines kleros gelten, undzwar, wenn manAristoteles folgen darf, gerade undausdrücklich unabhängig von der Größe desjeweiligen kleros. Das Gesetz bezog sich also offenbar nicht nurauf („ ) „Großgrundbesitz“–undwohl aristokratischen“ erst recht nicht nuraufdenjenigen derBakchiaden, selbst wenn mannatürlich einräumen muß,daßesunter ihren 200Familien vielleicht sogar erhebliche Unterschiede imUmfang desjeweiligen Landeigentums gegeben haben muß. Dennsonst wären ja allein die Bak8. chiaden Besitzer vonkleroi undGrundeigentümer inKorinth gewesen1 Manwirdvielmehr anzunehmen haben, daßdasGesetz desPheidon gerade auch die Poliszugehörigkeit undbestimmte, damit verbundene Interessen kleinerer, außerhalb des besonders privilegierten Kreises derBakchiaden stehender undüberhaupt nichtaristokratischer Grundbesitzer garantieren undschützen sollte: Es diente zumindest auch den„ Bau–vielleicht tatsächlich schon einer wenn auch kleinen Schicht von „substantial ern“ , die imKorinth nach derWende zum6. Jahrhundert schon zu‘middle class’farmers“ potentielle“Hopliten waren19. Unddamit wäre, was auch von der Entstehung mindest „ undEntfaltung der „Gesetzgebung“als formalisiertem Verfahren her wahrscheinlicher erscheint, dieTätigkeit desPheidon eher in dieZeit kurz vordemSturz derBakchiaden, also frühestens vorMitte des7. Jahrhunderts zudatieren.
scheint
Aspekt daran
ja tatsächlich (wie Aristoteles
Diese Vermutung wirddurch eine weitere Annahme gestützt. DasGesetz ist sicherlich nicht ohne einen konkreten Anlaß, einwomöglich sogar dringendes Bedürfnis nach Regelung eines Problems insWerkgesetzt worden20. Dieses Bedürfnis bestand sicher nicht, oderjedenfalls nicht inerster Linie, inderunabweisbaren Notwendigkeit, ein allgemeines Junktim zwischen Besitz eines kleros undPolitenstatus explizit zu formulieren und zu fixieren –dieser traditionelle Zusammenhang stand als generelles Prinzip wohl kaum derart zur Disposition, daß er gesetzlich gesichert oder eingeschärft werden mußte21. Das eigentliche Problem dürfte ehervonunmittelbarer praktischer Artgewesen sein undin der Gesamtzahl aller, großer wie kleiner kleroi undihrer Besitzer bestanden haben, oder genauer: in einer faktischen Änderung oder Verschiebung dieser Zahl, die ein regelndes Eingreifen notwendig erscheinen ließ, also wohl als unerwünscht, schädlich oder gar krisenhaft empfunden wurde. DieFormulierung derNachricht selbst, dergesamte Kon, umdie es darin mittelbar geht, text bei Aristoteles unddie Passage in Platons „Gesetzen“ legen dabei nahe, daßdiese Regelung ehereine aufdieBewahrung derbestehenden, aber 17 Vgl. SALMON 1984, 64. 18 Vgl. auch WILL 1955, 317; 319 sowie 303ff. 19 Vgl. etwa ROEBUCK 1972/1979, 115f.; Anm.68 (hier S. 116);
WELWEI 1983/1998, 79, vgl. 72ff.; 1986, 131. LINK 1991, 49ff. ist zu spekulativ. DaswirdvonSALMON 1984, 65 verkannt, derbehauptet: „(the legislation) wasnotananswer to any pressing problem“ . Esfragt sich, warum Pheidon dannüberhaupt einsolches Gesetz formuliert haben GEHRKE
20
sollte. Vgl. zudieser Situtationsgebundenheit 21 Vgl. mit Recht SALMON 1984, 64.
archaischer Gesetzgebung Kapitel
IV 1.
2. Die einzelnen Poleis
155
2.
bereits gefährdeten Zahlenverhältnisse zielende, also „ restriktive“Tendenz hatte2 Was unerwünscht gewesen zusein scheint, waroffenbar nicht nurdie Abkoppelung des „ Bürgerstatus“ voneinem (Mindest-) Anteil amLand, sondern auch dasdaraus erst entstehende,gewissermaßen unqualifizierte Anwachsen des π ῆ θ ο λ ςτ ῶ νπ , wie Aristoteles ο ν λ ῶ ιτ diegerade erst als solche entstehende Bürgerschaft in seiner eigenen Begrifflichkeit bezeichnet, durch „ Bürger“ohne kleros. Ebenso unerwünscht dürfte auch ein unkontrolliertes Schwanken derGesamtzahl derkleroi gerade inderFolge ihrer Loslösung vonder (Entwicklung der) Bürgerzahl gewesen sein. Manwird vielleicht –wiederum vor demHintergrund des Kontextes bei Aristoteles (undPlaton) –vermuten dürfen, daßdieses Junktim zwischen Anzahl derkleroi undBürgerzahl auch irgendwelche Beschränkungen oder Verbote hinsichtlich der Veräußerlichkeit, Vererbung, Teilung bzw. Zusammenlegung von kleroi einschloß, die ja ohnedies schon ungleich waren23. In vielen Poleis gabes solche Vorschriften, die sicherlich oft aus ähnlichen Gründen schon inarchaischer Zeit erlassen wurden24, wie etwa das schon eingangs erwähnte Adoptionsgesetz desKorinthers Philolaos, dasvielleicht nicht zuUnrecht mit demGesetz des Pheidon in Zusammenhang gebracht wird: Zumindest Aristoteles verstand diese „ Adoptionsgesetze“des Philolaos ja so, daßauch sie demZweck der Bewahrung derZahl derkleroi gedient hätten25. Es ist mithin sehr wahrscheinlich, daßdasGesetz des Pheidon –wie die Gesetze anderer Poleis –eine Reaktion auf eine innere Krise in Korinth darstellte, in der auch und vorallem dieDestabilisierung derGrundbesitzverhäitnisse ein drängendes, ja unübersehbares unddeswegen auchschon sobegriffenes Problem war–möglicherweise verursacht undverschärft durch Erbteilung, Grundbesitzkonzentration, Bevölkerungswachstum und die daraus resultierende wachsende Belastung der Ressourcen des Landes. Gerade der demographische Druck zeigt sichdeutlich in derzunehmenden Siedlungsdichte imGebiet derPolis Korinth26. Undes warwohl auch dieser Druck, der denAnstoß für die Grün7. dung derbeiden frühesten korinthischen Kolonien Korkyra undSyrakus gegeben hat2 Damit warPheidons Gesetz, wiederum wieandere Gesetze ähnlicher ArtundZielsetzung, auch nurein unmittelbarer, situationsgebundener Lösungsversuch für ein konkretes, alsalarmierend empfundenes Problem –undwenn es (zumindest auch) aufeine Stabilisierung der schließlich auch durch äußere Mißerfolge erschütterten Bakchiadenherrschaft abgezielt haben sollte, wares langfristig noch nicht einmal erfolgreich. Auch die Nomothesie“des Pheidon wardemnach keine umfassende „ „ Reform“oder garNeukonstituierung der politischen Ordnung28.
22 Vgl. etwa ROEBUCK 1980, 1925 undinsofern auch SALMON 1984, 64f. 23 Vgl. dazu generell ASHERI 1963, 1ff. 23; 1319a10– 24 Aristot.Pol. 1266b18– 19. Vgl. dazu LENSCHAU 1921, 811f.; ASHERI
MEYER 1937, 526; 1963, 1ff. mit weiteren Nachweisen; ROEBUCK 1980, 1925. Vgl. auch die Abs. ELIS;
LOKROI EPIZEPHYRIOI; THEBEN.
5. Vgl. etwa BONNER/SMITH 1930, 80; WILL 1955, 318f.; LANE Fox 1985, 215f., 25 Pol. 1274b3– anders allerdings SALMON 1984, 64 Anm.38. Siehe auch denAbs. THEBEN. 26 Vgl. dazu etwa ROEBUCK 1972/1979, 103f.; 125ff.; BOCKISCH 1982, 57f.; WILLIAMS 1982, 18f.; MARTIN 1983, 11f. mitweiteren Nachweisen, ferner SALMON 1984, 77ff. 27 Vgl. etwa WILL 1955, 337f., sowie 319ff.; ROEBUCK 1972/1979, 111ff.; MARTIN 1983, 12; SALMON 1984, 65f.; 74; 95; E. STEIN-HÖLKESKAMP, DNP2, 1997, 407. 28 So jedenfalls andeutungsweise WELWEI 1983/1998, 78f.; GEHRKE 1986, 131; LINK 1991, 51; 54.
156
III.Gesetzgeber
undGesetze: Daten undAnalysen
Andererseits ist aberdieFormulierung undpraktische Implementierung eines solchen Gesetzes, wenn es denn tatsächlich in die Spätphase des Bakchiadenregimes gehören sollte, vondeninstitutionellen undformalen Voraussetzungen von „ Gesetzgebung“her keineswegs von vornherein unwahrscheinlich. Zumindest die rudimentären Voraussetzungen undGrundlagen des „ einheitlichen Stadtstaates“mit einem politischen Zentrum urbanen“ Zuschnitts, dendiePolis amEnde des7. Jahrhunderts unter Kypselos bereits „ undPeriander bereits darstellte29, waren ohne Zweifel schon vorher, noch zur Zeit der Bakchiaden, entstanden. Dazu gehörte wahrscheinlich auch bereits ein–zwar noch „primitiver“ undnochnicht (im Sinne derDauerhaftigkeit undstrukturellen Festigkeit) völlig konsolidierter –Kern anInstitutionen: die rudimentär differenzierten Ämter desjährlich 0 wechselnden, also schon nach grundsätzlich formalisierten Regeln bestellten prytanis3 unddespolemarchos, derbereits definierte militärische undjuridische Funktionen gehabt 2; zuhaben scheint3 1;vielleicht ein„Rat“ (der200 Bakchiaden?)3 undwomöglich sogar ein 3. demos3 Auch wenn dieser demos kaum bereits formalisierte „ Rechte“derAbstimmung und„Wahl“hatte undunter denBakchiaden sicherlich noch nicht einmal annähernd re-
gelmäßig als „ Versammlung“einberufen worden sein dürfte, hat es vielleicht doch eine solche Einrichtung innucegegeben, die noch imAnfangsstadium eines Prozesses genuiner Institutionalisierung steckte. In derkorinthischen Kolonie Korkyra scheint jedenfalls derdamos schon amEnde des 7. Jahrhunderts ein zentraler Faktor des institutionellen Rahmens derPolis gewesen zu sein: In der Inschrift auf demKenotaph desproxenos 4 35 nicht weniger als Menekrates3 kommtdasKonzept δ μ ό ο σ ᾶ ιο ςbzw.dasAdjektiv δαμ ς viermal indenerhaltenen sechs Zeilen vor–einmal sogar gewissermaßen als handelndes Subjekt, ja alsInstitution ineiner „ verfassungsmäßigen“Position miteiniger, wenigstens formaler Autorität36. Auchwenn es, wiegesagt, unter denBakchiaden in Korinth so weit noch nicht gewesen sein kann unddann auch unter denKypseliden dieser Stand wohl kaum erreicht wurde, setzt doch das „ Gesetz“desPheidon, wenn es denn in dieser Hinsicht einen au-
29 Vgl. dazu generell SALMON 1984, 57, sowie 56ff.; 188ff.; ROEBUCK 1972/1979, 105ff.; 114ff.; 126. 30 Paus. 2,4,4; Diod. 7,9,6; vgl. Nikol.Dam. FGrHist 90 F 57,6 (= Exc.de insid. 20DE BOOR), wo allerdings ein β α σ ιλ ε ύ ςgenannt wird. Vgl. dazu WILL 1955, 298ff.; 461; ROEBUCK 1972/1979, 106; OOST 1972, 10f.; SALMON 1984, 56f. Vgl. zurPrytanie in denkorinthischen Kolonien die Belege bei GSCHNITZER 1973, 737f.
31 Nikol.Dam. FGrHist 90 F 57,6 (= Exc.de
insid. 20DE BOOR). Vgl. WILL 1955, 301; 461; 476; 1956, 1121f.; ROEBUCK 1972/1979, 106; OOST 1972, 11; WELWEI 1983/1998, 79; SALMON 1984, 57; 188. ν ὴ ντ ο χ 32 So die Interpretation von Diod. 7,9,6 (ο νκατέσ ίω σ ἱ ... Βα ο κ χ κ ίδ α λ ιπ είο υ ςὄν τ ε ςδια ) bei WILL 1955, 302; 306; , κ ν ή α ὶ κο ή κ ῆ ε ντ σ ρ α χ ςπ ιν ό λ ρ ἀ ε ω ο τε ὲ ςἅπ α ν εισ ς,...“ ῇμ νπ τ ROEBUCK 1972/1979, 106; OOST 1972, 11f.; SALMON 1984, 56. SCHAEFER
33 Vgl. zuderdürftigen Nachricht (Nikol.Dam. FGrHist 90 F 57,6 vonder„Einsetzung“desKypselos α als β σ ιλ ο ε ύ ς ) etwa WILL 1955, 303ff.; ςdurch den δῆμ
ROEBUCK 1972/1979, 106; WELWEI 1983/1998, 80; SALMON 1984, 57. 34 MEIGGS/LEWIS Nr. 4; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 34 mit weiteren Nachweisen. Vgl. bereits ROBERTS Nr. 98; IIGA 47,26; IG IX 1,867; SGDI 3188; DGE 133,1; BUCK 1955, Nr. 93; WALLACE 1970, 190ff. Vgl. für eine Datierung noch in das späte 7. Jh. etwa MEIGGS/LEWIS, S. 5 im Anschluß an JEFFERY 1961/1990, 234 (Nr. 9), vgl. 232f.; dagegen WALLACE 1970, 191ff. 35 Vgl. dazu MEIGGS/LEWIS, S.5 unter Hinweis auf Solon frg.3, Z.26 DIEHL3 = GENTILI/PRATO. 36 Vgl. mit Recht WALLACE 1970, 192, ferner MEIGGS/LEWIS, S. 5; WELWEI 1983/1998, 66; GEHRKE 1993, 59.
2. Dieeinzelnen Poleis
157
thentischen Kern enthält, zumindest bereits voraus, daßdie „ Polis“als Verband ihr zugehöriger undirgendwie „ berechtigter“Personen begriffen wurde, die dazu ein bestimmtes, explizit definiertes Kriterium, ebendenBesitz eines kleros, erfüllen mußten –auch wenn diese abstrakten Zusammenhänge anundfürsich kaumdereigentliche Gegenstand dieses konkreten undsituationsgebundenen Gesetzes gewesen sein dürften: Auch Pheidon war natürlich nicht derStifter einer allgemeinen „ Rechtsordnung“oder gar „ Verfassung“für eine vollendete Polis37. Wie leistungsfähig diese „Polis“aber eben doch schon umdie Mitte des 7. Jahrhunderts gewesen sein muß, belegt wiederum die erste Anlage des Apollon-Tempels und der Bau der Befestigungsanlagen im „ Töpferviertel“–sie setzten zweifellos eine Fähigkeit zurOrganisation undKonzentration vonRessourcen voraus, die nureinsolcher, strukturell undinstitutionell gefestigter Verband aufzubringen in derLage
sein konnte38.
Ein großer „Nomothet“oder garVerfassungsstifter warnatürlich auch derberühmte Tyrann Periander nicht, der immer wieder als Urheber verschiedener Gesetze gegen 0 9. „ Luxus“und„Müßiggang“in Anspruch genommen wird3 Diese Maßnahmen4 sollen – wie die auffällig ähnlichen Gesetze, die anderen Tyrannen der archaischen Zeit von der späteren Überlieferung häufig zugeschrieben wurden41 –gegen dendemonstrativen Aufwand, denLebensstil undüberhaupt die ganze Lebensweise potentieller aristokratischer Rivalen desTyrannen gerichtet gewesen sein. Ihre Authentizität kann allerdings schon deswegen nicht einfach vorausgesetzt werden,weil Periander anscheinend schon frühgeradezu zumIdealtyp des ebenso skrupellosen undhinterhältigen wie berechnend undplanvoll handelnden Tyrannen stilisiert wordenzu sein scheint42. Aber selbst wenn die Tradition über Periander und seine Gesetze wenigstens einen authentischen Kern enthalten sollte, läßt sich daraus jedenfalls nicht ableiten, daßderartige Maßnahmen voneinem zielgerichteten Willen zu einer „ nomothetisch“ -systematischen Gestaltung der„inneren Ordnung des Gemeinwesens“geleitet ge37 Anders anscheinend RUSCHENBUSCH 1983, 322f. bzw. OOST 1972, 25f. 38 Vgl. dazu etwa ROEBUCK 1972/1979, 119; 121; WILLIAMS 1982, 19, vgl. 15ff.; SALMON 1984, 59ff.; 78ff.; 220f. mitweiteren Nachweisen. 39 Vgl. dazu insgesamt MEYER 1937, 526f.; WILL 1955, 508ff.; BERVE 1967, 22f.; 528f.; ZÖRNER 1971, 199ff.; OOST 1972, 29; SALMON 1984, 199ff.; GEHRKE 1978, 168 mit Anm.100; 1986, 132; STEIN-HÖLKESKAMP 1996,
661f.; DE LIBERO 1996, 156ff.
40 Vgl. Herakl.Lembos Exc.polit.frg. 20DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 5,2, FHG II, S. 213). Vgl. zur Luxus“außerdem Hdt. 5,92ζ Unterdrückung des „ 1; Ephoros FGrHist 70 F 178 (= Diog.Laert. -η 1,96); Photios s.v. Κ υ ψ ε μ λ α . Auf die Einrichtung eines Rates zur Aufsicht über die η ιδ νἀνάθ ῶ Ausgaben undEinnahmen derBürger wirdnoch ein Fragment desDiphilos bezogen (frg. 32KOCK = Athen. 6,227E-228B). Vgl. zumVerbot des „Müßiggangs“bzw. des Aufenthalts in der Stadt außerdemEphoros FGrHist 70 F 149 (= Diog.Laert. 1,98); Nikol.Dam. FGrHist 90 F 58,1 (= Exc.de virtut. I, S. 342 DEBOOR) unddazu JONES 1980, 190f. Vgl. zum Verbot des Sklavenkaufs wiederum Nikol.Dam. FGrHist 90 F 58,1 unddazu PICARD 1984, 187ff. 41 Maßnahmen gegen den „Müßiggang“wurden nicht nur demPeisistratos zugeschrieben: [Aristot.] Ath.Pol. 16,2ff., vgl. dazu RHODES 1981, 213f. adloc.; Theophr.frg. 99WIMMER = 23SZEGEDYMASZAK (= Plut.Solon 31,5); Ael.var.hist. 9,25. Auch Gelon undAristodemos von Kyme sollen dagegen vorgegangen sein: Plut.mor. 175A bzw. 262B. Vgl. GEHRKE 1978, 168 Anm.100. 42 Vgl. etwa denAbschnitt Aristot.Pol. 1313a34-b32, sowie 1284a26ff.; 1311a20ff., über die „typischen“Tricks zurBewahrung derTyrannis, deren Meister Periander gewesen sein soll. Vgl. auch SALMON 1984, 199. Vgl. für die Nachweise zu Periander insgesamt etwa SCHACHERMEYR 1937, 705ff.; STEIN-HÖLKESKAMP 1996, 661f.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
158
wesen wären, derdenTyrannen vonKorinth zumindest in dieser Hinsicht auf eine Stufe mitdenanderen, auch „nichttyrannischen Nomotheten“gestellt hätte4 3 –auch wenn die ihnen inderTradition zugeschriebenen Gesetze, vor allem etwa gegen denAufwand und Luxus, mit den für Periander überlieferten Maßnahmen eng verwandt erscheinen mögen44. Damit wird nämlich vorausgesetzt, daß diese Vorschriften undVerbote echte, in einem formalen Verfahren verabschiedete Gesetze waren –undgenau diese Annahme ist wohleinigermaßen problematisch. Ähnliche Vorbehalte erheben sich auch gegen die immer wieder vorgebrachte Vermutung, daßdieaufdensagenhaften, in diedunkle Vorzeit gehörenden Aletes zurückgeführte, aber eindeutig relativ junge Ordnung deracht Phylen mitihrer komplizierten, auf5 fällig andieOrganisation derkleisthenischen Phylen in Athen erinnernden Unterteilung4 vondenKypseliden –entweder wieder durch Periander oder schon durch seinen Vater Kypselos –eingerichtet worden sei46. Sie mußebensowenig unoactu, in einem „ nomothetischen Stiftungsakt“ , entstanden sein47 wie die darauf bezogenen Einrichtungen der β ο ρ ό υ acht π λ ο ι(deren Ursprünge vielleicht sogar älter sind als dieTyrannis4 8) unddes Rates dersogenannten „ Achtzig“ , diejedenfalls inihrer ausdifferenzierten Form sicherlich 9. jünger sindalsdieTyrannis4 Auchdergroße Tyrann Periander vonKorinth, derzuweilen zuden„Sieben Weisen“ gezählt wurde, läßt sich als „ Nomothet“nicht wirklich plausibel machen. KOROPE
AusdemOrakelheiligtum desApollon Koropaios amGolf von Pagasai in derthessalischen Magnesia1 stammt eine nurfragmentarisch erhaltene Inschrift, die nach allgemeinerAnsicht eine archaische lex sacra enthält2. Das erhaltene Stück des Textes befindet sich aufeiner an drei Seiten abgebrochenen recht grob ausgeführten Marmorstele undist wohl in dieMitte des6. Jahrhunderts zudatieren. Derkonkrete Inhalt desFragments istnicht unstrittig: Während dererste Herausgeber indenerhaltenen Zeilen detaillierte Einzelvorschriften über Kultmahle undbestimmte dabei notwendige Arten undMengen vonSpeisen erkennen wollte, hat L. JEFFERY neuer43 44
45
BERVE 1967, 23; GEHRKE 1978, 168 Anm.100. Vgl. dazu im einzelnen die Abs. KEOS; LOKROI EPIZEPHYRIOI; MYTILENE; SYRAKUS. Suda s.v. Π ά ν τ αὀκ τ . Vgl. dazu generell Dow 1942, 89ff.; STROUD 1968a, 233ff.; JONES 1980, ώ
161ff.; 1987, 97ff.; SALMON 1984, 413ff.; RUZÉ 1990. 70f. 46 Vgl. etwa BERVE 1967, 18; JONES 1980, 187f.; SALMON 1984, 206ff. Vgl. dagegen Synoikismos“denBakchiaden zuschreibt. 1972/1979, 115f., derdiePhylen undden„ 47 Vgl. auch DOW1942, 104ff.
ROEBUCK
48
Vgl. SCHAEFER 1957, 1221f. Nikol.Dam. FGrHist 90 F 60,2 (= Exc.de insid. S. 21, 3DEBOOR). Vgl. dazu etwa Dow 1942, 106; STROUD 1968a, 241f.; WELWEI 1983/1998, 252f.; GEHRKE 1986, 132; anders wiederum SALMON 1984, 207; 238f., derauch diese Einrichtung auf die Tyrannen zurückführen will. Vgl. dazu insgesamt bereits BUSOLT 1920, 363f.; WILL 1955, 609ff.
1
464 Vgl. dazu allgemein STÄHLIN 1922, 1436f.; T. S. MACKAY, in: STILLWELL et al. 1976, 463– s.v. Korope. IG IX 2, 1202; KOERNER Nr. 51; VAN EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 82. Vgl. bereits DGE 603 und bereits IIGA 94,1. Siehe ferner JEFFERY 1961/1990, 98 (Nr. 1); vgl. 61; 97; 402 mitTafel 11,1.
49
2
2. Dieeinzelnen Poleis
159
denText als Gesetz gegen Diebstahl bzw. Mißbrauch von (dem Heiligtum gehörenden) Opfergeräten bezeichnet3. Unstrittig ist jedenfalls einerseits, daß die knappen, abdings
rupten Formulierungen mit α ἴκ εein typisches Merkmal des archaischen Gesetzesstils sind; andererseits scheint auchklarzusein, daßdie letzte erhaltene Zeile eine Strafandrohung gegen die Verletzung der(oder einer der) Vorschriften, anscheinend unter Festsetzung einer Buße(?) von fünfzig Einheiten nicht rekonstruierbarer Art, enthalten haben dürfte4. Es handelt sich also umeine Satzung, dieoffenbar genaue Regelungen eines konkretenGegenstandes undpräzise Sanktionen gegen ihre Verletzung bis in die Einzelheiten
festlegte.
Kos Selbst aufdieser Insel vorderkleinasiatischen Küste sollen die Gesetze des Charondasgegolten haben1. Diese Schlußfolgerung wird vielfach aus einer Passage imPornoboskos des Herodas (Mimiambi 2) gezogen: In einer parodierten Gerichtsverhandlung zitiert zunächst derγ μ μ ρ α α τ 48): ε ύ ςfolgendes Gesetz (Z.46– ν ὴ δ η ν η ιδού ό λ ςτ ιςα ίσ ἰκ π ἐ ᾽ἐλεύθερ μ α η η ῆ η ι, τ ςτ ςδίκ ὸ τίμ ν π ἐ ίσ ω π ἔλκ ἢ . ω λ είτ τε ν ο ῦ λ διπ Daraufhin fällt der Kläger Battaros ein (Z.48): , η ς ν δ τ τ α ῦ ψ εΧαιρώ α ᾽ἔγρ 54): undzitiert seinerseits weitere Strafnormen (Z.50– η ν δ έτ ιςκόψ η ρ ι, ἢ ν θ ύ μ ν ῆ ν τιν η ,φ σ έ ί(sc. Charondas) ἢ τ ω ν δ η ι, ὲπ σ ὺ ξἀ λ ιή ο η ι ή σ ῆ ν .ἢ ί ἐμ ν ο ἰκ ρ δ ὰ ὲτ ιμν π λ ά π ν η λ λ ἄ ῆ ι, χ ιλ μ α β η ία ρ ςτ υ ὸτίμ ο ε ςὑπ ἢὄρ ᾽τίνειν η λ ιτ ά ψ ι, διπ λ ο ν ό νβ ἢ .2 ,κ ε ειμ ν ἔ Trotz desetwas seltsam anmutenden Zusammenhangs ist keineswegs vonvornherein ausgeschlossen, daßes sich bei denhier zitierten Gesetzen um(wenigstens imKern) tatsächlich authentische Regelungen handelte, dieirgendwie mitdemNamen des Charondas in Verbindung gebracht wurden3 . Für diese vorsichtige Vermutung spricht zumeinen, daßAristoteles zwarbekanntlich kaumetwas Erwähnenswertes andenGesetzen des Cha3 4
F.HILLER V.GAERTRINGEN JEFFERY ebda.
zu IG IX 2, 1202; JEFFERY 1961/1990, 97.
1
Vgl. allgemein CRUSIUS 1892, 34ff.; DARESTE 1902, 18; 24f.; BUSOLT 1920, 377 mit Anm.6; 378; LATTE 1920, 24 Anm.47; BONNER/SMITH 1930, 70; MÜHL 1933, 31; MEYER 1937, 522ff. Anm.2 (524) und neuerdings ROEBUCK 1980, 1929 mit Anm. 21; PICCIRILLI 1981a, 8; RUSCHENBUSCH
2
HERZOG
1983, 322; GAGARIN 1986, 64f. mit Anm.56; LINK 1992, 14. 1899, 204ff. Anm.3 (hier 206), hatin der Form dieser Deklamation des Battaros eine „aus-
gezeichnete Pointe“ dafür sehen wollen, daßes sich tatsächlich umGesetze desCharondas gehandelt Gehabe–dieFormzeige nämlich, daßdiese Gesetze auswendig gelernt werden sollten, wasdurch „ sangsvortrag beifestlichen Anlässen gefördert wurde“ , wie es bei Athen. 14,619B (nach Hermippos, ρ , FHG III, S.37) bezeugt sei. Das ist allzu fein gesponnen. Vgl. auch Abs. ν Π ὶνομοθετῶ ε MAZAKA.
3
Vgl. dagegen
SHERWIN-WHITE
1978, 175 mit Anm.2.
160
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
rondas fand, aber dennoch ausdrücklich deren Präzision (ἀ ε ια ρ ίβ ) positiv hervorhob, κ durch diediese Gesetze denjenigen zeitgenössischer Nomotheten überlegen seien4 . Diese Genauigkeit, dieauch diehier zitierten Normierungen vonTatbeständen undderjeweils entsprechenden Kompensationsbeträge undBußen kennzeichnet, darf dabei nicht (oder jedenfalls nicht allein) als Indiz dafür genommen werden, daßes sich umbereits ausgefeilte undausdifferenzierte, also späte underst sekundär demCharondas zugeschriebene, wenn überhaupt authentische Regelungen handelte –eher sogar im Gegenteil: Die Sammlung der Gesetze des Charondas, die Aristoteles vorgelegen zu haben scheint, dürfte sehr wohl alte, authentische Daten enthalten haben, wie die Notiz zum Begriff μ ο σ ίπ ὁ ο ιhinreichend belegt5. Auch diejeweilige konkrete Höhe der Bußen und die υ Differenzierung derTatbestände, diefür einjüngeres Datum zumindest dervorliegenden Fassung des Strafkatalogs sprechen, müssen nicht unbedingt darauf hindeuten, daß der gesamte materielle Gehalt, die Formulierung undDefinition der Delikte durchweg ebenfalls erst jüngeren Datums sind6. Zweitens ist wenigstens für Zaleukos ausdrücklich bezeugt, daß die Fixierung von Strafsätzen ein Gegenstand früher Gesetzgebung war7 . Undschließlich fällt bei einer erklecklichen Anzahl früher Rechtsinschriften gerade diefast pedantische Genauigkeit auf, mitderVerstöße gegen Normen definiert undentsprechende Sanktionen mit abgestuften Strafen fixiert wurden8 . Imgroßen „ findet sich sogar eine interessante Recht vonGortyn“ Parallele zuderersten, vomγ μ α μ ρ τ α ε ύ ςzitierten Regelung über dieStrafsumme für Vergewaltigung einer Sklavin9. Gesetze des Charondas“ Damit ist dieFrage, ob,wannundinwelchem Umfang die „ in Kos eingeführt worden sind, allerdings keineswegs beantwortet10. Die vorliegenden Code desChaDaten lassen jedenfalls nicht denSchluß zu, daßmanin Kos etwa einen „ Code“mitjenen rondas“ gekannt habe. Diezuweilen suggerierte Vermutung, daßdieser „ 1, μ „ ο ν ιvonKos“ ό identisch sei1 dieindenBriefen desAntigonos über denSynoikismos vonTeos undLebedos mehrfach erwähnt werden undoffenbar in derRegion in einigem Ansehen standen12, ist weder beweisbar nochbesonders plausibel. Angesichts dervorlie-
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8. Vgl. auch CRUSIUS 1892, 35; DARESTE 1902, 23; BONNER/SMITH 1930, 78; 81. Pol. 1274b7– Pol. 1252b14. Vgl. dagegen BUSOLT 1920, 378. S. denAbs. KATANE. Anders LATTE 1930, 672; 1931/1968, 285. Ephoros, FGrHist 70 F 139 (= Strab. 6,1,8), wo auch die besondere Genauigkeit der Gesetze von Thurioi hervorgehoben wird. Vgl. auch Abs. LOKROI EPIZEPHYRIOI. Vgl. dazu Abs. DREROS; ERETRIA. Col. II 7ff.; vgl. WILLETTS 1967, 10; 57f. ad loc.; KOERNER Nr. 164; VAN EFFENTERRE/RUZÉ II,
Nr. 81. 10 Vgl. etwa DUNBABIN 1948, 74. 11 Siehe etwa CRUSIUS 1892, 35; HERZOG 1899, 204ff. Anm.3 (205); DARESTE 1902, 18; VALLET 1958, 314 mit Anm. 1; FAURE 1978, 318f. Vgl. dagegen SHERWIN-WHITE 1978, 175 mit Anm.2; CORDANO 1978, 93f. 12 WELLES Nr. 3, Z.60ff.; Nr. 4, Z.12ff. (= Syll.3 344, Z.60ff.; 120ff.). Vgl. dazu noch SHERWINWHITE 1978, 85. Auch in diesem Falle ist HERZOG (1899, 204ff. Anm.3) noch einen Schritt weiter ιgalten, undwill danneinem Gesetz von ο gegangen: Ergehtdavon aus, daßinTeos diekoischen ν μ ό Teos über unentgeltlichen öffentlichen Unterricht aufgrund einer Stiftung (!) (Syll.3 578) entnehmen, daßüberdieZwischenstation Kosdort(undinKosselbst) diese ebenfalls demCharondas zugeschrie13,3) eingeführt worden sei. Außerdem zieht er eine Sympolitiebene Regelung (Diod. 12,12,4– vereinbarung zwischen Teosundeinem unbekannten Partner bei, durch diediesem Partner Atelie von , also eine Abgabe fürdieBeν ό ικ τρ denmeisten Abgaben gewährt wurde, das(in Teos erhobene) ἰα
2. Dieeinzelnen
Poleis
161
genden Daten ist es höchstens gerechtfertigt, in diesen Zitaten imPrinzip ernstzunehmendeNachrichten übereinige wenige undsehrspezifische Regelungen zusehen, diegrundsätzlich authentisch undrelativ altertümlich waren und vielleicht sogar auf Charondas zurückgingen oder –was mindestens ebensogut möglich ist –erst später, gerade wegen ihres Alters undihrer Form, mitdemNamen des großen Gesetzgebers Charondas verbunden wurden13, nachdem sie zu einem nicht näher bestimmbaren (vielleicht späten) Zeitpunkt in Kosübernommen worden waren. KROTON
Diegegen Ende des 8. Jahrhunderts in Unteritalien gegründete achaiische Kolonie Kroton1 soll –wie ihre spätere Rivalin Sybaris –die „ Gesetze des Zaleukos“aus Lokroi Epizephyrioi übernommen haben2. Diese Vermutung kann sich allerdings nicht auf eine zuverlässige Überlieferung stützen –die offenbar stark verkürzte Notiz in denspäten Viten des Pythagoras, des Porphyrios unddes Iamblichos, die wohl auf Werken des Aristoxenos vonTarent aus derzweiten Hälfte des4. Jahrhunderts beruhen3 , können dafür kaum in Anspruch genommen werden: Dort heißt es, daß Pythagoras eine ganze Reihe vonStädten in Sizilien undItalien –darunter wird eben auch Kroton genannt –„befreit“ undihnen „Gesetze gegeben“habe, undzwar „durch Charondas ausKatane undZaleukosausLokroi“ diebekanntlich vonderpythagoreischen Tradition schon recht früh als 4, Schüler desMeisters vereinnahmt worden waren5. Auch die Nachricht, daß es zumindest gegen Ende des 6. Jahrhunderts in Kroton oligarchische“Institutionen gegeben haben soll wie in Lokroi Epizephyrioi, ähnliche „ 6 nämlich vor allem eine Versammlung der „ Tausend“, erlaubt keinesfalls die erwähnte vonÄrzten aus öffentlichen Mitteln, jedoch davon ausgenommen war: W.JUDEICH, MDAI (A) 16, 1891, 291ff. = SODI 5633. Dahinter vermutet er ebenfalls ein entsprechendes, den frühesten Gesetzgebern (und Charondas) zugeschriebenes Gesetz (Diod. 12,13,4) über die Bezahlung derÄrzte ausMitteln derPolis. Dasist natürlich reine Spekulation, wirdaber noch in jüngster Zeit immer wieder, zumindest indirekt, akzeptiert: z.B. FAURE 1978, 318f.; PICCIRILLI 1981a, 8. Vgl. dagegen mitRecht COHN-HAFT 1956, 8f. mitAnm.23 und26. Siehe auch Abs. KATANE. 13 Vgl. insofern etwa CORDANO 1978, 93, sowie bereits CRISPO 1940, 124. zahlung
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Vgl. dazu allgemein DUNBABIN 1948, 26f. u.ö.; STAUFFENBERG 1963, 66f.; GRAHAM 1982, 110ff.; LESCHHORN 1984, 27ff.; MALKIN 1987, 43ff.; GIANGIULIO 1989, 161ff.; 284ff., jeweils mit weite-
renNachweisen. So jedenfalls DARESTE 1902, 17. vgl. auch denAbsatz SYBARIS. Aristoxenos frg. 17WEHRLI (= Porphyr.vita Pyth. 21; Iambl.vita Pyth. 33). α υκ ὶ ίο α ν τα α τ α δ ετ ο ν ῦΚ ώ ρ Bei Porphyr. undIambl. (ebda.) heißt es: ...κ α α Χ ο υ ιὰ ὶνόμ οδ ςἔθ τ ε ρ ο κ κ ο ῦ Λ . ο τ τ υ ο λ κ ῦ ύ Ζ α λ ε Siehe etwa Iambl.vita Pyth. 104; 130; 172; 267. Vgl. dazu im einzelnen VONFRITZ 1940, 18ff. u.ö., sowie Kapitel II 3. Dieχ ίλ ιο ιsindnurbei Iambl.vita Pyth. 257; 260 erwähnt –zweifellos eine „späte, minderwertige“ Quelle, wie BUSOLT 1920, 356, meint. Vgl. dazu zuletzt CAMASSA 1987, 641ff.; GIANGIULIO 1989, 26ff. mitweiteren Nachweisen. Inwelchem Verhältnis diese Institution unddieebda. auch erρ ο ε υ wähnte γ σ σ η ία ία undσύγ τ zuἐκκλη κ ο λ ςbeiDiod. 12,9,4 unddem„senatus quimille homines ιund ιο t“ bei Val.Max. 8,15,ext.1 stehen, mußdahingestellt bleiben. Vielleicht waren χίλ constaba identisch –Kroton kann eigentlich nicht so viele Bürger gehabt haben, daßdie „Tausend“ η σ ία λ κ κ ἐ einewesentlich engere, gegenüber dergrößeren Versammlung „oligarchisch“abgeschlossene Gruppe τ ο ςund„senatus“auchumein und sein konnten; undvielleicht handelt es sichbeiγ ρ ο ε υ σ , σύγκλη ία
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
162
Vermutung: Auch in Lokroi geht diese Einrichtung, wie überhaupt die „ Verfassung“ , . wahrscheinlich gar nicht auf die „ Gesetzgebung des Zaleukos“zurück7 Die Institution der„Tausend“gibt es außerdem auch in anderen Städten8 , wie etwa imaiolischen Kyme undin Rhegion, woja die „Gesetze desCharondas“gegolten haben sollen9. Auch in diesem Fall läßt sich also nicht erweisen, daßeine imwestgriechischen Raum allgemein bekannte umfassende „ Gesetzgebung“desZaleukos vorlag undder Ordnung in Kroton zugrunde gelegen hätte.
KYME
Auch Kyme in Italien, dasschon sehr früh–vielleicht um750 –von Chalkidiern gegründet wurde1 unddamit wie Katane, Rhegion undandere Poleis zu der untereinander engverbundenen Gruppe der chalkidischen Gründungen des Westens gehörte, soll die Gesetze desCharondas“übernommen haben2. Darüber gibt es auch in diesem Fall kein „ unmittelbares Zeugnis –lediglich diebekannten allgemeinen Behauptungen beiPlaton und Aristoteles, daßCharondas derGesetzgeber vonKatane und„ denanderen (chalkidischen) Städten“auchin Italien gewesen sei3. Gerade dieser Fall wird dabei für die häufig suggerierte Annahme eines engen Zusammenhangs odersogar direkten Aufeinanderbezogenseins der„ Verfassung“derchalkidischen Poleis einerseits undeiner allgemein chalkidischen „ Gesetzgebung“andererseits herangezogen. Denndas „ aristokratische“bzw. „ oligarchische“Regime derPolis Kyme, daskurz vor derWende zum5. Jahrhundert von demTyrannen Aristodemos zunächst beseitigt wurde, nach seinem Sturz um490 aber wiederhergestellt worden sein soll, ist literarisch relativ gut bezeugt, nämlich durch einen auf einer älteren Quelle beruhenden Exkurs bei Dionys von Halikarnaß4. Der ungewöhnliche Reichtum einer traditionellen Aristokratie im archaischen Kyme ist auch durch Grabfunde eindeutig belegt5.
dieselbe Einrichtung
– einen Rat (von 100 Mitgliedern?). Vgl. auch die Absätze LOKROI derKategorie „Oligarchie“indiesen Zusammenhängen.
EPIZEPHYRIOI; RHEGION zurProblematik
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Vgl. dazu den Abs. LOKROI EPIZEPHYRIOI. Vgl. dazu generell BUSOLT 1920, 354ff. mitweiteren Nachweisen. Vgl. dazu die Abs. KYME INDER AIOLIS; RHEGION.
Strab. 5,4,4; Dion.Hal.ant. 7,3,1; Liv. 8,22,5; Ps.-Skymn. 238f. (= GGM I, S. 205); vgl. auch Thuk. 6,4,5 unddie weiteren Nachweise bei BÉRARD 1957, 40 mit Anm.3. Vgl. zu derkomplizierten Überlieferungslage über dieGründung undzudenDatierungsproblemen DUNBABIN 1948, 5ff.; BÉRARD 1957, 37ff.; VALLET 1958, 48ff.; GRAHAM 1982, 101ff. Vgl. etwa DARESTE 1902, 18, VALLET 1958, 316, sowie –eher zurückhaltend –CIACERI 1927, 46f.; BONNER/SMITH 1930, 70. 24; vgl. auch Theodoret.Graec.affect.cur. 9,8. Vgl. Abs. Plat.Rep. 599E; Aristot.Pol. 1274a23– HIMERA.
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Der einschlägige Abschnitt bei Dion.Hal. (ant. 7,3– 11) geht bei aller rhetorischen Ausschmückung im Kern wohl aufeine kymäische Lokaltradition relativ hohen Alters zurück; vgl. dazu WELWEI ίαmit ε ιτ λ ο ὴπ ικ τ ρ α ρ ισ κ τ ο 1971 mit allen Nachweisen. Dionys bezeichnet die„Verfassung“als ἀ Oligarchen“ ή (ant. 7,4,4f.; 5,2; 6,4f.; 7,3; 8,3); nach demSturz und beherrschten) β einer (von „ ο υ λ
2. Dieeinzelnen Poleis
163
Damit ist aber noch keineswegs ausgemacht, daß diese Verhältnisse für alle chalkidischen Städte typisch waren unddaher geradezu zur Rekonstruktion eines chalkidischen „ Idealtyps“einer frühen „ Verfassung“in Anspruch genommen werden könnten. Wie wenig über die gesellschaftlichen undinstitutionellen Verhältnisse in diesen Städten –und dasgilt auch für Kyme –imeinzelnen wirklich gesichert ist, geht schon daraus hervor, daßdieser „Idealtyp“einerseits als„ dasgewalttätige Willkürregiment derreichen adeligen Vollbürgerschicht und ihrer Beamten“charakterisiert worden ist6 , womit (wie etwa in Rhegion) die„ Tausend“ gemeint sind; andererseits hatman–wiederum eben wegen dieser zahlenmäßig doch recht großen Institution –diesen „Verfassungstyp“als „oligarchie modérée“bezeichnet7. Die angeblich dazu passende oder sogar bewußt darauf abgestimmte, mehroderweniger „ gemäßigte“ bzw.ihrerseits erst „mäßigende“undtendenziell reformerische“Grundtendenz der „ „ Gesetzgebung des Charondas“ist damit –undmit dem,waswirüberdiese Gesetze insgesamt tatsächlich wissen8 –kaum zubeweisen oder auchnurplausibel zumachen. Ob das von Aristoteles erwähnte, offenbar recht alte Gesetz über die Zeugen im Mordprozeß wirklich aus dem chalkidischen Kyme in Italien stammt und damit (wenigstens vorsichtig) auch demCharondas zugeschrieben werden kann9 , ist höchst fraglich – zumeist wird es, zusammen mitanderen kurios undaltertümlich anmutenden EinrichtungenundSitten, demaiolischen KymeinKleinasien zugeschrieben1 0. KYME INDERAIOLIS
Nach einem Exzerpt des Herakleides Lembos ausderaristotelischen Sammlung von ρδόκιμ Politien soll ein gewisser Pheidon –ein ἀ ὴ ν ο ς , über den sonst nichts bekannt ist –in dieser unbedeutenden Polis inKleinasien ein„Gesetz gegeben“haben, wonach „jeder verpflichtet war, ein Pferd zu unterhalten“ . Dabei bringt Herakleides (oder schon seine Quelle, also Aristoteles) diese Maßnahme miteiner Erweiterung des Kreises der vollberechtigten Politen inZusammenhang1. Auch diefolgende Notiz bezieht sich auf eine solcheErweiterung –vielleicht handelt es sich auch überhaupt umdieselbe Reform: Danach , über den übergab“ein gewisser Prometheus, „ „ einrühriger undredegewandter Mann“ wirwiederum nichts wissen, die„Verfassung“den„Tausend“ 2.
ά ιο τρ ςπ wiederhergestellt ToddesAristodemos sei diese π ε ία ο λ ιτ
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worden (ant. 7,11,4). Vgl. neuerdings noch VALENZA MELE 1981, 118ff. GRAHAM 1982, 148. Vgl. zu einigen „ extrem reichen“Gräbern des 8. und 7. Jh.: CL. ALBORE LIVADIE, Remarques sur ungroupe de tombes de Cumes, in: Contributions à l’étude de la société et 58. dela colonisation eubéennes. Cahiers duCentre Jean Bérard 2, Neapel 1975, 53– STAUFFENBERG 1963, 100 mit Anm. 17 (322).
VALLET 1958, 316f.; vgl. auch DUNBABIN 1948, 73f. Vgl. Abs. KATANE. Aristot.Pol. 1269a1– 3; vgl. SMITH 1922, 193 undBONNER/SMITH 1930, Vgl. Abs. KYME IN DER AIOLIS.
79 mitAnm.2.
ι σ ίο ε λ ο ςπ ρδόκιμ ὴ Exc.polit. frg. 39DILTS (= [Herakl.Pont.] frg.11,6, FHG II, S.217): Φ ν ίδ νἀ ε ω μ ε τέ δ κ ω ετ ῆ ςπ ο λ ιτε ία μ , νό . ς ν ο ν ο π θ ἵπ ε ὶςἕκασ ιν ε κ ε γ ςτρέφ τ ο ν α ἐπ ν ά . ν η θ Ebda.: Π μ ε ρ ο ὺ ιτεία λ ο ςδ π ν ὴ έτις κ ετ ρ ω δ ὴ έ ,ἀ ή ρ δρ ρ ν α ιο α σ ιςπ τ , χιλίο ςκ α ὶἱκα ῖν ὸ ν ε ςεἰπ
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
164
Datum, Kontext, konkreter Anlaß undgenauer Inhalt dieser Maßnahmen sind nicht mehr festzustellen. Der terminus ante quem dürften die Unterwerfung Kymes durch KyrosunddieErrichtung derTyrannis desAristagoras um513 sein, auch wenn diese Ereig-
nisse indemExzerpt desHerakleides vordenReformen berichtet werden3. Eine genauere Einordnung undInterpretation dieser Reformen –wenn es denn „ Reformen“gewesen sein sollten –istaberkaummöglich. Mankannlediglich allgemein festhalten, daßwenigstens in derSicht desHerakleides (und desAristoteles) offenbar nicht nur die vollen politischen Rechte jedes Kymaiers auf seiner Fähigkeit zurUnterhaltung eines Pferdes beruhten. Die formale Fixierung dieses (eigentlich typisch aristokratisch-traditionellen) Kriteriums durch das „ Gesetz des Pheidon“ scheint für sie darüber hinaus eine Erweiterung der Vollbürgerschaft bedeutet zu haben4. Möglicherweise waren mit demerweiterten Kreis derPoliten jene „ Tausend“gemeint, denen dann die „ Verfassung“geradezu „übertragen“worden sein soll –wobei damit wohl eine besondere Institution, ein Rat oder eine Versammlung der „ Tausend“ bezeichnet wurde, dieesja auch in anderen Städten gab5 . Diese „ Tausend“könnten etwa mitjenem Rat identisch sein, der in nächtlichen Sitzungen durch geheime Abstimmung (regelmäßig?) über dieAmtsführung derBasileis entschied, diezuvor voneinem besonderen Magistrat, demφ ρ ή , aus der Versammlung geführt undunter Bewachung υ λ α κ τ gehalten wurden6. Welche (offenbar jedenfalls als konstitutiv angesehenen) ZuständigTausend“durch die Maßnahme des Prometheus im einzelnen zugewiesen keiten den „ worden sein sollen, geht allerdings ausderobskuren Notiz nicht hervor.
Obdieanderen,
seltsam scheinenden
undoffenbar
alten Regeln
undVerfahren, die in
Kymenochinhistorisch heller Zeit in Geltung geblieben zusein scheinen, auf „Gesetze“
imeigentlichen Sinne zurückzuführen sind, ist einigermaßen zweifelhaft. Die Strafe für Ehebruch derFrau–öffentliche Entehrung durch Zurschaustellung aufderAgora vor und , sondern auf nacheinem Eselsritt durch die Stadt7 –dürfte kaum aufpositiver „Satzung“ altem Brauch undGewohnheitsrecht beruhen. Dasgilt auch für die seltsame Regelung, daßbei einem Diebstahl die Nachbarn des Bestohlenen gewissermaßen hafteten, was θ ο ςim Unterschied Herakleides (bzw. Aristoteles) selbst als eine alte Sitte –ἔ bezeichnet undmiteinem VersdesHesiod inZusammenhang bringt8.
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μ ο ς– zu νό
Exc.polit. frg.38DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 11,5, FHG II, S. 217). Vgl. GILBERT 1885, 157f. mit Anm.3 (157); L. BÜRCHNER, RE 11,2 (1922) 2475f. Vgl. etwa HUXLEY 1966a, 91f.; JEFFERY 1976, 238, anders anscheinend BÜRCHNER 1922, 2476. . von„Bürgern mitHoplitencensus“ offensichtlich unpassenderweise – BUSOLT 1920, 355, spricht – Anders allerdings HUXLEY 1966a undJEFFERY 1976, ebda. Vgl. Abs. KATANE; RHEGION. Die in (IvKyme 1; μ ῳ ά δ ῷ ο ετ ξ denDekreten derhellenistischen Zeit regelmäßig vorkommende Formel ἔδ 4; 9; 10 usw.) sagt nichts über die institutionellen Verhältnisse im archaischen Kyme (gegen BÜRCHNER 1922, 2476). Plut.mor. 291F-292A. Vgl. HUXLEY 1966a, 91; JEFFERY 1976, 238. Plut.mor. 291E-F. In Lepreon gab es sehr ähnliches Ritual: Herakl.Lemb.Exc.polit. frg. 42DILTS (= [Herakl.Pont.] frg.16, FHG II, S.217); siehe dazu LATTE 1931/1968, 291f.; SCHMITZ 1997, 107ff.
mitweiteren Nachweisen. Exc.polit.frg. 38DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 11,4, FHG II, p. 216) mit Anspielung auf Hes.Op. μ ο ςbei Herakl.Lemb. Exc.polit. ο ςund νό 348. Vgl. die genaue Unterscheidung zwischen ἔθ frg.43DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 15, FHG II, S. 217). MÜHL 1933, 28f., vermutet hier –wie so . oft–das„Fortwirken“eines altbabylonischen „Rechtsprinzips“
2. Die einzelnen
Poleis
165
Umeinechtes Gesetz könnte essich hingegen beijener Regelung desVerfahrens bei Tötungsdelikten gehandelt haben, die Aristoteles zu denganz absurden Relikten alter, simpler undbarbarischer ν μ ό ο ιbzw. νόμ Gesetz“ ιμ α , das Aristoteles rechnet9 : Dieses „ auchausdrücklich sobezeichnet, legte fest, daßderAngeklagte ineinem Verfahren wegen Mordes als schuldig galt, wenn der Kläger eine bestimmte Anzahl seiner eigenen Ver0. wandten als „ Zeugen“aufbieten konnte1 Daßdiese Regelung archaisch sein muß, ist allgemein unstrittig11. Denn bei diesen Zeugen handelte es sich nicht –wie im voll entwickelten, modernen Strafprozeß –um wissende Zeugen“ „ , deren tatsächliche Kenntnis derSachlage zur gerichtlichen Feststellung desTatbestandes als Voraussetzung eines Urteilsspruchs beitragen soll unddaher vomGericht in freier Beweiswürdigung herangezogen undabgewogen wird. Die μ ρ ά ρ ε τ υ ςin demin Kyme geltenden Verfahren waren vielmehr „Eideshelfer“ , dieunter Eid ihre Überzeugung vom„Recht“desAnklägers undder„Richtigkeit“seiner Sache zubekunden hatten. Dabei ging es also gerade nicht umdasobjektive „ Wissen“umdieTatsachen; es kamausschließlich darauf an, daß eine genau vorgeschriebene Anzahl solcher „ Eideshelfer“ , in diesem Fall von Verwandten des Klägers, sich dazu bereitfand. Allein dadurch, daßderKläger aufdiese Weise dentraditionellen, rein äußerlichen undformalen Anforderungen des Verfahrens entsprach, obsiegte er und erreichte die Schuldigsprechung des Angeklagten12. Daß derartige, ursprünglich sicherlich in ungeschriebenen gewohnheitsrechtlichen Traditionen wurzelnde Regelungen durchaus Gegenstand formaler Satzungen werden konnten, belegt eine oft als Parallele zum „ Mordgesetz von Kyme“angeführte Vorschrift des „Rechts von Gortyn“13:Derjenige, dereinen Ehebrecher ergriffen hatte, mußte eine bestimmte Anzahl von „ Eideshelfern“beibringen, die die „ Richtigkeit“seiner Sache – jeder einzelne Flüche auf sich herabrufend“–beschwörem mußten, wenn der Ehebre„ cher die Unrechtmäßigkeit des Vorwurfs unddamit seiner Ergreifung behauptete. Und dabei wurde insbesondere dienotwendige Anzahl dieser „ , nämlich einer, zwei Zeugen“ oder vier, abgestuft nach dempersonenrechtlichen Status des Beklagten, genau fixiert. KYRENE
Als Kyrene umdie Mitte des 6. Jahrhunderts durch innere Wirren undäußere Bedrohungen ineine schwere Krise geraten war, wandten sich nach Herodot die Kyrenaier wieder andasdelphische Orakel, dasbekanntlich schon beiderGründung derStadt durch Kolonisten ausThera Pate gestanden undauch in der Folge noch Einfluß auf die Verhältnisse in Kyrene genommen hatte1. Herodot berichtet dann, daß die Pythia ihnen aufgetra9
Pol. 1268b39– 42. νὁ ω ρ ύ τ ρ α ιμ α τ η χ σ ά ρ 10 Pol. 1269a1– α ῃπ θ ῆ μ ό ιπ ςτ νΚ ρ ύ ε ὶτ 3: ...ἐ ὰφ λ νπ ν ο μ ικ ὰνό ο ,ἂ ςἔσ τ ιν . α τ ν ο γ ύ ε φ ν τ ὸ ῳ , ἔνο ν α ν ε ιτ χ ἶν ο ν ό ῶ φ ν τ ν α ῷ ὑ ν ο ῶ τ ο ῦσυγγεν ό φ ν τ ν κ ὸ ω διώ
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HUXLEY 1966a, 91; JEFFERY 1976, 238. LATTE 1920, 21; 32; 1933/1968, 388f.; 1946/1968, 237f. undschon MEISTER 1908, 573ff.; 581, sowie BONNER/SMITH 1930, 74; 79 Anm. 2. 45. Vgl. dazu MEISTER 1908, 564ff.; KOHLER/ZIEBARTH 1912, 83; LATTE 1933/1968, Col. II 36– 388f.; JEFFERY 1976, 238; GAGARIN 1989, 47ff. mitweiteren Nachweisen.
Hdt. 4,161,1. Vgl. zur Gründung und Entwicklung Kyrenes im einzelnen etwa SCHAEFER 1960/1963, 367f.; CHAMOUX 1953, 115ff.; MURRAY 1980/1982, 149ff.; 1952/1963, 222ff.; 1959–
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
166
genhabe, einen „Schiedsrichter“bzw.„Ordner“(κ ρ ή ) ausMantineia in Arkadiρ α τισ τα τ enzuholen. AufAnfrage derKyrenaier hätten die Mantineier ihnen den angesehensten Bürger benannt, einen gewissen Demonax2 –oder, wie es vermutlich richtig geheißen haben müßte: Damonax3 . Nach einer späteren Überlieferung, die nur noch in einem Fragment der Auszüge des Herakleides Lembos aus demWerk Π ρ ὶ νομοθετ ε ῶ νdes Hermippos greifbar ist, soll er sogar als β α σ ιλ ε ύ ςbezeichnet worden sein, wogegen Hermippos Einwände erhoben zuhaben scheint4 –möglicherweise ist damit jedoch kein Königtum imengeren Sinne, sondern einAmtgemeint, wiees in vielen Poleis bezeugt α σ ist5: Magistrate, die denTitel β ιλ ε ύ ςführten undwesentlich sakrale Funktionen hatten, gabesja etwa auch in Athen, Chios, Milet undin dermilesischen Kolonie Olbia; inArgos, Megara undmehreren megarischen Kolonien warderβ α σ ιλ ε ύ ςsogar der höchste undeponyme Beamte6 . Wiedemauchsei: Selbst wennDamonax beiHerodot unddannauchbeiDiodor nicht als „König“ , Magistrat oder Priester, sondern nur als Bürger von Mantineia erscheint, implizieren die Formulierungen doch offensichtlich, daßer als ein prominenter Mann sicherlich vornehmer Abkunft galt, wasübrigens auch sein Name schon indiziert7. Daßein Aristokrat auch persönliche Verbindungen nach Delphi gehabt haben könnte, ist ja auch keineswegs unwahrscheinlich –mankannallerdings nurvermuten, daßer durch dasOrakelgeradezu explizit als„Schiedsrichter“benannt wurde8 . Daßerinseiner Heimatstadt einen besonderen Rang eingenommen haben dürfte, läßt aucheine andere, spätere Tradition nochdurchscheinen, diewiederum nurnoch in kurzen Notizen ausEphoros, demerwähnten Werk des Hermippos über die „ Nomotheten“und demAuszug desHerakleides Lembos daraus erhalten ist9: Danach habe Damonax nämlich
1984, 60ff.; MALKIN 1987, 60ff.; 1989, 139f.; JÄHNE 1988, 145ff.; HÖLKESKAMP 1993, 406ff.; BACCHIELLI 1996, 309ff., mit weiteren Nachweisen. Vgl. auch denAbs. THERA. Hdt.4,161,2, woDamonax als ἄ τ ρ α ῶ ν ν ἀ σ δ τ ώ τα τ ῶ νδοκιμ νbezeichnet wird; vgl. Diod. 8,30,2, ο ή ν ῶ ςgenannt undalsPersönlichkeit charakterisiert wird, συνέ κ ῃδο woerδιαιτη τ ν ύ α ὶδικαιοσ ικ σ ε . ιν ε έρ δια φ Indieser Formkommt derNamezumindest inspäteren Inschriften aus Kyrene vor: SEG 9,1, 1944, 50, Z.46; 147; 231. Vgl. auch FOUGÈRES 1898, 333 Anm.33 STÄHELIN 1918, 325; BÖLTE 1930, 1317; WAISGLASS 1956, 168 Anm.2. POxy 11, 1367, Z.19ff. mit demKommentar. WAISGLASS 1956, 169ff.; BERVE 1967, 592; CARLIER 1984, 404. Vgl. auch BUSOLT 1920, 348 mitAnm. 1und2; VONSCHOEFFER 1897, 66; 71ff. undjetzt CARLIER 1984, 373ff.; 487ff. u.ö. für die Nachweise; ferner TOMLINSON 1972, 197 (zu Argos); HANELL 1934, 149ff.; LEGON 1981, 55 (zuMegara undseinen Kolonien). 1960/1963, 368; ferner bereits Vgl. etwa SCHAEFER 1952/1960, 249; 1955/1963, 286f.; 1959– FOUGÈRES 1898, 334 undneuerdings JÄHNE 1988, 158. 1960/1963, 368; NILSSON 1955/1967, So etwa SCHAEFER 1952/1963, 250f.; 1955/1963, 295; 1959– 642f.; PARKE/WORMELL 1956, I 155; II 30f.; grundsätzlich gegen die Authentizität des Orakels: FONTENROSE 1978, 121; 308 (Q 118). Vgl. auch das erwähnte Papyrusfragment der Auszüge des Herakleides Lembos aus Hermippos (POxy 11, 1367, Z.19ff.) für den engen Zusammenhang zwiLESCHHORN
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schen Delphi undseiner Aufgabe inKyrene. Hermippos Π ρ ε ὶνομ ο θ νfrg.1, FHG III, S.36 (= Athen. 4,154D); Herakleides Lembos, POxy ε τ ῶ 11, 1367; Ephoros FGrHist 70 F 54 (= Athen. 4,154D), wo „Demeas“wohl als „Demonax“zu verstehen ist. Vgl. dazu STÄHELIN 1918, 325; BÖLTE 1930, 1317; anders FOUGÈRES 1898, 350ff., ferner WAISGLASS 1956, 167f.; 173f. Vgl. zum besonderen Ansehen der Stadt Mantineia etwa FOUGÈRES
1898, 330.
2. Dieeinzelnen
Poleis
167
seine Mitbürger in Mantineia beider„ Erfindung“ desZweikampfes beraten undsie in der Kunst desKampfes mitWaffen unterwiesen. Nach dieser relativ späten Überlieferung warDamonax auch nicht mehr nur κ ρ α τ α ρbzw. διαιτητή ή τισ ς τ , sondern anscheinend einer der großen weisen „Gesetzgeber“ (und Lehrer), deretwa vonHermippos aufeine Stufe mitLykurg, Pythagoras, Charondas, demsagenhaften Kekrops undanderen legendären athenischen Gesetzgebern wie 0. Triptolemos undBuzyges gestellt worden zusein scheint1 Eben dort ist er offenbar auch als „Nomothet“bezeichnet worden, der imAuftrag des Delphischen Orakels der Polis Kyrene eine gesetzliche Ordnung gab11.
Diekonkreten Maßnahmen desDamonax indieser Stadt sind für unsjedoch bekanntlich nurinderrelativ knappen, aberfrühen undzuverlässigen Darstellung Herodots greifbar: Danach führte erzunächst eine neue Ordnung mitdrei Phylen ein. Dabei teilte er die „ Theraier“ unddie„Perioiken“in dieerste Gruppe ein, dieHerodot als (μ ία ο ῖρ α und )μ auffälligerweise nicht alsφ ήbezeichnet; die „Peloponnesier“und„Kreter“wurden der υ λ zweiten unddiejenigen „ vondenInseln“derdritten μ αzugewiesen12. Dabei dürften ῖρ ο unter den„ Theraiern“sicherlich die Nachkommen derErstsiedler ausThera zuverstehen sein13; die „ Perioiken“waren wahrscheinlich ebenfalls Griechen14, die von Theraiern und/oder anderen Zuwanderern abstammten, dievielleicht erst nach der Gründung nach Kyrene gekommen waren unddeswegen faktisch benachteiligt oder sogar formal minderberechtigt gewesen sein mögen –dasProblem warundist umstritten15. α ιeingeteilten „Peloponο ῖρ Unstrittig ist wiederum, daßdie in diebeiden übrigen μ nesier“ unddie„Kreter“bzw.Griechen „ vondenInseln“diejenigen Zuwanderer gewesen sein dürften, diedemumdasJahr 570 unter demKönig Battos II. Ε νergangenen ω ίμ ὐ δ α undwieder einmal massiv vonDelphi unterstützten Aufruf gefolgt undnach Kyrene gekommen waren, um sich dort niederzulassen und, wie ausdrücklich zugesagt worden war, Landlose zuerhalten1 6: die(wohl imwesentlichen dorischen) Zuwanderer aus der Peloponnes undaus Kreta wurden in derzweiten μ zusammengefaßt; die (vielleicht α ο ῖρ vorwiegend, aber sicherlich nicht ausschließlich) ionischen Griechen von den übrigen Inseln derÄgäis wurden dannindiedritte μ eingeteilt17. α ο ῖρ 10
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Hermippos Π 7, FHG III, S.36f.; Herakl.Lembos, POxy 11, 1367, Z.40ff.; ρ ὶνομ ε ο θ ε τ ῶ νfrgg. 2– vgl. ADCOCK 1927, 106. Herakl.Lembos, POxy 11,1367, Z.21ff.; daraus sindwegen desZustandes desPapyrus keine weiteren inhaltlichen Informationen zuholen. Vgl. auchnochTheodoret.Graec.affect.cur. 9,12. τ ο ῦ ατο τ σ νἕκα θ ὼ α ὶμα η νκ Hdt. 4,161,3. DerText lautet: (Δ ν ή μ ῶ η ν ρ α υ νΚ μ ν ξ ε ο ) ἀπ ὴ ςἐ ικ ό ςτ ν α ο ῖρ μ νμ ὲ ντριφ ία νμ ω ύ ίκ λ ιο ο ερ υ νπ ςἐπ ῶ α ὶτ σ νκ έσφ ο ίη ὲ νμ ίω α α ρ ε , τῇ ς η δ εδιαθείς ·Θ . Vgl. dazuundzum ν ω τ ν ά π τ ν ω έ ν η δ ν η δ ὲνησιω ὲΠ ελ , τρίτ , ἄλ λ η ο ν σ κ π ίω α ο ν ν ε ν ὶΚρητῶ σ ἐ π ο ίη Folgenden HÖLKESKAMP 1993, 404ff. mitweiteren Nachweisen. Vgl. schon HILLER V.GAERTRINGEN 1893, 147; JÄHNE 1988, 159. Anders etwa MEYER 1937, 626; SCHAEFER 1952/1963, 249; dagegen bereits CHAMOUX 1953, 221ff.; JEFFERY 1961, 143 mit Anm. 12. Vgl. die Darlegung undKritik derverschiedenen Ansätze, diehier nicht im einzelnen wiederholt zu werden brauchen, bei JEFFERY 1961, 143; JÄHNE 1988, 159. ν η ύ ιβ 4. Dabei soll von derPythia folgender Aufruf gekommen sein: ὃ ςΛ νἐ ε ςδ έκ Hdt. 4,159,2– . Vgl. dazu etwa ή σ ιν ε λ ε ῃ/ γ ᾶ ίμ μ ςἀναδαιομέν άφ α νἔλ κ ο ο νὕστερ ἵπ α τ ο ε τ άο ρ α ,μ ς θ ή υ λ ο π GILBERT 1885, 229; SCHAEFER 1952/1963, 249; vgl. 237ff.; CHAMOUX 1953, 134; 139f.; DEFRADAS 1954/1972, 249; JEFFERY 1961, 142f.; GRAHAM 1982, 136f.; JÄHNE 1988, 159. Vgl. etwa SCHAEFER 1952/1963, 249; JEFFERY 1961, 142f.; 1976, 187; MURRAY 1980/1982, 155.
168
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
Über die Gründe, die Battos zudemgeradezu drängenden Aufruf an alle Griechen veranlaßt haben könnten, kann mannurspekulieren18. Wichtig ist in diesem Zusammenhang ohnehin nureines: Zweifellos wares gerade dergroße Erfolg dieses Aufrufs, der die Neuordnung notwendig machte. Denn zuvor, zur Zeit des Oikisten Battos (I.) und seines Sohnes Arkesilaos, scheint die Zahl derEinwohner Kyrenes nicht oder doch nur langsam gewachsen zusein, wieHerodot ausdrücklich bemerkt19: Die noch weitgehend von den Kolonisten aus Thera abstammende Bevölkerung dürfte also relativ homogen geblieben sein. Das muß sich sehr rasch und grundlegend geändert haben, als ein beträchtlicher, vielleicht überraschend großer Zustrom neuer Siedler offenbar ausfast allen Teilen Griechenlands einsetzte20. Zuweilen scheinen sie sogar in regelrecht organisierten Zügen undgrößeren Gruppen gekommen zusein, wie etwa die Lindier aus Rhodos, die sich unter derFührung derSöhne desPankis demBattos fürdie„Gründung vonKyrene“ angeschlossen zu haben behaupteten: Sie waren höchstwahrscheinlich Kolonisten der zweiten Welle, diedannzudenjenigen „ vondenInseln“ α ο desDaῖρ , denin diedritte μ η σ monax eingeteilten ν ιῶ τ α ιgerechnet wurden21. DasProblem derIntegration undinneren Konsolidierung, dassich ausdergerade in Kyrene zuvor nicht gekannten Heterogenität einer überstürzt wachsenden Bevölkerung zwangsläufig ergeben mußte, wurde durch die zunehmend prekäre außenpolitische und militärische Lage derStadt noch dramatisch verschärft. Dabei war diese Lage ihrerseits durch denZustrom neuer Siedler, vorallem durch dierabiate Landnahme zuUngunsten dereinheimischen Libyer imZuge derpraktischen Umsetzung des denSiedlern versproῆ ςἀ chenen γ ν α δα μ ό σ ς , wesentlich verursacht worden: Die Libyer begannen sich zur Wehrzusetzen, rebellierten gegen Kyrene undriefen dieÄgypter zuHilfe22. Als nach der zunächst erfolgreichen Abwehr dieser Gefahr dann noch innerhalb derDynastie derBattiaden unüberbrückbare Gegensätze undsogar tödliche Feindschaften aufbrachen unddie nach Barke ausgewichenen Brüder des Königs Arkesilaos II., des Nachfolgers des Battos Ε ὐ ω δα ν , sich mitunzufriedenen Libyern verständigten, verschlechterte sich die Lage ίμ Kyrenes zusehends –schließlich erlitt die Stadt bei Leukon eine verheerende Niederlage. Arkesilaos fiel dann einem Attentat seines Bruders Learchos zumOpfer, der seinerseits vonderWitwe desArkesilaos beseitigt wurde23.
18 Vgl.
SCHAEFER 1952/1963, 238, wonach der König seine Stellung gegenüber der besitzenden Schicht dertheraiischen Altkolonisten durch einen ihm persönlich verpflichteten Anhang stärken wollte. JÄHNE 1988, 154, führt dagegen ökonomische undmilitärische Gründe an: Die volle Ausschöpfung desLandes undseiner Ressourcen einerseits unddieBehauptung gegenüber denlibischen
Stämmen andererseits hätten eine massive Aufstockung macht. Vgl. auch JEFFERY 1976, 187.
dergriechischen
Bevölkerung notwendig
ge-
19 Hdt. 4,159,1. Vgl. dazu SCHAEFER 1952/1963, 237f. η νκ τ . Vgl. auch SCHAEFER λ σ ή ν υ λ υπ ο λ ρ ο λ νΚ ο λ ῦἐ εχ ὴ υ ςτ τ θ έν ο ςδ ὲὁμίλ 1952/1963, 240 u.ö.; JÄHNE 1988, 154. 21 Vgl. die Tempelchronik von Lindos, B XVII: BLINKENBERG 1912, 329f.; Lindos II 1, Nr. 2 und dazu den Kommentar von BLINKENBERG 1912, 359f.; Lindos II 1, S. 168f., ferner CHAMOUX 1953,
20 Vgl. Hdt. 4,159,4:
124f., vgl. 72; JEFFERY 1961, 142; GRAHAM 1982, 137. SCHAEFER 1952/1963, 240ff.; CHAMOUX 1953, 135ff.; JÄHNE 1988, 155f. 23 Hdt. 4,160,1ff.; vgl. auch Plut.mor. 260E-261D; Nikolaos v.Damaskos FGrHist 90 F 50; Polyaen. 8,41. Vgl. zudenEinzelheiten etwa SCHAEFER 1952/1963, 245ff.; CHAMOUX 1953, 136ff.
22 Hdt. 4,159,4ff. Vgl. dazu im einzelnen
2. Dieeinzelnen Poleis
169
Durch diese Entwicklung dürften sich die ohnehin prekären inneren Verhältnisse in Kyrene soweit destabilisiert haben, daßes zu einer verfahrenen Frontstellung zwischen der erschütterten Dynastie der Battiaden mit demneuen König Battos III., „ dem Lahmen“ , den„Altsiedlern“undderzahlenmäßig starken Gruppe der „Neusiedler“gekommensein muß24. Denndie vorher vielleicht nurlatente Integrationsproblematik wird nunmehroffen zuTage getreten oderzumindest immer drängender geworden sein–sie mußte daher notwendig einer der Schwerpunkte der Bemühungen des „ Schiedsrichters“sein, der nundie Verhältnisse ins Lot bringen sollte. DiePhylenordnung desDamonax stellt also denVersuch einer konkreten Lösung der besonderen Integrationsprobleme einer überstürzt gewachsenen undplötzlich heterogenen Bevölkerung dar. Es fragt sich dann allerdings, ob diezumeist angenommene Gleichsetο zung der drei μ α ῖρ ιder„Theraier“und„Perioikoi“ , „Peloponnesier“und„Kreter“und η σ derν ιῶ τ α ιmitdenneuen Phylen desDamonax nicht auf einem Mißverständnis beruht –hätte docheine simple Einteilung nach diesem Prinzip diegerade zuüberwindende Heterogenität festgeschrieben25. Vielleicht legte Damonax ja fest, daßjede der drei neuen Phylen ausjeweils drei μ ο ῖρ α ιbestehen sollte, damit jede einzelne Phyle also einen sozialen und/oder „ ethnischen“Querschnitt aller Bevölkerungselemente enthielt. Damonax hätte dann eine Ordnung geschaffen, die zumindest ein Grundprinzip derjenigen des Kleisthenes vorweggenommen hätte26. Damit wäre erstens die auffällige Unterscheidung Herodots zwischen derEinteilung „ υ λ ά in drei Phylen“ , die übrigens auch in Kyrene φ genannt wurden27, und der Zuweisung der Alt- undNeubürger in drei μ α ι plausibel ο ῖρ erklärt. Und zudem ist vielleicht auch die mißbilligende Notiz des Aristoteles über den Zusammenhang zwischen Aufnahme vonNeubürgern undjenen Maßnahmen zur „ Stärkung der Demokratie“wie die des Kleisthenes undderjenigen, die „ die Demokratie in Kyrene eingerichtet“hätten, auch auf die Reformen des Damonax zu beziehen: Dazu zählt er die Einrichtung neuer Phylen, Hetairien undPhratrien zumZweck der Mischung der 8. Bürger2 Wiedemauchsei: DiePhylenordnung desDamonax zielte offenbar auf eine Konsolidierung derVerhältnisse durch die Integration derheterogenen Gruppen, indem diese in ein institutionalisiertes Gefüge eingebunden wurden, das sie alle, „Alt-“und „Neusiedler“ , Theraier, Peloponnesier undionische Inselgriechen umfaßte. Damit müssen zugleich zumindest formale Zurücksetzungen der zahlreichen Neubürger aufgehoben worden sein29.
24 Vgl. bereits GILBERT 1885, 229; CHAMOUX 1953, 139f.; JÄHNE 1988, 158; WALTER 1993, 145ff. 25 Das ist etwa von JÄHNE 1988, 159, richtig gesehen worden; vgl. auch OSTWALD 1969, 164. 26 JEFFERY 1961, 143; 1976, 187, sowie 202 Anm.6; als Möglichkeit akzeptiert von FINE 1983, 88; RUZÉ 1990, 69f.; dagegen etwa JONES 1987, 216ff. Vgl. jetzt HÖLKESKAMP 1993, 409ff., auch zum Folgenden.
27 Vgl. etwa MEIGGS/LEWIS Nr. 5, Z.15. Siehe dazu SEIBERT 1963, 19f. mit Anm. 1 (20f.) undzum ρ imeinzelnen denAbs.THERA. ν ω ή ρ κ ιο ν τ ὅ ν ο ἰκ ισ ῶ τ 28 Pol. 1319b6ff.; b19ff.; b23ff. Vgl. STÄHELIN 1918, 325; OSTWALD 1969, 164. Phratrien undHetairien als Untergliederungen derPhylen gab es jedenfalls später durchaus in Kyrene: CHAMOUX 1953, 214 mit Nachweisen. 29 Vgl. etwa SCHAEFER 1952/1963, 249 undJÄHNE 1988, 159, derallerdings die tatsächliche Bedeu, aberdie„tatsächlichen soziatungeiner Gleichstellung, die„mehrformal-rechtlichen Charakter trug“ , zu unterschätlenUnterschiede zwischen deneinzelnen Bevölkerungsgruppen unberücksichtigt ließ“ zenscheint.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
170
Auch die andere überlieferte Maßnahme desDamonax war zweifellos eine konkrete undunmittelbare Reaktion auf die innere Krise Kyrenes: Er reservierte für den König (oder beließ ihmwiebisher) besondere Landgüter (τ έ ν ε εμ α ) undPriestertümer oder sakrale Funktionen (ἱε ρ ω σ ύ ν α ι); alles andere aber, wasdieKönige bis dahin besessen hat30.Darunter istnachallgemeiner Ansicht eine weitten, „stellte erdemdemos indieMitte“ gehende Entmachtung derdurch denBruderzwist geschwächten unddurch dieNiederlage kompromittierten Dynastie derBattiaden zuverstehen: DemKönig sollten nurdie traditionellen sakralen Funktionen verbleiben31, under behielt auch die (damit verbundenen, 2. vielleicht –ebenfalls –erblichen) Domänen desKönigs3 Es ist allerdings nirgendwo bezeugt undeigentlich auch unwahrscheinlich, daß die wesentlichen „ politischen“Funktionen, die „ richterlichen“ , „administrativen“und„militä33 rischen Kompetenzen“ des Königs vor derReform des Damonax überhaupt bereits als solche begriffen undunterschieden werden konnten odergarformalisiert undinstitutionalisiert waren –undsei es nurrudimentär. Wahrscheinlich wares Damonax, derüberhaupt erst gewissermaßen definierte „Rechte“desKönigs festgelegt hat–undsie allein schon dadurch beschränkte, so daß damit die archaische Ungeschiedenheit und Akkumulation der„Privilegien“der Gründerdynastie beendet wurde. Daß er sie dabei auch noch eng vielleicht nachdemVorbild anderer Poleis –aufdenfaktisch machtlosen relifaßte und– giösen Sektor beschränkte, rief dann denerbitterten Widerstand des Arkesilaos hervor, derBattos „ demLahmen“alsKönig folgte3 4. Damit ist aber wiederum noch nicht gesagt, daß Damonax auch gleich mehrstellige Magistraturen35, etwadieerst später bezeugten Ämter desEphorats36 undderStrategie 7, 38eingerichtet hätte –sei es undInstitutionen wiedie schon bei Herodot erwähnte βουλ ή gewissermaßen freihändig oder nach Vorbildern des Mutterlandes –und ihnen zugleich α σ ιλ demβ ε ύ ςentzogene, genau definierte formale Rechte zugewiesen haben muß. Die„Dekonzentration derpolitischen Gewalt“durch dieEntstehung öffentlicher Äm9 ter3 mußnämlich keineswegs notwendig auf einen umfassenden gesetzgeberischen Stiftungsakt zurückgeführt werden –es ist doch im Gegenteil ganz unwahrscheinlich, daß in Kyrene nochinderMitte des6. Jahrhunderts eine „ absolute Monarchie“bestanden hätte, neben deressolche Institutionen nicht gegeben hätte. Jedenfalls dürfte etwa dasEphorat, 30 Hdt.4,161,3, woderText insgesamt lautet: το ω α ὶἱερ νκ ὼ β ν α ε λ έ α ἐξ σ ε ῦ ιλ τ οδ ῷ τ τ ὲτ έ ῳ τεμ ϊΒά . κ η ε ,τ μ α ὰ ῳ ἄ λ ρ ν ς ρ ό ο ἔ λ ν εἶχ ή θ σ ύ α ν τε ν ά τ α ο ο π έ ἱβασιλ ὰ π ε τ ν ςἐ ο τ ςμέσ δ ῷ Vgl. etwa FOUGÈRES 1898, 334; SCHAEFER 1952/1963, 249f.; CHAMOUX 1953, 140f.; GRAHAM 1982, 137; CARLIER 1984, 475. 32 Vgl. zurErblichkeit, zum„sakralen“bzw. „profanen“Charakter derτεμέν etwa CHAMOUX 1953, ε α 217; WAISGLASS 1956, 174 mit Anm.15; MALKIN 1987, 140f. 33 Vgl. die Formulierungen bei SCHAEFER 1952/1963, 250; CHAMOUX 1953, 139; 141; 215; 217; JÄHNE 1988, 158. 34 Hdt. 4,162,1f.; 163,1ff.; 164,1ff. Vgl. dazu ausführlich CHAMOUX 1953, 144ff.; CARLIER 1984, 31
475f.
35 Vgl. etwa CHAMOUX 1953, 139; 141; JÄHNE 1988, 158. 36 SEG 9 (1944) 1, Z.82f.; Herakl.Lembos Exc.polit.frg. 18DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 4,5, FHG II, S. 212). Vgl. schon GILBERT 1885, 229. 37 SEG 9 (1944) 1, Z.73f. Vgl. CHAMOUX 1953, 218; DREWS 1983, 126. 38 Hdt. 4,165,1. Vgl. bereits GILBERT 1885, 229 mit Anm.2; CHAMOUX 1953, 216; JÄHNE 1988, 158. 39 So die Formulierung von JÄHNE 1988, 158.
2. Dieeinzelnen Poleis
171
dasauchinThera bestand, wahrscheinlich schon bei derGründung vonKyrene vonder Mutterpolis übernommen worden sein40, undauch diegerousia derStadt könnte eine tra1. ditionelle Einrichtung hohen Alters gewesen sein4 Nicht zuletzt hatte die Mutterstadt
Thera auchschon früheine (wenigstens ansatzweise institutionalisierte) Versammlung der „ Politen“–dort warwohl jener Beschluß zur Aussendung von Kolonisten gefaßt worden, derdannzurGründung vonKyrene führte4 2. Es ist daher eher anzunehmen, daßDamonax einzelne, konkret faßbare (und vielleicht erst in den vorhergehenden Auseinandersetzungen strittig gewordene) „öffentliche“ Funktionen, diedemKönig zuvor ohne weiteres, also ohne formale Grundlage, zugefallenwaren, aufandere Einrichtungen übertrug. Dazukönnte etwaderOberbefehl imKrieg gehört haben, denArkesilaos als König in derunglücklichen Schlacht vonLeukon noch innegehabt zu haben scheint43 undden zu übernehmen der lahme Battos wohl sowieso nicht imstande war. Hierbei könnte es sich also wiederum umganz konkrete Maßnahmen gehandelt haben, zudenen Damonax durch dieunmittelbaren Erfordernisse vorOrtveranlaßt wurde. Ausdenbei Herodot berichteten einzelnen Gegenständen seiner Reform läßt sich jedenfalls nicht zwingend schließen, daßsich seine Gesetze zueiner umfassenden „ Nomothesie“ , einer radikalen Umgestaltung der„Verfassung“oder garNeuschöpfung derganzen Ordnung von Kyrene addieren44 –einer Ordnung, die nun als „ konstitutionelle Monar45oderalsaristokratische „Isonomie“ 46gelten konnte oder die sogar schon markante chie“ demokratische“Züge getragen haben soll47. Das läßt sich auch nicht auf die erwähnte „ Formulierung Herodots stützen, wonach Damonax alles andere (das heißt: außer den ω σ ν ύ demdemos in die α έ ι), wasdie Könige zuvor gehabt hatten, „ τεμ ν ε α unddenἱερ 8. Mitte gestellt“habe4 Dieser Satz ist einfach zuunspezifisch, ja mysteriös, er erscheint losgelöst undabgehoben von denzuvor dargestellten sehr konkreten Maßnahmen des Damonax –dieFormulierung, dieauchnochauffällig denjenigen ähnelt, die Herodot dem VerSamier Maiandrios nach demSturz desPolykrates bzw. demPerser Otanes in der„ fassungsdebatte“indenMundlegt49.
40 41 42 43 44
Vgl. zumEphorat in Thera: IG XII 3, 322, Z.18; 326 u.ö. Siehe dazu CHAMOUX 1953, 214f. SEG 9 (1944) 1, Z.20ff. Vgl. CHAMOUX 1953, 214. Vgl. dazu denAbs. THERA. Hdt. 4,160,2f. Vgl. DREWS 1983, 126. Vgl. etwa ADCOCK 1927, 98 undbereits BUSOLT 1893, 489f.; 1920, 350; 375.
45
WAISGLASS 1956, 175. SCHAEFER 1952/1963, 250, spricht vom„ , gegen die „tyrannische“Stelaristokratisch-restaurativen“ lung der Battiaden gerichteten Charakter der Reform; vgl. CHAMOUX 1953, 141f.; JÄHNE 1988,
46
159f.
47 So etwa BELOCH 1913, 215f.;
MEYER 1937, 626 undjetzt ROBINSON 1997, 105; 107f.; 114. Vgl. dagegen BERVE 1967, 124f.; 591f. Nach GEHRKE 1985, 101; 102 Anm.2 sollen die Reformen in gemäßigte Oligarchie nach Art einer Hoplitenpoliteia“geKyrene wie in Mantineia offenbar eine „
bracht haben.
48 Hdt. 4,161,3. Vgl. zu dieser Metapher grundlegend DETIENNE 1965, 425ff.; 1967/1996, 93ff.; VERNANT 1962/1982, 42f.; 49; 102 u.ö. unddazu Kapitel IV 2 und3. γ ὼ δ 5): ἐ ὲἐ ς 49 NachHdt.3,142,3 sagte Maiandrios ineiner ἐκκλη (vgl. 142,1– ν ῶ ἀ τ σ ν ῶ τ ν τ ω ν π ά σ ίη μ ντιθ ὴ έ σ ε χ ὶςἰσονομ ο ντ ὴ νἀρ ρ ε μ γ νὑ ρ ύ . Bei Hdt. 3,80,2 heißt es über Otanes: ω ῖνπ ο ο α ίη μ α . Vgl. dazu OSTWALD 1969, τ α γ ή ε υ νἐκέλ εἐ ὲ ρ ςμέσ η ρ ο ςμ νΠ ῃ έ σ σ α ι καταθ ιτ ν ὰπ ε ῖν τά Ὀ 107ff.; 163f., der hinter diesen Formeln vielleicht doch zuviel politisch-programmatische Substanz vermutet.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
172
Mithin warDamonax kein Stifter einer nach abstrakten „ klassischen“(aristotelischen) Vorstellungen systematisch angelegten Ordnung –er war zunächst „nur“ein echter Schiedsrichter“ „ , dereine konkrete Krisenlage durch unmittelbar darauf reagierende Eingriffe zu bewältigen suchte. Das schließt allerdings keineswegs aus, daß vor allem seine Phylenordnung tatsächlich einwichtiger, vielleicht entscheidender Schritt zur Schaffung eines eigentlichen Bürgerrechts“in Kyrene unddamit zur institutionellen „ „ Konstituierung eines wirklichen Gemeinwesens“war50 –doch das war erst die langfristige Folge dieses (undvieler anderer) Anstöße. KYZIKOS
Ausdieser milesischen Kolonie amSüdufer derPropontis stammt ein Dokument, das invieler Hinsicht zumindest gesetzesähnlichen Charakter hat,wennessich auch inhaltlich strenggenommen nicht umein „ Gesetz“im Sinne einer allgemeinen Regelung handeln mag.Esgehtumdiebislang einzige bekannte archaische Inschrift ausKyzikos1 , diewohl
an das Ende des 6. Jahrhunderts zu datieren ist2. Das Dokument ist boustrophedon auf eine Marmorstele geschrieben. Vonderursprünglichen Inschrift sind zwar nurzwei ZeilenanderBruchstelle derStele erhalten. Eine sich ebenfalls darauf befindende, fast vollständige undsehr gut lesbare Inschrift ausdemersten Jahrhundert v.Chr. ist jedoch zweifellos eine Kopie des ursprünglichen Dokuments, die praktisch dessen gesamten Text bietet: Diebeiden erhaltenen Zeilen der alten Inschrift sind nämlich mit der Zeile 9 der Abschrift identisch3. DieUrkunde bestimmte, daßunter Maiandrios, deroffenbar dereponyme Magistrat indembetreffenden Jahr war, „diePolis“anscheinend einem gewissen Manes, Sohn des Medikes, undjedenfalls den Kindern des Aisepos und ihren Nachkommen bestimmte 4.Eine ganze Reihe bestimmter, Privilegien undRechte (ἀ ρ τε κ υ ν τα α ὶπ ν λ εῖο ε ) „gab“ ν ίη einzeln aufgeführter Abgaben waren allerdings vonderBefreiung explizit ausgenommen5, diesonst umfassend sein undgenerell gelten sollte6. Auf diese Regelungen wird auch der Demos noch ausdrücklich festgelegt7.
50
So SCHAEFER 1952/1963, 249; vgl. HÖLKESKAMP 1993, 420f.
1
Syll.3 4; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 32 mit weiteren Nachweisen Vgl. zuerst MORDTMANN 1880, 92ff.; IGA 491, ferner VOLLGRAFF 1922, 37ff.; DGE 732; SGDI 5522, sowie neuerdings PLEKET Nr. 21; HAINSWORTH Nr. 72; HGIÜ I, Nr. 18. Vgl. auch die Nachweise bei GAWANTKA
2
3 4
5
6 7
1977, 139. Vgl. etwa MORDTMANN 1880, 94f.; JEFFERY 1961/1990, 372 (Nr. 51), vgl. 367. Diebeiden Zeilen desboustrophedon geschriebenen Textes lauten (wie auch in derFolge zitiert nach ή η ν ν λ δ τ επ ]. ό λ [ε ιςΜ ω α ν ῆ ἔ δ κ ω ετ δ ίκ ῶ ε ιΜ ν ὴ δ ὲστ]ή HAINSWORTH): [τ ιν ῖσ α ὶτο 5 derjüngeren Inschrift: Ἐ κ ε ω Vgl. Z.3– η δίκ .π π ό ιΜ υ ὶΜ ίο λ ρ ιςΜ α ῆἔδ ια ν ν ετῶ κ δ α ω ν ε ρ υ τα ῖο ν . Siehe dazubereits MORDTMANN α κ ν ὶπ ή π ισ γ ο ιν ἀ ο ν τε λ ό ε ίη υπ α κ α ὶτο Α κ ισ ἰσ ὶν ῖσ ἐ ιν ω κ εaußerdem WACKERNAGEL 1904, 9f. mitAnm.2. 1880, 96. Vgl. zu ἔδ ὶ α η ςκ τ ῆ ςτετάρ α ὶτ ςκ α ν ίη ὶ ἰπ π ω DerText lautet: δέδο τ ο υκ ὲ ρ ο τ α ῦταλάν ο υκ ξναύ ὶτ τ α α ιπ ς. Vgl. dazu im einzelnen MORDTMANN 1880, 96f., ferner WACKERNAGEL 1983, ίη α π ν ο δ ω ν δρ ἀ α 299ff. (zuν ῦ τ ο= ναῦσσο ). ν So heißt es inZ.7: τ ν ). τ ν ω ἀ ν ν ά τελ ῶ λ π ω δ ὲἄλ ε ς(= ἀτελεῖς 8: κ α . MORDTMANN 1880, 95, sieht darin zu Unrecht ν Z.7– ὶἐ μ ο ο νἔταμ ιο π ςὅρκ ὶτού τ ο ισ ινδῆ . einen sicheren Beleg fürdasBestehen einer „ Demokratie“
2. Die einzelnen
Poleis
173
Allem Anschein nach handelt es sich in diesem Fall um einen Beschluß „ der Polis“ bzw. des Demos, dersich auf einen ganz konkreten individuellen Fall bezog undschon insofern gesetzesförmlichen Charakter hatte8. Diese Maßnahme wurde auch schriftlich fixiert undwaroffenbar öffentlich ausgestellt. Undnicht zuletzt war sie auch darin vielen archaischen „ Gesetzen“sehr ähnlich, daßsie sehr genaue, detaillierte Bestimmungen geradeüberAusnahmen bzw.Sonderfälle enthielt. LEONTINOI
Dasnach Thukydides schon um730 vonChalkidiern ausNaxos gegründete Leontinoi1 soll nach allgemeiner Ansicht –wie die anderen Städte des γ έ ν ο κ ιδικ ςΧ λ α ν– ό
ebenfalls die „ Gesetze desCharondas“übernommen haben2. In der antiken Überlieferung istdies auchindiesem Fall nirgendwo ausdrücklich belegt, wird aber durchweg unmittelbar aus der Annahme gefolgert, daß diese Gesetze zu demallen chalkidischen Städten gemeinsamen und für Leontinoi durch Aristoteles ausdrücklich bezeugten „ oligarchigepaßt hätten. schen“ Regime3 Es ist jedoch nicht nur grundsätzlich problematisch, Aristoteles’ systematische Einstufung einer „ Verfassung“ , über diewirsonst nichts wissen, ohne weiteres –unddas heißt: mitihren theoretischen Voraussetzungen undImplikationen –zu übernehmen4 . In diesem besonderen Fall bemerkt Aristoteles auch noch selbst, daß die „ Oligarchie“durch einen „ Demagogen“namens Panaitios beseitigt wurde, derdann eine Tyrannis begründete5. Abgesehen davon, daß diese Charakterisierung, die natürlich wiederum Aristoteles1 systematisierender undebennicht historischer Sichtweise entsprang, anachronistisch sein dürfte, ergibt sich damit ein weiteres Problem: DieTyrannis des Panaitios ist nach derin diesem Fall zumeist akzeptierten Chronologie des Eusebios schon vor das Ende des , die 7. Jahrhunderts zu datieren6 –also vor die Zeit der „Gesetzgebung des Charondas“ nach allgemeiner Ansicht eher in das6. Jahrhundert gehört7. Daßundin welcher Form die „Oligarchie“nach dieser anscheinend kurzlebigen Alleinherrschaft restituiert wurde, ist nirgendwo bezeugt. Allgemeine Überlegungen unddie archäologischen Daten legen lediglich indirekt nahe, daßes in Leontinoi auch im 6. Jahrhundert eine sogar überdurchschnittlich reiche undmächtige Oberschicht gegeben haben dürfte: Die Ebene von Leontinoiwareiner derfruchtbarsten Landstriche imGebiet dergriechischen Westkolonisation 8
Vgl. auch GEHRKE 1993, 58f.; HÖLKESKAMP 1994, 143.
1
Thuk. 6,3,3, vgl. Diod. 12,53,1; Strab. 6,27; Polyain. 5,5,1f.; Ps.-Skymn. 283 (GGM I, S. 207). Vgl. VALLET 1962/1996, 90; 102; 105; 1978/1996, 129f.; 135 undzur Gründungschronologie der Kolonien auf Sizilien bei Thukydides generell GOMME/ANDREWES/DOVER 1970, 198ff. (zu Thuk. 5); ferner allgemein BÉRARD 1957, 83ff.; ASHERI 1980, 108ff.; MARTIN et. al. 1980, 581ff.; 6,2– GRAHAM 1982, 104; 161; BARLETTA 1983, 38ff.; LESCHHORN 1984, 11ff.; MALKIN 1987, 176. Vgl. nur DARESTE 1902, 18; VALLET 1958, 316; sowie indirekt DUNBABIN 1948, 68; ROEBUCK,
2
1980, 1927f.
3 6
Aristot.Pol. 1316a34ff. Vgl. ASHERI 1980, 109. Vgl. Kapitel II 2, sowie die Abs. KATANE, KROTON, KYME und RHEGION. Pol. 1310b29ff.; 1316a34ff.; vgl. Polyain. 5,47. Euseb. II, S. 91 SCHOENE; p. 171 FOTHERINGHAM. Vgl. dazu DUNBABIN 1948, 66f.; GRAHAM
7
1982, 190. Vgl. dazu Kapitel II 3 unddenAbs. KATANE.
4
5
174
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
überhaupt, derEinzugsbereich chalkidischer Interessen dehnte sich nachweislich vonund über Leontinoi weit nach Westen in das sizilische Hinterland aus, und Funde –Goldschmuck, feine Keramik, Plastik –bezeugen einen dementsprechend hohen Stand der materiellen Kultur8 . Mitdiesen Daten istnatürlich dieEinführung einer „gemäßigten Oligarchie“ , dienach demEnde der angeblichen „Hoplitenrevolution“des Panaitios eingeführt worden sein soll, nicht nachzuweisen oder auch nurplausibel zumachen. Damit entfällt zugleich die Voraussetzung für die immer wieder postulierte Übernahme der(angeblich eher moderat oligarchischen“ „ ) „Gesetze des Charondas“in Leontinoi9 –zumal diese Gesetze nach
allem, was über sie bekannt ist bzw. rekonstruiert werden kann, ja auch gar keinen geschlossenen „Code“mit systematisch-einheitlicher Ausrichtung oder gar einer bewußt oligarchischen“Tendenz imSinne desAristoteles darstellten10. „
Auchjenes „chalkidische“Gesetz, das wenigstens fragmentarisch auf Vorder- und Rückseite derinMonte SanMauro di Caltagirone gefundenen Bruchstücke einer Bronzetafel erhalten ist11, kann kaum als Indiz für die Existenz eines allgemeinen „ Codes“in Anspruch genommen werden. Mitgroßer Wahrscheinlichkeit stammt dieses Gesetz tatsächlich ausLeontinoi12. Dafür sprechen nicht nurderGebrauch deseuboiischen Alphabets undeinzelner ionischer Formen in derInschrift13, sondern auchdieerwähnte Ausdehnung des chalkidischen Einflußbereichs vonKatane undLeontinoi nach Westen: Obwohl die namentlich nicht bekannte Siedlung in Monte San Mauro offensichtlich von Kolonisten aus demrhodischkretischen Gela getragen wurde14, dürfte der chalkidische Einfluß auch diesen Ort erreicht haben, dergerade vonLeontinoi ausleicht zugänglich war15. DieSiedlung wurde schließlich etwazumZeitpunkt derEroberung Leontinois durch denTyrannen HippokratesvonGela imJahre 494 (oder nurwenige Jahre zuvor) verlassen bzw. zerstört1 6. DieInschrift istnicht nurwegen dieses terminus ante quem, sondern auch ausobjektiven sprachlichen Gründen in die zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts zu datieren17. Die nocherkennbaren bzw. rekonstruierbaren Begriffe lassen außerdem densicheren Schluß Vgl. DUNBABIN 1948, 67f. mit Fundberichten (67 Anm. 1); BÉRARD 157, 85; STAUFFENBERG 1963, 101; MARTIN et al.1980, 586f.; GRAHAM 1982, 104. Zur westlichen Ausdehnung des chalkidischen Einflusses vgl. VALLET 1962/1996, 90ff.; 47ff.; H.-P. DRÖGEMÜLLER in: KlP 3 (1969), 571f.; MARTIN et al. 1980, 587; ASHERI 1980, 108ff. Zudemlebensgroßen Kopf eines Kouros aus Leontinoi vgl. zuletzt BARLETTA 1983, 42ff. 9 ROEBUCK 1980, 1927f., nach Polyain. 5,47; vgl. in dieser Hinsicht bereits VALLET 1958, 316. 10 Vgl. dazu die Abs. KATANE; RHEGION. 11 ORSI 1910, 830ff.; SEG 4, 64; 36, 1986, 824; ARANGIO-RUIZ/OLIVIERI 1925, 171ff. (mit einigen Varianten), sowie zuletzt CORDANO 1986; IGDS Nr. 15; KOERNER Nr. 86; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr.01 mitderLiteratur, auchzumFolgenden. 12 Vgl. etwa DUNBABIN 1948, 118; ROEBUCK 1980, 1927; CORDANO 1986, 34f. 13 Vgl. etwa D. COMPARETTI bei ORSI 1910, 843; JEFFERY 1961/1990, 242; 247; CORDANO 1986, 35ff. 14 Vgl. dazu etwa DUNBABIN 1948, 115ff.; P. ORLANDINI, in: STILLWELL et al. 1976, 591; BARLETTA 1983, 289ff.; CORDANO 1986, 36f. undneuerdings SPIGO 1986 mitweiteren Nachweisen. 15 Vgl. etwa STAUFFENBERG 1963, 105; CORDANO 1986, 34. 8
16 Daßhier einZusammenhang
besteht, liegt zwarnahe, istabernachLagederDinge nicht mit Sicherheit zu klären. Vgl. dazu DUNBABIN, 1948, 379; SPIGO 1986, 31f. 17 ORSI 1910, 843ff.; CORDANO 1986, 35ff.
2. Dieeinzelnen
175
Poleis
zu, daßes sich wirklich umein Gesetz im engeren Sinne handelt, umVorschriften für undSachverhalte: Diefür dieFormulierung vonGesetzen typische Konjunktion ἰά ν (= ἐά ν ), sowie ἰὰ ν δ έzurEinleitung eines Konditionalsatzes kommt mindestens fünfmal vor, ebenso wiedasPronomen hό σ τ ις(undhό ιςδέ)18. σ τ Bei dengeregelten Tatbeständen handelt es sich ohne Zweifel umTötungsdelikte: Allein die Begriffe, die mitφ ο ν - beginnen, werden in denFragmenten fünfmal gebraucht, ]ν mindestens einmal anscheinend auch [θ α ά το ς19.Ziemlich sicher ist darüber hinaus, daß indemGesetz anmindestens drei Stellen unterschiedliche Summen erwähnt werden, die vielleicht Bußen oder Kompensationen, wahrscheinlich für verschiedene Tatbestände, bestimmte Fälle
darstellten20. ρ ε αο τ -21 dürfte sich dagegen nicht auf eine Dasdreimal vorkommende Numerale τ Summe beziehen; denn es bezeichnet offensichtlich eine unvergleichlich höhere Zahl als dieanderen Angaben. Möglicherweise istdasWortals(ο ἱ) τετρα κ ό σ ιο ιzuergänzen und bezeichnet irgendeine Institution „ der Vierhundert“ , etwa einen Rat oder auch ein Gericht22 –wobei es sich dann, nebenbei bemerkt, schon wegen der Zahl wohl kaum um eine typisch „oligarchische“Einrichtung gehandelt haben dürfte. Leider läßt sich aus denwenigen erhaltenen Fragmenten nichts Genaueres über die konkreten Vorschriften des Gesetzes entnehmen. Es ist noch nicht einmal völlig sicher, obdiegenannten Bußen tatsächlich aufdieverschiedenen Tötungsdelikte selbst oder etwa aufVerstöße gegen Verfahrensregeln zubeziehen sind –Sanktionsdrohungen gegen Magistrate (und Richter) für die Verletzung von Regeln bzw. Vernachlässigung der Verfolgung von Delikten sind in mehreren inschriftlich erhaltenen frühen Gesetzen bezeugt23.
Wiedemauch sei: Die Erwähnung einer Institution könnte zumindest indizieren, daß Gesetz nicht nur(Geld-)Strafen für offenbar verschiedene, voneinander unterschiedene Arten vonTötungsdelikten oder eben vonVerfahrensverstößen fixiert wurden, sondern auchdasVerfahren derVerhängung dieser Bußen (und derSchuldfeststellung?) geregelt werden sollte. Es könnte also dembekannten Gesetz Drakons über unvorsätzliche(undvorsätzliche) Tötung mit seinen sowohl materiellen wie prozeduralen Vorschriftenentsprochen haben24. Auchinanderen Poleis wurden Tötungsdelikte undihre Verfolgungschon frühfixierten Regeln unterworfen: AusGortyn liegt eine frühe Inschrift vor,
indiesem
18 Frgg.1 recto, 7 recto undverso, 8 verso und9 recto bzw. 1 recto, 3 recto, 5 recto, 9 verso und12. ιςist möglicherweise auchinfrgg.5 verso und10 zuergänzen. Vgl. D. COMPARETTI bei ORSI τ σ hό 1910, 843; CORDANO 1986, 41f.; 47ff. Vgl. allgemein STROUD 1968, 40. 19 Frgg.1 recto undverso, 6 recto undverso bzw. 3 recto. Vgl. D. COMPARETTI bei ORSI 1910, 843, vgl. 834; CORDANO 1986, 42; 47ff. [τ αund στα ρ αἔν 20 Frg.5: οτάλαν α , vgl. D. COMPARETTI bei ORSI 1910, 838 (dagegen τ]έ [λ ν α τ α , vgl. COMPARETTI bei ORSI 1910, 843; CORDANO ίατ ά 1986, 42) frg. 6 recto: τρ 1986, 42; 47ff. 21 Frgg. 1 recto; 2; 7 recto. 22 D. COMPARETTI bei ORSI 1910, 843f. Vgl. auch DUNBABIN 1948, 128; CORDANO 1986, 44, anders ). wohleinVierzigmännerkollegium“ KOERNER NR.86 („ 23 Vgl. allgemein GAGARIN 1986, 95 Anm.54. 24 Aufdiese Parallele ist mehrfach hingewiesen worden, vgl. etwaORSI1910, 844; CORDANO 1986, 42 und zuletzt VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, S. 9ff. Die von ARANGIO-RUIZ/OLIVIERI 1925, 175, vorge–nach demGesetz desDrakon (IG I2 115 = IG I3 ]ια ν ρ ν ο ό schlagene Ergänzung desfrg. 3 recto: [π ] ist al[ν ]ε [έ ]τ ν ε ιτ γ ]ς[κ ίςτιν ύ αφ ε ]ρ ο ν ο ί[α α ὶἐὰ 104, Z.11 = MEIGGS/LEWIS Nr.86: κ ὲκ[π μ μ CORDANO
lerdings reine Spekulation.
᾽
·
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
176
die sich (auch) auf solche Delikte zu beziehen scheint25, die ozolischen Lokrer hatten schon vor 500 einen ἀ ν ε δρ φ ο ν ικ ὸ ςτετθ μ ό ςmit genauen Strafbestimmungen26, undin Kyme(inderkleinasiatischen Aiolis) galtnochinspäterer Zeit einoffensichtlich altertüm27. ρ ὶτ ὰ ε φ ν ο ικ ά liches Gesetz π Gewisse Parallelen lassen sich andererseits zuderFixierung von differenzierten BußenunddenVerfahrensregeln imgroßen „Recht vonGortyn“ziehen, undauch zujener gesetzlichen Festsetzung von Kompensations- bzw. Bußzahlungen für einzelne, genau definierte Gewaltdelikte aus Kos, diezudennach Aristoteles ja sehr genau formulierten „ Gesetzen desCharondas“gezählt worden sein soll28. Undausdemnicht weit vonLeontinoi entfernt liegenden, ebenfalls chalkidischen Rhegion, wodiese „ Gesetze des Charondas“ ja ebenfalls gegolten haben sollen, kamauch ebenjener Gesetzgeber Androdamas, deranderen, in Thrakien siedelnden Chalkidiern Gesetze gegeben haben soll –nachAri29. stoteles aucheines π ρ ὶτ ὰ ε φ ο ν ικ ά Esliegt also nahe, auchdas„Blutrecht vonLeontinoi“zujenen Gesetzen zurechnen, dieindenchalkidischen Städten desWestens generell eingeführt waren unddemCharondas zugeschrieben wurden30. Das läßt sich allerdings nicht belegen –unddaher ist es schon gar nicht zulässig, dieses Gesetz etwa als Baustein für eine Rekonstruktion des postulierten „ Codes desCharondas“ in Anspruch zunehmen. Hier wiein anderen Fällen gibt es nämlich nicht ein sicheres Indiz dafür, daßdieses Gesetz überhaupt Teil eines größeren Gesetzgebungswerkes gewesen wäre31. LOKRIS
Zweibedeutende, umfangreiche undrelativ guterhaltene inschriftliche Zeugnisse arozolischen“ chaischer Gesetzgebung stammen aus demwestlichen („ ) Lokris, wobei zumindest eines von ihnen die engen Beziehungen zum östlichen Lokris und zu seiner wichtigsten Polis Opus dokumentiert1. Es handelt sich einerseits umjenes immer wieder undsehr eingehend behandelte Gesetz derhypoknemidischen Lokrer bzw. der Opuntier überihre Kolonie in Naupaktos imwestlichen Lokris, dasinsbesondere denStatus ihrer Gesetz dorthin zuentsendenden Kolonisten regelte2. Dasandere wichtige Zeugnis ist ein „ 25
ICret IV 9; KOERNER Nr. 119; VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 78. Vgl. dazu den Abs. GORTYN.
26
27
MEIGGS/LEWIS Nr. 13, Z.13f., vgl. denAbs. NAUPAKTOS. Aristot.Pol. 1269a1– 3. Vgl. denAbs. KYMEINDERAIOLIS.
31
33; 49ff.; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 01. Siehe auch den Abs. HIMERA. Wahrscheinlich enthielt diese Bronzetafel, dienachORSI1910, 831eherklein gewesen sein muß, nur
28 Pol. 1274b7f. Vgl. Kos. 25; vgl. CORDANO 1986, 44f. unddenAbs. CHALKIDIER INTHRAKIEN. 29 Pol. 1274b23– 30 Vgl. die Andeutungen bei ORSI 1910, 844f.; ROEBUCK 1980, 1930; CORDANO 1983, 96f.; 1986, dieses eine Gesetz.
1
Vgl. zur Geographie undGeschichte des westlichen unddes opuntischen Lokris allgemein etwa GILBERT 1885, 39ff.; BUSOLT/SWOBODA 1926, 1455ff.; OLDFATHER 1926, 1135ff.; LARSEN 1968, 48ff. Vgl. zuOpus insbesondere OLDFATHER 1939, 812ff.; K. BRAUN, in: LAUFFER 1989, 491 mit
weiteren Nachweisen. Siehe zumozolischen Lokris vor allem LERAT 1952a (Topographie undmonumentale Zeugnisse); 1952b (Geschichte undInstitutionen), ferner dens., in: STILLWELL et al.
2
1976, 992ff. s.v. West Lokris.
IG IX 12 3, 718 mit G. KLAFFENBACHS grundlegendem Kommentar; EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 43; HGIÜ I, Nr. 30, jeweils mit weiteren
KOERNER
Nr. 49; VAN Vgl. etwa
Nachweisen.
2. Dieeinzelnen Poleis
177
über das Land“(τ μ εθ ὸ ςπ ρ ε ὶτ ᾶ ςγᾶ ς ), nämlich über die Aufteilung des Landes, seine Nutzung undVererbung, das auf derVorderseite undeinem kleinen Teil der Rückseite dersogenannten Pappadakis-Bronze erhalten ist3. Diese beiden Dokumente stehen sich nicht nurin räumlicher undzeitlicher Hinsicht sehr nahe, sondern auch in bezug auf ihre Form undihren materiellen Gehalt. Der ursprüngliche Fundort derPappadakis-Bronze läßt sich zwar nicht mehr mitletzter Sicherheit feststellen; die Wahrscheinlichkeit spricht jedoch dafür, daß sie tatsächlich (wie behauptet wurde) inderGegend desantiken Naupaktos aufgetaucht ist. InderInschrift wird nämlich gleich zweimal Apollon erwähnt, allerdings mit verschiedenen Beinamen –auf jeden Fall aber hates in Naupaktos einApollon-Heiligtum gegeben, wo dieTafel aufbewahrt gewesen sein könnte4. DieBronzetafel mitdemGesetz überdieKolonie inNaupaktos ist dagegen in Galaxidi an der Nordküste des Golfs von Korinth im Osten des ozolischen Lokris gefunden worden. Dieser Ortist wohlmitdemantiken Chaleion zuidentifizieren5 . Tatsächlich wird indemDokument selbst festgelegt, daßdasGesetz auchfürdieausChaleion stammenden Teilnehmer an demKolonisationsunternehmen gelten sollte, dieunter Führung eines gewissen Antiphetas nach Naupaktos gingen6 . Es scheint sich also umjenes Exemplar des Koloniegesetzes zuhandeln, das in Chaleion aufbewahrt wurde undausgestellt war. Damitließe sich aucherklären, warum derText, deransich offenbar aus demhypoknemidischen Lokris bzw. Opus stammt, nicht in demdort gebrauchten Alphabet, sondern in demjenigen desozolischen Lokris geschrieben ist7–wie auch das Gesetz auf derPappadakis-Bronze, dasnurrelativ geringfügige Unterschiede zurSchrift des Koloniegesetzes zeigt8.
MEIGGS/LEWIS Nr. 20; HAINSWORTH Nr. 5; STURM 1982, 463ff., sowie bereits IGA 321 und die Abb. IIGA 92,1; ROBERTS Nr. 231; RIJG I, Nr. 11; Syll.3 47; SGDI 1478; DGE 362; BUCK 1955,
3
4
5 6
7
8
Nr. 57. IG IX 123, 609, wiederum mit G. KLAFFENBACHS Kommentar undBibliographie; KOERNER Nr. 47– 48; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 44; HGIÜ I, Nr. 19, jeweils mit weiteren Nachweisen. Vgl. MEIGGS/LEWIS Nr. 13; HAINSWORTH Nr. 4; VIRGILIO 1980, 2185f.; MAFFI 1982, 365ff.; JEFFERY 1961/1990, 403 zu Tafel 14,2, sowie bereits PAPPADAKIS 1924, 119ff.; WILAMOWITZMOELLENDORFF 1927/1937, 467ff.; BUCK1955 Nr.59. Auf die eingehende Behandlung von Textvarianten kann indiesem Zusammenhang verzichtet werden.
Thuk. 2,91,1; vgl. IG IX 12 3, 609, Z.14; 23f. unddazu G. KLAFFENBACH, hier. S. 4. Vgl. auch PAPPADAKIS 1924, 119 Anm. 1; WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1927/1937, 467; MEIGGS/LEWIS, S. 25; GSCHNITZER 1991, 81ff. Vgl. dagegen, allerdings ohne durchschlagende Begründung, 1928, 181ff.; LERAT 1952b, 9f.; VATIN 1963, 17f.; skeptisch auch ASHERI 1965, CHATZES 1927–
314.
Vgl. dazugrundlegend LERAT 1952a, 198ff.; dens., in: STILLWELL et al. 1976, 993 s.v. West Lokris; JEFFERY 1961/1990, 106. IG IX 123, 718, Z.46f. Vgl. etwa MEYER 1892, 292; OLDFATHER 1926, 1241; GSCHNITZER 1958, 57 Anm.3; GRAHAM 1964/1983, 48f.; LARSEN 1968, 49. JEFFERY 1961/1990, 104ff.; MEIGGS/LEWIS, S. 35; 37f. und zuletzt G. KLAFFENBACH zu IG IX 12 3, 718 (hier S. 94); vgl. bereits MEYER 1892, 291f. JEFFERY 1961/1990, 104ff.; MEIGGS/LEWIS, S. 22; 24f.; vgl. bereits WILAMOWITZMOELLENDORFF 1927/1937, 474f. Die Hypothesen vonVATIN 1963, 17ff., haben sich nicht durchsetzen können.
178
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
Auch hinsichtlich deszeitlichen Ansatzes liegen diebeiden Texte ziemlich dicht beieinander: DasKoloniegesetz, dasaufjeden Fall vor die Besetzung vonNaupaktos durch dieAthener in denJahren umoder kurz nach 460 zudatieren ist9 , gehört möglicherweise noch in das erste Viertel des 5. Jahrhunderts10. Im Gegensatz zudieser Inschrift ist das Gesetz überdieLandverteilung zwarboustrophedon geschrieben, aber ohne Verwendung desaltertümlichen koppa. Esdürfte zumindest ausdergleichen Zeit stammen, könnte aber noch etwas älter sein undwäre dannandasEnde des6. Jahrhunderts zudatieren11. Beide Texte sindnatürlich in sprachlicher undinhaltlicher Hinsicht vielfach detailliert analysiert undvorallem immer wieder auch unter verfassungs- undrechtsgeschichtlichen 2. Gesichtspunkten behandelt worden1 Wenigstens für das Dokument über die Kolonisten inNaupaktos scheint dabei nunmehr grundsätzliche Einigkeit über denallgemeinen Charakter unddie konkreten Gegenstände desTextes zuherrschen, wenn auch manche Einzelheit nach wievor unterschiedlich interpretiert wird. Zunächst hatten die darin festgelegten Regelungen offensichtlich nicht den Charakter einer vertraglichen Vereinbarung oder „Entente“zwischen hypoknemidischen Lokrern respektive denOpuntiern einerseits undden„Westlokrern“andererseits13, sondern stellen ein sachlich in sich geschlossenes Gesetz imeigentlichen Sinne dar, nämlich einen formalen Beschluß der Ostlokrer respek4. tive Opuntier mitnormativem Inhalt undAnspruch aufVerbindlichkeit1 Zwarfehlen dieeinleitenden Formeln; amSchluß dessonst fast vollständig erhaltenen νundan anderer Stelle als „das Dokuments wird es jedoch ausdrücklich als τ ιο μ ὸθέθ Beschlossene“(τ αεα δ εό τ ) bezeichnet, was sich offenbar auf die Gesamtheit der α zuvor festgelegten Regelungen bezieht15.
9 Thuk. 1,103,3; Diod. 11,84,7. Vgl. OLDFATHER 1926, 1194f. 10 So etwa JEFFERY 1961/1990, 106; 108 (Nr. 3), vgl. ferner MEIGGS/LEWIS, S. 35; 37 undjetzt G. KLAFFENBACH zu IG IX 123, 718 (hier S.96). 11 So etwa JEFFERY 1961/1990, 105f.; 108 Nr. 2), vgl. 61, sowie MEIGGS/LEWIS, S. 22ff.; G. 12 3, 609 (hier S. 4). Vgl. bereits WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1927/1937, 474. Siehe allerdings VATIN 1963, 15f. füreine (wenig überzeugende) Herabdatierung. 12 Vgl. die ausführlichen Kommentare zum gesamten Text der jeweiligen Inschrift vor allem zu 1928, 180ff.; WILAMOWITZMEIGGS/LEWIS Nr. 13: PAPPADAKIS 1924, 120ff.; CHATZES 1927– MOELLENDORFF 1927/1937, 467ff., insbesondere 475ff.; VATIN 1963 5ff., sowie G. KLAFFENBACH 48; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 44; zu MEIGGS/LEWIS Nr. zu IG IX 12 3, 609; KOERNER Nr. 47– 20: ROBERTS, S. 346ff.; DANIELSSON 1898–1899, 49ff.; GSCHNITZER 1958, 56ff.; GRAHAM 1964/1983, 40ff. undneuerdings G. KLAFFENBACH zu IG IX 12 3, 718; KOERNER Nr. 49; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 43; STURM 1982, 465ff.; WALTER 1993, 126ff.; GEHRKE 1993, 56ff.; BECK1999, auchzumFolgenden. 13 So etwa neuerdings STURM 1982, 468 undbereits LATTE 1936/1968, 146; LERAT 1952b, 117; vgl. dagegen GSCHNITZER 1958, 56f.Anm. 2; QUASS 1971, 13 Anm. 76. Nach MEISTER 1895, 301f., handerKolonisten delt es sich beiZ.1ff. bzw. Z.10ff. umzwei verschiedene, zeitlich durch einen „Eid“ KLAFFENBACH zu IG IX
Actenstücke“ voneinander getrennte „ , deren zweites
ein„Vertrag“derVersammlung dertausend Opuntier mitdenKolonisten sei. Dasist ganz undgarnicht plausibel, vgl. dagegen schon DANIELSSON 1899, 51f.; GRAHAM 1964/1983, 45 mit Anm.6 (45f.); 230ff. 1898– 14 MEYER 1892, 291f.; BUSOLT/SWOBODA 1926, 1546f. mit Anm.5; GSCHNITZER 1958, 56f. Vgl. auch RIJG I, S. 184; GRAHAM 1964/1983, 232. Nicht ganz eindeutig sind EHRENBERG 1961/1965, 113; LARSEN 1968, 50. 15 IG IX 12, 3,718, Z.46, vgl. Z.38 Siehe dazu etwa MEYER 1892, 292; MEIGGS/LEWIS, S. 37; QUASS : „presumably indicating that it ν ιο μ έθ 1971, 12f. Vgl. auchOSTWALD 1969, 16zumGebrauch vonθ
2. Dieeinzelnen
Poleis
179
Diese Regelungen betreffen generell denStatus des einzelnen Kolonisten in Naupaktos gegenüber bzw. in seiner jeweiligen ostlokrischen Heimatgemeinde, undzwar nachdemer eben nicht mehr „hypoknemidischer Lokrer“ , sondern bereits einNaupaktios geworden ist. Zwarenthält dasGesetz aucheinen einigermaßen seltsamen Passus, dereinen gewissermaßen kollektiven Eidaller nachNaupaktos gegangenen Kolonisten vorschreibt, niemals undunter keinem Vorwand vonOpus abzufallen, unddie Erneuerung eines gegenseitigen Treueeides durch hundert Männer aus Naupaktos und die Opuntier nach 30
Jahren vorsieht16.
In den einzelnen Klauseln werden jedoch sonst nur die konkreten Folgen dieses Wechsels genau bestimmt unddetailliert geregelt. Dabei wird nicht nur das Recht des Kolonisten undseines γ έ ν ο ςgeregelt, an religiösen Zeremonien und Opfern in seiner Heimatgemeinde teilzunehmen –nunmehr allerdings, wie es scheint, nur noch als 1 ο ς7 . Es wird auch ausdrücklich festgelegt, daß er von allen Abgaben in Ostlokris έν ξ befreit sein sollte und, in einer inhaltlich nicht ganz klaren Klausel, daß er die in West8. lokris erhobenen Abgaben (und nicht etwa zusätzliche Sonderabgaben?) zuzahlen hatte1 Erbrechtliche Ansprüche desKolonisten beim Tode eines Bruders oder des Vaters in derHerkunftsgemeinde wurden ebenso geregelt wie umgekehrt eventuelle Ansprüche der 9. zurückgebliebenen Verwandten auf den Nachlaß eines verstorbenen Kolonisten1 Ein eigener Passus ist auch dem(anscheinend privilegierten) Gerichtsstand der ehemaligen Ostlokrer inOpusunddendamit verbundenen prozeßrechtlichen Vorschriften gewidmet – deren Bedeutung ist allerdings imeinzelnen nicht recht klar20. Nicht zuletzt wurde auch die Möglichkeit der Rückkehr eines Kolonisten in seine Heimatgemeinde detailliert geregelt, indem mansie an konkrete Bedingungen knüpfte: Eine Rückkehr „ohne Einlaßgebühr“(ἄ ν ) sollte dann möglich sein, wenn ν ε υἐνετερίο derRückkehrer einen erwachsenen Sohnoder Bruder in derKolonie zurückließ, diedort geschuldeten Abgaben geleistet hatte –oder auch von dort von wemauch immer unter Zwang undmitGewalt vertrieben wurde21. Außerdem mußte jeder Rückkehrer der formalen Pflicht Genüge tun, seinen erneuten Wechsel sowohl in Naupaktos als auch in der Polis, in die er zurückging, in der Agora, also wohl in einer Versammlung, öffentlich bekanntzumachen22.
wasintended tobethefundamental constitutional instrument ofthecolony.“Damit verkennt er allerdings denCharakter desDokuments alskonkreter, gegenstandsbezogener Regelung.
16 Z.11ff. Vgl. dazu MEYER 1892, 299; MEISTER 1895, 302f.; GRAHAM 1964/1983, 45f.; 53f. 17 Z.1ff. Vgl. dazu etwa die (zum Teil unterschiedlichen) Auffassungen von MEYER 1892, 296f.; 1899, 52ff.; GSCHNITZER 1958, 59; GRAHAM 1964/1983, MEISTER 1895, 278ff.; DANIELSSON 1898– 49f.; LARSEN 1968, 50f. 18 Z.4ff.; 11f., vgl. 14ff. Vgl. dazu MEYER 1892, 297ff.; MEISTER 1895, 289ff.; 299; GSCHNITZER 1958, 59f.; LARSEN 1968, 50f.; 56; GRAHAM 1964/1983, 47f.; 51f. mit einigen Unterschieden im Detail. Einzelinterpretation von MEYER 1892, 299ff.; 301f.; 304; 1899, 61ff.; GRAHAM 1964/1983, 54ff.; STURM 1982, MEISTER 1895, 304ff.; DANIELSSON 1898–
19 Z.16ff.; 29ff.; 36ff. Vgl. dazu die 466f.
1899, 67ff.; GRAHAM MEISTER 1895, 313ff.; DANIELSSON 1898– 1964/1983, 59f.; LARSEN 1968, 51f.; ferner GAUTHIER 1972, 351ff.; STURM 1982, 466. 21 Z.6ff.; 14ff., vgl. 8ff. Vgl. dazu im einzelnen MEYER 1892, 300ff.; MEISTER 1895, 295ff.; GSCHNITZER 1958, 57; 59; GRAHAM 1964/1983, 52f.; LARSEN 1968, 51. ; anders etwa GSCHNITZER ά ρ 22 Z.19ff. Vgl. LARSEN 1968, 51 undweiter unten zurBedeutung vonἀ γ ο 1958, 57.
20 Z.31ff. Vgl. dazu im einzelnen
180
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
Das Gesetz enthält auch noch spezifische, vor allem erbrechtliche Sonderregelungen für denjenigen, derNaupaktier wurde undzuden„Perkothariai“bzw. den „Mysacheis“ gehörte, bei denen es sich anscheinend umPriesterfamilien mit besonderem religiösen Status undeinigem Besitz handelte –manrechnete jedenfalls damit, daßein übersiedelnderAngehöriger dieser Gruppen sowohl amOrtseiner Herkunft als auch in derKolonie 3. Eigentum besaß2 Er selbst undsein Besitz in Naupaktos sollten dendortigen Gesetzen unterliegen, sein Vermögen beidenhypoknemidischen Lokrern dagegen dendortjeweils (das heißt: indenverschiedenen Gemeinden) gültigen Gesetzen; undwenn er gemäß den darüber festgelegten Vorschriften zurückkehrte, sollten auch wieder die in seiner jeweiligenHeimatpolis geltenden Gesetze zurAnwendung kommen, was sich wohl auf seine Privilegien bezog 24. Wie in vielen ähnlichen Satzungen wurde abschließend die Gültigkeit undVerbindlichkeit des Gesetzes durch besondere Sanktionen eingeschärft, die sich in diesem Fall nicht nurgegen die Mißachtung, sondern vor allem auch gegen eine Abänderung bzw. Abrogation derVorschriften richteten: Danach warderVersuch, durch irgendwelche Machenschaften die beschlossenen Regelungen außer Kraft zusetzen, mitAtimie undKonfiskation des Vermögens zu ahnden; die gleiche Strafe sollte den ἀ χ ρ ό ςtreffen, der als gerichtsleitender“ (oberster, „ ) Magistrat einem Ankläger in einer solchen Sache nicht 6. innerhalb dervorgesehenen Frist von 30 Tagen den Prozeß gewährte2 Eine Änderung ή θ αder λ der „Satzung“sollte allerdings ausdrücklich dann möglich sein, wenn ἁπ opuntischen Tausend“ „ ή einerseits undἁ θ α derKolonisten in Naupaktos andererseits π λ darüber entschieden27. Allem Anschein nach handelte es sich in beiden Fällen uminstitutionalisierte Versammlungen. Bei den„ Tausend“ wirddasschon durch dieformale Fixierung einer (wenn auch in praxi vielleicht nicht ganz wörtlich genommenen) Zahl der zugelassenen bzw. berechtigten Teilnehmer nahegelegt28. Es ist allerdings nicht sicher, ob es sich dabei um eine Einrichtung des gesamten hypoknemidischen Lokris von „(gemäßigt) oligarchiBürgerschaft“der schem“Zuschnitt handelte29 oder umdie (Voll-) Versammlung der „ Polis Opus30. Diezuletzt genannte Möglichkeit erscheint nicht nurdeswegen wahrscheinlicher, weil Opusals wichtigste Polis undZentrum vonOstlokris dereigentliche Initiator und Träger dieses Kolonisationsunternehmens gewesen sein dürfte3 1. In dem Gesetz MEISTER 1895, 306ff.; GRAHAM 1964/1983, 58; anders jetzt STURM 1982, 467f.; allerdings ohneBegründung. 24 Z.22ff. Vgl. dazu etwa GRAHAM 1964/1983, 57f.; MEIGGS/LEWIS, S. 39. 25 Vgl. dazu RIJG I, S. 186; LARSEN 1968, 52; KOERNER 1987, 486. 26 Z.38ff. Vgl. dazu EHRENBERG 1961/1965, 113; KOERNER 1987, 485f.
23 Vgl. etwa MEYER 1892, 301;
27 Z.39f. 28 Vgl. grundsätzlich WELWEI 1983/1998, 64f.; 67 u.ö. 29 Vgl. etwa BUSOLT/SWOBODA 1926, 1457; EHRENBERG 1961/1965, 113, der allerdings von einer gemäßigten Oligarchie in Opus“(Hervorhebung von mir, K.-J. H.) spricht. S. LARSEN 1968, 53, „ unter Berufung auf Hdt. 7,203,1, wonach das gesamte Aufgebot deropuntischen Lokrer bei den 1000 Lokrern“berichtet –dieThermopylen erschien, in Verbindung mitDiod. 11,4,7 derbloß von„ se Kombination ist aber kaum ein tragfähiges Indiz; vgl. etwa die andere Interpretation bei ) „federal assembly“ primären“ OLDFATHER 1939, 815. RUNCIMAN 1982, 372, spricht von einer („ vonOstlokris. Vgl. auch WALTER 1993, 130ff. undzuletzt BECK 1999. 30
Vgl. etwa MEYER 1937, 308; GSCHNITZER 1958, 58, ferner BUSOLT/SWOBODA 1926, 1456f. BUSOLT 1920, 354f.; BUSOLT/SWOBODA 1926, 1456f.; OLDFATHER 1926, 1240; 1939; 815f.; GSCHNITZER 1958, 57f. Dabei besteht allerdings die Tendenz, die Füh-
31 Vgl. etwa MEYER 1892, 302;
2. Die einzelnen Poleis
181
selbst wurde offenbar auch ein Unterschied zwischen den „ hypoknemidischen Lokrern“ 2, einerseits und den „Opuntiern“andererseits gemacht3 was durchaus beabsichtigt gewesensein könnte –derGebrauch derbeiden Begriffe darf jedenfalls keineswegs ohne weiteres als Indiz für die Ineinssetzung derbeiden Namen unddamit die Identifizierung der sobezeichneten Gruppen genommen werden. Diefürdie Polis Opus anzunehmenden Zahlen- undGrößenverhältnisse legen ferner dieVermutung nahe, daßes sich bei den„Tausend“nicht umeine (und sei es auch nur eine „gemäßigt“ ) „oligarchische“ , also irgendwie auf eine privilegierte Gruppe innerhalb eines größeren Gesamtverbandes beschränkte Versammlung gehandelt haben dürfte, sondern umeine Art Vollversammlung aller (grundbesitzenden undwaffenfähigen?) „ Bürger“ derPolis33. Daswird indirekt auch durch dieoffensichtliche Gleichsetzung der „Tausend“ mitderGesamtheit derKolonisten in Naupaktos nahegelegt. Auch in anderen Po4, leis, etwa derlokrischen Gründung Lokroi Epizephyrioi in Unteritalien3 waren „ Tausend“wohl kein „ Rat“ (neben demes kaum noch eine andere, größere Primärversammlung gegeben haben könnte), sondern diese Institution stellte eher die Vollversammlung der berechtigten Politen bzw. der Kolonisten dar3 5. Auf jeden Fall muß diese Einrichtung aufeiner sozialen Basis beruht haben, dieerheblich breiter warals die ebenfalls für Opus wie für Lokroi Epizephyrioi bezeugte, ihrerseits bereits durch das Kriterium der Zahl 36. formal definierte Aristokratie der„Hundert Häuser“ Es gabalso in Opus wahrscheinlich eine als Organ derBeschlußfassung fest instituPrimärversammlung“–unddamit lag eine wesentliche Voraussetzung fortionalisierte „ malisierter Gesetzgebungsverfahren vor. Dabei ist allerdings strittig, ob mitdemauffällig ή hervorgehobenen Begriff ἁ θ π α diejeweilige Versammlung vonOpus bzw. der nauλ paktischen Kolonisten als Institution insgesamt gemeint war –dagegen könnte etwa ρ ίin Naupaktos α γ ο sprechen, daßeigentlich dieananderer Stelle des Textes genannten ἀ respektive in den Poleis der hypoknemidischen Lokrer die jeweiligen Versammlungen bezeichnet haben könnten, wiedasetwa imnahen Delphi undinverschiedenen thessaliή θ α λ π schen Städten derFall war38. Damit spricht einiges für die Möglichkeit, daß mit ἁ Herrschaft“über die anderen ostlokrischen Poleis formale) „ ausgemacht. Vgl. etwa Z.1ff.; 19ff.; 22ff. einerseits, Z.11ff. andererseits. Vgl. MEYER 1892, 295; GSCHNITZER 1958, 58, anders LARSEN 1968, 51f. Vgl. dazu zuletzt BECK 1999. Vgl. etwa MEYER 1892, 305, ferner – in dieser Hinsicht –OLDFATHER 1926, 1245; EHRENBERG 1965a, 59; JEFFERY 1976, 75. Polyb. 12,16,10 zu Lokroi Epizephyrioi; Herakl.Lembos Exc.polit. frg. 55DILTS (= [Herkl.Pont.] frg. 25,4, FHG II, S. 219) zu Rhegion; Herakl.Lembos Exc.polit. frg. 39DILTS (= [Herakl.Pont.]
rungsrolle
32 33
34 35
vonOpus allzu sehr als (auch
zuverstehen –dasist damit nochkeineswegs
frg.11,6, FHG II, S. 217) zumaiolischen Kyme. Vgl. in dieser Hinsicht OLDFATHER 1927, 1346. Vgl. auch die Abs. LOKROI EPIZEPHYRIOI; RHEGION; KYME IN DER AIOLIS.
36 Polyb. 12,5,6ff. und dazu WALBANK 1967, 333ff. ad loc. Daß vielleicht auch die nach Thuk. 1,108,3 von denAthenern nach Oinophyta genommenen 100 Geiseln aus den„Hundert Häusern“ stammten, ist zumindest nicht von der Hand zu weisen. Vgl. dazu OLDFATHER 1926, 1244f; Perkothariai“und HUXLEY 1966, 152ff.; JEFFERY 1976, 75f. Daß die in der Inschrift genannten „ 1899, 66. „ Mysacheis“zu den„Hundert Häusern“gehörten, ist bloße Vermutung: DANIELSSON 1898– ); assembly“ 37 Vgl. etwa MEYER 1892, 305; EHRENBERG 1961/1965, 113; MEIGGS/LEWIS, S. 39 („ 1964/1983, 60. LARSEN 1968, 51; 53 im Anschluß an BUSOLT 1920, 442 mit Anm.4 (442f.) mit den Nachweisen; anders GSCHNITZER 1958, 57; MEIGGS/LEWIS, S. 38f. GRAHAM
38 Vgl. bereits
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
182
dieMehrheit der„Tausend“bzw. dernaupaktischen Kolonisten, das heißt: derjeweiligen Versammlung, gemeint war39. Wiedemauchsei: Injedem Fall warin diesem Gesetz nicht nurein spezifisches formalisiertes Verfahren zurRevision derdarin festgelegten Regelungen ausdrücklich vorgesehen. Gerade damit –wie indirekt schon mit der Form dieser „Satzung“insgesamt – wurde auch undvor allem ein voll ausgebildetes formales Verfahren zurVerabschiedung von dabei explizit als gültig undfür die Gesamtheit verbindlich erklärten Beschlüssen in 0. dafür zuständigen Institutionen bereits vorausgesetzt4
Das„Siedlungsgesetz“deranderen Inschrift, dieja möglicherweise noch älter ist als das soeben besprochene Zeugnis, bestätigt diese Schlußfolgerungen undführt noch ein Stück über sie hinaus: Dieses Dokument enthält nicht nur auf ähnliche Weise differenzierte Regelungen undformale Verfahrensvorschriften, sondern setzt dabei auch ein eher nochkomplizierteres Gefüge vonoffensichtlich aufeinander bezogenen Institutionen voraus41.
Derkonkrete Anlaß, diebesonderen Umstände unddamit dereigentliche Gegenstand desGesetzes sind allerdings umstritten: Dieältere Ansicht, daßes sich umeine Vorschrift über (die Zuteilung von) Weideland respektive um Weiderechte und deren Vererbung handelte42, ist neuerdings mehrfach in Zweifel gezogen worden: Danach habe der Begriff 43 μ ία überhaupt nichts mit Weiderechten zu tun, sondern bezeichne die Erbfolge ἐ π ιν ο undbeziehe sich auf die im Text unmittelbar folgenden erbrechtlichen Regelungen4 4 –es gehe in dem Gesetz allein undausschließlich umdie Aufteilung mehrerer konkret bezeichneter, wenigstens zumTeil „ öffentlicher“Ländereien, dieZuteilung von Landlosen 5. dort undihre Vererbung4
DieFrage ist nach wievor offen undwirdwomöglich nie abschließend beantwortet werden können46. Immerhin scheint sicher zusein, daßderkonkrete Anlaß des Gesetzes 39
Vgl. bereits MEISTER 1895, 323; BUSOLT 1920, 355 mit Anm. 1 und G. KLAFFENBACH zu IG IX 12
3, 718 (zu Z.39/40) im Anschluß an frühere Herausgeber; vgl. auch RUZÉ 1984, 257. 40 Vgl. dazu RUNCIMAN 1982, 372 undzuletzt BECK 1999. Siehe generell HÖLKESKAMP 1994, 145ff. undKapitel IV 2. 41 Vgl. allgemein LARSEN 1968, 54; GEHRKE 1993, 56ff. 42
43 44
45
46
PAPPADAKIS 1924, 121ff.; WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1927/1937, 469ff.; GRAHAM 1964/1983, 56f.; siehe dagegen NILSSON 1954– 1955, 270, derdas Gesetz für eine Regelung über die Weiderechte in einem „großen, aus mehreren Bezirken zusammengelegten“Gebiet hält, dasaber gerade nicht in „ individuelle Lose“aufgeteilt worden sei. Vgl. noch ASHERI 1965, 314ff. IG IX 123, 609, Z.3. Z.4ff. Vgl. dazu VATIN 1963, 7f. und zustimmend dazu G. KLAFFENBACH zu IG IX 12 3, 609 (hier S. 3); KOERNER Nr. 47 (S.159ff.); BRAVO 1980, 813; MAFFI 1982; BISCARDI 1989; LINK 1991a, vorsichtig auch MEIGGS/LEWIS, S. 24. Vgl. dagegen wiederum LEPORE 1973, 28f.; VIRGILIO 1980, 2181f. Vgl. etwa VATIN 1963, 5 undpassim; GSCHNITZER 1991, 85f.; anders wiederum MAFFI 1982, 380; 423 und368ff. passim; LINK 1991a, 70ff. (kritisch zu VATIN 1963, ASHERI 1965 und VIRGILIO 1980), derσ τ ά σ ιςalsHintergrund vermutet undvoneiner Neuverteilung in einer außergewöhnlichen Lage ausgeht. Vgl. zuletzt VANEFFENTERRE/RUZÉ I, S.188ff. zu Nr. 44. LEPORE 1973, 28, hat mit einigem Recht angemerkt, daß die „ Geschichte der Interpretation“der
Pappadakis-Bronze vom ersten Herausgeber über WILAMOWITZ, NILSSON, ASHERI, JEFFERY und VATIN –die Reihe ließe sich fortsetzen –„ è ottima testimonianza sulla cosidetta obiettività del magistrale lezione suiproblemi e limiti posti dalla documento epigrafico“–unddamit zugleich eine „ evidenza e suaautosufficienza“ .
2. Die einzelnen Poleis
und die darin fixierten Regelungen ein sensibles Problem für die innere
183 Ordnung
und
welche esauchimmer gewesen sein mag. Denn dermateriStabilität dieser Polis waren – elle Gehalt derVorschriften wurde, wie in vielen anderen frühen Gesetzen, nicht nurdadurch gesichert, daß der τετθ μ ό ςals solcher ausdrücklich unter den Schutz des Apollon Pythios undseiner „ Tempelgenossen“gestellt wurde –ein etwaiger Verletzer des Gesetzes, seine Person, seine Familie undsein Besitz wurden dabei miteinem Fluch bedroht47. Darüber hinaus legt das Gesetz noch explizit unddetailliert besondere, außerordentlich schwere Sanktionen gegen denjenigen fest, der eine (erneute?) Verteilung des Landes beantragte, eine Abstimmung über einen solchen Antrag herbeiführte (oder selbst dafür stimmte?) –sei es in derπ –oder generell eine ρ είγ α , inderπ η σ ία π κ ο ό λ λ ιςoderinderἀ σ τ ά ιςüberLandverteilungen anzettelte48. σ
Hier wird nicht nurvorausgesetzt, daßwesentliche, womöglich konkurrierende Organeder„Polis“bereits fest etabliert sind: DasKonzept π ό λ ιςselbst bezeichnet in diesem Zusammenhang zweifellos eine „ Primärversammlung“imeigentlichen Sinne, nämlich ein institutionalisiertes Beschlußorgan der „ Polis“als ganzer49. Dagegen spricht übrigens
keineswegs, daßin anderen lokrischen Orten wie im benachbarten Delphi die „ Vollversammlung“ ρ , wie gesagt, als ἀγ ο ά bezeichnet worden zusein scheint: Gerade in Delphi kamen π ρ ά ό zumindest in späterer Zeit sogar in einer einzigen oft bezeugten λ ιςundἀγ ο Standardformel vor50. , der „Senat“ α ρ είγ Dieπ , könnte –jedenfalls ursprünglich –ein Rat aristokratischer Prägung gewesen sein51. Durch begriffliche Ähnlichkeiten und Parallelen nahegelegte ή ια imkretiVergleiche mitderspartanischen Gerousia, demAreopag inAthen, derπ ρ ειγ schen Lato52 unddenin Gortyn undRhizenia bezeugten π ισ το ρ ι53 bieten jedoch keiείγ nenerkennbaren Anhaltspunkt hinsichtlich dertatsächlichen konkreten Funktionen dieser Institution. Genaueres ist auch über die ἀ η nicht bekannt –wahrscheinlich hanσ ία π ο κ λ delt essich umeinmitderπ gewissermaßen „ ρ α ε ίγ konkurrierendes“Ratsgremium jüngerenDatums, daseine ArtAusschuß derπ ό λ ιςgewesen sein mag54 .
47 IG IX 123, 609, Z.14ff.; vgl. dazu etwa VATIN 1963, 14. 48 Z.9ff. 49
Vgl. etwa WILAMOWITZ-MOELLENDROFF 1927/1937, 472; 477; EHRENBERG 1961/1965, 114; VATIN 1963, 13 und neuerdings LARSEN 1968, 54; BRAVO 1980, 814. SCHWAHN 1930, 144f.
) istabwegig. Gauversammlung“ („ 50 Ἔ δ ο ις(RIG Nr. 259, vgl. ο ξ ετ ᾶ ιπ ό λ ε ιτ α ῖςἐννόμ ρ ν Δ ιςτ ῶ ,ἐ γ ᾶ ά ο ε λ ο ιτελείω φ ν μ ἀ ψ ν φ ῶ ὺ ι, σ ähnlich 263, 265, 268, Syll.3 482 etc.). Vgl. dazu BUSOLT 1920, 442 mit Anm.4 (442f.); LARSEN
51
52 53 54
1968, 54 Anm. 1. Vgl. etwa WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1927/1937, 472; EHRENBERG 1961/1965, 114; LARSEN 1968, 54. ICret I, xvi, 5, Z.22. Vgl. BUSOLT/SWOBODA 1926, 749f. ICret IV 80, Z.11 (= SGDI 4985); 184, Z.13 und M. GUARDUCCIS Kommentar ad loc.; BUSOLT/SWOBODA 1926, 748 Anm.4; GEHRKE 1997, 58f. Vgl. insofern etwa WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1927/1937, 472; LARSEN 1968, 54. VATIN η σ ρ π ία ο ο mit derγ κ λ ε υ vergleichen. ASHERI 1965, 314, identifiziert σ ία 1963, 13, will eher die ἀ
. Wieder anders argumentiert sie anscheinend mit der Versammlung –er nennt sie „assemblea“ 1930, 145f., derinderἀ η π σ ο κ ία λ „ nicht eine Ratsversammlung, sondern dieeigentliche , ja die„Bundesregierung“sehen will (vgl. 146; 148). Regierungsbehörde“ SCHWAHN
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
184
Es läßt sich daher auch kaum sagen, ob eines (und gegebenenfalls welches) derbeidenGremien ausjenen 101 „nach Würdigkeit“(ἀ ρ ισ τίν α δ ν ) bestellten Männern bestandenhaben könnte, diezuvor in einer besonderen, noch zu diskutierenden Ausnahmeregelung erwähnt werden55 –es spricht einiges dagegen, wieweiter unten deutlich werden wird. Sicher ist lediglich, daßbeide Institutionen amformalen Verfahren derEinbringung vonAnträgen undderBeschlußfassung inirgendeiner, anscheinend aber geregelten Form beteiligt waren –dasgeht ausdererwähnten Strafbestimmung eindeutig hervor. Das ist ansich zumindest nicht einmalig –schließlich gab es ja im späten 6. Jahrhundert auch anderswo, vorallem inAthen undvielleicht auch in Chios, zwei verschiedene, nebeneinander bestehende Ratsgremien56. In diesem Zusammenhang wichtig ist in erster Linie, daßdiese Klausel desGesetzes nicht nurselbstverständlich die bloße Existenz bestimmter Institutionen voraussetzt; vor allem kannte diese Polis bereits ein vollentwickeltes Antrags- undAbstimmungsverfahren, anscheinend sogar eine formale Trennung zwischen 7. Antragstellung undAbstimmung inihren verschiedenen Organen5 DerGrad derAusdifferenzierung vonInstitutionen undVerfahren spiegelt sich auch in denerst kurz erwähnten Ausnahmebestimmungen. Diese waren nämlich ebenso detailliert formuliert undgeradezu skrupulös genau festgelegt wie die genannten Sanktionen, dieinderRegel –also wenn diegenau undengdefinierten Voraussetzungen dieser Ausnahmeregelung nicht vorlagen –denjenigen treffen sollten, derdasGesetz verletzte oder auch nurseine Änderung zuerreichen versuchte, undsei es in einem Verfahren, das eigentlich normalerweise „ legal“gewesen sein müßte. Dort heißt es, daß unter der (im Wortsinne) zwingenden Voraussetzung eines Krieges nach einem Beschluß der Mehrheit dererwähnten 101ἀ ρ ισ τίν δ α νzubestellenden Männer mindestens zweihundert waffenfähige Männer als zusätzliche Siedler (ἐ π ι οίκ ο ι) zugeführt werden sollten58, also wohl zudenbereits ansässigen Bewohnern hinzukamen –wasimplizit heißen dürfte, daßdann
eine sonst strikt verbotene Neuverteilung unumgänglich war. Genau darauf beziehen sich danndieFortsetzung bzw.derZusatz zudieser Regelung aufderRückseite derTafel, wo ausdrücklich
dieTeilung derin Frage
stehenden Gebiete zwischen eingesessenen Besit-
zern und ἐ π ι οίκ ο ιvorgesehen ist, ferner die formale Möglichkeit eines rechtsgültigen ρ ό χ ) ς Tausches bestimmter Landlose, wenn ein solcher Tausch vor einem Magistrat (ἀ vollzogen wurde59. –dieoffenbar gerade nicht mit einem der 101“ Diebesonders geregelte Bestellung „ η ία σ κ π λ ο oder ἀ α ordentlichen Gremium derPolis identisch waren, daseinfach als π ρ ε ίγ hätte bezeichnet werden können, sondern eher ein besonderer, ad hoc zu bestellender
55
WILAMOWITZ-MOELLENDORFF
1927/1937, 472; EHRENBERG 1961/1965, 114, sowie LARSEN 1968,
54 treten füreine Identifizierung der„101“ η σ ία ein; vgl. dagegen ASHERI 1965, 314, κ λ ο π mitderἀ eine außerordentliche derdie„101“ fürdieπ ρ α hält, undKOERNER, S.163(zuNr.47), dersie als „ ε ίγ worden sei. Behörde“ bezeichnet, dienurimFall „drängender Kriegsnot berufen“
56 Vgl. LARSEN 1968, 54, sowie allgemein
EHRENBERG 1965a, 75f.; WELWEI 1983/1998, 64f.; 260f. u.ö. Vgl. allerdings denAbs. CHIOS. 57 Z.9f.; hό . Vgl. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF λ τ ικ ο σ τιςδὲδα ι ἒψ ο ᾶ έρ φ φ νδια μ ο νἐν φ ὸ έρ ιθ 1927/1937, 477; VATIN 1963, 12f.; ferner QUASS 1971, 3. ι ε θ έ λ ιπ ντο α δ 58 Z.7ff.; α νἀριστίν τ ἰμ ὸ ὲπ ν ο ὶ κἐκα μ λ ο ινhε έ ιἀνα σ ά ν κ α μ ν έ ρ ο ιςδόξ ζ ο δ ν ιἀ α ξ . (esfolgt eine Strafbestimmung). τ λ ικ α ε σ θ γ α ρ ά ςδιακα ε ῖσ τ ίο τ ο ν ἀ ν δ ά χ ο ο ἄ μ ςμ ι οίκ ςἐφ ςἐ π ξ ιο ξ 59 Z.18f. und20f. Vgl. dazu bereits WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1927/1937, 477f.; VATIN 1963, 14f., vgl. 5, sowie EHRENBERG 1961/1965, 114; VIRGILIO 1980, 2182f.
2. Dieeinzelnen
185
Poleis
0–
betont noch den Ausschuß der „ Polis“(als Versammlung?) gewesen sein dürften6 Ausnahmecharakter der Regelung. Auch die hohe undungerade Zahl von „ 101“hatte wohleinen speziellen Sinn: Siegarantierte, daßeine klare Entscheidung in dembesonderen Entscheidungsverfahren zustandekam61, in demausdrücklich die Mehrheitsregel geltensollte62 –wieim„Koloniegesetz“ , in demdiese Regel ja auch nurfür einen bestimmten, gewissermaßen explizit alsaußergewöhnlich deklarierten Fall, nämlich dieÄnderung des Status, festgelegt unddamit eingeschärft wurde. Zugleich steht außer Zweifel, daß die genau definierte Ausnahmesituation, auf die diese Sonderregelung eigens zugeschnitten war, kaum eine nur fernliegende, unrealistische Möglichkeit gewesen sein kann –imGegenteil: Sie konnte offenbar jederzeit eintreten, stand vielleicht sogar unmittelbar bevor undwardaher regelungsbedürftig. Daßsich dasGesetz überdieKolonisten ausdemhypoknemidischen Lokris in Naupaktos unddie hier in Frage stehende Satzung womöglich aufdengleichen Vorgang beziehen, was zu3, mindest durch Fundorte und zeitliche Nähe der Urkunden nahegelegt wird6 läßt sich allerdings wiederum nur vermuten –nicht zuletzt weil nichts über die konkreten (politisch-militärischen?) Anlässe derMaßnahmen bekannt ist. Jedenfalls scheint dieses Gesetz gleich aufdoppelte Weise auf konkrete Gegenstände undBedürfnisse bezogen gewesen zusein, auf diees mit genau zugeschnittenen Regelungen reagierte. Denn was auch immer die Regelungen „ über das Land“ , die wiederum nurunter ganzbesonderen Umständen revidiert werden durften, eigentlich bedeutet haben mögen –sie müssen so strittig undunmittelbar gefährdet gewesen sein, daß nicht nur die Anzettelung einer σ τ ά σ ιςum eine Neuverteilung mit schwersten Sanktionen bedroht wurde, sondern selbst die Einbringung von Änderungsanträgen in den ordentlichen Institutionen derPolis undin derdafür vorgesehenen, geregelten Form.
Sowohl das „ Siedlungsgesetz“–und dieses, wie geKoloniegesetz“als auch das „ sagt, gleich in mehrfacher Hinsicht –waren also typische Anlaßgesetze unddamit natürlich nicht Teile einer umfassenden systematischen „Nomothesie“ . Daswird nicht nur an FormundInhalt dieser Gesetze deutlich, sondern auchandereinfachen Tatsache, daßdie Rückseite der Pappadakis-Bronze noch ein Fragment eines anderen Gesetzes trägt, das allem Anschein nachnichts mitdem„Siedlungsgesetz“zutunhatte: Es enthielt nicht mehr genau verständliche Vorschriften über bestimmte (unrechtmäßige?) Einnahmen der Da4. miorgoi, dienicht alsGewinn (des Schatzes?) gelten sollten6
60 Vgl. in dieser Hinsicht VATIN 1963, 11 undKOERNER, S.163 (zu Nr.47). 61 Vgl. zuderZahl „101“ : VATIN 1963, 11 miteinigen Parallelen. 62
Vgl. in diesem Fall WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1927/1937, 469; siehe auch MEIGGS/LEWIS, S.
24 undG. KLAFFENBACH zuIG IX 123, 609, Z.8 (hier S. 4); BRAVO 1980, 814; RUZÉ 1984, 253. Eher zurückhaltend ist hier VATIN 1963, 11, dagegen MAFFI 1982, 419ff. ohne überzeugende Argu63
64
mentation. Vgl. etwa TROWBRIDGE/OLDFATHER 1935, 1985f.; OLDFATHER 1939, 815f.; JEFFERY 1961/1990, 61; 105f.; LARSEN 1968, 49f.; VIRGILIO 1980, 2184. Vgl. mit einiger Vorsicht auch G.
KLAFFENBACH zu IG IX 123, 718, hier S.96. Z.22ff. auf der Seite B; KOERNER Nr. 48. Vgl. dazu WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1927/1937, 472f.; EHRENBERG 1961/1965, 114f. (erscheint einigermaßen spekulativ). Vgl. allgemein MURAKAWA 1957, 390; VELIGIANNI TERZI 1977, 41ff. zur Damiorgie.
186
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
Aber auch diese Einzelgesetze setzen, wie gesagt, durchweg voll entwickelte stadtstaatliche Strukturen mitetablierten Institutionen –funktional differenzierten Magistraten γ ο ρ μ (δ ί, ἀρχό ιο α ς ), Ratsgremien und Versammlungen –und formalisierte Antrags-, Abstimmungs- undGerichtsverfahren voraus. Diese Satzungen sind das Produkt dieser Strukturen, deren fortgeschrittener Entwicklungsstand sich in demschon recht differen5, zierten Aufbau undStil dieser Gesetze6 in dergesamten „ Technik“der Gesetzgebung, unmittelbar widerspiegelt. Vor diesem Hintergrund stellt sich dieFrage, ob sich die Fixierung von Satzungen undGesetzgebung generell in denPoleis in Lokris wirklich auf derartige Anlaßgesetze beschränkte. Dennindiesen (allein zufällig erhalten gebliebenen) Gesetzen wirdja auffällig oft undausdrücklich aufandere Gesetze verwiesen undsolche, selbst nicht erhaltenen, 66, Satzungen werden sogar zitiert. Dasgilt zunächst für die Klausel im„ Siedlungsgesetz“ wonach derjenige, der(ohne Not) eine Neuverteilung des Landes auch nurzur Debatte stellte oder gar eine σ τ ά σ ιςdarum verursachte, mitsamt seinen Nachkommen auf immer 7. verbannt undverflucht sein sollte6 Sein Besitz verfiel derGemeinschaft (der Polis), und –unddashieß insgesamt: „gemäß demGesetz über die Tösein Haus wurde zerstört68 ὰ ττ tung von Menschen“(κ ὸ νἀνδρεφ ο ν ικ ντετθμόν)69. Diese Klausel bezog sich ofὸ fensichtlich auf eine zwar altertümliche, aber doch zweifellos schon fixierte Satzung mit einem differenzierten Strafkatalog für ein bestimmtes schweres Verbrechen –daher eben 70. )θ μ ό dieBezeichnung τε(τ ς )θ μ ό ςundθέθμ ιο Diese Konzepte –τε(τ ν–wurden sonst nurauf die Gesetze selbst undals ganze angewandt: Sie bezeichneten fixierte Satzungen, „beschlossen“unddamit 71. festgelegt durch eine formale Ratifikation, also τ ὰεα δ εότα Dagegen werden auffälligerweise im„ Koloniegesetz“diejeweils in Naupaktos einerseits undbei den hypoknemidischen Lokrern andererseits geltenden „ Rechtsordnungen“bzw. konkreten NormenundRegeln grundsätzlich nicht mit diesen Begriffen bezeichnet. Auf das Erbrecht vonNaupaktos etwa, das unter einer bestimmten, wiederum genau umschriebenen Benämlich des Fehlens eines Erben –angewandt werden sollte, wird sehr allgedingung – meinalsdieeinschlägigen ν μ ια ό vonNaupaktos verwiesen72. Genau dieser Fall soll nach der entsprechenden Regelung des „Siedlungsgesetzes“aus der unbekannten westloὰ τ ὸδίκα krischen Polis (Naupaktos?) κ ιο νgeregelt werden, nachdem unmittelbar zuvor , μ ιαund „das, was Recht ist“ die Erbfolge genau festgelegt worden war73. Diese νό könnten mithin eher alte ungeschriebene, gewohnheitsrechtliche Regeln gewesen sein74. 65 Vgl. dazu etwa RIJG I, S. 184ff.; MEIGGS/LEWIS, S. 37f. (zuNr. 20 = IG IX 12 3, 718). Vgl. dazu außerdem GRAHAM 1964/1983, 45; 230ff.; ASHERI 1965, 314; BECK 1999. 66 IG IX 123, 609, Z.9ff. Vgl. zu ερ ρ έ τ ο ...ἄ ν αetwa WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1927/1937, 477; LATTE τ α απ μ τ ά 1933/1968, 381. 68 Vgl. wiederum LATTE 1933/1968, 381, sowie 1931/1968, 279f.; VATIN 1963, 14. 67
69 Z.13f. 70 Vgl. außerdem OSTWALD 1969, 16, vgl. 170; QUASS 1971, 12; GEHRKE 1993, 57f., sowie LARSEN 1968, 55. Vgl. auch MEILLET 1928, 185ff. 71 IG IX 123, 609, Z.1; 14 undNr. 718, Z.46 bzw. Z.38. Vgl. dazu schon ROBERTS, S. 353 zu Nr. 231; OSTWALD 1969, 16; 170f. 72 IG IX 123, 718, Z.19; vgl. 16ff. 73 IG IX 123, 609, Z.3ff., insbesondere 6f.; Vgl. dazu noch VIRGILIO 1980, 2179ff. 74 Vgl. vorsichtig LARSEN 1968, 55, dagegen etwa OSTWALD 1969, 171. In dieser Frage nicht eindeutig erscheint mir QUASS 1971, 18.
2. Dieeinzelnen Poleis
187
Über Eigentum unddessen Vererbung gab es offenbar eine Vielzahl unterschiedlicher ν μ ια ό in deneinzelnen poleis derhypoknemidischen Lokrer75 –ob diese ungenannten, zumeist sicherlich kleinen und(als einzelne) völlig unbedeutenden Siedlungen durchweg differenziertes, „ gesatztes“Recht hatten, darf wohl bezweifelt werden76. Als τ gilt auch das, was den„Naupaktiern“gewissermaßen zustand –nämμ ὰ ια ν ό lich in Form vonAbgaben, dieauch ein zurückkehrender Kolonist zu entrichten hatte7 7: Damit dürfte in diesem Fall wohl kaum eine „ gesatzte“Norm oder ein „ Gesetz“gemeint sein. Umgekehrt werden wiederum ganz spezifische, positiv fixierte Regelungen, nämlich die Vorschriften über die Bedingungen einer Rückkehr innerhalb des Koloniegesetzes selbst als ν μ ια ό τ ο ν ἐ ποο ν bezeichnet78. Damit erscheint es denkbar, daßν μ ια gesatztes“als auch ungeschriebenes sowohl „ ό Recht umfaßten79 –Regeln, Normen undSatzungen vielfältiger undunterschiedlicher Art undmitje verschiedenem rechtlichem Status, was sich in der Vielfalt der Begriffe und auch in demPlural ν μ ια ό widerspiegelt. Aber gerade das spricht ja gegen die Existenz einer umfassenden systematischen undvereinheitlichten „ Kodifikation“des Eigentums-, Erb- undStrafrechts –selbst in Poleis mitso hochentwickelten Institutionen undVerfah-
ιί
ren.
LOKROI EPIZEPHYRIOI
Lokroi Epizephyrioi, die von Kolonisten aus demopuntischen Lokris wohl um700 gegründete Stadt an der Südwestspitze Italiens1, soll als erste griechische Polis überhaupt schriftlich fixierte Gesetze erhalten haben. Diese Gesetze hätten die Lokrer demZaleukos verdankt, derbekanntlich nachdemAthener Solon unddemSpartaner Lykurg undneben Charondas aus demsizilischen Katane zu dengeradezu kanonischen Idealgestalten der antiken vielschichtigen Tradition überdie„Nomotheten“der Frühzeit gehört2. DaßZaleukosderälteste dergroßen Gesetzgeber gewesen sei, scheint auch durch chronographische Quellen bestätigt zuwerden: Danach warerinder29. Olympiade tätig, also in denJahren
vor 6603.
75 IG IX 123, 718, Z.24ff.; 29ff. Vgl. dazu MEYER 1892, 301; BUSOLT/SWOBODA 1926, 1456; GSCHNITZER 1958, 57; LARSEN 1968, 51f.; 55; OSTWALD 1969, 170f. 77 IG IX 123, 718, Z.15f. Vgl. GRAHAM 1964/1983, 227; LARSEN 1968, 51; OSTWALD 1969, 171. 78 IG IX 123, 718, Z.27. Vgl. auch MEIGGS/LEWIS, S.39; OSTWALD 1969, 170f.; anders allerdings MEYER 1892, 301, unklar GRAHAM 1964/1983 227. 79 So anscheinend LARSEN 1968, 51; 55 und vor allem OSTWALD 1969, 171f.; HÖLKESKAMP (in Vorb.). 76
1
Ephoros FGrHist 70 F 138a (= Strab. 6,1,7); F 138b (= Ps.-Skymn. 312ff., GGM I, S. 209). Vgl. dazu OLDFATHER1927, 1310ff.; DUNBABIN 1948, 35ff.; BÉRARD 1957, 199ff.; WALBANK 1967, 16), jeweils mit Nachweis derantiken Quellen, undneuerdings F. PARISE 330ff. (zu Polyb. 12,5– BADONI, in: STILLWELL et al. 1976, 523f.; VANCOMPERNOLLE 1976, 329ff.; 1982, 21ff.;
2
Ephoros FGrHist 70 F139 (= Strab. 6,1,8); Ps.-Skymn. 314f. (GGM I, S. 209), wohl auch nach Ephoros, vgl. dazu PICCIRILLI 1987, 94f.; siehe ferner Serv.Verg.Aen. 1,507. Vgl. dazu Kapitel I 1, sowie ausführlich Kapitel II 3. Euseb. (versio Armen.) zu Ol. 29,2 (= 663/2) bzw. Hieron. zu Ol. 29,4 (= 662/1) SCHOENE II, S.
BERGQUIST
3
86f.
1992, 116f.
188
III.
Gesetzgeber
undGesetze: Daten undAnalysen
Allerdings kann dieses Datum schon deswegen nicht als historisch sicher beglaubigt gelten, weil dieQuelle desEusebios unddamit dieHerkunft dieser Datierung nicht mehr festzustellen sind4 . Darüber hinaus steht dieser frühe Zeitansatz in eklatantem Widerspruch zu denvielen Topoi undvariantenreichen Legenden, die ihn zumZeitgenossen vieler Philosophen und„ Gesetzgeber“dergroßen alten Zeit machten: Nicht nurLykurg, Thales und Charondas wurden dabei mit Zaleukos in Zusammenhang gebracht, was schon Aristoteles aus chronologischen Gründen nicht akzeptieren wollte5, sondern schließlich auchnochPythagoras6. Anscheinend hatnicht zuletzt wegen dieser schon früh einsetzenden Verquickung undÜberlagerung verschiedener Motive undTraditionen bereits Timaios Zweifel daran geäußert, ob dergroße Gesetzgeber Zaleukos denn wirklich existiert habe7. Sicherlich haben diese offensichtlich erst spät erfundenen undnoch nicht einmal speziell undausschließlich mitderFigur desZaleukos verbundenen biographischen Motive keinerlei Gewicht, so daßmitihnen ansich dieDatierung der Chronographen nicht widerlegt werden kann –aber immerhin indizieren sie doch auch, daß spätestens im 4. Jahrhundert der Gesetzgeber Zaleukos undsein Werk überhaupt nicht mehr fest und unstrittig zeitlich fixiert gewesen zusein scheinen: Damit stellt sich wiederum die Frage, auf welcher dokumentarischen oder sonstigen Basis der zeitliche Ansatz des Eusebios eigentlich zustande kommen konnte. Trotz dieser Zweifel wird nicht nurdie hohe Datierung der„ Nomothesie“des Zaleukos zumeist wenigstens imGroßen undGanzen als ansich nicht unwahrscheinlich oder sogar glaubwürdig akzeptiert8. Zuweilen gilt ersogar indermodernen Forschung als eine Gederherausragenden historischen Gestalten der archaischen Epoche, als der große „ setzgeber“und„ Aisymnet“ , deralseiner derersten derbedeutenden „Ordner des Staates“ dieganze mitdem„Mittel derLegislative“diegesamte „Verfassung“unddamit zugleich „ gesellschaftliche Struktur“dernochjungen Polis Lokroi Epizephyrioi auf eine neue, zukunftsweisende Grundlage stellte9 . Dieses Fundament habe sich nicht nurin Lokroi Epi-
4 5 6
7 8
9
So mit Recht VONFRITZ 1967, 2298f.; 30. Pol. 1274a25–
GAGARIN
1986, 52; 129f mit Anm.27.
Siehe nur Aristoxenos frg. 17WEHRLI (= Porphyr.vita Pyth. 21); Diod. 12,20,1; Diog.Laert. 8,16; ά λ . ε ο κ υ ς Iambl. vita Pyth. 7,33; 23,104; 27,130; 30,172; 36,267; Sen. epist. 90,6; Suda s.v. Ζ Vgl. dazuKapitel II 3. FGrHist 566 F 130a (= Cic.leg. 2,6,15); F 130b (= Cic.Att. 6,1,18). Vgl. dazu auch VONFRITZ 1967, 2299, derdarauf hingewiesen hat, daßTimaios möglicherweise eben nurdie „pythagoreische Gesetzgebung“desZaleukos, nicht aberseine historische Existenz ansichgeleugnet hat. Vgl. TOEPFFER 1894, 1089; BUSOLT 1920, 375; CRISPO 1940, 8; DUNBABIN 1948, 68ff.; VALLET 1958, 313; MURRAY 1980/1982, 122; 229; PUGLIESE CARRATELLI 1987, 99ff.; LINK 1992; 1994a, passim. Siehe dagegen VANCOMPERNOLLE 1981, 768f., derdie „ législation aristocratique“des archaischen Lokroi, dieerst im4. Jh. demZaleukos –für VANCOMPERNOLLE eine spät erfundene legendäre Figur – zugeschrieben worden sei, nach Demosth. 24,141 in die Zeit um bzw. vor 550 datiert. (vgl. auch dens. 1976, 381ff.; 1982, 28ff.; dagegen LINK 1992, 22f.; 1994a, 170ff.). Bei Demosthenes steht allerdings nur, daßmanin „mehr als 200 Jahren“nurein einziges neues Gesetz in Lokroi verabschiedet habe –das heißt nicht, daß die alten Gesetz 200 Jahre alt gewesen seien; vgl. schon OLDFATHER 1927, 1323.
MÜHL 1929, 43; 49; vgl. auch TOEPFFER 1894, 1088f.; BUSOLT 1920, 375ff.; 379f; OLDFATHER 1927, 1318ff.; MEYER 1937, 522ff.; CRISPO 1940, 7ff.; DUNBABIN 1948, 69; BERVE 1951, 151ff.; HAMMOND 1959/1967, 144; BURN1960, 80f.; JEFFERY 1976, 76; FINE 1983, 77; 102f.; CAMASSA 1987, 616ff.; 630ff.; 1996, 565ff. Vgl. generell Kapitel I 1.
2. Dieeinzelnen Poleis
189
zephyrioi selbst so gut bewährt, daß es über Jahrhunderte stabil blieb und praktisch nicht verändert odererweitert zuwerden brauchte. DasWerkdesZaleukos habe auch anderswo große Zustimmung gefunden undsich vor allem rasch in anderen Poleis Unteritaliens verbreitet10. Tatsächlich wurde derStadt in derAntike frühzeitig eine vorbildliche undbesonders dauerhafte gesetzliche Ordnung zugeschrieben11 –Demosthenes konnte immerhin be2. haupten, daßdort in 200 Jahren nurein einziges Gesetz geändert worden sei1 Undimmerwieder, imgesamten Altertum, wurde Zaleukos als „Nomothet“von Lokroi Epizephyrioi auf die gleiche Stufe wieetwa Drakon undSolon gestellt, immer wieder wurde dabei vor allem die Einfachheit, wirkungsvolle Zweckmäßigkeit unddie besondere archaische Strenge mancher seiner Gesetze hervorgehoben13. Prominenz“des Zaleukos unddes geradezu exemplarischen ChaAngesichts dieser „ rakters seiner Gesetzgebung ist nunbesonders auffällig, daßüber konkrete Vorschriften undüberdieeinzelnen Gegenstände undInhalte seiner Gesetze indergesamten Überlieferung gar nicht sehr viele einigermaßen eindeutige und detaillierte Aussagen zu finden sind. Zwar behauptet Diodor, der wieder einmal als einziger zusammenhängende und relativ ausführliche, allerdings wie üblich auf späten undunzuverlässigen Quellen beruhende Angaben zudenGesetzen desZaleukos macht14, daßdieser zu ziemlich vielen Gegenständen zahlreiche neue Regelungen getroffen habe15. Aber dann nennt auch er nur ganz wenige konkrete Beispiele –unddasjenige, dasihmdabei offensichtlich amwichtigsten war, gehört dann auch noch zudenhistorisch zweifelhaftesten Nachrichten derinsgesamt sowieso schon spärlichen undproblematischen Überlieferung: Es handelt sich um Gesetze über das öffentliche Auftreten der freien, „ bürgerlichen“Frauen, die in auffällig ähnlicher, ja praktisch identischer Form auch aus anderen Städten überliefert sind und allein schon deswegen alsverdächtig zu gelten haben16: Danach durfte eine Frau sich nur voneiner Sklavin begleiten lassen –es sei denn, sie warbetrunken; sie durfte bei Nacht dieStadt nicht verlassen –es seidenn, siewollte Ehebruch begehen; undsie durfte in der Öffentlichkeit keinen goldenen Schmuck undkein Kleid mitPurpursaum tragen –es sei denn, sie wareine Hetäre. Diese Bestimmung sollte schließlich analog auch für Männer gelten. Dasmoralisch-erzieherische Ziel dieser Maßnahmen, nämlich Luxus (τ ρ υ ) und ή φ Liederlichkeit (ἀ κ ο λ α σ ία ) alspersönlichen Makel undSchande öffentlich zudenunzieren
10 Vgl. nur DARESTE 1902, 17;
MEYER 1937,
522;
BERVE 1951,
151. Vgl. dazu auch den Abs.
SYBARIS.
11 Pind.Ol. 10,17f.; Plat.Tim. 20A; leg. 638A-B. 12 Demosth. 24, 139– 141. 13 Vgl. außer den oben Anm. 1 und 2 aufgeführten
Nachweisen noch Aristot. frg. 548ROSE (= Schol.Pind.Ol. 10,17i; Clemens Alex.strom. 1,26, S. 108STÄHLIN); Chamaileon frg. 13WEHRLI (= Clemens Alex.ebda.); Theophr. frg. 117WIMMER (= Athen. 10, 429A); Polyb. 12,16aff.; Plut.mor. 15; 22,57; Val.Max. 6,5,ext.3; Sen. epist. 21,3; Cic.leg. 2,6,14– 543A; Numa4,7f.; Diod. 12,19,3– 90,6; Ael.var.hist. 3,17; 13,24; Athen. 11, 508A; Diog.Laert. 8,16; Iambl. vita Pyth. 7,33; 27,130; 30,172; Themistios 2,21b.; Theodoret.Graec.aff.cur. 9,9; Zenob. 4,10; 5,4 (CPG I, S. 87; 116); Suά λ ε υ κ ο da s.v. Ζ ς ; Ioh. Stob.floril. 4,4,25HENSE. 14 Diodor macht Zaleukos nicht nurzumSchüler desPythagoras (12,20,1), sondern schreibt ihm auch ρ ο ο ιο ίμ ν zu(12,20,2f); vgl.DUNBABIN 1948, 70f. undgeneeinerwiesenermaßen später erfundenes π rell Kapitel II 3. 15 12,20,3; 21,3; vgl. auch Ael.var.hist. 2,37. 16 Vgl. dazu etwa die Abs. Kos; SYRAKUS.
190
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
und damit eine abschreckende Wirkung zu erzielen, soll der „Nomothet“nach Diodor tatsächlich erreicht haben17. Dieses angebliche Gesetz gilt vielfach allein schon deswegen als authentisch, weil es geradezu ideal in dieweithin angenommene (oder wenigstens stillschweigend vorausgesetzte) allgemeine Tendenz archaischer „ Nomothesien“ zurumfassenden disziplinierenden Regelung desgesamten Lebens derBürger des erstarkenden Stadtstaates paßt18. Jedoch lassen sich mehrere Erwägungen unterschiedlicher Art gegen die Authentizität dieser Nachricht vorbringen: Die geradezu penetrante pädagogische Tendenz derPassage dürfte nicht für, sondern wohl ehergegen die Historizität dieser Maßnahme sprechen. Eher verdächtig mutet auch die fast aphoristisch anmutende oder jedenfalls gewollt geistreich erscheinende Formulierung dieser „ Vorschriften“an. Auffällig ist nicht zuletzt das Fehlen klarer undbestimmter Sanktionen gegen Verstöße, dieja nicht nurin inschriftlich erhaltenenfrühen Gesetzen regelmäßig einen zentralen Platz einnehmen, sondern gerade auch derGesetzgebung desZaleukos inder(älteren) Überlieferung ausdrücklich zugeschrieben werden. Bei diesen „ Regelungen“kann es sich mithin kaum umein echtes archaisches Gesetz gehandelt haben, sondern höchstens umdieRückspiegelung bestimmter, vielleicht tatsächlich alter gesellschaftlicher Regeln undinformeller Normen –etwa hinsichtlich der üblichen Kleidung vonHetären. Vielleicht haben wir es hier aber auch wirklich nur mit „ Geistreichigkeiten imGeiste hellenistischer Philosophen“zutun19. Nicht viel besser steht es mitdem„ Gesetz“ , wonach Zaleukos für denGenuß ungemischten Weines dieTodesstrafe eingeführt unddabei nureine einzige Ausnahme zugelassen habe: DasTrinken puren Weines sollte aufAnordnung eines Arztes zumZweck der 0. Heilung erlaubt sein2 Beschränkungen bzw. Verbote des Genusses von Wein sollen allerdings sindindiesem Fall die wiederum auchinanderen Poleis erlassen worden sein– überlieferten Regelungen bzw. Sitten nicht mitdembetreffenden „ Gesetz des Zaleukos“ identisch21. Es magsein, daßsich auch hier eine vage Erinnerung analtertümlich anmutende Sitten, Bräuche undVerhaltensnormen22 zuderZuschreibung einer entsprechenden „ Satzung“an einen „ Nomotheten“verdichtet hat. Die Einführung der Todesstrafe als Sanktion für einen Verstoß gegen die „ Vorschrift“dürfte sich dann demUrheber dieser Zuschreibung schlicht als dernaheliegende konkrete Ausdruck derallgemein bekannten, sprichwörtlichen archaischen Strenge des Zaleukos (und der anderen „ Nomotheten“der alten Zeit) geradezu aufgedrängt haben23. Gegen dieAuthentizität dieser Nachricht spricht
17 Diod. 12,21,1f.; vgl. auchSudas.v. Ζ ά λ ε κ υ ο . ς 18 Vgl. etwa DARESTE 1902, 14f.; BUSOLT 1920, 376; 380; MÜHL1929, 23ff.; BONNER/SMITH 1930, 82; CRISPO 1940, 117f.; GEHRKE 1978, 167f. mit Anm.97 und99; LINK 1992, 15ff.; 20; 1994a, I 167. Vgl. dazu noch denAbs. KEOS, sowie allgemein Kapitel 1. 19 Vgl. mit Recht VONFRITZ 1967, 2300. Siehe auch OLDFATHER 1927, 1348, derdenInhalt nur als ; ferner für Zaleukos unmöglich“ alte Sitte“gelten lassen will –als „Gesetz“seien die Regeln „ „ ADCOCK 1927, 104, sowie 102; DUNBABIN 1948, 71; VANCOMPERNOLLE 1981, 765. 20 Athen. 10,429A; vgl. Ael.var.hist. 2,37. 21 Theophrast. frg. 117WIMMER (= Athen. 10,429A-B; vgl. Ael.var.hist. 2,38) = Appendix IB bei SZEGEDY-MASZAK 1981, S. 89, derebda. wahrscheinlich machen kann, daßdasFragment eben nicht ausTheophrasts Nomoi stammen dürfte. Vgl. dieAbs. KEOS; MASSALIA. 22 Im gleichen Zusammenhang ist bei Athenaios, derhier ausdrücklich Theophrast zitiert, von einem ο ν μ inMilet dieRede. Vgl. auchOLDFATHER 1927, 1348. ιμ ό entsprechenden ν 23 Vgl. wiederum DUBABIN 1948, 71; VONFRITZ 1967, 2300 und, wenigstens in diesem Fall, sogar MÜHL 1929, 44 Anm. 1.
2. Dieeinzelnen Poleis
191
jedenfalls außerdem, daß auch hier eine deutliche moralisch-pädagogische Tendenz nicht zuverkennen ist. Das(wahrscheinlich authentische) Gesetz desPittakos über die Erhöhung bzw. sogar Verdoppelung der Strafmaße für im Zustand der Trunkenheit begangene Gewalttaten24 kanndieAnnahme derGeschichtlichkeit dieses „Gesetzes des Zaleukos“auch nicht wirklich stützen25: Die Maßnahme des Pittakos diente insofern einem bestimmten konkreten Zweck, als sie denspezifischen Notwendigkeiten der von besonders gewalttätigen Adelsfehden zerrissenen Polis Mytilene Rechnung trug –sie hat denn auch als Zusatzbestimmung im Rahmen konkreter strafrechtlicher Vorschriften über Gewaltdelikte mit dem überlieferten Inhalt desangeblichen „ Gesetzes desZaleukos“ nicht dasGeringste zutun. Ebensowenig dürften jene weiteren „ Sittengesetze“ , dieeinerseits die „Neugier“unter Strafe gestellt haben sollen26 und andererseits angeblich die Trauer um Verstorbene verboten undstattdessen ein Fest vorschrieben27, auf formalen „ Satzungen“beruhen, die wiederum demZaleukos zuzuschreiben seien28. Nicht nur ist davon in denvorliegenden dürftigen, allerdings –wenn es umZaleukos geht –immer phantasievollen Quellen nirgendwo dieRede. Diese Regeln sinddortoffenbar auch überhaupt nicht als „ Gesetze“im eigentlichen Sinne bezeichnet worden. Wenn diese Nachrichten also überhaupt einen authentischen Kern enthalten, kann es sich eigentlich wiederum nur um traditionelle Sitten undBräuche inLokroi Epizephyrioi gehandelt haben.
Ebenso wie die weit verbreitete Neigung, den archaischen „Nomotheten“durchweg umfassende „ Sittengesetzgebung“zu unterstellen und jeden scheinbar dazu passenden Beleg grundsätzlich zu akzeptieren, beruht auch die Einschätzung der dem Zaleukos zugeschriebenen Gesetze über die „ Wirtschaft“allgemein unddenHandel im besonderen auf bestimmten generellen Vorannahmen: Aus seiner „ Nomothesie“wurde zuweilen eine konservativ-„ agrarisch“orientierte, der neuen „ wirtschaftlichen Freiheit“ , Handel und Wandel eherablehnend gegenüberstehende Haltung desGesetzgebers herausgefiltert, der dabei bewußt eine generell auf Bewahrung undStabilität vor allem der Grundbesitzverhältnisse gerichtete Zielsetzung verfolgt haben soll29. Deswegen wird ihm ohne weiteres einerseits dasvon Aristoteles kurz erwähnte Gesetz der Lokrer zugeschrieben, wonach derVerkauf von Land nur bei offensichtlichem, also nachweislichem Unglück des Eigentümers statthaft sein soll30. Zwar dürfte dieses Gesetz ebenso grundsätzlich authentisch undwohlaltertümlich seinwieähnliche Maßnahmen in anderen Poleis, die derSta-
23; EN 1113b30ff.; Rhet. 1409b8ff.; Plut.mor. 155F.; Diog.Laert. 1,76. Vgl. 24 Aristot.Pol. 1274b19– dazuimeinzelnen denAbs. MYTILENE. 25 Vgl. dagegen BUSOLT 1920, 376; 380; ADCOCK 1927, 101 (allerdings mit berechtigten Vorbehalten) CRISPO 1940, 125. Vgl. für die Authentizität dieses Gesetzes schon DARESTE 1902, 15 undzuletzt LINK 1992, 15; 20. 26 Plut.mor. 519B; vgl. auch Diod. 8,23,4. 27 Herakl.Lembos Exc.polit. frg. 60DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 30,2, FHG II, S. 221). Vgl. dazu ENGELS 1998, 54. 28 Vgl. etwa. DARESTE 1902, 15; MEYER 1937, 527. 29 Vgl. generell Lenschau 1921, 811; OLDFATHER 1927, 1321f.; MEYER 1937, 526; CRISPO 1940, 127; VALLET 1958, 317; BERVE 1967, 151; VANCOMPERNOLLE 1982, 33f; 35. 30 Pol. 1266b19– 21. Vgl. etwa DARESTE 1902, 15; GAGARIN 1986, 68 Anm. 77; dagegen VAN COMPERNOLLE 1981, 767, der aber mit Recht an dergrundsätzlichen Echtheit des Gesetzes festhält; vgl. auch dens. 1982, 33.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
192
bilisierung derGrundbesitzverteilung, derErhaltung der„alten kleroi“undderFixierung ihrer Zahl respektive der Absicherung ihrer Besitzer dienen sollten, deren militärischer und„bürgerlicher“Status ja eben darauf beruhte3 1.Damit ist aber noch keineswegs ausgemacht, daßein solches Gesetz eigentlich ambesten als Bestandteil einer (womöglich systematischen underschöpfenden) „ KodifiWirtschaftsgesetzgebung“imRahmen der „ kation des Zaleukos“denkbar sei –weder ist dieUrheberschaft des lokrischen „ Nomotheten“irgendwo bezeugt, noch gibt es den geringsten Anhaltspunkt für eine genauere Datierung desnurbeiAristoteles erwähnten Gesetzes derLokrer. Auf der gleichen Grundlage beruht andererseits die ebenfalls recht verbreitete Annahme, daß die von Herakleides Lembos (sicherlich wiederum nach Aristoteles) vermerkte Besonderheit, daßes in Lokroi keine Kleinhändler gegeben habe unddieBauern ihre Produkte selbst verkauft hätten3 2,ebenfalls aufnichts anderem als einem „Gesetz des Zaleukos“ beruhen müsse: Einsolches regelrechtes „ Verbot des Zwischenhandels“innerhalb der „Gemeinde“habe nämlich auch der allgemeinen konservativ-„ agrarischen“ 3. Grundtendenz seiner gesamten „ Nomothesie“entsprochen3 Wiederum ist nirgendwo bezeugt, daßdieses „ Gesetz“auf Zaleukos zurückgeht –ausdemkurzen Satz des Herakleides läßt sich noch nicht einmal wirklich herauslesen, daßer (oder schon Aristoteles) hierüberhaupt eine formal „gesatzte“Vorschrift meinte.
GeDereinzige konkrete undeinigermaßen zuverlässig klingende Hinweis auf ein „ setz des Zaleukos“ , dasunmittelbar diewirtschaftlichen Verhältnisse in Lokroi betroffen haben dürfte, besteht ineiner Notiz Strabons nach Ephoros, wonach derGesetzgeber die ρ ὶτ Vorschriften π ε β ῶ ο νσυμ λ α ίω νin eine einfachere Form gebracht habe, waslobend hervorgehoben wird34. Auch Diodor nennt speziell solche Gesetze des Zaleukos über
neben denhöchst verdächtigen „ Kontrakte – Sittengesetzen“übrigens bezeichnenderweise das einzige konkrete Beispiel für die angeblich so zahlreichen guten Gesetze des Zaleukos, dasDiodor wirklich anführt35. Wieder einmal istjedoch auskeiner derbeiden Nachrichten etwas überdenkonkreten Inhalt dieser Gesetze zuentnehmen. Daßsie in irgendeiner Weise –wie die wahrscheinlich vergleichbaren Gesetze des Pittakos unddes Charondas oder diejenigen, die in Thurioi galten, die allesamt in demgroßen Fragment von β ο ρ λ ὶσυμ α ε ίω ν imRahmen seiner „Gesetze“erwähnt sind3 6 Theophrasts Darlegungen π –Verkauf undKauf von Eigentum betrafen undsich auch vielleicht insbesondere auf Grundbesitztransaktionen bezogen, erscheint zwar eine sehr plausible, aber nicht zu beweisende Vermutung37. Jedenfalls hatTheophrast offenbar noch andere, in demerhaltenenFragment nicht vorkommende oder auch vielleicht überhaupt nicht immer namentlich genannte Gesetzgeber inseine vergleichende Darstellung des„ Vertragsrechts“einbezogen
24, vgl. 1265b12– 16; 1319a10– 19. Siehe dazuLINK 1991, 169f.; 1992, 17ff. Aristot.Pol. 1266b14– und im einzelnen Abs. ELIS; KORINTH; THEBEN. 32 Exc.polit. frg. 60DILTS (= [Herakl.Pont.] frg.30,2, FHG II, S.221). 33 Vgl. insbesondere BUSOLT 1920, 380, vgl. 195 Anm. 1;CRISPP 1940, 127; BERVE 1967, 151. 34 Ephoros FGrHist 70 F 139 (= Strab. 6,1,8). Vgl. für die Authentizität etwa MÜHL1929, 13; 25; 43;
31
1948, 70; VANCOMPERNOLLE 1981,768; 1982, 34; GAGARIN 1986, 65f.; 70f.; 74f.; LINK 1992, 14. 35 Diod. 12,21,3. 36 Frg. 97WIMMER = 21 SZEGEDY-MASZAK (= Ioh.Stob.floril. 4,2, 20HENSE). Vgl. auch die Abs. DUNBABIN
KATANE; MYTILENE.
37 Vgl. etwa ADCOCK 1927, 105.
2. Dieeinzelnen Poleis
193
–einer von ihnen
könnte durchaus Zaleukos gewesen sein38. Auf die Regelungen des Zaleukos über Verträge undihre rechtliche Verbindlichkeit –oder einschlägige Gesetze, die als „Gesetze des Zaleukos“galten –bezieht sich vielleicht auch eine Mitteilung des Zenobius, die möglicherweise auf derverlorenen (pseudo-)aristotelischen Λ ρ νπ ῶ ο λ ικ ο τ ε ία Zaleukos einGesetz gegeben, wonach es keine beruht: Danach hatte der„ Nomothet“ gültigen schriftlichen Verträge über Darlehen geben solle39. Die Bedeutung dieser Klausel ist allerdings völlig unklar –anscheinend warin einem besonderen, vermutlich genauer 0. definierten Rechtsfall eine mündliche Vereinbarung (mit Zeugen?) hinreichend4 In diesenZusammenhang gehört wohl auchdasbeiPolybios erwähnte, sicher authentische und ebenfalls demZaleukos zugeschriebene Gesetz, wonach in denFällen, woEigentumsansprüche und-rechte, unter anderem etwa anSklaven, strittig seien, die strittige Sache bis zueiner (gerichtlichen) Klärung bei demjenigen zuverbleiben habe, derbereits imBesitz 1. dieser Sache war4 Wiebereits angedeutet, ist nicht ausgeschlossen, daß diese „Gesetze des Zaleukos“ zwarechte undsogar noch geltende, vielleicht auch wirklich alte Satzungen waren; diese Gesetze können jedoch durchaus zuverschiedenen Zeiten als Einzelgesetze verabschiedet Noworden sein undwären dann erst später undgewissermaßen sekundär demgroßen „ motheten“zugeschrieben worden. Aber selbst wenn manvon dieser keineswegs fernliegenden Lösung einmal absieht, läßt sich ausdenvorliegenden Nachrichten über dieverschiedenen Gesetze keinesfalls herleiten, daßsie alle Teile einer einzigen systematischen „ Wirtschaftsgesetzgebung“gewesen seien, vonderdie Tradition allerdings nichts weiß – eherimGegenteil: Die„Gesetze desZaleukos“werden ja immer einzeln, unter einem etikettartigen Stichwort, angeführt undzitiert. Undüberhaupt ist schwerlich denkbar, daß eine solche Gesetzgebung vielleicht schon im 7. Jahrhundert einheitlich, zweckrational undgeradezu programmatisch auf „Bewahrung“undStabilität ausgerichtet gewesen wäre.Auchdiese „Gesetze desZaleukos“erscheinen eheralseinzelne Maßnahmen, die nicht einfach ineinem größeren Zusammenhang aufgehen.
Dasgilt imGrunde genommen auchfüreine andere Sparte vonSatzungen, die schon von Ephoros mit dem Namen des Zaleukos verbunden wurden: die Fixierung fester 2. Strafmaße für verschiedene Vergehen4 Wenn manandere Zeugnisse darauf beziehen . ο ῦ 38 Vgl. nurfrg. 21,5 und7SZEGEDY-MASZAK: ο ε τ σ ιν θ ο ο λ λ ο ὶνομ ἱπ ὴ νμ ω τ ὴ νἐ νδανεισμά π φ ὶτ ῶ 39 Zenob. 5,4 (CPG I, S. 116): ὃ , συγγρα κ ε η ν ο ἔθ ο κ ) νόμ ς υ ε λ ά ς(sc. Ζ
γ ίν ε σ θ α ι. 40 Vgl. etwa DARESTE
1902, 15, dereinfach ein Verbot schriftlicher Darlehensverträge vermutet; dageρ α φ α ί) nicht anerkannt“worden seien, γ γ genMEYER 1937, 526, wonach „schriftliche Kontrakte (σ υ ; wiederum anders etwa WUNDERER 1897, 177 „sondern nurdasvorZeugen abgeschlossene Geschäft“ mitAnm.5: „schriftlicher Contract ist nicht nöthig, es genügt einmündliches Übereinkommen derer, . Daß das alles etwa mit einer seisachteia durch Ungültigerklärung der die denHandel schließen“ Schuldscheine“zutungehabt haben könnte (OLDFATHER 1927, 1322), ist allerdings eine ziemlich „ κ α ς ή “bezieht sich bei ρ ο ὶτ ὰ κ Λ ο ςσυνθ spekulative Hypothese. Die „ Erklärung“desSprichworts „ 3 –anders als bei Zenob. ebda. –nicht auf private Verträge, sondern auf „zwischenPolyb. 12,12a,1– staatliche“Vereinbarungen; vgl. zurSache WUNDERER 1897, 172ff.; WALBANK 1967, 351f. adloc. 8. Vgl. dazu WUNDERER 1894, 436ff.; DARESTE 1902, 16; OLDFATHER 1927, 1323; 41 Polyb. 12,16,4– DUNBABIN
1948, 70.
42 Ephoros FGrHist 70 F 139 (= Strab. 6,1,8). Vgl. für die Authentizität dieser Nachricht etwa BUSOLT 1920, 376; OLDFATHER 1927, 1321; MÜHL 1929, 12f.; 43; DUNBABIN 1948, 70; GAGARIN 1986, 64; LINK 1992, 14; 1994a, 166. Daß dabei auch ein „Blutrecht“war, will man aus derBehauptung
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
194
darf, könnten etwa Menschenraub undSklavenflucht zu dendabei definierten Delikten gehört haben. Allerdings beruht diese Vermutung aufeiner vonPolybios nuren passant gemachten Bemerkung, die sich aufTimaios bezog –undderglaubte ja gar nicht andie Geschichtlichkeit des großen Gesetzgebers43. In diesem Zusammenhang wird aber auch derEhebruch als eines derVergehen erwähnt, für diees in Lokroi fixierte Strafen gegebenhabe –undgenau dafür soll Zaleukos ja die Strafe der Blendung festgelegt haben4 4. Leider istdie Überlieferung insgesamt widersprüchlich undsowieso kaum verläßlich, so daßes sich eigentlich vonvornherein verbietet, die einzelnen Zeugnisse zurgegenseitigen Stützung zukombinieren. Zunächst ist nachHerakleides Lembos die Blendung die Strafe für Diebstahl und nicht für Ehebruch45. Vor allem aber sind diese Nachrichten ausnahmslos mitderbekannten Anekdote untrennbar verbunden, wonach dergroße Gesetzgeber eines seiner Augen geopfert habe, umseinem des Ehebruchs (bzw. des Diebstahls) überführten Sohnwenigstens einAugezuerhalten. Damit fragt sichwieder einmal, obmandenKernderTradition, nämlich die archaisch erbarmungslose Strafe derBlendung für Ehebruch, ohne weiteres für authentisch halten darf, wiedas fast durchweg geschieht46. Diese ArtderStrafe ist nämlich nicht nursonst nirgendwo bezeugt –underst recht nicht in der„ , schriftlich fixierten Gekodifizierten“ setzgebung wieetwa imgroßen „ Recht vonGortyn“ , dasdafür einen Katalog von nach personenrechtlichem Status derBeteiligten vielfach abgestuften Geldbußen vorsah47. Und diese Strafe kann natürlich auch nicht wirklich als „ Talion“gelten –die Passage in einer Rede desDemosthenes über die wortwörtliche Geltung des archaischen Rechtsprinzips Auge umAuge“in Lokroi kann daher auch kaum zurStützung der Echtheit der Strafvor„ schrift für Ehebruch herhalten48. Die Talion als Strafe bei Körperverletzung kann übrigens –jedenfalls so, wie die früheste Quelle, eben Demosthenes, es darstellt –grundsätzlich wiederum nur mit großen Vorbehalten für eine archaisch strenge Strafgesetzgebung des Zaleukos in Anspruch ge9: μ ο , dener zu ς nommen werden4 Demosthenes spricht nurvoneinem entsprechenden ν ό ηder Lokrer rechnet – denguten, alten undbewährten Gesetzen derπ μ έ ν υ ο ό λ ιςεὐνομ aber der„Nomothet“Zaleukos, denalsUrheber dieser Ordnung zunennen hier zweifellos
ά ικ γ ιτ α αἈρεοπ μ ιμ ό (ebda.) herauslesen, daßZaleukos seine Gesetze zumTeil aus ν bezogen habe(soetwaOLDFATHER 1927, 1323) – dasistwohlkaumeine solide Quellenbasis. Auch dieTodesstrafe fürbewaffnetes Erscheinen aufderagora bzw. in derVolksversammlung, diesowohl Diokles als auch Charondas zugeschrieben wurde (vgl. die Abs. KATANE; SYRAKUS), hat man dem Strafrecht desZaleukos zurechnen wollen –dafür gibt es auch nureinen ziemlich obskuren Beleg: Eustath.ad Il. 1,190; S. 131f.VAN DER VALK. Timaios FGrHist 566 F 12 (= Polyb. 12,9,69), vgl. F 130a-b (= Cic.leg. 2,6,15; Att. 6,1,18). Siehe dazuoben. Ael.var.hist. 13,24; Val.Max. 6,5,ext.3. Exc.polit.frg. 61DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 30,3, FHGII, S. 221). DARESTE 1902, 14; BUSOLT 1920, 376f.; MÜHL 1929, 43ff. und anscheinend auch VAN COMPERNOLLE 1981, 766; LINK 1992, 13. 27. Vgl. gegen die Authentizität auch Vgl. LATTE 1930, 673 mit Anm. 1zu ICret IV 72, Col.II 20– DUNABIN 1948, 71f.; VONFRITZ 1967, 2300. Demosth. 24,140,141. Vgl. gegen MÜHL 1929, 33ff. (so auch ders. 1933, 34; 48) schon LATTE von Ephoros
43
44 45 46
47 48
1930, 673. 49 Vgl. für die Authentizität
BUSOLT
1940, 116f.; VALLET 1958, 317.
1920, 376; MÜHL 1929, 11f.; 43; MEYER 1937, 525; CRISPO
2. Dieeinzelnen Poleis
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nahegelegen hätte, wird in dergesamten Passage gar nicht genannt50. Mankönnte sich fragen, obdieTalion überhaupt auf gesatztem Recht beruhte oder ob dieses Prinzip nicht 51, vielmehr, jedenfalls als ursprüngliches reines „Strafprinzip“ in vorstaatlichen, ungeschriebenen Regeln wurzelte –wenn denn dieses „ Gesetz des Zaleukos“ , dasauch noch imgriechischen Raum„ inseiner Eigentümlichkeit vereinzelt“dasteht52, irgendeinen historischen Hintergrund haben sollte. Unddieeinzige andere Quelle, dieein angebliches „ Gesetz“dieses Inhalts noch erwähnt, nämlich Diodor, hält es für ein Gesetz aus Thurioi und schreibt es (wenigstens implizit) dem Charondas zu –die Übereinstimmung mit Demosthenes geht sogar so weit, daß bei Diodor dieselbe Anekdote als Anlaß für eine bestimmte Modifikation derTalionsregel erzählt wird: Danach sollte derjenige, derdenVerlust desverbliebenen Auges eines Einäugigen unddamit dessen völlige Blindheit verursachte, seinerseits beide Augen verlieren53. Esbleibt festzuhalten, daßsich über diesen Zweig der„Gesetzgebung“desZaleukos kaum mehr sagen läßt, als daß ihm ein Katalog fester, später vielleicht als altertümlich streng geltender Strafmaße für eine Reihe von Vergehen zugeschrieben worden zu sein darüber hinaus gehende Vermutungen über denInhalt derGesetze generell und scheint – dieArtderStrafen imbesonderen stellen sich bei näherem Hinsehen als nicht einmal in derdürftigen Überlieferung einigermaßen fundiert heraus.
Demgegenüber erscheint jene offenbar als besonders altehrwürdig geltende Vorschrift, dieDemosthenes ebenfalls undimgleichen Zusammenhang erwähnt, relativ besser bezeugt: Danach mußte derjenige, dereine Änderung dergeltenden, althergebrachten Gesetze vorschlug, seinen Antrag mit einer Schlinge umden Hals vertreten –undnur wenn der Vorschlag als gut undnützlich angenommen wurde, kamer mit demLeben davon, sonst wurde die Schlinge zugezogen undder erfolglose Antragsteller erdrosselt. Daher soll eben, wie gesagt, nurein einziges Malin 200 Jahren eine Gesetzesänderung beschlossen worden sein54. Zwarwirdauchdiese Regel vonDiodor wieder demCharondaszugeschrieben –abermitdemUnterschied, daßvonihmsogar über drei Gesetzesänderungen mit anekdotischer Ausschmückung berichtet wird, nämlich nicht nur die erwähnte Änderung der Vergeltung bei Körperverletzung, sondern auch Revisionen des Scheidungs- undErbrechts55. Zumeist aber undnoch in denspäten Quellen wird dieses Gesetz“ „ , das natürlich, wie manmeinte, derBewahrung der traditionellen Strenge und derSicherung deraltehrwürdigen Regelungen gegen allzu viele undleichtfertige Änderungen undbequeme Anpassungen dienen sollte, aufZaleukos zurückgeführt56.
50 Demosth. 24, 139. Vgl. auch VANCOMPERNOLLE 1976, 383ff. (siehe auch DENS. 1982, 28ff.), der allerdings mit seiner Schlußfolgerung, daßdie Figur des Zaleukos erst danach überhaupt erfunden worden sei, zuweit geht; siehe GAGARIN 1986, 66. 51 Die Bestimmungen über die Talion in denZwölftafeln betonen ja gerade die Möglichkeit derAblösung durch Entschädigung –auch in tab.8,2: „ si membrum rupsit, ni cum eopacit, talio esto“(Hervorhebung von mir, K.-J. H.). Vgl. auch MÜHL1933, 46. 52 MÜHL 1933, 18; 46f. 5. Vgl. dazu denAbs. KATANE. 53 Diod. 12,17,4– 141. 54 Demosth. 24, 139– 18,4. Vgl. zu deneinzelnen Gegenständen denAbs. KATANE. 55 Diod. 12,17,1– 14; vgl. auch noch Hierokles apud Stob.Floril. 3,39,36HENSE; AG I, S. 220 s.v. 56 Polyb. 12,16,9– ρ ό χ ο . Vgl. für die Authentizität dieser Tradition etwa DARESTE 1902, 17; BUSOLT 1920, 377; Β ς OLDFATHER
1927, 1321; MÜHL 1929, 12; 47; BONNER/SMITH 1930, 75; CRISPO 1940, 119f.;
196
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied zwischen der bei Demosthenes (und Diodor) vorliegenden Version einerseits undderjenigen des Polybios, der wichtigsten undwohl auch zuverlässigsten Quelle, andererseits: Bei Polybios heißt es nämlich,
daßdieVertreter unterschiedlicher Auslegungen einer geltenden –undselbst garnicht zur Disposition stehenden –Norm desGesetzgebers (also des Zaleukos) ihre jeweilige Ansicht vorden„ Tausend“ mitderSchlinge umdenHals zuverteidigen hatten5 7. Derjenige, dessen Auslegung der eigentlichen π ρ ο α ε ίρ σ ιςdes Gesetzgebers als ihr nicht entsprechend galt, wurde dann erdrosselt –unddas konnte offenbar durchaus auch der κ ο σ μ ό π ο λ ιςsein, jener hohe(vielleicht derhöchste) Magistrat derPolis, dessen regelmäßige Aufgabe zumindest auchinderAuslegung der„ Gesetze (des Zaleukos)“gerade in strittigenFällen bestanden haben dürfte: Auchseine Entscheidung waralso anfechtbar5 8. Ob die Entscheidung über solche Streitfälle (und damit die Todesstrafe für den unterAnwalt“ ) vonanderen, als„Archonten“bezeichneten Magistraten getroffen wurlegenen „ de,wiePolybios anzudeuten scheint59, oderobsie nicht doch eher vonderVersammlung der „Tausend“selbst gefällt werden mußte60, ist nicht klar. Die zuletzt genannte Möglichkeit istnicht zuletzt dannwahrscheinlicher, wennmandavon ausgehen darf, daßdieRegelung sich tatsächlich sowohl auf strittige Auslegung von Rechtsnormen im konkreten Anwendungsfall alsauchaufdieförmliche Änderung geltenden Rechts erstreckte: Letztereswirdwohlkaumvonden„Archonten“ohne daslegitimierende Votum der„Tausend“ insWerkgesetzt worden sein können6 1. Die „Tausend“waren jedenfalls daswichtigste, wahrscheinlich zumindest formal eigentlich entscheidende Gremium inLokroi Epizephyrioi wiein anderen Poleis derMagna oligGraecia, nämlich etwa Rhegion undKroton662. Es dürfte sich dabei kaum umeinen „ archischen“Ratim engeren Sinne gehandelt haben: Selbst eine (zumindest später) relativ bedeutende Stadt wie Lokroi kann kaum eine „ Oligarchie“von tausend erwachsenen, männlichen Mitgliedern alsprivilegierte Gruppe einer erheblich größeren Gesamtbevölkerung gehabt haben –undschon gar nicht zurZeit ihrer Gründung. Wie im opuntischen Lokris, das andieser Gründung sicherlich beteiligt war, dürften die „Tausend“eine Art
57 58
DUNBABIN 1948, 70; VANCOMPERNOLLE 1981, 767; GAGARIN 1986, 76; LINK 1992, 14f.; 1994a, 168; CAMASSA 1994, 101f. Siehe dagegen nurLATTE 1930, 673; VONFRITZ 1967, 2300. νλέγ ω τ ε ιν χ νκρεμασθέν ω Dieentscheidende Formulierung bei Polyb. 12,16,10, vgl. 9 lautet: βρό ν η μ ρ ῆ ς γ , während esbeiDemosth. 24,139 voneinem Antragsteller heißt: ἐ τ ν ςτ ώ ο ο υ π ὲ ῦνομοθέτ ὑ β ρ ῳ ό τ χ ὸ ν τρ η ά χ λ ο ν ἔ χ ω ννομοθ ε τ ε ῖ(Hervorhebung vonmir, K.-J. H.) ο σ 14. WALBANK 1967, 363 (zu 12,6,6, mit weiterem Material) hält den κ 8; 12– Polyb. 12,16,6– μ ό π ο λ ιςfür den „chief magistrate“ ; vgl. auch BUSOLT, 1920, 368; OLDFATHER 1927, 1346; DUNBABIN 1948, 72.
59 12,16,14, vgl. 16,6. 60 Vgl. etwa DARESTE 1902, 17; BUSOLT 1920, 377; CRISPO 1940, 119 undwohl auch MEYER 1937, 528. 61 Bei Demosth. 24,141 und Diod. 12,17,2 sind es jedenfalls „die Lokrer“bzw. derdemos unddie ekklesia, diedieEntscheidung treffen –allerdings gehtesdabei ja auch umdieGesetzesänderungen und ; vgl. auch OLDFATHER 1927, 1346. eben nicht um„Urteile“ 62 Polyb. 12,16,10ff.; Herakl.Lembos Exc.polit.frg. 55DILTS (= [Herakl.Pont.] frg.25,4, FHG II, S. 219); Iambl.vita.Pyth. 35,260. Vgl. dazu BUSOLT 1920, 355f.; OLDFATHER 1927, 1346; DUNBABIN 1948, 72; CAMASSA 1987, 630ff. Siehe auch die Abs. KROTON; RHEGION.
2. Die einzelnen
Poleis
197
3,
Primärversammlung gewesen sein6 die sich nicht nur aus den Mitgliedern der alten, 4. schon imMutterland führenden Aristokratie der„Hundert Häuser“zusammensetzte6 Das schließt wiederum keineswegs aus, daß dieser (seinerseits schon wegen der Zahl der „ Häuser“auch nicht sehr enge undexklusive) „ Adel“in der jedenfalls für Aristoteles schlecht „ gemischten“ , gewissermaßen allzu sehr „oligarchisch“kontaminierten „Aristo5. kratie“von Lokroi Epizephyrioi lange Zeit denfaktisch bestimmenden Einfluß behielt6 Wiedemauchsei: Derinstitutionelle Rahmen insgesamt, indemja zumindest für den κ ο μ ό σ ο π λ ιςeine ArtvonPrüfungsverfahren vorgesehen gewesen zu sein scheint, und insbesondere dasGremium der„ Tausend“istjedenfalls ansich keineswegs typisch oder gar extrem „oligarchisch“(oder „demokratisch“ ), ebensowenig wie übrigens die „Ver6. sammlung derTausend“imopuntischen Lokris6 Undim 7. Jahrhundert kann die Mitgliedschaft in einer solchen Institution erst recht nicht das exklusive Privileg einer Minderheit gewesen sein, alsLokroi Epizephyrioi kaumviel mehrals tausend Kolonisten und Klerosbesitzer gehabt haben kann, auf deren Interessen ja die erwähnte frühe Schutzbe7. stimmung ausgerichtet war6 Diese Einrichtungen derPolis Lokroi Epizephyrioi wurden also zweifellos aus dem Mutterland mitgebracht. Tatsächlich setzt ja zumindest eines der„ Gesetze des Zaleukos“ die Existenz eines formalisierten Gesetzgebungsverfahren schon voraus, nämlich das (sicherlich altertümliche undvielleicht authentische) Gesetz über das Verfahren bei strittigerAuslegung und/oder Änderung geltender Gesetze.
Wannundauswelchem Anlaß diewenigen allem Anschein nach wirklich frühen Gesetze erlassen wurden, wenn sie denn als Bündel demZaleukos zugeschrieben werden dürfen, ist auchnurzuvermuten: Ineinem bereits erwähnten Fragment desAristoteles ist in diesem Zusammenhang von„schweren politischen Unruhen“dieRede6 8. Verfassung“von Lokroi EpizeSelbst inderantiken Tradition wurde die eigentliche „ phyrioi nicht auf denStiftungsakt eines Gesetzgebers, etwa des Zaleukos, zurückgeführt –schon Aristoteles rechnete ihnja ausdrücklich nurzuden„Nomotheten“ . Übrigens weiß er dann bezeichnenderweise noch nicht einmal eine typisch undcharakteristisch erscheinende Einzelheit ausderGesetzgebung desZaleukos zuberichten, wie er es bei fast allen anderen bloßen „ Gesetzgebern“ , die er hier „systematisch“behandelt, regelmäßig getan hat6
9.
nicht glauben will, daßes außer den „Tausend“ nocheine andere Versammlung gegeben habe. Vgl. auchWALBANK 1967, 363 (zuPolyb. 12,16,10); JEFFERY 1976, 75; BECK 1999 unddenAbs. LOKRIS. Polyb. 12,5,6ff. Vgl. dazu WALBANK 1967, 333ff. adloc. mit weiteren Nachweisen; ferner JEFFERY 1976, 75f. ηwar, als es von ν έ ρ α τ ίαε ὖμεμιγμ κ ρ τ ο ισ 40, wonach Lokroi eben keine ἀ Aristot.Pol. 1307a33– Dionysos übernommen wurde. Vgl. dazu OLDFATHER 1927, 1346; 1333f.; DUNBABIN 1948, 72. Vgl. denAbs. LOKRIS, auch zuMEIGGS/LEWIS Nr.20, Z.39f., sowie BECK 1999. Aristot.Pol. 1266b19ff. Siehe dazu oben im Text, ferner OLDFATHER 1927, 1346. Aristot.frg. 548ROSE (= Schol.Pind.Ol. 10,17i). Vgl. MÜHL 1929, 43 u.ö.; VANCOMPERNOLLE 1981, 766; siehe ferner auch DUNBABIN 1948, 69. Eher skeptisch zu derStelle: OLDFATHER 1927, 1319f. Pol.1274a22ff. Vgl. dazu DUNBABIN 1948, 72; OLDFATHER 1927, 1320; MÜHL1929, 48.
63 Vgl. auch OLDFATHER 1927, 1346, derzumindest 64 65
66 67 68 69
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
198
Diese Auffälligkeit bestätigt nurnoch einmal denEindruck, dendieAnalyse dereinzelnen überlieferten Daten schon erweckt hat: Nicht nurwarZaleukos, wenn er denn eine historische Gestalt des7. (oder auch des6.) Jahrhunderts gewesen sein sollte, keinesfalls der Schöpfer der institutionellen Ordnung von Lokroi Epizephyrioi, geschweige denn anderer großgriechischer Poleis. Zumindest aufderGrundlage desvorliegenden Materials läßt sich auch nicht nachweisen, daßes einen großen, systematischen „Code des Zaleukos“ , womöglich mit der geradezu „ideologischen“Zielsetzung einer „aristokratischen Nomothesie“ , gegeben hat–höchstens einige, vielleicht tatsächlich archaische Gesetze, die einem „Nomotheten“namens Zaleukos zugeschrieben wurden: Dazuzählen etwa die Vorschriften über Strafmaße, über Verträge, Eigentumstransaktionen unddaraus resultierende Streitigkeiten undüber dasformale Verfahren bei derÄnderung bzw. umstrittenen Interpretation vonSatzungen. Zaleukos undseine „ –wesentliche Pfeiler der Nomothesie“ Vorstellung von einer panhellenischen Welle von Gesetzgebungen –sind und bleiben äußerst schattenhaft. LYTTOS
Die frühesten epigraphischen Zeugnisse aus dieser anscheinend schon seit hocharsind nach chaischer Zeit bedeutenden Stadt imInneren Kretas südöstlich von Knossos1 Ansicht vonL. JEFFERY als Überreste eines „ code“aus der Mitte des 6. Jahrhunderts2 bzw. als Fragmente mehrerer etwas später zudatierender „Codes“anzusehen3 –undE. KIRSTEN hatdiese Inschriften sogar alsIndizien fürdieAnnahme inAnspruch genommen, wieandere Städte Kretas im5. Jahrhundert eine Kodifizierung des geltenden daßLyttos „ Rechts erlebt“habe4 . Wiein denmeisten anderen Fällen ist keines dieser Dokumente auch nur annähernd vollständig erhalten –undeinige Überreste lassen nicht einmal Vermutungen über ihren ursprünglichen Inhalt zu5. In denübrigen Zeugnissen sind auch nurwenige Wörter lesbar, dieaberimmerhin zuindizieren scheinen, daßdieTexte sich auf „öffentliche Angelegenheiten“derPolis undderBürgerschaft6 bzw. auf Recht, Gericht undVerfahren bezogenundzumTeil schon recht differenzierte Vorschriften enthalten zu haben scheinen7. 1 2
3 4
5
6
7
Vgl. dazu KIRSTEN 1940a, 429ff. JEFFERY 1961/1990, 310; 315 (Nr. 15) mit Tafel
60 zu ICret I,xviii,1. Vgl. bereits HAUSSOULLIER 1885, 5f. (Nr. 7); HALBHERR/COMPARETTI 1888a, 171f.; COMPARETTI 1893, 431f. (Nr. 201); SGDI 5090 undneuerdings GUARDUCCI 1967, 189 (Nr. 5), die dieses Zeugnis noch früher, in die erste Hälfte des 6. Jh., datiert; WHITLEY 1997, 653f.; 1998, 326. 7; SEG 35, 1985, 992 (zu 3B); KOERNER Nr. JEFFERY 1961/1990, 315 (Nr. 16) zu ICret I,xviii,2– 6). 99 (Nr. 2– 95– KIRSTEN 1940a, 430f. Ich lasse ICret I, xviii, 6 und7 außer Acht. [- bzw. ν τ ο ρ ιο α InCretI,xviii,2 sindvorallem nochdieWörter οσμίο[- in Z.3 einerseits undπ [ν ρ ιό π α zu 202) (Nr. 433 1893, νin Z.4 und5 lesbar; letztere sind vonCOMPARETTI τ α π ο λ ια ---ντω ᾶ νergänzt worden, was SGDI 5091 als Möglichkeit akzeptiert wurde: Die Zeilen müßτ ]π ο ια λ τ ν ῶ tensichdann aufkosmos und(die Anwesenheit aller?) Bürger beziehen; vgl. im Recht von Gortyn λ 14. Anders jetzt VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 11, die Z.5 ἀ 36; XI 11– ICret IV 72, Coll. X 35– . dannbezöge sichdieRegelung (auch) auf„Fremde“ ν ergänzen – λ ο ?]π ο λ ιά τ α σ τ α - zu In ICret I,xviii,3 (vgl. bereits COMPARETTI 1893, 438, Nr. 204), Z.2 ist vielleicht δ]ικα lesen. In ICret I,xviii, 5 (vgl. KOERNER Nr. 98 und bereits HALBHERR/COMPARETTI 1888, 172ff., Nr. 2; COMPARETTI 1893, 434ff., Nr. 203; SGDI 5092) finden sich Zahlen- bzw. Mengenangaben,
2. Dieeinzelnen Poleis
199
wenigen Fragmente bzw. ihre zu vermutenden Inhalte einen sachlichen Zusammenhang oder gar die geschlossene Ordnung undsystematische Breite einer „ Kodifikation“erkennen ließen. Es ist sogar denkbar, daßeines der Dokumente garkeine gesetzesförmliche Vorschrift imengeren Sinne, sondern ein Staatsvertrag ist8. Undüberhaupt sinddieInschriften aufjeden Fall zuganz verschiedenen Zeitenentstanden, wienachAusführung undBuchstabenformen eindeutig feststeht9 . Auf der anderen Seite sprechen nicht nur die gerade noch erkennbare sprachliche Form, sondern auch derCharakter derInschriftenträger für die Vermutung, daß es sich umechte „Gesetze“gehandelt haben dürfte: Es sind Blöcke oder Bruchstücke von Blökken, diein Mauern bzw. denWänden von(öffentlichen?) Gebäuden verbaut waren1 0.
Dasheißt jedoch keineswegs, daßdiese
Erst vor wenigen Jahren haben H. undM. VAN EFFENTERRE zwei weitere, erheblich besser erhaltene Inschriften ausLyttos veröffentlicht, dienicht nurals interessante Zeugnisse für die Geschichte dieser Polis amEnde des 6. Jahrhunderts, sondern auch als wichtige Dokumente archaischer Gesetzgebung im allgemeinen angesehen werden dürfen11. Diebeiden Inschriften sind eindeutig in dieZeit umoder kurz nach 500 zu datieren12. Sie befinden sich aufdengegenüberliegenden Längsseiten eines anscheinend sorgfältig bearbeiteten Blocks aus graublauem Kalkstein. DieZeugnisse bestehen aus mindestens 11 bzw. 14 Zeilen Text, boustrophedon geschrieben, in sehr regelmäßig undeinheitlich ausgeführten Buchstaben13. Nach Ansicht der Herausgeber besteht kaum ein Zweifel daran, daßdieser Block ursprünglich zueiner archaischen Tempelmauer gehörte –ansolcher Stelle wurden auch in anderen kretischen Poleis seit archaischer Zeit Gesetzestexte inschriftlich fixiert14. , also wohl denLyttiern“ Beide Inschriften enthalten normative Regelungen, dievon„ derVersammlung derLyttier, beschlossen worden waren: Ἔ ι–ähnliche ισ ίο τ κ ]α δ υ εΛ Formeln sindja auch sonst bezeugt15. Dieeine Regelung (Inschrift A) enthält das Verbot, denἀ λ λ ο π ο λ ιᾶ τ α ι, „Bürgern anderer Poleis“ , dasheißt: Fremden undwohl auch bereits diemöglicherweise Summen, Strafmaße oder Bußen bezeichneten (Z.2), sowie derBegriff μαιτυρ--essoll rechtens“oder „Recht“sein, (Z.18): „ [ν ε α ίο ν (Z.10), also Zeuge(n), unddieWendung δι]κ ςἦμ die beide auch im Recht vonGortyn vorkommen (ICret IV 72, z.B. Coll. I 21; 41; II 28ff; III 44ff.; 7). Vgl. dazu noch HAUSSOULLIER 1885, 4f.; BUECHELER 1886, IX 33ff.; X 32; XI 26ff. bzw. IX 6– 310; WILLETTS 1967 adlocum. So KIRSTEN selbst (1940a, 431). Vgl. JEFFERY 1961/1990, 313f. zu ICret I,xviii,1; vgl. ferner KIRSTEN 1940a, 431 zu ICret I,xviii,4, sowie H.COLLITZ undF.BECHTEL zu SGDI 5092 (= ICret I,xviii,5). 10 Vgl. JEFFERY 1961/1990, 310; Tafel 60. 11 VANEFFENTERRE 1985a mit Abbildungen, ausführlicher epigraphischer Analyse, Überlegungen zu Dialekt, Syntax, sowie Kommentar, Interpretation und historischer Einordnung; vgl. auch VAN EFFENTERRE 1985b; SEG 35 (1985) 991, ferner neuerdings VAN EFFENTERRE 1989; A. JOHNSTON, 88; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 12 mit weitein: JEFFERY 1961/1990, 468 (F); KOERNER Nr. 87–
8
9
ren Nachweisen. Die Existenz dieser Inschriften war schon durch eine Notiz von N. PLATON, 535 bekannt (vgl. VANEFFENTERRE 1985a, 157; 1985b, 247). 4, 1950, 534– ά ν ρ ικ ο Χ ά ικ τ η ρ Κ
VANEFFENTERRE 1985a, 164ff.; 1985b, 247; A. JOHNSTON, ebda. VANEFFENTERRE 1985a, 157ff. 14 VANEFFENTERRE 1985a, 160. Vgl. auch dieAbs. Axos; DREROS; GORTYN. 15 Inschrift A, Z.1; B Z.1. Vgl. etwa ICret IV 78, Z.1 (vgl. bereits COMPARETTI 1893, 73ff., Nr. 148; SGDI 4982) ausGortyn (5. Jh.). Siehe dazu VANEFFENTERRE 1985a, 177. Vgl. auch die Abschnitte
12 13
DREROS; GORTYN.
200
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
in Lyttos ansässigen Nicht-Bürgern, (weiterhin) Aufenthalt zu gewähren16. Nach Ansicht derHerausgeber handelt essich umeine Maßnahme, diemitderfür Sparta immer wieder bezeugten ξ η λ ε α ν σ ία zuvergleichen ist17. Dieses Verbot wird einerseits durch zwei genau definierte Ausnahmeregelungen eingeschränkt und andererseits durch besondere Strafandrohungen eingeschärft. Zwar ist jedem Lyttier dieAufnahme (und weitere Unterbringung) von Fremden verboten –es sei denn, daßentweder „ erselbst Herr“waroderessichumdie Ἰτά ν ιο ιhandelte: Nach Ansicht derHerausgeber waren also einerseits Sklaven undandere Personen in verschiedenen personenrechtlichen Abhängigkeitsverhältnissen18 und andererseits eine besondere groupe civique“ „ , möglicherweise inLyttos aufgenommene Flüchtlinge ausdemostkretischen Itanos, von dieser ξ η λ ε ν α σ ίαausdrücklich ausgenommen19. Unmittelbar im Anschluß daran findet sich eine ebenso spezifische, vielleicht verschärfte Strafandrohung gegen den(amtierenden) Kosmos unddenἀ μ ο , womit ein nicht mehr amtierenπ ς ό κ ο σ der, ehemaliger kosmos gemeint sein dürfte20: ImFalle derVerletzung dereingangs nie21–anscheinend eine nicht unbedergelegten Vorschrift soll derBetreffende 100 λ η τε ς έβ trächtliche Buße –für jeden einzelnen widerrechtlich untergebrachten ἀ ο λ λ π ο λ ιά α τ ς zahlen. Dabei wurde für die Eintreibung dieser Strafe vielleicht ein bestimmtes Exekutionsverfahren vorgeschrieben, das demattischen Rechtsinstitut der δ ηἐξού η ςverλ ίκ gleichbar gewesen sein könnte; dazuwird auf eine wohl bereits bestehende formale Vorschrift oder Verfahrensregel, womöglich einfrüheres Gesetz, verwiesen22. In denfolgendenZeilen, dieleider erheblich stärker beschädigt sindalsderAnfang desTextes, werden besondere Magistrate genannt, die möglicherweise mitderKontrolle der Einhaltung des Gesetzes bzw. der tatsächlichen Durchführung der Vorschrift oder der Eintreibung der Strafen betraut waren23.
16 VANEFFENTERRE 1985a, 172ff.; 179ff.; 1985b, 247ff.; 1989, 26f. 17 Vgl. Thuk. 1,144,2; 2,39,1; Aristoph.Av. 1013– 16; Xen.Lak.Pol. 14,4; Theopomp, FGrHist 115 F 178 (= Schol.Aristoph.Av. 1013); Plat.Prot. 342C; Plut.Lyk. 27,3f. Vgl. auch noch Aristot.Pol. 1272b17f.; Plat.Leg. 950A-B. Vgl. VANEFFENTERRE 1985a, 179; 181 u.ö.; 1985b, 247; 249. Vgl. aber denKommentar bei KOERNER Nr. 87, sowie diekritische Beurteilung derXenelasie-Tradition bei REBENICH 1998, 336ff.; 347ff. : ς 18 So VANEFFENTERRE 1985a, 173f; 179f.; 180 Anm. 78 (zu κρα τέ ); 1985b, 256. Zu den οίκεε ω Vgl. ICret I,xviii,5. 19 So VANEFFENTERRE 1985a, 173f.; 180 u.ö.; 1985b, 253; 256. 20
21
κ ο σ π ό VAN EFFENTERRE 1985a, 174; 1985b, 253 (gegen MANGANARO 1966, 11ff., bes. 16, der ἀ μ ο ςals „designierten Kosmos“versteht. In Kreta bestand nach Aristot.Pol. 1272a34f. derRat aus ehemaligen kosmoi. Vgl. zudieser kretischen „Münzeinheit“ , dieinvielen Gesetzen des7. und6. Jh. aus Gortyn immer wieder genannt wird (z.B. ICret IV 1 (3d-f); 5 (2a-b); 8 (e-f); 10 (f-h); 14; 21): VANEFFENTERRE
1985a, 175 Anm.75; 1985b, 250; 254. Vgl. denAbs. GORTYN.
όzu ergänzen ist; vgl. π ,ἐ ό ξoder ὑ π 22 A Z. 6: [..ἐ ]ωλ ᾶ δ ᾶ ςα ς , wobei amAnfang derZeile wohl ἀ ᾶ ς–Genitiv von δ VANEFFENTERRE 1985a, 167f.; 175; SEG 35 (1985) 991 (S. 267 zu Z.6). Zu α )=ἅ δ ε *ἄδα= (*)αδο δ ο ς(vgl. dazu Syll.3 45, Z. 19; IG XII 8, 263; ς(vgl. auch die Formel ἔα : μ α η (ἄ Z. 7; Hesych. s.v. ἄ δ δ ο μ ) –im Sinne von „Beschluß“oder auch „Gesetz“ α ή μ φ ς α , δόγ ισ ·ψ VANEFFENTERRE 1985a, 168; 1985b, 253; 1989, 24; Koerner, S. 329 (zu Nr. 87). Ob man hier bes) α ser ω ῆ δ ο ᾶ ς υ λ λ ὰ ςlesen sollte (soJ. CHADWICK nach SEG 37, 1987, 752), kann ich nicht ς(β entscheiden.
23 A Z. 8: Das hapax ο ἱ ἐσζικαιω ρ ε ςist nach den Herausgebern „une forme dialectale“von τῆ ε quidevrait signifier «remettre les choses dans leur ρ , „dérivée d’unverbe *ἐ ς α ιό ω κ δικ τῆ ιω α δικ κ *ἐ
2. Dieeinzelnen Poleis
201
Der andere Text (Inschrift B) ist demgegenüber von ganz anderer Art24. Er enthält 26des spezifische undsehrkonkrete Regelungen überdieκ 25unddie σύνκρισις ο ιν α ω ν ία Groß- undKleinviehs sowie derSäue undbezeichnet diejenigen Gebiete undderen Grenzen, indenen Sammlung undAuftrieb desViehs auf Gemeindeweiden stattzufinden hatte; diese Grenzen werden durch genaue Ortsangaben, Wege und Markierungen detailliert festgelegt. Anlaß, Umstände undZiel dieser Maßnahme undderanderen Vorschrift sind kaum zu klären –dazu ist viel zu wenig über die Verhältnisse im Lyttos der spätarchaischen Zeit bekannt. DieHerausgeber haben verschiedene Möglichkeiten einer historischen Interpretation erwogen27 undeinige vorsichtige undvorläufige Überlegungen vorgetragen28, aufdie in diesem Zusammenhang wenigstens hingewiesen werden soll; denn diese Hypothese gehtdavon aus, daßbeide Gesetze aufeinander bezogen waren. Danach stellt die Maßnahme der Inschrift B eine durch wachsende soziale Spannungen verursachte Reaktion derPolis als Ganzer bzw. breiterer Schichten der„ citoyens-soldats“von wieauch sonst in Griechenland –zurMonopoliLyttos gegen eine Aristokratie dar,die– sierung dereinzigen produktiven undpotentiell vermehrbaren Ressourcen, nämlich der Herden, unddamit des (Weide-)Landes tendierte –was ja etwa im archaischen Megara sogar zurAbschlachtung desViehs derε ὔ π ρ ο ιdurch die„armen Bauern“unter Führung ο eines aristokratischen Tyrannisaspiranten geführt habe29. Letztlich habe diese Maßnahme sogar auf die Umkehr dieses Prozesses, nämlich die Rückkehr zu einer traditionellen Weise der Bewirtschaftung von Vieh undWeide gezielt, einem System der „troupeaux communautaires“ , dasdiePolis in Kreta vondenminoischen undmykenischen Königen undderuralten Ordnung der „troupeaux royales“gewissermaßen geerbt habe30. Das Gesetz derInschrift A habe danach eine wesentliche Ergänzung dieser Reaktion gegen den Auf- undAusbau dergesellschaftlichen undwirtschaftlichen Übermacht der Aristokratie auf Kosten der Polis als traditioneller Solidargemeinschaft dargestellt. Es habe sich ja nicht gegen Fremde schlechthin –ξ έ ν ιο ιgab es schließlich auch in Kreta überall, wie endgültig
où «venger», «punir»“ : VANEFFENTERRE 1985b, 251 Anm.2; vgl. 254; vgl. 1985a, état de droit», d’ 168f.; 175f.; 1989 passim; SEG 35 (1985) 991 (S. 267 zu Z.8). 24 VANEFFENTERRE 1985a, 182ff.; 1985b, 254; 256f. 25 Vgl. zuBedeutung desBegriffs als„ la mise encommun“ : VANEFFENTERRE 1985b, 254; vgl. 1989a, 183.
26 Vgl. zur Bedeutung des Begriffs als „ : VANEFFENTERRE un rassemblement d’animaux domestiques“ 1985a, 182; 183 Anm.100. 27 Vgl. VANEFFENTERRE 1985a, 180f., wonach die ξεν η λ α σ ίαsich gegen Söldner gerichtet haben pour constituer desmilices privées, premier pas vers könnte, dienachLyttos gerufen worden waren „ l’ ; oderes könnte sich umeine aufaristokratischen Aufwand undimporunetyrannie“ établissement d’ spécialistes“–das tierten Luxus zielende Maßnahme gehandelt haben, die sich dann gegen fremde „ –gerichtet habe, diees in der hommes demétiers, artisans oucommerçants“ heißt, jene wandernden „ α η λ σ ίαhätte dann ν ε zweiten Hälfte des 6. Jh. überall in dergriechischen Welt gegeben habe –die ξ auf dergleichen „reaktionären Linie“gelegen wie Solons Luxusgesetze und Perianders Verbot des Erwerbs vonSklaven. Diese These seiallerdings schon deswegen problematisch, weil archäologische entmutigender Armut“seien undkeine VerZeugnisse ausdem6. und5. Jh. ausKreta generell von„ änderungen desNiveaus dermateriellen Kultur erkennen ließen (181). 28 1985a, 182ff; 1985b, 254; 256f. 29 Aristot.Pol. 1305a24– 26; vgl. VANEFFENTERRE 1985a, 184; 1985b, 256. 30 VANEFFENTERRE 1985a, 185; 1985b, 256f. unter Verweis auf Aristot.Pol. 1272a16ff.
202
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
anscheinend dieἸτ ά ν ιο ιinLyttos31 –und(notgedrungen) auch nicht gegen Sklaven und sonstige Abhängige gerichtet. Es ging ausdrücklich undganz konkret nurumdie ἀ λ λ ο π ο λ ιᾶ τ α ι-jene in Lyttos bereits ansässigen Fremden auseiner anderen Polis (und/oder Zuwanderer und„ Rückkehrer“ ?), dienicht nurohne denSchutz desPolitenstatus waren, sondern überhaupt außerhalb destraditionellen sozialen Gefüges standen unddieses Gefüge aus demohnehin prekären Gleichgewicht zu bringen drohten. Denn gerade durch ihre schutz- undrechtlose Lage hätten diese ἀ ιjenes Reservoir an Arbeitsα τ ιᾶ λ ο π λ ο λ kräften gebildet, das die Aristokratie ökonomisch wie politisch für die neue, intensive Vieh- undWeidewirtschaft unddie„Privatisierung“derRessourcen nutzen undsogar als private Klientelen“ansich binden konnte32. „ EinGesetz mitdemZiel, dieser Tendenz durch dieEntfernung derἀ λ λ ο π ο λ ιᾶ τ α ιdie Grundlage zu entziehen, wäre demnach geradezu die natürliche Ergänzung derRückführung von Vieh undWeiden in denBesitz derPolis gewesen –undumgekehrt. Zugleich würde damit erklärlich, warum in demGesetz besondere Sanktionen gegen amtierende undsogar nochalle ehemaligen kosmoi, diegegen dieVorschrift (womöglich hartnäckig) verstießen, fixiert undanscheinend besonders eingeschärft wurden: Diekosmoi waren als (höchste) Magistrate derPolis ihrerseits zugleich Repräsentanten jener Aristokratie, gegen deren gesellschaftliche undwirtschaftliche Interessen eben diese Polis nunoffen undmit einiger Härte vorging33. Wie immer mandiese offensichtlich hypothetischen Überlegungen auch beurteilen 4: mag3 Sie haben in vieler Hinsicht einen gewissen Grad anPlausibilität. Aufjeden Fall dürfte daran richtig sein, daßbeide Gesetze (ob sie nunauf diese oder eine andere Art oder gar nicht aufeinander bezogen waren) ganz spezifische Sachverhalte, Regeln und genau definierte Tatbestände auf eine Weise regelten, die sie eindeutig als situationsgebundene Reaktionen auf konkrete Erfordernisse unddrängende Probleme erscheinen lassen–unddiese Probleme könnten durchaus in sozialen Spannungen in Folge von Ressourcenknappheit oder-umverteilung bestanden haben. Dabei setzt dasGesetz vonInschrift A zugleich eine ausgebaute institutionelle StrukturvonVersammlung, kosmoi undanderen Funktionsträgern sowie einen Mindestgrad an formalisierter Interaktion zwischen ihnen voraus –undes scheint tatsächlich eine gewisse Spannung zwischen kosmoi undVersammlung zuverraten. Auch hates offenbar schon vor 500 in Lyttos ein formalisiertes Gesetzgebungsverfahren gegeben, in dem der zu vermutende ν μ ο ό ςἐξού η ςverabschiedet worden sein muß. λ
31
VAN EFFENTERRE 1985a, 179f.; 1985b, 251.
32 VANEFFENTERRE 1985a, 184ff.; 188; 1985b, 256 unter den ἀ λ λ ο π λ α ο τ ιᾶ ιauch den Abs. ELEUTHERNA.
Verweis
102. Vgl. zu auf Hom.Od. 14,100–
33 VANEFFENTERRE 1985a, 177f.; 180; 1985b, 253f.; 256 (unter Hinweis auf Aristot.Pol. 1272a34 undb5), wo(m.E. eher irreführend) voneiner „classe descosmes“als einer (durch die„AmtsfähigBeamtenvergehen“ keit“ groupe sociale“dieRede ist. Vgl. zurAhndung von „ geradezu definierten) „ alsGegenstand archaischer Gesetzgebung generell: KOERNER 1987b, sowie denAbsatz DREROS. 34 Dagegen KOERNER, S.331f. (zu Nr. 88), vgl. S. 328f. (zu Nr.87).
2. Die einzelnen Poleis
203
MANTITNEIA
Derinder späteren Überlieferung als νομ ο θ η έ ςvon Mantineia bezeichnete Nikodoτ ros1, der einerseits mitdemals Atheisten berüchtigten Diagoras von Melos in engen Zusammenhang gebracht undandererseits mitSolon verglichen wurde2 unddessen Gesetze anscheinend die Grundlage für das Ansehen der Mantineer bildeten, die später als μ ώ τ α τ ν ο ο ὐ ι galten3, gehört nicht zum Kreis der großen Gesetzgeber der archaischen ε Zeit: Ihm wird allgemein jene als „ Ver(gemäßigt) demokratisch“ charakterisierte „ fassungsreform“zugeschrieben, die erst in die Jahre zwischen 425 und 423 zu datieren sei4 unddie mitderbei Aristoteles kurz erwähnten „älteren Ordnung“in Mantineia identisch gewesen sein soll5 –allerdings gibt es für diese Gleichsetzung keine expliziten und zuverlässigen Belege inderantiken Überlieferung.
Ausdemarchaischen Mantineia gibt es wiederum nur ein isoliertes epigraphisches Zeugnis für gesetzgeberische Aktivitäten. Es handelt sich um einen sehr fragmentarisch erhaltenen Text, dernurmitgroßen Vorbehalten alseine lexsacra definiert werden kann6 . Die Inschrift ist boustrophedon ausgeführt undgehört wohl in das 6. Jahrhundert7. Sie war auf demSchaft bzw. einer Trommel einer dorischen Säule aus weißem Marmor angebracht unddürfte also aneinem Tempel ausgestellt gewesen sein. Wiegesagt, bieten diekurzen Bruchstücke der Inschrift, diejeweils nuraus wenigen undzumTeil noch unvollständigen Wörtern bestehen, leider noch nicht einmal sichere Anhaltspunkte hinsichtlich des konkreten Gegenstandes bzw. der Gegenstände des Textes. Es mußsich umdie Regelung wichtiger „öffentlicher“(vielleicht Kulte oder TempelundPolisbesitz betreffender) Angelegenheiten gehandelt haben, wiedurch die Erwähnung ί ο γ ρ ιο vonδᾶ μ ο μ ία ιundder δαμ ςundδα α μ ό σ ια einerseits undhoher Magistrate, der τ andererseits gesichert erscheint8 – die letzteren waren ja zumindest im 5. und 4. Jahrhundert wichtige, vielleicht diewichtigsten Beamten in Mantineia selbst9 und in
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Ael.var.hist. 2,23; Eustath.ad. Hom.Od. 1860, 52f. Ael.var.hist. ebda. Vgl. das Gedicht des Diagoras (frg.1 = 738PAGE; Sext.Emp. 9,53); s.dazu WELLMAN 1903, 310; BÖLTE 1930, 1320. Ael.var.hist. ebda.; Eustath. ebda.; Polyb. 6,43,1. Vgl. FOUGÈRES 1898, 336f. mit weiteren Nachweisen; BÖLTE 1930, 1320; MEYER 1969, 977. Vgl. FOUGÈRES 1898, 336; 381f.; 534; zustimmend etwa BÖLTE 1930, 1319f.; MEYER 1969, 977; GEHRKE 1985, 102 mit Anm. 3 (102f.). Pol. 1318b23ff.; sowie Thuk. 5,29,1. Vgl. dazu FOUGÈRES 1898, 381f; BÖLTE 1930, 1320; MEYER 1969, 977 undneuerdings GEHRKE 1985, 101ff.; ROBINSON 1997, 113f.
?). Vgl. Blutrecht“ KOERNER Nr. 33; IPArk Nr. 7 („ p. 106. Vgl. zurBezeichnung desTextes als lex sacra
IG V 2, 261; DGE 661g; SEG 11 (1954) 1086;
zuerst FOUGÈRES 1892, 576ff., ferner IIGA, JEFFERY 1961/1990, 214.
Vgl. allerdings füreine spätere Datierung JEFFERY 1961/1990, 216 (Nr. 28), ferner 55. IG V 2, 261, Z. 3,11 u.19 bzw. Z. 7,9, u. 12. Siehe vor allem die Formel in demThuk. 5,47,1ff. (vgl. IG I286 = I383) erwähnten Vertrag zwiρ ιἀ α λ ἱἄλ α ὴκ ὶα υ λ α γ ὶἡβο ο ὶκ ρ schen Athen, Argos undMantineia undElis, wo47,9 ο ιο υ ἱδημ
α χ ίgenannt werden; vgl. GOMME/ANDREWES/DOVER ad loc. ferner FOUGÈRES 1898, 335; 339, der das„Kollegium derDemiurgen“als„ leschefs desdèmes“vordemSynoikismos undauchspäter noch les autorités supérieures“definiert. als„
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
204
anderen arkadischen Städten10. Es ist allerdings nicht mehr als eine vage Vermutung, daß dieser Text vielleicht analoge Bestimmungen zudembekannten (erheblich später, nämlich in dasfrühe 4. Jahrhundert zudatierenden) Tempelgesetz aus Tegea enthielt1 1, das einerseits bestimmte, genau definierte Weiderechte für Priester auf Tempelland festlegte und andererseits (damit anscheinend nurindirekt verbundene) Strafbestimmungen für besondere Delikte sowie Regelungen für Markt- undFesttage enthielt1 2: Diese Hypothese kann sich bestenfalls aufeinige wenige ähnliche Formeln bzw. Wendungen in denbeiden Dokumenten stützen13. Möglicherweise enthielt die Inschrift aus Mantineia aber tatsächlich ebenfalls Sanktions- bzw. Strafvorschriften, die sich gegen Verletzungen oder Abweichungen von den 4 dort fixierten Regelungen gerichtet haben mögen1 –eine solche Vorschrift findet sich jedenfalls in denprozeßrechtlichen Regeln, die in demebenfalls inschriftlich erhaltenen Urteil über die Morde imHeiligtum der(Athena) Alea zitiert werden. Diese Regeln sind 5. wohl Teil eines Gesetzes, das in die Zeit um 460 zu datieren sein dürfte1 Ob zu dem frühen Gesetz auch eine Bestimmung über falsche Zeugenaussagen gehörte, mußaller6 dings wiederum dahingestellt bleiben . Auch in diesem Fall macht allein schon die Art der Anbringung dieser Inschrift es höchst unwahrscheinlich, daß es sich um das Fragment eines sehr umfangreichen , gehandelt haben kann – , womöglich sogar eine größere „Kodifikation“ „ Rechtstextes“ auf dieser Säule wird vielmehr, wie in anderen Poleis auch, eine bestimmte, an den Ort derPublikation gehörende unddarauf bezogene Einzelmaßnahme fixiert worden sein. MASSALIA
Dieblühende Polis Massalia, dieum600 vonKolonisten aus demionischen Phokaia gegründet worden warundsich schon bald zu einem wichtigen, auch politisch und militärisch bedeutenden Zentrum des Handels imwestlichen Mittelmeer entwickelt hatte1, galt
ιο γ ρ υ ό ς . Siehe dazu generell 10 Vgl. Hesych. s.v. δημ
BUSOLT
1920, 505ff.; MURAKAWA 1957, 393;
JEFFERY 1973–1974, 328f.
FOUGÉRES 1892, 579. Vgl. denText des Gesetzes vonTegea: BÉRARD 1889; IIGA, p.107, 13; IG V 2, 3; PROTT/ZIEHEN 62; DGE 654; BUCK 1955, Nr. 18; LSCG 67 mit weiterer Literatur. 12 Z.1– 20 bzw. 21ff. und26ff. Vgl. dazuBÉRARD 1889, 268ff.; VOLLGRAFF 1946, 617ff.; BUCK1955, Nr. 18 (bes. 200f.) : FOUGÈRES 1892, 578. ν ο 13 Vorallem geht es umdieWendung iv δᾶμ ... ὴ ἰδ ὲμ 14 Darauf könnte die in Z.8 und10 (?) einigermaßen zuverlässig zu ergänzende Wendung ε
11
hindeuten.
15 IG V 2, 262; KOERNER Nr. 34; VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 2; IPArk Nr. 8, jeweils mit Kommentar undweiteren Nachweisen. 16 So FOUGÈRES 1892, 579 zu IG V 2, 261, Z.17ff. 1
Vgl. zur Gründung und zu den Gründungslegenden –Thuk. 1,13,6; Aristot.frg. 549ROSE (= Athen. 13,576A-B); Timaios FGrHist 566 F 71 (= Ps.-Skymn. 209ff., GGM I, S. 204); F 72 (= Steph.Byz. s.v. Μ α σ σ α λ ία ); Ps.-Skymn. 206ff.; 247ff. (GGM I, S. 204; 206); Liv. 5,34,8 unddazu OGILVIE 1965/1970, 711f. ad loc.: BUSOLT 1893, 432ff.; CLERC 1927, 115ff.; WACKERNAGEL 1930, 2130ff.; BÉRARD 1957, 267ff.; HUXLEY 1966a, 71f.; MOREL 1975, 866 mit Anm. 46, GEHRKE 1986, 174f.; MALKIN 1987, 69ff. mit weiteren Nachweisen. Vgl. zur Frühgeschichte von Marseille und zur Entwicklung des Handels etwa CLAVEL-LÉVEQUE 1974, 856ff.; 886ff., sowie den For-
2. Dieeinzelnen
Poleis
205
in derantiken Tradition als vorbildlich wegen derDauerhaftigkeit, inneren Stabilität und Ausgewogenheit ihrer „ oligarchischen“Verfassung: Immer wieder –undnoch imersten Jahrhundert v. Chr. –wurde hervorgehoben, wie „ wohlgeordnet“undwirklich „ aristokratisch“diese „ Verfassung“und die in ihr geltenden Gesetze waren2. Für Aristoteles stellte zumindest die voll entwickelte Ordnung in Massalia eine „ gemäßigte“ ο λ ι, einer π τ Oligarchie“dar, inderneueMänner nach Verdienst undWürdigkeit in das ε ία ähnliche „ π ο λ aufgenommen wurden3 . ίτε α μ υ
In diesem Zusammenhang wird in einigen späteren Quellen eigens erwähnt, daß in ionischen Gesetze“galten, die dort auch öffentlich auf- undausgestellt geMassalia die„ wesen seien4. Außerdem wurden die archaische Einfachheit undexemplarische Strenge deralten Sitten undRegeln hervorgehoben, diemanauchspäter noch–sogar „ in minimis rebus“–unverändert beibehalten habe und auch genau und konsequent anzuwenden pflegte5. Aus diesen Notizen hat manauf die Existenz eines großen, „ Zivilrecht“und „ Strafrecht“umfassenden archaischen „ Gesetzescodes“geschlossen, der sich als spezifisch „ ionischer Code“ vondenGesetzgebungen aufKreta einerseits unddem„lokrischen Code“des Zaleukos unddem„ chalkidisch-ionischen Code“des Charondas für Katane andererseits nicht nurimDialekt, sondern auchhinsichtlich desgrundsätzlichen Konzepts von„Gesetz undRecht“unterschieden haben müsse6 . Zudiesem „Code“sollen nicht nurdie einzelnen „Gesetze“miteinem breiten Spektrum ganz unterschiedlicher Regelungen gehört haben, die Valerius Maximus in der folgenden Reihenfolge überliefert7: Erstens habe derGrundsatz gegolten, daßderdominus die Freilassung desselben Sklaven dreimal rückgängig machen konnte, wenn derihnjedes Mal betrogen hatte –dasgaltjedoch nicht mehr beim vierten Mal, weil der Herr dann selbst die Schuld an seinem Schaden trug8 . Anstößige und frivole Schauspiele (mimi) seien wegen ihres schädlichen, korrumpierenden Einflusses ebenso verpönt gewesen wie falsche undverführerische religiöse Lehren; undjenen, dieetwa unter demVorwand solcher Lehren einAuskommen ohneArbeit suchten, seien dieTore verschlossen gewesen9. Hinrichtungen sollen durch Enthauptung mitebenjenem Schwert vollstreckt worden sein, daß seit Gründung derStadt dazu bestimmt gewesen und mittlerweile durch Rost zerfressen undkaum noch für seinen Zweck geeignet sei10. Nach Valerius Maximus waren auch
2
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schungsbericht MOREL 1975, 873ff. unddieBeiträge in: Marseille grecque et la Gaule, hrsg. von M. BATSet al., Aix-en-Provence 1992, mitweiteren Nachweisen. .; vgl. ακτλ α τ τ Strab. 4,1,5: Δ νεὐνομώ ω τ ν ά ιο ιπ α ικ ο τ ν ῦ τ α ιῶ ιδ λ α σ σ α ῶ ἱΜ ςο ᾽ἀριστοκρατικ Cic.Flacc. 25,63, wodie „gravitas“und„disciplina“dieser „civitas“hervorgehoben werden, dieüber , ferner, allerinstituta“verfüge undeben vor allem „ vorbildliche „ optimatium consilio gubernatur“ dings zurückhaltender, Cic.rep. 1,27,43 und28,44. Vgl. noch Val.Max. 2,6,7. .... ία ρ χ α οἡὀλιγ ε τ Aristot.Pol. 1321a29ff., vgl. a26ff. sowie 1305b10:... π ρ αἐγέν τ ω έ ο λ ιτικ Strab. 4,1,5: ο . μ ἱδ ο ιἸω ρ ὲνό κ ό ν ειν ικ ο τ ί, π α ὲδημοσίςίᾳ ιδ omnia antiquae Val.Max. 2,6,7, der die „ prisci moris observantia“in Massalia betont, wo man „ , etc. eadem civitas severitatis custos accerima est“ bewahrt habe: „ consuetudinis monumenta“ JEFFERY 1961/1990, 287; 1976, 43f. Vgl. CLERC 1927, 438, vgl. 434ff. Siehe zu denEinzelheiten außerdem WACKERNAGEL 1930, 2140f.
Val.Max. 2,6,7 und9. Vgl. dazu CLERC 1927, 435; WACKERNAGEL 1930, 2140f. 9 Vgl. CLERC 1927, 441ff. (allerdings doch recht spekulativ); WACKERNAGEL 1930, 2141; JEFFERY 1976, 44. 10 Vgl. dazu CLERC 1927, 435; WACKERNAGEL 1930, 2141; JEFFERY 1976, 44.
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III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
206
Begräbnisse, ihr (möglichst unspektakulärer) Ablauf unddie Begrenzung der Trauerzeit genauen Vorschriften unterworfen, die ähnlichen Regelungen in anderen Städten, etwa 1. denjenigen Solons, vergleichbar gewesen sein könnten1 Sodann warangeblich normativ festgelegt, daßderRatder600 nach Prüfung undunter bestimmten Bedingungen einem Bürger denSelbstmord formell erlauben konnte –zudiesem Zweck soll dieStadt sogar Gift aufbewahrt haben12. Undschließlich erwähnt Valerius Maximus auch noch das Verbot, das sich anscheinend vor allem anFremde richtete, die Stadt mit Waffen zu betreten13.
Zudiesem archaischen „Code“vonMassalia werden dann auch noch (explizit oder zumindest implizit)14, jene bei Strabon erhaltenen Vorschriften gerechnet, wonach die Mitgift einer Braut 100 Goldstücke, zuzüglich weiterer fünf für Kleidung undnoch einmalfünf für Schmuck, nicht überschreiten durfte –Vorschriften, diewiederum denjenigenanderer Poleis entsprochen haben sollen15. Undzuletzt habe es auch in Massalia – wiein Milet undaufKeos–einen νό μ ο ςgegeben, derdenFrauen dasTrinken vonWasservorschrieb, ihnen also denGenuß vonWeinverbot16. Bezeichnenderweise ist diezuletzt genannte Regelung tatsächlich die einzige, die in den(wie gesagt, sowieso sehrviel späteren) Quellen überhaupt einmal als νό μ ο ςbezeichnet wird –undgerade bei diesem „Gesetz“bestehen einige Zweifel daran, ob es sich wirklich umeine positiv fixierte, also „ kodifizierte“Normodernurumeine gesellschaftliche Sitte handelte. Das gilt sicherlich auch für das Verfahren der Hinrichtung mit dem
rostigen Schwert: Wenn diese Nachricht überhaupt einen authentischen Kern enthält, dürfte es sich umeine ungeschriebene, gewissermaßen „ archaisierende“Regel gehandelt haben. Vielleicht handelt essich dabei aberauch überhaupt nurumein exemplum für das moralisch besonders lobenswerte Beharren aufaltertümlicher Strenge undfür die Wirksamkeit der Abschreckung, da das Schwert offenbar nicht benutzt werden mußte. Als historische Information istdasaberwohlvoneherzweifelhaftem Wert. Selbst wenn es sich bei denübrigen „Gesetzen“tatsächlich umpositives Recht handeln sollte undeinige dieser Vorschriften (wie etwa die Regelung des Ablaufs von Begräbnissen unddie Beschränkung der Mitgift) bis in das 6. Jahrhundert zurückreichen könnten, ist damit keineswegs gesagt, dassie alle zurgleichen Zeit entstanden sind: Die Regelung überdieFreilassung vonSklaven scheint jedenfalls jünger zusein. Schon daher ist unwahrscheinlich, daßdiese „Gesetze“gewissermaßen unselbständige Teile im RahCLERC 1927, 440, unter Hinweis auf Plut.Solon 21,6 = RUSCHENBUSCH 1966, F 72c; siehe auch F 72a = Cic.leg. 2,25,63f.; F 72b = Cic.leg. 2,23,59 unddazu ENGELS 1998, 68ff. 12 Vgl. dazu CLERC 1927, 435f., dessen Überlegungen wiederum etwas spekulativ erscheinen, WACKERNAGEL 1930, 2141. 13 2,7,9. Vgl. dazu CLERC 1927, 439, der diese Bestimmung mit demangeblichen Verbot desCharondas(bzw. desDiokles), bewaffnet in derVolksversammlung zu erscheinen, vergleicht; bei diesem Verbot, andessen Geschichtlichkeit ohnehin gezweifelt werden muß, geht es jedoch umdeninneren
11 Vgl. wiederum
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Frieden der Polis. Vgl die Abs. KATANE; SYRAKUS. CLERC 1927, 440; JEFFERY 1961/1990, 287; vgl. auch WACKERNAGEL 1930, 2141. Strab. 4,1,5. Vgl. dazu ASHERI 1963, 14 unter Hinweis auf Plut.Solon 20,6 = RUSCHENBUSCH 1966, F 71; ferner CLERC 1927, 435; WACKERNAGEL 1930, 2141. Theophrast frg. 117WIMMER = SZEGEDY-MASZAK 1981, App.IB, S. 89 (= Ael.var.hist. 2,38; ATHEN. 10, 429A-B). Vgl. dazuCLERC 1927, 440; WACKERNAGEL 1930, 2141. Siehe dazu auch den Abs. KOS.
2. Dieeinzelnen
Poleis
207
mendesgrößeren Ganzen einer umfassenden Kodifikation gewesen sein können –selbst wenndie(ja keineswegs bewiesene) Vermutung richtig ist, daßwenigstens die eine oder andere von diesen Normen zudenbei Strabon erwähnten öffentlich ausgestellten „ ionischen Gesetzen“gehörte: Auch dergroße „ Code“vonGortyn war nicht die schriftliche Fixierung einer unoactu geschaffenen, systematisch undumfassend angelegten „ Kodifi-
kation
“
17.
Noch unwahrscheinlicher ist schließlich, daß die von Strabon erwähnten „ionischen Gesetze“einen archaischen „ Code“darstellten, dernach moderner Ansicht sogar konstitutive „ Verfassungsgesetze“über die zentralen Institutionen der massalischen „ Oligarchie“enthalten haben soll18. Diese Institutionen hatte Strabon zuvor kurz in wenigen Sätzen skizziert: Danach bestand der„ Rat“ (σ υ ν ) der600 aus Mitgliedern, dieauf έ ιο ν δρ Lebenszeit bestellt waren undτιμ ο ῦ χ ο ιgenannt wurden; dietäglichen Geschäfte besorgte einAusschuß der „Fünfzehn“ , von denen wiederum drei die Leitung innehatten. Einer dieser drei führte dabei (wohl imWechsel) den Vorsitz. Ferner sei festgelegt gewesen, daßnurderjenige Timuch werden konnte, derselbst Kinder hatte unddessen Vorfahren 9. Sechshundert“ , neben denen bereits in drei Generationen Bürger gewesen waren1 Die „ keine andere Versammlung genannt wird, wieetwa ein institutionalisierter δῆμ ος 20,stelltenoffenbar das wesentliche Gremium in Massalia dar, das –jedenfalls nach späteren 1, Zeugnissen –nicht nur die außenpolitischen Entscheidungen fällte2 sondern auch als ὴπ α ρ α φ eine Art Gerichtshof fungieren konnte: So soll dieser Rat etwa bei Fällen von γ ρ α ν ό μ ω νdie Strafe der Atimie und Vermögenskonfiskation verhängt haben, und er konnte dasUrteil angeblich auchwieder aufheben22. Es scheint zweifelhaft, ob diese institutionelle Struktur wirklich die alte, ursprüngliche Ordnung von Massalia darstellt23. Dagegen spricht nicht nur, daß weder der relativ ὴ φ α ρ komplizierte pyramidale Aufbau vonRatundAusschüssen nochdasVerfahren derγ μ ρ α ω ν π νso alt sein können2 4. Vorallem erwähnt Aristoteles in seinen Anmerkungen ό α , zumschrittweisen Wandel derursprünglich „strengen Oligarchie“zueiner „gemäßigten“ seinem Idealtyp einer π ο λ ιτ ε ία ähnlichen Variante durch eine Erweiterung (oder ErweiWürdigterungen) des Kreises der Amtsfähigen unddie Zuwahl oder Kooptation der „ sten“überhaupt nichts vonden„ Sechshundert“in Massalia –obwohl er in genau dem gleichen Zusammenhang ausdrücklich aufdieErweiterung desKreises der„ Regimentsfä6. higen“in Herakleia auf 600 hinweist2 17 Vgl. dazu Kapitel I 1; III 1 unddenAbs. GORTYN. 18 DieFormulierung „νό μ ο ιcostituzionali“findet sichbeiLEPORE 1970, 47. 19 Strab. 4,1,5. Vgl. dazu GILBERT 1885, 259f.; BUSOLT 1893, 435; 1920, 357f.; 363; 20 21 22 23
24 25 26
CLERC 1927, 424f.; CLAVEL-LÈVEQUE 1974, 906f. Vgl. BUSOLT 1920, 363; CLERC 1927, 429f.; CLAVEL-LÉVEQUE 1974, 907. , die mit Caesar verhan3, wovon den„Fünfzehn“ Vgl. Syll.3 591, Z.42ff., sowie Caes.civ. 1,35, 1– Sechshundert“dieRede ist. Vgl. dazu GILBERT 1885, 260 mit Anm.3; deln, undwohl auch den„ WACKERNAGEL 1930, 2133f.; CLAVEL-LÈVEQUE 1974, 906. Lukian.Tox. 24ff. Vgl. dazu GILBERT 1885, 260f.; JEFFERY 1976, 44. Vgl. generell zu denumfassenden Kompetenzen der„ : BUSOLT 1920, 357f.; WACKERNAGEL 1930, 2139f. Sechshundert“ Vgl. etwa LEPORE 1970, 44; JEFFERY 1976, 43f. Vgl. CLERC 1927, 431, vgl. 426ff.; CLAVEL-LÉVÊQUE 1974, 905f. Pol. 1305b2ff., besonders b4ff.; 1321a29ff. Vgl. dazu die (zum Teil unterschiedlichen) Erklärungen von BUSOLT 1920, 357f.; CLERC 1927, 424ff.; LEPORE 1970, 44f.; CLAVEL-LÉVÊQUE 1974, 902ff. Pol. 1305b 10ff. Vgl. dazu CLERC 1927, 427.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
208
WennaberAristoteles’Bemerkungen überdie„Mäßigung“derOligarchie in Massalia überhaupt nicht aufdenRatder600 bezogen werden dürfen2 (obwohl diese Institution ja schon in derfrühen, „strengen“Oligarchie bestanden haben soll), mußder Rat an sich auch nicht Gegenstand einer archaischen, diealte Ordnung reformierende Gesetzgebung gewesen sein. Es fehlt mithin jedes positive Indiz dafür, daßderWandel derOligarchie in Massalia –wie auch immer mansich diesen Prozeß vorzustellen hat–auf einem umfassenden nomothetischen“Stiftungsakt beruhte, der mit vielen anderen Normen in eine große „ „ Kodifikation“eingeflossen war,dieihrerseits mitdenöffentlich aufgestellten „ ionischen Gesetzen“identisch gewesen wäre. Auch für Massalia lassen sich allenfalls konkrete Belegefüreinzelne archaische Gesetze finden. MAZAKA
NochzurZeit Strabons soll es sogar indieser Stadt in Kappadokien Gesetze gegeben Gesetze des Charondas“galten1. Wasdarunter zuverstehen ist, läßt sich haben, dieals „ allerdings nicht erhellen – jedenfalls dürfte es sich kaum um einen umfassenden oder gar vollständigen „ code“ Geunveränderter archaischer Gesetze gehandelt haben; denn diese „ setze“ können in Mazaka überhaupt erst eingeführt worden sein, als Mazaka umdie Mitte des2. Jahrhunderts hellenisiert wurde2. ῳ δ ό Zudiesen „νό ς μ ο ιdes Charondas“soll auch dieRegel gehört haben, einen νομ ν ) zu funω η τ ὴ zuwählen, dernach Strabon als „Ausleger derGesetze“(ἐ ννόμ ῶ ςτ γ ξ ε gieren hatte3. Diese Notiz wird zuweilen mehr oder minder explizit dafür in Anspruch genommen, daßin Mazaka tatsächlich dieursprünglichen, archaischen „ Gesetze des Cha: DerBeamtensein müssen4 rondas“ zumindest nochbekannt bzw. sogar gültig gewesen μ ῳ titel ν δ ο ό ςweise auf denaltertümlichen Brauch des „Singens“bzw. Rezitierens der Gesetze (des Charondas) hin, dernoch in der Epoche vor der universellen Verbreitung der Schriftlichkeit undder umfassenden Verschriftlichung der Gesetze entstanden sei. Dies werde auchdurch einFragment ausdem6. Buch der„Gesetzgeber“desHermippos über die Sitte desSingens derGesetze des Charondas beim Bankett in Athen5 , die Nachrichten über das Singen der(angeblich nicht schriftlich fixierten) Gesetze in Sparta6 und 27
Vgl. auch WACKERNAGEL 1930, 2139f.
1
Strab. 12,2,9. Vgl. dazu CRUSIUS 1892, 35f.; NIESE 1899, 2181f.; DARESTE 1902, 18f.; BUSOLT 1920, 377; BONNER/SMITH 1930, 70; CORDANO 1978, 93; FAURE 1978, 318f.; PICCIRILLI 1981a, 8ff.; RUSCHENBUSCH 1983, 322; CAMASSA 1996, 561f. BUSOLT 1920, 377 mit Anm.6; PICCIRILLI 1981a, 13. Vgl. auch DUNBABIN 1948, 74f. Strab. 12,2,9. Vgl. etwa NIESE 1899, 2182; WEIS 1923, 114ff.; CIACERI 1927, 28f.; BONNER/SMITH 1930, 76f.; PICCIRILLI 1981a, 8; 13; R. THOMAS 1995, 63f., auch zum Folgenden. ρ α μ ο ιπ υνό ο δ ᾽ ν η α σ ὶο ικ ἱΧαρώ ν ή Frg. 88WEHRLI (FHG III 37 = Athen. 14,619B): ᾔ θ ὲἈ τ οδ ν δο ιzuverbesσ η ν ά τ α η σ ιeinfach zu Κ ν ή . Verschiedentlich ist sogar vorgeschlagen worden, Ἀθ ν ο ο ἶν sern undso einen Brauch in derHeimatstadt desCharondas daraus zu machen. Vgl. etwa BUSOLT 1893, 428 Anm.7; CIACERI 1927, 28 mit Anm.4. Dagegen spricht die ziemlich dunkle Stelle νgeῶ ινομοθετ η σ ν ή μ ο νἈθ ςτ νἐ ῶ η , woes heißt, daßCharondas ὁδιάση α τά ν Steph.Byz. s.v. Κ wesen sei (vgl. Schol.Plat.Rep. 599E GREENE). Vgl. auch NIESE 1899, 2181f.; VALLET 1958, 315 Anm.4; PICCIRILLI 1981a, 8f.; CAMASSA 1988, 143f.; 1996, 561ff., auch zumFolgenden. Clem.Alex.strom. 1,16,76,5 (STÄHLIN, p. 51).
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5
6
2. Die einzelnen
209
Poleis
unddie kurze Notiz über die Gesangs-ν μ ο ό ιin den pseudoaristotelischen Problebestätigt. Dagegen lassen sich allerdings einige gewichtige Einwände vorbringen: Einerseits: was auch immer manin Athen beim Wein gesungen haben mag, es dürften wohl kaum die „Gesetze des Charondas“in irgendeiner sinnvollen Bedeutung des Begriffs gewesen sein –diese „Gesetze“hatten ja noch nicht einmal einen erkennbaren Einfluß auf die Rechts- und Gesetzgebungstradition in Athen. Wenn diese Nachricht überhaupt einen authentischen Kern enthält, könnte sie sich aufgnomische Verse bezogen haben, die in Inhalt undStil demgeähnelt haben mögen, was als die sogenannten Prooimien zu den Gesetzen desCharondas“überliefert ist9. Andererseits läßt sich auch nicht plausibel ma„ ῳ δ chen, daßdasAmtdesν ό μ ς , dasnirgendwo sonst bezeugt undüber das nichts weiter ο bekannt ist, mitderoffenbar sehr alten Einrichtung der„ Erinnerer“(μ μ ο ν ν ά ε ς ) strukturell verwandt war, dievielleicht auch noch nach demAufkommen der Schriftlichkeit undder Fixierung von Gesetzen in Inschriften für die Bewahrung des tradierten „ Ritualwissens“ unddie „Rezitation“von (nach wievor ungeschriebenen) Rechts- undVerfahrensregeln μ ο ν ή ε zuständig waren10. In denerhaltenen, allerdings späteren Zeugnissen sind die μ ς ν μ ή ο ν ε bzw. ἱερομ ν ςnämlich etwa für die Registrierung undArchivierung von Verträgen undGerichtsentscheidungen zuständig11 bzw. stehen den Richtern bei Prozessen zur Seite, wie etwa ausdem„Recht“vonGortyn zuentnehmen ist12. Damit läßt sich dasmysteriöse AmtinMazaka ebensowenig deuten wie mit impliziten ρ ά γ φ Parallelen zuden(nicht vordem4. Jahrhundert bezeugten) ν ο μ ι, die in verschieο ο denen Städten zurAufzeichnung, Ordnung undwohl auch Neuformulierung der Gesetze 3, μ bestellt wurden1 oder zuden bekannten ν ο θ έ ο τ α ιin Athen, die im 4. Jahrhundert die ο μ ῳ δ ό ςhatte ja gerade zentrale Institution des Gesetzgebungsverfahrens waren14. Der ν keine derartigen Funktionen, wie aus der erwähnten Stelle bei Strabon hervorgeht, sonή ς η ) desgeltenden Corpus τ γ η dernsoll (anscheinend einzig undallein) als „Ausleger“(ἐ ξ der„Gesetze desCharondas“tätig gewesen sein, wasStrabon mitderAufgabe der„Juristen“(ν μ ικ ο ο ί) bei denRömern vergleichbar schien15. Kreta7
mata8
ά τ ε Ael.var.hist. 2,39: Κ υ ῆ ο τ ςμ ε ρ ὺ ντο ςδ ςνόμ ε υ ο ν έλ ἐκ ε ά ιν ν ὲτο θ α υ ὺ ο ςμ ῖδ α ςπ α έρ ὺ ςτο ςἐλευθ τ ία λ . Vgl. dazu GEHRKE 1997, 42. δ ςκ ῳ λ ε ο τιν ςμ ν 920a2: Δ δ ο 8 919b37– ,ᾖ μ α α τ ιὰτ τ ρ ιπ ίνό ὶνἐπ μ α ; ἢὅ ίσ ιγράμ δ τα θ ο σ ο υ ι καλοῦν σ ιν α τ ιο ὓ ςᾄ . ικ τ λ α , ὅπ ν ά θ τ ὴ ἐ π ω ω ιλ ο υ τ ς ο ςμ ὺ ςνόμ 9 VALLET 1958, 315. Vgl. auch DUNBABIN 1948, 74f.; GAGARIN 1986, 54 Anm. 10; undinsofern chanter les lois“ bereits NIESE 1899, 2182. DELATTE 1922, 202 Anm. 2 hält die Tradition des „ , die ihrerseits von einer falschen Herleitung des Begriffs une expression bizarre“ überhaupt für „ μ ν ῳ ο ό δ ςherrühre. 10 So PICCIRILLI 1981a, 13. Vgl. dazu JEFFERY 1976, 43, vgl. 36. Vgl. zu ihren Funktionen zwischen Mündlichkeit undSchriftlichkeit generell R. THOMAS 1992, 69ff. u.ö.; 1995, 66ff.; GEHRKE 1997, 7
45f.; 58; 1998, 42; 47. 40. Vgl. dazu etwa BUSOLT 1920, 488f.; 11 Aristot.Pol. 1321b34–
WEISS 1923,
252f. mit weiteren
Nachweisen.
12 Vgl. ICret IV 72, Coll. IX 32; XI 16; 53 unddenKommentar von WILLETTS 1967, 32. Vgl. etwa auch ICret I, xviii, 12 (Lyttos), IV 42B (Gortyn) unddasGesetz ausHalikarnassos KOERNER Nr. 84; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 19. Vgl. bereits MEIGGS/LEWIS 32; Syll.3 45, HGIÜ I, Nr. 52 mit weiteren Nachweisen undÜbersetzungen. 13 Vgl. dazu WEISS 1923, 95ff.; HELLEBRAND 1940, 572ff. mit denNachweisen. 14 Vgl. dazu nurWELWEI 1983/1998, 244f., ferner ausführlich MACDOWELL 1975. μ ικ 15 Strab. 12,2,9. Vgl. MASON 1974, 69 s.v. ν ό ο . ς
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
210
Eine Parallele könnte allenfalls noch in der Aufgabe der Interpretation scheinbar widersprüchlicher Gesetze zusehen sein, die Polybios demKosmopolis in Lokroi Epizephyrioi zuschreibt –diese Einrichtung wird allerdings gerade nicht auf Charondas, sondern auf Zaleukos zurückgeführt16. Aus dem Text geht auch nicht hervor, daß diese Funktion des Kosmopolis ihrerseits vomGesetzgeber als Teil seiner Gesetze eingeführt worden sei–das sagt Polybios ja ausdrücklich nurüber die Regelung, daßderVertreter einer vonderVersammlung der„ Tausend“zurückgewiesenen Rechtsauslegung mit dem
Tode bestraft wurde17. Nach diesen Überlegungen bleibt festzuhalten: Ob Strabons Charakterisierung des Amtes des ν μ ῳ δ ο ό ςin Mazaka als „ Ausleger“treffend ist18, muß dahingestellt bleiben – jedenfalls läßt sich aus der bewußten Stelle weder entnehmen, daß dieses Amt in einer Tradition stand, diebisindiearchaische Zeit derGesetzgeber zurückreichte, noch daßes womöglich ursprünglich von Charondas selbst als Teil seiner Gesetzgebung eingerichtet wurde. Wasüberhaupt völlig unklar.
inMazaka als„Gesetze desCharondas“gegolten haben könnte, ist
MEGARA HYBLAIA
Diezuerst imJahre 1975 veröffentlichte, nursehr fragmentarisch erhaltene Inschrift ausderdorischen Kolonie Megara Hyblaia in Sizilien, die imboustrophedon-Stil auf einen großen Block geschrieben war, der dann in der in hellenistischer Zeit errichteten Mauer derStadt verbaut wurde1, ist vor allem wegen der problematischen Lesung und Interpretation mehrerer Begriffe schon mehrfach eingehend undmit recht unterschiedlichen, inkeinem Fall völlig zwingenden Ergebnissen behandelt worden2 . Unstreitig scheint dabei einerseits zu sein, daß der Text in die Mitte des 6. Jahrhunderts zudatieren ist3. Andererseits wird allgemein angenommen, daß es sich Geumeine Kultsatzung mitallgemeinen Normen, also vielleicht sogar ein wirkliches „ setz“ imengeren Sinne gehandelt haben dürfte4. Darin waren anscheinend zwei Bußen in unterschiedlicher Höhe festgelegt, wobei allerdings die genaue Bedeutung der ZahlenundMaßangaben („ ein Achtel“bzw. δ έ κ α αλίτρ ι) umstritten ist5. Die eine der beiden Strafnormen bezog sich möglicherweise auf Verfehlungen gegen Opferordnungen, die 16 Polyb. 12,16,6f. 17 Polyb. 12,16,9ff. Vgl. dazu Abs. LOKROI EPIZEPHYRIOI. ή ςist aufjeden Fall untechnisch gebraucht, wieetwa auch Diod. 13,35,3, wonach τ 18 DerBegriff ἐξηγη η τ α ί der Gesetze des Diokles bezeichnet γ η Kephalos undspäter Polydoros in Syrakus als bloße ἐξ worden seien; tatsächlich aberwaren siewohl„ echte“ Gesetzgeber (Plut.Timol. 24,3; Diod. 16,70,5; η τ α ίin Athen bietet keine Parallele γ 82,6f.; vgl. HÜTTL 1929, 87; 92f.). Die Einrichtung derἐξη (vgl. dazu BUSOLT/SWOBODA 1926, 1105f.).
1
2 3 4
5
IGDS Nr.20; SEG38, 1988, 945; KOERNER Nr.85 mitKommentar undweiteren Nachweisen. Vgl. etwa MANNI PIRAINO 1975, 141ff. (Nr. 5) mit Tafeln XXX la-b undXXX A; ARENA 1989, Nr. 13. Vgl. zu Gründung und Entwicklung der Kolonie VALLET 1970/1996, 437ff.; 1984/1996, 453ff.; BARLETTA 1983, 135ff.; BERGQUIST 1992, 113; OSBORNE 1998, 260ff., mit weiteren Nachweisen. 1988, 13ff. mitweiteren Nachweisen. Vgl. auch GALLAVOTTI 1977, 107ff.; GUARDUCCI 1986– Vgk. zuletzt GUARDUCCI 1986– 1988, 13f.; siehe zuletzt A. JOHNSTON, in: JEFFERY 1961/1990, 460 (G). Vgl. MANNI PIRAINO 1975, 142; GALLAVOTTI 1977, 107; GUARDUCCI 1986–1988, 13; 16.
1988, 16 mitweiteren Nachweisen. Vgl. dazu GALLAVOTTI 1977, 108; GUARDUCCI 1986–
2. Dieeinzelnen Poleis
211
vomἀρχόμ α ο ς(einem Magistrat oderPriester?)6 festgelegt worden waren, bzw. dieVernachlässigung irgendeines Opfers. Die andere Norm könnte eine weitere, anscheinend höhere Strafe dargestellt haben – vielleicht für dieNichterlegung derersten Buße7 . Angesichts desErhaltungszustandes desZeugnisses mußdasabereine Vermutung bleiben. Wieineiner Reihe vonanderen Fällen8 scheint es sich also auch hier umeinen Strafenkatalog (bzw. einen Teil davon) für bestimmte, wahrscheinlich relativ genau gefaßte Vergehen gehandelt
zuhaben.
MILET
Milet, bis zudenPerserkriegen diebedeutendste Polis des griechischen Kleinasiens1, scheint im 7. Jahrhundert gleich mehrfach schwere innere Auseinandersetzungen erlebt zu haben, die einmal zur Wahl eines „Aisymneten“und dann um die Mitte des 6. Jahrhunderts zurBerufung vonneutralen „Ordnern“ausParos geführt haben sollen2 . Dererste Fall istallerdings inmehralseiner Hinsicht problematisch. Nach dervorliegenden, relativ späten Überlieferung, diemitLegenden undTopoi durchsetzt undgeradezunovellistisch ausgeschmückt ist3, war innerhalb des alten Herrschergeschlechtes der Neleiden ein blutiger Machtkampf ausgebrochen: Erst wurde dergerechte König Leodamas von Amphitres beseitigt, der eine tyrannische Herrschaft errichtete; später wurde dieser seinerseits vondenexilierten Söhnen desLeodamas besiegt undgetötet. Damit soll nicht nurdieTyrannis, sondern auch dieKönigsherrschaft derNeleiden überhaupt untergegangen sein. NachNikolaos vonDamaskos, dereinzigen erhaltenen Quelle für diefolgenden Ereignisse4, wurde nuneingewisser Epimenes vomδ μ ῆ ο ςin Milet zum„Aisymneten“ mitGewalt überLeben undTodgewählt. Dieser konnte zwar derSöhne desAmphitres, die sofort nach demTod ihres Vaters unddemEnde seiner Tyrannis geflohen waren, nicht habhaft werden, konfiszierte aber ihr Vermögen und setzte einen Preis für ihre Tötung aus. Von denjenigen, die mit Amphitres an der Ermordung des Leodamas
6 7
Vgl. GUARDUCCI 1986– 1988, 14; 16f. 1988, 16. Vgl. GUARDUCCI 1986–
8
Vgl. die Abs. DREROS; ARKADIEN (PHENEOS?).
1
Vgl. generell
2 3
4
HILLER V.GAERTRINGEN 1932, 1586ff. passim; JEFFERY 1976, 209ff.; G.KLEINER, in: STILLWELL et al. 1976, 578ff. mit weiteren Nachweisen, sowie neuerdings EHRHARDT 1983; GEHRKE 1986, 133ff. Vgl. zurGeschichte Milets im 7. und6. Jh. außerdem DUNHAM 1915, 44ff.; 121ff.; BERVE 1967, 100ff.; 578ff.; FARAGUNA 1995; DELIBERO 1996, 355ff., sowie für die zweite Hälfte des 6. Jh. vor allem ROBERTSON 1987, 356ff. Vgl. dazu allgemein HILLER V.GARTRINGEN 1932, 1589; HUXLEY 1966a, 49ff.; RUZÉ 1985, 158ff.
Siehe zur Überlieferung (Konon FGrHist 26 F 1,4 [= Phot. Bibl. 186,44]; Nikol.Dam. FGrHist 90 F 52 [= Exc.de insid. S.18,9 DEBOOR]; F53 [= Exc.de insid. S. 19,15DE BOOR]; Parthenios Erot. 14; Plut.mor. 253F-254B) insbesondere HILLER V.GAERTRINGEN 1932, 1588ff.; BERVE 1967, 100; 578; DREWS 1983, 17f.; ROBERTSON 1987, 369ff. ο ῦ ὸτ π η ςὑ τ ή ν μ FGrHist90 F 53 (= Exc.de insid. S. 19,15DE BOOR): ὅ α ἰσυ α τ ῦ ὰ τα ε τ η ςμ έ ν ιἘπ ιμ τ τ ο ῆ ς ιτρ φ νἈμ ω ίδ α νπ ὲ β ν ὼ ῖτ α ιλα μ ε ν το νμ ο ο ὶὃ ἐ ςτ χ ῶ ή υ α ε ιρ ξ ο υ κ ι. κ δ ν τ σ ία είν ε ιν ο ὓ ςβούλετα τ α ν ὲὄ ὰδ ), τ ς μ αδείσαντε ῆ ρ χ ρ α α ρπ ὰ ὴ ι(ὑ α θ ῆ λ ςγενέσ νγ π θ ε ο ὸ ςο ν τ ο ὐ δε ξ ἷό νἐγκρα ςτ ᾽ἦ υ ο ν ό ῦφ ο ντ ῶ ν ε υ σ νκ ε α ρ νδ ὲκοινω ύ ὶἀργ ιο ῶ .τ νἐκήρυξ ,ε α ὐ τ ο ῖςἐδήμ ε ν ἴτ ιςαὐτο ὺ ςκτείνειν ν α σ η θ ύ λ τε ικα α ῖδ λ ε η , το ὴΝ ῖςδ ε τε ιν νδ ε ὲἄ έκ ρ ὲ ῖςἀπ λ ὴ ν οεῖπ τρ λ π ο ιςφ ἱμ γ νο .ο ε ο τ υ ἱδ ὲᾤ ν ο χ
. ὧ δ ε
·
212
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
beteiligt gewesen waren, ließ er drei Männer hinrichten, dieübrigen mußten ins Exil gehen.Aufdiese Weise, soendet dieGeschichte desNikolaos, stürzten dieNeleiden. Obwohl derhistorische Wert dieser Überlieferung offensichtlich fragwürdig ist, hält manbisheute grundsätzlich daran fest, daßsieeinen authentischen Kern enthalten müsse. Denn genau das wird zwangsläufig mit der Behauptung vorausgesetzt, daß in diesem Epimenes eintypischer „ Aisymnet“imSinne deraristotelischen Kategorie zusehen sei5 , zumal erauchexplizit alssolcher bezeichnet werde, nämlich als ein vomVolk gewählter, mitdemAuftrag zurWiederherstellung derOrdnung in derPolis undderdazunotwendigen umfassenden Gewalt ausgestatteter „Schiedsrichter“ , der nicht nur mit den „Aisymneten“ Pittakos inMytilene undAristarchos in Ephesos unddemκ ρDamonax ή ρ τισ τ α α τ in Kyrene zuvergleichen sei, sondern sogar mit Solon6 . Damit wird diesem Epimenes zugleich implizit oder auch explizit eine „ nomothetische“Tätigkeit und eine generelle – Neuordnung derVerfassung“vonMilet zugeschrieben7 ja er gilt zuweilen sogar als „ Urheber jener (anscheinend „ oligarchischen“ ) Ordnung mit einem prytanis als oberstem Magistrat mitweitreichenden Befugnissen an der Spitze, auf die Aristoteles en passant anspielt8 . Diese Vermutungen können sich allerdings noch nicht einmal auf den Wortlaut der erwähnten Überlieferung beiNikolaos vonDamaskos stützen, derja nurüber die „ Säuberung“ Milets vonderFamilie des Tyrannen berichtet –sie beruhen ausschließlich auf der Wahltyrannis“mitanderen, besser bezeugten „ Analogie dieser „ . Aisymnetien“ Gerade diese Beziehung gibt aberAnlaß zueinigen Zweifeln anderGlaubwürdigkeit dergesamten Episode: Zunächst sieht Nikolaos denerwähnten Epimenes offensichtlich nicht alsdenBegründer understen Inhaber derbesonderen milesischen Aisymnetie9 , die (spätestens) seit 525/24 das eponyme Amt–also eine reguläre Einrichtung –war10 und unter anderem, vielleicht sogar inerster Linie, mitdenprosetairoi in derKultgemeinschaft derMolpen religiöse Funktionen hatte11. Vielmehr bezeichnet Nikolaos den„Aisymneten“ Epimenes einerseits ausdrücklich als „ vom Volk gewählt“ , und zwar mit dem für das ; andererseits wird seine ία 7. Jahrhundert sicherlich anachronistischen Begriff χειροτον tyrannische“Gewalt überLeben undTod, dieihmdamit zugleich übertraungebundene, „ genwird, besonders hervorgehoben –in derganzen Nachricht geht es eigentlich nurum denGebrauch, denerdavon macht. Darin spiegeln sich deutlich diebeiden Kriterien von 5
6 7 8
Vgl. etwa WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1914/1937, 428; BERVE 1967, 100; 578; JEFFERY 1976, 210; RUZÉ 1985, 159. Vgl. anscheinend auch BARRON 1962, 3; SEIBERT 1979, 20; EHRHARDT 1199 (S. 508). 1983, 201 mit Anm.1197– Vgl. TOEPFFER 1893, 1089; DUNHAM 1915, 126; BUSOLT 1920, 374f. mit Anm.5; PAGE 1955, 239. Vgl. auch Kapitel II 3 unddie Abs. EPHESOS; KYRENE undMYTILENE. HUXLEY 1966a, 51; HEGYI 1968, 101. Vgl. auch TOEPFFER 1893, 1088f. Aristot.Pol. 1305a15ff. Vgl. HEGYI 1977, 7. Siehe außerdem GILBERT 1885, 139; JEFFERY 1976,
210. So die (im einzelnen unterschiedlichen) Vermutungen etwa von WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1914/1937, 429; LURIA 1928, 122ff.; EHRHARDT 1983, 201ff. Siehe mit Recht dagegen bereits DUNHAM 1915, 152; DESANCTIS 1930/1976, 470; BERVE 1967, 578; GEHRKE 1980, 22. 10 KAWERAU/REHM 1914, Nr. 122 (S. 131ff.), vgl. auch DESANCTIS 1930/1976, 467f.; GEHRKE 1980, 22. 11 Vgl. dieviel behandelte „Satzung“derMolpoi, dieals solche in das5. Jh. gehört, aber wohl älteres Material enthält: LSAM Nr. 50 mit weiteren Nachweisen; vgl. bereits KAWERAU/REHM 1914, Nr. 133 (S. 153ff.); SGDI 5495; Syll.3 57; DGE 726. Vgl. dazu zuletzt GEHRKE 1980, 20ff.; ROBERTSON 1987, 359ff.
9
2. Dieeinzelnen Poleis
213
Aristoteles’Definition derα η τεία μ ν ἰσ υ 12, die die Bezeichnung in diesem konkreten Fall ziemlich sicher als einen nach diesem idealtypischen Vorbild erst konstruierten „ Titel“ erkennen lassen13, denNikolaos kaumineiner älteren Quelle gefunden haben kann. Auch die Beschreibung dererwähnten konkreten Maßnahmen des Epimenes läßt an der Authentizität der Überlieferung zweifeln. Zwar sind die wörtlichen Anklänge des Textes andenWortlaut desinschriftlich erhaltenen milesischen Dekrets über dieÄchtung und Verbannung von (mindestens) drei Männern und ihre Verfolgung durch die ή ν ιο ιausderersten Hälfte des5. Jahrhunderts1 4 allzu kurz, unspezifisch undvage, ἐ π ιμ umdarauf weitreichende Vermutungen über eine verlorene gemeinsame Vorlage, nämlich ein Dekret über die Verbannung der Neleiden im 6. Jahrhundert, wirklich stützen zu können15. Aber die auffälligen Parallelen erstrecken sich auf jeden Fall auf den Gegenstand unddenInhalt derInschrift. Zwar sind die konkreten politischen Umstände, unter denen das Dekret zustande kam, nicht mehr mitletzter Sicherheit zurekonstruieren –es kannjedoch kaum ein Zweifel daran bestehen, daß eine blutige σ τ ά σ ιςim Zusammen6. hang mit einem Umsturz und/oder einem Abfall vonAthen derAnlaß war1 Es handelt sich nämlich offenbar umeinen Volksbeschluß, der sich gegen bestimmte, namentlich genannte Männer richtete, die des Mordes, wohl imZusammenhang mitsolchen bürgerkriegsähnlichen Kämpfen, beschuldigt wurden: Sie selbst undihre Nachkommen sollten verbannt sein; wenn jemand einen von ihnen tötete, sollte er mit 100 Stateren aus dem Vermögen eines gewissen Nympharetos belohnt werden, der selbst zu den geächteten (oder bereits Getöteten) gehört haben muß17. Für die Auszahlung der Prämie hatten die ή ν ιο ι–vielleicht derfür einen Monat amtierende Ratsausschuß1 8 –Sorge zutragen, π ιμ ἐ sonst sollten sie selbst den Betrag schulden. Wenn aber die Polis der Geächteten habhaft werden sollte, waren die ἐ ή ν ιο ιverpflichtet, diese Gefangenen hinrichten zu lassen, ιμ π widrigenfalls sie 50 Statere Buße erlegen mußten; dann sollten ihre Nachfolger diese Anordnung ausführen, sonst drohte ihnen diegleiche Strafe19. Diewesentlichen Vorschriften dieses Dekrets –Verbannung, gerade auch der Nachkommen, Vermögenskonfiskation, Prämien für die Tötung der Geächteten –sind offen: Es Säuberung“ sichtlich identisch mitderdem„ Aisymneten“Epimenes zugeschriebenen „ handelt sich umAkte, die imZuge der nicht gerade seltenen Umstürze undBürgerkriege
ὶ ρ ε 12 Aristot.Pol. 1285a29-b3. Vgl. zur „Aisymnetie“als „gewählter Tyrannis“ferner Theophrast Π β α σ ιλ ε ία ςfrg. 127WIMMER (= Dion.Hal.ant. 5,73,3); zurGewalt über Leben undTodDiog.Laert. 1,100 mitdem(natürlich erfundenen) Brief desThrasybulos anPeriander. 13 Vgl. auch GEHKRE 1980, 22; ROMER 1982, 30; 32 Anm.22. S.dazu auch DESANCTIS 1930/1976, 470. 14 MEIGGS/LEWIS Nr. 43; KOERNER Nr. 81 mit Kommentar undweiteren Nachweisen. Vgl. bereits
GLOTZ 1906, 511ff.; VONGERKAN 1922, 100ff. (Nr. 187); PIÉRART 1969, 366ff. GLOTZ 1906, 516ff. und anscheinend auch BARRON 1962, 3. Vgl. dagegen mit Recht WILAMOWITZ/MOELLENDORFF 1914/1937, 428 Anm. 1; VONGERKAN 1922, 102f.; MEIGGS/LEWIS, S. 106f.; PIÉRART 1969, 368f.; GEHRKE 1980, 22; 26f. Vgl. dazudie (zum Teil unterschiedlichen) Erklärungsversuche von DUNHAM 1915, 132f.; BARRON 1962, 1ff.; MEIGGS/LEWIS S.106f.; PIÉRART 1969, 377ff.; GEHRKE 1980, 24ff.; 1985, 114; ROBERTSON 1987, 378ff. MEIGGS/LEWIS Nr. 43, Z.5ff.; vgl. PIÉRART 1969, 368; KOERNER, 1987, 476. So GEHRKE 1980, 24 mit weiteren Nachweisen, vgl. etwa BARRON 1962, 4f.; PIÉRART 1969, 376. Vgl. dagegen neuerdings ROBERTSON 1987, 380ff., mit einer anderen Interpretation derkonkreten Zusammenhänge. MEIGGS/LEWIS Nr. 43, Z.5ff. Vgl. dazu KOERNER 1987, 476f.
15 So
16 17 18 19
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
214
Milets im 6. und5. Jahrhundert gang undgäbe gewesen sein dürften. Diese wohlbekannten undimmer wiederkehrenden Aktionen undReaktionen waren es wohl, dieNikolaos oderschon seine (peripatetische?) Quelle mitdemSturz der„tyrannischen“ Neleiden verband unddamit ineine ehermythische Vergangenheit transponierte20. Der Untergang der Dynastie der Neleiden, die komplizierte Vorgeschichte und die Umstände derBeseitigung derKönigsherrschaft in Milet –unddamit dereigentliche Anlaßder„Aisymnetie“desEpimenes –gehören ohneZweifel in denBereich des Mythos21. IndieÜberlieferung isteinerseits offensichtlich die aitiologische Sage vondenAnfängen desBranchos-Orakels unddermitdemOrakel verbundenen Geschlechter derBranchidai undderEuangelidai eingeflossen22. Andererseits ist die Legende vomKampf derSöhne desLeodamas gegen denTyrannen Amphitres untrennbar mitdenEntstehungslegenden desmysteriösen Kultes derKabeiren inMilet undanderer Kulte undFeste2 3 undvielleicht auch mitderAitiologie bestimmter ritueller Pflichten desAisymneten derMolpoi so eng undvielschichtig verwoben, daßdieTradition überdenUntergang derNeleiden praktisch daraus besteht. Damit istdieVermutung eines authentischen Kerns in derGeschichte von der„Aisymnetie“desEpimenes vollends hinfällig.
inderGeschichte
Dagegen ist derandere Fall eines „ Schiedsgerichts“ , durch dasschwere innere Wirren in Milet beendet werden sollten, ohne Zweifel historisch. Diese Gegensätze sind offensichtlich nacheiner längeren Phase derHerrschaft verschiedener Tyrannen, diewohl um 600 mit Thrasybulos, demZeitgenossen des Alyattes unddes korinthischen Tyrannen Periander begonnen hatte24 undmit demSturz der Tyrannen Thoas undDamasenor zu Ende ging25, immer wieder in blutige σ τ ά σ ε ιςausgebrochen, die Milet für zwei volle Generationen erschüttert haben sollen26. τ ά Nachdenspäteren Quellen –Herodot vermerkt nureine einzige lange σ ις–waσ ῖα ε ιbeteiligt, ιρ ren daran zwei Gruppierungen oder, jedenfalls nach Plutarch, zwei ἑτα dienacheinander andieMacht kamen undsich dabei jeweils mitausgesuchter Grausamkeit geradezu auszurotten versuchten. Zunächst scheint diejenige Gruppierung die Oberhieß unddie ά χ α μ ο ειρ hand behalten zu haben, diebei Plutarch einfach undeindeutig Χ ό τ α ι bezeichnet, die man auch μ Herakleides sehr viel vager als ὁδῆ ο ςoder ο ἱ δημ γ ιθ ε Γ έρ ςgenannt habe27. Anscheinend handelt es sich bei dieser Gruppe des „Handkampfes“ undder„Handarbeit“umdieärmeren bäuerlichen Bewohner des Landes in der
20 Vgl. GEHKRE 1980, 22, ferner 1987, 114ff. 21 Vgl. dieBelege obenAnm.3. DasProblem hatGLOTZ 1906, 517, durchaus
schon gesehen; vgl. auch DE SANCTIS 1930/1976, 469ff.; MEYER 1937, 568 Anm. 2; ROBERTSON 1987, 357.
22 Vgl. mit Recht DESANCTIS 1930/1976, 469;
GEHRKE
1980, 20 mit Anm.14; DREWS 1983, 19f.,
ferner FONTENROSE 1988, 108.
23 Vgl. dazu HILLER V.GAERTRINGEN 1932, 1588f.;
ROBERTSON 1987, 357; 369ff. mit denEinzelheiten; FONTENROSE 1988, 152ff. 24 Hdt. 1,17ff. Vgl. dazu etwa HILLER V.GAERTRINGEN 1932, 1592ff.; BERVE 1967, 101; 578f.; JEFFERY 1976, 213; EHRHARDT 1983, 201. 25 Plut.mor. 298C; vgl. BERVE 1967, 102; ROBERTSON 1987, 376. 26 Hdt. 5,28,1ff. in Verbindung mit Plut.mor. 298C und Herakl.Pont. frg.50WEHRLI (= Athen. 12,523F-524B), die mit größter Wahrscheinlichkeit auf diegleichen Konstellationen undEreignisse zu beziehen sind. Vgl. etwa HILLER V.GAERTRINGEN 1932, 1594; HUXLEY 1966a, 79f.; BERVE 1967, 579; RUZÉ 1985, 162ff.; ROBERTSON 1987, 374ff.; FARAGUNA 1995 mit weiteren Nachweisen. 27 Plut.mor. 298C; Herakl.Pont. frg. 50WEHRLI (= Athen. 12,523F-524A).
2. Dieeinzelnen
215
Poleis
Umgebung von Milet28, die sicherlich den Hoplitenzensus, wenn es ihn denn gegeben 29–unddiemöglicherweise noch nicht hat, nicht erreichten –daher derNameΧ μ ειρ ά ο χ α
0.
einmal griechischer Abstammung waren3 Die andere „Hetairie“hieß nach Plutarch gewissermaßen kollektiv Π λ ο υ τ ίς(oder nachHerakleides dieπ λ ο ύ σ ιο ι), abermanhabe sie auchἀεινα ῦ τ α ιgenannt, weil sie, als sie die Macht erlangt hatten, mitihren Schiffen auszufahren pflegten, umvor der Küste auf See ungestört undgeheim über die wichtigsten Angelegenheiten zu beraten undzu 1. Diese „Erklärung“der Bezeichnung ἀ entscheiden3 ε ιν α ῦ τ α ι ist eine phantasievolle Konstruktion32, auch wenn sie indirekt auf den Charakter dieser ἑ τ ε ίαals tonangeα ιρ bende Gruppe hinweist. Der eigentliche Hintergrund dieses Etiketts dürfte doch wohl darin zusuchen sein, daßdiewirtschaftliche Potenz dieser „ Reichen“nicht nurauf Grund undBoden, sondern zumindest auch aufdemBesitz vonSchiffen unddemHandel zur Seeberuhte3 3. Diekonkreten Anlässe undstrittigen Gegenstände derblutigen Auseinandersetzungen zwischen diesen Gruppen lassen sich ausdervorliegenden Überlieferung nicht mehr rekonstruieren –nicht einmal derCharakter derbeiden Gruppen läßt sich auch nur annähernd bestimmen. Einigermaßen sicher dürfte lediglich sein, daß es sich nicht nur um reine Faktionskämpfe zwischen Adelsgruppen umdieVormacht inMilet handelte, wie die Bezeichnung derbeiden Gruppierungen als ἑ τ α ε ιρ ῖα ιzunächst zusuggerieren scheint – soziale Spannungen undwirtschaftliche Interessengegensätze undNöte größerer gesellschaftlicher Gruppen dürften zumindest aucheine Rolle gespielt haben34. τ ά σ ε ιςbeteiligten GrupAber die scharfe, zerstörerische Polarisierung derandenσ penscheint keineswegs diegesamte Polis unddengesamten Bürgerverband inzwei Lager geteilt zuhaben. Dennalsmanschließlich dieParier –oder genauer: eine anonyme Kombesten Männer“aus Paros –zurAusgleichung der Gegensätze undzurBemission der„ friedung derPolis nach Milet geholt hatte, konnten diese zueiner geradezu salomonischen Lösung kommen: Die parischen „ Schiedsrichter“ , so will es dieTradition, inspizierten das gesamte, weitgehend verwüstete undbrachliegende LandderMilesier; dabei schrieben sie die Namen derwenigen Grundbesitzer auf, deren Äcker sie wohlbestellt vorfanden. Sodann seien sie in die Stadt zurückgekehrt, hätten dort eine Versammlung einberufen und
ις ίο σ η ,κ η α ἡ β ιλ ὶο ο ῖςΜ τ τ ρ ὰ ρ ύ 28 Vgl. Suda s.v. Γέργηθ ἱ χειρώ ν α κ α ε τ α ιπ ε τ ν : ... ἢ α ς λ ςο τ ο ῦ κ ὕ ω λ ο ύ σ ιο ιgewesen seien, ist ... Die unmittelbar folgende Notiz, daßdiese zugleich π ῇ ο λ ιβ τ ο ερ ν π ῖςἐ einMißverständnis, dasoffenbar auf eine starke Verkürzung derQuelle zurückzuführen ist: Gemeint . Siehe dazu ή ο λ ρ ιβ ε θ ε ςgegenüberstehende Gruppe. Vgl. auchSudas.v. Π ist sicherlich diedenΓέργη vor allem ROBERTSON 1987, 374. 29 Vgl. etwa ROEBUCK 1961/1979, 83; GEHRKE 1986, 135. 30 Vgl. etwa ROEBUCK 1961/1979, 82f. mit Anm.29; HUXLEY 1966a, 79f. mit Anm.42 (S. 182); BERVE 1967, 579 unter Hinweis auf Hdt. 5,122,2; 7,43,2 und dazu How/WELLS ad loc., sowie γ ιθ Strab. 13,1,70, wodie Γέρ ε ςimmer nichtgriechische Bevölkerungen bezeichnen. Vgl. dazuauch FARAGUNA
1995, 68ff.
31 Plut.mor. 298C-D; Herakl.Pont. frg. 70WEHRLI (= Athen. 12,524A); vgl. auch Hesych. s.v. ι. Vgl. FARAGUNA 1995, 72f. u.ö. ἀ ῦ τ α ε α ιν 32 Denallgemeinen Überlegungen vonROBERTSON 1987, 381ff., derin denἀεινα ιeine institutioα τ ῦ nalisierte Einrichtung sehen will, vermag ichnicht zufolgen. 33
Vgl. etwa BUSOLT 1895, 272; 1920, 177 mit Anm.4, vgl. HILLER V.GAERTRINGEN 1932, 1594; 1986, 135, sowie außerdem DUNHAM 1915, 127ff. Vgl. dagegen allerdings BRAVO 1977,
GEHRKE
28f. 34 Vgl. etwa BERVE 1967, 102; GEHRKE 1986, 135; anders
anscheinend JEFFERY 1976,
214.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
216
verkündet, daßsie diese Grundbesitzer andie Spitze derPolis stellen wollten; denn diese Leute würden die öffentlichen Angelegenheiten noch amehesten gutverwalten, seien sie doch bei ihren eigenen Angelegenheiten auch vorbildlich. Alle anderen Milesier, die an den σ τ ά σ ε ιςbeteiligt gewesen waren unddeswegen nur verwüstete Acker vorweisen konnten, sollten diesen wenigen Leuten gehorchen35. An der grundsätzlichen Authentizität der Nachricht kann, wie gesagt, kein Zweifel bestehen. Es ist jedoch keineswegs klar, worin die „Neuordnung“der Parier eigentlich bestand. Relativ sicher scheint zunächst einmal zusein, daßes neben einer Gruppierung vonpolitisch führenden, grundbesitzenden undHandel treibenden „Reichen“undeiner anscheinend relativ spezifischen Gruppierung, die aus ärmeren Landbewohnern oder Kleinbauern bestand bzw. sich zumindest auf sie stützte, noch wenigstens eine weitere Gruppe oder gesellschaftliche Schicht gegeben haben muß, dievomtödlichen Zwist der τ ά beiden Parteiungen inderlangwierigen σ σ ιςundderdamit verbundenen gegenseitigen Vernichtung derExistenzgrundlagen verschont geblieben war–eine greifbare unddefinierbare Schicht von Grundbesitzern, die zuvor politisch undeben auch militärisch in diesem „ inneren Krieg“ abstinent geblieben war. Über dengenauen Charakter dieser Gruppe läßt sich kaum etwas Sicheres ausmachen. Eher unwahrscheinlich erscheint lediglich, daßdas neue herrschende Element in Milet mit einer ganzen gesellschaftlichen Schicht als solcher –etwa dem „ mittleren Bau–insgesamt gleichgesetzt werden kann3 6. Auch einige Fragmente des aus Milet erntum“ stammenden Phokylides – wennsiedenntatsächlich irgendwie aufdieNeuordnung durch dieParier anspielen sollten3 7–lassen diesen Schluß letztlich nicht zu: Diegewissermaßen 8 „ neutrale“Sehnsucht nach derkleinen, aber wohlgeordneten Polis3 läßt sich dafür ebensowenig in Anspruch nehmen wie derverhaltene Hinweis auf denzweifelhaften Wert adliger Geburt für denjenigen, derweder in seinen Worten noch imRatschluß χ ρ ιςhaά 9. fetten Ackers“als Voraussetzung des Reichtums4 0 könnte sich be3 Die Preisung des „ genauso gutangrößere Grundbesitzer richten. Undunter den„ Mittleren“ , fürdie„Vieles ambesten“sei undzu denen Phokylides selbst gehören möchte, sind wohl nicht nur „ mittlere“Grundbesitzer zu verstehen, sondern auch undvor allem diejenigen, die die (gemäßigte, ausgleichende) „Mitte“in politischen Auseinandersetzungen suchen –trotz odergerade wegen desKontextes dieses Zitats beiAristoteles4 1.
29,2. 35 Hdt. 5,28,1– 36 Vgl. BUSOLT 1893, 472; DUNHAM 1915, 130; BERVE 1967, 102; GEHRKE 1986, 135. 37 Vgl. dagegen GEHRKE 1985, 114Anm. 1,dermit derMöglichkeit rechnet, daßdiese Fragmente vor derMission derParier zudatieren sind. υ ο σ ω ὴκρέσ νΝ 38 Frg. 4DIEHL3 = GENTILI/PRATO: π ίν ρ μ ο ν /ο ιςἐ ικ ό λ ὰ κ ό ἰκ μ ν τ κ α σ σ ο π κ έ ε λ ῦ ῳ σ α σ ρ α η ιν ἀ ο φ ύ ς σ . Vgl. generell zurSpiegelung einer kritischen Haltung gegenüber derAristokratie und zurEntstehung „bürgerlicher“Wertmaßstäbe: STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 123ff. mit weiteren Nachweisen.
39 Frg. 3DIEHL3 = GENTILI/PRATO: τ ις ρ ίπ λ ο ὲ έ νγέν ο ςεὐγεν α ιχά τ ε ςεἶνα ι/ο ιςἕπ ἷςο ο θ ὔ τ ύ νμ ᾽ἐ ῇ . Vgl dazuSTEIN-HÖLKESKAMP 1989, 132, mit stärkerer Betonung der„kritischen τ ὔ ο λ ὶβου ν ᾽ἐ Distanz“ zumtraditionellen Adelsethos. γ ε ὸ ρτ νγ ά η νἔ 40 Frg. 7DIEHL3 = GENTILI/PRATO: Χρηίζ ω νπ χ επίο λ ο ύ τ ν ο ο υμελέτ ςἀργοῦ/ ἀρ γ ο υ μ α σ λ ιν Ἀ λ έ θ α ςκέρ ι. α ε ςεἶν ίη 41
· Frg. 12DIEHL3 = GENTILI/PRATO: Π ρ ισ έ τα α ι. Vgl. Ariο ο σ ·μ σ έ ισ ινἄ ὰμ ο λ ςθ ἶν λ έ λ ωἐ ό νπ λ ει ε stot.Pol. 1295b28. Vgl. dazu auch SPAHN 1977, 153, ferner HUXLEY 1966a, 80; RUZÉ 1985, 164 mit Anm.17. Vgl. dagegen DUNHAM 1915, 129f.
2. Dieeinzelnen
Poleis
217
Wahrscheinlich waren diejenigen, die nach demSchiedsspruch der Parier die Polis 2, verwalten sollten, eher größere, vielleicht sogar aristokratische Grundbesitzer4 die sich nicht auf die Seite der Π λ ο υ τ ίςim engeren Sinne gestellt unddadurch kompromittiert hatten. Eine solche Lösung dürfte für dievonHerodot als ἄ ρ ισ τ ρ ο ιἄ ε ςbezeichneten ν δ Schiedsrichter“ausParos, die zweifellos selbst Aristokraten waren, zumal umdie Mitte „ des 6. Jahrhunderts einfach am nächsten gelegen haben43. Tatsächlich änderte sich in Milet allem Anschein nach ja nichts wirklich Grundsätzliches –undwenige Jahre später hatte dieStadt auchwieder einen Tyrannen. Neuordnung“ Damit wiederum erscheint es ziemlich zweifelhaft, ob man diese „ 4 –zumindest wirklich als Etablierung einer (gemäßigten) „ Oligarchie“bezeichnen kann4 wenn damit angedeutet werden soll, daß eine Umstrukturierung der „Verfassung“von Milet stattgefunden habe. Herodots Formulierungen sprechen jedenfalls gerade dagegen, daßdie Kommission ausParos dieinstitutionelle Ordnung derPolis durch gesetzgeberische Maßnahmen reformierte: Die parischen Aristokraten waren auswärtige, neutrale wieetwa Demonax in KySchiedsrichter“imeigentlichen, engeren Sinne desBegriffs – „ rene sollten sie in einem konkreten Konflikt vermitteln undihnschnell undpragmatisch lösen. Sie hatten damit einen bestimmten, konkreten undpraktischen Auftrag, dernichts mitderumfassend-abstrakten Idee einer Verfassungsstiftung durch „Nomothesie“zutun hatte. MYKENE
Aus Mykene –seit demEnde des 7. Jahrhunderts wieder eine etwas bedeutendere Siedlung miteinem Heiligtum derAthena aufderalten Burg undnurwenig später erneuerten Befestigungsanlagen1 –ist ebenfalls ein Zeugnis früher Gesetzgebung erhalten. Auf einem runden Block, der als Sockel oder Basis für eine Art Aufbau (dessen konkrete Funktion nicht mehrsicher zuklären ist)2 gedient zuhaben scheint, hatsich das Fragment einer Inschrift erhalten, dieauf diesem Aufbau (oder demverlorenen oberen Teil derBasis selbst) begonnen haben muß3. Der Text ist spätestens an den Anfang des 5. Jahrhunderts, möglicherweise aber bereits in das letzte Viertel des 6. Jahrhunderts zudatieren4. 42 So anscheinend auchROBERTSON 1987, 377.
43 Vgl. auch SCHAEFER 1955/1963, 286f. mit Anm.5 (S. 286) undAnm.2 (S. 287). 44 Vgl. etwa HOW/WELLS zu Hdt. 5,28; DUNHAM 1915, 130; GEHRKE 1985, 114; 1986, 135; die Neuordnung der ROBERTSON 1987, 375f.; 384. Vgl. auch BUSOLT 1893, 472, wonach ihnen „ Verfassung“anvertraut worden sei.
1 2
3 4
Siehe dazu KARO 1933, 1025. Vgl. zum Athena-Heiligtum außerdem TOMLINSON 1972, 198, und zuletzt (eher zurückhaltend) FOLEY 1988, 143f. Vgl. das Bronzetäfelchen mit der Weihung des Phrahiaridas aus dem6. Jh.: IG IV 492; DGE 97; BUCK 1955, Nr. 80; VOLLGRAFF 1929, 221f. Vgl. WACEet al. 1953, 19 mit Tafel 14b, sowie 19ff.; JEFFERY 1961/1990, 172. Die Fundumstände sindnicht ganzklar. IG IV 493; KOERNER Nr. 24; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 101 mit Kommentaren undweiteren Nachweisen, auch zumFolgenden. Vgl. DGE 98; BUCK1955, Nr. 81; GUARDUCCI 1967, 130f. und bereits IIGA, p. 52, 2. JEFFERY 1961/1990, 172; 174 (Nr. 1); vgl. BUCK 1955, ebda.; SEG 11 (1954) 300; GUARDUCCI 1967, 130; KOERNER, a.O.; VAN EFFENTERRE/RUZÉ, a.O. Die von D. MYLONAS, PAE 1964, 7 identifizieren ) veröffentlichte, nochetwas ältere Inschrift, dieA. JOHNSTON als „law“ (mit Tafel 72γ will (in: JEFFERY 1961/1990, 445 Nr. la), bietet nichts.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
218
Es handelt sich dabei ohne Zweifel umeine Regelung mit„gesetzesförmlichem“Chaγ ία ρ ιο ὲδαμ Α ε ,τ ἰμ ἴε μ ὸ ο ν ά ν α ςἰαρομ α ςτ ς ὸ ῦ ικριτερ σ ςἐ ο ετ ςΠερσ ῖσ ιγονε μ έ μ ρ ν ε ο α . ) Im τ ὰ erhaltenen ε ν ά Teil derVorschrift wurde also denἰαρομ κ α τ ν ε μ ἔ ν ε ςdieAufgabe der Richter gegenüber oder zwischen den Eltern übertragen, wenn es γ ίαgab, wobei sie an (zuvor festgelegte) Regelungen gebunden waren5 . μ ιορ keine δ α rakter:
Dieser letzte Teil könnte sich aufdenvorhergehenden (noch) verlorenen Teil derInschrift beziehen6 , indemmöglicherweise genauere Kriterien undMaßstäbe des „ Richtens“fixiert
waren.
Umwelche konkrete Materie esdabei gegangen ist, läßt sich nurvermuten. Einerseits waren die ἰα μ μ ν ά ο ρ ο ν ε ςoffensichtlich für das an der Straße nach Argos gelegene Heroon (unddendortigen Kult) des Perseus zuständig, derals dermythische Gründer von Mykene galt7. DerStein selbst, der die Inschrift trägt, kamja sehr wahrscheinlich aus ebenjenem „fountain-house“ , dasnach A. Wace mitderbei Pausanias erwähnten „sogenannten Quelle des Perseus“zuidentifizieren ist8 . Damit verbindet sich andererseits die Vermutung, daßKinder imKult desPerseus einewichtige Rolle spielten unddaßes eben umdieAuswahl undRekrutierung dieser Kinder zwischen ihren Eltern zuRivalitäten und offenen Streitigkeiten gekommen sei, die dann durch die ἰα μ ο ν ε μ ν ά ρ ς(bzw. die Daο miorgen) beigelegt werden mußten9 . Wiedemauch sei: DieVorschrift bezog sich zweifellos aufeine bestimmte, recht konkrete, vielleicht sogar engeingegrenzte ArtvonKonfliktfällen, dienach offenbar ebenso konkreten festen Regeln zu entscheiden waren, die möglicherweise, wiegesagt, imverlorenen Teil derInschrift fixiert waren. γ ο ίfür diese Aufgaben als „Richter“(oder In derRegel waren offenbar die δαμιορ Schiedsrichter) zuständig. Tatsächlich waren diese ja nicht nurgenerell wichtige, möglicherweise dieleitenden undmancherorts aucheponymen Magistrate, wieetwa in Elis und ineiner ganzen Reihe vonPoleis in Achaia undderArgolis10. In Argos scheinen dieDamiorgen darüber hinaus auch dieFunktion derVerfolgung undAhndung vonVerstößen imZusammenhang mitHeiligtümern undKulten gehabt zuhaben1 1.
5
Vgl. denKommentar des Herausgebers M.FRAENKEL zu IG IV 493; BUCK 1955, Nr. 81; JEFFERY 1974, 326f. 1973– 6 Vgl. die Angaben in dervorigen Anmerkung, sowie JEFFERY 1961/1990, 172; GUARDUCCI 1967, 131. A. JOHNSTON, in: JEFFERY 1961/1990, 445 (zu „Mycenae B“ ) kündigt die Publikation von drei Fragmenten einer runden Basis durch JAMESON undMITSOS an, auf denen sich ein spiralförmig aufgiving wärts laufender Text befindet, der möglicherweise zu demvorliegenden Schlußsatz gehöre –„ usthe‘original’inscription“ . 7 Paus. 2,18,1; vgl. 16,3f,; 16,6. 8 Paus. 2,16,6. Vgl. JEFFERY 1961/1990, 172; GUARDUCCI 1967, 131, nach WACEet al. 1953, 19ff. Vgl. dazuM.H.JAMESON, Perseus, theHero of Mykenai, in: Celebrations of Death andDivinity in 222. the Bronze Age Argolid, ed. by R. HÄGGet al., Stockholm 1990, 213– 9 Vgl. denKommentar des Herausgebers M.FRAENKEL zu IG IV 493; KUHNERT 1903, 2018; BUCK 1955, 282 (Nr. 81); GUARDUCCI 1967, 131. 10 Vgl. zurDamiorgie in Mykene, die erst wieder in hellenistischer Zeit bezeugt ist (IG IV 497; SEG 3 [1929] 312): WÖRRLE 1964, 69 mit Anm.28. Siehe generell BUSOLT 1920, 505ff.; MURAKAWA 1974. Vgl. auch die Abs. ARGOS; 1957; WÖRRLE 1964, 69f.; TOMLINSON 1972, 198; JEFFERY 1973– ELIS; MANTINEIA etc.
11 Vgl. die Inschriften SEG 11 (1954) 314; BUCK 1955, Nr. 83; KOERNER Nr 25 etc. einerseits und IG IV 506; KOERNER Nr. 29; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, NR. 100 etc. andererseits. Siehe dazu 1974, 325f. unddenAbsatz ARGOS. MURUKAWA 1957, 391f.; JEFFERY 1973–
2. Dieeinzelnen Poleis
219
μ ο ν Nach dem „Gesetz“aus Mykene übernahmen die ἰα ε ά μ ν ςdie Funktion des ρ ο „ Richtens“nurdann, wenn die dortige δα γ ίαsie nicht wahrnehmen konnte –aus ρ μ ιο welchen Gründen auchimmer. Es ist nicht mehr auszumachen, ob ein solcher Fall durch eine totale Vakanz eines Kollegiums –etwa als Folge von paralysierenden Gegensätzen zwischen den „ amtsfähigen“Aristokraten wie bei der ἀ ρ χ ίαin Athen oder der ν α μ in Kreta12 –eintrat, oder ob lediglich praktische Gründe, wie etwa die Verhindeἀ κ ία ο σ rung des amtierenden Damiorgenkollegiums, eine pragmatische Regelung derVertretung 3. erforderlich machte1 Jedenfalls bezieht sich dieser Teil des „ Gesetzes“auf eine spezifische Lage, die einerseits offenbar als besonderer, von der „Norm“abweichender und möglicherweise konfliktträchtiger Fall galt undandererseits anscheinend doch (mehr als einmal?) eingetreten warbzw.(wieder) einzutreten drohte. Es handelt sich mithin umeine Lage, die eine allgemeine, fixierte Regelung notwendig erscheinen ließ –wie übrigens auchinArgos, wodasbereits erwähnte Gesetz ausdemfrühen 6. Jahrhundert eine prak4. tisch gleichlautende Klausel enthält1 Diese Vorschrift waralso wahrscheinlich eine auf besondere Umstände undkonkrete Konflikte unmittelbar reagierende Maßnahme, die kaum in einem größeren „ nomothetischen“ Zusammenhang gestanden haben kann: Es handelte sich zweifellos umein situationsgebundenes Einzelgesetz, undzwar auch in anderer Hinsicht; denn es bezog sich auf jenen Ort, andemes inschriftlich fixiert unddamit publiziert war. MYTILENE
Inderantiken Tradition wurde Pittakos ausMytilene bekanntlich alseiner der„Sieben Weisen“angesehen –wie etwa Solon zählte er sogar zujenem gewissermaßen kanonischen Kreis vonsophoi, deren Zugehörigkeit zudieser Gruppe in dergesamten Überlieferung unstrittig ist1. Damit galt erauch als Urheber vieler Spruchweisheiten2, vondenen wenigstens eine ihmschon im6. Jahrhundert zugeschrieben worden zusein scheint3. Vor allem stand er auch als aisymnetes, als gewählter und(damit) κ νmit wahrhaft μ ο τ α ν ό ὰ . „ königlicher“Gewalt ausgestatteter „ Tyrann“in hohem Ansehen4 Denn der Tradition 12 [Aristot.] Ath.Pol. 13,1 bzw. Aristot.Pol. 1272b8. Vgl. JEFFERY 1973– 1974, 326f., ferner ROGERS 1901, 171 zu derfast gleichen Klausel in demargivischen Gesetz IG IV 506. 1974, 327 im Anschluß an M. FRAENKEL (zu IG IV 493); dagegen VOLLGRAF 13 Vgl. JEFFERY 1973– 1932, 390. Vgl. noch WÖRRLE 1964, 69 Anm.28 (eher zurückhaltend). 14 IG IV 506. Vgl. denAbs. ARGOS.
1
Plat.Protag. 343A; Hippias mai. 281C; rep. 335E; vgl. Diod. 9,11,1,; Strab. 13,2,3; Paus. 1,23,1; 10,24,1; Suda s.v. Π ιτ τα κ ό . Vgl. die Überlieferung insgesamt: Pittakos T 1ff.GENTILI/PRATO. ς Siehe dazu etwa MEYER 1937, 661ff.; SCHACHERMEYRY 1950, 1872; BURN 1960, 207ff.; MARTIN
2
81; weitere Belege: Siehe etwa nur Plut.mor. 147B-C; 152B; 153E; 154E; 155D; Diog.Laert. 1,76– Pittakos T 19a-d; 20GENTILI/PRATO. Vgl. dazu etwa SCHACHERMEYR 1950, 1872f. mit weiteren
3
4
1993.
Nachweisen. Simonides frg.4 DIEHL3 = 542PAGE; Diog.Laert. 1,76; Plut.mor. 147C. Vgl. dazuFRAENKEL 1962,
351ff.; CAMPBELL 1983, 238ff.; PODLECKI 1984, 179f. 37, vgl. a29ff.; blf.; s. auch Theophrast.frg. 127WIMMER, nach Dion.Hal.ant. Aristot.Pol. 1285a35– σ ιλ ρ ὶβα ε εία 5,73,3 ausΠ ς ; Plut.Solon 14,4; Theodoret.Graec.affect.cur. 9,12: Vgl. noch Theodoros Aisymnet“mit demTyrannen PeriMetochites Misc. S.668 MÜLLER/KIESSLING, wo Pittakos als „ ander ineinem Atemzug genannt wird.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
220
zufolge hatte er seine umfassende Macht nach zehn Jahren freiwillig aufgegeben, als er seine Aufgabe erfüllt undseine Heimatstadt vondendrei größten Übeln – Tyrannis, stasis undKrieg –befreit hatte5. Dabei sei Pittakos nicht zuletzt auch ein „guter Gesetzgeber“gewesen, der–so wollen es zumindest die späteren Quellen –„ die Verfassung in Ordnung gebracht“habe6 . Darauf bezieht sich offenbar aucheine weitere, ihmallerdings sicherlich erst später zugeschriebene Spruchweisheit. Dasoll er auf dieFrage des Kroisos, derimmer wieder mit den „Sieben Weisen“in Zusammenhang gebracht wurde, welches die beste Form der ρ ὴ α κ τ η ίσ ) sei, geantwortet haben: „diejenige desbemalten Holzes“(... ρ χ τ Herrschaft (ἀ τ ο ῦπ ο ικ ίλ ο υξύλο υ ), also dieHerrschaft derauf hölzernen Tafeln oder axones aufgezeichneten Gesetze7. Schon inderAntike wurde erdeswegen nicht nurmitdem„ Weisen“ Solon, der im Laufe der Entfaltung der Tradition ja zumberühmtesten und geradezu idealtypischen Weisen, „Ordner“ undGesetzgeber avancierte8 , aufeine Stufe gestellt oder zumindest aufdieeine oderandere Weise verglichen, sondern auch mitdenanderen großenGestalten derarchaischen „Nomothesie“wieZaleukos undCharondas9 .
In der modernen Forschung ist weithin die aristotelisch inspirierte Kategorie der „ Aisymnetie“übernommen worden. Daher konnte mandieses Konzept zumeist auch ohne größere Vorbehalte, wiederum in unmittelbarem Anschluß anAristoteles, zurKennzeichnung und Charakterisierung der tatsächlichen historischen Stellung und konkreten Rolle des Pittakos in Mytilene vereinnahmen1 0. Dabei habe der typische „Aisymnet“Pittakos zurErfüllung seiner Mission der inneren Befriedung undNeuordnung der Polis –wie ebenSolon undandere „Schiedsrichter“als Gesetzgeber –über außerordentliche undun, aber befristete Vollmachten zu tyrannische“bzw. „ monarchische“ beschränkte, eben „ Nomothesie“und „ einer umfassenden „ Kodifikation“des Rechts11 und sogar zu einer grundlegenden Reform der„Verfassung“ 12 verfügt –ja, Pittakos sei letztlich derUrheber 5
6
Diod. 9,11,1; vgl. Diog.Laert. 1,75; Strab. 13,2,3. Vgl. dazuweiter unten, mit denTextstellen
in
denAnm.
Diog.Laert. 1,75 (... ε ἰςτά γ ν ὼ α τ γ ) und1,76, sowie wiederum Diod. 9,11,1; vgl. α ὸπ ο μ λ ἀ ίτε ξ υ ιν ῇπ λ ό ι); Dion.Hal.ant. 2,26,2; Ael.var.hist. 3,17; ε ντ μ ία ο ὐ τ ν π ο να έ κ ὴ δ ετ ω auch Strab. 13,2,3 (... ἀ ιτ τ κ α ό Sudas.v. Π . ς 7 Diod. 9,27,4, vgl. Diog.Laert. 1,77. Dieleges sacrae desrömischen Königs Numa Pompilius sollen ebenfalls auf solchen hölzernen Trägern ausgestellt gewesen sein (Dion.Hal.ant. 3,36,4); vgl. dazu JEFFERY 1961/1990, 52. Hierher gehört sicher auchdieBehauptung, daßPittakos neben ἐ auch ῖα ε γ λ ε . ς ό κ ιτ τα η ν τ ο ῖςπ α ιςgeschrieben hätte: Diog.Laert. 1,79; Sudas.v. Π ο λ ίτ ά γ δ κ α α λ ν τ ο μ ω ό ν ρ ὲ π ὑ 8 Vgl. dazuinsgesamt Kap. II 3. 9 Ael.var.hist. 3,17; Dion.Hal.ant. 2,26,2; vgl. auch Plut.Solon 14,7 und bereits Aristot.Pol. 1274b17ff. 10 Vgl. etwa TOEPFFER 1894, 1088f.; BUSOLT 1920, 372ff.; WHITE 1955/1979, 186; PAGE 1955, 239; BERVE 1967, 94; JEFFERY 1976, 47; 239f.; BRACCESI 1978, 337; 351ff.; SEIBERT 1979, 22; 282;
1980/1982, 200f.; GEHRKE 1986, 44; 124; MALKIN 1989, 144; CARLIER 1991, 92; MARTIN 1993, 110 mit Anm.9 (S.124f.); 115 und–trotz Vorbehalten –auch MCGLEW 1993, 79ff.; 95f.; anders jetzt DE LIBERO 1996, 319ff. Vgl. etwa BUSOLT 1893, 628f.; MEYER 1937, 524; 588; MAZZARINO 1943, 44; 51f.; 1947, 193; die Grundlagen eines Rechtsstaates“gelegt hat. Siehe auch BERVE 1967, 95, für denPittakos sogar „ SNODGRASS 1980, 95; 120; 162; FINE 1983, 103; 197; VANEFFENTERRE 1985, 214, sowie –wenn auchzurückhaltender – PLEKET 1969, 23f.; MOSSÉ 1969, 14f.; WELWEI 1983/1998, 85; PODLECKI MURRAY
11
1984, 71; GAGARIN 1986, 59f.
12 Vgl. etwa BONNER/SMITH 1930, 134; HEGYI 1968, 101; 1977, 7.
2. Dieeinzelnen Poleis
221
jener („ gemäßigten“ ) „Oligarchie auf breiter Grundlage“gewesen, die im 5. Jahrhundert noch bzw. wieder geherrscht habe13. Diese allgemeine Beurteilung des Pittakos und seiner„Gesetzgebung“stellt sichjedoch beinäherem Hinsehen alsinmehrals einer Hinsicht problematisch heraus. Zunächst einmal dürfte mitgroßer Wahrscheinlichkeit weder der „ Titel“eines α μ ἰσ υ ή η τ ςnoch derallgemeine Begriff derαἰσυμ ν η τ ν ε ία zurKennzeichnung desbesonderen Typs derHerrschaft eines „gewählten Tyrannen“überhaupt ein authentisches archaisches undsomit imeigentlichen Sinne „historisches“Konzept gewesen sein14. Vielmehr handelt es sich umeine Begrifflichkeit, diewohl erst vonAristoteles im Rahmen seiner theoretisch-abstrakten Typologie der verschiedenen Varianten der Alleinherrschaft entwickelt und inhaltlich definiert worden ist15. Daraus ergibt sich notwendig die Konsequenz, daß auchdieVorstellungen vonderneutralen undschiedsrichterlichen, ordnenden undbefriedenden Rolle desmitfester Handregierenden „ Aisymneten“nicht auf demZeugnis wirk-
lich authentischer „historischer“Quellen beruhen: Siesind ihrerseits erst das Resultat von (modernen) Verallgemeinerungen undabstrakter Kategorienbildung –undsie gehen zum größten Teil sogar noch über denvonAristoteles gesetzten Rahmen hinaus. Dasgilt insbesondere fürdieVermutungen, daßPittakos nicht nur– wie etwa Zaleukos undCharondas –mit der „Aisymnetie“automatisch einen allgemeinen „nomothetischen“Auftrag übernahm, sondern damit auch –wieSolon in Athen –dazu berufen war, die „ Verfassung“ vonMytilene vonGrund aufzuordnen. Gerade das wird aber ausgerechnet von Aristoteles sogar ausdrücklich ausgeschlossen: Indemerwähnten Abschnitt überdie„Nomotheten“ , woer einen strengen systematischen Unterschied macht zwischen denjenigen, dienurGesetze gegeben hätten, unddenjenigen, die –wie etwa Solon und Lykurg –sowohl Gesetze als auch „ Verfassungen“ geschaffen hätten16, rechnet er den großen „ Aisymneten“Pittakos ausdrücklich zu der ersten Gruppe. Aristoteles benutzt dabei sogar diegleiche Formulierung wie bei der allgemeinen Definition dieser Unterscheidung, wenn er Pittakos als ν γ ό ς μ ω νδημιουρ ό λ λ ἀ ία ςbezeichnet17. ιτε λ ο ὐπ ᾽ο
Indergesamten vorliegenden Überlieferung finden sich denn auch nurHinweise auf einige wenige konkrete Gesetze, dieausdrücklich mitdemNamen desPittakos verbunden werden. Aristoteles nennt in demsoeben erwähnten Zusammenhang überhaupt nur ein γ einziges Gesetz, das für diesen ν ὸ ςcharakteristisch sei: Danach sollten μ ω νδημιουρ ό betrunkene Täter härter bestraft werden als nüchterne; denn Betrunkene neigten mehr zu Gewalttätigkeiten als Nüchterne, so interpretiert Aristoteles diese Maßnahme, unddeswegen habe Pittakos dieTrunkenheit nicht als mildernden Umstand gelten lassen, sondern die Nützlichkeit einer solchen strengen Regelung in den Vordergrund gestellt18. Dieses 13 So anscheinend GEHRKE 1985, 369f.; vgl. auch dens. 1986, 124. 14 Vgl dazu mitRecht ANDREWES 1956/1974, 97; RÖSLER 1980, 26f. Anm.3; MCGLEW 1993, 79f.; DELIBERO 1996, 324ff. undanscheinend auch SEALEY 1976, 56. 17. Vgl. dazu ROMER 1982, 25ff., 15 Vgl außer Aristot.Pol. 1285a29-b2 noch b25; 1286b38f.; 1295a7–
sowie Kapitel II 2. 16 Pol. 1274a27-b28, insbesondere
34. Vgl. dazuimeinzelnen Kapitel II 2. a32– 17 Pol. 1274b 17f., vgl. 1274a32f. ίω ε λ 23: νό ι, π σ ω μ α ίσ ο τ ιπ ντ ςδ 18 Pol. 1274b19– ,ἄ α ν τ ς ο ύ ᾽ἴδιο ὺ ὸτο ςμεθ ιτ κ )τ ο τα ῦ ςαὐ τ ο ῦ(sc.Π ὸ ς ρ ὐπ α τ ςο ν ο α τ ςἢνήφ ν ο ύ εθ ινμ νδ υ ρτ λ ςὑβρίζε είο ὸπ ννηφόντω γ ὰ ῶ ιντ ε ιὰ τίν ο νἀπ ία μ η ζ . ν ο έρ φ μ η ν ρ ὸ ἀ ςτ ὸ σ υ π μ λ π έβ ὰ λ ν λ ε γ ώ ,ἀ ψ γ ,ὅ ν μ ᾶ λ λ ο ε ν τ ὴ ν υ σ τ ιν ιδ ε εθ υ χ ο ἔ σ ύ ιν ῖμ ·ε
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
222
Gesetz, dasauch in derübrigen Überlieferung über Pittakos immer wieder erwähnt wird unddanach zumeist sogar eine Verdoppelung derStrafen vorgesehen haben soll19, gilt in dermodernen Forschung durchweg als authentisch. Fraglich erscheint dabei allerdings, ob Pittakos mitdieser Maßnahme wirklich –diezunächst einmal einen rein „strafrechtlichen“Charakter hatundvielleicht amehesten mit demdetaillierten gesetzlichen BußenundStrafenkatalog, deretwa dem„Nomotheten“Charondas von Katane zugeschrieben wurde, zuvergleichen sein dürfte –das moralisch-erzieherische Ziel eines „ Sittengesetzes“ verfolgte, nämlich denGenuß vonWein überhaupt zubeschränken unddadurch die 0: Bürger zueiner sittlich höherwertigen Lebensweise anzuhalten2 Damit werden ihmphilosophisch-moralische Maßstäbe unterstellt, diederarchaischen Zeit mitihrer aristokratischen Kultur dochwohl fremd gewesen sein dürften. Außerdem soll Pittakos ein Gesetz gegeben haben, wonach
anBegräbnisfeierlichkeiniemand außer denFamilienangehörigen teilnehmen durfte21. Selbst wenn solche Gesetze in dieser oder ähnlicher Form fast regelmäßig auch den meisten anderen 2, Nomotheten“zugeschrieben wurden2 könnte auch diese Maßnahme durchaus frühen „ authentisch sein23. Ob allerdings in dem Gedicht der Sappho, das die beredte Klage der Dichterin über die Unmöglichkeit enthält, für ihre Tochter Kleis eine π ρ άzu ιτ ίλ αμ ο ικ erhalten24, aufeinweiteres, gegen denLuxus unddenAufwand in aristokratischen Kreisengerichtetes Gesetz des Pittakos angespielt wird, ist eine reine Spekulation –völlig andere Interpretationen dieses sehr kleinen Fragments sindmindestens ebenso plausibel25. Einigermaßen verdächtig erscheint auch die Nachricht, daßPittakos –wie angeblich auch Solon undCharondas –dieväterliche Gewalt über Söhne, insbesondere die zulässigenStrafen bis hinzurEnterbung, gesetzlich geregelt habe26. Wahrscheinlich authentisch isthingegen wiederum ein auch nurganz kurz erwähntes Gesetz, wonach Kaufgeschäfte vor Magistraten, nämlich denβ α ρ τ ύ α σ ιλ ε ῖςunddemπ ν ις , abzuschließen waren27. Wahrscheinlich bezog sich das Gesetz nur auf bestimmte Geschäfte und„ Kontrakte“ , nämlich vorallem Transaktionen vonGrundeigentum, dieja tenüberhaupt
19 Aristot.EN 1113b30ff.; Rhet. 1409b 8ff.; Plut.mor. 155F; Diog.Laert. 1,76. 20 Vgl. nurBUSOLT 1920, 380; MEYER 1937, 527; MÜHL 1939, 309; SCHACHERMEYR 1950, 1868f.; BURN 1960, 244; PLEKET 1969, 23; GEHRKE 1978, 168 mit Anm. 99; GAGARIN 1986, 65; 66.
21 Cic.leg.2,26,66. 26,66. Vgl. GARLAND 1989, 7ff.; ENGELS 1998, 22 Vgl.generell Cic.leg. 2,25,62–
passim.
S. auch den
Abs. KEOS.
23 So jedenfalls
ANDREWES 1956/1974, 97f.; PLEKET 1969, 49; ENGELS 1998, 50f. Vgl. auch 1986, 44; 124; eher skeptisch SCHACHERMEYR 1950, 1865f. 24 Frg. 98bPAGE = Pittakos T 9GENTILI/PRATO. Vgl. dazu VOGLIANO 1939, 283ff.; GALLAVOTTI/PUGLIESE CARRATELLI 1941, 141ff., bes. 168; MAZZARINO 1943, 44; 52; 58; 1947, 193f.; 214, vgl. 218. 25 Vgl. dagegen PAGE 1955, 102f. Siehe zu demFragment auch HUXLEY 1966a, 89; BURNETT 1983, 113f.; 213ff. mit Anm.13; CAMPBELL 1983, 107; PODLECKI 1984, 83; STEIN-HÖLKESKAMP 1989,
GEHRKE
26
27
83.
3, wodieNachricht lediglich zumZweck desVergleichs mit den(natürlich erst Dion.Hal.ant. 2,26,2– spät konstruierten) „Gesetzen des Romulus“ über die patria potestas vorkommt. Vgl. SCHACHERMEYR 1950, 1869. RUSCHENBUSCH 1966, 122f. (F 142), hat die Stelle mit Recht nur unterderRubrik der„unbrauchbaren Sammelzitate“aufgenommen. Theophrast frg. 97,1 WIMMER = 21,1SZEGEDY-MASZAK.
2. Dieeinzelnen Poleis vielerorts schon frühzeitig besonderen (meist beschränkenden gesetzlichen Regelungen unterworfen wurden28.
223
und konfliktsteuernden)
Nach diesem konkreten Befund der antiken Quellen mußes nicht nur höchst fragwürdig erscheinen, ob manauf Grund allgemeiner Überlegungen den„ Aisymneten“Pittakos als Reformer derpolitischen und institutionellen Ordnung in Mytilene und womöglich als Stifter einer „Verfassung“betrachten darf, wasja, wiegesagt, schon Aristoteles ausdrücklich abgelehnt hatte29. Allem Anschein nachverbietet es sich sogar, ihn als „ Nomotheten“in demSinne zusehen, daßer etwa derUrheber eines umfassenden „ Codes“ derGesetze von Mytilene gewesen wäre –die gesamte vorliegende Überlieferung weiß jedenfalls konkret vonnicht mehralseinigen wenigen Einzelgesetzen30. Diese Gesetze scheinen, soweitwirsehen können, zumeist sehr bestimmt undzielgerichtet ganz spezifischen Zwecken gedient zu haben. Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, daßdasBegräbnisgesetz undvorallem dasGesetz über diehöheren Strafen für betrunkene Täter, dasja zumindest indirekt auch fixierte Strafen für Gewaltakte generell vorausgesetzt31, sich gegen die allzu ungenierte Statusdemonstration, die offene Willkür undmutwillige Gewalttätigkeit einer Aristokratie richtete3 2, die selbst für die Verhältnisse des archaischen Griechenland außergewöhnlich ungebunden, rücksichtslos und auf sich bezogen, ja brutal gewesen zusein scheint. DasGesetz des Pittakos paßt nicht nur auffallend genau zu denTrinkgewohnheiten seines erbitterten Feindes Alkaios und seiner Standesgenossen –Alkaios selbst schildert ja diese Sitten besonders drastisch, natürlich vorallem gerade dann, wennerseinen Gegner denunzieren will3 3. Es paßt auch zu dem, was Aristoteles über das alte Königsgeschlecht der Penthiliden undseinen Sturz zuberichten weiß: Eingewisser Megakles undseine Freunde töteten sie, alssie umhergingen unddie Leute mitihren Stöcken verprügelten; undPenthilos, offensichtlich aucheinPenthilide, soll vonSmerdes umgebracht worden sein, nachdem dieser 4. ebenfalls verprügelt undvon der Seite seiner Frau weggezerrt worden war3 In jenen erhaltenen Gedichten desAlkaios, dieschon inderAntike nicht zufällig undsehr treffend 5, μ α genannt wurden3 undauch in einigen Fragmenten von Gedichτ α σ τ ο ιή α ὰ π σ τ ικ ιω ten der Sappho liegen unmittelbare Zeugnisse vor für eine kaum einmal unterbrochene Serie vonGewalt, MordundTotschlag in denpermanenten Fehden innerhalb derAristo28
29 30
31
32 33
34 35
Vgl. etwa BUSOLT 1920, 541; 616; BONNER/SMITH 1930, 82; MEYER 1937, 526; SZEGEDYMASZAK 1981, 63ff.; GAGARIN 1986, 70f. (allzu spekulativ). Vgl. die Abs. KATANE, KORINTH, THEBEN etc. So auch BUSOLT 1920, 372; HUXLEY 1966a, 89; PLEKET 1969, 23; PODLECKI 1984, 71. Vgl. mit Recht PLEKET 1969, 23; SEALEY 1976, 56, sowie allgemein auch GEHRKE 1986, 44, DE LIBERO 1996, 327f. Vgl. BUSOLT 1920, 380; GAGARIN 1986, 65. Dasist diezuRecht allgemein vertretene Ansicht: Vgl. etwa ANDREWES 1956/1974, 97f.; PLEKET 1969, 23f.; BURNETT 1983, 116; GEHRKE 1986, 44, 124. Frg. 72LOBEL/PAGE, das sich auf die „barbarischen“Gewohnheiten des (angeblich aus Thrakien stammenden) Vaters des Pittakos beziehen könnte; ferner frgg. 38A; 48; 72; 332; 346; 352; 401a-b LOBEL/PAGE. Vgl. BURN1960, 244; PODLECKI 1984, 75f.; STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 115f. u.ö. Pol. 1311b26ff. Vgl. auch PLEKET 1969, 23. Strab. 13,2,3. Vgl dazu PAGE 1955, 149ff.; SEIBERT 1979, 281ff.; RÖSLER 1980, 26ff., sowie die Einzelinterpretation 115ff.; BURNETT 1983, 107ff.; 156ff.; CAMPBELL 1983, 99ff.; PODLECKI 1984, 62ff.; WALTER 1993, 112ff.; AMPOLO 1996, 309ff., auch zum Folgenden. Siehe noch GALLAVOTTI/PUGLIESE CARRATELLI 1941, 166ff.; MAZZARINO 1943, 38ff.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
224
füreinen Kreislauf vonFlucht, Exil undgewaltsamen Rückkehr- undUmsturzverderdiePolis vonMytilene überJahrzehnte nicht zurRuhe kommen ließ: Immer wieder kames zublutigen Auseinandersetzungen zwischen den Familien und Hetairien derPenthiliden, Kleanaktiden undArcheanaktiden, in dieAlkaios selbst mitseinen BrüdernAntimenidas undKikis verwickelt warundindenen etwa Melanchros, Myrsilos und kratie,
suchen36,
nicht zuletzt Pittakos selbst, die sich als alleinige Machthaber wenigstens zeitweise durch7. setzen konnten, offensichtlich prominente undnicht ganz durchsichtige Rollen spielten3
Diepermanente stasis in Mytilene warnicht nur der Hintergrund für die erwähnten einzelnen Maßnahmen des Pittakos zur Disziplinierung der Aristokratie. Sie war überhaupt dereigentliche, wenn nicht alleinige Anlaß seines Aufstiegs zur Alleinherrschaft. Nomothesie“alsZweck undZiel seiner „ Nirgendwo ist eigentlich voneiner „ Aisymnetie“ oder–sowill esbekanntlich Alkaios –seiner „Tyrannis“die Rede. Auch in denspäteren Quellen scheint immer wieder deutlich durch, daß es dabei in erster Linie, wenn nicht „uftrag“ ausschließlich umdenganzkonkreten A ging, gegen die aristokratischen Unruhe38 stifter, die „ Exulanten unter der Führung des Antimenidas unddes Dichters Alkaios“ vorzugehen unddamit, wiegesagt, Mytilene vonden„drei größten Übeln“–Tyrannis, 9. stasis undKrieg –zubefreien3 Dieser „ Auftrag“unddamit dieAlleinherrschaft desPittakos beruhten ohne Zweifel aufbreiter Zustimmung –vermutlich nicht nur,aberauch dernichtaristokratischen Bevölkerungsschichten. Denngerade derdamos mußvonderselbst vondemAristokraten Alkaios zuweilen beklagten NotundArmut, die sicherlich nicht zuletzt eben von den dau40. Dabei ernden Fehden verschärft worden sein dürfte, besonders betroffen gewesen sein ist es gar nicht nötig, gegen alle Wahrscheinlichkeit und historische Plausibilität auch gleich dieExistenz einer „demokratischen Bewegung“zuvermuten, als deren Führer und spiritus rector Pittakos andie Spitze derganzen Polis gelangt wäre –wiederum wie an1. geblich Solon in Athen4 Manhat sogar vermutet, daß in denAnekdoten über Pittakos’ das Gleiche Landanteil, seine Verteilung undin demdarauf bezogenen Diktum, daß „ mehrals dasGrößere“sei4 2,eine vage Erinnerung andieKonfiskation undNeuverteilung desLandes vonExilierten stecken könnte4 3. 36 Vgl. nur frgg. 69; 70; 75; 129; 130B; 348; 350 undwohl auch 113; 302; 331; 332LOBEL/PAGE. Vgl. außerdem Sappho frg. 98BLOBEL/PAGE in Verbindung mit Marmor Parium FGrHist 239 A 36. Siehe dazuetwa PAGE 1955, 130ff.; HUXLEY 1966a, 89; SEIBERT 1979, 283ff.; CAMPBELL 1983, 107; STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 82f.; OGDEN 1997, 97ff., jeweils mitweiteren Nachweisen. 37 Vgl. außer der bereits genannten Literatur noch SCHACHERMEYR 1950, 1865ff.; ANDREWES
38
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42 43
1956/1974, 92ff.; BURN1960, 226f.; 239ff.; HUXLEY 1966a, 86ff.; JEFFERY 1976, 239f.; SEIBERT 1979, 20ff.; BORUHOVIC 1981, 247ff.; WELWEI 1983/1998, 84f.; DELIBERO 1996, 314ff. ν ῶ ντ ε ἰς... τὴ 37; vgl. Strab. 13,2,3, wonach Pittakos die Alleinherrschaft „ So Aristot.Pol. 1285a35– τά λ υ σ ιν νκα ιῶ τε σ “benutzt habe. Vgl. mit Recht PAGE 1955, 238f.; CAMPBELL 1983, 105.; α ν δ υ WELWEI 1983/1998, 85. , ε σ υ λ έ νἀπ ρ ῶ ο φ νσυμ γ ίσ τ ω ε ντ ιῶ νμ ῶ Diod. 9,11,1, wo Pittakos gelobt wird: τ ατρ ίδ τρ α νπ ὴ ν . ν ίδ ο υ , στάσεω α ρ ο ς λ έμ ,π ο τυ ς Alkaios frg. 364LOBEL/PAGE; vgl. WELWEI 1983/1998, 84f.; 258 sowie JEFFERY 1976, 240. GOMME 1957, 256f., sowie neuerdings BORUHOVIC 1981, 258. Vgl. dagegen schon mit Recht PAGE 1955, 176f.; BERVE 1967, 94. PLEKET 1969, 39f. ist unklar. Diod. 9,12,1, vgl. Diog.Laert. 1,75; Val.Max. 6,5,ext.1; Plut.mor. 858B. BURNETT 1983, 115f.
2. Dieeinzelnen Poleis
225
Von einer „Bewegung“des Pittakos oder gar Konfiskationen findet sich denn auch nicht die geringste Spur bei Alkaios, dereine solche „ demagogische“Tendenz seines Erzfeindes kaum unerwähnt gelassen hätte –immerhin belegt er Pittakos nicht nur mit einer 4, ganzen Reihe vonInvektiven, dieseine Vulgarität betonen sollen4 unddenunziert ihn als 5, eidbrecherischen Renegaten, derseine Freunde schnöde verraten habe4 sondern er bezeichnet den„ Tyrannen“auch als κ κ α ο π α ίδ τρ α ςundskrupellosen Parvenu4 6. Ganz im Gegenteil mußAlkaios höchst widerwillig und erbittert, aber ohne Einschränkung zugeben, daßPittakos mitderZustimmung aller gewählt worden war47, der ganzen Stadt und 8: damit jenes damos, denAlkaios ausderNotzuretten sich anheischig gemacht hatte4 Die längst nicht mehr erträglichen Verhältnisse werden eine Art breit fundierten „ Minimalkonsens“schlicht erzwungen haben, derwohl auch aristokratische Kreise einschloß.
Die institutionellen Voraussetzungen für ein wenigstens rudimentär formalisiertes Verfahren derBestellung und„ Beauftragung“des Pittakos waren umdiese Zeit, also um die Wende vom7. zum6. Jahrhundert 9, in Mytilene zweifellos gegeben50. Der damos, denAlkaios ineiner Gegenüberstellung zum„Tyrannen“erwähnt, die diesen implizit ausgrenzen soll51, umfaßte sicher nicht nureinpaar aristokratische Grundbesitzer –er wurde wohl zumindest tendenziell bereits mitderπ ό λ ιςidentifiziert52. Dieser damos war auch bereits in der agora institutionalisiert, sicherlich einer frühen Art von Primärversammlung53 –vielleicht fand hier die „ Wahl“des Pittakos statt, wie auch immer man sich das konkret vorzustellen hat. DiePolis hatte auch einen (sicherlich noch ausschließlich aristokratisch besetzten undvon Aristokraten beherrschten) „ Rat“ , die βόλλα 54, sowie offenα σ ιλ ε ῖςund bar auch die begrifflich undfunktional differenzierten Magistraturen der β 55. ρ des π ύ τα ν ις Wahl-“oder BeDamit waren einerseits dieGrundvoraussetzungen für ein formales „ stellungsverfahren gegeben. Gerade dadurch erhielten wahrscheinlich die demPittakos in ober nunβ diesem Verfahren regelrecht übertragene Sonderstellung – α σ ιλ ε ύ ςhieß, mag dahingestellt bleiben –und die zugleich zweifellos zugestandenen besonderen Vollmachten überhaupt erst jenen hohen Grad an Legitimität, den selbst Alkaios nicht nur nicht bestreiten konnte, sondern durch seine bittere Klage über denbreiten Konsens über seine 44 Frgg. 129, Z. 21; 429LOBEL/PAGE (= DIOG. LAERT. 1,81). 45 Frg. 129, Z. 13ff.LOBEL/PAGE. Vgl. etwa BURNETT 1983, 157ff. 46 Frgg. 348, vgl. 67, Z. 4; 75, Z. 12; 106LOBEL/PAGE. Vgl. dazu etwa PAGE 1955, 169ff.; BURNETT 1983, 117; PODLECKI 1984, 71f. 47 Frg. 348LOBEL/PAGE mit dem Kontext bei Aristot.Pol. 1285a29-b5; vgl. auch Aristot.EN 1167a30ff.; Dion.Hal.ant. 5,73,3; Plut.Solon 14,4. Vgl. etwa PLEKET 1969, 39; ROMER 1982, 40. 48
Frg. 129, Z. 18ff.LOBEL/PAGE.
50
SCHACHERMEYR 1950, 1870ff.; SEALEY 1976, 53. Vgl. auch HUXLEY 1966a, 89; JEFFERY 1976, 47; 240; WELWEI 1983/1998, 258; PODLECKI 1984,
49 Vgl. zur Datierung –etwa Apollodoros von Athen, FGrHist 244 F 27 (= Diog.Laert. 1,27) –
70. 51 Frgg. 70, Z. 12f.; 129, Z. 18ff.LOBEL/PAGE. 52 Vgl. mit Recht schon PAGE 1955, 177; anders jetzt wieder BURNETT 1983, 110; 116. Vgl. auch PODLECKI 1984, 79f.; CARLIER 1991, 92. 53 Frgg. 103B, Z. 4LOBEL/PAGE. Vgl. dazu insbesondere PAGE1955, 177ff., auch zumFolgenden. 54 Frgg. 130B, Z. 5LOBEL/PAGE. Vgl. dazu WELWEI 1983/1998, 258. 55
Theophrast.frg. 97,1WIMMER = 21,1SZEGEDY-MASZAK.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
226
Auftrag“ Stellung undseinen „ bestätigte. Andererseits dürfte Pittakos hier auch denRahmengefunden haben, in demer seine gesetzgeberische Tätigkeit entfalten konnte: Der damos inderagora wirdihmsicherlich auch bei denGesetzen über Trunkenheit undGewalttätigkeit undüber die öffentliche „ demonstrative Verschwendung“bei Begräbnissen gernzugestimmt haben. Wahrscheinlich konnte Pittakos überhaupt nurmitdieser Unterstützung undauf dieser institutionellen Grundlage eine dauerhafte Befriedung undStabilisierung der politischen undsozialen Verhältnisse in Mytilene herbeiführen: Denngerade durch diese formalisierte Zustimmung zuPittakos’Maßnahmen undeigentlich schon durch seine „ Wahl“ an sich gewannen die Polis undihre Institutionen an Stärke undFestigkeit. Jedenfalls blieb allem Anschein nach die Lage in Mytilene nach seinem Rücktritt –angeblich nach zehn Jahren und einer Amnestie der besiegten und nun machtlosen Aristokraten, die Kampf undExil überlebt hatten –fürlange Zeit ziemlich ruhig, „ Verfassung“und Gesellschaft scheinen recht stabil unddauerhaft gewesen zusein. Pittakos dürfte also eindurchauserfolgreicher „Schiedsrichter“und„Ordner“gewesen sein; denn in einer solchen Stabilisierung derVerhältnisse hatte genau sein Auftrag bestanden, wieihnimGrunde auch Aristoteles verstanden hatte –undeben nicht in einer grundsätzlichen Reform dieser VerVerfassung“ hältnisse odergarNeuschöpfung der„ . NAXOS (KYKLADEN)
Naxos, die größte Insel derKykladen, spielte anscheinend schon im8. Jahrhundert während derKolonisation Siziliens undim Lelantischen Krieg eine wichtige Rolle und gewann im 7. und6. Jahrhundert weiter anpolitischer undvor allem kultureller Bedeutung, wienicht nurdie zahlreichen Dedikationen derNaxier imbenachbarten Delos belegen1. Gerade aufdiesen Weihgaben finden sich auch sehr viele frühe, mindestens bis zur Mitte des 7. Jahrhunderts hinaufreichende epigraphische Zeugnisse, wie etwa die bekannte Weihinschrift derNikandra2. AusNaxos selbst gibt es bisher aber nur eine einzige höchst fragmentarisch erhaltene legal text“identifiziert worden ist4. Sie Inschrift3 , die als religiöser bzw. eventuell als „ befindet sich auf demBruchstück einer Marmorsäule undmußwohl in die Zeit vor der –damit gehört sie in Zerstörung derPolis durch die Perser imJahre 490 datiert werden5 jenen Zeitraum, in demauch andemum530 wohl noch unter demTyrannen Lygdamis begonnenen Marmortempel (wahrscheinlich für Apollo) gebaut wurde, der unvollendet bleiben sollte6 .
1
2
3 4 5
6
Vgl. allgemein Hdt. 5,28; 31,1ff.; 30,1ff. Siehe etwa HERBST 1935, 2088f.; N.M.KONTOLEON in: 465. Vgl. zu den Weihga612; H. KALETSCH, in: LAUFFER 1989, 461– STILLWELL et al. 1976, 611– ben: R. HERBST, RE 16, 2 (1935), 2086f.; JEFFERY 1961/1990, 303f. mit Nachweisen. IDélos 2; SGDI 5423; GUARDUCCI 1967, 153ff., sowie JEFFERY 1961/1990, 291ff.; 303f. mit Tafel
55. 495. IG XII 5, 40; SGDI 5418, zuerst veröffentlicht vonJ. MARTHA, BCH9, 1885, 493– JEFFERY 1961/1990, 304 (Nr. 13); vgl. 55.
JEFFERY 1961/1990, 292f. Vgl. dazu HERBST, RE 16, 2 (1935), 2082; 2089; GRUBEN/KOENIGS 1968 mit der älteren Literatur.
2. Dieeinzelnen Poleis
227
ObdieMarmorsäule unddieInschrift damit in Zusammenhang zubringen sind, läßt sich natürlich nicht mehr feststellen. Eine inhaltliche Rekonstruktion der dürftigen Reste des Textes ist nicht möglich. Die Anbringung der Buchstaben in den Kanneluren der Säule legt lediglich die Vermutung nahe, daß dieser Text öffentlich auf- und ausgestellt war7. Umwas es sich dabei aber auch gehandelt haben mag, diese Art der Veröffentlichung zeigt jedenfalls auch, daßdieser Text kaumTeil einer größeren Publikation, etwa eines „ Codes“ , gewesen sein kann.
NAXOS (SIZILIEN)
Auch in diesem Fall wird allgemein vorausgesetzt, daß der „Code“des Charondas übernommen worden sein dürfte oder jedenfalls mit einer „ analogen“Gesetzgebung – vielleicht umdie Mitte des 6. Jahrhunderts –zu rechnen sei2. Wie schon bei mehreren anderen westgriechischen Gründungen3 kannsich dieser Schluß nicht auf ein explizites Zeugnis indenQuellen stützen, sondern wird wiederum einfach ausderTatsache hergeleitet, daß Naxos ebenfalls zumγ έ ν ο ςΧ α κ λ ιδικ ό νgehörte4 . Naxos warnachThukydides sogar die erste Niederlassung vonChalkidiern auf Sizilien, undeine der frühesten griechischen Kolonien überhaupt: Die Gründung der Stadt erfolgte mitSicherheit bald nach der Mitte des 8. Jahrhunderts5 . Von hier gingen auch schon wenig später weitere Unternehmungen aus: Leontinoi undvor allem Katane, also dieStadt, ausderderberühmte Gesetzgeber Charondas stammte, wurden vonNaxos aus gegründet6 . Manwird also sicherlich annehmen dürfen, daßzwischen Naxos undKatane schon früh besonders enge Beziehungen bestanden –eine (gewissermaßen sekundäre) Übernahme der„ Gesetzgebung“derTochterstadt Katane durch dieMutterstadt Naxos, etwa im 6. Jahrhundert, läßt sich aber, wiegesagt, nurvermuten.
7
Vgl. JEFFERY 1961/1990, 55, vgl. 51ff.
1
Vgl. etwa DARESTE 1902, 18; BONNER/SMITH 1930, 70; ROEBUCK 1980, 1928.
2 3
So CONSOLO LANGHER 1980, 551. Vgl. Abs. HIMERA; KYME; LEONTINOI; ZANKLE. Thuk. 6,3,1; Ephoros, FGrHist 70 F 137 (= Strab. 6,2,2); Ps.-Skymn. 276f.; 283ff. (GGM I, p. 207f.). Vgl. dazu auch CONSOLO LANGHER 1980, 548f. κ ίς α λ ); vgl. DUNBABIN 1948, 8ff. Siehe bereits Hellanikos, FGrHist 4 F 82 (= Steph.Byz. s.v.Χ u.ö.; BÉRARD 1957, 75ff.; VALLET 1958, 52ff.; 1962/1996, 95; 101; 1978/1996, 136f.; ASHERI 1980, 105ff.; MARTIN et. al. 1980, 619ff.; LESCHHORN 1984, 9ff.; FISCHER-HANSEN 1996, 337ff. mitweiteren Nachweisen. Thuk. 6,2,3; Strab. 6,2,3. Vgl. Abs. KATANE.
4 5
6
III.Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
228 PAROS
Zudenfrühesten
Schriftzeugnissen von der Insel Paros gehört das Fragment einer aufdemBruchstück einer dorischen Säule1, dienach L. JEFFERY etwain die erste Hälfte des6. Jahrhunderts zudatieren ist2. Zwar ist derInhalt dieses Textes nicht mehr zurekonstruieren; die plausible Ergänzung des für archaische Gesetzestexte typischen ἐ ά νin der 5. Zeile macht es jedoch wahrscheinlich, daßes sich tatsächlich umeinen „legal text“handelt, der durch die Anbringung anderSäule „ veröffentlicht“wurde3 . Diese Form derAnbringung derInschrift läßt esandererseits kaum denkbar erscheinen, daßdieser Text etwas anderes als einEinInschrift
zelgesetz gewesen sein könnte, etwa Teil einer umfassenderen Publikation oder „ Kodifikation“ . Dasgilt auch für einige spätere Sakralsatzungen, die durchweg auf Stelen angebracht waren4. PHAISTOS
Aufeiner imJahre 1978 beim antiken Phaistos gefundenen hellen Kalksteinplatte mit einigen Spuren roter Farbe hatsich ein Fragment einer offenbar längeren, sich über mehrere ähnliche Blöcke erstreckenden Inschrift erhalten1. Der Text muß ursprünglich auf jeden Fall nach der letzten erhaltenen Zeile noch weitergegangen sein. Die Inschrift stammt eindeutig aus derzweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts. Es ist unstrittig, daß es sich dabei umein Gesetz gehandelt hat, dessen konkrete Vorschriften allerdings aus diesem Bruchstück nicht mehr rekonstruiert werden können. Immerhin ist noch erkennbar, daß es indiesem Gesetz (zumindest unter anderem) umerbrechtliche Regelungen hinsichtlich des„Vermögens derMutter“(τ ο μ ια ) gegangen sein muß2. α τρ ὰ Indenebenfalls inschriftlich erhaltenen frühen gesetzlichen Regelungen desErbgangesdes„Muttergutes“ausGortyn (τ ρ ο μ ια α τ ), dieauch mindestens in das6. Jahrhunὰ 4 dert zu gehören scheinen3 , undwenig später im großen „Recht von Gortyn“, in dem
1
IG XII 5, 105; vgl. schon IIGA p. 59, 1.
2
JEFFERY 1961/1990, 305 (Nr. 26) mit Tafel 56; vgl. 294. Das von A. JOHNSTON bei JEFFERY ) ist m.W. noch sacral law“ 475 zu datierende Gesetz („ 1961/1990, 466, Abs. G. erwähnte, etwa 525–
unpubliziert.
3 4
IG XII 5, 105 mit demKommentar; vgl. auch JEFFERY 1961/1990, 55; vgl. 51ff. IG XII 5, 107; KOERNER Nr. 57; VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 94, vgl. auch LSCG Nr. 108; IG XII 5, 108, KOERNER Nr. 58, vgl. auch LSCG Nr. 111, jeweils mit Kommentar und weiteren Nachweisen. Vgl. noch IG XII 5, 150 (=KOERNER Nr. 59). Siehe auch Abs. NAXOS.
1
VAN EFFENTERRE/RUZE II, Nr. 39. Vgl. zuerst DI VITA/CANTARELLA 1978, 429ff. (mit Kommenν α ςscheint mir zu spekulativ, um τερ α tar, 432ff.); SEG 32 (1982) 908. Die Ergänzung in Z.4 σ[τ darauf Überlegungen
2 3 4
zur frühesten
Prägung
undVerbreitung von Münzen
aufzubauen (gegen
DI
1978, 433). Vgl. auch WHITLEY 1997, 654; 1998, 326. Vgl. grundsätzlich zumFolgenden DIVITA/CANTARELLA 1978, 432ff. 38, jeweils mit 121; VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 37– ICret IV 20 und 21; KOERNER Nr. 120– Kommentar undweiteren Nachweisen. Vgl. dazuAbs. GORTYN. 45, sowie allgemein II 46ff.; III 18ff.; VI 9ff. Vgl. dazu ICret IV 72, coll. IV 45; VI 34; 45; XI 44– WILLETTS 1967, 20f.; DI VITA/CANTARELLA 1978, 434.
VITA/CANTARELLA
2. Dieeinzelnen
Poleis
229
auf offensichtlich ältere einschlägige Gesetze verwiesen wird5 , bezeichnet dieserBegriff dasderFrauselbst undihrallein gehörende Eigentum, das nicht nurnach den gleichen Regeln vererbt wurde wiedas Eigentum des Mannes 6; es wurde auch schuldrechtlich genauso behandelt7 . Im„ Recht vonGortyn“ wurde sogar explizit festgelegt, daß der Witwer keine Verfügungsgewalt über das Vermögen seiner verstorbenen Frau erlangte, wenn sie Kinder hatte –er durfte es ohne die Zustimmung ihrer (volljährigen) Nachkommen weder veräußern noch belasten, unddas Vermögen ging sofort an diese über, wenner etwawieder heiratete8 . Daßes auch in demvorliegenden Gesetz vonPhaistos umsolche oder ähnliche Regelungen gegangen sein dürfte, belegt vor allem der Gebrauch des Verbs ἀ ι θ α έ[σ α ιρ ν τ ρ α μ α τ ο (oder: [ν ι), daswohl aufτ ια ὰ zubeziehen ist undanscheinend ein erbrechtlicherTerminus technicus ist. Dieses Verb kommt nicht nurin demerwähnten Gesetz aus Gortyn aus dem6. Jahrhundert über die Rechte natürlicher undadoptierter Kinder am mütterlichen (undväterlichen) Vermögen vor9 , sondern entspricht anscheinend auch dem Verb ἀ ν α ιλ ε θ α ιimgroßen „Recht vonGortyn“10. Es bezeichnet einen bestimmten Fall desÜbergangs des mütterlichen Vermögens andie Erben –möglicherweise impliziert es die erklärte Annahme (im Unterschied zum automatischen Übergang) der Erbschaft1 1. Damit dürfte das Gesetz in denweiteren Zusammenhang der archaischen Gesetzgebung ιin ο κ ο ρ ιο ο über Erbrecht generell unddie Rolle derErbinnen, derἐπ ι(bzw. π η τρ α λ ίκ 2. Gortyn) imbesonderen gehören, dieauchfürandere Poleis außer Gortyn bezeugt ist1 wiederum
Allem Anschein nach handelt es sich bei diesem Gesetz um einen Beschluß der ῖπ [ᾶ Volksversammlung; denndieFormel ]ε ιbezeichnete offenbar dieAktiα ι|ἐ νἀγορ γ ο ρ ά als (Ort der) Versammlung derBürger ist wievitäten eines Antragstellers13. Dieἀ derum für Gortyn mehrfach bezeugt, undzwar ebenfalls schon auf einer Inschrift aus dem6. Jahrhundert1 4. Im „Recht von Gortyn“kommt die Volksversammlung explizit zwarnuralspassives, wennauchunverzichtbares Organ derÖffentlichkeit bei derErklärung bzw. beim Widerruf einer Adoption vor15. Allerdings scheint die Formulierung von dem „ Stein, von dem man (zum Volk) spricht“16, darauf hinzudeuten, daß solche Erklä-
5 6 7 8 9 10
6, vgl dazu WILLETTS 1967, 65 adloc. Col. V 1– Col. IV 43– 46. Col. XI 44– 45. 46; vgl. WILLETTS 1967, 68 ad loc. Col. VI 31–
ICret IV 20, Z.3– 4. 25; VII 10; X 44; XI 4, 34. ICret IV 72, coll. V 24– 11 DI VITA/CANTARELLA 1978, 434f. 12 Vgl. DI VITA/CANTARELLA 1978, 433f. Siehe auch Abs. CHALKIDIER INTHRAKIEN. 13 DI VITA/CANTARELLA 1978, 432f. 14 Vgl. etwa ICret IV 13; KOERNER Nr. 120; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 1 οο ά ὸτολ π νἀ ᾶ ντο ιτ α ν ο λ π α έ 15 ICret. IV 72, col.X 34– ίν π ο 36: ἀμ ε μ θ α ιδ αελμ τ α ὲκ τ α νκ ὰ ρ γ ο ᾽ἀ ο ὸτ π νἀ ὰ ρ τ α οκ θ θ ά οειπ [έκα , ἀπ μ ν ο λ ε ε ς ᾽ἀγο ἰδ ῖ] ὀἀνπ 14: α α ά ν τ ι. Col.XI 10– ἀ π ᾽ἀγορεύον νπ ν τ ο ο λ ο ν ν . Vgl. dazuWILLETTS 1967, 10; 30; 76f. (zu τ ᾶ ια έ αελμ ρ τ ε ύ ο ν [ο οἀ ο τ π ικα λ ά ᾽ἀ]γ α ς ν έ coll.X 33 –XI 23); KOERNER Nr. 180; VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 40. Vgl. zu kret. ευμ ν ν ο έ μ ν έ α α ς undκ αελμ τ bzw. ελ = ‘assembled’: BUCK 1955, S.65f.; WILLETTS 1967, 77 (zu col.X 36). Vgl. zu kret. π 35– ο λ : BUCK1955, S.133. τε ια ύ ω : BUCK 1955, S.352. Vgl. den ω ε ύ ρ 16 KOHLER/ZIEBARTH 1912, 25 undallgemein 45. Vgl. zu ἀ ο γ α π Abs. GORTYN.
230
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
oderauchReden –auchinanderen Zusammenhängen undbei anderen Gelegenrungen – heiten vorkamen. Daßes derartige Einrichtungen schon im6. Jahrhundert auchin Phaistos gegeben haben könnte, wird zumindest indirekt dadurch belegt, daßdiese Inschrift selbst offenbar in derÖffentlichkeit, vielleicht anderWandeines öffentlichen Gebäudes, angebracht war– dererhaltene Block stellt nureinen (wahrscheinlich recht kleinen) Teil einer großen Wand dar. Darüber hinaus wandte sich dieInschrift offenbar auch andiese Öffentlichkeit, nämlich durch ihre monumentalen Dimensionen mit einer Höhe der Buchstaben bis zu 10 cm17. DieTatsache, daßdaserhaltene Bruchstück ohne Zweifel Teil einer größeren, ja monumentalen Inschrift gewesen sein dürfte, berechtigt allerdings keineswegs automatisch zuderAnnahme, daßhiermit nuneinBeleg füreine nochim6. Jahrhundert, also vordem großen „ Recht von Gortyn“vorgenommenen Fixierung von Gesetzen in großem Stil.18 odergarfüreine systematische „Kodifikation“vorliege. Es ist angesichts vergleichbarer, aberbesser erhaltener Inschriften sogar wahrscheinlicher, daßes sich umein Einzelgesetz handelte19, dasmöglicherweise neben anderen Gesetzen aneiner dafür speziell vorgesewobei wir allerdings noch nicht einmal denUmfang, henen Wandveröffentlicht wurde – die Genauigkeit undSystematik derdarin geregelten familien- underbrechtlichen Materien abschätzen können. PHLEIUS
Ausdieser Polis imNordosten der Peloponnes
stammt
ein interessantes inschriftli-
ches Zeugnis, daswegen derbesonderen Fundumstände einerseits undwegen eines darin
vorkommenden auffälligen Schriftzeichens andererseits vor allem in epigraphischen Publikationen immer wieder diskutiert worden ist1. Es handelt sich ummehrere Zeilen bzw. Bruchstücke vonZeilen auf(anscheinend ebensovielen) sorgfältig bearbeiteten Steinblökken, die zu verschiedenen Zeiten –zumTeil schon im 18. Jahrhundert, zumTeil erst 1923 –und, wie es scheint, an verschiedenen Orten gefunden wurden. Die Lage wird schließlich noch dadurch kompliziert, daß mittlerweile die zuerst aufgetauchten Stücke wieder verlorengegangen sind, so daßdie darauf befindlichen Zeilen nurmehr aus Zeichnungen rekonstruiert werden konnten2.
17
DI VITA/CANTARELLA 1978, 430; 432.
18 Vgl. aber GAGARIN 1986, 97 Anm. 60; 138 Anm. 52. 19
Vgl. wiederum GAGARIN 1986, 97; 138, sowie Abs. CHIOS; DREROS; NAUPAKTOS etc.
1
IGA 28a-c; IIGA, p. 51; IG IV 439a-c, s. jetzt VANEFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 9. Vgl. bereits SCRANTON 1936, 235ff.; SEG 11 (1954) 275; 27 (1977) 38; JEFFERY 1961/1990, 146f.; 150 (Nr. 1) mitTafel 24; GUARDUCCI 1967, 237f. Vgl. außerdem, vor allem zu demdubiosen „doppelten omikron“ , die Bemerkungen von L.H. JEFFERY, JHS 59, 1939, 139; AJA 43, 1939, 686; R. L. 1954, 170f.; SCRANTON, Hesperia 10, 1941, 371– 372; MEYER 1941, 283; GUARDUCCI 1952– GALLAVOTTI 1977, 127ff. Vgl. zu diesen Umständen im einzelnen M. FRAENKEL zu IG IV 439; SCRANTON 1936, 239f.; 244 (Nr. 7) mitAnm. 2; JEFFERY 1961/1990, 146; 150 (Nr. 1).
2
2. Dieeinzelnen
Poleis
231
Völlig unstreitig ist, daßeinerseits diese Zeilen –schon ausepigraphischen Gründen3 einzigen boustrophedon geschriebenen Inschrift gehört haben müssen, daß andererseits auch die einzelnen Blöcke ursprünglich ein einziges größeres archaisches Bauwerk bildeten unddaßschließlich alle Indizien auf eine Datierung in die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts deuten. Nach L. JEFFERYS Vermutung handelte es sich möglicherweise umeine Art Opferaltar4 –vergleichbar jenen „Altären“ , die sie aus 26 in Eleusis gefundenen, offenbar zusammengehörenden Fragmenten auspentelischem Marmor rekonstruieren wollte5 . Fürdiese recht plausible Hypothese spricht nicht zuletzt, daß sich auch auf den (zu vermutenden) großen Blöcken der „Eleusis-Altäre“Inschriften befanden, und zwarziemlich lange undoffenbar detaillierte kultische Vorschriften6 .
–zu einer
gesetzesförmlich“ Vergleichbare religiöse bzw. sakralrechtliche, im weitesten Sinne „ formulierte Regelungen dürften auchderGegenstand derInschriften aus Phleius gewesen sein. DerText dieser lexsacra läßt sich zwar im einzelnen nicht mehr rekonstruieren, aus denBruchstücken ist aber noch deutlich zuerkennen, daßes darin (zumindest) umVorschriften über Eide ging7, undzwar wohl im Zusammenhang mit Opfern für Apollon. Genau darauf bezieht sich nämlich eine erheblich spätere, nochgutlesbare Inschrift (wohl aus dem 1. Jahrhundert v.Chr.), die wohl nicht zufällig auf einem der Blöcke angebracht war, diediearchaischen Zeilen trugen8: Sie regelt Opfer für Apollon, der in Phleius nicht weit von der Agora ein wahrscheinlich schon in archaischer Zeit gegründetes Heiligtum hatte9 –undbezeichnenderweise bezieht sich diese späte Vorschrift ausdrücklich auf Opfer, wiesie „ in denfrüheren Zeiten“dargebracht worden waren10. Was auch immer diese lex sacra geregelt haben magundwie detailliert diese Regelungen gewesen sein mögen –es handelt sich höchstwahrscheinlich umein einzelnes, auf einen ganz spezifischen Gegenstand bezogenes Gesetz, dasgenau andemOrt inschriftlich fixiert und veröffentlicht wurde, auf den es sich bezog, nämlich an der Kultstätte für Apollon inderNähederAgora.
3 4
5 6 7
Vgl. nurSCRANTON 1936, 239 unddieübrige Literatur in denvorigen Anmerkungen. JEFFERY 1961/1990, 146; vgl. 150 (Nr. 1); SCRANTON 1936, 235; GALLAVOTTI 1977, 127. JEFFERY 1948, 86; 91f. mitAnm. 23 (92). Sie datiert diese „ Altäre“auf die Zeit zwischen
510 und
480.
JEFFERY 1948, 92ff., sowie generell 91; vgl. dies. 1961/1990, 61; 146. Vgl. etwa R. FLACELIÈRE, J. ROBERT, L. ROBERT, REG 51, 1938, 431 (Nr. 121); JEFFERY 1948, 92
Anm. 23; 1961/1990, 146; GUARDUCCI 1967, 238. SCRANTON 1936, 241 (Nr. 4), mit Abb. 3 (S. 237); 243; SEG 11 (1954) 276; R.FLACELIÈRE, J. ROBERT, L.ROBERT, REG 51, 1938, 431 (Nr. 121). 9 Paus. 2,13,7, vgl. 6f. Vgl. SCRANTON 1936, 241; MEYER 1941, 277; 288. ν α σ ιςἐδίδ[ο ν ο ρ ό νχ ο ρ ρ ό τε ντ ετ ο ῖςπ 10 SCRANTON 1936, 241 (Nr. 4); SEG 11 (1954) 276, Z. 2:
8
].
- --ἔ
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
232 PRAISOS
Obdie beiden archaischen Inschriften ausPraisos imOsten Kretas1, das noch in historisch heller Zeit als ein Zentrum dervorgriechischen Einwohner derInsel (der „ Eteokreter“ ) galt2 , wirklich dieÜberreste eines „Eteocretan code“darstellen, wie L. JEFFERY vermutet, mußdahingestellt bleiben3. Sie sind zwar in griechischen Buchstaben boustrophedon geschrieben und können daher auch ungefähr datiert werden, nämlich in die zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts4. Aber diese Texte sind nicht in griechischer Sprache abgefaßt, sondern in der bisher nicht entschlüsselten eteokretischen Ursprache. Ohne offizielle“Dokumente politischer oder religiöZweifel waren diese Zeugnisse wichtige „ ser, jedenfalls „öffentlicher“Art; denn sie waren aufBlöcke geschrieben, die am„Altarhügel“ , der dritten undsüdlichsten Akropolis von Praisos mit einem schon seit dem 8. Jahrhundert bestehenden offenen Heiligtum, verbaut waren5. In vielen anderen Poleis nicht nurauf Kreta wurden ansolchen Orten Inschriften mitGesetzestexten angebracht6 , sodaßdieVermutung, daßessich auchindiesem Fall umderartige Texte handelte, plausibel ist. Daßesdabei umeine „ Kodifikation“ ging, ist allerdings schon wegen derLänge derFragmente nicht anzunehmen. PRIENE
InPriene soll Bias, „Staatsmann und‘Weiser’ , wohl irgendwann im6. Jahrhundert als„Aisymnet imaltionischen Sinn“ verfassungsmäßiger Wahlmonarch“im , nämlich als „“ Sinne derKategorie desAristoteles, fungiert haben1. Inderantiken, allerdings nicht sehr frühen Tradition wurde Bias tatsächlich zumunstrittigen Kern derSieben Weisen gerechnet –sein Name taucht regelmäßig in den verschiedenen voneinander abweichenden Listen auf2. Er wurde mit der bekannten Geschichte vomDreifuß „ fürdenWeisesten“in Verbindung gebracht3 undsoll –wie Solon undandere derWeisen –amHofdesKroisos gewesen sein4. Nach derÜberlieferung hat er auch seine Heimatstadt durch einkluges Stratagem bei derBelagerung durch Alyattes gerettet5 undsie auch imStreit mit Samos außerordentlich geschickt vertreten6 . Und er 1
2
ICret III, vi, 1 und4. Vgl. Nr. 1 bereits bei COMPARETTI 1893, 449ff. (Nr. 208); CONWAY 1901– 1902, 131ff.; DGE, Appendix IV, p. 402 (Nr. 2,2); JEFFERY 1949a, 146f.; GUARDUCCI 1967, 193f. (Nr. 10); DUHOUX 1982, 63ff. mitweiteren Nachweisen.
6
Vgl. dazuMEYER 1974 mitNachweisen derFundberichte etc. JEFFERY 1961/1990, 316 (Nr. 19a-b). Vgl. auch WHITLEY 1997, 653; 1998, 325. JEFFERY 1961/1990, 313f.; 316; GUARDUCCI 1967, 193, zustimmend DUHOUX 1982, 63. Vgl. etwa MEYER 1974, 469; 472 mit weiterer Literatur; DUHOUX 1982, 58; 63. Vgl. nur die Abs. DREROS; RHIZENIA etc.
1
CRUSIUS 1897,
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5
2
383; 388; SCHOTTLAENDER 1965, 28. Eher zurückhaltend ist dagegen WOLF 1950, 186, unklar ist TRIANTAPHYLLOPOULOS 1985, 57 (Anm. 20). 88 42; 82– Vgl. nur Dikaiarch frg. 32WEHRLI (= Diog. Laert. 1,41), ferner Diog. Laert. 1,13; 40– passim; Strab. 14,1,12; Plut.mor. 146E-147A; 150B; 151A-D; 152A; 155E. Vgl. CRUSIUS 1897, 383ff.; IvPriene 195ff.; VONDERMÜLL 1965, 178ff.; FEHLING 1985, 11f.; 28f.; 49ff. mit weiteren Nachweisen.
3 4 5
Diog. Laert. 1,82f. Vgl. die übrigen Nachweise bei SNELL 1938, 107ff. Hdt. 1,27,1ff. Vgl. die Nachweise bei SNELL 1938, 43ff. Diog.Laert. 1,83.
2. Dieeinzelnen
Poleis
233
galt alsUrheber desRatschlags andie Ionier, nach Sardinien auszuwandern unddort ein
neues großes Gemeinwesen zugründen7 . Wiedenanderen Weisen wurden ihmin der späteren, breit ausgestalteten Überlieferungzahlreiche Apophthegmata undähnliche Sentenzen sowie eine schriftliche Hinterlassenschaft vonzweitausend Versen zugeschrieben8, wie auch der Spruch, daß die beste Demokratie diejenige sei, inderalle dasGesetz fürchteten wieeinen Tyrannen9 . 0 –allerSchon früh scheint Bias tatsächlich besonderes Ansehen genossen zu haben1 1, dings weniger als überlegener, neutraler Richter1 sondern eher als Anwalt, als vollendeter Könner imPlädieren für eine Sache12. Später gab es in Priene sogar ein τέμ ε ν ο ς (vielleicht eine ArtHeroon) desBias, das–seltsamerweise angeblich nach demNamen ε υ seines Vaters –Τ μ τά ε ιο geheißen haben soll13 unddasvielleicht mitdeminschriftlich ν bezeugten Β ιά ν τε ιο inZusammenhang zubringen ist14. ν Diese Zeugnisse undüberhaupt alle sich mitdemNamen des Bias verbindenden detaillierten Nachrichten undAnekdoten (obsienunapokryph sindoder einen authentischen Kernenthalten) belegen eben gerade nicht, daßBias jemals als „Schiedsrichter“in einem inneren Konflikt in Priene oder gar als „ Aisymnet“mit umfassender gesetzgeberischer Gewalt tätig war–oder auch nurin der späteren antiken Tradition als solcher gegolten hätte15. Mithin ist die Vorstellung vonBias als „ Ordner“und„ Nomothet“nureine Konstruktion dermodernen Forschung, dieaufproblematischen Vorannahmen über denCharakter von „ Aisymnetie“und„ Nomothesie“beruht.
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9 10
11 12
13 14 15
Plut.mor. 296A; vgl. Aristot.frg. 576 ROSE. Siehe dazu WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1906/1937,
134f. Hdt. 1,170,1ff. Siehe etwa FVS 10,3 S. 65 (= Stob.Floril. 3,1,172 HENSE; vgl. SNELL 1938, 101; ferner Plut.mor. 61C; 152A; 155D; 548E-F; Diog.Laert. 1,86– 88. Vgl. ferner die Nachweise bei STERNBACH 1888, 32ff.; 247f. Von denangeblichen 2000 Versen, dieBias hinterlassen haben soll (Diog.Laert. 1,85), liegt nichts vor, weil es sie nie gegeben hat; vgl. HILLER 1878, 520f.; 525. Plut.mor. 154E. Hipponax frg. 123WEST = 73DIEHL = 122– 123MASSON (= Strab. 14,1,12; Diog.Laert. 1,84 und88; Suda s.v. δικ ά ζε σ ι; Heraklit FVS 22 B 39 (= Diog.Laert. 1,88); vgl. auch Demodokos frg. θ α 6WEST (= Diog.Laert. 1,84). Vgl. dazu VONDER MÜHLL 1965, 178ff., anders WILAMOWITZMOELLENDORFF 1906/1937, 134 Anm.3. Vgl. WOLF 1950, 185f.; TRIANTAPHYLLOPOULOS 1985, 57 (Anm. 20). Siehe auch Plut.mor. 616CD; Diog.Laert. 1,87. HUMPHREYS 1983, 249f.; vgl. bereits VONDER MÜHLL 1965, 178ff. Diog.Laert. 1,88. IvPriene 111, Z.245; 113, Z.88; 117, Z.34. Vgl. K.-J. HÖLKESKAMP, DNP 2, 1997, 617 s.v. Bias (2). Letztlich kann dafür überhaupt nur ein einziger Satz bei Dikaiarch in Anspruch genommen werden (frg. 30WEHRLI = Diog.Laert. 1,40): ὁ ὶ α α ςκ έτιν ὺ ςδ α ι, συνετο ὺ χ ο ςγεγονέν ρ ςο η σ ὶναὐτο ὔ τ εσοφ ο ὺ α ία ςο φ ιλ ο υ ο σ ικ ὔ τ εφ ό ςφ δ ὲΔ μ ο ν ο θ ε τ ικ ο ύ . ς
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
234 RHEGION
Indieser Polis, diewohlum720vonChalkidiern aufInitiative des selbst gerade erst etablierten Zankle gegründet wurde1 unddamit ebenfalls zur Gruppe der chalkidischen Kolonien in derMagna Graecia undaufSizilien gehörte2, galten die „ Gesetze des Charondas“ , wie in denAuszügen des Herakleides Lembos aus den aristotelischen Politien ausdrücklich bezeugt ist3 . Nach einer späteren Überlieferung soll dergroße Gesetzgeber ausseiner Heimatstadt Katane hierher geflohen sein4 . Sicherlich könnte diese Tradition eine authentische Erinnerung widerspiegeln –nicht zuletzt, weil Aristoteles wenigstens über einige zuverlässige Daten zu frühen „ Gesetzen (des Charondas)“verfügt zuhaben scheint5 . Damit istaber noch keineswegs ausgemacht, wases mitdiesen „Gesetzen“in diesem konkreten Fall inhaltlich auf sich hatte. Immer wieder wird jedoch gerade diese Nachricht für weiterreichende Schlußfolgerungen und Verallgemeinerungen hinsichtlich der„ Gesetze desCharondas“in Anspruch genommen: Zwar habe Charondas der Polis Rhegion keine „Verfassung“gegeben; dem „aristokratischen“ bzw.„oligarchischen“Charakter ihrer ältesten „Verfassung“entsprechend habe es sich aber umeinen umfassenden „Code“ , ein vielseitiges „ensemble“von Gesetzen mit (vielleicht schon „ gemäßigtem“ ) „oligarchischem Charakter“gehandelt. Dahinter steht die zumindest implizite Annahme, daßdie„ Gesetze desCharondas“ein zusammenhängendes undeinheitlich nach „oligarchischen“Prinzipien ausgerichtetes System von Regelungen waren6. Diese allgemeine Einschätzung, dieihrerseits wiederum auf die anderen chalkidischen Städte imwestgriechischen Kolonisationsraum übertragen worden ist7, beruht auf derKombination weiterer Zeugnisse mitdemunmittelbaren Kontext dererwähnten Stelle bei Herakleides Lembos. Dieser erwähnt imgleichen Zusammenhang nämlich auch, daß Rhegion –offenbar bis zurBegründung derTyrannis des Anaxilas „ Messenios“–eine ή ) hatte8 . Das hatte auch schon „ aristokratische Verfassung“(π τικ ο λ ιτ ίαἀριστοκρα ε undzwarebennicht nurfürRhegion, sondern auch fürLeontinoi, Aristoteles behauptet –
1
Antiochos v. Syrakus, FGrHist 555 F 9 (= Strab. 6,1,6); vgl. auch den Kontext bei Strab. ebda.; Dion.Hal.ant. 19,2; Diod. 8,23,2; Herakl.Lembos frg. 55DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 25,1ff., FHG 312 (GGM I, pp. 207f; 209). Vgl. zu derverworrenen Überlie290; 309– II, p. 219); Ps.-Skymn. 283– ferung etwa DUNBABIN 1948, 10ff.; BÉRARD 1957, 99ff.; VALLET 1958, 66f.; 1981/1996, 388ff.; 1964/1983, 17ff.; 1982, 109, sowie jetzt LESCHHORN 1984, 23ff.; MALKIN 1987, 31ff. zu denEinzelheiten. GRAHAM
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4 5
6
Vgl. Thuk. 3,86,2; 6,44,3 und79,2. Frg. 55DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 25,4, FHG II, p. 219). Diese Nachricht wird allgemein akzeptiert; vgl. etwa GILBERT 1885, 238; DARESTE 1902, 18; BUSOLT 1920, 377; CIACERI 1927, 37; BONNER/SMITH 1930, 70; GRAHAM 1964/1983, 18; PICCIRILLI 1981a, 8; RUSCHENBUSCH 1983, 322; CORDIANO 1990, 67; 72 undpassim. Vgl. auch Aristoxenos frg. 17WEHRLI (= Porphyr.vita Pyth. 21); Iambl. vita Pyth. 33. Ael.var.hist. 3,17. Siehe etwa die Abs. KATANE; Kos. Darin scheint mir, bei allen Nuancen im einzelnen, die gemeinsame Grundtendenz der modernen Forschung zu bestehen. Vgl. etwa VALLET 1958, 316; ROEBUCK 1980, 1930; GRAHAM 1982, 191, sowie schon GILBERT 1885, 238; CRISPO 1940, 134ff.; DUNBABIN 1948, 72ff. KATANE; KYME; LEONTINOI.
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Vgl.
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Frg. 55DILTS (= [Herakl.Pont.] 25,4– 5, FHG II, p. 219). Vgl. dazu CORDIANO 1990, 67ff.
die
Abs.
2. Die einzelnen
Poleis
235
wodie „Oligarchie“durch denTyrannen Panaitios beseitigt worden sei9 . Der Kern der aristokratischen Verfassung“in Rhegion warwiederum nach Herakleides die Institution „ der„Tausend“ , dienachihrem Vermögen bestellt wurden und„alles verwalteten“10. Diese Einrichtung ist für ihn offenbar das entscheidende Merkmal dieser π –undeben ο λ ιτ ε ία μ nicht die ν ο ό ιdes Charondas, die erst imfolgenden Satz undohne ausdrücklichen Bezugdazu schlicht erwähnt werden.
Zunächst ist damit festzuhalten, daßfür Herakleides –offenbar ganz im Sinne von Aristoteles’ theoretischer Unterscheidung zwischen π ο λ ιτ ε ίαundνόμ ο ι11–die „Tausend“nicht selbst Teil bzw. Gegenstand der Gesetzgebung des Charondas gewesen zu sein scheinen12. Dieser galtja auch nurals „Gesetzgeber“undnicht als „Verfassungsstif13.Zweitens bezeichnet Aristoteles selbst nurein einziges Gesetz des Charondas auster“ drücklich als „ oligarchisch“ , nämlich dasjenige über die hohe Buße für Reiche und die niedrige für Arme bei Fernbleiben von Gerichtsverhandlungen14 –Aristoteles hält das für eine der typischen raffinierten Maßnahmen in der verdeckten Strategie „oligarchischer“ Gesetzgebungen (ὀ ρ λ χ α ιγ ικ ὰσοφ μ α ίσ τ ατῆ ο ςνομ θ ε σ ία ς ), die systematisch und absichtsvoll darauf ausgerichtet sei, einerseits die Beteiligung des demos formal zuzulassen undzugleich praktisch zuentwerten, andererseits die aktive Beteiligung derReichen und damit ihren maßgeblichen Einfluß auf alle Entscheidungen indirekt zufördern15. Diese Einschätzung steht natürlich im Kontext von Aristoteles’ theoretischsystematischen Erwägungen über spezifische undzweckorientierte Gesetzgebungen zur Ausfüllung, Stabilisierung undSicherung „ oligarchischer“bzw. „ demokratischer“Ordnungen –für eine historischen Gesamteinschätzung derGrundtendenz der „ Gesetze des Charondas“kann dies wohl kaum in Anspruch genommen werden. Bezeichnenderweise findet Aristoteles sonst auch nicht viel Bemerkenswertes (oder für die eine oder andere „ Verfassung“Typisches) an den„ Gesetzen des Charondas“ , dener an anderer Stelle ja sogar als einen der (guten) Gesetzgeber aus der Gruppe der „ mittleren Bürger“ein6. schätzt1 Die wenigen Gesetze, die er ausdrücklich mit demNamen des Charondas verbindet, nämlich diejenigen über Meineid undfalsche Zeugenaussage, sind (jedenfalls im Sinne seiner eigenen Kriterien) kaum spezifisch „ aristokratisch“– oligarchisch“bzw. „ ebensowenig wie alles andere, wasüber die Gesetzgebung des Charondas noch rekonstruiert werden kann17. Überhaupt lassen sich diese Gesetze kaum als in sich geschlossenes systematisches „Gesetzgebungswerk“auffassen, hinter dem eine einheitliche und vereinheitlichende „Grundtendenz“erkennbar wäre.
9
Pol. 1316a34– 39. Schließlich bezeichnet Dionys auch die Ordnung, die in derebenfalls chalkidischen ή(Ant. ικ τ ο λ ιτ ε ίαἀριστοκρα Kyme vor derTyrannis des Aristodemos herrschte, als π 7,4,4; 8,3; vgl. 7,7,3) bzw. ὀ ρ χ ία(7,6,4). α λ ιγ ιν σ αδιοικοῦ τ ν ά ρπ ὰ ίλ ιο ιγ Exc.polit. frg. 55DILTS (= [Herakl.Pont.] 25,4, FHG II, p. 219): χ μ ά η τ α ω ν . Vgl. dazu CAMASSA 1987, 633ff. ε τ ἱρ ο ὶἀ π ὸτιμ Vgl. dazu Kapitel II 2. Anders anscheinend GILBERT 1885, 238; CIACERI 1927, 42ff. Aristot.Pol. 1274a22ff.; b5ff. Pol. 1297a21ff. Pol. 1297a35, vgl. a14ff. Vgl. auch denAbs. KATANE. 21. Vgl. dazu Kapitel II 2 und3. Pol. 1296a18– Pol. 1274b5ff. Vgl. generell denAbs. KATANE. Gründung
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236
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
Daßmanspeziell inRhegion einen solchen einfürallemal fertigen allgemein chalkidischen „ Code“gar nicht gekannt zuhaben scheint, wird übrigens auch dadurch indiziert, daßhier eben nicht die „Gesetze des Charondas“einfach übernommen wurden, sondern ο dieStadt, zumindest nacheiner späteren Überlieferung, gleich mehrere eigene νομ ι θ α έ τ gehabt haben soll, nämlich Phytios, Theokles (oder Theaitetos), Helikaon undAristokrates, die später (wie auch Zaleukos undCharondas) zu „Pythagoreern“wurden unddie sogar diesogenannten „ Verfassungen vonRhegion“ eingerichtet haben sollen –was auch immer damit gemeint gewesen sein mag18. Diese Figuren müssen keineswegs schon wegenihrer (natürlich nachträglich konstruierten) Verbindung zuPythagoras erfunden sein – auch Zaleukos undCharondas sind ja zweifellos im Kern historische Persönlichkeiten. UndmitAndrodamas brachte Rhegion auchnochseinerseits einen Gesetzgeber für andere Chalkidier hervor19. Eine weitere Überlegung macht auch die moderne Einschätzung derstrikt „oligarchischen Verfassung“in den chalkidischen Städten als Rahmen undVoraussetzung der all0. gemeinen Übertragbarkeit der„ Gesetze desCharondas“fragwürdig2 DieInstitution der „ Tausend“läßt sich einerseits nicht so ohne weiteres als typisch chalkidische Einrichtung definieren. Die „ Tausend“sind nämlich sonst nur für gerade nicht zum chalkidischen γ έ ν ο ςzählende Städte explizit bezeugt –nämlich Lokroi Epizephyrioi und Kroton im Westen, das ozolische Lokris im Mutterland undschließlich für Kolophon und das aiolische 1. Kyme2 Vielleicht übernahm manin Rhegion diese Einrichtung vondemnicht sehr weit entfernt liegenden Lokroi Epizephyrioi22 –unddort dürften andererseits die „ Tausend“ praktisch eine Versammlung fast aller oder doch dermeisten Bürger gewesen sein23. So wares schließlich auch imozolischen Lokris, wonach demschon genannten Dokument des 5. Jahrhunderts die „Tausend“mitder(Voll-)Versammlung derKolonisten desvon dort deduzierten Naupaktos gleichgesetzt werden 24 . Auch im aiolischen Kyme scheinen die„Tausend“ehereine große Versammlung gewesen zusein. Zudem wurden diemeisten, undnicht zuletzt die chalkidischen, Kolonien des Westens innerhalb weniger Jahrzehnte gegründet –jede vonihnen kann anfangs nur relativ wenige Bürger gehabt haben, sodaßauch später noch die „ Tausend“sowieso kaum eine enge „oligarchische“Minderheit gewesen sein können. Das soll natürlich keineswegs heißen, daßdiese Poleis nicht noch gewissermaßen auf archaische Art aristokratisch regiert wurden wie etwa Kyme25. Dieinneren institutionellen Strukturen dieser Städte lasὰ ς γ ιν ικ η 18 Iambl.vita Pyth. 27,130, vgl. 30,172; 36,267, über die es heißt (27,130): ο ὰ ετ ἵτ ςῬ α μ ο υ έ ὴ λ νκληθ ε ςὀνο α κ ῖσ νκ ὶτ α νἐ ε ο π ὶΘ ρ ὴ χ ικ α μ ν σ ια τ ε υ ή ςτ ντ εγ π ο λ ιτε ία ςσυστήσαν . Vgl. VALLET 1958, 287; 313; CORDANO 1978, 92f. ν η ν έ μ ζο 19
Vgl. Arist.Pol. 1274b23ff. Vgl. Abs. CHALKIDIER in THRAKIEN.
1981, 267. 20 Vgl. generell SARTORI 1980– 21 Vgl. zu Lokroi Epizephyrioi: Polyb. 12,16,6; vgl. auch denAbs. LOKROI EPIZEPHYRIOI; zu Kroton: Iambl.vita Pyth. 257; 260; vgl. auch denAbs. KROTON; zumozolischen Lokris: MEIGGS/LEWIS 20, Z.39; BECK 1999; vgl. auch denAbs. LOKRIS; zu Kolophon: Xenophanes Frg. 3WEST (= Athen. 12,526a-b); Theopomp, FGrHist 115 F 117 (= Athen. 12, 526c); zu Kyme in der Aiolis: Herakl.Lembos Exc.polit. frg. 39DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 11,6, FHG II, S. 217), wenn man die Stelle so verstehen darf. Vgl. dazu denAbs. KYMEINDERAIOLIS. 22 Vgl. etwa DUNBABIN 1948, 72. 23 Vgl. etwa OLDFATHER 1926, 1244ff.; 1927, 1346; WALBANK 1967, 363 ad Polyb. 12,16,10. 24 25
MEIGGS/LEWIS Nr. 20, Zeile 39– 40. Vgl. dazu den Abs. LOKRIS. Vgl. dazu den Abs. KYME.
2. Dieeinzelnen
Poleis
237
sen sich aber offenbar nicht so ohne weiteres schlicht als „oligarchisch“qualifizieren – jedenfalls nicht nachAristoteles’Kategorien derKlassifizierung von„ Verfassungen“und auf der Grundlage dervonihmundseiner Schule gesammelten undselektierten Daten. Damit entfällt zumindest die Basis der allgemeinen Einschätzung der „ Gesetze des Charondas“als eines systematisch-geschlossenen „Code“mit „ oligarchischer Tendenz“in Rhegion undanderwärts. RHIZENIA (PRIMAS?)
Auseiner (zumindest in klassischer Zeit) anscheinend nicht mehr sehr bedeutenden Siedlung in Zentralkreta nahe dem modernen Prinias, die aber immerhin schon im 7. Jahrhundert zwei Tempel mitreichem Figurenschmuck hatte, stammt eine ganze Reihe von kleineren Resten archaischer Inschriften, die in das frühe 6. und sogar das 7. Jahrhundert zudatieren sein dürften1. DerOrtwird heute allgemein mit demantiken Rhizenia identifiziert2. Die Mehrzahl dieser Inschriftenbruchstücke hat L. JEFFERY als „legal fragments“bzw. alsTeile eines sehr frühen „legal code“charakterisiert3. Die meisten dieser Reste befinden sich auf Steinblöcken bzw. Bruchstücken solcher Blöcke, die leider des öfteren wiederverwendet worden sind. Dabei scheint aber wenigstens einigermaßen sicher zusein, daß diese Texte ursprünglich aufMauern bzw. denWänden von öffentlichen Gebäuden angebracht waren –unddort wurden ja tatsächlich oft, gerade in Kreta, Gesetzestexte inschriftlich festgehalten4. Die durchweg kurzen, zumeist nur aus einzelnen Wörtern und Wortteilen bestehenden Fragmente lassen allerdings praktisch nochnicht einmal HypothesenüberdenInhalt derursprünglichen Texte zu5. Eines der Inschriftenfragmente bildet eine Ausnahme6. Auch in diesem Fall ist zwar eine inhaltliche Rekonstruktion des Textes nicht möglich –mandarf lediglich vermuten, daß es darin umVerfahrensregelungen für einen „Rat“ –vielleicht für Abstimmungen darin –gegangen sein könnte: DerBegriff π ή ια ή ρ η ι) kommt mindeια γ ε σ γ (bzw. π ισ ρ stens zweimal vor7. Außerdem sind π ρ ε ισ ίγ τ ο ιmit bestimmten Funktionen ziemlich sicher bezeugt, undzwar in demsogenannten „Pakt“zwischen Gortyn undRhizenia, der
1 2
3 4
5 6
7
12); BEYER 1976, 21ff.; WHITLEY 1998, 326; ICret I, xxviii, 1ff.; JEFFERY 1961/1990, 315 (Nr. 10– R. SCHEER, in: LAUFFER 1989, 587 s.v. Rhizenia, mitweiteren Nachweisen. Vgl. allgemein KIRSTEN 1940b, 1139ff.; M. GUARDUCCI in ICret I, S. 294f.; D.J. BLACKMAN bei STILLWELL et al. 1976, 739f. s.v. Prinias mit weiteren Nachweisen. Siehe zu denTempeln insbesondere PERNIER 1914; 1934; KIRSTEN 1940b, 1143ff. 1961/1990, 310; 315 (Nr. 11 und12), dagegen mit Recht WHITLEY 1997, 654; 1998, 320. JEFFERY 1961/1990, 310, vgl. auch 55 (unter Berufung auf Plat.Leg. 859A); FABRICIUS 1885, 94. Vgl. auch die Abs. AXOS; ELEUTHERNA; GORTYN; KNOSSOS. ICret I, xxviii, 2– 15, bei JEFFERY 1961/1990, 315 unter Nr. 11 als „legal fragments“zusam6; 8– mengefaßt. ICret I, xxviii, 7; JEFFERY 1961/1990, 315 (Nr. 12); KOERNER Nr. 100; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 63. Vgl. bereits KIRSTEN 1940b, 1150f. Z.D 1; 3. Vgl. dazu M. Guarducci, ICRET I, S. 297. Siehe etwa auch ICret I, xvi, 5 (= SGDI 5075), Z.123; I, xxvii, 1 (= SGDI 6167); III, iii, 4 (= SGDI 5040), Z.28.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
238
allerdings schon in das 5. Jahrhundert gehört8. Nach dieser Urkunde, deren Klauseln durchaus ebenfalls gesetzesförmlich formuliert sind9 , verfügte das mittlerweile von Gortynabhängige Rhizenia jedenfalls über dastraditionelle institutionelle Gefüge einer kretischen Polis: Mehrfach ist darin voneinem offenbar mehrstelligen kosmos die Rede, und auch in diesem Fall waren diese Funktionsträger mit judikativen wie mit exekutiven Kompetenzen betraut. Außerdem trat das koinon der Rhizenier auch in einer agora als Vollversammlung“zusammen10. „ DerVersuch, nochweitere Teile oder Klauseln deszuvor genannten Textes zuergänzen11, mußspekulativ bleiben. Dasgilt insbesondere fürR. KOERNERS Vermutung, daßes sich hier umein„Staatsgrundgesetz“gehandelt haben könnte12. Voneinigem Interesse ist dagegen derTräger dieser Inschrift: Es handelt sich umeine viereckige, sich nach oben leicht verjüngende Stele aus Poros, die sowohl auf Vorder- und Rückseite als auch auf denbeiden Schmalseiten vertikal undboustrophedon mit relativ großen, groben Lettern β ις ρ beschrieben ist13. Obmandiese besondere Artvon Inschriftenträger zu Recht als κ ύ 4–der(an beiden Enden stark bezeichnet hat, magimmer nochproblematisch erscheinen1 beschädigte) Stein könnte aber durchaus so ausgesehen haben, wie R. STROUD den Idealβ ε ρ ιςcharakterisiert hat, nämlich als ein freistehendes, „stationary“ ύ typderκ , stelenähnliches Objekt aus Stein oder Bronze, mitdrei oder vier Seiten, auf allen diesen Flächen 15. Ob man diese beschrieben undnicht zuletzt „ crowned at the top by a pyramidal cap“ β Säule nunals κ ιςbezeichnen will odernicht: Aufjeden Fall scheint sie denbekannten ρ ύ Stelen mit Gesetzestexten aus dem6. Jahrhundert aus Chios16, Tiryns17 und Kleonai18 9, einerseits und denjeweiligen Trägern des Salamis-Dekrets aus der Zeit um5101 der etwa einhalbes Jahrhundert jüngeren lex sacra derSkambonidai20 unddes Gesetzes über
8
ICret IV 80; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 7; StV II, Nr. 216, hier Z.11f. Vgl. dazu zuletzt GEHRKE 1997, 58. Die Zeitstellung ist umstritten: Allgemein wird dieUrkunde in das späte 5. Jh. datiert; VANEFFENTERRE/RUZÉ, a.O. setzen siejetzt andenAnfang desJh. 9 Vgl. zu Gegenstand undInhalt des Textes –Autonomie, eigene Rechtsprechung (allerdings unter Beteiligung gortynischer Funktionsträger), Garantie derEigentumsverhältnisse undSchutz vor Eingriffen, sowie Verfahrensregeln bei Verstößen undEinsprüchen, Pflicht zu Opfer beiträgen etc. – WILLETTS 1955, 110ff.; GSCHNITZER 1958, 41ff.; H. VAN EFFENTERRE, Le pacte Gortyne-Rhittèn, 21; P. PERLMAN, Π κ ή ο ο . The Dependent ς ό λ ιςὙ π in: Cahiers duCentre Gustave Glotz 4, 1993, 13– 287, hier 266ff.; GEHRKE 1997, 55 mit Anm.162. Die verPolis and Crete, in HANSEN 1996, 233– schiedenen Interpretationen brauchen hiernicht diskutiert zuwerden. 10 ICret IV 80, Z.5; 10f.; 14f. –undmeint: „ De coetu ]σ α εδ ν ὶἀ π οει[π 11 M. GUARDUCCI, ICret I, S. 297, ergänzt Z.A 1: ––π α ν σ εδ ί(i.e. «una voce», melius quam «omnibus viribus») decretum virorum fortasse agitur, qui π aliquod improbat“ . Dazuwage ichkein Urteil. 12 KOERNER, S. 351 (zu Nr. 100). 13 Siehe M. GUARDUCCI ICret I, S. 297f. mit den Abb. (S. 298), sowie bereits GUARDUCCI 1931,
104ff. JEFFERY 1956, 159; 1961/1990, 52f:, vgl. 313, sowie dies. 1948, 111. Vgl. STROUD β ε ιςund ρ ύ 1979, 48; M. GUARDUCCI, ICret I, S. 297; unter Hinweis auf Photios undSuda s.v. κ unter Berufung auf WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, 64ff. Vgl. auch Abs. CHIOS. STROUD 1979, 42; 47. Vgl. ROBERTSON 1986, 146. MEIGGS/LEWIS 8. Vgl. GUARDUCCI 1931, 103f.; JEFFERY 1961/1990, 53; 336ff. Vgl. Abs. CHIOS. PEEK 1941, 198ff. (Nr. 5); SEG 11 (1954) 369. Vgl. JEFFERY 1961/1990, 52; 148. Siehe Abs. KLEONAI. IG I21 = I31; MEIGGS/LEWIS 14; KOERNER Nr. 1; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 6. IG I2188 = I3244; LSCG 10.
14 Siehe dagegen
15 16
17 18 19
20
2. Dieeinzelnen
Poleis
239
dieEleusinischen Mysterien ausAthen21andererseits recht ähnlich gewesen zusein –und sehr viel anders können jene κ β ρ ύ ε ιςaufderAgora inAthen, die die Gesetze Solons und Drakons trugen, eigentlich auch nicht ausgesehen haben22. Mitallen diesen Stelen, Blöcken bzw.κ β ρ ε ύ ιςhatte diehier in Frage stehende Säule jedenfalls einMerkmal gemeinsam –auchsiedürfte vonallen Seiten zugänglich, also frei stehend (auf einem öffentlichen Platz?) aufgestellt gewesen sein. Auch sie kann kaum mehralseinEinzelgesetz undsicherlich nicht einen ganzen „legal code“ getragen haben. SELINUS
Selinus, dievonKolonisten aus Megara Hyblaia gegründete, amweitesten westlich gelegene griechische Niederlassung anderSüdküste Siziliens1 , nahm–anscheinend etwa umdieWende vom6. zum5. Jahrhundert –eine Gruppe Exulanten ausderMutterstadt auf; denn in Megara Hyblaia waren wohl schon einige Zeit vor derZerstörung derStadt durch Gelon imJahre 483 schwere soziale Gegensätze undinnenpolitische Auseinandersetzungen ausgebrochen, indenen diese Gruppe anscheinend unterlegen war2. Diese besondere Situation bildet den allgemeinen politischen Hintergrund und den konkreten Anlaß für bestimmte Regelungen, die auf einer in Olympia hinterlegten Bronzetafel festgehalten wurden3. Diese Inschrift ist ausepigraphischen Gründen in das späte 6. oder frühe 5. Jahrhundert zu datieren undmußwegen historisch-inhaltlicher Indizien aufjeden Fall in dieZeit vorderZerstörung Megaras gehören4. Derkonkrete Inhalt desTextes kannallerdings nurinUmrissen rekonstruiert werden, davonderTafel nureinige, zumTeil recht kleine Bruchstücke erhalten sind. Wenigstens besteht aber heute Einigkeit darüber, daßderText nicht, wie die ersten Herausgeber vermuteten, ein Vertrag zwischen Selinus und Megara Hyblaia bzw. den megarischen Flüchtlingen ist5, sondern ein Gesetz bzw. eine gesetzesähnliche Satzung der Polis Se-
21 IG I26 = I36 (ca. 460 v.Chr.). 22 Vgl. STROUD 1979, 42ff. undpassim; 1
2 3
4
Thuk. 6,4,2 (vgl. GOMME/ANDREWS/DOVER 1970 ad loc.), ferner Strab. 6,2,6; Ps.-Skymn. 292 (GGM I, p. 208). Vgl. dazu ZIEGLER 1923, 1266ff.; 1931, 209; BÉRARD 1957, 244ff., sowie generell HULOT/FOUGÈRES 1910, 1ff.; STAUFFENBERG 1963, 31ff. u.ö.; V. TUSA, in: STILLWELL et al. 1976, 823ff.; BARLETTA 1983, 179ff.; BERGQUIST 1992, 118ff.; FISCHER-HANSEN 1996, 345ff.; DI VITA1996, 280ff., jeweils mitweiteren Nachweisen. Hdt. 7,156,2, vgl. Thuk. 6,4,2; 94,1. Siehe zu den Einzelheiten HULOT/FOUGÈRES 1910, 97; K. 215 s.v. Megara 6, 209f.; DUNBABIN 1948, 416ff.; ZIEGLER, RE 15,1 (1931) 205– VALLET/VILLARD/AUBERSON 1976, 422ff. IvOlympia 22; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 17; IGDS Nr. 28. Vgl. bereits IGA 514 und IIGA 53,7; ROBERTS Nr. 116; SGDI 3045; DGE 165g, sowie neuerdings ASHERI 1979, 479ff.; ARENA 1989, Nr.52 (jeweils mitText undKommentar). Vielleicht gehört auch dasvon GUARDUCCI 1959– 1960a, 254ff. publizierte Fragment indiesen Kontext. Vgl. VALLET/VILLARD/AUBERSON 1976, 423. Für eine Datierung in das (späte) 6.Jh. vgl. etwa W. DITTENBERGER, K. PURGOLD, in: IvOlympia, Sp. 55f., akzeptiert von E. SCHWYZER (zu DGE 165g); ZIEGLER 1923, 1269 (Anm.); 1931, 209; SEG 11 (1954) 1179. Für eine Datierung an den 160a, 255 mit Anm.5; Anfang des 5.Jh. vgl. etwa DUNBABIN 1948, 417; GUARDUCCI 1959–
271; 277 (Nr. 36). So H.ROEHL zu IGA 514 (hier S. 148); ROBERTS, S. 142 (zu Nr. 116).
JEFFERY 1961/1990,
5
ROBERTSON 1986.
240
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
linus darstellt6, wasetwaschon durch dieFormulierung derkonkreten Regelungen in den 7 typischen Wendungen derarchaischen Gesetzessprache deutlich wird . Nach einer weithin akzeptierten Rekonstruktion geht es darin im einzelnen umden Status undbestimmte Rechte derin Selinus aufgenommenen Emigranten (aus Megara?), dieineiner durch Eid abgesicherten unddurch dieerwähnte Hinterlegung aneinem panhellenischen religiösen Zentrum garantierten Regelung fixiert wurden8. Dabei wurde offenbar mit der Möglichkeit der Rückkehr dieser Gruppe gerechnet –darauf beruht die erwähnte Datierung desDokuments in die Zeit vor derZerstörung von Megara9 . Die Regelung selbst betraf eindeutig nur eine bestimmte, genau bezeichnete Gruppe von Emigranten: Diejenigen, dievorErlaß eines bestimmten Dekrets oder mehrerer Dekrete geflohenwaren, unddiejenigen, diesiebegleitet hatten (wer auch immer damit gemeint gewein den Eid“ausdrücklich nicht eingeschlossen: τοῦ sen sein mag)10, waren „ κ τ ο ιο ὐ κ ιο ι11.Anscheinend galten also nurfür diejenigen, dienach einem bestimmten Zeitρ ό ν ἐ punkt geflohen waren, die konkreten Regelungen über Besitz undVermögen, den erbrechtlichen Status der Nachkommen undandere, offenbar recht detaillierte, aber nicht mehr eindeutig zu rekonstruierende Bestimmungen12. Dazu gehörten vielleicht auch Sanktionen wie Vermögensstrafen bzw. -konfiskationen, dievondenAisymneten –offensichtlich, wiein anderen megarischen Kolonien, hohen Magistraten13 –bei derDurchsetzung desDekrets oderVerletzungen seiner Regelungen zuverhängen waren14. DerGesamtsinn dieser Regelung ist keineswegs klar. Sicher istjedoch wohl, daßes sich auchindiesem Fall umeinegesetzesförmliche Maßnahme handelte, dienicht in einen weiten „ nomothetischen“Zusammenhang gehört, sondern eine unmittelbare Reaktion der Polis Selinus aufeinkonkretes Problem mitdemInstrument der„Satzung“undFixierung einer ebenso konkreten Lösung darstellt: DieRegelung warja in jeder Hinsicht situationsgebunden.
6
So bereits W. DITTENBERGER, K. PURGOLD, in: IvOlympia, Sp. 55, akzeptiert von E. SCHWYZER
7
(zu DGE 165g); F. BECHTEL (zu SGDI 3045); vgl. auch SEG 11 (1954) 1179. Siehe neuerdings zu accordi di ridieser Frage ASHERI 1979, 494f., derdasDokument zu einer speziellen Kategorie von „ conciliazione traunapolis e gruppi esuli“ rechnen will. Vgl. dazuwiederum, allerdings nicht eindeutig, SEG 29 (1979) 403. Vgl. die Bedingungssätze in Frg. ab, Z.lf.; 4f.; def, Z.2f. Vgl. allgemein den Kommentar von W. DITTENBERGER, K. PURGOLD, IvOlympia, Sp. 55ff.; DUNBABIN 1948, 417; BÉRARD 1957, 245; GRAHAM 1964/1983, 112f.; SEIBERT 1979, 225 mit Anm.39 (S.550); ASHERI 1979, 484ff. zu den Einzelheiten, anders allerdings jetzt VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, S. 80 (zu Nr. 17). ZurHinterlegung von Verträgen in Olympia vgl. generell
9
JEFFERY 1976, 169. Vgl. außerdem VALLET/VILLARD/AUBERSON 1976, 423. ASHERI 1979, 492f. („ le clientele“ ) ist spekulativ.
8
10 11 Frg. def, Z.5ff. Vgl. dazu GRAHAM 1964/1983, 112f.; ASHERI 1979, 486; 492f. 12 Vgl. dazu ASHERI 1979, 487ff. 13 ASHERI 1979, 490, unter Hinweis auf HANELL 1934, 149ff. 14 Frg. ab, Z.5. Vgl. ASHERI 1979, 487; 490.
2. Dieeinzelnen
Poleis
241
SYBARIS
In Sybaris –der amEnde des 8. Jahrhunderts gegründeten ältesten achaiischen Kolonie in der Magna Graecia1, geographisch günstig gelegen und schon bald groß, dicht bevölkert undspäter wegen des sprichwörtlichen Reichtums undder luxuriösen Lebensführung berühmt bzw. berüchtigt –sollen nach einer späteren Quelle die „ Gesetze des Zaleukos“ zwargegolten haben, abernicht befolgt worden sein3. Daraus ist verschiedentlich geschlossen worden, daßmaninSybaris das„lokrische Recht“übernommen habe4 . Wasdamit konkret gemeint sein könnte, läßt sich mangels genauerer Angaben allerdings nicht erhellen. Weder diearchaische Strenge undEinfachheit derGesetzgebung, die diejenige desZaleukos wiealler anderen alten Nomotheten allgemein ausgezeichnet haben soll, nochverschiedene Einzelgesetze, dieihm(zu Recht oder zuUnrecht) zugeschrieben wurden, wie die gegen den Kleiderluxus undWeingenuß5 , passen jedenfalls nicht zu dem,wasmanüberSybaris wußte oderzuwissen glaubte. Auchscheint es keine sonderlich engen Beziehungen zwischen Lokroi Epizephyrioi, der Heimatstadt des Zaleukos, einerseits undSybaris andererseits gegeben zuhaben, die– wieimFalle der„Gesetze des 6 –eine solche Charondas“in Katane undden anderen Städten des γ έ ν ο ςΧ α κ λ ιδικ ό ν Übernahme wenigstens indirekt nahegelegt hätten. Es ist daher sehr wohl denkbar, daßes sich bei dererwähnten Behauptung bei Ps.Skymnos lediglich umein Mißverständnis handelt: Bei der Gründung von Thurioi, der Nachfolgerin des zerstörten Sybaris, soll ja deren Gesetzgeber Protagoras (unter anderem) aufdie„Gesetze desZaleukos“zurückgegriffen unddiese in modifizierter und„ modernisierter“Form übernommen haben7. Die Nachricht bei Ps.-Skymnos könnte dann nichts anderes als eine sekundäre Rückübertragung dieser Tradition sein8 –unddies ist umsowahrscheinlicher, wenntatsächlich Ephoros dieursprüngliche Quelle gewesen sein sollte: Er scheint ja auf jeden Fall die Vermutung suggeriert zu haben, daß die Gesetze
1 2 3
Vgl. dazu allgemein H. PHILIPP, RE 4 A 1 (1931), 1005– 1011 S.V. SYBARIS, 1007ff.; DUNBABIN 1948, 23ff.; BÉRARD 1957, 140ff.; STAUFFENBERG 1963, 66f.; GRAHAM 1982, 109f.; LESCHHORN 1984, 25ff.; CAMASSA 1987, 637ff. mit weiteren Nachweisen. Vgl. etwa Timaios FGrHist 56 F 50 (=Athen. 12,519B-520C); Phylarchos FGrHist 81 F 45 (= Athen. 12,521B-E); Diod. 12,9,1f., vgl. 11,90,3f.; Strab. 6,1,13; Ps.-Skymn. 337ff. (GGM I, p. 210). Siehe auch DUNBABIN 1948, 75ff.; STAUFFENBERG 1963, 77f.; 153ff. Ps.-Skymn. 346ff. (GGM I, p. 210), womöglich nach Ephoros. Historisch wertlos ist zweifellos die Behauptung in den Viten des Pythagoras des Iamblichos (c. 33) unddes Porphyrios (c. 21), die auf Aristoxenos vonTarent zurückgehen dürften (frg. 17WEHRLI), wonach Pythagoras viele Städte in Si, dieja zilien undItalien „ befreit“undihnen „durch Charondas aus Katane undZaleukos aus Lokroi“ als seine Schüler galten, „Gesetze gegeben“habe, darunter eben auch Sybaris. Vgl. dazudenAbsatz KROTON, sowie Kapitel
4
II 3.
BUSOLT 1920, 376; vgl. auch DARESTE 1902, 17; BONNER/SMITH 1930, 70; RUSCHENBUSCH 1983,
322. 5 6
7 8
Diod. 12,21,1f.; Athen 10,429A; Ael.var.hist. 2,37. Vgl. dazu den Absatz LOKROI EPIZEPHYRIOI. Vgl. dazu etwa die Absätze über HIMERA; LEONTINOI; RHEGION, sowie über das italische KYME und dassizilische NAXOS. ο ςund ά κ λ ευ Vgl. etwa Ephoros FGrHist 70 F 139 (= Strab. 6,1,8); Athen. 11, 508a; Suda s.v. Ζ dazu MENZEL 1910/1938, 67ff., allerdings sehr spekulativ; EHRENBERG 1948/1965, 313f. S. zu Zaleukos Kapitel II 3 und den Abs. LOKROI EPIZEPHYRIOI. So schon DUNBABIN 1948, 83.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
242
vonThurioi auf denjenigen des Zaleukos gefußt hätten9. Dann wäre die Nachricht bei Ps.Skymnos ohne historischen Wert. SYRAKUS
Die sogenannten „Gesetze des Diokles“galten nach Diodor nicht nur in Syrakus, sondern sollen beidenGriechen Siziliens generell insohohem Ansehen gestanden haben, daßsieinvielen Städten nochbiszurallgemeinen Verleihung desrömischen Bürgerrechts inKraft geblieben seien1. Diese Gesetze sollen in altertümlicher Sprache (ἀ δ ια ρ λ χ έκ α ίᾳ τ ῳ ) abgefaßt undso knapp formuliert gewesen sein, daßsie weite Spielräume für unterschiedliche Auslegungenboten. Wegen des unverändert hohen Ansehens dieser Gesetze einerseits undihrer schwer verständlichen Sprache andererseits seien denn auch die zur Zeit des Timoleon undnochspäter, unter König Hieron, mitgesetzgeberischen Aufgaben betrauten Experten Kephalos bzw. Polydoros gar nicht als „Nomotheten“betitelt gewesen, sondern bloß als 2. „ Ausleger desGesetzgebers“ Inhaltlich habe sich die Gesetzgebung des Diokles dadurch ausgezeichnet, daß darin für zahllose Tatbestände und Vergehen „privaten“wie „öffentlichen“Charakters abgestufte undjeweils genau festgelegte Strafen vorgeschrieben worden seien, die Diodor allgemein als noch präziser undvor allem strenger als bei allen anderen Gesetzgebern charakterisierte3 .
In vieler Hinsicht erinnert diese Beurteilung der„Gesetze desDiokles“anjene typischen Motive undEigenschaften, dieinderantiken Tradition immer wieder undin wechselnden Kombinationen mitdenarchaischen „ Nomothesien“ undihren Stiftern verbunden unddabei vielfach variiert wurden4. Nicht nurwerden ganz allgemein die Weisheit, die persönliche arete undvorallem die Einsicht unddasbesondere Wissen des Gesetzgebers hervorgehoben, die auf die eine oder andere Weise auch Lykurg, Solon, Zaleukos und Charondas zugeschrieben wurden5. AuchdieEinfachheit derFormulierung unddie PräzisionderVorschriften, dasBemühen umdie(erstmalige) Fixierung genauer Normen und generell die „ archaische Strenge“dieser Vorschriften galten ja als die typischen gemein6. samen Merkmale derGesetzgebungen derfrühen „ Nomotheten“ Undwieetwa bei Solon, Zaleukos undvor allem Charondas soll auch in diesem Fall dasbesondere Ansehen des Gesetzgebers Diokles weit über die Grenzen seiner Heimatstadt hinaus gewirkt haben7–undin Syrakus selbst habe manihnnach seinem Tode als Heros verehrt undihm 9
FGrHist
1 2
Diod. 13,35,1ff. Vgl. dazu undzumFolgenden SEALEY 1994, 26ff. ο αν τ ο λ ν έο Diod. 13,35,3: ο ἱδ νΤιμ ὲ ὰμ τ α ο υ υ ο ρ ςκ α ςχρόν κ ᾽ο τέρ νΣ ό υ ὺ ὖ ὰτο α τ σ ςνεω ιο ικ μ ο θ ή ε ν σ τ α ῶ ν τ τ ο ναὐ ο ςα ὐ , οὐδέτερ τ ο ῖςΚ υ ο ρ ε φ ά λ ν ,κ α δώ ο τ υ ὰ δ ὸ λ υ ὲτ ο β Π α σ ιλ α έ ν ὸ τ α Ἱέρ ν ω ,ἀ ν μ ὴ ο η λ ν λ θ τ ο έ υκτλ ν ο τ .. ο ν α η ῦνομοθέτ α μ σ τ γ ν ό ὠ η ᾽ἢ ἐξ 4, vgl. 33,2. Diod. 13,35,3– Vgl. dazuKapitel II 3, auchzumFolgenden. Diod. 13,35,1 und6, vgl. 33,2f. Siehe dazu generell SZEGEDGY-MASZAK 1978, 202ff. Vgl. etwa Ephoros FGrHist 70 F 139 (= Strab. 6,1,8) zu Zaleukos; Aristot.Pol. 1274b5ff. zu Cha-
3
4
5 6
70 F 139 (= Strab. 6,1,8).
rondas.
7
Vgl. nurDiod. 13,35,2f. einerseits undAristot.Pol. 1274a23ff; Plat.rep. 599D-E andererseits.
2. Die einzelnen Poleis
243
sogar einen Tempel gebaut, derallerdings vonDionysios beim Bau der Mauer um402 abgerissen worden sei8. Nicht zuletzt gehört die ebenfalls nur bei Diodor vorliegende Legende vom Tod des Diokles zu den typischen Motiven der biographisch-historiographischen Tradition über die frühen „Nomotheten“ . Danach soll Diokles auf der Stelle und in aller Öffentlichkeit Selbstmord begangen haben, als er versehentlich gegen das von ihm selbst erlassene Gesetz verstoßen hatte, wonach derjenige, derbewaffnet auf der Agora erschien, mit dem Tode zu bestrafen sei –was auch, wie sogar Diodor auffiel, von Charondas berichtet wurde9. Diese Charakterisierung des Gesetzgebers Diokles undseines Werkes, von denen überhaupt nurbeiDiodor dieRede ist, könnte tatsächlich imwesenlichen ein eigener Beitrag –unddasheißt: eine pseudohistorische Konstruktion –des Autors gewesen sein: Er behauptet jedenfalls selbst, daßer Darstellung undBeurteilung dieses „ Nomotheten“anders undanscheinend vorallem ausführlicher undbreiter angelegt habe als seine Vorgänger10. Allerdings paßt diese Darstellung überhaupt nicht zu dem, was Diodor selbst sonst noch zurPerson des Diokles undzuseinem politischen Wirken in Syrakus zu berichten weiß. Danach wares derselbe Diokles, derals derbekannteste undeinflußreichste „ Demagoge“in Syrakus die gnadenlose Behandlung derbesiegten Athener undihrer Bundesgenossen in der Volksversammlung durchsetzte11. Dann habe wiederum dieser Diokles dieEinführung desLosverfahrens fürbestimmte Ämter veranlaßt unddamit eine (radikale) Änderung dergesamten Ordnung herbeigeführt12. Underst im Zuge dieser „demokratischen“ Reform habe er dieEinsetzung einer Kommission von „Nomotheten“beantragt, die„ dasGemeinwesen ordnen undneue Gesetze privat verfassen“sollten1 3. Diokles soll dann das prominenteste Mitglied dieser Kommission geworden sein14. Auch später wird er noch mehrfach erwähnt, undzwar im Zusammenhang mit einem militärischen Kommando einerseits undweiteren innenpolitischen Auseinandersetzungen andererseits, die schließlich zu seiner Exilierung geführt haben sollen15. Dabei ist nicht nurnirgends mehrvonseinem angeblichen Selbstmord die Rede; auch jene besondere Einsicht unddas darauf beruhende, selbstverständlich als allgemein unstrittig anzunehmende Ansehen des „ Nomotheten“Diokles, der darin die besten seiner
8 9
Diod. 13,35,2. Diod. 13,33,2– 3; 35,5, vgl. 12,19,1– 2. Vgl. für die Authentizität VANWEES 1998, 337 mit Anm.17. (S. 371); 367. Vgl. zu demTopos, daßauch derGesetzgeber selbst sich denvon ihm festgelegten strengen Strafen unterwarf unddamit die Gültigkeit seiner Gesetzgebung betonte, etwa SZEGEDGYMASZAK 1978, 206. S. auch Kapitel II 3. 10 Diod. 13,35,5: Τα γ ῦ υ τ αμ η νδ ὲ νσ νο ή ιὰτ χ ῶ τ ὸτο νἀκριβέστερ νεἰπ ὖ ο υ ςτ ρ ο λ είο ὺ ε ςπ ῖνπ γ ρ α φ έ ω νὀλιγω ρ ό τε ρ ο ν π ρ ε ὶαὐ τ ο ῦδιειλέχθ α ι. Ob Diodor hier Timaios und/oder Ephoros benutzt hat, muß dahingestellt bleiben; vgl. etwa HÜTTL 1929, 89; MEISTER 1967, 68. Vgl. generell zur Problematik von Diodors Quellen: MEISTER 1967, 56ff.; MANNI 1970, 74ff.; 1979, 222ff. 11 Diod. 13,33,1, vgl. 19,4. 12 Diod. 13,34,6. Obdieallgemeine Bemerkung beiAristot.Pol. 1304a27ff., daßin Syrakus derdemos , darauf zubezieν α λ ε nachdemSieg überAthen dieVerfassung ἐ κ μ ε π τέβ ο ρ ν α λ τ ία ιτ κ ο ε ία ςε ἰςδημ hen ist, muß dahingestellt bleiben. Vgl. dazu FREEMAN/LUPUS 1901, 672ff.; HÜTTL 1929, 85ff.; WENTKER 1956, 52. 13 Diod. 13,34,6: ...τ ὴ ν ὸτ π ο ρ ά ι. λ α γ ψ ιτ γ ε σ υ ία ν δια ά τ ο ὺ ο υ ἰᾳ ξ ςἰδ α ὶνόμ ικ α ςκαιν 14 Diod. 13,35,1. 15 Diod. 13,59,9; 75,4– 5. Vgl. zudenEinzelheiten insgesamt: MANNI 1979, 220ff.
244
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
Mitbürger weit überragt haben soll, spielt nunkeine Rolle mehr. Schließlich fragt sich natürlich, warum maneinem zuletzt erfolglosen undexilierten „ Demagogen“nach seinem Tod ähnliche Ehrungen erwiesen haben sollte wie wirklich wichtigen Persönlichkeiten, nämlich zuvor Gelon undspäter Timoleon16, undwarum mandiesem Diokles sogar einen Tempel baute, derdannwieder abgerissen worden sein müßte, kaum daßer fertiggestellt
war.
Es fragt sich weiter, wie die „Gesetze des Diokles“ aus dem ausgehenden 5. Jahrhundert schon wenige Jahrzehnte später, zurZeit desTimoleon, als so altertümlich, knapp undschwer verständlich gegolten haben können, daß sie durch einen „ Ausleger“ namens Kephalos interpretiert respektive ergänzt werden mußten.
Zumindest diese „ Erklärung“Diodors ist relativ leicht und eindeutig als pseudohistorische Konstruktion erkennbar. Abgesehen davon, daß die ἐξ η τ α ίnicht für die γ η sprachliche Verständlichmachung alter Rechtstexte zuständig gewesen sein dürften17, stellt Diodor in anderem Zusammenhang selbst fest, daß„ Kephalos der Korinther“an der von Timoleon ins Werk gesetzten umfassenden Revision der „Gesetze von Syrakus“ undzwar ausdrücklich ebenjener Gesetze, deren Urheber der maßgeblich beteiligt war– Nomothet“ „ Diokles gewesen sein sollte18. Deraus Gründen derQuellenkritik undder allgemeinen Plausibilität höchst problematische Exkurs Diodors über den„ Demagogen“Diokles als „ Gesetzgeber“unddie angedeuteten sich daraus ergebenden Widersprüche legen die (immer wieder vorgebrachte undausführlich begründete) Vermutung nahe, daßDiokles, derFührer desdemos in Syrakus und„ radikaldemokratische Reformer“am Ende des 5. Jahrhunderts, kaum der Autor einer sprachlich und stilistisch altertümlichen, knappen und archaisch strengen Kodifikation“gewesen sein könne19. Einerseits ist verschiedentlich angenommen wor„ den, daßdieser „Code“einem anderen Diokles zuzuschreiben sei, nämlich einem (sonst allerdings nirgendwo bezeugten) Gesetzgeber älterer Zeit20. Andererseits hatmangemutmaßt, daßeine mythische Gestalt namens Diokles –der megarische Held, zu dessen EhrendieΔ ιό κ λ ε gefeiert wurden, oder derFreund undLiebhaber des thebanischen Geια setzgebers Philolaos (beide werden zuweilen auch identifiziert) –gegen Ende des 5. Jahrhunderts als Urheber der„Gesetze vonSyrakus“gegolten haben könnte unddann gewissermaßen sekundär mitdemhistorischen „ Demagogen“Diokles identifiziert worden sei21.
16 Diod. 11,38,5 bzw. 16,90,1; Plut.Timol. 39,1ff. HÜTTL 1929, 96ff., nimmt dagegen lenalsIndiz fürdieAuthentizität derEhren fürden„Gesetzgeber/Demagogen“Diokles.
diese Paralle-
Vgl. etwa FREEMAN/LUPUS 1901, 675. 7. Bei Plut.Timol. 24,3 werden Kephalos (und Dionysios) aus Korinth explizit als Diod. 16,82,6– μ ο θ ν έ ο τ α ιbezeichnet, dievonTimoleon bestellt waren. Vgl. dazuTALBERT 1974, 136. 19 Dagegen ausdrücklich etwa NIESE 1893, 794f.; PAIS 1899, 75ff.; HÜTTL 1929, 88ff. Vgl. auch WENTKER 1956, 16; 52. Offen bleibt das Problem bei FREEMAN/LUPUS 1901, 389ff.; 672ff.; besonders 677f. Unklar ist ADCOCK 1927, 99f. 20 Vgl. etwa HOLM1874, 78; 417f.; BONNER/SMITH 1930, 69f. mit Anm.4; MEYER 1937, 522ff. Anm.2 (hier 524); LOICQ-BERGER 1976, 276f.; ASHERI 1980, 90. 21 Vgl. etwa MADDOLI 1980, 85f.; LESCHHORN 1984, 122f. im Anschluß an DESANCTIS 1903/1970, 31ff. mit den Nachweisen; DE SANCTIS 1939/1967, I 468f. Vgl. bereits BELOCH 1912, 350; 1920, 1ff. CONSTANZI 1919– 17
18
2. Die einzelnen
245
Poleis
Angesichts derÜberlieferungslage läßt sich keine dieser Varianten wirklich zwingend beweisen. Unstreitig ist jedoch, undzwar selbst bei denjenigen Gelehrten, die an der Identität des „ Nomotheten“Diokles mitdem„ Demagogen“und „ demokratischen Refor2, mer“festhalten2 daß in Syrakus und anderen griechischen Städten am Ende des 5. Jahrhunderts undnoch zurZeit derumfassenden Reformtätigkeit des Timoleon kurz nachderMitte desfolgenden Jahrhunderts verschiedene Gesetze galten undselbst danach noch in Geltung blieben, die unter demNamen des Diokles bekannt waren undoffensichtlich ἀ δια ῳ λ ρ und in altertümlich anmutenden, knappen Formulierungen χ έ α κ ίᾳ τ abgefaßt waren. Dies gilt zunächst ganz unabhängig davon, ob es die „ Nomothesie“eines Diokles, sei es amEnde des 5. Jahrhunderts oder früher, wirklich gegeben hat. Das Etikett der „Gesetze des Diokles“kann ja sehr wohl –wie die „Gesetze des Lykurg“in Sparta oder die „ Gesetze Solons“imAthen des 4. Jahrhunderts –nur eine Sammelbezeichnung verschiedener, später als konstitutiv, alt undgut geltender Gesetze gewesen sein, dieimKern echt undzumTeil sogar wirklich altwaren23. Außerdem
ist dasFaktum derExistenz solcher
Gesetze „
desDiokles“nicht vonDio-
dors Darstellung abhängig, die natürlich von der üblichen Gesetzgebertopik inspiriert ist. Es scheint vielmehr gerade umgekehrt so zu sein, daß er diese schlichte Tatsache erst
durch seine ebenso simplen wie problematischen Vermutungen zu den ἐ τ η α ίhistoγ η ξ risch zu „erklären“versucht. Nicht zuletzt werden nämlich bestimmte „ Gesetze des Diokles“auchin einem ganz anderen, durch die Gesetzgebertopik überhaupt nicht kontaminierten Zusammenhang erwähnt, nämlich anläßlich der Verfassungsreform und der Revision der Gesetze durch Timoleon bzw. den von ihm beauftragten Kephalos aus Korinth24. Dort heißt es dann, daßTimoleon einige derzuvor geltenden Gesetze des Diokles, private Verträge undErbschaften“ nämlich diejenigen über „ , unverändert ließ, dagegen 5 über öffentliche Angelegenheiten“nach seinen Vorstellungen reformierte2 diejenigen „ wasmitdenletzteren konkret gemeint ist, läßt sich allerdings nicht erhellen. Wenn manzumindest einen authentischen Kern akzeptieren kann, wird manaußerdemannehmen dürfen, daßimSyrakus derklassischen Zeit auch das Strafrecht –oder wenigstens bestimmte, altertümlich anmutende Definitionen vonDelikten undFestlegungenvonStrafen –zudiesen Gesetzen desDiokles gerechnet wurden. Tatsächlich gehören ja gerade dasErbrecht, dieNormierung undFixierung vonStrafen undauchdie Regelung vonKauf undVertrag zujenen Materien, diemehr als einmal wirklich Gegenstand früher Satzungen gewesen sein dürften unddurchweg auch dengroßen Gesetzgebern (zu Recht oder zuUnrecht) zugeschrieben wurden26.
–
22 Vgl. etwa PAIS 1899, 87ff.; 91 u.ö. 23 Vgl. TALBERT 1974, 135f. Vgl. auch GARLAND 1989, 14f.; BRUGNONE 1992, 19ff.; ENGELS 1998, 59f. zueinem Gesetz überGrabluxus. 24 Vgl. zu Timoleon generell etwa WENTKER 1956, 14ff.; TALBERT 1974, 130ff. mit weiteren Nach-
25
26
weisen. ὺ ς ὺ ς(sc. το α ὶ το nomothetische“Tätigkeit des Timoleon heißt: κ Diod. 16,82,6, wo es über die „ νἢ ίω α λ ο β νσυμ ῶ τικ νἰδιω ρ ῶ ὶτ ε υ ο νπ ῆ ..., ο ὲ ς α τ ὓ )μ ν ς ςνόμ ο α χ ςσυνέγρ ρ ψ κ λ εΔ ιο ά π ϋ ο ρ π ν νἰδία ὴ ὸ ςτ ρ ο υ ςπ μ ιῶ ν ρ ε ν ο η ο μ ἴα ννενομοθετημέν ε κ σ ν ἀ τα λ ε σ ίω ο θ ε τ ο , το υ ς ὺ ρ νδημ ςδ ὶτ ῶ ὲπ ε ὥ ο τ ςπ ιν σ α ρ τ κ ε ρ ε ιν σ διώ θ ισυμ φ έ ὑ π ό . Vgl. auchDiod. 16,70,5. ω ν ᾽ἐδό σ ε Vgl. dazu etwa die Abs. KATANE; LOKROI EPIZEPHYRIOI.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
246
Das in fast identischer Form auch demCharondas zugeschriebene Verbot des Wafauf derAgora dürfte dagegen kaum authentisch sein, da dieses Gesetz, wiederum wie bei Charondas, untrennbar mitderLegende vomSelbstmord des „ Nomotheeshandelt sichumeinwillkürlich übertragbares spätes Motiv ausder ten“ verknüpft ist– fentragens
Gesetzgebertopik.
Auch die von Phylarch erwähnten „Gesetze“(ν μ ο ι) aus Syrakus27 über den Kleiό derluxus derFrauen (eine Frau sollte nurdann Goldschmuck undbunte bzw. mit einer Purpurborte versehene Kleider tragen dürfen, wenn sie eine Hetäre war), über das (un-) angemessene Auftreten undVerhalten von Männern in der Öffentlichkeit undüber die Beschränkungen derFreizügigkeit freier Frauen beiTage undvorallem in derNacht könnennicht einfach der„Nomothesie“desDiokles zugeschrieben werden. Eine solche Annahme beruht zumindest implizit auf derVoraussetzung, daßdie „ Gesetze des Diokles“ , genau wieangeblich alle anderen frühen Gesetzgebungen, eine umfassende, in alle Bereiche der „bürgerlichen“Existenz regelnd undnormierend eingreifende „Kodifikation“gewesen sein müßten –ähnlich etwa dem„ Recht des Zaleukos“ , dem bezeichnenderweise fast genau die gleichen Luxusgesetze zugeschrieben wurden28. Es ist sehr fraglich, ob diese Regeln undVorschriften undinsbesondere diedarin implizit vorausgesetzte „ moralische“Abschreckung durch die„ Strafe“der öffentlichen Bloßstellung vor den anderen Bürgern wirklich aufpositivem, „ gesatztem“Recht beruht haben können. Wie demauch sei: Aufjeden Fall ist es sehr unwahrscheinlich, daß die „Gesetze des Diokles“eine systematische undumfassende „ Sitte“in Recht“und „ Kodifikation“von „ Syrakus darstellten. Diezweifellos höchst problematische Überlieferung, die bei Diodor vorliegt, legt bei allen Unsicherheiten sogar eher dengegenteiligen Schluß nahe, daß es Nomonämlich in Syrakus keinen großen „ Code“gegeben hat, der einem archaischen „ theten“ namens Diokles zugeschrieben wurde und(deswegen) als kanonisch galt. Diodor selbst, dereindeutig nurvoneinem einzigen Diokles berichtet, kennt eine solche Gestalt nicht –undseine Quellen scheinen davon erst recht nichts zuwissen29. Auch in diesem Fall gab es nureinzelne altertümliche Gesetze zubestimmten, wahrscheinlich relativ eng begrenzten Gegenständen, diesich mitdiesem Namen verbanden. THEBEN
Der Korinther Philolaos, der in Theben „Nomothet“wurde, wird nur in dem beVerfassungsstifter“undGesetzgeber in derPolitik des Aristokannten Exkurs über die „ teles erwähnt unddort sogar –jedenfalls im Vergleich zu den anderen Gesetzgebern – relativ ausführlich behandelt. Allerdings stehen dabei die sich umseine Person (und sein noch zuAristoteles’Zeiten zu besichtigendes Grabmal) rankenden Legenden im Mittelpunkt, diemitseiner „ Nomothesie“selbst garnichts zutunhaben1.
27 FGrHist 81 F 45 (= Athen. 12,521B). Vgl. LOICQ-BERGER 1967, 276; PERIDOU-GORECKI 1989, 112; BRUGNONE 1992, 5ff. Siehe dagegen HÜTTL 1929, 91 Anm.181, derdiese Gesetz natürlich dem zurechnen muß,weil erja den(erst später wirkenvordiokleischen Bestande rechtlicher Vorschriften“ „ Demagogen“Diokles für denGesetzgeber hält. Vgl. noch GEHRKE 1978, 168. den) „ 28
Diod. 12,21,1f. Vgl. dazu den Abs. LOKROI EPIZEPHYRIOI. deutlich.
29 Daswird ausDiod. 13,35,5 ebenfalls
2. Dieeinzelnen
247
Poleis
Danach stammte Philolaos aus demGeschlecht der Bakchiaden. Er sei mit seinem Liebhaber, demOlympiasieger Diokles, der Korinth aus persönlichen Gründen habe verlassen wollen, nach Theben gekommen, wobeide bis zuihrem Tode blieben. Sie seien danninzwei gegenseitig voneinander gutsichtbaren Grabhügeln bestattet worden, die mit voller Absicht so angelegt gewesen seien, daß das Gebiet von Korinth vom Grab des Diokles nicht zusehen war, vondemjenigen desPhilolaos jedoch sehr wohl2. Dieser Geschichte wird in derForschung zumindest insofern ein authentischer Kern unterstellt, als siealsAnhaltspunkt fürdieDatierung des Philolaos undseiner „ Nomothesie“ herhalten muß: Wenn nämlich der unter demJahre 728 überlieferte Olympiasieger Diokles aus Korinth3 mit dem Liebhaber des Philolaos gleichgesetzt werden darf, wäre – dessen Tätigkeit in Theben etwa in das letzte Viertel des 8. Jahrhunderts zu datieren4 Philolaos wäre mithin einer derfrühesten namentlich bekannten (und wahrscheinlich historischen) Nomotheten überhaupt, erheblich früher als etwaZaleukos, undseine Gesetze wären auch mehr als ein halbes Jahrhundert älter als das früheste bislang bekannte inschriftlich erhaltene Gesetz5 . Diese Datierung erscheint jedoch nicht nuraus allgemeinen historischen Überlegungen zu früh, sondern ist auch aus konkreten quellenkritischen Gründen kaum haltbar. Einerseits dürften die Jahreszahlen der ersten Olympioniken generell zu hoch angesetzt sein6. Vorallem scheint andererseits diegesamte vonAristoteles überlieferte Geschichte eine aitiologische Legende zusein, diedie Lage derspäter noch zubesichtigenden Grabmaleerklären sollte. Wennmanalso dasDiokles-Motiv außer Achtläßt, könnte die (möglicherweise historische) Tatsache, daßPhilolaos in Theben blieb, dort starb undbegraben wurde, darauf hinweisen, daßer als Bakchiade nach deren Sturz gar nicht mehr nach Korinth zurückkehren konnte (oder überhaupt erst danach insExil ging)7. SeinAufenthalt in Theben und seine Tätigkeit als „ Nomothet“wäre dann nach der Mitte oder sogar gegen Ende des 7. Jahrhunderts zudatieren8 –wenn die ihmzugeschriebenen Gesetze nicht überhaupt erst später mitseinem Namen verbunden wurden, wiees für manche „solonischen“Gesetze undwohl aucheinige desZaleukos undCharondas gezeigt werden kann9.
1
2 3 4 5
6 7 8 9
1274a31-b5. Vgl. noch Theodoret.Graec.affect.cur. 9,12, wo er als „Nomothet“bezeichnet wird. Wieder akzeptiert OSBORNE 1997, 77f. dieErwähnung beiAristot. ohne weitere quellenkritische Prüfung. NachAristot.Pol., ebda., habe Diokles sich durch die Flucht nach Theben denLiebesanträgen seiner υ ςso angeο θ ά ο ντ ῦπ ια ε θ ἀ π έ χ ν ιὰ τ ὴ Mutter Halkyone entziehen wollen. Sein Grabhabe erdannδ legt. Euseb. I, p. 195f. SCHOENE.
So etwa ZÖRNER 1971, 116 mit Anm.4; JEFFERY 1976, 146; DEMAND 1982, 95; 372. Vgl. auch MEYER 1937, 522f.; LANEFox 1985, 215f.
RUNCIMAN
1982,
Vgl. dazu die Absätze LOKROI EPIZEPHYRIOI; DREROS.
Vgl. ZIEHEN 1934, 1457. So mit Recht BUCK 1979, 103 Anm.72, vgl. 92; 173. Vgl. etwa auch ZIEHEN 1934, 1457; CLOCHÉ 1952, 26; GEHRKE 1985, 164; 372; 1986, 44 (spätes 7./frühes 6.Jh.). Als Möglichkeit angedeutet von GEHRKE 1985, 372 Anm. 1; vgl. Kapitel II 3 und die Absätze KATANE; LOKROI EPIZEPHYRIOI.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
248
DieAngaben über diekonkreten Gegenstände derGesetzgebung des Philolaos sind demgegenüber wieder nursehr knapp undoffensichtlich selektiv: Wie bei den anderen Nomotheten in diesem Exkurs –nämlich Charondas, Drakon, Pittakos undAndrodamas vonRhegion10 –nennt Aristoteles auchindiesem Fall nurdasjenige Gesetz, das er für τ ὸ νder jeweiligen Gesetzgebung, also charakteristisch und eigentümlich, ja einmalig ιο ἴδ undoriginell hält. Das Besondere an denGesetzen des Philolaos sieht Aristoteles nun darin, daßer Gesetze über die „ Kinderzeugung“gegeben habe, die bei denThebanern μ ο ιθ ε ν ό τ ικ ο ίgenannt wurden; diese Maßnahmen sollen der Erhaltung der Zahl der Landlose gedient haben11. Wassich dahinter verborgen haben dürfte, läßt sich wenigstens in Umrissen ausmachen. Offensichtlich handelt es sichbeidiesen ν μ ο ιθ ό τ ο ε ικ ίumGesetze über Adoption, undzwarwohl über dieAdoption des Erben eines Landloses12. Das könnte so zuverstehensein, daßeine Verringerung der(bestehenden undjetzt fixierten) Zahl der Landlose dadurch verhindert werden sollte, daßkinderlose Eigentümer eines Kleros aufjeden Fall einen Erben adoptieren mußten. Dieses Gesetz ist also offensichtlich eine Reaktion auf die Konzentration des Grundbesitzes durch die Akkumulation gewissermaßen „ vakanter“ Kleroi inimmer weniger Händen13. Sie liegt damit allem Anschein nach auf dergleichen Ebenen wieeine Regel, die Aristoteles –bezeichnenderweise imKontext seiner systematischen Diskussion des Zusammenhangs zwischen Grundbesitzverteilung, Kinder- und demPheidon zuschreibt, derzudenältesten GesetzgeBürgerzahl undihrer Regelung14 – bernüberhaupt zuzählen seiundin Korinth, also derHeimatstadt desPhilolaos, gewirkt habe: Dieser Pheidon habedieRegel aufgestellt, daßdieZahl der„Häuser“undderBürgergleich sein undkonstant bleiben müsse, auchwennsie vonAnfang anungleiche Kleroi (das heißt: hinsichtlich ihrer Größe undihres „Wertes“ ) hatten1 5. Wiein Korinth undvielen anderen frühen Poleis scheint also auch in Theben in der poZeit nach700 dieVerteilung vonGrund undBoden zueinem prekären sozialen und„ litischen“Problem geworden zu sein, zumal wohl auch hier Grundeigentum bzw. der Besitz eines Kleros einerseits undder Status eines (vollberechtigten) Mitglieds der sich gerade als Bürgerverband institutionalisierenden undkonsolidierenden Polis andererseits immer enger undbewußter aufeinander bezogen wurden16. Dieses Problem wurde allerdings nicht nur(undvielleicht nicht einmal in erster Linie) durch das Fehlen natürlicher männlicher Erben unddas Aussterben von Familien verschärft, sondern auch undgerade durch Veräußerung des Besitzes, Heiraten und Mitgift17. Darauf reagierte mannicht nur durch Regelungen des Erbrechtes, das heißt der 10 Vgl. Pol. 1274b5ff. Siehe auch Kapitel II 2. ι ο ῦ σ ινἐκεῖν ο λ ὓ ςκα ,ο ς 5): π ιία ο π ρ ε ο ίτ ιδ α ῆ ςπ 11 DerText lautet (1274b2– ὶτ ρ α ε ὶπ νκ ῶ ντιν ᾽ἄλ λ ω ι α τ η ζ μ ὸ ςσῴ ω ςὁἀριθ ,ὅ π ν ν ο μ έ τη ε θ ο μ ο υ ν ό ςθ ε ύ ο τικ ς ὶτο α ῦ ·κ τ υνενομ ο π ςὑ ὶνἰδίω τ ᾽ἐσ ᾽ἐκείν ρ ο ν . ή νκλ τ ῶ 12 Vgl. etwa WILL1955, 318 mitAnm.4; anders CLOCHÉ 1952, 26, dervonnomoi thetikoi im Sinne von „lois positives“spricht. Ziemlich unklar ist ZÖRNER 1971, 116f., der darin anscheinend nur eine zur Geburtenregelung sehen will; einigermaßen spekulativ LINK 1991, 62ff.; 165. Vgl. etwa ZIEHEN 1934, 1457; JEFFERY 1976, 146; BUCK 1979, 95f. Pol. 1265a18-b17. 16. Vgl. dazu denAbsatz KORINTH. Pol. 1265b12– Vgl. etwa BUSOLT 1920, 144; 379; LENSCHAU 1921, 811f.; BUCK 1979, 91f.; 95f.; 173, sowie Vorschrift
13 14 15 16
allgemein Kapitel
IV 1.
17 Vgl. etwa BUCK1979, 92.
2. Dieeinzelnen Poleis
249
Adoption, desTestierrechts undvorallem desErbtochterrechts, das etwa Solon, CharondasundAndrodamas von Rhegion in ihren Gesetzgebungen thematisiert zu haben scheinenunddasauch in kretischen „Rechten“immer wieder vorkommt18. Schon früh wurde außerdem durch gesetzliche Regelungen verschiedener Artversucht, „ die alten Landlose zubewahren“ , wie etwa in Leukas19: Einerseits scheint es strikte Veräußerungsverbote wiein Sparta20 oder zumindest strenge Beschränkungen wie in Lokroi Epizephyrioi, wo derBesitz nurbeieinem nachgewiesenen Notstand verkauft werden durfte2 1, gegeben zu haben. Noch zu Beginn des 4. Jahrhunderts wurde etwa im Gründungsgesetz der KoloniederIssaier aufMelaina Korkyra explizit festgelegt, daßdieHälfte des π ρ ο ρ ῶ τ ο ς ςκλᾶ im Besitz des jeweiligen Kolonisten undseiner Nachkommen bleiben sollte und nicht veräußert werden durfte22. Andererseits wurden anscheinend in vielen Poleis Gesetze erlassen, die denUmfang des Besitzes einzelner Bürger begrenzen bzw. einen uneingeschränkten Neuerwerb vonGrundeigentum verhindern sollten, wie in Athen durch Solon23. Undein wahrscheinlich altes Gesetz aus Elis, das demsagenhaften Gründer Oxylos zugeschrieben wurde, untersagte dieAufnahme vonHypotheken auf einen bestimmten Anteil des Grundbesitzes24.
Ob unter den übrigen
Gesetzen des Philolaos, die Aristoteles leider wieder einmal für erwähnenswert hielt, derartige Maßnahmen, etwa zumErbrecht, Epiklerat und Mitgift bzw. zurUnveräußerlichkeit derLandlose25, zuverstehen sind, mußdahingestellt bleiben –immerhin ist eine solche Vermutung durchaus plausibel. Daß damit auch eine nicht
(womöglich radikale) Neuaufteilung aller Kleroi geradezu notwendig verbunden gewesen sein müsse26, ist damit allerdings noch keineswegs ausgemacht –zwar sollte das Gesetz ohne Zweifel einer unkontrolliert fortschreitenden unddaher als alarmierend undschließlich regelungsbedürftig erscheinenden Entwicklung derKonzentration des Grundbesitzes entgegenwirken; dabei ging es aber wohl eher darum, die (weitere) Destabilisierung der bestehenden Verhältnisse zuverhindern undsiedurch eine Fixierung des Status quodauerhaft zusichern. Immerhin war die Sache offenbar konfliktträchtig undkontrovers genug, daß man den Korinther Philolaos als neutralen „Ausländer“mit der Lösung des Problems beauftragte. Tatsächlich dienten die Gesetze des Philolaos auch keineswegs denInteressen der wirtschaftlich Mächtigen, also den aristokratischen Grundbesitzern27. Damit stellen sie aber noch nicht automatisch –jedenfalls nicht ausschließlich und gewissermaßen einseitig
18 Vgl. zu denZusammenhängen etwa ASHERI 1963, 1ff.;
KIECHLE 1963, 210ff. undneuerdings LANE Fox 1985, 209ff. Siehe auch die Absätze über die CHALKIDIER IN THRAKIEN und KATANE, sowie
GORTYN; PHAISTOS.
19 Aristot.Pol. 1266b21ff. Vgl. ASHERI 1963, 1ff., auch zumFolgenden. 20 Aristot.Pol. 1270a19f.; Herakl.Lembos frg. 12DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 2,7 FHG, p. 211); Plut.Agis 5,1ff. Vgl. dazu LENSCHAU 1921, 811; BUSOLT/SWOBODA 1926, 634f. 21 Aristot.Pol. 1266b17ff., vgl. 1319a10f. Siehe auch denAbs. LOKROI EPIZEPHYRIOI. Vgl. dagegen allerdings LINK 1991, 92ff.; 167f.
22 Syll.3141, Z.7ff. Vgl. dazu BUSOLT 1920, 144; BUSOLT/SWOBODA 1926, 1268. 23 RUSCHENBUSCH 1966, F 66 (Aristot.Pol. 1266b16ff., vgl. 1319a6ff.). 24 Aristot.Pol. 1319a12ff. Vgl. denAbs. ELIS. 25 BUCK 1979, 92; 95f.; 173; KOHLER/ZIEBARTH 1912, 91. 26 GEHRKE 1985, 373; 1986, 44. 27 Anders CLOCHÉ 1952, 26, vgl. 22ff.; WILL 1955, 318f.; 480; ähnlich wohl auch DEMAND 1982, 92.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
250
undvielleicht noch nicht einmal in erster Linie –planvolle undgezielte Maßnahmen zum „ Schutz desfreien Bauerntums“gegen denAdel dar28. Wahrscheinlich ging eszunächst umdieKontinuität aller Kleroi unddie Stabilität des Kleros-Systems an sich, das heißt die Absicherung einer relativ breiten Verteilung des Grundeigentums aufeine möglichst hohe undjedenfalls möglichst stabil zu haltende Anzahl individueller Eigentümer. Dasmageinerseits etwas mitdemVordringen der Hoplitentaktik zutungehabt haben, die nicht zuletzt dieSicherung derwirtschaftlichen Grund9. lagen einer größeren Zahlvonpotentiell Wehrfähigen unabweisbar machte2 Andererseits diente derVersuch, alle Teilhaber amSystem der Kleroi –wie bei Pheidon die großen aristokratischen wie die kleinen bäuerlichen Inhaber –zuerhalten undals Gruppe sogar über die Generationen hinweg zu festigen, zugleich der Konsolidierung des gesamten Gemeinwesens als solchem, nämlich als Verband von grundbesitzenden „ Teilnehmern“ als „Bürgern“ . Das war objektiv zweifellos ein wichtiger Schritt im Prozeß der EtablierungundInstitutionalisierung derBürgerschaft derPolis Theben.
Dasheißt jedoch wiederum nicht, daßdieüberlieferten νό μ ο ιθ ο ικ ίdes Philolaos τ ε lediglich ein kleiner Teil einer umfassenden 0 undsystematischen gesetzlichen Ordnung3 oder sogar einer regelrechten „Verfassung“gewesen seien. Nichts spricht dafür, daß auswärtiger Aisymnet“undStifter einer ganz neuen Verfassung in Theben Philolaos als„ jene „gemäßigte Oligarchie“etabliert hätte, dienochimfrühen 5. Jahrhundert bestand3 1. dasallerdings war Philolaos hatte lediglich einbestimmtes, akutes Problem zulösen – undblieb offenbar vonzentraler Bedeutung, weil derZusammenhang zwischen Grundeigentum undvoller politischer Teilnahme für die Ordnung in Theben noch lange konstitutiv war. Dafür spricht indirekt auch ein Gesetz, das sicherlich noch eine „ziemlich elementar agrarisch orientierte Gesellschaft“voraussetzt unddaher vielleicht noch in das 6. Jahrhundert zudatieren ist3 2: Danach genoß nurderjenige volle politische Rechte, der )– ν α ά ς υ ο σ mehralszehnJahre nicht mehraufderAgora –dasheißt alsHandwerker (β tätig gewesen war33. Anscheinend galt Philolaos auch garnicht als der einzige Gesetzgeber von Theben. einigermaßen obskure Nachricht bei Plutarch, wonach die namentlich nicht genannten „ Gesetzgeber“(ο ο ἱνομ θ έ α τ ι) derThebaner dieüblichen homosexuellen Umgangsformen etwa durch dieAufwertung des Flötenspiels in der Erziehung der männli-
Dieallerdings
28 So dieFormulierung vonGEHRKE 1986, 44; vglauchdens. 1985, 372f.
29 Vgl. etwa BUCK 1979, 95f.; GEHRKE 1985, 164f. 30 Vgl. etwa GAGARIN 1986, 60. Nach RUSCHENBUSCH 1983, 322, habe Philolaos das „Recht“des Pheidon ausKorinth aufTheben übertragen unddabei lediglich einige Modifikationen vorgenommen, nämlich (wie vonAristoteles als eigentümlich herausgestellt) hinsichtlich des Adoptionsrechts und derLandlose.
31 So GEHRKE 1985, 164; 372. 32 GEHRKE 1985, 373. Vgl. dazu ferner ZIEHEN 1934, 1457; CLOCHÉ 1952, 24f.; BUCK 1979, 95 (mit teilweise unterschiedlichen Wertungen), sowie BUSOLT 1920, 353f. mit Anm.5, derfüreine spätere
33
Datierung eintritt. Aristot.Pol. 1278a25f., vgl. 1321a26ff. CLOCHÉ 1952, Gesetze erkennen.
25 will hier anscheinend zwei verschiedene
2. Dieeinzelnen
Poleis
251
chen Jugend zu regulieren
versuchten34, scheint bei allen quellenkritischen Vorbehalten jedenfalls in einer Hinsicht eindeutig zu sein: Wichtige gesellschaftliche Sitten undGebräuche inTheben wurden nicht durchweg auf eine einzige große Gesetzgeber- undStifterfigur nach Artdes Lykurg in Sparta35 zurückgeführt. Weder demsagenhaften Stadtgründer Kadmos noch etwa dem Begründer der Einrichtung aristokratischer Freundschaftsbünde, die der Ursprung des späteren ἱε ρ ὸ ςλό χ ο ςgewesen sein sollen36, wurde eine derart umfassende Rolle zugewiesen. Auchdieanscheinend frühen Gesetze, diedie Kindesaussetzung unddie Ehrung von 7, Selbstmördern untersagten3 dürften kaum Bestandteile einer umfassenderen Gesetzgebung gewesen sein –wenn diese Verbote überhaupt „gesetzgeberisch“formalisiert und fixiert waren undnicht nuraufHerkommen undreligiöser Tradition beruhten. THERA
Neben denungewöhnlich zahlreichen inschriftlichen Zeugnissen vonderdorisch besiedelten Insel Thera aus archaischer Zeit (Graffiti, Weihinschriften undInschriften auf Grabstelen), die bis in das späte 8. Jahrhundert hinaufreichen könnten1, hat sich auch eine, allerdings relativ späte Inschrift gefunden, dieein „ Gesetz“oder wenigstens einen gesetzesförmlichen Text zu enthalten scheint2. Es handelt sich um das stark beschädigte Fragment eines Textes, derboustrophedon in alle 18 Kanneluren einer dorischen Säule ausparischem Marmor gesetzt ist. Wiedie sehr ähnliche Inschrift aus Naxos gehört auch dieses Zeugnis wohl indieZeit um5003. Nachdenwenigen nochsicher lesbaren Worten zuschließen, enthält die Inschrift offenbar eine Sakralsatzung4, die einerseits Opfervorschriften mit genauen Mengen- bzw. Maßeinheiten enthielt und andererseits anscheinend auch die Rechte und Pflichten der mindestens zweimal erwähnten Damiorgen –einer Institution, die sonst in Thera nicht bezeugt ist–imZusammenhang mitdemKult derἈ θ α (und wahrscheinlich anderer ν α ία Gottheiten) regelte5 . Vielleicht handelte es sich umähnliche Aufgaben wie diejenigen der γ μ ρ ο ιο ίin Argos, die dasEigentum desHeiligtums derAthena Polias zubeaufsichtiδ α genundinsbesondere dessen Beschädigungen zuahnden hatten6. Eine detaillierte inhaltli-
34 35 36 37
1
Plut.Pelop. 19,1. DieNachricht wirdvonDEMAND 1982, 95 offensichtlich für im Kern authentisch gehalten undsogar mitderÜberlieferung überPhilolaos undseinen Liebhaber Diokles in inhaltliche Verbindung gebracht. Vgl dazu Kapitel II 3. Aristot. frg. 97ROSE (FHG II, p. 143); Plut.Pelop. 18,1ff. Vgl. ZIEHEN 1934, 1457. Ael.var.hist. 2,7; Aristot. frg. 502ROSE (FHG II, p. 143). Vgl. ZIEHEN 1934, 1457.
990; vgl. bereits IIGA, pp. 11ff. Siehe jetzt 813; 977– 601; 762– 363; 449; 536– IG XII 3, 350– 323f. (mit Ergänzungen von A. JOHNSTON, 469); GUARDUCCI 1967, 347ff. Vgl. generell HILLER V. GAERTRINGEN 1899; 1904; 1934; 1940, passim; H. KALETSCH, in: LAUFFER 1989, 667ff. IG XII 3, 450; SGDI 4736; PROTT/ZIEHEN 19 undbereits IGA 471. Siehe dazu JEFFERY 1961/1990, 323 (Nr. 14). Vgl. auch HILLER V. GAERTRINGEN 1904, 58; JEFFERY 1961/1990, 55; 319, auch zum Folgenden. JEFFERY 1961/1990,
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6
undBECHTEL halten denText füreinen Opferkalender. ι ία ε V. GAERTRINGEN 1899, 235f.; 1904, 57f. Möglicherweise ist in Zeile 3 Ἱσ ιρ ι ἑτα ία τ zu ergänzen, vgl. HERZOG 1928, 9; IG XII Suppl., S.87 zu450. Vgl. denAbs. ARGOS; VOLLGRAFF 1929; BUCK1955, Nr.83. COLLITZ
HILLER
252
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
che Rekonstruktion des Gehalts dieser Satzung aus Thera ist allerdings nicht mehr möglich.
Unter Ἀ θ α ν α ίαist mitSicherheit Athena Polias zuverstehen7, die schon in archaischer Zeit anderAgora vonThera einHeiligtum besaß8. Daher dürfte dort wohl auch die Säule gestanden haben, aufderdievorliegenden sakralen Regelungen inschriftlich festgehalten waren9. Schon diese Form der Veröffentlichung schließt im übrigen auch aus, daß diese lexsacra etwaTeil einer umfassenderen Gesetzgebung gewesen war; es handelt sich mitgroßer Wahrscheinlichkeit umeine sehr konkrete undspezifische Einzelregelung.
Dasgilt auch für dasandere, historisch sicherlich bedeutendere Zeugnis früher „ Gesetzgebung“aus Thera, nämlich jenen nur in der literarischen Überlieferung bezeugten Beschluß über dieAussendung eines Kolonisationsunternehmens, dendieTheraier schon bald nach der Mitte des 7. Jahrhunderts getroffen haben sollen und auf den sich offensichtlich dieviel spätere, erst in das4. Jahrhundert gehörende große Inschrift aus Kyrene mitdemvieldiskutierten „ EidderKoloniegründer“(ὅ ρ κ ιο ρ ω ν ν ) bezieht. ή τ ῶ ν ο ισ τ ἰκ Bekanntlich wurde Kyrene inNordafrika um630vonKolonisten ausThera unter der Führung des Battos gegründet10. Diese Gründung selbst undihre wechselvolle Vorgeschichte sind ungewöhnlich gutbezeugt –Herodot gibt sogar zwei Versionen der Vorgänge, nämlich eine relativ knappe „ theräische“und eine längere, mit deutlich mehr legendären Elementen angereicherte „ kyrenische“Version11. Beide unterscheiden sich mithin zwar in allerlei Details, Sichtweisen undUrteilen, stimmen jedoch hinsichtlich der wesentlichen strukturellen Fakten überein: Das Orakel von Delphi spielte eine zentrale Rolle bei derGründung vonKyrene, es hatvielleicht sogar den eigentlichen Anstoß zu diesem Kolonisationsunternehmen gegeben; der Führer des Zuges war Battos, der ursprünglich allerdings anders (nämlich vermutlich Aristoteles) hieß; undschließlich wurde die Stadt auf demnordafrikanischen Festland erst nach einem erfolglosen Anlauf, der 2. Ansiedlung aufderInsel Platea, gegründet1 7
Vgl. IG XII 3, Suppl. 1362, sowie das allerdings späte Zeugnis IG XII 3, 495. Siehe dazu HILLER V. GAERTRINGEN 1899, 235f.; 1904, 58; 1934, 2288; MARTIN 1951, 235f. mit Anm. 1. 8 Vgl. insbesondere HILLER V. GAERTRINGEN 1904, 57f.; 1940, 63f.; MARTIN 1956, 83. Vgl. zur archaischen Agora etwa HILLER V. GAERTRINGEN 1904, 55ff.; vgl. 75ff.; 1934, 2280; MARTIN 1951, 235ff.; GIULIANO 1966, 32ff. 9 Vgl. JEFFERY 1961/1990, 319. 10 Vgl. zudemDatum BUSOLT 1893, 482f. mit Anm.3; MEYER 1937, 436 mit Anm.3; LESCHHORN 1984, 60 mit Anm.4 mit weiteren Nachweisen. Die Datierung in dasletzte Viertel des7. Jh. wird durch das archäologische Material bestätigt. Vgl dazu etwa STUCCI 1965, 33f.; 62ff.; BOARDMAN 1966, 152; BÜSING 1978, 66ff. –insbesondere auch zu demGrabhügel an derNordmauer des frühesten Tempelbezirks, derals Heroon desBattos angesehen wird. Vgl dazu noch GIANGIULIO 1981, 11ff.; LESCHHORN 1984, 68 mitweiteren Nachweisen. 95. Siehe dazu HOW/WELLS 350ff. 63; 85– 8; 59– 156,2 undPind.Pyth. 4,4– 153 bzw. 154– 11 Hdt. 4,150– ad loc.; ferner BUSOLT 1893, 479ff. mit detaillierten Nachweisen der Überlieferung; SCHAEFER 1952/1963, 222ff.; CHAMOUX 1953, 92ff.; DEFRADAS 1954/1972, 245ff.; GRAHAM 1960, 96ff.; BÜSING 1978, 51ff. und neuerdings MURRAY 1980/1982, 150f.; 152; LESCHHORN 1984, 60ff.; WALTER 1993, 138ff. mit weiteren Nachweisen. Vgl. noch MALKIN 1987, 60ff. zu denverschiedenenVersionen derSprüche undAnweisungen ausDelphi, ferner GIANGIULIO 1981, 1ff.; OSBORNE 1996, 8ff. 12 Vgl zu den Einzelheiten insbesondere SCHAEFER 1952/1963, 223ff.; CHAMOUX 1953, 115ff.; JEFFERY 1976, 55f.; 186; MURRAY 1980/1982, 149ff.; GRAHAM 1982, 135ff.; LESCHHORN 1984, 60ff. mitweiterer Literatur; vgl. neuerdings nochJÄHNE 1988, 145ff.
2. Dieeinzelnen
Poleis
253
Indiesem Zusammenhang ist nurein Element der„theräischen“Version von Interesse,dasinder„kyrenischen“Fassung keine Rolle spielt, aber auch nicht mitihr kollidiert. Danach wurden nicht nurdieAussendung derKolonisten unddieBestimmung des Battos zuihrem „Führer undKönig“13,sondern auch die Modalitäten der Auswahl derjenigen, die sich dem Zug anschließen mußten, in einem förmlichen Beschluß festgelegt: Die Theraier beschlossen, Männer aus den sieben „ Regionen“oder Dörfern auszusenden; durch dasLossollte dazujeweils einer von(mindestens) zwei Brüdern, also ein Sohn aus Familien mitmehreren Söhnen, bestimmt werden14. Wesentliche Teile dieses Beschlusses spiegeln sich noch in dem schon erwähnten „ EidderSiedler“ , der, wiegesagt, in ein inschriftlich erhaltenes Dekret aus Kyrene aus dem4. Jahrhundert aufgenommen wurde, umdamit anscheinend die darin hauptsächlich festgelegte Garantie des vollen undgleichberechtigten Bürgerrechts derin Kyrene lebendenTheraier gewissermaßen historisch-rechtlich zulegitimieren15. Die Authentizität des „Eides“ist oft grundsätzlich bezweifelt worden1 6. Tatsächlich kannderText indervorliegenden Formaufkeinen Fall ausdem7. Jahrhundert stammen: Er ist nicht nursprachlich „modernisiert“ , sondern offenbar auch miteiner im einzelnen schwer zuentwirrenden Mischung auslokalen Überlieferungen möglicherweise mündlicher wie schriftlicher Art, etwa Motiven späterer Gründungslegenden, gewissermaßen angereichert. Deranachronistische Gebrauch erst später entstandener Begriffe und Konzepte und selbst die Einflechtung eindeutig jüngerer, fiktiver Motive in denText beweisen aber an sich noch nicht, daßder „Eid“ als solcher undin allen seinen Teilen eine Erfindung ist, dieetwa aufderGrundlage vonHerodot odereiner nochälteren, sowohl vonHerodot als auch vondenUrhebern derin den„Eid“ eingeflossenen Tradition benutzten, nirgendwo erwähnten undüberhaupt völlig unbekannten Quelle freihändig konstruiert und ausgestaltet wurde. Der in der Inschrift festgehaltene „Eid“dürfte wohl einen authentischen Kern von Festlegungen undRegelungen bewahrt haben, dersich –wenn auch miteinigen Vorbe7. halten –nochisolieren lassen wird1 Dazugehört nicht zuletzt etwa das detaillierte Ritual des Eides undderVerwünschung eines eventuellen Verletzers der beschworenen Rege-
13 Hdt. 4, 153: Θ ρ η α ίο . ισ ν ο τ τ ιδ α ά Β σ ιλ έ α ὲἕ α κ ὶβ α α ν δ ό ε... εἶν α ιδ έσφ α ε νκ ὶἡγεμ ω 14 So ist derText wohl zuverstehen (4, 153): Θ ε ιν ῦπέμπ ο π ε ρ εἀ ντ η α ό ίο ε ισ ιδ εἀδελφ δ α ᾽ἀδελφ ὲἕ α α ακ π ά ὶἀ . Vgl. die verschiedenen Vorλ ν τ ς λ α ῳ ό π χ ὸτ ν δρ ῶ νχώ νἄ ρ νἁπ ω ν ω ά τ τ νἑπ ω τ ὰἐόν schläge von HOW/WELLS ad loc.; WILHELM 1951, 7; SCHAEFER 1952/1963, 232 mit Anm.2; 1960, 98f.; JEFFERY 1961, 139ff.; OLIVER 1966, 25ff. MEIGGS/LEWIS Nr. 5, Z.23ff.; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 41 mit weiteren Nachweisen; außerdem HGIÜ I, Nr. 6. Vgl. zuerst FERRI 1925, 19ff.; OLIVERIO 1928, 222ff.; SEG 9 (1944) 3, ferner 13 GRAHAM
15
(1956) 617 und20 (1964) 714; GRAHAM 1960, 94ff. Siehe auch noch CHAMOUX 1953, 105ff. (Text mit frz. Übers.); GRAHAM 1964/1983, 224ff. Vgl. für die Interpretation des kyrenischen Dekrets insbesondere GAWANTKA 1975, 101ff. 16 Vgl. etwa CHAMOUX 1953, 108ff.; DEFRADAS 1954/1972, 247. Anders etwa DUSANIC 1978, 63; a product of the political 70ff. und57ff. passim, deres für eine erst sehr späte Fälschung hält, „ teaching andpractice of Plato’s Academy“(70). Zurückhaltend bzw. eher skeptisch auch GAWANTKA 1975, 104f.; LESCHHORN 1984, 65f.; WALTER 1993, 142ff.; OSBORNE 1996, 13ff.; 1998, 255f. 17 Vgl. etwa GRAHAM 1960, 96ff., ferner ders. 1964, 75; 1964/1983, 27 u.ö.; 1982, 135; JEFFERY 1961, 139ff.; SEIBERT 1963, 32ff.; MEIGGS/LEWIS, S. 8f. (zu Nr. 5.). Vgl. zustimmend etwa WERNER 1971, 63ff. mit Anm.149; MURRAY 1980/1982, 151f.; DREWS 1983, 123; ROISMAN 1986, 30f. 1984–
254
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
lungen –solche magischen Praktiken waren gerade im7. und6. Jahrhundert nicht nurim 8. Nahen Osten, sondern auchimgriechischen Kulturraum verbreitet1 Tatsächlich enthält dieser Textzudem einige inhaltliche Anklänge andenbei Herodot (wohl zuverlässig) überlieferten Beschluß derTheraier, die auch ohne gewundene Manipulationen amWortlaut derbeiden Texte noch deutlich genug sind. So ist es erstens auffällig, daßBattos, derja bei Herodot als ἡ γ μ ε ὼ νκ σ α ιλ ὶβα ε ύ ςbezeichnet wird, in einer entsprechenden, womöglich authentischen Wendung des „ Eides“zum„Gründer“respekweiter, daß die tive „Führer“und„König“bestellt wurde19. Sodann heißt es im „Eid“ Theraier alsseine „ Gefährten“ausfahren sollten –undzwar gleichberechtigt undzugleichenBedingungen „gemäß desHauses“ , waswohl so zuverstehen ist, daßsie ausallen Häusern“kommen sollten. Denn dann folgt unmittelbar dieFestlegung der Modalitäten „ derRekrutierung dieser „Gefährten“ : EinSohn sollte ausgewählt werden eben ausjedem „Haus“ vielleicht nach den bei Herodot erwähnten „ Dörfern“ . Wie Bezirken“oder „ 20, auchimmer: Damit kanneigentlich nurdasauchbeiHerodot lediglich kurz erwähnte Verfahren derAuslosung eines Sohnes ausFamilien (oder „Häusern“ ) mitmehreren Söhnen gemeint sein21. Der„Eid“ enthält allerdings noch mehrere Regelungen, diebei Herodot keinerlei Parallele haben. DasistetwabeiderBestimmung, daßjeder freie Mannderübrigen Theraier sich dem Kolonisationsunternehmen freiwillig anschließen konnte2 2, nicht weiter verwunderlich; denn für Herodot wardies nicht erwähnenswert, spielt doch für ihn –und Eides“–der bezeichnenderweise eben auch in praktisch allen übrigen Vorschriften des „ aufdieerst einmal zu Kolonisten bestimmten Theraier ausgeübte Zwang die entscheidende Rolle2 3. Gerade deswegen hieß es im „Eid“denn auch, daß derjenige, der nicht mitzog, wenndiePolis ihnwegschickte, mitdemTode bestraft werden undsein Besitz Gemeingut werden sollte –unddasgalt zugleich unbedingt und in aller Schärfe für denjenigen, dereinen solchen „Verweigerer“oder„Deserteur“aufnahm undschützte, undsei es, wiees dort heißt, derVater denSohn oder derBruder denBruder24. Undschließlich sollte aucheine Rückkehr derbereits aufgebrochenen Kolonisten nur unter bestimmten, durchaus engeingegrenzten Voraussetzungen möglich sein: Wenn sie dieGründung nicht halten undfest etablieren konnten, wenn dieTheraier ihnen beizustehennicht imstande waren undwenn sie Notlitten, sollten dieKolonisten innerhalb von
18 19
20
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MEIGGS/LEWIS Nr. 5, Z.44ff. unddazujetzt CH.A. FARAONE, Molten wax, spilt wine and mutilated 80. animals: sympathetic magic inneareastern andearly Greek oathceremonies, JHS 113, 1993, 60– . Vgl. dazu GRAHAM 1960, 108; 111; ῆ α ]|[τ MEIGGS/LEWIS Nr. 5, Z.26f.: ἀ ]εκ α α σ [ν ὶβ ιλ ρ γ έ τα χ α 1964/1983, 29f.; JEFFERY 1961, 144f. ι ία ο ιὁμ [ικ]|α ᾶ ὶτ π ιἴσ ᾶ α ὶτ 29: ἑτα ίρ ο υ MEIGGS/LEWIS Nr. 5, Z.27– υ ίο ςπλένἐ ρ α ςδ ὲτο η ὺ ςΘ ]|γ [έ ,υ ἱὸ ε ν ν σ ν κ α τ ὰ θ α ι.... Diefolgenden τ ο ν π λ ὲ δ ὸ ἶκ ο λ α τα ὲἕ κ ν α · Worte sindverschieden ergänzt ]. GRAHAM 1960, ν τ ω ν ά νἁπ ρ ῶ [εἀ νχω ῶ π ὸτ worden: OLIVIERO 1928, 227, hatte vorgeschlagen: τ .; vgl. ähnλ τ ]κ ὲ νδ ,π λ ὲ ω σ τ ά [ῶ κ ω ο ἴκ ἑ 98, ist mit guten Gründen WILHELM 1951, 6, gefolgt: ...τ νeinschieben wollte, τ ό α lich OLIVER 1966, 26f., derallerdings mitJEFFERY 1961, 140, die Zahl ἑκ ohneihre sonstige (weniger überzeugende) Ergänzung zuakzeptieren. Vgl. GRAHAM 1960, 99 undbereits SCHAEFER 1952/1963, 232 mitAnm.2. MEIGGS/LEWIS Nr. 5, Z.29f. Hdt. 4,150f.; 156,2f. Vgl. WILHELM 1951, 7; SCHAEFER 1952/1963, 232; GRAHAM 1960, 99; MURRAY 1980/1982, 153. ο ς ι]|μ , θανά[σ ς ιο λ ό ᾶ ςπ α ςτ ίσ ο λ λ ε τ σ ο 40: ὁδ ῆ ιπ λ νἀπ ὲ MEIGGS/LEWIS Nr. 5, Z.37– ὴλ ὲκ αμ νἢ ἱὸ ρυ ὴ τ α νἢπ ω ο ςἢἀδήιζ ν ε μ ό μ α τ αἔσ ή δεκ ὲἀπ|ο τ . ὁδ ω ια ό σ α ὐ ρ τ ο ῦδαμ α χ α ὰ τ ικ ὶτ ν τέ
. ν ὲ λ ν π έ ω λ ὴ ρ ὁμ ὸ ε φ ςἀδελ|φ ε ἀ δ ελ π α ιἅ α ισ ῖτ π ε ν ὸ ε
2. Dieeinzelnen
Poleis
255
fünf Jahren (oder womöglich erst nach fünf Jahren)2 5 nach Thera zurückkehren können unddort ihren Besitz undihren Status als Bürger wieder in Anspruch nehmen dürfen – undzwar „ohne Furcht“ , wiees bezeichnenderweise heißt26. Daßeine Rückkehr derKolonisten tatsächlich unerwünscht war(und ihr angeblich feierlich beschworenes „ Recht“ darauf sich in derPraxis als vonzweifelhaftem Wert erwies), zeigt die Episode, die He-
rodot nurwenige Kapitel später inder„ kyrenäischen“Version derKtisis erwähnt. Obdie erwähnten einschränkenden Bedingungen vorlagen oder nicht, läßt sich aus dem Text zwarnicht entnehmen; Herodot berichtet dortnur,daß–alsdieKolonisten dieses „Recht“ auf Rückkehr dann tatsächlich wahrzunehmen versuchten –sie vondenTheraiern rücksichtslos undmitGewalt anderLandung inihrer alten Heimat gehindert wurden27. Wievor diesem Hintergrund derNot undder Zwangsaussiedlung die Regelung zu beurteilen ist, daß im Falle einer erfolgreichen Etablierung der Kolonie eventuell nachkommende Theraier28 an Bürgerrecht undEhren (Ämtern?) unddurch Los auch an dem noch nicht einem Besitzer zugeteilten Land der Kolonie beteiligt werden sollten29, mag 0– dahingestellt bleiben: Auch dieser Passus gilt zwar im allgemeinen als authentisch3 immerhin waresaberdiese Klausel, die diewesentliche Grundlage des Dekrets ausdem 4. Jahrhundert bildete31. Andererseits heißt esja bei Herodot ausdrücklich, daßsich lange Zeit, nämlich bis zur Herrschaft des Battos Εὐδαίμ , die Zahl derBürger nicht erω ν höhte32: Der vorgesehene Fall scheint also zunächst nicht gerade häufig eingetreten zu
sein. Wichtig ist in diesem Zusammenhang in erster Linie die formale Seite dieser GrünDiezuverlässige Überlieferung bei Herodot unddie inhaltlich authentischen Passagen des „Eides“–diegrundsätzliche Entscheidung zurAussendung von Kolonisten (welche Rolle auch immer das Orakel in Delphi dabei gespielt haben mag), die Bestimmung des Führers des Unternehmens, die Modalitäten der Auswahl der Kolonisten und die Sanktionen gegen „ Verweigerer“undRückkehrer –waren derKern eines formalen Beschlusses mit„ gesetzesförmlichem“Charakter, was sich übrigens auch in der sprachlichenFassung vieler Klauseln in dentypischen Wendungen des archaischen Gesetzesstils niedergeschlagen zuhaben scheint. dung:
25 Die Interpretation der Zeitbestimmung ist
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umstritten; vgl. dazu JEFFERY 1961, 141; GRAHAM 1964/1983, 53 Anm. 1;224; GAWANTKA 1975, 103. ιν ίμ α ῖο ρ η η δ ὲο ἱΘ MEIGGS/LEWIS Nr. 5, Z.33– 37: α ]|ω νμ ὴκατ[έ ία χ ἰδ ὲκ νοἰκισ ὰ αμ ν τ ιτ ]| ἀδιέ ν ω [ε ς ίμ ᾶ ςἀπ ᾶ κτ ςγ , ἐ ε τ ν έ]|ν έ ,ἀ ὶπ π δ λ ηἐ ν κ υ λ α ν ι ἀχθῶ ῶ τ ὰἀνάγ ν ιἔ τ α ι ἐπικου[ρ τ ρ ή α ν μ δ ή μ Θ μ α π εἐ ο ε ρ λ τ ιά π γ χ α τ|α ὶτ ὐ ὰ τ κ α ῶ α ὶἦ . Vgl. dazu GRAHAM 1964/1983, 53; WERNER ς 1971, 64f. Hdt. 4,156,2f. Vgl. dazu JEFFERY 1961, 142; GRAHAM 1964/1983, 53; GAWANTKA 1975, 105; SEIBERT 1979, 24f, mitdenAnm.. Vgl zurBedeutung vonοἰκ ε ῖο ιetwa GRAHAM 1964/1983, 64 Anm. 1;1964, 75. ν νοἰκείω ῶ ι, τ ο ικ ο π 33: α ἱἄ νο ία MEIGGS/LEWIS Nr. 5, Z.30– ὲ ἰμ νδ νοἰκισ ν]|τ ὰ ιτ ακατέχ[ω έκ ε δ ]|κ ςἀ ᾶ ᾶ ςτ ν [ε α ὶγ μ π ε χ δέ ᾶ ]|ὕστερ ή α ὶτιμ α [τ ια ςκ α ὶπ α νκ ύ ιτ ν λ ο νε έο ο λ ἰςΛ γκαταπ ιβ τ ὸ . ν χ ν ά ε γ σ π ό τ ἀ π ω ο λ α Vgl. etwa JEFFERY 1961, 141f.; GRAHAM 1964/1983, 64; WERNER1971, 63f. MEIGGS/LEWIS, S. 7 (zu Nr. 5); vgl. auch SEIBERT 1963, 37ff.; GAWANTKA 1975, 102f. Hdt. 4,159,1f. Vgl. dazu den Abs. KYRENE.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
256
Es warein normativer Beschluß „derTheraier“als Polis, die sich damit als Gesamtheit eine alle Beteiligten bindende Verpflichtung auferlegte: Der Kern des Beschlusses bestand ebenin Regelungen, die für diesen Verband undalle seine Mitglieder –undinsbesondere auch diejenigen, die ihn dann auf Grund des Beschlusses verlassen sollten – imWortsinne „zwingend“verbindlich waren. Gerade daswird durch dieerwähnten Regeln undSanktionen gegen zurückkehrende Kolonisten, „Verweigerer“undihre Helfer unter
denTheraiern explizit undbetont hervorgehoben33.
Denn in diesem Fall konnten „ dieTheraier“ , dieja insgesamt durch die akute Dürre undwohl auchdiechronische Enge derVerhältnisse auf derInsel betroffen waren3 4, gar
nicht anders handeln als im „ Verband“ : Weder ein einzelner Theraier (etwa der König) noch eineinzelner oikos konnten bestimmen, werin diesem „Verband“bleiben undwer nachwelchem Verfahren ausihmauszuscheiden hatte –undgerade diese Modalitäten, die Zwangsrekrutierung derKolonisten ausallen sieben „ Bezirken“undausjedem „ Haus“ desganzen Thera, spiegeln wiederum dasBetroffensein wiedasHandeln „ derTheraier“ alsPolis. Undschließlich manifestiert sich nicht nurin derformalen Regelung der„Ausgrenzung“derKolonisten, sondern auch in der„ Garantie“für Eigentum und„ Bürgerstatus“ bei akzeptierter Rückkehr, daß dieser Verband durch die Feststellung der (Nicht-) Zugehörigkeit bereits eine wenigstens rudimentäre eigene Identität zugewinnen begann – unddasgilt auch dann, wenn der in dervorliegenden Fassung des „Eides“gebrauchte Begriff π ο λ ιά τ α ςalsKonzept und„Idee“jüngeren Datums sein sollte3 5. Darin bestand zugleich diewesentliche Voraussetzung dafür, daß„ dieTheraier“diese weitreichende Entscheidung bereits in einer zumindest ansatzweise institutionalisierten „ Versammlung“undin einem formalisierten Verfahren fällen konnten. Ein solches Verfahren mußauchHerodot gemeint haben, wenner die Formulierung Θ ρ α ίο η ισ ιἕ α δ εmit Absicht gewählt haben sollte36. Undvielleicht ist auch die Ratifikationsformel ἔ δ ο ι ᾶ ξ ετ , dieimmer wieder als eines dereindeutigsten Indizien η σ ία ιamAnfang des„Eides“ κ λ κ ἐ für die späte Erfindung des ganzen Dokuments genommen worden ist3 7, nur eine der „ Modernisierungen“des ursprünglichen Textes durch jüngere, verständlichere Konzepte undWendungen –es ist keineswegs unmöglich, daß ursprünglich am Anfang des Beschlusses derTheraier eine Formel gestanden hat, diedemδο μ ο ιin derSakralκ ε ῖτο ιδά satzung aus Tiryns aus demspäten 7. Jahrhundert38 oder demἇ δ ιdes noch λ ό ε δ α ᾽ἔ π 9 etwas früheren Gesetzes aus Dreros3 entsprochen haben könnte. In Thera gab es auf jeden Fall schon wieinDreros undTiryns Versammlungen derPolis, die normative, verbindliche undsanktionsbewehrte, also „ gesetzesförmliche“Beschlüsse fassen konnte40.
33 Vgl. etwa SCHAEFER 1952/1963, 231f.; MURRAY 1980/1982, 153, auch zumFolgenden. 34 Hdt. 4,151,1. Vgl. MURRAY 1980/1982, 153, auch zumFolgenden. 35 Vgl. GRAHAM 1960, 103; 106, sowie generell auch WERNER 1971, 64f. 36
37
Hdt. 4,153. Vgl etwa GRAHAM 1960, 103; 110, sowie schon SCHAEFER 1952/1963, 224; 231. Vgl. auch denGebrauch des Begriffs bei Hdt. 1,151,3; 3,45,1; 4,145,5; 6,106,3. Siehe etwa CHAMOUX 1953, 110; DUSANIC 1978, 59. Vgl. dagegen mit Recht GRAHAM 1960, 105;
vgl auch DREWS 1983, 122ff.
38 Vgl. VERDELIS et al. 1975, 167; 192ff.; 205; JAMESON et al. 1973, 425. Vgl. im einzelnen den Abs.
39 40
TIRYNS. MEIGGS/LEWIS
Nr.2, Z.1– 2. Vgl. dazudenAbs. DREROS. Gegen CHAMOUX 1953, 110; DUSANIC 1978, 59, dergenerell Volksversammlungen“leugnet. Existenz) früher „
dieBedeutung
(wenn überhaupt
die
2. Dieeinzelnen Poleis
257
TIRYNS
Auf den großen Deckplatten der beiden überdachten Gänge aus mykenischer Zeit („ Syringes“ ), die an der Nordwestseite der kyklopischen Mauer der Unterburg von Tiryns zu unterirdischen Quellen außerhalb der eigentlichen Befestigungsanlagen führten, wurden eine Reihe von Inschriftenfragmenten in „ Ur-Boustrophedon-“oder „ Schlangenschrift“ entdeckt, dietrotz ihres sehr bruchstückhaften Erhaltungszustandes nach Artund Umfang zudenbedeutendsten epigraphischen Neufunden derletzten Jahre gehören1: Sie gelten nicht nuralswichtige Zeugnisse derfrühen Entwicklung vonSchrift undDialekt in derArgolis2, sondern auchalsQuelle fürdie Geschichte vonTiryns (und derPolis generell) in archaischer Zeit3. Ausepigraphischen Gründen sind dieTexte ohne Zweifel in das späte 7. Jahrhundert, jedenfalls vor600 zudatieren. Sie wurden also angebracht, als dieerwähnten mykenischen Gänge wie die Palastanlage insgesamt schon seit Jahrhunderten nicht mehr benutzt worden waren undgroßenteils bereits zugeschüttet gewesen zu sein scheinen. Die großen undschweren Platten, die diese Gänge horizontal abdeckten unddie so übereinander angeordnet waren, daßsietreppenartig zuderBefestigungsmauer anstiegen, waren jedoch an ihrem Platz geblieben. Auf denvon außen sichtbaren Flächen dieser Platten wurden danndieInschriften angebracht, undzwarmitbis zu 10 cmhohen, also auffällig großen undursprünglich gut erkennbaren Buchstaben –sie waren also bewußt öffentlich aufgestellt. Wahrscheinlich hängt dieFixierung undVeröffentlichung desTextes gerade an dieser Stelle mitdem(erneuten) Aufbau eines Tempels imehemaligen Megaron dermykenischen Burg seit derMitte des 7. Jahrhunderts zusammen4 . Dieses Heiligtum wurde offenbar in sakraler –unddamit eben auch„ –Hinsicht einwichtiger Kristallisationspunkt politischer“ dergerade erst entstehenden Polis Tiryns, diezu dieser Zeit, gegen Ende des Jahrhunderts, nochgarkeinen urbanen Siedlungskern gehabt zuhaben scheint5 : DerTempel war also derfrüheste (und wichtigste) öffentliche Raum vonTiryns. Dazupaßt eine weitere Überlegung: Wahrscheinlich wardieses Heiligtum nicht, wie zumeist angenommen wurde6, derHera geweiht, sondern derAthena (Polias?) undvielleicht auch dem Zeus (Polieus?)7 –daß zumindest Athena zu dieser Zeit in Tiryns kultische Verehrung genossen haben muß,ist durch eine ganze Reihe vonin derNähe aufge1
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KOERNER Nr. 31; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 78, jeweils mit Kommentar und weiteren Nachwei51; vgl. sen. Der Text wurde zuerst veröffentlicht von VERDELIS et al. 1975, 150ff. mit Tafeln 46– bereits JAMESON et al. 1973, ferner SEG 30 (1980) 380, sowie 34 (1984) 296; 36 (1986) 347. Vgl. dazu JAMESON et al. 1973, 423; FOLEY 1988, 126f. mit weiteren Nachweisen; A.JOHNSTON, in: JEFFERY 1961/1990, 443 (Nr. 9a), ferner DUBOIS 1980, dagegen allerdings H. VANEFFENTERRE, REG 95 (1982) p. X, dessen radikale Herabdatierung undUminterpretation derInschrift als einer „ imitation, caricaturale à nos yeux, d’ unerédaction officielle“aus derZeit des interregnum servile (vgl. jetzt auch VANEFFENTERRE/RUZÉ I, S. 296) mir allerdings weit hergeholt erscheint. Vgl. dazu zuerst JAMESON et al. 1973, 423ff.; KOERNER 1985, passim; HÖLKESKAMP 1992, 93ff.; 1994, 144; 149f.; GEHRKE 1993, 54ff., auch zumFolgenden. JAMESON et al. 1973, 424f.; KOERNER 1985, 455; 456f. Siehe zu dem Tempel noch KARO 1937, 1465f.; MAZARAKIS AINIAN 1985, 37f. mitweiteren Nachweisen (für eine sehr frühe Datierung). KOERNER 1985, 456f. imAnschluß an VERDELIS et al.1975, 194. KARO 1937, 1465f.; vgl. bereits FRICKENSTEIN 1912, 2ff.; 31ff.; COLDSTREAM 1984, 10. JAMESON et al. 1973, 424f.; VERDELIS et al. 1975, 199ff.; dazu allerdings skeptisch FOLEY 1988, 127; 145ff.
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
258
tauchten Weihgaben, darunter einer Vasenscherbe mit entsprechender Inschrift (Ἀ θ α ν α ία ί), eindeutig bezeugt8. UndAthena undZeus sind auch die Empfänger der Straςἐμ fen in Naturalien, die amAnfang der erhaltenen Teile der Inschrift an der alten Mauer festgelegt sind9.
DerInhalt derwenigen eindeutig miteinander zusammenhängenden Textteile der Inist allerdings nicht unumstritten. Esistnicht einmal völlig sicher, wenn auch wahrscheinlich, daßes sich umeinen einzigen, für eine archaische Inschrift außerordentlich umfangreichen Text gehandelt hat, derin viele ähnlich aufgebaute kurze Abschnitte unterteilt gewesen sein müßte, dieaufirgendeine Weise einen inhaltlichen Zusammenhang gehabt haben dürften10. Wie demauch sei: Es ist jedenfalls unstrittig, daßdieAbschnitte desTextes (oder eben die einzelnen Inschriften) ausgesetzesförmlichen Vorschriften ofschrift
fenbar sakralrechtlichen Inhalts bestanden haben dürften, durch die vielleicht hauptsächlich, zumindest aber unter anderem, die Strafgewalt bzw. sogar Strafpflicht bestimmter Funktionsträger, der π λ α τ ιο ι bezeichneten ο τ λ α ί οιν ίν ρ χ α ο ι, gegenüber einer als π Gruppe fixiert unddabei anNormen gebunden wurden –nach derbislang überzeugendsten Ergänzung heißt es in denbereits erwähnten Fragmenten 1– 4: „ Die Platiwoinarchen sollen die Platiwoinoi für jedes Vergehen bestrafen“ , und dann: „Wenn sie (die Platiwoinarchen) nicht als Strafe (den Platiwoinoi) auferlegen, demZeus undder Athena 30 11. Medimnen zuschulden, sollen sie selbst dasDuplum schulden“ Unter den„ Platiwoinoi“sind möglicherweise dieMitglieder vonSpeise- oder in diesemFall eher Trinkgemeinschaften zu verstehen, die denSyssitien undPhiditien bzw. den Hetairien in Sparta, Kreta und anderen dorischen Gemeinwesen geähnelt haben könnten: Solche Gemeinschaften wären dannhierwiedort frühe Unterteilungen dergeradeentstehenden Poleis bzw. ihrer Bürgerschaften gewesen, an deren Spitze jeweils die ρ ά σ ιτ α ιin ο χ ιoder denπ ο ρ „ Platiwoinarchen“als Vorsteher –vielleicht denσ ία ο μ σ π υ 2. Athen vergleichbar –gestanden hätten1 Dievonihnen zuverfolgenden Vergehen der „ Platiwoinoi“könnten sich dannaufσ bezogen haben, das heißt ό σ ια μ π υ σ σ υ ίτ oder σ ια auf Verstöße gegen deren Ordnung wie etwa Nichterlegung der Beiträge undAbgaben –dasmußangesichts desErhaltungszustandes derInschrift allerPlatiwoinoi“ durch die„ dings Vermutung bleiben13. Aufjeden Fall aberwaren die „Platiwoinarchen“schon Träger vonimweitesten Sinne öffentlichen Funktionen: Ihnen wurden hier bereits explizit definierte und detailliert normierte Amtspflichten zugewiesen, deren Vernachlässigung unter eine besondere, ver-
8
Vgl. MÜLLER 1913, 90f., sowie KARO1937, 1466; VERDELIS et al. ebda. mitweiteren Nachweisen. 4 (nach SEG 30, 1980, 380, auch in der Folge). Frgg. 1– 10 JAMESON et al. 1973, 423; vgl. deneherzurückhaltenden Kommentar SEG30, p. 130. 11 Ichfolge derplausiblen Ergänzung desTextes durch KOERNER S. 88 (zuNr.31) bzw. dens. 1985, , ε τ σ ά κ [ς]ε ν ο ι οίν τ α ]ςπ λ ν ὸ ν[τ ρ χ ά [α ο ν τ 452; 454: τ , (undeutbare Wortreste) ζαμιο ι]οιν ὸ ν ς ςπ λ ς ν τ ὸ ν , α[ὐ μ ο ν ς ίμ ]δ [ε μ α ν τ ιια άο ντρ ]ά [ς σ ἰμ unddann: α α ιιε ν ν ὀ φ λ ν ε ἐ Δ ᾽ἐξσθ[ο ί]ακἀθαναιία . ν ]ά ιο σ λ διπ ν λ ε φ ὀ 12 JAMESON et al. 1973, 423f.; VERDELIS et al. 1975, 195ff. mit denEinzelheiten; KOERNER 1985, ’453. Gegen dieInterpretation derπ λ α τ ί οιν ο ιals „collège dedesservants d’unculte deZeus ou dA théna, chargés deslibations devin lors descérémonies“(DUBOIS 1980, 256; zustimmend HANSEN 1984, 162) vgl. außer VANEFFENTERRRE, REG 95, 1982, p. X, jetzt auch KOERNER 1985, 453
9
13
Anm.4.
JAMESON et al. 1973,
423, VERDELIS et al. 1975, 171; 195ff.;
KOERNER
1985, 453.
2. Dieeinzelnen
Poleis
259
schärfte Strafe gestellt wurde, die auch in anderen archaischen Gesetzen begegnet –das Doppelte der normalen Buße, etwa derjenigen Strafsumme, die sie eigentlich hätten verhängen sollen14. In den verlorenen Teilen des Textes standen vielleicht noch weitere, womöglich ähnlich formulierte undauch ähnlich sanktionsbewehrte Normen –jedenfalls werden die„ Platiwoinarchen“nochmehrfach innicht mehrsinnvoll zuergänzenden Textresten erwähnt15.
Daßdieentstehende Polis Tiryns auch bereits eine institutionelle Struktur in nuce besaß, die der Ausdifferenzierung gesetzesförmlicher Regelungen entsprach, wird auch
durch die Erwähnung weiterer „ Magistrate“mit besonderen „ Amtsbezeichnungen“und möglicherweise auchexplizit formulierten Zuständigkeiten nahegelegt. In einigen dersehr stark beschädigten Fragmente kommt ein ἐπ μ ο ν νvor, der vielleicht eine demδικ ό ιγ α σ τ ά ςin Gortyn vergleichbare Funktion alsEinzelrichter wahrzunehmen hatte. Dort gabes nämlich einen δ ικ α σ τ ά ς , der anscheinend –hier eher den „Platiwoinarchen“in Tiryns nahestehend –über (interne) Angelegenheiten der Hetairien und/oder Streitigkeiten zwischen ihnen zuentscheiden hatte16. In der institutionellen Struktur des frühen Tiryns hatte offensichtlich auch der ebenfalls mehrfach erwähnte ἰα μ μ ο ν ά νeine zentrale Funktion –ein „Amt“ ρ ο , dasin benachbarten Poleis schon früheine Rolle gespielt hat, etwa als Verwalter vonTempelvermögen oder als „Richter“in sakralrechtlichen Angelegenheiten17. In der vorliegenden Satzung wird ausdrücklich niedergelegt, daßein Funktionsträger dieses Namens das „öffentliche Vermögen“(τ μ ό ὰ δ α σ ιια , womit vielleicht auchinallgemeinerem Sinne die „öffentlichen Angelegenheiten“bezeichnet worden sein mögen) soverwalten sollte, „ wiees derDamos beschließt“18. Wie das frühe Dreros kannte also auch diegerade erst entstehende Polis Tiryns schon eine Volksversammlung –derinstitutionalisierte δᾶ μ ο ςkönnte sogar schon eine spezielle Bezeichnung gehabt haben; denn in demauf diese Vorschrift unmittelbar folgenden Textstück, dessen Sinn wiederum nicht mehr rekonstruierbar ist, kommt der Begriff ἁ λ ια ίαvor, der ja zumindest später etwa in argivischen Dokumenten die Volksversammlung bezeichnete19. Schon in diesem frühen, „ prä-urbanen“Stadium der Polisentwicklung ist also der δᾶ μ ο ςein integrierter Bestandteil der sich erst konsolidierenden
14 Siehe auch frg. 11. Vgl. etwa IvOlympia 2 (= BUCK 1955, Nr. 61; KOERNER Nr. 37; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 23), Z. 6 (s. dazudenAbschnitt Elis), sowie etwa das allerdings spätere Gesetz aus Thasos IG XII Suppl. 347(II), Z. 4ff. Vgl. auch die ähnliche Regelung aus Dreros: MEIGGS/LEWIS Nr. 2. Vgl. dazu den Abschnitt DREROS. trotz des mehrzeiligen Zusammenhangs nicht klar Jedenfalls wirddort auchwieder eine Vorschrift mitα ὲμ ἰδ ὲeingeleitet. Siehe außerdem Frgg. 6;
15 Vgl. etwa frg.7, wo derSinn derRegelung
ist. 11;
12. 16
17
18 19
ICret IV 42 (B); KOERNER Nr. 129; VAN EFFENTERRE/RUZÉ II, Nr. 5. Vgl. dazu JAMESON et al. 1973, 424f:, VERDELIS et al. 1975, 173ff.; KOERNER 1985, 453; 456. Frgg. 1– 4, sowie 5: Vgl. dazu VERDELIS et al. 1975, 194f.; JAMESON et al. 1973, 424f.; KOERNER μ ο ρ 1985; R. THOMAS 1995, 67. Die Hypothese von HANSEN 1984, 162f. über die Rolle des ἰα imZusammenhang einer „local amphictiony“erscheint mireinigermaßen spekulativ. μ ν ο ν ά Vgl auchVERDELIS et al. 1975, 192ff. Ichfolge Text undÜbersetzung vonKOERNER, S. 88 (zu Nr. 31); 1985, 455: τ ι. ο [α ]ε ὸ ἐ ν ν π μ ν ε τ ο δἰιαρομμνάμ υ ό ὰ θ ν δ α σ ιδάμ ύ ιια π hό υ κ ε α δο ῖτο ικ JAMESON
1964, 32.
et al. 1973, 425;
᾽
VERDELIS
et al. 1975, 170; 192f.;
FOLEY 1988, 127; vgl. WÖRRLE
III. Gesetzgeber undGesetze: Daten undAnalysen
260
institutionellen Grundstrukturen, derzuden„ Funktionsträgern“in explizit geregelte bzw. erst einmal Regelungen zuunterwerfende Beziehungen tritt. Zugleich ist damit untrennbar verbunden, daßbereits einwenigstens rudimentär formalisiertes Beschlußverfahren in dieser Versammlung besteht –ein solches Verfahren wirdja inderFormel δο κ μ ο ε ῖτο ιnotwendig vorausgesetzt20. AmEnde des 7. Jahrιδά hunderts hatten sich also in Tiryns wiein Dreros bereits diewesentlichen Grundstrukturen einer Polis herausgebildet, die zugleich die institutionellen Voraussetzungen einer entwickelten Gesetzgebung undeines formalen Gesetzgebungsverfahrens sind. Diesberechtigt abernicht zuderSchlußfolgerung, daßdaserhaltene Material dieResteeiner „Kodifikation“darstellt, diederallgemeinen „Sicherung“des Rechts durch seine (womöglich umfassende) „ schriftliche Festlegung“diente21. Es handelte sich bei dem vorliegenden Dokument ursprünglich wohl eher umeinen Satz vonRegelungen, die um einen relativ begrenzten konkreten Gegenstand kreisten: Es sind sakralrechtliche Vorschriften (über Syssitien undandere Rituale, Feste), die auf denOrtihrer Fixierung und „ Veröffentlichung“ , nämlich dasHeiligtum aufderalten Burg, unmittelbar bezogen wa-
ren. ZANKLE
Auch für diese Stadt wird in derForschung allgemein die Übernahme der „Gesetze des Charondas“angenommen bzw. stillschweigend vorausgesetzt, obwohl dies auch in diesem Fall nirgendwo in der antiken Überlieferung ausdrücklich bezeugt ist1. Das gilt auch für Myklai, dasvonZankle seinerseits schon bald nach der Gründung eingerichtet
worden zusein scheint2. Diese Annahme beruht wiederum in erster Linie auf derTradition, daßZankle gegen Ende des8. Jahrhunderts vonangeblichen „Piraten“ausdemitalischen Kyme undeiner Kolonistengruppe ausChalkis selbst besiedelt worden sei, also ohneZweifel auchzudem bereits mehrfach erwähnten γ gezählt werden muß3 . έ ν ο κ ςΧα ιδικ λ ό ν In diesem besonderen Fall kommt hinzu, daß Zankle unddas direkt gegenüber auf der italischen Seite der Straße von Messina liegende Rhegion –an dessen Gründung Zankle ja möglicherweise sogar beteiligt war4–in ihrer gesamten Geschichte auf vielfälti20
JAMESON et al. 1973 ebda.; KOERNER 1985,
456f.
21 Das scheint KOERNER 1985, 456, zumindest zu suggerieren, ähnlich Satzung alsTeil einer „ muchwider structure of legal provisions“sieht. 1
2
3
4
OSBORNE
1997, 78, der die
Vgl. etwa DARESTE 1902, 18; BONNER/SMITH 1930, 70; PHILIPP 1931, 1220; ROEBUCK 1980, 1928. Die zumTeil ziemlich unklaren Angaben –Strab. 6,2,6; Diod. 12,54,4f.; Ps.-Skymn. 287f.(GGM I, S. 208) –brauchen hier nicht behandelt zu werden; vgl. dazu PHILIPP 1931, 1230; K. ZIEGLER, RE 1044 S.V. Mylai, 1042f.; DUNBABIN 1948, 12; BÉRARD 1957, 197f.; VALLET 16,1 (1935) 1042– 1958, 81ff.; GRAHAM 1962; 249f.; ASHERI 1980, 132; MARTIN et al. 1980, 615ff.; GRAHAM 1982, 108f. mitweiteren Nachweisen. Thuk. 6,4,5f. und GOMME/ANDREWES/DOVER ad loc.; ferner Strab. 6,2,3; Kallimachos frg. 43, Z.58ff.PFEIFFER; Paus. 4,23,7; Ps.Skymn. 283ff. (GGM I, S. 207f.). Vgl. zur Überlieferung und den damit verbundenen Problemen etwa PHILIPP 1931, 1214ff.; DUNBABIN 1948, 11; BÉRARD 1957, 92ff.; VALLET 1958, 58ff.; 1978/1996, 125f.; 1981/1996, 389ff.; MARTIN et al. 1980, 699ff.; LESCHHORN 1984, 16ff. mitweiteren Nachweisen, ferner MALKIN 1987, 179. Antiochos v. Syrakus FGrHist 555 F 9 (= Strab. 6,1,6).
2. Dieeinzelnen
Poleis
261
geWeise engmiteinander verbunden waren, bishinzurHerrschaft desAnaxilaos imfrühen 5. Jahrhundert, den Diodor nicht ohne Grund ὁῬ ν η ο ς ςτύραν λ γ α ὶ Ζάγκ ίο υκ η nennt5. Undvon Rhegion ist bekanntlich ausdrücklich überliefert, daßdort die „ Gesetze desCharondas“galten6. Mehralsdieser sehr indirekte Zusammenhang läßt sich aber, wie
gesagt, nicht herstellen.
5 6
Diod. 11,48,2, vgl. auch Thuk. 6,4,6. Siehe dazu allgemein etwa DUNBABIN 1948, 12; 386f. u.ö.; VALLET 1958, 386ff. undpassim; GRAHAM 1964/1983, 17f.; SEIBERT 1979, 225f. Herakl.Lemb.Exc.polit. frg. 55DILTS (= [Herakl.Pont.] frg. 25,4, FHG II, S. 219). Vgl. Abs. RHEGION zudenEinzelheiten.
IV. GESETZE UNDGESETZGEBUNG IMARCHAISCHEN GRIECHENLAND: ERGEBNISSE UNDPERSPEKTIVEN Jede Quelle, genauer jeder Überrest, denwirerst durch unsere Fragen „ ineine Quelle verwandeln, verweist uns auf eine Geschichte, diemehr istoderweniger, jedenfalls etwas anderes als derÜberrest selber. Eine Geschichte ist nie identisch mit der Quelle, die von dieser Geschichte zeugt. Sonst wäre jede klar fließende Quelle selber schon die Geschichte, umderen Erkenntnis esunsgeht.“ (KOSELLECK 1979, 204f.)
1. Diagnose:
Zusammenfassung
derempirischen Analysen
Dienunvorliegende Gesamtheit des konkreten Materials zu denGesetzen undzur Gesetzgebung in dengriechischen Poleis derarchaischen Zeit erscheint als eine außerordentlich amorphe Masse diffuser undoft disparater Daten. ImSinne deroben formulierten methodischen Grundsätze mußdieser Eindruck als Grundlage undAusgangspunkt weiterer, nunmehr allgemeiner Überlegungen undSchlußfolgerungen ernst genommen werden. Das bedeutet allerdings keineswegs, daß sich die Frage nach inhaltlichen Schwerpunkten und formalen Gemeinsamkeiten nicht stellt –im Gegenteil: Die Suche nach strukturellen Mustern undGesetzmäßigkeiten mußnuranders ansetzen als dies bisher zumeist geschehen ist1. Zunächst spricht nichts dafür undvieles dagegen, daßGesetze undGesetzgebung in einer sich vonAnfang anauf breiter Front entfaltenden, einheitlichen undselbstläufigen Bewegung derschriftlichen Fixierung zuvor ungeschriebener Rechtsnormen undVerfahvorstaatlichen“oder schon „ rensregeln einer „ protostaatlichen“Gesellschaft entstanden wären2. Dievorliegenden Daten an sich lassen eine derartige ubiquitäre undstrukturell gleichförmige Tendenz zur„ Kodifizierung“ desRechts als Ganzem nicht erkennen –eine Tendenz, die dann notwendig und gewissermaßen linear immer weitere Bereiche des öffentlichen“Rechts erfaßt hätte. Schließlich „ Privat-“und „ Strafrechts“und auch des „ spricht eine genaue Analyse der einzelnen Daten sogar eindeutig dagegen, daß Gesetze undGesetzgebung irgendwo imGriechenland des7. und6. Jahrhunderts in umfassenden undvereinheitlichten, ja bewußt systematischen undvereinheitlichenden „Sammlungen“ verschiedener, womöglich untereinander verknüpfter undsich aufeinander beziehender Normen undRegeln geordnet unddamit in „ Kodifikationen“regelrecht organisiert wordenwären. Das gilt auch für die frühen Gesetzgebungen in Athen. Drakons Satzung über die Verfolgung derunvorsätzlichen Tötung warwohl kaumein integrierter Bestandteil eines . Selbst wennernochverschiedene andere Gesetze – allgemeinen „ drakontischen Code“ 1 2
Vgl. Kapitel I 1 und2; III 1. Vgl. zum Folgenden generell HÖLKESKAMP 1992, 89ff.; 1992/1995, 51ff., und1994, passim. Vgl. zudiesen Kategorien RUNCIMAN 1982, 352f. undpassim. Vgl. zur Sache etwa STARR 1986, 42ff.; DONLAN 1989; 1997; WALTER 1993, 18ff. mit Anm.28 (S. 18f.), mit weiteren Nachweisen. Siehe auch Kapitel
I 2.
1. Zusammenfassung derAnalysen
263
wie etwa das sogenannte Tyrannis-Gesetz3 –gegeben
haben sollte, kann von einer umfassenden, einheitlichen Kodifizierung keine Rede sein4 . Erst recht hat Drakon keine „ Verfassung“gestiftet –die ihm zugeschriebene politeia ist längst als ideologisch inspirierte Konstruktion desspäten 5. oderdes4. Jahrhunderts erkannt5 . Nicht einmal diejenigen Gesetze Solons, die manmit einiger Zuversicht als authentisch ansehen kann, bilden inihrer Gesamtheit einen insich geschlossenen „ Code“–trotz derungewöhnlichen Vielfalt undDifferenzierung der Regelungen. Immerhin reicht das Spektrum derdabei thematisierten Materien von„ privaten Straftaten“undDelikten gegen die Polis über das Prozeßrecht, das Familien- und Erbrecht, das Schuld-, Boden- und Nachbarrecht bis hinzuAufwandsbeschränkungen undKultangelegenheiten6 . Voneiner „ logisch-abstrakten Systematisierung“desgesamten materiellen Rechts unddes Verfahrensrechts kanndennoch keine Rede sein7. Wiebei allen anderen frühen Gesetzgebungen sind die konkret geregelten Tatbestände undsonstigen Materien auffällig spezifisch und enggefaßt. Sie erscheinen daher vereinzelt undvoneinander isoliert –dasgilt gleichermaßenfür dasVerbot derEhe unter Geschwistern8 undfür die ebenso detaillierten wie zuweilen seltsam anmutenden straf- undverfahrensrechtlichen Regelungen der Verfolgung vonSexualdelikten undEhebruch bzw.vonDiebstahl beiNacht undbeiTag9 . Ebenso gilt dasfür das Gesetz über die Atimie als Strafe für Tyrannis-Aspiranten1 0 und für das umstrittene „ Anti-Neutralitätsgesetz“ , nach dem die gleiche Strafe gegen diejenigen verhängt 1. werden sollte, diein inneren Auseinandersetzungen keine Partei ergreifen wollten1 Genauso spezifisch undgeradezu wieinsich geschlossene Einzelgesetze erscheinen dieverschiedenen „ Luxusgesetze“–zur Begrenzung der Mitgift, zur Einschränkung des Auf-
3 4
5
Vgl. dazuM. OSTWALD, The Athenian Legislation against Tyranny andSubversion, TAPhA 86, 128, hier 105ff.; STROUD 1968, 80; MURRAY 1980/1982, 229f. Diese Vermutung ist al1955, 103– lerdings keineswegs direkt bezeugt: HUMPHREYS 1991, 18 mit Anm.2; WELWEI 1992, 145. Gegen STROUD 1968, 75ff., bes. 76 auf der Basis von Arist. Ath.Pol. 7,1; 41,2; Plut. Solon 17,1ff., sowie etwa ANDREWES 1982, 371; OLIVA 1988, 32; 34f.; MANVILLE 1990, 78ff. Siehe dagegen mit Recht HUMPHREYS 1991, 18ff.; MÉLÈZE-MODRZEJEWSKI 1991, 9; WELWEI 1992, 138ff. mit weiteren Nachweisen, vor allem etwa RUSCHENBUSCH 1960, 129ff.; GAGARIN 1981, 811 s.v. Drakon; 30ff.; 1986, 78ff.; 86ff. u.ö. undzuletzt K.-J. HÖLKESKAMP, DNP 3, 1997, 810– CARAWAN 1998, 33ff.
[Arist.] Ath.Pol. 4,2ff.; 41,2. Vgl. dazu RHODES 1981, adlocum; CHAMBERS 1990, 154ff., jeweils mit weiteren Nachweisen; ANDREWES 1982, 371f.; WELWEI 1992, 146, sowie bereits RUSCHENBUSCH 1958, 421f. DieÜberlegungen vonDEVELIN 1984, 295ff., führen nicht weiter. 6 Vgl. dieÜbersichten beiRUSCHENBUSCH 1966, 25f.; 139f. unddieeinzelnen Fragmente 70ff. Siehe generell EHRENBERG 1967, 71ff.; MURRAY 1980/82, 230ff.; ANDREWES 1982, 377ff.; GAGARIN 1986, 67ff.; STAHL 1987, 190ff.; OLIVA 1988, 59ff. undzuletzt WELWEI 1983/1998, 143ff.; 299f.; 1992, 161ff.; RAAFLAUB 1996, 1062ff., jeweils mit weiteren Nachweisen, sowie GEHRKE 1993, 62ff.; 1995, 20ff. 7 So mit Recht WELWEI 1992, 164; ROBB 1994, 87; 130ff.; RAAFLAUB 1996, 1044; 1063; anders anscheinend noch MACDOWELL 1978, 43. 8 RUSCHENBUSCH 1966, F 47. 9 RUSCHENBUSCH 1966, F 20; 26ff. bzw. F 23a ff. S. zu diesen Materien etwa HARRISON 1968, 32ff.; D. COHEN, Theft in Athenian Law, München 1983; SCHMITZ 1997, 55ff., sowie generell WELWEI 1992, 173f. mitweiteren Nachweisen. 10 RUSCHENBUSCH 1966, F 37a. Vgl. dazuWELWEI 1992, 170f. mitweiteren Nachweisen. Vgl. dagegen MACDOWELL 1978, 28f.; GAGARIN 1986, 71; 76, diedarin anscheinend ein Verfahrensgesetz sehen.
11 RUSCHENBUSCH 1966, F 38a. Vgl. dazu WELWEI 1992, 171f.; RAAFLAUB 1996, 1067.
264
IV. Gesetze undGesetzgebung:
Ergebnisse
undPerspektiven
wandes bei Begräbnissen undangeblich sogar zumVerbot derHerstellung vonunddes Handels mit Parfüm12. Erst recht addieren sich diewenigen Gesetze, diedie Institutionen der Polis, politische Verfahren unddamit die Ordnung insgesamt berühren, nicht zu einem allgemeinen Verfassungsgrundgesetz“13.Bei genauem Hinsehen erweist sich Solons „Gesetzgebung“ „ also als ein Bündel von Maßnahmen, daseben nicht als bewußt undrational angelegte, systematisch geschlossene „ Kodifikation“ , sondern als Serie konkreter Einzelgesetze wirkt. Damit unterscheidet sich diese Sammlung allenfalls durch dieVielfalt undthematische Breite derRegelungen vonanderen frühen Gesetzgebungen.
Diese erste Diagnose kann durchaus Anspruch auf zumindest vorläufige Gültigkeit erheben, selbst wennindenerhaltenen Quellen nureinkleiner, noch nicht einmal entfernt quantifizierbarer Bruchteil dertatsächlichen Gesamtzahl derarchaischen Gesetze bewahrt worden ist. Dies gilt auchdann, wenneinerseits die tendenziöse oder einfach willkürliche Selektivität antiker Autoren, gerade auch des Aristoteles, undandererseits die zahllosen undunberechenbaren Zufälle derErhaltung epigraphischer Zeugnisse jede generelle Aussage über „ das Gesetz“und „ die Gesetzgebung“zu irgendeinem Zeitpunkt der archaischen undselbst noch der klassischen Epoche von vornherein problematisch machen. Denneine gewisse gleichmäßige Ähnlichkeit dersichausdemüberlieferten Material ergebenden konkreten Einzelbefunde unddiestrukturelle Gleichförmigkeit des daraus entstehenden Grundmusters sprechen doch wohl eher für als gegen die Repräsentativitätder Daten. Wenn in derliterarischen Überlieferung nicht nur allgemein von „Gesetzgebungen“ undihren mehr oder weniger berühmten Urhebern die Rede ist, sondern bestimmte Gesetze tatsächlich genannt, imeinzelnen zitiert oderwenigstens enpassant erwähnt werden, die dann auch einer quellenkritischen Prüfung standhalten, so handelt es sich praktisch durchweg umVorschriften undRegelungen, dievonihrem spezifischen Gegenstand und konkreten Inhalt her charakterisiert undals „ Gesetze“definiert werden: So findet man etwa bei Aristoteles undTheophrast Gesetze über die Zahl und Bewahrung der ursprünglichen kleroi undüberdieAdoptionsregelungen imZusammenhang mitderSicherung der kleroi; über das Epiklerat; über Kauf bzw. Verkauf unddie Sicherung der Rechtsgültigkeit durch die Beteiligung eines Magistrats; über denVerfall des Klagerechts bei Kreditgewährung; über die Festlegung fester Strafen undBußen für konkret definierte Vergehen; überbestimmte Verbrechen wieTötungsdelikte. Wiederum gilt das genauso für die Gesetze Solons zusolchen Materien: So schreibt Aristoteles auch ihm ein eigenes Gesetz zur Beschränkung des Grunderwerbs zu, das wohlwiedieerwähnten Satzungen überBegrenzungen oderVerbote desKaufs oder Verkaufs vonLandlosen demZiel dienen sollte, die Zahl der selbständigen oikoi stabil zu
73. Vgl. dazu WELWEI 1992, 168f. mit Anm.79; GARLAND 1989, RUSCHENBUSCH 1966, F 71– 3ff.; ENGELS 1998, 77ff.; 97ff., sowie Kapitel III 2, Abs. KEOS. 13 So mit Recht WELWEI 1983/1998, 147; 299f.; 1992, 164, im Anschluß an RUSCHENBUSCH 1966, 26. Vgl. auch GAGARIN 1986, 71. Siehe dagegen etwa EHRENBERG 1967, 65ff.; OLIVA 1988, 54ff.; MURRAY 1991, 10. Auch MANVILLE 1990, 124ff.; 148ff.; 211ff., sieht in Solons „legislation“ bzw. „constitution“(155) offenbar einen Vereinheitlichungsschub undanscheinend sogar einen weitreichenden Gestaltungswillen desGesetzgebers: „ Civic spirit“habe sich nun mit langfristigen Tendenzen zurZentralisierung undFormalisierung vonHerrschaftsfunktionen, Verfahren etc. gepaart.
12
265
1. Zusammenfassung derAnalysen
halten14. Vor allem sind es Solons Regelungen über die Rechte einer epikleros und die Adoption eines Erben15, die ebenfalls nureinen ganz bestimmten Sonderfall innerhalb des Erbrechtes insgesamt betreffen: Diese Regelungen können ja überhaupt nurbeim Fehlen eines legitimen männlichen Erben eintreten. Ausschließlich auf diesen Fall bezieht sich auch das solonische Gesetz über das Recht eines Erblassers, sein Vermögen durch Testament zuvermachen – wennernicht durch „Alter, Drogen, Krankheit, denEinfluß einer Frau“oder andere „ Zwänge“seiner geistigen Klarheit undEntscheidungsfreiheit beraubt sei16. Genauso spezifisch ist ferner ein Gesetz zu einer ganz anderen Materie, nämlich einer sehr enggefaßten ArtvonDelikt: AufVerbalinjurien –undzwar nurauf solche, die an ganz bestimmten, einzeln bezeichneten Orten, nämlich Heiligtümern, Gerichtshöfen undanderen öffentlichen Gebäuden, undbei bestimmten Gelegenheiten wie feierlichen Spielen vorgefallen waren –standen genau festgelegte Bußen, die einerseits an den Beschimpften undandererseits an„ diePolis“zuzahlen waren1 7. Genau genommen ist also nie davon die Rede, daßsolche Regelungen etwa nurunselbständige undwillkürlich isolierte Teile aus allgemeinen, umfassenderen Erb-, Vertrags- oder Strafgesetzgebungen wären: DieGegenstände dieser Gesetze sind immer eng definierte Probleme, besondere Fälle oder Fallgruppen innerhalb dieser großen, abstrakten–undletztlich modernen –Felder des „Rechts“als Ganzem.
Die inschriftlich erhaltenen Urkunden aus archaischer Zeit sind sogar durchweg eindeutig selbständige, fürsich stehende undinsichgeschlossene Gesetze über eine Vielzahl von Einzelgegenständen, die oft peinlich genau definiert undengeingegrenzt sind –das gilt für Drakons Gesetz über die Ahndung bestimmter Tötungsdelikte, das diesbezügliche Gesetz ausLeontinoi unddenἀ ν δρ ε φ ο ν ικ ὸ ό μ ςτετθ ςaus Lokris ebenso wie für die erbrechtlichen Regelungen derneuen Inschrift vonPhaistos unddie Vorschriften über tätliche Beleidigung aus Eltynia. Unddasgilt auch für das außerordentlich weite Spektrum derunterschiedlichsten Gegenstände, dasvon den Rechtsverhältnissen von Kolonisten in ihrer alten undneuen Heimat überKleidervorschriften für Frauen in Heiligtümern bis hin zugenau festgelegten Beschränkungen der Iteration bestimmter Ämter reichte. Gesetzgebung imGriechenland derarchaischen Zeit waralso allem Anschein nach Einzelgesetzgebung. Dabei fällt zugleich auf, daßsich keine eindeutigen undherausragenden inhaltlichen Schwerpunkte imherkömmlichen, engeren Sinne ausmachen lassen –vielleicht miteiner Ausnahme: Kleroi, oikoi undEigentum (an Grund undBoden), ihre Sicherung, ungeschmälerte Bewahrung undgeregelte Weitergabe über die Generationen scheinen auf die eine oder andere, wiederum immer sehr konkrete Weise schon früh weithin im griechischen RaumzumGegenstand von„Satzungen“geworden zusein. Aber es finden sich ja
14 15
RUSCHENBUSCH 1966, F 66, vgl. den Kontext bei Aristot. Pol. 1266b14ff. Siehe dazu zuletzt WELWEI 1992, 165. RUSCHENBUSCH 1966, F 51a ff. und 58a-b. Vgl. dazu HARRISON 1968, 82ff.; 132ff.; MACDOWELL 1978, 95ff.; WELWEI 1992, 168 mit weiteren Nachweisen, sowie SEALEY 1994, 16ff.;
70ff.; 83ff.
16 RUSCHENBUSCH 1966, F 49a ff. Vgl. dazu HARRISON 1968, 149ff.; 17
WELWEI 1992,
168, mit wei-
teren Nachweisen. RUSCHENBUSCH 1966, F 32a ff. Vgl. dazu WELWEI 1992, 172, sowie zum Tatbestand generell MACDOWELL 1978, 126ff.; R.W. WALLACE, The Athenian laws against slander, in: THÜR 1994,
124, hier 110ff. 109–
266
IV. Gesetze undGesetzgebung:
Ergebnisse
undPerspektiven
auchzahlreiche Regelungen, dieindenBereich desStrafrechts, des „öffentlichen“Rechts und–nicht zuletzt –des Sakralrechts gehören. Ferner sind Normierungen eher materiellen Gehalts aller Art ebenso bezeugt wie Vorschriften verfahrensrechtlichen Charakters – undsehrhäufig findet sichbeides ineiner untrennbaren Kombination miteinander18.
Das gemeinsame Grundmuster aller archaischen Gesetze, soweit wir ihren Inhalt kennen oderauchnureinigermaßen erschließen können, besteht vielmehr eher in deräußeren Gestalt derVorschriften, in ihrer sprachlichen Fassung undüberhaupt in derArt undWeise, wieeinbeliebiger Gegenstand durch diebesondere Form dernormativen Satzungeiner konkreten Regelung unterworfen wird. Einwichtiges Merkmal dieses Musters besteht, wiebereits angedeutet, indergenauen Bezeichnung deszuregelnden Gegenstandes, derzumeist relativ eng, konkret undpräzise gefaßt undgewissermaßen eingekreist wird. Wiederum läßt sich auch ausSolons Gesetzeneinvielsagendes unddurchaus nicht untypisches Beispiel anführen: In denunter der (modernen) Kategorie des„ Nachbarrechtes“ zusammengefaßten Einzelregelungen werden etwa diejeweiligen zulässigen Abstände einer Wand, eines Gebäudes, eines Oliven- und Feigenbaumes undanderer Baumarten vonderGrundstücksgrenze bis auf einen Fuß genaufestgelegt, ebenso der Mindestabstand von einem Bienenkorb zumnächsten und 9. schließlich auchdieerlaubte Tiefe vonBrunnen undGräben, sowie dieWasserrechte1 Diese undviele andere Vorschriften zuunterschiedlichen Materien zeigen deutlich ein offenbar ganz bewußtes Streben nach erschöpfender Genauigkeit, ausdrücklicher und präziser Differenzierung undstrenger Formalisierung. Jede konkrete Einzelheit soll explizit bezeichnet undunzweideutig geregelt sein; alle möglichen konkreten Fälle undihre jeweiligen Konsequenzen, ihre richtige und„ ) illegale“ rechtsgültige“(bzw. falsche und„ Behandlung durch die ihrerseits dafür ausdrücklich bezeichneten Magistrate oder Gremien,werden genannt undin zuweilen umständlich undlangatmig anmutenden Ausführungenpräzise definiert –bis hin zu eigentlich unwahrscheinlichen, geradezu konstruiert wirkenden Sonderfällen, Ausnahmen undAbweichungen vonderNorm. Die Konkretisierung und Differenzierung des Gegenstandes und möglichst aller denkbaren damit verbundenen und regelungsbedürftig erscheinenden Einzelfälle geht dannoftsoweit, daßnicht dieeigentliche Norm, sondern dieAusnahmen undinsbesondere dieAbweichungen vonderRegel dengrößten Teil des Gehalts eines Gesetzes ausmachen, ausdrücklich in denVordergrund gestellt werden oder gardeneigentlichen Gegenstand selbst darstellen. Wiewichtig gerade die (unerwünschte) Abweichung von der Normgenommen wurde, zeigt sich nicht zuletzt daran, daßes in vielen archaischen Gesetzen ebennicht die Vorschriften selbst sind, sondern dieVerstöße gegen sie undderen Ahndung, dieamgenauesten geregelt werden: Auffällig oft spielen Sanktionen gegen die offene Verletzung ihres materiellen Gehalts oder auch gegen die schlichte Nichtbeachtung undNichtanwendung bestimmter, ihrerseits konkret bezeichneter Vorschriften eine deutlich hervorgehobene Rolle. Immer wieder werden aufunterschiedliche Weise dieformalenVerfahren für dieAhndung derartiger Verstöße, diedabei oft nochmals ausdrücklich bezeichnet werden, unddie dabei zuverhängenden Strafen, Bußen undgegebenenfalls Entschädigungssätze differenziert undzuweilen geradezu exzessiv normiert –bis hin zu 18 19
(OSBORNE 1996, 189) procedure andproperty” Dieser Vielfalt wirdmanmitKategorisierungen wie“ nicht gerecht. RUSCHENBUSCH 1966, F 60a ff. Vgl. dazu WELWEI 1992, 169; OSBORNE 1996, 221.
1. Zusammenfassung derAnalysen
267
katalogartig aufgelisteten Bußsätzen und gewissermaßen verketteten Strafvorschriften, etwa gegen Magistrate, diees ihrerseits unterlassen, säumige Magistrate undRichter mit
solchen Bußen zubelegen.
Dasdurchweg ungewöhnliche Gewicht dieser beiden Merkmale –derKonkretheit der geregelten Gegenstände einerseits undderAkzentuierung vonSanktionen gegen Abweichungen undVerletzungen andererseits –legt eine weitere Schlußfolgerung nahe: Solche Gesetze sind kaum dasmehr oder weniger zufällige Ergebnis einer allgemeinen Normierungs- undFixierungsbewegung, die irgendwann, gewissermaßen routinemäßig, auch etwa die Iterationsbeschränkung fürwichtige Magistraturen oder denKodex desVerhaltens in Heiligtümern erfaßt hätte. Derartige Satzungen undihre spezifischen Regelungen sindvielmehr ohne Zweifel die unmittelbaren undgerade in ihrer Konkretheit sehr direktenReaktionen aufreale, ebenso konkrete Anlässe, die sich in ArtundFormulierung der Regelung dann noch ganz ungebrochen widerspiegeln20. Zumeist dürften solche Anlässe ineinem aktuellen Vorfall bzw. einer Reihe vonVorfällen, in der(wiederholten) Abweichung vonderNorm oder generell einer irgendwie außergewöhnlichen Situation bestandenhaben. Dennsolche besonderen Fälle, Abweichungen undAusnahmen voneiner (oft stillschweigend vorausgesetzten) Regel sindneuundihrerseits ebenzunächst noch „ ungeregelt“ , oft störend, alarmierend unddeswegen unerwünscht, jedenfalls konfliktträchtig unddaher allemal regelungsbedürftig –es sind ja die Sonderfälle, die Ausnahmen, das neue, unbekannte undaußerordentliche Problem, nicht die Routine, die „ Regel“unddie Normalität“ „ , die einen Bedarf an Bewältigung durch ausdrückliche „Regelung“und peinlich genaue Formulierung undFixierung dieser Regelung auch für die Zukunft erst hervorbringen. Die erwähnten Merkmale einer solcherart situationsgebundenen Gesetzgebung sind nicht nurandenrelativ späten, „ gesetzgebungstechnisch“schon entwickelten Satzungen – wieetwa denjenigen ausElis undLokris, Lyttos undGortyn –mehr oder weniger eindeutig erkennbar. Sie finden sich in zumTeil ausgeprägter Form auch schon in denältesten bislang bekannt gewordenen Gesetzen, nämlich den Satzungen aus Dreros und Tiryns, die den späteren Gesetzen hinsichtlich der Konkretheit des Gegenstandes, der Differenziertheit derVorschriften unddernachgerade exzessiven Genauigkeit ihrer Formulierung kaum nachstehen –unddas gilt genauso für viele weitere unddurchaus andersartige Dokumente wieetwadiefrühen Gesetze ausArgos, die leges sacrae ausArkadienundMykene undwiederum Drakons Gesetz über dieunvorsätzliche Tötung. Gerade imzuletzt genannten Fall kannmansogar einbestimmtes Ereignis alskonkreten Anlaß der Maßnahme wenigstens vermuten: Drakons Gesetz lief offensichtlich auf eine EinschränkungodereherEinhegung derBlutrache durch dieBestimmung vonInstitutionen unddie Formalisierung vonVerfahren der Ahndung von Tötungsdelikten hinaus21 –und allein schon deswegen kann es eigentlich nur als Reaktion auf die Tötung der Anhänger des Tyrannis-Aspiranten Kylon undjene darauf zwangsläufig folgende Spirale der Gewalt 20 Es ist eine neueVereinfachung, diese Anlässe ausschließlich in Konflikten innerhalb der“Eliten”zu , so dieVorschriften zielen nämlich keineswegs immer undüberall auf élite self-regulation” sehen – OSBORNE 1996, 187; 189f.
21 IG I3 104;
KOERNER
“
Nr. 11; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 02; HGIÜ I, Nr. 145 mit
deutscher
Übersetzung. Vgl. dazu RUSCHENBUSCH 1960; STROUD 1968 passim; GAGARIN 1981a, passim; 1986, 86ff.; NÖRR 1983; HUMPHREYS 1991; WELWEI 1992, 138ff., mitweiteren Nachweisen.
268
IV. Gesetze undGesetzgebung:
Ergebnisse
undPerspektiven
verstanden werden, die durch Selbsthilfe und Racheansprüche der Verwandten dieser getöteten Aristokraten angetrieben worden sein muß22. Zugleich wird gerade an diesem Beispiel deutlich, daßauch ein hochgradig anlaß- undsituationsgebundenes Gesetz objektiv, mittel- undlangfristig wesentlich zurKonsolidierung der„ Staatlichkeit“einer Polis beitragen konnte23 –wenn manunter diesem Konzept die Entpersonalisierung, Verstetigung, Zentralisierung unddamit die Institutionalisierung von Macht in differenzierten Rollen des Beratens, Entscheidens undder Durchsetzung der Entscheidungen, also in Ämtern, Rats- undBeschlußorganen mitfesten Verfahrensregeln, konkreten Funktionen undKompetenzen versteht24. Dennzueinem solchen Prozeß derVerdichtung vonStaatlichkeit gehört nicht zuletzt dieEtablierung vonStrukturen, Gremien undNormen, dieder Beilegung vonkonkreten Streitfällen, also derKanalisierung vonKonflikten undderSicherung desinneren Friedens derPolis dienen. Dasgilt natürlich auchfürverschiedene andere Maßnahmen, mitdenen „Schiedsrichter“ und„Ordner“inverschiedenen Städten diejeweiligen konkreten Probleme zubewältigen versuchten unddie daher notwendig auf besondere Weise situationsgebunden waren: DieneuePhylenordnung desDemonax in Kyrene warebenso eine konkrete unddabeianscheinend sehr differenzierte Antwort auf eine spezifische Konfliktsituation wieauf andere Weise die Verdoppelung der Strafen bei Trunkenheit durch den „ Aisymneten“ oder dieAdoptionsgesetze desPhilolaos, dieGesetze desPheidon Pittakos inMytilene – undandere Maßnahmen zur Sicherung der alten kleroi oder auch Solons Gesetze über Seisachtheia und Schuldrecht25. Insofern waren die „ Schiedsrichter“wohl tatsächlich immer auch „ Gesetzgeber“–nämlich Urheber ganz konkreter Lösungen für jene sehr unterschiedlichen, aber durchweg neuen undaußerordentlichen Probleme, zu deren Bewältigung mansie in einigen Städten bestellt hatte.
Wenn aber, wiegesagt, nicht nur solche „gesetzgeberischen“Maßnahmen im Rahmender Überwindung einer akuten politischen undsozialen Krise, sondern schon die frühesten bekannten Gesetze –wie etwa dasjenige über die Iteration des kosmos aus Dreros oder auch der Beschluß derTheraier zurAussendung von Kolonisten –die gleichen Merkmale tragen, liegt eine weitere Überlegung nahe: Gesetzgebung und Gesetze dienten ursprünglich zunichts anderem alszurpragmatischen Regelung unmittelbar greifbarer undnaheliegender Anliegen undkonkreter Konflikte –sie scheinen als besonderes Verfahren bzw. Instrument zudiesem Zweck geradezu erfunden worden zu sein. Damit sie aber erst einmal so begriffen undauch bewußt eingesetzt werden konnten; damit die Formalisierung einer solchen pragmatischen Regelung durch diegenaue Formulierung 22 23 24
25
WELWEI 1992, 138, vgl. 133ff.; DE LIBERO 1996, 45ff. zu den konkreten Ereignissen. Vgl. HUMPHREYS 1991, 20ff.; 35; CARAWAN 1998, 4; 43ff.; 82, sowie STROUD 1968, 70ff., dessen Spekulationen überdieHintergründe allerdings nicht belegbar sind; dagegen GAGARIN 1981, 20f. Vgl. etwa WELWEI 1983/1998, 71f.; 1992, 144f.; STAHL 1987, 170ff.; WALTER 1993, 190ff. goVgl. zu dieser Kategorie grundsätzlich RUNCIMAN 1982, 351, sowie insbesondere 356ff. zu “ vernmental rôles” , sowie die Übersichten bei CLAESSEN/SKALNIK 1978; COHEN/SERVICE 1978 und HAAS 1982. Siehe ferner STAHL 1987, 140ff.; SCHULLER 1993; WALTER 1993, 17ff.; 76ff.; 1998 mitweiteren Nachweisen. HANSEN 1998, 35ff. undpassim, ist lediglich als detaillierte Sammlung , “Staat”etc. vonBelegen undals Bibliographie zurantiken undmodernen Begrifflichkeit von “ Polis” nützlich. Vgl. auch EHRENBERG 1967, 62ff., vgl. 56ff.; MURRAY 1980/82, 238ff.; RAAFLAUB 1985, 54ff.; WELWEI 1992, 161ff.; GEHRKE 1993, 64; 1995, 19ff.
1.Zusammenfassung derAnalysen
269
deszuregelnden Gegenstandes unddie normative Fixierung differenzierter Vorschriften überhaupt objektiv als wirkliche „ Lösung“eines konkreten Problems oder sogar an sich schon alsBewältigung eines Konflikts dienen konnten, mußte wiederum vonvornherein eine Grundvoraussetzung erfüllt sein: Dieallgemeine Verbindlichkeit undGültigkeit der Regelung mußten anerkannt und gesichert werden, und die tatsächliche, womöglich strikte undausnahmslose Durchsetzung derpeinlich genau formulierten unddifferenzierten Normen mußte auch wirklich möglich undpraktisch gewährleistet sein. Gerade deswegen richten sich die erwähnten vielfältigen unddifferenzierten Sanktionen, dieinderMehrzahl derarchaischen Gesetze so breiten Raum einnehmen, eben nicht nurgegen dieoffene Verletzung vonVorschriften, sondern auch ausdrücklich undin vielen Fällen sogar in erster Linie gegen dieIgnorierung oder nachlässige Handhabung der Vorschriften –oftkommt es offenbar garnicht sosehr darauf an, Verstöße gegen eine im Prinzip bereits gültige Norm oder Verfahrensvorschrift zu ahnden, sondern die tatsächliche Anwendung undDurchsetzung einer festgelegten Regelung einzuschärfen bzw. zu erzwingen undsiedamit überhaupt erst alsNormzuetablieren.
Undnur in der tatsächlichen Implementierung einer Vorschrift, der genauen und gleichförmigen Anwendung einer Regelung kann sich auch derAnspruch auf allgemeine Gültigkeit einer normativen Vorschrift realisieren, erst mit ihrer Durchführung bzw. Durchsetzung wird eine Norm wirklich, nämlich greifbar und praktisch, verbindlich. Deswegen sind die Strafandrohungen oft so genau undwiederum ganz konkret gegen diejenigen gerichtet, die ausdrücklich als für die Implementierung und strikte Anwendung derjeweiligen Vorschrift zuständig bezeichnet werden: Es sind im einzelnen präzise benannte Magistrate oder Richter, denen dieAufgabe der Durchführung mitder unddurch dieAndrohung vonStrafen für denFall ihrer Vernachlässigung übertragen wird –und nicht selten wirdanderen Magistraten oderEinrichtungen derPolis aufdiegleiche Weise, nämlich auch wieder unter Androhung von Sanktionen, eine Pflicht zur Kontrolle der Durchführung undzurBestrafung säumiger Amtsträger auferlegt26. Wiederum ist dieses Grundmuster schon in denältesten bekannten Gesetzen deutlich ausgeprägt: Schon indemjenigen ausDreros, aberetwaauchindenfrühen Satzungen aus Gortyn, Tiryns undArgos beruhen diekonkreten Regelungen unmittelbar auf derSpezialisierung undDifferenzierung vonexplizit unterschiedenen exekutiven, richterlichen und kultischen Zuständigkeiten. Diese Kompetenzen liegen beibestimmten Magistraturen oder sonstigen Institutionen, die offenbar vor allem über ein Mindestmaß an zentralisierter Autorität zurImplementierung undDurchsetzung vonRegelungen undVorschriften verfügen mußten –gerade dasmachen sich frühe Satzungen gewissermaßen zunutze. Denn vonAnfang anwerden diese Kompetenzen nicht nur bereits als übertragbare, überpersönliche Funktionen undöffentliche Aufgaben einfach vorausgesetzt; sie werden vielmehr darüber hinaus zumzentralen, ja unverzichtbaren Bestandteil vieler Regelungen, undzwar vorallem ebeninderFormvonDurchsetzungs-, Kontroll- undStrafpflichten.
26 Vgl. dazugenerell KOERNER 1987b, 450ff. Vgl. auch OSBORNE 1997, 79, dersich auch das allerdings nurimKontext einer ganzen Struktur, “ , vorstellen kann. embodied infurther legislation”
270
IV. Gesetze undGesetzgebung:
2. Voraussetzungen:
Ergebnisse
undPerspektiven
Institutionen undVerfahren
Prinzipiell verlangen also auchdiefrühesten Gesetze als schlichte, konkrete Regelungeneines engbegrenzten Gegenstandes mitihrem ausdrücklichen Anspruch aufVerbindlichkeit undDurchsetzung notwendig einbreites, mehrschichtiges Fundament an „ Staatlichkeit“ , diemanwegen derbesonderen Dichte derpolitischen Räume undderdarin angesiedelten gesellschaftlichen undinstitutionellen Strukturen, derDirektheit derKommunikation undder Unmittelbarkeit aller Entscheidungsverfahren als „ Stadtstaatlichkeit“ bezeichnen kann1. Dasheißt natürlich auch, daßzumindest dieunsbekannte Art archaischer Satzungen die Staatlichkeit derfrühen Polis, die Institutionen unddie Verfahren diese Basis mußvielmehr bereits vorhanden undsogar nicht selbst generiert haben kann– schon relativ ausgebaut gewesen sein, damit Gesetze alsbewußte, verbindliche Satzungen überhaupt als solche praktisch möglich unddenkbar, nämlich als normative Regelungen formulierbar, anwendbar unddurchsetzbar werden konnten. Dieerwähnte Mehrschichtigkeit derStaatlichkeit wird–so weit wir sehen können – auch auf einer anderen, ebenso fundamentalen Ebene in denGesetzen der archaischen Polis vonAnfang anmehralsnurvorausgesetzt2. Schon in demGesetz vonDreros, aber wiederum auch in denfrühen Satzungen ausTiryns undnatürlich in vielen späteren Urkunden wirddiebereits vollzogene Trennung deranwendenden bzw. auch kontrollierendenundeinschärfenden Institutionen aufdereinen Seite undderbeschließenden Institutionen aufderanderen Seite unmittelbar in die Regelungen einbezogen. DiePolis als früherStaat besitzt nicht nurbereits differenzierte Institutionen wie Magistrate mitbestimmten Kompetenzen undRatsgremien. Sie kann zugleich selbst die konkrete Form einer PrimärverInstitution annehmen undwird durchaus schon so begriffen –nämlich als „ sammlung“ , dieihrerseits konkrete, zuweilen sogar formal geregelte Zuständigkeiten hat undaufdiese Weise denMagistraten „ derPolis“eben als Institution zueigenem Recht gegenübertreten kann. Diepolis alsVersammlung derPolis Dreros ist dasOrgan, dasdas Gesetz überdieIteration beschließt. UnddieRegelungen desdamos in Tiryns sind ebensoverbindlich wiedie„Rhetren“ , dienach dersogenannten Großen Rhetra derdamos in
1
2
Vgl. HÖLKESKAMP 1992, 103ff.; 1992/1995, 65ff.; 70f.; 78f.; 1994, 153ff., bes. 156; 1997, 14f., sowie generell BURKE 1986. Vgl. dazu etwa GRIFFETH/THOMAS 1981a, xiiiff.; 1981b, passim; THOMAS 1981, 50ff.; RENFREW 1982, 280ff.; WHITLEY 1991, 39ff. undneuerdings DAVIES 1997; MORRIS 1997; SMALL 1997; CHARLTON/NICHOLS 1997 mit weiteren Nachweisen. Vgl. zurPolis als „Raum“zuletzt MORGAN/COULTON 1997, 89ff., allerdings ohne überzeugende Synthese. Siehe zur Sache außerdem HEUSS 1946/1969, 65; FINLEY 1983, 11ff. undpassim; WELWEI 1983/1998, 60ff.; OSBORNE 1985, 6ff.; STARR 1986, 34ff.; 46ff. undbereits 1957/1979, 128; 1961/1979, 139f.; DUTHOY 1986; MURRAY 1987/1990, 19ff. undpassim; 1991, 5ff.; DONLAN 1989, 28f. und passim; STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 94ff.; SAKELLARIOU 1989; MANVILLE 1990, 35ff. u.ö.; LEVY 1990; FERGUSON 1991. Siehe auchKapitel I 2 undIV 1 mitweiteren Nachweisen. HANSEN 1997a, Sprache der 34ff., und1998, 52ff. undpassim, bietet wegen seiner einseitigen Konzentration aufdie “ Quellen” undeine (allzu eng verstandene) Begriffsgeschichte kaum etwas für die moderne Debatte über ein reflektiertes, tragfähiges Raster vonKategorien. Vgl. dazu etwa HÖLKESKAMP 1992, 94ff.; 1992/1995, 70ff.; 1994, 153ff.; GEHRKE 1993, 59ff.; 1997, 54ff., ferner etwa LEPORE 1978, 195ff.; CARLIER 1991, 89ff.; MORRIS 1991, 40ff.
2. Institutionen undVerfahren
271
Sparta beschließt3. Schließlich werden auch diejenigen, ebenfalls rhetrai genannten, Beschlüsse desdemos inChios ineiner gesetzlichen Regelung alsverbindlich vorausgesetzt. Dasentscheidende Merkmal derGesetzgebung im archaischen Griechenland besteht also offensichtlich darin, daßdiealsVersammlung institutionalisierte Polis vonAnfang an als integraler Bestandteil des Verfahrens auftritt. Schon in denhomerischen Epen ist die 4als Versammlung undForum eindeutlich markierter undreservierter öffentlicher ή ρ γ ο ἀ RaumderGemeinschaft, derunter demSchutz derThemis steht. Homers Agora ist zwar nochkeine konsolidierte Institution, aber immerhin bereits derzentrale Ort des Beratens, Debattierens und Streitens –auch über das, was „ richtig“ist, „ Recht“sein und Geltung haben soll5. Im kretischen Dreros wurde dieAgora vielleicht schon um700 als öffentlicher Raum gestaltet: Der rechteckige, mit Stufen eingefaßte Platz magzwar noch recht bescheiden gewesen sein, waraber anscheinend schon so geplant undangelegt, daßder Platz selbst und die Stufen mit dem Apollon-Tempel ein topographisch und architektonisch geschlossenes Ensemble bildeten6. In denStädten Siziliens undderMagna Graecia –wieetwain Megara Hyblaia undMetapont –hatte mandenfreien Platz derAgora von vornherein, also von der Gründung der Kolonie an, als öffentlichen Raum reserviert7 , wieoffenbar auchinanderen Poleis8. Dazugehörte auch Sparta; denn die erwähnte Vorschrift derGroßen Rhetra, daßdieVersammlung „ zwischen Babyka undKnakion“zusammentreten solle, ist ja nichts anderes als die Reservierung eines Ortes für diese Institution.
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Vgl. Tyrtaios frg.lb GENTILI/PRATO = 3bDIEHL3 (= Plut.Lyk. 6,10); vgl. 14 GENTILI/ PRATO = 3aDIEHL3 (= Diod. 7,12,6); Plut.Lyk. 6,7f. Siehe dazu BRINGMANN 1975/1986, 351ff.; 1980/1986, 448ff.; CARTLEDGE 1980, 99ff.; STARR 1986, 55ff.; THOMMEN 1996, 30ff. und jetzt umfassend M. MEIER 1998, 201ff.; 248ff. Il. 2, 788; 7, 345ff.; 9, 9ff.; 440f. u.ö.; Od.2, 26ff.; 6, 266ff.; 7, 44; 16, 361 unddazu RUZÉ 1997, 14ff.; HÖLKESKAMP 1997, 7ff. mit weiteren Belegen. Vgl. etwa MOREAU 1893, 204ff., besonders 211ff.; MACDONALD 1943, 22ff.; MARTIN 1951, 17ff. Vgl. dazu auch GERNET 1957/1968, 374; THOMAS 1966, 8ff.; LUCE 1978, 10f.; ANDREEV 1979, 386ff.; KOLB 1981, 2ff.; STARR 1986, 18ff.; 25f.; CARLIER 1991, 89ff.; HÖLKESKAMP 1992/1995, 63f.; 1994, 144ff.; STEINER 1994, 188ff.; MILLER 1995, 219f. Il. 11,807f.; 18, 497ff.; Od. 9, 112ff.; vgl. auch noch Il. 16, 387ff. Vgl. dazu AMPOLO 1996, 310f.; HÖLKESKAMP 1997, 9ff., sowie bereits EHRENBERG 1921, 12ff.; MARTIN 1951, 26; 33; 149ff.;
VOS 1956, 6; THOMAS 1966, 11; LUCE 1978, 9f.; ANDREEV 1979, 387 mit Anm. 1; DETIENNE 1967/1996, 17; 31f.; 98ff. u.ö. COLDSTREAM 1977, 278ff.; 315; 1984, 21; LANG 1996, 65f.; 189. Vgl. auch Kapitel III 2, Abs. DREROS. VALLET/VILLARD/AUBERSON 1976; VALLET 1970/1996, 443ff.; 1973/1996, 468ff.; 1984/1996, 459f.; KENZLER 1997, 126; HÖLSCHER 1998, 35ff.; OSBORNE 1998, 260f., ferner DI VITA 1996, 266ff.; MERTENS 1996, 318 (zu Megara Hyblaia); MERTENS/GRECO 1996, 248ff.; HÖLSCHER 1998, 42 (zuMetapont); DIVITA1996, 270ff. (zur Entwicklung inanderen Kolonien). Vgl. jetzt MARCONI 1996, 771ff.; LANG 1996, 63ff.; KENZLER 1997, 126ff.; HÖLSCHER 1998, VANEFFENTERRE/TROCMÉ 1964, 411ff. Dagegen haallerdings eigenwillig – 29ff., sowie bereits – ben SNODGRASS (z.B. 1991, 10), MORRIS (z.B. 1991, 40) undMORGAN/COULTON (1997, 107ff.) die Bedeutung derAgora als Kern derPolisbildung unterschätzt, wie anscheinend auch OSBORNE thereserving of ‘communal space’(hier deragora von Megara 1998, 260f., wenn er meint (261): „ Hyblaia) would seem to be evidence only for co-operation“(Hervorhebung von mir, K.-J. H.). , sacred space“ SOURVINOU-INWOOD 1993, 12f., betont allzu einseitig denCharakter derAgora als „ . Markt“ HANSEN 1997a, 15; 56; 60f., dagegen dieFunktion alsbloßer „
272
IV.Gesetze undGesetzgebung:
Ergebnisse
undPerspektiven
ImSparta desausgehenden 7. Jahrhunderts9, wie in Dreros undGortyn10 undnatürlich auchimAthen Drakons undSolons11, wardieVersammlung als zentraler Ortundals Organ derPolis dannbereits fest etabliert. Mittlerweile warsie eine Institution im engeren Sinne geworden, die über die Funktion der informellen Beratung und Debatte hinaus mindestens zwei wichtige Zuständigkeiten erlangt hatte, nämlich die Bestellung vonMagistraten undeben die Beschlußfassung über Satzungen. Selbst wenn es sich dabei um bloß „formale“Akte derBestätigung oder Inkraftsetzung gehandelt haben sollte –gerade dieNotwendigkeit eines solchen formalen Verfahrens machte dieVersammlung zu einer strukturell integrierten, unverzichtbaren Institution in derMitte der Polis undihrer Ordnung. Genau auf diesen OrtderVersammlung –im konkreten wie übertragenen Sinne, nämlich imZentrum undzugleich alsZentrum derGemeinschaft –undauf die dort angesiedelten Funktionen verweist ja auch jene eigentümliche Metaphorik der „ Mitte“ , die schon in denVersammlungsszenen derEpenunddannspäter immer wieder auftaucht12. Diese Überlegung führt wiederum einen Schritt weiter: Nicht nurkann sich die reale Verbindlichkeit einer Vorschrift erst in derInteraktion zwischen derart auseinandergetretenen undsich gegenüberstehenden Institutionen realisieren –nämlich imwechselseitigen Aufeinanderbezogensein vonbeschließender unddamit dieVorschrift setzender Polis auf dereinen Seite undjenen Organen aufderanderen Seite, die durch diesen Beschluß und seine Sanktionsdrohungen aufseine Implementierung und(im doppelten Sinne) regelmäßige Anwendung bzw. deren Kontrolle undnotfalls Erzwingung festgelegt werden. Auch dasVerfahren derGesetzgebung ansich–derseinerseits mindestens rudimentär geregelte unddamit alsgültig akzeptierte AktderSetzung vonNormen, Regeln undSanktionen als (im Wortsinn) „zwingende“Voraussetzung undlegitimierende Grundlage der Pflicht zu ihrer Durchführung undDurchsetzung –ist ohne dasbereits vollzogene Auseinander- und Gegenübertreten bestimmter Institutionen garnicht möglich. Denn deren geregelte Interaktion ist es, die das Verfahren erst ausmacht: die Formulierung durch Magistrate und Beratung etwainRäten, dieBeantragung inderunddieEntscheidung durch die Polis als Versammlung müssen erst voneinander geschieden sein, bevor sie formale Schritte in einem einheitlichen Verfahren werden können. Indenüberlieferten Formulierungen der„Großen Rhetra“spiegelt sich dieses Verfahrenunmittelbar wider – undzugleich jene Direktheit und Mündlichkeit der Interaktion der sich dabei gegenübertretenden Institutionen, diefür stadtstaatliche Strukturen konstitutiv
9 Vgl. WELWEI 1983/1998, 111ff.; RUZÉ 1997, 129ff. 10 Vgl. GEHRKE 1997, 59f.; RUZÉ 1997, 111ff. Dagegen unterschätzt LINK 1994, 115ff. offensichtlich dieBedeutung derVolksversammlungen kretischer Poleis. 11 Vgl. dazu WELWEI 1992, 113ff.; 189ff. u.ö.; RUZÉ 1997, 350ff. Vgl. zu demnach wie vor umstrittenen Problem der “ alten Agora”KOLB 1981, 20ff.; SHEAR 1994, 228ff. und passim; CH. 138; KENZLER 1997, 113ff., sowie SCHNURR, Die alte Agora Athens, ZPE 105, 1996, 131– HÖLSCHER 1991, 363ff.; 1998, 32 mitweiteren Nachweisen. 12 Il. 7,382ff.; 416f.; 19,76f.; 172ff.; 249f.; Od. 2,36ff. u.ö.; Hdt. 3,142,3; 4,97,5; Eurip. Suppl. 438f. etc. Siehe dazu DETIENNE 1965, 425ff.; 1967/1996, 97ff., vgl. 91ff., sowie generell VERNANT 1962/1982, 42f.; VIDAL-NAQUET 1981/1989, 17f.; 210f.; WELWEI 1983/1998, 65ff. u.ö.; LEPORE 1978, 196ff.; HÖLKESKAMP 1992, 95ff.; 1992/1995, 63f.; 72ff.; 1994, 144ff.; 1997, 14f. undpassim; CARTLEDGE 1998, 385, mitweiteren Nachweisen.
3. Schriftlichkeit und„Monumentalisierung“
273
Es müssen „korrekte Sprüche“(ε τρ α ι) sein, mit denen (oder auf die) ὐ θ ε ῖα ι ῥῆ dieMänner desdamos“Antwort geben14 –aufdas, wasdie Könige undGeronten ihnen „ vorlegen, injenen Versammlungen, die„ vonZeit zu Zeit“ , also regelmäßig, an dendafür bestimmten Ort „ zwischen Babyka und Knakion“einberufen werden (ἀ π ε λ ά λ ιν ζε ). Eben dort sollen die Geronten Anträge „einbringen“undnach demBeschluß „abtreten lassen“ . Denn dem damos in der agora steht die „Macht“ der „Entscheidung“ zu ρ ά (κ το ς)15. Deswegen ist dort auch der Ort, an demdie „ Männer des damos“nur „ das Gute sprechen“(μ υ θ ε ῖσ θ α ιτ ὰκα λ ά ) und nicht „etwas für die Stadt Krummes (σ κ ο λ ιό ν ) beraten“sollen16. WenndasVolk aber doch einen „schiefen“Beschluß faßt, sollen dieKönige undGeronten ihn„abwenden“17.Hierwirdalso die Interaktion derbeteiligten sind13:
Institutionen selbst zumGegenstand einer Satzung –wenigstens in dieser Hinsicht ist die Große Rhetra“demGesetz ausChios vergleichbar. In allen anderen Hinsichten ist sie „ jedoch eine Ausnahme; denn sie entspricht weder in inhaltlicher Hinsicht noch in ihrer formalen undsprachlichen Gestaltung demallgemeinen Muster archaischer Gesetze.
3. Bedingungen: Schriftlichkeit und„Monumentalisierung“ DieInstitutionalisierung derPolis alsVersammlung sowie einer auf sie verpflichteten undihrzugleich gegenüberstehenden Magistratur unddiedaraus resultierenden Möglichkeiten einer formalisierten Interaktion waren allerdings allein für die Entdeckung von Gesetzgebung unddie Entstehung von Gesetzen noch nicht hinreichend –zumindest nicht jener ArtvonSatzungen, die seit der Mitte des 7. Jahrhunderts bezeugt sind. Gerade die typischen Charakteristika derGesetzgebung inarchaischer Zeit –die„ Setzung“von präzisenNormen zueingehend bestimmten unddefinierten Gegenständen, die Aufzählung und Auffächerung genau formulierter und(bei Strafe) ebenso genau anzuwendender Einzelregelungen undSanktionsbestimmungen bishinzuKatalogen fester Strafsätze undBußen – setzen einerseits das Medium derSchrift schon notwendig voraus. Eben diese Präzision und die explizite, detailbesessene Vielfältigkeit der Vorschriften werden andererseits 13 Tyrt. frg.
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14GENTILI/PRATO = 3aDIEHL3 in Kombination mit Plut.Lyk. 6,2ff.; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 61 mit weiteren Nachweisen. Vgl. dazu WALTER 1993, 157ff. und bes. 164miteiner treffenden Übersetzung desTyrt.-Framents. Grundlegend bleiben –trotz mancher Unterschiede im einzelnen –ANDREWES 1938, 95ff.; LEVY 1977, 85ff.; CARTLEDGE 1980, 99ff.; WELWEI 1979/1986, 426ff.; 1983/1998, 111ff.; 292 und BRINGMANN 1975/1986 (dazu WELWEI 1981, 22f.); BRINGMANN 1980/1986, 468f; MURRAY 1980/1982, 210ff. S. neuerdings RUZÉ 1991; RAAFLAUB 1993, 64ff.; NAFISSI 1991, 71ff.; THOMMEN 1996, 30ff.; M. MEIER 1998, 186ff. Tyrt. frg. 14 GENTILI/PRATO, Z.5f. Plut. Lyk. 6, 2f. Vgl. dazuM.MEIER 1998, 201ff. Zudenverschiedenen Versuchen, denverderbten Schlußsatz zu rekonstruieren (vgl. die aktuelle Zusammenstellung bei VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 61, hier S. 261), hat BRINGMANN 1975/1986, 356f. mit Anm.10 zu Recht bemerkt, daßdas mittlerweile “ ein unverbindliches Spiel”sei. Ich entscheide mich für die Version, die etwa LEVY 1977, 97ff., wegen der offensichtlichen Parallelität zuTyrt. frg. 14 GENTILI/PRATO, Z.9 vorgeschlagenhat unddiejetzt auch vonRUZÉ 1991, 16f. undVANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 61, hier S. 257; ρ ία ν ο νταγ als dorischer Genitiv) δἀ ω μ ῳ (oder (δά μ 261 übernommen worden ist. Aberauch (δά . Gegenrede dannginge esumdasRecht desdamos auf“ η ν α τ κ ὶκρά ο μ ςwürde gutpassen – ἦ ᾽ ” Tyrt. frg. 14 GENTILI/PRATO, Z.7f. Plut. Lyk. 6, 8. Vgl. dazujetzt OGDEN 1997, 133ff., allerdings etwas eigenwillig.
274
IV. Gesetze undGesetzgebung:
Ergebnisse
undPerspektiven
überhaupt erst möglich, wenndasin diesem Medium angelegte Potential für eine bewußt trennscharfe Differenzierung bei gleichzeitiger objektiver Fixierung von Regelungen bereits erkannt ist undvoll ausgeschöpft werden kann.
Wieauchimmer mandiegeographische undsoziale Verbreitung derSchrift, dieAusdehnung ihrer Anwendungsbereiche seit der Entstehung des Alphabets in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts und die Entwicklung von „ Schriftlichkeit“und ihre komplexen kulturellen undgesellschaftlichen Folgen beurteilt2: Das Verfahren und die konkrete „ Technik“der Fixierung bestimmter Normen undRegeln durch ihre Verschriftlichung, die erst damit mögliche unddaraus entstehende neuartige Genauigkeit undDifferenziertheit von Vorschriften unddie sich ihrerseits daraus erst ergebende eindeutige Verbindlichkeit dieser Normen waren nicht nur irgendeine Innovation unter vielen. Gesetz und Gesetzgebung waren eine Entdeckung, die sich nicht einfach aus einer sich linear und natürlich“vollziehenden Lösung vieler Bereiche gesellschaftlichen Handelns undWis„ sens ausdenhergebrachten Zusammenhängen einer traditionellen, vorstaatlichen, oralen Kultur selbstverständlich undautomatisch ergab. Denn Schrift undSchriftlichkeit drangen ja keineswegs in allen öffentlichen wie privaten, religiösen wie profanen Bereichen gleichmäßig, gleichförmig undgleich schnell vor –im Gegenteil. Zudem waren in den verschiedenen Regionen desgriechischen Kulturraumes die Entwicklung derAnwendung der Schrift und die Verbreitung der Schriftlichkeit alles andere als einheitlich3 . Die isolierten „ Komponenten der Schriftlichkeit“–die in Gefäße gekratzten Besitzernamen, Graffiti, Weih- undGrabinschriften –addierten sich keineswegs vonAnfang anzueiner 4, deren eigentümliche Medien und Methoden der BewahSchriftkultur“ ausgebildeten „ rungvonWissen, derFormulierung undSystematisierung vonRegeln undNormen sich rasch undflächendeckend durchgesetzt hätten. Schrift und Schriftlichkeit waren und bliebenein durchaus isoliertes Phänomen, dasbis in die klassische Zeit nur eine begrenzte gesellschaftliche undintellektuelle Tiefenwirkung entfalten konnte. Selbst jene Bereiche der Kultur, in die Schrift und Schriftlichkeit vordrangen und die dadurch transformiert 1
Vgl. dazu grundlegend JEFFERY 1961/1990, 1ff. (mit S. 374), sowie die Ergänzungen von A. JOHNSTON, 425ff. Vgl. NIEDDU 1982, 233ff.; GENTILI 1983, 30ff.; JOHNSTON 1983, 63ff.; ANDERSEN 1987, 32ff.; STODDART/WHITLEY 1988, 761ff.; WACHTER 1989, 20ff.; 64ff.; POWELL 1989, 321ff.; R. THOMAS 1992, 52ff.; ROBB 1994, 21ff.; CRIELAARD 1995, 210ff., jeweils mit weiteren Nachweisen.
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AufEinzelheiten dervöllig offenen
Debatte kann hier nicht eingegangen wer-
den.
Vgl. dazu generell etwa GOODY/WATT 1963/1968, 42ff.; vgl. 34ff.; GOODY 1977, 36ff.; 52ff.; 151ff. u.ö.; 1986 passim unddazu die kritischen Vorbehalte von LLOYD 1979, 239f.; 1987, 70ff.; SCHNAPP-GOURBEILLON 1982, 713ff.; GENTILI 1983, 30ff.; 1985/1988, 3ff. mit weiteren Nachweisen, sowie MUSTI 1986, 21ff.; ANDERSEN 1987, 30ff.; DETIENNE 1988a, 7ff.; 1988b, 29ff.; RUZÉ 1988, 82ff.; CAMASSA 1988, 130ff.; ASSMANN 1992, 266ff.; HÖLKESKAMP 1992, 97ff.; 1992/1995, 62ff.; 1994, 138ff.; VANEFFENTERRE 1994; THOMAS 1994, 339ff.; ROBB 1994, 84ff.; WHITLEY 1997, 637ff., auch zumFolgenden. Anregend undimmer noch wichtig, wenn auch problematisch sind die Beiträge vonE. HAVELOCK, jetzt zusammengefaßt in HAVELOCK 1982 (dort besonders 89ff.; 122ff.; 150ff.; 185ff.); vgl. dazu J. HALVERSON, Havelock on Greek Orality andLi163. teracy, JHI 53, 1992, 148– Vgl. etwa STODDART/WHITLEY 1988, 763ff.; WHITLEY 1997, 640ff. und passim; 1998, 313ff.; GEHRKE 1997, 45; 1998, 40ff. undpassim, auch zumFolgenden. Siehe auch LABARBE 1991, 514ff.; VÁRHELYI 1996, 30ff.; 38ff. undpassim. ANDERSEN 1987, 36 und37.
3. Schriftlichkeit und„Monumentalisierung“
275
undentscheidend geprägt wurden, blieben einer besonderen „strukturellen Mündlichkeit“ verhaftet. Dasgilt für die Dichtung vondenEpen bis zurLyrik ebenso wiefür Tragödie undKomödie undfür die platonischen Dialoge, und es gilt darüber hinaus auf vielfältige Weise fürdiegesamte Lebenswelt5 . Ineinem solchen kulturellen Kontext mußten auch„gesatzte“ , aufdie neuartige Weise derVerschriftlichung fixierte Normen einen besonderen, in mehrfacher Hinsicht hervorgehobenen Status haben. Dennsiewurden offenbar bewußt undeindeutig vom„ nomologischen Wissen“der frühgriechischen Gesellschaft abgesetzt. So betonte Solon geradezu emphatisch, daß er seine Gesetze geschrieben hatte: „ Satzungen –gleichermaßen dem Niedrigen und demGuten, gerade das Recht jedem angepaßt –habe ich geschrieben 6 (θ μ ε ο σ ὺ )“: Offensichtlich wares die schriftliche Fixierung seiner Vorschrif... ἔ ς ρ α α ψ γ ten, dieSolon also als eine besondere Leistung, als einen AktderInnovation verstanden wissen wollte. Daskann nurheißen, daßvon diesem Teil seines Handelns als diallaktes eine eigene Ausstrahlung odergarWirkungsmacht ausgehen sollte. Allein durch ihre Formulierung als Text undihre Form als Schrift waren die neuen Normen schon andersartig, sietraten jenem traditionellen, amorphen, fließenden, nicht in systematisch-abstrakte Kategorien gefaßten unddarin auch gar nicht faßbaren Wissen gegenüber, auf das in archaischen Gesellschaften Erfahren, Erleben, Denken undHandelnvielfach bezogen ist. Dieses „nomologische Wissen“ist anPersonen gebunden und kann nurvon ihnen artikuliert und in konkreten Situationen gewissermaßen zitiert werden. Es umfaßt –inverschiedener Weise undsich gegenseitig durchdringend –ein ganzes Weltbild, die Vorstellungen vondenGöttern, demKosmos undderNatur, Mythen und Traditionen unddiedarauf beruhenden Sitten undGebräuche. Damit enthält es aber auch undvorallem einen Vorrat anWertvorstellungen über Ordnung undUnordnung, Gewißheiten undMaßstäben, nachdenen konkret etwazwischen Richtig undFalsch, zulässigem undunzulässigem Verhalten, normaler Regel undanomaler Abweichung, Recht undUnrecht unterschieden wurde7. In der besonderen griechischen Variante eines solchen „nomologischen Wissens“ hatten gerade Konzepte undGrundvorstellungen von Recht undGerechtigkeit, von Gericht, gerechtem (und ungerechtem) Urteil unddamit auch von anerkannten Regeln der Kanalisierung undBeilegung von Konflikten neben vielen anderen Normen des Zusammenlebens vonIndividuen undGruppen seit derfrühesten, für unsgerade noch erkenn-
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ASSMANN 1992, 266ff.; 271. Vgl. generell ANDERSEN 1987, 35ff.; 38ff.; STAHL 1987, 19ff.; 29ff.; R. THOMAS 1992, 65ff. u.ö.; HÖLKESKAMP 1994, 139f.; GAGARIN 1999, 163f. mit derneuesten Literatur. Vgl. außerdem CH.SEGAL, Tragedy, Orality, Literacy, in: Oralità: cultura, letteratura, dis231; THOMAS/WEBB 1994, 10ff. unddie übrigen Beicorso, hrsg. vonB. GENTILI, Rom 1985, 199– träge in WORTHINGTON 1994, sowie in: Voice into Text. Orality andLiteracy in Ancient Greece. Ed. by I. WORTHINGTON, Leiden etc. 1996, undin MACKAY 1999. Frg. 30GENTILI/PRATO = 24DIEHL3 = 36WEST, Z.18ff. Vgl. dazu etwa EHRENBERG 1946/1965, 150ff.; LORAUX 1988; DETIENNE 1988a, 14ff.; STEINER 1994, 230f. u.ö.; CARTLEDGE 1998, 391; HÖLKESKAMP (in Vorb.), auch zum Folgenden. Vgl. zur Begriffsgeschichte von thesmos etwa HIRZEL 1907, 320ff. u.ö.; EHRENBERG 1921, 104ff.; LATTE 1936/1968, 146ff.; OSTWALD 1969, 12ff.; QUASS 1971, 11ff.; GSCHNITZER 1997, 5ff. Vgl. zu dieser Kategorie MEIER 1988, 43f.; HÖLKESKAMP 1992, 98f.; 1994, 155f. und ders. (in politischen Denken“einstVorb.). Vgl. zu „ politischen“Inhalten dieses Denkens bzw. zum frühen „ weilen CARTLEDGE 1998, 384ff. undpassim.
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IV. Gesetze undGesetzgebung:
Ergebnisse
undPerspektiven
baren vorstaatlichen Zeit eine zentrale Bedeutung für die Organisation der Gemeinschaft unddie gerade erst entstehenden undsich als solche bewußt werdenden Gemeinwesen. η alsGöttin unddieδ Δ ίκ ηals Wertvorstellung; dasRechte, Richtige, Geziemende und ίκ Angemessene, daswasals θ μ ιςgilt undwasgerade nicht, ist schon in denEpen für die έ menschliche wie die göttliche Ordnung schlechthin konstitutiv8. Und es ist der ν μ ό ο ςmit all den Schattierungen des Konzepts undseines Inhalts, der von Hesiod bis zur klassischen Staatstheorie das Denken der Griechen beständig beschäftigte, ja beherrschte9 . Generell gilt für die gesamte archaische Lyrik wie für Herodot, für die vorsokratische Philosophie wie für die Tragödie, daß θ ις έμ , νό μ , δίκ η ο ςund die mit ihnen verbundenen odervonihnen abgeleiteten Begriffe –wie εὐ 10–eine auffällig proν μ ο ία undἰσονομ ία minente undvielschichtige Rolle im Repertoire der Metaphern undBegriffe, Konzepte undKategorien spielen: Siesindaufvielfältige Weise mitdemKanon derWertvorstellungen, denStandards vonTugend, Wahrheit und„Richtigkeit“ , denIdeen vondergerechten göttlichen Ordnung des gesamten Kosmos undvomAusgleich und Gleichgewicht aller Gegensätze verbunden11. Auf die ebenso grundlegende wie universelle Bedeutung dieser Konzepte deutet gerade derGebrauch desBegriffs δ η injener Metaphorik, in die ίκ diefrühgriechische Philosophie zuweilen ihre kosmologischen Vorstellungen kleidete1 2 – so ist etwa, umnurein Beispiel zunennen, derSatz desAnaximander über die Wiederherstellung des kosmischen Gleichgewichts durch dieHingabe vonδ η undτίσ ίκ ιςzum
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Vgl. dazu etwa HIRZEL 1907, 2ff.; 18ff.; 56ff. undpassim; EHRENBERG 1921, 4ff.; 54ff.; LATTE 1946/1968, 233ff; WOLF 1950, 19ff.; VOS 1956, 1ff.; GIGANTE 1956, 17ff. u.ö.; VAN EFFENTERRE/TROCMÉ 1964, 417ff.; LLOYD-JONES 1971, 1ff. undpassim; GAGARIN 1973, 82ff.; DICKIE 1978, 91ff.; LESKY 1985, 6ff.; 17ff.; HUMPHREYS 1988, 466ff.; GSCHNTIZER 1997, 6ff.,
jeweils mitweiteren Nachweisen. Vgl. dazu HIRZEL 1907, 359ff.; EHRENBERG 1921, 17ff.; 62ff.; 114ff.; OSTWALD 1969, 20ff.; QUASS 1971, 14ff.; LESKY 1986, 5ff.; DIHLE 1995; HÖLKESKAMP (in Vorb.). Vgl. zu θ μ ιςund έ ηbei Hesiod etwa JAEGER 1926/1960, 327ff.; LATTE 1946/1968, 236ff.; WOLF 1950, 120ff.; δ ίκ VOS 1956, 47ff.; GIGANTE 1956, 20ff.; LLOYD-JONES 1971, 32ff.; LIEBERMANN 1981, 400ff.; GAGARIN 1973, 81ff.; 1992, 61ff.; HAVELOCK 1978, 193ff.; ERLER 1987, 6ff.; WAGNER 1988, 220ff.; ERBSE 1993, 12ff.; RAAFLAUB 1993, 59ff. 10 Vgl. zuεὐνο μ ία etwaOSTWALD 1969, 62ff. u.ö.; MEIER 1980, 279ff. u.ö., sowie bereits JAEGER 1926/1960, 315ff.; ANDREWES 1938, 89ff.; EHRENBERG 1946/1965, 139ff. Siehe zu demKonzept μ ία etwa V. EHRENBERG, RE Suppl. 7 ν ο bei Aischylos noch LLOYD-JONES 1971, 99ff. Vgl. zu ἰσ ο 301 s.v. Isonomia; 1946/1965, 154ff.; G. VLASTOS, Isonomia, AJPh 74, 1953, 337– (1940) 293– μ ν ίαπ ή ο , in: Isonomia. Studien zur Gleichheitsvorstellung im griechischen ο 366; ders., Ἰσ ο λ ιτικ 35, sowie dieübrigen Beiträge in diesem Denken, hrsg. vonJ. MAU,E.G. SCHMIDT, Berlin 1964, 1– Band; DETIENNE 1967/1996, 100f.; OSTWALD 1969, 96ff. u.ö.; MEIER 1980, 116f.; 283ff.; RAAFLAUB 1985, 115ff.u.ö.; HUMPHREYS 1987, 214ff. 11 Vgl. generell etwa EHRENBERG 1921, 1ff. u.ö.; JAEGER 1947/1960, 315ff.; VLASTOS 1947, 156ff.; WOLF 1950, 309ff.; 1952 passim; OSTWALD 1969; LLOYD-JONES 1971; GAGARIN 1974, 189ff.; HAVELOCK 1978, passim; WAGNER 1988, 220ff.; DIHLE 1995, 116ff., sowie die auch in dieser Hinsicht wichtigen Beiträge von GERNET (1951/1968, 175ff.; 1957/1968, 371ff.). Vgl. zu Solon außerdem EHRENBERG 1946/1965, 148ff.; VLASTOS 1946, 65ff.; GIGANTE 1956, 28ff.; HAVELOCK 1978, 249ff.; LESKY 1985, 30ff.; HUMPHREYS 1988, 468f.; STAHL 1992, 385ff.; WALTER 1993, 192ff.; GEHRKE 1993, 64f.; 1995, 19ff., mit weiteren Nachweisen. Vgl. zu Herodot vorallem HUMPHREYS 1987, 21ff., undzu Heraklit A. MENZEL, Heraklits Rechtsphilosophie, in: 159; LATTE 1946/1968, 242; GIGANTE 1956, 50ff.; LESKY 1985, 39f.; 1986, MENZEL 1938, 125– 11ff. 12 Vgl. dazugrundlegend LLOYD 1966, 212ff.; 1979, 247f. mit weiteren Nachweisen. Siehe vor allem noch VLASTOS 1947, 156ff.
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3. Schriftlichkeit und„Monumentalisierung“
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Ausgleich undzur Wiedergutmachung eines Unrechts (ἀ δ ικ ία ) auf diese Weise formuliert13.
Vonder diffusen Allgegenwärtigkeit von „Recht“und Begriffen des Rechts im archaischen kollektiven Wissen, in der entstehenden „ Wissenschaft“undin der Dichtung hob sich die „gesatzte“ , verschriftlichte Norm in aller Deutlichkeit ab –als explizite und bewußt explizit gemachte, ebenso differenzierte wiedurch ihre Fixierung strenge, ja starre Vorschrift“im Wortsinne: Solche Satzungen heißen denn auch nicht nomoi –vielmehr „ bezeichnen sie sich selbst undandere Normen ihrer eigenen, neuen undbesonderen Art alsgenau das, wassie sind, nämlich als„Geschriebenes“ ρ ά φ ο γ : Begriffe wieτ ςundτ ὰ ὸ γ ρ ά φ ε α μ ,τ ρ μ γ α ά ὰ τ α ,ἆ ιἔγρα έ τ μ ν αdienen regelτ έ μ ν γ ρ oder τ α γ α ι, τ α ὰἐγραμμ ε ὰ mäßig als Verweise, nicht nurim großen „ Code“undin anderen Gesetzen aus Gortyn undanderen kretischen Poleis14, sondern auchinvielen Satzungen der Städte Kleinasiens
unddesMutterlandes15. Nicht nurbegrifflich trat demν μ ο ό ςalso dieSatzung gegenüber –allerdings ohne ihn zuverdrängen, zuersetzen oder in verschriftlichter unddamit modifizierter Form (womöglich rückstandslos) in sich aufzunehmen16. Denn dieses Abgehobensein, sogar eine gewisse Schärfe des Kontrastes war undblieb gerade deswegen so markant, weil die gesamte Lebenswelt, die Kultur undselbst die Literatur in Griechenland, wie gesagt, noch sehr lange sehr viele undwesentliche orale Elemente bewahrten –nicht zuletzt geradeinpoliticis, in deragonistischen „Debattenkultur“vonRede undGegenrede in Volksversammlung undGerichten. WiedieSatzungen derPolis im institutionalisierten Diskurs vonMagistraten, Räten undVersammlungen inderAgora erst Gestalt undVerbindlichkeit gewannen, so war das Gericht, der Streit umRecht im formalisierten Verfahren eines Prozesses derandere klassische OrtvonRedeundGegenrede: Gesetz undRecht sind also in mehr alseiner Hinsicht verschiedene Formen desgleichen Diskurses derdirekten Interaktion –eines Diskurses, derwiederum „ in dieMitte“derVersammlung undderganzen Gemeinschaft gehört undauch genauso charakterisiert wird17.
13 FVS 12 B 1 (= Simplic.Phys., S. 24, Z.13ff.DIELS). Vgl. dazu EHRENBERG 1921, 89ff.; VLASTOS 1947, 168; WOLF 1950, 218ff.; LLOYD-JONES 1971, 79ff.; GAGARIN 1974, 194f.; LLOYD 1979, 33; LESKY 1985, 38; WAGNER 1988, 221ff. 14 ICret IV 72, coll. I 46; 55; IV 30f.; 45f.; 48; VI 15f.; VII 47f.; VIII 10; 25f.; 29f. IX 15f.; X 44ff.; XI 19f. etc. Vgl. auch ICret IV 41, coll. I 11; II 6; VII 11; 43, col. Aa, Z.7ff.; b, Z.7f.; 45, B, Z.3; 47, Z.23f. etc., sowie ICret I, x, 2 = KOERNER Nr. 94, Z.7 (Eltynia); I, xviii, 4, Z.9f., und6, Z.7 (Lyttos); II, v, 9, Z.3f. (Axos); II, xii, 13, Z.7 (Eleutherna). 15 IG IV 506 = KOERNER Nr. 29, Z.1; IvOlympia 3 = KOERNER Nr. 38, Z.5f.; IvOlympia 7 = 43, Z.2; 3; 7f.; 9; IvOlympia 9 = VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 52, Z.1; 7f.; 10 KOERNER Nr. 42– 7. Vgl. dazu zuletzt HÖLKESKAMP 1994, 138; ders. etc.; VANEFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 110, Z.6– (in Vorb.); BRUGNONE 1997, 276; GEHRKE 1997, 41f., jeweils mit weiteren Nachweisen. 16 Vgl. etwa R. THOMAS 1992, 68 u.ö.; 1995, 71; 74 u.ö.; STEINER 1994, 227ff.; HÖLKESKAMP (in Vorb.)
17 Vgl. dazu HUMPHREYS 1985; 1988 undvor allem OBER 1989, 141ff. undpassim; 1993/1996, 23ff. mit weiteren Nachweisen. Siehe etwa THOMAS 1994, 348ff.; COHEN 1995, 61ff. und passim; GAGARIN 1999, 164ff. Vgl. generell VERNANT 1962/1982, 44ff.; DETIENNE 1965, passim; 1967/ 1996, 89ff.; VIDAL-NAQUET 1981/1989, 17ff.; 210f.; ANDERSEN 1987, 42; MURRAY 1987/1990, 16ff.; 1991, 4ff.; OBER 1989, 104ff.; 1993/1996, 18ff.; R. THOMAS 1992, 61ff.; 144ff.; 1995, 62ff.; THOMAS/WEBB 1994, 4ff.; STEINER 1994, 186ff.; HÖLKESKAMP 1997, 14f. Vgl. auch L.
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IV. Gesetze undGesetzgebung:
Ergebnisse
undPerspektiven
DieBesonderheit dergesatzten Normin einer oralen Kultur undihre Absetzung vom „ nomologischen Wissen“derfrühen Polisgesellschaft manifestierten sich konkret darin, daßsie diesichtbare, greifbare, objektive Form eines „Monuments“annahm18. Durch die Fixierung in Inschriften anWänden undauf Stelen, aufkyrbeis undaxones wurde eine solche Normmitsamt ihren differenzierten Einzelbestimmungen ein öffentlich, unter aller Augen auf- undausgestelltes Dokument, dasdamit –wenigstens prinzipiell –von allen les- undverstehbar, aufjeden Fall aberfüralle sichtbar wurde. Zuweilen bezeichnen einige Satzungen sich selbst denn auch als „(dieser) Stein“ , „die Stele“oder „Tafel“ 9. (π ίν α ξ )1 Soverweisen dasMonument alsTräger undseine Inschrift, dieForm undder Inhalt aufeinander undwerden sogar in eins gesetzt. Tatsächlich scheint es vor allem auf diedauernde Präsenz desGesetzes als Monument angekommen zu sein. Dieses Monumentunddamit sein Text standen denn auch zumeist imeigentlichen Zentrum derfrühen zuweilen freistehend undvon allen Seiten zubesichtigen, vor allem aber auf den Stadt – Wänden der frühen Tempel: Der Tempel war der erste undwichtigste Kristallisationspunkt derwerdenden Polis –einweithin sichtbares Symbol ihrer Integration, dasseinerseits auchimengeren Sinne monumentale Formen angenommen hatte20. Diese „ Monumentalisierung“von(in-)schriftlich fixierten Normen undihre demonstrativ öffentliche Ausstellung im (auch religiös-„ ideologischen“ ) Mittelpunkt des Gemeinwesens undinmitten seiner Mitglieder hatten mannigfache Folgen sowohl für die Polis als auch für diese neuartigen Vorschriften selbst. Zunächst wurden diese Normen
395, sowie CANFORA, L’agora: il discorso suasorio, in: CAMBIANO/CANFORA/LANZA 1992, 379– zurWiderspiegelung derSache in derRhetorik derSophistik DEROMILLY 1988/1992, 57ff. 18 Nurin diesem Sinne wird auch derBegriff “Monumentalisierung”verwendet. Vgl. dazu undzum Folgenden insbesondere VERNANT 1962/1982, 48f.; 47f. u.ö.; MUSTI 1986, 31ff.; DETIENNE 1988b, 36f.; 40ff.; 48ff.; R. THOMAS 1992, 84ff.; 145 u.ö.; STEINER 1994, 64ff. u.ö.; VANEFFENTERRE 1994; WHITLEY 1997, 660 u.ö.; 1998, 322f.; HÖLKESKAMP (in Vorb.). 19 Siehe etwa IG I3 4B = KOERNER Nr. 5, Z.25; 28; IG I3 131 = KOERNER Nr. 13, Z.18; VAN EFFENTERRE/RUZÉ I, Nr. 32, A, Z.lf.; B, Z.8f.; Nr. 110, Z.6f.; IvErythrai 1 = KOERNER Nr. 74, Z.18ff.; IvOlympia 2 = KOERNER Nr. 37, Z.9. Vgl. dazuR. THOMAS, Oral Tradition andWritten Record in Classical Athens, Cambridge 1989, 46ff.; dies. 1992, 84ff. u.ö. und demnächst HÖLKESKAMP (in Vorb.). 20 Vgl. dazu HÖLKESKAMP 1992, 100ff.; 1992/1995, 68ff.; 1994, 142ff.; R. THOMAS 1992, 71; 1995, 72f.; STEINER 1994, 66ff. Vgl. zurBedeutung desTempels generell zuletzt WALTER 1993, 85f.; CRIELAARD 1995, 240ff.; HÖLSCHER 1998, 46ff., sowie bereits VERNANT 1962/1982, 43; SNODGRASS 1980, 33f.; 58ff.; u.ö.; 1991, 17f.; SCHACHTER 1992, 9ff.; 54ff.; BERGQUIST 1992, 109ff.; MORGAN 1993, 19; MARCONI 1996, 763ff.; FEHR 1996, 178ff. und passim. Siehe die Übersichten über die archäologischen Daten bei MAZARAKIS AINIAN 1988, 116ff.; SCHACHTER 1992, 12ff.; GRUBEN 1996; LANG 1996, 68ff.; SIMON 1997, 126ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. Übrigens braucht auchdasModell der“ Bipolarität” derfrühen Polis, dasdieIntegrationswirkung der“extra-urbanen”Heiligtümer betont, den“Pol”des “urbanen”Zentrums; vgl. DEPOLIGNAC 1984/1995, 81ff.; 153f.u.ö.; 1994, passim; SCHACHTER 1992, 36; 54ff., sowie SIMON 1997, 136f. Siehe aber die Kritik von M. LANGDON 1997, 122ff., die (wieder) auf ein Modell der „unipolaren” civic cult” Polis hinausläuft; SOURVINOU-INWOOD 1993, 4ff.; MARINATOS 1993, 229. Vgl. zu “ und“ zuletzt COLE 1995; M. LANGDON 1997, 123f. civic identity”
3. Schriftlichkeit und„Monumentalisierung“
279
denAktderFixierung einerseits zwarzueinem Objekt, das „gesetzt“undniedergeschrieben warunddamit auch bewußter Prüfung, Kritik undgegebenenfalls Modifizierung unterworfen werden konnte –dagegen wurden sie zuweilen ja durch ausdrückliche Verbote jeder Änderung gesichert21. Gerade indem diese Satzungen jedoch in Stein gehauen wurden, gewannen sie andererseits undauf andere Weise, nämlich schon durch das Medium der Fixierung, eine neuartige Dauerhaftigkeit, Unveränderlichkeit und sogar Unverletzlichkeit –und auch diese Unantastbarkeit wurde inmanchen Gesetzen noch ausdrücklich gesichert unddamit selbst zueinem konkreten Gegenstand derbetreffenden Satzung. Diesolchermaßen gesicherten Vorschriften erlangten dadurch einen Status undeine Realität, die nicht nur die oralen undschon deswegen ephemeren Akte derBeantragung, derDebatte, derBeschlußfassung undderInkraftsetzung überdauerten. Danach waren sie auch nicht mehr vonder diesen Aktvollziehenden Institution abhängig: Die in Stein fixierten Normen traten der polis als Versammlung als eigenständig gewordene Instanz gegenüber –sie wurden im wahrsten Sinne des Wortes „autonom“undgewannen damit eine neue, höhere Art von verpflichtender Kraft22. Diese Distanz der „autonom“gewordenen Vorschrift zuderInstitution ihrer Inkraftsetzung wurde auchdurch denOrt, die Artunddenkonkreten Zusammenhang derFixierung auf ebenso symbolische wie eindeutige Weise betont: Denn diese Normen wurden amTempel angebracht undpubliziert –nicht nurdemersten, sondern zunächst auch dem einzigen Ort der sichtbaren Verdichtung einer besonderen „ . Erst (Stadt-)Staatlichkeit“ 3, dort, unter dem mächtigen religiösen, noch vorstaatlichen Schutz der Gottheit2 gewannen sie jene Eigenschaften, die die noch prekäre Staatlichkeit der frühen Polis sonst nirgendwo sichern undgarantieren konnte: Unverletzlichkeit undDauerhaftigkeit, Verbindlichkeit undeben eine besondere „ . Zugleich wurden die dort publizierten und Autonomie“ öffentlich gemachten Normen damit natürlich vonderagora entfernt –jenem öffentlichen Raum, indemsie zunächst entstanden waren unddemsie sich aufdiese Weise, allerdings ausderDistanz einer sakral gesicherten „ Autonomie“heraus, wieder zuwandten. Zugleich bedeutete derAktderFestsetzung einer Norm schon ansich noch in einer anderen Hinsicht eine Absetzung undDistanzierung: Anders alsbeim traditionellen, ungeschriebenen „ nomologischen Wissen“umRecht, umdasjeweils Richtige undAngemessene, manifestiert sich dieschriftlich fixierte Regel nicht allein undausschließlich in ihrer jeweilige Anwendung: Wie die Verschriftlichung generell wenigstens im Prinzip die Trennung des „ Wissenden“(des Königs, Priesters oder Magistrats) vom „Gewußten“ ermöglicht, so treten vor allem die „ gesatzte“unddamit objektivierte Norm und ihre konkrete Implementierung und Umsetzung auseinander undwerden auch bewußt unterscheidbar. Diejeweilige praktische Anwendung einer fixierten Vorschrift wird an ihrer objektivierten Form meß- unddamit kontrollierbar –undkann gewissermaßen eingefordert werden, weil dieNorm selbst eben auch denjenigen gegenüber die erwähnte „ Autonomie“ gewonnen hat, die für diese Anwendung zuständig sind: Magistrate undRichter. Gerade ihnen gegenüber gilt, wasin demerwähnten „Pakt“zwischen Gortyn undRhizedurch
21 Vgl. dazu generell CAMASSA 1994; 1996, 571ff. 22 Vgl. bereits DETIENNE 1988a, 15; 17; 1988b, 48ff. unddanach
23
HÖLKESKAMP 1992/1995, 78f.; 1994, 154f., sowie 1992, 99ff. undders. (in Vorb.). Vgl. etwa Kapitel III 2, Abs. ARGOS; LOKRIS. Vgl. zuletzt FEHR 1996, 184ff.
280
IV. Gesetze undGesetzgebung:
Ergebnisse
undPerspektiven
nia emphatisch betont wird: „ Das Geschriebene gilt, anderes aber nicht“ 24. Genau das manifestiert sich dann konkret in denmannigfach differenzierten undeingeschärften Sicherungen derVerbindlichkeit durch Sanktionsdrohungen, die dashervorstechende Charakteristikum
sovieler früher Gesetze waren.
4. Ursachen undFolgen: Differenzierung undDynamik Die solchermaßen voraussetzungsvolle undbeziehungsreiche „Erfindung“der Verschriftlichung einer Norm vollzog sich, wiegesagt, vor demtraditionell oralen undauch weiterhin wesentlich oral bleibenden Hintergrund dergriechischen Kultur undMentalität, 1 des aber auch undgerade dergesellschaftlichen Interaktion in der „ face-to-face society“ kleinräumigen Stadtstaates imallgemeinen unddes politischen Handelns in seiner agora imbesonderen: Sie stellte ursprünglich zweifellos einen großen, außergewöhnlichen und intellektuell wie von derpraktischen Umsetzung herhöchst aufwendigen Schritt der Innovation, Transmission undTransformation auf denverschiedensten Ebenen dar. Dazu bedurfte es mehrals nureines kleinen Anstoßes –dazuwarschon eine besondere Kombination struktureller wiekontingenter Faktoren undImpulse politischer undgesellschaftlicher, institutioneller und intellektueller Art notwendig.2 Ein solches Bündel von Bedingungen undTriebkräften mußte sich erst einmal zu einem Innovationsdruck verdichten, derindiese Richtung drängte, deralso genau auf diese „Idee“derAnwendung undNutzung der relativ neuen Technik des Schreibens für die Fixierung von derart herausgehobenen bindenden Regelungen undVorschriften hinauslief. Wiederum ist es der empirische Befund, aus demArtundRichtung dieses Innovationsdruckes wenigstens in Umrissen erkennbar werden. Zunächst gab es offenbar einen erhöhten undtendenziell weiter zunehmenden Regelungsbedarf fürkonkrete, sehr spezifische undinganz unterschiedlichen rechtlichen wie religiösen, wirtschaftlichen wie politischen Zusammenhängen auftretende Probleme –Probleme, die sich offensichtlich aus besonderen, oft neuen undunvorhergesehen Situationen, Konflikten undStreitfällen ergaben unddie deswegen nicht oder nicht mehr mitdemRegelungspotential des traditionellen „ nomologischen Wissens“bewältigt werden konnten3. Genau darauf zielen alle frühen Satzungen, indem sie solche strittigen Gegenstände einzeln formulieren, isolieren, konkretisieren unddadurch endlich lösbar machen. Sie erreichen daseben durch die explizite Festlegung von absichtsvoll differenzierten Einzelregelungen, von Sonderfällen undAbweichungen undvongenauso detaillierten Sanktionen.
IV 80, Z.12: τ μ έ μ ν ρ α γ ὰ . ἐ έ λ λ α δ ὲμ ᾽, ἄ
24
ICret
1
Vgl. zudieser Kategorie zuerst LASLETT 1956, 157ff. unddanach M.I. FINLEY, Democracy Ancient andModern, London 1973, 17; ders., 1983, 28f.; 82. Die Kritik von OSBORNE 1985, 64ff.; 89, und OBER 1989, 31ff., bezieht sich nurauf dieAnwendung desKonzeptes auf das(klassische) Athen (und dort auf die Ebene derzentralen Institutionen), vgl. auch HANSEN 1998, 117 mit Anm.601 (S. 194). Vgl. zudiesen Faktoren undzurAnwendung eines sozialanthropologischen Modells der„strukturellen Differenzierung“auf diefrühe griechische Geschichte etwa HUMPHREYS 1977, 348ff. undpassim. Vgl. auch HÖLKESKAMP 1992, 102ff.; 1992/1995, 66ff. Vgl. in diesem Sinne auch GEHRKE 1993, 60; 66f.; 1995, 18ff.; 24f.; 1997, 47ff.; 1998, 41ff., sowie HÖLKESKAMP 1992, 92ff.; 1992/1995, 75ff. u.ö.; 1994, 156.
2 3
4. Differenzierung undDynamik
281
Zudem indiziert diese besondere Art der Präzision einen erhöhten Bedarf sowohl an Genauigkeit, Unzweideutigkeit undBerechenbarkeit als auch an tatsächlicher regelmäßiger Durchsetzung bzw. strikter, geradezu einklagbarer Verbindlichkeit. Drittens legt die Artund Weise der Fixierung auf Stein undder demonstrativ öffentlichen Publizierung einen Bedarf an Versachlichung, Objektivierung undpermanenter Greifbarkeit von Regeln undRegelungen nahe. Diese verschiedenen Ebenen eines neuartigen Bedarfs angesatzten Regelungen aller Art, die ihrerseits ebenfalls neuartig waren undimmer wieder für andere, neue Probleme formuliert undfixiert werden mußten, resultierten allgemein sicherlich aus der wachsendenreligiösen, politischen undeben rechtlichen Integration derfrühen Polis umTempel und Agora –den beiden Bezugspunkten von Gesetzgebung. Dieser Prozeß vollzog sich seinerseits auchaufverschiedenen, miteinander verknüpften Ebenen undwurde dabei von einer Vielzahl vonTeilprozessen gespeist. Dazugehörten vor allem: die Lösung exekutiverundrichterlicher Funktionen vonanderen individuellen Prominenzrollen undgenerell vompersönlichen Status; die Konsolidierung von differenzierten Magistraturen mit entsprechenden Aufgaben; die Trennung von beratenden undbeschließenden, entscheidendenundausführenden Organen der Polis durch die Institutionalisierung von Versammlungen undRäten neben undmitden Magistraturen; undschließlich die Formalisierung ihrer Interaktion. Der Prozeß der Institutionalisierung dieser „ politischen“Einrichtungen und ihres Handelns legte auch die distanzierende Objektivierung, Versachlichung und Fixierung der aus ihrer Interaktion hervorgehenden Entscheidungen, Regelungen und „ Vorschriften“nahe, die diesem Prozeß entsprachen und ihn zugleich widerspiegelten. Die strukturelle Verdichtung derPolis schuf insofern die institutionellen Voraussetzungen von Gesetzgebung underzeugte zugleich die neue, kontinuierliche Nachfrage nach konkreten Gesetzen.
Hinzu
kamaber wohl eine Legitimitätskrise
besonderer Art: Normen ohne bindende
Kraft, diefließenden undweichen, nurrelativ geltenden, aber nicht absolut verbindlichen Regeln des „ nomologischen Wissens“waren nicht mehr ausreichend –oder erschienen zumindest als zu schwach. Diese Krise ergab sich einfach aus denwachsenden Ansprüchen an die Fähigkeit des „Systems“zur Bewältigung und dauerhaften Überwindung von Gegensätzen unddamit ansein Potential aninnerer Befriedung undIntegration. Denn mit dem dynamischen Prozeß der strukturellen Verdichtung der Polis mußnotwendig eine Vervielfältigung derinneren Spannungen, derschieren ZahlvonKonflikten undderArten undBereiche möglicher Konflikte einhergegangen sein. Die Formierung der Polis war ihrerseits wiederum auf vielfältige Weise mit jenem Krise“ komplexen Geflecht von Faktoren undProzessen verbunden, die die allgemeine „ der archaischen Zeit ausmachten undvielfach auch durchaus als krisenhaft und destabilisierend empfunden wurden –invieler Hinsicht wardererwähnte Prozeß derVerdichtung , ihre derPolis sogar dasResultat respektive eine unmittelbare Reaktion auf diese „Krise“ Ursachen undverschiedenen Erscheinungsformen4 . So führten nicht zuletzt derBevölke-
4
Vgl. dazugrundlegend STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 57ff. undpassim mit weiteren Nachweisen. Vgl. insbesondere LEPORE 1978, 183ff.; WELWEI 1983/1998, 36ff., sowie SNODGRASS 1986, 47ff.; 1986a, 7ff.; STARR 1986, 34ff.; 52ff. undbereits 1961, 342f.; 1977, 21ff.; 170ff.u.ö.; MORGAN 1990, 195ff. u.ö.; DONLAN 1997, 44ff. undpassim; CARTLEDGE 1998, 388f., sowie HÖLKESKAMP
282
IV. Gesetze undGesetzgebung:
Ergebnisse
undPerspektiven
rungsanstieg unddiesich daraus ergebende Verknappung der ohnehin begrenzten Ressourcen zudemebenso risikoreichen wieherausfordernden Ausweg derKolonisation, die wiederum gerade inderbewußten, organisierten Gründung neuer Poleis bestand unddas Bewußtsein von der Polis als Form gesellschaftlicher und institutioneller Organisation undvonihrem Potential alssozialer und„politischer“Lebensform festigte. Dieweitere Verschärfung dersowieso schon sehr intensiven, ursprünglich ganz ungebändigten undunbegrenzten Konkurrenz zwischen denMächtigen – lokal, regional und auchüberregional –umRessourcen, RuhmundMacht kollidierte mitdersich verdichtenden„Staatlichkeit“derPolis undtrieb sie zugleich voran. In vieler Hinsicht sind frühe Gesetze wievorallem dasjenige ausDreros gerade auch dafür ein Indiz. Unddiemitder Intensivierung aristokratischer Gegensätze verbundene Zunahme desDrucks auf breitere bäuerliche Schichten hatte nicht zuletzt auchzurFolge, daßsich diese nicht nur ihrer Teilhaberschaft anderPolis imallgemeinen undanderpolis als Versammlung imbesonderen bewußt wurden –sie drängten gerade daher nun auch auf die weitere Stärkung der Polis alseiner dieAristokraten disziplinierenden, denerwähnten Druck kanalisierenden unddie allgemeine Destabilisierung derVerhältnisse auffangenden Instanz. Unter diesen Bedingungen entstand nicht nureine kontinuierliche Nachfrage nachvielen konkreten Lösungen undRegelungen immer neuer, oft drängender Probleme, zahlloser strittiger Vorfälle und einzelner Konflikte –manmußte dabei auchjenen gewaltigen Schritt zueiner neuen Qualität der Normierung machen, die über jene besondere Mischung aus detailbesessener Präzision und vielfachen Sanktionsdrohungen eine bindende Macht und verbindende Kraft, ja diealleinige Legitimität undSouveränität institutionalisierter undformalisierter Konfliktregelung herstellen sollte. entdeckt“undrealisiert Dieser Schritt warso groß, daßer nurin kleinen Schritten „ werden konnte. Aber gerade diese vielen kleinen Schritte, die einzelnen situations- und gegenstandsbezogenen Gesetze, führten zujener Verstetigung vonGesetzgebung als Verfahren, diederen Formalisierung eigentlich erst ausmachte unddamit zugleich dieKonsolidierung derdaran beteiligten zentralen Institutionen des werdenden Stadtstaates vorantrieb. Diese vonAnfang anüber die Interaktion der Organe der Polis undderpolis als Versammlung miteinander verflochtenen Prozesse der Institutionalisierung trugen dabei nicht nurwesentlich zurEntstehung einer besonderen Identität derBürgerschaft als versammelter Polis bei. DieEntdeckung desPrinzips dersich in dieser Versammlung souveränselbst bindenden Bürgerschaft führte auch einen neuen, starken Schub aninnerer Inqui prend la tegration derPolis herbei: Gleich in mehrfacher Hinsicht ist es die Polis, „ 5. Undindem Polis undBürgerschaft nicht nurmitder Institution der Entscheiparole“ dung und Inkraftsetzung zusammenfielen, sondern zugleich auch Referenzobjekt und Adressat der selbst gesetzten Normen wurden, gewannen sie eine besondere Identität. Damit wurde die Institutionalisierung vonGesetzgebung zumeigentlichen Kern derVerStadtstaatlichkeit“derPolis. dichtung derspezifischen „
5
1992, 103ff.; 1992/1995, 66ff.; GEHRKE 1993, 66f. u.ö.; RAAFLAUB 1993, 73ff. u.ö. mit weiteren Nachweisen. So die treffende Formulierung von DETIENNE 1988b, 48; 55; vgl. auch dens. 1988a, 15ff.; HÖLKESKAMP 1992/1995, 72f.; 1994, 143; RAAFLAUB 1993, 81.
4. Differenzierung undDynamik
283
Dieser Prozeß entfaltete sichnicht isoliert undgewissermaßen endogen in deneinzelVielmehr gewann er gerade dadurch noch anDynamik, daßer sich in vielen Städten zugleich entwickelte. WieStadtstaaten generell waren diegriechischen Poleis des 7. und6. Jahrhunderts in eine vielfältig vernetzte panhellenische Kultur der „Stadtstaatlichkeit“eingebunden, die von Massalia über die Gründungen auf Sizilien und in der Magna Graecia biszudenGriechenstädten Kleinasiens reichte. Diese Kultur bestand aus der Vielzahl der einzelnen autonomen „Politien“mit ähnlichen gesellschaftlichen, politisch-institutionellen und religiösen Grundstrukturen und damit einem ähnlichen Entwicklungsstand vonStaatlichkeit. Diese „ Politien“konkurrierten permanent miteinander, etwa umRessourcen, aber auch umVorrang innerhalb des gesamten Systems, sie kopierten ihre Errungenschaften, undsie entwickelten sich dabei weiter. Die Grundvoraussetzung fürdiese Konkurrenz bestand darin, daßsie bei allen lokalen undregionalen Unterschieden viele kulturelle Werte undOrientierungen teilten –von ihren Göttern und Mythen und anderen Bestandteilen eines gemeinsamen „ nomologischen Wissens“über Sprache, Schrift und Literatur, künstlerische Ausdrucksformen in Großplastik undVasenmalerei bis hin zurArchitektur desTempels, derinjeder einzelnen Politie dann wiederum eine zentrale Rolle inderinneren Integration spielte6 . Selbst das traditionelle aristokratische Ethos des Agons, das System der Tugenden undWerte, die Regeln von Gabentausch undWeihungen unddie anderen Formen deund monstrativer Verschwendung und Selbstdarstellung hatten schon früh dazugehört7 wennauchnurpartiell undaufverschiedene Weise modifiziert –inein ebenfalls wurden – allgemeines „ Politien“als politisches“Wertsystem integriert. DieIdentität dereinzelnen „ integrierter Teile oder Teilhaber einer koine wurde vermittelt undzusätzlich gestärkt durch polisübergreifende regionale undpanhellenische Strukturen undInstitutionen wie Spiele, Feste und Heiligtümer –insbesondere war bekanntlich das Apollon-Heiligtum in Delphi in der Epoche der Kolonisation zu einem wichtigen, eigens reservierten undbesonders gesicherten Zentrum des Austausches undder Begegnung zwischen Individuen, Führungsgruppen undganzen Poleis geworden8. Diese panhellenischen Institutionen bildeten die Knotenpunkte eines engmaschigen Netzes vonverschiedenen Formen undWegen derInteraktion derPolitien untereinander, dieallerdings nicht nurfriedlich waren: AuchKrieg istja eine Artderkompetitiven Interaktion. ZudenFormen derallgegenwärtigen Interaktion gehören aber auch Diplomatie, die verschiedenen Formen von„Handel“undvor allem –unddasist in diesem Zusamderpermanente Austausch vonMenschen undMeinungen. menhang besonders wichtig – In diesem kulturellen Kontext waren eine spezifische „Mobilität“undeine besonders ra-
nenPoleis.
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Vgl. dazu generell RENFREW 1982, 285ff.; 1986, 6ff.; CHERRY 1984, 39f.; SNODGRASS 1986, 49ff.; 55ff.; HÖLKESKAMP 1992/1995, 67f.; 79f. Siehe außerdem THOMAS 1981; GRIFFETH/THOMAS 1981b, 189ff.; 202ff.; WHITLEY 1991, 41; 43 u.ö.; MORGAN 1993, 19ff.; SHERRATT/SHERRATT 1993, 361ff. Vgl. dazu grundlegend STEIN-HÖLKESKAMP 1989, passim. Siehe außerdem etwa STARR 1977, 46ff.; 119ff.; MORGAN 1990, 44ff.; 192ff.; 218ff. u.ö.; 1993, 18ff.; MARINATOS 1993, 230f.; DE POLIGNAC 1994, 11ff. zudenverschiedenen Aspekten. Vgl. SNODGRASS 1986, 52ff., auch zum Folgenden; HÖLKESKAMP 1992/1995, 80, sowie bereits 175; MEIER 1978, W.G. FORREST, Colonisation andthe Rise of Delphi, Historia 6, 1957, 160– 239ff.; 1980, 73ff.; MALKIN 1987, 17ff.; 1989, passim. Vgl. allgemein CL. ROLLEY, Les grands sanctuaires panhelléniques, in: HÄGG 1983, 109– 114; MORGAN 1990, 176ff.; 184ff.; 1993, 27ff.; DEPOLIGNAC 1994, 15ff.; CRIELAARD 1995, 255ff., jeweils mitweiteren Nachweisen
284
IV. Gesetze undGesetzgebung:
Ergebnisse
undPerspektiven
sche Verbreitung vonInformationen, Ideen undDenkmodellen möglich undüblich, durch die jede lokale Entdeckung oder Erfindung einer neuen handwerklichen Technik oder aucheiner politischen Regelung zueiner baldweithin bekannten undüberall angewandten Innovation werden konnte9 . Das ist wiederum die wichtige Voraussetzung für die Übernahme undWeitergabe praktischer, bewährter Lösungen interner politischer oder sozialer Probleme –unddaswarumsonaheliegender, alsauch die strukturellen, neuen unddaher
regelungsbedürftigen Probleme der verschiedenen Poleis durchaus vergleichbar waren. Vor diesem Hintergrund werden die allgemeine Verbreitung undEntfaltung des Instruments derFormulierung undschriftlichen Fixierung von konkreten, pragmatischen Lösungen solcher Probleme, dasVerfahren derInkraftsetzung undVerbindlichmachung bis hinzur „Monumentalisierung“einer Satzung erst verständlich. Denn auch die notwendigenInstitutionen undnicht zuletzt dieOrte undRäume, nämlich Agora undTempel, in denen Gesetzgebung als Verfahren unddie Satzung als „Monument“angesiedelt waren, waren allen Poleis gemeinsam. Möglicherweise liegt hier auch der historische Kern jener vielschichtigen Tradition über die überall im griechischen Kulturraum bekannten und respektierten „ weisen“ Schiedsrichter und„ Gesetzgeber“ , etwa über die Empfehlung des Mantineers Demonax als „Schiedsrichter“für Kyrene durch das delphische Orakel oder die Verbreitung der Gesetze des Charondas“in dengriechischen Städten Siziliens undsogar des östlichen „ Mittelmeeraums –wiederum wäre dasdann eine vage, auf einzelne prominente Figuren projizierte undreduzierte Erinnerung andenkomplexen Prozeß derEntdeckung der Gesetzgebung.
Erst als dieses strukturelle Fundament gelegt undbereits gefestigt war, konnten die Bürgerschaften dereinzelnen Poleis auch sich selbst zumObjekt vonGesetzgebung machen–wieinderPhylenreform desDemonax inKyrene, in derkomplexen Neuorganisation derattischen Bürgerschaft durch Kleisthenes undauch in der Neuordnung im sizilischen Kamarina einige Jahrzehnte später10. Erst jetzt, im Laufe des 6. Jahrhunderts, konnten diese Bürgerschaften auch daran gehen, ihre öffentlichen Räume aktiv zu gestaltenundetwaihre ursprünglich einfachen Agorai zurepräsentativen Anlagen auszubauen – auch darin mitdenBürgerschaften deranderen Poleis konkurrierend. Der Bau des moEkklesiasterion“auf der Agora von Metapont ist dafür nur ein besonders numentalen „ 9
Vgl. dazu SNODGRASS 1986 im Anschluß an RENFREW 1982, 283ff.; 1986, 6ff.; HÖLKESKAMP 1990a, 76 mit Anm. 13ff. (S.81); 1992/1995, 67ff.; MURRAY 1997, 497; 500f., mit weiteren Nachweisen. Vgl. zur„ Mobilität“undihren Voraussetzungen N. PURCELL, Mobility andthe Polis, 58; MURRAY 1991, 9ff.; zu densozioökonomischen undkulturellen in: MURRAY/PRICE 1990, 29– Regeln, nach denen „invention“durch „widespread adoption“zu „innovation“wird: C. RENFREW, 117. Vgl. zum „Handel“ The anatomy of innovation, in: GREEN/HASELGROVE/SPRIGGS 1978, 89– des 8. bis 6. Jh. STARR 1977, 55ff.; BOARDMAN 1980/1981, 191ff. und passim; SHERRATT/SHERRATT 1993, 366ff.; CRIELAARD 1995, 224ff.; L. FOXHALL, Cargoes of the heart’s desire: thecharacter of trade inthearchaic Mediterranean world, in: FISHER/VAN WEES 1998,
309, mitweiteren Nachweisen. 295– 10 Vgl. dazu HÖLKESKAMP 1992, 106f.; 1992/1995, 56f.; 75; 80f.; 1993, passim, sowie Kapitel III 2,
Abs. KYRENE. Vgl. zu Kleisthenes STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 168ff.; OBER 1989, 68ff.; ders., The Athenian Revolution of 508/7B.C.: Violence, Authority, andthe Origins of Democracy (1993), 52; MANVILLE 1990, 185ff. und zuletzt CARTLEDGE 1998, 391ff. Vgl. zur in: OBER 1996, 32– Neuordnung in Kamarina (um460) CORDANO 1994, 418ff.; MURRAY 1997, 496ff., mit den Nachweisen.
4. Differenzierung undDynamik
285
spektakuläres Beispiel. In anderen Kolonien des Westens, wie wiederum in Megara Hyblaia, begann in denJahrzehnten umdie Mitte des 6. Jahrhunderts ebenfalls die architektonische Ausgestaltung derzentralen öffentlichen Räume mitStoen, Tempeln undanderen Gebäuden. Eine solche Bautätigkeit entfaltete sich bezeichnenderweise jetzt auch an der Agora von Kyrene –daliegt es nahe, einen Zusammenhang mit der Neukonstituierung derBürgerschaft durch Demonax zu vermuten. Und selbst wenn die „Monumentalisierung“ derAgorai indenPoleis desMutterlandes offenbar später einsetzte unddann in der Regel langsamer verlief als in denKolonien: Immerhin gehört dieAnlage derAgora von Eretria im Rahmen einer umfassenden Neustrukturierung der Stadt ebenso in diese Zeit wieder(zunächst bescheidene) Ausbau derAgora vonKorinth. Wie auch immer die bauliche Entwicklung derAgora Athens verlaufen ist: Spätestens gegen Ende des 6. Jahrhun1. derts war die Gestaltung dieses Platzes doch wohl bereits fortgeschritten1 Diese Parallelität der politischen, institutionellen undurbanen Entwicklungen ist keineswegs einZufall; dennsiehängen engzusammen undverweisen geradezu aufeinander: DieBürgerschaften können nundisponieren –undzwar nicht nurüber die Polis als Gefüge von Untereinheiten wie Phylen, Phratrien oder Demen undvon Institutionen, sondernauchüberdiePolis alsgegliederten undgestalteten Raum. Damit wurden diese Bürgerschaften auch in demSinne „ autonom“ , daßsie eine neue ArtderVerfügungsgewalt, ja derMacht übersich selbst erlangten. Erst amEnde –undeben nicht amAnfang –dieses langen undvielschichtigen Entfaltungs-, Konsolidierungs- und Bewußtwerdungsprozesses konnten Gesetze und Gesetzgebung als Instrument zurdauerhaften Befriedung, in die Zukunft gerichteten Gestaltung oder gar Neukonstituierung der Polis benutzt undüberhaupt begriffen werden: Erst jetzt konnten überhaupt historische Gesetzgeber als Stifter verbindlicher undstabiler OrdNomotheten“ nungen auftreten. Erstjetzt wares auch möglich, denIdealtyp des großen „ zueiner zentralen Denkfigur inderReflexion über die Polis zumachen. Undjetzt konnte dernomos sogar zum„König“werden –undzwar in einem durchaus anderen, spezifischeren Sinne als in der oft zitierten Wendung Pindars12: Das Gesetz als positive Norm, von der Polis als institutionalisierter Bürgerschaft in der Versammlung in Kraft gesetzt und als Monument demonstrativ in ihrer Mitte aufgestellt, wurde nunauch als Souverän denkbar.
grundlegend HÖLSCHER 1998, 32ff., sowie 1991, 362ff. S. bereits SNODGRASS 1980, 154ff.; MARTIN 1983, 14ff. undpassim; LANG 1996, 66ff.; KENZLER 1997, 125ff. Vgl. zu deneinzelnen Beispielen D.MERTENS, Metapont. Einneuer PlandesStadtzentrums, AA 1985, 645– 671, 649ff.; 664ff.; MERTENS/GRECO 1996, 252ff.; MERTENS 1996, 328f.; HÖLSCHER 1998, 42; 43 (Metapont); MERTENS 1996, 318; KENZLER 1997, 126; HÖLSCHER 1998, 35f. (Megara Hyblaia); BACCHIELLI 1996, 310f.; KENZLER 1997, 126f. (Kyrene); LANG 1996, 67; 290; HÖLSCHER 1998, 35 (Eretria); KENZLER 1997, 127ff.; HÖLSCHER 1998, 30f. (Korinth); SHEAR 1994, 236ff.; LANG 1996, 66f.; 152ff.; HÖLSCHER 1998, 32f. (Athen), jeweils mitweiteren Nachweisen. 104,5. S. dazu JAEGER 1947/1960, 12 Pind. frg. 169SNELL = 152BOWRA; vgl. Hdt. 3,38,4; 7,102,1– 332f.; GIGANTE 1956, 72ff.; undpassim; DEROMILLY 1971, 62ff.; HUMPHREYS 1987, 211ff.
11 Vgl. dazu jetzt
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REGISTER
1. Begriffe undSachen (Einzelne Magistraturen/Funktionen, Ratsgremien bzw.Versammlungen s. Amt; Rat; Versammlung/ Volksversammlung; einzelne Rechtsmaterien s. Gesetz (konkrete Gegenstände); griechische Begriffe in Umschrift) Adoption
s. Gesetz (konkrete Gegenstände)
agelai: 89 (Dreros); 107f. (Eltynia) Agora (allgemein): 26; 129; 138; 141; 164; 243;
–basileus/basileis: 166 (allgemein); 80; 82; 84; 85 (Chios); 101 (Elis); 164 (Kyme i.d.Aiolis); 222; 225 (Mytilene)
246; 250; 271; 279; 280; 281; 284f.
–damioi: 90ff. (Dreros)
Polis; Versammlung/ Volksversammlung): 181; 183 (Delphi); 120; 229f.; 272 (Gortyn); 179; 183 (Lokris); 86; 225f. (Mytilene); 229f. (Phaistos); 238 (Rhizenia) –als“öffentlicher Raum” , Zentrum derPolis:
(allgemein); 67ff.; 218; 251 (Argos); 100; 101ff. (Elis); 185f. (Lokris); 203 (Mantineia); 69; 218f. (Mykene); 251(Thera) –demarchos/demarchoi: 80; 82ff. (Chios) –dikastas: 123; 259 (Gortyn) –Ephorat: 39 (Sparta); 170f. (Kyrene); 170f.
–einzelne agorai: 272A.11; 285 (Athen); 88; 271 (Dreros); 285 (Eretria); 124(Gortyn); 285 (Korinth); 285 (Kyrene); 271 (Megara
–epignomon: 259 (Tiryns) –epistates (Chios?; Samos): 81f.A.6; A.12 –exegetai (? Syrakus): 242; 244; 245
–bei Homer: 271 –als Versammlung (s. auchdemos/damos;
271f.; 277; 279; 280; 281; 284f.
–Damiorgen/Damiorgie: 91; 218
(Thera)
Hyblaia); 271; 284f. (Metapont); 231 (Phleius); 252 (Thera) Aisymnet/Aisymnetie (s. auchAmt; Schiedsrichter): 12f.; 28; 60; 109ff.; 211ff.; 219ff.;
–gnomon: 91; 120; 121; 123 (Gortyn) –grammateus: 159 (Kos) –grapheus: 93; 123 (Erythrai) –gropheus: 75f. (Elis)
233 –bei Aristot.: 12f.; 60; 212f.; 220f. Aliaia s. Versammlung/Volksversammlung allopoliatai: 96; 199f.; 202 Alphabet s. Schriftlichkeit Amt (s. auch Polis, Institutionen): 26; 91ff.; 270ff.; 281 –Ausdifferenzierung vonFunktionen/Kompetenzen: 84; 91ff.; 121ff.; 156; 269; 270; 272; 279f.; 281 –Kollegialität/Mehrstelligkeit: 84; 91f.; 96;
–ieromnemones: 209 –ierorgos (kosmos): 123 (Gortyn)
–gynakonomoi: 32 –Hellanodikas: 101 (Elis) –iaromaos: 99f. (Elis) –iaromnamones: 218f. (Mykene); 259 (Tiryns)
–kosmopolis: 196f.; 210 (Lokroi Epizephyrioi)
121f.
–kosmos/kosmoi: 75; 76 (Axos); 87; 91ff. (Dreros); 96 (Eleutherna); 108 (Eltynia); 91; 120ff. (Gortyn); 200; 202 (Lyttos); 238
stände), Amtsvergehen
–kosmos o epistas: 120; 122 (Gortyn) –kosmos xenios: 93; 120f.; 122; 123
–Verstöße gegen Gesetze, Vernachlässigung vonPflichten s. Gesetz (konkrete GegenAmt(einzelne Ämter) 26; 80ff. –agretas: 89 (Dreros) –Aisymneten: 212 (Milet); 240 (Selinus) –amphipolos: 68 (Argos) –apokosmos: 200 (Lyttos) –Archon: 116; 117 (Eretria); 196 (Lokroi Epizephyrioi)
–archomaos: 210f. (Megara Hyblaia) –archos: 180; 184; 186 (Lokris/Opus) –artynai: 70 (Argos)
(Rhizenia)
(Gortyn)
–mnamon/mnamones: 209 (allgemein); 75 (Dattalla?); 123 (Gortyn)
–nomographoi: 209 –nomodos: 208ff. (Mazaka) –Nomotheten: 32; 209 (Athen); 243f. (Syrakus)
–phylakter: 164 (Kyme i.d.Aiolis)
–platiwoinarchoi/platiwoinoi: 258f. (Tiryns) –poinikastas: 75 (Dattalla?) –polemarchos: 156 (Korinth) –probouloi: 158 (Korinth)
1. Begriffe undSachen –prytanis: 156 (Korinth); 222; 225
(Mytilene) –Strategie: 170 (Kyrene) –tamias-/ai: 70 (Argos); 203(Mantineia) –theokolos: 99f.; 101 (Elis) –Timuchen: 207 (Massalia)
–titas/titai: 91; 120; 123 (Gortyn)
anadasmos tes ges: 130; 153; 168 Aristokratie/Aristokraten: 11; 12; 20; 26; 162;
173f.; 196f.; 201f.; 223ff.; 282; 283 –Lebensstil 14; 157; 223ff. Atimie: 93 Bakchiaden: 151ff.; 156f.; 247
Battiaden: 167ff. Blutrecht s. Gesetz (konkrete Gegenstände), Tötungsdelikte bolla, boule etc. s. Rat / legal code” ): (s. auch“K odifikation” code” “ 14ff.; “ 17ff.; 205 –akkadische, assyrische undsumerische : 16 codes” “ – c.”des Charondas (?): 17; 18; 77f.; 128f.;
“ 136ff.; 143f.; 159ff.; 205; 208ff.; 227; 130f.; 234ff.; 260f. – c.”des Diokles (?): 242ff.; 246 c .”Drakons (?): 17; 262f. –“ –“ Gortyn, (großer)“ c.”von: 14; 17; 22; 78f.; 117ff.; 127f.; 135; 140 –Gortyn, zweiter“ c .” : 124ff.; 127f. – c.”des Hammurabi: 16f. “ –Codex Iustinianus: 17
– codes”kretischer Städte (?): 18; 73; 76f.; “ 97; 107; 108; 149f.; 198; 232; 237 94f.; – K odifikation”des Nikomachos: 17 –Solons Gesetzgebung als“ “ c.”(?): 14; 17; 65f.; 263ff.
– c.”des Zaleukos (?): 17; 18; 131; 137f.; “ 187ff.; 198; 205; 241; 246; 260f. 161f.; –Zwölftafelrecht: 17; 113f.
Delphi, Orakel undHeiligtum desApollon: 13;
49; 165ff.; 252; 255; 283; 284
demos/damos: 20; 26; 134; 224f.; 270f. –d. V ersammlung (s. auch Agora; Polis; = Versammlung/Volksversammlung): 80ff. (Chios); 103f. (Elis); 156 (Korinth); 173 (Kyzikos); 203 (Mantineia); 65; 270f.; 272f. (Sparta); 256; 259f.; 270 (Tiryns) –damos plathyon (Elis): 104; 105 –damos = Polis: 85 – damosios/demosios/-ion (Bedeutungen):
67f.; 85; 105; 156; 203; 259
diaitetes (s. auch Schiedsrichter): 166A.2; 167 diallaktes (s. auchSchiedsrichter): 12; 275 dike: 29; 276f. (allgemein); 276 (Göttin)
323
Ephorat s. Amt/Ämter epikleros s. Gesetz (konkrete Gegenstände), Erb-/ Erbtochterrecht Erbrecht s. Gesetz (konkrete Gegenstände), Erb-/ Erbtocherrecht
eunomia: 29; 35; 276 –Nomotheten als Stifter dere. (s. auch
als Stifter vonOrdnungen/ Gesetzgeber” “ Verfassungen): 49f.; 60f.; 65f. Fixierung (vonGesetzen, Recht) s. Gesetz; Schriftlichkeit Formalisierung (von Verfahren etc.) s. Polis
Gericht (s. auchGesetz (konkrete Gegenstände), Verfahrensregeln/Prozeßrecht) –Gerichtszwang: 14; 108f. –Gerichtsverfahren: 14; 108f.; 198; 277 Gesetz
–Begriff: 27; 62ff.
–antike Bezeichnungen/Selbstbezeichnungen: ); 178; 186f. (“ das Beschlossene” Satzung” ;“ 104; 105; 106; 117; 273 (“ ); 104; Spruch” ); 105; 106; 277 (“ Schrift” /“ dasGeschriebene” 101; 278 (Träger: Stele, pinax)
–Autonomie: 279
–G. als Einzelregelung: 25; 71; 73; 76f.; 79; 87; 94f.; 97; 100; 107; 114; 118; 149; 176; 193; 219; 228; 230; 240; 264ff.; 267f. –Fixierung (s. auch Schriftlichkeit): 27; 77; 173; 268; 273ff.; 278f.; 280f.; 284 –öffentliche Aufstellung (s. auch Heiligtum): 27; 173; 278ff.; 281 –G. als Monument (s. auch Monumentalisierung): 278ff.; 284 –Präzision/Detailgenauigkeit derRegelungen: 107; 124ff.; 128; 134f.; 159f.; 173; 266f.; 273f.; 280f.
–Ratifikationsformeln: 77; 89; 90; 256; 259f.
–Sanktionen gegen Verletzung/Nichtbeachtung (s. auchGesetz (konkrete Gegenstände), Amtsvergehen): 69; 72; 76; 92; 101; 106; 117; 175; 200; 266f.; 269; 272; 279f.
–Sicherung gegen Änderung/Abrogation/Zerstörung: 139; 140; 180; 183; 184; 195f.;
197; 279
–Situations-/Anlaßgebundenheit: 25; 68; 73; 77; 93f.; 97; 107; 111; 118f.; 130; 185; 186; 218f.; 240; 267f.; 282 –sprachliche Form: 70; 96; 101; 105; 149; 159; 175; 227; 240
Gesetz (konkrete Gegenstände): 14;262ff. –Adoption (s. auchErb-/Erbtochterrecht):
43; 119; 127; 135f.; 151; 248ff.; 264f.
40;
324
Register
–Amtsvergehen: 70f.; 72; 81f.; 92; 99f.; 101; 120f.; 200; 269; 272 –Appellation/Berufung (s. auch Verfahrensregeln/Prozeßrecht): 82ff.
–Aufträge (Arbeiten, Fristen etc., s. auch
Vereinbarungen mit“ S pezialisten” ): 74ff.;
124
–Aufwand;
Luxus:
14; 41; 72; 113; 145;
147f.; 157f.; 189f.; 206; 222; 241; 246; 263f. –Bestattung: 14; 65; 119; 126; 146f.; 205f.; 222; 263f. –Bußen, Kompensationen (s. auchAmtsvergehen): 76; 93; 96f.; 101; 106; 107f.; 116f.; 118f.; 120; 125f.; 134f.; 150; 159; 160; 175f.; 200; 210f.; 259; 266f.; 273 –Ehe, Familie, Vormundschaft: 14; 40; 139f.; 143; 194; 263 –Erb-/ Erbtochterrecht (s. auchAdoption): 41; 65; 77ff.; 119; 122; 127; 135; 139ff.; 143; 179; 180; 182; 186f.; 228ff.; 245; 249; 263; 264; 265
–Güterverkehr,
Handel, Kredit:
191f.; 192f.; 222f.; 245; 264
14; 41; 136;
–Iteration/Iterationsbeschränkung: 87; 90;
92; 93f.; 121; 267; 268 –kleroi; Grundeigentum: 14; 39; 40; 41f.; 97ff.; 135f.; 150ff.; 176ff.; 182ff.; 191f.; 248ff.; 264f.; 265f. –Kolonie (Aussendung/Status derKolonisten etc.): 249; 253ff.; 265; 268 –Körperverletzung/tätlicher Angriff: 107; 134; 195; 223 –Nachbarrecht (s. auch Wasser-/Wege-/ Weiderecht): 263; 266 –Privilegien (Atelie etc.): 74ff.; 101ff.; 124; 172 –Sakralsatzungen: 67; 72f.; 76; 87; 89; 97; 105; 119; 147f.; 148f.; 158f.; 210f.; 228; 231; 251f.; 265; 267 –Schuldrecht: 14; 97; 125; 126f.; 263; 268 , Lebensweise (s. auch Aufwand, – S itten” “ Luxus): 16; 32; 39; 97; 139f.; 141ff.; 144f.; 147f.; 189ff.; 205f.; 221ff.; 241; 246; 250f. –Strafen/Strafrecht: 14; 22; 70; 81f.; 92f.; 105; 116f.; 138f.; 141f.; 193ff.; 240; 245; 263; 273 –Tötungsdelikte: 14; 21f.; 70; 77; 79; 120; 143f.; 149; 165; 175f.; 186; 204; 262; 264; 265; 267f.
–Vereinbarungen
mit“ (s. auch S pezialisten” Aufträge; Privilegien): 74ff.; 100ff. –Verfahrensregeln/Prozeßrecht: 70f.; 82ff.;
86; 96; 108; 114; 116; 119f.; 122; 125; 126;
127; 133; 163; 165; 193; 198; 200; 204; 207; 266 –Vertragsrecht (s. auchGüterverkehr, Handel, Kredit): 32; 191f.; 245 –Wasser- /Wege- /Weiderecht: 40; 119; 126; 201; 204; 266 (s. auchNomothesie/Nomotheten) Gesetzgeber” “ – B iographien”allgemein: 22f.; 44ff.; 53 –einzelne Legenden undTopoi: 48 “ (Herkunft); 45ff. (Erziehung, Reisen, Kontakte); 47f.; 132 (göttliche Inspiration); 48ff. (Berufung); 50f.; 52 (Einäugigkeit); 51ff. (Exil/Tod)
–alsprotos heuretes: 56ff. –alsStifter vonOrdnungen/Verfassungen: 23; 29; 37ff.; 53ff.; 58f.; 115
–bei Aristot.: 41ff.
–bei Plat.: 38f.; 41 –moderner Begriff: 11; 13ff.; 60 / Gesetzgebung (s. auch“ c ode” ; K odifikation” “ ) Rechtskodifikation” “ –in derantiken Tradition: 22f.; 29ff.; 48ff.; 53ff.
–als Begriff füreinformales Verfahren (s. auch Polis, Institutionalisierung/Formalisierung: 20; 27; 63; 104; 106; 124; 181; 186; 197; 256; 259f.; 270ff.; 277; 284 Gortyn (“ , Gortyn Recht”von) s.“c ode”
Grundbesitz/-eigentum s. Gesetz (konkrete Gegenstände), kleroi etc. Heiligtum (s. auch Polis, Tempel): 26; 278;
279; 284; 285 –als Ort derVeröffentlichung/Aufbewahrung vonGesetzen: 67ff.; 71f.; 73f.; 77; 87f.; 95; 107; 117f.; 177; 199; 203f.; 232; 237; 239; 257f.; 260; 279; 281 –Aphrodite oder Artemis (Axos): 73f. –Apollon: 73f. (Axos); 88f.; 271 (Dreros); 117f. (Gortyn); 177; 183 (Naupaktos); 231 (Phleius); Delphi s. dort –(Athena) Alea (Mantineia): 204 –Athena (Polias): 67; 70f.; 251 (Argos); 251f. (Thera); 257f. (Tiryns)
–Demeter (Thesmia) (Pheneos?): 71ff. –Heraion: 67; 69 (Argos) –Hestia (Boulaia): 80f.A.6 –Zeus (Olympia): 99ff.; 239f.
Institutionen/Institutionalisierung s. Polis isonomia: 29; 276 katartister (s. auch Schiedsrichter): 12; 166f. klaros/kleros s. Gesetz (konkrete Gegenstände), kleroi etc. Kleidung derFrauen s. Gesetz (konkrete Gegenstände), Aufwand
325
1. Begriffe undSachen / R echtskodifikation”(Begriff und Kodifikation” “ “ 16ff.; 60ff.; 262; 267 Inhalt): 11ff.; ;“L ösungen” – nomothetische Prinzipien” “ Ziele (?): 16; 19; 20f.; 23ff. und
–Umfang undSystematik: 14ff.; 17f.; 20; 22; 23f.; 136f.; 187f.; 206f.; 262 –(“ gemäßigt” )“aristokratische” ,
158 (Korinth); 111; 130; 167ff.; 268; 284;
285(Kyrene); 111(Samos) –Phylenkönige: 84 (Athen)
Polis (s. auch Stadtstaat/Stadtstaatlichkeit) –Entstehung: 11ff.; 26f.; 268; 270ff.; 279;
281ff. : 11f.; 19; der P. als“R echtsstaat” – Idee” 23f.; “ 25; 61
o ligarchische” oder“ konservative” “ bzw.“ reformerische” demokratische” oder“ Tendenz (?): 111f.; 115; 129; 131f.; 133f.;
–Institutionalisierung/Formalisierung von
136; 163; 171; 173f.; 191f.; 197f.; 203; 207f.; 212; 217; 220f.; 234f.; 250 , politische“G rundordnung” – V erfassung” “Gegenstand (?): 13f.; 20f.; 24; 86; 112; als 114; 115; 155; 157f.; 171; 188f.; 207f.; 212; 217; 223; 226; 234; 263; 264 –alsWerkeinzelner“ G esetzgeber” c ode” s.“ /
106f.; 121ff.; 156; 184; 186; 202; 259f.; 268; 270ff.; 277; 281f. –Institutionen (s. auch Amt; Rat; Versammlung): 12; 26; 71; 90ff.; 103ff.; 124; 183ff.; 259f.; 268; 270ff.; 277; 281 –Tempel: 26; 88; 257f.; 278; 281; 284 –p. als Versammlung (s. auch Agora;
legal code” “ Kolonisation: 26; 155; 283 (allgemein); 77f.; 128f.; 162; 227; 234; 260 (chalkidische K.) kosmos/kosmoi s. Amt kyrbis/kyrbeis: 22A.14; 80; 238f.; 278 leges sacrae s. Gesetz (konkrete Gegenstände),
Sakralsatzungen Luxusgesetze s. Gesetze (konkrete Gegenstände), Aufwand
Magistrat/Magistratur s. Amt Monumentalisierung (Begriff): 278ff.; 284 Mündlichkeit s. Oralität; Stadtstaat/Stadtstaatlichkeit, Debattenkultur nomia: 186f. nomologisches Wissen: 275ff.; 279; 280; 283 Nomophylakie: 32 nomos (s. auch Gesetz, Begriff): 26; 27; 29; 276; 277; 285 (allgemein); 114; 276 (bei Heraklit); 34f. (bei Plat. undAristot.); 57 (in der Sophistik) –alsmoderne Kategorie: 11 Nomothesie/Nomotheten (s. auch“ G esetzgeber” ; ): 28f.; /“ Rechtskodifikation” Kodifikation” “
285 –in derantiken Tradition: 28ff.; 33f.; 44ff.; 60f. –als Erzieher, Baumeister, Steuermann: 37f. –N. und“V erfassungsstifter”: 42ff.; 133; 221 –bei Plat. undAristot.: 34ff.; 42ff.; 61; 152ff.
Oralität (s. auch Stadtstaat/Stadtstaatlichkeit, Debattenkultur): 252f.; 272f.; 275; 277 patroiôkos s. Erb-/Erbtochterrecht Phylen/Phylenordnung/-reform: 110f.; 284; 285 (allgemein/vergleichend); 111; 169; 284 (Athen); 83f.; 86 (Chios); 89 (Dreros); 110f. (Ephesos); 130(Himera); 284 (Kamarina);
Verfahren: 27; 63; 71; 84; 90f.;
94; 103;
demos/damos; Versammlung/Volksversammlung): 270f.; 279; 282 (allgemein);
183
(Delphi); 90f.; 92; 256; 270; 272 (Dreros); 183 (Lokris) politeia: 30ff. (allgemein); 34ff.; 41; 43f.; 205; 207f. (bei Plat. undAristot.)
Rat: 26; 84ff.; 184
–apoklesia (Lokris): 183f.
–Areopag (Athen): 84; 184
–bola, bolla etc.: 70f. (Argos); 76 (Axos); 104; 106 (Elis); 86; 225 (Mytilene) –bole demosie: 80; 83ff.; 112 (Chios) –boule: 112 (Athen); 170 (Kyrene) –epikletoi (Ephesos): 111f. –epimenioi (?): 213 (Milet) –gerousia: 111f. (Ephesos); 171 (Kyrene);
39; 60; 273 (Sparta)
–preiga: 183f. (Lokris) –preisgeia (Rhizenia): 237
–RatderAchtzig (Korinth): 158
–Rat derNeunzig (Elis): 106 –Rat(?) der“ 101” (Lokris): 184f. –Ratder200 Bakchiaden (?) (Korinth): 156 –Rat(?) derVierhundert (Leontinoi): 175 – Rat der 400”(Athen): 84 –“ Rat der500 (Athen): 112 –Rat der500 (Elis): 105f. –Ratder600 (Massalia): 207f. –Zwanzig derPolis (Dreros): 85; 90ff. K odifikation” Rechtskodifikation”s.“ “ rhetra/rhetrai (s. auch Gesetz, antike Bezeichnungen/Selbstbezeichnungen)
–demorhetrai (Chios): 81ff.; 271
–rhetrai (Elis): 75f.; 77; 100ff. –Große Rhetra (Sparta): 22; 55; 270f.; 272f. Satzung
s. Gesetz
326
Register
Schiedsrichter (s. auch Aisymnet/Aisymnetie; diallaktes; katartister): 12f.; 28; 110; 165f.;
172; 211ff.; 215ff.; 226
Schriftlichkeit: 274ff.; 280 –„dasGeschriebene“(tographos etc.) als Bezeichnung fürGesetz s. dort, antike Bezeichnungen/Selbstbezeichnungen Schuldrecht s. Gesetz (konkrete Gegenstände)
Selbsthilfe: 14; 108; 267f. Sieben Weise: 13; 158; 219f.; 232 Sparta als Vorbild und M ythos” : 53ff.; 56; 58 “ (Hdt.); 38f.; 40; 54 (antike Tradition); 53f. (Plat. undAristot.)
/ legal code” c ode” s.“ Stadtrecht” “ Stadtstaat/Stadtstaatlichkeit “ (s. auch Polis): 11f.;
20f.; 26; 268; 270; 272f.; 279; 282ff. –Debattenkultur (s. auch Oralität): 272f.; 277; 280 –face-to-face society (Begriff): 280 –stadtstaatliche Kultur: 26; 280ff. –peer polity interaction (Konzept): 26; 283f.
Strafrecht
s. Gesetz (konkrete Gegenstände)
Talion: 139; 194f. Tausend (s. auchVersammlung/Volksversammlung): 161f. (Kroton); 163f.; 236 (Kyme i.d.Aiolis); 196f.; 210 (Lokroi Epizephyrioi); 180ff. (Opus/Lokris); 235; 236 (Rhegion)
–angeblich typisch“oligarchisch” : 161f.; 163
Tempel s. Heiligtum; Polis themis: 29; 276 (allgemein); 271 (Göttin) –themistes: 19 Tyrann/Tyrannis: 12f.; 157(allgemein); 109ff. (Ephesos); 157f. (Korinth); 211ff. (Milet); 219ff. (Mytilene) –T. undGesetzgebung (s. auchdort): 12f.;
157f.; 220f.
s. Gesetz (konkrete Gegenstände) / K odifikation” Verfassungsrecht”s.“ “ Rechtskodifikation” “ Versammlung/Volksversammlung (s. auch Agora; Polis): 26; 270ff.; 277; 281; 282 (allgemein); 107(Eltynia); 115A.9 (Eretria); 156 (Korinth); 197; 200 (Lyttos); 171; 256 (Thera) Verfahrensrecht
–aliaia: 70f.; 259f. (Argos); 259 (Tiryns) –pletha (Naupaktos): 180; 181f.
–die“T ausend” : 180ff.; 236 (Opus); 181;
196f.; 236 (Lokroi Epizephyrioi); 235; 236 (Rhegion) Zwanzig derPolis (Dreros) s. Rat c ode” /“ legal code” Zwölftafelrecht s.“
2. Historische undmythische Personen Aigimos: 55 Alkaios: 85; 86; 223ff. Alyattes: 214; 232 Ameinokles: 57 Amphitres: 211; 214 Anacharsis: 45 Anaxilaos/ Anaxilas: 79; 132A.8; 234; 261
15; 42; 43; 77ff.; 110; 133; 143; 176; 236; 248; 249 Antimenidas: 224 Androdamas:
Antiphanes: 28 Aristagoras: 164 Aristarchos: 110; 111f.; 212 Aristeides: 56 Aristeides, „ Gesetzgeber“vonKeos: 144f.; 147;
148 Aristodemos: 162; 163 Aristokrates: 28; 236 Aristonymos: 32 Aristoteles: 30ff.; 44; 53; 54; 58; 61f.; Aristoxenos: 31; 33 Arkesilaos II.: 168; 171 Arkesilaos III.: 171 Battos I.: 168; 252f.; 254
66; 152f.
Battos II.: 167f.; 255 Battos III.: 169; 170; 171
Bias: 232f.
Buzyges: 167 Chairemon: 28 Charondas: 14; 18; 23; 28; 33; 38; 41; 42; 43;
44; 45; 46; 48; 49; 50; 52; 78; 79; 128f.;
130ff.; 145; 159ff.; 161f.; 162f.; 163; 167; 173ff.; 176; 187; 188; 192; 195; 205; 208ff.; 220; 221; 222; 227; 234ff.; 241; 242f.; 245; 246; 247; 248; 249; 260f.; 284
Damasenor: 214 Demetrios vonPhaleron: 31ff. Demonax/Damonax: 23; 110; 111; 132A.8;
166ff.; 212; 217; 268; 284; 285
vonEretria: 115 Diagoras, „ Gesetzgeber“ Diagoras vonMelos: 203 Dikaiarch: 31 Diokles aus Korinth: 244; 247 Diokles, „ Gesetzgeber“vonSyrakus: 22; 33; 52; 138; 141; 206A.13; 242ff.
Dionysios: 243 Drakon: 17; 22f.;
42; 43; 53; 55; 65; 133; 175; 189; 248; 262f.; 265; 267
327
2. Personen Epimenes, „ Aisymnet“in Milet: 211ff. Epimenides: 45; 46 Eudoxos: 33 Eurysthenes: 55 Gelon: 239; 244 Hammurabi: 16f. Helianax: 28; 129 Helikaon: 28; 236 Herakleides Lembos: 31 Herakleides Pontikos: 30f.; 33 Heraklit: 112; 114 Hermippos: 31; 33 Hermodoros: 112; 113; 114 Hieron: 242 Hippodamos von Milet: 15 Hippokrates, Tyrann vonGela: 174 Kadmos: 251 Kekrops: 167 Kephalos; 242; 244; 245
Kikis: 224 Kleisthenes: 111; 158; 169; 284 Krisos: 28 Kroisos; 109; 220; 232 Kylon: 267 Kypselos: 151; 156; 158
Leodamas: 211; 214 Lykurg: 22f.; 28; 29; 38; 39; 42; 44; 45; 46; 48;
49; 50; 51; 52; 53ff.; 56; 58; 65; 130 133; 146; 167; 187; 188; 221; 242; 245; 251
Mardonios: 111 Medikes: 172 Megakles: 223 Melanchros: 224 Menedemos: 33 Miltiades: 56 Minos: 38; 47; 48; 57 Myrsilos: 224 Nikodoros: 115; 203 Nikomachos: 17 Onomakritos: 42; 44 Oxylos: 50; 97; 99; 135; 249 Panaitios, Tyrann in Leontinoi: 173; 174; 235 Pankis: 168 Parmenides: 30 Pasikles: 109 Penthilos: 223 Periander: 151; 156; 157f.; 201A.27; 213A.12;
214; 219A.4 Perikles: 56 Pheidon vonArgos: 57; 135; 150; 152A.9 Pheidon, „ Gesetzgeber“von Korinth: 15; 98; 133; 150ff.; 248; 250; 268
Gesetzgeber“ Pheidon, „ vonKyme: 163f.
15; 42; 98; 133; 135; 151; 153; 154; 155; 244; 246ff. 268
Philolaos:
Phobias: 28 Phormion: 33 Phytios: 28; 236 Pindaros: 109f. Pittakos: 15; 23; 28A.3; 42; 43; 85; 133; 145;
146; 191; 192; 212; 219ff.; 248; 268
Platon: 30ff.; 44; 53; 54; 58; 61f.; 152f. Polydoros vonSparta: 55 Polydoros aus Syrakus: 242 Polykrates: 111; 171 Prokles: 55 Prometheus: 163f. Protagoras: 137; 142; 241 Pyrrhias: 28 Pythagoras: 45; 46; 48; 58; 114; 128; 131; 148;
161; 167; 188; 236 Pythagoras, Tyrann von Ephesos: 109; 111; 167 Rhadamanthys: 47; 48 Sappho: 222; 223 Smerdes: 223
Solon: 14; 17; 22; 23; 28; 29; 33; 38; 41; 42;
44ff.; 48; 50; 51; 53; 55f.; 58; 65; 66; 79; 80; 84; 98; 125; 130; 133; 140; 141; 145; 146; 147; 187; 189; 201A.27; 206; 212;
220; 221; 222; 224; 232; 242; 245; 249; 263ff.; 266; 275 Speusippos: 30 Stesichoros: 129
Teisamenos: 55 Thales vonMilet: 45; 46; 188 Thaletas/Thales aus Kreta: 44; 45 Themistokles: 56 Theokles/Theaitetos: 28; 236 Theophrast: 30; 31f.; 33; 136 Theopompos: 55 Theseus: 56 Thoas: 214 Thrasybulos; 213A. 12; 214 Timares/Timaratos: 28 Timoleon: 242; 244; 245 Triptolemos: 167 Tynnondas: 28 Tyronidas: 28 Xenokrates: 30 Zaleukos: 14; 17; 18; 22; 23; 28; 33; 42; 44;
45; 46; 48; 50; 51; 130; 131; 132; 133; 134; 138; 139; 141; 142A.79; 145; 160; 161f.; 187ff.; 205; 210; 220; 221; 236; 241; 242; 246; 247
328
Register
3. Belege a) Literarische Zeugnisse Ael.var.hist.
Andok.
2,7: 251A.37 3 2,23: 115A.6; 203A.1– 2,37: 189A.15; 190A.20;
1,81f.: 55A.90 1,83: 55A.86; A.90 1,95: 55A.88 111: 55A.88
241A.5
2,38: 145A.13; 190A.21; 206A. 16 2,39: 209A.7 2,42: 32A.43 3,17: 33A.47; 129A.9; 131A.2; 189A.13; 220A.6; A.9; 234A.4 3,26: 109A.2 9,25: 157A.41 10,18: 129A.13 12,30: 33A.46 12,54: 33A.47 13,23: 50A.59; 54A.75 13,24: 51A.62; 139A.59; 189A.13; 194A.44 frg.48: 109A.2 frg.49: 109A.2 Aischin.
AGI S.200 s.v.Β ρ ό χ ο : 50A.55 ς Anon.Iambl. (FVS 89)
6,1ff.: 49A.48 Antiochos v. Syrakus (FGrHist 555)
F 9: 129A.8; 234A.1; 260A.4
Apollod.Bibl.
2,8,3: 50A.58; 97A.1 Apollod. (FGrHist 244)
F 27: 225A.49
Apollon.Argon.
4,700ff.: 149A.8 Apollothemis (FHG IV)
S.314: 52A.67
1,6ff.: 53A.72 1,152: 141A.78 3,2: 53A.72
Aristokrates (FGrHist 591)
Alkaios (LOBEL/PAGE)
Aristoph.Av. 1016: 200A.17 1013–
frg.38A: 223A.33 frg.48: 223A.33 frg.67, Z.4: 225A.46 frg.70: 85A.40; 225A.51 frg.72: 223A.33; frg.75, Z.12: 225A.46 54 frg.103B: 225A.53– frg.106, Z.3: 225A.46 frg.129: 85A.40; 225 A.44; A.45; A.48; A.51 frg.130, Z.18ff.: 86A.46 frg.332: 223A.33 frg.346: 223A.33 47 frg.348: 225A.46– frg.352: 223A.33 frg.364: 224A.40 frg.401 a-b: 223A.33 frg.429: 225A.44 Anaximander (FVS 12)
B1: 276; 277A.13
F 2: 46A.15 F3: 52A.67
1660ff.: 55A.88 Schol.Aristoph.Av.
1013: 200A.17 Aristoph.Nub.
1187ff.: 55A.88 1420ff.: 57A.102 Aristot.EN
1108b3ff.: 37A.26 1113b30ff.: 43A.72; 191A.24; 222A.19 1113b31ff.: 145A.14 1128a29ff.: 36A.19 1129b14ff.: 35A.10 1130b22ff.: 35A.10 1137b11ff.: 36A.20 1141b24ff.: 38A.28 1141b32: 38A.28 1155a23ff.: 38A.30 1167a30ff.: 225A.47
1180a1ff.: 36A.19 1180a21ff.: 35A.9; 36A.16 1180a33ff.: 36A.19 1180b23ff.: 37A.26 1181a12ff.: 44A.1 1181b7ff.: 44A.1 1181b12ff.: 35A.12; 43A.73 1181b20ff.: 35A.12 Aristot.Magna Mor. 1198b27ff.: 36A.20 Aristot.Pol. 1218a28ff.: 35A.10 1252b12ff.: 130A.2; 132A.13; 135A.34 1252b14: 160A.5 1253a30ff.: 37A.25 1258a25ff.: 38A.34 1263a37ff.: 37A.26 1264b26ff.: 152A.10 1265a1ff.: 43A.73; 44A.77 1265a18ff.: 37A.24; 152A.10; 248A.14 1265a38ff.: 152A.10; 153A.13 1265b1ff.: 152A.10 1265b12ff.: 15A.18; 98A.6; 136A.36; 150A.1; 152A.10; 192A.31;
248A.15 1266a36ff.: 42A.60 1266b1ff.: 42A.60 1266b8ff.: 36A.19; 38A.32s 1266b14ff.: 42A.59; 98A.4; A.8; 192A.31; 265A.14 1266b15: 42A.60 1266b16ff.: 136A.36; 249A.21; A.23 23: 155A.24 1266b18– 1266b19ff.: 98A.5; 197A.67 1266b21ff.: 249A.19 1267b22ff.: 16A.22 1267b39: 16A.22 42: 165A.9 1268b39– 3: 15A.17; 163A.9; 1269a1– 165A.10; 176A.27 1269a13ff.: 37A.22 1269a29ff.: 36A.16; 38A.33; 54A.77 1269b12ff.: 39A.40 1269b29ff.: 38A.29
329
3. Belege 1270a4ff.: 39A.40 1270a19f.: 249A.20 1270b19f.: 39A.40 1270b21f.: 43A.74 1271a27ff.: 39A.40 1271b1ff.: 39A.41 1271b20ff.: 46A.13; 47A.26;
A.28 1271b31ff.: 47A.34 1272a16ff.: 201A.30 1272a21ff.: 36A.19; 38A.32 1272a34f.: 200A.20 1272b7ff.: 70A.23; 219A.12 1272b17f.: 200A.17 1273b27– 1274b28: 38A.32 1273b30ff.: 42A.61; 44A.76;
66A.18
1273b32ff.: 42A.62; 43A.73; 54A.77; 133A.16 1274a7: 56A.94 1273b35– 1274a22ff.: 15A.20; 42A.65; 130A.2; 131A.4; 133A.15f.; 137A.48; 197A.69; 235A.13 128A.6; 162A.3; 242A.7 1274a25ff.: 42A.64; 44A.2; 47A.28; 132A.7; 188A.5; 221A.16 1274a31ff.: 15A.18; 42A.64; 133A.17; 151A.3; 2 17; 247A.1– 221A.16– 1274b1ff.: 15A.18; 98A.7; 133A.17; 151A.4 1274b2ff.: 15A.20; 43A.70– 71; 155A.25; 248A.11 1274b5ff.: 15A.20; 43A.67; 43A.71; 130A.2; 132A.10; 133A.18; 235A. 13; A.17; 242A.6;
248A.10
135A.31; 160A.4: 176A.28 1274b15ff.: 43A.68; A.73; 133A.17 1274b17ff.: 15A.18; 42A.62– 63; 133A.17; 220A.9; 221A.17 1274b19ff.: 43A.70; A.72; 145A.14; 191A.24; 221A.18 1274b23ff.: 15A.20; 42A.64; 77A.1; 133A. 17; 143A.90; 176A.29; 236A.19 1274b36ff.: 44A.75
1274b38: 43A.74 1278a25f.: 250A.33 1278b8ff.: 43A.74 20 1282b1ff.: 36A.19– 1282b10ff.: 37A.21 1283b37ff.: 35A.10 1284a11ff.: 34A.3 1284a26ff.: 157A.42 1284b17ff.: 37A.24 1285a29ff.: 13A.8; 42A.63; 213A.12; 219A.4; 221A.15; 224A.38; 225A.47 1285b1f.: 219A.4 1285b25: 221A.15 26: 13A.8 1285b25– 1286a9ff.: 34A.3 1286a22ff.: 37A.27 1286b38f.: 221A.15 1287a28ff.: 35A.9 1287b1ff.: 34A.4 1287b15ff.: 36A.20 1288b25ff.: 37A.27 1289a15ff.: 43A.73; 42A.74 1290a7ff.: 43A.74; 221A.15 18: 13A.8 1295a10– 1295b28: 216A.41 1296a18ff.: 42A.66; 48A.44; 235A.16 21: 130A.2 1296a19– 1296b34ff.: 37A.24 1297a14ff.: 41A.58; 134A.25;
235A.15 1297a21ff.: 41A.58; 130A.2; 133A.22; 235A.14 1297a34f.: 41A.58 1297a35ff: 37A.21; 38A.32; 134A.25; 235A.15 1297b37ff.: 36A.19; 37A.24; 38A.32 1303a35: 130A.18 1304a27ff.: 243A.12 1305a15ff.: 212A.8 26: 201A.29 1305a24– 1305b2ff.: 207A.25; 205A.3 1305b10ff.: 207A.26 1306a12ff.: 103A.47 1306a14ff.: 106A.70 1306a35f.: 115A.4 1306a37-b2: 49A.50 40: 197A.65 1307a33– 1307b13ff.: 142A.84 1309b35ff.: 38A.32 1310b29ff.: 173A.5
1311a20ff.: 157A.42 1311b26ff.: 223A.34 1313a25ff.: 55A.81 1313a34-b32: 157A.42 1316a34ff.: 173A.3; A.5; 235A.9 1318b23ff.: 203A.5 1319a6ff.: 249A.23 1319a9ff.: 136A.36 1319a10ff.: 42A.59; 98A.4; 155A.24; 192A.31; 249A.21 1319a12ff.: 50A.58; 97A.2; 249A.24 1319b6ff.: 169A.28 1319b19ff.: 169A.28 1319b33ff.: 38A.32 1321a26ff.: 205A.3; 250A.33 1321a29ff.: 205A.3; 207A.25 40: 209A.11 1321b34– 1323a2: 32A.41 1322b37– 1324b5ff.: 39A.43 1325a6ff.: 37A.27; 38A.32; 38A.29 35 1326a5: 38A.34– 1325b40– 1326a29ff.: 35A.11 1326a35-b5: 38A.35 1329b1ff.: 47A.34 1333a17ff.: 37A.27 1333a37ff.: 36A.19; 37A.27; 38A.32f. 1333b10– 1334a11: 39A.41 1334a3ff.: 38A.30; 38A.32 1334a9ff.: 37A.26 1334b28ff.: 36A.19; 38A.32 Aristot.Rhet. 20 1354a31-b15: 36A.19– 1354b4ff.: 38A.32 1360a17ff.: 35A.12; A.14; 36A.16; 37A.27 1393b8ff.: 129A.13 1398b8ff.: 55A.86 1398b16ff.: 38A.37, 55A.86 1402b9ff.: 43A.72 1402b12ff.: 145A.14 1409b8ff.: 191A.24; 222A.19 Aristot.frg. (ROSE)
97: 251A.36
98: 78A.3 502: 251A.37 534: 29A.8 535: 48A.40 42; 50A.56; 548: 48A.41– 189A.13; 197A.68
330 549: 204A.1 576: 233A.6 611: 31A.28; 39A.39; 54A.80 657: 33A.47 [Aristot.] Ath.Pol.
3,4: 81A.10 4,1ff: 43A.69 4,2ff.: 263A.5 5,1f.: 50A.53 7,1: 56A.92 7,2: 50A.54
8,4: 84A.34 9,1: 84A.28
11,1: 50A.54 11,1f.: 52A.64 13,1: 70A.23; 219A.12 16,2ff.: 157A.41 29,3: 56A.93 93, 41,2: 43A.69; 56A.92– 263A.5 [Aristot.] Problemata
920a2: 209A.8 919b37– [Aristot.] Rhet.ad Alex. 1420a25ff.: 35A.10 1422a2ff.: 35A.10 1422b5ff.: 36A.19 1424a10ff.: 35A.10 Aristoxenos (WEHRLI)
11; 128A.4; frg.17: 45A.10– 4; 161A.3; 131A.3– 188A.6; 234A.3; 241A.3 46: 31A.31 frgg.42– frg.43: 45A.10 frg.44: 33A.48; 52A.67 Athen.
4,141Aff.: 31A.30 4,154D: 31A.27; 166A.9 6,227E-228B: 157A.40 9,410A-B: 149A.8 10,429A: 189A.13, 190A.20; 241A.5 10,429A-B: 145A.13; 190A.21 11,502B: 77A.2 11,508A: 138A.51; 189A.13; 241A.7 12,512F: 129A.13 12,519B-520C: 241A.2 12,521B: 246A.27 12,521B-E: 145A. 10; 241A.2 27 12,523F-524B: 214A.26– 12,524A: 215A.31 12,526A-B: 236A.21
Register
12,526C: 236A.21 13,555C: 31A.27 13,576A-B: 204A.1 13,610D: 144A.2 14,619B: 31A.27; 132A.8; 159A.2; 208A.5 14,648D: 31A.31 Baton v.Sinope (FGrHist 268) F 2: 109A.2
Bias (FVS 10) S.65 (3): 233A.8
Cic.Tusc. 5,10: 45A.11 5,26,105: 113A.29 Clem.Alex.strom.
1,16,76,5: 208A.6 1,26: 189A.13 41 1,170,3: 48A.36– Demetrios
v. Phaleron
(WEHRLI)
p.205: 78A.3
frg.15: 32A.36 frg.16: 32A.36 frg.32: 32A.38 frg.135: 32A.38 frg.139: 146A.18 147: 31f.A.33 frgg.139– frg.147: 33A.49
Chamaileon (WEHRLI)
Demodokos (WEST)
Caes.civ. 1,35,1– 3: 207A.21 Carmen populare (DIELS II 44)
frg.13: 48A.38; A.41; 189A.13 Charon v. Lampsakos (FGrHist 262)
T 1: 47A.33
Cic.Att. 2,2: 31A.29 6,1,18: 188A.7; 194A.43 13,32: 31A.30 Cic.Flacc. 25,63: 205A.2 Cic.leg. 1,22,57: 131A.2 110; 15: 59A.109– 2,6,14– 189A.13 2,6,15: 188A.7; 194A.43 19; 2,23,59: 146A. 18–
206A.11
2,24,63f.: 32A.38; 206A.11 26,66: 222A.22 2,25,62– 26,66: 146A.18 2,25,63– 2,25,64: 146A.19 2,26,65f.: 146A.17 2,26,66: 222A.21 3,5: 59A.110 3,7,16: 55A.81 3,14: 31A.23 Cic.nat.deor. 3,91: 48A.40 Cic.rep.
1,3: 30f.A.21 1,27,43: 205A.2 1,28,44: 205A.2 2,2: 32A.36; 47A.34 2,33,58: 55A.81
frg.6: 233A.10 Demosth.
22,30ff.: 56A.92 24,205: 84A.28 24,114: 84A.28 24,139: 195A.50; 196A.57 24,139ff.: 50A.55; 139A.58; 189A.12; 195A.54 24,140f.: 139A.59; 194A.48 24,141: 196A.61 24,192: 16A.22 43,54: 140A.67 47,51: 133A.18 [Demosth.] 59,75: 56A.93 Diagoras (PAGE)
frg.1 = 738: 203A.2
v. Megara (FGrHist 485) Dieuchidas
F 5: 54A.75
Dikaiarch (WEHRLI)
frg.1: 31A.29 frg.29: 31A.29 frg.30: 233A.15 frg.32: 232A.2 72: 31A.30 frgg.70–
Dio Chrys.or. 2,29: 33A.47 47,8: 33A.47 Diod.
95,6: 46A.17 1,94,1– 1,96,2: 46A.14; 46A.16 4,60,3: 47A.32
331
3. Belege 5,78,3: 47A.34 7,9,3ff.: 153A.16 7,9,6: 156A.30; A.32 7,12,1ff.: 54A.76 7,12,5f.: 55A.82 7,12,6: 271A.3 7,12,8: 49A.52 7,13,2: 70A.24 8,23,2: 234A.1 8,23,4: 191A.26 8,30,2: 166A.2 9,11,1: 219A.1; 220A.5– 6; 224A.39 9,12,1: 224A.42 9,27,4: 220A.7 11,4,7: 180A.29 11,38,2f.: 146A.15 11,38,5: 244A.16 11,48,2: 261A.5 11,54,1: 97A.3 11,84,7: 178A.9 11,90,3: 241A.2 12,9,1f.: 241A.2 12,9,4: 161A.6 12,11,1: 50A.56 12,11,1ff.: 137A.47 12,11,3f.: 46A.22; 141A.70 19,3: 130A.2; 137 12,11,3– 19,3: 33A.50 12,11,4– 12,12,1: 142A.84 12,12,1ff.: 141A.70ff. 12,12,4: 142A.81, 160A.12 4: 142A.81 12,13,1– 12,13,4: 161A.12 12,14,1: 141A.78; 142A.85 12,14,2: 143A.86
3: 143A.88 12,15,1– 2: 142A.79 12,16,1– 12,17,1ff.: 50A.55; 139A.57; 195A.55 12,17,2: 196A.61 12,17,3: 137A.47; 139A.62 5: 139A.59; 195A.53 12,17,4– 12,18,1: 137A.47; 141A.70 12,18,1f.: 139A.63 12,18,3: 46A.23; 135A.35 12,18,3f.: 78A.3; 140A.66 12,18,4: 140A.66; A.68 12,19,1f.: 52A.68; 138A.55; 243A.9 12,19,2: 52A.69 21,3: 189A.13 12,19,3– 12,20,1: 45A.10, 48A.43; 188A.6; 189A.14
21,3: 33A.50 12,20,1– 12,20,2: 59A.109 12,20,2f.: 189A.14 12,20,3: 189A.15 12,21,1f.: 145A.9; 190A.17; 241A.5; 246A.28 12,21,3: 189A.15; 192A.35 12,53,1: 173A.1 12,54,4f.: 260A.2 13,19,4: 243A.11 13,33,1: 243A. 11 13,33,2: 242A.3 13,33,2f.: 52A.69; 242A.5; 243A.9 13,33,3: 138A.55 13,34,6: 243A.12–13 35,5: 33A.50 13,34,6– 13,35,1ff.: 242f. 13,35,3: 210A.18; 242A.2 4: 242A.3 13,35,3– 13,35,5: 138A.55; 243A.9; 243A.10; 246A.29 13,35,6: 242A.5 13,59,9: 243A.15 13,62,4: 129A.10 5: 243A.15 13,75,4– 16,52,9: 33A.47 16,70,5: 210A.18; 245A.25 16,82,6: 245A.25 16,82,6f.: 210A.18; 244A.18 16,90,1: 244A.16 Diog.Laert.
1,13: 232A.2 1,27: 46A.18; 225A.49 42: 232f. 1,40– 1,60: 141A.76 6; 224A.42 1,75: 220A.5– 1,76: 145A.14; 191A.24; 219A.3; 220A.6; 222A.19 81: 219A.2 1,76– 1,77: 220A.7 1,79: 220A.7 1,81: 225A.44 88: 232f. 1,82– 1,96: 157A.40 1,98: 157A.40 1,100: 213A.12 102: 45A.8 1,101– 3,23: 32A.43 21 4,12: 30A.20– 4,13: 30A.20 4,5: 30A.19 5,4: 33A.47 5,42: 30A.12
15 5,44: 30A.14– 13; 10; A.12– 5,45: 30A.9– A.17 12; A.16 5,47: 30A.11– 5,49: 30A.12 5,50: 30A.9 5,80: 31f.A.33; A.35 35 5,81: 32A.34– 5,86: 31A.23 24 5,87: 31A.23– 5,92: 31A.23 8,3: 45A.11; 46A.19 8,15: 31A.31 8,16: 45A.10; 131A.3; 188A.6; 189A.13
9,2: 112A.28; 114A.40 9,2f.: 113A.29 9,23: 30A.18 9,50: 31A.24; 137A.49 Dion.Hal.ant.
2,26,2: 220A.6; A.9 3: 222A.26 2,26,2– 2,61,2: 47A.34; 48A.38; A.40 3,36,4: 220A.7 5,73,3: 219A.4; 225A.47 7,3,1: 162A.1 11: 162A.4 7,3,1– 7,4,4f.: 162A.4 7,5,2: 162A.4 7,6,4f.: 162A.4 7,7,3: 162A.4 7,8,3: 162A.4 7,11,4: 163A.4 7,73,3: 213A.12 19,2: 234A.1 Dioskurides (FGrHist 594)
F 1: 50A.59
Diphilos (KOCK)
frg.32: 157A.40
70) F 2ff.: 57A.101 F 54: 166A.9 F 115: 97A.1 F 118: 29A.8; 48A.40; Ephoros (FGrHist
55A.85
F 122a: 97A.1; A.3 F 126: 110A.12 F 137: 227A.4 F 138a: 187A.1 F 138b: 46A.21; 187A.1
332
Register
F 139: 46A.21; 135A.30; 138A.54; 160A.7; 187A.2; 192A.34; 193A.42; 241A.7; 242A.9; A.6 F 140: 45A.5 F 147: 47A.31; A.34; 38; 57A.100 48A.37– F 149: 45A.6; 46A.13; 47A.25; A.31; A.34; 38; A.40; 55A.85; 48A.37– 57A.100; 157A.40 38; A.40 F 174: 48A.37– F 176: 57A.98 F 178: 157A.40 T 2a: 57A.101 T 33d: 57A.101 Eupolis Demoi (KOCK = KASSEL/AUSTIN V)
frg.100 = 104: 56A.91
Eurip.Phoenix (NAUCK)
Eurip.Suppl. 438f.: 272A.12 Hekataios v.Abdera (FGrHist 264)
F 25: 46A.14; A.16
F 82: 227A.5 F 116: 55A.84
1367: 166f. Herakl.Pont. (WEHRLI)
frg.50: 214A.26; 214A.27 frg.70: 215A.31 frgg.144ff.: 31A.23f.; 33A.49 frg.150: 31A.24; 137A.49 Heraklit
(FVS 22 = MARCOVICH)
A 3a: 113A.35 B 39: 233A.10 B 44 = frg.23: 114A.42 B 114 = frg.103: 114A.42 B 121 = frg.105: 112A.28 B 125a: 113A.35 [Heraklit] epist. (MONDOLFO-TARÀN)
Nr.7,: 113A.33 Nr.8: 113A.33; A.37 Nr.9: 113A.37 Hermippos (WEHRLI)
frg.812: 141A.78
Hellanikos (FGrHist
Herakl.Lemb. (POxy 11)
4)
Herakl.Lemb. (DILTS)
frg.9: 39A.39; 54A.80 frg.12: 249A.20 frg.13: 145A.11; 146A.16 frg.14: 47A.27; A.30 frg.18: 170A.36 frg.20: 157A.40 4 frg.28: 144A.3– frg.38: 164A.3; A.8 2; 181A.34; frg.39: 163A.1– 236A.21 frg.40: 115A.5 frg.42: 164A.7 frg.43: 164A.8 frg.55: 129A.9; 131A.4; 132A.8; 181A.34; 196A.62; 234A.1; A.3; A.8; 235A.10; 261A.6 frg.60: 191A.27; 192A.32 frg.61: 51A.62; 194A.45 frg.63: 79A.12
frg.7: 33A.49 frg.8: 33A.49 frg.10: 33A.49 frg.23: 33A.49 88: 31A.27 frgg.80– frg.82: 31A.28 frg.86: 33A.48 frg.88: 208A.5 Hermippos (FHG III)
frg.1 (S.36): 166A.9
7 (S.36f): 167A. 10 frgg.2– frg.7 (S.37): 130A.2; 132A.8; 159A.2; 208A.5 Hermippos, POxy 11,1367 2: 31A.27 frg.1–
frg.1, col.1: 31A.28 Herod.Mim.
2,46ff.: 130A.2; 134A.29; 159 2,48: 134A.28; 159 54: 134A.29; 159 2,50– Hdt.
1,17ff.: 214A.24 1,27,1ff.: 232A.4 1,29,1f.: 52A.64; 55A.86 1,29,2: 50A.54 34: 55A.87 1,30– 1,65: 46A.13; 47A.25; 48A.40 1,65,2: 49A.50 1,65,4: 47A.28
1,65,4f.: 49A.50; 54A.74 1,66,1: 29A.8 101: 49A.51 1,96,1– 3: 49A.51 1,97,1– 100,2: 49A.51 1,99,1– 1,170,1ff.: 233A.7 2,177,2: 55A.88 3,38,4: 285A.12 3,45,1: 256A.36 3,80,2: 171A.49 5: 171A.49 3,142,1– 3,142,3: 171A.49; 272A.12 4,97,5: 272A.12 4,145,5: 256A.36 153: 252A.11; 254A.23 4,150– 4,151,1: 256A.34 4,151,3: 256A.36 14; 256A.36 4,153: 253A.13– 156,2: 252A.11 4,154– 4,156,2f.: 254A.23; 255A.27 4,159,1: 168A.19 4,159,1f.: 255A.32 4: 167A.16 4,159,2– 4,159,4ff.: 168A.20; A.22 4,160,1ff.: 168A.23; 171A.43 4,161,1: 165A.1 4,161,2: 166A.2 4,161,3: 167A.12; 170A.30; 171A.48 4,163,1ff.: 170A.34 4,164,1ff.: 170A.34 4,165,1: 170A.38 5,28: 217A.44; 226A.1 5,28f.: 112A.26 5,28,1ff.: 214A.26; 216A.35 5,30,1ff.: 226A.1 5,31,1ff.: 226A.1 5,69,2: 56A.93 : 153A.16 5,92β 5,92ζ 1: 157A.40 -η 5,122,2: 215A.30 101: 115A.9 6,100– 6,106,3: 256A.36 6,127,3: 57A.98; 152A.9 6,131,1: 56A.93 7,43,2: 215A.30 7,156,2: 239A.2 7,185,2: 78A.3 104,5: 285A.12 7,102,1– 7,203,1: 180A.29 8,127: 78A.3
333
3. Belege Hes.Op.
9f.: 28A.3 37ff.: 20A.45 220f.: 20A.45 248ff.: 20A.45 258ff.: 20A.45 348: 164A.8 Schol.Hes.Op. 9f.: 28A.3 Hesych
s.v.ἀ ειν α ῦ τ α ι: 215A.31 s.v.δ η μ ιο γ υ ρ ό ς : 204A.10 s.v.Σ κ υ δ ικ α ί: 113A.34 Hipponax v. Ephesos (MASSON = WEST = DIEHL)
123 =123 =73: 233A.10 122– 128 = 128 =77, Z.4: 85A.37
Homer Il.
2,788: 271A.4 7,345: 271A.4 7,382ff.: 272A.12 7,416f.: 272A.12 9,9ff.: 271A.4 9,440f.: 271A.4 14,321f.: 48A.39 19,76f.: 272A.12 19,172f.: 272A.12 19,249f.: 272A.12 Homer Od. 2,26ff.: 271A.4 2,36ff.: 272A.12 6,266ff.: 271A.4 7,44: 271A.4 14,100– 102: 202A.32 16,361: 271A.4 Iambl.vita Pyth.
7,33: 131A.3– 4; 188A.6; 189A.13
23,104: 188A.6 25: 45A.11 27,130: 28A.5; 131A.3; 188A.6; 189A.13; 236A.18 30,172: 28A.5, 131A.3; 188A.6; 189A.13; 236A.18 33f.: 45A.10; 128A.4; 4; 234A.3; 161A.3– 241A.3
35,260: 196A.62 36,267: 131A.3; 188A.6; 236A.18 104: 45A.10; 161A.5
130: 45A.10; 172: 45A.10; 257: 161A.6; 260: 161A.6; 267: 45A.10;
161A.5 161A.5
236A.21 236A.21 161A.5
Isaios 1,39: 140A.67 Isokr.
4,39: 46A.24; 49A.49; 53A.73 93 7,16ff.: 56A.92– 155: 46A.24 12,152– 12,128f.: 56A.93 15,80ff.: 44A.1 93 15,232: 56A.92– 16,26f.: 56A.93
93 20: 56A.92–
Kallimachos (PFEIFFER)
frg.102: 109A.5 frg.43, Z.58ff.: 260A.3 Konon (FGrHist
F 1,4: 211A.3
26)
Kratinos (KOCK = KASSEL/AUSTIN):
frg. 274 = 300: 55A.89 Kritias (FVS 88) B 25: 49A.47; 57A.101
Liv. 3,31,8: 3,34,6: 5,34,8: 8,22,5:
114A.39 17A.31 204A.1 162A.1
Paus.
1,23,1: 219A.1 2,4,4: 153A.16; 156A.30 2,13,7: 231A.9 2,16,3f.: 218A.7 8 2,16,6: 218A.7– 2,18,1: 218A.7 2,21,3: 150A.8 2,22,6: 129A.13 2,23,7: 70A.24 3,2,4: 47A.25; A.34 3,16,6: 29A.8 3,18,2: 50A.59; 51A.61 4,1ff.: 97A.1 4,23,7: 260A.3 5,3,4: 50A.58 5,3,5ff.: 97A.1 7,10,2: 115A.9 8,15,4: 72A.3 8,21,3:
72A.3
8,48,1: 28A.4; 29A.7 9,2,3: 129A.13 9,11,2: 129A.13 10,24,1: 219A.1 Paus. (FGrHist 596) F 19b: 50A.59 F 19c: 50A.59; 51A.61 Philemon (KOCK)
Phlegon v. Tralles (FGrHist 257)
24ff.: 207A.22
F 1: 54A.75 F 2: 54A.75
Lys. 7,25: 123A.51 10,15ff.: 55A.88 10,16: 84A.28 26: 55A.86 30,2: 55A.86 30,28: 56A.91
Phokylides (DIEHL3 = GENTILI/PRATO)
frg.3: 216A.39 frg.4: 216A.38 frg.7: 216A.40 frg.12: 216A.41
Marmor Parium (FGrHist 239)
Photios Bibl.
13: 31A.30
A 36: 224A.36
F 50: 168A.23 F 52: 211A.3 4 F 53: 211A.3– F 56: 52A.67
F103aa: 47A.31; 57A.100
frg.183: 143A.86
Lukian.Tox.
Nicol.Dam. (FGrHist F 35: 152A.9
31; A.33 F 57,6: 156A.30– F 58,1: 157A.40 F 60,2: 158A.49
90)
186,44: 211A.3 : μ α s.v.Κ η υ θ ψ ά ν ε ἀ λ ν ιδ ῶ 157A.40 Phylarchos (FGrHist
F 42: 144A.2
81)
334 F 45: 145A.10; 241A.2; 246A.27 Pind.Ol.
10,17f.: 189A.11 Pind.Pyth.
1,121ff.: 55A.83 8: 252A.11 4,4– 63: 252A.11 4,59– 95: 252A.11 4,85– Pind. frg. (SNELL = BOWRA): 169 = 152: 285A.12 Schol.Pind.Ol. 10,17,i: 50A.56; 189A.13; 197A.68 42 11,17: 48A.41– 13,27d: 152A.9 Plat.Charm.
155A: 55A.87 157E: 55A.87 Plat.Cratyl. 388D-389A: 38A.35 428D-429B: 38A.35 Plat.Epist. 2,311A: 55A.87 7,354B-C: 38A.36 8,354B: 55A.81 Plat.Gorg. 44,2: 50A.59 Plat.Hipp.Maior
281C: 219A.1 284D: 35A.11; A.14; 36A.15 Plat.Kritias 108D: 55A.87
110B: 55A.87 113A: 55A.87 Plat.Laches
188B: 55A.87 189B: 55A.87 Plat.Leg. 624A: 48A.40 624A-B: 38A.36; 47A.34; 48A.38 626Aff.: 39A.41 626A-B: 38A.33; 38A.36 630A-D: 39A.41 630B-E: 38A.36 630D: 47A.34 630E-631A: 38A.29 631Aff.: 38A.32 631D: 37A.26 631D-632C: 36A.18; 48A.38 632C-D: 38A.32
Register
632D: 37A.27; 38A.36; 48A.40 636A-B: 40A.47 636D-E: 36A.18 937B-D: 133A.18 637D-E: 40A.48 638A-B: 189A.11 638B: 40A.44 656C-E: 40A.49 657B: 40A.49 660D-E: 40A.49 662C: 39A.42 664A: 35A.13; 38A.32; 38A.33 668A-B: 38A.33 674A: 40A.48 678A: 35A.14; 37A.24 683D: 55A.84 684A: 55A.84 684B: 39A.38 688A-B: 38A.29; 38A.32 688E: 38A.30 691C-D: 34A.4 691D-E: 37A.27 691D-692B: 39A.38 691E: 34A.51 691E-692A: 38A.36; 54A.79 692A: 55A.81 692B: 55A.84 693A: 39A.42 693B-C: 38A.30 694A: 40A.44 701D: 38A.30 705E-706A: 36A.15 706A: 38A.33 707D: 36A.15 713Aff.: 35A.7 713C-714A: 34A.4; 35A.7 714B-C: 35A.14; 36A.15; 37A.21 715B: 35A.10 715D: 34A.5 719D-E: 38A.32 722D-723A: 58A.105 723Bff.: 38A.32 734E-735A: 38A.34 737C: 152A.12 737C-745B: 36A.18 737E: 152A.11 739Bff.: 35A.13 12 740Aff.: 41A.52; 152A.11– 741A-C: 58A.107 741B-C: 41A.52; 152A.11 742C: 41A.54
742D: 37A.27 742D-E: 37A.25 743C: 38A.30 743D-E: 38A.32 744A: 38A.33 744E-746B: 37A.25 746C-747B: 38A.32 769D: 38A.32 769D-E: 37A.22; 37A.24 772A: 37A.22 772B-C: 37A.22 107 772E-773E: 58A.105– 774C-D: 41A.54 776C-D: 40A.46 793B-C: 34A.4 798A-B: 37A.22 803A: 38A.35 816C: 37A.22 817B: 37A.21 822E: 37A.24 823A: 37A.26 823C-D: 58A.107 835Aff.: 37A.22; A.27 835E: 35A.7 842B: 40A.47 842D-E: 36A.18; 38A.32 842E-846A: 40A.51 843E-844A: 44A.1 846B-C: 37A.22 849E: 136A.39 849E-850A: 41A.57 854B-C: 58A.107 855A: 152A.11 857C: 39A.42 858B: 38A.35; 44A.1 858E: 38A.36; 55A.86 859A: 237A.4 870A-C: 58A.107 874E-875A: 35A.6 4 875A-D: 34A.3– 877D: 152A.11 915D-E: 41A.57; 136A.39 916A: 58A.105 916D-E: 38A.32 922E: 41A.56 923Aff.: 58A.107; 152A.11 923B: 38A.31 923C-924A: 41A.55 950A-B: 200A.17 957A-B: 37A.22 957B: 37A.22 963A: 38A.29 Plat.Phaedr.
244A: 129A.13
335
3. Belege 258C: 38A.37 37 278C: 38A.36– Plat.Phileb.26B: 35A.11 Plat.Pol. 293Aff.: 34A.3 294A-C: 34A.3 300B-C: 34A.4 300C: 34A.3; 35A.7 308D-E: 37A.26 Plat.Protag.
326C: 36A.18 326D: 36A.15; 38A.37 342C: 200A.17 343A: 55A.87; 219A.1 Plat.Rep. 335E: 219A.1 427A: 34A.3 462A-B: 38A.30– 31 462C-D: 35A.13 466A: 35A.13 536D: 55A.87 599D-E: 38A.37; 55A.86; 242A.7 599E: 128A.5; 130A.2; 131A.4; 162A.3 Plat.Symp. 209D: 38A.36; 55A.86 209D-E: 38A.37 Plat.Tim. 20A: 189A.11 20E-27A: 55A.87 27A-B: 55A.88 [Plat.] Minos
314D: 36A.16 318C-D: 47A.25 319C: 48A.38 320A: 47A.34 321B: 47A.34 Schol.Plat.rep. (GREENE)
599E: 131A.3; 137A.47; 208A.5 Plin.nat.
1,7: 57A.101 58,210: 57A.99 7,56,191– 7,56,206: 57A.98 7,109: 33A.47 34,11,21: 113A.30; 114A.38 Plut.mor.
61C: 233A.8 146E-147A: 232A.2 3 147B-C: 219A.2– 148E-F: 233A.8
150B: 232A.2 151A-D: 232A.2 152A: 232A.2; 233A.8 152B: 219A.2 153E: 219A.2 154E: 219A.2; 233A.9 155D: 219A.2; 233A.8 155E: 232A.2 155F: 145A.14; 191A.24; 222A.19 175A: 157A.41 221B-C: 65A.13 227A-B: 50A.59 227B: 51A.61; 65A.13 238D: 146A.16 260E-261D: 168A.23 262B: 157A.41 291E-F: 164A.7 291F-292A: 164A.6 196A: 233A.6 27 298C: 214A.25– 298C-D: 215A.31 446D-E: 30f.A.21 510B: 115A.9 519B: 191A.26 543A: 48A.41; 189A.13 616C-D: 233A.11 761A-B: 78A.3 779D: 33A.46 779E: 55A.81 805D: 33A.44 858B: 224A.42 1097B: 33A.47 1124D-E: 30f.A.21 43; 33A.44– 1126C: 32A.42–
45
1126D: 33A.47 Plut.Agis 5,1ff.: 249A.20
Plut.Comp.Lyk.et Numa 1:
48A.40 Plut.Kleom. 10,2ff.: 55A.81
Plut.Lyk. 1,2: 45A.5 1,8: 54A.75 2,5: 49A.50 4,1f: 45A.5; 47A.28 4,6: 46A.15 5,3: 48A.40 5,4: 33A.48 5,6: 34A.51 5,7: 34A.51 5,10ff.: 54A.76 6: 55A.82 6,1: 48A.40
6,1ff.: 65A.13
6,2: 34A.51 6,2ff.: 273A. 13; A.15 6,7f.: 271A.3 6,7ff.: 55A.82 6,8: 273A.17 6,10: 271A.3 7,1: 55A.81 11,1ff.: 50A.59 11,9: 50A.59 11,10: 51A.61 11,18: 51A.61 13,1ff.: 65A.13 27,1ff.: 146A.16 27,3ff.: 200A.17 29,1ff.: 49A.52; 52A.65; A.67 29,5f.: 52A.66 9: 52A.67 29,7– 29,10: 55A.81 31: 33A.48 31,3: 34A.51 31,4: 29A.8 31,7: 52A.67 31,10: 52A.67 Plut.Numa
4,7f.: 48; 189A.13 Plut.Pelop. 19,1: 251A.34 18,1ff.: 251A.36 Plut.Solon 1: 33A.49 2: 33A.49 2,1: 46A.16 8 5,1ff.: 45A.7– 6: 33A.49; 45A.7 8: 33A.49 12: 149A.8 12,1: 50A.53 12,4: 45A.9 12,4f.: 146A.18 13,1: 50A.53 14,4: 28A.3; 219A.4; 225A.47 14,7: 220A.9 18,2f.: 84A.28 19 21,4ff.: 145A.8; 146A.18–
21,6: 206A.11
22: 33A.49 23,1: 135A.32 24,3: 125A.63 25,1: 50A.54 25,6.: 52A.64 31: 33A.49
336 31,5: 157A.41 32: 33A.49 Plut.Timol. 24,3: 210A.18; 244A.18 39,1ff.: 244A.16 Polemon (FHG III)
frg.96, p.147: 113A.34 Pollux 8,102: 32A.38
Polyaen.
5,5,1f.: 173A.1 5,47: 173A.5; 174A.9 6,50: 109A.2 8,41: 168A.23 Polyb. 1,108,3: 181A.36 6,43,1: 203A.3 9,2,9: 48A.40 9,28,2: 78A.3 10,2,8ff.: 48A.40 16: 187A.1 12,5– 12,5,6ff.: 181A.36; 197A.64 12,9,69: 194A.43 12,12a,1– 3: 193A.40 12,16aff.: 189A.13 8: 193A.41 12,16,4– 12,16,6: 196A.59; 236A.21 8: 196A.58; 210A.16 12,16,6– 12,16,9: 196A.57 12,16,9ff.: 139A.58; 195A.56; 210A.17 12,16,10: 181A.34; 196A.57; 197A.63; 236A.24 12,16,10ff.: 196A.62 59 14: 196A.58– 12,16,12– Polyzelos v. Rhodos
(FHG IV = FGrHist 521) frg.4 = F 9: 29A.3 Pompon.Dig. 1,2,2,4: 113A.30 Porphyr.de abstin.
4,22: 31A.27 Porphyr.vita Pyth.
11; 128A.4; 21: 45A.10– 4; 161A.3– 4; 131A.3– 188A.6; 234A.3; 241A.3
87) F 70: 47A.25; 48A.38; A.40 Poseidonios (FGrHist
Ps.-Skymn. (GGM I)
206ff.: 204A.1
Register
238f.: 162A.1 247ff.: 204A.1 276f.: 227A.4 283ff.: 128A.1; 173A.1; 227A.4; 234A.1; 260A.3 287f.: 260A.2 292: 239A.1 312: 234A.1 309– 312ff.: 187A.1 314f.: 46A.21; 187A.2 337ff.: 241A.2 346ff.: 241A.3 Sappho (LOBEL-PAGE GENTILI/PRATO)
=
frg.69: 224A.36 frg.70: 224A.36 frg.75: 224A.36 frg.98b = T9: 145A.8; 222A.24; 224A.36 frg.113: 224A.36 frg.129: 224A.36 frg.130B: 224A.36 frg.302: 224A.36 frg.331: 224A.36 frg.332: 224A.36 frg.348: 224A.36 frg.350: 224A.36 Sen.epist.
90,6: 45A.10; 131A.3– 4; 188A.6; 189A.13 Sext.Emp. 9,53: 203A.2 9,54: 49A.47; 57A.101 Simonides (PAGE)
frg. 123: 54A.75 frg. 542: 219A.3 Simplic.Phys.(DIELS)
S.24, Z.13ff.: 277A.13 Solon (DIEHL3)
5: 66A.17 39; 3: 66A.17; 85A.38– 156A.35
25: 66A.17 243: 66A.17 Speusippos (LANG = ISNARDI PARENTE = TARÀN)
frg.1 = F 118 = F 3: 30A.18
Steph.Byz. s.v. Β έ ν ν α : 110A.12 η : 131A.2; 208A.5 s.v.Κ α ν τά
s.v.Μ α σ : 204A.1 σ α λ ία α s.v.Χ λ κ ίς : 77A.2; 227A.5 Stob. (HENSE)
3,1,172: 233A.8 3,19,13: 50A.59 3,39,36: 50A.55; 195A.56 4,2: 47A.31 4,2,20: 41A.57; 130A.2; 136A.38; 138A.54; 192A.36
4,2,24: 131A.2 4,4,25: 189A.13 44,19: 59A.109 44,24: 59A.110 44,25: 57A.100 44,40: 145A.8 Strab.
4,1,5: 205A.2; A.4; 206A.15; 207A.19
5,4,4: 162A.1 6,1,6: 129A.8, 234A.1; 260A.4
6,1,7: 187A.1 6,1,8: 46A.21; 135A.30; 138A.54; 160A.7; 187A.2; 192A.34; 193A.42; 241A.7; 242A.9; A.6 6,1,13: 241A.2 6,2,2: 227A.4 6,2,3: 130A.1; 227A.6; 260A.3 6,2,6: 129A.10; 239A.1; 260A.2
6,27: 173A.1 8,3,2: 97A.3 8,3,33: 57A.98; 97A.1 8,5,5: 29A.8; 48A.40; 85 55A.84– 8,6,16: 57A.98 8,6,20: 153A.16 10,1,8: 78A.3 10,3,2: 97A.1; A.3 10,4,7: 150A.8 10,4,8: 47A.31; A.34; 48A.37; 57A.100 10,4,16ff.: 45A.6; 47A.34; 55A.85; 57A.100 10,4,17f.: 47A.25 10,4,19: 45A.5; 46A.13; 47A.31; A.34; 48A.37; A.40
337
3. Belege 12,2,9: 131A.2; 208A.1; A.3; 209A.15 13,1,70: 215A.30 13,2,3: 219A.1; 220A.5– 6; 223A.35; 224A.38 13,3,6: 57A.101 14,1,12: 232A.2; 233A.10 14,1,21: 112A.20 14,1,25: 112A.28; 113A.30 16,2,38: 47A.25; A.34; 48A.38, A.40 Suda
s.v. Ἀ ρ ρ χ : 110A.8 ίσ ο ς τ α s.v.Γ η γ έρ θ ε ς : 215A.28 s.v.Δ ια γ ρ ό α ς : 115A.6 s.v.δ ικ ά ζε σ θ α ι: 233A.10 s.v.Δ ικ α ία ρ χ ο ς : 31A.29 s.v.Ζ ά λ ε υ κ ο : 45A.10; ς 138A.51; 188A.6; 189A.13; 190A.17; 241A.7 s.v.Λ υ κ ο γ ῦρ ο ς(824): 52A.67 s.v.Π ά ν τ αὀκ τ ώ : 158A.45 s.v.Π ιτ τ α κ ό ς : 219A.1; 7 220A.6– s.v.Π υ θ γ ρ α ό α : 109A.2 ς s.v.Σ η τ σ ίχ ρ ο ο : 28A.5; ς 129A.13 s.v.Τ ρ ιό φ θ α μ λ ο ς : 50A.58 s.v.Χ ά ρ ω ν : 47A.33 Tac.ann.3,26: 47A.34 Tertull.apol.
4,6: 52A.67 46,14: 52A.67 Themist.orat. 2,21b: 189A.13 2,31b: 137A.47 Theodoret.Graec.affect.cur.
9,7: 47A.34 9,8: 128A.5; 131A.2; 162A.3 9,9: 48A.41; 189A.13 9,12: 167A.11; 219A.4; 247A.1 Theodoros Metochites (MÜLLER-KIESSLING)
S.668: 28A.2; 219A.4
Theophr. (WIMMER SZEGEDY-MASZAK)
=
frg.97=21: 41A.57; 192A.36; 193A.38 frg.97,1 = 21,1: 222A.27; 225A.55 frg.97,5=21,6: 138A.54 frg.97,5=21,7: 130A.2; 136A.38; A.40; 193A.38 frg.99=23: 33A.49; 157A.41 frg.117 = App.IB: 145A.13; 189A.13; 190A.21; 206A.16 frg.127: 213A.12; 219A.4 Theopomp (FGrHist 115)
F 177: 236A.21 F 178: 200A.17 Thuk.
1,13,2f.: 57A.98 1,13,6: 204A.1 1,81,1: 49A.50; A.52; 54A.78 1,103,3: 178A.9 1,144,2: 200A.17 2,39,1: 200A.17 2,91,1: 177A.4 3,86,2: 234A.2 4,61,4: 129A.7 4,110,1: 78A.3 5,29,1: 203A.5 5,47,1ff.: 203A.9 5,47,9: 203A.9 5: 173A.1 6,2– 6,2,3: 227A.6 6,3,1: 227A.4 6,3,3: 130A.1; 173A.1 6,3ff.: 128A.1 6,4,2: 239A.1; 239A.2 6,4,5: 130A.18; 162A.1 6,4,5f.: 260A.3 6,4,6: 261A.5 12 6,5,1: 129A.10– 6,44,3: 234A.2 6,62,2: 128A.2 6,79,2: 234A.2 6,94,1: 239A.2 7,58,2: 128A.2
Timaios (FGrHist 566) F 12: 194A.43
F 50: 241A.2 F 71: 204A.1 F 72: 204A.1 F 128: 52A.67 F 130a: 188A.7; 194A.43 F 130b: 188A.7; 194A.43 Tyrt. (GENTILI/PRATO)
1b: 55A.82; 271A.3 14: 55A.82; 271A.3; 16 273A.13– Val.Max. 1,2ext.3: 48A.40 1,2ext.4: 48A.38, A.41 2,6,7: 205A.2; A.5, A.7 2,6,9: 205A.9 2,7,9: 206A.13 4,1ext.8: 55A.81 5,3ext.2: 50A.59; 52A.67 5,6,5: 33A.47 6,5ext.1: 224A.42 6,5ext.3: 51A.62; 189A.13; 194A.44 6,5ext.4: 52A.68; 131A.2; 137A.47; 138A.55 8,15,ext.1: 161A.6
Xen.Lak.Pol. 1,2ff.: 54A.76 8,5: 48A.40 14,4: 200A.17 Xen. Oec. 14,4: 55A.90 Xen.Symp. 8,39: 55A.86 Xenokrates (HEINZE
= ISNARDI PARENTE)
256: 30f.A.21 frg.3=F 254– frg.98=F 252: 31A.27 Xenophanes (WEST)
frg.3: 236A.21 Zenob. (CPG I)
4,10 (S.87): 189A.13 5,4 (S. 116): 189A.13; 193A.39 Zwölftafeln tab. 8,2: 195A.51
338
Register
b)Inschriften ARENA 1989
Nr.13: 210A.1 240 Nr.52: 239– BUCK 1955 Nr.8: 146A.20 Nr.16: 71A.1; 73A.12 Nr.18: 204A.11f.; A.14 Nr.23: 75A.25 Nr.52,C, Z.19ff.: 147A.25 Nr.57: 177A.2 Nr.59: 177A.3 Nr.61: 76A.26; 99A.15; 100A.21; 101A.28; 259A.14 Nr.62: 99A.15; 106A.73 Nr.63: 76A.27; 99A.15; 102A.34 Nr.64: 99A.15; 104A.57 Nr.80: 217A.1 Nr.81: 217A.3; 218A.5 Nr.83: 67A.2; 218A.11; 251A.6 Nr.84: 70A.25 Nr.93: 156A.34 Nr.116: 87A.2; 90A.28
CIL I 588: 114A.39 VI 373: 114A.39 DGE 74: 72A.7; 148A.31
78: 70A.25 97: 217A.1 98: 217A.3 129: 149A.6
133,1: 156A.34 240 165g: 239– 181: 125A.62 182: 127A.78 323: 147A.25 362: 177A.2 409: 76A.26; 100A.21
410: 104A.50 411: 100A.18 412: 104A.57 413: 106A.73 415: 76A.27; 102A.34 429: 72A.5 603: 158A.2 654: 204A.11f.; A.14 661g: 203A.6
675: 72A.6 679: 75A.25 687: 80A.1 702: 80A.6; 82A.12 708: 114A.46; 114A.47 714: 82A.12 722: 87A.3 726: 212A.11 732: 172A.1 766: 146A.20 800: 116A.10 VANEFFENTERRE/RUZÉ I Nr. 01: 174A.11; 176A.30 Nr.02:267A.21 Nr. 1:117A.2; 119A.17; 229A.14 Nr.3: 125A.70 Nr.4: 105A.60 Nr.6: 99A.13; 238A.19 Nr.7: 238A.8 Nr.8: 124A.60 Nr.10: 95A.3; 96A.8 Nr. 11:198A.6 Nr.12: 96A.8; 199A.11 Nr.14: 95A.3 Nr.15: 75A.24; 125A.70 Nr.16: 75A.24; 120A.34; 122A.43 240 Nr.17: 239– Nr.19: 209A.12 Nr.21: 76A.27; 102A.34 Nr.22: 75A.19 Nr.23: 76A.26; 100A.21; 259A.14 Nr.24: 100A.18 Nr.25: 75A.23; 95A.3: 96A.10 Nr.26: 75A.23; 95A.3 Nr.27: 88A.4; 89A.14 Nr.28: 74A.9 Nr.30: 75A.24; 122A.43 Nr.31: 75A.25 Nr.32: 172A.1 Nr.34: 156A.34 Nr.35: 71A.33 Nr.41: 253A.15 Nr.43: 176A.2 Nr.44: 177A.3; 182A.45 Nr.46: 95A.3 Nr.47: 126A.73 Nr.52: 106A.73; 277A.15 Nr.59: 124A.59
Nr.62: 80A.1; 81A.11; 82A.17; 86A.47
7 Nr.63: 237A.6– Nr.64: 88A.4; 89A.17 Nr.66: 88A.4; 89A.13 Nr.68: 88A.4 Nr.78: 257A.1 Nr.81: 87A.2; 90A.27 Nr.82: 93A.50; 117A.2; 120A.33
Nr.83: 95A.3 Nr.84: 93A.46; A.48 Nr.85: 93A.49; 123A.55 Nr.87: 68A.16 Nr.88: 67A.2 Nr.91: 116A.10 Nr.100: 67A.3; 69A.18; 218A.11
Nr.101: 69A.21; 217A.3 Nr.107: 70A.25 Nr.108: 104A.50 Nr.109: 104A.57 Nr.110: 69A.20; 277A.15 VANEFFENTERRE/RUZÉ II Nr.2: 204A.15 Nr.3: 124A.58 Nr.5: 126A.76; 259A.16 Nr.6: 127A.81 Nr.9: 230A.1 Nr.10: 88A.4; 89A.15 Nr. 11:120A.25 12: 117A.2 Nr.11– Nr.13: 126A.77 Nr.16: 127A.81 Nr.17: 149A.2 Nr.21: 125A.70 25: 117A.2 Nr.22– Nr.26: 127A.78 Nr.30: 127A.81 Nr.32: 127A.81f. Nr.33: 127A.81 Nr.37: 117A.2; 119A.19; 228A.3
Nr. 38: 117A.2; 119A.20; 228A.3
Nr.39: 79A.9; 228A.1 Nr.40: 119A.21; 120A.32; 229A.15
Nr.45: 127A.81 49: 119A.21 Nr.48– Nr.50: 127A.79
339
3. Belege Nr.51: 78A.8; 119A.21; 127A.81 Nr.52: 117A.2 Nr.53: 127A.81 Nr.61: 117A.2; 119A.23 Nr. 65: 125A.62 Nr.67: 95A.3 Nr.68: 117A.2; 119A.18 Nr.70: 126A.71; A.72 Nr.78: 117A.2; 120A.25; 176A.25
Nr.79: 149A.6 Nr.80: 107A.1 Nr.81: 160A.9 Nr.82: 158A.2 Nr.84: 117A.2 Nr.85: 119A.14; 126A.74 Nr.89: 88A.4 Nr.90: 125A.70 Nr.92: 117A.2 Nr.93: 107A.1 Nr.98: 95A.3; 97A.16 HAINSWORTH
Nr.4: 177A.3 Nr.5: 177A.2 Nr.16: 106A.73 Nr.32: 67A.2 Nr.33: 70A.25 Nr.60: 87A.2 Nr.72: 172A.1 HGIÜ I Nr.2: 87A.2 Nr.6: 253A.15 Nr.18: 172A.1 Nr.19: 177A.3 Nr.26: 75A.19 Nr.29: 106A.73 Nr.30: 176A.2 Nr.52: 209A.12 Nr.145: 267A.21 ICret
I viii,2: 149A.2 I
ix,1: 96A.6
I ix, S.83ff.: 87A.1 I x,1: 107A.1 I x,2: 107f.; 277A.14 I xvi,5: 183A.52; 237A.7 I
xxvii,1: 237A.7
I xviii,1: 198A.2; 199A.9 I xviii,2– 7: 198A.3; A.6f. I xviii,4, Z.9f.: 277A.14 I xviii,5: 200A.18 I xviii,6, Z.7: 277A.14
7: 198A.5 I xviii,6–
I xviii,12: 209A.12 I xxviii,1ff.: 237A.1; A.5
I xxviii,7: 237A.6
15: 237A.5 I xxviii,8– II v,1ff.: 73A.2; A.4; A.8; 14; 124A.59 74A.9– II
v,2:
74A.15;
A.17
II v,3, Z.4: 74A.15 17 II v,4: 74A.15– 8: 76A.28 II v,5– 30 II v,6: 76A.29– 34; II v,9: 76A.31; A.33– 277A.14 v,11: 73A.4 II v,12: 73A.7 14: 73A.3; A.6 II v,12– II xii,1: 95A.2 II, xii,2: 95A.4 19: 95A.3 II xii,2– 9 II xii,3: 95A.3; 96A.7– 9 II xii,4: 95A.3; 96A.6– II xii,5: 97A.15 II xii,6: 95A.4 II xii,7: 95A.4 II xii,9: 75A.23; 95A.3; 7; A.10; 124A.59 96A.6– II xii,10: 95A.4 II xii,11: 95A.3; 96A.7; A.9 II xii,12: 95A.4 II xii,13: 95A.3; 96A.7; 14; 97A.15; A.13– 277A.14 II xii,14a, Z.5;6: 96A.6 II xii,15a-b, Z.5f.: 96A.12 II xii,16Aa: 95A.3 II xii,16Ab: 75A.23: 96A.6; A.11 II xii,16Ac: 95A.3 II xii,16b: 95A.3 II xii,17: 95A.4 II xii,18: 95A.4 II xii,19: 95A.4 III iii,4, Z.28: 237A.7 III vi,1: 232A.1 III vi,4: 232A.1 II
IV 1,1d-f: 118A.8 5: 119A.15 IV 1,1– IV 1,3d-f: 200A.21 40: 117A.2 IV 1– IV 2: 118A.7 IV 3: 119A.13 IV 3d-f: 118A.8 IV 4: 119A.23
IV 5: 118A.7; A.8 IV 5,2a-b: 200A.21 IV 6: 118A.8 IV 7: 118A.8 IV 8a-d: 118A.9; 120A.25 IV 8e-f: 118A.8; 200A.21 IV 8i: 120A.24 IV 9: 120A.25; 176A.25 IV 9a-b: 120A.26 IV 9c-g: 119A.22; 124A.56 IV 9i-l: 120A.26 11: 118A.6 IV 9– IV 10c-e: 119A.16 IV 10f-h: 200A.21 IV 10f-h; k-n; a*-b*; p*: 118A.8
IV 10i: 120A.26 IV 10q*:120A.30 IV 10q-r: 118A.12 IV 11h-i: 118A.8 IV 12: 118A.7 IV 13: 229A.14 IV 13b,2: 119A.17 IV 13e,2: 120A.30 IV 13g-i: 119A.17; 124A.56 IV 13g-i,2: 118A. 12; 120A.30; A.32
IV 14: 118A.6; 200A.21 IV 14g-p,1: 93A.50; 118A.8; 120A.26ff.; 121A.35; 124A.56 IV 15a-b,2: 120A.29 IV 16: 118A.7 IV 19: 118A.7 IV 19,3: 120A.31 IV 20: 119A.19; 228A.3; 229A.9 IV 20a: 118A.6 IV 21: 118A.8; 119A.20; 124A.56, 200A.21; 228A.3 IV 22B: 119A.14 IV 24: 118A.7 IV 25s: 120A.26 IV 25u: 118A.10 IV 26a,b: 118A.10 IV 27: 118A.7 IV 28: 118A.6; A.7 IV 29: 118A.6; 120A.26 IV 30: 119A.17f.; 120A.27; 124A.56 40: 118A.7 IV 31– IV 34: 118A.10 IV 41: 125A.62; 127A.80
340 IV 41,coll.I 1- I 17: 125A.64 IV 41,col. I 11: 127A.84; 277A.14 IV 41,col.II 2ff.: 125A.68 IV 41,col.II 6: 127A.84; 277A.14 17: 125A.65 IV 41,col.III 7– IV 41,col.III 14ff.: 125A.69 IV 41,col.IV 2f.: 125A.68 17: 125A.66 IV 41,col.IV 6– IV 41,col.IV 14ff.: 125A.69 IV 41,col.V 1ff.: 125A.68; A.69; 127A.78 IV 41,col.V 7ff.: 125A.69 17: 125A.67 IV 41,col.V 4– IV 41,col.VI: 127A.78 16: 125A.67 IV 41,col.VI 2– IV 41,col.VI 4ff.: 125A.68;
A.69 IV 41,col.VII 5ff.: 125A.68 IV 41,col.VII 11:127A.83; 277A.14
IV 41,col.VII 43,col.Aa, Z.7ff.: 277A.14
IV 41,col.VII 43,col.b, Z.7f.: 277A.14 IV 41,col.VII 45 B, Z.3: 277A.14 IV 41,col.VII 47, Z.23f.: 277A.14 51: 124A.61 IV 41– IV 42, Z.5f.: 123A.53 IV 42B: 126A.76, 209A.12;
259A.16 IV 43Aa-b: 126A.71 IV 43Ba: 126A.73 IV 43Bb: 126A.72 IV 44: 127A.79 IV 45B: 126A.71; A.75 IV 46B: 126A.74 IV 47: 127A.78 50: 125A.70 IV 48– IV 51: 126A.77 61: 125A.70 IV 52– IV 53: 120A.26 IV 58: 75A.24 IV 62: 124A.56 IV 63: 124A.59 IV 62: 124A.60 IV 65: 119A.13 71: 125A.70 IV 65– IV 72,col.I 1: 127A.81 IV 72,col.I 21: 199A.7 IV 72,col.I 41: 199A.7
Register
IV 72,col.I 46: 127A.83; 277A.14 IV 72,col.I 55: 127A.83;
277A.14 IV 72,col.II 2ff.: 135A.32 IV 72,col.II 7ff.: 160A.9 27: 194A.47 IV 72,col.II 20– IV 72,col.II 28ff.: 199A.7 45: 165A.13 IV 72,col.II 36– IV 72,coll.II 45-III 16: 127A.81; 140A.65
IV 72,col.II 46ff.: 228A.4 IV 72,col.III 18ff.: 228A.4 IV 72,col.III 20ff.: 127A.81; A.85 IV 72,col.III 29f.: 127A.85 IV 72, coll.III 44-IV 15: 140A.65; 199A.7
IV 72,col.IV 11:127A.84 IV 72,col.IV 30f.: 127A.84: 277A.14
46: 229A.6 IV 72,col.IV 43– IV 72,col.IV 45: 228A.4 IV 72,col.IV 45f.: 127A.85; 277A.14
IV 72,col.IV 48: 127A.85; 277A.14
6: 229A.5 IV 72,col.V 1– 54: 119A.21; IV 72,col.V 9– 127A.80
25: 229A.10 IV 72,col.V 24– IV 72,col.VI 9ff.: 228A.4 IV 72,col.VI 15f.: 277A.14 IV 72,col.VI 31: 127A.83 46: 229A.8 IV 72,col.VI 31– IV 72,col.VI 34: 228A.4 IV 72,col.VI 45: 228A.4 IV 72,col.VI 47: 96A.8 IV 72,col.VII 10: 229A.10 IV 72,coll.VII 15-IX 24: 78A.8; 119A.21; 127A.79ff. IV 72,col.VII 47f.: 277A.14 IV 72,col.VIII 10: 277A.14 IV 72,col.VIII 25f.: 277A.14 IV 72,col.VIII 29f.: 277A.14 IV 72,col.VIII 40ff.: 127A.79; 143A.89 IV 72,coll.VIII 53-IX 1: 122A.40 7: 199A.7 IV 72,col.IX 6– IV 72,col.IX 15f.: 277A.14 IV 72,col.IX 24ff.: 127A.81; A.83
IV 72,col.IX 32: 123A.53; 209A.12
IV 72,col.IX 33ff.: 199A.7 IV 72,col.X 14ff.: 127A.81 IV 72,col.X 32: 199A.7 IV 72,col.X 33ff.: 120A.32 IV 72,col.X 33-XI 23: 229A.15
36: 198A.6; IV 72,col.X 35– 229A.15 IV 72,coll.X 39-XI 23: 119A.21
IV 72,col.X 44ff.: 127A.85; 229A.10; 277A.14
IV 72,col.XI 4: 229A.10 14: 229A.15 IV 72,col.XI 10– IV 72,col.XI 11ff.: 120A.32; 198A.6
IV 72,col.XI 209A.12 IV 72,col.XI IV 72,col.XI IV 72,col.XI 199A.7 IV 72,col.XI IV 72,col.XI IV 72,col.XI
16: 123A.53; 19f.: 277A.14 24f.: 127A.81 26ff.: 127A.83;
31ff.: 127A.81 34: 229A.10 45: 228A.4; 44–
229A.7
IV 72,col.XI 46ff.: 127A.81; 140A.65
IV 72,col.XI 53: 123A.53; 209A.12 IV 72,col.XII 1ff.: 127A.81 19: 78A.8; IV 72,col.XII 6– 127A.80; 143A.89
IV 78: 75A.24; 77A.38; 120A.34; 122f.
IV 79: 75A.24; 122A.43; 123A.46; A.48 IV 80: 183A.53; 238A.8; A.10; 280A.24 IV 144: 75A.24 IV 184, Z.13: 183A.53 IV 260, Z.5: 123A.54 IDélos
2: 226A.2 IG I2 1: 238A. 19 I2 6: 239A.21 I286: 203A.9 I2 115: 175A.24 I2 188: 238A.20 I3 1: 238A.19
341
3. Belege I3 1: 99A.13 I3 6: 239A.21 I383: 203A.9 I3 104: 175A.24; 267A.21 I3244: 238A.20 II230: 98A.12 IV 439a-c: 230A.1 IV 492: 217A.1 IV 493: 69A.21; 217A.3f.;
9; 219A.13 218A.5– IV 497: 218A.10 IV 506: 67A.3; 69A.18;
A.21; 218A.11; 219A.12; A.14; 277A.15 IV 554: 70A.25 IV 614: 68A.16 IV 1607: 149A.6 V 1,722: 65A.14; 72A.8 V 1,1155: 65A.14 V 1,1390: 72A.7; 148A.31 V 2,261: 203A.6; A.8; 204A.16 V 2,262: 204A. 15 V 2,3: 204A.11f.; A.14 V 2,514: 72A.6 IX 1,867: 156A.34 4; IX I2 3, 609: 177A.3– 63; 185f. 182A.43– IX I2 3, 718: 176A.2; 42; 185A.63; 178A.15– 186ff. IX 2,1202: 158A.2; 159A.3 XII 3,322, Z.18; 326: 171A.40 363: 251A.1 XII 3,350– XII 3,449: 251A.1 XII 3,450: 251A.2 XII 3,495: 252A.7 601: 251A.1 XII 3,536– XII 3,762– 813: 251A.1 990: 251A.1 XII 3,977– XII 3,Suppl.1362: 252A.7 XII 5,1,732: 81:A.6 XII 5,40: 226A.3 XII 5,105: 228A.1; A.3 XII 5,107: 228A.4 XII 5,108: 228A.4 XII 5,150: 228A.4 XII 5,593: 146A.20– 21 XII 8,263: 200A.22 74: 116f. XII 9,1273– XII Suppl.347(II), Z.4ff.: 259A.14 XII Suppl.450: 251A.5
XII Suppl.549: 115A.9 IGA 109: 99A.16 111: 104A.50 113: 102A.34 113b (add.): 100A.18 113c (add.): 104A.57 115: 105A.60 471: 251A.2
499: 114A.46 240 514: 239– IGDS Nr.15: 174A.11 Nr.20: 210A.1
240 Nr.28: 239– IIGA 13,6: 76A.31 47,26: 156A.34 111,1: 99A.16
364: 87A.3 KOERNER
Nr. 1:99A.13; 238A.19 Nr. 11: 267A.21 Nr.24: 69A.21; 217A.3 Nr.25: 67A.2; 68A.12; 218A.11 Nr.27: 70A.25 Nr.29: 67A.3; 69A.18; 218A.11; 277A.15 Nr.31: 257– 259; 259A.18 Nr.32: 149A.6 Nr.33: 203A.6 Nr.34: 204A.15 Nr.35: 71A.1 Nr.36: 99A.16 Nr.37: 76A.26; 100A.21; 259A.14
IvPriene
Nr.38: 104A.50; 277A.15 Nr.39: 100A.18 Nr.40: 105A.60 Nr.41: 104A.57 Nr.42: 104A.57; 277A.15 Nr.43: 104A.57; 277A.15 Nr.46: 147A.25 Nr.47: 177A.3; 182A.44 Nr.48: 177A.3; 185A.64 Nr.49: 176A.2 Nr.51: 158A.2 Nr.58: 228A.4 Nr.59: 228A.4 Nr.60: 146A.20 Nr.61: 80A.1; 81A.11; 82A.17; 86A.47 73: 116A.10 Nr.72– Nr.74: 93A.46; A.48 Nr.77: 93A.49; 123A.55 Nr.81: 213A.14 Nr.82: 114A.47 Nr.84: 209A.12 Nr.85: 210A.1 Nr.86: 174A.11 Nr.87: 199A.11; 200A.17; A.22f.: 202A.34 Nr.88: 199A.11; 202A.34 Nr.89: 149A.2 Nr.90: 87A.2; 90A.27 Nr.91: 88A.4; 89A.17 Nr.92: 88A.4 Nr.93: 88A.4; 89A.14 Nr.94: 107A.1; 108A.5; A.9;
111, Z.245: 233A.14 113, Z.88: 233A.14 117, Z.34: 233A.14
99: 198A.3 Nr.95– Nr.100: 237A.6; 238A.12
ILS 34: 114A.39 IPArk
Nr.7: 203A.6 Nr.8: 204A.15 Nr.20: 71A.1 IvErythrai
1: 80A.6; 82A.12; 93A.48 1, Z.9ff.: 93A.46 17: 93A.49; 123A.55 24: 80A.6 201: 80A.6 IvKyme
1; 4; 9; 10: 164A.5 IvOlympia
1: 99A.16 2: 76A.26; 99A.15; 100A.21; 2, Z.6: 259A.14 3: 99A.15; 104A.50; A.52; A.54
3, Z.5: 277A.15 4: 100A.18 106 7: 104– 7, Z.2;3;7f.;9: 277A.15 9: 106A.73ff. 9, Z.1;7f.; 10: 277A.15 11: 76A.27; 102A.34 240 22: 239–
277A.14
342 Nr. 101ff.: 73A.2 104: 74A.15 Nr.102– Nr.105: 75A.18 107: 76A.31 Nr.106– Nr.108: 73A.7 115: 95A.3 Nr.109– Nr. 111: 75A.23; 96A.10 Nr.113: 96A.14 115: 75A.23 Nr.114– Nr.116: 117A.2 Nr.117: 117A.2; 119A.23 Nr.118: 117A.2; 120A.25 Nr.119: 117A.2; 120A.25; 176A.25 Nr.120: 117A.2; 228A.3; 229A.14 Nr.121: 93A.50; 117A.2; 120A.33; 228A.3 Nr.122: 117A.2; 119A.19 Nr.123: 117A.2; 119A.20 Nr.126: 117A.2; 119A.18 128: 125A.62 Nr.127– Nr.129: 126A.76; 259A.16 131: 126A.71 Nr.130– Nr.132: 126A.73 Nr.133: 126A.72 Nr.134: 127A.79 Nr.135: 126A.75 Nr.136: 126A.74 Nr.137: 119A.14; 126A.74 Nr.138: 127A.78 Nr.139: 126A.77 Nr. 140ff.: 125A.70 Nr.143: 75A.24 Nr.144: 124A.58 Nr.153: 75A.24; 120A.34; 122A.43 Nr.154: 75A.24; 122A.43 Nr.163: 127A.81 Nr.164: 160A.9 166: 127A.81 Nr.165– Nr.167: 127A.81 Nr.169: 119A.21 Nr.174: 78A.8; 119A.21; 122A.40; 127A.81 176: 127A.81 Nr.175– Nr.180: 119A.21; 120A.32; 229A.15
LSAM
27 16: 147A.26– 30: 114A.45; A.48 30A: 114A.46 30B: 114A.47 40, Z.3ff.: 87A.3
Register
44, Z.1ff.: 87A.3 48, Z.15ff.: 87A.3 50: 212A.11 52B, Z.3ff.: 87A.3 LSCG 10: 238A.20 56: 149A.6f. 65: 72A.7; 148A.31 67: 204A.11f.; A.14
68: 72A.6; 148A.30 77: 147A.25 97: 146A.20 108: 228A.4 111: 228A.4
LSCG Suppl. 8; Nr.27, Z.1ff.: 67A.2; A.7– 12 68A.9; A.11– Nr.28: 65A.14; 72A.8 Nr.32: 71A.1; 72A.7; 147A.28
Nr.33: 72A.5; 148A.29 Nr.65: 149A.7 Nr.112: 149A.7 Nr.113: 76A.31; A.32; A.34 Nr.115: 149A.7 MEIGGS/LEWIS
Nr.2: 85A.42; 87A.2; A.3; 95; 256A.39, 259A.14 90– Nr.4: 156A.34
255 Nr.5: 169A.27; 253– 83; 238A.16 Nr.8: 80– Nr.13: 176A.26; 177A.3 Nr.14: 99A.13; 238A.19 Nr.16: 81A.6; 82A.12 Nr.17: 106A.73– 78 Nr.20: 177A.2; 197A.66;
186A.65; 236A.21; A.24
Nr.32: 209A.12 19 Nr.43: 213A.14– Nr.86: 175A.24 PEEK 1941
198ff. (Nr.5): 148A.4; 238A.17 200: 149A.6
RIG Nr.259: 183A.50 Nr.263: 183A.50 Nr.265: 183A.50 Br.268: 183A.50
SEG 3, 312: 218A.10
3, 73b/c, Z.3ff.: 98A.12 21 4, 64: 174A.11– 9, 1, Z.20ff.: 171A.41 9, 1, Z.73f.: 170A.37 9, 1, Z.82f.: 170A.36 9, 3: 253A.15 11, 275: 230A.1 11, 276: 231A.8, A.10 11, 300: 217A.4 11, 302: 67A.3; 69A.18 11, 314: 67A.2; 218A.11 11, 315: 70A.25 11, 336: 68A.16 11, 369: 148A.4; 238A.17 11, 1086: 203A.6 11, 1112: 71A.1 11, 1176: 100A.21 11, 1177: 104A.50 11, 1178: 100A.18 11, 1179: 239A.4; 240A.6 13, 617: 253A.15 16, 485: 80A.1 17, 376: 80A.1 18, 158: 100A.21 20, 714: 253A.15 22, 320: 71A.1 25, 358: 149A.6 27, 38: 230A.1 27, 620: 87A.2 29, 403: 240A.6 29, 825: 126A.73 30, 380: 257A.1; 258A.9 32, 908: 79A.9; 228A.1 34, 296: 257A.1 35, 921: 80A.6 35, 991: 199A.11; 201A.23 35, 992: 198A.3 36, 347: 257A.1 36, 824: 174A.11 37, 752: 200A.22 38, 945: 210A.1 41, 725: 116A.10 41, 739: 97A.16 42, 373; 375ff.: 99A.15 SGDI
1147: 99A.16 1149: 106A.73 1152: 76A.26; 100A.21; 101A.22 1153: 76A.27; 102A.34 1154: 100A.18 1156: 104A.57 1157: 104A.50 1158: 105A.60
3. Belege 1478: 177A.2 2561: 147A.25 240 3045: 239– 3188: 156A.34 4412: 72A.8 4689: 72A.7; 148A.31 4736: 251A.2 4958: 95A.3 4953– 4954: 96A.8 4955: 96A.8 4957: 75A.23 4962: 119A.15 4984: 117A.2 4962– 4963: 119A.13 4964: 119A.23 4969: 120A.24 4973: 119A.14 4975: 120A.31 4977: 119A.17 4976– 4979: 93A.50; 120A.27f.; 120A.33; 121A.35 4981: 119A.17; 119A.18; 120A.27 4982: 122A.43; 199A.15 4984: 122A.43 4985: 183A.53 4986, Z.12: 74A.17 4990: 119A.13 4998: 125A.62 5000 IIa: 126A.73 5000 IIb: 126A.72 5040, Z.28: 237A.7 5071: 150A.2 5075, Z.123: 237A.7 5090: 198A.2 5092: 198A.7 5125ff.: 73A.2; A.8; 74A.9 5126A-C: 76A.28 5128: 76A.31 5398: 146A.20 5418: 226A.3 5423: 226A.2 5495: 212A.11 5522: 172A.1 5598: 114A.47 5600: 114A.46 5633: 161A.12 6167: 237A.7
Syll.3
4: 172A.1– 7 9: 106A.73 45: 200A.22; 209A.12 47: 177A.2 57: 212A.11
141, Z.7ff.: 249A.22 169, Z.52: 123A.51 344, Z.60ff; 120ff.: 160A.12 410: 80A.6 482: 183A.50 578: 160A.12 591, Z.42ff.: 207A.21 736: 148A.31 999: 148A.30 1014: 1167: 1218: 1219:
80A.6 114A.46 146A.20 147A.26
WELLES
Nr.3, Z.60ff.: 160A.12 Nr.4, Z.12ff.: 160A.12
343
HISTORIA-EINZELSCHRIFTEN
Herausgegeben vonMortimer Chambers, Heinz Heinen, François Paschoud, Hildegard Temporini und Gerold Walser
1. Gerold Walser: Caesar unddie Germanen. Studien zur politischen Tendenz römischer
Feldzugsberichte. 1956. XI, 104 S., kt. 00250– 515– 2 ISBN 3– 2. Edmund Buchner: Der Panegyrikos des Isokrates. Eine historisch-philologische Unter2 suchung. 1958. IX, 170 S., kt. 0251– 3. Wolf Steidle: Sallusts historische Monographien. Themenwahl und Geschichtsbild (vergriffen) 9 0252– 4. Ulrich Kahrstedt: Die wirtschaftliche Lage Großgriechenlands in der Kaiserzeit. 1960. 7 VII, 133 S., 1 Faltkte., kt. 0253– 5. Dieter Timpe: Untersuchungen zur Kontinuität des frühen Prinzipates. 1962. VIII, 133 S., kt. 5 0254– 6. Hatto H.Schmitt: Untersuchungen zur Ge-
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vonKollegen undSchülern. 1983. VII, 257 S. m. 4 3230– 7 Taf., kt. 41. Herbert Graßl: Sozialökonomische Vorstellungen in der kaiserzeitlichen griechischen Literatur(1.-3. Jh. n. Chr.). 1982. VII, 231 S., 9 kt. 3667– 42. Klaus M.Girardet: DieOrdnung derWelt: Ein
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Passes in römischer Zeit. 1986. 97 S. m. 58
4 4541– Herodotus & Bisitun. Persian historiography. 1987. 166 S. m. 7 Taf., kt. 5 4790– 50. Herbert Benner: Die Politik des P. Clodius Pulcher. Untersuchungen zur Denaturierung desClientelwesens inderausgehenden römischen Republik. 1987. 189 S., kt. 0 4672– Abb. auf 40 Taf., kt.
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57. Leonhard Alexander Burckhardt: Politische Strategien derOptimaten in derspäten rö-
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58. Binyamin Shimron:
Geburtstag dargebracht vonFreunden, Kollegen undSchülern. 1989. XVI, 278 S., kt. 4 4393– 61. Raban von Haehling: Zeitbezüge des T. Li-
vius in der ersten Dekade seines Geschichtswerkes: Necvitia nostra necremedia pati possumus. 1989. 248 S., kt. 1 5117– 62. Martin Frey: Untersuchungen zur Religion
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nis. Untersuchungen zuEntwicklung undBevonAlleinherrschaft imvorhellenisti5 schen Griechenland. 1993. 345 S., kt.6278– urteilung
80. Brian M.Lavelle: TheSorrow andthePity. A Prolegomenon toa History ofAthens under the 510 B.C. 1993. 147 S., kt. Peisistratids, c. 560– 8 6318–
81. Wolfgang Leschhorn: Antike Ären. Zeitrechnung, Politik undGeschichte imSchwarzmeerraum undinKleinasien nördlich desTauros. 1993. XI, 576 S. m. 10 Taf., kt.
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82. UweWalter: AnderPolis teilhaben. Bürgerstaat undZugehörigkeit imarchaischen Grie-
83. Michael Rostowzew: Skythien und der Bosporus, Band II. Wiederentdeckte Kapitel undVerwandtes. A. d. Grundlage d. russ. EditionvonV.Ju. Zuevm.Kommentaren u.Beitr. übers. u. hrsg. vonHeinz Heinen. 1993. VIII, 263 S., 36 Taf. u. 4 Ktn. in Kartentasche, kt.
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84. Julia Sünskes Thompson: Demonstrative Legitimation der Kaiserherrschaft imEpochenvergleich. Zur politischen Macht des stadtrömischen Volkes. 1993. VII, 103 S., kt. 6415-X
85.Werner Huß: Dermakedonische König und die ägyptischen Priester. Studien zur Geschichte des ptolemaiischen Ägypten. 1994. 238 S., kt. 6502– 4
86.Gerold Walser: Studien zurAlpengeschich-
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88. Bernhard Kremer: Das BildderKelten bis in augusteische Zeit. Studien zurInstrumentalisierung eines antiken Feindbildes bei griechischen undrömischen Autoren. 1994. 362 S., kt. 6548– 2
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zu Ammianus Marcellinus Buch XX-XXI. Teil III: Die Konfrontation. 1996. 293 S., kt. (vgl. Bde. 31 u. 38) 6570– 9 90.Odile De Bruyn: La compétence de l’Aréopage en matière de procès publics. Des origines romaine
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de la Grèce (vers 700– 146 avant J.C.). 1995. 226 S., kt. 3 6654– 91. Lothar Wierschowski: Die regionale Mobilität in Gallien nach den Inschriften des 1. bis 3. Jahrhunderts n. Chr. Quantitative Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der westlichen Provinzen des Römischen Reiches. 1995. 400 S., kt. 5 6720– 92.Joachim Ott: Die Beneficiarier. Untersu-
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und Bildungswesen im spatantiken Konstantinopel. 1995. VIII, 189 S., kt. 6760– 4 95.Mogens Herman Hansen andKurtRaaflaub (Eds.): Studies in the Ancient Greek Polis. 1995. 219 S., kt. 0 6759– (zugleich: Papers fromthe Copenhagen Polis Centre, Vol. 2)
96.Martin Jehne (Hg.): Demokratie inRom? Die Rolle des Volkes inder Politik derrömischen
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Franz Steiner Verlag Stuttgart