Egalität, Gemeinsinn und Staatlichkeit im archaischen Griechenland 9783831642120, 3831642125, 9783831673810

Die griechische Archaik war eine Epoche dynamischer Entwicklungsprozesse. In diesem Buch steht die Entstehung einer staa

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Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
2. STAAT UND STAATLICHKEIT ALS ANALYTISCHE
KATEGORIEN
3. GEMEINSINN UND TRANSZENDENZ ALS ANALYTISCHE
KATEGORIEN
4. EGALITÄT, PARTIZIPATION UND DEMOKRATIE ALS
ANALYTISCHE KATEGORIEN
5. DER UNTERGANG DER MYKENISCHEN WELT
Quellenregister
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Egalität, Gemeinsinn und Staatlichkeit im archaischen Griechenland
 9783831642120, 3831642125, 9783831673810

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Stefan Fraß

Egalität, Gemeinsinn und Staatlichkeit im archaischen Griechenland

Herbert Utz Verlag  ·  München 2018

Geschichtswissenschaften Band 45

Ebook (PDF)-Ausgabe: ISBN 978-3-8316-7381-0  Version: 1 vom 30.05.2018 Copyright© Herbert Utz Verlag 2018

Alternative Ausgabe: Hardcover ISBN 978-3-8316-4212-0 Copyright© Herbert Utz Verlag 2018

Stefan Fraß Egalität, Gemeinsinn und Staatlichkeit im archaischen Griechenland

Herbert Utz Verlag · München

Geschichtswissenschaften Band 45

Zugl.: Diss., Dresden, Techn. Univ., 2014 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben – auch bei nur auszugsweiser Verwendung – vorbehalten. Copyright © Herbert Utz Verlag GmbH · 2018 Coverabbildung: H.C. Selous: illustration from Troilus and Cressida Act II Scene i, from Plays of Shakespeare volume 3, edited by Charles and Mary Cowden Clarke, page 20, on archive.org ISBN 978-3-8316-4212-0 Printed in EU Herbert Utz Verlag GmbH, München 089-277791-00 · www.utzverlag.de

I Vorwort

VORWORT Bei dieser Monographie handelt es sich um eine stark überarbeitete Version meiner Dissertationsschrift. Mit dieser wurde ich im Sommersemester 2014 an der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Dresden promoviert. Ich möchte an dieser Stelle dem Betreuer meiner Dissertation, Martin Jehne, und dem Zweitgutachter, Bernhard Linke, für all ihre Bemühungen danken. Ebenso danke ich meiner Familie, meinen Freunden und allen Kollegen, welche das Werden der Dissertation und die spätere umfangreiche Überarbeitung bis hin zur Entstehung dieses Buches in vielfältiger Weise unterstützt haben. Gießen, im Februar 2018

Stefan Fraß

III Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS 1.

EINLEITUNG ......................................................................................................................... 1

2.

STAAT UND STAATLICHKEIT ALS ANALYTISCHE KATEGORIEN ............................................. 6

3.

2.1.

Vorbemerkungen ......................................................................................................... 6

2.2.

Eine exemplarische Betrachtung des Staatsbegriffes in Neuzeit und Moderne .......... 7

2.3.

Der Staat als komplexeste Entwicklungsstufe einer soziokulturellen Evolution?..... 10

2.4.

Staat und Staatsbegriff in der altertumswissenschaftlichen Forschung..................... 17

2.5.

War πόλις ein antiker Begriff für den Staat? ............................................................. 20

2.6.

Versuch einer (hinreichend vagen) Definition von Staatlichkeit .............................. 23

GEMEINSINN UND TRANSZENDENZ ALS ANALYTISCHE KATEGORIEN ................................. 29 3.1.

4.

3.2.

Gemeinsinn als Voraussetzung stabiler Ordnungen .................................................. 30

3.3.

Transzendenz als Voraussetzung stabiler Ordnungen ............................................... 34

3.4.

Das Konzept der ‚face to face society‘ und die Generierung von Gemeinsinn ......... 36

3.5.

Die Qualität und Quantität von ‚face to face‘ Beziehungen ...................................... 40

EGALITÄT, PARTIZIPATION UND DEMOKRATIE ALS ANALYTISCHE KATEGORIEN ............... 44 4.1.

5.

6.

Vorbermerkungen ...................................................................................................... 29

Vorbemerkungen ....................................................................................................... 44

4.2.

Egalitäre soziopolitische Strukturen und gerontokratische Herrschaft ..................... 47

4.3.

Partizipatorische und demokratische Strukturen und ihre Identifikation .................. 49

4.4.

Demokratie und Souveränität .................................................................................... 55

DER UNTERGANG DER MYKENISCHEN WELT ..................................................................... 60 5.1.

Die soziopolitische Ordnung der mykenischen Gemeinwesen ................................. 60

5.2.

Gesellschaftliche Neuanfänge im postmykenischen Griechenland ........................... 64

5.3.

Zusammenfassung ..................................................................................................... 68

DIE HOMERISCHE UND HESIODISCHE DORFGEMEINSCHAFT ................................................ 70 6.1.

Die historische Verortung der Gesellschaft der Epen ............................................... 70

6.2.

Die vorstaatliche Ordnung der homerischen und hesiodischen Welt ........................ 74

6.3.

Das Wesen der homerischen und hesiodischen Elite ................................................ 78

6.4.

Die Elite und das Gemeinwesen ................................................................................ 83

6.5.

Das Gemeinwesen aus unterelitärer Perspektive ....................................................... 94

6.6.

Zusammenfassung ................................................................................................... 103

IV Inhaltsverzeichnis

7.

POLITISCHE INSTITUTIONALISIERUNGSPROZESSE IM 7. UND 6. JAHRHUNDERT ................. 106 7.1.

8.

7.2.

Die Zugangsmechanismen zur Elite im 7. und 6. Jahrhundert ................................ 110

7.3.

Die hómoioi – Institutionalisierte Egalität und oligarchische Herrschaft in Sparta 119

7.4.

Soziopolitische Entwicklungslinien jenseits von Athen und Sparta ....................... 128

7.5.

Zusammenfassung ................................................................................................... 132

ATHEN IM 6. JAHRHUNDERT ALS EVOLUTIONÄRER SONDERFALL .................................... 135 8.1.

9.

Das Gesetz von Dreros – Die Schwelle zur Staatlichkeit wird überschritten ......... 106

Die solonischen Reformen – Die Institutionalisierung oligarchischer Herrschaft? 135

8.2.

Die Tyrannis des Peisistratos – Eine Phase der politischen Stagnation? ................ 150

8.3.

Die kleisthenischen Reformen – Revolutionärer oder evolutionärer Prozess? ....... 165

8.4.

Die kleisthenischen Reformen – Ein evolutionärer Sonderfall? ............................. 178

8.5.

Zusammenfassung ................................................................................................... 190

DIE KLASSISCHE POLIS ALS INSTITUTIONALISIERTE DORFGEMEINSCHAFT ....................... 191 9.1.

Vorbemerkungen ..................................................................................................... 191

9.2.

Politische Institutionalisierung ohne Institutionalisierung der politischen Elite ..... 192

9.3.

Das ‚face to face‘ Prinzip in der politischen Kommunikation ................................ 198

9.4.

Athen – Eine anonyme Massengesellschaft? ........................................................... 206

9.5.

Der spartanische Staat als Dorfgemeinschaft .......................................................... 213

9.6.

Die staatlichen Untereinheiten in den übrigen griechischen Gemeinwesen ............ 216

9.7.

Zusammenfassung ................................................................................................... 217

10. ERGEBNISSE ..................................................................................................................... 219 11. ANHANG .......................................................................................................................... 227 11.1. Abkürzungen von Standardwerken und Quelleneditionen ...................................... 227 11.2. Verzeichnis der benutzten Quellenedition ............................................................... 228 11.3. Verzeichnis der benutzten Sekundärliteratur ........................................................... 230 11.4. Quellenregister ......................................................................................................... 257

1 Einleitung

1. EINLEITUNG In der späten Bronzezeit etablierten sich frühe staatliche Gemeinwesen mit einer wahrscheinlich monarchischen Herrschaftsordnung im griechischen Kulturraum. Diese gingen im Verlauf des 12. Jahrhundert vollständig unter und mit ihnen die Kulturtechnik des Schreibens. Erst im 8. Jahrhundert entstand die Schriftlichkeit im griechischen Kulturraum neu und erst ab diesem Zeitpunkt kann die Geschichte Griechenlands wieder in Ansätzen nachvollzogen werden. Die nun rekonstruierbare gesellschaftliche Ordnung ist aber eine ganz andere, als in der mykenischen Zeit. Diese nun fassbare Ordnung ist keine staatliche, dafür aber eine weitaus egalitärere Ordnung, als es die mykenische gewesen ist. Die egalitär verfasste Dorfgemeinschaft erweist sich nun als die gesellschaftliche Grundeinheit. Im Verlauf des 7. Jahrhunderts kam es aber erneut zur Entstehung von staatlichen Ordnungen im griechischen Kulturraum. Entgegen allen evolutionären Tendenzen erweisen sich aber nicht die hierarchischen und exklusiven soziopolitischen Institutionen, sondern die partizipatorischen und egalitären in diesem Staatsentstehungsprozess als die bedeutsamsten. Gerade die partizipatorisch-egalitäre Institution der dörflichen Volksversammlung scheint dabei den evolutionären Kern für den Entstehungsprozess staatlicher Strukturen gebildet zu haben. In einigen griechischen Gemeinwesen führt dieser Prozess bis zur Entstehung einer äußerst unwahrscheinlichen Herrschaftsordnung, nämlich der Demokratie. Es soll daher im Folgenden versucht werden nachzuzeichnen, wie sich sowohl eine staatliche Ordnung als auch eine Form von institutionalisierter politischer Egalität in der griechischen Welt entwickeln konnte. Um mögliche Korrelationen oder vielleicht sogar Kausalitäten zwischen beiden Prozessen aufzuzeigen, ist es zuerst notwendig den Begriff ‚Staatlichkeit‘ zu bestimmen. Dies soll mit Hilfe der Modelle aus dem Feld der soziokulturellen Evolution erfolgen. Doch sollen diese nicht primär benutzt werden, um die allgemeingültigen Entwicklungen in der griechischen Welt darzustellen, sondern vielmehr um die Besonderheiten der Entwicklung in Griechenland deutlicher sichtbar zu machen. Es soll also nicht mehr nur darum gehen, die nur schemenhaft erkennbaren politischen und sozialen Strukturen der archaischen Zeit mit Hilfe ethnologischer und kulturanthropologischer Vergleichsbeispiele besser zu verstehen,1 sondern viel1 Es sei hier nur beispielsweise auf die Arbeiten von DONLAN 1982; ULF 1990; SCHMITZ 2004a verwiesen, die gezeigt haben, wie überaus fruchtbar dieser Ansatz war und ist.

2 Einleitung

mehr auch darum, die eher ungewöhnlichen und abweichenden Strukturen und Entwicklungsprozesse herauszuarbeiten. Eine der Besonderheiten bei der Entstehung von Staatlichkeit in der hellenischen Welt liegt dann auch in der Bedeutung der vorhandenen egalitären und partizipatorischen politischen Strukturen, welche für die gesamte archaische Zeit schemenhaft erkennbar sind.2 Dies bedeuten natürlich nicht, dass die Herrschaftsordnung damit bereits eine egalitäre gewesen wäre oder dass die Staatsentstehung im archaischen Griechenland vollkommen gegen oder unabhängig von den gesellschaftlichen Eliten erfolgt sein könnte.3 Vielmehr lag die Herrschaft bis zum Ende des 6. Jahrhunderts klar in den Händen einer Elite. Ebenso hat diese allem Anschein nach den politischen und rechtlichen Institutionalisierungsprozess für die meiste Zeit der archaischen Epoche in ihrem Sinne zu lenken vermocht. Allerdings konnte diese dabei die ursprünglichen und konstitutiven egalitären und partizipatorischen Elemente nie ganz unterdrücken. Eine klare Auswirkung dieser egalitären Grunddisposition zeigt sich dann auch darin, dass es der griechischen Elite nie gelungen ist, eine geburtsständische Abschottung zu erreichen. Vielmehr blieb für diese die ökonomische Leistungsfähigkeit immer das entscheidende Zugehörigkeitskriterium. Alle weiteren Kriterien, wie etwa ein ‚aristokratischer Lebensstil‘, blieben hingegen immer sekundär und vollständig von der ökonomischen Leistungsfähigkeit des einzelnen Akteurs abhängig. Die egalitären und partizipatorischen Elemente traten dann in der politischinstitutionellen Entwicklung der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts in weiten Teilen der hellenischen Welt verstärkt hervor. Die einzelnen Gemeinwesen 2 Ich folge hier der Grundannahme von MORRIS 1996 u. MORRIS 2000, besonders S. 109– 154, dass starke egalitäre soziopolitische Prinzipien in fast allen Teilen des griechischen Kulturraumes bis zum Beginn der archaischen Epoche zurückverfolgt werden können. Diese sind dann, den Überlegungen von DAHL 1989, besonders S. 83–134, folgend, als die notwendige Voraussetzung und der Ursprung der späteren demokratischen Entwicklung in Teilen des griechischen Kulturraumes zu sehen (vgl. dazu auch ROBINSON 1997, S. 65–73). Auch können diese egalitären soziopolitischen Prinzipien sicherlich im weitesten Sinne als eine Ideologie aufgefasste werden. Es ist aber jede Teleologie in diesem Prozess zu bestreiten und auch die Annahme von MORRIS 1996, S. 28–30 ist zurückzuweisen, dass ausschließlich ein Teil der Elite Träger dieser egalitären Ideologie („middling tradition“) gewesen sei, bzw. dass vor Kleisthenes ausschließlich Vertreter der Elite diese Ideologie bewusst instrumentalisiert hätten, um sich politische durchzusetzen. Wohl gab es aber seit dem Ende des 7. Jahrhunderts in einigen Gemeinwesen (Sparta, Kreta) die Instrumentalisierung einer ‚Gleichheitsideologie‘ durch die Elite, paradoxerweise um damit sehr erfolgreich die Zustimmung bei den unterelitären Bürgerschichten zu einer oligarchischen Herrschaft zu erlangen (siehe unten Kap. 7.4). Ob die Entstehung einer ‚middling-ideology‘ als Gegenpol zu einer ‚elitist-ideology‘ tatsächlich im archäologischen Befund bis in das 10. Jh. zurückverfolgt werden kann (so MORRIS 2000, S. 195–306), ist doch stark zu bezweifeln – siehe dazu KISTLER 2004, besonders S. 150– 167. 3 Siehe dazu WALTER 1993, S. 39–44.

3 Einleitung

mussten darauf auf die eine oder andere Weise politisch reagieren.4 Unabhängig von diesen späteren Entwicklungen sah sich die Elite während der gesamten archaischen Zeit genötigt, breiteren sozialen Schichten eine gewisse politische Partizipation zuzugestehen. Dies geschah in institutionalisierter Form vor allem durch eine allgemein zugängliche Versammlung. Zwar kannte diese Versammlung in der Frühphase der historisch fassbaren Zeit noch keine Mehrheitsentscheidung. Dennoch war es die einzige Institution, in welcher die Fragen erörtert worden sind, die das Gemeinwesen als Ganzes betrafen.5 In diesem Forum kam die Siedlungsgemeinschaft zusammen und es konnte Dissens gegen die Entscheidungen der Elite bzw. einzelner Vertreter der Elite formuliert werden.6 Ebenso konnte sich in diesem Forum auch aktiver Widerstand gegen einzelne Vertreter der Elite formieren.7 Doch mit Dissens und Widerstand ist bekanntlich noch kein Staat zu machen.8 Wo also lag die Keimzelle für einen Staatsentstehungsprozess, der die Verstetigung egalitärer und partizipatorischer Strukturen bis hin zu einer demokratischen Ordnung beinhalteten konnte? Die elitären oíkos-Herren, wie sie Homer in all ihrer heroischen Asozialität vorführt, können weder als Einzelne noch als Gruppe dafür in Frage gekommen sein. Ihr ganzes Handeln war auf sie selbst, ihre Kernfamilie und ihren oíkos ausgerichtet. Die Ausrichtung des eigenen Handelns auf die Interessen der Gemeinschaft und damit auf das Gemeinwohl, war bekanntlich ihre Sache nicht. Es fehlte ihnen an einer entscheidenden Ressource: Gemeinsinn.9 Dieser Begriff soll dabei im Anschluss an Herfried Münkler und Harald Bluhm als „eine motivationale Handlungsdisposition von Bürgern und politisch-gesellschaftlichen Akteuren begriffen werden, die eine prinzipiell knappe sozio-moralische Ressource darstellt“.10 Es soll also nicht nur nach der antiken Begrifflichkeit für und der antiken Argumentationsformen um 4 So auch MORRIS 1996, S. 20: „A Strong Principle of Equality within a bound citizen group crystallized over much of Greece between c. 525 and 490”. 5 Vgl. etwa die Versammlung in Hom. Od. 2,6–259. 6 Vgl. etwa die Versammlung in Hom. Il. 2,212–277 und dazu auch FRAß 2012, S. 106– 109. 7 Vgl. etwa die Versammlung in Hom. Od. 24,420–470, die auch ein gutes Beispiel für die fehlende Mehrheitsentscheidung ist. 8 Anders MORRIS 1996, S. 28–36, der den Ursprung sowohl des Staates als auch der Demokratie in einem fast die gesamte Archaik durchziehenden Konflikt zwischen einer „middling“ Ideologie und einer aristokratischen bzw. „elitist“ Ideologie sieht, allerdings beide getragen von Teilen der Elite. Es soll hier natürlich nicht behauptet werden, dass es keine sozialen Konflikte und politischen Auseinandersetzungen zwischen den sozialen Gruppen gegeben hat, diese kann man ja ganz klar fassen. Doch nicht diese Auseinandersetzungen haben zum Staat geführt, sondern vielmehr trotz dieser Auseinandersetzungen konnte der Staat entstehen und dies unter der Verstetigung egalitärer und partizipatorischer Prinzipien. 9 Siehe dazu unten Kap. 9.3. 10 MÜNKLER / BLUHM 2001, S. 13.

4 Einleitung

das Gemeinwohl gesucht werden, sondern es soll ganz bewusst das moderne Konzept von Gemeinsinn als einer (sozio-moralischen) Ressource benutzt werden. Es soll der heuristischen Versuch unternommen werden, das quantitative Vorhandensein dieser Ressource bei den sozialen und politischen Akteuren und Institutionen der archaischen Zeit zu fassen. Dadurch kann, so die These, der Ursprung des spezifisch griechischen Staatsentstehungsprozesses bis in die früharchische Zeit zurückverfolgt werden. In dieser Epoche sind dann die noch vorstaatlichen Gemeinwesen im Spiegel der homerischen und hesiodischen Texte zu fassen. Für diese Gemeinwesen wird dann die Bedeutung der unterelitären Schichten im Allgemeinen und der sozialen Gruppe der ‚Vollbauern‘ im Besonderen herausgestellt werden.11 Diese vorstaatlichen Gemeinwesen als Ganzes, getragen von den unterelitären Gemeindemitgliedern, sollen als Horte des Gemeinsinns ausgemacht und damit als die Keimzelle der Entstehung von Staatlichkeit identifiziert werden.12 Die entscheidenden sozialen Akteure waren also die Vertreter der unterelitären Schichten, welche die notwendige Integrationsleistung erbracht haben, damit dieser Prozess in Gang kam.13 Dabei muss man natürlich vor Zirkelschlüssen auf der Hut sein. Man sollte also nicht, ausgehend von demokratischen Institutionen der klassischen Zeit, ähnlich anmutenden Institutionen in der archaischen Zeit automatisch einen protodemokratischen Charakter zuschreiben und diese damit zu deren Vorformen erklären.14 Vielmehr soll die Entwicklung der egalitären Strukturen der früharchaischen Zeit zu den demokratischen Ordnungen der klassischen Zeit ebenso als evolutionärer Prozess aufgefasst werden, wie die parallel dazu verlaufende Entstehung von Staatlichkeit. Beide Prozesse sind aber auf keinen Fall als teleologische zu verstehen. Ebenso soll weder die Entwicklung des 8. Jahrhunderts noch die in Athen am Ende des 6. Jahrhunderts als eine tatsächliche 11 Für die Kategorie der Vollbauern wird den Ausführungen von SCHMITZ 2004a, S. 24–42, gefolgt, welcher in diesen jene Bauern sieht, die durch den Besitz von genügend eigenem Land und einem paar an Pflugochsen nicht auf Zuverdienst durch Arbeiten für Dritte angewiesen sind. Die starke Trennung in bäuerlichen Gesellschaften zwischen dem unabhängig wirtschaftenden Bauern und dem vollständig abhängigen besitzlosen Landarbeiter, aber auch dem teilweise abhängigen Kleinbauern, welcher etwa Land dazu pachten musste, stellt auch konzise VAN WEES 2006, S. 355–357 heraus. 12 Die Bedeutung der unterelitären Schichten, vor allem einer ökonomisch bestimmten Mittelschicht (vgl. dazu SPAHN 1977) bzw. Einer postulierten „middling ideology“ (vgl. dazu MORRIS 2000, S. 155-191) für die Entstehung der Polisstaatlichkeit und demokratischer Herrschaftsstrukturen ist natürlich schon lange erkannt. 13 Dabei sollte natürlich nicht ignoriert werden, dass auch die soziopolitische Elite, gegen die ein solcher Prozess nicht hätte von statten gehen können, integriert werden musste bzw. dass diese bis zu einem gewissen Grad bereit sein musste, sich selbst zu integrieren. Auch den archaischen Eliten kann man also nicht jeden Gemeinsinn absprechen. 14 Als Beispiel soll hier nur auf die Forderung von WALTER 1993, S. 92, für das Gesetz von Chios verwiesen werden, die dort genannten Institutionen nicht mit der „timokratischen Ordnung Solons, oder gar der Zukunft, den demokratischen Ordnungen des 5. und 4. Jhs. zu deuten“.

5 Einleitung

Revolution verstanden werden, trotz aller revolutionärer Veränderungen.15 Auch soll es in der vorliegenden Arbeit nicht darum gehen, für alle einzelnen griechischen Gemeinwesen den Staatsentstehungsprozess nachzuzeichnen. Dies wäre, wenn überhaupt, sowieso nur für Athen möglich.16 Letztendlich soll lediglich der Versuch unternommen werden, die Entwicklungsbedingungen im archaischen Griechenland zu konstruieren, welche die Entwicklung einer demokratischen Ordnung überhaupt erst möglich gemacht haben. Es ist die Hoffnung des Verfassers, dies nachvollziehbar zu tun und seiner Konstruktion eine innere Logik und Geschlossenheit zu geben, welche im viel bearbeiteten Feld der griechischen Archaik zumindest graduell zu einem Verständnismehrwert der Entwicklungen in dieser Epoche beitragen können.

15 So postuliert etwa MORRIS 1996, S. 24f., für das 8. Jahrhundert und OBER 1996, S. 32-52, für Athen am Ende des 6. Jahrhunderts eine Revolution. 16 Vgl. aber dagegen etwa WALTER 1993, S. 89–175 u. LINK 2000.

6 Staat und Staatlichkeit als analytische Kategorien

2. STAAT UND STAATLICHKEIT ALS ANALYTISCHE KATEGORIEN

2.1.

Vorbemerkungen

Um die Bedeutung der verschiedenen sozialen Bevölkerungsschichten bei der Entstehung von Staatlichkeit im archaischen Griechenland bestimmen zu können, ist es als vorhergehender Schritt notwendig, die Bedeutung der Begriffe ‚Staat‘ und ‚Staatlichkeit’ zu klären. Gerade zur Entstehung von sogenannten archaischen oder auch frühen Staaten sind die verschiedenen Forschungsmeinungen Legion. Dies gilt vor allem für die Frage, wann die Stufe der Staatlichkeit im eigentlichen Sinne erreicht ist.17 Der Altorientalist Normen Yoffee hat in einer Auseinandersetzung mit der Theorie der ‚soziokulturellen Evolution’18 die bedenkenswerte Meinung geäußert, dass „it doesn’t much matter, what we call things, as long as we explain clearly what we mean, and as long as our categories further research, rather then force data into analytical blocks that are selffulfilling prophecies.”19 Dem kann man fast vollständig zustimmen. Man sollte natürlich immer – soweit es möglich ist – die Begriffe und Kategorien klären, vor allem wenn deren exakte Definitionen und Bedeutungen umstritten sind. Auch sollte man natürlich eine Begrifflichkeit verwenden und Kategorien entwickeln, welche helfen, einen Erkenntnismehrwert zu gewinnen und diesen dann auch adäquat zu kommunizieren. Und natürlich sollte man sich auch vor Zirkelschlüssen hüten, indem etwa der moderne Begriff ‚Staat’ einfach als Übersetzung eines antiken Begriffes wie politeía verwendet wird und so die Existenz von Staatlichkeit im antiken Griechenland als nachgewiesen erscheint. Der einzige Punkt, in dem man Normen Yoffee widersprechen muss, ist die Bemerkung, dass es fast egal wäre, wie man die Dinge nennt. Denn der Histori17 Zur Diskussion und Theoriebildung um die Staatsentstehung aus ethnologischer bzw. archäologischer Perspektive siehe etwa YOFFEE 2005, S. 4–41; aus historischer bzw. rechtswissenschaftlicher Perspektive siehe etwa HANSEN 1998, S. 36–51 u. S. 107–113; außerdem den Überblick über die historische Entwicklung von Staatskonzeptionen bei STAHL 2003, S. 94–116. 18 Zum Begriff der ‚soziokulturellen Evolution’ siehe etwa TRIGGER 1998, S. 1–14. 19 YOFFEE 2005, S. 1.

7 Eine exemplarische Betrachtung des Staatsbegriffes in Neuzeit und Moderne

ker befindet sich ja sowohl in einer allgemein sprachlichen also auch in einer wissenschaftlich-begrifflichen Tradition. Diesen Traditionen kann man sich natürlich nicht entziehen und so muss man auf sie Rücksicht nehmen. Der Begriff ‚Staat’ wird seit Jahrhunderten in der philosophisch-wissenschaftlichen Diskussion benutzt und vor allem in der modernen Geschichtswissenschaft meistens unreflektiert gebraucht. Daher aber auf diesen Begriff und diese Kategorie zu verzichten oder gar eine völlig neue Begrifflichkeit zu entwickeln, würde nur zu Verwirrung führen und sicher keinen Erkenntnismehrwert erbringen. Die Vermeidung des Staatsbegriffes müsste in jedem Falle einzeln begründet werden. Gelingt hingegen eine auch nur einigermaßen klare Definition, was unter ‚Staat‘ bzw. ‚Staatlichkeit‘ verstanden werden soll, hat man mit diesen Kategorien ein analytisches Mittel in der Hand. Mit diesem ist es möglich, die verschiedenen historischen und kontemporären soziopolitischen Ordnungen menschlicher Großgruppen zu untersuchen. Gerade der Vergleich von Gemeinsamkeiten und Besonderheiten verschiedener Gesellschaftsordnungen kann zu einem besseren Verständnis von diesen führen. Dies gilt sowohl in Bezug auf ihre Entstehungsprozesse also auch auf ihre Funktionsweisen.

2.2.

Eine exemplarische Betrachtung des Staatsbegriffes in Neuzeit und Moderne

Im Folgenden sollen der ‚Vertragsstaat’ des Thomas Hobbes, der ‚Drei-Elemente-Staat’ des Georg Jellinek und der ‚Anstaltsstaat’ des Max Weber kurz erläutert werden. Denn gerade diese Konzepte haben in der historischen Forschung eine umfangreiche Rezeption erfahren und erfahren sie immer noch. Darauf aufbauend kann dann im folgenden Kapitel besser aufgezeigt werden, warum das evolutionäre Modell von Staatlichkeit besser zur Beschreibung vormoderner Gesellschaften geeignet ist. Der deutsche Begriff ‚Staat’ stammt bekanntlich vom lateinischen status, ohne dass aber dieses antike Wort in seiner sprachlichen Entwicklung bis zum neuzeitlichen Latein der Gelehrten zu einem selbstständigen Begriff mit der Bedeutung ‚Staat’ geworden wäre.20 Der neuzeitliche Staatsbegriff entstand vor allem in den romanischsprachigen Ländern West- und Südeuropas und in England während des 15. und 16. Jahrhunderts. Deutschland hingegen folgte dieser begrifflichen Entwicklung erst später, im 17. Jahrhundert, mit der Auseinanderdifferenzierung der Begrifflichkeit für ‚Stand’ und ‚Staat’.21 Die Entstehung dieses neuzeitlichen Staatsbegriffes wäre allerdings nicht möglich gewesen, ohne 20 Vgl. WEINACHT 1968, S. 53–68. 21 Vgl. CONZE 1990, S. 8.

8 Staat und Staatlichkeit als analytische Kategorien

die vorherige theoretische Trennung von Herrscher und Herrschaftsgewalt, welche bereits im 14. Jahrhundert mit der Lehre von den beiden Körpern des Königs geleistet wurde.22 Wenn der Ursprung des neuzeitlichen Staatsbegriffes also wenigstens bis in das Mittelalter zu verfolgen ist, so stellt sich natürlich die Frage, warum die Diskussion hier ausgerechnet mit Thomas Hobbes (1588–1679) beginnen soll. Um dies zu beantworten, muss kurz auf das berühmte Diktum des Aristoteles verwiesen werden, in welchem er den Menschen als von Natur aus ‚politisches’ bzw. ‚gesellschaftliches’ Wesen darstellt.23 Denn daraus folgt, dass der Mensch von Natur aus in einer sozialen und politischen Organisationsstruktur leben muss und für diese Struktur kam dann eben seit dem 15. Jahrhundert der Begriff ‚Staat‘ in Benutzung. Diese Ansicht blieb bis in das 17. Jahrhundert vorherrschend und erst durch Hobbes wurde dem etwas Neues entgegengesetzt. Dies geschah, indem er die Künstlichkeit von Herrschaft und Herrschaftsordnungen herausstellte. Aufgrund der nun aufgezeigten Künstlichkeit von Herrschaftsordnungen bedurften diese nun eben auch einer Legitimation.24 Den Zustand vor der Existenz des ‚Staates‘, vor dem Bestehen einer „common Power to keep them all in awe“,25 bezeichnete Hobbes bekanntlich als den Naturzustand, also einen Zustand des Krieges aller gegen alle.26 Die von den Menschen geschaffenen Herrschaftsordnungen zur Überwindung dieses Naturzustandes sind für Hobbes dann der Staat, dessen Ursprung bereits in den Großfamilien des Alten Testamentes zu erblicken ist. Erreicht wird die Überwindung des Naturzustandes durch einen Vertragsschluss. Erst durch einen solchen geben die einzelnen Mitglieder eines sozialen Verbandes ihre individuelle Souveränität auf und übertragen diese an eine gemeinsam geschaffene Institution, die dadurch eben zum Souverän wird. Dieser neue Souverän kann sowohl aus einer einzelnen Person, einer Gruppe als auch aus der Gesamtheit der Vertragsschließenden bestehen. Dies konstituiert den Staat („Civill State“), der sich zum einen dadurch auszeichnet, dass er einen nach innen wirkenden Souverän besitzt. Zum anderen ist er aber auch gegenüber anderen Staaten souverän, da er sich zusammen mit allen anderen Staaten quasi im Naturzustand befindet. Jedenfalls kann für Hobbes ein Mensch nur als Teil eines Staates existieren, oder er muss sich notwendi22 Dazu grundlegend KANTOROWICZ 1997 [1957], besonders S. 314–450, u. konzise MAGER 1968, S. 97–99. 23 Aristot. pol. 1253a 2f.: καὶ ὅτι ὁ ἄνθρωπος φύσει πολιτικὸν ζῷον. 24 Vgl. CHWASZCZA 2001, S. 215–217 u. RYAN 1996, S. 216f. 25 HOBBES 1996, S. 84 [Chap. 13,8]. 26 HOBBES 1996, S. 85 [Chap. 13,11]: „[…] a war as is of every man against every man”. Dessen ungeachtet muss aber auch Hobbes einräumen, dass „there was never such a time nor condition of war as this; and I believe it was never generally so, over all the world”. Allerdings ist er auch überzeugt, dass „[…] there are many places where they live so now. For the savage people in many places of America, except the government of small families, the concord whereof dependeth on natural lust, have no government at all, and live at this day in that brutish manner, as I said before”.

9 Eine exemplarische Betrachtung des Staatsbegriffes in Neuzeit und Moderne

gerweise im Naturzustand befinden. Eine Zwischenstellung zwischen dem staatlichen und dem natürlichen – vorstaatlichen – Zustand scheint er nicht in Betracht zu ziehen. Auch von Georg Jellinek (1851–1911) wird die Schwelle zur Staatlichkeit recht niedrig angesetzt. Dies kann er tun, da er zwischen einer modernen „sekundären Staatsbildung“ und einer ursprünglichen „primären Staatsbildung“ – über die aber nicht viel ausgesagt werden kann – unterscheidet. Damit gewinnt er eine Unterscheidung zwischen einem ‚modernen‘ und einem ‚ursprünglichen‘ Staat. Dies führt ihn dann zu dem Schluss, dass „wenn wir die primitiven Verbände unter entwicklungsgeschichtlichem Gesichtspunkt betrachten […] jede Organisationsform herrschaftlichen Charakters, die keine höhere über sich hat, bereits als Staat aufzufassen sein“27 muss. Dennoch macht er klar, dass obwohl alle Staatsbildungen in einem „fortwährendem Flusse begriffen“ sind, es sich dennoch „manche feststehende Merkmale auffinden [lassen], die durch den Wandel der Zeiten hindurch einem Staate […] einen bestimmten Typus aufdrücken“. Diese „feststehenden Merkmale“ sollten den modernen Betrachter davor bewahren, „in der politischen Geschichte eines Volkes nichts als ein Gewirre von nur zeitlichen zusammenhängenden, innerlich unverbundenen Notizen zu erkennen“.28 Die „feststehenden Merkmale“ sind dann bekanntlich die drei Elemente, welche er als Grundbedingung für die Existenz einer Form von Staatlichkeit ausgemacht hat: das Staatsgebiet, das Staatsvolk und die Staatsgewalt.29 Alle diese drei Elemente müssen als Einheit einen gesellschaftlichen Verband auszeichnen, dann sei dieser ein Staat. Auch für Jellinek scheint es nur die Möglichkeiten zu geben, dass ein gesellschaftlicher Verband entweder einen (modernen oder ursprünglichen) Staat bildet oder kein Staat ist. Eine Alternative dazu scheint es für ihn nicht zu geben. Erst Max Weber (1864–1920), in einem begrenzten Maße von Jellinek beeinflusst,30 hat in seinen Überlegungen, was den Staat auszeichne, Alternativen aufgezeigt. So leitet er den Staat über die Idee des ‚Herrschaftsverbandes’ her, welcher dadurch bestimmt ist, dass „seine Mitglieder als solche kraft geltender Ordnung Herrschaftsbeziehungen unterworfen sind.“31 Als ein solcher ‚Herrschaftsverband’ ist auch die Familie unter dem Familienvater anzusehen. Ebenso bildet der Beduinenstamm unter einem Häuptling einen ‚Herrschaftsverband‘, welcher die Macht besitzt, die durch sein Gebiet reisenden Personen auszurauben. Weder der Familienvater noch der Beduinenhäuptling benötigen dazu einen Verwaltungsstab, könnten einen solchen aber dennoch haben. Die nächste, komplexere Verbandsform ist dann bei Weber der ‚Politische Verband’. Dieser Ver27 JELLINEK 1959, S. 266. 28 JELLINEK 1959, S. 287. 29 Vgl. JELLINEK 1959, S. 394–434. Zur Entwicklungsgeschichte der Drei-Elemente-Lehre im Werk Georg Jellineks siehe KERSTEN 2000, S. 229–302. 30 Vgl. KERSTEN 2000, S. 123–127. 31 M. WEBER 1980, S. 29 [WuG 1,1 §16].

10 Staat und Staatlichkeit als analytische Kategorien

band ist dadurch gekennzeichnet, dass „sein Bestand und die Geltung seiner Ordnung innerhalb eines angebbaren geographischen Gebiets kontinuierlich durch Anwendung und Androhung physischen Zwanges seitens des Verwaltungsstabes garantiert“32 werden. Zwei der Elemente, welche Jellinek für die Existenz eines Staates bestimmt hat (Territorialität und Staatsgewalt), scheinen hier auch schon für eine vorstaatliche Verbandsform angenommen zu werden. Die komplexeste Verbandsform ist dann erreicht, wenn der Verwaltungsstab eines ‚Politischen Verbandes’ „erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwanges für die Durchführung und Ordnung in Anspruch nimmt“. 33 Diese Verbandsstufe, die Weber auch als „politischer Anstaltsbetrieb“ bezeichnet, ist eben der Staat. Speziell der „Monopolcharakter der staatlichen Gewaltherrschaft“ ist für Weber ein wesentliches Element für die Existenz von Staatlichkeit. Dies muss nun aber nicht bedeuten, dass der Staat seine Staatsgewalt nicht an Verbandsmitglieder delegieren kann.34 Für Weber gibt es also alternative Formen der Vergesellschaftung von vergemeinschafteten Verbänden.35 Dies stellt aber noch keine Form soziokultureller Evolution dar, da Weber eher eine hierarchische Systematik vom Familienverband zum Staat darstellt als eine (evolutionäre) Entwicklungsgeschichte.

2.3.

Der Staat als komplexeste Entwicklungsstufe einer soziokulturellen Evolution?

Die Idee einer soziokulturellen Evolution ist ebenso alt wie die Idee der biologischen Evolution. Beide Konzepte sind im 19. Jahrhundert parallel aus dem Geist der Aufklärung und der mit dieser verbundenen Entwicklung der modernen Wissenschaftlichkeit entstanden.36 Die Entwicklung der modernen (biologischen) Evolutionstheorie ist natürlich vor allem mit dem Namen Charles Darwin 32 M. WEBER 1980, S. 29 [WuG 1,1 §17]. 33 M. WEBER 1980, S. 29 [WuG 1,1 §17]. Zum Problem der Legitimität siehe M. WEBER 1980, S. 16–20 [WuG 1,1 §5–7]; S. 122–124 [WuG 3,1 §1f.] u. S. 163f. [WuG 3,1 §1); außerdem dazu WINCKELMANN 1952, S. 25–43. 34 M. WEBER 1980, S. 30 [WuG 1,1, §17]. 35 Zur Unterscheidung von ‚Vergemeinschaftung’ und ‚Vergesellschaftung’ siehe M. WEBER 1980, S. 21–25 [WuG 1,1 §9–10]. 36 Der Vollständigkeit halber muss darauf hingewiesen werden, dass dies nur für die modernen Konzepte von Evolution gilt. Denn bekanntlich hat bereits der vorsokratische Philosoph Anaximander, welcher in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. in Milet lebte, die Herkunft aller Landtiere aus dem Meer und ihre Entwicklung aus den Meerestieren vorweggenommen (siehe fr. 12A30 Diels / Kranz, überliefert bei Aet. plac. 5,19,4). Allerdings sollte dies nicht mit der Existenz einer Evolutionstheorie im eigentlichen Sinn verwechselt werden (vgl. dazu BARNES 2005, S. 15–17).

11 Der Staat als komplexeste Entwicklungsstufe einer soziokulturellen Evolution?

(1809–1882) verbunden.37 Die moderne (ethnologische) Theorie einer soziokulturellen Evolution kann hingegen auf drei Gelehrte des 19. Jahrhunderts zurückgeführt werden. Zum einen ist der Philosoph Herbert Spencer (1820 – 1903) zu nennen, der die Idee einer Evolution aus der rein biologischen Sphäre auf die der menschlichen Gesellschaft übertrug. Die eigentlichen Begründer der Evolutionstheorie innerhalb des ethnologischen Faches waren der Engländer Edward Burnett Taylor (1832–1917) und der Amerikaner Lewis Henry Morgan (1818–1881). Beide waren überzeugt, dass der Ursprung aller menschlichen Gesellschaften – unabhängig von ihrem gegenwärtigen Entwicklungsstand – in kleinen nomadischen Gruppen von Jägern und Sammlern zu sehen sei. Diese Gruppen entwickelten Ackerbau und Viehzucht, wurden dadurch sesshaft und bildeten schließlich dörfliche Siedlungen. Von dort aus konnte es dann, so ihr Modell, in einer graduellen Entwicklung bis zur Entstehung von Großreichen kommen. Doch soll an dieser Stelle keine Geschichte der Ethnologie oder auch nur eine Geschichte der Theorie einer soziokulturellen Evolution gegeben werden.38 Vielmehr sollen hier nur die Grundannahmen noch einmal klar herausgestellt werden. Die wichtigste Annahme ist dabei, dass der ‚Staat’ nicht von Natur aus existiere. Auch gibt es mehr als zwei Möglichkeiten für die gesellschaftliche Ordnung menschlicher Großgruppen, also mehr als den ‚Naturzustand’ und den ‚Staat’. Ebenso wird der Vorstellung, alle zeitgenössischen, ‚primitiven‘ menschlichen Gesellschaften seien durch ‚Degeneration’ von einer höheren Entwicklungsstufe auf ihre gegenwärtige, niedere Entwicklungsstufe abgesunken und dadurch eben erst entstanden, wird ebenso eine klare Absage erteilt.39 Die Überwindung dieses Dekadenzmodells war deswegen so bedeutend, da daraus noch bis ins 20. Jahrhundert die Idee einer sittlichen Unterlegenheit der ‚primitiven‘ Gesellschaften konstruiert wurde. Ideologisch ließ sich dadurch dann die Unterwerfung und ‚Zivilisierung‘ solcher Gesellschaften, gegen ältere Vorstellungen der Aufklärung des sich im Naturzustand befindenden ‚Edlen Wilden‘, rechtfertigten. Dass die Idee des ‚Edlen Wilden‘ebenso ein ideologisches Konstrukt ist, sollte dabei natürlich nicht vergessen werden.40 All dies bedeutet natürlich nicht, dass es nicht zu einer tatsächlichen Degeneration höher entwickelter politischer oder gar staatlicher Ordnungen kommen kann. Der Untergang des Römischen Reiches am Ende der Antike und der Untergang der 37 Natürlich gab es auch schon vor Darwin viele Gelehrte, welche sowohl über eine Veränderlichkeit der Arten als auch über die Mechanismen, nach den diese Veränderungen vonstatten gehen, spekuliert haben; siehe dazu den Überblick von WUKETITS 2005, S. 57–86, besonders das Kapitel „’Forerunners’ of Darwin“, S. 58–63. 38 Vgl. dazu den konzisen Überblick von BATES GRABER 2010, S. 576–585; für einen umfassenderen Einblick vgl. CARNEIRO 2003. 39 Siehe BATES GRABER 2010, S. 577, mit dem klaren Diktum: „The defeat of degenerationism was a great step in science”. 40 Siehe dazu etwa ELLINGSON 2001.

12 Staat und Staatlichkeit als analytische Kategorien

mykenischen Zivilisation am Ende der Bronzezeit sind zwei bekannte Beispiele für solche Prozesse.41 All diese hier angeführten Überlegungen, Theorien und Erkenntnisse beruhten vornehmlich auf der empirischen Untersuchung gegenwärtiger ‚primitiver‘ Gesellschaften. Aber auch die rein historisch fassbaren, ‚archaischen‘ Gesellschaften wurden früh in die evolutionäre Modellbildung mit einbezogen. Der Versuch, alle gegenwärtigen und gewesenen Gesellschaften in eine lineare Entwicklungsabfolge einzuordnen, ist aber auch frühzeitig innerhalb der Ethnologie auf Kritik und Ablehnung gestoßen. Vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Klassifizierung von Gesellschaften als ‚primitiv‘ durch die Ethnologen verstärkt zurückgewiesen. Vielmehr wurde von diesen durch verstärkte Feldforschung versucht, solche Gesellschaften aus sich selbst heraus zu begreifen. Diese Tendenzen werden umso verständlicher, wenn man bedenkt, dass diese Klassifizierungen und Beschreibungen von indigenen Bevölkerungen von interessierter Seite benutzt worden sind, um chauvinistische und rassistische Ideologien zu untermauern. So wurden etwa politische Konzepte wie der Kolonialismus des 19. Jahrhunderts und die nationalsozialistische Rassenpolitik des 20. Jahrhunderts mit den Theorien der soziokulturellen Evolution begründet.42 Dazu sei nun Folgendes bemerkt: Die Charakterisierung einer Gesellschaft als ‚primitiv‘ oder ‚archaisch‘ ist erst einmal noch nicht als chauvinistisch oder gar als rassistisch zu verstehen. Denn mit diesen Bezeichnungen soll lediglich die technologische, ökonomische, kulturelle und soziopolitische Organisationsform beschrieben werden. Dass es in all diesen Aspekten Unterschiede, etwa zwischen der Gesellschaft des früharchaischen Griechenlands und der des Römischen Reiches zur Zeit Justinians I., gegeben hat, kann niemand leugnen. Auch dass es Unterschiede in all diesen Aspekten zwischen der bundesrepublikanischen Gesellschaft der 1960er Jahre und der melanesischen Gesellschaften von Papua-Neuguinea der 1960er Jahre gegeben hat, kann niemand abstreiten. All diese Gesellschaften unterscheiden sich eben in all diesen Aspekten in der Komplexität ihrer Organisation. Die Unterteilung in primitivere und komplexere Gesellschaften ist also berechtigt. Chauvinistisch wird 41 Auch in der Gegenwart ist dieses Phänomen hinreichend bekannt und wird unter dem Begriff des ‚Staatszerfalls‘ gefasst – zu den Gründen für derartige Prozesse siehe etwa ROTBERG 2004. So erscheinen dann auch – wahrscheinlich nicht zu Unrecht – die Warlords in den zerfallenen oder zerfallenden Nationalstaaten wie Somalia oder Afghanistan eher als ‚big-men‘ oder bestenfalls ‚chiefs‘. 42 An dieser Stelle soll noch einmal Herbert Spencer Erwähnung finden, auf den das Konzept des „survival of the fittest“ zurückgeht (vgl. SPENCER 1864, S. 444f.). Darwin übernahm diesen Ausdruck erst in einer Neuauflage von „On the Origin of Species“ im Jahr 1869. Mitunter wird Spencer daher als einer der Begründer des Sozialdarwinismus angesehen (vgl. dazu HAWKINS 1997, S. 82–103 u. GONDERMANN 2007, S. 81–87). Es sollte allerdings auch bedacht werden, dass Spencer den Begriff „Social Darwinism” nie benutzt hat (HODGSON 2004, S. 432) und dass er auch erst nach 1937 mit diesem Konzept dezidiert in Verbindung gebracht wurde (HODGSON 2004, S. 435).

13 Der Staat als komplexeste Entwicklungsstufe einer soziokulturellen Evolution?

eine solche Unterteilung erst, wenn Vertreter einer komplexeren Gesellschaft gegenüber einer primitiveren Gesellschaft auch eine moralisch-sittliche Überlegenheit postulieren. Verheerend für die primitivere Gesellschaft wird dies dann, wenn die entwickelte Gesellschaft vor allem den technologischen Unterschied ausnutzt, um die primitivere Gesellschaft mit der eigenen angeblichen moralisch und sittlichen Überlegenheit zu beglücken. Rassistisch im eigentlichen Sinn wird eine solche Unterteilung dann, wenn die evident bestehenden technologischen, ökonomischen, kulturellen und soziopolitischen Unterschiede sowie die postulierte moralisch-sittliche Überlegenheit der komplexeren Gesellschaft, kausal an die natürlichen Variationen in der Hautpigmentation, in der Haarfarbe, in der Knochenstruktur des Gesichtes usw. gebunden wird. Seit den 1950er Jahren wurde dann, vor allem von amerikanischen Ethnologen, das Konzept der soziokulturellen Evolution wieder aufgegriffen. Nun allerdings explizit unter der Prämisse derartige Überlegungen zu entkräften. Dennoch wollte man aber auch nicht auf das Modell von hierarchisierten gesellschaftlichen Organisationsformen verzichten. Dieses neue Aufgreifen des Evolutionskonzeptes ist vor allem verbunden mit den Ethnologen Julian Stewart und Leslie A. White. Stewart versuchte nun, im Rahmen eines evolutionären Entwicklungsschemas, die Besonderheiten einzelner Kulturen und ihre individuellen soziokulturellen Entwicklungen darzustellen. Er entwickelte dafür das Konzept einer multilinearen Evolution, welches den Einzigartigkeiten der verschiedenen Kulturen Rechnung tragen sollte.43 White hingegen wollte eher eine vereinheitlichende Theorie der soziokulturellen Evolution erbringen und strukturierte die verschiedenen Kulturen nach ihrem Energieverbrauch bzw. ihrer Energieausnutzung.44 Stewarts Schüler Morton H. Fried entwickelte wiederum ein evolutionäres Entwicklungsmodell, nach welchem die gesellschaftliche Entwicklungsstufe aufgrund der soziopolitischen und sozioökonomischen Stratifizierung bestimmt wird.45 Eine Synthese aus diesen Ansätzen gelang dann Marshall D. Sahlins und Elman R. Service, indem diese die soziokulturelle Evolution in eine ‚generelle Evolution’ und eine ‚spezifische Evolution’ teilten.46 Die Theorie der ‚generellen Evolution’ geht davon aus, dass tendenziell alle Gesellschaften, wenn sie sich ungestört entwickeln könnten, mit der Zeit an Komplexität gewinnen und sich an ihren Lebensraum besser anpassen würden. Die ‚spezielle Evolution’ hingegen besagt, dass sich tendenziell keine Gesellschaft isoliert entwickeln kann und äußere Einflüsse den natürlichen Entwicklungsprozess immer beein43 Vgl. STEWART 1972, S. 11–29 (Erstpublikation 1955). 44 Vgl. WHITE 1959, S. 33–57. 45 Vgl. FRIED 1960. Das Entwicklungsmodell sieht dabei in ‚non-rank, non-stratified‘, im Grunde egalitären Gesellschaften die niedrigste Stufe. Dem folgte die ‚ranked society‘, dann die ‚stratified society‘ und schließlich der Staat. 46 Vgl. SAHLINS 1960, S. 23–38.

14 Staat und Staatlichkeit als analytische Kategorien

flussen. So ließen sich, so zumindest ihre Überzeugungen, die kulturellen Sonderentwicklungen der verschiedenen Gesellschaften erklären. Für die Alte Geschichte im Allgemeinen und für die Rekonstruktion der homerischen Gesellschaft im Besonderen haben die Theorien von Sahlins und Service große Bedeutung. Deswegen sollen sie am Beispiel der homerischen Gesellschaft kurz erläutert werden.47 Denn es war die Adaption von evolutionistischen Modellen, welche – nach der grundlegenden Neubestimmung der Erforschung der homerischen Gesellschaft durch Moses Finley48 – zu neuen Erkenntnissen und einer graduellen Verbesserung im Verständnis der ‚Welt des Homer‘ geführt hat. Zu nennen wäre in diesem Zusammenhang besonders das Modell von Elman R. Service, in welchem er die Abfolge von primitiven zu komplexeren Gesellschaften in vier Stufen eingeteilt hat: die Bande (‚band‘), also die nomadische Kleingruppe der Jäger und Sammler; dann der Stamm (‚tribe‘), die bereits sesshafte, Ackerbau und Viehzucht betreibend Dorfgemeinschaft; die Häuptlingsherrschaft (‚chiefdom‘), welche bereits eine zentralisierte Institution eines Anführers, mehrere Siedlungszentren und in Ansätzen auch eine stratifizierte Gesellschaftsstruktur kennt; schließlich der Staat als komplexeste Organisationsstruktur.49 Walter Donlan hat als einer der ersten Altertumswissenschaftler dieses Modell auf die homerische Gesellschaft angewendet und diese soziopolitische Ordnung der evolutionären Stufe der ‚Häuptlingsherrschaft‘ zugewiesen. Er hat diese Zuordnung mit der Einschränkung versehen, dass es sich hierbei noch nicht um eine in seiner Komplexität voll entfaltete Häuptlingsherrschaft handelt, da die homerische Gesellschaftsordnung „less centrally organized, more segmental, and more egalitarian“50 sei. Auch Marshall D. Sahlins hat mit der ‚big-men’ Stufe in seinem Modell der soziokulturellen Evolution die Beschäftigung mit der homerischen Gesellschaft stark beeinflusst. Die melanesische Selbstbezeichnung ‚big-men’ wurde von ihm als evolutionärer Idealtyp – vergleichbar der ‚tribe’ Stufe bei Service – zuerst in einem Aufsatz von 1963 beschrieben. In dieser Untersuchung hat er die soziopolitischen Ordnungen Polynesiens mit denen Melanesiens (Neu Guinea, die Salomonen, die Bismarckinseln und die Inselgruppen westlich von Fiji) verglichen. Er stellte dabei viele Unterschiede, vor allem in der Führung der politischen Gruppen, fest. So gab es in Polynesien ein höher entwickeltes politisches System unter der Führung von Häuptlingen (‚chiefs’). Diese gewannen ihre Legitimation unter anderem aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Abstammungsgruppe, aufgrund ihrer Lebensweise und aufgrund ihres ‚aristokratischen‘ Selbstverständnisses. 47 Siehe dazu auch Kap. 6. 48 Moses Finley’s ‚The World of Odysseus‘ erschien in erster Auflage 1954. Bekanntlich vertrat er als Erster die These, dass es sich bei der Hintergrundwelt der homerischen Texte um die nachbronzezeitliche Welt handeln musste; siehe dazu das Vorwort von Bernard Knox in: FINLEY 2002, S. VII-XVIII. 49 Vgl. SERVICE 1964. 50 Vgl. DONLAN 1982, S. 3.

15 Der Staat als komplexeste Entwicklungsstufe einer soziokulturellen Evolution?

Die ‚häuptlingsfähigen’ Familien bildeten nun die soziopolitische Elite der polynesischen Gesellschaft. Diese Elite war wiederum in sich stratifiziert und bildete die Spitze einer pyramidenartig aufgebauten Gesellschaft. Diese Elite wurde „on the basis of inherent societal rank“51 auf die verschiedenen politischen Rangstellungen aufgeteilt. Die Stellung des ‚chiefs’ war dabei ein Amt, dessen Inhaber unabhängig von seiner Person Autorität besaß und dadurch Herrschaft ausüben konnte.52 Die ‚big-men’ hingegen unterschieden sich von den Häuptlingen zum einen in „powers, privileges, rights, duties, and obligations“, zum anderen aber auch in „bearing and character, appearance and manner“.53 Sie kamen weder durch Abstammung noch durch Auswahl in ihre Positionen. Das Einzige, was diese ‚bigmen’ für ihre höhere soziale Position qualifizierte und weshalb ihre soziale Gruppe ihnen eine höhere Position zugestand, war ihre persönliche Leistungsfähigkeit und ihr persönlicher materieller Reichtum. Ihre Position im Gemeinwesen war dabei nicht in irgendeiner Weise gesichert, noch besaßen sie wirkliche Zwangsgewalten, um ihre Autorität durchzusetzen. Ihre Macht war eben rein persönlicher Natur. Sie mussten permanent mit den anderen Gruppenmitgliedern um ihre Stellung konkurrieren. Die Grundlage ihres Sozialstatus bildeten ihre privaten Haushalte mit ihren Kernfamilien, welche um persönliche Anhänger erweitert sein konnten.54 Würde man diese Modelle etwa auf die homerische Gesellschaft anwenden, dann würde man zuerst die Frage nach der Natur der homerischen Führungsschicht stellen. Hier stehen sich in der Forschung heute vor allem zwei Positionen gegenüber. Zum einen wird die Ansicht vertreten, bei den homerischen Heroen handele es sich um eine adlige Schicht mit eigenem Standesbewußtsein, welche die Führung in den Gemeinwesen wahrnahm. 55 Dies würde etwa dem mittelalterlichen und neuzeitlichen europäischen Adel oder auch dem soziologisch-ethnologischen Modell der polynesischen Häuptlingsfamilien von Sahlins entsprechen. Zum anderen gibt es die Überzeugung, man könnte etwa das ‚big-men‘ Modell von Marshall D. Sahlins auf die homerische Elite anwenden und so ihre Stellung in ihren Gemeinwesen besser erklären.56 51 Vgl. SAHLINS 1963, S. 294. 52 Vgl. SAHLINS 1963, S. 294–298. Es versteht sich von selbst, dass die Autorität von Personen in politischen Funktionen in der Realität immer auch von der Persönlichkeit selbst abhängt. 53 Vgl. SAHLINS 1963, S. 288. 54 Vgl. SAHLINS 1963, S. 288–294. 55 So etwa H. BLUM 2001a, S. 29–39. 56 So etwa ULF 1990, S. 223–231, welcher in der homerischen Gesellschaft aber keine genuine ‚big-man society‘ sieht, sondern eine Übergangsform von dieser zu einer ‚chief society‘. Er sieht im Übrigen in diesem Übergang auch den Übergang von einer vorstaatlichen zu einer staatlichen Ordnung (S. 230f.). Außerdem J. HALL 2007, S. 120–127, hier S. 127: „The Homeric basileis are not, then, kings in the conventional sense but, while they bear some striking resemblance to “big-men”, there are other features that would suggest that they are also sometimes imagined more as chieftains, occupying a formally

16 Staat und Staatlichkeit als analytische Kategorien

Die Stufe der Staatlichkeit hat die Ethnologen, obwohl sie diese in ihren Modellen der soziokulturellen Evolution immer mit vorsahen, im Allgemeinen weniger interessiert. Sie waren und sind in der akademischen Arbeitsteilung für die kontemporären bzw. historischen Gesellschaften zuständig, die explizit nicht die höchste Stufe technologischer, ökonomischer, kultureller und soziopolitischer Komplexität erreicht haben. Auch war die weitere Ausdifferenzierung der Stufe der ‚Staatlichkeit‘ für sie nicht von Interesse. Denn natürlich stellt die Entwicklungsstufe des Staates weder das Ziel aller historischen Entwicklung noch stellen alle staatlichen Gesellschaften ein Kontinuum dar. Dessen ungeachtet kann man mithilfe dieser Modelle die Staatlichkeit von all den anderen Formen soziokultureller Organisation scheiden und dadurch die Eigenarten und Einzigartigkeiten der Staatlichkeit herausarbeiten. Natürlich birgt jede solche Kategorisierung einer vorstaatlichen Gesellschaft die Gefahr, dass das Besondere, was diese Kultur auszeichnet, verwischt wird. Im Bereich der Archäologie, besonders dort, wo sich mit den rein schriftlosen Gesellschaften auseinandergesetzt wird, sind die Gefahren noch viel größer. So gibt es hier die Tendenz, eine Art archäologischen Fingerabdruck der allein durch materielle Überreste bekannten Gesellschaft zu nehmen und dann mit einer kontemporären, durch die Ethnologie beschriebenen Gesellschaft zu vergleichen. Konfrontiert man hier nur den materiellen Befund, um etwa Aussagen zum Stand der technologischen Entwicklung zu machen, ist das im Grunde meist unproblematisch. Problematisch wird es dann, wenn die politischen Strukturen aufgrund einer tendenziellen materiellen Übereinstimmung auf die ‚ergrabene Gesellschaft‘ übertragen werden und man damit glaubt, politische Strukturen ergraben zu haben.57 Ähnliche Gefahren bestehen auch bei der Anwendung dieser ethnologischen Kategorisierungen auf vergangene Gesellschaften. Ganz besonders gilt dies für die homerische Gesellschaft. Hier hat man eine epische Dichtung, die vieles will, aber eines nicht ist: Geschichtsschreibung.58 Hier ist die Versuchung groß, constituted – and ideally inherited – office. One might be tempted to suppose that the society depicted by Homer is a ranked society, where the personal authority wielded by “big-men” is in the process of being transferred into a more traditional authority, occupied by hereditary chieftains”. 57 Siehe dazu die instruktiven Ausführungen bei YOFFEE 2005, S. 15–21, mit der klaren Warnung (S. 20): „The very act of categorization turned researchers towards the goal of finding an ideal type in the material record – is it or is it not a chiefdom? – and to construct a shortcut for identifying an entire set of differences (as well as similarities) among prehistoric societies. Archaeological accounts of the rise of ancient states and civilizations thus retrojected ethnographic types (no matter that institutions varied exceedingly with a postulated type) into the prehistoric record and reconstructed social evolution as a series of holistic leaps from one stage to the next. The unavoidable conclusion was that archaeologists, in becoming true believers of neo-evolutionary theory, produced confirmations of revealed truth and had nothing new to contribute to social theory”. 58 Vgl. dazu grundlegend ULF 2002, S. 319–354. Siehe dazu aber auch SAID 2011, S. 75– 95, welche Homer durchaus ein historisches Bewusstsein zuschreibt, da sie seine Dich-

17 Staat und Staatsbegriff in der altertumswissenschaftlichen Forschung

mit ethnologischem und kulturanthropologischem Material die Lücken im Verständnis dieser Gesellschaftsordnung zu füllen. Dabei ist die Gefahr besonders groß, wieder das Besondere dieser Gesellschaft und die Einzigartigkeit ihrer Entwicklungsgeschichte aus den Augen zu verlieren. Doch sind die Gefahren kleiner als bei den rein archäologisch fassbaren Gesellschaften. Denn man besitzt hier eben schriftliche Quellen, die doch zumindest einige wenige schlaglichtartige Einblicke in die politischen Strukturen dieser Gesellschaftsordnung erlauben.

2.4.

Staat und Staatsbegriff in der altertumswissenschaftlichen Forschung

Es gibt keinen eigenständigen historischen Staatsbegriff.59 Man kann aber unter den Altertumswissenschaftlern fünf Herangehensweisen an das Problem der Staatlichkeit in der Antike feststellen. Zuerst wäre die, mehr oder weniger, unreflektierte Benutzung des Staatsbegriffes – die durchaus etwa für sich hat – zu nennen. Hier wird einfach die Existenz des Staates, gleichsam im aristotelischen Sinne, von Natur aus angenommen oder doch zumindest für die ägyptische Gesellschaft sowie für die vorderorientalischen und mediterranen Gesellschaften vorausgesetzt.60 Gerade in der deutschen Altertumswissenschaft blieben Zweifel tung explizit in einer Vergangenheit angesiedelt sieht, welche der Dichter von seiner Gegenwart unterscheiden würde (S. 94): „Finally and above all, it is the desire to tell stories of the past and to make a strict separation between it and his own time by eliminating almost everything that appeared modern to him […] that makes Homer a historian”. 59 Siehe dazu generell WALTER 1998, S. 9–27, der eine grundlegende Zusammenstellung der Forschungsansichten zur Anwendbarkeit des Staatsbegriffes auf die griechische und römische Geschichte gibt. Lediglich die Adaption ethnologischer Modelle zur Staatsentstehung und zur soziokulturellen Evolution für die griechische und römische Geschichte wird in seinem Überblick weitgehend ausgeklammert. 60 Grundlegend für diese Ansicht unter den Altertumswissenschaftlern sind sicherlich auch die wirkungsmächtigen Überlegungen von Eduard MEYER 1921, S. 11, der Staat sei die „dominierende Form des sozialen Verbandes, in deren Wesen das Bewußtsein einer vollständigen, auf sich selbst ruhenden Einheit enthalten ist“. Daher muss man „den staatlichen Verband nicht nur begrifflich, sondern auch geschichtlich als die primäre Form der menschlichen Gemeinschaft betrachten“ und diese „Auffassung des Staats ist im Grunde identisch mit der berühmten Definition des Aristoteles, daß der Mensch ein von Natur staatenbildendes Wesen und der Staat der alle anderen umfassende und an Leistungsfähigkeit überragende soziale Verband (κοινωνία) ist“ – siehe dazu WALTER 1998. An dieser Stelle kann außerdem auf Georg Busolts „Griechische Staatskunde“ (BUSOLT 1979 [1920]) verwiesen werden oder auch auf Victor Ehrenberg, der zwar die Gewachsenheit und Besonderheit der griechischen Staatlichkeit – im Vergleich zu den orientalischen Staaten – betont (EHRENBERG 1957, S. 1) und auch die Unterschiedlichkeit zwischen den einzelnen hellenischen Gemeinwesen herausstellt – er nennt etwa als die beiden

18 Staat und Staatlichkeit als analytische Kategorien

an der Benutzbarkeit des Staatsbegriffes lange Zeit äußerst vereinzelt und ohne Konsequenzen.61 Eine Reaktion auf die verbreitete unreflektierte Benutzung des Staatsbegriffes ist die Überzeugung, der Staatsbegriff sei überhaupt nicht auf die Antike anwendbar. Denn dieser sei nicht nur ein neuzeitlicher Begriff, sondern der Staat auch ausschließlich ein neuzeitliches Phänomen.62 Doch selbst wenn es zutreffen würde, dass der Antike eine, mit dem neuzeitlichen Begriff ‚Staat’ vergleichbare, Begrifflichkeit fehlt, so ist dies doch noch kein Argument für die Nichtexistenz des Staates in der Antike. Das beste Gegenbeispiel ist die Tatsache, dass die Griechen in der Antike kein spezielles Wort für ‚Kultur’ besaßen. Doch wer „wollte daraus schließen, dass den Griechen die Vorstellung oder gar die Sache gefehlt hätte“.63 Ob die Antike nicht doch Begriffe kannte, die wenigstens annäherungsweise an das moderne Verständnis von ‚Staat’ heranreichen, soll im Folgenden noch genauer untersucht werden. Die andere Behauptung ist, dass der Staat evidenterweise erst ein neuzeitliches Phänomen sei. Doch dem ist entgegenzuhalten, dass hier stets vom neuzeitlichen Staat ausgegangen wird, welchen man dann evidenterweise nicht in der Epoche der Vormoderne finden kann. Dies ist vergleichbar der Frage nach der Vergleichbarkeit von antiker und moderner Demokratie. Denn ebenso problematisch ist es, heutige Vorstellungen von Demokratie mit der athenischen Demokratie des 4. Jahrhunderts in Übereinstimmung zu bringen. Denn wie demokratisch kann eine Herrschaftsordnung schon sein, wenn in dieser fünfzig Prozent der erwachsenen Bürger von allen politischen Partizipationsmöglichkeiten ausgeschlossen werden. Wie mit der modernen Vorstellung von Demokratie, wird es sich auch mit dem Staat verhalten: Man wird ihn in der Antike nicht finden können, wenn man nur nach dem modernen, vertrauten sucht. Ein dritter, wenn auch wenig befriedigender Ansatz besteht darin, den Begriffe ‚Staat‘ und ‚Staatlichkeit‘ einfach zu vermeiden.64 Die antiken Poleis werden

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hauptsächlichen ‚Staatsformen’ bei den Griechen ἔθνος und πόλις (EHRENBERG 1957, S. 18) – eine Staatsdefinition benötigt er dahingegen nicht. Vgl. WALTER 1998, S. 12f. Beispielhaft sei hier nur auf Christian Meier verwiesen, welcher die Kategorie der Staatlichkeit für die Antike ablehnt und stattdessen den Begriff des ‚Politischen’ – angelehnt an Carl Schmitt – vorzieht (vgl. C. MEIER 1983 [1980], S. 27–39). Er bringt dies folgendermaßen, vielleicht aber auch die strikte Ablehnung des Staatsbegriffes etwas relativierend, auf den Punkt: „Es fehlten also den Griechen Staat und Gesellschaft (im Sinne der neuzeitlichen Scheidung) […]. Im Gegensatz dazu wurde die Polis mit der Bürgerschaft, oder auf griechisch: der politeía identisch“ (S. 269f.). DEMANDT 1995, S. 22. Beispielhaft sei hier nur auf BLEICKEN 1995a verwiesen. In dieser Überblicksdarstellung über das athenischen Gemeinwesen im 5. und 4. Jahrhundert wird bekanntlich auf alle Belange des politischen und sozialen Lebens in Athen eingegangen. Das Problem der Staatlichkeit wird dabei einfach ausgeklammert – ohne das man es zugegebenermaßen

19 Staat und Staatsbegriff in der altertumswissenschaftlichen Forschung

dann stets nur als ‚Städte‘ bezeichnet und ansonsten spricht man nur noch von Gesellschaften. Eine vierte Herangehensweise adaptiert die ‚Drei-Elemente-Lehre’ von Georg Jellinek, in welcher der Staat bekanntlich als Einheit von Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt gesehen wird.65 Dieser Ansatz ist deswegen problematisch, da er aus dem Rechtspositivismus des 19. Jahrhunderts und den Erfahrungen mit den modernen Nationalstaaten erwachsen ist. Für eine Anwendung auf die antiken Gesellschaften taugt er aber wenig,66 denn man kann diese juristische Staatsdefinition im Grunde auf fast jede Gesellschaft anwenden. Dies gilt auch für die meisten primitiven Gesellschaften. Zumindest ist dies der Fall, wenn sie soziale Einheiten über Familienverbände hinaus bilden, wenigstens als Halbnomaden ein gewisses Territorium als das ihrige betrachten67 und gesellschaftliche Arbeitsteilung betreiben. Wenn also etwa Häuptlinge oder Schamanen existieren, welche eine gewisse Macht über die Mitglieder ihrer Gemeinwesen ausüben.68 Man könnte daher auf beinahe alle sesshaften Gesellschaften die Staatsvorstellung von Jellinek anwenden. Als Konsequenz daraus wäre man wieder zurückgekehrt zu der Vorstellung von einer Art naturgegebener Staat-

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vermissen würde – und auf den Begriff ‚Staat’ verzichtet. Nötigenfalls wird dieser einfach durch ‚Stadt’ ersetzt. Verwiesen sei hier nur auf SAKELLARIOU 1989, S. 68f. u. DEMANDT 2000, S. 9; siehe aber auch DEMANDT 1995, S. 19, wo er das (geschlossene) Staatsgebiet nicht als notwendiges Konstitutiv für den Staat ansieht. Des Weiteren sei hier auf HANSEN 2006a, S. 106– 115, verwiesen, der die griechische Polis klar anhand der ‚Drei-Elemente-Lehre’ als Staat bestimmt. So auch schon STAHL 1987, S. 142 Anm. 2. Als Beispiel sei hier etwa die noch aus dem 19. Jahrhundert belegte Praxis bei vielen Stämmen der australischen Ureinwohner angeführt, den Stamm in Untergruppen mit durchschnittlich 25 Personen zu teilen und das Stammesterritorium ebenfalls in Untereinheiten zu gliedern, welche je einer Untergruppe zugeordnet worden sind. Diese territorialen Untereinheiten jeder Untergruppe waren dann wieder in Areale gegliedert, in welchen die Untergruppen als Jäger und Sammler ihre Subsistenz sicherten. Die einzelnen Areale, welche jeder Untergruppe zugeteilt worden sind, durften nur dann gewechselt werden, wenn die Ressourcen aufgebraucht waren (vgl. HELBLING 1997, S. 282–284). Diese Praxis setzt ein starkes Gruppenbewusstsein und ein starkes Bewusstsein für Territorialität voraus. Als Beispiel sei hier etwa auf die gesellschaftlichen Strukturen der Mbundu verwiesen, einem Volksstamm aus der Bantu-Sprachgruppe im nordwestlichen Angola. Man erkennt bei den Mbundu nun nicht nur eine klare Vorstellung von Territorialität und personeller Zugehörigkeit, sondern auch klare Machtstrukturen jenseits der rein patriarchalischen, nämlich auf der Ebene der Dorfgemeinschaften. Dennoch wird kaum jemand diese Dorfgemeinschaften als Staaten bezeichnen wollen (vgl. dazu die Studie von MILLAR 1976). Der Vollständigkeit halber muss allerdings erwähnt werden, dass MILLAR 1976, S. 265f., doch eine Stufe von Staatlichkeit für die Mbundu postuliert, allerdings aufgrund des abzulehnenden Ansatzes, „to develop a definition [für den Staat!] based on Mbundu theory and practice rather than on categories derived from Western experience“. Ein solcher Ansatz führt natürlich zur Beliebigkeit der Begriffe und Kategorien.

20 Staat und Staatlichkeit als analytische Kategorien

lichkeit. Der letzte Ansatz, mit den Kategorien ‚Staat‘ und ‚Staatlichkeit‘ umzugehen, ist die Adaption des Staatsentwicklungsmodells der Ethnologie für die Epoche der Antike.69 Diesem Ansatz soll hier gefolgt werden, um das Wesen der Staatlichkeit zu bestimmen. Doch ein letzter Schritt muss vorher noch getan werden. Es ist nämlich die Frage zu beantworten, ob die Griechen mit dem Begriff πόλις nicht ohnehin schon einen eigenen Staatsbegriff besaßen.

2.5.

War πόλις ein antiker Begriff für den Staat?

Der älteste griechische Begriff, dem oftmals der Bedeutungsgehalt ‚Staat’ zugeschrieben wird, ist der Begriff πόλις.70 Daher ist es als erstes notwendig zu klären, was πόλις überhaupt bedeutet. Denn eine Übersetzung mit ‚Stadt’ oder auch ‚Stadtstaat’ greift sicherlich zu kurz. Außerdem hätte man ja mit der zweiten Übersetzungsmöglichkeit bereits ein These zur antiken Staatlichkeit bzw. zum antiken Staatsbegriff aufgestellt. Jedenfalls wurde bereits in der Antike das Element der Gemeinschaft im Begriff der Polis betont. So etwa von dem aus Mysien stammende Rhetor Aelius Aristides, welcher im 2. Jh. nach Christus lebte: Ge mäß de m Au sspr uc h, de n de r Dic h ter Al ka io s vo r la nge r Ze it sa g te , u n d d e r sp ä t e r vo n viel e n a u fge no m me n und wi eder ge gebe n wu rde, ma c he n weder Stei ne noc h Ba l ke n no c h d ie Fe rt i g kei t d a mi t z u b a u e n d i e P o le i s a u s. Vie l me hr s i nd e s d ie Or te , a n d e ne n si c h d i e Mä nner z u sc hütze n wi sse n, wo Ma u e rn u nd Pole i s e n ts te h e n. 71 (Über s. d urc h Ver fa s ser)

Das Ende des Fragmentes könnte man sinngemäß vielleicht noch besser mit „wo wehrhafte Poleis entstehen“ übersetzten, da gerade in der früharchaischen Dichtung die Polis mit ihren Mauern und Türmen integral zusammengehörte. Dies scheint nicht nur der Fall gewesen zu sein, um den Wehr- und Schutzcha69 Neben den bereits erwähnten Untersuchungen von DONLAN 1982 und ULF 1990, die beide dieses Modell sehr erfolgreich adaptiert haben, sei hier noch ausdrücklich auf STAHL 1987, S. 140–144, u. STAHL 2003, S. 109–113, mit einem Plädoyer für diese Herangehensweise an das Problem der Staatlichkeit, verwiesen. Durch die Adaption dieses Modells wird etwa klar, „daß die Polis als wichtigste Form von Staatlichkeit im antiken Griechenland nicht mit einem Schlag ins Leben trat, sondern das Produkt eines historischen Prozesses darstellt, dessen wesentliches Merkmal die Entstehung und Verdichtung staatlicher Strukturen aus einer ursprünglichen vorstaatlichen Ordnung kleinräumiger Siedlungsgemeinschaften bildete“ (WALTER 1993, S. 18). 70 Vgl. etwa SAKELLARIOU 1989, S. 58–154, besonders S. 66–77, u. HANSEN 2006a, S. 106–115. 71 Ael. Arist. or. 46,207 = Photius bibl. 248: τὸν λόγον [...] ὃν πάλαι μὲν Ἀλκαῖος ὁ ποιητὴς εἶπεν, ὕστερον δὲ οἱ πολλοὶ παραλαβόντες ἐχρήσαντο, ὡς ἄρα οὐ λίθοι οὐδὲ ξύλα οὐδὲ τέχνη τεκτόνων αἱ πόλεις εἶεν, ἀλλ᾿ ὅπου ποτ᾿ ἂν ὦσιν ἄνδρες αὑτοὺς σῴζειν εἰδότες, ἐνταῦθα καὶ τείχη καὶ πόλεις.

21 War πόλις ein antiker Begriff für den Staat?

rakter der Siedlungsgemeinschaft zu betonen, sondern auch, um die Abgrenzung des Gemeinwesens gegen das zumindest potentiell feindliche Außen zu betonen.72 Besonders interessant ist dieses Zitat, da Aelius es dem, um das Jahr 600 v. Chr. lebenden, griechischen Lyriker Alkaios zuschreibt.73 Betrachten man das Zitat als tatsächlich von Alkaios stammend, so besitzt man eine Einschätzung des Gemeinschaftscharakters der Polis aus der archaischen Zeit. Diese Einschätzung bringt dann auch klar zum Ausdruck, dass die Polis mehr ist als nur ein Siedlungszentrum. In diesem Fall wird vor allem die gemeinschaftliche Verteidigung betont. Ganz ähnlich sah es auch der spartanische Dichter Tyrtaios: T o t sei n nä ml ic h i st s c h ö n, we n n ma n vo r ne b e i d e n e r ste n ge fa ll e n al s bra ve r M a nn um se i n e Va ter st adt i m Ka mp f! Do c h se i ne St adt verla s sen und die fe tte n Äc ker u nd b ett e l n g e h n – d a s i st vo n al le m s c hl i m ms t e P ei n ! 74

Auch bei ihm stand die Verteidigung im Vordergrund. Die Verteidigung der Heimat (ἡ πατρίς), welche eben die Polis war, war das wichtigste. Denn es gab kein schlimmeres Schicksal, als die Polis verlassen zu müssen und damit die Heimat zu verlieren. Man konnte nicht einfach seine Heimatpolis verlassen und in eine andere umziehen, denn sie bedeutete politische Identität. Die Polis war also mehr als nur ein Siedlungszentrum, sie war mehr als nur eine Stadt. Für ‚Stadt‘ bzw. das städtische, urbane Zentrum benutzten die Griechen bekanntlich auch ein anderes Wort als ἡ πόλις, nämlich τὸ ἄστῦ.75 Ebenso musste eine Polis nicht unbedingt ein städtisches Zentrum besitzen. So bestand etwa Sparta aus fünf dörflichen Siedlungskernen und erhielt erst in hellenistischer Zeit ein urbanes Zentrum, abgegrenzt durch eine Stadtmauer. Auf der anderen Seite konnte eine Polis auch mehrere ἄστυ haben. Die Polis Athen etwa besaß mehrere städtische Zentren. Zum einen gab es die Stadt Athen selbst, dann die Hafenstadt Piräus und möglicherweise kam auch dem Bergbauzentrum Thorikos im Laureion-Gebirge die Wertigkeit eines urbanen Zentrums zu.76 ‚Polis‘ wurde von den Griechen also sowohl im Sinne von ‚Siedlung’ als auch im Sinne von ‚(politischer) Gemeinschaft’ gebraucht. Die ursprüngliche Bedeutung als befestigte Siedlung auf einer Anhöhe, synonym zu ἀκρόπολις, wurde früh aufgegeben. Polis konnte, in seinem siedlungstechnischen Gebrauch, sowohl synonym für τὸ ἄστῦ stehen, als auch im Sinne von ἡ γῆ bzw. ἡ χώρα – also Land bzw. Gebiet – gebraucht werden. Im Sinne von ‚politischer Gemeinschaft’ 72 Vgl. HÖLKESKAMP 1997, S. 5–7. 73 Hier ist es das Fragment 426 West. 74 Vgl. Tyrt. fr. 10 Latacz = fr. 10 West = fr. 6/7 Gentili / Prato = fr. 6/7 Diehl: τεθνάμεναι γὰρ καλὸν ἐνὶ προμάχοισι πεσόντα / ἄνδρ᾿ ἀγαθὸν περὶ ᾗ πατρίδι μαρνάμενον. / τὴν δ᾿ αὐτοῦ προλιπόντα πόλιν καὶ πίονας ἀγροὺς / πτωχεύειν πάντων ἔστ᾿ ἀνιηρότατον. 75 Vgl. MUSIOLEK 1981. 76 Vgl. KOLB 1984, S. 59.

22 Staat und Staatlichkeit als analytische Kategorien

konnte Polis synonym sowohl für οἱ πολῖται – die Bürger – als auch für ὁ δῆμος bzw. ἡ ἐκκλησία – also für das Volk oder die Versammlung des Volkes – als auch für ἡ κοινωνία – dem abstrakten Begriff für ‚Gemeinschaft’ – stehen.77 Besonders das Verständnis der Polis als Personengemeinschaft muss unterstrichen werden, da man diese Definition, vollkommen unabhängig von Einwohnerzahl und Gebietsgröße, wahrscheinlich auf alle jemals als Polis bezeichneten politischen Entitäten problemlos anwenden könnte.78 Es stellt sich nun die Frage, ob die archaischen oder klassischen Poleis damit schon ‚Staaten’ gewesen sind? Gerade in den letzten Jahren ist der Streit um die Staatlichkeit der antiken griechischen Poleis wieder aufgeflammt. Vor allem Moshe Berent hat eine ganze Reihe von Publikationen vorgelegt, welche den vorstaatlichen Charakter der griechischen Poleis nachweisen sollten.79 Anscheinend kam er vor allem durch seine an Hobbes und Weber anschließende Staatsdefinition zu diesem Ergebnis.80 Verständlicherweise hat er dafür vor allem von den Anhängern eines evolutionären Staatsentstehungsmodells Widerspruch erfahren.81 Aber auch der Althistoriker Mogens Herman Hansen hat dem vehement widersprochen,82 vor allem wieder auf der Grundlage der ‚DreiElemente-Lehre’ von Georg Jellinek.83 Einig sind sich aber alle, dass der Begriff ‚Polis‘ mehr bezeichnet als nur eine Siedlungform. Einig sind sich außerdem alle darin, dass ‚Polis‘ auch der Begriff für das in weiten Teilen der hellenischen Welt vorherrschende gesellschaftliche Ordnungssystem ist. Der Rest erscheint bei diesem Streit nur wieder eine Frage der Definition zu sein, an dem man sich erst beteiligen kann, nachdem eine Staatsdefinition gegeben wurde. Es gibt na77 Vgl. etwa HANSEN 1996, S. 26–34, u. HANSEN 2006a, S. 56–61; eine begriffsgeschichtliche Untersuchung aus dem epigraphischen Befund bietet KOERNER 1981; eine umfassende Zusammenstellung aller möglichen antiken Verwendung des Begriffes πόλις findets sich in SAKELLARIOU 1988, S. 155–290, wobei seine Trennung von „ancient meanings“ (S. 155–211) und „ancient definitions“ (S. 213–290) des Begriffes ‚Polis‘ nicht wirklich zu überzeugen vermag. 78 In diesem Sinne sei hier auf die Definition des Begriffes ‚Polis‘ von RAAFLAUB 1991, S. 241 Anm. 122, verwiesen: „Die Polis lässt sich definieren als eine in der Regel autonome, jedenfalls sich selbst verwaltende, aus einer Siedlungs- und Schicksalsgemeinschaft erwachsene Personengemeinschaft, die auch Kult- und Rechtsgemeinschaft ist, in der das (oft städtische) politische und religiöse Zentrum und das umliegende Territorium ohne Rechtsunterschied untrennbar miteinander verbunden sind und die als Kollektiv entscheidet und handelt“. 79 Vgl. BERENT 1996; BERENT 1998; BERENT 2000a; BERENT 2000b; BERENT 2004; BERENT 2006. 80 Vgl. BERENT 2006, S. 142–144, auch wenn er dem widerspricht und die Sache umzudrehen versucht, indem er die Notwendigkeit einer genauen Definition von Vorstaatlichkeit als Lösungsansatz postuliert. 81 Vgl. GRININ 2004 u. VAN DER VLIET 2005. 82 Vgl. HANSEN 2002. 83 Vgl. HANSEN 2002, S. 26–30.

23 Versuch einer (hinreichend vagen) Definition von Staatlichkeit

türlich noch eine ganze Reihe weiterer Begriff aus der griechischen und römischen Antike, welche man als sinngemäße Entsprechungen des modernen Staatsbegriffes auffassen könnte. Da diese aber alle erst nach dem hier betrachteten Zeitraum Verwendung fanden – sieht man einmal von dem Begriff politeía ab84 –, müssen sie an dieser Stelle nicht behandelt werden.85

2.6.

Versuch einer (hinreichend vagen) Definition von Staatlichkeit

Die Begriffe ‚Staat’ und ‚Staatlichkeit’ können mehr sein als nur lieb gewonnene umgangssprachliche Bezeichnungen für verschiedenste historisch fassbare gesellschaftliche Ordnungssysteme. Vielmehr müssen ‚Staat’ und ‚Staatlichkeit‘ als analytische Kategorien und als empirische Ordnungsbegriffe betrachtet werden. Der Staat ist dabei als institutionell-politischer Überbau der Gesellschaft zu verstehen, welcher eine Herrschaft ermöglicht, die unabhängig von der individuellen und situativen Macht einzelner Persönlichkeiten bestehen kann.86 Ist dies der Fall, ist die Stufe der Staatlichkeit erreicht. Diese Stufe sollte aber nicht als eine monolithische und unveränderliche soziopolitische Ordnungsform verstanden werden. Vielmehr muss man von Graden von Staatlichkeit ausgehen, unter die Kategorie ‚Staat‘ also eine breite Palette an soziopolitischen Ordnungsformen einordnen. Dies bedeutet aber nicht, dass es nur verschiedene Stufen von Staatlichkeit gibt und keine tatsächliche Schwelle zur Staatlichkeit, die überschritten werden muss, bevor man von einem Staat sprechen kann. Denn wenn dem so wäre, würde es ja keine vorstaatlichen Gesellschaften mehr geben. Alles würde gleichsam zum ‚Staat‘ werden, nur der ‚Grad von Staatlichkeit‘ würde fluktuieren und alle empirisch fassbaren Gesellschaften könnten gleichsam einer Fieberkurve ihren Platz in einer ‚Staatlichkeitskurve‘ finden. Eine solche ‚Staat84 Obwohl der Begriff politeía auch mehrere Bedeutungen haben kann (‚Staat‘, ‚staatliche Ordnung‘ / ‚Verfassung‘, ‚Staatsbürger‘, ‚Bürgerrecht‘), sind diese doch stets politischer Natur und in einem „engen semantischen Zusammenhang“ (vgl. WALTER 1993, S. 23–27, hier S. 23). Die Mehrdeutigkeit dieses Begriffes zeigt eben die untrennbare Zusammengehörigkeit der politischen Entität (‚Staat‘), der politischen Ordnung (‚Verfassung‘) und der politisch Berechtigten (‚Bürger‘) an. Alle drei Elemente können nur als Einheit bestehen und begriffen werden. 85 Siehe zu den antike ‚Staatsbegriffen’ allgemein DEMANDT 1995, S. 21–24. 86 Für die Bedeutung des Begriffspaares ‚Macht‘ und ‚Herrschaft‘ soll der Definition von Max WEBER 1980, S. 28 [WuG 1,1 §16] gefolgt werden: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ und „Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden“.

24 Staat und Staatlichkeit als analytische Kategorien

lichkeitskurve‘ zur Darstellung der evolutionären Entwicklung einer Gesellschaft kann dabei durchaus seinen Wert haben. Wenn aber alle Gesellschaften dadurch in ihrer politischen Organisation nun irgendwelche Spuren ‚schwacher Staatlichkeit‘ aufweisen und dadurch zum ‚Staat‘ werden, verliert diese Kategorie damit aber jeden analytischen Wert.87 So sind frühe Formen von Staatlichkeit, wie etwa das klassische Athen, in ihrer Komplexität und Institutionalisierung natürlich weit entfernt vom modernen Staat, wie ihn etwa die Bundesrepublik Deutschland darstellt. Dennoch, in der Art und Weise wie Macht institutionalisiert und Herrschaft organisiert ist, steht das athenische Gemeinwesen des 5. und 4. Jahrhunderts der heutigen bundesrepublikanischen Ordnung näher als dem vorstaatlichen athenischen Gemeinwesen des frühen 7. Jahrhunderts. Dieser Schluss ist eine notwendige Konsequenz aus dem Anspruch, die Kategorien von ‚Staat‘ und ‚Staatlichkeit‘ nicht ins beliebige abdriften zu lassen.88 Im Folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, eine Definition von Staatlichkeit zu geben, welche speziell auf die Entstehung des Staates als komplexeste gesellschaftliche Organisationsform ausgelegt ist. Dem soll das Entwicklungsmodell der soziokulturellen Evolution zugrunde gelegt werden. 87 Dafür, dass man nur ‚Grade von Staatlichkeit‘ empirisch feststellen könnte und die Stufe der ‚Staatlichkeit‘ als Kategorie überflüssig wäre, plädiert jetzt wieder LUNDGREEN 2014, besonders S. 34–36. Er will nur eine analytische Differenzierung in „schwächere oder intensivere Staatlichkeit“ gelten lassen und „die strikte Dichotomie ‚Staat / Nicht-Staat‘ aufgeben“. Zumindest aus der Perspektive der soziokulturellen Evolution ist diese angebliche „strikte Dichotomie“ längst überwunden. Verwiesen sei hier nur exemplarisch auf GRININ 2008a und GRININ 2008b, besonders S. 33–39, der statt von schwächerer Staatlichkeit von „early states“ (im Gegensatz zu „developted states“ und „mature states“) spricht und diese wiederum nach ihren spezifischen Formen der Herrschaftsorganisation weiter unterscheidet. Dass diese evolutionäre Form des ‚Frühen Staates‘ tatsächlich bis zu einem gewissen Grad Gemeinsamkeiten mit den von der Politikwissenschaft beschriebenen Phänomenen der ‚fragile states‘ – also solche Staaten, die in Gefahr sind ‚failed states‘ zu werden – aufweist, konnte etwa von HAGESTEIJN 2008 gezeigt werden. Allerdings macht die Untersuchung von Hagesteijn auch deutlich, das beide Phänomene doch einige Unterschiede aufweisen. Diesen kann man nicht gerecht werden, wenn man bei allen empirisch fassbaren Gesellschaften gleichsam das ‚Messgerät für Staatlichkeit‘ anlegt und für diese Gesellschaften als Ganzes bzw. bei einzelnen gesellschaftlichen Institutionen Elementen den ‚Grad‘ von Staatlichkeit gleichsam messen will. 88 Darum ist LUNDGREEN 2014, S. 35, vollkommen zuzustimmen, dass auch wenn in den antiken Staaten zwar „in vielen Bereichen gleichwohl noch lange keine moderne Intensität [an Staatlichkeit] erreicht wird“, dies „kein Argument gegen das Konzept von Staatlichkeit, sondern gerade dafür [ist], denn es geht um graduelle Abstufungen“. Allerdings ist sein Zusatz, dass es damit nicht auch „um kategoriale Differenz“ geht, zurückzuweisen. Denn die genannten graduellen Abstufungen an Staatlichkeit gibt es nur innerhalb der Kategorie ‚Staat‘. Übergangsformen bzw. einen Graubereich zwischen der Kategorie ‚Staat‘ und etwa der idealtypischen ‚Häuptlingsherrschaft‘ aus dem Modell von Service (siehe oben Kap. 2.3) mag es ebenso geben. Aber auch wenn die Schwelle zwischen Staatlichkeit und Vorstaatlichkeit nicht (immer) klar abgrenzbar ist, so existiert sie doch dessen ungeachtet.

25 Versuch einer (hinreichend vagen) Definition von Staatlichkeit

Im Besonderen sollen die Überlegungen und Modellbildungen des niederländischen Ethnologen Henry M. Claessen und des russischen Soziologen Leonid E. Grinin zur Staatsentstehung adaptiert werden. Der zuerst Genannte hat dann auch fünf Voraussetzungen für die Entstehung von Staatlichkeit ausgemacht.89 Zuerst müsse eine ausreichend große Anzahl von Menschen eine komplexe und stratifizierte Gesellschaft bilden. Vor allem der Aspekt der Populationsgröße sei dabei von zentraler Bedeutung, denn der Anstieg der Bevölkerungsanzahl in einer Gesellschaft scheint einer der entscheidenden Katalysatoren für soziokulturelle Veränderungen zu sein.90 Daher müsse eine vorstaatliche Gesellschaft eine Mindestanzahl von Mitgliedern aufweisen, um die Komplexitätsstufe von Staatlichkeit erreichen zu können.91 Als weitere Voraussetzung zur Entstehung von Staatlichkeit müsse außerdem die Gesellschaft ein bestimmtes Territorium kontrollieren.92 Als drittes, folgt man weiter Claessen, müsse das System der Subsistenzgüterproduktion einen kontinuierlichen Überschuss gewährleisten, um Spezialisten wie Priester und Beamte, aber auch Handwerker, Händler und Sänger mit zu versorgen. Auch sollte man die nicht-arbeitende Elite ergänzen, denn irgendjemand muss ja herrschen. Nun existiert eine, sowohl horizontal als auch vertikal, stratifizierte Gesellschaft. Die vierte Voraussetzung läge in dem Vorhandensein einer Ideologie, mit welcher die entstandenen hierarchischen Strukturen und die daraus resultierende soziopolitische Ungleichheit legitimiert werden könnten. Beides sei in der Vorstufe zum Staat, dem ‚chiefdom’, schon vorhanden, verschärfe sich im Prozess der Staatsformierung aber noch. Lägen nun all diese vier Voraussetzungen vor, dann müsse noch ein fünftes Element, als eine Art Katalysator, hinzukommen. Dies könne etwa ein weite89 Vgl. dazu CLAESSEN 2002, S. 107–111. 90 Siehe BATES-GRABER 2010, S. 580f., und die grundlegende Studie von BOSERUP 2002 [1965], besonders S. 43–76, welche den Zusammenhang in vorindustriellen Gesellschaften zwischen Bevölkerungswachstum (oder Bevölkerungsrückgang) und landwirtschaftlichen Produktionstechniken bzw. der Bereitschaft, technische Innovationen zu adaptieren untersucht. 91 GRININ 2003, S. 135, geht von wenigstens einigen tausend Mitgliedern aus, die eine Gesellschaft für die Staatsbildung benötigt. Allerdings können auch vorstaatliche komplexe Gesellschaften, also ‚chiefdoms’, eine beträchtliche Anzahl von Gesellschaftsmitgliedern aufweisen. Zu nennen wäre hier etwa der nomadische Verband der Hsieng-nu, welcher bis zu 1,5 Millionen Mitglieder umfasste. Solche „superlarge nomadic amalgamations“ (GRININ 2003, S. 141) können aber aufgrund ihrer gesellschaftlichen Strukturen noch nicht als frühe Formen von Staatlichkeit betrachtet werden (vgl. dazu KRADIN 2006, S. 176–180). Die Notwendigkeit einer Bevölkerungskonzentration für die vorkolonialen Staatsentstehungsprozesse im südostasiatischen Raum hat etwa SCOTT 2009, S. 64–97, besonders S. 79–85, konzise dargestellt. Er verweist auch darauf, dass die Kontrolle über eine monokulturelle Landwirtschaft betreibende Bevölkerung in dieser Region entscheidender für die dort entstehenden frühen Staaten war, als die Kontrolle über ein festes Territorium. 92 Ein Beleg dafür scheint zu sein, dass nomadische Gesellschaften anscheinend kaum in der Lage sind, staatliche Strukturen auszubilden (vgl. KRADIN 2006, S. 185f.).

26 Staat und Staatlichkeit als analytische Kategorien

res Bevölkerungswachstum sein, welches durch die Begrenzung des natürlichen Siedlungsraumes nicht mehr abgefedert werden kann.93 Die notwendige fünfte Voraussetzung zur Überschreitung der Stufe zur Staatlichkeit könne aber auch eine äußere Bedrohung sein.94 Treffen nun alle diese fünf Voraussetzungen zusammen, dann kann sich ein ‚Früher Staat’ bilden.95 Doch sollte hier noch ergänzt werden, dass sich ein ‚Früher Staat’ bilden kann, sich aber nicht notwendigerweise bilden muss. Jede Form von Teleologie ist in Bezug auf die Staatsentstehung zurückzuweisen.96 Ist die Schwelle zur Staatlichkeit jedoch erfolgreich überschritten worden, dann zeichnet sich die neue Gesellschaftsordnung, folgt man nun Leonid Grinin,97 durch verschiedene Eigenschaften aus.98 So müsse sich der Inhaber der höchsten Macht (‚Staatsmacht’) – egal ob dies eine Versammlung, eine Gruppe oder eine einzelne Person ist – sowohl im Inneren wie nach außen hin durchsetzen können. Des Weiteren müssen sich neue Prinzipien der Herrschaftsausübung etablieren können. Dies müsse nicht notwendigerweise mit der Entstehung einer Bürokratie verbunden sein, wohl aber eine Trennung der ‚Staatsmacht’ von den individuellen und situationsabhängigen Inhabern der ‚Staatsmacht’ bedingen. Drittens müssen neue, nicht-traditionelle Prinzipien des sozialen Lebens sich innerhalb der Ge93 Trotz aller Relativierungsbemühungen in Bezug auf einen Bevölkerungszuwachses in Griechenland vor allem im 8. Jh. (vgl. dazu etwa OSBORNE 2009, S. 66–75) – in dem zumindest vor einigen Jahrzehnten noch die Ursache für die griechischen Kolonisationszüge gesehen worden ist – würde es gegen alle Wahrscheinlichkeit sprechen, hier jeden kausalen Zusammenhang mit den zeitgleich beginnenden soziokulturellen Veränderungen in der gesamten hellenischen Welt zu leugnen. 94 So etwa bei der Formierung des Zulu-Staates zu Beginn des 19. Jahrhunderts (ab der Herrschaft des Königs Dingswayo ca. 1800 bis 1818) als Reaktion auf die europäische Expansion im südlichen Afrika (vgl. dazu CHANAIWA 1980, besonders S. 6–11). Letztendlich führte der äußere Druck aber zum Untergang des Zulu-Staates, trotz anfänglicher Erfolge im Abwehrkampf gegen die Europäer. 95 Zum Terminus ‚Früher Staat‘ (‚Early State‘) in Unterscheidung zum ‚Entwickelten Staat‘ (‚Developed State‘) und zum ‚Gereiften State‘ (‚Mature State‘) siehe GRININ 2008a, S. 71–75. 96 Siehe dazu auch die sehr instruktive Studie von SCOTT 2009, besonders S. 178–219, in welcher die Gebirgszonen des südostasiatischen Raumes („Zomia“) als Rückzugsorte von Bevölkerungsgruppen untersucht werden, die sich sowohl den vorkolonialen, indigenen Staatsbildungsprozessen entzogen haben, als auch der kolonialen Herrschaft und selbst der modernen Nationalstaatsbildung bis weit in das 20. Jh. hinein. Ebenso kann äußere Druck zu einem Zusammenbruch bzw. zu einer Aufgabe höher entwickelter sozioökonomischer und politischer Strukturen führen. So kann etwa im südamerikanischen Raum für die späte Inkazeit und die spanische Kolonialzeit festgestellt werden, dass sich verschiedenste Gruppen durch Aufgabe ortsgebundener Landwirtschaft, strikter Abstammungsvorstellungen und einer eigenen hierarchischen Gesellschaftsordnung der staatlichen Zwangsanstalt – sei es der Staatlichkeit der Inka, sei es der Staatlichkeit der Spanier – entzogen haben (vgl. SCHWARTZ / SALOMON 1999). 97 Grinin folgt hier weitestgehend Max Weber. 98 Vgl. dazu GRININ 2003, S. 145–161.

27 Versuch einer (hinreichend vagen) Definition von Staatlichkeit

sellschaft durch die ‚Staatsmacht’ etablieren lassen. Und viertens müsse eine Umverteilung der Macht, etwa vom Zentrum zur Peripherie des ‚Staates’, möglich sein, ohne dass dadurch der ‚Staat’ sofort zerfalle. Glücklicherweise für den Historiker ist ein solcher gelungener Übergang von einer vorstaatlichen zu einer staatlichen Gesellschaftsordnung im kollektiven Gedächtnis dieser Gesellschaft oftmals mit einem Kulturheros verbunden worden.99 Dieser Kulturheros tritt dann zumeist explizit als ein Gesetzgeber auf.100 Weniger glücklich für den Historiker ist allerdings der Umstand, dass ein Kulturheros und sein Wirken häufig an der Grenze zur historischen Verortbarkeit stehen. Zu nennen sind hier etwa Sargon von Akkad (24. / 23. Jh. v. Chr.) als Reichgründer, Menes (um 3000 v. Chr., wohl auch mit Aha identifizierbar) als Reichseiniger und der Reichsneuordner Shun (23. / 22. Jh. v. Chr., noch vor der ersten Dynastie Xia). Auch Saul und David (um 1000 v. Chr.) können hier als Gründer des Reiches Israel genannt werden, einem Prozess, der aus historisch-ethnologischer Sicht mit dem Übergang von einer Häuptlingsherrschaft zur Staatlichkeit verbunden ist. Für die hellenische Welt sind etwa die Gesetzgeber und ‚Wieder-ins-Lot-Bringer‘ Drakon und Solon für Athen und Lykurg für Sparta anzuführen.101 Die soziopolitische evolutionäre Veränderung wird also im kollektiven Gedächtnis personalisiert und durch die Anbindung dieser Veränderungen an Kulturheroen wird die neu entstandene Ordnung unverfügbar gestellt und damit stabilisiert und perpetuiert. Jedenfalls lässt sich zusammenfassend sagen, dass eine allgemeingültige Lehrbuchdefinition von Staatlichkeit vielleicht für den modernen Staat als Völkerrechtssubjekt möglich ist. Für die frühen Formen von Staatlichkeit ist dies aber nicht leistbar. Dennoch kann man eine Reihe von – hinreichend vagen – Bedingungen aufzeigen, welche zur Entstehung von staatlichen Strukturen notwendig sind. Ebenso kann man eine Reihe von – hinreichend vagen – Merkmalen belegen, welche die Existenz von staatlichen Strukturen anzeigen. Die Entstehung von staatlichen Strukturen ist in der Regel außerdem damit verbunden, dass sich die betreffende Gesellschaften hierarchisiert, dass Herrschaftspositionen institutionalisiert und Machtpositionen monopolisiert werden. Doch sollte man sich noch einmal die Warnung von Norman Yoffee ins Gedächtnis rufen und nicht die Besonderheiten jeder einzelnen Kultur und jeder einzelnen Gesellschaft außer Acht lassen.102 So können die oben aufgeführten Kriterien nur als Hilfskonstruktionen zur Einordnung der soziopolitischen Strukturen im antiken Griechenland benutzt werden. Denn speziell bei der Entstehung der frühen Formen von Staatlichkeit in der griechischen Welt sind doch einige, von dem hier 99 Zum Konzept des ‚kollektiven Gedächtnis‘ siehe grundlegend HALBWACHS 1991 und die konzise Zusammenfassung bei ASSMANN 2007, S. 34–48. 100 Vgl. GRININ 2003, S. 153. 101 Siehe dazu Kap. 8.1. für Athen und Kap. 7.4. für Sparta. 102 Vgl. YOFFEE 2005, S. 20.

28 Staat und Staatlichkeit als analytische Kategorien

beschriebenen evolutionären Modell abweichende Prozesse zu beobachten.103 Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist in diesen abweichenden Prozessen der Grund für die griechische Sonderentwicklung zu sehen. Darum sollen diese Prozesse, als Teil einer Sonderentwicklung zur Staatlichkeit – geschärft am idealtypischen soziokulturell-evolutionären Staatsmodell –, im Folgenden aufgezeigt werden.

103 Vgl. dazu VAN DER VLIET 2005, der deswegen auch den, evolutionär betrachtet, herkömmlichen „Early State“ vom „citizens-state“ unterscheiden will, ohne den Gemeinwesen der klassischen Antike deswegen aber der Status der Staatlichkeit abzuerkennen: „The typical, flat, structure of these states resulted from the dynamics and interactions on as well as between various social levels. The kind of regime-building it produced, with its strong emphasis on political equality and participation, thus deviates essentially from the way the Early State was built. That does not mean, however, that they were weaker or relatively stateless. Quite the contrary“ (S. 143).

29 Vorbermerkungen

3. GEMEINSINN UND TRANSZENDENZ ALS ANALYTISCHE KATEGORIEN

3.1.

Vorbermerkungen

Im Folgenden sollen die Begriffe ‚Gemeinsinn‘ und ‚Gemeinwohl‘, sowie ‚Transzendenz‘ und ‚Unverfügbarkeit‘ Benutzung finden, um gesellschaftliche Prozesse bzw. Mechanismen zu beschreiben, die zur Formierung, Stabilisierung und Perpetuierung soziopolitischer Ordnungen führen. Der Appell an den Gemeinsinn, die Beschwörung des Gemeinwohls und der Anspruch auf Transzendenz können aber durch gesellschaftliche Akteure ebenso benutzt werden, um Veränderungen soziopolitischer Ordnungen zu ermöglichen, ohne diese grundsätzlich infrage zu stellen. Ebenso können durch solche Appelle soziopolitische Ordnungen ideologisch bekämpft werden und es können dadurch Versuche unternommen werden, Alternativen aufzuzeigen.104 Gerade bei dem Versuch, gesellschaftliche Formierungsprozesse zu beschreiben und zu verstehen, die einen Übergang von einer vorstaatlichen Ordnung zu einer Form von Staatlichkeit darstellen, ist die Anwendung dieser analytischen Kategorien hilfreich. Dies gilt ebenso für das Verständnis von Prozessen, welche eine qualitative und quantitative Ausweitung von politischer Parti104 Die folgenden Überlegungen beruhen dabei auf der Arbeit des Sonderforschungsbereiches 804 ‚Transzendenz und Gemeinsinn‘ an der Technischen Universität Dresden. In diesem interdisziplinären Verbund verschiedenster geistes- und kulturwissenschaftlicher Fächer wurde über einen langen Zeitraum hinweg intensiv über Terminologie und Funktionsweise dieser Prozesse bzw. Mechanismen diskutiert und gearbeitet, ohne dass sich dabei auf soziopolitische Ordnungen beschränkt wurde. Es sind dabei von der „konstitutionell verfassten Ordnung des Politischen, über frühneuzeitliche Rechtsordnungen, die sozio-moralische Familienordnung, die räumliche Ordnung des Heiligen, die visuelle bzw. sozio-ökonomische Ordnung der Kunst bis hin zu literarischen Ordnungen“ (vgl. DREISCHER u.a. 2013, S. 7f.) verschiedenste Bereiche untersucht worden sind. Der Verfasser dieser Arbeit profitierte dabei besonders von der kontinuierlichen Zusammenarbeit im altphilologisch-althistorischen Teilprojekt (‚Die Orientierung auf das Gemeinwesen in der Zeit des Römischen Reiches‘). Obwohl die Anwendung der entwickelten Modelle vornehmlich im Bereich der römischen Antike erfolgte, hat es sich als genauso fruchtbar erwiesen, diese auch für das Verständnis der griechischen Geschichte heranzuziehen.

30 Gemeinsinn und Transzendenz als analytische Kategorien

zipation zur Folge hatten. Daher soll im Folgenden kurz dargelegt werden, was unter den Begriffen verstanden werden soll und wie sie empirisch und analytisch anzuwenden sind.

3.2.

Gemeinsinn als Voraussetzung stabiler Ordnungen

Die Stabilität und Leistungsfähigkeit eines Gemeinwesens und seiner soziopolitischen Ordnung ist von der grundsätzlichen Bereitschaft aller Mitglieder dieses Gemeinwesens abhängig, nicht immer und ausschließlich nur für den eigenen und kurzfristigen Vorteil zu handeln.105 Sie müssen gewillt sein, sich solidarisch zu zeigen und auch ohne unmittelbaren Vorteil im Interesse anderer Mitglieder des Gemeinwesens oder des Gemeinwesens als Ganzem zu handeln. Solch ein ‚gemeinsinniges‘ Handeln bedeutet dabei etwa die Bereitschaft, private Ressourcen – wie etwa Arbeitskraft und Zeit, materiellen Besitz und soziopolitische Ressourcen aller Art – für die Gemeinschaft und damit für das Gemeinwohl zu investieren. Gemeinsinnigkeit in einem genuinen politischen Kontext bedeutet aber auch die Bereitschaft von Akteuren, unter Umständen auf die Erlangung politischer Macht bzw. auf die Durchsetzung politischer Ziele zu verzichten. Dies kann zum einen etwa bedeuten, dass eine Elite die politische Herrschaft mit den unterelitären Schichten teilt. Dies mag bedeuten, dass die unterelitären Schichten in einem Gemeinwesen die Herrschaft einer Elite anerkennen. Zum anderen heißt es aber etwa auch, dass bei Wahlen die unterlegenen Kandidaten ihre Niederlage anerkennen und bei Mehrheitsentscheidungen die unterlegene Minderheit diese akzeptiert. Der ‚Gemeinsinn‘ ist dabei einerseits als gesellschaftlicher Prozess bzw. Mechanismus zu verstehen, welcher die Stabilität und die Leistungsfähigkeit einer politischen Ordnung entscheidend bestimmt.106 Andererseits ist er aber auch als eine notwendige „soziomoralische Ressource“ 105 Verwiesen sei hier auf die Studie von BANFIELD 1958 über das süditalienische Dorf Chiaromonte (in der Studie wurde es zur Anonymisierung Montegrano genannt). In dieser wird ein Gemeinwesen beschrieben, in welchem alles Handeln des Individuums allein auf die Kernfamilie und deren unmittelbaren Vorteil ausgerichtet war. Dahingegen wurden „friends and neighbors” als „not only potentially costly but potentially dangerous as well“ angesehen (S. 121). Dies führte nicht nur dazu, dass alle Formen von Kooperation innerhalb der Dorfgemeinschaft erschwert bzw. gar unmöglich gemacht worden sind. Vielmehr stieß jeder Versuch eines Mitgliedes dieses Gemeinwesens seine Lage ökonomisch zu verbessern auf Ablehnung und Widerstand (vgl. besonders S. 107–128). Selbst Projekte, welche mittelfristig allen zugutekommen würden, konnten so nicht realisiert werden. Diese Gemeinschaftsordnung hatte nun durchaus eine gewisse Stabilität und funktionierte auch bis zu einem gewissen Grad leidlich, aber auf Kosten einer vollständigen sozialen und politischen Stagnation. 106 Vgl. dazu grundlegend JEHNE / LUNDGREEN 2013, besonders S. 12–16.

31 Gemeinsinn als Voraussetzung stabiler Ordnungen

zu begreifen, welche bei den Mitgliedern eines Gemeinwesens vorhanden sein muss, damit dieses dann für das Gemeinwohl eingesetzt werden kann.107 Gemeinsinn bzw. gemeinsinniges Handeln sollte dabei nicht mit Uneigennützigkeit bzw. uneigennützigem Handeln verwechselt werden. Alle gemeinsinnigen Handlungen können (und werden) immer auch eigensinnige Ziele beinhalten. So kann der gemeinsame Bau von Infrastrukturprojekten allen Mitgliedern eines Gemeinwesens sehr schnell Vorteile verschaffen.108 Ebenso wird solidarische Nachbarschaftshilfe stets auch mit der Annahme erfolgt sein,109 dass man selbst einmal darauf angewiesen sein könnte.110 Auch kann sozialer Druck hinter gemeinsinnigen Leistungen stehen. Ebenso die klare Erwartung, durch solche Leistungen das eigene Sozialprestige zu mehren und dieses dann irgendwann in politisches Kapital umzuwandeln. Selbst dem atheistischen, heimlichen Spender, der sich weder einen Platz im Himmelreich erkaufen möchte, noch soziales Prestige erwerben will, kann keine vollkommene Uneigennützigkeit unterstellt werden. Denn sobald dieser durch sein gemeinsinniges Handeln Freude empfindet, bzw. sein Gewissen beruhigt, verfolgt er – wenn vielleicht auch nur unbewusst – ebenso eigennützige Ziele. Allerdings begründet sich eine solche Handlungsmotivation aus der menschlichen Fähigkeit Empathie zu empfinden, welche auch bei der zynischen Weltbetrachtung des Historikers nicht vollkommen als eine Grundlage gemeinsinnigen Handelns kategorisch ausgeschlossen werden kann. Dies bedeutet nun aber nicht, dass ‚Gemeinsinn‘ an sich schon ein ethisches Gut sei. So kann das Gemeinwohl von verschiedenen Gruppen innerhalb eines Gemeinwesens ganz unterschiedlich verortet werden. Daraus folgt, dass sich das ‚gemeinsinnige‘ Handeln eines Mitgliedes vollkommen konträr zum ‚gemeinsinnigen‘ Handeln eines anderen Mitgliedes des Gemeinwesens verhalten kann. Daraus entstehen dann Gemeinsinnskonflikte, welche zur Destabilisierung und 107 Vgl. dazu MÜNKLER / BLUM 2001, besonders S. 10–13; BANFIELD 1958 nannte dies „social capital“. ‚Gemeinsinn’ kann allerdings auch als der gemeinsame Sinn aller Individuen aufgefasst werden, welcher in Umschreibungen wie: „Gesunder Menschenverstand“ oder auch: „Das versteht sich von selbst“ gefasst werden kann – siehe dazu JEHNE / LUNDGREEN 2013, S. 12, die beide Konzepte aber unterscheiden. 108 Siehe dazu PETZOLD 2013, der den Bau von Straßen und Wasserversorgungsanlagen durch die lokalen Gemeinwesen im Römischen Reich unter dem Aspekt der ‚Gemeinsinnigkeit‘ untersucht. 109 Zur Bedeutung der Nachbarschaftshilfe siehe etwa Hes. erg. 344f.: „Wenn du aber innerhalb des Dorfes in Not gerätst, kommen die Nachbarn sofort zu Hilfe“ (Übers. hier durch Verfasser) – εἰ γάρ τοι καὶ χρῆμ' ἐγκώμιον ἄλλο γένηται, / γείτονες ἄζωστοι ἔκιον. 110 Bereits bei Hesiod (erg. 349–351), einer der frühsten Quellen, welche Einblick in die soziale Ordnung einer Dorfgemeinschaft bietet, wird bekanntlich dieses Prinzip formuliert: „Gut laß dir messen vom Nachbarn und gut auch gib es ihm wieder / in demselben Maß, und wenn du vermagst, auch noch besser, / daß du in mageren Zeiten auch später das Nötige findest“ – εὖ μὲν μετρεῖσθαι παρὰ γείτονος, εὖ δ’ ἀποδοῦναι, / αὐτῷ τῷ μέτρῳ, καὶ λώιον αἴ κε δύνηαι, / ὡς ἂν χρηίζων καὶ ἐς ὕστερον ἄρκιον εὕρῃς.

32 Gemeinsinn und Transzendenz als analytische Kategorien

möglicherweise auch zum Untergang eines Gemeinwesens und seiner soziopolitischen Ordnung führen können. Andererseits kann eine soziopolitische Ordnung gestärkt werden, indem etwa eine Mehrheit innerhalb eines Gemeinwesens das Gemeinwohl partikularisiert und explizit gegen die Interessen einer Minderheit verortet. Dies kann bekanntlich so weit führen, dass nicht nur die Ausgrenzung der Minderheit, sondern ihre vollständige physische Vernichtung zum Gemeinwohl erhoben wird. Dadurch kann jeder, der sich daran beteiligt, für sich beanspruchen, gemeinsinnig gehandelt zu haben. Der Gemeinsinn bzw. der Anspruch auf Gemeinsinnigkeit hat also stets etwas Zwiespältiges an sich. Denn auch wenn eine Handlung dann gemeinsinnig ist, wenn sie auf das Gemeinwohl hin orientiert ist, bleibt immer noch offen, wo das Gemeinwohl zu verorten ist, was dem Gemeinwohl tatsächlich dient und wer Teil des Gemeinwesens ist, zu dessen Wohl gehandelt werden sollte. So waren die soziopolitischen Ordnungen der griechischen Gemeinwesen der archaischen und klassischen Epoche darauf ausgerichtet, die Frauen – also die Hälfte der erwachsenen Bürger – von allen politischen Partizipationsmöglichkeiten auszuschließen und auch im rechtlichen, ökonomischen und kulturellen Bereich eine vollständige Teilhabe zu verwehren.111 Dies galt ebenso für Gruppen wie die Metöken im athenischen und die Periöken im spartanischen Gemeinwesen, welche für diese Gemeinwesen kämpfen und Steuern entrichten mussten. Von diesen Ordnungen am stärksten benachteiligt waren jedoch die Sklaven, die fast vollständig rechtlos waren. Alle Prozesse und Handlungen, welche zur Entstehung und Aufrechterhaltung solcher Ordnungen beitrugen, können also nur bis zu einem gewissen Grad im Sinne dieser Gruppen gewesen sein. Daher soll sich im Folgenden, wenn von Gemeinwohl bzw. Gemeinsinn innerhalb eines griechischen Gemeinwesens die Rede ist, primär auf die erwachsenen, männlichen Bürger als Bezugsgruppe konzentriert werden. 112 Selbst in den früharchaischen Gemeinwesen, deren soziopolitische Ordnungen in den homerischen und hesiodischen Texten fassbar werden und wohl noch kein Bürgerrecht im eigentlichen Sinne kannten, ist eine klare Vorstellung von Zugehörigkeit vorhanden.113 In diesen Fällen wurde die Bezugsgruppe als δῆμος bzw. λαός bezeichnet. Vor allem der Begriff δῆμος ist doppeldeutig, da er zum einen die Gesamtheit der zur politische Teilhabe berechtigte Mitglieder einer Gemeinschaft bezeichnen kann. Womit also auch die Elite, zumeist als βασιλεῖς bezeichnet, begrifflich mit eingeschlossen wurde. Zum anderen scheint der Begriff aber auch nur die unterelitären ‚Bürger‘ zu bezeichnen, welche der Elite als so111 Die sehr eingeschränkten Spielräume der Bürgerinnen des demokratischen Athens betont etwa PRITCHARD 2014. 112 Formen des Gemeinwohlbezuges in der griechischen Antike, vornehmlich im Athen der spätarchaischen und klassischen Zeit, hat bereits KIRNER 2001 aufgezeigt. 113 Siehe unten Kap. 6.

33 Gemeinsinn als Voraussetzung stabiler Ordnungen

ziale Gruppe gegenüberstand.114 Die Aushandlungen der Interessen zwischen der Elite und den unterelitären Bürgerschichten stehen dann auch im Mittelpunkt der Gemeinwohldiskurse in Quellen der archaischen und klassischen Zeit. Diese werden, angefangen bei den homerischen Texten, über die Gedichte des Tyrtaios und Solon, bis zu den Reden der athenischen Oratoren des 4. Jahrhunderts, immer wieder fassbar. Selbst eigentlich rein innerelitäre Konflikte, wie etwa die Auseinandersetzung zwischen Agamemnon und Achilles in der Ilias oder die zwischen Odysseus und den Freiern in der Odyssee, werden für die Gemeinwesen als Ganzes existenzbedrohend. Im ersten Beispiel fallen der stärkste Krieger und seine Elitekämpfer, die Myrmidonen, aus. Diese Handlung führt zum Tod vieler Achäer. Im zweiten Beispiel kommt es nach der Tötung der Freier zum offenen ‚Bürgerkrieg‘ in Ithaka. In beiden Fällen fehlt es bei den einzelnen Akteuren an Gemeinsinn, im Sinne einer soziomoralischen Ressource. Sie orientieren ihr Handeln nicht am Gemeinwohl, sondern lassen ihrer heroischen Asozialität freien Lauf. Eine klassische, am Gemeinwohl orientierte Interessenaushandlung stellen beispielsweise die solonischen Reformen dar. Die Gläubiger aus der athenischen Elite verzichteten auf Teile des verschuldeten Landes und darauf, zukünftig auf die Person der Schuldner zugreifen zu können. Ebenso akzeptierte die Elite eine Einschränkung ihres Monopols auf die Rechtsprechung. Im Gegenzug billigten die unterelitären Schichten die Institutionalisierung des oligarchischen Herrschaftsprinzips.115 Wie Solon selbst bezeugt, waren alle Seiten mit seinen Reformen unzufrieden.116 Dies mag vielleicht eine Notwendigkeit für einen wahren Kompromiss sein, aber man kann dies auch positiver deuten. Alle Seiten brachten genug Gemeinsinn auf, um auf die maximale Berücksichtigung ihrer Eigeninteressen zu verzichten. Dass der Gemeinsinn innerhalb der Elite aber nur sehr begrenzt vorhanden war und diese sich unmittelbar wieder in Parteiungskämpfe verstrickte, ist dabei natürlich auch zu berücksichtigen. Die unterelitären Schichten des athenischen Gemeinwesens meldeten sich als ein entscheidender politischer Akteur erst am Ende des 6. Jahrhunderts wieder zu Wort, in einem Prozess, welchen man bekanntlich als die ‚kleisthenischen Reformen‘ bezeichnet. Genau genommen wird ihr Handeln in dem Moment deutlich, in welchem das Gemeinwesen durch eine athenische Stasis-Gruppierung um Isokrates und eine auswärtige Macht, also Sparta, bedroht wurde. Anders aber als bei den elitären Stasis-Auseinandersetzungen des 6. Jahrhunderts mischten sich die unterelitären Schichten nun in den Machtkampf ein. Dies taten sie es gerade wegen ihres Gemeinsinnes. Denn die Intervention der spartanischen Großmacht unter Führung des Königs Kleomenes war eine neue Qualität der Stasis-Auseinander114 Vgl. dazu WELSKOPF 1981, S. 163–184; ANDREEV 1988, S. 14–27; ULF 1990, S. 164– 171. 115 Siehe dazu unten Kap. 8.1. 116 So sollte man zumindest das Fragment 37 West = fr. 31 Gentili / Prato, überliefert in Athen. pol. 12,5, deuten.

34 Gemeinsinn und Transzendenz als analytische Kategorien

setzung. Diese hätte dazu führen können, dass Athen sich der Vormacht Spartas unterordnen muss. Dieser drohende Verlust der äußeren Souveränität des athenischen Gemeinwesens generierte dann auch genug Gemeinsinn, um die unterelitären Schichten Athens zum aktiven Handeln zu bewegen.117 Noch vier Jahrzehnte zuvor, als Peisistratos sich gewaltsam die Macht in Athen erkämpfte, reichte der unterelitäre Gemeinsinn noch nicht aus, damit sich die Bürger vereint gegen den Usurpator hätte stellen können.118 Damit soll ein letzter Punkt zum Gemeinsinn angesprochen werden. Denn dieser ist nicht als etwas Statisches, Naturwüchsiges aufzufassen, sondern als etwas, das entstehen kann, das generiert und verbraucht werden kann. So wurde etwa zur Stabilisierung der kleisthenischen Ordnung versucht, diese mythologisch und religiös anzubinden und durch den Ausbau der gesamtathenischen Festkultur einen gesamtathenischen Gemeinsinn zu erzeugen.119 Gerade die Anknüpfung dieser neuen Ordnung an die Mythologie und die religiöse Festkultur verweist dann auch auf den zweiten Aspekt, welcher zur Stabilisierung soziopolitischer Ordnungen entscheidend ist. Gemeint ist hier die Aufladung der Ordnung mit transzendenten Aspekten, etwa durch die Anbindung an eine eigentlich unverfügbare Vergangenheit, an eigentlich unverfügbare Gründungsheroen und an die eigentlich unverfügbaren Götter.

3.3.

Transzendenz als Voraussetzung stabiler Ordnungen

Mit dem Adverb ‚eigentlich‘ ist dann auch schon der Kern des hier benutzten Verständnisses von ‚Transzendenz‘ und ‚transzendieren‘ berührt.120 Denn die hier betrachteten Formen von Transzendenz sollen nicht solche sein, die dem Menschen tatsächlich unverfügbar sind. Zu denken ist hier etwa an seine eigene Natalität oder Mortalität. Noch sollen Unverfügbarkeiten wie etwa die Naturgesetze – die der Mensch nur beschreiben, nicht aber verändern kann – und deren Einfluss auf die menschliche Ordnung betrachtet werden.121 Weiter soll Transzendenz nicht allein auf das Religiöse angewandt bzw. im Umkehrschluss religiöse Konnotationen auf primär politische Ordnungen übertragen werden. Denn dadurch würden am Ende nur das ‚Transzendente‘ und das ‚Religiöse‘ zusammenfallen.122 Vielmehr werden die Formen von Transzendenz im Mittel117 118 119 120 121 122

Siehe dazu unten Kap. 8.2. Siehe dazu unten Kap. 8.3. u. 8.4. Vgl. ANDERSON 2003, besonders S. 158–196. Siehe zu den folgenden Ausführungen grundlegend VORLÄNDER 2013. Zu dieser Dimension der Transzendenz siehe etwa RENSCH 2013. Vgl. VORLÄNDER 2013, S. 17–19, hier S. 17: „Religion stellt historisch gesehen nur eine Form der Transzendenzkonstruktion dar – die sich von anderen Transzendenzen in der Spezifik der – auch institutionell-deutungsmächtig untersetzten – Transzendenzauslegun-

35 Transzendenz als Voraussetzung stabiler Ordnungen

punkt stehen, welche durch die kulturellen Leistungen der Menschen erst geschaffen worden sind. Das Transzendieren soll also als ein gesellschaftlicher Prozess bzw. Mechanismus – analog zum Gemeinsinn – verstanden werden. Zwar kann auch hierbei zuerst an ‚die Religion‘ gedacht werden, die ja als Versuch des Menschen gedeutet werden kann, die eigene unverfügbare und unabwendbare Mortalität doch noch zu überwinden. Doch auch politische Ordnungen können und müssen, sollen sie von Dauer sein, mit einer gewissen transzendenten Natur ausgestattet und der alltäglichen Verfügbarkeit entzogen sein. Dies gilt zumindest für die Grundprinzipien, auf denen eine politische Ordnung fußt.123 Auch hier ist wieder das athenische Gemeinwesen der klassischen Zeit ein instruktives Beispiel. Die Entstehung der demokratischen Herrschaftsordnung wurde nämlich nicht primär mit Kleisthenes verbunden – wie es, bei allen Relativierungen, die meisten modernen Historiker tun – sondern mit Solon und Theseus. Diese fungierten als Gesetzgeber und Kulturheroen im kollektiven Gedächtnis der Athener als die Begründer bzw. Neubegründer des athenischen Gemeinwesens.124 Noch einen Schritt weiter ging die Transzendenzkonstruktion des athenischen Redners Lysias, welcher dazu postulierte, dass in Athen von Natur aus eine demokratische Herrschaftsordnung bestehen würde. Dies tat er, indem er die demokratische Ordnung mit der angeblichen Autochthonie der Athener – selbst auch wieder eine Transzendenzkonstruktion125 – in eine ursprüngliche Verbindung setzte.126 Durch diese Verbindung der aktuellen politischen Ordnung mit dem Ursprung des Gemeinwesens selbst, wurde die aktuelle Ordnung unverfügbar gestellt. Dazu musste aber die eigentlich unverfügbare Vergangenheit erst verfügbar gemacht werden, um sie den aktuellen geselschaftlichen Erfordernissen anzupassen. 127 Denselben Mechanismus könnte

123

124 125 126

127

gen (Gott, Offenbarung, Schrift etc.) und der historisch je unterschiedlichen und konkret zu bestimmenden Reichweite ihres Zugriffs auf die gesellschaftliche Symbolwelt unterscheidet“. Siehe etwa HEROLD / RÖDER 2013, welche dieses Prinzip sowohl für die Präambel des Grundgesetzes aufgezeigt als auch die Diskussionen im Parlamentarischen Rat 1948/49 um die Notwendigkeit einer gewissen „Numinosität“ dieser Präambel nachgezeichnet haben. Siehe dazu ANDERSON 2007 und unten Kap. 8.4. Diese Transzendenzkonstruktion steht aber in Konkurrenz zu dem Ursprungsmythos, in welchem Athen als das älteste ionische Gemeinwesen betrachtet wird (vgl. Athen. pol. 5,2) – siehe dazu auch J. HALL 1997, S. 51–56. Lys. or. 2,17f.: „Sie [also die Bewohner Attikas] waren Ureinwohner [=Erdgeborne] und hatten das Land, das sie besaßen, als Mutterland und Heimat. Als Erste und Einzige zu jener Zeit vertrieben sie die Gewaltherrscher aus ihrem Land und führten die Demokratie ein“ – ἀλλ᾽ αὐτόχθονες ὄντες τὴν αὐτὴν ἐκέκτηντο μητέρα καὶ πατρίδα. πρῶτοι δὲ καὶ μόνοι ἐν ἐκείνῳ τῷ χρόνῳ ἐκβαλόντες τὰς παρὰ σφίσιν αὐτοῖς δυναστείας δημοκρατίαν κατεστήσαντο. Siehe zu diesem Prinzip VORLÄNDER 2013, S. 1–5, hier S. 3: „Es ist die Aufgabe von Mythen und Legenden sowie die Funktion von rituellen und kultischen Formen der Erinnerung, Narrative und Praktiken zu entwickeln, welche die Vorgeschichte in einen

36 Gemeinsinn und Transzendenz als analytische Kategorien

man auch beobachten, wenn nicht auf die Vergangenheit bzw. einen Ursprung rekurriert werden würde, sondern auf die Götter bzw. eine göttliche Ordnung oder auf ein anderes ideologisches Konzept (‚Idee des Guten‘, ‚Weltgeist‘, ‚manifest destiny‘, ‚Dialektischer Materialismus‘, ‚Herrenvolk‘ usw.). Dies bedeutet aber auch, dass solche Transzendenzkonstruktionen stets bedroht sind, da ihnen andere, widerstrebende Transzendenzkonstruktionen entgegengesetzt werden können. Dies gilt gerade dann, wenn Transzendenzkonstruktionen darauf ausgelegt sind, die aktuelle politische Ordnung zu verändern oder gar zu zerstören.128 Mitunter beziehen solche Konstruktionen ihren transzendenten Gehalt aus derselben Quelle, wie die Transzendenzkonstruktion der sie entgegenstehen. So scheinen etwa die oligarchischen Putschisten im Athen des Jahres 411 versucht zu haben, ihre Herrschaft mittels des Rates der Vierhundert ebenso an die eigentlich unverfügbare solonische Ordnung anzuschließen, wie es die Anhänger der demokratischen Ordnung getan haben.129 Welche Transzendenzkonstruktion sich am Ende durchzusetzen vermag, ist häufig kontingent. Der Versuch, politische Ordnungen ohne solche Transzendenzen zu begründen, zu stabilisieren und auf Dauer zu stellen, ist allerdings von vorneherein zum Scheitern verurteilt.130

3.4.

Das Konzept der ‚face to face society‘ und die Generierung von Gemeinsinn

An dieser Stellt soll noch eine weiterführende Überlegung zur soziopolitischen Kommunikation und der Generierung der soziomoralischen Ressource ‚Gemeinsinn‘ erfolgen. Hierzu lohnt es sich – bei aller Vorsicht – immer noch, das Modell der ‚face to face society‘ heranzuziehen. Dieses besagt, dass alle Mitglieder eines Gemeinwesens einander persönlich kennen und alle soziale und politische Kommunikation auf einer direkten Ebene funktioniert, ohne irgendwelche daSchleier des Ungefähren, des Magischen oder Charismatischen rücken, um aktuelle Ordnungen mit einer fortdauernden, stabilisierenden Geltung zu versehen“. 128 Vgl. DREISCHER u.a. 2013, S. 9–12. 129 So kann man jedenfalls die Ausführungen dazu in der Athenaion politeia (29,1–3) deuten. Siehe dazu auch RHODES 2011, S. 13–20. 130 Das beste Beispiel hierfür ist wohl die Europäische Union, deren Verfechter sich so schwer damit tun, diese den Bürgern nahe zu bringen. Solche immanenten Güter wie Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand, welche die Europäische Union zu einem nicht geringen Anteil den Bürgern in Europa in nie dagewesenem Maße ermöglicht, scheinen offensichtlich nicht auszureichen, um viel mehr als eine gleichgültige Akzeptanz bei den Bürgern zu erzeugen. Vielleicht sollten also ‚Eirene‘ und ‚Eleutheria‘ als europäische ‚Staatsgottheiten‘ Verehrung finden, um die politische Ordnung der Europäischen Union mit dem notwendigen transzendenten Gehalt zu versehen.

37 Das Konzept der ‚face to face society‘ und die Generierung von Gemeinsinn

zwischengeschalteten Medien.131 Bekanntlich wurde dieses Modell von dem britischen Sozialhistoriker Peter Laslett zuerst auf die griechische Polis, speziell auf Athen, angewendet132 und von Moses Finley dann einem breiteren altertumswissenschaftlichen Fachpublikum vermittelt.133 Daraus entstand das Bild einer geradezu klassischen Dichotomie zwischen der antiken griechischen Polisgesellschaft und der Massengesellschaft der modernen Territorialstaaten.134 Laslett jedenfalls entwickelte in einem nicht leicht zu verstehenden Essay von 1956 ein Modell für soziale und politische Kommunikation in Gemeinwesen mit begrenzter räumlicher und personeller Ausdehnung. Diese Art der Kommunikation (‚face to face‘) leitete er aus der Kommunikation innerhalb einer Kernfamilie ab. In einer solchen würden Probleme nicht vornehmlich durch rationale Strategien gelöst werden, sondern „to a large degree it will be a matter of personal response, expressed not in propositions, but in exclamations, apostrophes, laughter and silences“.135 Derartige Überlegungen lassen sich natürlich nur sehr bedingt auf Gemeinwesen übertragen, deren Mitglieder ein weniger intimes Verhältnis zueinander haben, selbst wenn sie von der Personenanzahl her mit Familien vergleichbar wären. Dass die Art der Kommunikation in den griechischen Gemeinwesen, selbst in denen mit einer geringen Einwohnerzahl, kaum genauso funktioniert haben kann, hat zu Recht etwa Robin Osborne betont.136 Doch seine Schlussfolgerung, dass dadurch kaum ein griechisches Gemeinwesen die Bedingung für eine ‚face to face society‘ erreicht haben könnte,137 missversteht das Modell von Laslett bis zu einem gewissen Grad. Denn die Familie, so Laslett, 131 Das bedeutet, dass nicht nur Medien der Massenkommunikation (Flugblätter, Zeitungen, das Fernsehen), sondern auch Medien der individuellen Kommunikation (Briefe) und selbst der persönlichen Kommunikation (Telefon) nicht ‚zwischen‘ den Kommunikationsteilnehmern stehen dürfen. In dem Moment, in welchem das ‚von Angesicht zu Angesicht‘ nicht mehr gegeben ist, ist eine Kommunikation mit allen Sinnesorganen nicht mehr möglich. Daher ist ‚face to face‘ Kommunikation von interpersonaler Kommunikation zu trennen, welche auch, solange das ‚Persönliche‘ gewahrt bleibt, via Brief, Telefon etc. funktionieren kann (vgl. HEATH / BRYANT 1992, S. 162). Auf der anderen Seite bedeutet dies aber, dass sich ein Redner, etwa in der athenischen Volksversammlung, ebenso mit seinem Publikum in einer Form der ‚face to face‘ Kommunikation befindet. Denn auch in dieser Situation ist die Kommunikation in der Regel nicht einseitig, sondern der Redner kann und muss, will er erfolgreich sein, auf die Stimmungsäußerungen – verbale wie nonverbale – der Zuhörer reagieren. 132 Vgl. LASLETT 1956. 133 Vgl. FINLEY 1973, S. 17: „[…] ancient Athens was the model of a face-to-face society“. 134 Siehe wiederum FINLEY 1973, S. 36, welcher der modernen ‚Nation‘ der Historiker und Politikwissenschaftler die „small, homogeneous, face-to-face society such as ancient Athens“ entgegenstellt oder auch SARTORI 1997, S. 34–37, hier S. 34: „Wir leben in keiner polis [sic!] mehr, sondern in deren gerader Negation in den Augen der Griechen“. 135 LASLETT 1956, S. 158. 136 Vgl. OSBORNE 2011, S. 217f. 137 Vgl. OSBORNE 2011, S. 217.

38 Gemeinsinn und Transzendenz als analytische Kategorien

sei eben nur die Einheit, in welcher diese Art der Kommunikation fast idealtypisch zu beobachten sei.138 Natürlich gebe es aber graduelle Abstufungen, in wie weit ein Gemeinwesen diesem Idealtyp entspreche. Dafür zeigt Laslett auch weitere Merkmale auf, an denen man dies festmachen könne. So sei etwa bedeutend, ob in einem Gemeinwesen die Notwendigkeit bestünde, schriftliche Aufzeichnungen anzufertigen.139 Doch auch davon abgesehen, könne diese spezielle Art der soziopolitischen Kommunikation für jede „group of a critical size” gelten, solange die Kommunikation nicht nur situativ, sondern kontinuierlich nach dem ‚face to face‘ Prinzip ablaufe.140 Die Fähigkeit als Gruppe dauerhaft (politisch) handlungsfähig zu sein, gelinge in einem solchen Gemeinwesen nicht nur über eine einfache gegenseitige persönliche Bekanntschaft. Vielmehr funktioniere sie „by means of conversation between its members, permitting mutual response in terms of the whole personalities of those who compose it, resolving its crises and making its decisions by that combination of ratiocination and of conscious and unconscious response“.141 Was genau unter „critical size“ zu verstehen ist, lässt Laslett hier wohl ganz bewusst offen. Wie im Folgenden gezeigt wird, setzt er aber die personelle Schwelle, bis zu welcher er von der Möglichkeit einer ‚face to face society‘ ausgeht, ziemlich hoch an. Doch bevor Lasletts personelle Grenze diskutiert werden soll, kann möglicherweise die Evolutions- und Verhaltensbiologie schon etwas zur Klärung dieser Frage beitragen. In einer Studie zur Größe sozialer Gruppen bei Primaten konnte von Robin Dunbar eine Verbindung zur Ausprägung des Neocortexes der entsprechenden Spezies aufgezeigt werden. Dies legt im Umkehrschluss eine biologische Limitierung der Gruppengröße aufgrund der Entwicklung dieser Gehirnregion nahe.142 Diese biologischen Überlegungen wurden dann von Dunbar auf den Menschen übertragen und mit historischen und soziologischen Beob138 Vgl. LASLETT 1956, S. 161: „The family is a face to face society of a very special sort, and it has the disadvantage as an example that it is never a political society“. Siehe dazu auch YUNIS 1996, S. 30f. 139 Vgl. LASLETT 1956, S. 158: „[…] the extent to which any society has to rely on written record rather than on the remembered experience of its members, is a rough measure of the extent to which it falls short of being a face to face society”. 140 LASLETT 1956, S. 160. 141 LASLETT 1956, S. 160. 142 Vgl. DUNBAR 1992; die Vergrößerung des Neocortexes scheint dabei gewissen Primatenarten einen evolutionären Vorteil gegeben zu haben, da dadurch die Bildung größere Gruppen möglich wurde. Die biologische und die soziale Evolution bedingten also einander: „[…] the process of brain evolution was accelerated by the fact that an enlarged cortex created new opportunities in other (specifically social) domains. It now seems clear that a large part of this impetus lay in the especially intense nature of primate inter-personal relationships that allow these animals both to form highly effective coalitions […] and to exploit their knowledge of how other individuals are likely to behave“(S. 486).

39 Das Konzept der ‚face to face society‘ und die Generierung von Gemeinsinn

achtungen angereichert.143 Dadurch konnte auch für die Primatenart ‚Mensch’ ein „cognitive limit to the number of individuals with whom any one person can maintain stable relationships“144 bestimmt werden. Die aufgrund persönlicher Beziehungen entstehenden stabilen Gruppen „are invariably one that depend on extensive personal knowledge based on face-to-face interaction for their stability and coherence through time“.145 Solche Gruppen sind dadurch natürlich in ihrer personellen Größe begrenzt. Diese Grenze, auch ‚Dunbar’s number‘ genannt, liegt für den Menschen bei etwa 150 Individuen146 und könnte nun durchaus auch auf Lasletts ‚face to face society‘ angewandt werden. Man könnte nun meinen, dass damit eine personelle Obergrenze für ein Gemeinwesen bestimmt wäre, in welchem die soziopolitische Kommunikation nach all den von Laslett benannten Kriterien noch hätte ablaufen können. Allein Laslett gibt in seinem Essay eine ganz andere Grenze vor, bis zu welcher seiner Meinung nach offenbar das ‚face to face‘ Prinzip Anwendung finden könnte. Diese Grenze besteht nun nicht, wie oft kolportiert, in der durchschnittlichen Gruppengröße der vorindustriellen englischen Dorfgemeinschaft. 147 Vielmehr nennt Laslett als Limitierung für eine ‚face to face society‘ ganz explizit die gesamte Bürgerschaft einer durchschnittlichen antiken griechischen Polis.148 Laslett geht nun davon aus, dass die meisten Poleis nicht mehr als eintausend zur politischen Teilhabe berechtigte Bürger besaßen. Dies ist sicherlich zutreffend. Allerdings geht er auch davon aus, dass keine Polis mehr als zehntausend Bürger besaß.149 Zumindest im Fall von Athen ist dies aber mit Sicherheit falsch. Für das 4. Jahrhundert sollte von wenigstens dreißigtausend erwachsenen, männlichen Bürgern ausgegangen werden.150 Klar wird dennoch, dass Laslett auch bei einem Gemeinwesen mit zehntausend Mitgliedern angenommen haben muss, dass sein aus der innerfamiliären Kommunikation gewonnenes 143 Vgl. DUNBAR 1993; unter anderem fand er auch ein historisches Beispiel aus der Antike (S. 686): „In addition, it turns out that most organized […] armies have a basic unit of about 150 men […]. This was true of the Roman Army (both before and after the reforms of 104 B.C.) as of modern armies since the sixteenth century. In the Roman Army of the classical period (350–100 B.C.), the basic unit was the maniple (or “double-century”) which normally consisted of 120 – 130 men; following the reforms instituted by Marius in 104 B.C., the army was reorganized into legions, each of which contained a number of semi-independent centuries of 100 men each”. 144 DUNBAR 1993, S. 691. 145 DUNBAR 1993, S. 691. 146 Vgl. DUNBAR 1993, speziell S. 682–687. 147 So etwa OBER 1989, S. 31, u. COHEN 2000, S. 104. 148 Vgl. LASLETT 1956, S. 162f.: „The whole of Greek political thought was conditioned by the fact that the polis was a political society which was also a face to face society […]. It will surely be readily admitted that the polis is the best possible example of the face to face society defined in purely political, classically political terms“. 149 Vgl. LASLETT 1956, S. 162. 150 Zur Einwohner- und Bürgeranzahl in Athen im 5. und 4. Jahrhundert siehe unten Kap. 9.2.

40 Gemeinsinn und Transzendenz als analytische Kategorien

Modell auf die Kommunikationsstrukturen eines solchen Gemeinwesens übertragen werden könnte. Für die griechischen Gemeinwesen, selbst für solche mit zehntausend Bürgern, müsste dies also bedeuten, dass sie „rely for the solution of all political difficulties on the fact that in a given situation a man, any man, knew intuitively what the situation meant and what behavior was appropriate to it“.151 Es ist sicherlich ausgeschlossen, dass dies auf ein Gemeinwesen mit tausenden Mitgliedern und komplexen politischen und sozialen Strukturen zugetroffen haben kann. Die antiken Quellen zeigen dann auch, dass es gerade in Athen nicht so gewesen ist.

3.5.

Die Qualität und Quantität von ‚face to face‘ Beziehungen

Wenn man aber die zu einer tatsächlichen ‚face to face‘ Kommunikation fähigen Gruppen auf solche mit einen personellen Umfang von 150 Akteuren begrenzen würde, wäre das Konzept, zumindest zur Erklärung der politischen Strukturen in Athen, nicht mehr anwendbar. Denn Dunbars stabile soziale Beziehungen lassen sich nicht auf männliche erwachsene Bürger beschränken, sondern Frauen, Kinder, Metöken, Bürger anderer Poleis und auch Sklaven gehören zu einer solchen Gruppe. Geht man von einer Bürgeranzahl von zehn Prozent an der Gesamtbevölkerung des athenischen Staates von vielleicht 300000 Menschen im 4. Jahrhundert aus, würde durchschnittliche jeder athenische Bürger nur mit fünfzehn anderen athenischen Bürgern eine stabile soziale Beziehung führen können. Dem sind aber zwei Überlegungen entgegenzustellen. Zum einen funktionieren zwar alle stabilen soziale Beziehungen nach dem ‚face to face‘ Prinzip, mit Abstrichen am idealtypischen kann dieses aber auch auf weitere Beziehungen ausgedehnt werden. So ist die Größe des Netzwerkes von persönlichen Bekanntschaften, über welches jeder Einzelne verfügt, wohl weitaus höher anzusetzen. Ein solches kann durchaus bis zu über 600 Personen umfassen.152 Die sozialen Beziehungen innerhalb eines solchen Netzwerkes sind natürlich verschieden intensiv ausgeprägt. Nicht jede Person kann jedem Mitglied seines persönlichen Netzwerkes von Bekannten sofort ansehen, ob es in der letzten Nacht etwa Geschlechtsverkehr gehabt hat. Diese Bedingung wird beispielsweise als eine besonders hohe Hürde für eine wahre ‚face to face‘ Beziehung von Robin Osborne aufgestellt.153 Dennoch funktionieren auch persönliche Beziehungen 151 LASLETT 1956, S. 166. 152 Siehe etwa MCCORMICK U.A. 2010, S. 64f., die aufgrund empirischer Erhebungen eine durchschnittliche Netzwerkgröße von 611 Personen ermittelt haben. Der Zentralwert (Median), also der mittlere Wert in der statistischen Verteilung der Netzwerkgröße unter allen Befragten, betrug 472 Personen. 153 Vgl. OSBORNE 2011, S. 217.

41 Die Qualität und Quantität von ‚face to face‘ Beziehungen

von einer geringeren Qualität nach dem ‚face to face‘ Prinzip, was dann die Quantität solcher Beziehungen erhöht. In einer genuin politischen Versammlung – etwa im Vorstandstreffen einer politischen Partei, in einem Stadt- oder Gemeinderat und auch in der Demenversammlung im klassischen Athen – sind für einen politischen Akteur, welcher entweder eine politische Entscheidung herbeiführen will oder einen politischen Vorschlag bewerten muss, nur bestimmte persönliche Informationen über die anderen Akteure relevant. Steht beispielsweise in einem Stadtrat die Erneuerung der städtischen Spielplätze auf der Agenda, so ist es relevant zu wissen, ob die anderen Versammlungsteilnehmer Kinder haben und in welche Alterskategorie diese Kinder fallen. Daraus ergeben sich die Argumentationsstrategien, sowie die Entscheidungsprognosen und auch die Interesseneinschätzungen der Versammlungsteilnehmer. Die Kenntnis der Namen der Kinder, ob sie gerne Gemüse essen oder auch nur wie sie aussehen, ist in diesem Kontext nicht relevant, um mit einem Elternteil, welches Mitglied der politischen Versammlung ist, eine (politische) ‚face to face‘ Beziehung zu führen. Auch eine solche, nur bedingt persönliche Beziehung kann dennoch Gemeinsinn generieren. Man kommt also zu der relativ banalen Feststellung, dass die Qualität einer ‚face to face‘ Beziehung vom sozialen und politischen Kontext der Beziehung abhängig ist. Außerdem bestimmt die soziale und politische Stellung eines Individuums die soziale und politische Stellung der Mitglieder seines Netzwerkes von persönlichen Bekanntschaften. Dies bedeutet nun aber auch, dass ein Individuum, welches mit vielleicht einhundert Personen stabile persönliche Beziehung im Sinn von Robin Dunbar pflegt – also qualitativ höherwertige ‚face to face‘ Beziehungen – immer noch mit bis zu fünfhundert Personen eine gegenseitige persönliche Bekanntschaft haben kann, in welcher die soziopolitische Kommunikation nach dem ‚face to face‘ Prinzip funktioniert. Diese Gruppe kann dann als ‚face to face‘ Gemeinschaft bzw. Gesellschaft verstanden werden. Wenn es sich dabei um eine genuin politische Vereinigung handelt, dann ist diese Art von Beziehung für das Verständnis des politischen Willensbildungsprozesses und der Generierung von Gemeinsinn innerhalb dieser Gruppe entscheidend. Dies führt zu einem weiteren Problem im Verständnis von Robert Lasletts Modell, welches zum Verständnis der weiteren Argumentation geklärt werden muss. Dabei handelt es sich um seine Verwendung des Begriffes ‚society‘, den er benutzt „as the feel of the sentence seems to require, and in no technical sense“.154 Um die Begriffe ‚Gesellschaft‘ und auch ‚Gemeinschaft‘ nun in einem technischeren Sinn zu fassen, soll sich der Einfachheit halber auf Ferdinand Tönnies und Max Weber berufen werden. Für Weber, im Anschluss an Tönnies, soll ‚Vergemeinschaftung‘ bekanntlich „eine soziale Beziehung heißen, wenn 154 LASLETT 1956, S. 157 Anm. 1.

42 Gemeinsinn und Transzendenz als analytische Kategorien

und soweit die Einstellung des sozialen Handelns – im Einzelfall oder im Durchschnitt oder im reinen Typus – auf subjektiv gefühlter (affektueller oder traditionaler) Zusammengehörigkeit der Beteiligten beruht“. Dahingegen soll ‚Vergesellschaftung‘ „eine soziale Beziehung heißen, wenn und soweit die Einstellung des sozialen Handelns auf rational (wert- oder zweckrational) motiviertem Interessenausgleich oder auf ebenso motivierter Interessenverbindung beruht“.155 Ähnliches gilt auch schon für Tönnies' Unterscheidung des ‚Normaltyps‘ der ‚Gemeinschaft‘ von der ‚Gesellschaft‘, da auch bei ihm weniger die Größe des ‚Kollektivs‘ entscheidend ist, sondern die Disposition des Einzelnen zu diesem.156 In der (natürlichen) Gemeinschaft handeln die zugehörigen Individuen im Sinne eben dieser Gemeinschaft, wohingegen auf der Ebene der (künstlichen) Gesellschaft der Einzelne die anderen Mitglieder für seine Zwecke instrumentalisiere.157 Anders formuliert könnte man also sagen, dass auf der Ebene einer Gemeinschaft, auf welcher die soziale und politische Kommunikation immer nach dem ‚face to face‘ Prinzip funktioniert, die Akteure eher bereit sind, die soziomoralische Ressource ‚Gemeinsinn‘ zu investieren. Sie sind also eher bereit, im Sinne des Gemeinwohls zu handeln, als dies auf der abstrakteren und anonymeren gesamtgesellschaftlichen Ebene der Fall sein sollte. Dadurch würden dann Gemeinschaften direkt stabilisiert werden, wohingegen die gesamte Gesellschaft eher indirekt, durch die Existenz stabiler Teilgemeinschaften, stabilisiert würde. Allerdings können auch personell kleinere Gruppen, in welchen die Kommunikation vornehmlich nach dem ‚face to face‘ Prinzip funktioniert, eher den Charakter einer ‚Gesellschaft‘ haben, als einer ‚Gemeinschaft‘. Speziell genuin politische Gliederungen von personell überschaubarer Größe werden stets eine Kombination aus ‚Vergemeinschaftung‘ und ‚Vergesellschaftung‘ darstellen, auch wenn das Ideal der gegenseitigen persönlichen Bekanntschaft aller Mitglieder vollständig erfüllt ist. Dieses Ideal war es dann auch, welches bereits für Platon eine Grundvoraussetzung für ein gutes Gemeinwesen darstellte158 und für Aristoteles das Fehlen eines solchen Zustandes die Ursache für politische Instabilität war.159 Allerdings 155 156 157 158

M. WEBER 1980, S. 21 (WuG, Erster Teil, Kap. 1, § 9). Vgl. TÖNNIES 1887, S. 9–96. Vgl. SCHNEIDEREIT 2010, S. 34–130. Plat. leg. 738d–e: „[…] und die Leute sich bei den Opfern miteinander befreunden und miteinander vertraut und bekannt werden; denn ein größeres Gut gibt es für einen Staat nicht als dies, daß die Bürger miteinander bekannt sind. Wo nämlich nicht gegenseitig Klarheit über die Gesinnung des anderen herrscht, sondern Dunkel, da wird wohl niemand richtig zu der verdienten Ehre oder den Ämtern gelangen oder sein Recht finden, das ihm zukommt“ – καὶ φιλοφρονῶνταί τε ἀλλήλους μετὰ θυσιῶν καὶ οἰκειῶνται καὶ γνωρίζωσιν, οὗ μεῖζον οὐδὲν πόλει ἀγαθὸν ἢ γνωρίμους αὐτοὺς αὑτοῖς εἶναι. ὅπου γὰρ μὴ φῶς ἀλλήλοις ἐστὶν ἀλλήλων ἐν τοῖς τρόποις ἀλλὰ σκότος, οὔτ᾽ ἂν τιμῆς τῆς ἀξίας οὔτ᾽ ἀρχῶν οὔτε δίκης ποτέ τις ἂν τῆς προσηκούσης ὀρθῶς τυγχάνοι. 159 Aristot. pol. 1326b 14–20: „Im Hinblick aber auf die Rechtsurteile und die der Würde entsprechende Verteilung der Ämter müssen die Bürger einander kennen, welche Eigen-

43 Die Qualität und Quantität von ‚face to face‘ Beziehungen

forderten sie dies für die Gesamtpolis und damit für die gesamtgesellschaftliche Ebene ein, was – wie gezeigt wurde – nicht immer zu realisieren gewesen sein kann. Sicherlich trafen aber für viele griechische Gemeinwesen die oben genannten Kriterien zu. Dies gilt gerade auch dann, wenn man die Notwendigkeit des ‚face to face‘ Prinzips in der soziopolitischen Kommunikation auf die zur politischen Teilhabe berechtigten Akteure einschränkt. Unabhängig von der Einwohneranzahl eines Gemeinwesens könnte die Anzahl der vollberechtigten Bürger auch noch durch Zensusschranken weiter begrenzt sein. Dies schränkt dann auch die Größe der Gruppe, welche eine politische ‚face to face‘ Kommunikation leisten musste, weiter ein.160 Doch ausgerechnet die beiden Gemeinwesen, über deren politischen Strukturen man in der spätarchaischen und klassischen Zeit am meisten weiß, also Athen und Sparta, hatten so viele vollberechtigte Bürger, dass für diese nicht das Ideal der gegenseitigen persönlichen Bekanntschaft gegolten haben kann. Daher bietet es sich hier an, weniger die politischen Herrschaftsstrukturen – unabhängig davon, ob sie eher demokratisch oder eher oligarchisch ausgerichtet waren – auf der Ebene der Gesamtpolis zu betrachten, als vielmehr die untergeordneten politischen Gliederungen. Denn diese werden, zumindest potenziell, die oben genannten Kriterien einer ‚face to face society‘ vermutlich eher erfüllt haben können.

schaften sie wohl jeweils haben; wo dies allerdings nicht zutrifft, da muß es mit den Ämtern und den Rechtsurteilen schlecht stehen. Mit Rücksicht auf beides ist es nämlich nicht gerecht, aus dem Stegreif heraus zu handeln, was jedoch bei allzugroßem Menschreichtum offenbar vorkommt“ – πρὸς δὲ τὸ κρίνειν περὶ τῶν δικαίων καὶ πρὸς τὸ τὰς ἀρχὰς διανέμειν κατ’ ἀξίαν ἀναγκαῖον γνωρίζειν ἀλλήλους, ποῖοί τινές εἰσι, τοὺς πολίτας, ὡς ὅπου τοῦτο μὴ συμβαίνει γίγνεσθαι, φαύλως ἀνάγκη γίγνεσθαι τὰ περὶ τὰς ἀρχὰς καὶ τὰς κρίσεις. περὶ ἀμφότερα γὰρ οὐ δίκαιον αὐτοσχεδιάζειν, ὅπερ ἐν τῇ πολυανθρωπίᾳ τῇ λίαν ὑπάρχει φανερῶς. 160 Vgl. OBER 2008, S. 85.

44 Egalität, Partizipation und Demokratie als analytische Kategorien

4. EGALITÄT, PARTIZIPATION UND DEMOKRATIE ALS ANALYTISCHE KATEGORIEN

4.1.

Vorbemerkungen

Um den Ursprung politisch institutionalisierter Egalität, also der ‚Demokratie‘, in die egalitären und partizipatorischen Strukturen der früharchaischen Gesellschaftsordnung zurückverfolgen zu können, ist es vorher nötig, diese Begriffe zu klären.161 Es sollen hier allerdings weder umfassende Lehrbuchdefinitionen gegeben162 noch umfangreiche Diskussionen über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen antiker und moderner Demokratie geführt werden.163 Dennoch müssen einige Überlegungen angestellt werden, was den Kern demokratischer Herrschaft ausmacht. Ebenso soll gezeigt werden, dass für die antike und die moderne Demokratie im Kern eben doch die Gemeinsamkeiten überwiegen.164 Auch ist es nötig, ‚demokratische‘ Strukturen von egalitären oder gar rein partizipatorischen zu unterscheiden. Dies ist daher unablässig, um zu vermeiden, dass der Begriff ‚Demokratie‘ auf politischen Ordnungen übertragen wird, sobald in den Quellen etwa von einer ‚Volksversammlung‘ oder einer ‚Abstimmung‘ die Rede ist. Ian Morris hat nun zu Recht darauf hingewiesen, dass die Entstehung der demokratischen Ordnungen in Griechenland nicht nur politische, sondern auch ein kulturelle Prozesse gewesen sind. Ferner muss ihm darin zugestimmt werden, dass bereits länger bestehende egalitäre und institu161 Dies ist natürlich keine neue Erkenntnis, siehe etwa ROBINSON 1997, S. 13: „Nevertheless, it is important to attempt some definition, for if we intend to identify the earliest democratic states from slender bits of evidence we need a very clear understanding of what exactly we seek and what distinguishes a democracy“. Dies gilt umso mehr, wenn man nicht nur frühe Demokratien identifizieren, sondern die Ursprünge der frühen Demokratie aufzeigen will. 162 Verwiesen sei hier nur auf das politikwissenschaftliche Standardwerk von SARTORI 1997, besonders S. 253–273. 163 Vgl. dazu etwa FINLEY 1973; BLEICKEN 1995a, S. 679–683; GSCHNITZER 1986 [1995]; ROBINSON 1997, S. 25–33; MEIKSINS WOOD 1996; SARTORI 1997, S. 274–290; NIPPEL 2008, besonders S. 88–124. 164 Die verbindende Traditionslinie zwischen antiker und moderner Demokratie betont zu Recht etwa HANSEN 1994a u. HANSEN 2005, S. 5–44.

45 Vorbemerkungen

tionalisierte partizipatorische Strukturen als Voraussetzung notwendig sind, um überhaupt erst die Möglichkeit einer demokratischen Entwicklung zu eröffnen.165 Als ein Ausdruck solcher Strukturen kann etwa der Prozess der Verschriftlichung von Gesetzen in der archaischen Zeit angesehen werden.166 In diesen sind – wie Winfried Schmitz überzeugend gezeigt hat – besonders die Normen und Werteder vorstaatlichen, eher egalitär organisierten dörflichen Gemeinwesen eingeflossen.167 In diesen dörflichen Gemeinwesen scheint dann eine 165 Siehe dazu generell die Ausführungen in MORRIS 1996. Seine Überlegungen über die Entstehung der Demokratie und ihre Voraussetzungen im archaischen Griechenland basieren dabei auf den Grundüberlegungen zur Demokratieentstehung des amerikanischen Politikwissenschaftlers Robert Alan DAHL 1989, S. 13–33. Dazu auch ROBINSON 1997, S. 65–73, der zu dem Ergebnis kommt, dass das „ideal of citizen equality […] a prerequisite for the formation of democratic government“ (S. 72) ist und RAAFLAUB 2004a, der die Schwäche aristokratischer Strukturen während der Archaik und den Anstieg von „social and political mobility“ (S. 35) im Verlauf der Archaik betont; ebenso J. HALL 2007, S. S. 182–187. Siehe dagegen aber OBER 1996, S. 34–52, der den revolutionären Charakter der Ereignisse von 510/09 unterstreicht und den Prozess „whereby the demos became conscious of itself in forthrightly political terms“ (S. 38) erst als ein Resultat der solonischen Reformen und der anti-aristokratischen Maßnahmen der athenischen Tyrannen betrachtet. 166 Siehe dazu etwa THOMAS 1996, welcher das weiter bestehende nebeneinander von mündlich tradierten und verschriftlichten Gesetzen betont; weiterhin J. DAVIES 1996, der etwa für das sogenannte ‚Gesetz von Gortyn’ unterstreicht, dass es sich dabei vielmehr um „a group of documents promulgated over 200-250 years“ (S. 34), vom frühen 6. Jahrhundert bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts, handelt, welches außerdem „two contradictory processes, that of codification or systematization, and that of continuous amendment or decodification via generalized case-law, in operation at the same time“ (S. 56) zeige; HÖLKESKAMP 1999, besonders S. 262–285, hingegen weist eine tatsächliche ‚Rechtskodifizierung‘ zurück und betont stärker den Einzelfallcharakter der archaischen Gesetze, sieht aber dennoch in der sich wechselseitig bedingenden Verstärkung der Polisstrukturen und der Zunahme an gesetzlichen Einzelfallregelungen den Druck breiterer bäuerlicher Schichten zur Disziplinierung der Aristokraten; außerdem PAPAKONSTANTIOU 2008, besonders S. 19–70, der anmerkt, dass „archaic written enactments provide for the first time in Greek history firm evidence for the participation of the populace and other subdivisions of the citizenry in legislative procedures” (S. 48) und GAGARIN 2008, besonders S. 39–92, der aufgrund des epigraphischen Befundes davon ausgeht, dass die Gesetze explizit für eine breitere Rezeption durch die Mitglieder eines Gemeinwesens publiziert wurden. Siehe dagegen aber HAWKE 2011, der in der Verschriftlichung von Gesetzen ein Mittel der Herrschaftssicherung der archaischen Elite sieht und nicht als einen Willensausdruck der gesamten Polisgemeinschaft: „[…] the polis of itself does nothing; human actors were responsible for the legislative acts we find in the record, and those human actors will have been those who exercised leadership and wielded power in the early polis“ (S. 194). 167 Vgl. SCHMITZ 2004a, besonders S. 148–258. Schmitz negiert aber auch nicht die Bedeutung ‚adliger‘ Normen, welche in einer Vermittlungsleistung archaischer Gesetzgeber mit den bäuerlichen zu einer Einheit wurden: „In der Zuerkennung abgestufter politischer Rechte und in der Verbindlichkeit der für alle gleichermaßen geltenden Gesetze zeigt

46 Egalität, Partizipation und Demokratie als analytische Kategorien

Grunddisposition existiert zu haben, prinzipiell alle männlichen, erwachsenen Mitglieder als berechtigt anzusehen, an den politischen Prozessen aktiv zu partizipieren. Das bedeutet, dass sie über alle, die Gemeinschaft als Ganzes betreffenden Entscheidungen grundsätzlich gleichberechtigt mitbestimmen konnten. Dies galt auch ganz unabhängig von geistiger, körperlicher und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit oder der Zugehörigkeit zu einer exklusiven Gruppe (‚Adel‘, ‚Aristokratie‘, ‚Partei‘, ‚Gilde‘, ‚Volksgruppe‘, ‚Rasse‘, usw.). Diese Grunddisposition muss sich nicht notwendigerweise in einer vollständigen politischen Gleichberechtigung aller Mitglieder eines Gemeinwesens ausdrücken. Ebenso ist es wichtig, dass egalitäre Strukturen nicht mit demokratischen Strukturen verwechselt werden dürfen, noch vorhandene egalitäre Strukturen notwendigerweise zu demokratischen Strukturen führen. Des Weiteren scheint es so zu sein, dass egalitäre soziopolitische Strukturen in vorstaatlichen Gemeinwesen einer Entstehung genuiner staatlicher Strukturen eher hinderlich sind.168 Dies ist für die Entstehung von Staatlichkeit und Demokratie in der griechischen Welt natürlich von besonderer Bedeutung. Auch wenn die Staatsentstehungsprozesse in den einzelnen griechischen Gemeinwesen nicht notwendigerweise mit der Entstehung demokratischer Herrschaftsordnungen einhergingen, waren doch in den Gemeinwesen, in denen dies geschah, beide Prozesse miteinander untrennbar verbunden. Besonders fassbar wird dieser Prozess bekanntlich in Athen. Hier scheint die Schwelle zur Staatlichkeit zwar zu Beginn des 6. Jahrhunderts bereits überschritten, die Verstetigung staatlicher Strukturen war aber weiterhin im Gange. Aufgrund der Machtübernahme des Peisistratos im athenischen Gemeinwesen kann vielleicht sogar von einem gewissen Rückschritt in diesem Prozess gesprochen, zumindest aber kann mit einer gewissen Behinderung der weiteren Entwicklung der Staatlichkeit gerechnet werden.169 In den Reformen des Kleisthenes kann dann die Verbindung der Entstehung (bzw. Weiterentwicklung) von Staatlichkeit und Demokratie deutlich erkannt werden. Man erkannt in diesen die Schaffung und Umformung institutioneller staatlicher Strukturen und darin eingebettet die Institutionalisierung demokratischer Strukturen bzw. die Demokratisierung institutioneller Strukturen. Diese Entwicklung wäre aber zum einen ohne die traditionellen egalitären Strukturen des athenischen Gemeinwesens bzw. der traditionellen egalitären Strukturen in der griesich die Verflechtung der adligen und der bäuerlichen Welt, aus der eine bürgerliche Gemeinschaft wurde“ (S. 258). 168 Vgl. CLAESSEN 2002, S. 108f. Derartige vorstaatliche egalitäre Strukturen können anscheinend sogar dazu führen, dass sich ganze Bevölkerungsgruppen durch Migration der Staatlichkeit entziehen. James C. Scott hat dies eindrücklich für den südostasiatischen Raum gezeigt. Diese Flucht vor dem Staat in unzugängliche Gebirgsregionen traf dabei sowohl die vorkolonialen Staatsbildungen in Vietnam, Thailand und Burma als auch die europäischen Kolonialmächte und selbst noch die modernen Nationalstaaten (vgl. SCOTT 2009, besonders S. 127–177). 169 Siehe dazu unten Kap. 8.2.

47 Egalitäre soziopolitische Strukturen und gerontokratische Herrschaft

chischen Welt nicht möglich gewesen. Zum anderen wird hier aber auch eine der Besonderheiten der griechischen Staatsentstehung deutlich, nämlich die Institutionalisierung protostaatlicher egalitärer Strukturen in staatliche partizipatorische oder genuin demokratische Herrschaftsordnungen.

4.2.

Egalitäre soziopolitische Strukturen und gerontokratische Herrschaft

Um die Besonderheit der ‚Verstaatlichung‘ egalitärer Strukturen bei den Griechen und die Unterschiede zwischen egalitären und demokratischen Strukturen zu verdeutlichen, soll im Folgenden als ein instruktives Beispiel die gesellschaftliche und historische Entwicklung bei den Mbundu betrachtet werden. Bei den Mbundu handelt es sich um eine Volksgruppe im nordwestlichen Angola, welche zu der Bantusprachgruppe zu zählen ist. Das Besondere an dieser afrikanischen Volksgruppe ist, dass ihre Geschichte und ihre sozialen und politischen Strukturen bereits seit dem Ende des 15. Jahrhunderts in Ansätzen fassbar werden, da seit diesem Zeitpunkt die Portugiesen als Kolonialmacht auf den Plan traten. Vor allem lieferten die katholischen Missionare erste Beschreibungen dieser Kultur. Die Mbundu waren und sind vornehmlich Ackerbauern, welche zumindest bis in die 1960er Jahre hauptsächlich in matrilinearen Abstammungsgemeinschaften (ngundu) organisiert waren. Diese Abstammungsgemeinschaften waren immer an eine dörfliche Siedlung gebunden, zu welcher das umliegende Territorium gehört.170 Die Mbundu waren außerdem insoweit exogam, als dass die Töchter nicht in der eigenen Dorfgemeinschaft verheiratet wurden, sondern in andere, benachbarte Dorfgemeinschaften. Die Söhne dieser in ein anderes Dorf verheirateten Töchter kehrten mit der Pubertät in das Geburtsdorf ihrer Mütter zurück. Genau genommen in die Häuser der Brüder ihrer Mütter. Sie verblieben also nicht in der Dorfgemeinschaft ihrer Väter. Daraus ergab sich in den Dörfern die soziale Grundstruktur einer Zweiteilung in Neffen (mwehwa) und Onkel 170 Die hier folgenden Ausführungen beruhen auf der ethnologisch-historischen Untersuchung von Joseph C. Miller (MILLER 1976) über die Mbundu, welche neben historischen Studien der europäischen Quellen auch auf ethnologischen Studien in Angola in der 1960er Jahren basiert. Nicht nur der bereits ausgebrochene Unabhängigkeitskrieg (1961– 1974), sondern vor allem der ab 1975 anschließende Bürgerkrieg bis zum Jahr 2002, mit all seinen sozialen und politischen Umbrüchen, wird natürlich die traditionellen Strukturen der Mbundu stark in Mitleidenschaft gezogen haben. Selbst der Umstand, dass die Mbundu als Volksgruppe die Hauptunterstützer der siegreichen Bürgerkriegspartei, der MPLA (‚Movimento Popular de Libertação de Angola’), gewesen sind, hat für die Masse der Mbundu nicht viel gebracht, auch wenn sich die politische Elite Angolas vornehmlich aus ihnen rekrutiert – siehe dazu HODGES 2001, besonders S. 22–43.

48 Egalität, Partizipation und Demokratie als analytische Kategorien

(malemba). Die Onkel bildeten als die ‚Alten’ (makota) einen ebenso bezeichneten Ältestenrat. Dieser wiederum wählte einen ‚Dorfvorsteher’, der als lemba dya ngundu (‚Onkel der Abstammungsgemeinschaft‘) bezeichnet wurde. Obwohl die einzelnen Abstammungsgemeinschaften bzw. richtiger Dorfgemeinschaften so verwandtschaftlich miteinander verbunden waren, gab es in der Regel keine, die einzelnen Gemeinschaften verbindenden, komplexeren Herrschaftsstrukturen. Im soziokulturellen Entwicklungsschema von Elman R. Service (Banden – Stämme – Häuptlingsherrschaften – Staaten) ist das soziopolitische System der Mbundu also als Stammesgesellschaft anzusehen.171 Die hier erkennbare Herrschaftsform ist prinzipiell eine Gerontokratie, auch die politische Partizipation im makota war auf die malemba beschränkt. Die soziopolitische Ordnung der Mbundu kann damit nicht als eine akephale bezeichnet werden. Das Egalitäre dieses Systems ist aber die Möglichkeit für jeden ‚Neffen‘, die Position eines ‚Onkels‘ zu erreichen. In dem primär nach Altersklassen hierarchisierten Gemeinwesen der Mbundu kann man vielleicht eine entwickelte Form einer gerontokratischen Ordnung sehen, welche zumindest in Ansätzen auch in den homerischen Texten sichtbar wird.172 Fast alle Versuche bei den Mbundu scheiterten, wenn es darum ging, komplexere politische Strukturen zu etablieren. Wenn solche Versuche doch einmal Erfolg hatten, dann waren die entstandenen monarchischen Herrschaftsstrukturen nur von kurzer Dauer.173 Sobald ein solcher Häuptling Autorität über mehrere Abstammungsgemeinschaften gewinnen konnte, stellte er sich damit automatisch außerhalb jeder einzelner dieser Gemeinschaften und nahm damit immer die Position eines Außenseiters ein. Dies verhindert fast vollständig die Möglichkeit der Vererbung der Autorität vom Vater auf den Sohn. Mit dem Tod des Häuptlings setzten sich immer die zentrifugalen Kräfte der grundsätzlich egalitären Abstammungsgemeinschaften durch. Die entstandenen größeren politischen Herrschaftsstrukturen zerfielen daher auch wieder in die einzelnen dörflichen Gemeinwesen, in welchen die Gruppe der makota ihre Autorität wieder durchsetzen konnte. 171 Siehe zur sozialen Organisationsform von ‚Stämmen‘ SERVICE 1965, S. 110–142. 172 Dies hat zumindest ULF 1990, S. 51–83, versucht aufzuzeigen; die mwehwa würden dann in etwa den kouroi entsprechen und die malemba den gerontes. 173 Unter vier Bedingungen war es mitunter einem Einzelnen möglich, eine Herrschaft über mehrere Dorfgemeinschaften zu erlangen: x Durch äußeren Druck, etwa durch das afrikanische Kongo-Königreich im Norden oder durch die portugiesische Kolonialmacht. x Durch die Kontrolle von Schlüsselressourcen (Salz, Eisenerz) oder zumindest deren Zwischenhandel. x Durch den exklusiven Besitz eines Autoritätssymbols (lunga), also eines Fetisches, dem transzendente Eigenschaften zugeschrieben wurden. x Durch die Kontrolle über eine außerhalb der Abstammungsgemeinschaften existierende soziale Institution, des kilombo, bei welchem es sich um ein Beschneidungskamp handelte, welches der Initiation der Krieger diente.

49 Partizipatorische und demokratische Strukturen und ihre Identifikation

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das egalitäre an der soziopolitischen Ordnung der Mbundu zum einen darin bestand, dass prinzipiell jedes männliche Mitglied der Abstammungsgemeinschaft als fähig angesehen wurde, potenziell an der ‚Herrschaft‘ zu partizipieren. Zum anderen bestand es aber auch darin, dass die Herrschaft eines Einzelnen über mehrere Abstammungsgemeinschaften bzw. einer Abstammungsgemeinschaft über andere Abstammungsgemeinschaften vehement abgelehnt wurde.174 Aufgrund dieser gesamtgesellschaftlichen Disposition konnten sich keine hierarchisierten und zentralisierten politischen Strukturen herausbilden: „Here a large population lived under favorable economic conditions, and there were several efforts to organize overarching religious and/or sociopolitical structures. None of these efforts succeeded, however; the egalitarian ideology of the population was too strong to accept the domination by a centralized administrative apparatus”.175 Doch sowohl die egalitäre Grunddisposition der Mbundu also auch die traditionellen starken egalitären Strukturen führten deswegen noch nicht zu einer demokratischen Herrschaftsordnung. Darüber hinaus darf man eine egalitäre soziale Grunddisposition und egalitäre soziale Strukturen nicht als eine Form politisch institutionalisierter Egalität und damit als eine demokratische Herrschaftsordnung missverstehen.

4.3.

Partizipatorische und demokratische Strukturen und ihre Identifikation

Um die Unterschiede zwischen partizipatorischen und demokratischen Strukturen verdeutlichen zu können, bietet sich zuerst der Blick auf die vertrauteren politischen Verhältnisse in der späten Römischen Republik an. Hier wurden bekanntlich alle Magistrate und alle Gesetze von Volksversammlungen verschiedenen Typs gewählt bzw. verabschiedet.176 Mitunter erscheint die Volksversammlung (welchen Typs auch immer) als regelrechter Souverän, der alles entscheiden darf, auch gegen die geltenden Normen und Gesetze.177 Aufgrund dessen wurde und wird hin und wieder der demokratische Charakter von Teilen der politischen Ordnung der Römischen Republik herausgestellt. Dies 174 Zwar kann man die Altersgruppe der ‚Onkel‘ auch als eine exklusive Gruppe betrachten, aber die Zugänglichkeit kann dem Einzelnen durch die Gruppe nicht prinzipiell verwehrt werden, im Gegensatz zu der Praxis bei tatsächlichen exklusiven Gruppen wie einem ‚Adel‘ oder einer ‚Partei‘. 175 CLAESSEN 2002, S. 109. 176 Zu den verschiedenen Arten der Volksversammlung siehe etwa L. TAYLOR 1966 und BLEICKEN 1995b, S. 120–133. 177 Etwa bei der Wahl der Magistrate, der Gewährung von Triumphen und der Vergabe von Provinzen (siehe dazu LUNDGREEN 2011).

50 Egalität, Partizipation und Demokratie als analytische Kategorien

kann bis hin zu der Behauptung führen, dass Rom in republikanischer Zeit eine Demokratie gewesen sei.178 Dem steht aber die klar fassbare politische Dominanz der senatorischen Elite entgegen, deren politische Stellung eben durch die Existenz des Senates institutionalisiert war. Bei dieser Elite, auch wenn sie sich noch einmal durch eine starke Binnendifferenzierung auszeichnete, lag die Macht. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass rein formal betrachtet die Herrschaft bei den Magistraten und vor allem den geordneten Volksversammlungen gelegen hat.179 Der Zugang zur senatorischen Elite und die Stellung des Einzelnen innerhalb dieser Elite wurden formal durch die Volksversammlung bestimmt, da bekanntlich beides durch die Wahl zu den verschiedenen senatorischen Ämtern bestimmt wurde. Je höher die erreichten senatorischen Ämter in der Amtshierarchie standen, desto höher war die Stellung des Einzelnen innerhalb des Senates. Die höchste Stufe, die Elite der Elite sozusagen, bildeten dabei die gewesenen Konsuln, eine exklusive Gruppe, deren Mitglieder sich zumeist aus „ungefähr 25 hochadligen Familien“180 rekrutierten. Strukturell konnten diese etablierten Vertreter der senatorischen Elite hohen Einfluss auf die Wahlen zu den Ämtern und damit auch auf die Zusammensetzung des Senates ausüben. Darüber hinaus war für hochrangige Senatoren die „Chance, für einen Befehl bestimmten Inhaltes bei angebbaren Personen“ – etwa den amtierenden Konsuln – „Gehorsam zu finden“181 im Normalfall sehr gut. Die Bedeutung der Volksversammlungen in der soziopolitischen Ordnung der Römischen Republik lag dann auch nicht in der tatsächlichen Teilhabe des populus Romanus an der Herrschaft, sondern in der Herstellung eines ostentativen Konsens zwischen der politischen Elite und dem Rest des römischen Volkes.182 Ebenso dienten die Volksversammlungen der rituellen Partizipation der unterelitären Schichten am politischen Prozess des römischen Gemeinwesens.183 Dies gilt vor allem, da man davon ausgehen kann, dass die meisten Wähler keine Präferenzen für die verschiedenen Kandidaten hatten, zumindest keine über die möglichen Bindungen 178 Siehe dazu den Forschungsüberblick bei JEHNE 1995, S. 1–9. 179 Auch wenn es Gruppen aus der Elite hin und wieder gelungen ist, mithilfe der Volksversammlung kurzfristig gegen die Mehrheit der Elite Politik zu machen; zu denken sei hier etwa an Tiberius Gracchus und seine Anhänger (vgl. dazu etwa BLEICKEN 1988, besonders S. 277–291). Selbst außerhalb der geordneten Volksversammlung konnten einzelne Politiker etwa mittels contiones die restliche senatorische Elite politisch unter Druck setzen, wie bspw. P. Clodius in den 50er Jahre des letzten vorchristlichen Jahrhunderts (vgl. etwa TAN 2013). 180 ALFLÖDY 2011, S. 64. 181 So die bekannte Definition von ‚Herrschaft‘ durch M. WEBER 1980, S. 28 [WuG 1,1 §16]. 182 Siehe dazu FLAIG 2013, S. 366–368, der dies folgendermaßen auf den Punkt bringt: „Die römischen Komitien waren demnach ein Konsensorgan, ihr Verlauf vollzog sich als Konsensritual“ (S. 367). 183 Vgl. dazu JEHNE 2010, besonders S. 24–34, u. FLAIG 2013, S. 355–371; außerdem JEHNE 2006 u. JEHNE 2001.

51 Partizipatorische und demokratische Strukturen und ihre Identifikation

durch das Patronagesystem hinausgehenden. Denn die Kandidaten zu den Ämtern hatten, von Ausnahmen einmal abgesehen, in der Regel kein politisches Programm, welches sie im Falle eines Wahlerfolges umzusetzen gedachten.184 Des Weiteren kann man wohl davon ausgehen, dass die nicht-stadtrömischen Wähler die Kandidaten wahrscheinlich oftmals überhaupt nicht kannten und bei Abstimmungen in den Zenturiatskomitien die Wähler in den unteren Stimmklassen noch nicht einmal zur Stimmabgabe kamen. Mit anderen Worten: „Für viele, wenn auch nicht für alle Besucher römischer Wahlversammlungen war also der Vorgang des Rituals der interessante Teil, der Ausgang der Wahl, den das Ritual hervorbrachte, dagegen unwesentlich“.185 Bis zum Ende des Römischen Reiches in der Spätantike gab es solche partizipatorischen Strukturen, wenn auch nicht mehr in Form von Wahlen, sondern etwa in der Form von Akklamationen.186 Die Idee der Partizipation an politischen Prozessen ohne eine tatsächliche Partizipation an der politischen Herrschaft hat anscheinend einen hohen Eigenwert für die Partizipierenden besessen. Ebenso sollten die römischen Strukturen einen davor warnen, aufgrund der Existenz partizipatorischer Strukturen (‚Wahlen‘ ‚Volksversammlungen‘, ‚Volksentscheidungen‘), automatisch auf die Existenz tatsächlicher demokratischer Strukturen zu schließen. Um dieses Problem zu verdeutlichen, sollen hier kurz drei Fälle diskutiert werden, bei denen ein solches Missverständnis vorliegt. Der eine Fall betrifft die sogenannten ‚Phönizier‘,187 für die Michael Sommer vorhandene „kollektive Institutionen“ als demokratische interpretiert hat, speziell das Vorhandensein einer Volksversammlung.188 Zwar kann man diese in der klassischen griechischen Mischverfassungstheorie tatsächlich als ‚demokratisches Element‘ verstehen. Doch waren, wie Sommer herausgearbeitet hat, die phönizischen Stadtstaaten Oligarchien, in denen es eine klare „Begrenzung der vollen politischen Rechte auf eine oligarchische Gruppe (Fernhändler und Grundbesitzer)“189 gab. Man sollte hier also eher von partizipatorischen Strukturen sprechen. Dies gilt umso mehr, da man nicht wirklich erkennen kann, wer in den phönizischen Städten tatsächlich durch solche politischen Strukturen integriert wurde. Sollte jedenfalls der Analogieschluss von den karthagischen Verhältnissen auf die Levante richtig und sowohl die Handwerker also auch die gesamte karthagische Landbevölkerung von aller politischen Teilhabe ausgeschlossen gewesen sein, dann waren die als demokratisch beschrieben Strukturen nicht nur nicht demokratisch, sondern auch nur in Ansätzen partizipatorisch. Zwar kann eine gewisse 184 185 186 187

Vgl. etwa JEHNE 1993. JEHNE 2010, S. 33. Vgl. WIEMER 2013. Φοίνικες war dabei die griechische Fremdbezeichnung dieser Stadtstaatenkultur. Die Bevölkerung dieser verschiedenen Städte kannte anscheinend keinen gemeinsamen, verbindenden Namen (vgl. NIEMEYER 2000, Sp. 911). 188 Vgl. SOMMER 2005, S. 191–239. 189 SOMMER 2005, S. 223.

52 Egalität, Partizipation und Demokratie als analytische Kategorien

kulturelle Vorbildfunktion der phönikischen Stadtstaaten für gewisse Elemente der griechische Poliskultur sicherlich nicht ganz ausgeschlossen werden kann.190 Doch ein Vorbildcharakter der soziopolitischen Ordnungen der phönizischen Gemeinwesen für die politischen Entwicklungsprozesse in den griechischen Poleis der archaischen Zeit ist doch eher unwahrscheinlich.191 Ähnlich gibt es auch in der alttestamentlichen Forschung Ansätze, fassbare soziopolitische Strukturen als ‚demokratisch‘ zu interpretieren. Die Schwierigkeiten, die Texte des Alten Testamentes als historiographische Quelle zu benutzen ab, sind natürlich groß.192 Dennoch ist es von vorneherein nicht auszuschließen, dass man aus dem reichhaltig vorhandenen Quellenmaterial Rückschlüsse auf soziale und politische Strukturen zur Entstehungszeit der Texte – analog zur Rekonstruktion der ‚homerischen Gesellschaft‘ aus Ilias und Odyssee – ziehen kann. Dennoch ist bei der Bewertung und möglichen Analogieschlüssen zu den Verhältnissen in Griechenland Vorsicht geboten. Dies gilt etwa für die Diskussion um mögliche ‚demokratische‘ Strukturen im vorexilischen Israel, bzw. genauer im Königreich Juda in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts. Für das Königreich Juda im 7. Jahrhundert, speziell in den Ereignissen um die Hofrevolte gegen den König Amon (wohl 642–640 v. Chr.), die mit der Ermordung des Königs, einer Gegenrevolte des ‚Landvolkes‘ und der Einsetzung des minderjährigen Amon-Sohnes Josia endete,193 sieht etwa Frank Crüsemann Anzeichen für vorhandene demokratische Strukturen.194 Das Vorhandensein solcher sieht er auch darin begründet, dass er die Entstehung des Deuteronomiums in die Zeit der Herrschaft des Josia datiert und darin eine demokratische Grundideologie ausmachen zu können glaubt: „Da das göttliche Gesetz und mit ihm die politische Macht dem im Deuteronomium angeredeten ‚Du‘ anvertraut wird, hinter dem sich das – noch stärker abzugrenzende – Volk im ganzen verbirgt, spreche ich von ‚Demokratie‘“.195 Sowohl gehe die „Einrichtung eines Königtums allein auf den Wunsch des Volkes zurück“, als auch stehe die Einsetzung von Richtern und Verwaltungsorganen dem ‚Du‘ und damit dem Volk zu, genauer den „landbesitzenden freien israelitischen Männern“.196 Ob hier mit 190 191 192 193 194 195

So etwa GSCHNITZER 1988. Vgl. RAAFLAUB 2004b. Vgl. dazu E. BLUM 2005. Vgl. 2Kön 21,23f. Vgl. CRÜSEMANN 1993. CRÜSEMANN 1993, S. 201. Im Deuteronomium, also im 5. Buch Moses, spricht Moses vornehmlich in drei Reden zum Volk Israel. Vor allem in der zweiten Rede wird nach einer Wiederholung der – zur ersten Version aus Ex 20,2–17 leicht abgewandelten – ‚Zehn Gebote‘ eine ganze Reihe von weiteren Gesetzen gegeben (Dtr 12–26), welche nach modernem Verständnis sowohl privatrechtliche als auch strafrechtliche, ebenso wie ‚staatsrechtliche‘ Bestimmungen enthalten. Die weitaus meisten Bestimmungen sind allerdings religiöser Natur, regeln also das Verhältnis vom Volk Israel zu Jahwe. Siehe als Einführung zum Deuteronomium etwa BRAULIK 2008. 196 CRÜSEMANN 1993, S. 202–204.

53 Partizipatorische und demokratische Strukturen und ihre Identifikation

‚Demokratie‘ etwas der ‚Demokratie‘ der Griechen Vergleichbares gemeint sein kann, drängt sich als Frage deswegen auf, da man laut Crüsemann bei „allen Vergleichen von altem Israel und altem Griechenland […] auf erstaunliche Analogien und auf engste Verwandtschaft [trifft]“.197 Dies ist auch ungeachtet davon der Fall, dass „tiefe Differenzen, die nicht zuletzt im begrifflichen Ansatz bzw. im Fehlen von Begriffen in Erscheinung treten“,198 erkennbar sind. Doch dieses „Fehlen von Begriffen“ ist zumindest ein Stück weit schon entscheidend. Denn für die Existenz von ‚Demokratie‘ ist, zumindest in Ansätzen, ein institutionelles Gefüge zur Durchführung demokratischer Verfahren auf gesamtgesellschaftlicher Ebene notwendig. Da ein solches aber in den hier relevanten biblischen Texten nicht benannt wird, weder explizit noch implizit, scheint dies eher gegen die Existenz solcher Strukturen zu sprechen. Auch scheint das im Text von Moses angesprochene ‚Du‘ zwar in der Tat, als Gesamtheit des Volkes Israel, eine politische Entität zu sein, die durchaus vergleichbar mit dem ist, was etwa die Athener meinten, wenn sie vom δῆμος oder die Römer, wenn sie vom populus Romanus sprachen. Doch bedeutet dies nicht automatisch, dass die Aufforderung an das Volk Israel, sich Richter und Beamte zu geben,199 eine Aufforderung ist, dies in demokratischer Weise zu tun. Denn irgendein Verfahren zur Bestimmung ist überhaupt nicht erkennbar, noch nicht einmal ein partizipatorisches, wie etwa bei der Bestimmung der römischen Magistrate. Ähnlich verhält es sich mit der Josia-Einsetzung im 2. Buch der Könige. Auch wenn zwar einigermaßen klar ist, dass die Gruppe der ᶜam-hâᵓârӕṣ die Gegenrevolte auslöste und für die Einsetzung des Josia verantwortlich war, so ist keineswegs erkennbar, wie ihre postulierte ‚Regentschaft‘ für den minderjährigen König bzw. spätere ‚Mitherrschaft‘ ausgesehen und institutionell verankert gewesen sein könnte.200 Ebenso unklar ist, wer sich hinter den ᶜam-hâᵓârӕṣ genau verbirgt.201 Denn es macht – zumindest für den Historiker – schon einen Unterschied, ob es sich hierbei um einen „Landadel“, um das „Landvolk“, um alle „freien, landbesitzenden Männer Israels“ oder um die „(Sippen-)Ältesten“ 197 CRÜSEMANN 1993, S. 201. Allerdings wurde in der neueren Forschung die Gesetzgebung im Deuteronomium mit dem Gesetz von Gortyn und den Zwölf-Tafelgesetzen verglichen und dabei explizit die Eigenständigkeit der nahöstlichen und der griechisch-römischen Entwicklung herausgearbeitet (vgl. BURCKHARDT 2007). Auch das Wirken des Königs Josia und des Gesetzgebers Solon als Reformer wurde verglichen und auch hier scheinen keine großen Gemeinsamkeiten oder gemeinsamen Ursprünge, etwa in ägyptischen Vorstellungen, feststellbar (vgl. SEYBOLD / UNGERN-STERNBERG 2007). 198 CRÜSEMANN 1993, S. 201 199 Vgl. Dtr 16,18. 200 Vgl. dazu CRÜSEMANN 1993 selbst (S. 214): „Nirgends treten etwa Regeln zum Verfahren in Erscheinung. Wie Richter und Beamte gewählt wurden, wer bei der Einsetzung des Königs wie beteiligt war, ob es Volksversammlungen gab oder nicht“. 201 Zur Bestimmung der ᶜam-hâᵓârӕṣ siehe CRÜSEMANN 1993, S. 208f., u. KESSLER 1992, S. 199–202.

54 Egalität, Partizipation und Demokratie als analytische Kategorien

gehandelt hat. Die fehlende politische Begrifflichkeit im Alten Testamentes setzt sich hier also in einer unklaren Begrifflichkeit der modernen Forschung fort. Aber gerade bei der Postulierung demokratischer Strukturen muss geklärt werden, wer am politischen Prozess partizipiert und wie intensiv diese Partizipation ist. Beides scheint hier aber nur schwer bestimmbar zu sein, weswegen die Postulierung von demokratischen Strukturen auch in der alttestamentlichen Forschung zurückgewiesen wird. Vielmehr solle von partizipatorischen Strukturen gesprochen und das Königreich Juda als „partizipatorische Monarchie“ betrachtet werden.202 Aber selbst wenn die Vermutung richtig ist, dass es sich bei den ᶜam-hâᵓârӕṣ „um die rechts-, kult- und wehrfähige freie männliche Bevölkerung, deren Status […] auf ihrem Grundbesitz beruht“203, handelte und außerdem die Vermutung richtig ist, dass diese Gruppe als politische Einheit agierte, so weiß man doch immer noch nichts über die innere Gliederung dieser Gruppe. So ist nicht rekonstruierbar, ob sie eher egalitär oder hierarchisch strukturiert war und dies wäre der entscheidende Punkt. Denn wenn nur einige Großgrundbesitzer ihre politische oder soziale oder siedlungsgeographische Gruppe instrumentalisierten, um ihre persönlichen Machtinteressen durchzusetzen, dann sollte man nicht nur nicht von demokratischen, sondern auch nicht von partizipatorischen Strukturen sprechen. Zumindest nicht in einem Sinne, wie dies in der römischen Ordnung der Fall war. Diese Einwände gelten auch für den Versuch, demokratische Strukturen im nachexilischen Israel, also auf einer regionalen bzw. kommunalen Ebene innerhalb des Persischen Reiches, nachzuweisen.204 Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Existenz von einer Form der Demokratie im Königreich Juda sehr unwahrscheinlich ist. Selbst die Ansicht, dieses Gemeinwesen sei als eine „partizipatorische Monarchie“ zu verstehen, kann nicht wirklich wahrscheinlich gemacht werden, es sei denn, man will die Schwelle für partizipatorische Strukturen sehr niedrig anlegen. Tut man dies aber, dann verwischen wieder die Kategorien und der Versuch, die Besonderheiten der verschiedenen Entwicklung herauszuarbeiten, wird unmöglich gemacht.

202 Siehe dazu etwa KESSLER 1992, S. 202–207, der hier auch die längere Forschungstradition zur Postulierung von ‚Demokratie’ im alten Israel nachzeichnet. 203 KESSLER 1992, S. 199. 204 So jüngst OSWALD 2013, der versucht zu zeigen, dass sowohl in der Verfassungsdebatte bei Herodot (3,80–82), als auch in der Verfassungsdebatte im Buch Samuel (1Sam 8) für „eine Art von Demokratie“ (OSWALD 2013, S. 153) plädiert werde.

55 Demokratie und Souveränität

4.4.

Demokratie und Souveränität

Doch was genau soll nun unter Demokratie verstanden werden? Man könnte es sich hier einfach machen und darauf verweisen, was die Griechen am Ende des 5. Jahrhunderts unter Demokratie verstanden haben. Denn immerhin haben die Griechen den Begriff erfunden. Außerdem könnte man auf verschiedene moderne politikwissenschaftliche Definitionen und Theorien verweisen. Doch beides soll hier nicht erfolgen. Vielmehr sollen einige Überlegungen angestellt werden, was die antike und die moderne Demokratie miteinander verbindet. Dies soll auch ungeachtet davon erfolgen, dass es vielleicht tatsächlich keinen direkten Anschluss der modernen Entstehungsprozesse demokratischer Ordnungen an die antiken Formen von Demokratie gegeben hat.205 Wie bereits diskutiert wurde, scheint die grundlegende Voraussetzung für die Etablierung einer demokratischen Herrschaftsordnung eine egalitäre Grunddisposition innerhalb eines Gemeinwesens zu sein. Keinem Mitglied eines solchen Gemeinwesens wird grundsätzlich die aktive Teilhabe an allen politischen Prozessen verwehrt oder beschränkt.206 Solche Mitglieder sollen im Folgenden als Bürger bezeichnet werden. Sklaven und Fremde – auch solche, die dauerhaft in einem Gemeinwesen wohnen – zählen selbstverständlich weder in antiken noch in modernen Gemeinwesen, in welchen die Sklaverei noch existierte, zur Gruppe der Bürger. Auch gelten für die egalitäre politische Partizipation der Bürger zwei weitere Ausnahmen. So erfolgte eine grundsätzliche Verwehrung der politischen Partizipation in allen – antiken wie modernen – Demokratien aufgrund von Altersschranken. In der gesamten Epoche der Antike war außerdem das Geschlecht des Bürgers ein unüberwindliches Ausschlusskriterium. Die Exklusion von fünfzig Prozent der erwachsenen Staatsbürger ist dann auch der entscheidende Unterschied zwischen der antiken und modernen Demokratie. 205 Siehe etwa WAGNER 2013, der eine Verbindung lediglich in einem vorhandenen „democratic political imaginary“ sieht, also der Idee, dass „the people rule themselves, as the etymology of the term and its usage in ancient Greece and early modern Europe suggest” (S. 63). 206 Vgl. W. EDER 1995, S. 16f. Davon unbeschadet bestand aber die Möglichkeit der außerordentlichen Einschränkung der politischen Teilhabe aufgrund von Gesetzen. Zu denken wäre hier etwa an den Verlust der politischen Rechte durch ἀτιμία im klassischen Athen (vgl. dazu etwa HARRISON 1971, S. 169–171, MANVILLE 1980, RAINER 1986 u. WANKEL 1991). Doch selbst dies stellt keinen grundsätzlichen Unterschied zur modernen Demokratie dar, denn es besteht etwa die Möglichkeit, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht nach Art. 18 des Grundgesetzes eine Verwirkung der Grundrechte für eine Person auf Antrag der Bundesregierung, des Bundestages oder der Landesregierungen (vgl. BVerGG §36) verhängt. Dies kann bis zu einer lebenslangen Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts und der generellen „Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter“ (BVerGG §39 Abs. 2) führen. Der Vollständigkeit halber sollte allerdings erwähnt werden, dass dieses Verfahren in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie zur Anwendung gekommen ist.

56 Egalität, Partizipation und Demokratie als analytische Kategorien

Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass sich das – im egalitär-demokratischen Sinn sicherlich folgerichtige – Frauenwahlrecht auch erst relativ spät in der Entwicklung der modernen Demokratie durchgesetzt hat.207 Der Ausschluss von Metöken, Sklaven und Fremden in den antiken Demokratien ist hingegen kein hinreichender Unterschied zu modernen demokratischen Gemeinwesen.208 Man sollte hier nur an solche Gruppen wie etwa die ‚dauerhaft hier lebenden Ausländer‘ bzw. die ‚illegalen Ausländer‘ denken, welche alle modernen demokratischen Staaten kennen.209 Auch wird wohl niemand ernsthaft dem dänischen Touristen auf dem Weg in den Skiurlaub nach Österreich, wenn er zufällig an einem Wahlsonntag durch die Bundesrepublik fährt, die Möglichkeit zur politischen Partizipation in Deutschland einräumen wollen. Dessen ungeachtet gibt es einige Hinweise darauf, dass trotz des Ausschlusse der oben genannten Gruppen von jeder politischen Partizipation im demokratischen Athen, diese dennoch von der demokratischen Ordnung profitierten.210 Doch wie genau muss die aktive Teilhabe an allen politischen Prozessen beschaffen sein, um mehr als nur politische Partizipation zu sein, sondern tatsächliche demokratische Herrschaftsteilhabe? Die Antwort darauf scheint nach wie vor in der Bestimmung des (inneren) Souveräns im Sinne von Jean Bodin (1529/30–1596) zu liegen. Man muss also nach dem Inhaber der absoluten und dauerhaften Gewalt in einem Staat suchen.211 Im athenischen Gemeinwesen des 207 Dass die athenischen Frauen aber dennoch auch im demokratischen Athen zu einem gewissen Grad als Teil der Bürgergemeinschaft gesehen wurden, zeigt das Gesetz des Aristophon von 403, nach welchem nur athenischer Bürger sein kann, dessen beide Elternteile ebenfalls athenische Bürger waren (vgl. Dem. or. 57,30). Auch das Vorhandensein eines eigenen Wortes für „Bürgerin“ (πόλιτις) deutet darauf hin. Zur rechtlichen Stellung der Frau in Griechenland siehe etwa MACDOWELL 1978, S. 84–89; GOULD 1980; BARTA 2011, S. 332–334; speziell zur Stellung der athenischen Vollbürgerinnen KAMEN 2013, S. 87–96. Dagegen hat SCHULLER 1993, S. 42f., die Vermutung geäußert, dass eine Verbindung zwischen der Entstehung der Demokratie in Athen und der verstärkten Verdrängung der Frau aus dem sozialen Leben des Gemeinwesens beständen hätte. Er begründet dies damit, dass wahrscheinlich durch die verstärkte zeitliche Inanspruchnahme wachsender Teile der männlichen Bürgerschaft im öffentlich-politischen Raum eine verstärkte zeitliche Inanspruchnahme der Frau im häuslich-privaten Bereich notwendig geworden sei; siehe dagegen aber zu Recht FORSDYKE 2013. 208 So sieht etwa HANSEN 1999, S. 57–64, den Ausschluss einer großen Anzahl von Einwohnern eines Polisterritoriums aus der Bürgerschaft als einen bedeutenden Unterschied zu den modernen Staaten an. 209 Sklaven konnten aufgrund ihrer (beinahe) tatsächlichen Rechtlosigkeit ökonomisch ausgebeutet werden, ‚illegale Ausländer' werden es aufgrund ihrer faktischen. 210 Vgl. FORSDYKE 2013, hier S. 229: „It seems that the democratic principles of freedom and equality, so vociferously defended among citizens men in the formal political institutions of the state, did indeed ‘trickle down’ to other social groups”. 211 Vgl. BODIN 1981, S. 205–239. Allerdings schränkt Bodin die Souveränität dadurch ein, dass bei ihm auch der Souverän einem göttlichen und einem natürlichen Recht unterworfen sei – zu Bodin und seiner Souveränitätskonzeption siehe etwa KURZ 1965, S. 74–77; GRIMM 2009, S. 20–26; LOICK 2012, S. 35–45. Darüber hinaus ist der Begriff der ‚Sou-

57 Demokratie und Souveränität

5. Jahrhunderts war diese absolute und dauerhafte Gewalt der δῆμος, also alle über achtzehnjährigen, männlichen Staatsbürger.212 Der Demos delegierte nun seine Souveränität an die regelmäßig tagende Volksversammlung.213 In dieser vollzog sich der Ausdruck der Souveränität in einer einfachen Mehrheitsentscheidung (fünfzig Prozent der Stimmen plus eine Stimme). Außerdem lässt sich bereits in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts die Etablierung einer regelrechten demokratischen Ideologie feststellen, welche zur Stütze der demokratischen Ordnung und der Souveränität des δῆμος wurde.214 Auch nach den Verfassungsreformen zwischen 410 und 399 v. Chr.215 blieb der δῆμος der Souverän.216 Allein wurde nun die Souveränität nicht nur an die Volksversammlung, sondern auch an zwei weitere politische Institutionen delegiert. Zum einen wurde diese an die ordentlichen Gerichtshöfe delegiert und zum anderen an die außerordentlichen Ausschüsse der Volksversammlung zur Verabschiedung von nómoi, deren ebenfalls ausgeloste Mitglieder als nomothétai bezeichnet wurden.217 Auch der Ausdruck der Souveränität veränderte sich von einer einfachen Mehrheitsentscheidung hin zu einer stärkeren Konsensentscheidung.218 Denn war ein Konsens unter den Bürgern vorhanden, dann konnte jedes Gesetz verabschiedet, jedes Gesetz verändert und jedes Gesetz abgeschafft werden. Selbst die demokratische Ordnung hätte per Gesetz jederzeit suspendiert werden können,219 solange alle drei Instanzen dem entsprechenden Gesetz

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veränität‘ natürlich ungemein politisch Aufgeladen und Umstritten (vgl. dazu etwa JACKSON 2007, S. 1–23; PROKHOVNIK 2007, S. 1–32; GRIMM 2009, S. 99–123; SALZBORN / VOIGT 2010). Vgl. etwa OSTWALD 1986, besonders S. 77–83 u. SINCLAIR 1988, S. 77–105. Folgt man den Ausführungen in der Athenaion politeia (43,4), so musste die Volksversammlung wenigstens viermal in jedem Amtsmonat, also vierzigmal im Jahr, zusammenkommen. Darüber hinaus könnten aber auch weitere Versammlungen einberufen werden (vgl. dazu HARRIS 2006, S. 81–101). Die Bedeutung dieser demokratischen Ideologie hat jetzt BALOT 2014, besonders S. 47– 73, unter dem Blickwinkel der Tugend des ‚Mutes‘ herausgestellt. Er kann in seiner Untersuchung zeigen, wie aus demokratischer Perspektive der Mut zur Tugend aller Bürger wird, sowohl in der politischen Auseinandersetzung innerhalb des athenischen Gemeinwesens als auch im äußeren Kampf für die Polis. Vgl. ROBERTSON 1990; RHODES 1991; HANSEN 1999, S. 162–164. Anders etwa OSTWALD 1986, besonders S. 412–459 u. 497–524. Zum Gesetzgebungsverfahren im 4. Jahrhundert siehe etwa HANSEN 1999, S. 156–177 u. CANEVARO 2013. Gegen die Bedeutung der Losämter für den politischen Entscheidungsprozess im athenischen Gemeinwesen spricht sich dagegen PIEPENBRINK 2013, besonders S. 23–28, aus. Wobei die meisten alltäglichen politischen Entscheidungen durch einfache Mehrheitsentscheidung in der Volksversammlung getroffen wurden, auch wenn solche psēphísmata wieder einer möglichen Überprüfung durch das Volksgericht unterlagen. Dem entgegen steht aber zugegebenermaßen das Gesetz des Demophantos. Durch dieses Gesetz (And. 1,96–98) wurden alle athenischen Bürger verpflichtet, einen Eid zu leisten, die demokratische Ordnung mit Gewalt zu verteidigen. Sollte es dennoch zu einem erfolgreichen Umsturz kommen, waren alle Bürger verpflichtet die demokratische Ord-

58 Egalität, Partizipation und Demokratie als analytische Kategorien

zugestimmt220 bzw. im Fall der möglichen gerichtlichen Überprüfung die Richter es nicht zurückgewiesen hätten.221 Dies wäre dann der Ausnahmezustand, über welchen der δῆμος entscheiden konnte. Damit ist dieser dann auch im Sinne von Carl Schmitt als Souverän zu verstehen.222 Ganz anders war es etwa im spätrepublikanischen Rom, wo der Ausnahmezustand (senatus consultum ultimum) eben nicht durch den populus Romanus in einer Volksversammlung, sondern durch die senatorische Elite mittels eines Senatsbeschlusses verhängt wurde.223 Der δῆμος in seiner Gesamtheit war also im 4. Jahrhundert nicht nur nach wie vor die entscheidende politische Instanz, sondern auch nach wie vor der Souverän. Dies wird in einer pseudo-demosthenischen Rede224 klar zum Ausdruck gebracht: Das Volk der Athener, das doch die vollkommene Macht über alles hat, was es im Staat gibt, so daß es ihm freisteht zu tun, was es will“. 225

Der Demos ist also der Souverän, anders kann man die Formulierung κυριώτατος ὢν τῶν ἐν τῇ πόλει ἁπάντων nicht verstehen. Daran ändern auch die weiteren Ausführungen nichts, dass der δῆμος sich den Gesetzen unterwirft, die er sich selbst gegeben hat. Denn die Betonung der Gesetzgebungskompetenz des δῆμος impliziert eben auch, dass sich dieser nur solange an die eigenen Gesetze halten muss, bis er sein souveränes Recht wahrnimmt und diese einfach ändert.

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nung, nötigenfalls gewaltsam, wiederherzustellen. Alle, die sich an einem antidemokratischen Umsturz bzw. an einer antidemokratischen Herrschaft beteiligen, konnten dem Gesetz entsprechend entsprechend schuldlos getötet und ihr Vermögen konfisziert werden (vgl. dazu TEEGARDEN 2014, S. 15–53). Dieses Gesetz kann auf das Jahr 410/409 v. Chr. datiert und als eine Reaktion auf den oligarchischen Umsturz von 411 v. Chr. gesehen werden. Zur ‚Teilung‘ der delegierten Souveränität siehe etwa PASQUINO 2010, besonders S. 15– 29. Zur möglichen gerichtlichen Kontrolle der ‚Verfassungsmäßigkeit’ bereits verabschiedeter nómoi siehe LANNI 2010, die zu dem Ergebnis gelangt, dass „the Athenians viewed the legal review of statutes as a mechanism for preserving basic democratic decision making institutions“ (S. 256). Vgl. C. SCHMITT 2004 [1922], S. 13–21, hier S. 13: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“; zum Souveränitätsbegriff bei Carl Schmitt siehe etwa CRISTI 1998. Zum senatus consultum ultimum siehe grundlegend UNGERN-STERNBERG 1970 u. jetzt GOLDEN 2013, S. 104–149. Zwar wird mit hoher Wahrscheinlichkeit diese Rede nicht von Demosthenes selbst stammen, wohl aber von einem athenischen Zeitgenossen des großen Redners (vgl. BRODERSEN 2004, S. 29). Damit ist in dem hier benutzten Quellenverweis wohl eine genuine Argumentation zu sehen, wie sie in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts vor athenischen Bürgern Benutzung fand. Dem. or. 59,88: ὁ γὰρ δῆμος ὁ Ἀθηναίων κυριώτατος ὢν τῶν ἐν τῇ πόλει ἁπάντων, καὶ ἐξὸν αὐτῷ ποιεῖν ὅ τι ἂν βούληται.

59 Demokratie und Souveränität

Durch die Kompetenz, Gesetze uneingeschränkt zu verändern, besitzt der δῆμος nicht nur die Kompetenz-Kompetenz, sondern steht letztendlich doch über dem Gesetz.226 Eine weitere Veränderung zum 5. Jahrhundert bestand in der Einführung neuer Altersschranken. Durch diese wurde die Zugänglichkeit zur Volksversammlung anscheinend auf die über zwanzigjährigen Bürger begrenzt. Auch der Zugang zu den Gerichtshöfen war, wie schon im 5. Jahrhundert mit einem Mindestalter von 30 Jahren versehen. Doch diese galt nun auch für die neue Institution der nomothétai.227 Wenn die Schätzung von M. H. Hansen zutrifft, dass fast ein Drittel der erwachsenen, männlichen Bürger von Athen zwischen 18 und 29 Jahre alt war,228 dann war dies durchaus eine bedeutende Veränderung in der Zusammensetzung des athenischen Souveräns. Allerdings war die prinzipielle Zugänglichkeit für alle (männlichen) Bürger weiterhin gegeben. Das egalitäre Prinzip blieb also unangetastet. Dies hat dann wahrscheinlich auch zur Akzeptanz dieser Verfassungsänderung erheblich beigetragen.229 Ungeachtet der stärker auf Konsensentscheidungen ausgerichteten politischen Verfahrensprozesse im 4. Jahrhundert lag die Souveränität nach wie vor eindeutig beim athenischen δῆμος, weswegen die Herrschaftsform eindeutig als δημοκρατία zu identifizieren ist. Es spricht daher dann auch nichts dagegen, der Definition des Begriffes ‚Demokratie‘ von Walter Eder zu folgen: „Demokratie soll hier als eine auf Dauer angelegte Staatsform verstanden werden, in der das souveräne Volk sich selbst durch institutionalisierte und verrechtlichte Selbstkontrolle vor Zufallsund Willkürentscheidungen schützt und damit ständig überprüfbare Grundlinien in Politik, Recht und Verwaltung schafft“.230

226 Siehe Dem. or. 59,88, wo in Bezug auf die Erlangung des Bürgerrechtes ausgeführt wird, dass das athenische Volk „sich selbst Gesetze gab, nach denen man [oder vielmehr: es] handeln solle“ – ὥστε νόμους ἔθετο αὑτῷ καθ᾽ οὓς ποιεῖσθαι δεῖ. 227 Vgl. dazu etwa HANSEN 1999, S. 88–90. 228 Vgl. HANSEN 1999, S. 89. 229 Zu den Altersgrenzen im klassischen Athen siehe TIMMER 2008, S. 24–49. Es ist Timmer auch darin zuzustimmen, dass ein Grund für die neuen Altersgrenzen in dem Versuch einer „Verbesserung der politischen Sozialisation [der athenischen Bürger] durch die Verlängerung der Sozialisationsphase" (TIMMER 2009, S. 46) gelegen haben wird. 230 W. EDER 1995, S. 21. Allein ist die ‚Demokratie‘ natürlich keine ‚Staatsform‘, sondern eine ‚Herrschaftsform‘!

60 Der Untergang der mykenischen Welt

5. DER UNTERGANG DER MYKENISCHEN WELT

5.1.

Die soziopolitische Ordnung der mykenischen Gemeinwesen

Die folgenden Ausführungen sollen und können natürlich keine vollständige Darstellung der mykenischen Kultur bieten. Es sollen lediglich einige Grundmerkmale der soziopolitischen Ordnung der mykenischen Welt aufgezeigt werden. Dabei sollen sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede zur soziopolitischen Ordnung in der griechischen Welt herausgestellt werden, welche man ab dem 8. Jahrhundert historisch wieder fassen kann. Allerdings sind besagte Strukturen in der mykenischen Welt nur sehr schemenhaft greifbar, da die schriftlichen Quellen bekanntlich fast ausschließlich rudimentäre Verwaltungsangaben enthalten.231 Die Natur des Beschriftungsmaterials, also vornehmlich Tontafeln, bringt es mit sich, dass diese nur dann erhalten sind, wenn sie gebrannt wurden. Dies erfolgte in der Regel nur, wenn es zu einer Zerstörung der Verwaltungszentren durch Feuer gekommen war. Die meisten Quellen stammen also aus der Endphase der mykenischen Epoche und geben selten größere Einblicke als in die Verwaltungsabläufe eines Jahres. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass sich die erste Hochkultur in Griechenland um die Mitte des zweiten Jahrtausends vor Christus bildete. Die soziopolitische und kulturelle Organisation dieser Hochkultur folgte dabei weitestgehend altorientalischen, ostmediterranen Vorbildern. Besonders beeinflusst wurde die sogenannte mykenische Kultur von der sogenannten minoischen Kultur der Jüngeren Palastzeit auf Kreta (ca. 1700–1450 v. Chr.). In dieser Phase erreichte die minoische Kultur mit ihren Palastzentren in Knossos, Mallia und Zakros ihren Höhepunkt.232 In dieser Phase wurde auch die ältere kretische Hieroglyphenschrift aufgegeben und durch das Linear A ersetzt.233 Allerdings bringt dieses neue Schriftsystem für den modernen Betrachter einige Probleme 231 Zum Linear B und den überlieferten Textarten siehe etwa HILLER / PANAGL 1986; FERRARA 2010; THOMPSON 2010; DUHOUX 2011. 232 Siehe etwa YOUNGER / REHAK 2008. 233 Siehe zu diesen beiden einzigen, bis heute nicht entzifferten Schriftsystemen etwa TOMAS 2010.

61 Die soziopolitische Ordnung der mykenischen Gemeinwesen

mit sich. Denn ob es sich dabei um eine Schrift handelt, welche eine indogermanische Sprache wiedergibt, vielleicht dem Hethitischen verwandt, oder eher eine semitische Sprache, ist bis heute umstritten.234 Für die mykenische Geschichte ist die Entstehung der Linear A Schrift bekanntlich deshalb so entscheidend, weil das Linear B auf die eine oder andere Weise von dem Linear A abhängig ist.235 Die Ursachen für den Untergang der minoischen Kultur am Ende der Jüngeren Palastzeit sind nicht eindeutig auszumachen. Der Palast von Knossos überstand diese Zerstörungsphase und geriet wohl erst zwischen 1375 und 1350 v. Chr. unter die Herrschaft mykenischer Griechen, welche vielleicht vom Festland übergesetzt waren. Danach allerdings wurde Kreta Teil der griechischen Kultur und ist es bekanntlich bis heute geblieben.236 Die mykenische Welt bestand aus mehreren politischen Entitäten, welche aufgrund ihrer soziokulturellen Verfasstheit als Staaten zu bezeichnen sind.237 Für ein einheitliches politisches Gebilde, was den gesamten mykenischen Kulturraum umfasste und mit dem aus hethitischen Quellen bekannten ‚Ahhijava‘ identisch ist, gibt es in den Quellen keinerlei Belege. Alle Vermutungen in diese Richtung sind daher als eher unwahrscheinlich anzusehen.238 Jedenfalls sind mehrere Zentren fassbar, die als die ‚Hauptstädte‘ der einzelnen mykenischen Staaten betrachtet werden können. Diese wurden von einem Palast (etwa Pylos und Knossos) oder einer Burg (etwa Mykene, Tiryns, Theben und Athen) aus zentral verwaltet. An der Spitze der Verwaltung stand dabei wahrscheinlich ein monarchischer Herrscher,239 wa-na-ka / wanax genannt,240 welcher in Pylos und 234 Siehe FINKELBERG 2001, die selber das Linear A als indogermanische Sprache anatolischen Ursprungs verortet, dem Lykischen am nächsten verwandt (S. 94–98). 235 Siehe etwa BENNET 2000 u. BENNET 2008b, der sich für eine Entstehung des Linear B direkt aus dem Linear A in Knossos zwischen 1450 und 1400 v. Chr. ausspricht. 236 Siehe dazu PRESTON 2008, die allerdings auch vor allzu simplifizierenden Eroberungsvorstellungen warnt: „Crete may be seen not simply as a recipient of mainland ideas and population groups, but as a place where ideas were being adapted to suit internal agendas, and where the resulting innovations contributed, in turn, to more general cultural developments occurring across the Late Bronze Age Aegean” (S. 312). 237 Vgl. SHELMERDINE / BENNET 2008, S. 289–309 u. NAKASSIS u.a. 2010, S. 239–250. Siehe dagegen aber SMALL 1999, S. 43–47, der in den mykenischen Herrschaftsbereichen keine Staaten, sondern lediglich vorstaatliche Territorialherrschaften mit einer zentralisierten, aber räumlich sehr begrenzten Kontrolle der wirtschaftlichen Aktivitäten sehen will. Außerdem sei die Burg bzw. der Palast nicht als politisches Verwaltungszentrum, sondern nur als zentrale Wohnstätte eines Großgrundbesitzers, eben des wanax, zu sehen. 238 Siehe DICKINSON 2006, S. 26–30, der auch zu Recht darauf hinweist, dass selbst wenn man die homerischen Texte als Quelle für die Späte Bronzezeit heranziehen könnte, sich dort keinerlei Belege für ein einheitliches Reich unter der Führung des Agamemnon finden ließen. Eine wissenschaftsgeschichtliche Darstellung der Forschungskontroverse über das Land ‚Ahhijava‘ bietet R. FISCHER 2010, S. 1–66. 239 Dagegen meint T. SCHMITT 2009, S. 281–346, man solle den wanax nicht als einen menschlichen Herrscher betrachten, sondern vielmehr als eine oberste Gottheit. Dementsprechend sei der zentrale Monumentalbau als Kultstätte dieses Gottes zu begreifen.

62 Der Untergang der mykenischen Welt

Knossos als größter Landbesitzer bezeugt ist.241 Ob der wanax ebenfalls eine priesterliche Funktion hatte, oder gar als „Gottkönig“ angesehen wurde, ist unklar. An seiner religiösen Bedeutung, wie diese auch immer ausgesehen haben mochte, sollte dennoch nicht gezweifelt werden.242 Dem wanax nachgeordnet war der ra-wa-ke-ta / lawagetas, möglicherweise als sein Stellvertreter,243 und weitere Funktionsträger.244 Unterstützt wurden diese durch eine kleine Gruppe von Schreibern, welche aber wohl keine Beamtenelite im eigentlichen Sinn darstellten.245 Es existierte aber wohl eine breitere Elite, welche sowohl als Funktionsträger der Palastherrschaften fungierte als auch selbstständig ökonomisch aktiv war. Diese Elite zeichnete sich darüber hinaus durch eine soziale und geographische Mobilität innerhalb der einzelnen mykenischen Gemeinwesen aus.246 Des Weiteren kann man aus den Linear B-Tafeln zumindest für den Herrschaftsbereich um Pylos erschließen, dass er in mehrere Verwaltungsbezirke gegliederte war. Diese wiederum waren in zwei Oberbezirke (pu-ro / Pylos selbst und re-u-ko-to-ro) zusammengefasst.247 Zwar waren die ökonomischen Prozesse in der mykenischen Welt nicht vollständig der Kontrolle der Verwaltungszentren unterworfen. Es wird aber deutlich, dass diese als zentrale Lagerstätten für Nahrungsmittel, Rohstoffe und Fertigprodukte dienten und von diesen Zentralen wieder verteilt wurden. Auch die Produktion von Gütern, wie etwa Textilien, scheint von den Verwaltungszentren aus gesteuert worden zu sein.248 Mitunter mag die Produktion selbst sogar direkt im Palast bzw. der Burg stattgefunden haben.249 Allerdings ist der redistributive Charakter der mykenischen

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Ebenso sollen diese zentralen Kultstätten als soziale Interaktionsräume einer Kriegeraristokratie gedient haben und die mykenischen Gemeinwesen seien daher eher als vorstaatliche, aristokratische Herrschaften zu verstehen. Vgl. PALAIMA 2006, besonders S. 53–71, u. HILDEBRANDT 2007, S. 95–102. Vgl. SHELMERDINE 1999, S. 19. Vgl. SHELMERDINE 1999, S. 20. Vgl. SMALL 1999, S. 46 u. HILDEBRANDT 2007, S. 102–106. Vgl. HILDEBRANDT 2007, S. 106–129. Vgl. PALAIMA 2011, besonders S. 121–123. Für Pylos hat dies anhand des epigraphisch-prosopographischen Materials NAKASSIS 2013, besonders S. 153–186, zeigen können. Vgl. DICKINSON 1994, S. 81f. Die Untergliederung der Herrschaftsbereiche und eine mehr oder weniger zentrale Verwaltung scheinen die Norm in der mykenischen Welt gewesen zu sein (vgl. etwa SHELMERDINE 2006, S. 73–86). Dagegen betont allerdings BENNET 1999, besonders S. 139–142, die Besonderheit der geopolitischen Gliederung in Pylos. Vgl. etwa KILLEN 1988; SHELMERDINE / BENNET 2008; HALSTEAD 2011; J. FISCHER 2012. Die Subsistenzgüterproduktion mag dabei einer nicht ganz so starken zentralen Kontrolle unterworfen gewesen sein, wie dies in Ägypten und Mesopotamien der Fall gewesen ist. Der Grund dafür mag darin gelegen haben, dass keine Bewässerungsanlagen vorhanden waren, über welche eine zentrale Verwaltung eine noch stärkere Kontrolle hätte ausüben können – so zumindest FOXHALL 1995, S. 239–244. Vgl. BENNET 2008a, S. 155–164.

63 Die soziopolitische Ordnung der mykenischen Gemeinwesen

Verwaltungszentren in der Forschung stark umstritten.250 Sieht man von den Mahlgemeinschaften in Kreta und in Sparta einmal ab, deren redistributiver Charakter primär von einer politischen und nicht ökonomischen Natur war, unterscheidet sich die Wirtschaftsweise der mykenischen Epoche fundamental von den späteren Epochen der griechischen Geschichte.251 Auch die geopolitische Organisation der mykenischen Welt war nicht vergleichbar mit der der archaischen oder späteren Epochen.252 Die einzelnen Herrschaftsbereiche umfassten weitaus größere territoriale Komplexe als die kleinräumigen Gemeinwesen der archaischen und klassischen Zeit.253 Aufgrund all dieser institutionellen Strukturen ist es angemessen, die soziopolitische Ordnung der mykenischen Gemeinwesen als eine frühe Form von Staatlichkeit zu betrachten.254 Die mykenischen Gemeinwesen waren also größere territoriale Bereiche, mit hierarchisierten, zentralisierten und institutionalisierten Herrschaftsordnungen. 250 Gegen einen redistributiven Charakter argumentiert etwa DEMAND 2004, S. 61–68. Ebenso lehnen NAKASSIS u.a. 2011 die Bezeichnung der mykenischen Gemeinwesen als „redistributive economies“ als ungenau und irreführend ab. Vielmehr würden verschiedene ökonomische Subsysteme mit unterschiedlich ausgeprägtem redistributiven Charakter nebeneinanderstehen. So zeigt etwa SCHON 2011 in einer Untersuchung solche ökonomischen Subsysteme anhand der Streitwagen-, Parfüm- und Textilproduktion in Pylos auf. Alle drei Bereiche besaßen zwar einen ausgeprägten redistributiven Charakter, wiesen aber in ihrer Organisation deutliche Unterschiede auf. Daher sei davon auszugehen, dass selbst die redistributiven Subsysteme nicht vollständig standardisiert waren. 251 Vgl. FINLEY 1975, S. 150–176. 252 Im sogenannten Schiffskatalog in der Ilias (2,494–759) bekommt man einen ersten Einblick in die geopolitischen Verhältnisse zu Beginn der früharchaischen Epoche. Siehe dazu grundlegend VISSER 1997, besonders S. 1–52, mit einem Überblick über die Forschungsgeschichte. Außerdem VISSER 1997, S. 741–750, der zu Recht darauf hinweist, dass auch mythologisch aufgeladene Orte wie Mykene und Pylos Aufnahme fanden, obwohl diese im 8. Jahrhundert keine bedeutenden Zentren darstellten. Siehe außerdem B. EDER 2003, die überzeugend die politische Karte des Schiffskatalogs in das 8. bzw. 7. Jahrhundert verortet. Kritischer ist die Interpretation von KULLMANN 2009, der zwar in der Zusammenstellung der aufgezählten Städte auch die Verhältnisse des frühen 7. Jahrhunderts widergespiegelt sieht, aber weniger die Darstellung einer genuinen politischen Landkarte durch den Dichter vermutet als den Versuch, die älteren Sagen personell und genealogisch an die Ilias anzuknüpfen. Dagegen spricht sich MYLONAS SHEAR 2000, S. 83–96, dafür aus, dass der Schiffskatalog die politische Situation der spätbronzezeitlichen mykenischen Welt darstellt. 253 Vgl. dazu B. EDER 2009. Ihre Hypothese, Mykene habe, wohl durch die Kontrolle des überregionalen Handels, eine Art Vormacht über die anderen mykenischen Gemeinwesen erlangen können, es also eine Art mykenisches Großreich mit föderalem Charakter gegeben habe, scheint aber eher unwahrscheinlich zu sein. 254 Anders SMALL 1999, welcher in den mykenischen Gemeinwesen vorstaatliche Territorialherrschaften bzw. Grundbesitzherrschaften („estate“) mit zentralisierter, aber geographisch sehr begrenzter Kontrolle der wirtschaftlichen Aktivitäten sieht. Siehe außerdem T. SCHMITT 2009, der die mykenischen Gemeinwesen als vorstaatliche aristokratische Herrschaften versteht.

64 Der Untergang der mykenischen Welt

Egalitäre Strukturen oder Institutionen können, vielleicht mit einer Ausnahme, nicht rekonstruiert werden. Diese eine Ausnahme besteht in der Existenz einer mykenischen Institution namens da-mo / damos, welche etymologisch wohl nicht vom späteren dēmos zu trennen ist. Diese politische Entität scheint als personale bzw. territoriale Gemeinschaft die unterste Verwaltungsebene der mykenischen Gemeinwesen gebildet zu haben. Möglicherweise ist in dem da-mo / damos sogar die mykenische Dorfgemeinschaft zu erblicken. In der Regel tritt der da-mo in den Linear B-Texten in Erscheinung, wenn es um die Verpachtung von ‚Gemeindeland‘ ging.255 Auch scheint die Ebene des da-mo, gerade im Kontext von Grund und Boden, gewisse Kompetenzen unabhängig von der Zentralmacht besessen zu haben.256 Die mykenischen Texte kennen nun auch einen Funktionsträger, welcher als da-mo-ko-ro bezeichnet wurde und möglicherweise vom wanax eingesetzt die Ebene des da-mo zu kontrollieren hatte.257 Die wenigen, vagen Informationen, welche man über den da-mo besitzt, ermöglichen es jedenfalls nicht, irgendetwas über seine soziopolitische Binnengliederung auszusagen. Es ist schon gar nicht rekonstruierbar, wie Entscheidungen auf dieser Ebene getroffen wurden. Wenn man also keine unzulässige Rückprojektion der Rolle und Funktion des dēmos in den späteren Epochen durchführen will, sollte man sich aller Versuche enthalten, egalitäre Strukturen auf dieser (möglicherweise) untersten soziopolitischen Gliederungsebene zu postulieren.

5.2.

Gesellschaftliche Neuanfänge im postmykenischen Griechenland

Die hierarchisierten und zentralisierten staatlichen Gemeinwesen der mykenischen Epoche sind jedenfalls im 12. Jahrhundert fast restlos untergegangen. Anders als etwa auf dem Gebiet des gleichzeitig untergegangenen Hethitischen Reiches führte dies nicht unmittelbar zur Formierung neuer staatlicher Entitäten.258 Viele Kulturtechniken, wie etwa der Schriftgebrauch,259 die Produktion 255 Vgl. dazu HOOKER 1995, S. 18–23 u. HILDEBRANDT 2007, S. 122–124. 256 Vgl. DEGER-JALKOTZY 1983. 257 Vgl. HILDEBRANDT 2007, S. 124–126; möglicherweise wurde die da-mo Ebene aber auch von der breiteren mykenischen Elite kontrolliert (vgl. dazu NAKASSIS 2013, S. 171f.). 258 Vgl. dazu MAREK 2010, S. 133–183. Zwar kam es vor allem in Zentralanatolien zu einem vergleichbaren Kulturbruch wie in Griechenland. Doch in Südostanatolien gab es bereits unmittelbar nach dem Untergang des Hethiterreiches „Kleinstaaten, welche bewußt die Traditionen der hethitischen Großreichszeit fortsetzten“ (S. 137.). 259 Eine Ausnahme bildete hierbei Zypern, welches am Ende der Bronzezeit zum Hethiterreich gehört hatte und frühestens ab 1200 v. Chr. von Griechen besiedelt wurde. Eine Silbenschrift minoischen Ursprungs blieb hier anscheinend auch durch die griechischen Zuwanderer in Benutzung, sodass das älteste nachmykenische Zeugnis in griechischer

65 Gesellschaftliche Neuanfänge im postmykenischen Griechenland

hochwertiger Keramik und die Errichtung von Monumentalarchitektur, gingen mit der Zerstörung der politischen Zentren verloren.260 Verbunden war dies mit einem Bevölkerungsrückgang, welcher wohl bis in das 10. Jahrhundert anhielt.261 Zwar kam es nicht zu einer gänzlichen soziokulturellen tabula rasa, die politische Ordnung brach aber vollständig zusammen.262 Doch für wenigstens zwei Jahrhunderte muss von der Existenz einer mykenischen Staatlichkeit ausgegangen werden. Daher ist es eher unwahrscheinlich, dass noch vorstaatliche Strukturen aus der vormykenischen Zeit existiert haben, an welche nun neue Formen der soziopolitischen Organisation hätten anschließen können. Wenn am Ende der mykenischen Epoche etwa Stammesverbände in irgendeiner Form existierten, dann ist es wahrscheinlich, dass diese genauso artifiziell gewesen sind, wie die späteren griechischen Phylen.263 Die Mitglieder der dorischen Dialektgruppe, welche sich wahrscheinlich nicht vor dem 11. Jahrhundert aus Nordwestgriechenland nach Süden bewegten und sich vornehmlich in der Peloponnes und auf Kreta niederließen, mögen hier eine gewisse Ausnahme gebildet haben.264 Die Ethnogenese der ‚Dorer‘, ihre mutmaßlichen Wanderbewegungen und die innere Verfasstheit dieser Gruppe bzw. Gruppen durch den archäologischen und sehr viel späteren literarischen Befund genauer zu bestimmen, ist jedenfalls ein unmögliches Unterfangen.265 Nach dem Kollaps der Herrschaftszentren wurde die soziopolitische Ordnung anscheinend von der niedrigsten politischen Ebene neu konstituiert. Darauf

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265

Sprache die sogenannte Opheltas-Inschrift darstellt. Diese wird auf ca. 1050 bis 950 v. Chr. datiert und enthält nur den Namen Opheltas im Genitiv (o-pe-le-ta-u / opheltau). Da sie sich auf einem Bronzespieß befindet, liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei diesem Opheltas um den Besitzer handelte (vgl. DUHUOX 2012). Vgl. etwa DICKINSON 2006, S. 24–57 u. J. HALL 2007, S. 41–66. Vgl. STARR 1961, S. 79f. u. DICKINSON 2006, S. 93–98. Für ein weitaus höheres Maß an Kontinuität zwischen der bronzezeitlichen und eisenzeitlichen griechischen Welt spricht sich DEMAND 2004, S. 68–76, aus. Allerdings begründet sich ihre Argumentation vornehmlich aus dem Sonderfall Zypern, wo tatsächlich eine lokale Silbenschrift von griechischen Einwanderern nach dem Kollaps der Verwaltungszentren im Mutterland und auf Kreta weiter benutzt wurde. Ebenso scheinen auf Zypern weiterhin urbane Siedlungen existierten zu haben, welche sich in der Form vor dem 8. Jahrhundert im restlichen griechischen Siedlungsraum nicht fanden. Für einen Ursprung der historischen griechischen Phylen in den ‚Dunklen Jahrhunderten‘ hat sich FUNKE 1993 ausgesprochen, ohne aber für die Stammesstrukturen in dieser Epoche eine hierarchische und zentralisierte Organisation zu postulieren. Siehe HILDEBRANDT 2007, S. 152f. u. 157–161, die allerdings davon ausgeht, dass die griechischen Phylen-Ordnungen generell bereits mykenischen Ursprungs seien (vgl. S. 155–168). Zum Problem der ‚Dorer‘ als einem antiken und modernen ideologischen Konstrukt siehe J. HALL 1997, S. 4–16. Siehe dazu J. HALL 1997, S. 111–142, u. J. HALL 2002, S. 73–89, der davon ausgeht, dass die ‚dorische Wanderung‘ nicht als eine konzentrierte Invasion der mykenischen oder postmykenischen Welt zu verstehen ist, sondern als Zuzug kleinerer Gruppen, welche sich über einen längeren Zeitraum nach Süden bewegten.

66 Der Untergang der mykenischen Welt

deutet zumindest die Benennung der Position der Anführer in den homerischen und hesiodischen Texten als ‚βᾶσιλεύς‘ hin. Denn dieser Begriff scheint sich von dem mykenischen qa-si-re-u herzuleiten. Dieser war wohl ein Funktionsträger, der unabhängiger von der Zentralverwaltung als etwa der da-mo-ko-ro auf lokaler Ebene wirkte. Dort war dieser unter anderem für die Bronzeherstellung und Bronzeverarbeitung zuständig.266 Wie die Transformation dieser Position zu der des homerischen βᾶσιλεύς, der ja zunächst einmal der reichste Bauer am Ort war, in den Jahrhunderten ohne Schriftzeugnisse vonstattenging, kann nicht mehr rekonstruiert werden.267 Zwar wird es auch in den ‚Dunklen Jahrhunderten‘ eine gesellschaftliche Stratifizierung gegeben haben. Ebenso gibt es Anzeichen dafür, dass auch in dieser Phase einzelne Mächtige situativ die Ressourcen der Gemeinschaft mobilisieren konnten. Zu denken ist hier etwa an die Errichtung des Heroon von Lefkandi. Die sozioökonomischen Unterschiede werden sich aber in Grenzen gehalten haben.268 Zumindest kann man keinerlei Indizien dafür entdecken, dass die sozioökonomische Stratifizierung in den ‚Dunklen Jahrhunderten‘ ausgeprägter gewesen sei als in der historisch fassbaren früharchaischen Zeit. Ab dem Ende des 8. Jahrhunderts begann im griechischen Kulturraum, zu welchem nach der Ionischen Wanderung im 10. Jahrhundert nun auch die Westküste Anatoliens gerechnet werden muss, bekanntlich ein politischer, ökono-

266 Vgl. HILDEBRANDT 2007, S. 106–110, u. PALAIMA 2011. 267 Natürlich wurde dies dennoch versucht und darum ist etwa CRIELAARD 2011 zumindest darin zuzustimmen, dass es einer längeren Entwicklungsphase bedurfte, ehe der Begriff des βᾶσιλεύς den des wanax als Bezeichnung für die oberste Machtposition abgelöst hatte. Allerdings existierte der mykenische Begriff wanax als ἄναξ auch noch in den homerischen Texten, aber nicht mehr in seiner ursprünglich wohl rein politischen Konnotation zur Benennung einer Machtposition. In den homerischen Texten wird der Begriff ἄναξ eher als Anrede eines βᾶσιλεύς benutzt, vor allem in einem Kontext, in welchem der βᾶσιλεύς als Herr seines οἶκος in Erscheinung tritt. Zur Bezeichnung einer soziopolitischen Machtposition in früharchaischer Zeit wird jedenfalls der Begriff βᾶσιλεύς benutzt (siehe dazu YAMAGATA 1997 und zur Etymologie des Wortes wanax WILLMS 2010). 268 Siehe DICKINSON 2006, S. 79–113; außerdem FUNKE 1993, S. 40f., der aber die Bedeutung von Lefkandi überschätzt. Ebenso ist kaum davon auszugehen, dass das Gemeinwesen von Lefkandi im 10. und 9. Jahrhundert als eine Art ‚chiefdom‘ im evolutionären Sinne angesehen werden kann, wie dies durch KISTLER / ULF 2005, S. 273f., aber vermutet wird. Zumindest ist dies aufgrund der fehlenden historischen Überlieferung nicht zu belegen. Doch selbst wenn es in Lefkandi um das Jahr 900 v. Chr. Häuptlinge gegeben haben sollte, dann wäre dieser Umstand aufgrund seiner Kurzlebigkeit dennoch ohne Folgen für die weitere Entwicklung geblieben, da die zeitlich später zu verortende homerische und hesiodische Gesellschaftsordnung nie die Stufe des entwickelten ‚chiefdoms‘ erreicht zu haben scheint (siehe Kap. 6.2.). Der ganze Entwicklungsprozess in Lefkandi wäre dann ein Beispiel für eine evolutionäre Sackgasse und würde noch einmal verdeutlichen, dass auch kulturelle Evolutionsprozesse nicht teleologisch sind.

67 Gesellschaftliche Neuanfänge im postmykenischen Griechenland

mischer und kultureller Aufstieg.269 Aus den Dörfern und Weilern sind größere Siedlungen mit urbanem Charakter erwachsen, die man nun zu Recht als Städte bezeichnen kann.270 Ein Beispiel wäre hierfür die Siedlung Zagora auf der Insel Andros, da neben einer Mauer auch ein urbanes Heiligtum für das 8. Jahrhundert nachgewiesen werden konnte.271 Eine Bevölkerungsexplosion scheint es aber aller Wahrscheinlichkeit nach im 8. und 7. Jahrhundert nicht gegeben zu haben, welche als ursächlich für die entstehende Urbanität zu betrachten wäre. Vielmehr ist von einem kontinuierlichen Bevölkerungswachstum vom 10. bis ins 4. Jahrhundert auszugehen.272 Jedenfalls reichten ab dem 8. Jahrhundert die technischen Fähigkeiten und der Grad der politischen Organisation wieder aus, um monumentale Bauwerke zu errichten. Allerdings entstanden solche Bauwerke nicht mehr in der Gestalt von Burgen und Palästen, welche als Monumente vornehmlich auf einen monarchischen Herrscher bzw. eine Elite ausgerichtet waren. Nun wurden monumentale Bauwerke in Form von Stadtmauern273 und Tempeln geschaffen,274 welche für die Gemeinwesen als Ganzes von Bedeutung waren. Die entscheidende kulturelle Fähigkeit, welche im griechischen Kulturraum in dieser Zeit wieder Fuß fassen konnte, war aber der Gebrauch der Schrift. Diese war aber nicht mehr eine komplizierte Silbenschrift mit über 80 Zeichen, sondern eine Alphabetschrift, welche weitaus einfacher zu erlernen und zu benutzen war. Dieses Schriftsystem besitzt damit eine intrinsische egalitäre Qualität. Die communis opinio über die Entstehung der griechischen Alphabetschrift geht davon aus, dass die Griechen um das Jahr 800 aufgrund ihrer Handelskontakte mit den Phöniziern deren Schrift übernommen275 und ihrer 269 Vgl. etwa COLDSTREAM 2003, besonders S. 87–323; MORRIS 2009; OSBORNE 2009, S. 66–130. Zur Ionischen Wanderung siehe etwa KERSCHNER 2006 u. VANSCHOONWINKEL 2006, S. 115–141. 270 Siehe dazu KOLB 1984, S. 69–73, welcher aber die Bezeichnung ‚Stadt’ für die Siedlungen des 8. und 7. Jahrhunderts vermeidet. 271 Vgl. GATES 2003, S. 197–199. Als ein weiteres Beispiel kann Smyrna genannt werden. Dieser Siedlungsplatz war seit dem 11. Jahrhundert ununterbrochen in Benutzung und wohl seit dem 9. Jahrhundert befestigt. Aber erst in der archaischen Epoche, also seit dem Beginn des 7. Jahrhunderts wurde die Siedlung durch eine große Steinmauer geschützt. Ebenso entstand nun, mit einem Tempel für Athena, eine erste monumentale Steinarchitektur (vgl. AKURGAL 2005). 272 Siehe dazu SCHEIDEL 2003, S. 120–140, der zu einem eindeutigen Ergebnis kommt: „Anomalous events, such as sudden population ‚explosions’, cannot be documented on the basis of the available evidence“ (S. 136). 273 Vgl. etwa LANG 1996, S. 21–54. 274 Vgl. etwa GRUBEN 2001, S. 25–45. Die Bedeutung der Heiligtümer zur territorialen und soziokulturellen Strukturierung der einzelnen Gemeinwesen hat POLIGNAC 1995 herausgearbeitet. Ob die Polis allerdings nur als ein ‚Beiprodukt‘ der Entstehung extraurbaner und suburbaner Heiligtümer zu verstehen ist, kann durchaus bezweifelt werden. Jedenfalls scheint die Bedeutung solcher Heiligtümer in der homerischen und hesiodischen Welt noch äußerst begrenzt gewesen zu sein. 275 Bekanntlich war bereits Herodot (5,58,1f.) ein Anhänger dieser These.

68 Der Untergang der mykenischen Welt

indogermanischen Sprache angepasst hätten. Dieser Anpassungsprozess zeichnete sich besonders durch die Einführung von Vokalzeichen aus.276 Allerdings gab es auch für die Entstehung von Vokalzeichen bereits Vorbilder in den semitischen Alphabeten, etwa dem ugaritischen Keilschriftalphabet.277 Das älteste griechische Zeugnis in einer Alphabetschrift ist auf der so genannten ‚Dipylon-Kanne‘, welche gewöhnlich um 740 datiert wird, enthalten.278 Nun erst begann, mit der Entstehung bzw. Verschriftlichung von Ilias und Odyssee, wieder eine Epoche in der griechischen Geschichte, welche im eigentlichen Sinn historisch fassbar ist.

5.3.

Zusammenfassung

Die mykenische Welt stellt sich als ein System mehrerer monarchisch organisierter Territorialstaaten dar. Diese besaßen eine vertikal wie horizontal stratifizierte Gesellschaft. Ebenso waren die Gebiete der einzelnen mykenischen Staaten in geographische Verwaltungseinheiten gegliedert. Die mykenische Schrift wurde anscheinend ausschließlich für Verwaltungszwecke eingesetzt. Zwar war die politische wie ökonomische Kontrolle durch die staatlichen Zentren nicht allumfassend. Vor allem im wirtschaftlichen Bereich scheinen die Eliten der einzelnen mykenischen Staaten ein gewisses Maß an Autonomie besessen zu haben. Dennoch waren die mykenischen Herrschaftsbereiche Zentralstaaten, die sich in ihren soziopolitischen Ordnungen fundamental von der soziopolitischen Ordnung unterschieden, welche später in den homerischen und hesiodischen Texten erkennbar wird. Nach dem Kollaps der mykenischen Staaten am Ende der Bronzezeit blieb von den politischen Strukturen nicht viel übrig, an welche die Entwicklungen in den sogenannten ‚Dunklen Jahrhunderten‘ hätte anschließen können. Auch wenn es keine vollständige soziokulturelle Tabula rasa gegeben haben wird, so doch eine politische. Die Zerstörung der politischen Zentren, der Verlust der Schriftlichkeit und ein deutlicher Bevölkerungsrückgang führten zum Verlust der Staatlichkeit in der griechischen Welt. Lokale Eliten übernahmen die Füh276 Vgl. etwa MARKOE 2003, S. 114; WIRBELAUER 2004; BURKERT 2009, S. 25f. Die Überlegungen von WILLI 2005, die Übernahme der Schrift durch die Griechen von den Phöniziern sei ursprünglich weniger aufgrund des Handels erfolgt, als vielmehr aus religiösen Motiven, nämlich zur Beschriftung von Opfergaben nach phönizischem Vorbild, ist sicherlich auch eine erwägenswerte Möglichkeit. Wahrscheinlich ist wohl eine Kombination aus ökonomischen und religiös-kulturellen Motiven. Gegen die communis opinio wendet sich aber HÖGEMANN 2000, S. 26f., der einen anatolischen Ursprung der griechischen Alphabetschrift vermutet. 277 Vgl. WILLI 2005, S. 166f. 278 Vgl. POWELL 1988.

69 Zusammenfassung

rung in weitestgehend egalitären, wenn auch nicht akephalen Gemeinschaften. Vorstaatliche gesellschaftliche Strukturen aus vormykenischer Zeit, an welche eine gesellschaftliche Entwicklung hätte anschließen können, werden nach zweibis vierhundert Jahren mykenischer Staatlichkeit kaum noch vorhanden gewesen sein. Ab dem 10. Jahrhundert ging es dann, zumindest demographisch, langsam wieder bergauf. Im 8. Jahrhundert kam, vor allem aufgrund verstärkter Kulturkontakte mit dem ostmediterranen Raum, die Schriftlichkeit zurück nach Griechenland. Ebenso ermöglichten nun höher entwickelte soziopolitische Strukturen wieder die Entstehung größerer urbaner Siedlungen und die Errichtung monumentaler Bauwerke durch die Siedlungsgemeinschaften.

70 Die homerische und hesiodische Dorfgemeinschaft

6. DIE HOMERISCHE UND HESIODISCHE DORFGEMEINSCHAFT

6.1.

Die historische Verortung der Gesellschaft der Epen

Die frühsten literarischen Zeugnisse zur (nachmykenischen) griechischen Geschichte sind zum einen bekanntlich die epischen Gedichte ‚Ilias‘ und ‚Odyssee‘ (die homerischen Texte).279 Zum anderen sind es die beiden Gedichte des Hesiod, die ‚Theogonie‘ und die ‚Werke und Tage‘ (die hesiodischen Texte).280 Die homerischen Texte sind dabei natürlich literarische Fiktionen und nicht ereignisgeschichtliche Abhandlungen.281 Die fiktionale Handlung kann sich aber nur in einer Hintergrundwelt abspielen, welche dem Publikum verständlich gewesen sein muss, also seinem Erfahrungshorizont entsprach. Ähnliches gilt auch für die Werke des Hesiod. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Geschichte vom Streit des 279 Zur Entstehung und frühen Überlieferungsgeschichte der Ilias siehe etwa WEST 2011a, S. 3–70. Ob beide Werke von demselben Autor stammen und dieser mit dem notorischen Homer zu identifizieren ist, die viel diskutierte „homerische Frage“ also, ist dagegen umstritten. Für die Historizität der Person des Homer und seiner Autorschaft spricht sich etwa LATACZ 2003, S. 73–88, aus. Dafür, dass beide Werke von verschiedenen Autoren stammen und die Odyssee eindeutig jüngeren Datums ist, siehe etwa HÖLSCHER 1994, S. 29–35, hier S. 33: „Mit all dem stellt sich die Odyssee, verglichen mit der Ilias, als das Werk eines jüngeren Geistes dar, der bewusster, reflektierender und kompositorischer arbeitet“. Auch WEST 2011a, S. 70–72, geht davon aus, dass Ilias und Odyssee von zwei verschiedenen Autoren stammen und der Verfasser der Odyssee bereits einen feststehenden Iliastext kannte. Die radikale These, der Dichter der Odyssee habe die Ilias überhaupt nicht gekannt (etwa USENER 1990, S. 205), ist wohl abzulehnen. Zur forschungsgeschichtlichen Kontroverse zwischen Analytikern, Neoanalytikern und Unitariern siehe HEUBECK 1988, S. 15–129 u. SAID 2011, S. 20–45. Wie die Ilias durch einen Autor verschriftlicht wurde und dieser dann zu dem ‚Homer’ geworden ist, imaginiert WEST 2011b sehr unterhaltsam. 280 Auch die Frage, ob es sich bei der Figur des Hesiod, wie sie in den hesiodischen Texten fassbar ist, eher um die (historische) Dichterpersönlichkeit oder eher um eine poetische Figur handelt, ist nicht sicher zu beantworten (vgl. NAGY 2009, besonders S. 272–278). Hingegen sieht ITGENSHORST 2014, S. 155–171, in Hesiod den ersten, als Individuum fassbaren, politischen Denker der archaischen Epoche Griechenlands. 281 Vgl. HAMPL 1975.

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Dichters mit seinem Bruder Perses um das väterliche Erbe tatsächlich um das Jahr 700 v. Chr. im böotischen Askra so stattgefunden hat. Gerade Hesiods ‚Werke und Tage‘ spiegelt als „Lehrgedicht, das teilweise kalendarische Form hat“ die Lebenswirklichkeit der unterelitären Vollbauern und ihrer dörflichen Gemeinwesen in früharchaischer Zeit eindrücklich wider und ist als sozialgeschichtliche Quelle von herausragender Bedeutung.282 Alle vier Texte weisen sowohl in ihrer Entstehungszeit als auch bei den in ihnen geschilderten politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Strukturen viele Parallelen auf. Daher kann aus diesen Texten ein hinreichend homogenes historisches Gefüge konstruiert werden.283 Vor allem die homerischen Texte mögen zwar auf einer langen Tradition mündlicher Dichtung beruhen,284 die vielleicht sogar bis in die mykenische oder vormykenische Zeit zurückreicht.285 Die geschilderten soziopolitischen und soziokulturellen Verhältnisse in allen vier Texten können aber nur der Lebenswelt der Dichter bzw. ihrer unmittelbaren Vergangenheit entnommen sein.286 Dadurch lässt sich eine ‚Welt des Homer und Hesiod‘ rekonstruieren,287 auch wenn diese so nirgendwo jemals tatsächlich existiert ha282 Vgl. SCHMITZ 2004a, S. 42–52, hier S. 42. 283 Vgl. dazu etwa WALTER 1993, S. 29–36 u. S. 45f., hier S. 46: „Die Welt Hesiods unterscheidet sich von der Homers gar nicht so sehr; beide Dichter bieten lediglich verschiedene Perspektiven auf ein und dieselbe Realität“; ähnlich OSBORNE 2009, S. 133–152, u. ULF 2009, besonders S. 81–83. Nach wie vor bedenkenswerte Argumente gegen eine historische ‚homerische Gesellschaft‘ bietet aber SNODGRASS 1974. 284 Vgl. etwa HAJNAL 2003 u. DANEK 2011. Umstritten ist dabei auch die Frage, inwieweit die homerischen Texte, wie sie heute vorliegen, lediglich die Produkte einer mündlichen Dichtung sind, welche nur niedergeschrieben wurden, ohne dass dabei kompositorisch weiter eingegriffen wurde (so etwa JANKO 1998) oder ob sie die Endprodukte einer schriftlichen Komposition der mündlich tradierten Vorlagen sind (so etwa KULLMANN 1997). Letzter Position ist aber, mit Blick auf den komplexen Aufbau und die Konzeption der homerischen Texte, die wahrscheinlichere (vgl. dazu etwa PATZEK 2002, S. 10– 12). 285 So vor allem LATACZ 2004, S. 297–337. Seine weitergehende Vermutung, genuine ereignisgeschichtliche Informationen über einen Krieg zwischen mykenischen Griechen und dem hethitischen ‚Vasallenstaat‘ Wilusa hätten Eingang in die mündliche Dichtung gefunden und wären durch unveränderliche Formeln, also in Form von Hexameterversen, zuverlässig über Jahrhunderte tradiert wurden, ist allerdings äußerst unwahrscheinlich. Einen weniger ‚missionarischen‘ Überblick über die Indizien, welche für einen historischen Kern der Geschichte vom Troianischen Krieg sprechen könnten, bietet BRYCE 2006. Allerdings spricht eher wenig dafür, dass man die homerischen Texte als Quelle für die späte Bronzezeit benutzen könnte. Zu diesem Problemfeld und speziell zur Bedeutung der spätbronzezeitlichen Vorgängersiedlung der historischen griechischen Polis Ilion siehe etwa KOLB 2003; KOLB 2004; G. WEBER 2006; ULF 2011. 286 Vgl. etwa KULLMANN 1999 u. PATZEK 2003. 287 Auf die vielen weiteren Thesen zur Möglichkeit oder auch Unmöglichkeit, vornehmlich die homerische aber auch hesiodische Welt zu verorten und zu rekonstruieren, kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Konzise Überblicke bieten dazu etwa ANDREEV 1988, S. 5–14; RAAFLAUB 1998a; ULF 2002 u. ULF 2011; OSBORNE 2004.

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ben wird. Vielmehr stellt diese rekonstruierte Welt ein idealtypisches Bild der Epoche dar, welche den Beginn der historisch fassbaren Zeit in der griechischen und damit auch europäischen Geschichte bildet.288 Dennoch sollte man sich der Probleme bewusst sein, die mit einem solchen Rekonstruktionsmodell verbunden sind. Denn die homerischen und hesiodischen Gedichte selbst werden wohl irgendwann zwischen 750 v. Chr. und 650 v. Chr. in ihrer schriftlichen Form entstanden sein. Da die Texte nicht durch externe Zeugnisse genauer datiert werden können,289 besteht nur die Möglichkeit, eine 288 Abgesehen natürlich von den, qualitativ wie quantitativ bescheidenen, schriftlichen Zeugnissen aus der mykenischen Epoche (siehe oben Kap. 5.1). 289 Es gibt nun den Versuch von BURKERT 2001 eine externe Datierung der Ilias durchzuführen. Dabei geht er davon aus, dass die Beschreibung des ägyptischen Thebens in der Ilias als Bild höchsten Reichtums (Il. 9,381–384) weder eine spätere Interpolation darstellt noch die ältere Auffassung zutrifft, dass damit das bronzezeitliche Theben der 18. Dynastie im 14. Jahrhundert v. Chr. gemeint ist. Burkert führt des Weiteren aus, dass es zwischen 1100 und 800 v. Chr. keine Anzeichen für Kontakte zwischen Griechenland und Ägypten gegeben habe, sodass sich eine Erinnerung an den Reichtum Thebens, welcher übrigens ein originär griechischer Name ist, nur in der epischen Tradition gehalten haben könnte. Da aber die oberägyptische Stadt erst unter der 25. Dynastie (715–663 v. Chr.) wieder die Funktion eines Herrschaftszentrums für ganz Ägypten einnahm und nur die Eroberung durch die Truppen des neuassyrischen Herrschers Assurbanipal 663 v. Chr. ihrer Blüte ein Ende setzte, könnte die Vorstellung des besonderen Reichtums von Theben in der Zeit der letzten Blüte zu den Griechen gelangt sein. Erst dadurch habe diese Idee Eingang in die mündliche Tradition oder direkt in die schriftliche Fixierung der homerischen Texte gefunden. Burkert führt weiter aus, dass sich am ehesten mit der Zerstörung Thebens und den damit verbundenen Plünderungen der Ruhm über den Reichtum dieser Stadt im Vorderen Orient und im östlichen Mittelmeerraum verbreitet haben könnte. Damit wäre für die schriftliche Fixierung der Ilias ein terminus post quem mit dem Jahr 663 v. Chr. zeitlich verortet. Auch WEST 1995 glaubt eine Verbindung von der Ilias mit der Geschichte des Vorderen Orients aufzeigen zu können, mit welcher man die Entstehungszeit der homerischen Texte näher einzugrenzen vermag. Zu Beginn des 12. Gesanges der Ilias, in welchem es zum Kampf um die Mauer des Schiffslagers der Achaier kommt, wird vom Dichter in die Zukunft geblickt, in eine Zeit nach der Zerstörung Troias. In dieser Zukunft werden es die Götter Poseidon und Apollon sein, welche die Mauer um das Lager gemeinsam zerstören werden (Il. 12,13–35). Dies vollbringen sie nun auf eine äußerst spektakuläre Art und Weise. Sie leiten alle Flüsse der Skamanderebene, welche im Idagebirge entspringen, so um, dass sie durch das ehemalige Lager der Hellenen fließen und die noch stehende Mauer einfach ins Meer spülen. Diese Flussumleitung beenden die Götter erst nach neun Tagen, als von der Mauer der Achaier keine Spur mehr zu sehen ist. Zu dieser Flussumleitung durch die griechischen Götter existiert nun eine Parallele in der Zerstörung Babylons im Jahre 689 v. Chr. durch den neuassyrischen Herrscher Sennacherib (im Deutschen meist mit seinem biblischen Namen Sanherib bezeichnet). Nach seinem erhaltenen Tatenbericht (KAH II 122,36–39) zerstörte er die altehrwürdige Metropole, indem er das Wasser des Euphrats mittels Kanälen durch die Stadt leitete. West nimmt nun eine Vorbildfunktion der assyrischen Vorgehensweise für die Beschreibung der Mauerzerstörung des Schiffslagers der Achaier an. Daraus ergibt sich für ihn mit dem Jahr 689 v. Chr. ein terminus post quem für die Niederschrift der Ilias. Beide Überlegungen sind zwar faszinierend, aber doch zu voraussetzungsreich,

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relative Chronologie aufgrund textimmanenter, vornehmlich sprachlicher Merkmale durchzuführen.290 Einen Konsens in der Datierung der verschiedenen Texte konnte dadurch natürlich nicht erreicht werden. Die oben genannte Zeitspanne stellt daher lediglich den Zeitraum dar, in welchen die meisten Altertumswissenschaftler die Texte verorten.291 Sicherheit, weder in der relativen noch gar in einer absoluten Chronologie der verschiedenen Texte, wird man nie erreichen können. Die große Zeitspanne von etwa einem Jahrhundert, welche nur als grober Entstehungszeitraum der Texte angegeben werden kann, ohne dass Klarheit über die zeitlichen Verhältnisse der einzelnen Texte zueinander bestünde, erschwert also jede Rekonstruktion einer homerischen und hesiodischen Gesellschaft. Dies gilt umso mehr, da gerade der Übergang vom 8. zum 7. Jahrhundert eine Phase umfangreicher politischer, sozialer und kultureller Veränderungen in der griechischen Welt gewesen ist.292 Es muss also davon ausgegangen werden, dass während der Entstehungsphase der Texte es politische, soziale, ökonomische und kulturelle Entwicklungen gegeben hat. Diese werden auch nicht in der gesamten griechischen Welt gleichmäßig verlaufen sein. Doch nicht nur die große Zeitspanne, in welcher die Texte entstanden sein können, macht jede Rekonstruktion problematisch. So ist vor allem in den homerischen Texten, die ja als ‚Heldendichtung‘ ganz eigenen Gattungsgesetzen folgen, 293 mit anachronistischen und kulturellen Verfremdungseffekten zu rechnen. Anachronistische Verfremdungseffekte scheinen vor allem durch die, um das Jahr 700 v. Chr. noch sichtbaren bzw. auffindbaren, Überreste der mykenischen Welt zustande gekommen zu sein.294 Die kulturellen Verfremdungseffekte waren hingegen dem Umstand geschuldet, dass die Griechen gerade ab dem 8.

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als dass sie überzeugen könnten. Nachvollziehbarer scheint der Ansatz von VAN WEES 1994b, besonders S. 138–146, welcher die Darstellung der Kampfweise in der Ilias im Großen und Ganzen als kohärentes und realistisches Bild einschätzt, welche man anhand von archäologischen Zeugnissen – vor allem Vasenbildern – im frühen 7. Jahrhundert verorten kann. Geht man nun davon aus, dass der Dichter der Ilias seinem Publikum ein verständliches Bild zeichnen wollte, also die allen bekannte Form der Kriegsführung in den epischen Kontext übertragen hat, dann ist dies eine starkes Indiz für die Verortung der schriftlichen Fixierung der Ilias in das frühe 7. Jahrhundert. Die Schwierigkeiten, die hesiodischen Texte sprachlich in Bezug auf die homerischen Texte einzuordnen, sind bei CASSIO 2009 sehr anschaulich dargelegt. Für eine Frühdatierung der homerischen Texte siehe etwa LATACZ 2008, S. 73–83, für eine Spätdatierung etwa WEST 1995 u. BURKERT 2001; für eine Frühdatierung von Hesiod siehe etwa WEST 1966, S. 45f. u. WEST 1978, S. 30f., für eine Spätdatierung etwa KOIV 2011. Vgl. etwa LATACZ 2003, S. 67–73; MORRIS 2009; OSBORNE 2009, S. 66–130. Siehe ULF 2001b, der speziell den notwendigen Gegenwartsbezug betont: „Auch können die als Erzählungen über die Vergangenheit angelegten Texte, wie Mythen und auch Epen, keine ehemals gültige Ethik oder eine frühere ‚Ordnung‘ tradieren, sondern spiegeln die Projektion aktueller Wünsche einer bestimmten sozialen und/oder politischen Gruppe in eine konstruierte Vergangenheit wider“ (S. 283); siehe außerdem FOLEY 2004. Vgl. dazu grundlegend PATZEK 1992, S. 149–210.

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Jahrhundert wieder verstärkt in Kontakt mit den ostmediterranen und vorderorientalischen Kulturen traten. So kann wohl von einem direkten Einfließen mesopotamischer epischer und mythischer Elemente in die epischen Gedichte ausgegangen werden. Ebenso kann eine Rezeption ‚orientalischer‘ Kulturpraktiken aufgezeigt werden, welche etwa zur Verfremdung der ansonsten vollständig griechischen Troianer diente.295 Dazu kommen noch spätere Interpolationen, die es mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben hat, auch wenn Qualität und Quantität dieser Veränderungen umstritten sind. Außerdem werden noch die textkritischen Korrekturen der alexandrinischen Philologen in hellenistischer Zeit ihre Spuren hinterlassen haben.296 Dessen ungeachtet ergibt die Analyse der geschilderten Strukturen in den homerischen und hesiodischen Texten das Bild einer Ordnung, welches in sich kohärent erscheint und mit dem archäologischen Befund nicht in Widerspruch steht. Dies macht es wahrscheinlich, dass die geschilderten Hintergrundwelten in den vier Texten nicht als reine literarische Fiktionen angesehen werden dürfen. Dies gilt ungeachtet davon, dass zumindest die Handlungen in der Ilias und Odyssee sowie der Theogonie ganz explizit in einer unverfügbaren Vergangenheit angesiedelt sind.

6.2.

Die vorstaatliche Ordnung der homerischen und hesiodischen Welt

Bei den gesellschaftlichen Strukturen, die in den homerischen und hesiodischen Texten beschrieben werden, handelt es sich um eine vorstaatliche Ordnung.297 295 Vgl. dazu BURKERT 1984; BURKERT 1991; BURKERT 2009; BURKERT 2011; SCHMITZ 2004b. Bei aller Anerkennung orientalischer kultureller Einflüsse plädiert RENGER 2008 aber überzeugend für eine eigenständige griechische Tradition, gerade auch im Bereich der epischen Dichtung. Einen bewussten Willen des Dichters, die Troianer als Vertreter einer anatolisch-luwischen Welt den Griechen gegenüberzustellen, postuliert hingegen STARKE 1997. Diese Position wird aber überzeugend durch H. BLUM 2001b zurückgewiesen. 296 Zur Überlieferung etwa des Iliastextes siehe grundlegend WEST 2001. 297 Dies gilt zumindest, wenn man sich einem evolutionären Verständnis von Staatlichkeit bedient (siehe oben Kap. 2.6.). Es ist daher BARCELÓ 2006 durchaus zuzustimmen, wenn er darauf hinweist, dass „es auf die zugrunde liegende Definition von Staat“ ankommt, wenn man die Frage beantworten will, ob „die von Homer dargestellten Lebensverhältnisse des 8. und 7. Jahrhunderts als vorstaatlich oder staatlich zu bezeichnen sind“ (S. 16). Würde man nun ‚Staatlichkeit' „als die Vernetzung von individuell getragenen Aktionen, die Kult, Krieg und Zusammenleben regeln, mit gesellschaftlichen Verhaltensweisen, die darauf mit Zustimmung oder Ablehnung reagieren“ (BARCELÓ 2006, S. 9) definieren, dann würde man solche ‚Vernetzungen‘ durchaus in der homerischen (und hesiodischen) Welt finden und dann wäre diese Welt eben eine mit einer staatlichen Ord-

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Das Funktionieren dieser Ordnung kann man am besten unter Zuhilfenahme ethnologischer und kulturanthropologischer Modelle verständlich machen. Dieser Umstand wurde von der Forschung immer wieder eindrücklich herausgestellt.298 Natürlich waren die homerischen βασιλεῖς weder melanesische ‚bigmen‘ noch hawaiianische Häuptlinge. Auch wird die hesiodische Dorfgemeinschaft des frühen 7. Jahrhunderts v. Chr. nicht genauso funktioniert haben, wie die anatolische Dorfgemeinschaft des 19. nachchristlichen Jahrhunderts. Des Weiteren wird die soziokulturelle Entwicklung der politischen Ordnungen in den griechischen Gemeinwesen nicht einer festen Abfolge evolutionärer Idealtypen gefolgt sein. Schon gar nicht sollte man sich die historische Entwicklung im archaischen Griechenland als einen teleologischen Prozess zum Staat vorstellen, welcher dann der unausweichliche Höhe- und Endpunkt wäre. Dennoch erlaubt eine ‚Modellbildung‘, wenn sie mit Vorsicht betrieben wird, ein weitaus besseres Verständnis der, aus den homerischen und hesiodischen Texten nur schemenhaft erkennbaren, soziopolitischen Ordnung der früharchaischen Zeit. An dieser Stelle soll nur auf einige entscheidende Elemente der homerischen und hesiodischen Gesellschaftsordnung hingewiesen werden, die für das Verständnis der weiteren Ausführungen unentbehrlich sind. So war zum einen die Quelle persönlicher Macht in der homerischen und hesiodischen Welt anscheinend immer die individuelle Leistungsfähigkeit im wirtschaftlichen, körperlichen299 und geistigen Bereich.300 Zum anderen war aber die Anerkennung dieser Leistungskriterien vonseiten der Gesellschaft genauso wichtig.301 Daraus ergaben sich prekäre Machtpositionen, welche nicht institutionalisiert und immer von der persönlichen Macht der Individuen abhängig waren. Nur in Ausnahmesituationen, wie etwa bei einer äußeren Bedrohung oder während eines Kriegszuges, aber auch im Falle der Streitschlichtung innerhalb eines Gemeinwe-

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nung. Allerdings kann man wohl solche ‚Vernetzung‘ in allen Gesellschaftsordnungen finden, weswegen dann alle Gesellschaften wiederum staatliche Ordnungen darstellen würden. Damit wäre dann der Kategorie ‚Staat‘ und ‚Staatlichkeit‘ jede analytische Brauchbarkeit genommen (siehe oben Kap. 2.6.). Vgl. dazu grundlegend DONLAN 1980, S. 1–34; DONLAN 1982; DONLAN 1985; DONLAN 1997; QVILLER 1981; ULF 1991; SCHMITZ 2004a, besonders S. 26–147. Der Vorwurf im Kampf Defizite aufzuweisen, wie ihn etwa Agamemnon gegen Diomedes vorbringt (Hom. Il. 4,399–402), wiegt so schwer, dass Agamemnon damit den Kontrahenten in der Ratsversammlung zum Verstummen bringen kann. Weder im Kampf noch in der Versammlung etwas Überdurchschnittliches beitragen zu können, scheidet gleichsam die elitären von den unterelitären Kämpfern im Heerlager der Achaier (Hom. Il. 2,202). So tadelt Odysseus den Achill, als dieser die Achaier hungrig in den Kampf schicken will, dass so keine Schlacht zu gewinnen sei (Hom. Il. 19,155–179). Um zur politischen Elite zu gehören, reicht es eben nicht aus, der beste Kämpfer zu sein – was dem Achill keiner abstreiten kann –, sondern wenn Achilles agathós sein will, muss er erst nachdenken und dann handeln. Vgl. HAMMER 2002, S. 80–92.

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sens,302 scheint es kurzfristig zu intensiveren bzw. stabileren Machtverhältnissen gekommen zu sein. Doch auch die gesellschaftliche Vormachtstellung, welche so entfaltet werden konnte, war immer noch relativ schwach und prekär. 303 So mag Odysseus zwar ausrufen: „Nichts Gutes ist Vielherrschaft: einer soll Herr sein“,304 doch an der soziopolitischen Wirklichkeit ändert dies nichts. In den homerischen und hesiodischen Texten werden verschiedene Gemeinwesen beschrieben. Zu denken ist hier etwa an das dörfliche Gemeinwesen von Askra in den ‚Werken und Tagen‘, an Ithaka in der Odyssee, aber auch an das Schiffslager der Achäer in der Ilias. All diese imaginierten Gemeinwesen scheinen personell und territorial überschaubar gewesen zu sein und daher als ‚face to face‘ Gemeinschaften funktioniert zu haben.305 Auch wenn es nun in einer vorstaatlichen Ordnung kein formales Bürgerrecht geben konnte, war aufgrund dieses Umstandes die Zugehörigkeit des Individuums zu einem Gemeinwesen in der Regel klar feststellbar. Auch nach außen hin konnte der Einzelne sich so klar identifizieren. So verlangt Alkinoos, der König der Phaiaken, von Odysseus Auskunft über seine Herkunft: εἰπὲ δέ μοι γαῖάν τε τεὴν δῆμόν τε πόλιν τε.306 Der Fremde kann sich also durch Nennung seiner Herkunftsregion (γαῖα), seiner Herkunftssiedlung (πόλις) und seiner Herkunftsgemeinschaft (δῆμος) identifizieren. Ob in diesem Beispiel δῆμος eher in seiner territorialen oder seiner personalen Bedeutung gemeint ist, ist umstritten. In den homerischen Texten wird der Begriff in beiden Funktionen benutzt. Hier wird die personelle Konnotation aber näherliegen, da die Frage nach der γαῖα des Odysseus ansonsten recht redundant wäre. Ebenso scheint in diesem Kontext mit dem Begriff δῆμος die Ge-

302 So kann man wohl die Klage des Hesiod (erg. 174–201) interpretieren, dass in einer Zeit ohne Gerechtigkeit das Recht des Stärkeren, eben das Faustrecht, herrscht (χειροδίκαι […] δίκη δ᾽ ἐν χερσί). Die Streitschlichtung kann nur von den βασιλεῖς garantiert werden, welche sich aber allzu oft nicht um das Recht (δίκη) scheren, sondern als korrupte ‚Geschenkefresser‘ (δωροφάγοι) ihre situative Machtposition ausnutzen, um ihre individuellen Machtressourcen zu vermehren. Dem Vollbauern Hesiod blieb hier offensichtlich nur die ohnmächtige Klage, ohne dass er sich der Entscheidung der elitären Schiedsrichter hätte entziehen können (erg. 247–272). 303 So ist Agamemnon zwar βασιλεύτατός im Vergleich zu Achill (Hom. Il. 9,69). Dennoch, wenn Achill nur wollte, er könnte der Machtposition des Agamemnon schnell ein Ende setzen, indem er ihn einfach tötet (Hom. Il. 1,189–221; zur prekären Stellung der βασιλεῖς siehe ULF 1990, S. 85–98). Allerdings würde diese Tat den Achill noch nicht selber zum βασιλεύτατός machen. 304 Hom. Il. 2,204: οὐκ ἀγαθὸν πολυκοιρανίη· εἷς κοίρανος ἔστω. 305 Außer man wollte die ‚epischen‘ Ausmaße der griechischen Kontingente im Schiffskatalog (Hom. Il. 2,494–759) ernst nehmen. Auch wenn die Größe der Siedlungen vom 8. zum 7. Jahrhundert deutlich zunahm (vgl. LANG 1996, S. 56f.), werden die meisten der früharchaischen Siedlungen nur wenige hundert erwachsene, männliche Gemeindemitglieder besessen haben und nur diese sind – zumindest potenziell – für politische Prozesse relevant. Zum Konzept der ‚face to face society‘ siehe oben Kap. 3.3. 306 Hom. Od. 8,555.

77 Die vorstaatliche Ordnung der homerischen und hesiodischen Welt

samtgemeinde als personelle Einheit gemeint zu sein, unter welcher hier auch die Elite subsumiert wird.307 Dessen ungeachtet zeigen die geschilderten soziopolitischen Strukturen aber auch die Möglichkeit, dass politische Macht in einem stärker institutionalisierten, weniger personalisierten Rahmen ausgeübt werden konnte. So ist etwa der homerische basileús Nestor aufgrund seiner hohen geistigen Leistungsfähigkeit in der Lage, seine Vormachtstellung über Pylos bis ins hohe Alter aufrechtzuerhalten.308 Er kann dies sogar, obwohl er nicht mehr in der Lage ist, aktiv am Kampf teilzunehmen.309 Auch die Vormachtstellung des Priamos über Troia scheint so weit perpetuiert zu sein, dass die Stadt einfach als Πριάμου πόλιν bezeichnet wird.310 Noch ‚moderner‘ erscheint das imaginierte Gemeinwesen von Scheria. Denn in diesem ist bekanntlich der elitäre Konkurrenzkampf, außer im sportlichen und musischen Agon, aufgehoben. Die Macht einer Elite von βασιλεῖς, unter der Führung des Alkinoos, scheint nahezu politisch institutionalisiert zu sein. Selbst eine Umlage der Kosten für die Bewirtung des Odysseus auf das gesamte Gemeinwesen ist möglich.311 Dies spricht sicherlich für ein vorhandenes Verständnis dafür, was als eine Gemeinschaftsaufgabe zu verstehen ist, aber nicht unbedingt für das Vorhandensein einer ‚Steuerpflicht‘ oder eines ‚Staates‘.312 Diese stabilen Machtverhältnisse führen für den Dichter dann wiederum zu einer stabilen Gesellschaftsordnung und einem, im inneren wie im äußeren, befriedeten Gemeinwesen.313 Dennoch, selbst in einem Gemeinwesen wie Scheria, welches sich im inneren wie äußeren Frieden befindet und in welchem die Position des obersten basileús von niemanden in Frage gestellt zu 307 Zur Bedeutungsvielfalt des Begriffes δῆμος und verwandter Begriffe in den homerischen Texten siehe etwa WELSKOPF 1981, S. 179–184; ANDREEV 1988, S. 14–27; ULF 1990, S. 164–171. Speziell zu den Begriffen λαὸς / λαοὶ aus philologischer Perspektive siehe HAUBOLD 2000, S. 14–144, der allerdings keine wirkliche soziopolitische Einordnung dieser Gruppe bietet; auch seiner Einschätzung, dass dēmos und laós zwei grundsätzlich verschiedene Gruppen bilden, kann nicht gefolgt werden. 308 Vgl. Hom. Il. 1,250–252. 309 Vgl. Hom. Il. 4,322–325. 310 Vgl. etwa Hom. Il. 2,37; Od. 14,21; Od. 22,230. 311 Vgl. Hom. Od. 14,194f. 312 So etwa GSCHNITZER 1991b. 313 So jedenfalls kann man die Beschreibung (Hom. Od. 8,246–249), welche der Dichter den Alkinoos über sein Gemeinwesen geben lässt, lesen: „Nicht sind wir als Faustkämpfer ohne Tadel und auch im Ringen nicht, doch laufen wir schnell mit den Füßen und sind zu Schiff die Besten, und immer sind uns lieb Gelage uns Saitenspiel und Reigentänze, und Kleider, sie zu wechseln, und warme Bäder und Ruhebetten“ – οὐ γὰρ πυγμάχοι εἰμὲν ἀμύμονες οὐδὲ παλαισταί, / ἀλλὰ ποσὶ κραιπνῶς θέομεν καὶ νηυσὶν ἄριστοι, / αἰεὶ δ' ἡμῖν δαίς τε φίλη κίθαρίς τε χοροί τε / εἵματά τ' ἐξημοιβὰ λοετρά τε θερμὰ καὶ εὐναί. Der politische Streit innerhalb des Gemeinwesens oder gar kriegerische Auseinandersetzungen mit anderen Gemeinwesen spielt für die Phaiaken offensichtlich keine Rolle.

78 Die homerische und hesiodische Dorfgemeinschaft

werden scheint, ist die ökonomische und soziopolitische Stellung des Alkinoos dennoch ein γέρας, welches allein vom dēmos vergeben wird.314 Solcherlei Beschreibungen führten dazu, dass die homerische Gesellschaftsordnung in einem evolutionären Modell mitunter als noch nicht voll entwickelte ‚Häuptlingsherrschaft‘ beschrieben wurde.315 Die homerischen βασιλεῖς wiederum wurden daher zwischen der ‚Stufe‘ der ‚big-men‘ und der ‚chiefs‘ angesiedelt.316 Allerdings entwickelten sich die soziopolitischen Strukturen in Griechenland nie zu vollständig ausgebildeten ‚Häuptlingsherrschaften‘ weiter. Denn in solchen politischen Ordnungen wird ‚Macht‘ und ‚Herrschaft‘ nach genealogischen Prinzipien ausgehandelt.317 Das Prinzip der Abstammung konnte sich aber nicht als konstitutives Element der soziopolitischen Ordnung durchsetzen. Vielmehr verdichteten sich die soziopolitischen Strukturen direkt zu einer staatlichen Ordnung hin. In einem idealtypischen evolutionären Entwicklungsmodell wäre also die ‚Stufe‘ des ‚chiefdoms‘ gleichsam übersprungen worden.

6.3.

Das Wesen der homerischen und hesiodischen Elite

Der Begriff ‚Adel‘ – um dies vorwegzunehmen – soll, aufgrund seiner Implikation einer geburtsständigen Elite, für die Bezeichnung der griechischen Führungsschichten keine Benutzung finden. Auch kann nicht einfach auf antike Begrifflichkeiten zurückgegriffen werden. Denn in den Texten der archaischen und klassischen Zeit wird eine große Anzahl von Begriffen benutzt, um die Angehörigen einer gesellschaftlichen Führungsschicht zu bezeichnen.318 Genannt seien hier nur einige: ὀλίγοι (‚die Wenigen‘), πλούσιοι (‚die Reichen‘), ἄγαθοι (‚die Guten‘), ἄριστοι (‚die Besten‘) oder eben auch εὐπατρίδαι, was so viel bedeutet wie: ‚von einem guten Vater kommend‘ bzw. ‚einen guten Vater habend‘. Die Heterogenität der Begrifflichkeit ist bereits ein Indiz dafür, dass keine klaren Zugangskriterien für diese Führungsschicht existiert haben werden. Auch kannte die antike griechische Kultur keinerlei Adelsprädikate, ja noch nicht einmal Fa314 Zumindest glaubt dies Odysseus (vgl. Hom. Od. 7,149f.). 315 Vgl. DONLAN 1982; dagegen betrachtet etwa BARCELÓ 1993, S. 72f., diese Tendenzen einer institutionalisierten Herrschaftsstellung der homerischen Elite eher als den Überrest einer mykenischen Tradition, welche eine „den Menschen des 8. Jhs. kaum noch verständliche Vorstellung eines uneingeschränkten Königtums“ widerspiegelt; CARLIER 2006 geht wiederum davon aus, dass es in der früharchaischen Zeit an vielen Orten in der griechischen Welt ein Königtum gab, welches als Institution neben dem Rat und der Volksversammlung bestand. 316 Vgl. ULF 1990, S. 223–331. 317 Vgl. SERVICE 1964, S. 143–177, besonders S. 154–164 u. SAHLINS 1963, S. 294–298; siehe dazu auch Kap. 2.3. 318 Einen grundlegenden Überblick bietet B. SCHULZ 1981.

79 Das Wesen der homerischen und hesiodischen Elite

miliennamen. Gelang es einer Familie über mehrere Generationen eine prominente Stellung innerhalb der Führungsschicht ihres Gemeinwesens zu behaupten, so konnte diese Familie mit dem Namen eines historischen oder mythischen Vorfahrens bezeichnet werden (z. B. die Alkmaioniden oder die Peisistratiden). Diese Benennungen waren aber immer nur Hilfskonstruktionen und keine ‚Geschlechternamen‘, also kein tatsächlicher Teil des Namenssystems. Sie sind damit nicht vergleichbar mit den römischen gentes (z. B. die gens Iulia oder die gens Claudia) oder gar den mittelalterlichen Adelsgeschlechtern (z. B. die Wettiner oder die Hohenzollern). Dies alles bietet natürlich breiten Raum für Spekulationen im Hinblick auf Zugangsmechanismen und Wesen der griechischen Führungsschicht(en). Zwar hat sich mittlerweile als communis opinio die Ansicht durchgesetzt, dass es auch in früharchaischer Zeit keinen ‚Geschlechterstaat‘ gegeben hat, in welchen die Geschicke des Gemeinwesens durch Adelsgeschlechter gelenkt wurden, welche – ähnlich den römischen Verhältnissen – in Gentilstrukturen organisiert waren.319 Dennoch wurde und wird, gerade aufgrund von Begriffen wie εὐπατρίδαι, häufig in der Forschung – bei allen Relati319 Zur alten Anschauung siehe etwa EHRENBERG 1957, S. 14–17; auch noch DREHER 1983, S. 45–54, der im nachmykenischen Griechenland eine „gentil geordnete Gesellschaft“ (S. 49) sieht, welche im Zuge der Staatsentstehung ab dem Ende des 8. Jahrhunderts überwunden werden musste; vor allem BOURRIOT 1976 und ROUSSEL 1976 haben bekanntlich diese alten Vorstellungen mit ihren Untersuchungen zum Einsturz gebracht; einen Übergang in den Anschauungen stellt GSCHNITZER 1981, S. 60–67 dar, der für die archaische Zeit konstatiert: „Zwar bleibt der Reichtum die unerläßliche Voraussetzung adligen Standes […] aber neben dem Reichtum wird jetzt auch vornehme Abkunft nicht, wie früher, einfach vorausgesetzt, sondern mit Nachdruck gefordert. Wer sie nicht aufweisen kann, mag noch so reich sein […] die Adligen wollen ihn nicht mehr so leicht als ihresgleichen anerkennen“ (S. 63f.); weiter geht etwa STEIN-HÖLKESKAMP 1989, besonders S. 104–122, in ihrer Einschätzung der Zugänglichkeit des archaischen Adels: „Eine Statusdifferenzierung, die jedenfalls ganz wesentlich auch auf dem verschwenderischen Aufwand an Kleidung, Schmuck und anderen äußeren Symbolen von Überfluß und Muße beruhte, machte es jedem, der über die entsprechenden materiellen Ressourcen verfügte, ohne weiteres möglich, einen hohen gesellschaftlichen Rang einfach durch Anpassung, Nachahmung und schlichtes Kopieren des äußeren Stils zu erreichen – und zwar wenigstens grundsätzlich ganz unabhängig vom Beweis irgendwelcher immaterieller persönlicher Qualitäten und Tugenden“ (S. 109); siehe auch STEIN-HÖLKESKAMP 1996, Sp. 107f., hier Sp. 107: „Der A[del]. der griech. Poleis zeigt einen relativ schwach ausgeprägten ständischen Charakter und keine gentilizischen Strukturen. Seine Position beruht auf diesem Besitz und auf seiner persönlichen Tüchtigkeit. Geburtsständische Kriterien hatten wenig Bedeutung“. Diese Charakterisierung der griechischen Führungsschicht ist sicherlich vorzuziehen, allein kann man diese dann nicht mehr mit dem deutschen Begriff ‚Adel‘ bezeichnen. Dass der materielle Besitz (und dessen Mehrung) das konstitutive Merkmal der griechischen Führungsschicht von der homerischen bis in die spätarchaische Zeit gewesen ist, wird bei Stahl 1987, besonders S. 83–86, am deutlichsten dargestellt. Auch DUPLOUY 2006, besonders S. 11–36 u. 251–288, betont die Offenheit der griechischen Führungsschicht und die Existenz sozialer Mobilität; ebenso SCHMITZ 2008, besonders S. 37–42.

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vierungen – auf die Existenz einer weitgehend geburtsständigen Führungsschicht geschlossen, auch wenn eine prinzipielle Zugänglichkeit zu dieser nicht infrage gestellt wird. Dies hat dann immer wieder zur Benutzung so voraussetzungsreicher Begriffe wie ‚Adel‘ oder auch ‚Aristokratie‘ geführt.320 Gerade der deutsche Begriff ‚Adel‘ bezeichnet aber eine Gruppe mit institutionalisierten Vorrechten. Diese Gruppe wiederum definiert sich vornehmlich durch eine institutionalisierte geburtsständige Abgeschlossenheit.321 Die Benutzung dieses Begriffes impliziert also immer eine Führungsschicht, bei welcher der Zugang primär über Abstammung geregelt wurde. Für die griechischen Führungsschichten ist dies aber keinesfalls zutreffend. Auch wenn es Versuche gab, ein solches Prinzip zu institutionalisieren, hat es sich in der griechischen Welt nicht durchsetzen können. Selbst der Begriff ‚Aristokratie‘ ist problematisch, da er ein ideologischer Begriff ist, um den Machtanspruch einer Gruppe jenseits ihrer reinen ökonomischen Überlegenheit zu untermauern, obwohl diese sich dennoch primär durch ökonomische Kriterien definierte.322 Dennoch muss eingeräumt werden, dass es auch bei den Griechen Tendenzen zur Entwicklung von Konzepten und Vorstellungen einer auf Abstammung basierenden gesellschaftlichen Vorrangstellung gegeben hat. Eine solche Ent320 Vgl. etwa GEHRKE 1998, Sp. 263: „Der Begriff [Eupatridai] ist eine Kollektivbezeichnung zunächst für die Adligen in Athen und bedeutet Abkömmlinge “von guten Vätern”. Er reflektiert eine wichtige Phase in der Entwicklung der sozialen Elite zu einer Aristokratie, in der weniger bzw. nicht nur auf die für den griech. Adel ursprünglich konstitutiven Aspekte von Habitus, Lebensstil und Reichtum abgehoben wurde, sondern auch auf die vornehme Abstammung, die eine klarere Abgrenzung markierte. Die E[upatridai]. bestanden aus Geschlechtern (γένη, génē), die durch patrilineare Deszendenz definiert waren und keine Clans bildeten“; so auch PIERROT 2015, welcher die Existenz eines herrschenden Geburtsadels im vorsolonischen Athen annimmt. 321 Speziell für den deutschen Raum im 19. Jahrhundert hat Heinz Reif in einer nicht publizierten Arbeit eine Reihe von Punkten für die Adelsmentalität, also des Selbstverständnisses der Adligen, zusammengestellt. Diese sind durch MARBURG / MATZERATH 2001, S. 8, wie folgt zusammengefasst worden: x Adel als erbliches Substrat, als Prinzip der Ungleichheit; x Adel als Prinzip Ehre in Einheit von Anspruch und Verpflichtung für den Einzelnen; x Adel als Prinzip Familie, als Eingebundensein des Einzelnen in die Kette von Vor- und Nachfahren; x Adel als Einheit von Herrschaftsbefähigung und Dienstpflicht; x Adel als ganzheitliche, in großem Bodenbesitz und weit zurückreichender Bodenbindung gründende Lebensform, die sich rationalistischer Überformung entziehen. x ‚Adel‘ als kategoriale Bezeichnung für eine Führungsschicht kann problemlos auf Gruppen aller Kulturkreise und Zeiträume angewendet werden – auf die Heterogenität allein des europäischen Adels der Neuzeit weist etwa GERSMANN 2005, besonders Sp. 40–42 hin. Diese sollten dann aber, wenn vielleicht auch nur mit Abstrichen, gewisse Kriterien erfüllen, wie etwa die oben genannten. 322 Siehe dazu auch die weiterführenden Ausführungen unten im Kap. 9.1.

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wicklung lässt sich dann auch bereits in den homerischen und hesiodischen Texten fassen. Dies zeigt etwa der verbale Angriff des Freiers Antinoos gegen Telemachos, dem Sohn des tot geglaubten basileús Odysseus: T ele mac ho s ! Di c h l e hre n g e wi ß d ie Gö tte r selb e r, e i n gr o ß e r Red ne r z u se i n u nd k ü h n li c h z u r ed e n ! Daß d ic h der Kro no s -So h n nic ht gar no c h a u f d e r meer umge be ne n It ha ka zu m Kö ni g ma c he , we lc he s d ir na c h Ab k u n ft z u kä me vo n d e m Va ter . 323

Im Gemeinwesen von Ithaka basileús zu sein, steht dem Telemachos also aufgrund der Abstammung vom Vater (γενεῇ πατρώϊόν) her zu. Dass die Stellung als basileús dabei nicht nur auf dem ererbten Besitz des Vaters beruhen kann, machen die folgenden Ausführungen des Telemachos deutlich: Er will gerne auf die Stellung als basileús verzichten, solange er nur Herr im eigenen Hause sein wird (ἐγὼν οἴκοιο ἄναξ ἔσομ᾽) und damit den vom Vater ererbten Besitz ungeschmälert übernehmen kann.324 Aber allein schon diese Episode aus der Odyssee macht ebenso die prinzipielle Offenheit des Systems deutlich. Denn Telemachos weist darauf hin, dass es zwar nicht schlecht sei, basileús zu sein (οὐ μὲν γάρ τι κακὸν βασιλευέμεν), es aber auf Ithaka ja viele andere βασιλεῖς gebe (βασιλῆες […] εἰσὶ καὶ ἄλλοι πολλοὶ ἐν […] Ἰθάκῃ), junge und alte (νέοι ἠδὲ παλαιοί). Diese könnten nun statt ihm problemlos die Stellung des basileús einnehmen (τῶν κέν τις τόδ᾽ ἔχῃσιν).325 Die Berufung auf Abstammung, wie schon von Peter Spahn deutlich gemacht wurde, dient stets nur der Legitimierung eines einzelnen Angehörigen der Führungsschicht, niemals der Schicht als Ganzes.326 Die Kriterien, welche jemanden zum basileús machen bzw. seine Befähigung, die Stellung eines basileús einzunehmen, werden in den homerischen Texten auch immer wieder genannt. Dies ist zum einen die körperliche Leistungsfähigkeit, sowohl im Kampf als auch in der bäuerlichen Arbeit. Zum anderen aber auch die geistige Leistungsfähigkeit, sowohl als Ratgeber in den verschiedenen (politischen) Versammlungen als auch in der Entwicklung von Strategemen. Entscheidend ist aber die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Diese drückt sich vornehmlich in einem Besitz von Land und Tieren aus, mittels welchem ein landwirtschaftlicher Überschuss erwirtschaftet werden kann, der die reine Subsistenzgrenze überschreitet. Ebenso zeigt sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Zugang zu Edelmetall und Prestigegütern.327 Erst diese ökonomischen Voraussetzungen erlauben es, dass persönliche Gefolgsleute längerfristig ausgehalten werden können. Auch die Pflege von Gastfreundschaften 323 Hom. Od. 1,384–387: Τηλέμαχ', ἦ μάλα δή σε διδάσκουσιν θεοὶ αὐτοὶ / ὑψαγόρην τ' ἔμεναι καὶ θαρσαλέως ἀγορεύειν. / μὴ σέ γ' ἐν ἀμφιάλῳ Ἰθάκῃ βασιλῆα Κρονίων / ποιήσειεν, ὅ τοι γενεῇ πατρώϊόν ἐστιν. 324 Vgl. Hom. Od. 1,394–398. 325 Vgl. Hom. Od. 1,392–394. 326 Vgl. SPAHN 1977, S. 42f. 327 Vgl. dazu grundlegend SPAHN 1977, S. 38–47, u. ULF 1990, besonders S. 29–49.

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wird so erst möglich, da auch Gäste kurzfristig versorgt und darüber hinaus mit Gastgeschenken ausgestattet werden müssen.328 Durch das letzte Kriterium wird aber auch der, selbstverständlich vorhandene, Wettbewerbsvorteil für denjenigen deutlich, der schon über ererbtes Vermögen verfügen kann. Allein reicht dies aber nicht aus, um die Stellung eines basileús einzunehmen. In den epischen Texten steht den βασιλεῖς der δῆμος gegenüber. Beide Gruppen bilden den zur politischen Partizipation berechtigten Bevölkerungsteil eines Gemeinwesens. Allerdings kann der Begriff δῆμος auch für das Gemeinwesen als Ganzes stehen, sowohl in einem eher territorialen als auch in einem eher personalen Verständnis. In solchen Fällen ist die Elite der βασιλεῖς dann eindeutig Teil des δῆμος.329 Die individuelle Leistung als Voraussetzung für ökonomischen Erfolg ist auch für das Denken des Hesiod, als eines Vertreters der bäuerlichen, unterelitären Schicht, belegt. Doch beschränken sich bei ihm die Leistungsfelder vornehmlich auf die bäuerliche Arbeit und die kluge, vorausschauende Planung der bäuerlichen Arbeit.330 Anders als dies für die homerischen Helden der Fall ist, gilt das Gewinnen von Reichtum durch Raubzüge für Hesiod als verwerflich.331 Für ihn muss zuerst die eigene harte Arbeit kommen. Erst durch diese entsteht dann der Reichtum und erst daraus folgen, nach wie vor als die Konsequenz der eigenen harten Arbeit, Tugend (ἀρετή) und Ehre (κῦδος).332 Die Elite unterscheidet sich in ihrem Streben nach ökonomischem 328 Zur homerischen Gastfreundschaft siehe etwa HILTBRUNNER 2005, S. 26–33. Die Bedeutung von Festmahl und Gastgeschenk in der formalisierten Darstellung homerischer Episoden der Gastfreundschaft hat REECE 1993, S. 5–46, herausgearbeitet. Doch auch außerhalb der Führungsschicht scheint in der früharchaischen Zeit die Gastfreundschaft als notwendige soziale Norm akzeptiert worden zu sein. Dies hat etwa PIÑOL VILLANUEVA 2013 anhand der Ausführungen bei Hesiod gezeigt, auch wenn sie hier deutlich pragmatischere Ursachen als bei der „hospitalidad heroica“ vermutet: „estas admoniciones de Trabajos y días a brindar acogida y protección al foráneo y honrar los vínculos de xenía deben ponerse en relación con el clima social de inicios del arcaísmo, momento de intensificación de los viajes, expansión del comercio y primeros tanteos de colonización, empresas cuyo éxito depende, en primer lugar, de la ayuda que el individuo reciba en las distintas comunidades que visite“ (S. 49). Da allerdings die Aufrechterhaltung von Gastfreundschaften für die homerische Führungsschicht eine Status erhaltende Notwendigkeit ist, sollte man dies als nicht weniger pragmatisch ansehen. 329 Vgl. etwa WELSKOPF 1981, S. 179–184; ANDREEV 1988, S. 14–27; ULF 1990, S. 164– 171; der Begriff λαός hingegen scheint tatsächlich eher die unter der Führungsschicht stehenden Kämpfer zu bezeichnen, wie WELSKOPF 1981, S. 163–179, zeigen konnte, auch wenn ihre Vermutung, die laoí wären „zur Heeresfolge konventionell verpflichtet“ (S. 179), nicht zu belegen ist. Vielmehr scheinen alle βασιλεῖς Agamemnon ohne eine rechtliche Verpflichtung zu folgen, ebenso wie die laoí ihren βασιλεῖς. 330 Vgl. Hes. erg. 298–310, hier Vers 310: „Arbeit bringt keine Schande, Nichtstun aber ist Schande“ – ἔργον δ' οὐδὲν ὄνειδος, ἀεργίη δέ τ' ὄνειδος. 331 Vgl. Hes. erg. 319–324. 332 Vgl. Hes. erg. 311f., hier Vers 312: „Den Reichtum aber begleiten Ehre und Ansehen“ – πλουτεῦντα: πλούτῳ δ᾽ ἀρετὴ καὶ κῦδος ὀπηδεῖ.

83 Die Elite und das Gemeinwesen

Erfolg also nicht grundsätzlich von den unterelitären Schichten. Lediglich in den Mitteln, solchen Erfolg zu erreichen, scheint die Elite weniger skrupulös.

6.4.

Die Elite und das Gemeinwesen

Zum einen war die homerische und hesiodische Elite noch fest verwurzelt in der bäuerlichen Alltagswelt.333 Der ökonomische Abstand zwischen ihr und den unterelitären Schichten, vor allem der Schicht der Vollbauern, war nicht unüberwindlich groß.334 Zum anderen erscheinen vor allem die homerischen Helden als egoistisch, egozentrisch und asozial, mitunter sogar als regelrechte Soziopaten.335 Zumindest waren sie nicht in dem Maße in die dörflichen und nachbar333 Vgl. ULF 1990, S. 175–212; am eindrücklichsten ist hier immer noch die Beschreibung des oíkos des Odysseus, der eben nicht als ein Palast, sondern als ein großer Bauernhof beschrieben wird (vgl. Hom. Od. 17,265–299). Bei den archäologisch identifizierbaren Haustypen ist hier am wahrscheinlichsten an ein ‚Hofhaus‘ zu denken (vgl. dazu LANG 1996, S. 95–97). Solche ‚Hofhäuser‘ standen einzeln oder in einer Häusergruppe und besaßen mehrere Räume, welche auf drei Seiten um einen Hof gruppiert waren. Der Hof wurde auf der Seite ohne Gebäudeteile durch eine Mauer mit dem Hoftor begrenzt, durch welches der zentrale Zugang zu Hof und Haus erfolgte. Siehe dagegen aber MYLONAS SHEAR 2000, S. 1–28, welche den oíkos des Odysseus als spätbronzezeitlichen mykenischen Palast identifiziert. 334 Siehe ULF 1990, S. 177–187, der einen umfangreichen Überblick über die selbst durchgeführten bäuerlichen und handwerklichen Arbeiten der homerischen Elite gibt. Zu ergänzen wäre, dass Nausikäa, die Tochter des obersten basileús der Phaiaken, ihre Kleider selbstverständlich selber waschen muss, wenn auch mit der Hilfe von Dienerinnen (Hom. Od. 6,57–84). Auch sind es ihre Brüder, und nicht etwa Diener oder Knechte, die ihren Wagen später ausspannen, sich um die Tiere kümmern und die Wäsche ins Haus tragen müssen (Hom. Od. 7,4–6). Von einer stärkeren sozialen Differenzierung der homerischen Gesellschaft geht etwa SCHMITZ 2004a, S. 29–33 u. 105–147, aus. 335 Die Belege dafür sind vielfältig. Hier sei exemplarisch auf den Streit zwischen Agamemnon und Achill zu Beginn der Ilias verwiesen (Hom. Il. 1,101–194 u. 223–303), außerdem auf das Massaker, welches Odysseus unter den Freiern anrichtet (Hom. Od. 22,1– 389), und auf die Episode, in welcher Odysseus seine eigenen Dienerinnen, welche sich mit den Freiern eingelassen hatten, ‚abschlachten‘ lässt (Hom. Od. 22,417–479). Vor allem die Handlungen des Odysseus sind bezeichnend, denn wenn er an seinen Sohn und dessen bereits geschmälertes Erbe denken würde, dann müsste er eigentlich die Wiedergutmachungsangebote der Freier annehmen und nicht seine eigenen, wohl unfreien Dienerinnen töten lassen. Doch seine eigene Ehre, die er als verletzt empfindet, ist ihm wichtiger, als das Wohl seines oíkos. Auch die Worte des Achilles, mit denen er das Wiedergutmachungsangebot des Agamemnon ablehnt, machen dies ganz deutlich (Hom. Il. 9,346–429). Er weiß, dass er nicht nur Agamemnon bestraft, indem er der Schlacht fernbleibt, sondern die gesamte Gemeinschaft der Achaier vor Troia. Er schädigt mit seinem Verhalten also auch all die, welche ihm nichts getan und seine Ehre in keiner Weise verletzt haben. Die Alleinschuld des Agamemnon erkennt er auch anderswo an (vgl.

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schaftlichen Gemeinschaften eingebunden, wie dies für die unterelitären Schichten der früharchaischen Gemeinwesen konstitutiv war.336 Dennoch, zumindest in Krisen- und Ausnahmesituationen, waren die einzelnen Gemeinwesen auf die ökonomische, militärische und auch politische Leistungsfähigkeit ihrer Eliten angewiesen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass – zumindest in der imaginierten Welt des Homer – viele Krisensituationen erst durch die Handlungen der Helden ausgelöst werden.337 Es sind jedenfalls die homerischen Helden, welche im Kampf die Leistungsfähigsten sind.338 Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass sie aufgrund ihrer ökonomischen Potenz auch über die besten Waffen und Rüstungen verfügen.339 Selbst wenn sie nicht mehr

336 337 338

339

Hom. Il. 1,334f.), dennoch nimmt er die Gemeinschaft gleichsam als Geisel, um seinen Zorn auf Agamemnon auszuleben. Deshalb trägt er Odysseus auch auf, allen Achaiern seine Antwort mitzuteilen (Hom. Il. 9,269f.): „Der Atreus-Sohn! Dem sage alles, wie ich es auftrage, / Öffentlich, daß auch die anderen Achaier darüber erbittert sind“ – Ἀτρεΐδης· τῷ πάντ' ἀγορευέμεν ὡς ἐπιτέλλω / ἀμφαδόν, ὄφρα καὶ ἄλλοι ἐπισκύζωνται Ἀχαιοὶ. Siehe SCHMITZ 2004a, S. 27–104, zur Stellung der unterelitären Schichten, vor allem der Vollbauern, und SCHMITZ 2004a, S. 105–147, zur Stellung der Elite innerhalb der Dorfgemeinschaft und zu ihrem Verhältnis zu dieser. Ohne Paris und Helena gäbe es keinen Troianischen Krieg, ohne Agamemnon und Achill keine Krise im Schiffslager der Achaier, ohne Odysseus und Penelope keine Stasis im Gemeinwesen von Ithaka. Wobei ohne die Masse der unterelitären Kämpfer auch ein ‚epischer Kampf‘ nicht zu gewinnen wäre (siehe LATACZ 1977, besonders S. 68–95). Auch wenn die homerische Kampfweise wohl weniger – wie von Latacz vorgeschlagen – als frühe Form der Phalanx zu verstehen ist. Vielmehr sollte diese als eine Mischung aus zeitgleich stattfindendem Fern- und Nahkampf, sowie duellartigem Einzelkampf innerhalb des Massenkampfes in lockerer Formation und Massenkampf in geschlossener Formation gesehen werden. Dies jedenfalls ist die überzeugende Rekonstruktion von VAN WEES 1994a u. VAN WEES 1994b. Die auf den ersten Blick inkonsistenten Kampfbeschreibungen sind den verschiedenen Perspektiven geschuldet, durch welche der Dichter einen realistischen Kampfablauf beschreibt: „accounts of one-to-one clashes between heroes are simply close-ups of men doing battle amidst a dispersed mass of warriors who fight in just the same way“ (VAN WEES 1994a, S. 6). In der früharchaischen Zeit werden kriegerische Auseinandersetzungen wohl vornehmlich zwischen benachbarten Gemeinwesen stattgefunden haben, an denen selten mehr als einige Dutzend oder höchstens wenige hundert Kämpfer beteiligt waren. Jeder dieser Kämpfer, egal ob er zur Elite oder zu den unterelitären Schichten gehörte, wird sich wohl mit der Perspektive des Einzelkämpfers identifiziert haben können, der sich im Notfall mit anderen zu einer dichteren Formation zusammenfand. Das perspektivische ‚Hineinzoomen‘ in die Schlacht und die Verfolgung des duellartigen Einzelkampfes der Helden ist dann auch ein Darstellungs- bzw. Stilmittel, welches bis ins moderne Kino bekanntlich immer wieder Benutzung findet. Obwohl die tatsächliche Effektivität der ‚epischen‘ Ausrüstungsgegenstände im Kampf, wie etwa der Eberzahnhelm des Odysseus (vgl. Hom. Il. 10,260–265) oder die goldene Rüstung des Glaukos (Hom. Il. 6,234–236), bezweifelt werden kann. Doch sind Status und Leistung des Besitzers mit diesen Objekten wechselseitig verbunden (siehe dazu WAGNER-HASEL 2000, S. 91–104).

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selbst kämpfen können, so ist ihre Führung in der Schlacht dennoch von großem Wert.340 Ebenso waren in der Streitschlichtung die unterelitären Schichten – dies wird zumindest bei Hesiod deutlich –, wenn keine gütliche Einigung möglich war, auf die Mediation bzw. Entscheidung der Elite angewiesen. Auch wenn für die unterelitären Streitparteien dann immer die Gefahr bestand, dass eine Partei sich einen günstigen Rechtsspruch bei den Korrupten βασιλεῖς erkaufte.341 Dieser gesellschaftlichen Realität einer asozialen Elite hat Hesiod bekanntlich den idealen basileús in einer idealen Ordnung entgegengestellt: W e n n d ie T ö c h ter d e s gr o ß e n Ze u s e i ne n d er z e u s ge he g te n Kö ni g e b e g ü n st i ge n u nd b ei se i ne r Geb ur t h uld vo ll a nb l ic k e n, t r ä u fe l n si e i h m s üß e n T au a u f d i e Z u n ge , u nd ge wi n n e nd e W o r te e nt st r ö me n sei n e m M u nd ; a ll e Le u te sc ha u e n a u f i h n, wi e er Ur t ei le fä ll t i n ger e c ht er E n ts c h e id u n g. E r sp r ic h t mi t F e s ti g ke it u nd b e e nd et r a sc h u nd k l u g so gar g e wa l ti ge n S tr e it. Daz u n ä ml ic h g ib t e s kl u ge Kö n i ge, d aß s ie f ü r M e n sc he n, d ie Sc had e n er li tt e n, a u f d e m Mar k t mi t lei c ht er M ü he al le s z u m G u te n we n d en u nd i h n e n mi t fr e u nd l ic he m W o r t Ge n u gt u u n g s c ha f fe n . 342

Der Anspruch, welchen der Dichter, als ein Vertreter der unterelitären Vollbauern, an die Elite hatte, wird in seinen Worten klar: Diese habe gemeinsinnig zu handeln und damit dem Gemeinwohl zu dienen – ansonsten bräuchte sie die Gemeinschaft nicht. Doch, um es noch einmal festzuhalten, dies war der Anspruch des Dichters an eine ideale Ordnung, aber keine gesellschaftliche Realität. Daher war es wohl ein Gutes, dass, außer in den oben genannten Krisensituationen, die unterelitären Mitglieder der einzelnen Gemeinwesen wenig abhängig von ihrer Elite gewesen zu sein scheinen. Jedenfalls mag das Desinteresse des δῆμος von Ithaka an den internen Problemen des elitären oíkos des Odysseus bzw. des Telemachos auf einer gewissen Gegenseitigkeit beruhen. Die ‚Institution‘, durch welche ein Gemeinwesen in den homerischen Texten aber zum Handeln bewegt bzw. seinen Willen zum Ausdruck bringen kann, ist eine allgemein zugängliche Versammlung (ἀγορά). Die Volksversammlungen in der Ilias sind als Heeresversammlungen natürlich allen kämpfenden Achaiern zugänglich. Auf Ithaka und in Scheria scheinen es 340 So etwa im Fall von Nestor (vgl. Hom. Il. 4,322–325), wobei sich Agamemnon dennoch wünscht, dass dieser noch jung wäre und aktiv am Kampf teilnehmen könnte (Hom. Il. 4,315f.). Die tatsächliche Kampfkraft des Einzelnen bleibt also das Entscheidende, was sich auch in allen Kampfhandlungen in der Ilias zeigt. Erst in der Odyssee wird in einem Rückblick auf den Troianischen Krieg mit dem Strategem des Troianischen Pferdes (vgl. Hom. Od. 8,492–520) eine ‚geistige‘ Leistung kriegsentscheidend. 341 So wie es Hesiod in der Auseinandersetzung mit seinem Bruder Perses geschehen ist (siehe oben Kap. 9.2. u. SCHMITZ 2004a, S. 31–33). 342 Hes. theog. 81–90: ὅντινα τιμήσουσι Διὸς κοῦραι μεγάλοιο / γεινόμενόν τε ἴδωσι διοτρεφέων βασιλήων, / τῷ μὲν ἐπὶ γλώσσῃ γλυκερὴν χείουσιν ἐέρσην, / τοῦ δ’ ἔπε’ ἐκ στόματος ῥεῖ μείλιχα· οἱ δέ νυ λαοὶ / πάντες ἐς αὐτὸν ὁρῶσι διακρίνοντα θέμιστας / ἰθείῃσι δίκῃσιν· ὁ δ’ ἀσφαλέως ἀγορεύων / αἶψά τι καὶ μέγα νεῖκος ἐπισταμένως κατέπαυσε·/ τούνεκα γὰρ βασιλῆες ἐχέφρονες, οὕνεκα λαοῖς / βλαπτομένοις ἀγορῆφι μετάτροπα ἔργα τελεῦσι / ῥηιδίως, μαλακοῖσι παραιφάμενοι ἐπέεσσιν.

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die freien, männlichen Mitglieder der Gemeinwesen zu sein, welche an den Versammlungen teilnehmen können.343 Zumindest im griechischen Heer vor Troia können auch leichtbewaffnete Kämpfer identifiziert werden, was wiederum auf ihren niedrigen sozialen Status hindeutet.344 Es gibt keine Anzeichen dafür, dass diese von der Versammlung ausgeschlossen sind oder irgendwelche ‚Zensusschranken‘ bestehen würden.345 Die ἀγορά kennt zwar noch keine Mehrheitsentscheidung,346 wohl aber eine offene Diskussion und ein allgemeines Rederecht.347 Auch wenn natürlich die meisten Sprecher der Elite zuzurechnen sind.348 Thersites kann aber als Vertreter der unterelitären Kämpfer das Wort er-

343 Eine Aufstellung aller 17 geschilderten Volksversammlungen in Ilias und Odyssee bietet HÖLKESKAMP 1997, S. 2 Anm. 5. 344 Vgl. VAN WEES 1994b, S. 131–137. 345 Allerdings wird an dem niedrigen sozialen Status derjenigen Freien, die über gar keinen Landbesitz verfügen, kein Zweifel gelassen (vgl. FINLEY 2002, S. 52–54); deren Gruppenbezeichnung ist θη̂τες (Hom. Od. 4,642; Hes. erg. 602); zumeist werden sie aber nach ihrer Tätigkeit, also für einen Lohn eine gewisse Arbeit zu verrichten, mit dem Verb θητεύειν beschrieben (vgl. Hom. Il. 21,444; Od. 11,489 u. 18,357). Ob solche Personen von der Teilnahme an der Volksversammlung ausgeschlossen waren, ist nicht zu belegen. In zwei der oben aufgeführten Fälle (Hom. Il. 21,444 u. Od. 18,357) sind die so bezeichneten Personen jedenfalls nicht Mitglieder in den Gemeinwesen, in welchen sie Lohnarbeit geleistet haben bzw. leisten sollen. Sie sind als Fremde sowieso nicht Teil der Gemeinwesen. 346 Vgl. FLAIG 2013, S. 178–180. 347 Vgl. HÖLKESKAMP 2002, S. 313: „In the world of the poets, the agore can and should be a forum of controversial, but constructive debate on concrete issues; in this forum, realistic assessments of actual situations, carful considerations of future plans even rational argumentation play a prominent role […]. And it is in such contexts that even the nucleus of community values – solidarity and the priority of collective security of people and polis – is already formulated, even if still cautious and, as it were, on the defensive vis-à-vis the individualistic heroic ethos”. Anders etwa F. SCHULZ 2011, S. 60: „[…] die Versammlung hat kein Rede- und kein differenziertes Widerspruchsrecht. Das Volk äußerst sich kollektiv und stimmt den Vorschlägen der Ratsmitglieder durch Zuruf zu oder lehnt sie durch Schweigen ab“. 348 Thersites ist der einzige Sprecher in einer homerischen Versammlung, welchen man eindeutig den unterelitären Bevölkerungsschichten zuweisen kann (vgl. FRAß 2012, S. 104– 106). Er wird erst in der späteren Tradition zu einem Vertreter der Elite und etwa im 5. Jahrhundert durch den athenischen Geschichtsschreiber und Genealogen Pherekydes zum Sohn des Agrius, des Königs des aitolischen Kalydons, gemacht (vgl. FGrHist IIIB 333 fr. 123). Es ist daher verfehlt, aufgrund der späteren Überlieferung, in Thersites einen Vertreter der Elite sehen zu wollen (so etwa EBERT 1969). Auch die These von MARKS 2005, Thersites sei als „blame persona“ ein literarisches Konstrukt „who threatens to undermine heroic categories, but in the event helps to define them“ (S. 28) und müsse daher notwendigerweise der Elite zuzurechnen sein, da sonst das literarische Konstrukt nicht funktionieren könne, ist als Zirkelschluss abzulehnen. Möglicherweise ist noch Polydamas auf troianischer Seite den unterelitären Schichten zuzurechnen (vgl. WELSKOPF 1981, S. 180).

87 Die Elite und das Gemeinwesen

greifen. Dies verstößt nicht gegen die Ordnung. Es ist die Art und Weise, wie er das Wort ergreift, welches einen Regelverstoß darstellt: T hers it es al le i n, d e r i n W o r te n Maß lo se , kr e is c ht e no c h we it er . Der wußte Wort e i n se i n e m Si nn, ungeord net e und viel e, U m d r a u f lo s u nd ni c ht n a c h d e r Or d n u n g mi t d e n Kö ni g e n z u st r e i te n, So nd er n al le s, wa s er nur mei n te, d aß e s z u m La che n de n Ar ge ier n wär e. 349

Was Thersites zu sagen hat, ist ἄκοσμος, wie er mit den βασιλεῖς streitet, ist οὐ κατὰ κόσμον, nicht aber, dass er das Wort ergreift. Er hält sich nicht an das ‚institutionelle‘ Verfahren der Versammlung,350 beachtet also die gesetzte Agenda nicht und weicht vom Thema ab. Wenn ihm etwas Lustiges (γελοίϊος) einfällt, womit er einen rhetorischen Erfolg erzielen kann, dann bringt er es ein. Thersites scheint noch nicht einmal das Zepter (σκῆπτρον) an sich genommen zu haben, was ihn zu reden berechtigen würde.351 Die Validität seiner folgenden Anschuldigungen kann jedenfalls niemand leugnen.352 Dies gilt selbst für den listenreichen Odysseus, welcher sonst als Redner fast allen anderen überlegen ist.353 Ihm bleibt seinerseits nur die Möglichkeit, die Regeln der Versammlung zu brechen, nach welchen er Thersites hätte ausreden lassen müssen.354 Daher beendet er dessen Rede mittels Gewaltanwendung.355 In der epischen Konstruktion musste Thersites sich gegen die formale Ordnung der Versammlung zu Wort melden, sodass Odysseus Verstoß gegen dieselbe Ordnung nicht allzu schwer ins Gewicht fällt. Durch einen Herrschaftsakt – also mittels eines institutionell vorgesehenen Verfahrens, zu dessen Durchführung Odysseus aufgrund seiner Stellung berechtigt gewesen ist – kann er die Versammlung nicht kontrollieren. In der politischen Auseinandersetzung mit Thersites besteht die Macht des Odysseus allein in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit. Auf diese kann er sich allerdings verlassen und Thersites durch physische Gewalt zum Schweigen bringen. Es ist aber die homerische Volks- bzw. Heeresversammlung selbst, welche im Rahmen der homerischen Gesellschaftsordnung das am stärksten institutionalisierte Element zu sein scheint. Beide Versammlungsformen tragen nicht nur die349 Hom. Il. 2,212–215: Θερσίτης δ' ἔτι μοῦνος ἀμετροεπὴς ἐκολῴα, / ὃς ἔπεα φρεσὶν ᾗσιν ἄκοσμά τε πολλά τε ᾔδη / μάψ, ἀτὰρ οὐ κατὰ κόσμον, ἐριζέμεναι βασιλεῦσιν, / ἀλλ' ὅ τι οἱ εἴσαιτο γελοίϊον Ἀργείοισιν. 350 Anders noch FRAß 2012, S. 107, wo davon ausgegangen wird, dass die prinzipiell zulässige Wortmeldung des Thersites auch formal korrekt erfolgte. 351 Denn dieses hat Odysseus noch in den Händen (vgl. Hom. Il. 2,265). 352 Vgl. FRAß 2012, S. 106–108. 353 Vgl. etwa Hom. Il. 3,221–223. 354 Vgl. Hom. Il. 19,79f.: „Wenn einer aufsteht, ist es recht, auf ihn zu hören, und nicht gehört sichs, / Ihm ins Wort zu fallen“ – ἑσταότος μὲν καλὸν ἀκούειν, οὐδὲ ἔοικεν / ὑββάλλειν. Siehe dazu auch SCHULZ 2011, S. 51. 355 Vgl. Hom. Il. 2,265–269.

88 Die homerische und hesiodische Dorfgemeinschaft

selbe Bezeichnung (ἀγορά), sondern funktionieren auch nach denselben Prinzipien.356 Der bzw. die homerischen Dichter scheinen daher bei beiden Formen ein und dieselbe früharchaische Institution vor Augen gehabt zu haben, welche sie dann in den jeweiligen epischen Kontext imaginiert haben. Daher können die epischen Schilderungen von beiden Versammlungsformen zur Konstruktion einer ‚homerischen Volksversammlung‘ herangezogen werden. Zur Einberufung einer solchen homerischen Volksversammlung bedarf es normalerweise der sogenannten Herolde (κήρυκες), welche vielleicht im Ansatz als ein Verwaltungsstab der βασιλεῖς begriffen werden können.357 Jedenfalls rufen diese Funktionsträger die Volksversammlung nicht nur ein, sondern sorgen in ihr auch für Ordnung.358 Nach der Einberufung treten in der Regel Vertreter der Elite auf, um Vorschläge zu unterbreiten. Diese haben anscheinend auch feste Sitzplätze, welche umso näher der Mitte des Versammlungsplatzes liegen, je höher ihr sozialer Rang ist.359 Die Vertreter der Elite können bereits vorher in einer Ratsversammlung (βουλή), zu welcher nur sie Zugang haben, konsensuale Vorschläge für die Volksversammlung beschlossen haben.360 Aber auch offener Streit unter den elitären Sprechern ist in der Volksversammlung möglich. In beiden Fällen muss aber um die Zustimmung der unterelitären Versammlungsteilnehmer gerungen werden. Gegebenenfalls ist es notwendig, dass die Vorschläge angepasst werden, um eine offene Ablehnung zu vermeiden.361 Die ἀγορά hat eindeutig die Möglichkeit, Vorschläge der elitären Anführer auch abzulehnen. Dies geht aus dem Plan des Agamemnon klar hervor. Denn er will ja die Heeresversammlung 356 Vgl. dazu grundlegend HÖLKESKAMP 2002, besonders S. 304–318. 357 Diese, wie die βασιλεῖς zeptertragend, stehen unter dem Schutz des Zeus (Hom. Il. 1,334). Sie unterstützen die βασιλεῖς nicht nur bei Versammlungen, sondern dienen ihnen auch als Boten (Hom. Il. 1,320–326), als Helfer bei Opferhandlungen (Hom. Il. 3,245–248) und auch den Kampfbeginn oder den Waffenstillstand verkünden sie (Hom. Il. 7,274–282). Die Herolde sind meist eng mit einem Vertreter der Elite verbunden, so etwa Talthybios mit Agamemnon (Hom. Il. 1,320f.) und Eurybates mit Odysseus (Hom. Il. 2,184). Sie scheinen aber mitunter auch nur die Funktionen einfacher Diener auszuüben (Hom. Od. 1,143) und so erscheint ihre institutionalisierte Stellung doch wieder eingeschränkt. Auch Achilles verbindet Talthybios und Eurybates nicht ‚qua Amt‘ mit ihrem Herren Agamemnon (Hom. Il. 1,334f.): „Freut euch, Herolde! Ihr Boten des Zeus wie auch der Männer / Kommt näher! Nicht ihr seid mir schuld, sondern Agamemnon“ – χαίρετε κήρυκες Διὸς ἄγγελοι ἠδὲ καὶ ἀνδρῶν, /ἆσσον ἴτ'· οὔ τί μοι ὔμμες ἐπαίτιοι ἀλλ' Ἀγαμέμνων. Die Herolde sind zwar mit einem basileús verbunden, sie führen dessen Befehle aus und unterstützen ihn in seinen Tätigkeiten. Aber sie werden wohl nicht primär als Teil eines ‚Herrschaftsapparates‘ betrachtet, sondern als Teil der göttlichen Ordnung. Ihre Position und persönliche Unverletzlichkeit ergibt sich nicht primär aufgrund der Machtstellung ihres Herren, sondern weil sie ‚Boten des Zeus‘ sind und damit unter göttlichem Schutz stehen. 358 Vgl. etwa Hom. Il. 2,50–52 u. 96–98. 359 Vgl. HÖLKESKAMP 1997, S. 11 u. Anm. 51, mit einer Aufzählung aller relevanten Stellen. 360 Zum Verhältnis von Versammlung und Rat siehe etwa SCHULZ 2011, S. 35–69. 361 Vgl. dazu etwa ULF 1990, S. 167–169 u. HÖLKESKAMP 1997, besonders S. 12–14.

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auf die Probe stellen, indem er in einem Akt ‚umgekehrter Psychologie‘ den Abbruch des Krieges vorschlägt.362 Er erwartet eindeutig, dass sein Antrag abgelehnt wird. Doch erlebt er eine böse Überraschung, als die ἀγορά, in einer tumultartigen Konsensentscheidung, den Antrag dennoch annimmt.363 Die Volksversammlung stimmt grundsätzlich nicht formal ab, sondern Zustimmung und Widerspruch der Versammlungsteilnehmer werden nur mittels Applaus, Unmutsbekundungen oder auch durch Schweigen zum Ausdruck gebracht.364 Aufgrund dieses Verfahrens ist es also nur notwendig, einen oberflächlichen Konsens herzustellen,365 was die politischen Kosten der Entscheidungspraxis reduziert. Dennoch erlaubt dieses Verfahren ein großes Spektrum an Möglichkeiten seitens der Versammlungsteilnehmer, ihrer Entscheidungspräferenzen zu kommunizieren und dadurch Modifizierungen der elitären Vorschläge zu erreichen oder diese auch vollständig zurückzuweisen. So konnte David Elmer in einer Studie zur konsensualen Entscheidungsfindung in den Rats- und Volksversammlungen der Ilias aufzeigen, dass es fünf verschiedene, lexikalisch klar definierte, kollektive Reaktionen der Versammlungen auf elitäre Vorschläge gibt.366 Dieses Reaktionsspektrum reicht vom Schweigen der Versammlungsteilnehmer, was einer faktischen Ablehnung eines Vorschlags gleichkommt,367 bis zur vollkommenen Zustimmung, welche durch den Begriff ἐπαινεῖν signalisiert wird. Diese vollkommene Zustimmung führt zur sofortigen und nachhaltigen Umsetzung des Beschlusses.368 Die Volksversammlung ist aufgrund dieser Entscheidungsbefugnis aber nur die politische Institution, von welcher am ehesten ‚Herrschaft‘ ausgehen kann. Denn für die homerische Versammlung gilt: „Wer allerdings seinen Widerspruch öffentlich kundtut, der kann auch nicht zur Einhaltung von Vereinbarungen gezwungen werden, die andere hier treffen“.369 Die mögliche Sanktion eines Ausschlusses des Devianten aus der Gemeinschaft – etwa wenn jemand versucht, diese zu spalten370 – scheint dann auch im Fall des Achilles wenig zu tau362 Vgl. Hom. Il. 2,55–154. 363 Allerdings hatte Agamemnon die Mitglieder seiner βουλή vorher angewiesen, in der Volksversammlung gegen seinen Vorschlag zu sprechen (vgl. Hom. Il. 2,75). 364 Oder eben dadurch, dass ein Vorschlag sofort umgesetzt wird, wie der des Agamemnon zum Kriegsabbruch. 365 Vgl. SCHULZ 2011, S. 60–62. 366 Vgl. ELMER 2013, besonders S. 23–47 u. S. 108–125. 367 Vgl. ELMER 2013, S. 28: „In no case is a proposal that meets with this response actually carried out”. 368 Vgl. ELMER 2013, S. 35: „The verb epaineîn therefore designates a definitively efficient response. So established is this rule that the epaineîn formula alone indicates, without any further qualification, that a proposal will be enacted. 369 ULF 1990, S. 168. Dessen ungeachtet ist es die ἀγορά, in der ein politischer Dissens in einer politischen und institutionellen Weise ausgetragen werden kann – siehe dazu BARKER 2009, S. 52–66. 370 Vgl. Hom. Il. 9,63f.

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gen. Denn sein deviantes Verhalten besteht im Selbstausschluss aus der Gemeinschaft und kann deswegen durch die Gemeinschaft nicht erfolgreich sanktioniert werden.371 Allerdings bedeutet dies auch, dass Achill und die ihm folgenden Myrmidonen nicht mehr an den Volksversammlungen teilnehmen dürfen und sich damit faktisch im Exil befinden. Der öffentliche und politische Gemeinschaftscharakter der Volks- bzw. Heeresversammlung wird durch die Form der Entscheidungsfindung aber nicht grundsätzlich negiert.372 Von den beiden rein elitären ‚Institutionen‘ der Entscheidungsfindung, also den individuellen βασιλεῖς und den Ratsversammlungen (βουλή), geht keine ‚Herrschaft‘ im eigentlichen Sinne aus. Gerade die βουλή erscheint vielmehr wie das private, elitäre Beratungsgremium eines basileús.373 Dessen ungeachtet sind es natürlich die βασιλεῖς, welche individuell oder als Gruppe die Agenda der Versammlung, die Diskussion und die letztendliche Entscheidung maßgeblich bis ausschließlich be371 Vgl. etwa HAMMER 2002, S. 93–113. 372 Vgl. HÖLKESKAMP 1997, S. 14: „Denn hier, in der Agora, gewinnt die Gemeinschaft – über ihren Charakter als Siedlungs-, Kult- und Rechtsgemeinschaft hinaus – auch bereits eine zumindest rudimentäre Identität als ‚politische‘ Institution der Beratung und Entscheidung“. 373 Daher kann man auch nicht davon sprechen, dass das „Recht, den Rat einzuberufen […] offenbar ausschließlich beim Herrscher“ liegen würde (SCHULZ 2011, S. 37). Es ist eben keine öffentliche ‚Institution‘, womit die Einberufung auch kein Vorrecht sein kann. Wenn im Rat hin und wieder Dinge entschieden werden, die dann nicht in einer Volksversammlung bestätigt werden müssen, so scheint es sich dabei nur um Ausnahmen zu handeln (vgl. die Beispiele bei SCHULZ 2011, S. 45). Außer der Entscheidung zum Bau einer Mauer um das Schiffslager (vgl. Hom. Il. 7,323–343), werden im Rat eigentlich auch keine Entscheidungen getroffen, die tatsächlich die gesamte Gemeinschaft direkt betreffen. Darum ist es vollkommen verfehlt, von einer „Teilsouveränität“ – was auch immer dies sein soll – des Rates zu sprechen (so SCHULZ 2011, S. 45f.). Und selbst auf die Ratsentscheidung zum Mauerbau folgt ein erzählerischer Sprung zu einer Volksversammlung der Troianer, in welcher beschlossen wird, ein Friedensgesuch an die Achaier zu entsenden. Beide Versammlungen finden am Abend statt und unmittelbar am nächsten Morgen bricht der troianische Herold Idaios ins Schiffslager der Griechen auf, um dort das Friedensangebot zu überbringen. Er trifft nun dabei die Griechen in einer gerade stattfindenden Volksversammlung an und wendet sich direkt an den versammelten Laos, um die Vorschläge der Troianer zu unterbreiten. Natürlich kommt es nicht zu einem Friedensschluss und man verständigt sich nur darauf, dass beide Parteien in Frieden ihre Gefallenen bestatten können (vgl. Hom. Il. 7,345–442). Allerdings wird im Text nicht genannt, warum sich die Volksversammlung der Griechen am frühen Morgen überhaupt getroffen hat. Doch ist der Dichter auch nicht gezwungen, dies explizit auszuführen. Denn worüber anderes als über die Vorschläge des Nestors, durch den Beschluss der Ratsversammlung zu den konsensualen Vorschlägen der Elite geworden, hätte denn der Laos am frühen Morgen entscheiden müssen. Jedenfalls werden sowohl die Bestattungen als auch die Befestigungsbaumaßnahmen erst nach dieser Volksversammlung durchgeführt. So liegt zumindest die Vermutung nahe, dass die Versammlung den elitären Vorschlägen zugestimmt hat, bevor der Herold Idaios die Bühne betritt. Das Letztentscheidungsrecht scheint also auch in diesem Fall bei der homerischen Volksversammlung zu liegen.

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stimmen. Sie können dies aber nicht ohne oder außerhalb der Versammlung, in welcher der kollektive Wille der Gemeinschaft in einer konsensualen Entscheidung zum Ausdruck gebracht wird.374 Zur Erlangung des Konsenses in der Versammlung muss dann in der Regel von den Sprechern der Anspruch erhoben werden, dass die gemachten Vorschläge gemeinsinnig seien. Gegen die Interessen des Gemeinwesens zu handeln, bei allem Verständnis des Dichters für die heroische Asozialität der βασιλεῖς, ist dann auch der Vorwurf, der immer wieder gegen einzelne Vertreter der Elite erhoben wird. Das Ziel eines solches Vorwurfes scheint nun immer zu sein, die devianten βασιλεῖς zu zwingen, sich einer notwendigen Entscheidung unterzuordnen, die bisher nur von einer Mehrheit in der Versammlung getragen wird. Es geht also darum, eine Mehrheitsmeinung in eine Konsensentscheidung umzuwandeln, da eine Mehrheitsentscheidung institutionell in der homerischen Gesellschaftsordnung noch nicht möglich ist. So wirft dann auch Achilles Agamemnon eben nicht nur vor, seine persönliche Ehre verletzt zu haben. Vielmehr beschuldigt er den Atreiden eben auch, dass er die laoí im Kampf im Stich lassen und sich am Besitz des Gemeinwesens unrechtmäßig bereichern würde (δημοβόρος βασιλεὺς).375 Die notwendige Entscheidung, zu welcher Agamemnon durch diesen Vorwurf des fehlenden Gemeinsinns gezwungen werden soll, ist aber dennoch lediglich die Anerkennung des partikularistischen Unrechtes, welches er Achilles zugefügt hat. Denn nur dafür will dieser asoziale Heroe letztendlich Entschädigung. Im folgenden Gesang (und in der folgenden Volksversammlung) der Ilias wiederholt Thersites viele Vorwürfe des Achilles und bringt es klar auf den Punkt: „Nicht gehört sichs, / Als Führer ins Unglück zu bringen die Söhne der Achaier!“.376 Doch anders als Achilles geht es Thersites mit seinem Angriff gegen Agamemnon aber tatsächlich um ein gemeinsinniges Ziel. Denn er will erreichen, dass der Krieg beendet wird und die Achaier in die Heimat zurückkehren können. Dass dafür eine Mehrheit des Heeres eintritt, sowohl der elitären als auch der unterelitären Kämpfer, hat die Flucht des gesamten Heeres zu den Schiffen im vorangegangenen Gesang klar gezeigt.377 374 Von einer „Souveränität des Königs“ (so SCHULZ 2011, S. 63–69), die gegebenenfalls im Spannungsverhältnis mit den Wünschen der Versammlung und dem Streben nach einem Konsens steht, kann also keine Rede sein. Ebenso kann man nicht von einer „Volkssouveränität“ sprechen (so ANDREEV 1988, S. 17), auch wenn man die Volksversammlung als zentrale letzte Entscheidungsinstanz annimmt. Einen Souverän – in welcher Person, Personengruppe oder ‚Institution‘ man diesen auch verorten möchte – kann es in einer vorstaatlichen Ordnung, wie sie in den homerischen und hesiodischen Texten geschildert wird, gar nicht geben. 375 Vgl. Hom. Il. 1,225–231. 376 Vgl. Hom. Il. 2,233f.: οὐ μὲν ἔοικεν / ἀρχὸν ἐόντα κακῶν ἐπιβασκέμεν υἷας Ἀχαιῶν. 377 Siehe Hom. Il. 2,143–211, wo, gegen die Erwartung des Agamemnon, die Heeresversammlung den nicht ernst gemeinten Vorschlag zum Kriegsabbruch und zur sofortigen Rückkehr in die Heimat im Tumult annimmt und sofort umsetzen will. Lediglich Odysseus kann, als einer der wenigen, die offensichtlich gegen diesen Vorschlag

92 Die homerische und hesiodische Dorfgemeinschaft

Letztendlich kann er dieses Ziel aber nicht erreichen, da dann das Epos ein wenig heroisches Ende gefunden hätte. Agamemnon schließlich kann sich erst nach langem Zögern, und nachdem er noch viele Söhne der Achaier ins Unglück geführt hat, zum konsensualen Verhalten durchringen. Er lässt Achilles Entschädigung anbieten, doch nun will sich dieser dem Konsens selbstverständlich nicht mehr fügen. Dies bringt Odysseus nun seinerseits dazu, Achilles an seine Verpflichtung für das Gemeinwohl zu erinnern, welches über der privaten Auseinandersetzung mit Agamemnon stehe: Do c h we n n d e r Atr e u s - S o h n d ir no c h me hr v e r ha ß t i st i m Her ze n, Er s elb st u nd s ei n e G ab en, so erb ar me d u d ic h d o ch d er a nd er e n All - Ac hai er, der bedrä n gt e n i m H eer . 378

Dass bei Achilles der Appell an den Gemeinsinn nicht fruchtet, liegt daran, dass er eben der größte und damit auch asozialste Held in der Ilias ist.379 Gefolgt wird er allerdings – zumindest in Bezug auf die Asozialität – ganz dicht von Agamemnon. Beide bilden ein heroisch-asoziales Paar, welches das Gemeinwesen der Achaier vor Troia immer wieder an den Rand des Untergangs bringt.380 Sie bilden damit in der Ilias das Gegenstück zu dem heroisch-asozialen Paar, welches in der Odyssee der basileús Odysseus und seine Gemahlin Penelope bilden. Denn auch dieses Paar schädigt das Gemeinwesen von Ithaka irreversibel und löst durch sein Verhalten einen ‚Bürgerkrieg‘ aus. Beide Figurenpaare bestimmen mit ihrem ebenso heroischen wie asozialen und das Gemeinwohl ignorierendem Verhalten die Handlungen beider Epen entscheidend. Beide Paare funktionieren auch nur als Paar und ein Großteil der Konflikte wäre aus der Handlung herausgenommen, wenn sie jeweils einen sind, mithilfe der Athena die Entscheidung rückgängig machen. Allerdings tut er dies erst nach der Versammlung, als man bereits beginnt, den Vorschlag des Agamemnon umzusetzen. 378 Hom. Il. 9,300–302: εἰ δέ τοι Ἀτρεΐδης μὲν ἀπήχθετο κηρόθι μᾶλλον / αὐτὸς καὶ τοῦ δῶρα, σὺ δ' ἄλλους περ Παναχαιοὺς / τειρομένους ἐλέαιρε κατὰ στρατόν. 379 Zum (asozialen) Heldenideal, welches Achill vollkommen ausfüllt, siehe etwa HORN 2014, S. 147–240, hier S. 239: „Achill zeigt das typische aggresiv-individualistische Verhalten eines homerischen Helden, der für seine eigene Ehre auch den Tod seiner Mitstreiter akzeptiert“. Allerdings fährt Horn fort: „an keinem Punkt der Handlung hat er nach den Maßgaben des heroischen Verhaltenskodex einen Fehler begangen“. Die Verpflichtung der Helden für das Wohl ihrer Gemeinschaft wird aber in den homerischen Texten immer wieder thematisiert, eingefordert und von den Helden auch manchmal anerkannt. 380 Wobei zumindest Agamemnon seine Verpflichtung für das Gemeinwohl durchaus anerkennt, siehe etwa Hom. Il. 1,116f.: „Doch auch so will ich sie zurückgeben, wenn dies das Bessere ist. / Will ich doch, daß das Volk heil sei, statt daß es zugrunde gehe“ – ἀλλὰ καὶ ὧς ἐθέλω δόμεναι πάλιν εἰ τό γ' ἄμεινον· / βούλομ' ἐγὼ λαὸν σῶν ἔμμεναι ἢ ἀπολέσθαι.

93 Die Elite und das Gemeinwesen

Partner verlieren würden.381 Aber natürlich gibt es auch gravierende Unterschiede, wie die heroisch-asozialen Paare ihre jeweiligen Gemeinwesen in existenzielle Gefahr bringen. So droht bereits im ersten Gesang der Ilias der offene ‚Bürgerkrieg‘, da Achilles kurz davor steht, Agamemnon zu töten. Nur durch die Intervention der Göttin Athena kann er davon abgehalten werden.382 Die Bedrohung des Gemeinwesens, welches das Heerlager der Achaier vor Troia darstellt, war demnach eine kontinuierliche, welche erst mit der Rückkehr des Achilles in die Gemeinschaft überwunden werden konnte.383 In der Odyssee hingegen läuft das gesamte Geschehen auf die finale Auseinandersetzung zwischen Odysseus und eines Teils des Gemeinwesens von Ithaka zu. Vorbereitet wird dies durch das heroisch-asoziale Verhalten der Penelope. Dieser ist ihr Ruhm wichtiger, als der Erhalt des oíkos für ihren Sohn Telemachos.384 Penelopes Weigerung sich erneut zu verheiraten – auch nachdem ihr Sohn ein Alter erreicht hat, welches ihm die Übernahme des oíkos erlauben würde –, obwohl sie das Werben der Freier annimmt, stellt einen klaren Normbruch dar. Dieser wird dann auch zu Recht von den Freiern durch den wortwörtlichen Verzehr des oíkos bestraft.385 Möglicherweise ändert sich die Verortung der Schuld mit der Rückkehr des Odysseus tatsächlich schlagartig, da die Freier nun „plötzlich gewaltsame Eindringlinge im Haus des Odysseus“ sind und „Zwang 381 Zugegebenermaßen gäbe es in der Ilias auch dann noch den Krieg mit den Troianern. 382 Vgl. Hom. Il. 1,188–221. 383 Die Entscheidung fällt Achilles zu Beginn des 18. Gesanges (Hom. Il. 18,79–93), aber erst nachdem er einen sehr persönlichen Grund für die Rückkehr in den Kampf hat, nämlich Rache für den Tod des Patroklos zu üben. Zwar zeigt sich am Ende der Ilias durchaus, dass Achilles nach dem Verlust des Patroklos Empathie für Priamos empfindet und ihm deshalb den Leichnam des Hektor zurückgibt (vgl. Hom. Il. 24,468–691). Daraus aber eine ethische Lernerfahrung des Achilles zu konstruieren, welcher nun bereit ist, auch gemeinsinnig zu handeln (so HAMMER 2002, S. 170–194, allerdings benutzt er natürlich nicht den Begriff ‚Gemeinsinn‘, sondern ‚political ethic‘), ist wenig nachvollziehbar. Denn es ist ja nach wie vor der rein persönliche Verlust, welcher Achilles motiviert. Das Leiden und die Verluste unter den laoí spielen für ihn nach wie vor keine Rolle. 384 Dies konnte FLAIG 1995, besonders S. 369–376, klar aufzeigen: „Penelope handelt als adlige Frau, die eine einmalige Chance geboten bekommt, ihren Ruhm zu erhöhen, ihr Ansehen vor einem panhellenischen Publikum zu steigern. Und sie nützt diese Chance mit jener Skrupellosigkeit, die Heroen an den Tag legen, wenn es um ihre Ehre geht“ (S. 373). 385 Siehe SCHMITZ 2004a, S. 320–329, der das Verhalten der Freier als „Rügebrauch des Heimsuchens und Ausfressens“ identifiziert. Die Freier selbst waren sicherlich auch nicht schuldlos, weswegen etwa ANDREEV 1988, S. 51–54, der in ihrem Verhalten durchaus eine grundsätzlich den Sitten entsprechende Form der Brautwerbung erkennt, die aber in einer missbräuchlichen Weise durchgeführt worden sei, ihre Tötung durch Odysseus als gerechtfertigt ansieht: „Da sie einen Anschlag auf das heilige Recht des Eigentums unternehmen, zahlen sie dafür mit Blut“ (S. 51). Dennoch, der Normbruch der Penelope geschieht zuerst und wiegt erst einmal schwerer (vgl. FLAIG 1995, S. 377 u. SCHMITZ 2004a, S. 324–237), sie treibt die Freier zu ihren Verhalten und schließlich bis zum Mordversuch an Telemachos.

94 Die homerische und hesiodische Dorfgemeinschaft

gegen eine verheiratete Frau“ ausüben.386 All dies führt jedenfalls zur Ermordung der Freier durch Odysseus. Dies geschieht ungeachtet davon, dass die Freier Odysseus daran erinnern, dass sie ja seine laoí seien (σὺ δὲ φείδεο λαῶν / σῶν) und ihm außerdem Wiedergutmachung anbieten.387 Doch der Appell an den Gemeinsinn des Odysseus, also nicht die Mitglieder seines eigenen Gemeinwesens zu töten, auch wenn sie seine Ehre verletzt haben, kann ihn von seiner heroisch-asozialen Tat selbstverständlich nicht abhalten. Dies gilt ebenso für den Appell der Freier an das Eigeninteresse des Odysseus, also durch Abgaben den geschmälerten oíkos des Odysseus wieder zu heilen und noch weiter zu mehren.388 Nur die unmittelbare, seine Ehre wieder herstellende Handlung ist für Odysseus akzeptabel. Die andere Handlungsoption, also die meisten Freier zu schonen, sie sich damit sozial zu verpflichten und durch die Wiedergutmachung die ökonomische Potenz des eigenen oíkos auf Kosten der anderen elitären oíkoí zu verbessern, kommt für ihn nicht infrage. Dass er damit seine eigene Machtstellung im Gemeinwesen von Ithaka ungemein stärken würde, spielt für ihn keine Rolle, liegt wohl auch außerhalb seines heroisch-asozialen Verständnisses. Doch die Odyssee endet eben nicht mit dem Tod der Freier oder der Wiedervereinigung von Odysseus und Penelope. Vielmehr lässt der Mord an den Freiern einen Teil des Gemeinwesens von Ithaka gegen Odysseus zu den Waffen greifen.389 Erst als der Kampf bereits entbrannt ist, betritt wieder Athena die Bühne, um als dea ex machina die vollkommene Katastrophe für das Gemeinwesen zu verhindern.390

6.5.

Das Gemeinwesen aus unterelitärer Perspektive

Eine entscheidende Frage ist nun, wie sich die unterelitären Schichten in den elitären Auseinandersetzungen verhalten. Denn diese ziehen ja stets die Gemeinwesen als Ganzes in Mitleidenschaft. Zuerst muss in diesem Zusammenhang genauer bestimmt werden, wer mit ‚unterelitärer Schicht‘ eigentlich gemeint sein soll. In dem Gemeinwesen etwa, welches das Heerlager der Achaier vor Troia darstellt, sind – außer der Elite – eigentlich fast nur unterelitäre Kämpfer fassbar. Diese scheinen dann auch vollberechtigt zu sein, an den Heeresver386 SCHMITZ 2004a, S. 327, der fortfährt: „Sie werden damit zu tragischen Gestalten, die schuldlos schuldig sind“. 387 Vgl. Hom. Od. 22,54–59. 388 Auf den ersten Teil des Appells, also die eigenen laoí nicht zu töten, geht der Held überhaupt nicht ein, alle Wiedergutmachungsangebote lehnt er kategorisch ab (vgl. Hom. Il. 22, 61–77). 389 Vgl. Hom. Od. 24,425–529; siehe dazu unten Kap. 6.5. 390 Vgl. Hom. Od. 24,529–548.

95 Das Gemeinwesen aus unterelitärer Perspektive

sammlungen teilzunehmen und durch diese Institution an den konsensualen politischen Entscheidungsprozessen mitzuwirken. Im 19. Gesang der Ilias, nach der Ermordung des Patroklos, beruft allerdings Achilles selbst eine Volksversammlung ein. An dieser nehmen nun auch die Steuermänner der Schiffe (κυβερνῆται) und die ‚Essensverteiler‘ (ταμίαι) teil, welche bisher stets bei den Schiffen geblieben waren und daher anscheinend auch nicht mit gekämpft haben. Dieser Umstand wird als eine Neuerung zu den bisherigen Volksversammlungen herausgestellt und ist wohl der Irregularität der Einberufung geschuldet. An dem grundsätzlichen Recht der Steuermänner und ‚Essensverteiler‘ zur Teilnahme an der Volksversammlung scheint aber kein Zweifel zu bestehen.391 Im Gemeinwesen von Ithaka begegnen hingegen auch namentlich bekannte Personen, welche handlungsrelevant, aber eindeutig als Kaufsklaven zu identifizieren sind. Zu nennen sind hier etwa Eumaios392 und Eurykleia.393 Diese Akteure können aktiv in die Auseinandersetzungen im Gemeinwesen von Ithaka eingreifen, wie etwa Eumaios, welcher für seinen Herrn Odysseus gegen die Freier kämpft.394 Auch gegen die aufgebrachten Gemeindemitglieder kämpfen aufseiten des Odysseus etwa Dolios und seine Söhne.395 Wahrscheinlich sind diese auch Sklaven, jedenfalls aber abhängige Mitglieder des oíkos des Odysseus.396 Auch der zwar persönlich freie, aber nicht zum Gemeinwesen gehörende Fremde (ξένος) tritt in der Odyssee auf den Plan, etwa in Gestalt der Athena, verkleidet als Mentes. Dieser ‚Mentes‘ wird als Anführer der Thapier (Ταφίων ἡγήτορι)397 und Gastfreund des Odysseus vorgestellt.398 Telemachos, der ihn nicht erkennt, fordert ihn auf, sich zu identifizieren: W e r b i st d u u nd wo h e r u nt er d e n M ä n n e r n? W o i st d ei n e S ta d t u nd d e i ne E lt er n? Au f wa s f ür e i ne m S c hi f f b i s t d u ge ko m me n? W ie h a b e n d ic h d ie Sc h i f f sl e ut e n a c h I t ha k a ge f ü h r t? 399

Diese Stelle ist für das Verständnis der soziopolitischen Ordnung der Polis Ithaka deshalb so interessant, weil es den ‚face to face‘ Charakter des Gemeinwesens aufzeigt. Telemachos kennt Mentes nicht, dieser muss also ein Fremder sein, der nicht von der Insel Ithaka selbst stammen kann. Die Möglichkeit, dass 391 392 393 394 395 396

Vgl. Hom. Il. 19,40–46. Vgl. Hom. Od. 15,482f. Vgl. Hom. Od. 1,428–431. Vgl. Hom. Od. 22,279–281. Vgl. Hom. Od. 24,492–499. Wahrscheinlich war Dolios ein Sklave, welcher als Teil der Mitgift der Penelope in den oíkos des Odysseus kam (vgl. Hom. Od. 4,735f.), jedenfalls bezeichnet Penelope ihn als „ihren Sklaven“ (δμῶ' ἐμόν). 397 Vgl. Hom. Od. 1,105. 398 Vgl. Hom. Od. 1,187f. 399 Hom. Od. 1,170–172: τίς πόθεν εἰς ἀνδρῶν; πόθι τοι πόλις ἠδὲ τοκῆες; / ὁπποίης τ' ἐπὶ νηὸς ἀφίκεο; πῶς δέ σε ναῦται / ἤγαγον εἰς Ἰθάκην.

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dieser ein ihm unbekanntes Mitglied seines Gemeinwesens ist, kommt ihm nicht in den Sinn.400 Auch ansonsten scheint es keine Stelle in den homerischen Texten zu geben, in welchen ein Mitglied eines Gemeinwesens ein anderes Mitglied desselben Gemeinwesens nicht persönlich kennt. Der begrenzte personelle Umfang des homerischen Ithaka ist ein weiteres Indiz dafür, hier am ehesten ein dörfliches Gemeinwesen anzunehmen. Auch ist zu vermuten, dass die imaginierte bäuerliche Ordnung dieses Gemeinwesens401 sich nicht groß von der Ordnung des hesiodischen Askra unterscheiden sollte.402 Das Gemeinwesen von Askra stellte sich dabei als prinzipiell egalitäre Dorfgemeinschaft freier Bauern mit einer sozial institutionalisierten nachbarschaftlichen Solidarität dar.403 Diese war anscheinend ausreichend, um viele Aufgaben innerhalb des vorstaatlichen Gemeinwesens zu lösen.404 Der unterelitäre Gemeinsinn, welcher in der nachbarschaftlichen Hilfe zum Ausdruck kommt, beruhte dabei zwar primär auf ein Hoffen auf Gegenseitigkeit.405 Doch Hesiod geht zumindest einmal in seiner Forderung nach Gemeinsinnigkeit noch weiter. Er erklärt die gemeinsinnige Tat an sich zur ausreichenden Gegenleistung für eine Wohltat: Sc he nkt nä ml i c h e i n M a nn b erei t wi l li g , und wä r ´ es ei n Große s, fre u t i h n di e e i ge ne Gab e, und er sp e ndet frö hl ic he n Her ze n s. 406

Die Bedeutung der βασιλεῖς für das dörfliche Gemeinwesen von Askra war dann auch äußerst begrenzt. Da es sich im Frieden befand, waren die βασιλεῖς wohl 400 Ebenso gilt dies für das Gemeinwesen von Scheria. Auch dessen Mitglieder gehen davon aus, dass ein ihnen persönlich Unbekannter nur von außerhalb des Gemeinwesens stammen kann (etwa Hom. Od. 8,555f.). 401 Vgl. ULF 1990, S. 175–212; dagegen sieht ANDREEV 1988, S. 22–27, bereits einen fortgeschrittenen Übergang von der dörflichen zur urbanen Siedlungs- und Lebensweise auch für das Gemeinwesen auf Ithaka als gegeben an. 402 Vgl. dazu SCHMITZ 2004a, S. 27–104 u. OSBORNE 2009, S. 133–40. 403 Vgl. SCHMITZ 2004a, S. 78–82. 404 EDWARDS 2004, S. 80–126, betont zu Recht den egalitären Charakter der hesiodischen Ordnung, unterschätzt aber den integrativen und Gemeinsinn erzeugenden Charakter der solidarischen Dorfgemeinschaft. Auch seine Einschätzung, dass „Hesiod gives us a glimpse of a community that is less complex, less stratified, and less integrated than what we observe even in Homer“ (S. 124) ist sicherlich nicht zutreffend. Vielmehr sind die Perspektiven verschieden, aus welchen die Gemeinwesen geschildert werden. Außerdem treten die institutionellen Elemente der homerischen und hesiodischen Gesellschaftsordnung eben noch nicht regelmäßig, sondern nur in Ausnahmesituationen in Erscheinung, weshalb sie in den homerischen Texten weitaus besser zu erkennen sind, da diese von Ausnahmesituationen erzählen. 405 Vgl. Hes. erg. 339–355. 406 Hes. erg. 356f.: ὃς μὲν γάρ κεν ἀνὴρ ἐθέλων, ὅ γε, κεἰ μέγα δοίη, / χαίρει τῷ δώρῳ καὶ τέρπεται ὃν κατὰ θυμόν.

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nur für Streitschlichtungsverfahren von Bedeutung. In solchen Verfahren hat sich eine Partei freiwillig an die βασιλεῖς gewandt.407 Ansonsten scheinen aber die freien Bauern in Askra ohne die Hilfe der Elite ausgekommen zu sein. Damit ist vermutlich auch die Gruppe benannt, welche den Kern des imaginierten Gemeinwesens von Ithaka bildet. Gemeint sind die männlichen, erwachsenen und freien, damit zur Teilnahme an den Volksversammlungen berechtigten, unterelitären Bewohner.408 Diese können als Herren ihrer oíkoi genauso frei über diese und den damit verbundenen Landbesitz verfügen, wie die elitären oíkosHerren auch.409 Das bäuerliche, dörfliche Gemeinwesen von Ithaka scheint dann ebenso nur in Ausnahmesituationen auf die Elite der βασιλεῖς angewiesen zu sein. Als Telemachos jedenfalls die Volksversammlung einberuft – welche ja den Ort der Kommunikation zwischen der Elite und den unterelitären Mitgliedern des Gemeinwesens und den Ort kollektiver Entscheidungsfindung darstellt – werden sowohl die Gründe für eine Einberufung deutlich als auch die Ausnahme, welche diese Einberufung darstellt: Nie ma l s is t e i ne Ver sa m ml u n g vo n u n s no c h e i n e R a t s si tz u n g g e we s e n se itd e m d er gö tt li c he Od ys s e u s hi n we g g i n g i n d e n Ho hl e n S c hi f f e n. W er hat j etz t so d a s Vo l k v ers a m me lt? Üb er we n is t e i ne so gr o ß e No t ge ko m me n , se i e s vo n d e n j unge n M änne r n ode r de ne n, die f r ühe r gebo r e n wu r d e n? Hat er e i ne B o t sc ha ft ge hö r t vo n e i ne m He er e, d as h er a n ko m mt , die er uns ge na u a ns a ge n wi ll, nac hde m er s ie a l s er s ter ver no m me n? Od er wi ll er ir ge nd e i ne and ere ge me i nsa me Sa c he vorbri nge n und dar üb er rede n. 410

Seit etwa zwanzig Jahren hat es also keine Volksversammlung (ἀγορά) mehr gegeben. Dies deutet sicherlich zuerst auf ihre schwach ausgeprägte Institutionalisierung und damit auf das Vorhandensein einer vorstaatlichen Ordnung hin.411 Aber anscheinend gibt es für das imaginierte Gemeinwesen von Ithaka auch keine Notwendigkeit, eine Volksversammlung einzuberufen. Die Krisensituationen halten sich eben für das Gemeinwesen in Grenzen, wenn ihr sowohl heroischer als auch asozialer oberster basileús nicht im Gemeinwesen als Akteur präsent ist. Auch für eine Ratsversammlung (hier mit θόωκος statt wie üblich 407 Vgl. EDWARDS 2004, S. 30–79. 408 Eine soziale Untergliederung in eine vollbäuerliche und eine freie, unterbäuerliche Schicht, wie dies SCHMITZ 2004a, S. 29–38, für die hesiodische Dorfgemeinschaft wahrscheinlich machen konnte, ist für die homerische Dorfgemeinschaft von Ithaka nicht möglich. Solche Einwohner von Ithaka, welche nicht von der Landwirtschaft leben, können nur ausnahmsweise identifiziert werden, etwa in Gestalt des Sängers Phemios (Hom. Od. 22,330f.) und des Heroldes Medon (Hom. Od. 22,361f.). 409 Vgl. HENNING 1980. 410 Hom. Od. 2,26–32: οὔτε ποθ' ἡμετέρη ἀγορὴ γένετ' οὔτε θόωκος / ἐξ οὗ Ὀδυσσεὺς δῖος ἔβη κοίλῃσ' ἐνὶ νηυσί / νῦν δὲ τίς ὧδ' ἤγειρε; τίνα χρειὼ τόσον ἵκει / ἠὲ νέων ἀνδρῶν ἢ οἳ προγενέστεροί εἰσιν; / ἠέ τιν' ἀγγελίην στρατοῦ ἔκλυεν ἐρχομένοιο, / ἥν χ' ἥμιν σάφα εἴποι, ὅτε πρότερός γε πύθοιτο; / ἦέ τι δήμιον ἄλλο πιφαύσκεται ἠδ' ἀγορεύει. 411 Vgl. etwa WALTER 1993, S. 29–88, besonders S. 36–44.

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mit βουλή bezeichnet) hat es zwanzig Jahre lange keine Notwendigkeit gegeben. Vielleicht gab es aber auch einfach keine Möglichkeit für eine Ratsversammlung, da Odysseus ja abwesend ist. Das Gemeinwesen von Ithaka scheint also seinen obersten basileús den gesamten Zeitraum über nicht sonderlich vermisst zu haben. Ebenso scheint die, sich im inneren wie äußeren Frieden befindende, dörfliche Gemeinschaft auch ohne die Institution der ἀγορά recht gut zu funktionieren. Damit stellt sie das genaue Gegenteil der Heeresgemeinschaft der Achaier vor Troia dar. Denn diese befindet sich in einer permanenten Ausnahmesituation und ist deswegen auch permanent auf die Durchführung von Volksversammlungen angewiesen. Dessen ungeachtet kann aber jeder, der in großer Not (χρειὼ τόσον) ist, sich jederzeit an die Volksversammlung wenden. Auch scheint diese prinzipiell für alle Probleme der Gemeinschaftsmitglieder offen zu stehen. Ebenso kann sie wohl auch von allen einberufen werden.412 In der Regel wird aber wohl erwartet, dass sich die Versammlung mit etwas beschäftigt, was das gesamte Gemeinwesen betrifft (δήμιος), wie etwa einer äußeren Bedrohung. Telemachos wird dessen ungeachtet aber durchaus berechtigt sein, seine private Notlage vor die Volksversammlung zu bringen. Er macht dann aus dem privaten Charakter seines Anliegens auch keinen Hehl.413 Denn was er vorbringen will, ist in seinen eigenen Worten: ἐμὸν αὐτοῦ χρεῖος.414 Doch Telemachos will es zu einer öffentlichen Angelegenheit machen, etwa indem er an die ehemalige Stellung seines Vaters als obersten basileús in Ithaka erinnert.415 Ebenso postuliert er einen Normverstoß seitens der Freier, deren Ahndung die Aufgabe des Gemeinwesens als Ganzem sei.416 Dem Vorwurf widerspricht der Freier Antinoos entschieden und weist seinerseits auf den Normverstoß der Penelope hin, sich nicht für einen Freier zu entscheiden, obwohl sie deren Werben angenommen hat.417 Der Verweis des Telemachos auf die ehemalige Stellung des Vaters fruchtet nicht und der Verweis auf den Normverstoß der Freier kann von Antinoos erfolgreich zurückgewiesen werden.418 Das bedeutet aber nicht, dass der δῆμος von Ithaka passiv reagieren und „sich von den Freiern auseinanderjagen und nach Hause schicken“419 lassen würde. Die Versammlung beschließt vielmehr im Konsens, dem sich am Ende auch Telemachos und sein Unterstützer Mentor fügen 412 Zumindest wird bei der Frage, wer die Volksversammlung einberufen hat, nur die soziale Hierarchisierung nach Altersklassen erwähnt (Hom. Od. 2,29: ἠὲ νέων ἀνδρῶν ἢ οἳ προγενέστεροί εἰσιν; zu dieser sozialen Einteilung siehe ULF 1990, S. 51–83); es scheinen aber grundsätzlich alle zur Einberufung berechtigt zu sein. 413 Vgl. Hom. Od. 2,42–46. 414 Hom. Od. 2,45. 415 Vgl. Hom. Od. 2,46f. 416 Vgl. Hom. Od. 2,64–71. 417 Vgl. Hom. Od. 2,86–126. 418 Dass Antinoos im Recht ist, wenn er die heroische Asozialität und den Normverstoß der Penelope beklagt, ist oben im Kap. 9.3. bereits dargelegt worden. 419 Vgl. WALTER 1993, S. 43.

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müssen, dass der Normverstoß der Penelope das deviantere Verhalten darstellt. Die Freier ahnden diesen lediglich durch ihr Verhalten. So hätte dies wohl auch der Vollbauer Hesiod gesehen, wenn er als Teil des Gemeinwesens von Ithaka zu dieser Versammlung gerufen worden wäre.420 Gegen eine konsensuale Entscheidung der Volksversammlung können ein einzelner Vertreter der Elite und auch eine elitäre Gruppe, wie etwa die Freier der Penelope, nicht bestehen. Dies ist zumindest die Einschätzung des Antinoos.421 Denn für ihn besteht kein Zweifel, dass der dēmos die Freier aus dem Gemeinwesen ausstoßen werde, wenn er von dem Mordplan an Telemachos erfahren würde: Die Mä nner de s Vo l ke s a be r br i nge n uns ni c ht me hr d ur c ha u s G u n st e n t ge ge n . Dar u m a u f, b e vo r er d ie Ac ha ier z u m M ar kt v er s a m mel t – den ic h d e nke, er wird nic ht nac h la ss e n, so nd er n wi r d fo r tz ür n e n u nd u n t e r a l le n a u f ste h e n u nd s a g e n, d aß wi r i h n d e n j ä he n M o rd g e wo b e n hab e n, ko n nt e n i h n ab er nic h t er ei l en, u nd d ie se werd e n e s ni c ht b i ll i ge n, we n n s ie vo n d e n s c hl i m me n W er ke n hö r e n; d a ß s ie u n s n ic h t Üb le s tu n u nd u n s a u s u n se r e m L a nd e sto ß e n u nd wir i n d a s L a nd vo n a n d e r e n g e l a n ge n mü s s e n ! 422

Nun könnte sich Telemachos also erneut an die Volksversammlung wenden und diese würde wiederum eine bindende Entscheidung treffen. Die Vorbereitungen eines Mordanschlages auf Telemachos würde eindeutig die stärkere Normverletzung bedeuten, aufgrund welcher sich die versammelte Gemeinschaft nun gegen die Freier entscheiden würde. Diese Entscheidung wäre dann mit einer kollektiven Gewaltanwendung gegen die Freier verbunden. Einer solchen Aktion der Gemeinschaft hätten sie dann nichts entgegenzusetzen. Dass sie selbst die leistungsfähigste Gruppe innerhalb des Gemeinwesens von Ithaka darstellen – gerade auch im Kampf – ändert daran nichts.423 Doch zu einer kollektiven Gewaltanwendung gegen die Freier wird es im Verlauf der Odyssee bekanntlich nicht kommen. Die Volksversammlung trifft lediglich im zweiten Gesang des Epos die Entscheidung, die Freier gewähren zu lassen. Entsprechend der Informationslage der Versammlungsteilnehmer ist diese Entscheidung auch die gemeinsinnigste. Denn durch sie sollen Telemachos und Penelope gezwungen werden, das private Problem endlich zu lösen, bevor dieses tatsächlich zu einem öffentlichen Problem werden könnte. Hier ist kein Gegenpol zwischen dem Gemeinwesen und dem oíkos zu erkennen, bei dem das 420 Anders die Auffassung von WALTER 1993, S. 47–50, der seinen, in die Volksversammlung von Ithaka versetzten, Hesiod nur im Handeln der Freier Unrecht erkennen lässt und ihn zudem noch ausschließlich zu einem ohnmächtigen Zuschauer degradiert. 421 Vgl. Hom. Od. 16,373–384. 422 Hom. Od. 16,375–382: λαοὶ δ᾽ οὐκέτι πάμπαν ἐφ᾽ ἡμῖν ἦρα φέρουσιν. / ἀλλ᾽ ἄγετε, πρὶν κεῖνον ὁμηγυρίσασθαι Ἀχαιοὺς / εἰς ἀγορήν – οὐ γάρ τι μεθησέμεναί μιν ὀΐω, / ἀλλ᾽ ἀπομηνίσει, ἐρέει δ᾽ ἐν πᾶσιν ἀναστὰς / οὕνεκά οἱ φόνον αἰπὺν ἐράπτομεν οὐδ᾽ ἐκίχημεν: / οἱ δ᾽ οὐκ αἰνήσουσιν ἀκούοντες κακὰ ἔργα: / μή τι κακὸν ῥέξωσι καὶ ἡμέας ἐξελάσωσι / γαίης ἡμετέρης, ἄλλων δ᾽ ἀφικώμεθα δῆμον. 423 Vgl. Hom. Od. 23,121f.

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Gemeinwesen hinter diesem zurücktreten würde.424 Vielmehr trifft die einzige gesamtgesellschaftliche Institution, also die ἀγορά, eine klare Entscheidung in Bezug auf die privaten Probleme des Telemachos. Dass in der Volksversammlung die Meinungsmacher aus der Elite stammen, ändert daran nichts. Diese können zwar die Entscheidung der Versammlung beeinflussen. Wenn es aber zwei vollkommen widersprüchliche Ansichten gibt, entscheiden – aus der Sicht der Masse der Versammlungsteilnehmer – die besseren Argumente.425 Die Entscheidung, die letztendlich im Konsens getroffen wird, ist dann eine im Sinne der Gemeinschaft.426 Durch diese Entscheidung soll der traditionellen Ordnung Geltung verschafft werden. Eine verwitwete Frau, welche das Werben von Freiern angenommen hat, soll also gezwungen werden, sich für einen der Freier zu entscheiden. Außerdem scheint der versammelte Demos verhindern zu wollen, dass die Kosten für eine private Angelegenheit durch einen Vertreter der Elite – also die Ausrüstung eines Schiffes für Telemachos zur Suche nach dem Vater427 – auf das Gemeinwesen umgelegt wird. Zwar mag die Konsensentscheidung der Volksversammlung im zweiten Gesang der Odyssee diese als passiv erscheinen lassen. Doch dies liegt nur darin begründet, dass die gemeinsinnige Handlungsoption eindeutig für (fast) alle Versammlungsteilnehmer erkennbar ist. Wenn diese Eindeutigkeit der gemeinsinnigen Entscheidung für die Versammlung nicht mehr gegeben ist, dann trifft diese schnell an ihre institutionellen Grenzen.428 Dies zeigt sich besonders in der Volksversammlung im 24. Gesang der Odyssee. Nachdem der Held Odysseus in einem heroisch-asozialen Akt alle Freier getötet hat oder hat töten lassen, wenden sich deren Angehörige an die Volksversammlung. Diese wollen damit erreichen, dass das Gemeinwesen als Ganzes die Tat des Odysseus bestraft. Dass Odysseus dem Gemeinwesen von Ithaka durch seine Tat Schaden zugefügt hat, ist ihm durchaus bewusst und er räumt es gegenüber seinem Sohn auch offen 424 So WALTER 1993, S. 50. 425 Dies ist jedenfalls die Erwartungshaltung des Dichters. In der troianischen Volksversammlung nach der Tötung des Patroklos durch Hektor (Hom. Il. 18,243–313, hier 309–313) stimmen die Versammlungsteilnehmer dann – gegen den guten Rat (ἐσθλὴν […] βουλήν) des Polydamos – nur dem schlechten Rat (κακὰ μητιόωντιdes) des Hektor zu. Dies aber nur, da Athena den Versammlungsteilnehmern den Verstand geraubt hat (σφεων φρένας εἵλετο). 426 Anders etwa BARKER 2009, S. 93–107, hier S. 105: „So far our analysis of the first Ithacan assembly has shown its utter lack of effectiveness: the debate fractures along partisan lines; opinions become entrenched; prospects of resolving the crisis are shattered“. 427 Um die Freier zu beruhigen und weil er erkennt, dass die Versammlung ihm nicht folgen wird, zieht Telemachos in Hom. Od. 2,210 seinen bisherigen Antrag zurück und wendet sich dann im Vers 211 explizit wieder der gesamten Volksversammlung zu. Er bittet also nicht die Freier als Privatpersonen, sondern durch die Versammlung das Gemeinwesen als Ganzes um Schiff und Besatzung. 428 Vgl. HÖLKESKAMP 2002, S. 317f.

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ein: „Wir aber haben die Stütze der Stadt (ἕρμα πόληος) erschlagen: sie, die unter den jungen Edlen in Ithaka die weit besten waren“.429 Eine Reaktion, zumindest vonseiten der Angehörigen der ermordeten Freier, ist unvermeidbar und Odysseus erwägt deshalb die Flucht aus Ithaka.430 Doch letztendlich entscheiden er und Telemachos zu kämpfen, und damit dem Gemeinwesen noch mehr Schaden zuzufügen. Trotz des Versuches durch Odysseus, die Ermordung der Freier geheim zu halten,431 wird die Nachricht mittels ‚face to face‘ Kommunikation schnell im ganzen Gemeinwesen verbreitet.432 Dass sich dieser Affäre nun eine Volksversammlung annehmen muss, ist für alle Mitglieder des Gemeinwesens etwas Selbstverständliches und benötigt keiner weiteren Rechtfertigung. Daher ist auch keine Einberufung der Versammlung notwendig, sondern man versammelt sich aus eigener Initiative heraus.433 Die Initiative in der Volksversammlung selbst kommt mit Eupeithes aber natürlich wieder einem Vertreter der Elite zu. Dieser ist als Akteur auch selber direkt betroffen, da er der Vater des ermordeten Freiers Antinoos ist. Doch sein erstes Argument für eine gemeinschaftliche Aktion gegen Odysseus ist nicht der Mord an den Freiern: Fre u nd e ! W a hr ha fti g , e i n ge wa lt i ge s We r k hat d ie se r Ma nn d e n Ac h a i er n e r so n n e n ! Die ei ne n ha t er i n de n Sc hi ffe n mi t g e führt, die viel e n und ed le n, u nd d ie ge wö lb te n S c hi f fe z u gr u nd e ger i c ht et u n d z u gr u nd e ge r ic h te t a uc h d ie M ä n ne r . Die a nder e n aber hat er ge töt et, al s er her k a m, d ie wei t be s te n unter de n Kep ha lle n. 434

Eupeithes erinnert also vielmehr daran, dass Odysseus allein aus Troia zurückgekehrt ist. Dieser hat als schlechter Anführer alle, die ihm einst folgten, in den Tod geführt und auch die Schiffe, mit denen er nach Troia zog, sind verloren gegangen.435 Odysseus hat also dem Gemeinwesen einen großen Verlust an 429 430 431 432

Hom. Od. 23,121f.: ἡμεῖς δ' ἕρμα πόληος ἀπέκταμεν, οἳ μέγ' ἄριστοι / κούρων εἰν Ἰθάκῃ. Vgl. Hom. Od. 23,117–122. Vgl. Hom. Od. 23,130–140. Vgl. Hom. Od. 24,413f.: „Ossa aber, das Gerücht, die schnelle Botin, ging rings in der Stadt umher / und verkündete den bitteren Tod der Freier und ihr Todesverhängnis“ – ὄσσα δ' ἄρ' ἄγγελος ὦκα κατὰ πτόλιν ᾤχετο πάντῃ / μνηστήρων στυγερὸν θάνατον καὶ κῆρ' ἐνέπουσα. 433 Vgl. Hom. Od. 24,413–420. 434 Hom. Od. 24,426–429: ὦ φίλοι, ἦ μέγα ἔργον ἀνὴρ ὅδε μήσατ' Ἀχαιούς· / τοὺς μὲν σὺν νήεσσιν ἄγων πολέας τε καὶ ἐσθλοὺς / ὤλεσε μὲν νῆας γλαφυράς, ἀπὸ δ' ὤλεσε λαούς, / τοὺς δ' ἐλθὼν ἔκτεινε Κεφαλλήνων ὄχ' ἀρίστους. Durch die Nennung der ‚Kephallenen‘ soll wohl klar gemacht werden, dass Odysseus auch Angehörige benachbarter Gemeinwesen (vgl. Hom. Od. 24,353–355) ermordet, und damit das Gemeinwesen auch über die Polisgrenzen hinweg in Schwierigkeiten bringt. In der Ilias (Hom. Il. 4,330) wird das gesamte Kontingent, welches Odysseus anführt, als Kephallenen bezeichnet – siehe dazu GSCHNITZER 1971, S. 14. 435 Die negativen Folgen des Kriegszuges scheinen für alle Beteiligten überwogen zu haben. So hat etwa Nestor bereits im dritten Gesang der Odyssee dem Telemachos berichtet, dass man einst nach Troia ausgezogen war, um Beute (ληίς) zu machen, aber nur Tod

102 Die homerische und hesiodische Dorfgemeinschaft

Menschen und darüber hinaus auch einen hohen ökonomischen Schaden zugefügt. Erst danach spricht Eupeithes die aktuelle Transgression des Odysseus an. Seine Forderung ist klar: Odysseus muss durch das Gemeinwesen zur Rechenschaft gezogen werden.436 Doch auch die Freunde des Odysseus sind in der Versammlung und sprechen für ihn. Die Tatsache, dass Odysseus am Leben war, als die Freier seinen oíkos plünderten und seine Ehefrau entehrten, wird nun in der Tat gegen sie verwendet.437 Diese Argumentation ist zumindest teilweise erfolgreich, denn sie verhinderte eine Konsensentscheidung der Volksversammlung gegen Odysseus. Das versammelte Gemeinwesen ist sich nicht mehr sicher, in welcher Handlungsweise dem Gemeinwohl am besten gedient wäre. Vielmehr spaltet sich der versammelte dēmos in eine kleinere Gruppe, welche die Handlung des Odysseus als gerechtfertigt ansieht, und eine größere Gruppe, die dem Eupeithes folgt, um den Mord an den Freiern kollektiv zu bestrafen. 438 Damit zerfällt die institutionelle Ordnung des Gemeinwesens von Ithaka und was folgt, könnte man vielleicht als ‚Bürgerkrieg‘ bezeichnen. Da der Teil des dēmos, welcher sich gegen eine Bestrafung des Odysseus ausgesprochen hat, sich aber nicht gegen die Mehrheit stellt, sollte man die Situation vielleicht doch anders beschreiben.439 Die Ordnung des Gemeinwesens ist aufgrund der sowohl heroischen als auch asozialen Handlungen der Penelope und des Odysseus zwar zerfallen, durch die Entfernung der Devianten aus dem Gemeinwesen könnte diese aber wiederhergestellt werden. Genauso wie die Vernichtung der Freier der zwangläufige Weg für Odysseus ist, um die Ordnung in seinem oíkos wiederherzustellen, ist die Vernichtung des Odysseus und seines oíkos der zwangsläufige Weg für den dēmos, um die Ordnung im Gemeinwesen wiederherzustellen. Odysseus hat Alternativen, doch aufgrund seiner asozialen Heroität kann er sie nicht ergreifen. Ebenso wird dem dēmos eine Alternative aufgezeigt. Zumindest ein Teil des dēmos ergreift diese auch, was aber nur zu seiner Spaltung und damit zu einem entscheidenden Machtverlust des dēmos führt. Nun erst wird es

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und Elend gefunden habe (vgl. Hom. Od. 3,102–119). Dieses Thema durchzieht den gesamten troianischen Sagenkreis und so verwundert es nicht, dass in der Kypria Odysseus versucht, dem Kriegszug nach Troia zu entgehen, indem er Wahnsinn vortäuscht (vgl. Kypria, EpGF (Davies) p. 31,41–43). Vgl. Hom. Od. 24,430–437. Vgl. Hom. Od. 24,454–462. Die Einschätzung von SCHMITZ 2004a, S. 327, die Freier seien „schuldlos schuldig“ geworden, trifft also vollständig zu. Vgl. Hom. Od. 24,463–466. FLAIG 2013, S. 178–180, sieht hierin einen gescheiterten Mehrheitsbeschluss, womit die Idee des Mehrheitsbeschlusses dem Dichter bereits bekannt gewesen sein muss. Dies ist möglich, aber nicht zwingend, da in allen anderen homerischen Versammlungen das Konsensprinzip gilt. Wahrscheinlicher ist, dass die geschilderte soziopolitische Ordnung wohl einfach keine Mehrheitsentscheidung kennt. Weiter geht etwa BARKER 2009, S. 107–113, der die ganze Affäre als „Eupheites‘ revolt“ (S. 111) bezeichnet, damit aber die institutionelle Stellung des Odysseus vollständig überschätzt.

103 Zusammenfassung

für die Hörer des Epos glaubhaft geworden sein, dass ein einzelner Angehöriger der Elite sich einer kollektiven Aktion durch den dēmos erfolgreich wiedersetzen kann.440 Odysseus kann nun den entscheidenden Kampf, im Kontext der Heldendichtung, nicht verlieren. Doch hätte ein (dichterisch notwendiger) Sieg des Odysseus die Ordnung des Gemeinwesens von Ithaka nicht wiederhergestellt. Vielmehr hätte ein solcher Sieg das Ende der Polis bedeutet. Daher muss Athena, mit der Autorität des Zeus ausgestattet, direkt eingreifen und einen vollständigen Sieg des Odysseus verhindern.441 Doch leider lassen sich von der Intervention der Göttin nur die Gegner des Odysseus aus dem dēmos beeindrucken. Odysseus, asozialer Held, der er nun einmal ist, verfolgt die bereits fliehenden Ἰθακήσιοι weiter und hätte sie auch alle vernichtet – und damit sein Gemeinwesen – wenn Zeus nicht doch noch selber interveniert hätte.442

6.6.

Zusammenfassung

Es hat sich gezeigt, dass mit den früharchaischen βασιλεῖς eigentlich kein ‚Staat‘ zu machen war. Gegen sie war dies mit Sicherheit aber auch nicht möglich. In Krisensituationen waren die Gemeinwesen auf ihre βασιλεῖς angewiesen. Dies galt vor allem bei einer äußeren Bedrohung eines Gemeinwesens oder auf Kriegs- und Plünderungszügen, wenn also ein Gemeinwesen selbst zur äußeren Bedrohung für andere geworden war. Auch in Friedenszeiten waren die Gemeinwesen auf die Autorität der βασιλεῖς angewiesen. So etwa in der Streitschlichtung, aber auch als Wortführer und Meinungsmacher in der Volksversammlung, falls in einer Ausnahmesituation diese zusammentreten musste. Die Volksversammlung, im Krieg wie im Frieden, ist dabei das am stärksten institutionalisierte Element in der soziopolitischen Ordnung, wie sie indirekt in den homerischen und hesiodischen Texten geschildert wird. Die Volksversammlungen scheinen allen erwachsenen, männlichen Mitgliedern eines Gemeinwesens offen gestanden zu haben. Zwar gehen die Initiativen in den Versammlungen in der Regel von der Elite aus. Dennoch scheinen auch Vertreter der unterelitären Schicht das Recht besessen zu haben, sich zu Wort zu melden. Eine gewisse egalitäre Qualität kann man dieser Institution also nicht absprechen. Ebenso müssen Entscheidungen in den Volksversammlungen stets im Konsens gefällt werden. Kann ein einzelner Vertreter der Elite, aufgrund seiner individuellen Macht, sich einer konsensualen Entscheidungsfindung verweigern, bringt er sein Gemeinwesen mitunter in arge Bedrängnis. Fühlt sich ein Teil des Gemeinwe440 Zusätzlich bekommt Odysseus auch noch Unterstützung durch Athena (Hom. Od. 24,520–524), sodass er zumindest Eupeithes töten kann. 441 Vgl. Hom. Od. 24,526–534. 442 Vgl. Hom. Od. 24,539–544.

104 Die homerische und hesiodische Dorfgemeinschaft

sens, auch ohne konsensuale Entscheidung der Volksversammlung, zum Handeln genötigt, bricht die Ordnung des Gemeinwesens zusammen. Doch trotz aller Defizite der ‚Volksversammlung‘, ist diese die einzige Institution der homerischen und hesiodischen Gesellschaftsordnung, durch welche gemeinschaftliches und gemeinsinniges Handeln durchgesetzt und perpetuiert werden kann. Dies zeigt sich vor allem in den homerischen Versammlungen, wie sie in der Ilias und der Odyssee beschrieben werden. In diesen sind es dann die unterelitären Teilnehmer, die durch ihre Unmuts-bekundungen und Gesten der Zustimmung eine gemeinsinnige Entscheidung für das Gemeinwesen herbeiführen. Denn es sind die unterelitären Schichten, welche es gewohnt sind, nachbarschaftliche Solidarität zu üben, so wie man dies in der Darstellung der hesiodischen Dorfgemeinschaft erkennen kann. Diese nachbarschaftliche Solidarität ist als soziale Institution zwar in ihrer räumlichen Reichweite begrenzt und durchdringt nicht die gesamte Siedlungsgemeinschaft gleichermaßen. Vielmehr muss man von einem Netzwerk nachbarschaftlicher Solidargemeinschaften innerhalb einer Siedlungsgemeinschaft ausgehen, abhängig von der Größe und Struktur der Siedlung. In der ἀγορά findet sich aber die soziale Institution der nachbarschaftlichen Solidarität auf das ganze Gemeinwesen übertragen und zu einer genuin politischen Institution verdichtet. Die ἀγορά ist damit eine Institution mit einem grundsätzlich egalitären Charakter. Zu einer ‚demokratischen‘ Institution hat dies die Volksversammlung aber nicht gemacht, da der Einfluss der Elite in der Festlegung der Agenda und der Hinführung zu einer Entscheidung zu prägnant war. Vor allem war es aber der Ausnahmecharakter, der die homerische ἀγορά nicht zu einer Institution der ‚Herrschaft des Volkes‘ werden ließ. Dennoch war die Volksversammlung mehr als nur ein partizipatorisches Element. Nur durch sie wurde gemeinschaftliches, politisches Handeln möglich. Individuelles Handeln gegen den Willen des versammelten Gemeinwesens kam dem Ausschluss aus dem Gemeinwesen gleich. Gegen jeden soziopolitisch-evolutionären Trend zeigt sich die Verdichtung und Institutionalisierung politischer Elemente nicht als ein Prozess von Hierarchisierung und Exklusion. Vielmehr erscheint die ἀγορά, welche sich als der versammelte δῆμος – also potenziell alle erwachsenen, männlichen Mitglieder des Gemeinwesens, unabhängig ihrer sozialen Stellung – darstellt, als die zentrale politische Institution. Allein von dieser kann, zumindest situativ, Herrschaft ausgehen. Nach allem, was man erkennen kann, bietet allein die egalitäre und inkludierende Institution der Volksversammlung die Möglichkeit, als Entwicklungsmotor einer fortschreitenden Verdichtung politischer Strukturen zu dienen. Nur von dieser Institution konnten die Impulse ausgehen, welche es im Verlauf des 7. Jahrhunderts vielen griechischen Gemeinwesen ermöglichte, die Grenze zur Staatlichkeit zu überschreiten.443 Es ist also nicht direkt die Dorfgemein443 So auch schon HÖLKESKAMP 1997, S. 15: „In Homers agora schneidet sich die Polis als befriedeter Raum und als geordnete Gemeinschaft von Menschen. Hier, in ihrer eigenen

105 Zusammenfassung

schaft, welche als Ursprung demokratischer und staatlicher Strukturen im vorstaatlichen, früharchaischen Griechenland zu identifizieren ist, sondern vielmehr die homerische ἀγορά. Diese ist die einzige Institution, welche zum gemeinschaftlichen und gemeinsinnigen politischen Handeln in der Lage scheint. Der Grund dafür kann nur sein, dass sie als einzige Institution von den unterelitären, bäuerlichen Mitgliedern des Gemeinwesens, zumindest potenziell, dominiert werden konnte. Diese potenziell dominante Gruppe war es dann auch, die es, anders als die Elite, als Dorfgemeinschaft gewohnt war, nachbarschaftliche Solidarität zu üben und gemeinsinnig zu handeln.

Mitte – und eben nicht durch Zentralisierung und Hierarchisierung von Machtpositionen und Herrschaftsrollen, wie anglo-amerikanische und marxistisch inspirierte Staatsentstehungstheorien zumeist als allgemeine Grundkonstante voraussetzen – beginnt mit der Institutionalisierung der Versammlung und der Verregelung ihrer Entscheidungsverfahren die Konsolidierung der Polis und die Entfaltung ihrer besonderen Staatlichkeit“. Dies spricht aber nicht, wie Hölkeskamp meint, gegen die „anglo-amerikanische[n] […] Staatsentstehungstheorien“, also gegen das evolutionäre Staatsentstehungsmodell, sondern lässt nur das Besondere an der griechischen Form von Staatlichkeit besser zutage treten.

106 Politische Institutionalisierungsprozesse im 7. und 6. Jahrhundert

7. POLITISCHE INSTITUTIONALISIERUNGSPROZESSE IM 7. UND 6. JAHRHUNDERT

7.1.

Das Gesetz von Dreros – Die Schwelle zur Staatlichkeit wird überschritten

Die Phase des 7. Jahrhunderts bringt es mit sich, dass man über die soziopolitischen Strukturen der einzelnen, archäologisch durchaus verortbaren Gemeinwesen eigentlich nichts mehr aussagen kann. Die späteren Überlieferungen zu dieser Epoche sind wenig geeignet, mehr als nur Spekulationen zu ermöglichen. Jede Rekonstruktion einer Ereignisgeschichte verbietet sich daher.444 Aus dem archäologischen Befund lassen sich selbstverständlich Informationen zu den einzelnen Gemeinwesen gewinnen, etwa zur materiellen Kultur, zur Siedlungsstruktur und Siedlungsgröße. Bedingt lassen sich aus den archäologischen Zeugnissen auch Rückschlüsse über die demographischen und ökonomischen Gegebenheiten ziehen. Die sozialen und politischen Strukturen einzelner Gemeinwesen können aber aufgrund des archäologischen Befundes alleine nicht rekonstruiert werden.445 Die literarischen Quellen beschränken sich auf einige Frag444 Anders etwa PARKER 1997, der meint, trotz der disparaten Quellenlage (vgl. S. 11–24), aus den vorhandenen Traditionen den sogenannten ‚Lelantischen Krieg‘ als erstes greifbares historisches Ereignis in der griechischen Geschichte, in die Phase von 710 bis 650 v. Chr. datieren zu können (vgl. S. 59–93). Die Problematik solcher Überlegungen, also wann der ‚Lelantische Krieg‘ stattgefunden haben könnte bzw. ob es ihn überhaupt gegeben hat, verdeutlicht hingegen nachvollziehbar J. HALL 2007, S. 4–8. 445 Die Möglichkeit, aus dem materiellen Befund gleichsam einen archäologischen ‚Fingerabdruck‘ zu nehmen und diesen dann mit anderen archäologischen Fingerabdrücken von Gesellschaften zu vergleichen, deren soziopolitische Ordnungen durch schriftliche Quellen oder ethnologische Beschreibungen rekonstruierbar sind, kann nur Indizien zur Beschreibung der rein archäologisch fassbaren Gesellschaften bieten. Eine tatsächliche Rekonstruktion soziopolitischer Strukturen erlaubt auch diese Methode nicht. Siehe dazu aber die optimistischere Einschätzung von MORRIS 2000, besonders S. 3–33; ebenso den konkreten Versuch von KISTLER / ULF 2005 ethnologische Idealtypen im archäologischen Befund der ‚Dunklen Jahrhunderte‘ zu verorten, allerdings unter Zuhilfenahme der zeitlich später zu verortenden homerischen Texte. Gerade aus Bestattungsbefunden in Lefkandi, auch wenn diese nach „attischer Manier“ stattgefunden haben, Heiratsallianzen

107 Das Gesetz von Dreros – Die Schwelle zur Staatlichkeit wird überschritten

mente lyrischer Dichtung, deren genaue zeitliche Verortung innerhalb des 7. Jahrhunderts nicht möglich ist.446 Außerdem gibt es eine Handvoll fragmentarischer Inschriften, bei denen aber schon allein die groben Zuordnungen in das 7. Jahrhundert selten unumstritten sind. Nur aufgrund der homerischen und hesiodischen Texte hat man umfangreichere literarische Quellen, welche einen Einblick in die soziopolitische Ordnung447 der griechischen Welt um das Jahr 700 v. Chr. ermöglichen.448 Doch die zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts bleibt damit immer noch ein Hiatus in der historischen Überlieferung. Dies ist umso ärgerlicher, da gerade in dieser Phase in verschiedenen griechischen Gemeinwesen die Schwelle zur frühen Staatlichkeit anscheinend überschritten worden ist. Ein solzwischen der dort ansässigen Elite und der athenischen Elite zu postulieren, um „die Zufuhr von attischem Trink- und Eßgeschirr für den Eigenbedarf, aber auch für den Güteraustausch mit anderen führenden Familien im östlichen Mittelmeergebiet zu sichern“ (S. 275), ist hochspekulativ und keinesfalls die einzige sinnvolle Erklärung. Zu dem ganzen Problemkomplex des Verhältnisses zwischen Archäologie und Geschichtswissenschaft siehe jetzt J. HALL 2014, S. 1–16, besonders S. 13–16. 446 Vgl. LATACZ 1998, S. 144–149. 447 Dass die Ordnung, welche in diesen Texten sichtbar wird, nicht nur eine soziale, sondern auch schon eine ‚politische‘ ist, hat HAMMER 2002, S. 19–48, gezeigt. Denn die öffentliche Diskussion und Entscheidung der Fragen, welche die Gemeinschaft als Ganzes betreffen, ist auch ohne die Existenz von staatlichen Strukturen bereits genuin politisch. Wobei, entgegen der Einschätzung von Hammer, zumindest mit der homerischen ἀγορά eine genuine politische Institution besteht und nicht nur eine Form von „performance of politics“ (S. 48). 448 Die sogenannten ‚Homerischen Hymnen‘, von denen die frühsten möglicherweise bereits im 7. Jahrhundert entstanden sind, sollen dabei nicht unter der Kollektivbezeichnung ‚homerische Texte‘ mit eingeschlossen werden. Im begründeten Einzelfall, also wenn eine Datierung des entsprechenden Textes in das 7. Jahrhundert wahrscheinlich gemacht werden kann, können einzelne Hymnen als Quellen herangezogen werden. Im Allgemeinen ist der Quellenwert dieser Texte für die soziopolitische Ordnung der früharchaischen Zeit aber sehr begrenzt – zu den Hymnen siehe etwa JANKO 1982, besonders S. 99–187. Noch problematischer ist der Quellenwert der Texte aus dem sogenannten ‚Epischen Zyklus‘ zu bewerten. Bei diesen handelt es sich um sechs kürzere Epen, welche beginnend mit den ‚Kyprien‘ die Geschichte der griechischen Heroenzeit von der Hochzeit des Peleus mit Thetis bis zum Tod des Odysseus in der ‚Telegonie‘ behandeln. Im Gegensatz zu den Hymnen wurden diese Werke nur während der archaischen Zeit Homer zugeschrieben (vgl. FOWLER 2004, S. 221 Anm. 46). Da diese Epen heute bis auf Fragmente und spätere Zusammenfassungen verloren sind, können sie, trotz eines vermuteten teilweisen hohen Alters (vgl. DOWDEN 2004; anders etwa M. DAVIES 1989, welcher zumindest die Endfassungen der im ‚Epischen Zyklus’ enthaltenen Werke an das Ende der archaischen Epoche datiert), nicht zu einer Erhellung der homerischen Gesellschaftsordnung beitragen. Zu den Schwierigkeiten bei der Betrachtung des „Epischen Zyklus“ siehe FOLEY 1999, hier S. 106: „For one thing, the poems that have been grouped under this rubric must inevitably constitute what we would call a miscellany. Although many of them add information about the story of Troy and other mythological material not contained in the Iliad and Odyssey, there seems to be no other principal of inclusion or exclusion. […] Second, their origin and authorship must remain in dispute“.

108 Politische Institutionalisierungsprozesse im 7. und 6. Jahrhundert

ches Überschreiten, betrachtet unter einer evolutionären Perspektive, lässt sich nun allerdings mit dem sogenannten ‚Gesetz von Dreros‘ beobachten. Damit bildet diese Überlieferung die Ausnahme von der Regel und ist somit in ihrer Bedeutung nicht zu überschätzen. Die Entstehung des ‚Gesetzes von Dreros‘ wird gemeinhin zwischen 650 und 600 v. Chr. datiert449. Damit stammt aus der Polis Dreros450 die älteste inschriftlich erhaltene gesetzliche Regelung in der griechischen Welt. Ebenso scheint dadurch das Gesetz zeitlich kurz vor den ordnungsstiftenden ‚Reformen‘ von Drakon und Solon in Athen und den ordnungsstiftenden ‚Reformen‘ in Sparta, welche mit dem Namen des Lykurg verbunden sind, datiert werden zu können. Da kaum eine Datierung für die homerischen oder hesiodischen Texte diese nach 650 v. Chr. verorten will, scheint das Gesetz von Dreros außerdem zeitlich nach der schriftlichen Fixierung dieser Texte entstanden zu sein. Die soziopolitische Ordnung, welche mit diesem frühen griechischen Gesetzestext schlaglichtartig beleuchtet wird, könnte somit ein Bindeglied zwischen der vorstaatlichen, homerisch-hesiodischen Ordnung und den frühen staatlichen Ordnungen bilden, welche sich zu Beginn des 6. Jahrhunderts in der griechischen Welt formierten. Der Gesetzestext selbst lautet nun folgendermaßen: So ha t e n ts c hi ed e n d ie P o li s: W e n n e i ner Ko s mo s ge we se n i st, so ll f ü r z eh n J a hr e d ers elb e n ic h t Ko s mo s s ei n. W e n n er al s K o s mo s a mt i er t : gl ei c h, wa s er ge u r te il t ha t, so l l er sc huld e n ei n Do p p elt es, und er so ll unb ra uc hb ar sei n , so la nge er l ebt, und wa s e r al s Ko s mo s ve r fü gt h at, so l l ni c ht i g sei n . Eid e sl ei st er so l le n se i n d er Ko s mo s 451 und d ie Da mi oi und d ie Z wa n z i g d er S ta d t. 452

Die Forschung ist sich nun weitestgehend darin einig, dass es sich hierbei um eine Reglung der Iteration der Obermagistratur des kósmos handelt. Zumindest im 4. Jahrhundert sah Aristoteles in dieser kretischen Magistratur ein kollektives Gremium mit zehn Mitgliedern.453 Ob dies für das 7. Jahrhundert auch schon zutraf, ist aber nicht zu belegen. Einzig, dass der ‚Kosmos‘ als Amtsträger aus dem Gesetz von Dreros für die Rechtsprechung zuständig gewesen ist, scheint unbe449 Zum ‚Gesetz von Dreros‘ siehe grundlegend den Kommentar von KOERNER 1993, S. 333–338, und die Untersuchung von SEELENTAG 2009, mit Verweisen auf die ältere Forschung, sowie SEELENTAG 2015, S. 139–163. 450 Zur Polis Dreros siehe PERLMAN 2004, S. 1157f., u. ZOGRAPHAKI / FARNOUX 2014. 451 Zumindest aus späteren Quellen geht hervor, dass mit dem Singular κόσμος auch das Kollegium aus mehreren Kosmen bezeichnet wird (vgl. LINK 1994, S. 97). Generell zum Amt des Kosmos in den kretischen Gemeinwesen siehe LINK 1994, S. 97–112. 452 Die Übersetzung stammt aus HGIÜ I, Nr. 2; die interpretierenden, aber sicherlich korrekten Ergänzungen der Übersetzer wurden hier bewusst weggelassen. Der Originaltext, in kretischer Schrift und dorisch-kretischen Dialekt verfasst, stammt aus KOERNER 1993, Nr. 90: ἇδ᾿ έϝαδε πόλι· ἐπεί κα κοσμήσει δέκα ϝετίον τὸν ἀ- / ϝτὸν μὴ κόσμεν· αἰ δὲ κοσμησίε, ὁ[π]ε δικακσίε, ἀϝτὸν ὀπῆλεν διπλεῖ καϝτὸν / ἄκρηστον ἦμεν, ἇς δόοι, κὄτι κοσμησί, μηδὲν ἤμεν. / ὀμόται δὲ κόσμος κοὶ δάμιοι κοἰ ἴκατι οἱ τᾶς πόλ[ιο]ς. 453 Vgl. Aristot. pol. 1272a 8.

109 Das Gesetz von Dreros – Die Schwelle zur Staatlichkeit wird überschritten

streitbar. Ebenso ist nicht zu beantworten, ob unter dem Begriff ‚Polis‘, welcher bis zum Gesetz von Dreros nur im siedlungstechnischen Sinn Verwendung fand, das Gemeinwesen als Ganzes oder ein kollektives Entscheidungsgremium, wie etwa die homerische Volksversammlung, verstanden werden muss.454 Wer oder was auch immer unter ‚Polis‘ zu verstehen ist, diese Institution scheint der Souverän im Gemeinwesens von Dreros zu sein. Denn von dieser Institution geht zum einen die Festsetzung der politischen Ordnung aus, indem eben eine Iterationsbeschränkung für das Amt der Kosmos gegeben wird. Zum anderen wird auch eine strafrechtliche Regelung durch die ‚Polis‘ vorgenommen, falls es zu einem Verstoß gegen die politische Ordnung, also der Iterationsbeschränkung, kommen sollte. In einer abschließenden Regelung wird noch einmal bekräftigt, dass im Falle eines Verstoßes gegen die Iterationsbeschränkung die Entscheidungen des ordnungswidrig amtierenden Kosmos ungültig sein sollen. Dies müsste sich aus der Iterationsbeschränkung automatisch ergeben, doch für das Gemeinwesen scheint es aber eine Notwendigkeit gewesen zu sein, dies explizit zu regeln. Die restlichen fassbaren Institutionen werden dann am Ende der Regelung noch durch die ‚Polis‘ per Eid verpflichtet, die gegebene politische Ordnung zu gewährleisten. Man erkennt in diesem Gesetz sehr gut die Unsicherheiten, welche in der Entstehungsphase einer politisch institutionalisierten Ordnung, also einer frühen Form von Staatlichkeit, bestanden. Zwar hatte die ‚Polis‘ den Anspruch, für die Festlegung der politische Ordnung zuständig zu sein, doch konnte sie sich dabei offenbar nicht sicher sein, dass von allen politischen Akteuren in Dreros dieser Anspruch auch akzeptiert wurde. Daher hielt es die ‚Polis‘ für erforderlich, zugleich mit einer Normierung im Bereich der politischen Grundordnung auch die mögliche Verletzung dieser Ordnung auf der institutionellen Ebene mit einer strafrechtlichen Konsequenz zu belegen. Das Gemeinwesen von Dreros sah es als notwendig an, die rechtlich-politische Konsequenz aus der Regelverletzung zu explizieren. Denn der ‚Polis‘ erschien es offensichtlich als eine sehr reale Möglichkeit, dass ein Kosmos gegen die Iterationsregeln bestimmt werden könnte, um dann seine Amtsvollmachten auch auszuüben. Diese Unsicherheit des vermeintlich souveränen Gesetzgebers verliert sich dann in der späteren griechischen Gesetzgebung, da in stärker entwickelten staatlichen Gemeinwesen die Einhaltung der politischen Ordnung vorausgesetzt wird. Dies bedeutet natürlich nicht, dass in solchen stärker entwickelten staatlichen Gemeinwesen alle politischen Akteure immer die politische Ordnung akzeptiert haben. Doch sind diese dann eben als Tyrannen betrachtet worden, die gegen die politische Ordnung agierten und sich selber außerhalb der politischen Ordnung stellten. Auch 454 Vgl. dazu SEELENTAG 2009, S. 76–70, hier S. 80: „‹Die Polis› beinhaltet alle oder einige Institutionen von Dreros oder sie ist die gemeinsame Summe des Demos und der Institutionen. Der Demos selbst ist in ‹der Polis› vielleicht lediglich inkorporiert; in unserer Inschrift ist er jedenfalls keine eigenständige Größe“.

110 Politische Institutionalisierungsprozesse im 7. und 6. Jahrhundert

waren Ausnahmeregelungen immer möglich. Doch das Selbstverständnis der späteren ‚Verfassungsgesetzgebung‘ war eine andere. Die unhinterfragte Befolgung wurde erwartet, die verfassungsmäßige Ordnung eines Gemeinwesens wurde als unverfügbar betrachtet. Genau diese Unverfügbarkeit der politisch institutionalisierten Ordnung war in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts in Dreros aber noch nicht gegeben. Dies zeigt den evolutionären Übergangscharakter der politischen und institutionellen Ordnung dieser kretischen Polis. Das Gemeinwesen von Dreros stand mit einem Bein bereits auf der Stufe zur Staatlichkeit, in welcher die Akzeptanz der institutionalisierten politischen Ordnung erwartet wird. Mit dem anderen Bein stand das Gemeinwesen aber noch auf der Stufe einer vorstaatlichen Ordnung, wie sie in den homerischen Texten erscheint. In einer solchen kann sich ein einzelner asozialer Vertreter der Elite jederzeit entscheiden, sich selber außerhalb der Ordnung zu stellen. Auch die Verfasser des Gesetzes von Dreros scheinen mit dieser Möglichkeit gerechnet und daher die entsprechenden Vorkehrungen getroffen zu haben.

7.2.

Die Zugangsmechanismen zur Elite im 7. und 6. Jahrhundert

Im weiteren Verlauf des 7. Jahrhunderts scheinen sich die Tendenzen verstärkt zu haben, einen sozialen und politischen Vorrang vornehmlich mit der ökonomischen Leistungsfähigkeit zu verbinden. Dies war wohl ursächlich mit einer sich verschärfenden sozioökonomischen Stratifikation verbunden. Möglicherweise kann man auch erst jetzt von einer wirklichen Führungsschicht sprechen. Zumindest in dem Sinne, dass eine solche sich nun eindeutig vom restlichen δῆμος abgrenzen konnte, da die Angehörigen dieser Schicht nicht mehr selber auf ihren Landgütern mitarbeiten mussten.455 Das 7. Jahrhundert war eine Zeit des Experimentierens, in welcher verschiedene Organisationsformen von einer sozioökonomischen Elite angestrebt worden sind, durch welche die vorhandene Macht der Elite in eine Form von institutionalisierter Herrschaft überführt und ein Abschließen gegen sozioökonomische Aufsteiger ermöglicht werden sollte. Letztendlich waren diese Bemühungen aber erfolglos.456 Eines dieser Experimente lässt sich schemenhaft in der Überlieferung zu den Bakchiaden erkennen.457 Zwar sind alle überlieferten Informationen über die Bakchiaden untrennbar mit 455 Vgl. etwa J. HALL 2007, S. 127–131. 456 Ähnlich auch SCHMITZ 2008, besonders S. 50–63, der diese Entwicklungsphase aber als „Verpaßte Chancen“ bezeichnet und die Möglichkeit sieht, dass sich in dieser Zeit eine „stabile aristokratische Herrschaft und eine verstetigte Anordnungsmacht“ (S. 50) hätte herausbilden können. 457 Vgl. zu den Bakchiaden WILL 1955, S. 295–362, u. SALMON 1984, S. 55–74.

111 Die Zugangsmechanismen zur Elite im 7. und 6. Jahrhundert

Kypselos verbunden. Doch setzt die Tradition den Beginn der Herrschaft dieser elitären Gruppe in die Mitte des 8. Jahrhunderts.458 Kypselos soll dann in der Mitte des 7. Jahrhunderts ihrer Vorherrschaft ein Ende gesetzt und sich selbst zum Tyrannen über Korinth aufgeschwungen haben.459 Herodot berichtet nun, dass die Polis Korinth einst von einer oligarchischen Gruppe beherrscht wurde (ἦν ὀλιγαρχίη […] ἔνεμον τὴν πόλιν), welche man als Bakchiaden bezeichnete (Βακχιάδαι καλεόμενοι). Diese zeichnete sich nun des Weiteren dadurch aus, dass die Mitglieder nur innerhalb der eigenen elitären Gruppe Heiratsverbindungen eingingen (ἐδίδοσαν δὲ καὶ ἤγοντο ἐξ ἀλλήλων).460 Hier muss nun nicht notwendigerweise an eine Gruppe gedacht werden, in welcher alle Mitglieder tatsächlich blutsverwandt waren und eine strikte Endogamie pflegten. Denn als weiteres Merkmal der Gruppenidentität definierten sich die Mitglieder über eine gemeinsame Abstammung von Herakles bzw. von Bakchis, dem fünften mythischen König von Korinth.461 Derartige Abstammungsmythen sind in aller Regel als Transzendenzbehauptungen zu verstehen und spiegeln nicht tatsächliche Gegebenheiten wieder.462 Diese elitäre Gruppe ist aber deswegen nicht identisch mit dem, was die klassischen und nachklassischen Autoren unter Phylen verstehen würden, die ja auch als Abstammungsgemeinschaften verstanden worden sind. Herodot kennt dann auch keinen Begriff, welcher diese Gruppe bezeichnen könnte, zumindest keinen über den herrschaftstechnischen hinaus.463 Darüber hinaus findet sich bei Diodor eine Tradition, nach welcher die Gruppe aus zweihundert Individuen bestand, die gleichermaßen an der Herrschaft Anteil hatten und jährlich einen der ihren zum πρύτανις bestimmten.464 Diese Tradition über die Bakchiaden lässt an die frühe Form einer weitgehend akephalen Clanstruktur denken, die ähnlich den frühen gentes in Rom noch relativ egalitär organisiert war.465 Doch anders als in Rom konnte sich diese Herrschaftsstruktur nicht in einem Hierarchisierungs- und Institutionalisierungsprozess durchsetzen und zur Grundlage der sich entwickelnden Staatlichkeit des korinthischen Gemeinwesens werden.466 Die Struktur der Herrschaft der 458 Vgl. Diod. 7,9,6. Wobei diese Angabe in Abhängigkeit steht von der Datierung des ‚Herrschaftsantrittes‘ durch Kypselos, für den es zwei Datierungen gibt. Die frühe Chronologie datiert diesen auf das Jahr 657/56 v. Chr. und die späte auf 625 bzw. 615 v. Chr. – siehe dazu GEHRKE 1990, S. 34–37, der sich selbst für die frühe Chronologie ausspricht. 459 Zu Kypselos siehe SALMON 1984, S. 186–196, u. DE LIBERO 1996, S. 137–150. 460 Vgl. Hdt. 5,92,1. 461 Vgl. Diod. 7,9,4 u. Paus. 2,4,4. 462 Siehe dazu unten Kap. 5.2; außerdem die Untersuchung von VARTO 2015 zu frühgriechischen Genealogien als intentionale Geschichte. 463 Erst in späteren Quellen, wie etwa bei Strabo (geogr. 8,6,20), werden die Bakchiaden als ein γένος bezeichnet. 464 Vgl. Diod. 7,9,6; siehe dazu außerdem Paus. 2,4,4. 465 Vgl. LINKE 1995, S. 74–77. 466 Vgl. LINKE 1995, S. 70–104.

112 Politische Institutionalisierungsprozesse im 7. und 6. Jahrhundert

Bakchiaden erwies sich für den griechischen Kulturraum nicht nur als etwas Ungewöhnliches, sondern unter dem Gesichtspunkt der Entstehung von Staatlichkeit als eine evolutionäre Sackgasse.467 Denn nach einer Phase der Vorherrschaft einzelner Mächtiger aus einer Familie (Kypselos und den Kypseliden),468 wohl vergleichbar der Herrschaft der Peisistratiden in Athen, wurde wahrscheinlich am Ende des 6. Jahrhunderts Korinth zu einer klassischen Oligarchie. Über diese oligarchische Herrschaftsordnung sind allerdings keine Einzelheiten bekannt.469 Es gibt aber keinerlei Anzeichen dafür, dass die Differenzierung der politischen Rechte der männlichen korinthischen Bürgerschaft anders als nach ökonomischen Kriterien erfolgte. Zu einer gewissen geburtsständischen Abschottung mag es seit der archaischen Zeit in den athenischen génē gekommen sein. Diese stellten genuine Kultvereinigungen dar, in welchen mitunter die Stellung des Priesters in einer Familie vererbt wurde.470 Nach Bernhard Linke gibt es sogar „vielfältige Hinweise darauf, daß ursprünglich große Teile der sakralen Aufgaben von Priestern wahrgenommen wurden, die ihre Funktionsausübung als Mitglieder von Priestergeschlechtern auf der Basis des Geburtsrechtes legitimieren konnten“. 471 Diese erbliche Besetzung scheint sich dann auch gehalten zu haben. Dennoch konnten diese Familien aus ihrer sakralen Stellung keine politische Macht gewinnen. Vielmehr scheint die weitere Institutionalisierung der Polis dazu geführt zu ha467 Noch unklarer ist die Herrschaft der Penthiliden in Mytilene auf Lesbos zu erkennen (vgl. WELWEI 1998, S. 84f.), deren ‚Clanherrschaft‘ vielleicht vergleichbar mit der der Bakchiaden gewesen ist und genauso scheiterte. Wohl aber kennt Aristoteles eine solche Herrschaftsform als vierte Form der Oligarchie, er nennt sie δῠναστεία. Nach Aristoteles entsteht sie, wenn die Vermögenskonzentration so hohe Ausmaße annimmt, dass die kleine Gruppe der Superreichen sich nicht mehr um die Gesetze kümmern muss (vgl. pol. 1293a 26–34) – siehe zur δῠναστεία auch J. MARTIN 1978. 468 Vgl. SALMON 1984, S. 186–230, u. DE LIBERO 1996, S. 135–178. Dass die Stellung der archaischen Tyrannen weniger als absolute Alleinherrschaften denn als Vorherrschaft eines Individuums in einem klassischen oligarchischen Herrschaftssystems gesehen werden sollte, ist von ANDERSON 2005 überzeugend dargelegt worden. 469 Vgl. SALMON 1984, S. 231–239: Es gab wohl einen Rat mit 80 Mitgliedern und möglicherweise auch eine allen Bürgern zugängliche Versammlung. Über Zensusschranken für den Zugang zum Rat bzw. den existierenden Magistraturen ist nichts bekannt. Die Bezeichnung Korinths in den klassischen und nachklassischen Quellen als Oligarchie macht die Existenz von Zensusschranken aber wahrscheinlich. Auch über Amtsdauer, Iteration, Bestellungsmodus etc. für Rat und Magistraturen sind keine Informationen überliefert. Siehe außerdem STICKLER 2010, S. 24–66, der die 13. Olympische Ode des Pindar als Quelle für die innere Ordnung des korinthischen Gemeinwesens mit heranzieht. Allerdings ist nicht wirklich zu erkennen, inwieweit dies zu einem Erkenntnismehrwert in Bezug auf das politische System der Polis Korinth führt. 470 Vgl. dazu BOURRIOT 1976, besonders S. 526–547; ROUSSEL 1976, besonders S. 65–78; R. PARKER 1996, S. 56–66; N. JONES 1999, S. 242–249; LINKE 2005, besonders S. 15–25. 471 LINKE 2005, S. 19.

113 Die Zugangsmechanismen zur Elite im 7. und 6. Jahrhundert

ben, dass es zu einer „Neutralität der sakralen Sphäre“ gekommen ist.472 Da die Aufgaben des Priesters in solchen Kultvereinigungen wohl aber mit beträchtlichen Kosten verbunden gewesen waren, ist es auszuschließen, dass eine verarmte priesterliche Familie ihre Stellung in einem génos bewahren konnte. Der Primat der ökonomischen Potenz wird also auch hier gegeben gewesen sein. Weitere Hinweise auf einen Versuch geburtsständischer Abschottung glaubt man in verschiedenen lyrischen Fragmenten der Dichter des siebten und sechsten Jahrhunderts ausmachen zu können. Vor allem die Gedichte, welche dem Theognis von Megara zugeschrieben werden,473 dienten vor allem der älteren Forschung häufig als Belege, dass es eine geburtsständige Schicht im archaischen Griechenland gegeben habe. Diese politische Elite soll des Weiteren nicht notwendigerweise mit einer ökonomischen Elite, eben den Reichen, identisch gewesen sein.474 So scheint Theognis eheliche Verbindungen zwischen einer geburtsständig geschlossenen Gruppe von ‚Edlen‘ (ἐσθλοί) und ‚Guten‘ (ἁγαθοί) mit einer Gruppe zu beklagen, welche nur ihr Reichtum (πλοῦτος) auszeichnet, die ansonsten aber zu den ‚Schlechten‘ (κακοί) gehören: W id d e r u nd E s e l wo l le n wi r , K yr no s, u nd P fe r d e , vo n g uter Ab st a m mu n g ( ε ὐγ εν έ ας) ha b e n, u nd g u te wä h lt m a n für di e Zuc h t, aber d i e s c hle c ht e (κ ακ ὴν ) T o cht er e i ne s sc h lec h te n Ma n ne s z u h eira te n ma c h t ei n e m ed l en ( ἐσθ λὸ ς) M a n n ni c ht s au s, so b ald s ie ih m vi el Ge ld (χ ρ ήμ α τ α) b ri n gt, und a uc h ei ne Frau we i ger t si c h ni c ht, Gat ti n ei nes sc hlec hte n Ma nne s z u se in , der rei c h (π λο υσ ίο υ) is t; d e n b e g ü ter te n ( ἀ φν ε ὸ ν ) zi e ht sie d e m g ute n ( ἀγ αθο ῦ) vo r. Ge ld vere hre n si e. U nd ei n ed ler ni mmt e i ne Fr a u a u s sc hlec h ter Fa mi l ie, ei n schlec hter ei ne a u s guter : Re ic ht um mi sc ht d ie Ga tt ung γ έν ο ς) . 475

472 LINKE 2005, S. 25–37, hier S. 25. 473 Bei allen Problemen mit der Zuordnung der dem Theognis zugeschriebenen Verse und der genauen zeitlichen Verortung der Dichterpersönlichkeit aus Megara, wird man doch davon ausgehen können, dass es eine ganze Reihe von Versen gibt, welche von einem realen Theognis in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts verfasst wurden. Diese Verse gewähren damit zumindest einen schemenhaften Einblick in die sozialen und politischen Auseinandersetzungen im archaischen Megara – siehe dazu LATACZ 1998, S. 210–216. Einen neueren Überblick über die Forschung bietet SELLE 2008, S. 20–38 u. 63–102, der selber allerdings nur das sogenannte ‚Siegelgedicht‘ (Theogn. 19–26 bzw. 19–38) als mit hoher Wahrscheinlichkeit einer historischen archaischen Dichterpersönlichkeit namens Theognis zuweisbar akzeptiert (vgl. SELLE 2008, S. 228–321). 474 Vgl. etwa DOVATUR 1972, hier S. 84: „In einer ganzen Reihe von Gedichten spricht Theognis über die materielle Ungleichheit, die die Teilung in Reiche und Arme hervorruft, aber nicht mit der Teilung in Edle und Unedle identisch ist“. In der neueren Forschung kann beispielhaft auf die Untersuchung von SELLE 2008 verwiesen werden. Dieser geht davon aus, dass in dem Werk des Theognis eine „Machtteilung zwischen Angehörigen des Adels und Nichtadligen“ erkennbar ist, in „einer Gesellschaft, in der Angehörige beider Stände über institutionell gesicherten oder informellen Einfluss verfügen und um bestimmte Ämter konkurrieren“ (S.265f.). 475 Theogn. 183–190: Κριοὺς μὲν καὶ ὄνους διζήμεθα, Κύρνε, καὶ ἵππους / εὐγενέας, καί τις βούλεται ἐξ ἀγαθῶν / βήσεσθαι· γῆμαι δὲ κακὴν κακοῦ οὐ μελεδαίνει / ἐσθλὸς ἀνήρ, ἤν οἱ χρήματα πολλὰ διδῶι, /οὐδὲ γυνὴ κακοῦ ἀνδρὸς ἀναίνεται εἶναι ἄκοιτις / πλουσίου,

114 Politische Institutionalisierungsprozesse im 7. und 6. Jahrhundert

Gerade durch die Einleitung der Klage mit einer Metapher aus der Tierzucht wird hier die geburtsständige bzw. von Natur aus vorhandene Überlegenheit der Gruppe der ‚Guten und Edlen‘ besonders betont. Die Frage ist nun, inwieweit diese Verse die soziopolitische Realität im archaischen Megara widerspiegeln oder ob diese nur einen Anspruch des Dichters aufzeigen, der möglicherweise auf die individuellen Umstände des Verfassers zurückzuführen ist. Vor allem Elke Stein-Hölkeskamp hat gezeigt, dass hier Letzteres wahrscheinlich gemacht werden kann. So müsse man bei dem (oder auch den) Dichter(n) eher mit den „unglücklichen und larmoyanten ‚Absteigern‘“ rechnen.476 Von einem geburtsständig abgeschlossenen Adel, welcher durch eine neue Elite ersetzt zu werden drohte, sei nicht grundsätzlich auszugehen.477 Dennoch, so Stein-Hölkeskamp weiter, sei gelegentlich in den Versen ein „neuer Faktor zur alleinigen Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur Gruppe der agathoí erklärt und damit verabsolutiert: ‚adlige‘ Geburt – εὐγένεια“.478 Doch es ist wenig wahrscheinlich, dass εὐγένεια für Theognis irgendetwas vergleichbar dem modernen Verständnis von ‚adliger Abstammung‘ bedeutet haben kann. Denn das Kriterium der familialen Abstammung als Determinante einer gesellschaftlichen Vorangstellung reicht bei ihm nie über die Elterngeneration hinaus.479 Eine vom Reichtum unabhängige ‚Standestugend‘ (ἀρετή) mag von Theognis immer wieder postuliert werden. Doch scheinen solche Postulate oft mit der Erfahrung des Verlustes von (eigenem) Reichtum und (eigener) Macht verbunden zu sein. Das Phänomen, über welches in den archaischen Quellen reflektiert wird, ist also das einer generellen sozialen Mobilität nach

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ἀλλ’ ἀφνεὸν βούλεται ἀντ’ ἀγαθοῦ. / χρήματα μὲν τιμῶσι· καὶ ἐκ κακοῦ ἐσθλὸς ἔγημε / καὶ κακὸς ἐξ ἀγαθοῦ· πλοῦτος ἔμειξε γένος. Vgl. STEIN-HÖLKESKAMP 1989, S. 86–93, hier S. 87. Vgl. STEIN-HÖLKESKAMP 1989, S. 90: „In den ‘Theognidea‘ finden sich jedenfalls auch eine Reihe von Indizien und Belegen dafür, daß es sich beim Aufstieg der sogenannten kakoí weder um die generelle Aufwertung mittlerer und unterer Schichten, noch um die Entstehung einer deutlich von der alten Elite zu unterscheidenden, ganz neuen Führungsschicht handelte. Vielmehr okkupieren diese kakoí jetzt auch Statusmerkmale, die seit jeher für die Zugehörigkeit zu den agathoí konstitutiv waren: Sie sind nunmehr ebenfalls wohlhabend und dementsprechend politisch einflußreich und können deshalb grundsätzlich auch durchaus in die Elite einer Gesellschaft aufsteigen, in der ja seit frühester Zeit weder eine deutlich ausgeprägte Vorstellung von Standesprädestination aufgrund von ‘adliger‘ Geburt, noch die damit verbundenen eindeutigen, unüberwindbaren religiös-sakralen und / oder formalrechtlichen Barrieren zwischen den verschiedenen Schichten die Zusammensetzung der Gruppen an der Spitze der sozialen Pyramide auf Dauer festschrieben“. STEIN-HÖLKESKAMP 1989, S. 92; siehe auch STEIN-HÖLKESKAMP 1997, wo noch einmal betont wird, dass es keine ‚Standesabgrenzungen‘ gab und alle Kriterien, aufgrund derer die Autoren des Corpus Theognideum gesellschaftlichen Vorrang beanspruchten, keine gesellschaftlich akzeptierte Wirklichkeit widerspiegelten. So zu Recht VAN WEES 2000, S. 64.

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oben und unten.480 Eine Auch ist Reichtum stets die Voraussetzung, um solche ‚Tugenden‘ überhaupt zu besitzen.481 Vereinfacht lässt sich sagen, dass derjenige zur Elite gehörte, der es sich leisten konnte, wie die Elite zu leben. Andererseits bedeutet dies natürlich auch, dass es nicht ausreichte, nur reich zu sein. Um Teil der Elite zu werden, musste der Einzelne einen Lebensstil pflegen, welcher ihn von dem Rest der Bevölkerung abhob. Dazu gehörte etwa die politische Betätigung, zu der er ja abkömmlich war. Ohne diese wäre er aber kaum der politischen Elite zugerechnet worden, weder von den Mitgliedern dieser Führungsschicht noch von den Angehörigen der anderen Schichten. Weitere solcher notwendigen Statusmerkmale waren etwa ein aufwendiger Lebensstil (z. B. kostenintensive Kleidung und Schmuck), Beteiligung an Symposien, Teilnahme an panhellenischen Wettkämpfen und die Aufrechterhaltung von Gastfreundschaftsbeziehungen.482 Da es auch innerhalb dieser ‚leisure class‘ eine ökonomische Differenzierung gegeben hat und nicht jedes Mitglied all diese Ansprüche in gleichem Umfang erfüllen konnte (oder auch wollte), kam es dadurch zu einer Hierarchisierung innerhalb der Elite. Voraussetzung zum Zugang zur Elite und der Mechanismus der Binnendifferenzierung in der Elite blieb aber die ökonomische Leistungsfähigkeit. Dies bringen auch Alkaios wohl einige Jahrzehnte vor und Pindar einige Jahrzehnte nach Theognis deutlich zum Ausdruck: χρήματ’ ἄνηρ – „Der Besitz macht den Mann“.483 Deshalb scheint es, wie aus der Klage des Theognis ja 480 Etwa Theogn. 315–318. Im Falle des Dichters war dies wohl deswegen der Fall, weil er in einer Stasis-Auseinandersetzung zu den Verlierern gehörte und ins Exil gehen musste (vgl. TAUSEND 2013). 481 Vgl. VAN WEES 2000, S. 63–66, hier S. 65: „In reality, being a righteous man and having righteous parents was clearly never enough to ensure prestige and power, and Theognis […] admits that wealth mattered a great deal“. 482 Zum Unterschied zwischen den bäuerlichen oíkoi und den oíkoi der Elite siehe SCHMITZ 2008, S. 39–42; zur Lebensweise der Elite, gerade auch als Abgrenzungsmerkmal zu den anderen sozialen Schichten, siehe etwa DONLAN 1980; STEIN-HÖLKESKAMP 1989, S. 104–122; FLAIG 1998; DUPLOUY 2006, S. 37–250. Ergänzen könnte man noch die Überlegungen von MORRIS 1987, besonders S. 72–155, nach welchen sich die Elite in Attika in den Zeiträumen von etwa 1050 bis 750 v. Chr. und 700 bis 510 v. Chr. durch den Ausschluss der unteren Schichten von Begräbnisritualen von diesen Abgrenzen wollte. Zu den Problemen mit dieser Interpretation siehe aber BOEHRINGER 2005, S. 116–119, der dazu Anmerkt: „Die Primärverbrennung mit dem Opfer in den Opferrinnen war ein feierlich inszeniertes Spektakel. In diesem Bestattungsritual sehe ich daher durchaus ein Mittel der Abgrenzung des Adels. Diese Abgrenzung blieb jedoch für jeden imitierbar, der das wollte und konnte. Von einem standesartigen Abschluss des Adels kann deshalb keine Rede sein“ (S. 118). 483 Alk. fr. 360 L.-P. = Schol. Pind. Isthm. 2,17 u. Pind. 1,11. Eine Ausnahme mögen hier die soziopolitischen Ordnungen in den kretischen Gemeinwesen dargestellt haben. Für diese berichtet Aristoteles (pol. 1271b 40–1272b 23) nämlich, dass die Oberbeamten (kósmoi) und der Rat, deren Mitglieder nur aus den ehemaligen Oberbeamten erwählt wurden, die Gemeinwesen beherrschen. Die Volksversammlung kann nur, wie auch in

116 Politische Institutionalisierungsprozesse im 7. und 6. Jahrhundert

ganz deutlich hervorgeht, eben kein wirkliches gesellschaftliches Tabu gewesen zu sein, dass ‚die Guten‘ (und ‚Reichen‘) und ‚die Reichen‘ (und ‚Schlechten‘) sich familiär verbanden. Die agathoí mussten, um agathoí zu sein, natürlich auch reich sein und nur ihnen stand, so der Dichter, der Reichtum eigentlich zu.484 Dass die kakoí, die zu Reichtum und dadurch zu politischem Einfluss in der Polis gekommen waren, dadurch zu agathoí wurden, muss auch Theognis als eine soziale Realität anerkennen. Natürlich weist er aber dieses Prinzip selbst vehement zurück.485 Damit wird klar, dass es also die Neureichen sind, welche für den Dichter nicht im eigentlichen Sinne agathoí sein können. Durch diese Feststellung kommt man dann zu der eigentlichen Unterteilung der megarischen Elite, wie sie von Theognis vorgenommen wurde. Hier steht nun den Neureichen nicht eine geburtsständige Erbaristokratie gegenüber. Vielmehr sollte man mit einer Gruppe von Reichen rechnen, welche ihren Reichtum und damit ihre Macht ererben konnte. Für diese Reichen genügte es, wenn auch nur der Vater bereits reich und damit mächtig gewesen war. Sie waren dadurch eben schon Teil des ‚old money‘.486 Für diesen Begriff gibt es nun auch tatsächlich im Griechischen eine Entsprechung: παλαιόπλουτος. Leider ist dieser aber nicht direkt für die archaische Zeit belegt und auch ansonsten ein eher seltener Terminus.487 Dessen

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Sparta, den Vorlagen der genannten Institutionen zustimmen oder diese ablehnen. Der Unterschied zwischen Kreta und Sparta bestehe aber nun darin, dass die Oberbeamten in Kreta nur aus gewissen Geschlechtern (Aristot. pol. 1272a 34: ἐκ τινῶν γενῶν) erwählt wurden. SEELENTAG 2013, S. 324 merkt dazu zwar an, dass die kretische Elite „ihre soziale Überlegenheit auf eine dauerhafte Basis zu stellen und durch Institutionen abzusichern“ vermochte, was in der Tat auf einen Adel im eigentlichen Sinn hindeuten würde. Er stellt aber auch klar, dass allein die Fremdzuschreibung des elitären Status durch die Gemeinschaft als Ganzes entscheidend war. Diese Fremdzuschreibung wurde wohl primär durch die Tatsache bestimmt, dass im kretischen System der institutionalisierten Mahlgemeinschaften (andreía) die Reichen die weniger begüterten Bürger mitfinanzierten und so deren Bürgerstatus gewährleistet wurde – siehe SEELENTAG 2013, S. 336–338, hier S. 337: „Wieder waren es ganz maßgeblich die reicheren Bürger der Polis, die mit ihrem beträchtlichen Zehnten den von ihnen selbst verzehrten Anteil des Gemeinschaftsmahles erheblich überschritten. Die Reicheren ernährten die Ärmeren also mit. […] Vor allem verschaffte die Beisteuer ihnen einen uneinholbaren Prestigevorsprung; denn mit gleichen Mitteln konnten sich die weniger Reichen bei ihnen nicht revanchieren. Dem Gebot der Reziprozität konnten sie nur mit Gehorsam, mit der Anerkennung der sozialen und politischen Überlegenheit der Reichen entsprechen“. Dennoch will Seelentag an der Bezeichnung ‚Adel‘ für die kretische Elite festhalten. So etwa sollte wohl Theogn. 523–526 verstanden werden. Vgl. Theogn. 39–58. Zu diesem Begriff und dem Selbstverständnis der sich dazu Zählenden siehe ALDRICH 1996, besonders S. 29–69. Vgl. Athen. pol. 6,2 u. Phil. virt. 187; den Begriff nicht auf Personen bzw. Personengruppen anwendend: Thuk. 8,28,3; Cass. Dio 27,90,1; Ael. NA 2,11 u. VH 6,9; außerdem bei Konstantin VII. Porphyrogennetos, De legationibus 159,30 und De virtutibus et vitiis

117 Die Zugangsmechanismen zur Elite im 7. und 6. Jahrhundert

ungeachtet scheint Theognis vornehmlich nach diesen Kriterien die Elite in ‚gute‘ und ‚schlechte‘ Reiche geteilt zu haben. Die Verse des megarischen Dichters spiegeln den Versuch etablierter Vertreter einer Elite wieder, sich gegen Aufsteiger abzugrenzen und eine moralisch-sittliche Überlegenheit zu beanspruchen. Derartige Versuche sind nun nicht auf die megarische Gesellschaft des 6. Jahrhunderts begrenzt, sondern können bis in die Gesellschaften der Gegenwart nachverfolgt werden. In ihrer tatsächlichen gesellschaftlichen Wirkung sind solche Bestrebungen jedoch meist von äußerst beschränkter Wirkung, da am Ende eben doch nur der Reichtum und die daraus resultierende Macht zählen.488 Die untrennbare Verbindung von Macht und Reichtum, unabhängig von irgendeiner Idee einer Standeszugehörigkeit qua Geburt, als konstitutives Merkmal einer Elite, findet sich dann auch in den Gedichten des Solon: […] d e m Vo l k nä ml i c h gab ic h so v ie l An te il wie ge n u g i st, vo n se i ner E hre na h m i c h n ic ht s, hab ‘ n ic ht s d az ub e g e hr t. Die aber Mac h t ( δύν αμ ι ν ) b e s a ß e n u nd d ur c h Re ic ht u m (χ ρ ήμ ασ ιν ) i n Ac ht u n g s ta nd e n, a u c h d e ne n hab e ic h k l u g v e r we h r t u n z ie ml i c he s z u hab e n ! 489

Macht und Reichtum bzw. Besitz sind als Statusmerkmale untrennbar miteinander verbunden, beides setzt einander voraus. Aber nur der Reichtum bzw. Besitz ist messbar. Deswegen ist es dann wohl auch nahliegend für Solon gewesen, die institutionalisierte Machtverteilung – also die Herrschaft – nach Vermögensgruppen zu organisieren.490 Dies war aber nur eine Institutionalisierung bereits bestehender soziopolitischer Verhältnisse.491 Es sollte nicht als Übergang von

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2,268,5. Er eignet sich also eher nicht, um ihn als einen antiken Begriff für ein antikes Phänomen zu benutzen. Gerade in einem System, welches eine hohe soziale Mobilität gewährleistet, sind solche Abgrenzungsmechanismen schwierig zu etablieren. Siehe hierzu etwa VAN WEES 2000 mit seinem instruktiven Mafiavergleich, auch wenn es wohl nicht nur die Stasis war, welche den Akteuren im archaischen Megara ermöglichte, durch Gewalt aufzusteigen. Die ökonomischen Unterschiede werden noch nicht so unüberwindbar gewesen sein, dass einige sehr gute Ernten in Folge einem Vollbauern nicht den Aufstieg in die Elite ermöglicht haben könnten. Solon fr. 7 Latacz = fr. 5 West = fr. 7 L.-P. = fr. 5,1–4 Diehl: δήμωι μὲν γὰρ ἔδωκα τόσον γέρας ὅσσον ἐπαρκεῖν, / τιμῆς οὔτ’ ἀφελὼν οὔτ’ ἐπορεξάμενος· / οἳ δ’ εἶχον δύναμιν καὶ χρήμασιν ἦσαν ἀγητοί, / καὶ τοῖς ἐφρασάμην μηδὲν ἀεικὲς ἔχειν. Der deutsche Text folgt der Übersetzung von Joachim Latacz, wurde in den Versen 5,3 und 5,4 aber leicht modifiziert. Vgl. dazu unten Kap. 7.3. Im Ansatz so etwa auch WELWEI 1992, S. 178f., hier S. 179: „Die Sozialstruktur der athenischen Führungsschicht hat sich aber nach der Gesetzgebung Solons wohl kaum wesentlich verändert“.

118 Politische Institutionalisierungsprozesse im 7. und 6. Jahrhundert

der Herrschaft eines Geburtsadels zu der einer timokratischen Elite missverstanden werden.492 Dennoch gab es natürlich eine politische Elite, welche sich aus der ökonomischen Elite rekrutierte.493 Teilweise konnten Familien ihren ökonomischen Status, und damit verbunden ihre politische Macht, über mehrere Generationen hinweg halten, gerade auch im demokratischen Athen. Selbst ein Verweis auf die Leistungen der Vorfahren konnte für den eigenen Status mitunter vorteilhaft sein.494 Allerdings musste dann in der Regel dieser Verweis mit dem Rekurs auf eine gemeinsinnige Leistung erfolgen. Daher konnte daraus keine generelle Zuschreibung von Herrschaftsbefähigung durch die übrigen Bürger an die Mitglieder der Elite mit prominenten Vorfahren entstehen. Der Verweis auf die Abstammung blieb in den politischen Auseinandersetzungen im klassischen Athen eher die Ausnahme.495 Auch hier war es stets der Reichtum, der einen Bürger zum Teil der Elite werden ließ.496 Wie zur Zeit des Alkaios und zur Zeit des Pindar bestimmte auch noch am Ende der klassischen Epoche der persönliche Reichtum die soziale oder institutionalisierte politische Stellung eines Mannes. Eine Ausnahme war bis zu einem gewissen Grad nur dann möglich, wenn er 492 Diese Ansicht findet sich etwa bei DE STE. CROIX 2004, S. 6f., hier S. 7: „[…] it was Solon who achieved the fundamental change by making property instead of blood the standard of political rights“. 493 Es ist schwer zu sagen, ob dies bereits ein ‚Klasse‘ im Sinne von Karl Marx konstituiert. Jedenfalls wurde besonders von Peter Rose (vgl. ROSE 2009 u. ROSE 2012) dieser Begriff wieder stark gemacht und die Entwicklungen in der archaischen Zeit unter dem Blickwinkel eines angenommenen Klassengegensatzes und Klassenkampfes betrachtet. Viele offene Klassenkämpfe in archaischer Zeit kann Rose dann auch nicht ausmachen, da die meisten stáseis eben zwischen Vertretern der Elite stattfanden. So muss er zu dem Trick greifen, einen „hidden class struggle“ im Gegensatz zu einem „open class struggle“ zu postulieren, um z. B. die Sklaverei unter diesem Aspekt zu fassen (vgl. ROSE 2012, S. 39–41). Man kann aber dennoch zugestehen, dass ‘Klasse‘, als eine vornehmlich auf ökonomischer Differenzierung – auch ohne eine kapitalistische Produktionsweise – beruhende Bezeichnung für gesellschaftliche Gruppen, auf die archaischen griechischen Gesellschaften anwendbar ist. Allein der Klassenkampf, sollte es ihn denn gegeben haben, wird keinen großen Anteil an der Entstehung und Weiterentwicklung von staatlichen Strukturen in der griechischen Welt oder gar bei demokratischen Herrschaftsformen in einigen griechischen Gemeinwesen gehabt haben. Auch nicht in dem Sinne, dass die Demokratie das Angebot einer Elite gewesen sei, um fortbestehende soziale und ökonomische Ungleichheiten aufrechtzuerhalten (so die Deutung der kleisthenischen Reformen durch ROSE 2012, S. 350–363). 494 Vgl. TIERSCH 2010. 495 Vgl. MANN 2007, S. 127–141. Den Versuch der Stigmatisierung sozialer Aufsteiger mag es durch deren persönliche Feinde gegeben haben, wie im Fall des athenischen Politikers und Gerbereibesitzers Kleon. Doch auch dieser konnte sich weitestgehend problemlos mit den ‚altadligen‘ Familien von Athen verbinden – siehe dazu MANN 2007, S. 136f. 496 Dies ist von MANN 2007, S. 142–164, aufgezeigt worden, wobei er auch klar darlegt, dass durch den Verweis auf liturgische oder ähnlich Leistungen der einzelne Politiker in der Regel keinen Vorteil in der politischen Auseinandersetzung gewinnen konnte.

119 Die hómoioi – Institutionalisierte Egalität und oligarchische Herrschaft in Sparta

Bürger in einem Gemeinwesen mit institutionalisierter politischer Egalität war: also in einer Demokratie. Eine Form von Egalität wirkte aber in allen griechischen Gemeinwesen, unabhängig davon, ob sie eher demokratisch oder oligarchisch organisiert waren. Dies war aber nicht aufgrund einer Ideologie der ‚Mittleren‘ – getragen von einem Teil der Elite497 – der Fall. Der Grund dafür liegt vielmehr in der stets vorhandenen Möglichkeit für alle Bürger, in eine prinzipiell offene Elite aufzusteigen.498 Dabei ist natürlich nicht zu leugnen, dass aufgrund von vererbtem Reichtum die tatsächlichen Zugangschancen sehr ungleich verteilt waren.

7.3.

Die hómoioi – Institutionalisierte Egalität und oligarchische Herrschaft in Sparta

Über das spartanische Gemeinwesen ist man, nach dem athenischen, für die archaische und klassische Epoche bekanntlich am besten informiert. Dies vorweggenommen, muss aber dennoch festgehalten werden, dass bei der Verortung der Entstehungszeit ‚typischer‘ spartanischer Institutionen in der Forschung keine Einigkeit besteht. Zu denken ist hier etwa an das gemeinschaftliche Erziehungssystem (ἀγωγή) und an die Mahl- und Zeltgemeinschaften (συσσίτια). Diese Uneinigkeit in der Forschung gilt sogar für die Frage, inwieweit diese Institutionen überhaupt eine gesellschaftliche Wirklichkeit darstellten oder ob sie nicht vielmehr nur einen ideologischen Anspruch der spartanischen Gesellschaft verkörpern.499 Ähnliches kontrovers wird in der Forschung auch das Problem der hómoioiIdeologie diskutiert. Gemeint ist damit der spartanische Anspruch nicht nur 497 So MORRIS 1996. 498 Eine gewisse Ausnahme von der Regel stellt vielleicht Sparta dar. Aber nicht da hier die Bedeutung des persönlichen Besitzes nicht grundlegend gewesen wäre: hómoios konnte bekanntlich nur der Spartaner sein, der die Beiträge zu den Syssitien aufzubringen vermochte und zur permanenten Teilnahme an diesen abkömmlich war, also nicht zur eigenen Subsistenz arbeiten musste. Dazu hatte er über einen ausreichend großen klēros samt Heloten zu verfügen und es war wohl die zunehmende Besitzkonzentration in den Händen einiger spartanischer Familien, welche das hómoioi-System am Ende des fünften und zu Beginn des vierten Jahrhunderts ins Wanken brachte (vgl. HODKINSON 2009 [2000], besonders S. 399–441). Vielmehr scheint die Ausnahme in der Existenz des Doppelkönigtums zu liegen, da diese beiden Herrschaftspositionen eindeutig in den zwei Königsfamilien vererbt wurden (vgl. etwa CARTLEDGE 2001, S. 55–67). Allerdings blieb die politisch institutionalisierte erbliche Herrschaftsstellung stets auf die beiden Familien der Agiaden und der Eurypontiden beschränkt und dehnte sich nie auf andere spartanischen Familien aus. 499 Siehe etwa THOMMEN 2004, der auch zeigt, wie ideologische Ansprüche an den Spartamythos in die moderne Forschung eingeflossen sind.

120 Politische Institutionalisierungsprozesse im 7. und 6. Jahrhundert

einer politischen, sozialen, und ökonomischen Egalität, sondern auch einer gleichen Leistungsfähigkeit aller spartanischen Bürger in allen Belangen. Zu Beginn der archaischen Zeit kann davon allerdings noch keine Rede gewesen sein. Denn die spartanische Elite scheint sich nicht wesentlich von den Eliten anderer griechischer Gemeinwesen unterschieden zu haben.500 Wie auch in anderen griechischen Gemeinwesen scheint es im Verlauf des 7. Jahrhunderts in Sparta zu sozialen Spannungen und politischen Verwerfungen gekommen zu sein. 501 Die Appelle des spartanischen Dichters Tyrtaios, in den Kriegsanstrengungen (wohl die des Zweiten Messenischen Krieges in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts) nicht nachzulassen und den Königen treu zu folgen, scheinen nicht mehr ausgereicht zu haben. Es wurden auch im spartanischen Gemeinwesen strukturelle Veränderungen erforderlich.502 Wie auch in Athen werden diese Veränderungen in der späteren Tradition mit einem Kulturheroen als Gesetzgeber 500 Vgl. M. MEIER 1998, S. 18–183. 501 Vgl. M. MEIER 1998, S. 55–69. 502 Siehe VAN WEES 1999, der davon ausgeht, dass die Eunomiagedichte des Tyrtaios (speziell fr. 4 West = fr. 1b [= Plut. Lyk. 6,10] u. 14 [= Diod. fr. 7,12,6 – wobei dieser die Verse nicht dem Tyrtaios zuschreibt, sondern als pythisches Orakel an Lykurg versteht] bei Gentili / Prato = fr. 3a Diehl) keine Anspielungen auf die Große Rhetra (überliefert bei Plut. Lyk. 6,1,4-6,2,1) darstellen, sondern vielmehr zeitlich vor der Rhetra entstanden sind. Nach VAN WEES 1999 wurde in den Gedichten des Tyrtaios die ‚Eunomia‘ auf eine sehr spezifische, traditionelle Weise eingefordert: „This approach to conflict-resolution implied a notion that there was a fixed social order sanctioned by the gods, and that the best (or only) way to restore harmony was to face the discontents with reminders of the divinely sanctioned order, in the form of oracles, rituals and songs“ (S. 25f.). Dies steht für ihn im klaren Gegensatz zur Strategie einer „conflict-resolution through change, through secular social and political reform of the kind enacted by […] the Great Rhetra“ (S. 26). Gegen diese Interpretation hat sich entschieden M. MEIER 2002 gewandt, der für die Rhetra und die Eunomiagedichte anmerkt, „daß die Übereinstimmungen doch beträchtlich sind und daß Differenzen den unterschiedlichen Zielsetzungen der jeweiligen Autoren geschuldet sind“ (S. 87). Dagegen wendet sich noch einmal VAN WEES 2002, der nun aber zugesteht, dass die Datierung der Großen Rhetra zeitlich nach der Entstehung der Gedichte des Tyrtaios nicht sicher ist. Er beharrt aber weiter auf einer grundsätzlichen Unabhängigkeit beider voneinander. Da viele Gedichte des Tyrtaios sich klar auf die kriegerischen Auseinandersetzungen in Messenien beziehen und mit einer größeren innenpolitischen Reform wohl erst nach Abschluss einer solchen langwierigen Auseinandersetzung zu rechnen ist, sollte man aus diesen inhaltlichen Gründen die zeitliche Verortung von van Wees bevorzugen. Allerdings können die Eunomiagedichte des Tyrtaios durchaus auch ein Alterswerk darstellen, in welchen er, nach der erfolgreichen Eroberung Messeniens, sich nun für die Stabilisierung des Gemeinwesens im Inneren einsetzte. NAFISSI 2010 will die Rhetra kurz nach der Schaffensperiode des Tyrtaios verorten, denn diese passe gut „to the climate of the decades immediately after the Second Messenian War“ (S. 112). Allerdings sieht er in der Rhetra keine irgendwann bewusst etablierte politische Grundordnung, sondern vielmehr „the beginning of the legend of the Spartan constitution“ (S. 113). Die Rhetra wäre damit ein Zeugnis für Prozesse, durch welche bereits in archaischer Zeit die politische Ordnung des spartanischen Gemeinwesens durch ihre Anbindung an die Lykurg-Legende unverfügbar gestellt werden sollte.

121 Die hómoioi – Institutionalisierte Egalität und oligarchische Herrschaft in Sparta

verbunden, nämlich mit Lykurg.503 Bereits sein antiker Biograf Plutarch musste allerdings eingestehen, dass die Traditionen zu Leben und Wirken des Gesetzgebers so reichhaltig und verworren sind, dass eigentlich kein ‚historischer‘ Lykurg rekonstruiert werden kann.504 Man sollte Lykurg also als mythischen Gesetzgeber betrachten, der benutzt wurde, um die politische Ordnung des spartanischen Gemeinwesens unverfügbar zu stellen. Die ihm zugeschriebene politische Ordnung bzw. Ordnungen sollte(n) daher losgelöst von seiner Person betrachtet und eher als ein Entwicklungsschritt in der Entstehung des klassischen spartanischen Kosmos eingeordnet werden.505 Dies ist, bei allen Unsicherheiten, deshalb möglich, da in der Lykurgbiografie des Plutarch die sogenannte ‚Große Rhetra‘ enthalten ist. Dieses ‚Grundgesetz‘ ist in der Geschichte, die Plutarch erzählt, zwar als Delphi-Orakel an Lykurg dargestellt,506 bietet wohl aber einen genuinen Einblick in die politische Grundordnung des spartanischen Gemeinwesens am Ende des 7. Jahrhunderts:507 Gr ü nd e e i n Hei li g t u m d e s Z e us S yl la n io s u nd d e r At h a na S yl la ni a, sc h a f f e S tä m me u nd Ge me i nd e n, b e st i m me e i ne n Älte s te nr a t [ = Ger u s ia ] vo n d r e iß i g mi t d e n F ür ste n [ = d ie beid e n sp ar ta ni sc he n Kö ni ge], hal te vo n Zei t z u Zei t e i ne Vo l k sver sa mm lung z wi sc he n B a b yk a u nd K n a kio n. D an n s c hlä g s t d u vo r u nd läß t a b tr e t e n. E n ts c he i d u n ge n u nd B e s tä t i g u n ge n so ll d e m Vo l ke z u ste h e n. 508

Dazu kommt eine Ergänzung und Einschränkung der Rolle des Volkes im institutionellen Zusammenwirken: Wenn d a s Vo l k ab er e i ne fal sc h e E n ts c he id ung t r i f ft, so ll e n di e Ält este n [= di e Gero n te n] u nd d ie F ür st en [= d ie b e id e n sp a rta n is c he n Kö ni ge ] e s ab tr e t en la s se n. 509

Daniel Ogden geht nun davon aus,510 dass der Zusatz zur Großen Rhetra eigentlich aus einer separaten Quelle stammt und älteren Ursprunges ist und „from a

503 Der Erste, der dies tat, war bekanntlich Herodot (1,65f.). 504 Vgl. Plut. Lyk. 1,1. Im Folgenden tut dies Plutarch natürlich trotzdem. Zum Lykurgmythos siehe etwa HÖLKESKAMP 2010. 505 Vgl. dazu DAVID 2007. 506 Durch die Anbindung der soziopolitischen Ordnung nicht nur an einen Kulturheroen, sondern auch an den göttlichen Willen, wird ein weiterer Mechanismus zur Unverfügbarstellung von Ordnungen deutlich. 507 Vgl. WELWEI 2004a, S. 59–69; er datiert aber den Zweiten Messenischen Krieg nach der Großen Rhetra (vgl. S. 70–77). 508 Plut. Lyk. 6,1,4-6,2,1: Διὸς Συλλανίου καὶ Ἀθανᾶς Συλλανίας ἱερὸν ἱδρυσάμενον, φυλὰς φυλάξαντα καὶ ὠβὰς ὠβάξαντα, τριάκοντα γερουσίαν σὺν ἀρχαγέταις καταστήσαντα, ὥρας ἐξ ὥρας ἀπελλάζειν μεταξὺ Βαβύκας τε καὶ Κνακιῶνος, οὕτως εἰσφέρειν τε καὶ ἀφίστασθαι· δάμῳ δὲ τὰν κυρίαν ἦμεν καὶ κράτος. 509 Plut. Lyk. 6,4,5f.: Αἰ δὲ σκολιὰν ὁ δᾶμος ἕλοιτο, τοὺς πρεσβυγενέας καὶ ἀρχαγέτας ἀποστατῆρας ἦμεν. 510 Vgl. OGDEN 1994.

122 Politische Institutionalisierungsprozesse im 7. und 6. Jahrhundert

time before the development of an independent constitutional discourse“511 entspringt. Einen solchen „constitutional discourse“ stelle dann die jüngere, eigentliche Große Rhetra dar. All diese Überlegungen würden natürlich gut in das Bild eines evolutionären Entwicklungsprozesses von Staatlichkeit passen. Aus einer vorstaatlichen Gesellschaftsordnung, in welcher die ‚Könige‘ und ein Ältestenrat letztendlich die Macht haben, formiert sich in einer Zeit innerer und äußerer Spannungen eine stärker institutionalisierte Ordnung. Dieser Prozess kann als das Überschreiten der Schwelle zur Staatlichkeit verstanden werden. Ebenso würde es gut in das Bild eines evolutionären Sonderweges passen, welcher auch in der athenischen Geschichte mit den kleisthenischen Reformen sichtbar wird.512 Allerdings wäre dieser Sonderweg in Sparta dann bereits einen Entwicklungsschritt eher erfolgt. Der Übergang von der vorstaatlichen zur staatlichen Gesellschaftsordnung wäre damit verbunden mit einer Aufwertung der egalitären und partizipatorischen Institution der Volksversammlung. Dem versammelten Volk wird dann auch in der Rhetra die Souveränität zugesprochen: δάμῳ δὲ τὰν κυρίαν ἦμεν καὶ κράτος.513 Zumindest in der klassischen Zeit hatten dann auch alle erwachsenen, männlichen Bürger Spartas Zugang zur Volksversammlung. Dies kann wohl auch schon für die archaische Zeit angenommen werden. Daher könnte man fast versucht sein, Sparta als die erste Demokratie zu betrachten. Das Problem ist nun, dass im weiteren Verlauf der spartanischen Geschichte die anderen bedeutenden politischen Institutionen, also das Doppelkönigtum, die Gerusia514 und das Ephorat, welches in der Großen Rhetra noch keine Erwähnung findet,515 alles andere als demokratische Institutionen waren.516 Bei dem erblichen Königtum der Agiaden und Eurypontiden versteht sich das von selbst. Die spartanischen ‚Könige‘ hatten vor allem in der Kriegsführung und der Außenpolitik größere Kompetenzen und waren qua ‚Königsamt‘ Mitglieder in der Gerusia.517 Die Gerusie und auch das Ephorat standen allerdings prinzipiell allen spartanischen Bürgern offen. Für die Gerusie bezeugt dies Aristoteles, auch wenn er die Ämter der Geronten selbstverständlich der spartanischen Elite 511 512 513 514 515

OGDEN 1994, S. 102. Siehe dazu unten Kap. 8.4. Plut. Lyk. 6,2,1. Vgl. grundlegend F. SCHULZ 2011, S. 91–247. Zur Entstehung und Bedeutung des Ephorats siehe etwa M. MEIER 2000 u. THOMMEN 2003, besonders S. 29–36; außerdem LINK 2000, S. 1–30 u. 61–76, der allerdings davon ausgeht, dass man bereits im Eunomiagedicht des Tyrtaios (fr. 4 West = fr. 1b u. 14 Gentili / Prato = fr. 3a Diehl) mit den δημότας άνδρας, also den „Männern des Volkes“, die Ephoren fassen kann (vgl. besonders LINK 2000, S. 19–30); bereits Herodot (1,65) betrachtete das Ephorat als eine Institution, welche durch Lykurg eingeführt wurde. 516 Besonders klar hat dies jüngst LINK 2010 herausgearbeitet. 517 Siehe etwa MILLENDER 2009, besonders S. 3–26, die etwa auch die dadurch möglichen außerinstitutionellen Machtentfaltungen durch die Frauen der spartanischen Könige betont.

123 Die hómoioi – Institutionalisierte Egalität und oligarchische Herrschaft in Sparta

zuweist.518 Dem entgegen steht aber die tatsächliche Exklusivität beider Ämter. Die 28 Stellen der Geronten wurden auf Lebenszeit (unter den über sechzigjährigen) besetzt. Die fünf Stellen der Ephoren wurden (unter den über dreißigjährigen) zwar nur auf ein Jahr besetzt, hier standen aber ungleich mehr potenziellen Kandidaten zur Verfügung. Fabian Schulz hat für die Gerusie am Ende der Perserkriege – bei aller Schwierigkeit, die Altersverteilung in einer antiken Gesellschaft zu rekonstruieren – geschätzt, dass jährlich vier Stellen für neue Geronten frei wurden. Auf diese freien Stellen kamen im Durchschnitt wohl 245 potenzielle Kandidaten. Erstaunlicherweise offenbart sich aber das Ephorat als noch exklusiver. Denn bei diesem Amt ist wohl davon auszugehen, dass auf jede der jährlich fünf frei werdenden Stellen etwa eintausend potenzielle Kandidaten kamen.519 Auf jede jährlich verfügbare Stelle kamen also durchschnittlich 61 bis 62 Bewerber, wohingegen auf jede Ephorenstelle durchschnittlich 200 Bewerber kamen. Entgegen der Situation in Athen, wo aufgrund der fünfhundert Ratsherrenstellen, die jedes Jahr neu zu besetzen waren, wohl ein großer Teil der athenischen Bürgerschaft nach und nach aktiv an dieser Institution partizipieren konnte, war in Sparta eine intensivere Vorauswahl der Kandidaten notwendig. Bei den Geronten scheint dabei, wie Aristoteles es explizit berichtet,520 ausschließlich auf Kandidaten aus der Elite zurückgegriffen worden zu sein.521 Die Ephoren sollen hingegen, so wieder Aristoteles, oftmals aus dem armen Teil der Bürgerschaft gewählt worden sein.522 Dass ‚arm‘ unter den spartanischen Verhältnissen etwas Relatives war, soll noch gezeigt werden. Jedenfalls sprechen die hohe Exklusivität und die hohe Bedeutung des Ephorates, gerade im 5. Jahrhundert, gegen eine Besetzung dieser Ämter mit Kandidaten, die nicht aus der sozioökonomischen Elite stammten.523 Die politische Macht konzentrierte sich also vermutlich auf einen kleinen Teil der spartanischen Bürgerschaft, welcher es schaffte, die Bekleidung der politischen Ämter zu monopolisieren. Da die Vorrangstellung der ökonomischen Elite aber nicht institutionell verankert war, konnte bei einem 518 Vgl. Aristot. pol. 1271a 9–18 und pol. 1270b 23f. (οἱ δὲ καλοὶ κἀγαθοὶ διὰ τὴν γερουσίαν). Im Ephorat sieht er hingegen ein demokratisches Element, welches als Amt aus dem gesamten Volk besetzt wird (pol. 1270b 25–28). 519 Vgl. F. SCHULZ 2011, S. 122f. 520 Vgl. Aristot. pol. 1270b 23f. 521 Vgl. F. SCHULZ 2011, S. 103–113. 522 Vgl. Aristot. pol. 1270b 7: τὴν ἐφορείαν ἔχει φαύλως. 523 Vgl. dazu etwa SPAHN 1977, S. 105f. u. THOMMEN 2003, S. 35; anders etwa LINK 1994a, S. 68. Dass es auch unter den spartanischen Bürgern eine starke sozioökonomische Differenzierung gegeben hat, wird spätestens seit der Studie von Stephen HODKINSON 2009 [2000] niemand mehr leugnen können. Auch LINK 2011, S. 333–341, zeigt auf, dass es Strategien seitens der ökonomischen Elite in Sparta gab, den Familienbesitz zusammenzuhalten und möglichst zu mehren. Siehe außerdem die konzise Darstellung über die ökonomische Ungleichheit der hómoioi in klassischer Zeit bei THOMMEN 2014, S. 129– 133.

124 Politische Institutionalisierungsprozesse im 7. und 6. Jahrhundert

fehlenden Konsens unter den Mandatsträgern die Volksversammlung als Letztentscheidungsinstanz aber eine größere Bedeutung gewinnen.524 Trotz all dem wurde in Sparta offensichtlich im Verlauf des 6. Jahrhunderts mit der hómoioi-Ideologie ein Konzept entwickelt,525 welches die Gleichwertigkeit aller spartanischen Bürger postulierte. Möglicherweise war mit diesem Konzept ursprünglich nur die Gleichwertigkeit im Kampf gemeint, welche dann auch auf die „Gleichheit im bürgerlichen Dasein“ übertragen wurde.526 Ein solcher Prozess wurde möglich, da mit der Eroberung von Messenien und der Unterwerfung der dortigen Bevölkerung allen spartanischen Bürgern Landbesitz und unfreie ‚Arbeitskräfte‘ zur Verfügung gestellt werden konnten.527 Dies entband alle Spartiaten von der Erwerbsarbeit. Ebenso wurden mehrere Gemeinwesen in Lakonien, wohl schon im Zuge der Genese des spartanischen Gemeinwesens selbst, ebenfalls unterworfen oder ordneten sich mehr oder weniger freiwillig den Spartanern unter.528 Diese im inneren selbstständigen Gemeinwesen der ‚Periöken‘ waren außenpolitisch vollkommen dem Willen Spartas unterworfen und mussten als Teil des lakedaimonischen Gemeinwesens für Sparta kämpfen. Obwohl die meisten der Periöken von der Landwirtschaft gelebt haben werden, übernahmen sie wohl auch als Händler und Handwerker die Aufgaben, welche für die spartanischen Bürger nun nicht mehr infrage kamen.529 Denn durch diese Entwicklung wurde die gesamte spartanische Bürgerschaft zu einer „leisure class“. Selbst die ‚Armen‘ in Sparta gehörten damit unter einem gesamtgriechischen Blickwinkel zu den ‚Wohlhabenden‘.530 524 Es ist LINK 2008 aber sicherlich darin zuzustimmen, dass die politische Ordnung des spartanischen Gemeinwesens „nicht dazu gemacht war, eine echte politische Meinungsbildung zu befördern“ (S. 20). Allerdings sollte man dies nicht als Anzeichen dafür sehen, dass man in Sparta generell politische Entscheidungen vermeiden wollte, sondern es galt dies nur in den Fällen eines fehlenden Konsenses innerhalb der Elite. Dass die Abstimmungen in der spartanischen Volksversammlung dann vor allem durch die Elite benutzt wurden, um die Konsensfähigkeit einer politischen Agenda unter den spartanischen Bürgern zu testen, hat GROTE 2017, besonders S. 11–19, mit Hilfe der aus klassischer Zeit belegten Abstimmungen überzeugend herausgearbeitet. 525 Vgl. LINK 2000, S. 98–119, besonders S. 111–117, u. M. MEIER 2006. 526 Vgl. THOMMEN 2004, S. 128–130, hier S. 130. 527 Die Institution der Helotie existierte allerdings auch in den südlakonischen Gebieten, die zeitlich vor der Eroberung Messeniens unterworfenen worden sind. Allerdings ist zu vermuten, dass vor der Eroberung Messeniens noch nicht jeder spartanische Bürger mit ‚eigenen‘ Heloten und durch diese bearbeiteten Landbesitz bedacht werden konnte. Die Genese der ‚klassischen‘ spartanischen Ordnung wird also erst nach den Messenischen Kriegen erfolgt sein. Zu den Gemeinsamkeiten und den Unterschieden zwischen lakonischen und messenischen Heloten siehe etwa DUCAT 1990, S. 13–18. 528 Vgl. WALLNER 2008, S. 217–232. 529 Vgl. THOMMEN 2014, S. 34–8. 530 Andererseits war der so einmal gewonnene Landbesitz natürlich nicht vor Verschuldung, Verkauf oder gar Erbteilung geschützt, so dass viele Spartaner aus der „leisure class“ auch wieder absteigen konnten (vgl. dazu LINK 1991, S. 69–105.). Da sie dann aber auch

125 Die hómoioi – Institutionalisierte Egalität und oligarchische Herrschaft in Sparta

Diese Entwicklung ermöglichte es dann auch allen Spartanern an den so genannten Syssitien teilzunehmen. Diese Mahlgemeinschaften aller spartanischen Bürger traten an die Stelle der Symposien der vormaligen Elite. Sie waren aber nicht bloß soziale Institutionen mit einem politischen Anspruch, wie dies die Symposien zumindest potenziell sein konnten. Vielmehr stellten die Syssitien die unterste Ebene der politischen Organisation des spartanischen Staates dar. Stefan Link hat diesen Prozess die „Aristokratisierung der Bürgerschaft“ genannt,531 was sachlich nicht falsch ist, ideologisch durch die spartanische Gesellschaft aber ganz anders gesehen wurde. Es wurden eben nicht alle Bürger zu agathoí und aristoí, sondern zu hómoioi. Dieses ideologische Konzept scheint auch in der Fremdwahrnehmung der Spartaner seine Wirkung nicht verfehlt zu haben. Herodot etwa konstruiert sein Gespräch zwischen dem persischen Großkönig Xerxes und dem exilierten spartanischen König Damaratos während der Schlacht an den Thermopylen um diese Idee herum: 532 Damaratos, der ja ein ἀνὴρ […] ἀγαθός sei, solle Xerxes doch sagen, wie viele Lakedaimonier es eigentlich gebe. Auch will der Großkönig wissen, wie viele davon den hier Kämpfenden ebenbürtig seien oder ob dies gar für alle (καὶ ἅπαντες) Lakedaimonier zutreffe. Als Antwort darauf lässt Damaratos den Großkönig wissen, dass zwar alle Lakedaimonier – also inklusive der Periöken – ἀγαθοí seien, aber nicht alle gleich (οὐκ ὅμοιοι) den hier Kämpfenden. Allein die Bewohner der lakedaimonischen Stadt Sparta seien alles ‚Gleiche‘ (πάντες εἰσὶ ὅμοιοι). In diesen Ausführungen wird der spartanische Anspruch sehr deutlich, dass nicht nur alle Spartaner zu den ‚Gleichen‘ (ὅμοιοι) gehören, sondern dass sie als solche vielmehr den ‚Guten‘ (ἀγαθοí) sogar überlegen sind. Wie bereits dargelegt wurde, in Ermangelung eines klaren Terminus, durch die antiken Autoren häufig der Begriff ἀγαθοí benutzt, um die griechische Elite zu benennen. Damit wird bei Herodot also auch der ideologische Anspruch der spartanischen Bürgerschaft deutlich, allen Eliten in allen anderen griechischen Gemeinwesen überlegen zu sein. Daraus folgt dann auch, dass jeder spartanische Bürger, unabhängig von seiner Position in der sozioökonomischen Hierarchie des eigenen Gemeinwesens, im ideologischen Selbstverständnis der Spartaner über jedem Bürger jedes anderen griechischen Gemeinwesens steht. Durch den ideologischen Anspruch der Gleichheit aller spartanischen Bürger konnte offenbar die reale sozioökonomische und auch politische Ungleichheit erfolgreich verdeckt werden. Gestärkte wurde dieses ideologische Ideal auch durch eine Reihe von Gesetzen, welche den materiellen Aufwand, den die nicht mehr in der Lage waren, die Beiträge zu den Syssitien zu bestreiten, an deren Teilnahme ihr Bürgerrecht hing (vgl. oben Kap. 6.3), blieb bei einer stets kleiner werdenden Anzahl von Bürgern das Grundprinzip das Gleiche: Wer spartanischer Bürger war, gehörte der ‚leisure class’ an. 531 LINK 2000, S. 98. 532 Vgl. Hdt. 7,234,1f.

126 Politische Institutionalisierungsprozesse im 7. und 6. Jahrhundert

Spartaner für ihr privates Leben betreiben durften, stark begrenzte.533 Die soziopolitische Ordnung des spartanischen Gemeinwesens wurde durch die Unverfügbarstellung des hómoioi-Ideals stabilisiert. Sparta wurde dadurch im 6. Jahrhundert, zumindest im militärischen Bereich, zum leistungsfähigsten Gemeinwesen in der griechischen Welt. Die spartanischen Bürger in ihrer Gesamtheit wurden zu einer oligarchischen Elite im lakedaimonischen Gemeinwesen, unter welcher die freien Periöken und die unfreien Heloten standen. Im spartanischen Gemeinwesen hingegen gab es innerhalb der Bürgerschaft wiederum eine sich durch ökonomische Leistungsfähigkeit auszeichnende Elite. Deren Angehörige konnten etwa durch größere und bessere Beiträge zu den Gemeinschaftsmählern ihre ökonomische Überlegenheit in soziales Prestige umwandeln,534 indem sie so ihren individuellen Gemeinsinn demonstrierten.535 Dieses so gewonnene soziale Prestige konnte wiederum, zumindest potenziell, als Kapital im politischen Prozess eingesetzt werden. Dennoch sollte die Tatsache, dass alle Spartaner gleichberechtigt an den Mahlgemeinschaften partizipieren konnten, im Hinblick auf die Generierung eines spartanischen Gemeinsinnes, nicht unterschätzt werden. Dies gilt ebenso für die ἀγωγή, welche als notwendige, aber nicht ausreichende Voraussetzung zur Erlangung der vollen bürgerlichen Gleichberechtigung durchlaufen werden musste.536 Unabhängig von der sozialen Herkunft wurde allen spartanischen Kindern in dieser staatlichen Erziehungsinstitution früh die hómoioi-Ideologie nahegebracht. Eine Ausnahme bildeten hierbei die Kinder der amtierenden Könige, die von der Agoge befreit waren. 533 Vgl. LINK 2011, S. 347–354. 534 Siehe etwa HODKINSON 1983, S. 251–254, der nicht nur die Hierarchisierung innerhalb einer Mahlgemeinschaft, sondern auch die Hierarchisierung zwischen den einzelnen Mahlgemeinschaften betont. Siehe dazu auch LINK 2011, S. 341–346, welcher etwa die berüchtigte spartanische Blutsuppe als Abfallprodukt aus der Tierschlachtung interpretiert. Die ökonomisch weniger leistungsfähigen Bürger hätten diese als Notlösung zu den Mahlgemeinschaften beigesteuert und dadurch wäre ihre sozial niedere Stellung für alle anderen Mitglieder der Mahlgemeinschaft (schon rein geschmacklich) offensichtlich geworden. 535 Zu den höheren Beiträgen der Elite siehe Xen. Lak. pol. 5,3: „Aber viele Sonderrationen kommen von der Jagd und die Reichen steuern dazu bisweilen auch Weizenbrot bei“ – πολλὰ δὲ καὶ παράλογα γίγνεται ἀπὸ τῶν ἀγρευομένων· οἱ δὲ πλούσιοι ἔστιν ὅτε καὶ ἄρτον ἀντιπαραβάλλουσιν. Die Bezeichnung der spartanischen Elite als πλούσιοι ἔστιν zeigt deutlich an, dass eine solche in Sparta überhaupt existierte und sich, wie in der übrigen griechischen Welt auch, primär aufgrund ökonomischer Überlegenheit konstituierte. 536 Zum spartanischen Erziehungssystem siehe etwa LINK 1999; DUCAT 1999 u. umfassend DUCAT 2006, besonders S. 69–118; CARTLEDGE 2001, S. 79–90; kritischer sieht KENNELL 1995, besonders S. 5–27, die spätere, nachklassische Überlieferung zur Agoge und plädiert dafür, dass viele Elemente dieser erst im dritten Jahrhundert unter Kleomenes III. und dessen „radical departures from established precedent“ (S. 11) entstanden sind; siehe außerdem WELWEI 2004b, der speziell die Krypteia als späteren Mythos ablehnt.

127 Die hómoioi – Institutionalisierte Egalität und oligarchische Herrschaft in Sparta

Die Königsinstitution war dann auch die einzige politische Institution, welche sich klar von der spartanischen Gleichheitsideologie absetzte. Daher wird es wohl auch nicht verwunderlich sein, wenn die einzige überlieferte Infragestellung der spartanischen Ordnung durch einen spartanischen Vollbürger, den Feldherrn Lysander, einen Versuch darstellte, die Erblichkeit der Vorrechte der Könige abzuschaffen und diese Ämter zukünftig durch Wahl besetzen zu lassen.537 Das spartanische Gemeinwesen war also eine Oligarchie innerhalb der oligarchischen Ordnung des lakedaimonischen Gemeinwesens. Im Gegensatz zum demokratischen athenischen Gemeinwesen gab es aber in Sparta keine institutionalisierten Zensusschranken für Ämter. Dies bedeutet, dass die spartanische Ordnung von den politischen Institutionen aus rein formal betrachtet – so paradox dies klingen mag – weniger oligarchisch war als die athenische. Die tatsächliche Exklusivität der Ämter, allein schon aufgrund ihrer geringen Anzahl, und damit der politischen Herrschaft konnte durch die unverfügbar gestellte Gleichheitsideologie erfolgreich verdeckt werden.538 Diese Gleichheitsideologie sorgte für einen umfassenden Gemeinsinn bei allen Spartanern und half, die politische Ordnung des spartanischen Gemeinwesens, auch über außenpolitische Krisen hinweg, zu perpetuieren.539 Die Antwort des spartanischen Gemeinwesens auf die egalitäre Grunddisposition seiner Bürger wurde also durch ein ideologisches Konzept befriedigt und nicht durch eine tatsächliche gleichmäßige Beteiligung aller seiner Mitglieder an der Herrschaft.

537 Vgl. Diod. 14,13,2 u. Plut. Lys. 24,2–25,3. Generell zur Agoge HODKINSON 1983, S. 245–251. 538 Möglicherweise kann man aber auch für Athen in den Solon zugeschriebenen ‚Luxusgesetzen‘ (vgl. dazu BERNHARDT 2003, S. 33–37) Ansätze einer Gleichheitsideologie sehen, welche die reale und institutionalisierte politische Ungleichheit unter den athenische Bürgern überdecken sollte. 539 Es war letztendlich die Unfähigkeit der Spartaner, ihr ideologisches Konzept, nachdem die hómoioi Teil einer ‚leisure class‘ sein mussten, an sich ändernde ökonomische Bedingungen anzupassen. Dies führte letztendlich zum Niedergang Spartas (vgl. etwa HANSEN 2009, S. 393–396). Es gelang der spartanischen Elite also nicht, die einmal unverfügbar gestellte Ordnung wieder verfügbar zu machen. Erst die Reformkönige des dritten Jahrhunderts, Agis IV. und Kleomenes III., versuchten dies, bekanntlich mit mäßigem Erfolg.

128 Politische Institutionalisierungsprozesse im 7. und 6. Jahrhundert

7.4.

Soziopolitische Entwicklungslinien jenseits von Athen und Sparta

In der hellenischen Welt wird es wohl keine systematische, umfassende Gesetzkodifikation am Übergang des 7. zum 6. Jahrhundert gegeben haben.540 Zumindest werden derartige Prozesse keine gesamtgriechische Erscheinung gewesen sein. Dennoch war es offenbar in klassischer Zeit ein gesamtgriechisches Phänomen, die eigene soziopolitische Ordnung durch den Rekurs auf einen Gesetzgeber unverfügbar zu stellen.541 Am prominentesten, neben den bereits genannten Gesetzgebern aus Sparta und Athen, sind hier wahrscheinlich Zaleukos und Charondas aus dem westlichen Kolonisationsgebiet.542 Die gesetzgeberischen Maßnahmen, welche in der Tradition mit beiden verbunden wurden, deuten weniger auf eine regelrechte Verfassungsgebung bzw. auf eine umfassende Gesetzeskodifizierung hin. Vielmehr scheint das gesetzgeberische Wirken von beiden auf Einzelfalllösungen rechtlicher Probleme und auf die Herstellung von Rechtssicherheit für alle Bürgerschichten gezielt zu haben.543 Damit bleiben zwar beide ein Stück weit hinter den Leistungen zurück, welche Solon und Lykurg zugeschrieben wurden. In der Überlieferungstradition ähneln sie aber dennoch in ihrer Funktion als gemeinsinnstiftende Kulturheroen den beiden zuvor genannten Gesetzgebern. Im kollektiven Gedächtnis der Griechen waren sie mit der Verschriftlichung rechtlicher Normen verbunden. Dieser Prozess kann durchaus, wie bereits erwähnt, als ein Indiz für eine Phase des Überganges von einer vorstaatlichen zu einer staatlichen Ordnung angesehen werden. Athen und Sparta erweisen sich also bei dem Mechanismus der Unverfügbarstellung ihrer jeweiligen soziopolitischen Ordnungen nicht als Sonderfälle. Dass die Institutionalisierung egalitärer und partizipatorischer Strukturen hin zu einem staatlich organisierten Gemeinwesen mit einer demokratischen Herrschaftsform kein athenischer Sonderfall gewesen ist, wurde bereits angedeutet. Es sei an dieser Stelle noch einmal auf das sehr instruktive Beispiel des archaischen Eretria verwiesen, welches eine vergleichbare Entwicklung wie Athen genommen hat. Zwar ist für Eretria kein Gesetzgeber vom Schlag eines Solon 540 Vgl. dazu die grundlegende Studie von HÖLKESKAMP 1999, besonders S. 262–285. 541 Vgl. Aristot. pol. 1273b–1274b; außerdem SZEGEDY-MASZAK 1978; HÖLKESKAMP 1999, S. 44–59; PAPAKONSTANTINOU 2008, S. 63–67. Auch wenn bei weitem nicht für alle griechischen Gemeinwesen ein solcher Kulturheros überliefert ist – einen Überblick der verschiedenen Gemeinwesen mit Gesetzgebern bietet HÖLKESKAMP 1999, S. 67–261. 542 Zur Gesetzgebung durch Zaleukos und Charondas siehe MÜHL 1929; siehe außerdem zur Gesetzgebung des Zaleukos LINK 1992; ZUNINO 1998; HÖLKESKAMP 1999, S. 187–198; zur Gesetzgebung des Charondas HÖLKESKAMP 1999, S. 130–144. Die Historizität der Gesetzgeber spielt für ihre Funktion als ‚Transzendenzmechanismen‘ keine Rolle. Ganz im Gegenteil würde eine zu hohe historische Verfügbarkeit des Gesetzgebers eher die Unverfügbarstellung einer mit ihm verbundenen Ordnung erschweren. 543 Vgl. LINK 1992, S. 20–22.

129 Soziopolitische Entwicklungslinien jenseits von Athen und Sparta

oder Lykurg belegt.544 Doch gibt es in der Gestalt des Diagoras doch einen Reformer, der sich durch den Sturz der Oligarchie auszeichnete.545 Aristoteles deutete diese Entwicklung wohl zu Recht als eine rein innerelitäre Auseinandersetzung,546 da Diagoras sich wenig gemeinsinnig danach selber zum Tyrannen machte.547 Mit seinem Sturz wiederum, wohl 509 v. Chr., konnte sich in Eretria eine wenigstens protodemokratische Herrschaftsordnung entfalten. Zur Etablierung dieser Ordnung scheint dann auch auf die Maßnahmen zu einer umfassenden politischen Institutionalisierung des Gemeinwesens durch Diagoras zurückgegriffen worden zu sein.548 Wie auch immer die Reformen des Diagoras im Einzelnen ausgesehen haben mögen, so scheint er doch auf gewisse egalitäre Bedürfnisse breiterer Teile der Bürgerschaft Rücksicht genommen zu haben. Ab einem gewissen Punkt war die Bürgerschaft aber anscheinend soweit politisiert, auch und gerade wegen der Maßnahmen des Tyrannen, dass sie eine tatsächliche Herrschaftsteilhabe einforderte und diese auch gewann. Diagoras handelte also ganz anders als Peisistratos, welcher die bestehenden oligarchischen Strukturen bestehen ließ, eine Entpolitisierung des Demos betrieb und selber seine Vorherrschaft eher außerhalb der Institutionen stellte. Diagoras zahlt für sein politisches Handeln den Preis und verlor seine Vorherrschaft, wohingegen Peisistratos seine Vorherrschaft noch an seine Kinder weitergeben konnte.549 Doch durch die persische Zerstörung von Eretria im Jahr 490 v. Chr. wurde allerdings diesem frühen demokratischen Experiment ein jähes Ende bereitet.550 Ein weiteres Beispiel für die Institutionalisierung egalitärer Strukturen findet sich in der innenpolitischen Entwicklung der Polis Argos. Auch hier scheint der Beginn des 6. Jahrhunderts eine Hochphase politischer Institutionalisierung gewesen zu sein. Allerdings ist der Entwicklungsprozess in Argos in der Überlieferung nicht mit einem Kulturheros verbunden.551 Jedenfalls scheint sich in dem argivischen Gemeinwesen im Verlauf des 6. Jahrhunderts eine institutionelle

544 Vgl. HÖLKESKAMP 1999, S. 115–117. 545 Die Nachricht bei Herakleides Lembos (fr. 40 Dilts), dass die Einwohner von Eretria dem Diagoras später eine Statue errichteten, deutet darauf hin, dass man ihn irgendwann doch noch zu einem Kulturheroen transzendiert hat oder dies zumindest wollte. Leider ist die Errichtung der Statue, wenn sie denn überhaupt historisch ist, zeitlich nicht zu verorten (vgl. K. WALKER 2004, S. 239). 546 Vgl. Aristot. pol. 1306a 32–36. 547 Vgl. K. WALKER 2004, S. 207–235. 548 Vgl. K. WALKER 2004, S. 236–269; siehe dagegen aber GEHRKE 1985b, S. 63f, der in Diagoras den Schöpfer einer demokratischen Ordnung sieht. 549 Siehe dazu unten Kap. 8.2.). 550 Spätere Phasen mit einer demokratischen Ordnung waren wohl stets kurz und kamen eher durch äußeren, also athenischen, Druck zustande – siehe ROBINSON 2011, S. 173f. 551 Vgl. HÖLKESKAMP 1999, S. 67–71. Allerdings wird in der Überlieferung die Existenz einer demokratischen Ordnung mit zwei mythischen Königen von Argos – Pelasgos (vgl. Aischyl. Suppl. 516–624) und Danaos (vgl. Paus. 2,19,3f.) – in Verbindung gebracht.

130 Politische Institutionalisierungsprozesse im 7. und 6. Jahrhundert

Verdichtung vollzogen zu haben.552 Diese kumulierte zu Beginn des 5. Jahrhunderts dann, ähnlich wie in Athen entgegen den evolutionären Entwicklungstendenzen, in der Entstehung einer demokratischen Ordnung. Der Katalysator für diese Entwicklung scheint eine innenpolitische Krise gewesen zu sein, welche durch die vernichtende Niederlage in der Schlacht bei Sepeia 494 v. Chr. gegen Sparta ausgelöst wurde. Aufgrund dieses Ereignisses wurde es für das argivische Gemeinwesen notwendig, größere Gruppen von Bewohnern der Argolis in den Bürgerverband der Polis Argos zu integrieren.553 Dieser Integrationsprozess war verbunden mit einem evolutionären Schritt in Richtung demokratischer Strukturen.554 Dieser Entwicklungsschritt war dann der Ausgangspunkt einer umfassenden und von Athen unabhängigen Entwicklung zu einer stabilen demokratischen Ordnung in Argos bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts.555 Der Entwicklungsprozess der demokratischen Strukturen in Argos unterschied sich damit also anscheinend von dem in Athen. Denn in Argos ist dieser Prozess nicht mit einer verstärkten Exklusivität des Bürgerrechtes verbunden gewesen, wenigstens nicht in der Entstehungsphase der argivischen Demokratie. Man könnte also versucht sein, Argos als die stärker entwickelte Demokratie zu betrachten, zumindest in der Frühphase des demokratischen Experimentes in der griechischen Welt. Doch es gibt nicht nur außerathenische Belege für eine Berücksichtigung der egalitären Grunddisposition in der griechischen Welt durch die direkte, gleichmäßige Beteiligung breiter Teile der Bürgerschaft an der Herrschaft. Auch auf die umfassende Akzeptanzerzeugung für oligarchische Herrschaftsstrukturen außerhalb von Sparta mittels einer institutionalisierten Gleichheitsideologie, welche tatsächliche soziopolitische Ungleichheiten erfolgreich verdecken konnte, gibt es Hinweise. Genau genommen sind hier die politischen Ordnungen der dorischen Gemeinwesen des archaischen und klassischen Kretas zu nennen.556 Dies mag vornehmlich auf ähnliche gesellschaftliche Strukturen zurück552 Vgl. ROBINSON 1997, S. 82–84; in einer Inschrift (SEG 11,336), welche zwischen 575 und 550 v. Chr. datiert wird, scheint ein Kollegium von mehreren Beamten (Damiorgoi) die zentrale Entscheidungsinstanz im argivischen Gemeinwesen gewesen zu sein. 553 Siehe dagegen BOURKE 2011, der Plutarch (De mul. vir. 4) folgt und nur eine Integration der ‚periökischen‘ Eliten annimmt. 554 Vgl. Aristot. pol. 1303a 6–8 und dazu ROBINSON 1997, S. 84–88. Die von Herodot (6,83) überlieferte Geschichte einer Herrschaftsübernahme der Sklaven in Argos, welche später von den herangewachsenen Söhnen der bei Sepeia Gefallenen vertrieben werden mussten, findet in der modernen Forschung zu Recht keinen Glauben. 555 Vgl. LEPPIN 1999 u. ROBINSON 2011, S. 6–21. 556 Die Formierungsphase dieser Ordnungen scheint sich auch auf die Wende vom 7. zum 6. Jahrhundert zeitlich verorten zu lassen. Ein Indiz dafür kann im archäologischen Befund gesehen werden, welcher auf eine Homogenisierung der materiellen Kultur innerhalb der kretischen Gemeinwesen hindeutet (vgl. SEELENTAG 2013, S. 332–334). Aber auch das früheste epigraphische Zeugnis für eine ‚Verfassungsgesetzgebung‘ stammt bekanntlich aus Kreta und ist in die zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts zu datieren: das Gesetz von

131 Soziopolitische Entwicklungslinien jenseits von Athen und Sparta

zuführen sein. So bestanden in diesen dorischen Gemeinwesen etwa der Helotie vergleichbare Institutionen,557 und es existierten staatliche Erziehungssysteme.558 Außerdem gab es institutionalisierte Mahlgemeinschaften der Bürger.559 Jedenfalls verzichteten die kretischen Eliten darauf, ihren elitären Status darzustellen,560 etwa durch einen aufwendigen Lebensstil, der Teilnahme an panhellenischen Wettkämpfen, dem Pflegen von Gastfreundschaften oder durch andere elitäre Praktiken. Sie konnten dadurch den unterelitären Bürgerschichten ihren Gemeinsinn beweisen. Die einzige Möglichkeit ihre soziale Überlegenheit zu demonstrieren, bot sich der Elite in den institutionalisierten Mahlgemeinschaften, an deren Teilnahme die Zugehörigkeit zum Bürgerverband gebunden war. Denn das kretische System, anders als das spartanische, verlangte von den Bürgern keinen festen Beitrag oder Mindestbeitrag, sondern den zehnten der Erträge. Es war also in Bezug auf die ökonomische Leistungsfähigkeit flexibel. Da alle Bürger erst einmal die gleichen Nahrungsanteile zurückerhielten, konnten so die reicheren Bürger die Ärmeren mitfinanzieren und dadurch für deren Verbleib im Bürgerverband Sorge tragen. Durch diese Ordnung konnte zum einen ein Gemeinsinn aller Bürger erzeugt werden, zum anderen ermöglichte diese es den Vertretern der Elite wiederum ihren individuellen Gemeinsinn zu demonstrieren. Die einzige Möglichkeit der unterelitären Bürgerschichten hierauf gemeinsinnig zu antworten, war „die Anerkennung der sozialen und politischen Überlegenheit der Reichen“.561 Auf dieser Grundlage konnte also eine soziopolitische Elite, deren Zugänglichkeit primär ökonomische bestimmte war, eine leidlich stabile oligarchische Herrschaftsordnung errichten. Zumindest Aristoteles hielt die politischen Ordnung der kretischen Gemeinwesen für instabil und anfällig für die Aushebelung der politischen Institutionen durch mächtige Individuen, die eigentlich keine institutionalisierte Position inne hatten.562 Dennoch bildete die vorgebliche Gleichheit aller Bürger

557

558 559 560 561 562

Dreros (vgl. ML 2). In diesem wird, bei aller Schwierigkeit der Interpretation, die institutionelle Bedeutung der κόσμοι unterstrichen. Mittels eines Iterationsverbotes wird aber auch versucht zu verhindern, dass einzelne Vertreter der Elite durch dieses Amt ihre Herrschaft perpetuieren konnten (siehe dazu oben Kap. 7.1.). Siehe dazu auch SEELENTAG 2009, der in der Regelung eher eine Machtaushandlung innerhalb der Elite denn zwischen der Elite und den unterelitären Bürgerschichten sieht. Zu den ‚Klaroten‘, also den kretischen Heloten, siehe LINK 1994b, S. 30–48, u. S. WALLACE 2010, S. 379f., wobei hier, wie in Sparta auch, sowohl das Land als auch die Unfreien als Privatbesitz zu betrachten sind (dies wird noch einmal von LINK 2001 klar herausgestellt), die kretische Helotie also auch nicht im eigentlichen Sinn eine staatliche Institution war. Vgl. LINK 1994b, S. 21–27, u. LINK 1999. Vgl. LINK 1994b, S. 9–24, u. S. WALLACE 2010, S. 384–390. Die folgenden Überlegungen basieren auf SEELENTAG 2013; siehe dazu auch SEELENTAG 2015, S. 374–443. SEELENTAG 2013, S. 35. Vgl. Aristot. pol. 1272b 1–1272b 22 und dazu SEELENTAG 2013, S. 345–352.

132 Politische Institutionalisierungsprozesse im 7. und 6. Jahrhundert

die ideologische Grundlage der politischen Ordnungen in den kretischen Gemeinwesen.563

7.5.

Zusammenfassung

In diesem Kapitel wurde versucht zu zeigen, dass es am Ende des 7. Jahrhunderts im griechischen Kulturraum zu einem Überschreiten der Schwelle zur Staatlichkeit gekommen ist. Das als Inschrift erhaltene ‚Gesetz von Dreros‘ wirft ein schlaglichtartiges Bild auf diesen Übergangsprozess. Als politischer Hauptakteur erscheint in dem Gesetz das Gemeinwesen als Ganzes, bezeichnet als die ‚Polis‘. Zwar hat diese Institution den Anspruch, dass ihre Entscheidungen für alle Mitglieder des Gemeinwesens Verbindlichkeit besitzen. Doch nicht einmal bei den obersten Amtsträgern des Gemeinwesens, den Kosmoi, ist die Akzeptanz dieses Anspruches sicher. Die Eventualität des ‚Verfassungsbruches‘ durch den Kosmos muss in der Bestimmung zu Amtsiteration des Kosmos nicht nur sanktioniert werden. Vielmehr bedarf es einer Regelung dieser Eventualität, damit auch unter verfassungswidrigen Bedingungen die Ordnung weiter leidlich funktionieren kann. Ebenso wurde versucht aufzuzeigen, dass im 7. und 6. Jahrhundert die so oft postulierte egalitäre gesellschaftliche Grunddisposition in der griechischen Gesellschaft tatsächlich vorhanden war. Dies ist besonders daran zu erkennen, dass sich im griechischen Kulturraum nie ein Adel hat etablieren können. Gesellschaftlicher Vorrang blieb immer mit der ökonomischen Leistungsfähigkeit des Individuums verbunden. In dem fortschreitenden Prozess der Verstaatlichung, 563 Die Herrschaft scheint in den kretischen Gemeinwesen dabei stets bei einer Gruppe von Oberbeamten, κόσμοι genannt, und einem Rat, gewählt aus ehemaligen κόσμοι, gelegen zu haben. Diese beiden Institutionen entschieden in einem Konsensverfahren über anfallende politische Fragen und legten ihre Entscheidungen einer allgemein zugänglichen Volksversammlung zur Bestätigung vor. Diese konnte dann, durch eine Mehrheitsentscheidung, der Entscheidung nur noch zustimmen oder diese ablehnen (vgl. dazu auch LINK 1994b, S. 97–118). SEELENTAG 2013, S. 329, nennt dies eine „hierarchische Steuerung“ politischer Entscheidungsprozesse, welche „verglichen mit dem einfachen Mehrheitsverfahren ungleich höhere Anforderungen an die politischen Akteure stellt“. Dies ist sicherlich nicht (immer) der Fall. In einer stabilen politischen Ordnung, in welcher (potenziell) die gesamte Bürgerschaft in einer Mehrheitsentscheidung politische Entscheidungen herbeiführt, müssen die unterlegenen Teile der Bürgerschaft die Mehrheitsentscheidung akzeptieren. Sie müssen genügend Gemeinsinn aufbringen, um auch gegen ihre persönlichen Interessen getroffene Entscheidungen zu akzeptieren. Sie müssen also in der Akzeptanz der Entscheidung das Gemeinwohl verorten und dieses über ihr Eigenwohl stellen. In einer oligarchischen Ordnung, in welche nur eine kleine Elite politische Entscheidungen in einem Konsensverfahren aushandeln muss, sind sowohl qualitativ als auch quantitativ die Anforderungen an die politischen Akteure geringer.

133 Zusammenfassung

der im 6. Jahrhundert in allen größeren griechischen Gemeinwesen zu beobachten ist, gab es anscheinend zwei gesellschaftliche Strategien, auf die egalitäre Grunddisposition Rücksicht zu nehmen. Zum einen konnte eine tatsächlich gleichmäßige Beteiligung breiter Teile der Bürger an der Herrschaft gewährleistet werden. Dies geschah etwa in Eritrea und Argos. Auf der anderen Seite standen oligarchische politische Ordnungen, wie sie in Sparta und auf Kreta existierten. In diesen war die Herangehensweise im Umgang mit der egalitären gesellschaftlichen Grunddisposition der Bürgerschaften eine andere. Vorhandene ökonomische und soziopolitische Unterschiede wurden durch eine umfassende Gleichheitsideologie überdeckt. Die Elite musste dazu ostentativ auf alle Elemente eines klassischen ‚aristokratischen‘ Lebensstils verzichten und in einem System gemeinsamer staatlicher Erziehung und institutionalisierter Mahlgemeinschaften sozioökonomische Unterschiede ostentativ negieren. Die unterelitären Bürgerschichten akzeptierten dafür die faktische Herrschaft der Elite durch die formal allen zugänglichen staatlichen Institutionen (Sparta) oder sogar eine Ordnung, in welcher die Zugänglichkeit zu den Herrschaftsinstitutionen nur der Elite offenstand (Kreta). Der Gemeinsinn der Elite bestand in einer solchen Ordnung nun darin, ihren Reichtum nicht (ostentativ) für andere Zwecke als dem Gemeinwohl einzusetzen. Der Gemeinsinn der unterelitären Bürgerschichten zeigte sich hingegen darin, die Herrschaft der Elite zu akzeptieren. In der Entstehung von Gleichheitsideologien im Zuge der Entstehung bzw. Verfestigung staatlicher Ordnungen kann man auch wieder eine griechische Sonderentwicklung ausmachen. Das gilt zumindest dann, wenn man als Voraussetzung für die Entstehung von Staatlichkeit in einem ‚normalen‘ evolutionären Prozess das Vorhandensein einer Ideologie annimmt, die hierarchische Strukturen und soziopolitische Ungleichheit rechtfertigen müsste. Das prinzipielle egalitäre Element, was beide Ordnungskonzepte miteinander verbindet, war aber die stets vorhandene Möglichkeit des sozialen Aufstieges in die soziopolitischen Eliten. Denn die Grundvoraussetzung, um zur Elite zu gehören, war die individuelle ökonomische Leistungsfähigkeit. Individueller ökonomischer Erfolg ermöglichte also den Zugang zu politischen Machtpositionen. In einem System mit formalisierten Zensusschranken versteht sich dies von selbst. Aber auch wenn die Zugehörigkeit zur Elite etwa mit einem aufwendigen Lebensstil oder dem Pflegen von panhellenischen Gastfreundschaften verbunden gewesen ist, so waren diese Voraussetzungen doch nur aufgrund der ökonomischen Potenz des Einzelnen erfüllbar. Dies gilt ebenso für die Ordnungen, in welchen die individuelle ökonomische Leistungsfähigkeit (idealerweise) nur für das Wohl des Gemeinwesens eingesetzt werden durfte, um dadurch den Anspruch auf Zugehörigkeit zur Elite zu kommunizieren. In einer solchen Ordnung mag die Akzeptanz des beanspruchten elitären Status durch die unterelitären Bürgerschichten vielleicht etwas mehr Zeit in Anspruch genommen haben. Dennoch spricht nichts dagegen, dass der Aufstieg eines Bürgers aufgrund seiner

134 Politische Institutionalisierungsprozesse im 7. und 6. Jahrhundert

ökonomischen Leistungsfähigkeit in die politische Elite auch etwa in den kretischen Gemeinwesen jederzeit möglich gewesen ist.564

564 Es sei an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass natürlich die Bürger, deren Vorfahren bereits den elitären Status innehatten und die dadurch meistens auch Reichtum ererben konnten, einen starken ‚Wettbewerbsvorteil‘ besaßen. Die Tendenz aller Eliten zur Selbstreproduktion wird die prinzipielle Möglichkeit zum individuellen sozialen Aufstieg zwar nicht unterbunden, aber natürlich erschwert haben.

135 Die solonischen Reformen – Die Institutionalisierung oligarchischer Herrschaft?

8. ATHEN IM 6. JAHRHUNDERT ALS EVOLUTIONÄRER SONDERFALL

8.1.

Die solonischen Reformen – Die Institutionalisierung oligarchischer Herrschaft?

Neben Solon steht auch Drakon als athenischer Kulturheros auf der Grenze zwischen Staatlichkeit und Vorstaatlichkeit, zwischen Mythos und Geschichte. Mit ihm verbanden die Athener in ihrem kollektiven Gedächtnis bekanntlich die erste Verschriftlichung von Gesetzen, der Überlieferungstradition entsprechend in das Jahr 621/20 v. Chr. verortet. Ebenso wurde in der historischen Erinnerung der Athener der Übergang von der individuellen zur kollektiven Ahndung bei Tötungsdelikten mit diesen ersten, verschriftlichten Gesetzen verbunden.565 Mehr Informationen sind jedoch für den zweiten, archaischen Gesetzgeber Athens überliefert. Nicht selten wird in der modernen Forschung sogar die grundlegende Weichenstellung für die spätere Entstehung einer demokratischen Ordnung in Athen in den Reformen des Solon566 zu Beginn des 6. Jahrhunderts verortet.567 Auch wenn diese Einschätzung sich auf Aristoteles568 und den Verfasser der Athenaion politeia569 berufen kann, ist sie dennoch äußerst erstaunlich. Denn alles, was über die Reform der politischen Verfasstheit des athenischen Gemeinwesens durch Solon überliefert ist, deutet darauf hin, dass er 565 Siehe zu Drakon und seiner Gesetzgebung etwa GAGARIN 1981; CARAWAN 1998, S. 33– 83; SCHMITZ 2001; GAGARIN 2008, S. 93–109. 566 Umfassende Darstellungen der Reformen finden sich etwa bei WELWEI 1992, S. 161– 206, u. OWENS 2010, S. 97–143, wobei letztere diese aus den Quellen darstellt und leider die meiste neuere Forschungsliteratur zum Thema ignoriert; konzise Darstellungen finden sich bei WELWEI 1998, S. 143–152; DREHER 2001, S. 23–27; R. WALLACE 2007, S. 59–67. 567 So etwa C. MEIER 1983 [1980], S. 79–81, u. STAHL 2003, S. 198–200. R. WALLACE 2000 u. 2007 sowie TSIGARIDA 2006, besonders S. 113–134, gehen noch einen Schritt weiter und bezeichnen die solonische Ordnung bereits als Demokratie. Gegen eine solche klare Weichenstellung bzw. gar einer ‚solonischen Demokratie‘ sprechen sich etwa WELWEI 1992, S. 202, u. RAAFLAUB 1998b, besonders S. 38f., aus. 568 Vgl. Aristot. pol. 1273b 35–39. 569 Vgl. Athen. pol. 5–12 u. 41,2.

136 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

eine oligarchische Herrschaftsform ausdifferenziert und weiter institutionalisiert hat. Eine Schwierigkeit beim Betrachten des politischen Wirkens des Solon erwächst daraus, dass er als Kulturheros auf der Schwelle zwischen Mythos und Geschichte steht.570 Damit markiert sein Wirken die zeitliche Grenze, bis zu welcher mit einiger Zuversichtlichkeit eine genuine Ereignisgeschichte rekonstruierbar ist. Erschwert wird eine solche Rekonstruktion aber besonders durch die Tatsache, dass Solon nicht nur ein ‚cultural hero‘ für die Athener des 5. und 4. Jahrhunderts gewesen ist,571 sondern darüber hinaus auch als einer der ‚Sieben Weisen‘ für die gesamte griechisch-römische Welt Bedeutung erlangte.572 Denn durch die Zuschreibung der sozialen, politischen und auch religiösen Ordnung des athenischen Gemeinwesens der klassischen Epoche an den archaischen Gesetzgeber Solon wurde diese Ordnung unverfügbar gestellt. Neuerungen mussten somit, sollten sie möglichst wenig gesellschaftlichen Widerspruch erfahren, als Teil der unverfügbaren solonischen Ordnung dargestellt werden.573 Andererseits hat der Historiker von Solon etwas, was er weder von Peisistratos noch von Kleisthenes besitzt, nämlich eigenhändig verfasste Zeugnisse. Hierbei handelt es sich bekanntlich um Gedichte, in welchen der Verfasser sein eigenes Wirken als ein gemeinsinniges rechtfertigt.574 Außerdem appelliert er in diesen Werken an den Gemeinsinn aller Athener und prangert den fehlenden Gemeinsinn einzelner gesellschaftlicher Gruppen oder der Gemeinschaft als Ganzes an. Für beides ist 570 Zum Begriff des ‚culture hero‘ siehe etwa LEEMING 2005, S. 88. 571 Zu den antiken biographischen Konstruktionen des Solon als ‚Kulturheros‘ siehe FANTUZZI 2010, S. 3–17. 572 In der Antike kursierten verschiedene Listen, Solon gehörte allerdings immer dazu. Die älteste überlieferte Namensliste findet sich bei Platon (Prot. 343a) – siehe zu den Listen und den Überlieferungstraditionen etwa R. MARTIN 1998 u. ENGELS 2010, S. 9–78. 573 Vgl. HANSEN 1989, hier S. 74: „A political leader who advocates a reform, for example, may argue that his bill is an innovation improving on the established order. But he will often prefer to represent his reform as a return to the true democratic way of life instituted by the ancestors but neglected by his contemporaries“. Dies bedeutet natürlich auch, dass dadurch die transzendente Ordnung auch wieder verfügbar gemacht werden konnte. Auf die Tatsache, dass diese Ordnung bis zu einem gewissen Grad nicht der Verfügbarkeit entzogen war, deuten Nachrichten in der Athenaion politeia hin. Denn anscheinend wurden gewisse Gesetze des Solon nicht mehr angewandt (8,3: τοῖς νόμοις τοῖς Σόλωνος οἷς οὐκέτι χρῶνται) und die solonische Zensusordnung konnte bei Ämterkandidaturen einfach umgangen werden (7,4: „Die übrigen zählten zur Thetenklasse und durften kein Amt übernehmen; deshalb wird auch heute noch keiner, der als Kandidat bei einer Auslosung eines Amtes gefragt wird, welcher Klasse er angehöre, die Klasse der Theten angeben“ – τοὺς δ᾽ ἄλλους θητικόν, οὐδεμιᾶς μετέχοντας ἀρχῆς. διὸ καὶ νῦν ἐπειδὰν ἔρηται τὸν μέλλοντα κληροῦσθαί τιν᾽ ἀρχήν, ποῖον τέλος τελεῖ, οὐδ᾽ ἂν εἷς εἴποι θητικόν). Dass diese, dem Solon zugeschriebenen Gesetze aber nicht einfach aufgehoben wurden, zeigt auf der anderen Seite eben auch wieder ihren transzendenten Charakter an. 574 Etwa Solon fr. 7 Latacz = fr. 5 West = fr. 5,1–6 Diehl = fr. 7 Gentili / Prato, überliefert in Athen. pol. 11,1.

137 Die solonischen Reformen – Die Institutionalisierung oligarchischer Herrschaft?

das bekannte Eunomiagedicht wohl das beste Beispiel.575 Allerdings sind die meisten dieser Gedichte entweder in der Athenaion politeia oder bei Plutarch überliefert, daher kommt man für ein direktes Textzeugnis nicht über das vierte vorchristliche Jahrhundert hinaus. Vor dieser Zeit werden die Gedichte des Solon, wie vor allem André Lardinois herausgearbeitet hat, noch vornehmlich mündlich tradiert worden sein und so zumindest gewissen Veränderungen unterworfen. Für die Elegien konnte Lardinois zeigen, dass dort, wo verschiedene Überlieferungen eines Gedichtes vorliegen, diese an entscheidenden Stellen inhaltliche Variationen aufweisen.576 Ebenso ist für die jambische Dichtung ein gewisses Maß an Manipulation anzunehmen und es ist möglich, in den jambischen Gedichten „the very first beginnings of the political reconstruction of a legendary Solon“ zu erblicken.577 Eine solche „political reconstruction“ ist dann immer abhängig davon, welchem politischen Lager die Rezipienten dieser, eben noch vornehmlich mündlich tradierten, Dichtung angehörten. All dies ist natürlich auch wieder eine Folge des mythischen ‚culture hero‘–Status des Solon, da man seine Autorität bzw. seinen transzendenten Status als Begründer der ‚Guten Ordnung‘ für tagespolitische Auseinandersetzung jederzeit instrumentalisieren konnte.578 Die Frage ist nun, ob damit ein historischer Solon so unerreichbar wie ein historischer Buddha oder ein historischer Jesus ist. Glücklicherweise lautet die Antwort darauf, dass dies mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht der Fall ist. Denn sowohl bei den Gedichten als auch bei den Solon zugeschrieben Gesetzen wird es eine gewisse Anzahl gegeben haben, welche tatsächlich von ihm stammen und in ihrer Tradierung nur marginalen Veränderungen unterworfen waren.579 575 Vgl. Solon fr. 2 Latacz = fr. 4 West = fr. 3 Diehl = fr. 3 Gentili / Prato (überliefert bei Dem. or. 19,255). 576 Siehe LARDINIOS 2006, S. 17–25, der dadurch zu dem – für den Historiker der archaischen Zeit – deprimierenden Ergebnis kommt, dass „we will have to acknowledge that our text of Solon’s elegies is different from the poetry Solon composed in the early sixth century. Poems were added from various sources and the text itself must have changed over time. The poetry we have is the poetry of Solon as recognized in the fourth century BCE“ (S. 24). 577 Vgl. LARDINIOS 2006, S. 25–28, hier S. 27. 578 Ein Beleg dafür wäre auch die Rede des Demosthenes gegen eine Gesetzesinitiative des Leptines (or. 20). In dieser wirft der Orator dem Leptines vor, die Gesetze des Solon entweder nicht gelesen oder nicht verstanden zu haben (20,102: ἢ οὐκ ἀνεγνωκέναι τοὺς Σόλωνος νόμους ἢ οὐ συνιέναι). Ein weiterer Beleg wäre die generelle Möglichkeit, den Vorwurf gegen den politischen Gegner zu erheben, die altehrwürdigen Gesetze des Solon, verabschiedet von den Vorvätern, durch eigene zu ersetzen. Von solchen Gesetzen kann dann auch nicht erwartet werden, dass sie befolgt werden, da sie der Polis nur zum Nachteil gereichen (Dem. or. 24,142: ἔπειτα τοὺς μὲν τοῦ Σόλωνος νόμους τοὺς πάλαι δεδοκιμασμένους, οὓς οἱ πρόγονοι ἔθεντο, λύουσιν αὐτοί, τοῖς δ᾽ ἑαυτῶν, οὓς ἐπ᾽ ἀδικίᾳ τῆς πόλεως τιθέασιν, χρῆσθαι ὑμᾶς οἴονται δεῖν). 579 Siehe zu einem eher „optimistic view“ in Bezug auf die solonischen Gedichte und vor allem die solonischen Gesetze RHODES 2006.

138 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

Denn Solon lebte eben nicht mehr in einer traditionellen, oralen Gesellschaft, sondern bereits in einer literalen – bei allen nach wie vor vorhanden mündlichen Traditionen. Alle Überlieferungen über Solon stimmen dann auch darin überein, dass er selbst an dem sich weiterentwickelnden und sich verfestigenden literalen Charakter der athenischen Gesellschaft einen entscheidenden Anteil hatte. Denn er war es ja, der – als Zweiter nach Drakon – Gesetze schriftlich fixierte und öffentlich bekannt und einsehbar machte.580 Zwar wird Solon wohl keine grundle580 Siehe dazu grundlegend STROUD 1979, der davon ausgeht, dass die gesamte solonische Gesetzgebung auf drehbaren Holzpfeilern (áxōnes) im Prytaneion angebracht war und außerdem wahrscheinlich auf dreieckigen, bronzenen Tafeln auf der Agora (kýrbeis); darin folgt ihm etwa ROBERTSON 1986; dagegen aber RHODES 1997, welcher in áxōnes und kýrbeis zwei Bezeichnungen für dieselbe Konstruktion sieht: „Vermutlich waren es dreioder vierseitige hölzerne Pfeiler, die vertikal so auf Achsen montiert waren, dass sie der Betrachter drehen konnte“ (Sp. 375). Einen konzisen Überblick über die Forschungsgeschichte zur technischen Art und Weise der Veröffentlichung der drakonischen und solonischen Gesetze bietet G. DAVIES 2011, S. 3–9. Aufgrund seiner stupenden Zusammenstellung aller Zeugnisse für áxōnes und kýrbeis kommt G. DAVIES 2011 zu dem Schluss, dass die athenischen Gesetze ursprüngliche auf kýrbeis, „some kind of free-standing, three-sided pyramid or obelisk usually made from wood that had been whitened or plastered to bear inscription“ (S. 17), angebracht waren. Die áxōnes, „uniformly described as being rectangular wooden objects“ mit „significant evidence that they turned or rotated“ (S. 17), waren dagegen die Vorrichtungen, auf denen die Gesetze im Zuge der Neukodifikation am Ende des 5. Jahrhunderts angebracht wurden. Damit kann der Verweis in den Quellen, dass ein Gesetz auf áxōnes aufgezeichnet war, nicht als ein Indiz für eine archaische Herkunft bzw. eine solonische Autorenschaft herangezogen werden. Dass es in den solonischen Gesetzen auf áxōnes eindeutige Anachronismen gibt, wird niemand bestreiten. So etwa die bei Plutarch (Solon 23,3) überlieferten Preise in Drachmen für Opfertiere aus der sechzehnten Gesetzestafel (ἐν τῷ ἑκκαιδεκάτῳ τῶν ἀξόνων), obwohl die Münzenprägung in Athen aller Wahrscheinlichkeit nach erst am Ende des 6. Jahrhunderts Einzug fand – siehe dazu etwa KROLL / WAGGONER 1984, S. 325–333, wobei diese auch darauf hinweisen, dass mit Drachme ein Gewichtsstandard für nicht geprägtes Silber gemeint sein kann, was vor der Einführung der Münzprägung eine Geldfunktion erfüllte. Eine Reform dieses Gewichtsstandards könnte dann Teil eines solonischen Gesetzes gewesen sein und von späteren Autoren mit einer Münzreform verwechselt worden sein (vgl. KROLL / WAGGONER 1984, S. 332f.). Die weitreichenden Schlussfolgerungen, welche G. DAVIES 2011, S. 17–22, aus seiner begriffsgeschichtlichen Untersuchung für das generelle Verständnis der solonischen Gesetzgebung zieht, sind allerdings nicht zwingend. So nimmt er etwa an, dass es durch das späte 7. und das gesamte 6. Jahrhundert hindurch einen „gradual process of enacting written laws“ gegeben hat und keine gesetzgeberisches „near vacuum […] with occasional modifications“ (S. 18) zwischen dem Wirken des Solon und den kleisthenischen Reformen. Es kam in der klassischen Epoche zur Verfügbarmachung der eigentlich unverfügbaren solonischen Ordnung, um neues hinzuzufügen und altes zu verändern. Dass es derartige Tendenzen bereits in spätarchaischer Zeit gegeben hat, ist durchaus möglich, allein die gesamte Überlieferung zeichnet ein anderes Bild. Denn diese schreibt nahezu alle Gesetzgebung Drakon und Solon zu und kennt etwa für Peisistratos fast kein gesetzgeberisches Handeln und sei es auch nur als ein Beispiel für schlechte Gesetzgebung, etwa als Gegenbild zur solonischen. Die von G. DAVIES 2011, S. 18, angeführten Belege von den attischen Rednern können dann auch

139 Die solonischen Reformen – Die Institutionalisierung oligarchischer Herrschaft?

gende Kodifizierung aller athenischen Gesetze durchgeführt haben. Es waren wohl eher die Sonderfälle, welche von den traditionellen, mündlich tradierten Gesetzen und Normen nicht oder nicht mehr hinreichend geregelt waren, welche von ihm gesetzgeberisch behandelt wurden.581 Aber dennoch war das Wirken des Gesetzgebers eine Zäsur für die soziopolitische Entwicklung der athenischen Gesellschaft.582 Ebenso ist das grundlegende Bild, welches in der Überlieferung von ihm und seinem Wirken gezeichnet wird, sehr stimmig. Daher kann nicht von einer (vollständigen) späteren Konstruktion von Person und Werk des Solon ausgegangen werden.583 Letztendlich geht es hier aber um die Frage, wie das Reformhandeln des Solon zu bewerten ist und auf welchen Voraussetzungen dieses beruhte. So existiert in der modernen Forschung etwa die Vermutung, dass es in der Zeit des Solon eine Bewegung innerhalb der unterelitären Bürgerschichten Athens gegeben hat, nicht überzeugen: Isokrates (12,144) Qualifikation der ursprüngliche Gesetze als wenige, aber ausreichend (ὀλίγους, ἱκανοὺς δὲ), spricht im Kontext der Rede, in welcher er die umfangreiche und seiner Meinung nach unübersichtliche Gesetzgebung seiner Zeit kritisiert, nicht gegen eine solonische ‚Grundgesetzgebung‘. Aischines (orat. 1,6) Erwähnung von anderen altehrwürdigen Gesetzgebern zur selben Zeit wie Solon und Drakon (καὶ οἱ κατὰ τοὺς χρόνους ἐκείνους νομοθέται) ist zu unpräzise, um daraus etwas genaueres ableiten zu können. Dies gilt vor allem, weil der Text hier auch eine anachronistische Verortung der athenischen Institution der Nomotheten in der Zeit der beiden Gesetzgeber Solon und Drakon zulässt. Demosthenes (21,142) Aussage schließlich, dass die altehrwürdigen Gesetze des Solon von den Vorvätern beschlossen wurden (Σόλωνος νόμους τοὺς πάλαι δεδοκιμασμένους, οὓς οἱ πρόγονοι ἔθεντο), versteht sich eigentlich von selbst. Denn in der Vorstellung des demokratischen Atheners des 4. Jahrhunderts wurden Gesetze selbstverständlich von der Volksversammlung beschlossen und auch Solon ist als Gesetzgeber eigentlich kein Gesetzgeber, sondern schlägt Gesetze nur vor, welche dann von der Volksversammlung als dem eigentlichen Souverän verabschiedet werden müssen. Nach der dem Solon selbst zugeschrieben politischen Ordnung (vgl. Athen. pol. 5–12), hätte er diesen Weg tatsächlich gehen müssen. Wie dem auch immer gewesen sein wird, ein Beleg für die These von G. Davies bietet auch diese letzte Stelle aus den attischen Rednern nicht. 581 Vgl. HÖLKESKAMP 2005; anders etwa SCHMITZ 2001, welcher in der Gesetzgebung des Drakon allein Regelungen zu Tötungsdelikten und zur daraus folgenden Blutrache vermutet, wohingegen er in der Gesetzgebung des Solon „eine umfassende – die erste umfassende – Rechtskodifikation Athens“ (S. 36) sieht. 582 Den Überlegungen von ITGENSHORST 2014, S. 171–180, ist dahin gehend zuzustimmen, dass die Überlieferung zu Solon vornehmlich zur Rekonstruktion der athenischen Verhältnisse benutzt werden sollte und nicht primär zu einer Rekonstruktion allgemeiner Entwicklungen im griechischen Kulturraum in der archaischen Zeit taugt. Einen athenischen Sonderweg, welcher mit dem Wirken des politischen Denkers Solon nur koinzidierte (S. 177), kann die Überlieferung zu Solon nun aber gerade nicht belegen. 583 Siehe etwa HÖLKESKAMP 2006, welcher sich für eine positivere Einschätzung des Quellenwertes der Politeia des Aristoteles und vor allem der Athenaion politeia zum historischen Solon ausspricht.

140 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

welche nach einer stärkeren politischen Partizipation verlangte.584 Ebenso gibt es die Vorstellung, dass die unterelitären Bürgerschichten wenigstens eine gewisse Behebung sozioökonomischer Missstände einforderten und Solon, neben der Behebung dieser Missstände, als benevolenter Gesetzgeber diesen unterelitären Bürgerschichten darüber hinaus politische Partizipationsmöglichkeiten eingeräumt hat, für welche diese eigentlich noch gar nicht bereit waren. Die ganze Wirkmächtigkeit seines Reformhandelns hätte sich dann erst zwei bis drei Generationen später, im Kontext der kleisthenischen Reformen, herausgestellt.585 Im Kern jedenfalls war die Krise des athenischen Gemeinwesens zu Beginn des 6. Jahrhunderts, welche Solon als Schiedsrichter überwinden helfen sollte, eine sozioökonomische. An dieser Feststellung kommt man nicht vorbei, wenn man den Gedichten des Solon irgendeinen Quellenwert zuschreiben will.586 Allerdings sollte die soziale Krise nicht als ausschließliche Ursache für die inneren Spannungen in Athen angenommen werden.587 Vielmehr muss es bereits einen, bis zu einem gewissen Grade politisierten, Demos gegeben haben. Anderenfalls hätte dieser sich ja mit der athenischen Elite nicht auf die Einsetzung des Solon als Schiedsrichter und Gesetzgeber einigen können. Nun darf – dies ist noch einmal zu betonen – die athenische Elite nicht als ständisch geschlossene Gruppe von Erbadeligen mit rechtlich fixierten Privilegien missverstanden werden.588 Dennoch ist zu vermuten, dass sie in dieser Phase versucht haben wird, ihre Stellung nicht nur durch weitere Besitzmehrung zu stärken, sondern diese auch auf eine institutionelle Grundlage zu stellen. Das beste Indiz für einen solchen Prozess bietet das reformerische Handeln des Solon selbst. Denn die Aufhebung der Schuldknechtschaft bzw. die Entschuldung kleinerer und mittlerer Bauern kam ja im Grunde einer Teilenteignung der elitären Gläubiger gleich. Denn auch zu erwartende Zinserträge und mögliche Zugriffsrechte auf 584 So etwa R. WALLACE 2000, hier S. 24: „Solon’s democratic institutions responded to issues and demands of the people in revolt. Solon was not attempting to politicize the demos. As his poems indicate, it was politicized already. His task was to mediate between the people and the Eupatrid regime by legislation that would pacify them“. Siehe außerdem R. WALLACE 2007. 585 So etwa C. MEIER 1983 [1980], S. 79–81, u. STAHL 2001, S. 237–251. 586 So zu Recht ROSE 2012, S. 221–225; ähnlich STAHL 2001, S. 185–192; daran ändert sich auch nichts, wenn die ἑκτήμοροι – also die Landpächter, welche durch Verschuldung in persönliche Abhängigkeit von Landbesitzern geraten waren (vgl. Athen. pol. 2,1f.) – als begrifflich und rechtlich klar gefasste Gruppe eine Erfindung des 4. Jahrhunderts wären (so M. MEIER 2012, besonders S. 20–27). 587 Siehe etwa WELWEI 1992, S. 150–161, welcher auch soziale und ökonomische Gründe für ursächlich ansieht. Er betont aber auch, dass man nicht ein „simplifizierendes Zweischichtenmodell“ (S. 152) aus reichen Grundbesitzern und einem, zu großen Teilen verschuldeten und so in soziale bzw. rechtliche Abhängigkeit geratenen, Demos annehmen sollte. Dass die Verschuldung der unterelitären Bürgerschichten in Athen um das Jahr 600 v. Chr. nicht überbewertet werden sollte, betont WELWEI 2005 auch noch einmal ausdrücklich. 588 Siehe oben Kap. 7.2.

141 Die solonischen Reformen – Die Institutionalisierung oligarchischer Herrschaft?

Person und Land des Schuldners sind als potenzielles Eigentum des Gläubigers zu werten.589 Natürlich wurden durch diese Maßnahmen nur die gröbsten sozialen Missstände beseitigt, ohne dass die bestehende sozioökonomische Stratifikation damit in irgendeiner Weise angetastet wurde.590 Die Zustimmung zu diesem Vermögens- bzw. Gewinnverzicht seitens der athenischen Elite erkaufte Solon offenbar mit der erstmaligen rechtlichen Fixierung und Institutionalisierung von politischen Vorrechten für diese, primär durch ökonomische Leistungsfähigkeit bestimmten, Elite. Dies geschah durch die Einführung einer Zensusordnung (τίμημα), nach welcher die Zugänglichkeit zu den politischen Ämtern geregelt war. Die solonischen Reformen waren damit nicht nur ein evolutionärer Sprung in dem Prozess der Entstehung von Staatlichkeit in Athen, sondern auch eine rechtliche Festschreibung des oligarchischen Herrschaftsprinzips.591 Von nun an gab es – zumindest nach der Tradition, welche sich in der Athenaion politeia und bei Plutarch findet592 – vier Zensusklassen (τέλη) auf Grundlage der geschätzten landwirtschaftlichen Produktion der einzelnen oíkoi der athenischen Bürger. Der ersten Zensusklasse der Pentakosiomedimnoi (πεντακοσιομέδιμνοι) und wohl auch der zweiten Zensusklasse der Hippeis (ἱππεῖς) war unter anderem

589 Auf dieses Entschuldungsprogramm kommt Solon in einem seiner Gedichte selbst zu sprechen (vgl. fr. 36 West, überliefert in Athen. pol. 12,4; des Weiteren Plut. Sol. 15); zur σεισάχθεια, also der ‚Lastenabschüttlung‘, wie man diese Reformmaßnahme seit der klassischen Zeit nannte, siehe etwa WELWEI 1992, S. 161–163; anders interpretiert HARRIS 1997 die Überlieferung, indem er darin die Abschaffung der Zahlung von ‚Schutzgeldern‘ der bäuerlichen Schichten an die lokale Elite vermutet. Damit sollten, so Harris weiter, nicht die ökonomischen Missstände bei den unterelitären bäuerlichen Schichten bekämpft, sondern vielmehr der Einfluss der lokalen Autoritäten beschränkt werden. Würde dies zutreffen, wäre diese solonische Maßnahme als ein Akt der politischen Zentralisierung zu verstehen und nicht als eine Rücksichtnahme auf unterelitäre Bürgerschichten und deren egalitäres Selbstverständnis. Damit würden sich die solonischen Reformen noch stärker in das idealtypische Bild eines evolutionären Staatsentstehungsprozesses einpassen. 590 In dieser Richtung ist auch das, durch Aristoteles überlieferte (pol. 1266b 14–18), solonische Gesetz zu verstehen, nach welchem der maximale Landerwerb durch einzelne Athener eingeschränkt wurde (RUSCHENBUSCH 2010, fr. 66). Zwar hat es in Attika in klassischer Zeit keine ‚Latifundien‘ gegeben, wie RUSCHENBUSCH 2010, S. 132, korrekt anmerkt, aber dennoch scheint es durch Streubesitz zu einer Landbesitzkonzentration bei der Elite gekommen zu sein. Zu diesem Problemfeld siehe etwa FOXHALL 1992, die annimmt, dass in der klassischen Zeit fast die Hälfte des landwirtschaftlich nutzbaren Gebietes in Attika in den Händen von etwa neun Prozent der Bevölkerung konzentriert war. 591 Siehe etwa OSTWALD 2000, S. 50–52, für den „Property valuation (τίμημα) […] always a hallmark of oligarchies“ war. 592 Vgl. Athen. pol. 7,3f. und davon abhängig Plut. Sol. 18,1f. und Poll. 8,130. Für einen eigenständigen Quellenwert der Ausführungen bei Julius Pollux spricht sich VAN WEES 2001, S. 54f., aus.

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die Begleitung des Archontats vorbehalten.593 Da sich bekanntlich aus den gewesenen Archonten der Areopag zusammensetzte, den man bis zu den kleisthenischen Reformen als die formal mächtigste Institution betrachten sollte – zumindest im Rahmen der solonischen Ordnung – wird das oligarchische Prinzip des ganzen Systems deutlich. Im Grunde war in der solonischen Ordnung die Möglichkeit angelegt, dass sich dieser Rat der gewesenen Magistrate als die herrschende Institution des athenischen Gemeinwesens, ähnlich dem Senat in der Römischen Republik, hätte formieren können.594 Doch ist dies bekanntlich nicht geschehen. Die Ursache dafür ist unter anderem darin zu finden, dass die athenische Elite nie ein gemeinsames politisches Selbstverständnis entwickeln konnte. Weder ist es ihr gelungen ein partikulares Selbstverständnis zu entwickeln, welches es ihnen erlaubte hätte, sich als herrschende Gruppe zu formieren. Noch war die athenische Elite dazu in der Lage, ein gemeinsinniges Selbstverständnis herauszubilden, welches es ihnen erlaubt hätte, ihre Gruppenherrschaft als im Interesse der Gemeinschaft zu legitimieren.595 Wohl unmittelbar

593 Die Ausführungen in der Athenaion politeia (7,3) sind hier nicht eindeutig: „Die Verwaltung der hohen Ämter, also die neun Archonten, die Schatzmeister (tamíai), die Poleten, die Elf (héndeka) und die Kolakretai, wies er den Klassen der Pentakosiomedimnoi, der Hippeis und der Zeugiten zu, wobei er die Ämter auf die einzelnen Klassen entsprechend der abgestuften Vermögenseinteilung verteilte“ – ἄρχειν ἐκ πεντακοσιομεδίμνων καὶ ἱππέων καὶ ζευγιτῶν, τοὺς ἐννέα ἄρχοντας καὶ τοὺς ταμίας καὶ τοὺς πωλητὰς καὶ τοὺς ἕνδεκα καὶ τοὺς κωλακρέτας, ἑκάστοις ἀνάλογον τῷ μεγέθει τοῦ τιμήματος ἀποδιδοὺς τὴν ἀρχήν. Da die Archonten hier klar als die höchsten Ämter genannt werden, würde der Satz semantisch dafür sprechen, dass nur die erste Zensusklasse zum Archontat zugelassen wäre. Allerdings wird an späterer Stelle in der Athenaion politeia (26,2) darauf hingewiesen, dass man im sechsten Jahr nach dem Tod des Ephialtes (ἕκτῳ ἔτει μετὰ τὸν Ἐφιάλτου θάνατον), also im Jahr 457/56 v. Chr., die Zeugiten zum Archontat zugelassen hat. Dies spricht also dafür, dass entweder seit Solon die beiden höchsten Zensusklassen zum Archontat zugelassen waren, oder die hippeis irgendwann in der Zwischenzeit die Amtsfähigkeit erlangten. Siehe dazu RHODES 1993, S. 148, dem zuzustimmen ist, dass hier keine endgültige Antwort zu finden sein wird. 594 Diese Intention des Solon kann möglicherweise auch in seinem so genannten Stasis-Gesetz (vgl. Athen. pol. 8,5) erkannt werden. Denn nach der These von SCHMITZ 2013, besonders S. 85–91, ging es darin nicht um die Verpflichtung, dass alle Bürger sich in möglichen Stasis-Auseinandersetzungen gewaltsam beteiligen müssen, wie dies fälschlicherweise vom Verfasser der Athenaion politeia verstanden wurde. Vielmehr war dieses Gesetz ursprünglich eine Verpflichtung für alle Areopagiten in Verfahren gegen Tyrannisaspiranten eine klare Entscheidung für oder gegen den Angeklagten zu treffen. Damit wollte Solon, so Schmitz, für eine deutliche, dem gesamten Gemeinwesen klar ersichtliche, Präferenz der politischen Elite sorgen. Diese Interpretation, dass Solon also vornehmlich die institutionelle Vorrangstellung der Elite festigen und diese als Gruppe politisieren wollte, würde zumindest besser in das restliche Bild seiner politischen Reformen passen. 595 Des Weiteren fehlte als Grundlage für eine solche Entwicklung natürlich auch ein entwickeltes System sozialer Abhängigkeiten, wie dies im römischen Gemeinwesen in der

143 Die solonischen Reformen – Die Institutionalisierung oligarchischer Herrschaft?

nach dem Wirken des Solon als Schiedsrichter und Gesetzgeber brach die Stasis in Athen wieder aus. Nun aber nicht mehr zwischen der Elite und den unterelitären, sozial bedrängten Bürgerschichten. Vielmehr handelte es sich jetzt – folgt man der Überlieferung zu Peisistratos – um reine innerelitäre Auseinandersetzungen. Soweit man dies erkennen kann, waren in diesen nur sehr bedingt breitere Teile der Bürgerschaft involviert.596 Erst im Zuge der kleisthenischen Reformen und der Verteidigung dieser Reformen durch den athenischen Demos, kann man wieder eine aktive Beteiligung größerer Teile der unterelitären Bürgerschichten an einer Stasis fassen.597 Den Zeugiten (ζευγῖται), also der dritten Zensusklasse, waren gewisse niedrigere Ämter wohl zugänglich, auch wenn man aus den Quellen nicht mehr ersehen kann, welche dies im Einzelnen gewesen sein könnten.598 Außerdem hatten sie vermutlich Zugang zum solonischen Rat der Vierhundert,599 sollte diese Institution denn tatsächlich existiert haben.600 Die Zeugiten sind nun sowohl etymologisch als auch in Bezug auf ihre soziale Stellung ein Rätsel. An dessen Lösung hängt aber viel in Hinblick auf die Bewertung einer möglichen ‚proto-demokratischen‘ bzw. integrativ-egalitären Natur der solonischen Reformen. Unter dem

596 597 598 599 600

Form der Klientelverbindungen existierte (vgl. dazu etwa GELZER 1983 u. HÖLKESKAMP 2011). Siehe unten Kap. 8.2. Siehe unten Kap. 8.3. Vgl. Athen. pol. 7,3. Vgl. WELWEI 1998, S. 151. Der Rat wird in der Athenaion politeia (8,4) als eine Innovation des Solon erwähnt. Allein Plutarch (Solon 19,1) führt aus, dass in diesem Rat alle politischen Angelegenheiten, welche in der Volksversammlung diskutiert werden sollten, vorberaten und nur mit seiner Zustimmung der Versammlung tatsächlich vorgelegt wurden (οὓς προβουλεύειν ἔταξε τοῦ δήμου καὶ μηδὲν ἐᾶν ἀπροβούλευτον εἰς ἐκκλησίαν εἰσφέρεσθαι). Diese Überlieferung der Vorberatungskompetenz des Rates der Vierhundert deutet möglicherweise darauf hin, dass man es hier mit einer Dopplung des kleisthenischen Rates der Fünfhundert zu tun hat und deswegen die Historizität des solonischen Rates ablehnen sollte (vgl. etwa HIGNETT 1967 [1952], S. 92–96). Dagegen sprechen sich etwa RHODES 1993, S. 153f., u. WELWEI 1998, S. 151, für die Existenz eines solonischen Rates aus. Aus einer evolutionären Perspektive würde natürlich die Existenz eines Rates der Vierhundert, welcher die Agenda der Volksversammlung (laut Plutarch) vollständig bestimmen konnte, sehr schön ins Konzept passen. Erst im Zuge der kleisthenischen Reformen wäre dieser Rat der Vierhundert dann in einen Rat der Fünfhundert umgewandelt worden, welcher zwar noch die Agenda der Volksversammlung vorbereitete, diese aber nicht mehr kontrollieren konnte. Dass ein solcher Rat der Vierhundert in der Zeit zwischen den Reformbemühungen des Solon und des Kleisthenes in den innenpolitischen Auseinandersetzungen, etwa bei der Machtergreifung des Peisistratos, keine Rolle gespielt hat, ist kein Argument gegen die Existenz einer solchen Institution. Denn der Areopag, dessen Existenz niemand anzweifelt, spielte hier ebenso wenig eine Rolle. Die fast vollkommene Irrelevanz der politischen Institutionen nach Solon ist eher ein Zeichen für die Schwächen der politischen Reformen des Gesetzgebers.

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etymologischen Gesichtspunkt ist nun die Frage, ob sich der Name der Zensusklasse aus einer militärischen oder einer ökonomischen Begrifflichkeit herleitet. Die militärische Herleitung von ζευγῖται bringt diesen Begriff mit ζευγίτης in Verbindung. Dieser kann benutzt werden, um zwei oder mehrere Kämpfer in enger Formation zu beschreiben.601 Diese Begriffsbedeutung lässt erst einmal an die Hoplitenphalanx denken.602 Allerdings kann der Begriff ζευγίτης auch ein Gespann von zwei Zugtieren bezeichnen.603 Dies führt dann hingegen zu der ökonomischen Erklärung, welche die Zeugiten mit dem Begriff ζεῦγος in Verbindung bringt. Dieser ist in der Regel als ein Gespann (also zwei) Ochsen bzw. anderer Zugtiere zu verstehen.604 Wichtiger noch ist aber die Frage nach der sozialen Verortung der Zeugiten. Die klassische Position vermutet in ihnen eine breite Schicht von Vollbauern. Personen also, welche ihr eigenes Land mit ihrem eigenen Gespann an Ochsen durch vornehmlich ihre eigene Arbeitskraft (und der ihrer Kernfamilie) bewirtschafteten und dazu nicht mehr als die Hilfe eines Knechtes und einer Magd (frei oder unfrei) in Anspruch nahmen. Ein Ideal, welches bekanntlich bereits in den Ἔργα καὶ ἡμέραι des Hesiod vor Augen tritt.605 Allein, die in der Athenaion politeia überlieferte Zensusqualifikation von 200 μέτρα τὰ συνάμφω ξηρὰ καὶ ὑγρά für die Zeugitenklasse,606 also einem unbestimmtem Hohlmaß von festen und flüssigen landwirtschaftlichen Erzeugnissen, bringt viele Schwierigkeiten mit sich. Zuvorderst natürlich, was genau diese Zensusangabe eigentlich bedeuten soll.607 Es lässt sich aus dieser Angabe 601 Vgl. etwa Plu. Pel. 23,3. 602 Für die militärische Konnotation spricht sich etwa WHITEHEAD 1981 aus, welcher auch die ältere Literatur diskutiert; außerdem RHODES 1993, S. 138, u. VAN WEES 2001, S. 46f. Kurt RAAFLAUB 2006 sieht ebenfalls die solonischen Zensusklassen als reine militärische Einteilungen und hält darüber hinaus die Pentakosiomedimnoi zusammen mit einer Neubestimmung der Zensusklassen nach Vermögen für eine Erfindung des 5. Jahrhunderts. 603 Vgl. etwa Kall. Ap. 48 u. Diod. 17,71,2 wo „τῶν ζευγιτῶν“ direkt als Bezeichnung für ‚Zugtiere‘ Benutzung findet. 604 So schon in Hom. Il. 18,543. Gegen die militärische Etymologie argumentiert etwa ROSIVACH 2002, auch wenn er die Herleitung aus ζεῦγος etymologisch ebenfalls für nicht unproblematisch hält (vgl. S. 39–41). Eindeutig für die ζεῦγος-Etymologie spricht sich VAN WEES 2006, S. 352–360, aus und revidiert damit seine frühere Meinung. 605 Vgl. Hes. erg. 404–616. 606 Athen. pol. 7,4; auch überliefert bei Plut. Sol. 18,1f. u. Poll. 8,130. 607 Vgl. dazu RHODES 1993, S. 141f. Es ist also nicht klar, ob hier Medimnoi gemeint sein könnten, ein Begriff, der als Volumenmaß für Getreide benutzt wurde. Ein attisches Medimnos wird etwa 52,8 Liter entsprochen haben. Das Hohlmaß für Flüssigkeiten, Metretes, entsprach hingegen nur ca. 39 Liter. Allerdings ist der Begriff ‚Medimnos‘ in der höchsten Zensusklasse der Pentakosiomedimnoi enthalten. Auch wie die verschiedensten landwirtschaftlichen Produkte in ein Maß zusammengerechnet werden konnten, ist nicht bekannt. Es gibt hier unbeweisbare Hypothesen, dass es Standardeinteilungen und Umrechnungen nach einem Weizenstandard (vgl. THOMSON 1953) oder Gerstestandard gegeben hat (vgl. DE STE. CROIX 2004, S. 32–46). Ein solcher Standard könnte dann auch

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keine genaue Vorstellung der notwendigen Besitzgröße und Produktivität rekonstruieren. Nimmt man aber die Zensusgrenzen für die beiden höheren Vermögensklassen hinzu, also 300 μέτρα für Hippeis und 500 μέτρα für die Pentakosiomedimnoi, so sieht man, dass der sozioökonomische Abstand, vor allem zwischen Hippeis und Zeugiten, nicht besonders groß gewesen sein kann. Dies erschwert es, in den Zeugiten eine Art Mittelschicht von Vollbauern / Hopliten zu sehen und in den Hippeis eine elitäre Gruppe, welche ohne eigene Arbeitsleistung von den Erträgen ihres Grundbesitzes leben konnte, um sich etwa der Zucht von Pferden zu widmen.608 Die sozioökonomische Nähe der Zeugiten zu den Hippeis hat Hans van Wees vor einigen Jahren klar erkannt. In einer stupenden (und zum Teil auch sehr spekulativen) Arbeit hat er versucht, die Hofgrößen zu bestimmen, mit denen der Zeugitenzensus zu erreichen ist. Ebenso hat er versucht, die Anzahl an Personen zu bestimmen, welche durch solche Landgüter versorgt werden hätten können.609 Bei aller Problematik seiner Schätzungen im Einzelnen sind seine Kernthesen doch überzeugend.610 So sollte man davon ausgehen, dass der durchschnittliche Zeugitenhof eine Größe von etwa 10,85 Hektar besessen haben muss, was soweit über der Subsistenzstufe einer bäuerlichen Kernfamilie lag, dass genügend weitere Personen (etwa Sklaven oder freie Knechte bzw. Saisonarbeiter) versorgt werden konnten. Der Hofbesitzer musste nicht selber mit Hand anlegen und gehörte damit zur ‚leisure class‘. Die Größe des Hofes eines Vollbauern, der also nicht nur seine Kernfamilie, sondern auch ein Paar Pflugochsen unterhalten konnte, schätzt van Wees dagegen auf mindestens fünf Hektar. Diese Gruppe von Bauern wird in der Regel auch genügend Vermögen besessen haben, um sich die Ausrüstung eines Hopliten leisten zu können, obwohl sie nach den solonischen Zensusklassen den Theten (θῆτες) zuzuordnen sind.611

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nicht-landwirtschaftlichen Reichtum bzw. solchen aus der Viehzucht für Zensuskategorien bestimmbar gemacht haben, welche sich ursprünglich nur auf den ackerbaulichen Bereich bezogen. Gerade der Teil der Bürgerschaft, welcher im Fischereiwesen tätig war (Fang, Verarbeitung, Handel) könnte dadurch mit erfasst worden sein. Aufgrund der Küstenlänge von Attika und der Bedeutung der Fischerei für die Ernährung der Bevölkerung des griechischen Raumes, sollte dieser Bevölkerungsteil als nicht gering eingeschätzt werden (vgl. dazu BOHLEN 1937, S. 15–25). So die klassische Interpretation der solonischen Zensusklassen – siehe dazu etwa WELWEI 1998, S. 148; STAHL 2003, S. 239; TSIGARIDA 2006, S. 98f.; C. SCHUBERT 2012, S. 47–50. Vgl. VAN WEES 2001, besonders S. 47–51. VAN WEES 2001, S. 3 mit Anm. 11, geht davon aus, dass Medimnoi gemeint sind. Daher solle mit einem landwirtschaftlichen Ertragszensus von „about 8 metric tonnes of wheat, or almost 6.5 metric tonnes of barley, or just under 8 hectolitres (c. 175 gallons) of wine or oil“ zum Erreichen der Zeugitenklasse gerechnet werden. In einer weiterführenden Überlegung geht VAN WEES 2006 nun davon aus, dass die Zeugiten doch im wörtlichen Sinne als ‚ein Gespann Ochsen Besitzende‘ zu verstehen und aufgrund der hohen solonischen Zensusqualifikation weiterhin der ökonomischen Elite zuzurechnen sind. Dies mag durchaus möglich sein, doch der daraus folgende Schluss,

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Van Wees geht daher im Weiteren davon aus, dass möglicherweise sechzig bis siebzig Prozent der athenischen Hopliten von den Theten gestellt wurden. Die Zeugiten hätten hingegen nur neun bis maximal dreißig Prozent der erwachsenen, männlichen Bürgerschaft gestellt.612 Wenn diese Überlegungen zutreffen, hätte dies keine fundamentalen Auswirkungen auf das Verständnis der politischen Ordnung der nachkleisthenischen Phase. Sehr wohl aber hat es erhebliche Auswirkungen auf das Verständnis der politischen Ordnung, wie sie von Solon geschaffen wurde. Zwar wäre in beiden Fällen, also sowohl wenn man die Zeugiten als unterelitäre Vollbauern als auch wenn man sie als Teil der ‚leisure class’ betrachten würde, am oligarchischen Herrschaftsprinzip dieser Ordnung dass zum Zeitpunkt der solonischen Zensuseinteilung keine Schicht an Vollbauern existiert haben kann und alle ‚ein Gespann Ochsen Besitzende‘ zur erweiterten, nicht selbst arbeitenden ökonomischen Elite gehört haben müssen („[…] thetes, dependent smallholders and landless men, were separated from the elite of leisured property-owners, not by a middle class of independent working farmers, but by a yawning gap“ (S. 365)), kann nicht überzeugen. Denn wenn man alle Angaben zur Zensusordnung in der Athenaion politeia ernst nimmt, dann muss man auch den Hinweis ernst nehmen, dass Solon auf bereits bestehenden Bezeichnungen zurückgegriffen hat (7,3). Demnach könnte der Begriff ζευγῖται als ‚Gespannbauern‘ eine übliche Bezeichnung gewesen sein, welche aus einer Zeit stammen würde, in welcher die ökonomische Stratifikation der athenischen Gesellschaft noch nicht so ausdifferenziert gewesen war, wie es zu Beginn des 6. Jahrhunderts der Fall gewesen ist. Denn der klassische ‚Gespannbauer‘ bzw. Vollbauer des 7. Jahrhunderts, wie er bei Hesiod sichtbar wird, gehört klar zu den unterelitären Schichten und musste zur eigenen Subsistenz auf dem eigenen Hof permanent mitarbeiten. Der Begriff ζευγῖται würde dann eine ursprüngliche Bezeichnung für Angehörige der Schicht unmittelbar unter der der βασιλεῖς gewesen sein. Erst ab der Zeit des Solon könnte der Begriff dann zur Bezeichnung eines Teils der erweiterten ökonomischen Oberschicht Verwendung gefunden haben, als dieser Teil der erweiterten amtsfähigen Führungsschicht institutionell beigeordnet wurde. 612 Vgl. VAN WEES 2001, S. 51–54; siehe dagegen aber VALDES GUIA / GALLEGO 2010, besonders S. 271–277, welche davon ausgehen, dass die klassische Interpretation der Zeugitenklasse zutrifft und diese im 6. und 5. Jahrhundert eine breite bäuerliche Mittelschicht darstellte, die sich sowohl ein Gespann Ochsen leisten konnten als auch zum Hoplitendienst befähigt war. An den problematischen Vermögensgrenzen kommen aber auch sie nicht vorbei, so dass sie die in der Athenaion politeia (7,4) und bei Pollux (8,130) überlieferten Angaben mit einer Neueinteilung der Zensusklassen am Ende des 5. Jahrhunderts zu erklären versuchen. Sie argumentieren, dass mit der Einführung der εἰσφορά im Jahr 428/27 v. Chr. (vgl. Thuk. 3,19,1) auch die wohlhabenderen Zeugiten zur Zahlung mit herangezogen wurden. Diese faktische Spaltung der Zensusklasse sei dann nach dem Peloponnesischen Krieg in einer Gesetzesrevision zwischen 403 und 399 v. Chr. institutionalisiert worden. Damit sei es dann zu einer Neukonstituierung der dritten Zensusklasse gekommen, deren Angehörige erst damit zu einer ‚leisure class‘ geworden wären. Das Herabsinken vieler Zeugiten in die Thetenklasse sei dann mit der faktischen Abschaffung der politischen Vorrechte der ersten drei Zensusklassen kompensiert worden. So scharfsinnig diese Argumentation auch sein mag, ist sie doch noch voraussetzungsreicher und spekulativer als das Erklärungsmodell von van Wees, welchem deswegen nach wie vor der Vorzug gegeben werden sollte.

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nicht zu rütteln. Dennoch wäre in dem Fall, dass die Zeugiten zur sozioökonomischen Elite gehörten, das solonische Athen als eine weitaus engere Oligarchie zu werten. Es wird damit noch schwieriger, in den solonischen Reformen den Ursprung eines ‚Bürgerstaates‘ bzw. eines politischen Bewusstseins breiterer Bürgerschichten zu verorten. Vielmehr muss man davon ausgehen, dass, entgegen der Intention des Reformers, sich ein solches, bereits vorhandenes Bewusstsein weiter ausgebildet hat, um dann im Zuge der Ereignisse von 508/07 v. Chr. seine Wirkungsmächtigkeit zu entfalten. Dies alles heißt nun aber nicht notwendigerweise, dass die unterelitären Bürgerschichten613 im Zuge der solonischen Reformen – bei all den Tendenzen zur Oligarchisierung der politischen Ordnung – nicht doch einen Zugewinn an politischer Macht verbucht haben könnten. Gemeinhin wird ein solcher Machtzuwachs an zwei Maßnahmen des Solon festgemacht. Zuerst ist hier die Beteiligung des gesamten Demos, also auch der untersten Zensusklasse der Theten, in einer formalisierten, wohl nach dem Mehrheitsprinzip entscheidenden Volksversammlung zu nennen. Als zweites ist an die allgemeine Zugänglichkeit der Gerichtshöfe zu denken, in denen wohl ebenfalls nach dem Mehrheitsprinzip entschieden wurde.614 Allein scheint eine allgemeine Zugänglichkeit zu einer Volksversammlung – wenn auch einer ohne formale Abstimmungen – bis in die homerische Zeit zu reichen. Ebenso ist die Macht des Demos, die durch solche Versammlungen entfesselt werden konnte, bereits in den homerischen Texten zu erkennen.615 Solon scheint daher in seinen Reformen dem Demos, wenn auch in einer stärker institutionalisierten, eben verstaatlichten Form, etwas zugestanden zu haben, was dieser eigentlich bereits besaß. Was bleibt ist also eine Beteiligung aller Bürger an der Rechtsprechung, welche in der homerischen und hesiodischen Gesellschaft wohl tatsächlich noch ein Vorrecht der Elite gewesen

613 Im archaischen Sprachgebrauch eben der ‚Demos‘ bzw., wenn man der Argumentation von van Wees folgt, die ‚Theten‘. Wobei unter dem Begriff δῆμος auch schon in den homerischen Texten die Elite mit einbezogen sein konnte und damit dieser Begriff die Gesamtgemeinde bezeichnete – siehe dazu WELSKOPF 1981, S. 163–184; ANDREEV 1988, S. 14–27; ULF 1990, S. 164–171. 614 Siehe Athen. pol. 7,3 zu der Beteiligung der Theten: „Den Angehörigen der Thetenklasse aber gab er nur Anteil an der Volksversammlung und den Gerichten“ – τοῖς δὲ τὸ θητικὸν τελοῦσιν ἐκκλησίας καὶ δικαστηρίων μετέδωκε μόνον. Siehe außerdem Athen. pol. 9,1 zur Bewertung dieser Maßnahmen und mit dem Hinweis auf Stimmsteine als ein Indiz für eine formalisierte Mehrheitsentscheidung: „wodurch […] die Menge am meisten gestärkt worden ist – die Überweisung von Rechtsverfahren an das Gericht. Denn wenn das Volk (im Gericht) Herr über die Stimmsteine ist, wird es auch Herr über den Staat“ – μάλιστά φασιν ἰσχυκέναι τὸ πλῆθος, ἡ εἰς τὸ δικαστήριον ἔφεσις: κύριος γὰρ ὢν ὁ δῆμος τῆς ψήφου, κύριος γίγνεται τῆς πολιτείας. Siehe im Weiteren dazu auch Aristot. pol. 1274a 15–20 u. Plut. Sol. 18,2–7. 615 Siehe dazu oben Kap. 6.4.

148 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

war.616 Allerdings ist bei der Überlieferung zu diese Reformmaßnahme äußerst umstritten, inwieweit der Verfasser der Athenaion politeia nicht nur das System der Gerichtshöfe aus dem 4. Jahrhundert auf Solon als Urheber übertragen hat.617 Sollte Solon nun tatsächlich einen Gerichtshof geschaffen haben, bei welchem die Richter aus allen Schichten der Bürgerschaft stammten und dessen Anrufung allen Bürger offen stand – und sei es auch nur als Berufungsinstanz – dann ist es in der Tat diese Maßnahme, welche die Stellung der unterelitären Bürgerschichten im athenischen Gemeinwesen erheblich stärkte.618 Doch damit wäre es immer noch die einzige Maßnahme, mit welcher Solon die institutionelle politische Lage der athenischen Bürger unterhalb der Vermögensklasse der Zeugiten verbessert hätte. Zum Abschluss ist noch zu fragen, ob Solon vielleicht indirekt die politische Stellung der unterelitären Bürgerschichten verbessert hat. Etwa indem er auf den Unterebenen des athenischen Gemeinwesens, speziell auf der wichtigsten, also der Demenebene, irgendwelche Veränderungen durchführte. Die Antwort darauf fällt aber ernüchternd aus, da die einzige Nachricht darüber in einem Fragment des Demetrios von Phaleron überliefert ist. In diesem wird, entgegen den Ausführungen in der Athenaion politeia,619 die Einsetzung von Demenrichtern nicht dem Peisistratos, sondern dem Solon, bzw. den „Männern um Solon“ (οἱ περὶ Σόλωνα), zugewiesen.620 Dietmar Kienast sieht nun in dieser solonischen Institution eher mit richterlichen Befugnissen ausgestattete Demenvorsteher, welche aus den lokalen Eliten stammen würden und dadurch mit den lokalen Verhältnissen vertraut wären.621 Diese lokalen Instanzen könnten dann auch eher das solonische Entschuldungsprogramm und die Rückführung von in die Sklaverei verkauften Bürgern durchgeführt haben.622 Die „Männer um Solon“ wer616 Wobei anzunehmen ist, dass sich die Angehörigen der unterelitären Schichten nur in Ausnahmefällen an die Elite zur Streitbeilegung gewandt haben werden. Die Dorfgemeinschaft konnte, wie SCHMITZ 2004a, S. 259–410, gezeigt hat, viele Vergehen einzelner Gemeinschaftsmitglieder durch eine ganze Reihe von Rügebräuchen und Schandstrafen ahnden, ohne dass dabei auf die Hilfe einzelner Mächtiger zurückgegriffen werden musste. 617 Vgl. grundlegend HANSEN 1982; außerdem etwa RHODES 2006, S. 255f., u. SCHUBERT 2012, S. 58–60. 618 Siehe etwa VAN WEES 2011, der auch zu Recht darauf hinweist, dass mit der Einführung der ‚Popularklage‘ ein entscheidender Schritt im „process of state-formation“ (S. 136) getan wurde. 619 Vgl. Athen. pol. 16,5. 620 Vgl. FGrHist IIB 228 fr. 31 = Schol. Aristoph. nub. 37. 621 Siehe KIENAST 2005b, S. 71–78, entgegen der Überlieferung in der Athenaion politeia (21,5), nach welcher die dḗmarchoi eine kleisthenische Erfindung waren. Für Kienasts These spricht jedenfalls, dass auch der Aristophanesscholiast (Nub. 37) die solonischen Demarchen mit den kleisthenischen verbindet und nicht mit den Demenrichtern des Peisistratos. 622 Siehe KIENAST 2005b, S. 72, der zu möglichen Problemen bei diesen Maßnahmen anmerkt: „Kontroversen ließen sich aber nur in den Landgemeinden, nicht in Athen klären.

149 Die solonischen Reformen – Die Institutionalisierung oligarchischer Herrschaft?

den dabei gleichsam zu den Sachwaltern des Solon und den Verantwortlichen für die Umsetzung der solonischen Reformen auf der Ebene der Demen.623 Wenn dies nun alles zutrifft, dann würde es die Bedeutung der Demenebene mit seinen ‚face to face‘ Gemeinschaften schon zur Zeit des Solon unterstreichen. Aber die Maßnahme selbst, so wie sie von Kienast rekonstruiert wird, hätte eher zu einer politischen Stärkung der (lokalen) Eliten geführt, als zu einer politischen Stärkung der unterelitären Demenbürger. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die ökonomisch-rechtlichen Reformen des Solon durchaus gemeinsinnig waren, denn sie stabilisierten das athenische Gemeinwesen politisch ungemein. Die Spannungen zwischen der Elite und den unterelitären Bürgerschichten wurden anscheinend dadurch behoben, zumindest bis zu den Ereignissen von 508/07 v. Chr. Jedenfalls sind die politischen Auseinandersetzungen der Jahre dazwischen reine innerelitäre Angelegenheiten. Mit der Überwindung der ökonomischen Krise und einer gewissen Sicherung politischer Teilhabe war scheinbar auch ein möglicher politischer Reformeifer bei den unterhalb der Elite stehenden Bürgern erloschen. Der egalitären soziopolitischen Grunddisposition der unterelitären Bürgerschaft war durch eine gewisse Absicherung ihrer ökonomischen und rechtlichen Stellung anscheinend in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Dies war ebenso der Fall, da die prinzipielle Möglichkeit des Aufstieges in eine nicht abgeschlossene Elite weiterhin bestehen blieb, auch wenn die ökonomischen Abstände sich erweitert haben werden. Die Elite wiederum akzeptierte gewisse ökonomische Einbußen und vielleicht einen gewissen kurzfristigen politischen Machtverlust. Mittel- und langfristig wurde aber ihre politische Stellung durch die Institutionalisierung politischer Vorrechte aufgrund der solonischen Zensusordnung gefestigt. Allerdings stellen die solonischen Reformen, mit ihrer Betonung der politischen Institutionen und der Verrechtlichung sozioökonomischer Macht zu institutionalisierter politischer Herrschaft, einen evolutionären Sprung im staatlichen Entwicklungsprozess Athens dar. Allerdings war dieser Sprung, anders als bei den ‚kleisthenischen Reformen‘, kein evolutionärer Sonderfall,624 sondern erfolgte nach den globalen Entwicklungstendenzen bei der Entstehung von Staatlichkeit.625 Denn dieser Prozess war eindeutig mit einer institutionalisierten Machtkonzentration bei der Elite verbunden. Nur wusste diese – ihrer heroischen Asozialität verpflichtet – die gewonnene Herrschaft nicht zu nutzen und zerrieb sich in Kämpfen untereinander weiter selbst. Auch Rückführungen von Flüchtlingen und der Rückkauf von Schuldsklaven aus dem Ausland konnte nicht ohne die Mitwirkung örtlicher Instanzen durchgeführt werden. Denn in den Landgemeinden kannte man die Namen und möglicherweise auch den Verbleib der Betroffenen“ (S. 72). 623 Vgl. KIENAST 2005b, S. 76f. 624 Siehe dazu unten Kap. 8.4. 625 Siehe dazu oben Kap. 2.6.

150 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

Solon war damit also weder der Begründer der Demokratie, noch der Begründer des Bürgerstaates – wohl aber einer der Begründer von Staatlichkeit in Athen. Auch waren seine Reformen kein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Demokratie oder auch nur zu einer egalitäreren, inkludierenden politischen Ordnung. Vielmehr konnte es in Athen nicht wegen, sondern trotz der solonischen Reformen zur Entstehung einer demokratischen Herrschaftsordnung kommen. Eine egalitäre soziopolitische Grunddisposition war mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in der athenischen Gesellschaft vor den solonischen Reformen vorhanden. Ansonsten hätte Solon in seinem Reformwerk kaum darauf Rücksicht genommen. Auch konnte diese sich am Ende ja durchsetzen. Allerdings ändert dies nichts daran, dass Solon mit seinen politischen Reformen vornehmlich bestrebt war, eine klassische oligarchische Herrschaftsordnung institutionell abzusichern. Der ganze solonische Reformprozess zeigt nun aber anschaulich die Kontingenz des athenischen Weges zu einer demokratischen Herrschaftsordnung.

8.2.

Die Tyrannis des Peisistratos – Eine Phase der politischen Stagnation?

Vor allem in der älteren Forschung wird mitunter die Tyrannis des Peisistratos geradezu als notwendige Vorstufe zur späteren Entstehung der demokratischen Ordnung in Athen angesehen.626 Machtgewinnung und Machtausübung des Peisistratos werden, wenn schon nicht als demokratisch legitimiert, so doch zumindest als mit einem plebiszitär-populären Charakter versehen betrachtet.627 626 Vgl. dazu grundlegend BERVE 1967, S. 47–63; neuere, konzise Darstellungen zu Peisistratos bieten etwa WELWEI 1992, S. 229–247; BLEICKEN 1995a, S. 32–40; BRANDT 2005; ein umfassender Überblick über die Quellen und ältere Forschungsliteratur findet sich bei DE LIBERO 1996, S. 50–116. 627 Den populären und plebiszitären Charakter der Herrschaft des Peisistratos betonen etwa R. WALLACE 2007, S. 75f., hier S. 75: „By 561 […] the demos had had enough. Now, however, they chose a different solution […] they ended the squabbling by supporting Peisistratus as tyrant“ u. ROSE 2012, S. 341–350, hier S. 342f. „Granting that Peisistratos saw to it that his supporters held key positions […] the demos nonetheless had a long period of choosing candidates, setting the assembly’s agenda, and using the courts against any egregious abuses“. Als mögliche oder notwendige Vorstufe zur späteren demokratischen Entwicklung sehen die mit populären Elementen versehene Herrschaft des Peisistratos etwa STAHL 1987, S. 188f., hier S. 189: „Die Stabilität der Tyrannis bedingte ein ständiges Ringen des Machthabers um Zustimmung und Anerkennung durch möglichst breite Bevölkerungsschichten“; CAMP 1996, hier S. 11: „It may well be that Peisistratos in enlisting the support of the poorer element of Athenian society to counterbalance the richer, more established, and conservative Alkmaionidai merely set the stage for a similar revolt by Kleisthenes, using a similar tactic, several decades later“; STAHL /

151 Die Tyrannis des Peisistratos – Eine Phase der politischen Stagnation?

Natürlich gibt es in der modernen Forschung auch Gegenmeinungen, welche einen populären und plebiszitären oder gar demokratischen Charakter der Machtgewinnung und Machtausübung des Peisistratos ablehnen.628 Doch die erste hier genannte Position ist in der Forschung immer noch äußerst populär. WALTER 2009, S. 149–151: „Although these rulers [Peisistratos und seine Söhne] relied not least on superior external resources, their long control of power was only possible because they did not ignore the needs of the Athenian citizenry and their communal life“ (S. 149) und weiter: „The tyranny represented neither a slow-down nor a detour, but acted as a catalyst for the final breakthrough of the Athenian citizen-state“ (S. 151). Darüber hinaus geht GOUSCHIN 1999, welcher zumindest für die erste Tyrannis den Peisistratos als einen „elective tyrant“ (S. 23) betrachten will. Am weitesten geht aber wohl LAVELLE 2005, S. 155–167, hier S. 162: „because he would continue to react to the demos and its wishes, he was in essence a democratic tyrant“. Wieder zeigt sich, warum es so notwendig ist, sich klar zu machen, was Demokratie eigentlich bedeuten soll. Einen Überblick und Verweise auf die ältere Literatur bietet WELWEI 2010, S. 51–53. Allerdings scheint seine Einschätzung der Position von BLOK 2000, S. 47f., diese sehe die Tyrannis des Peisistratos als „Beitrag zu einer Entwicklung […], die schließlich zur Verfassung des Kleisthenes als Grundlage einer »modernen Demokratie« geführt habe“ (WELWEI 2010, S. 53), nicht zuzutreffen, da BLOK 2000, S. 47 diese Aussagen in ihrer Zusammenfassung des „most familiar image of Peisistratos‘ tyranny“ macht und im Weiteren klar darlegt, dass „instead, I submit that Peisistratos’ power was fully traditional“. 628 Allgemein zur archaischen Tyrannis siehe etwa JEFFERY 1976, S. 46f., hier S. 46: „The undoubted discontent among the poorest classes in seventh-century oligarchies cannot have managed to give any powerful support, or indeed incentive, to the would-be tyrant” u. GSCHNITZER 1981, S. 84–91, hier S. 87: „Die Tyrannen […] verstärken und sichern ihre Machtstellung nicht in erster Linie durch die Gewinnung eines breiten Anhangs unter den Volksmassen […] die Tyrannis im ganzen [ist] nicht als eine Reaktion auf die Adelsherrschaft zu verstehen […], sondern als eine Übersteigerung adliger Herrlichkeit“; zu Peisistratos siehe CAWKWELL 1995, hier S. 76: „The people did not come into it. Peisistratus did nothing directly for them. They did nothing for him […]“ und S. 80: „The people had not established Pisistratus in power, nor maintained his sons […] The tyranny at Athens was in no sense popular“; ANDERSON 2005, der seine Betrachtung auf alle archaischen Tyrannen, speziell aber auch auf Peisistratos bezieht: „Stasis meant factionalism not revolution; the aim of parties involved was to dominate the existing oligarchic regime, not to overthrow it” (S. 197). Auch wenn eine gewisse Unterstützung des Tyrannen durch breitere Bevölkerungskreise nicht vollständig zu leugnen sei, so sehen die oben genannten doch zu Recht das militärische und ökonomische Potenzial des Peisistratos als das entscheidende an. Ein politisches Programm hatte Peisistratos nicht zu bieten und sei es auch nur in der Stärkung der bestehenden solonischen Ordnung. Deswegen kann man in der Herrschaft des Tyrannen auch „keine Voraussetzung oder notwendige Vorstufe zur Entwicklung der athenischen Demokratie“ sehen, sondern sie „war politisch eine Sackgasse, aus der die Athener erst durch den Sturz der Peisistratiden mit spartanischer Unterstützung herausgelangen konnten“ (WELWEI 2010, S. 64). Allerdings sind diese Positionen nicht so übermächtig in der Forschung der letzten dreißig Jahre, wie oben gezeigt wurde, als dass der Position von ROSE 2012 (S. 341: „There is a strong tendency in much of recent scholarship on the Peisistratids to minimize their impact on the consciousness of the Athenian demos“) zugestimmt werden könnte.

152 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

Sie beruht dabei zumeist auf der Annahme, dass sich die Herrschaft des Tyrannen auf die Zustimmung breiterer unterelitärer Bürgerschichten stützen konnte.629 Diese Vermutung gründet sich wiederum vornehmlich auf die Ausführungen in der Athenaion politeia zum politischen Wirken des Peisistratos.630 In diesen wird er als derjenige beschrieben, welcher als der „volksfreundlichste Führer galt“.631 Allerdings wird auch in der Athenaion politeia nicht behauptet, dass er tatsächlich ‚volksfreundlich‘ (δημοτικός) war. Die Ausführungen in der Athenaion politeia müssen nun nicht an sich anachronistisch sein. Zu denken ist hier etwa an die Geschichte von der erfolgreichen Appellation des Peisistratos an das Volk, ihm eine Leibwache zu gewähren. Denn sollte diese Tradition einen historischen Kern haben, denn würde dies ja durchaus für ein gewisses Ansehen sprechen, welches Peisistratos bei breiteren Bevölkerungskreisen genossen haben könnte.632 Auch die prinzipielle Möglichkeit, dass Vertreter der archaischen Elite sich an den versammelten Demos wandten, um Hilfe in einem innerelitären Konflikt zu erlangen, ist bekanntlich schon in den frühsten literarischen Quellen belegt.633 Doch der Versuch mit dieser, vom Demos gewährten, Leibwache die Macht im athenischen Gemeinwesen zu erringen, scheiterte bekanntlich am Widerstand der beiden anderen mächtigen Vertreter der athenischen Elite, also an Megakles und an Lykurg.634 Es scheint, dass der Demos nicht bereit war, sich aktiv in 629 Diese und ähnliche Einschätzungen werden häufig für die gesamte Ältere Tyrannis postuliert, siehe etwa R. WALLACE 2000, S. 14f., hier S. 15: „Their [die archaischen Tyrannen] strength, however, came primarily from the demos’s support, not from rival aristocrats. In a very real way the tyrant was the people’s representative, the man they put into power”. Diese Einschätzung beruht auf einer Tradition des 4. Jahrhunderts, welche vor allem bei Platon (pol. 565c–e) und Aristoteles (pol. 1310b) fassbar wird, nach der die Tyrannen als Demagogen ihre Stellung erringen konnten. 630 Vgl. Athen. pol. 13–17; außerdem Aristot. pol. 1305a 22–24 u. 1310b 30f. 631 Athen. pol. 14,1: δημοτικώτατος δ᾽ εἶναι δοκῶν ὁ Πεισίστρατος. 632 Vgl. Hdt. 1,59,4–6 u. Athen. pol. 14,1. Wobei es umstritten ist, inwieweit die Informationen zur Tyrannis des Peisistratos in der Athenaion politeia, welche über die bei Herodot und Thukydides hinausgehen, einen eigenständigen Quellenwert besitzen (vgl. etwa CAWKWELL 1995, besonders S. 73–76, u. PESELY 1995). Für die anderen Quellen, welche die Appellation des Peisistratos an den Demos erwähnen (Diod. 13,95,5f.; Plut. Sol. 30,1–3; Polyain. 1,21,3; Ail. var. 8,16; Diog. Laert. 1,66; Iust. 2,8,5), kann man einen eigenständigen Quellenwert für die Geschichte Athens im 6. Jahrhundert v. Chr. wohl ausschließen. Natürlich ist auch die Darstellung des Peisistratos bei Herodot stark von den Interessen des Geschichtsschreibers und den politischen und kulturellen Umständen seiner Zeit geprägt – siehe dazu GRAY 1997. 633 Etwa Telemachos’ Hilfegesuch an die Gesamtgemeinde von Ithaka, auch wenn dieses erfolglos bleibt (vgl. Hom. Od. 2,6–259), und das Hilfegesuch des Eupeithes, Vater des getöteten Freiers Antinoos, um die Ermordung seines Sohnes und der anderen Freier zu bestrafen (vgl. Hom. Od. 24,421–469). 634 Diese beiden und auch Peisistratos scheinen jeweils in gewissen Regionen Attikas ihre Machtzentren besessen zu haben (für Peisistratos vgl. etwa FRENCH 1959), was in der Überlieferung wohl dazu geführt hat, dass ihre Stasisgruppierungen mit geographischen

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diese perpetuierte und eskalierte Stasis hineinziehen zu lassen.635 Dies ist im Kontext der spätarchaischen athenischen Ordnung, wie sie von Solon etabliert wurde, auch sehr verständlich. Denn die meisten athenischen Bürger konnten in solchen elitären Auseinandersetzungen nichts gewinnen, ganz egal welche Seite den Sieg davon tragen würde. Für Peisistratos blieb die Niederlage jedenfalls ohne größere Konsequenzen. Möglichweise musste er Attika nicht einmal verlassen, sondern sich nur aus dem urbanen Zentrum fernhalten.636 Peisistratos erhielt seine zweite Chance, sich in den innerelitären Machtkämpfen zu etablieren, nachdem Megakles und Lykurg ihr Zweckbündnis aufgekündigt hatten und Ersterer ins Hintertreffen zu geraten drohte.637 Denn für Megakles Großregionen Attikas in Verbindung gebracht und nach diesen benannt wurden (vgl. Hdt. 1,59,3). Die Verbindung jeder dieser Gruppe mit einer Verfassungsform (Athen. pol. 13,4) ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anachronistisch und kann ignoriert werden – siehe dazu grundlegend STAHL 1987, S. 56–105; auch RHODES 1981 [1993], S. 184–186, u. WELWEI 1992, S. 222–227; die ältere Forschung zusammenfassend KLUWE 1972; anders GOUSCHIN 1999, welcher eine genuine politische Gruppierung aus den unterelitären Bürgerschichten als die Anhängerschaft des Peisistratos vermutet. LAVELLE 2005, S. 67–90, rechnet zwar auch mit einer breiten politischen Unterstützung des Peisistratos durch den Demos, hält aber die drei Faktionen in der Erzählung des Herodot für eine spätere Erfindung, um den athenischen Demos von seiner ‚Mitschuld‘ an der ersten Tyrannis zu entlasten. 635 So zumindest sollte man wohl den ersten Versuch des Peisistratos, eine Tyrannis zu errichten, deuten. Ähnlich sieht auch WELWEI 1992, S. 227, die Episode von 561/60 nur als Machtdemonstration und nicht als regelrechten Putschversuch. Andererseits schreibt Herodot (1,59,6) dem Peisistratos eine direkte Herrschaftsausübung zu: „Seitdem war er Herrscher von Athen. Aber er schaffte die bestehenden Ämter nicht ab, änderte auch die Gesetze nicht, sondern regierte die Stadt nach der bestehenden Verfassung in trefflicher und guter Ordnung“ – ἔνθα δὴ ὁ Πεισίστρατος ἦρχε Ἀθηναίων, οὔτε τιμὰς τὰς ἐούσας συνταράξας οὔτε θέσμια μεταλλάξας, ἐπί τε τοῖσι κατεστεῶσι ἔνεμε τὴν πόλιν κοσμέων καλῶς τε καὶ εὖ. Die Athenaion politeia (14,3) lässt diese erste ‚Herrschaftsphase‘ immerhin bis 556/555 dauern. Diese letzte Angabe lässt sich allerdings nicht mit Herodot in Einklang bringen und ist wahrscheinlich falsch. Nach RHODES 1993, S. 191–203, ist es „more probably Pisistratus remained in power only for a few months” (S. 203); so auch DE LIBERO 1997, S. 59. 636 So deuten etwa BERVE 1967, S. 48 u. 544, und DE LIBERO 1997, S. 59, eine Bemerkung des Herodot, nach der Peisistratos erneut aus Athen floh, nachdem das Bündnis mit Megakles zerbrochen war (1,61,1–2), welches ihm die Rückkehr ermöglicht hatte. Nun aber floh er nicht nur aus dem städtischen Zentrum von Athen, sondern dauerhaft aus dem gesamten (attischen) Land, wie Herodot anscheinend besonders betont (ἐκ τῆς χώρης τὸ παράπαν) und mit Eretria auch einen Ort des Exils nennt. Dies deutet für beide darauf hin, dass er nach seiner ersten Vertreibung nicht aus Attika fliehen musste. Anderseits scheint Peisistratos laut Herodot spontan und alleine (ἑωυτῷ) aus Athen geflohen zu sein (1,61,2) und seine beiden Söhne in Eretria bereits auf ihn gewartet zu haben (1,61,3). Diese Überlieferung kann durchaus darauf hindeuten, dass Peisistratos dort bereits einen Exilwohnsitz, etabliert nach seiner ersten Vertreibung, besaß. 637 Vgl. Hdt. 1,60,1 u. Athen. pol. 14,4.

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war es offensichtlich keine Handlungsoption, an breitere Bürgerschichten um Unterstützung zu appellieren. Der Grund dafür war vermutlich, dass er ihnen nichts anzubieten hatte, wozu vorher Solon mit einem gemeinsinnigen sozioökonomischen Ausgleich oder später Kleisthenes mit einer gemeinsinnigen politischen Innovation in der Lage gewesen waren. Noch nicht einmal ein moralischer Appell um Hilfe, zu welchem Peisistratos dank seiner geschickten Inszenierung einige Jahre zuvor in der Lage gewesen war, kam für Megakles in Frage. So blieb ihm nur übrig, die Rückkehr des Peisistratos in die aktive athenische Politik zu arrangieren und das neue Bündnis zusätzlich mit einer Heiratsverbindung zu festigen. Peisistratos wurde so sein Schwiegersohn. Soweit folgte alles einem klassischen elitären Handlungsmuster638 und war in seiner politischen Beschränktheit in keiner Weise geeignet, den permanenten Zustand der Stasis zu überwinden. Vielmehr wurde aufgrund dieses elitären Agierens die politische Krise des athenischen Gemeinwesens nur perpetuiert. Auch die Inszenierung der Rückkehr des Peisistratos in das urbane und politische Zentrum des athenischen Gemeinwesens, also die Phye-Episode,639 – so unterhaltend dieses Spektakel für die Athener auch gewesen sein mag – sollte nicht missverstanden werden. Diese Inszenierung diente sicherlich nicht dazu, breitere Kreise der athenischen Bürgerschaft von einer göttlichen bzw. religiösen Legitimation der Rückkehr und ‚Herrschaft‘ des Peisistratos zu überzeugen.640 Sie diente Peisistratos auch nicht dazu, „ein spezifisches Charisma zu 638 Vgl. STEIN-HÖLKESKAMP 1989, S. 143f. 639 Vgl. Hdt. 1,60,3–5 u. Athen. pol. 14,4. 640 So etwa BERVE 1967, S. 49; BOARDMAN 1972 u. BOARDMAN 1989 hat versucht zu zeigen, dass Peisistratos hier eine elaborierte religiöse Inszenierung durchführte, in welcher er sich selbst mit Herakles gleichsetzte und damit gleichsam die Grundlage für eine „sakrale Herrschaftsideologie“ (so BRANDT 2005, S. 13f., im Anschluss an Boardman) schuf. CONNOR 1987, S. 42–47, sieht darin auch eine religiöse Inszenierung, welche von den Athenern verstanden wurde und an welcher sie bewusst partizipierten. Allerdings meint er, dass Peisistratos „is not claiming to be Heracles, or a monarch, but Athena's attendant, a brave but subordinate charioteer, and thereby the agent of the true protector and ruler of the land, Athena“ (S. 46). SINOS 1998 sieht in der Episode ein „staging of an epiphany of Athena” (S. 79) und meint, dass die Reaktion der Athener „can be understood as a willingness to enter into the heroic image presented by the man and goddess standing on the chariot” (S. 88), also als eine Art populäre Zustimmung zur gesamten Inszenierung. Auch H. BLOK 2000 geht davon aus, dass sich Peisistratos hier an die heroischen Vorbilder aus dem Epos anschloss und sich als Schützling der Göttin Athena darstellte. Dazu war es nicht notwendig, dass die Athener tatsächlich an die physische Anwesenheit der Göttin glaubten, vielmehr zollten sie „reverence to Athena’s interference on behalf of Peisistratos, proven by his victory and his return, presented by Phye” (S. 45). Allerdings muss Blok für diese Interpretation auch davon ausgehen, dass die gesamte Episode erst nach der Schlacht von Pallene anzusetzen ist und somit aus einem Ereignis in der Überlieferung zwei verschiedene Ereignisse wurden. Nach FADINGER 2000 glaubte Peisistratos durch die Inszenierung die „usurpierte Alleinherrschaft in den göttlichen Heilsplan einfügen und als gottgewollt mit Anspruch legitimieren“ (S. 35), zu kön-

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gewinnen und hierdurch Akzeptanz bei der Mehrzahl der astoi (Bürger) zu finden“.641 Vielmehr scheint der Plan, eine groß gewachsene Athenerin mit dem Namen Phye als Athena auszustaffieren und diese dann den Peisistratos auf einem Wagen ‚offiziell‘ in der Stadt zurückführen zulassen, nicht allein vom späteren Tyrannen zu stammen. Zumindest in der Tradition, welche Herodot und dem Verfasser der Athenaion politeia vorlag, wird ziemlich deutlich, dass die Initiative zur Rückkehr des Peisistratos eben von Megakles ausging. Beide scheinen sich – wie bereits erwähnt – auf ein Bündnis geeinigt und dann gemeinsam einen effektvollen Plan zur Rückkehr des Exilierten ausgearbeitet zu haben.642 Denn beide zusammen – so Herodot – ersannen den Plan (1,60,3: μηχανῶνται .. πρῆγμα),643 beide zusammen statteten die Athenerin Phye als Athena aus (1,60,4: σκευάσαντες πανοπλίῃ), beide zusammen stellten sie auf den Wagen (1,60,4: ἐς ἅρμα ἐσβιβάσαντες) und fuhren sie in die Stadt (1,60,4: ἤλαυνον ἐς τὸ ἄστυ). Zwar befand sich laut der Athenaion politeia nur Peisistratos zusammen mit der Pseudo-Athena auf dem Wagen,644 aber in der Beschreibung des Herodot könnte auch Megakles mit auf dem Wagen gewesen sein. Jedenfalls wird aus beiden Beschreibungen deutlich, dass Megakles nicht nur an der Planung der Rückkehrinszenierung beteiligt war, sondern auch am Spektakel selbst. Nicht nur ‚Athena‘, sondern eben auch Megakles führten den Exilierten zurück ins urbane und politische Zentrum des athenischen Gemeinwesens.

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nen, wozu er nicht nur vorderorientalische Vorbilder kopierte, sondern auch an mykenische Riten aus der späten Bronzezeit anschloss. LINKE 2005 meint schließlich, besonders S. 1–9, hier eine „erfolgreiche sakrale Statusreklamation“ (S. 7) ausmachen zu können. Dagegen betont LAVELLE 2005, S. 99–107, zu Recht den primär politischen Charakter der Inszenierung, meint aber auch, dass der dḗmoi „the majority for whom the pageant was intended as a persuasion” (S. 196) war. WELWEI 2010, S. 56. Dies betont auch LAVALLE 2005, S. 107: „First, the pageant had to have been the brainstorm of Megakles and must be connected with his proposal to Peisistratos and the attempt of both to reinstate the latter: it was deemed integral to their effort to re-create the tyranny“. Doch ging es Megakles natürlich nicht um Errichtung oder Wiedererrichtung einer Tyrannis des Peisistratos, sondern um die Vorherrschaft einer Stasisgruppierung, in welcher er die Macht hatte. In der Athenaion politeia (14,4) ist es sogar nur Megakles, welcher allein das Spektakel plante: „Nachdem er [Megakles] nämlich das Gerücht verbreitet hatte, Athena selbst werde Peisistratos zurückbringen, suchte er eine große und schöne Frau aus […], verkleidete sie als die Göttin (Athena) und führte sie zusammen mit Peisistratos in die Stadt. Peisistratos fuhr nun auf einem Wagen ein und hatte die Frau neben sich“ – προδιασπείρας γὰρ λόγον, ὡς τῆς Ἀθηνᾶς καταγούσης Πεισίστρατον, καὶ γυναῖκα μεγάλην καὶ καλὴν ἐξευρών […] τὴν θεὸν ἀπομιμησάμενος τῷ κόσμῳ, συνεισήγαγεν μετ᾽ αὐτοῦ: καὶ ὁ μὲν Πεισίστρατος ἐφ᾽ ἅρματος εἰσήλαυνε, παραιβατούσης τῆς γυναικός. Vgl. Athen. pol. 14,4.

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Zwar wird die Inszenierung sich auch an die (potenziellen) Anhänger des Peisistratos645 und generell an die unterelitären Bürgerschichten Athens gerichtet haben. Ihnen sollte durch diese klar gemacht werden, aus welcher Richtung der (politische) Wind nun wehte. Beiden Gruppen sollte kommuniziert werden, dass nunmehr eine neue, mächtige Stasisgruppierung bzw. ein neues Bündnis zweier alter Stasisgruppierungen die politische Vorherrschaft im Gemeinwesen übernommen hat. Aber die Hauptadressaten der Inszenierung waren Lykurg und seine Stasisgruppierung bzw. andere aktive oder potenzielle Stasisgruppierungen. Der Hauptadressat war also die athenische Elite. Eine wie auch immer geartete Vorherrschaft des Peisistratos hing jedenfalls vollständig an dem Bündnis mit Megakles. Die Behauptung des Herodot, Peisistratos habe hier die Tyrannis erlangt,646 ist daher sicherlich falsch.647 Dies erweist sich auch darin, dass nachdem das Bündnis beider an einer persönlichen Kränkung des Megakles zerbrochen war,648 bereits die Nachricht eines Bündniswechsels von diesem ausreichte, um Peisistratos kampflos aus Attika fliehen zu lassen.649 Dieser Umstand zeigt aber auch, wie wirkmächtig allein die Nachricht von einem neuen Bündnis aus Stasisgruppierungen war, um die Machtstellung des Peisistratos anscheinend sehr plötzlich zusammenbrechen zu lassen. Und genau vor diesem Hintergrund sollte man daher die Phye bzw. Athena-Inszenierung betrachten. Diese war ein effektives politisches Spektakel, um vornehmlich den elitären Konkurrenten den neuen Partner bzw. das neue Bündnis bekannt zu geben. Ein möglicher Widerstand gegen die Machtergreifung der Stasisgruppierung des Peisistratos und des Megakles sollte dadurch von vornherein als aussichtslos erscheinen. 645 So etwa DE LIBERO 1994, S. 115. 646 Vgl. Hdt. 1,61,1: „Als Peisistratos auf die genannte Weise die Alleinherrschaft übernommen hatte […]“ – ἀπολαβὼν δὲ τὴν τυραννίδα τρόπῳ τῷ εἰρημένῳ […]. Die Athenaion politeia spricht interessanterweise bei der ersten Rückkehr des Peisistratos aus dem Exil nirgends davon, dass er, wie noch 561/60, die Herrschaft übernommen hätte (14,3: λαβὼν τὴν ἀρχὴν). Auch wird in der Athenaion politeia nicht erwähnt, wie Peisistratos nach der Rückkehr aus dem zweiten Exil die Tyrannis etablieren konnte (15,3: κατεῖχεν ἤδη τὴν τυρρανίδα βεβαίως). 647 Vgl. DE LIBERO 1994. 648 Vgl. Hdt. 1,61,2. Angeblich weigerte sich Peisistratos die Ehe mit der Tochter des Megakles zu vollziehen und Kinder zu zeugen, da er die Stellung seiner bereits vorhandenen Söhne nicht beeinträchtigen wollte. Was genau im Ehebett des Peisistratos stattgefunden hat, oder eben auch nicht, diskutiert etwa HOBEN 1997, welcher sich für ein Enthalten des Peisistratos von jeder sexuellen Praxis mit der Tochter des Megakles ausspricht. Dies müsse dann als ein Verstoß gegen die Ehegesetze des Solon gewertet werden und damit sei die Reaktion des Megakles gerechtfertigt. DRÄGER 1998, der sich gegen die Darstellung von Hoben wendet, meint hingegen, dass in der Darstellung des Herodot lediglich der Vaginalverkehr des Peisistratos mit der Tochter des Megakles ausgeschlossen werde, beide aber dennoch sexuell miteinander aktiv waren und wahrscheinlich Analverkehr anzunehmen sei. Aufgrund der Quellenlage kann keine der Theorien als wahrscheinlicher angenommen werden. 649 Vgl. Hdt. 1,61,3 u. Athen. pol. 15,1.

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Die ganze Geschichte mit der schönen Frau in voller Rüstung auf dem Wagen sollte, in diesem Kontext betrachtet, dann auch nicht unbedingt überinterpretiert werden. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass hier religiöse Prozessionen oder gar orientalischer Herrschaftsstil nachgeahmt wurden. Ein gewisses religiös-sakrales Element ist dem ganzen Ereignis dann auch nicht abzusprechen.650 Dieses wird aber im Vergleich zu der klaren politischen Inszenierung sekundär gewesen sein.651 Letztendlich ging es Megakles und Peisistratos darum – wie schon erwähnt –, die gesamte Polis über ihr neues Bündnis in Kenntnis zu setzen und mögliche Gegner innerhalb der Elite so einzuschüchtern, dass sie gar nicht erst an Gegenmaßnahmen denken würden. Dies scheint dann gelungen zu sein, denn man hört in den Quellen von keinen Gegenmaßnahmen anderer politischer Akteure des athenischen Gemeinwesens. Weder gegen die Rückkehr des Peisistratos noch gegen die Vorherrschaft der Stasisgruppierung des Peisistratos und des Megakles. Ebenso scheinen die politischen Institutionen des Solon in diesem ganzen Prozess vollkommen irrelevant gewesen zu sein. Die ganze Phye-Episode ist also primär als ein politischer Akt in einer innerelitären Auseinandersetzung um die Vorherrschaft im athenischen Gemeinwesen zu sehen. Die Inszenierung war hingegen kein Versuch des Peisistratos, breitere Unterstützung unter dem athenischen Demos zu erlangen. Denn diese sollte weder als ein quasi-plebiszitärer Akt noch als der Versuch der religiös-sakralen Überhöhungen der Person des Peisistratos missverstanden werden. Ähnlich sollte man auch die im Jahr 546/545 v. Chr. erfolgreich erlangte Vorherrschaft des Peisistratos eher in den klassischen Handlungsmustern der archai650 Für die Bedeutung der religiös-sakralen Sphäre für die archaische Elite siehe LINKE 2005. Dieser verweist aber auch auf das erfolgreiche Bemühen der einzelnen Gemeinwesen, „die Machtkonzentration einzelner Angehöriger der Polis im sakralen Bereich zu verhindern“ (S. 37). Auch ist seiner folgenden Ausführung generell zuzustimmen: „Religiöse Deutungssysteme besitzen für Gemeinschaften, die ihre kollektive Orientierung an ihnen ausrichten, eben einen janusköpfigen Charakter: Zum einen können ihre konkreten Organisationsformen sehr wohl von gesellschaftlichen Faktoren dominiert sein. Zum anderen stellen sie aber durch ihre Anbindung an die göttlichen Mächte einzelnen Angehörigen der Gemeinschaft ein Legitimationspotenzial für die eigene Statusreklamation bereit, das nicht den gesellschaftlichen Machtverhältnissen unterworfen ist“ (S. 8). Aber gerade für das letztere Phänomen ist Peisistratos, entgegen den Ausführungen bei LINKE 2005, S. 7f., kein Beispiel. Denn Peisistratos ist vollständig den gesellschaftlichen Machtverhältnissen in Athen unterworfen. Die gesamte Phye-Inszenierung wäre ohne die Unterstützung des Megakles nicht denkbar gewesen. Nur die Bündelung der Machtressourcen von beiden konnte die Rückkehr des Peisistratos überhaupt möglich machen. Die Phye-Episode, als konkrete Organisationsform innerhalb des religiösen Deutungssystems, war damit vollständig von den gesellschaftlichen Faktoren, also dem Bündniswechsel des Megakles und seiner Stasisgruppierung von Lykurg und seiner Stasisgruppierung hin zu Peisistratos und seiner Stasisgruppierung, dominiert. 651 Siehe LAVELLE 2005, S. 104f., für die politische Bedeutung der Athena als Schutzgöttin der Gemeinschaft und der politischen Ordnung der Athener spätestens seit Solon.

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schen Elite deuten. Denn diese wurde bekanntlich nicht durch irgendwelche politischen Manöver erreicht, sondern durch reine Gewaltanwendung.652 Nachdem Peisistratos ein weiteres Mal aus Athen vertrieben wurde, scheint er sich als eine Art Warlord im Pangaion-Gebirge an der Grenze zu Thrakien. Diese Bezeichnung für Peisistratos für diese Phase seines Lebens scheint jedenfalls den soziopolitischen Realitäten in der Mitte des 6. Jahrhunderts näher zu kommen, als ihn etwa zu einem proto-kapitalistischen Bergwerksunternehmer zu deklarieren. Möglicherweise handelte Peisistratos dann auch ursprünglich im Auftrag des Gemeinwesens von Eretria oder doch zumindest von Teilen der dortigen Elite, mit dem Ziel eine Kolonie an der thrakischen Küste zu gründen.653 Er scheint sich jedenfalls am Rande des griechischen Kulturkreises einen eigenen kleinen Herrschaftsraum geschaffen zu haben.654 Durch die Ausbeutung der dort vorhandenen Gold- und Silbervorkommen konnte er sich eine wohl permanente Söldnertruppe leisten.655 In den zehn Jahren seines zweiten Exils scheint Peisistratos sich dann außerdem noch als Condottiere verdient zu haben. Dies könnte die spätere Unterstützung anderer griechischer Gemeinwesen (Eretria, Argos, Theben, Naxos) oder doch zumindest elitärer Kreise dieser Gemeinwesen (bzw. im Falle von Naxos des dortigen Tyrannen) bei seiner gewaltsamen Rückkehr nach Athen erklären.656 Sein weiteres Vorgehen war dann das eines auswärtigen Feindes,657 auch wenn er von den Athenern später nicht als ein sol-

652 Vgl. etwa BERVE 1967, S. 51f.; WELWEI 1991, S. 227–229; DE LIBERO 1997, S. 59–62. 653 Vgl. dazu COLE 1975; VIVIERS 1987; LAVELLE 2005, S. 116–126. Diese Kolonie nutzte er dann vielleicht als Ausgangsbasis für seine eigenen, weiterreichenden Pläne (vgl. LAVELLE 2005, S. 126–134). Dies aber anscheined ohne sich mit Eretria zu überwerfen, da er es ja später als Ausgangsbasis für seine gewaltsame Rückkehr nach Athen nutzen konnte (Hdt. 1,62,1) und dabei von der Elite Eretrias unterstützt wurde (Athen. pol. 15,2). 654 Auch wenn dieser Herrschaftsraum sicherlich nur als Mittel zum Zweck zu verstehen ist, also um Ressourcen zu generieren, welche Peisistratos eine spätere Rückkehr nach Athen ermöglichen sollten (vgl. LAVELLE 2005, S. 118f.). Ob allerdings mit dem Abrücken des Peisistratos und seiner Söldner nach Attika dieser Herrschaftsraum aufgegeben wurde, wie LAVELLE 2005, S. 119, vermutet, ist keineswegs sicher. Denn Herodot (1,64,1) scheint davon auszugehen, dass Peisistratos zur Aufrechterhaltung seiner Herrschaft (τὴν τυραννίδα) weiterhin Ressourcen (χρημάτων) aus dieser Region beziehen konnte. Daher vermutet etwa DE LIBERO 1997, S. 81f. (u. Anm. 228 mit der älteren Literatur), auch, dass „die Finanzierung seiner [also Peisistratos] Herrschaft […] sehr wahrscheinlich zu einem großen Teil über die Einnahmen aus den thrakischen Minen“ erfolgte. Allerdings ist es schwierig, aufgrund der Personalität der Herrschaft des Tyrannen, sich eine stabile Kontrolle eines Herrschaftsgebietes an der thrakischen Küste bei ständiger Abwesenheit des Peisistratos vorzustellen. 655 Vgl. DE LIBERO 1997, S. 81f. u. Anm. 227, mit der älteren Literatur. 656 So zumindest kann man die knappen Beschreibungen bei Herodot (1,61,3–64,3) und in der Athenaion politeia (15,2–5) deuten. 657 So auch BERVE 1967, S. 52.

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cher betrachtet wurde. Er landete im elften Jahr nach seiner Verbannung, 658 also wohl im Jahr 546/45 v. Chr., mit seinen Söldnern bei Marathon. Ebenso konnte er anscheinend wieder einen gewissen Anhang innerhalb der attischen Bevölkerung mobilisieren.659 Diese Mobilisierung wird aber für seinen Erfolg in keiner Weise entscheidend gewesen sein.660 Die athenische Elite jedenfalls scheint die Bedrohung, welche von Peisistratos ausging, zuerst nicht sonderlich ernst genommen zu haben.661 Nur nach einigem Zögern hat man ein Hoplitenaufgebot zusammengebracht, welches bei dem Tempel der Athena Pallenis, in der Demengemeinde Pallene, auf das Söldneraufgebot des Peisistratos traf. Offensichtlich erwarteten die Führer des athenischen Aufgebotes aber keine unmittelbare Schlacht, denn laut Herodot lagerten sie erst einmal, um zu essen und danach zu würfeln oder zu schlafen. Doch Peisistratos griff das Lager der Athener unvermittelt an und schlug das Bürgeraufgebot in die Flucht. Eine regelrechte offene Feldschlacht fand also gar nicht statt.662 Es wäre nun interessant zu wissen, wie es um die Kräfteverhältnisse bestellt gewesen war, doch kann man hier nur Vermutungen anstellen. Die Truppen des Peisistratos bestanden wohl vornehmlich aus eher leichtbewaffneten Thrakern663 und nur die griechischen Söldner664 werden als schwerbewaffnete Hopliten gekämpft haben. Brian Lavelle kommt in seinen hochspekulativen Überlegungen jedenfalls auf etwa 4000 schwerbewaffnete Hopliten. Diese mögen sogar, zusammen mit den leichter bewaffneten Thrakern, der athenischen Streitmacht überlegen gewesen sein. Zumindest von der reinen Anzahl der Kombattanten 658 Vgl. Hdt. 1,62,1 u. Athen. pol. 15,2. 659 Hdt. 1,62,1: „Als sie daselbst lagerten, kamen die Parteianhänger aus der Stadt zu ihnen, und auch die Leute aus den ländlichen Bezirken eilten herbei, denen die Tyrannis lieber war als die Freiheit“ – ἐν δὲ τούτῳ τῷ χώρῳ σφι στρατοπεδευομένοισι οἵ τε ἐκ τοῦ ἄστεος στασιῶται ἀπίκοντο ἄλλοι τε ἐκ τῶν δήμων προσέρρεον, τοῖσι ἡ τυραννὶς πρὸ ἐλευθερίης ἦν ἀσπαστότερον. 660 LAVELLE 1991, besonders S. 320–322, sieht in der Beschreibung des anwachsenden Aufgebotes des Peisistratos durch Herodot einen Versuch, den Eindruck zu erzeugen, dass „the Athenians were utterly finished before the battle was even joined“ (S. 322). 661 Vgl. Hdt.1,61,2. 662 Vgl. Hdt. 1,63,1: „Die Athener aus der Stadt hatten sich gerade zum Mahle gesetzt; danach würfelten die einen, die anderen legten sich zur Ruhe. Peisistratos griff mit seinen Leuten die Athener an und schlug sie in die Flucht“ – Ἀθηναῖοι δὲ οἱ ἐκ τοῦ ἄστεος πρὸς ἄριστον τετραμμένοι ἦσαν δὴ τηνικαῦτα, καὶ μετὰ τὸ ἄριστον μετεξέτεροι αὐτῶν οἳ μὲν πρὸς κύβους οἳ δὲ πρὸς ὕπνον. οἱ δὲ ἀμφὶ Πεισίστρατον ἐσπεσόντες τοὺς Ἀθηναίους τρέπουσι. 663 Vgl. TRUNDLE 2004, S. 47f. 664 Siehe dagegen aber LAVELLE 2005, S. 140, welcher für die griechischen Hopliten die Bezeichnung als Söldner ablehnt, da sie nach Herodot (1,61,3f.) dem Peisistratos aufgrund früherer Verpflichtungen und persönlicher Verbundenheit folgten. Die explizite Bezeichnung des Aufgebotes aus Argos als Söldner (Hdt. 1,61,4: Ἀργεῖοι μισθωτοὶ) wird von LAVELLE 2005, S. 302f. Anm. 115, als antiargivische Herabwürdigung des Herodot erklärt.

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her.665 In jedem Fall waren die Athener aber „outmatched by the Peisistratid army in quality certainly and in commitment apparently“.666 Potenziell zumindest hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit die archaische Großpolis Athen mehr Soldaten ins Feld schicken können, als der Warlord Peisistratos zusammenbekommen hatte. Wenn aber die von Herodot berichtete Tradition korrekt ist, dann kam es nie zu einer vollständigen Musterung aller Wehrpflichtigen. Nur die im städtischen Zentrum selbst anwesenden Bürger wurden eilig zusammengezogen. Letztendlich wird es aber wirklich auf eine Frage des „commitments“ hinausgelaufen sein. Denn den meisten Soldaten aus den unterelitären Schichten war es wohl relativ gleichgültig, welcher Vertreter der athenischen Elite gerade die Vorherrschaft im athenischen Gemeinwesen innehatte.667 Diese Gleichgültigkeit des athenischen Demos darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gewinnung und Aufrechterhaltung der Vorherrschaft des Peisistratos fast ausschließlich auf der Gewinnung des Gewaltmonopols beruhte.668 Dies muss nun aber nicht bedeuten, dass er die Athener tatsächlich durch einen Trick entwaffnet hat, wie dies die Athenaion politeia berichtet.669 Vielmehr wird sich für die unterelitären Bürgerschichten politisch nicht viel verändert haben, da in der Überlieferungstradition klar davon ausgegangen wird, dass Peisistratos keine Veränderungen an der solonischen Ordnung vorgenommen hat.670 Um genau zu sein, scheint er fast vollständig auf genuine politische 665 Vgl. LAVELLE 2005, S. 139–142. 666 LAVELLE 2005, S. 142. 667 So etwa auch STEIN-HÖLKESKAMP 1989, S 145: „Die Angehörigen der mittleren und unteren Schichten waren allem Anschein nach nur sehr begrenzt für die Verteidigung der bestehenden Ordnung zu mobilisieren […] und hatten durch den Sieg des Peisistratos auch kaum etwas Wesentliches zu verlieren – und sie waren dementsprechend schnell bereit, seine Herrschaft wenigstens hinzunehmen“. Außerdem DE LIBERO 1997, S. 61: „Vielleicht steckt in diesem von Herodot bzw. seinem Gewährsmann sicherlich überzeichneten Bild von einer indolenten athenischen Streitmacht der Hinweis, daß die Bürger wenig Lust verspürten, ihr Leben für die Sache adliger Herren zu opfern, die doch nur Ähnliches im Sinn hatten wie der skrupellose Peisistratos“. 668 Siehe dazu etwa OLIVEIRA GOMES 2007, S. 43–58, die aufzeigt, dass dies – zumindest gemäß der Überlieferungen – generell für die Herrschaft der archaischen Tyrannen gilt. 669 Vgl. Athen. pol. 15,4; siehe dazu auch DE LIBERO 1997, S. 64f. Auch Thukydides (6,58,1f.) kennt eine Tradition für die Entwaffnung der Athener, allerdings durch den Sohn des Peisistratos, Hippias, unmittelbar nach der Ermordung des Hipparchos. 670 Vgl. Hdt. 1,59,6: „Aber er schaffte die bestehenden Ämter nicht ab, änderte auch die Gesetze nicht, sondern regierte die Stadt nach der bestehenden Verfassung in trefflicher und guter Ordnung“ – οὔτε τιμὰς τὰς ἐούσας συνταράξας οὔτε θέσμια μεταλλάξας, ἐπί τε τοῖσι κατεστεῶσι ἔνεμε τὴν πόλιν κοσμέων καλῶς τε καὶ εὖ. Allerdings beziehen sich diese Ausführungen auf die Zeit der ‚ersten Tyrannis‘ des Peisistratos. Auch Thukydides (6,54,6) kennt diese Tradition, anscheinend für die gesamte Herrschaft der Peisistratiden bis zur Ermordung des Hipparchos: „Im übrigen lebte die Stadt selbst nach den geltenden Gesetzen. Nur sorgten sie dafür, daß einer von ihnen in den Jahresämtern war“ – τὰ δὲ ἄλλα αὐτὴ ἡ πόλις τοῖς πρὶν κειμένοις νόμοις ἐχρῆτο, πλὴν καθ᾽ ὅσον αἰεί τινα ἐπεμέλοντο σφῶν αὐτῶν ἐν ταῖς ἀρχαῖς εἶναι. Doch nimmt er offensichtlich auch eine gewisse

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Maßnahmen verzichtet zu haben.671 Zumindest enthielt Peisistratos sich solcher Maßnahmen, die über das normale Handlungsmuster eines Vertreters der archaischen Elite hinausgegangen wären.672 Dabei ist allerdings zu beachten, dass politisches Handeln ja auch im Nichthandeln bestehen kann und gerade dadurch eine Herrschaft äußerst erfolgreich stabilisiert und perpetuiert werden kann. In den unterelitären Bürgerschichten wird es also wahrscheinlich gar kein ausgeprägtes Bewusstsein dafür gegeben haben, dass ein Widerstand gegen Peisistratos in irgendeiner Weise notwendig sei. Das Gewaltmonopol musste lediglich gegen die athenische Elite und ihre Stasisgruppierungen durchgesetzt werden und dafür reichte dann offensichtlich die Söldnertruppe des Peisistratos aus.673 Eine gewisse Unterstützung durch andere elitäre Familien, nachdem die Macht einmal errungen war, ergab sich dann ganz natürlich.674 Die Vorherrschaft des Peisistratos wird sich aber kaum von der vorher existierenden ‚Elitenherrschaft‘ unterschieden haben.675 Auch war seine Position als Tyrann nicht in irgendeiner

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Manipulation der politischen Ordnung an, indem die Peisistratiden ihre informelle Herrschaftsposition durch die Besetzung wenigstens eines der formalen Ämter stützten. Naheliegend wäre es hier wohl, an die jährlich zu besetzenden Ämter der Archonten zu denken, von welchen wenigstens eines dann einem Peisistratiden vorbehalten wäre. Zumindest in der fragmentarisch erhaltenen Liste der eponymen Archonten (IG I³ 1031) wird Hippias und möglicherweise auch dessen Sohn Peisistratos ([Πεισί]στρατ[ος]) genannt (vgl. DE LIBERO 1997, S. 124–125). Vgl. WELWEI 2010, besonders S. 60–66. Das gilt sowohl für seine ‚Außen- und ‚Heiratspolitik‘ (vgl. dazu DE LIBERO 1997, S. 72 u. S. 88–93), wie für seine ‚Bau- und Religionspolitik‘ – siehe dazu grundlegend KOLB 1977, der zwar von einer großen Bauaktivität des Peisistratos und seiner Söhne ausgeht, aber auch zu der klaren Einschätzung kommt: „Nichts in der Bau-, Religions-, und Kulturpolitik der Peisistratiden deutet aber darauf hin, daß die dahinter stehenden Absichten über das persönliche Interesse der Tyrannen an der Sicherung ihrer Herrschaft und Mehrung ihres Prestiges hinausging. Dies spricht entschieden für die Auffassung, daß auch hinter ihren Maßnahmen in anderen Lebensbereichen kein Reformprogramm stand, daß sie nicht als Interessenvertreter bisher benachteiligter Volksschichten anzusehen sind, sondern eine persönliche Herrschaft begründeten, die nur als eine »Variante der Adelsherrschaft« zu betrachten ist“ (S. 137f.); außerdem DE LIBERO 1997, S. 94–116, u. BOERSMA 2000. Zur Finanzierung dieser Söldnertruppe wird dann aber natürlich die Kontrolle über die Silbervorkommen im Laurion-Gebirge sehr nützlich gewesen sein. Zur ökonomischen Bedeutung des Silberabbaus im 6. Jahrhundert siehe G. DAVIES 2014. Vgl. dazu etwa die Untersuchung von SAMONS 2017, besonders S. 27–34, in welcher aufgezeigt wird, wie die Familie des älteren Kimon (Koálemos) mit den Peisistratiden ‚kollaborierte‘ und die Familie diesen Umstand im 5. Jahrhundert zu verdecken suchte. Dies hat in letzter Zeit vor allem Greg ANDERSON 2005 zeigen können und zwar nicht nur für die Tyrannis des Peisistratos, sondern für die gesamte sogenannte ‚Ältere Tyrannis‘. Für die Peisistratiden wurde dies aber auch schon von KLUWE 1972 festgehalten: „So gesehen repräsentiert sich uns die Tyrannis der Peisistratiden weit mehr als eine Variante der Adelsherrschaft und weit weniger als eine Gewaltherrschaft, in der der Tyrann mit Hilfe der neuen gesellschaftlichen Kräfte und aufstrebenden Klassen die Macht der alten Gentilaristokratie brach“ (S. 123).

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Weise politisch institutionalisiert.676 Der einzige Unterschied zu der Zeit vor der endgültigen Rückkehr des Peisistratos nach Athen wird darin bestanden haben, dass durch die Monopolisierung der Gewalt in den Händen des Tyrannen etwas mehr politische Ruhe ins Gemeinwesen gebracht wurde. Davon könnten dann auch die unterelitären Bürgerschichten bis zu einem gewissen Grad profitiert haben. Zwei Maßnahmen sind nun von Peisistratos aber doch überliefert, welche als genuin politische verstanden werden können. Denn beide waren möglicherweise geeignet, breitere unterelitäre Bürgerschichten für die Vorherrschaft des Peisistratos zu gewinnen. Gemeint sind hier die angebliche Darlehensvergabe an Kleinbauern und die Einrichtung von Demenrichtern. Beide Maßnahmen werden nicht von Herodot erwähnt. Erst der Autor der Athenaion politieia hält sie für erwähnungswürdig und setzt in seiner Darstellung beide Maßnahmen auch in Verbindung zueinander. Daher soll sich zuerst der angeblichen Darlehnsgewährung durch den Tyrannen zugewandt werden. In der Athenaion politieia wird dazu folgendes berichtet: P eis i str a to s ver wa lte te, wi e ge sa gt , d a s Ge me i n we s e n ma ß vo l l u nd me h r z u m N u tz e n d er P o lis al s a u f t yr a n ni sc h e Art u nd W ei s e. D e n n i m al l ge me i ne n war er me n s c he n fre u nd li c h, mi l d u nd b ere it z u ver geb e n, we n n j e ma n d e i n U nr ec ht b e ga n ge n ha tt e; i n sb e so ndere l ie h er Bed ür ft i ge n Ge ld für die Prod ukt io n, da mi t si e a u f Da uer vo n d er La nd wir t sc ha ft l eb e n ko n n te n. Da s tat er a u s z we i Gr ü nd e n, nä ml ic h d a mi t sie nic h t in der St adt her u ml unge rte n, so nd er n üb er d as L and vert ei lt s e ie n, und d a mit sie, i n maß vo ll e n V er hä lt n is s e n leb e nd u nd mi t i h r e n P r iv at a n gel e ge n he it e n b e s ch ä ft i gt, wed er den W unsc h no c h d ie Ze it hä tt e n, si c h um d as G e mei n we se n z u k ü m me r n. Z u g le ic h k a m e s i h m z u g u te , d a ß i n fo l ge d e r e x te n si v e n B e wir ts c ha ft u n g d e s La n d e s a uc h s e i ne Ei n na h me n hö her wu r d e n; d e n n vo n d e n Er tr ä ge n z o g er d e n Ze h n te n ei n. 677

Selbst wenn man von der Frage nach der Zuverlässigkeit der hier dargestellten Überlieferung erst einmal absieht, so ist diese doch auch in sich widersprüch676 Siehe SANCISI-WEERDENBURG 2000, welche die Tyrannis, gerade auch die des Peisistratos, als „a process, based on informal power and the use of personal resources and capabilities“ betrachtet, welche außerdem „can be seen as a family business, in which more members of the family participate” (S. 13). Selbst in den ‚außenpolitischen Beziehungen‘ lässt sich das ‚außerstaatliche‘ Moment gut fassen. So waren die Beziehungen nicht nur der athenischen Tyrannen mit dem persischen Staat stets individuelle Freundschaftsbeziehungen zwischen den einzelnen Tyrannen und dem persischen Großkönig bzw. einem seiner Satrapen (siehe dazu AUSTIN 1990). 677 Athen. pol. 16,2–4: διῴκει δ᾽ ὁ Πεισίστρατος, ὥσπερ εἴρηται, τὰ περὶ τὴν πόλιν μετρίως καὶ μᾶλλον πολιτικῶς ἢ τυραννικῶς. ἔν τε γὰρ τοῖς ἄλλοις φιλάνθρωπος ἦν καὶ πρᾷος καὶ τοῖς ἁμαρτάνουσι συγγνωμονικός, καὶ δὴ καὶ τοῖς ἀπόροις προεδάνειζε χρήματα πρὸς τὰς ἐργασίας, ὥστε διατρέφεσθαι γεωργοῦντας. τοῦτο δ᾽ ἐποίει δυοῖν χάριν, ἵνα μήτε ἐν τῷ ἄστει διατρίβωσιν, ἀλλὰ διεσπαρμένοι κατὰ τὴν χώραν, καὶ ὅπως εὐποροῦντες τῶν μετρίων καὶ πρὸς τοῖς ἰδίοις ὄντες, μήτ᾽ ἐπιθυμῶσι μήτε σχολάζωσιν ἐπιμελεῖσθαι τῶν κοινῶν. ἅμα δὲ συνέβαινεν αὐτῷ καὶ τὰς προσόδους γίγνεσθαι μείζους, ἐξεργαζομένης τῆς χώρας. ἐπράττετο γὰρ ἀπὸ τῶν γιγνομένων δεκάτην.

163 Die Tyrannis des Peisistratos – Eine Phase der politischen Stagnation?

lich. Denn sie beginnt damit, Peisistratos als gemeinsinnigen Herrscher zu loben, um dies dann durch ein Beispiel zu belegen. Im Anschluss daran werden aber als Begründung für die gemeinsinnige Maßnahme des Tyrannen zwei vollständige eigensinnige Motive genannt. Zum einen hätte demnach Peisistratos eine Entpolitisierung unterelitärer Bürgerschichten durch die gezielte Förderung ihrer ökonomischen Existenz außerhalb des politischen Zentrums erreichen wollen. Zum anderen hätte er beabsichtigt, die Steuereinnahmen und damit seine persönlichen Machtressourcen zu erhöhen.678 Zumindest die hier wiedergegebene Tradition sieht die Darlehensgewährung also nicht als eine Maßnahme zur Gewinnung des Demos an. Vielmehr erscheint sie als eine Vorkehrung, die gegen den Demos und seiner Möglichkeit zur politischen Teilhabe gerichtet ist. Man kann natürlich fast alle Elemente der Geschichte als anachronistisch ablehnen, wie etwa die Einführung einer regelmäßigen Ertragssteuer. Auch die bewusste Fernhaltung der Bauern vom städtischen Zentrum kann als Tyrannentopik zurückgewiesen werden. Nimmt man nur die Darlehensgewährung als historisch wahrscheinlich an, könnte man in dieser Geschichte tatsächlich einen Versuch des Peisistratos erkennen, unterelitäre Bürgerschichten persönlich an sich zu binden und aus Bindungen an andere Vertreter der Elite zu lösen.679 Damit würde sich diese Maßnahme aber eher als ein Mittel zeigen, mit welchem Peisistratos seine elitären Konkurrenten schwächen wollte. Ähnlich wird auch die überlieferte Einrichtung der Demenrichter in der Forschung häufig als eine Maßnahme betrachtet, um die unterelitären Bürgerschichten aus der Abhängigkeit von den lokalen attischen Eliten zu lösen. Erst durch diese politische Innovation wären sie politisch mündig geworden.680 Die Überlieferung in der Athenaion politeia knüpft aber die Ausführungen zu den Demenrichtern kausal unmittelbar an die Entpolitisierung und Erhöhung der Besteuerungsgrundlage an.681 Wenn diese Überlieferung einen historischen Kern 678 Vgl. RHODES 1993, S. 215. 679 So etwa STEIN-HÖLKESKAMP 1989, S. 145f.; LINK 1991, S. 34–41; DE LIBERO 1997, S. 79. Darüber hinaus reichende Maßnahmen, wie etwa eine Verteilung von Land im Besitz der Elite an unterelitäre Bürgerschichten – was etwa Solon als die eine mögliche Handlungsoption für einen Tyrannen beschreibt (vgl. fr. 34 West = fr. 29b Gentili / Prato, überliefert in Athen. pol. 12,3) – ist wenig wahrscheinlich, da dies sonst sicherlich in der frühen Tradition über Peisistratos Spuren hinterlassen hätte. 680 So etwa BERVE 1967, S. 55; STEIN-HÖLKESKAMP 1989, S. 146; DE LIBERO 1997, S. 78. Hingegen glaubt STAHL 1986, S. 185–187, zwar auch an eine „Verstärkung der Bindung dieser Bevölkerungsschichten an die Person des Tyrannen“ ( S. 186) aufgrund der Einführung der Demenrichter, meint aber, dass diese nicht gegen die Elite gerichtet sein müsse, da diese ja als die Richter fungierten. Vielmehr solle man darin einen Schritt zu stärkeren staatlichen Strukturen sehen. 681 Athen. pol. 16,5: „Deshalb setzte er auch die Demenrichter ein und ging häufig selbst aufs Land hinaus, um nach dem Rechten zu sehen und die Streitenden auszusöhnen, damit sie nicht in die Stadt kämen und ihre Arbeit vernachlässigten“ – διὸ καὶ τοὺς κατὰ δήμους κατεσκεύασε δικαστάς, καὶ αὐτὸς ἐξῄει πολλάκις εἰς τὴν χώραν, ἐπισκοπῶν καὶ

164 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

besitzt,682 dann hat Peisistratos tatsächlich auf der lokalen Ebene der Demen eine Alternative zu den βασιλῆας δωροφάγους geschaffen.683 Diese haben ja bekanntlich bereits Hesiod in seiner Auseinandersetzung mit dem Bruder das Leben so schwer gemacht und hielten für alle, die sie nicht bezahlten, nur σκολιῇς δίκῃς bereit.684 Mit dieser Maßnahme hätte Peisistratos dann auch, unabhängig von seinen Motiven, die Stellung der unterelitären Bürgerschichten gestärkt. Natürlich wäre die Wirksamkeit einer solchen Maßnahme eingeschränkt worden, wenn ein Demenrichter aus der lokalen Demenelite rekrutiert worden wäre oder ein Demenrichter in einer Deme tätig gewesen wäre, in welcher er persönliche Interessen hatte. Darüber hinaus könnten sich auch gänzlich unabhängige Demenrichter empfänglich für ‚Geschenke‘ gezeigt haben. Dennoch werden die Abhängigkeitsverhältnisse in lokalen Demengemeinschaften von extralokalen Vertretern der Elite um einiges geringer gewesen sein.685 Jedenfalls würde sich diese überlieferte politische Maßnahme – sollte sie denn einen historischen Kern haben – wieder als eine Maßnahme erweisen, die vornehmlich gegen die elitären Konkurrenten gerichtet wäre. Alles in allem scheint aber weder die Qualität noch die Quantität der Maßnahmen, die Peisistratos möglicherweise getroffen haben könnte, um die Unterstützung breiter Bürgerschichten zu gewinnen, für seine Machterhaltung von besonderer Bedeutung gewesen zu sein. Peisistratos war dann auch kein demokratischer Tyrann. Noch kann man seinen Versuchen eine Vorherrschaft im athenischen Gemeinwesen zu erringen und schließlich diese errungene Vorherrschaft aufrechtzuerhalten, einen irgendwie gearteten demokratischen, plebiszitären oder populären Charakter zuschreiben. Breitere Bürgerschichten partizipierten weder an seiner Herrschaftsgewinnung noch an seiner Herrschaft. Was er erreichte, erreichte er durch die Kooperation mit Vertretern der Elite, sei es in Athen selbst, sei es in anderen griechischen Gemeinwesen. Am erfolgreichsten war er allerdings, wenn er auf pure Gewaltanwendung setzte. Damit erscheint er geradezu als der Prototyp des asozialen homerischen Helden. Nachdem Peisistratos endgültig die Vorherrschaft im athenischen Gemeinwesen erlangt hatte, stärkte und festigte er die bestehende solonische Ordnung dann auch keineswegs. Noch hat er gar die soloni-

682 683 684 685

διαλύων τοὺς διαφερομένους, ὅπως μὴ καταβαίνοντες εἰς τὸ ἄστυ παραμελῶσι τῶν ἔργων. Dies ist keineswegs unbestritten – siehe dazu etwa WELWEI 2010, S. 62f. Hes. erg. 38f. Hes. erg. 220. Dafür, dass die Demenrichter einen gewissen positiven Eindruck im kollektiven Gedächtnis der Athener hinterließen, spricht die Wiedereinführung dieser Institution im Jahr 453/52, in welchem Zusammenhang auch die Anzahl der Demenrichter mit dreißig angegeben wird (vgl. Athen. pol. 26,3). Nach dem oligarchischen Umsturz von 404 bis 403 wurde diese Institution dann erneut als ein Losamt bestätigt und die Anzahl der Richter auf vierzig erhöht (vgl. Athen. pol. 53,1) – siehe dazu auch WHITEHEAD 1986, S. 260– 264.

165 Die kleisthenischen Reformen – Revolutionärer oder evolutionärer Prozess?

sche Ordnung erweitert. Um genau zu sein, scheint sein politisches Handeln im Nichthandeln bestanden zu haben. Die Charakterisierung der ‚Älteren Tyrannis‘ als ein „Return of the ‚Big-Man‘“ der homerischen Zeit durch Jonathan Hall ist dann wohl auch für die Tyrannis des Peisistratos eine treffende Beschreibung.686 Denn dem Tyrannen reichte es aus, auf eine für das 6. Jahrhundert schon anachronistische Art und Weise, „immer Bester zu sein und überlegen zu sein den anderen“.687 Die politische Stagnation des athenischen Gemeinwesens war aufgrund der politischen Apathie des Tyrannen dann zwar in der Tat eine Voraussetzung für die spätere Entwicklung der Demokratie. Dies gilt aber nur aufgrund der politischen Negativbilanz des Peisistratos, da er die sozialen und politischen egalitären Strukturen und Tendenzen nicht beschädigt hat, wohl weil er ihnen gleichgültig gegenüber stand. Peisistratos wird, obwohl man ihm ein gewisses politisches Gespür für das Empfinden auch breiterer Bürgerschichten nicht vollständig absprechen kann, wohl, wie die meisten seiner Standesgenossen, kein Verständnis für das Gemeinwohl besessen haben. Es war sein politisches Nichthandeln, welches sich im Nachhinein als eine gemeinsinnige Handlungsweise schlechthin erweisen sollte. Gerade dieser Umstand führt dann auch die Kontingenz in der soziopolitischen Entwicklung des athenischen Gemeinwesens im 6. Jahrhundert deutlich vor Augen. Die unterelitären Bürgerschichten des athenischen Gemeinwesens hatten durch die Tyrannis des Peisistratos und auch seiner Söhne politisch nichts gewonnen. Sie wurden nicht an der politischen Herrschaft beteiligt und haben auch keine größere politische Macht gewonnen, als sie vor der Herrschaft des Peisistratos bereits besessen hatten. Auf der anderen Seite hatten sie aber auch nichts an ihrer vorhandenen politischen Macht eingebüßt. Im Grunde war diese Epoche eine Zeit der politischen Stagnation und in Bezug auf die egalitären soziopolitischen Grundstrukturen in Athen ein Nullsummenspiel.

8.3.

Die kleisthenischen Reformen – Revolutionärer oder evolutionärer Prozess?

Dass die Reform der athenischen ‚Verfassung‘ durch Kleisthenes im Jahr 508/07 v. Chr. ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte Athens war, wird wohl

686 Siehe J. HALL 2007, S. 137–143, auch wenn er die Bedeutung der Tyrannenherrschaften für die spätere Entwicklung in Athen überschätzt, wenn er meint, diese „did weaken the authority of some of the leading families who had previously monopolized power and they also galvanized popular sentiment – a crucial step towards the crystallization of the political community“ (S. 143). 687 Hom. Il. 6,208 u. 11,784: αἰὲν ἀριστεύειν καὶ ὑπείροχον ἔμμεναι ἄλλων.

166 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

kaum jemand leugnen können.688 Sieht man diese Reformen als den Beginn oder auch nur als die Voraussetzung einer demokratischen Herrschaftsordnung an, dann bekommen diese zweifelsohne eine weltgeschichtliche Bedeutung.689 Dies trifft auch dann zu, wenn es keinen umfangreichen ideengeschichtlichen Anschluss zwischen antiker und moderner Demokratie geben sollte.690 Zumindest der Name dieser ungewöhnlichen Herrschaftsordnung (δημοκρατία) ist jedenfalls aus dem antiken Griechentum übernommen. Allein schon wegen dieser Tatsache, kann man nicht jede Verbindung zwischen antiker und moderner Demokratie leugnen. Dass es durchaus auch eine Rezeption der antiken, athenischen Demokratie in der Epoche der Aufklärung und der frühen Moderne gab,691 die keineswegs immer ablehnend gewesen ist, hat etwa Mogens Herman Hansen gezeigt.692 Jedenfalls kam durch die Entwicklung in Athen und auch in anderen griechischen Gemeinwesen im 5. und 4. Jahrhundert die Idee der Demokratie in die Welt. Auch wenn diese Idee mit dem Ende der antiken Welt in einen Dorn688 Wobei über den Reformer selbst kaum etwas bekannt ist (vgl. DEVELIN / KILMER 1997, S. 3f.; außerdem PA 8526 u. APF 9688 VI.), außer dass er möglicherweise im Jahr 525/24 als eponymer Archon fungierte, wie das Fragment einer Archontenliste nahelegt (vgl. MERITT 1939, S. 59–65 = Inschrift 21; außerdem BRADEEN 1963, S. 187–208, welcher das Fragment von Meritt mit weiteren Inschriftenfragmenten zu einer Liste verbindet = IG I³ 1031, mit der Zeile 18: [Κ]λεισθέν[ες]; zur Zuverlässigkeit dieser Liste siehe STAHL 1987, S. 145–149). Außerdem war er es wohl, der die Intrige initiierte, welche die Spartaner dazu brachte, die Herrschaft des letzten athenischen Tyrannen Hippias durch eine militärische Intervention zu beenden (vgl. Hdt. 5,63–65 u. 6,123, wobei Herodot hier immer nur von „den Alkmeoniden“ spricht und lediglich in 5,66,1 explizit Kleisthenes als Initiator benennt). 689 Siehe dazu etwa RAAFLAUB 1998b, S. 39–44, der zwar in Kleisthenes nicht den Begründer der Demokratie sieht, aber dennoch die Bedeutung seines Wirkens betont. 690 So etwa FINLEY 1973; GSCHNITZER 1995 [1986]; BLEICKEN 1995a, S. 679–683; MEIKSINS WOOD 1996; MORRIS / RAAFLAUB 1998; ROBINSON 1997, S. 25–33; SARTORI 1997, S. 274–290; RHODES 2003, S. 54–69; NIPPEL 2008, besonders S. 88–124. RUSCHENBUSCH 1994 geht mit seiner Einschätzung wohl am weitesten, wenn er festhält: „The development of representative democracy followed its own inherent laws. In this process, the example of Greek democracy played no role whatsoever apart from the fact that the Greek term ‘democracy’ was used as a label for an arrangement which had already emerged independently” (S. 196). 691 Speziell zur Rezeption der antiken Demokratie im 18. Jahrhundert siehe BREITLING 1977, S. 46–52. 692 Siehe HANSEN 1994a, welcher auch bereits mit den Reformen des Kleisthenes die Etablierung der Demokratie in Athen sieht. Diese Etablierung der Demokratie wurde in der Epoche der Aufklärung und der frühen Moderne allerdings vornehmlich mit Solon in Verbindung gebracht und nicht mit Kleisthenes. Dies ist allerdings dem athenischen Selbstverständnis geschuldet, in Solon den Begründer der demokratischen Ordnung zu sehen – siehe dazu auch HANSEN 2005, S. 5–44, und oben Kap. 8.1. Allerdings gab es natürlich auch viele Denker in diesen Epochen, welche der antiken athenischen Demokratie ambivalent bis eindeutig ablehnend gegenüberstanden – siehe dazu etwa NIPPEL 2003, besonders S. 50–62.

167 Die kleisthenischen Reformen – Revolutionärer oder evolutionärer Prozess?

röschenschlaf verfallen gewesen ist, so war sie doch nicht mehr aus der Welt zu bekommen. Spätestens mit der Amerikanischen Revolution (1763–1783) konnte die Idee der dēmokratía ihre historische Wirkmächtigkeit wieder entfalten.693 Die kleisthenischen Reformen selbst bestanden nun im Kern darin, die soziopolitischen Untergliederungen der athenischen Gesamtgemeinde neu zu strukturieren.694 Die althergebrachten vier Phylen (φυλές) wurden dabei anscheinend durch zehn neue ersetzt.695 Jede dieser Phylen enthielt wiederum je drei Trittyen (τριττύες), welche wiederum je aus einem geographischen Großraum des athenischen Staatsgebietes (das urbane Zentrum von Athen [ἄστυ], das Küstengebiet [παραλία] und das Binnenland [μεσόγειος]) genommen wurden. Die dreißig neuen Trittyen ersetzten die alten zwölf Trittyen, welche die vier alten Phylen unterteilt hatten.696 Vollkommen eindeutig sind die Ausführungen in der Athenaion politeia allerdings nicht in Bezug darauf, ob die alten Strukturen restlos ersetzt wurden oder diese parallel zu den neuen weiter existierten.697 Gene, Phratrien und Priesterschaften blieben jedenfalls unangetastet weiterhin bestehen.698 Auch berichtet die Athenaion politeia, dass Kleisthenes den solonischen Rat der Vierhundert durch einen neuen Rat mit fünfhundert Mitgliedern ersetzte.699 In diesem neuen Rat stellte jede Phyle fünfzig Ratsleute.700 Die Grundlage des neuen institutionellen Gefüges waren jedoch die Demen, auch wenn im knappen Bericht des Herodot dies nicht klar hervortritt: Ze hn Phyl e n vo r s te her nä m li c h sc huf e r sta tt de r bishe r i g e n vi e r , u nd n a c h d e r Z e h nz a h l ordne te er a u c h di e D e men de n P h yl e n z u. 701

In der Athenaion politeia wird dagegen die Bedeutung der Demen im Konzept des Kleisthenes eindeutig herausgestellt: Fer ne r te il te er d a s La nd na c h De me n i n d r eiß i g T eile a u f , vo n d e n e n ze h n d e m

693 Auch wenn in den Vereinigten Staaten von Amerika sich erst in der Generation nach der Revolution, vor allem unter der Präsidentschaft von Andrew Jackson (1829–1837) und der Gründungsphase der Democratic Party (1828–1832), das universelle Wahlrecht für (fast) alle weißen, erwachsenen und männlichen Staatsbürger in (fast) allen Bundesstaaten durchgesetzt hat (vgl. dazu etwa WILENTZ 2005, S. 312–518). 694 Konzise Darstellungen der Reformen bieten etwa BLEICKEN 1995a, S. 42–47; WELWEI 1999, S. 11–15; STAHL 2003, S. 27–41; J. HALL 2007, S. 212–218. 695 Vgl. Hdt. 5,66,2 u. 5,69,2; Athen. pol. 21,2. 696 Vgl. Athen. pol. 21,4. 697 Für ein Weiterbestehen der alten Strukturen sprechen sich etwa C. MEIER 1983 [1980], S. 103, u. WALTER 1993, S. 207, aus. 698 Vgl. Athen. pol. 21,6. 699 Vgl. Athen. pol. 8,4 u. Plut. Sol. 19,1–2. Allerdings ist die Existenz eines solonischen Rates der Vierhundert umstritten – siehe dazu die Diskussion bei RHODES 1993 [1981], S. 153f., u. RHODES 2006, S. 254f. 700 Vgl. Athen. pol. 21,3. 701 Hdt. 5,69,2: δέκα τε δὴ φυλάρχους ἀντὶ τεσσέρων ἐποίησε, δέκα δὲ καὶ τοὺς δήμους κατένειμε ἐς τὰς φυλάς.

168 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall Sta d t geb ie t, z e h n d er K ü st e, z e h n d e m B i n ne n la nd z u ge hö r t e n; d ie se n a n nt e er T r itt ye n und lo ste j ed er P h yle d r ei da vo n z u [ …] Au c h verba nd er d ie i n j ede m De mo s W o h n ha f te n mi tei n a nd e r z u D e me n mi t g lied er n. 702

Vor allem der zweite Teil der Anmerkung in der Athenaion politeia lässt vermuten, dass hier die Einwohner (οἰκοῦντας) der bestehende Demenstrukturen (τῶν δήμων) zu einer politischen Gemeinschaft verbunden wurden (δημότας). Alle überlieferten Informationen deuten dann auch darauf hin, dass die kleisthenischen Demen, wenigstens zum allergrößten Teil, auf die gewachsenen, traditionellen Siedlungsstrukturen Attikas aufbauten.703 John S. Traill stellt aber die begründete Vermutung auf, dass bei der Einrichtung von wahrscheinlich dreißig Demen, aus den 139 für das 4. Jahrhundert namentlich sicher belegten, keine Rücksicht auf gewachsenen Strukturen durch Kleisthenes genommen werden konnte.704 Solche Demen können, vornehmlich in den Quellen des 4. Jahrhunderts, mit einiger Wahrscheinlichkeit an ihren Namen identifiziert werden, da diese sich nicht auf geographische Bezeichnungen zurückführen lassen. Der Verfasser der Athenaion politeia berücksichtigt im 4. Jahrhundert diesen Umstand. Er erklärt deshalb, dass nicht mehr alle Demen (als politische Gemeinschaften) sich noch an ihren ursprünglichen geographischen Orten in Attika befänden. Deswegen habe Kleisthenes auch im Zuge seiner Reform diese nach ihren (mythischen) Gründern umbenannt.705 Tatsächliche kann man wohl zwei Gründe vermuten, warum es zu einem Eingriff in die gewachsenen Strukturen gekommen ist. Zum einen werden die betroffenen Siedlungen entweder viel zu klein gewesen sein, um im repräsentativen System der Bestellung der Ratsherren mit wenigstens einem Vertreter bedacht werden zu können. Zum anderen können vorhandene Siedlungen, wie im Falle der urbanen Zentren, aber auch zu groß gewesen sein, sodass Kleisthenes sie teilte, um „dis702 Athen. pol. 21,4: διένειμε δὲ καὶ τὴν χώραν κατὰ δήμους τριάκοντα μέρη, δέκα μὲν τῶν περὶ τὸ ἄστυ, δέκα δὲ τῆς παραλίας, δέκα δὲ τῆς μεσογείου, καὶ ταύτας ἐπονομάσας τριττῦς, ἐκλήρωσεν τρεῖς εἰς τὴν φυλὴν ἑκάστην […] καὶ δημότας ἐποίησεν ἀλλήλων τοὺς οἰκοῦντας ἐν ἑκάστῳ τῶν δήμων. 703 Vgl. etwa OSBORNE 1985, S. 37–42; WHITEHEAD 1986, S. 5–10; KIENAST 2005b. MANVILLE 1990, S. 192–194, bringt es diese Umstand am besten auf den Punkt: „The Kleisthenic demes were not “invented” out of thin air but were rather newly defined within the social landscape that reflected their evolution; they embraced nuclei of local and urban populations that now transcended the interconnected yet eroding and uneven networks of kinship and religious organization” (S. 193f.). 704 Vgl. TRAILL 1975, S. 73–81. 705 Vgl. Athen. pol. 21,5: „Er verlieh den Demen Namen, die teils von ihrer Lage, teils von ihren Gründern abgeleitet waren; denn nicht mehr alle befanden sich noch in ihren ursprünglichen Orten.“ – προσηγόρευσε δὲ τῶν δήμων τοὺς μὲν ἀπὸ τῶν τόπων, τοὺς δὲ ἀπὸ τῶν κτισάντων: οὐ γὰρ ἅπαντες ὑπῆρχον ἐν τοῖς τόποις. WHITEHEAD 1986, S. 24f., geht davon aus, dass fast alle kleisthenischen Demen mit bereits existierenden Namen belegt wurden, auch wenn wenige dieser Demen ihre Namen von anderen gesellschaftlichen Entitäten, etwa der génē, bekommen haben.

169 Die kleisthenischen Reformen – Revolutionärer oder evolutionärer Prozess?

tinct citizen-bodies“ zu schaffen.706 Mit einem gewissen Eingriff in die gewachsenen Siedlungsstrukturen muss also in jedem Fall gerechnet werden. Dies ist auch ganz unabhängig davon der Fall, ob man ursprünglich mit etwa 139 Demen zu rechnen hat oder doch nur von den durch Herodot erwähnten 100 kleisthenischen Demen ausgehen sollte. Wobei aber zuzugeben ist, dass die ‚runde‘ Zahl bei Herodot von einhundert Demen einen weitaus artifizielleren Eindruck erweckt, als dies die 139 namentlich bekannten Demen des 4. Jahrhunderts tun.707 Dieser rekonstruierbare Eingriff in die gewachsenen Siedlungsstrukturen spricht aber nur bedingt gegen die These, dass der athenische Staat, zumindest auf der institutionellen Ebene der Demen, eine Institutionalisierung der vorstaatlichen, egalitären Dorfgemeinschaften sei. Denn zum einen setzten die kleisthenischen Reformen bereits staatliche Strukturen voraus. Ansonsten wäre es kaum möglich gewesen, eine derart neue und artifizielle institutionelle Ordnung in einem anscheinend sehr kurzen Zeitraum äußerst erfolgreich zu etablieren.708 Auch die vorkleisthenischen Demen werden daher bis zu einem gewissen Grade Teil des politisch-institutionellen Gefüges des athenischen Gemeinwesens gewesen sein und nicht ausschließlich als die dörflichen Siedlungen in Attika zu verstehen sein.709 Zum anderen hatten die durch Zusammenlegungen neu geschaffenen Demen alle einen derart begrenzten personellen Umfang (1 bis 3 Bouleuten), dass sie zumindest auf der politischen Ebene der Demenversammlungen ‚face to face‘ Gemeinschaften bildeten. Für einige dieser ‚artifiziellen‘ Demengemeinschaften ist dann auch explizit belegt, dass sie sich eigene politische und kulturelle Zentren gaben, um das Defizit der fehlenden Tradition wettzumachen.710 Bei der Teilung der urbanen Zentren Attikas deutet schon allein 706 Vgl. TRAILL 1975, S. 101f. 707 Vgl. Hdt. 5,69,7–19. Da aber auch unter diesen sich sechs befanden (Argyle, Ankyle, Lamptrai, Paiania, Pergase, Potamos), bei welchen jeweils zwei denselben Namen trugen, aber in ‚Ober-‘ (καθύπερθεν) und ‚Unter-‘ (ὑπένερθεν) geteilt waren (vgl. TRAILL 1975, S. 125–128), spricht dies stark für einen Eingriff in gewachsene Strukturen. Zur Demenzahl und zur politischen Bedeutung der kleisthenischen Demen im 5. und 4. Jahrhundert siehe auch unten Kap. 9.2. 708 Auch wenn in der Benennung an Althergebrachtes angeschlossen wurde, wie aus Athen. pol. 21 hervorgeht. 709 Siehe KIENAST 2005b, besonders S. 71–78, der vermutet, dass es bereits eine genuin politische Demenorganisation seit Solon gegeben hat. 710 Dies galt etwa für die Demengemeinde der Eupyridai, für welche aufgrund der Namensform ein ‚artifizieller‘ Ursprung angenommen werden kann. Für diese Demengemeinde ist nun ein Apolloheiligtum epigraphisch belegt (IG II² 1362), für welches sowohl die Gesamtgemeinde zuständig war, als auch die Demengemeinde (καὶ τῶν δημ[ο]τῶν καὶ τοῦ δήμου τοῦ Ἀθηνα[ί]/ων) und ihre Magistrate (τοῦ δημάρχου). Der Vollständigkeit halber muss noch erwähnt werden, dass die Eupyridai in der Inschrift nicht erwähnt werden, aber der Fundumstand nur diese Gemeinde zulässt (vgl. WHITEHEAD 1986, S 44 Anm. 27). Vielleicht sollte man in dem Umstand, dass in der gut erhaltenen Inschrift nur von der Demengemeinschaft (δημότες) und dem Demarchen (δημάρχος) die Rede ist, ein

170 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

die sehr heterogene Repräsentation der einzelnen Asty-Demen im Rat der Fünfhundert auf eine starke Rücksichtnahme des Kleisthenes auf gewachsene Strukturen hin.711 So stellten die meisten städtischen Demen zwar zwischen einem bis drei Bouleuten, waren also wohl eher kleinräumige Stadtteile oder Vororte bzw. städtische, nachbarschaftliche Quartiere.712 Innerhalb der (wahrscheinlichen) spätarchaischen Stadtmauer von Athen befanden sich aber immerhin fünf verschiedene kleisthenische Demen: Koile mit drei Ratsherren, Kollytos und Skambonidai jeweils mit drei oder vier und Melite mit sieben. Mit Kydathenaion im nördlichen Stadtgebiet von Athen existierte auch eine städtische Demengemeinde mit elf oder zwölf Vertretern im Rat. Das städtische Zentrum von Athen wird also am Ende des 6. Jahrhunderts kaum ein homogenes Siedlungsgebilde dargestellt haben, auf das Kleisthenes bei seinen Reformen keine Rücksicht habe nehmen müssen. Denn wenn er vorhandene Strukturen hätte einfach ignorieren können und eine rein ‚mechanische‘ Einteilung des Stadtgebietes vorgenommen hätte,713 dann dürfte man wohl keine derart heterogene Bevölkerungsverteilung erwarten. Auch gibt es gewisse Anzeichen dafür, dass in der Einteilung der urbanen Demen – neben dem natürlichen Scheidepunkt, den die Akropolis darstellte, und dem künstlichen der Agora –714 vor allem die städtischen Hauptstraßen als Grenzen dienten.715 In Ermangelung natürlicher Scheidelinien (Bäche, Flüsse, Erhebungen, nicht bebaute Räume usw.) markieren diese in städtischen Räumen oft die Grenzen zwischen den Stadtteilen.716

711 712 713 714 715

716

Anzeichen sehen, dass die Eupyridai – zumindest am Ende des 4. Jahrhunderts – sich als (politische und territoriale) Gemeinschaft selbst so sicher waren, dass sie auf die Nennung ihres eigenen Demennamens in einer Inschrift im eigenen Dementerritorium verzichten zu können glaubten. Vgl. etwa SIEWERT 1982, S. 133f.; LANGDON 1985, S. 11–13; SCHEID-TISSINIER 2011, S. 277–280, hier S. 280: „Les dèmes urbaines eux-mêmes n’ont donc pas nécessairement été le résultat de la création radicale que l’ont décrit parfois“. Zur Anzahl der Bouleuten siehe TRAILL 1975, Tables of Representation, zu den athenischen Stadtdemen WHITEHEAD 1986, S. 25–27. Allerdings hätte auch eine ‚mechanische‘ Einteilung des athenischen Stadtgebietes auf extreme geographische Gegebenheiten, wie etwa der Akropolis, bedingt Rücksicht nehmen müssen. Vgl. LANGDON 1985, S. 11f. Vgl. YOUNG 1951, S. 140–143, hier S. 141: „When he [Kleisthenes] created new demes and adjusted the limits of some of the old ones he no doubt used as boundaries of division not only the natural lines suggested by the physical lay of the land, but also the main arteries of communication which already existed and made artificial divisions into sections and areas; on running a new boundary the natural thing to do is to follow the open lines of streets and roads, rather than to pass it through blocks already built up with houses“. Siehe dagegen aber ANDREWES 1977, S. 243f. u. hier S. 244 Anm. 1: „a road, at least one inhabited on both sides, tends to unify rather than divide“. Vgl. LANGDON 1985, S. 12f.

171 Die kleisthenischen Reformen – Revolutionärer oder evolutionärer Prozess?

Die Frage ist nun, warum Kleisthenes überhaupt eine derartige institutionelle Umstrukturierung des athenischen Gemeinwesens vornahm. Die communis opinio scheint dahin zu gehen, dass die politischen Reformen des Kleisthenes zwar als entscheidende Voraussetzungen für die Entstehung einer demokratischen Ordnung im Verlauf des 5. Jahrhunderts zu sehen sind. Dennoch sollte man diese Reformen aber nicht nur als einen bewussten politischen Akt einer demokratischen Richtungsentscheidung missverstehen.717 Dies bedeutet also zum einen, dass die durchgeführten Reformen nicht notwendigerweise Ausdruck eines ‚demokratischen‘ Selbstverständnisses des Kleisthenes oder seiner Anhänger gewesen sein müssen.718 Es bedeutet zum anderen aber auch nicht, dass das Reformprogramm des Alkmeoniden als ein rein machtpolitischer Schachzug in der innerelitären Auseinandersetzung anzusehen ist.719 Ebenso werden die kleisthenischen Reformen nicht lediglich auf eine Reformierung der athenischen Wehrverfassung ausgelegt gewesen sein.720 Vielmehr muss wohl davon 717 Vgl. dazu etwa ROBINSON 1996, S. 294–304; LOTZE 1997; WELWEI 1999, S. 15–21; FUNKE 2001. 718 So sahen es etwa 60 Jahre später zumindest Herodot (6,131,1: „Kleisthenes […] der die Einteilung der Phylen in Athen schuf und die Demokratie einrichtete“ – Κλεισθένης τε ὁ τὰς φυλὰς καὶ τὴν δημοκρατίην Ἀθηναίοισι καταστήσας) und etwa 160 Jahre später Aristoteles (pol. 1319b 19–21: „Weiterhin sind auch derartige Einrichtungen im Hinblick auf eine solche Demokratie nützlich, die Kleisthenes in Athen anwandte, der die Demokratie festigen wollte“ – ἔτι δὲ καὶ τὰ τοιαῦτα κατασκευάσματα χρήσιμα πρὸς τὴν δημοκρατίαν τὴν τοιαύτην, οἷς Κλεισθένης τε Ἀθήνησιν ἐχρήσατο βουλόμενος αὐξῆσαι τὴν δημοκρατίαν), sowie der Verfasser der Athenaion politeia (20,4: „Das Volk errang also die Kontrolle über das Staatswesen, und Kleisthenes stand als Führer des Volkes an seiner Spitze“ – κατασχόντος δὲ τοῦ δήμου τὰ πράγματα, Κλεισθένης ἡγεμὼν ἦν καὶ τοῦ δήμου προστάτης und 22,1: „Infolge dieser Maßnahmen wurde die Verfassung viel demokratischer als die Solons“ – τούτων δὲ γενομένων δημοτικωτέρα πολὺ τῆς Σόλωνος ἐγένετο ἡ πολιτεία). Für Kleisthenes als demokratischen Reformer spricht sich etwa EHRENBERG 1973, S. 89–103, aus. Sowohl C. MEIER 1983 [1980], S. 129–138, als auch STAHL 2003, S. 46–51 – auch wenn sie den Begriff ‚Demokratie‘ vermeiden – sehen in Kleisthenes ebenso eher den gemeinsinnigen Reformer, welcher das Verlangen in weiten Teilen der athenischen Bürgerschaft nach politischer Egalität aufgreift. 719 So allerdings etwa K.-E. PETZOLD 1990; außerdem BICKNELL 1972, S. 1–53, der es sogar für möglich hält, dass die Demen unter der lokalen Vormacht der Alkmeoniden und ihrer Verbündeten durch Kleisthenes eine überhöhte Ratsherrenquote zugewiesen bekamen und Demen unter der lokalen Vormacht von Gegnern der Alkmeoniden bzw. von Anhängern der Peisistratiden in Bezug auf ihre Einwohnerzahl zu wenig Ratsherrnsitze erhielten. Siehe dagegen aber ANDERSON 2000, besonders S. 395–397. 720 Auch die Anhänger dieser Position können sich allerdings auf Herodot berufen (5,66,2: οὗτοι οἱ ἄνδρες ἐστασίασαν περὶ δυνάμιος, ἑσσούμενος δὲ ὁ Κλεισθένης τὸν δῆμον προσεταιρίζεται / „Diese beiden Männer rangen miteinander um die Herrschaft. Als Kleisthenes unterlag, versuchte er, das niedere Volk auf seine Seite zu ziehen“). Für Kleisthenes als Machtpolitiker, der sowohl die eigene Stellung im athenischen Gemeinwesen, als auch das Wehrpotenzial Athens durch die politische Einbindung der ‚Hoplitenklasse‘ stärken wollte, sprechen sich etwa LEWIS 1963 u. BLEICKEN 1995a, S. 41–43, aus. Ebenso MARTIN 1974, der eine bewusste demokratische Intention nicht nur für

172 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

ausgegangen werden, dass bei Kleisthenes und seinen Anhängern all diese Überlegungen eine gewisse Rolle gespielt haben werden. Dennoch, der im Kern egalitäre politische Charakter der Reformen, die im institutionellen Bereich ihre Wirksamkeit unmittelbar entfalteten, kann nicht negiert werden. Diese politischen Konsequenzen waren dann auch, ganz unabhängig von den Intentionen des Kleisthenes, sofort für die athenische Bürgerschaft spürbar.721 Eine weitere, eigentlich noch viel interessantere Frage, schließt sich daran an. Es ist die Frage, wie es für Kleisthenes überhaupt möglich gewesen ist, eine solche Reform in Angriff zu nehmen und so schnell so erfolgreich umzusetzen.722 Denn die Reformen brachten, unabhängig von den Beweggründen des Kleisthenes und der Frage nach ihrem möglichen ‚demokratischen‘ Charakter, eine Umverteilung der politischen Macht im athenischen Staat mit sich. Zwar erfolgte diese Umverteilung nicht so explizit, wie bei der Reform des Ephialtes im Jahr 462/61 v. Chr., durch welche genuine Herrschaftskompetenzen von der ‚oligarchischen‘ Institution des Areopags723 auf die ‚demokratischen‘ Institutionen (Volksversammlung, Volksgerichte und Rat der Fünfhundert) übertragen wurden.724 Auch ist keineswegs klar, inwieweit es lokale, klientelartige Bindungen in Attika zwischen der Elite und Angehörigen der unterelitären Schichten gegeben hat,725 welche durch die ‚Mischung‘ der Trittyen nach geographischen Großräumen möglicherweise aufgelöst wurden oder auch noch fortbestanden.726

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Kleisthenes, sondern selbst noch eine halbes Jahrhundert später für Ephialtes zurückweist; so auch etwa SEALEY 2004 [1981]; L. HALL 1990; BLEICKEN 1995a, S. 53f.; WELWEI 1999, S. 95. Eine bewusste Demokratisierungspolitik des Ephialtes vermuten dagegen etwa L. JONES 1987; O’NEIL 1995, S. 61–67; RHILL 1995. Vgl. etwa C. MEIER 2004 [1993], S. 182–218, u. STAHL 2003, S. 46–51. Vgl. etwa MANVILLE 1990, S. 198–200. Dies soll natürlich nicht heißen, dass die vollständige Stabilisierung der neuen Ordnung über Nacht und nur durch die institutionellen Neuerungen des Jahres 508/07 v. Chr. selbst erfolgen konnte. In dem Zeitraum bis zu den Perserkriegen wurde durch die Neukonstituierung großer, gesamtattischer Feste Gemeinsinn erzeugt und durch die Verbindung der neuen Ordnung mit dem athenischen Gründerheros Theseus wurde diese unverfügbar gestellt – siehe dazu die Untersuchungen von RAUSCH 1999 u. ANDERSON 2003. Doch mit dem Jahr 501/00 v. Chr. scheinen sich, sollte die Angabe in der Athenaion politeia (22,2) zutreffen und hier zuerst der Eid des Rates der Fünfhundert festgelegt und geschworen wurde, die Reformen endgültig durchgesetzt zu haben. Allerdings erwies sich die vermeintlich ‚oligarchische‘ Institution des Areopags im weiteren Verlauf der athenischen Geschichte als ein Stabilitätsgarant für die demokratische Ordnung (vgl. ZELNICK-ABRAMOVITZ 2011). Vgl. Athen. pol. 25,1–2. Dass als permanente, institutionelle Strukturen solcher Bindungen weder die Phratrien und Phylen, noch gar die Gene gedient habe können, gehört mittlerweile zur communis opinio – ein Zusammenfassung der Argumente findet sich bei STEIN-HÖLKESKAMP 1989, S. 159–164. BICKNELL 1972, S. 35f., vermutet etwa, dass die lokalen Eliten, zumindest in der ersten Phase nach den kleisthenischen Reformen, immer den Demarchen stellten und die Vorauswahl der Kandidaten für den Rat bestimmend beeinflussen konnten. Der letzte Punkt

173 Die kleisthenischen Reformen – Revolutionärer oder evolutionärer Prozess?

Aber durch die Schaffung des Rates der Fünfhundert und die Vorauswahl der Kandidaten für den Rat auf der Ebene der Demen sind die entscheidenden Schritte gegangen worden, um die Entfaltung der Demokratie im Verlauf des 5. Jahrhunderts einzuleiten. Denn mit dieser Reform wurde die aktive egalitäre politische Partizipation des gesamten Demos ermöglicht, auch wenn die Qualität der politischen Partizipationsmöglichkeiten der Theten unklar ist. So ist nicht feststellbar, ob sie bereits seit den Reformen nicht nur an der Volksversammlung teilnehmen konnten, sondern auch im Rat der Fünfhundert amtieren.727 Auch viele andere Einzelheiten der Reformen sind nicht bekannt. Man weiß etwa nicht, ob die Iterationsvorschriften für Ratsmitglieder bereits durch Kleisthenes eingeführt728 und die Ratsmitglieder bereits von Beginn an ausgelost wurden.729 würde allerdings nur von Bedeutung sein, wenn die Iterationsvorschriften aus der Athenaion politeia (62,3 u. 44,1) nicht schon am Ende des 6. Jahrhunderts existiert hätten. 727 Die Theten waren formal von der Bekleidung aller Magistraturen ausgeschlossen, auch noch im 4. Jahrhundert (vgl. Athen. pol. 7,4). Allerdings ist nirgends belegt, dass dies auch für das Mandat als Ratsherr galt (vgl. RHODES 1972, S. 2). RHODES 1972, S. 2, geht außerdem davon aus, dass der Rat nur den ersten drei Zensusklassen zugänglich war. Allerdings weist er auch darauf hin, dass die ergänzenden Ausführungen zur solonischen Zensusordnung in der Athenaion politeia (7,4: „Die übrigen zählten zur Thetenklasse und durften kein Amt übernehmen; deshalb wird auch heute noch keiner, der als Kandidat bei einer Auslosung eines Amtes gefragt wird, welcher Klasse er angehöre, die Klasse der Theten angeben“ – τοὺς δ᾽ ἄλλους θητικόν, οὐδεμιᾶς μετέχοντας ἀρχῆς. διὸ καὶ νῦν ἐπειδὰν ἔρηται τὸν μέλλοντα κληροῦσθαί τιν᾽ ἀρχήν, ποῖον τέλος τελεῖ, οὐδ᾽ ἂν εἷς εἴποι θητικόν) dem zu widersprechen scheinen: SCHMITZ 1995 geht nun davon aus, dass es ab der Mitte des 5. Jahrhunderts zu einer Umstellung der Vorauswahl der Kandidaten für die Besetzung der Ämter und Ratsherren kam. Das Wahlverfahren in den Demen wurde in ein Losverfahren umgewandelt und für die wichtigen Losämter, wie etwa das Archontat, wurden nur noch einhundert Kandidaten und nicht mehr in den Demen, sondern in den Phylen vorgelost. Da nun die Zensusklasse der einzelnen Kandidaten nicht mehr „in den lokalen überschaubaren Einheiten” – als den ‚face to face’ Gemeinschaften – überprüft werden konnte, wo „die Prüfung der Angabe ohne Schwierigkeiten möglich“ gewesen sei, könnte „auch die Frage nach der Schatzungsklasse entfallen sein” (SCHMITZ 1995, S. 581). 728 Siehe Athen. pol. 62,3 mit der Bestimmung, dass jeder Athener nur zweimal im Leben als Ratsherr amtieren durfte und Athen. pol. 44,1 mit der Bestimmung, dass jeder Athener nur einmal im Leben und für nur einen Tag Vorsitzender der geschäftsführenden Prytanie des Rates sein durfte. VAN WEES 2006, S. 367f., nimmt etwa an, dass sowohl im solonische Rat der Vierhundert als auch anfänglich im kleisthenischen Rat der Fünfhundert nur die, fünfzehn bis zwanzig Prozent der Gesamtbürgerschaft ausmachende, ökonomische Elite vertreten war. Für den kleisthenischen Rat kann er allerdings nur auf eine ‚Verfassungsinschrift‘ aus der Mitte des 5. Jahrhunderts verweisen. In dieser wird eine demokratische Ordnung nach athenischem Vorbild auf das ionische Seebundmitglied Erythrai übertragen (vgl. ML 40 = IG I² 10 = IG I³ 14; zwei englische Übersetzungsversuche der Inschrift bietet Fornara 71). Diese Ordnung beinhaltet aber nur ein Iterationsverbot nach dreimaligen Ratsherrendienst (ML 40, Z. 11f.). Auch ist in dieser Inschrift keine Zugangsbeschränkung zum Rat enthalten, außer dass die Bürger mindestens dreißig Jahre alt sein mussten, um im Rat zu dienen. Auch war diese politische Ordnung die von Er-

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Ebenso ist nicht bekannt, ob die Demen bereits eine feste Quote an Ratsherrn entsprechend ihrer Bürgerzahl stellten.730 Dennoch brachten die feststellbaren institutionellen Neuerungen notwendigerweise mit sich, dass die alten politischen Eliten einen spürbaren Machtverlust erfahren mussten.731 Denn die Herrschaft wurde von den Ämtern und dem aus den ehemaligen Archonten bestehenden Rat (Areopag) auf die Volksversammlung und den Rat der Fünfhundert übertragen.732 Auch wenn dies eher ein mittelfristiger Prozess war, welcher sich bis in die Mitte des 5. Jahrhunderts hinzog. Selbst wenn der Rat anfänglich noch unter der Kontrolle der alten Eliten gestanden haben sollte, so wird doch allein die allgemeine Zugänglichkeit, fast unabhängig von der sozialen Stellung des Bürgers, zumindest einem gespürten Machtverlust für die Eliten bedeutet haben.733 Die Unterstützung vonseiten der unterelitären Bürgerschichten für den

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ythrai und nicht die von Athen. Die Möglichkeit in Erythrai mehr als zweimal im Leben im Rat zu dienen, kann auch einfache demographische Gründe gehabt haben. Denn bei einem Rat von immerhin 120 Mitgliedern, welche jährlich neu ausgelost werden mussten, brauchte es ein ganze Reihe von Kandidaten. Die Polis Erythrai wird wohl auch noch eine Generation nach den Perserkriegen die Folgen der teilweisen Zerstörung der Stadt und Versklavung der Bevölkerung (Hdt. 6,101,3) nicht vollständig überwunden haben. Dass ein Rat mit 120 Mitgliedern eingerichtet wurde, zeigt auch, dass nicht einfach die Verhältnisse in Athen eins zu eins übertragen wurden. Obwohl dem Verfasser der Athenaion politeia durchaus eine Reihe von Einschränkungen der Befugnisse des Rates im Verlauf des 5. Jahrhunderts bekannt waren (45,1; 45,3; 49,3). Obwohl er also anscheinend den Rat der Fünfhundert nicht als eine unveränderliche Institution seit Kleisthenes betrachtete, führt er für die Bestellung der Ratsmitglieder lediglich das Losverfahren an (43,2) und kennt hier keine Veränderung. Belegt ist das Losverfahren für den Rat jedoch erst für etwa 450 v. Chr., und zwar in der bereits oben erwähnten ‚Verfassungsinschrift‘ für Erythrai (vgl. ML 40, speziell Z. 8, wo von einem Rat mit 120 durch das Los [ὸ κυάμο] bestimmten Männern die Rede ist). Das Jahr 450 v. Chr. wäre damit also lediglich der terminus ante quem, ab wann spätestens auch in Athen mit der Losung der Ratsmitglieder zu rechnen ist. Mit der Einführung des Losverfahrens für das Archontat im Jahr 487/86 (vgl. Athen. pol. 22,5) hätte man mit dem Jahr 485 v. Chr. einen terminus ante quem für das Losverfahren als politisches Bestellungssystem innerhalb der ‚kleisthenischen Verfassungsordnung‘. Vor allem von DEVELIN / KILMER 1997 wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass man eigentlich sehr wenig über die Details der kleisthenischen Reformen weiß und vieles nur Rückprojektionen aus den Verhältnissen des 4. Jahrhunderts darstellt. Vgl. etwa STEIN-HÖLKESKAMP 1989, S. 168–177. Dagegen verweisen aber etwa STEIN-HÖLKESKAMP 1989, S. 205–230, W. EDER 1998 u. TIERSCH 2010 auf die Bedeutung der Ämter, welche angeblich nach wie vor durch den ‚Adel‘ bzw. die ‚Aristokraten‘ besetzt wurden. Der in der Athenaion politeia (8,4) und bei Plutarch (Solon 19,1–2) belegte solonische Rat der Vierhundert war wohl, wieder nach der Athenaion politeia (7,3), für die Theten, also die unterste Zensusklasse in der timokratischen Ordnung des Solon, nicht zugänglich. Doch die Einführung der Besoldung für den Dienst als Ratsherr im Verlauf des 5. Jahrhunderts spricht zumindest dafür, dass größeren Teilen der attischen Bürgerschaft die Zugänglichkeit zum Rat ermöglicht werden sollte. Die Einführung der Ratsherrendiäten wird zumeist mit der Einführung der Besoldung der Richter, möglicherweise um das Jahr

175 Die kleisthenischen Reformen – Revolutionärer oder evolutionärer Prozess?

einmal laufenden Reformprozess wird durch die deutliche Aufwertung ihrer politischen Bedeutung erklärt. Durch die staatlichen Institutionen war nun die Macht des Demos – welche dieser bereits in der homerischen Gesellschaftsordnung besessen hatte, aber im Verlauf der archaischen Staatsentstehung zu verlieren drohte – zur Herrschaft des Demos geworden. Zumindest galt dies für den Demos in Athen. Die Sache würde sich lediglich etwas anders darstellen, wenn man der bereits oben besprochenen Einschätzung von Hans van Wees folgen würde, dass die dritte solonische Zensusklasse der Zeugiten nicht identisch sei mit einer Art Mittelschicht. Vielmehr sieht er in den Zeugiten eine erweiterte ökonomische Oberschicht, welche nicht gezwungen war, zur eigenen ökonomischen Existenz selber zu arbeiten und damit zur ‚leisure class‘ gehörte.734 Wenn dies zutreffen würde und ebenso die Vermutung, dass nur die ersten drei Zensusklassen ursprünglich Zugang zum kleisthenischen Rat gehabt hätten, dann würde dies in der Tat einiges vom demokratischen Charakter der kleisthenischen Reformen wegnehmen. Allerdings wäre es im nachkleisthenischen Athen nach wie vor die Volksversammlung, in welcher der Demos als der Souverän des athenischen Staates zusammentritt. Es wäre nach wie vor die Volksversammlung, welche als die herrschende politische Institution zu betrachten ist und allen männlichen, erwachsenen Bürgern zugänglich war. Ebenso sollte die möglicherweise ursprünglich stärkere Einschränkung der Zugänglichkeit zu den Ämtern nicht überschätzt werden. Denn alle athenischen Ämter, wenn man Ratsherren und Richter nicht dazu zählt, waren im eigentlichen Sinne keine politischen, sondern bürokratische Institutionen. Selbst die Strategen waren – formal gesehen – keine 462/61 (vgl. Aristot. pol. 1274a 8–9), in Verbindung gebracht (vgl. etwa BLEICKEN 1995a, S. 332). Dies würde gut in das Bild der Vollendung der Demokratie mit den Reformen des Ephialtes am Ende der 460er Jahre und denen des Perikles in den 450er Jahren passen (vgl. dazu etwa O’NEIL 1995, S. 57–71.). Möglicherweise bildeten beide Politiker am Ende der 460er Jahre ein Bündnis, um zusammen das athenische Gemeinwesen weiter zu demokratisieren (vgl. PODLECKI 1998, S. 46–54). Der früheste eindeutige Beleg für die Diäten der Ratsmitglieder stammt allerdings von Thukydides (8,69,5) für das Jahr 411. Sowohl die Besoldung als auch die Nachricht in der Athenaion politeia (7,4) zur Möglichkeit, den eigenen Status als Theten bei der Kandidatur einfach nicht zu nennen (vgl. oben Anm. 501), und der enorme personelle Bedarf, welcher die Iterationsvorschriften für Ratsmitglieder mit sich brachten, sprechen eher für eine allgemeine Zugänglichkeit des Rates auch für Theten (vgl. HANSEN 1991, S. 106–109). Damit korrespondiert auch, dass die – zugegebenermaßen sehr fragmentarisch – erhaltenen Ratsherrnlisten aus dem 4. Jahrhundert auf eine sehr niedrige Iterationsquote hinweisen. Es scheinen nur wenige Athener von der Möglichkeit Gebrauch gemacht zu haben, zweimal in ihrem Leben in der Boule zu dienen (vgl. RHODES 1972, S. 3). 734 Siehe dazu oben Kap. 8.1. Die drei ersten Zensusklassen würden dann nicht mehr als ca. 15 bis 20 Prozent der athenischen Bürgerschaft ausmachen (vgl. VAN WEES 2001 u. VAN WEES 2006). Gegen eine Identifizierung der Zeugiten mit den als Hopliten kämpfenden Athenern spricht sich auch ROSIVACH 2002 aus, allerdings ohne daraus so weitreichende Konsequenzen wie Hans van Wees zu ziehen.

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Mandatsträger, sondern nur Beamte. Sie führten den Willen der Volksversammlung aus und besaßen nur sehr beschränkte Kompetenzen, auch wenn ein politischer Akteur im demokratischen Athen durch die Bekleidung des Amtes des στρατηγός eine große informelle politische Macht akkumulieren konnte.735 Die Kompetenz-Kompetenz lag hingegen stets beim athenischen Demos. Wenn Hans van Wees Einschätzungen zutreffen, müssen in der Bewertung sicherlich gewisse Abstriche in Bezug auf den integrativ-egalitären Charakter der kleisthenischen Reformen hingenommen werden. Dennoch kann man auch in diesem Fall die Besoldung sowohl der Richter als auch der Ratsherren seit der Mitte des 5. Jahrhunderts nur als eine ‚demokratische‘ Maßnahme werten. Denn die Hauptintention dieser kann es nur gewesen sein, den unterelitären Bürgerschichten, die dann alle zur Gruppe der Theten zu zählen wären, die vollständige politische Partizipation im Rat und in den Gerichtshöfen zu ermöglichen.736 An der grundsätzlichen Tendenz zur Verfestigung und Ausweitung einer politischintegrativen und politisch-egalitären und damit demokratischen Ordnung würde sich nichts Wesentliches ändern. Die kleisthenischen Reformen waren also in jeden Fall auf eine Ausweitung der Gruppe der zur politischen Teilhabe berechtigten männlichen Bürger ausgelegt. Aus diesem Umstand ergibt sich selbstverständlich das Problem, wer nun eigentlich von den dauerhaft in Attika lebenden erwachsenen und freien Männern Bürger des athenischen Staates war. Einen Hinweis auf ein dahingehendes Problembewusstsein innerhalb der athenischen Bürgerschaft im Zuge des kleisthenischen Reformprozesses kann in der Überlieferung zum sogenannten diapsēphismós nach dem Sturz der Tyrannis im Jahr 510 v. Chr. gefunden werden.737 Der diapsēphismós wird zumeist als Säuberungsaktion gegen Bürgerrechtsusurpatoren und gegen Anhänger der Peisistratiden gedeutet.738 Man kann eine sol735 Dafür ist Perikles bekanntlich das beste Beispiel und veranlasste Thukydides zu der falschen Einschätzung, Athen sei nur dem Namen nach eine Demokratie, in Wahrheit aber die Herrschaft des ‚ersten Mannes‘ Perikles (Thuk. 2,65,9: ἐγίγνετό τε λόγῳ μὲν δημοκρατία, ἔργῳ δὲ ὑπὸ τοῦ πρώτου ἀνδρὸς ἀρχή). Vielmehr waren gerade die Strategen, da sie notgedrungen selbstständige Entscheidungen treffen mussten, immer in der Gefahr nicht nur mit ihrem Vermögen und ihren bürgerlichen Rechten für ihre Amtsführung haften zu müssen, sondern ggf. mit ihrem Leben (vgl. Xen. hell. 1,7) – siehe dazu HAMEL 1998, S. 115–157. 736 Vgl. VAN WEES 2001, S. 61f. 737 Athen. pol. 13,5: „daß man nach dem Sturz der Tyrannen eine Überprüfung der Bürgerschaft vornahm, weil viele das Bürgerrecht innehatten, ohne dass es ihnen zustand“ – ὅτι μετὰ τὴν τῶν τυράννων κατάλυσιν ἐποίησαν διαψηφισμόν, ὡς πολλῶν κοινωνούντων τῆς πολιτείας οὐ προσῆκον. Sieht man von einer wahrscheinlichen Anspielung auf dieses Ereignis über einhundert Jahre später bei dem Redner Andokides (1,106) einmal ab, dann ist dies eigentlich die gesamte Quellengrundlage, auf welcher aller Ausführungen zum ersten diapsēphismós in Athen basieren. 738 So etwa WALTER 1993, S. 203f., hier S. 203: „Das Verfahren […] darf man sich weder rechtsstaatlich noch irgendwie geordnet vorstellen […] Es gab nur den Willen von wenigen Mächtigen und vielen kleinen Leuten, die sich von diesen Mächtigen und dem diap-

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che Überprüfung des Bürgerrechtes einzelner Bewohner Attikas durch die Gemeinschaft als Ganzes aber auch als ein Teil der kleisthenischen Reformen deuten. Genau genommen könnte der diapsēphismós nicht primär zu Exklusion, sondern vielmehr zur Integration größerer Teile der attischen Bevölkerung gedient haben.739 Diese Interpretation beruht darauf, dass man ihn in Verbindung bringen kann mit der Behauptung des Aristoteles, Kleisthenes hätte im Zuge seiner Phylenreform viele Metöken in den Bürgerverband aufgenommen.740 Dies ist dann möglich, wenn man hier nicht verschiedene Ereignisse sehen will,741 sondern einen zusammenhängenden Prozess, welcher aus ideologischen Gründen in der späteren Überlieferung verzerrt wurde.742 Aber auch wenn man die klassische Lesart des diapsēphismós als Säuberungsaktion der Elite gegen die tatsächlichen und vermeintlichen Anhänger der Tyrannen bevorzugt, könnte dies den schnellen Erfolg der Reformen bei den unterelitären Bürgerschichten erklären. Denn es gab, folgt man etwa Philip Manville, vor den kleisthenischen Reformen möglicherweise noch gar kein klar fixiertes Bürgerrecht. Die Schaffung eines solchen wäre dann das Angebot des Reformers an breitere Bürgerschichten, die durch den diapsēphismós einige Jahre zuvor verunsichert worden wä-

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sēphismós persönliche Vorteile versprachen, den Willen, aufzuräumen mit den Gefolgsleuten der Tyrannen, den Söldnerbastarden, den ehemaligen Pächtern und den neureichen Töpfern, die zwar attisch malen ließen, aber immer noch dorisch redeten“. Einen Überblick über die möglichen betroffenen Bevölkerungsgruppen bietet etwa MANVILLE 1990, S. 173–185; weiter Beispiele für diese communis opinio bei PODDIGHE 2010, S. 286 Anm. 6. So jedenfalls interpretiert dies PODDIGHE 2010. Aristot. pol. 1275b 34–39: „Vielleicht aber verfügt das in einem höheren Grad über eine Schwierigkeit bei denen, die am Bürgerrecht nach einer Veränderung der Staatsverfassung teilhatten, wie es etwa in Athen Kleisthenes nach der Vertreibung der Tyrannen machte. Denn viele fremde und ansässige Sklaven hat er in die Stämme aufgenommen. Die Streitfrage bei diesen ist aber nicht, wer ein Staatsbürger ist, sondern ob zu Unrecht oder zu Recht“ – ἀλλ᾽ ἴσως ἐκεῖνο μᾶλλον ἔχει ἀπορίαν, ὅσοι μετέσχον μεταβολῆς γενομένης πολιτείας, οἷον Ἀθήνησιν ἐποίησε Κλεισθένης μετὰ τὴν τῶν τυράννων ἐκβολήν: πολλοὺς γὰρ ἐφυλέτευσε ξένους καὶ δούλους μετοίκους. τὸ δ᾽ ἀμφισβήτημα πρὸς τούτους ἐστὶν οὐ τίς πολίτης, ἀλλὰ πότερον ἀδίκως ἢ δικαίως. So etwa WALTER 1993, S. 205. Poddighe 2010, S. 300: „La prova che le scelte promosse da Clistene nel senso dell’integrazione fossero oscurate deliberatamente nella ‘Costituzione di Atene’ è soprattutto riconoscibile attraverso il confronto con la „Politica“ che, per il carattere teorico proprio dell’opera, colloca i provvedimenti assunti da Clistene in materia di integrazione dello straniero al centro della riflessione sulle origini del pensiero democratico in materia di cittadinanza. Alla luce di quanto si è detto, appare plausibile che la „Costituzione di Atene“ abbia oscurato le scelte dei legislatori democratici in materia di integrazione dello straniero e mistificato le finalità del diapsephismos non per il carattere ,careless‘ del suo resoconto, ma per dare forza all’interpretazione secondo cui sarebbe stata la tirannide ad inquinare il corpo civico, mentre la democrazia – già al tempo della patrios politeia – ne avrebbe salvaguardato ‘l’originaria purezza’“.

178 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

ren.743 Unabhängig davon, welche Deutung der Überlieferung im Einzelnen zutreffen sollte, so wurde doch mit den kleisthenischen Reformen die Zugehörigkeit zum athenischen Gemeinwesen klar geregelt. Die Bürger wurden, unabhängig von ihrem sozioökonomischen Status, sowohl in ihrer rechtlichen als auch in ihrer politischen Stellung gestärkt.

8.4.

Die kleisthenischen Reformen – Ein evolutionärer Sonderfall?

Um die bisherigen Überlegungen zusammenzufassen, kann festgehalten werden, dass die kleisthenischen Reformen im Allgemeinen und die Demenreform im Besonderen erst einmal einen massiven politischen Institutionalisierungsprozess darstellten.744 Der egalitäre und integrative Charakter dieses Prozesses kann nicht infrage gestellt werden, unabhängig aller Unklarheiten in Bezug auf die Details der Reformmaßnahmen. Doch damit stellt dieser Prozess, unter evolutionärem Blickwinkel, eine absolute Ausnahme dar. Denn die politische Institutionalisierung des Jahres 508/07 v. Chr. hat ja auch die Entwicklung der Staatlichkeit im athenischen Gemeinwesens entscheidend vorangebracht. Dazu musste sich die ‚Staatlichkeit‘ gegen die bereits bestehenden starken egalitären gesellschaftlichen Strukturen durchsetzen.745 Dies gelang erstaunlicherweise 743 Vgl. MANVILLE 1990, S. 173–20, hier S. 184: „It is against this background of the diasephismos – a reign of terror in which ‘true’ citizenship was a man’s only defense – that the enormous popularity of Kleisthenes‘ reforms can be appreciated“; siehe auch BLOK 2005, die in einer begriffsgeschichtlichen Untersuchung gezeigt hat, dass sich eine klarere Terminologie, welche die einfachen freien Einwohner einer Polis von Bürgern qua Abstammung (auch weiblichen) oder gar von zur vollen politischen Teilhabe berechtigten Bürgern unterschied, erst in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts in Athen herausgebildet hat. 744 Die Natur der Demenreformen hat etwa ANDERSON 2000, besonders S. 404–412, u. ANDERSON 2003, S. 13–42, sogar zu der interessanten Vermutung veranlasst, die Bildung eines attischen Gesamtstaates, welcher das gesamte Territorium Attikas umfasste, sei erst mit den kleisthenischen Reformen als abgeschlossen zu betrachten. Denn erst durch die Einteilung ganz Attikas in genuine politische Untereinheiten, also in die Demen, konnte die politische Macht des urbanen Zentrums über die gesamte Landschaft ausgedehnt und die Vorherrschaft lokaler Eliten gebrochen werden. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, scheint es aber im gesamten Demos von Attika ein gewisses Maß an Gemeinsinn gegeben zu haben, ohne welchen die kleisthenischen Reformen nie hätten durchgesetzt werden können. Zumindest wäre dies nicht gegen die evidenten Machtinteressen lokaler Eliten und gegen die zentrifugalen Selbstverständnisse der lokalen Siedlungsgemeinschaften möglich gewesen. 745 Ganz anders als etwa bei den Mbundu, wo egalitäre gesellschaftliche Strukturen der Entstehung einer komplexeren soziopolitischen Ordnung stets im Wege gestanden haben (vgl. dazu oben Kap. 4.1).

179 Die kleisthenischen Reformen – Ein evolutionärer Sonderfall?

gegen den allgemeinen Entwicklungstrend in derartigen Prozessen der Entstehung und Intensivierung staatlicher Ordnungen. Denn, und dies scheint zumindest eine der Grundtendenzen der soziokulturellen Evolution zu sein, die quantitative und qualitative Entwicklung von Institutionen fördert eher die Hierarchisierung von Gesellschaften, die Monopolisierung von Macht und die Zentralisierung von Herrschaft.746 Damit geht in der Regel die Entstehung einer monarchischen Spitze oder eines exklusiven, oligarchischen Gremiums einher.747 Auch wenn man starre soziokulturelle Entwicklungsschritte ablehnt, so kann man doch einen allgemeinen, globalen Trend in Staatsentstehungsprozessen nicht leugnen. In Athen aber erfolgte dieser Prozess explizit gegen diesen Trend. Denn die Gruppe der zur Herrschaftsteilhabe Berechtigten wurde immer weiter ausgeweitet und dies in der Form institutionalisierter, staatlicher Strukturen. Außerdem scheinen die Reformen mit einem starken ideologischen Anspruch verbunden gewesen zu sein. Obwohl dieser wohl noch nicht mit dem Schlagwort ‚ dēmokratía‘ bezeichnet wurde,748 sondern mit den Begriffen ‚isonomía‘, ‚isēgoría‘ und ‚isokratía‘. Alle drei bringen aber dennoch eine politisch egali746 Vgl. CLAESSEN 2002, S. 107–111 und oben Kap. 2.3; siehe außerdem die Untersuchungen von VAN DER VLIET 2005; VAN DER VLIET 2007; VAN DER VLIET 2011, wo der evolutionäre Sonderweg in Griechenland aufzeigt wird. An dieser Stelle sei auch noch einmal auf ANDERSON 2000 verwiesen, der eben den Zentralisierungscharakter der kleisthenischen Reformen hervorhebt. Dem steht aber der föderale und repräsentative Charakter der Demenverfassung und der Bestellung der Ratsmitglieder entgegen. 747 Siehe etwa BLANTON U.A. 1996, welche die gängige Auffassung des ‚soziokulturellen Neoevolutionismus‘ zurückweisen, dass „exclusionary power strategies predominate in archaic states“. Daher entwickeln sie einen evolutionistischen Ansatz, welcher sowohl „exclusionary“ als auch „corporate power strategies“ beinhaltet. Eines der „archaic states systems with strongly corporate features“ wäre für sie dann auch die „Classic-period Greek polis“ (S. 2). Alle anderen Beispiele für Gesellschaften mit einer „corporate power strategy“ scheinen aber von ihrer Herrschaftsform her klassische Oligarchien gewesen zu sein, so wie etwa ihr Hauptbeispiel Teotihuacán, der größte zentralmexikanische Stadtstaat der klassischen Periode (300 bis 750 n. Chr.). Siehe dazu auch COWGILL 1997, besonders S. 151–156, wo Teotihuacán als „oligarchic republic“ gekennzeichnet wird. Lediglich die Aussage: „An oligarchic republic is not necessarily democratic or egalitarian“ (S. 153), bereitet etwas Kopfzerbrechen. Sie ist aber vielleicht so zu verstehen, dass hier nur die Vertreter der Elite gemeint sind, welche nicht notwendigerweise untereinander in einem egalitären Verhältnis stehen. Dies würde bedeuten, dass sie nicht alle Entscheidungen immer gemeinsam, also ‚demokratisch‘ treffen. Damit wäre die Machtverteilung innerhalb der Herrschaftsgruppe nicht heterogen. Da wohl fast alle Herrschaftseliten, gerade in staatlich organisierten Gemeinwesen, derart strukturiert sind, sollte eine solche Struktur auch für die Elite dieses zentralmexikanischen Stadtstaates nicht verwundern. Allein zeigt sich auch hier wieder, dass bei der Benutzung von Begriffen wie ‚demokratisch‘ und ‚egalitär‘ etwas mehr Vorsicht angemessen wäre. 748 HANSEN 1986, S. 35f., glaubt den Begriff ‚dēmokratía‘ bis 470 v. Chr. zurückverfolgen zu können und sieht keine guten Gründe, warum dieser nicht auch schon eher in Verwendung gewesen sein kann. Allerdings räumt auch er ein, dass es keine eindeutige Belegung vor 430 v. Chr. gibt.

180 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

täre Grunddisposition zum Ausdruck.749 Doch musste dieser Umstand im 6. Jahrhundert gegen Entwicklungstendenzen verteidigt werden, durch welche aus dieser gesamtgesellschaftlichen Grunddisposition nur ein innerelitärer Egalitätsanspruch wird.750 Das Ergebnis dieser Entwicklung, also die erfolgreiche Verteidigung des Gleichheitsanspruches durch den athenischen Demos, war es dann auch,751 welches als ideologische Grundlage des laufenden Staatsentstehungsprozesses – im Sinne von Henry M. Claessen – zu verstehen ist. Allerdings geschah dies auch hier wieder entgegen dem ‚üblichen‘ evolutionären Muster. Im Falle des athenischen Gemeinwesens diente die Ideologie explizit nicht dazu, hierarchische Strukturen und soziopolitische Ungleichheit zu legitimieren.752 Ebenso fasst man in den kleisthenischen Reformen eine Festigung der geographischen Grenzen des Gemeinwesens und eine politische Durchdringung des gesamten Territoriums. Diese beiden Entwicklungen sind hingegen Phänomene, welche dem ‚üblichen‘ evolutionären Muster folgen und als fester Bestandteil eines Staatsentwicklungsprozesses zu verstehen sind. Eine klare politische Ausrichtung auf das urbane Zentrum Attikas ist hier offensichtlich. Bis zu einem gewissen Grad weicht allerdings die Demenorganisation wieder vom ‚üblichen‘ evolutionären Muster ab. Denn diese beinhaltete eben auch einen starken föderalen Charakter mit lokalen politischen Herrschaftskompetenzen. Doch sind diese Kompetenzen nicht mehr bei einer lokalen Elite angesiedelt, sondern bei den, zumeist dörflichen, Demengemeinschaften. In diesen funktioniert die soziopolitische Kommunikation nach dem ‚face to face‘ Prinzip und formale Entscheidungen werden in egalitären politischen Institutionen, also in den Demenversammlungen, getroffen. Alle fassbaren Informationen über die kleisthenischen Reformen deuten also darauf hin, dass diese als staatlicher Institutionalisierungsprozess eine entscheidende vorläufige Endphase in der staatlichen Formierung des athenischen Gemeinwesens darstellten. Außerdem zeigt sich in der Institutionalisierung egalitärer Strukturen und Prinzipien ein starkes Indiz für die Besonderheit – wenn nicht sogar Einzigartigkeit – der Staatsentwicklung in der griechischen Welt bzw. doch zumindest in Athen. Die Frage ist nun, wie es überhaupt zu einer solchen Sonderentwicklung kommen konnte. Um eine Antwort darauf zu finden, lohnt es sich eine These von Josiah Ober über die kleisthenischen Reformen heranzuziehen.753 Diese be749 Vgl. etwa OBER 2007, S. 4. 750 Vgl. etwa C. MEIER 1983 [1980], S. 281–284; außerdem K.-E. PETZOLD 1990. 751 Siehe dagegen aber K.-E. PETZOLD 1990, besonders S. 146–160, welcher zwar isēgoría, d. h. eine politische Mitentscheidung breiterer Teile der athenischen Bevölkerung, schon als Ziel dem Kleisthenes zuschreibt, dies aber nur, um eine stabile isonomía, also eine tatsächliche politische Egalität, allein zwischen den Angehörigen der Elite zu gewährleisten. Eine Ausweitung der isonomía auf weitere Teile der Bürgerschaft sieht er dagegen erst als ein Phänomen der nach-kleisthenischen Zeit an. 752 Vgl. CLAESSEN 2002, S. 107-111. 753 Vgl. dazu etwa FLAIG 2004a, S. 45–53, u. SAMONS 2004.

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sagt nun, dass Kleisthenes – trotz aller Bedeutung seiner Person – sich lediglich an die Spitze einer ‚demokratischen‘ Bewegung aus der Masse der politisch minderberechtigten athenischen Bürger stellte und für diese die demokratischen Reformen formulierte. Dies tat er gegen den amtierenden Archonten, Isagoras, mit dem er sich seit der Vertreibung des letzten Peisistratiden in einem Kampf um die Macht in Athen befand.754 Isagoras, innenpolitisch unterlegen, rief aber seinen Gastfreund Kleomenes I., den König von Sparta, zu Hilfe. Dieser zwang Kleisthenes und seiner Unterstützer ins Exil zu gehen und machte sich daran Isagoras als Quisling der Spartaner zu installieren. Der Rat der Fünfhundert wiedersetzte sich dem und Kleomenes okkupierte daraufhin die Agora, um diesen unter Druck zu setzen. Dies löste einen spontanen Volksaufstand aus und eine spontane, führerlose Bewegung aus dem Demos vertrieb in einem revolutionären Akt im Jahr 508/07 v. Chr. die spartanische Besatzung samt Isagoras und seiner Anhänger aus Athen. Erst dadurch wurde die dauerhafte Durchsetzung der demokratischen Reformen ermöglicht, welche Kleisthenes vor der spartanischen Intervention vorgeschlagen hatte. Erst nach der Vertreibung der Spartaner konnte dieser aus dem Exil zurückkehren. Durch die autonomen Handlungen von Boule und Demos wurde die Vormacht der alten Elite gebrochen und die Demokratie konnte sich im weiteren Verlauf des 5. Jahrhunderts entfalten.755 Soweit jedenfalls die These von Josiah Ober. Dass die Bedeutung des Demos bei der Durchsetzung der kleisthenischen Reformen in Athen sowohl gegen innere als auch äußere Widerstände nicht zu unterschätzen ist, wurde auch schon von Christian Meier klar herausgestellt. Die Politisierung breiterer Schichten verbindet er aber erst unmittelbar mit der spontanen Erhebung zum

754 Anders kann man Hdt. 5,66,1 wohl kaum deuten, auch wenn er nicht von einer Stasis spricht: „Zwei Männer hielten in der Stadt die Macht in der Hand: […] Kleisthenes […] und Isagoras“ – ἐν δὲ αὐτῇσι δύο ἄνδρες ἐδυνάστευον, Κλεισθένης […] καὶ Ἰσαγόρης. Siehe außerdem Athen. pol. 20,1 u. dazu STEIN-HÖLKESKAMP 1989, S. 154–167, welche zu Recht betont, dass es sich hierbei um die „typischen Kämpfe um Vorherrschaft“ (S. 155) zwischen Vertretern der Elite handelte, ohne „daß breitere Schichte in der ersten Phase der Auseinandersetzung in die Konkurrenz der beiden Dynasten involviert gewesen wären“ (S. 158). 755 Vgl. OBER 1996, S. 32–52, hier S. 35: „And thus, demokratia was not a gift from a benevolent elite to a passive demos, but was the product of collective decision, action, and self-definition on the part of the demos itself“. Siehe dagegen aber etwa ANDERSON 2003, S. 43–84, hier S. 81: „[…] the new order was not the spontaneous creation of a popular revolutionary fervor, however much the support of nonelite citizens might have been crucial to its success. Rather, it should be seen as a massive, ingenious, and artfully self-conscious exercise in social engineering – the product, in short, of a vision from above, not below“; außerdem FLAIG 2004a, besonders S. 45–50, welcher versucht zu zeigen, dass Isagoras die legitime Ordnung, verkörpert durch den Rat, bedrohte und das athenische Volk diese nur verteidigt hat, also aller revolutionärer Anspruch für die Ereignisse des Jahre 508/07 zurückzuweisen sei.

182 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

Schutz der Verfassungsreformen des Kleisthenes.756 Er macht dafür „mindestens eine Disposition“ innerhalb des athenischen Demos aus, dass es auch ohne die Vorherrschaft der alten Elite ging, welche nur noch von dem Alkmeoniden instrumentalisiert werden musste.757 Josiah Ober geht nun aber noch einen Schritt weiter, indem er in Kleisthenes nur den Wortführer sieht, welcher sich an die Spitze einer breiten Bewegung innerhalb der unterelitären Bürgerschichten des athenischen Gemeinwesens stellte. Denn diese waren bereits politisiert und ihre Forderung nach politischer Teilhabe musste nur noch umgesetzt werden.758 Die Vertreibung der Peisistratiden durch eine äußere Macht und deren Versuch, die indirekte Kontrolle über das athenische Gemeinwesen zu erlangen, war sicherlich der entscheidende Katalysatoreffekt, den athenischen Demos zu einer konstatierten Aktion zu veranlassen. Interessant ist nun, dass sowohl die ‚Revolution‘ als auch der politische Großreformer Kleisthenes im kollektiven Gedächtnis der Athener kaum eine Rolle spielten.759 Denn für die Athener des 5. und 4. Jahrhunderts war es nicht der Alkmeonide, welcher als Begründer ihrer politischen Herrschaftsordnung, also der Demokratie, galt. Vielmehr scheinen alle antiken Zeugnisse darauf hinzudeuten, dass die athenische Bürgerschaft in dem historischen Gesetzgeber Solon und in dem mythischen Gründerkönig Theseus, die Begründer der demokratischen Ordnung sahen.760 Die Entstehung der Demokratie wurde also im 5. und 4. Jahrhundert im kollektiven Bewusstsein der Athener stets weiter in die Vergangenheit verlegt. Diese bewusste anachronistische Verortung des Ursprunges ihrer gegenwärtigen politischen Ordnung führte von Solon, der das

756 Vgl. C. MEIER 1983 [1980], S. 113–123, hier S. 115: „[…] wie sich Rat und Volk dann widersetzten, das war jedenfalls überraschend, das stellte etwas in der damaligen Welt Neues, normalerweise nicht zu Erwartendes dar. Eigentümlich war dabei, daß die so vehemente Gegenwehr der Bürgerschaft in Abwesenheit von deren Führern und offensichtlich auch von den entschiedensten Anhängern dieser Führer geleistet wurde. Das heißt, die Gegenwehr ging im Ganzen von Bürgern aus, die sich politisch bis dahin nicht hervorgetan hatten“. 757 C. MEIER 1983 [1980], S. 115f. 758 Vgl. OBER 1996, S. 52: „But it is to see his [Kleisthenes] genius not in an ability to formulate a prescient vision of a future democratic utopia, nor in an ability to hide a selfish dynastic scheme behind a constitutional façade, but rather in his ability to ‘read’ – in a sensitive and perceptive way – the text of Athenian discourse in a revolutionary age, and to recognize that Athenian mass action had created new political facts”. 759 Vgl. dazu allgemein HANSEN 1994A; FLAIG 2004a; ANDERSON 2007. 760 Vgl. HANSEN 1989. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: die Unterscheidung zwischen mythisch und historisch ist hier vornehmlich eine moderne und die meisten Athener der klassischen Zeit werden sowohl Solon als auch Theseus als historische Personen im heutigen Sinne betrachtet haben. Dennoch scheint es bereits bei Herodot ein Bedürfnis gegeben zu haben, historische von mythischen Geschichten zu unterscheiden, mit Ergebnissen, die dem heutigen Verständnis nahe kommen (vgl. FOWLER 2011, S. 46– 49).

183 Die kleisthenischen Reformen – Ein evolutionärer Sonderfall?

athenische Gemeinwesen neu konstituiert habe, hin zu Theseus,761 der es ursprünglich gegründet hätte.762 Dieser Prozess gipfelte schließlich in einer Verbindung des athenischen Anspruches auf Autochthonie763 mit dem Anspruch einer naturgegebenen Ursprünglichkeit der Demokratie für das athenische Gemeinwesen.764

761 Siehe zur ‚demokratischen‘ Rezeption des Theseus-Mythos H. WALKER 1995, besonders S. 35–82 u. 143–170. 762 Siehe die konzise Zusammenstellung aller Zeugnisse bei ANDERSON 2007, S. 107–119. Sowohl Aristoteles (pol. 1273b 35–39: „Es meinen aber einige, Solon sei ein rechtschaffener Gesetzgeber gewesen. Er habe nämlich die Oligarchie, die absolut Gesetz war, aufgehoben, das Sklaventum des Volkes beendet und die althergebrachte Demokratie unter richtiger Beimengung der Staatsverfassung eingeführt“ – Σόλωνα δ᾽ ἔνιοι μὲν οἴονται νομοθέτην γενέσθαι σπουδαῖον: ὀλιγαρχίαν τε γὰρ καταλῦσαι λίαν ἄκρατον οὖσαν, καὶ δουλεύοντα τὸν δῆμον παῦσαι, καὶ δημοκρατίαν καταστῆσαι τὴν πάτριον, μείξαντα καλῶς τὴν πολιτείαν) als auch die Athenaion politeia (vgl. 5–12 u. hier 41,2 zur dritten Verfassungsänderung in der athenischen Geschichte: „Die dritte, die nach dem Bürgerkrieg erfolgte, war die unter Solon, von der die Demokratie ihren Ausgang nahm“ – τρίτη δ᾽ ἡ μετὰ τὴν στάσιν ἡ ἐπὶ Σόλωνος, ἀφ᾽ ἧς ἀρχὴ δημοκρατίας ἐγένετο) sehen in Solon den entscheidenden demokratischen Reformer. Bei Thukydides (2,15,1–2) und in den ‚Hiketiden‘ des Euripides' (Verse 349f. u. 404–408) scheint Theseus der Vater der Demokratie zu sein. Auch in einer der Reden des Demosthenes (59,75) wird Theseus wörtlich als Schöpfer der Demokratie und Gründer des einheitlichen athenischen Gemeinwesens, durch einen Synoikismos, benannt: Θησεὺς συνῴκισεν αὐτοὺς [die Athener] καὶ δημοκρατίαν ἐποίησεν. Anders sah es freilich der Verfasser der Athenaion politeia (41,2): „Eine zweite Änderung, die als erste nach dieser die Form einer Verfassung hatte, wurde unter Theseus vorgenommen und wich nur geringfügig von der monarchischen Verfassung ab“ – δευτέρα δὲ καὶ πρώτη μετὰ ταύτην ἔχουσά τι πολιτείας τάξις ἡ ἐπὶ Θησέως γενομένη, μικρὸν παρεγκλίνουσα τῆς βασιλικῆς. Es scheint also im klassischen Athen zumindest zwei Traditionen zum Ursprung der Demokratie gegeben zu haben. 763 Vgl. dazu LORAUX 1993, S. 37–71. Natürlich war dies nur eine Fiktion, so etwa CONNOR 1994, S. 34–38, hier S. 38: „The claim of Attic autochthony is not a description of social reality“. Dies muss allerdings nicht heißen, dass der athenische Anspruches auf Autochthonie „a reflection of the anxiety of a people who knew that they were of very diverse origins and preferred not to look too closely at the descent lines of their fellow citizens“ ist. Auch wenn es starke lokale Traditionen in Attika während der gesamten klassischen Zeit gegeben hat (vgl. CONNOR 1994, S. 38–41), so wird das athenische Gemeinwesen kaum den fassbaren Grad an Stabilität erreicht haben können, ohne dass ein starker Gemeinsinn existiert haben wird, welcher auf solchen Ansprüchen gründete. 764 Es ist Lysias, der in einer Rede (2,17f.) noch einen Schritt weiter geht und gleichsam eine von Natur aus bestehende Zusammengehörigkeit von athenischer Gemeinschaft und demokratischer Ordnung behauptet: „Sie waren Ureinwohner [= Erdgeborne] und hatten das Land, das sie besaßen, als Mutterland und Heimat. Als Erste und Einzige zu jener Zeit vertrieben sie die Gewaltherrscher aus ihrem Land und führten die Demokratie ein“ – ἀλλ᾽ αὐτόχθονες ὄντες τὴν αὐτὴν ἐκέκτηντο μητέρα καὶ πατρίδα. πρῶτοι δὲ καὶ μόνοι ἐν ἐκείνῳ τῷ χρόνῳ ἐκβαλόντες τὰς παρὰ σφίσιν αὐτοῖς δυναστείας δημοκρατίαν κατεστήσαντο.

184 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

Für Kleisthenes selbst blieb im kollektiven Gedächtnis der Athener dann zumeist nur als Verdienst übrig, die klassische Phylenordnung eingeführt und eine Neueinteilung der Demen durchgeführt zu haben. Dafür wurde er dann auch noch im 2. Jahrhundert n. Chr. mit einem Grabmonument samt einer Inschrift durch die Bürger der athenischen Polis geehrt.765 Allerdings kannten ihn die athenischen Bürger im 4. Jahrhundert durchaus noch als einen historischen Staatsmann, der durchaus in einer Reihe mit Solon zu stellen ist. Allerdings eben nicht als der Begründer der Demokratie, sondern vielmehr als derjenige, der die althergebrachte demokratische Ordnung nach dem Sturz der Tyrannen wiederhergestellt hatte.766 Natürlich galt auch für die demokratische Ordnung Athens, was generell festzustellen ist, nämlich dass „soziale und politische Ordnungen […] keine feststehenden, überzeitlichen, den Kontingenzen der Zeitläufe enthobenen Ordnungen“767 sind. Und – dies soll noch einmal betont werden – gerade die Entstehung der Demokratie war ja ein zutiefst kontingenter Prozess, gegen alle Wahr765 Vgl. Paus. 1,29,5. 766 Dies geht etwa aus einer Rede des Isokrates hervor (15,232): Κλεισθένης […] τόν τε δῆμον κατήγαγε καὶ τοὺς τυράννους ἐξέβαλε καὶ τὴν δημοκρατίαν ἐκείνην κατέστησε […]– „Kleisthenes […] brachte dann das Volk wieder an die Macht, vertrieb die Tyrannen und richtete jene Demokratie ein“. Doch die Übersetzung von Ley-Hutton ist hier etwas problematisch. Denn wenn das Volk in seiner Stellung nur wiederhergestellt wurde (κατήγαγε von κατάγειν = wiederherstellen), dann kann hier Kleisthenes die Demokratie nicht eingerichtet, sondern sie nur wiederhergestellt haben. Deswegen sollte die Übersetzung eher heißen: „Kleisthenes […] brachte dann das Volk wieder an die Macht, vertrieb die Tyrannen und stellte jene Demokratie wieder her“. Auch war er bekannt als jemand, der die athenische Ordnung noch demokratischer gemacht hatte, als sie ohnehin schon war (Athen. pol. 22,1: „Infolge dieser Maßnahmen wurde die Verfassung viel demokratischer als die Solons“ – τούτων δὲ γενομένων δημοτικωτέρα πολὺ τῆς Σόλωνος ἐγένετο ἡ πολιτεία), doch als ihr Begründer galt er eben gerade nicht. Selbst bei dem vermeintlichen Zeugnis des Herodot, nach welchem Kleisthenes der Begründer der Demokratie gewesen sei (vgl. Hdt. 6,131,1: „Kleisthenes […] der die Einteilung der Phylen in Athen schuf und die Demokratie einrichtete“ – Κλεισθένης τε ὁ τὰς φυλὰς καὶ τὴν δημοκρατίην Ἀθηναίοισι καταστήσας), kann ANDERSON 2007, S. 117–119, sehr überzeugend darlegen, dass καταστήσας nicht im Sinne von „establish from scratch“ verstanden werden sollte, sondern eher im Sinne von „restore“ oder „reorganize“, was das Verb καθίστημι ebenso bedeuten kann. In dieser Bedeutung wird dieses Verb sowohl in der Athenaion politeia (29,3) als auch von Isokrates (15,232) gebraucht, um die Wiederherstellung der Demokratie durch Kleisthenes zu beschreiben. In beiden Texten ist es vom Kontext her vollkommen eindeutig, dass die Verfasser eine Wiederherstellung und keine Neuschaffung einer politischen Ordnung meinten. Dies würde auch mehr Sinn haben in Bezug auf die Phylen, da ja selbst nach Herodot (5,69,2) in Athen bereits Phylen vor den kleisthenischen Reformen existierten. Damit könnte also eine bessere deutsche Übersetzung von Hdt. 6,131,1 folgendermaßen lauten: „Kleisthenes […] der die Phylenordnung neustrukturierte und die Demokratie wiederherstellte“. 767 Vgl. VORLÄNDER 2013, S. 13.

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scheinlichkeiten in der Evolution soziopolitischer Ordnungen. Möglicherweise begründet sich dadurch auch der hohe Aufwand, den die demokratische Bürgergemeinschaft von Athen betrieb, um ihre politische Ordnung zu legitimieren und den Geltungsanspruch ihrer Ordnung zu verteidigen. Denn die immanente demokratische Ordnung benötigte, neben dem institutionellen Fundament der Demengemeinschaften, eben auch einen transzendenten Überbau.768 Ein solcher wurde geschaffen, indem die Ordnung an Gründungsheroen gebunden wurde bzw. gar an einen Schöpfungsvorgang selbst. Dieser Vorgang ist als ein „symbolische[s] Überschreiten“ zu verstehen und damit als ein „sinn- und bedeutungsstiftender Prozess“.769 Die politische Ordnung wurde damit unverfügbar gestellt und dies sehr erfolgreich.770 Bis zu einem gewissen Grad kamen selbst die Gegner der Demokratie nicht mehr um diese Transzendenzbehauptungen herum und mussten stets auf eine ‚ursprüngliche‘ bzw. auf eine ‚gute‘ Demokratie verweisen, wenn sie Alternativen einforderten.771 Doch dies erklärt nur bedingt die athenische Erinnerungskultur. Also den Umstand, dass der spontane Volksaufstand fast vollständig aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt wurde.772 Denn dieser ist primär ja durch die militärische Intervention des spartanischen Königs Kleomenes I. in die inneren athenischen Angelegenheiten ausgelöst worden.773 Immerhin war Sparta zu diesem Zeitpunkt die bedeutendste Macht und Kleomenes der wahrscheinlich mächtigste Mann in der gesamten griechischen Welt.774 Und auch wenn er nur mit einer unbedeutenden Streitmacht in Athen eingerückt war,775 so war doch seine Belagerung 768 Vgl. dazu VORLÄNDER 2013 u. DREISCHER U.A. 2013, besonders S. 3–9. 769 Vgl. DREISCHER u.a 2013, S. 5. 770 Natürlich gab es noch andere Maßnahmen, mit welchen eine Transzendenz der Ordnung erreicht werden sollte. Die Personifizierung der Demokratie als weibliche Figur und schließlich sogar als Göttin mit eigenen Opfern und Priestern (vgl. R. PARKER 1996, S. 228f.) ist hier ein sehr eindeutiger Beleg. 771 Vgl. etwa Aristot. pol. 1293b–1294b u. Isokr. or. 7,15–17; THOMAS 1994, ist dann auch zuzustimmen, wenn sie darauf hinweist, dass auch weniger demokratisch gesinnte Kräfte im Athen des 4. Jahrhunderts sich auf Solon beriefen und die Idee des idealen Gesetzgebers herausstellen konnten. Allerdings geht sie fehl in der Annahme, dass die Berufung auf einen einzelnen Gesetzgeber „distinctly undemocratic“ sei (S. 125). Denn bei allen Gesetzgebungsmaßnahmen steht zu Beginn die souveräne Entscheidung der demokratischen Institutionen (Volksversammlung, Nomotheten, Gerichtshöfe). Erst nachdem ein Gesetz demokratisch beschlossen wurde, konnte es durch die Verbindung etwa mit der solonischen Ordnung unverfügbar gestellt werden. Dies funktioniert aber nur, wenn darüber ein demokratischer Konsens bestand, welcher dann wiederum durch das unverfügbar gestellte Gesetz selbst gestärkt wurde. 772 Vgl. FLAIG 2004a, besonders S. 56–61, u. ANDERSON 2003, S. 206–211. Zu den Begriffen ‚Erinnerungskultur‘ und ‚kollektives Gedächtnis‘ sowie deren Begriffsgeschichte siehe BEREK 2009, S. 38–42. 773 Vgl. Hdt. 5,70–72 u . Athen. pol. 20,2f. 774 Zur Stellung des Kleomenes siehe etwa WELWEI 2007, S. 38–45. 775 Athen. pol. 20,3: μετ᾽ ὀλίγων.

186 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

auf der Akropolis durch den athenischen Demos und seine schmähliche Kapitulation nach nur drei Tagen eine Machtdemonstration des Volkes.776 Aus dieser Machtdemonstration – und hier ist Ober zuzustimmen – musste ein Herrschaftsanspruch des Demos erwachsen. Der Sieg des athenischen Demos hätte also als Gründungsmythos der athenischen Demokratie eigentlich ein Eigenleben entfalten müssen. Dies müsste gerade deswegen der Fall gewesen sein, da die Beendigung der Tyrannenherrschaft dafür nicht taugte. Denn diese war ja nicht vom Demos herbeigeführt wurden und auch nur indirekt von Vertretern der athenischen Elite. Primär lag das Verdienst dafür unzweifelhaft bei Sparta und damit eben bei Kleomenes. Dies war ein Umstand, der auch in Athen nie wirklich vergessen werden konnte.777 Dessen ungeachtet entwickelten sich zwei Vertreter der athenischen Elite, Harmodios und Aristogeiton, sehr schnell im kollektiven Gedächtnis der Athener zu den eigentlichen Befreiern von der Tyrannis. Dies konnte geschehen, obwohl beide durch ihr Attentat höchstens den Anfang vom Ende der Herrschaft der Peisistratiden eingeleitet haben.778 Dennoch wurde ihnen in der Überlieferung mitunter sogar die Einrichtung der Isonomie zugeschrieben.779 Ebenso wurden die Ereignisse des Jahres 514 v. Chr. mit dem tatsächlichen Ende der Tyrannenherrschaft 511/10 v. Chr. in manchen Überlieferungstraditionen zusammengezogen, indem man das Handeln von Harmodios und Aristogeiton in dieses Jahr verlegte.780 Dass beide Akteure zu diesem Zeitpunkt bereits den Tod gefunden hatten, änderte daran nichts. 776 Diese war immerhin im kollektiven Gedächtnis der Athener noch einhundert Jahre später präsent und das Erinnern daran konnte wohl stets für eine allgemeine Erheiterung sorgen, wie etwa in einer Komödie des Aristophanes (Lys. 274–279): „Kam doch Kleomenes, der einst / Diese Burg erobert, / Nicht ungerupft von hinnen; so / Lakonisch wild er auch geschnaubt, / Die Waffen streckt' er doch vor mir / Und zog davon im schäb'gen Wams, / Verhungert, schmutzig, unrasiert“ – ἐπεὶ οὐδὲ Κλεομένης, ὃς αὐτὴν κατέσχε πρῶτος, / ἀπῆθεν ἀψάλακτος, ἀλλ᾽ / ὅμως Λακωνικὸν πνέων / ᾤχετο θὤπλα παραδοὺς ἐμοί, /σμικρὸν ἔχων πάνυ τριβώνιον / πινῶν ῥυπῶν ἀπαράτιλτος. 777 Vgl. Hdt. 5,63–65; Thuk. 6,53,3 u. 6,59,4; besonders deutlich wird dies bei Aristophanes (Lys. 1150–1156): „Wißt ihr's nicht mehr, wie die Spartaner kamen, / Zur Zeit, wo ihr den Sklavenkittel trugt, / Und der thessal'schen Männer viel erschlugen / Und viel von Hippias' Helfern und Verschwornen: / Die einzigen, die an jenem Tag euch halfen, / Die euch befreit und statt des Sklavenkittels / Sein Bürgerkleid dem Volk zurückgegeben?“ – οὐκ ἴσθ᾽ ὅθ᾽ ὑμᾶς οἱ Λάκωνες αὖθις αὖ / κατωνάκας φοροῦντας ἐλθόντες δορὶ / πολλοὺς μὲν ἄνδρας Θετταλῶν ἀπώλεσαν, / πολλοὺς δ᾽ ἑταίρους Ἱππίου καὶ ξυμμάχους, / ξυνεκμαχοῦντες τῇ τόθ᾽ ἡμέρᾳ μόνοι, / κἠλευθέρωσαν κἀντὶ τῆς κατωνάκης / τὸν δῆμον ὑμῶν χλαῖναν ἠμπέσχον πάλιν. Siehe dazu auch FLAIG 2004b, S. 111f. 778 Vgl. etwa FLAIG 2004b, S. 104–108. 779 So jedenfalls in einem Skolion, welches bei Athenaios (deipn. 695) überliefert ist. Hier ist dann aber wohl eher die Isonomie innerhalb der Elite gemeint. 780 Vgl. Marm. Par. ep. 45 = FGrHist IIB 239 fr. A45; deutsche Übersetzung bei FLAIG 2004b, S. 114. Dass diese epigraphisch überlieferte Chronik aus dem 3. Jahrhundert. v. Chr. (vgl. dazu JACOBY 1904, S. V–XVIII), welche auf Paros gefunden wurde, auf ‚offiziellen‘ athenischen Quellen basiert, ist wahrscheinlich, aber nicht gesichert (vgl. YOUNG

187 Die kleisthenischen Reformen – Ein evolutionärer Sonderfall?

Egon Flaig hat nun zwei Faktoren aufgezeigt, welche diese Erinnerungspolitik erklären können. Zum einen war es wohl für die athenische Bürgergemeinde nicht besonders schmeichelhaft, von den Spartanern befreit worden zu sein. Zum anderen war es aber auch eine herbe Blamage für die athenische Elite, dass sie es eben nicht selber geschafft hat, die Tyrannis zu beenden. Daher, so folgert Flaig weiter, habe die athenische Elite versucht, den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen und zwei Akteure aus ihrer Gruppe zu den Begründern der neuen Ordnung zu machen. Dies versuchten sie ganz unabhängig von dem Umstand, dass diese Ordnung erst durch die Reformen des Kleisthenes entstanden war,781 denn der Alkmeonide selbst eignete sich nicht zur Heldenfigur aus der Elite. Denn sein (wahrscheinliches) Engagement zum Sturz des Hippias 511/10 war nicht ohne auswärtige Hilfe ausgekommen. Auch war die Durchsetzung seiner neuen Ordnung mit einem regelrechten Bürgerkrieg gegen Isagoras und dessen Anhänger – unterstützt durch dessen Gastfreund Kleomenes – verbunden. Ein solcher Sieg in einer Stasis konnte nicht zum mythisch aufgeladenen und unverfügbar gestellten Gründungsmoment des ‚neuen‘ Athens werden.782 Dies war gerade auch darum der Fall, weil die „politische Integration des unterlegenen Teils des athenischen Adels […] eine Tabuierung der Ursprünge der Demokratie“783 erforderte. Daher verschoben „die maßgeblichen Gruppen der athenischen Führungsschicht […] das Gedenken an den Ursprung der herrschenden Ordnung – also an eine brisante Veränderung – in eine gefahrlose Zone der Vergangenheit“784 – eben zu den Mördern des Hipparchos.785 Die Ge-

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/ STEINMANN 2012, S. 230–232; Felix JACOBY 1904, S. 173, ging davon aus, dass hier eine „volkstümliche chronologie [sic!]“ wiedergegeben wurde). Jedenfalls wird dieses Zeugnis einen genuinen Einblick in das kollektive Gedächtnis der Athener bieten, da es kaum eine außerathenische Sondertradition über das Ende der Tyrannis gegeben haben wird. Vgl. FLAIG 2004a, S. 57f. Vgl. FLAIG 2004a, S. 59f. FLAIG 2004a, S. 60. FLAIG 2004a, S. 60. Allerdings ist die Vergangenheit eben nie eine „gefahrlose Zone“, da man sie immer wieder verfügbar machen kann, um Ordnungen zu legitimieren oder zu delegitimieren. Zu den offiziellen und inoffiziellen Maßnahmen, um dies zu erreichen, siehe RAUSCH 1999, S. 40–62, u. ANDERSON 2003, S. 199–206. Dass dies alles nur begrenzt Erfolg hatte und in Athen auch andere Traditionen am Leben blieben, beweist der Umstand, dass Herodot (6,123) klar den Alkmeoniden und explizit nicht Harmodios und Aristogeiton den Verdienst für die Beendigung der Tyrannenherrschaft zuschreibt. Auch Thukydides kennt eine andere Tradition, obwohl er ein großes Maß an Ignoranz unter seinen athenischen Mitbürgern zum vermeintlichen Verdienst der Hipparchos-Mörder ausmacht (vgl. 1,20,2f.). Für ihn war die Tat des Harmodios und des Aristogeiton bekanntlich kein politischer Akt, sondern ein rein persönlicher (6,55–59; hier 6,59,1): „Auf diese Weise war bei Harmodios und Aristogeiton ein Liebesverdruß der Ursprung des Anschlages und kam ihr dumm-tolles Zuschlagen aus dem Augenblicksschreck“ – τοιούτῳ μὲν τρόπῳ δι᾽ ἐρωτικὴν λύπην ἥ τε ἀρχὴ τῆς ἐπιβουλῆς καὶ ἡ ἀλόγιστος τόλμα ἐκ τοῦ παραχρῆμα

188 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

schwindigkeit, mit der dies geschah, deuten zumindest die späteren Zeugnisse an.786 Bereits unmittelbar nach dem Sturz des Hippias wurde Harmodios und Aristogeiton in Athen ein offizielles Denkmal gesetzt. Dabei handelte es sich um ein Werk des spätarchaischen Bildhauers Antenor, welches nicht mit der klassischen Statuengruppe der Bildhauer Kritios und Nesiotes aus der Zeit nach den Perserkriegen verwechselt werden sollte.787 Warum die Mehrheit der athenischen Elite bereit war, diese erinnerungspolitische Alternation vorzunehmen, ist nun durchaus nachvollziehbar. Schwieriger zu erklären ist nun aber, warum dies vom athenischen Demos akzeptiert wurde,788 welcher sich seiner Macht gerade erst nachdrücklich bewusst geworden war. Reichte hier wirklich die Furcht aus, eine Stasis an den Beginn der neuen, vom Demos verteidigten und durchgesetzten Ordnung zu stellen? Hätte nicht auch ein erinnerungspolitisches Konzept funktionieren können, welches sich nicht nur gegen die Anhänger des Isagoras richtete, sondern gegen alle Vertreter der athenischen Elite oder doch zumindest gegen solche, die sich nicht aufseiten des Kleisthenes und der neuen Ordnung engagiert hatten?789 Hätte nicht auch die Befreiung vom auswärtigen Feind in der kollektiven bzw. offiziellen Erinnerung in den Mittelpunkt gerückt werden können,790 um dann zum Gründungsmythos der demokratischen Ordnung transzendiert zu werden? Es ist zu vermuten, dass dies tatsächlich möglich gewesen wäre, aber der Demos hätte es eben nur gegen einen beachtlichen Teil der Elite durchsetzen können. Zur Stabilisierung der neuen Ordnung war es aber notwendig gewesen, einen Kompromiss einzugehen. Um das Gemeinwohl der Polis zu wahren, musste der athenische Demos sich selbst nicht nur zurücknehmen. Vielmehr musste er die eigene Bedeutung bei der Errichtung der neuen Ordnung als kollektive Instanz fast schon negieren. Auch hört man in den Quellen nichts über ökonomische

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περιδεοῦς Ἁρμοδίῳ καὶ Ἀριστογείτονι ἐγένετο. Die Athenaion politeia (18) folgt dieser Tradition über den Mord an Hipparchos. Etwa Plin. nat. 34,17, der das Jahr 509 v. Chr. nennt. Zum Problem mit dieser Datierung siehe RAUSCH 1999, S. 42–44. Vgl. RAUSCH 1999, S. 40–47, u. HALLOF / KANSTEINER 2007, S. 6. Diese erinnerungspolitische Veränderungsleistung konnte nicht nur aufgrund des Willens der Elite und schon gar nicht gegen den Willen der unterelitären Bürgerschichten erreicht werden. Anders aber FLAIG 2004a, S. 56–61, welcher hier nur die Elite am Werk sieht. Das Kleisthenes nicht allein stand und auch bei der athenischen Elite einen beachtlichen Anhang hatte, deutet zumindest die Aussage bei Herodot (5,72,1) an, dass Kleomenes nicht nur Kleisthenes, sondern 700 athenische Familien ins Exil verbannte (ἀγηλατέει ἑπτακόσια ἐπίστια Ἀθηναίων), welche ihm zuvor von Isagoras genannt wurden (τά οἱ ὑπέθετο ὁ Ἰσαγόρης). So wie auch lange Zeit die Anzahl und Bedeutung der ‚Loyalisten‘ in der Amerikanischen Revolution im kollektiven Gedächtnis der Amerikaner ignoriert und vornehmlich der Kampf gegen eine auswärtige Macht in den Vordergrund gestellt wurde (vgl. dazu etwa SMITH 1968).

189 Die kleisthenischen Reformen – Ein evolutionärer Sonderfall?

Forderungen seitens des Demos,791 wie dies noch zur Zeit der solonischen Reformen der Fall gewesen zu sein scheint.792 Für diesen Verzicht war ein hohes Maß an Gemeinsinn seitens der unterelitären Bürger notwendig, Wobei natürlich eingeräumt werden muss, dass das politische System des demokratischen Athens darauf ausgerichtet wurde, ökonomische Ungleichheit der Bürger möglichst aus dem politischen Prozess herauszuhalten. Ungeachtet dessen gab es aber auch im demokratischen Athen weiterhin eine politische Elite, welche aus den ökonomisch Abkömmlichen bestand.793 Aber auch die athenische Elite hat ihren Anteil an Gemeinsinn aufgebracht. Sie tat dies, indem sie – zumindest bis zum Jahr 411 – von Versuchen Abstand nahm, die neue Ordnung mit Hilfe von Gewaltanwendung, also in einer neuen Stasis, zu beseitigen. Selbst Kleisthenes, unabhängig davon wie man seine tatsächliche Bedeutung und seine ursprünglichen Motive einschätzt, und seinen elitären Anhängern kann man den Gemeinsinn nicht absprechen. Denn in den normalen Bahnen der archaischen Parteikämpfe wären sie ja nach der Vertreibung des Kleomenes und der Hinrichtung der Anhänger des Isagoras die siegreiche Stasis-Gruppierung gewesen. Es wäre nun ihr ‚Recht‘ als Sieger, entsprechend dem so oft betonten agonalen Wesen der griechischen Kultur und seiner Elite,794 die Macht in Athen auszuüben. Zumindest bis die nächste Stasis-Gruppierung sie wieder hinweggefegt hätte. Stattdessen traten Kleisthenes und seine Anhänger, anscheinend freiwillig, hinter das Reformwerk zurück. Sie verzichteten auf die errungene Macht und akzeptierten selbst, dass der gesamte Ruhm Harmodios und Aristogeiton zufiel. Zumindest Greg Anderson vermutet dann auch hochgemeinsinnige Gründe für kleisthenische Handeln: „[…] to deflect attention from the novelty of his innovations and forestall an damaging accusations of ‘revolution’“.795 791 Vgl. WELWEI 1992, S. 201f. 792 Vgl. Solon fr. 2 Latacz = fr. 4 West = fr. 3 Diehl = fr. 3 Gentili / Prato, überliefert bei Dem. or. 19,255. Zumindest kann man so die Anwürfe des Solon an alle Athener verstehen, wie sie nicht handeln dürfen, wenn sie eine gemeinsinnige Ordnung, eben die Eunomia, haben möchten. 793 Vgl. dazu MANN 2008, besonders S. 18–29. 794 Vgl. etwa WEILER 1974; STAHL 1987, S. 86–93; BARKER 2009, besonders S. 1–5. Des Weiteren sieht etwa HÖLKESKAMP 2000 das agonale Prinzip auch in der politischen Auseinandersetzung, in Analogie zu dem im Kampf, bereits seit der homerischen Zeit bestehen; SANDYWELL 2000 vermutet gerade auch in den kleisthenischen Reformen eine Verstärkung des agonalen Prinzips im politischen Prozess (vgl. S. 109f.) und STEINHÖLKESKAMP 2013 argumentiert dafür, dass das agonale Prinzip der griechischen Elite auch im Rahmen der politischen Auseinandersetzung in einer demokratischen Ordnung bestehen blieb und dass das Entscheidungsverfahren in der Volksversammlung dieses Prinzip geradezu bestärkt habe. Das Konzept der „agonalen Griechen“ geht bekanntlich auf Jacob Burckhardt zurück und hat nur selten Widerspruch erfahren. Siehe dazu die wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchungen von WEILER 2006 und ULF 2006, wobei vor allem bei ULF 2006 die zeitgebundenen Umstände herausgestellt werden, welche zur Konstruktion des Agonalitätskonzeptes durch Burckhardt führten. 795 ANDERSON 2007, S. 123.

190 Athen im 6. Jahrhundert als evolutionärer Sonderfall

8.5.

Zusammenfassung

Der von Solon noch vergeblich von allen Athenern eingeforderte Gemeinsinn,796 war also am Ende des 6. Jahrhunderts endlich im athenischen Gemeinwesen vorhanden. Er war nun in einem ausreichenden Maße vorhanden, sowohl bei der Elite als auch in den unterelitären Bürgerschichten, um sowohl Tyrannis als auch Stasis zu überwinden und eine neue integrative und egalitäre politische Ordnung zu schaffen. Der Gemeinsinn auf allen Ebenen der athenischen Bürgerschaft war so stark, dass selbst das agonal-eigensinnige Grundprinzip der griechischen Elite der archaischen Zeit, „immer Bester zu sein und überlegen zu sein den anderen“,797 von genügend Vertretern der athenischen Elite überwunden werden konnte, um das neue athenische Gemeinwesen zu konstituieren und zu stabilisieren. Der Ursprung dieses, so wenig elitären Gemeinsinnes, kann dann auch nicht in der heroischen Asozialität gefunden werden.798 Es ist ein Gemeinsinn, welcher alle politischen Institutionalisierungsprozesse überdauert hat und zurückverfolgt werden kann bis in die egalitäre homerische und hesiodische Dorfgemeinschaft.

796 Wobei aber ein hohes Maß an Gemeinsinn aller Athener notwendig war, um sich auf Solon als Aisymneten zu einigen. 797 Hom. Il. 6,208 u. 11,784: αἰὲν ἀριστεύειν καὶ ὑπείροχον ἔμμεναι ἄλλων. 798 Natürlich gab es auch vorher schon, bis in die homerischen Texte zurückreichend, immer wieder sowohl den Anspruch der Elite als auch die Anforderung an die Elite gemeinsinnig zu handeln (vgl. ULF 2001a, S. 176–180).

191 Vorbemerkungen

9. DIE KLASSISCHE POLIS ALS INSTITUTIONALISIERTE DORFGEMEINSCHAFT

9.1.

Vorbemerkungen

Zumindest die größeren griechischen Gemeinwesen in klassischer Zeit, unabhängig davon ob sie in den Quellen als póleis oder éthnē bezeichnet werden, haben im evolutionären Sinn die Schwelle zur frühen Staatlichkeit bereits überschritten. Akzeptiert man diese Einschätzung, dann bietet auch Aristoteles ein evolutionäres ‚Staatsentstehungsmodell‘ an.799 In diesem hat die Dorfgemeinschaft bekanntlich eine besondere Stellung in der Entstehung der Polis-Staatlichkeit, wie sie Aristoteles im 4. Jahrhundert kannte, inne: Do c h d ie er ste Ge me i n sc ha ft, die sic h we ge n e i ne s üb e r de n T a g h i na u s r e ic h e nd e n B ed ür f n i ss e s z u sa m me n se tzt , i st d a s Do r f. 800

und: Do c h d ie a u s me h rer e n Dö r fer n z us a m me n g es et zte vo ll ko m me n e Ge me i n sc ha f t is t d er Sta at [ d ie P o li s], d er so z u sa g e n b e r ei ts üb e r d ie Gr e nz e d e r vo ll e n Selb s tg e n ü g sa mk e it ver fügt, d er nun z war de s Lebe ns we ge n e n t st a nd en i st, aber do c h um d es gute n Lebe ns wi l le n b e ste h t. 801

Anders als es aber Aristoteles vermutete, war die frühe Dorfgemeinschaft – wie man sie in den homerischen und hesiodischen Texten fassen kann – mehr als nur ein bedeutender evolutionärer Entwicklungsschritt hin zur vollendeten Staatlichkeit der klassischen Polis. Auch sollte deutlich geworden sein, dass die Dorfgemeinschaft in der späteren Zeit mehr war als nur noch eine einfache Siedlungseinheit der Polis. Das funktionierende Prinzip der Polis als institutionalisierte Dorfgemeinschaft mit einer intensiven ‚face to face‘ Kommunikation 799 Vgl. Aristot. pol. 1252a 25–1253a. 800 Aristot. pol. 1252b 15f.: ἡ δ’ ἐκ πλειόνων οἰκιῶν κοινωνία πρώτη χρήσεως ἕνεκεν μὴ ἐφημέρου κώμη. 801 Aristot. pol. 1252b 27–30: ἡ δ’ ἐκ πλειόνων κωμῶν κοινωνία τέλειος πόλις, ἤδη πάσης ἔχουσα πέρας τῆς αὐταρκείας ὡς ἔπος εἰπεῖν, γινομένη μὲν τοῦ ζῆν ἕνεκεν, οὖσα δὲ τοῦ εὖ ζῆν.

192 Die klassische Polis als institutionalisierte Dorfgemeinschaft

unter allen aktiven politischen Akteuren war die Voraussetzung einer Entwicklung in spätarchaischer Zeit, welche zu demokratischen Herrschaftsordnungen führen konnte. Eine solche Entwicklung war natürlich, dies soll noch einmal betont werden, keine Notwendigkeit. In der Mehrheit der griechischen Gemeinwesen bildeten sich institutionalisierte Formen oligarchischer Herrschaft aus. Doch auch in diesen oligarchischen Ordnungen mussten die herrschenden Eliten auf die egalitären Strukturen der Dorfgemeinschaft, welche den Staatsentstehungsprozess überstanden hatten, Rücksicht nehmen. Dies geschah durch die Entstehung ostentativer Egalitätsideologien, welche sozioökonomische und politische Ungleichheiten überdecken sollten.802 Beide Prozesse scheinen Besonderheiten der Entstehung von Staatlichkeit in der griechischen Archaik zu sein. Welche Konsequenzen diese Besonderheiten auf die sozialen und politischen Ordnungen der klassischen Zeit hatten, soll zum besseren Verständnis des griechischen Staatsentstehungsprozesses zum Abschluss erläutert werden.

9.2.

Politische Institutionalisierung ohne Institutionalisierung der politischen Elite

Eine Konsequenz ist jedenfalls gewesen, dass sich auch in klassischer Zeit keine ständisch geschlossenen Eliten in den griechischen Gemeinwesen etablieren konnten. Die Führungsschichten, die man fassen kann, dürfen daher nicht als eine Gruppe vergleichbar dem Adel des europäischen Mittelalters und der Neuzeit missverstanden werden. Bei dem mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Adel gab es ein tatsächlich ausgeprägtes ‚adeliges‘ Selbstverständnis. Ebenso existierte eine institutionalisierte und verrechtlichte Vorrangstellung, welche den Adel von den reichen Nichtadligen unterschied. Solche ‚Standesunterschiede‘ sind dann teilweise bis in die Moderne perpetuiert worden und prägten noch im 19. Jahrhundert Selbst- und Fremdwahrnehmung des europäischen Adels. Dieses adelige Selbstverständnis konnte auch den Verlust politischer und ökonomischer Potenz bis zu einem gewissen Grad überdauern. Bei den Griechen der archaischen und klassischen Zeit hat sich dagegen nie eine ‚Adelsmentalität‘ durchsetzen können, welche unabhängig von ökonomischer Potenz existiert hätte.803 Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass in der archaischen Zeit selbstverständlich elitäre Bemühungen sichtbar werden, eine solche ‚Adelsmentalität‘ zu generieren.804 Doch solche Bemühungen blieben erfolglos. Dies zeigt sich am besten an dem Umstand, dass es einen verarmten Adel in einer solchen soziopolitischen Ordnung nicht geben konnte. Auch gab es wohl kein 802 Siehe dazu oben Kap. 7.3 u. 7.4. 803 Hier wird angeschlossen an die bereits getroffenen Überlegungen oben im Kap. 6.3. 804 Siehe dazu oben Kap. 7.2.

193 Politische Institutionalisierung ohne Institutionalisierung der politischen Elite

griechisches Gemeinwesen, in welchem in der klassischen Zeit genuine politische Vorrechte den erwachsenen, männlichen Bürgern nach anderen Kriterien als nach ihrer ökonomischen Potenz zugestanden worden wären.805 All diese Ausführungen sollten deutlich gemacht haben, dass man den deutschen Begriff ‚Adel‘ vermeiden sollte.806 Ansonsten wäre man gezwungen, bei jeder Benutzung dieses Begriffes, zuerst in einer umfangreichen Erklärung diesen von seinem eigentlichen Bedeutungsgehalt zu scheiden und dann auf die griechische Antike anwendbar zu machen.807 In der Regel existiert also in den archaischen und klassischen Quellen keine Unterscheidung zwischen einer ökonomischen Elite und einer elitären Gruppe, welche sich anders als durch ihre ökonomische Potenz auszeichnet.808 Allerdings gab es zugegebenermaßen vor allem im 4. Jahrhundert Versuche durch Platon und Aristoteles, mit der Idee einer Herrschaftsform der ‚Aristokratie‘,809 tatsäch805 Abgesehen von solchen Ausnahmen wie dem erblichen spartanischen Königtum und dem Königtum in Kyrene und vielleicht auch in Argos bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts (vgl. BARCELO 1993, S. 209f. u. 233f.). Die Randzonen des griechischen Kulturraumes, wie Thessalien, Makedonien und Epeiros sollen hier außen vor bleiben. 806 Siehe dagegen die Ausführungen bei BECK U.A. 2008, welche sich klar für die Verwendung der Begriffe ‚Adel‘ und ‚Aristokratie‘, welche sie anscheinend synonym verstehen wollen, aussprechen: „Der Begriff Oberschicht bietet so lediglich eine grobe und formalisierte Beschreibung eines gesellschaftlichen Zustandes und setzt überdies zumindest implizit ein in den Zeugnissen nicht immer faßbares Klassenverhältnis voraus. Ganz ähnlich verhält es sich mit anderen, heuristisch gleichermaßen wenig aussagekräftigen Begriffen wie ‘Führungsschicht‘ oder ‘Elite‘. […] ‘Aristokratie‘ bezeichnet hingegen zugleich eine spezifische Herrschaftsform, ein besonderes Ethos und Selbstbild sowie einen distinktiven Lebensstil, der seinerseits in alle Bereiche des Denkens und Handelns hineinreicht. Anders als die angeführten Sammelbegriffe scheint uns die Kategorie ‘Adel/Aristokratie‘ deshalb besonders geeignet zu sein, die spezifischen Bedingungen griechischer und römischer Herrschafts- und Regierungspraxis, aber auch die Formierung von ‘oben‘ und ‘unten‘ angemessen zu erfassen“ (S. 2). Es wird hier weder klar, warum ein ‚Klassenverhältnis‘ für die Benutzung des Begriffes ‚Oberschicht‘ notwendig wäre noch, warum die Begriffe ‚Adel‘ und ‚Aristokratie‘ synonym benutzt werden könnten. 807 Diese Überlegungen beruhen auch auf den eigenen Erfahrungen des Verfassers, sowohl aus dem universitären Unterricht als auch aus der interdisziplinären Zusammenarbeit. Der ‚Adel‘ wird als Stand gesehen, welcher Teil einer ständisch geschlossenen Gesellschaft ist. Wenn daher in der deutschsprachigen altertumswissenschaftlichen Fachliteratur die Rede von einem griechischen Adel ist, dann impliziert dies eben gewisse Vorstellungen bei den Studierenden und den Kollegen aus den Nachbarfächern. Selbst die mögliche Fußnote, in welcher erklärt wird, dass der griechische Adel nicht als geburtsständig geschlossene Gruppe, also als ‚Adel‘ im eigentlichen Sinn zu verstehen sei, ändert an den bereits entstanden Missverständnissen zumeist nicht mehr viel. 808 So schon LINFORTH 1919, S. 51: „No distinction is made by Solon, or by Aristotle, between the noble and the rich, who are also called indifferently the few, the distinguished, or the powerful”. 809 Der Begriff selbst ist allerdings im 5. Jahrhundert, „vielleicht erst in Reaktion auf dēmokratía“ (RHODES 1996, Sp. 1112), entstanden und wird erstmals als ἀριστοκρατίας σώφρονος bei Thukydides (3,82,8) verwendet. Bei Herodot, der den Begriff ἀριστοκρ-

194 Die klassische Polis als institutionalisierte Dorfgemeinschaft

lich ein ideologisches Konzept weiterzuentwickeln, in welchem die Herrschaftsbefähigung einer Gruppe von einer vornehmlich ökonomischen Voraussetzung gelöst werden sollte.810 Dies taten sie wohl vor allem, um besser gegen die von ihnen abgelehnte Herrschaftsform der Demokratie polemisieren zu können und die von ihnen favorisierte Herrschaftsform der „Oligarchie in ein günstiges Licht zu stellen“.811 So kann, folgt man denn Platon, der ideale, auf Gerechtigkeit beruhende Staat sowohl eine Königsherrschaft (βασιλεία) als auch eine Aristokratie (ἀριστοκρατία) sein.812 Bei Aristoteles ist die Aristokratie nicht nur die ‚gute‘ Herrschaftsform der Oligarchie,813 sondern es ist „die Verfassung, die von den gemäß der Tugend schlechthin besten Männern getragen wird, und nicht von Männern, die nur in Hinblick auf irgendeine Annahme gut sind“. 814 In einer Aristokratie, so Aristoteles weiter, werden die Ämter nicht aus den Reihen der Reichen, wie in den Oligarchien, sondern aus denen der Gebildeten (πεπαιδευμένων) besetzt.815 Allerdings ist auch bei den beiden Philosophen nach wie vor Reichtum die Grundvoraussetzung, um Anteil an der Herrschaft in einer Aristokratie zu haben.816 Es wird lediglich eine Binnengliederung der Gruppe der ‚Reichen‘ insofern durchgeführt, dass der Ursprung des Reichtums moralisch bewertet wird: Da ab er d a s se it al ter s B es te he nd e a ls et wa s d e m vo n Na t ur Sei e nd e n Na he ko m me n d e s zu sei n sc hei n t, so muß ma n i n d e m Fal l, wo M e nsc he n da s gl eic h e G ut besitz e n, d enj e n i ge n ge g e n üb er i n hö h ere m Maß e gere c hte n U n wi l le n zei g e n, wel c he e s e r st s ei t k ur ze m b e s itz e n u nd si c h d ad ur c h i n e i ner g l üc k lic h e n La g e b e f i nd e n ; d en n Ne ur e i c he krä nke n uns me hr al s d i e , die r e ic h se it a l ter s und d ur c h G eb ur t s i nd . 817

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ατία noch nicht kennt, ist die Herrschaftsordnung, in welchen die áristoi die Zügel in den Händen halten, einfach eine oligarchía (vgl. B. SCHULZ 1981, S. 103). Dass solche Überlegungen auch schon im 5. Jahrhundert existierten, erkennt man etwa in den Hippeîs des Aristophanes. Darin wird für den Erfolg eines athenischen Politikers (δημαγωγός) das Fehlen von Bildung (μουσικός) und moralischem Anstand (χρηστός) gleichsam zur Voraussetzung erklärt (vgl. Aristoph. Hipp. 190–194). Daraus erschließt sich aber, bei einem prinzipiellen Festhalten an der Zweiteilung der athenischen Bürgerschaft in Reiche (πλούσιοι) und Arme (πένης […] λεώς) durch Aristophanes (Hipp. 223f.), der Anspruch sowohl des Dichters als wohl auch des athenischen Publikums, was die politische Elite von Athen eigentlich auszeichnen müsste. Zu Aristophanes Auseinandersetzung mit dem Problem einer politischen Elite innerhalb der demokratischen Ordnung von Athen siehe ZUMBRUNNEN 2012, besonders S. 150–179. RHODES 1996, Sp. 1113. Vgl. Plat. pol. 445d. Vgl. Aristot. pol. 1279a–b. Aristot. pol. 1293b 3f.: τὴν γὰρ ἐκ τῶν ἀρίστων ἁπλῶς κατ’ ἀρετὴν πολιτείαν καὶ μὴ πρὸς ὑπόθεσίν τινα ἀγαθῶν ἀνδρῶν. Vgl. Aristot. pol. 1299b 20–29. Vgl. etwa Plat. polit. 301a; Aristot. pol. 1293b 34–39 u. 1294a 19–25. Aristot. rhet. 1387a: ἐπεὶ δὲ τὸ ἀρχαῖον ἐγγύς τι φαίνεται τοῦ φύσει, ἀνάγκη τοῖς ταὐτὸ ἔχουσιν ἀγαθόν, ἐὰν νεωστὶ ἔχοντες τυγχάνωσι καὶ διὰ τοῦτο εὐπραγῶσι, μᾶλλον νεμεσᾶν: μᾶλλον γὰρ λυποῦσιν οἱ νεωστὶ πλουτοῦντες τῶν πάλαι καὶ διὰ γένος.

195 Politische Institutionalisierung ohne Institutionalisierung der politischen Elite

Aristoteles unterscheidet also – wie anscheinend Theognis vor ihm818 – zwischen den Neureichen und denen mit ererbtem Reichtum. Dennoch, eine tatsächliche Trennung des durch Aristoteles postulierten moralischen und gesellschaftlichen Vorranges eines Individuums von dessen ökonomischer Leistungsfähigkeit erfolgt nicht. Eine solche kann auch nicht erfolgen, da dies außerhalb der gesellschaftlichen Wirklichkeit der griechischen Welt in archaischer und klassischer Zeit liegt. Daher kann die Unterscheidung in Oligarchie und Aristokratie bei Platon und Aristoteles auch keine historische Wirklichkeit widerspiegeln. Vielmehr ist sie ein ideologisches Konstrukt, mit welchem die Herrschaft einer kleinen Gruppe gerechtfertigt werden sollte.819 Daher kann Aristoteles bei der Betrachtung der demokratischen Ordnung das Wesen der Demokratie auch nur in der politischen Gleichheit zwischen der primär ökonomisch determinierten Elite und den restlichen Bürgern verorten. Beide Gruppen sind für ihn dann auch begrifflich klar bestimmt: De nn d ie Gle ic h he it be ste ht d ar i n, da ß Ar me ( το ὺς ἀ πό ρο υς) u nd Re ic he (το ὺς εὐπό ρο υς) i n g lei c her W ei se re g ier e n, d aß nic h t ei nze l ne e nt sc h eid e n, so nd er n al le gl ei c h mäß i g i hr er Za hl na c h. 820

Der Begriff ‚Aristokratie‘ hat zwar gegenüber dem Begriff ‚Adel‘ zuerst einmal den Vorteil, dass er ein antiker und griechischer Begriff ist, wenn auch für eine Herrschaftsform und nicht für eine Herrschaftsgruppe. Allerdings war er ideologisch derart aufgeladen, dass wohl die meisten Vertreter der griechischen Elite – selbst solche, die seit mehreren Generationen dazugehörten – sich diesen kaum zu Eigen gemacht haben werden. Das Vorhandensein einer Fremdzuschreibung von zur Herrschaft befähigenden Qualitäten – vornehmlich also eine sittlich-moralische Überlegenheit – an die Führungsschicht ist noch unwahrscheinlicher. Jedenfalls kann man auch in klassischer Zeit keine wirkliche Abschlussbewegung seitens der Elite gegen ökonomische Aufsteiger fassen. Um es mit anderen Worten zum Ausdruck zu bringen: Wer es sich leisten konnte an der Akadḗmeia des Platon zu studieren, konnte damit natürlich in die Gruppe der Akademaikoí aufsteigen. Ein solches Individuum hätte dann auch für Platon die notwendige sittlich-moralische und bildungsmäßige Überlegenheit besessen, um allein zur guten Herrschaft befähigt zu sein. Sucht man also nach einer neutraleren Bezeichnung für die griechische Führungsschicht in klassischer Zeit, bietet sich der 818 Siehe dazu auch oben Kap. 7.2. 819 Vgl. OSTWALD 2000, besonders S. 21–40; ein weiterer Schritt in diesem ideologischen Kampf war es dann, dass Aristoteles der ‚radikalen‘ Demokratie eine strukturelle Verwandtschaft zur Tyrannis bescheinigte – siehe dazu JORDOVIC 2011. 820 Aristot. pol. 1318a 6–8; die Übersetzung ist hier abweichend die von Olof Gigon (Aristoteles: Politik und Staat der Athener, eingeleitet und neu übertragen von Olof Gigon, Zürich / Frankfurt 1955): ἴσον γὰρ τὸ μηθὲν μᾶλλον ἄρχειν τοὺς ἀπόρους ἢ τοὺς εὐπόρους, μηδὲ κυρίους εἶναι μόνους ἀλλὰ πάντας ἐξ ἴσου κατ’ ἀριθμόν.

196 Die klassische Polis als institutionalisierte Dorfgemeinschaft

Begriff ‚Elite‘ an. Dieser ist erst einmal ein offener Begriff, der für den gewählten historischen Untersuchungsgegenstand mit Bedeutung gefüllt werden kann. So können zwar in der Tat ‚Adel‘ und ‚Elite‘ nicht als Kategorien gleichgesetzt werden,821 allerdings kann ein Geburtsadel als Elite verstanden werden, wenn die soziopolitischen Strukturen einer Gesellschaft dies zulassen.822 Die prinzipielle Offenheit des Elitebegriffes macht diesen dann auch gerade vorteilhaft zur Bezeichnung der prinzipiell offenen Führungsschicht der griechischen Antike. Diese Offenheit birgt aber auch die Gefahr der Beliebigkeit in sich.823 Der Elitenbegriff benötigt also eine Definition. Daher sollen im Folgenden Eliten „als ‚Machthaber‘ auf bestimmten gesellschaftlichen Feldern angesehen werden, in denen sie eine herausgehobene, dominierende Stellung innehaben, die wiederum legitimatorisch auf bestimmte Ausleseprozesse wie etwa persönliche Leistung oder Geburt zurückgeführt wird“.824 Aus dieser Definition folgt aber, dass nicht nur, um die Natur einer Elite zu bestimmen, auf den Ausleseprozess geachtet werden muss, sondern auch auf den gesellschaftlichen Kontext. Die Kontextualisierung des Elitenbegriffes hat dann auch zu Recht in letzter Zeit wiederholt Christoph Ulf angemahnt. Allerdings tat er dies nur in Bezug auf die ökonomisch-politischen Eliten der verschiedenen griechischen Siedlungsgemeinschaften der ‚Dunklen Jahrhunderte‘ und der archaischen Epoche.825 Aber es ist auch eine darüber hinausgehende Kontextualisierung notwendig. So kann man für die archaische und klassische Zeit durchaus eine ‚Künstlerelite‘ von Homer und Hesiod über die athenischen Vasenmaler des 6. Jahrhunderts bis zu Sophokles und Aristophanes ausmachen. Die Angehörigen dieser ‚Elite‘ mussten dabei nicht notwendigerweise auch der ökonomischen oder politischen Elite angehören. Als ‚Machthaber‘ in einem weiteren Sinne sind dann solche Künstler zu verstehen, die aufgrund ihrer persönlichen Leistungen die Entwicklung ihrer Kunstform dominieren. Unter Elite soll also im Folgenden die soziopolitische Elite verstanden werden, als Angehörige dieser Elite also solche 821 Vgl. HEINICKEL 2008, S. 58: „’Elite‘ definiert sich als Gruppe von Entscheidungsträgern, die allein aus persönlichen Qualitäten und der individuellen Leistung wegen in bestimmte Machtpositionen gelangt sind, relativ unabhängig von ihrem sozialen Herkommen. Nach dieser Auslegung schließen sich der Begriff der Elite und der der Standesgesellschaft gegenseitig aus, der Adel ist nicht ‘Elite‘ sondern ‘Herrschaftsstand‘“. Man sollte allerdings vielleicht eher von einer potenziellen Unabhängigkeit des sozialen Herkommens sprechen, da alle Eliten zur Selbstreproduktion neigen. 822 Vgl. HEINICKEL 2008, S. 58: „Es ist allerdings auch möglich den Begriff ‘Elite‘ neutral zur Bezeichnung jener sozialen Strata zu benutzen, aus welchen vornehmlich die Führungspositionen einer Gesellschaft besetzt werden und die über die Zugangs- und Erfolgskriterien der Führungsstellen bestimmen. ‘Elite‘ wäre so gesehen kein Gegenentwurf zum ständischen Modell der Adelsherrschaft, vielmehr ist nach dieser Definition der Adel als ‘Elite der Standesgesellschaft‘ zu bezeichnen“. 823 Vgl. ULF 2001a, S. 168, u. K. NEBELIN 2012, S. 20–23. 824 K. NEBELIN 2012, S. 23. 825 Vgl. ULF 2001a u. ULF 2007.

197 Politische Institutionalisierung ohne Institutionalisierung der politischen Elite

‚Machthaber‘, die die sozialen und politischen Prozesse in ihren Gemeinwesen dominieren konnten.826 Der Ausleseprozess scheint dabei in der homerischen Epoche noch gleichberechtigt über persönliche Leistungen und den verfügbaren persönlichen Besitz erfolgt zu sein.827 Erst im Verlauf der archaischen Zeit scheinen sich dahingegen, zusammen mit der Entstehung einer tatsächlichen ‚leisure class‘, diese Bedingungen verschoben zu haben. Nun war es vornehmlich nur noch die ökonomische Potenz, welche die entscheidende Grundvoraussetzung für die Zugehörigkeit zur Elite bildete.828 Die Leistungselite der homerischen Gesellschaft hat sich also zu einer ökonomischen Elite gewandelt. Zu dieser war die Zugehörigkeit auch weitgehend ohne eigenes Leistungsvermögen aufgrund ererbten Reichtums möglich. Alle weiteren Merkmale, welche die Elite auszeichneten (Lebensführung, Agonalität, Gastfreundschaft, Symposium etc.), waren hingegen sekundär und von der ökonomischen Potenz des Einzelnen abhängig. Eine tatsächliche ‚Wertelite‘ konnte sich also nicht formen, auch wenn es dazu verschiedentlich Bestrebungen gegeben hat. Das Gleiche gilt für die Idee einer ‚Abstammungselite‘ oder auch einer ‚Funktionselite‘ im kultischen Bereich mit geburtsständiger Zugänglichkeit.829 Alle Versuche der Elite, ihre Vorrangstellung zu institutionalisieren, liefen – wie bereits gezeigt wurde – auf die Etablierung von Vermögensschranken hinaus. Diese regelten die Teilhabe an der Herrschaft in den einzelnen Gemeinwesen. Wenn in klassischer Zeit schärfere Abstammungsschranken fassbar werden, dann in Gemeinwesen, in welchen Vermögensschranken eher weniger Bedeutung besaßen. Diese Abstammungsschranken hatten dann für die Zugehörigkeit zum Bürgerverband insgesamt Gültigkeit, wie etwa aus dem Bürgerrechtsgesetz des Perikles aus dem Jahr 451 v. Chr. hervorgeht.830 Zur Abgrenzung für eine Elite taugten sie also nicht. Diese Ausführungen zur Elite werden für die meisten größeren Gemeinwesen des klassischen Griechenlands Gültigkeit besitzen, egal ob es sich eher um ‚Demokratien‘ oder ‚Oligarchien‘, eher um póleis oder éthnē gehandelt haben wird. Natürlich gab es aber auch viele kleine Gemeinwesen, in welchen es kaum größere 826 Man könnte also von einer ‚Machtelite‘ sprechen, allerdings ist dieser Begriff auch wieder problematisch (vgl. ENDRUWEIT 1979, S. 42f.); zu den verschieden Begriffen generell ENDRUWEIT 1979, besonders S. 36–45, und zu ihrer Anwendbarkeit auf die griechische Antike ULF 2001a, S. 167f. 827 Siehe dazu oben Kap. 6.3. 828 Siehe dazu oben Kap. 7.2. 829 Eine Funktionselite für den kultisch-religiösen Bereich hat es davon unberührt natürlich trotzdem gegeben. Doch konnte diese Elite in der Regel ihr Expertenwissen nicht benutzen, um damit politische Macht zu gewinnen. Eine gewisse Ausnahme von der Regel hat LINKE 2005, S. 15–17, in der bei Herodot überlieferten Geschichte des Telines aus Gela (vgl. Hdt. 7,153,2–4) herausgearbeitet. Diesem gelang es anscheinend durch die Kontrolle von heiligen Gegenständen und des Priesteramtes des Hierophanten politische Macht zu akkumulieren. 830 Vgl. Athen. pol. 26,4 u. Plut. Per. 37,2–5; siehe dazu auch BOEGEHOLD 1994.

198 Die klassische Polis als institutionalisierte Dorfgemeinschaft

Gruppen von Personen gegeben haben kann, die zu einer ‚leisure class‘ gehörten. Möglicherweise werden in einigen solcher Gemeinwesen bereits die Vollbauern die oberste soziale Schicht gebildet haben. Dieser Umstand ließ sie für ihre Gemeinwesen dann zur soziopolitischen Elite werden, auch wenn sie auf der gesamtgriechischen Ebene nicht zur Elite gehörten. Wichtig ist jedenfalls festzuhalten, dass in dieser Arbeit mit ‚Elite‘ eine Gruppe gemeint ist, die soziopolitische Macht besitzt, welche aber fast ausschließlich auf ihrer ökonomischen Potenz beruht. Schafft es diese Gruppe ihre Macht in exklusive Herrschaft umzuwandeln, dann basiert der institutionelle Rahmen dafür stets auf ökonomischen Kriterien. Damit ist der Elitenbegriff auch nicht selbsterklärend, sondern nur einer, der mit Bedeutung gefüllt werden muss. Da er aber ein prinzipiell offener Begriff ist, ist dies leichter möglich als mit Begriffen wie ‚Aristokratie‘ oder gar ‚Adel‘. Denn diese sind bereits mit einem umfangreichen Bedeutungsgehalt besetzt und müssen erst mühselig ihrer eigentlichen Bedeutung entkleidet werden, um sie für die griechische Antike verwendbar zu machen.831 Damit ist die Benutzung des Begriffes ‚Elite‘ vielleicht keine perfekte Lösung, aber im Vergleich zur Verwendung von Begriffen wie ‚Aristokratie‘ oder gar ‚Adel‘ sicherlich das kleinere Übel.

9.3.

Das ‚face to face‘ Prinzip in der politischen Kommunikation

Eine weiter Konsequenz aus den Besonderheiten der Entstehung von Staatlichkeit im archaischen Griechenland ist – wie bereits erwähnt – die Form der soziopolitischen Kommunikation zwischen den politischen Akteuren innerhalb der Gemeinwesen in klassischer Zeit. Da die Verhältnisse in Athen am besten bekannt sind, liegt es nahe, sich zuerst dieser Polis zuzuwenden. Es ist natürlich ausgeschlossen, bei einer Bevölkerungszahl von mindestens 300000 Menschen im 4. Jahrhundert,832 von dem athenischen Gemeinwesen als einer ‚face to face society‘ zu sprechen.833 Selbst wenn man sich auf die potenziell politisch aktive 831 ULF 2007, S. 320, lehnt wegen den „evozierten […] mittelalterliche[n] Analogien“ etwa die Benutzung von Begriffen wie ‚Fürst‘ oder ‚Prinz‘ ab. Diese Ablehnung sollte dann aber noch stärker für den Begriff ‚Adel‘ gelten. 832 Vgl. HANSEN 1991, S. 90–94. 833 Siehe dazu etwa die sehr entschiedenen Ablehnungen von OSBORNE 1985, S. 64f., hier S. 65: „This absurd model […]“ sowie OBER 1989, S. 31–33, hier S. 33: „Athens remained an “imagined community” in that no one had ever seen the entire demos assembled; it was a political society that existed at the level of law and ideology but not personal acquaintance” und COHEN 2000, S. 104–112, hier S. 106: „Athens was not a “face-to-face” community […]“.

199 Das ‚face to face‘ Prinzip in der politischen Kommunikation

Gruppe der erwachsenen, männlichen athenischen Bürger beschränkt, deren dauerhafter Wohnsitz sich in Attika befand, wird man von nicht viel weniger als 30000 Menschen auszugehen haben.834 Diese Gesamteinwohnerzahl und Bürgeranzahl werden vom Ende des 6. bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts, vor den Verlusten durch die Kämpfe und durch die Pest während des Peloponnesischen Krieges, nicht geringer gewesen sein.835 Dass sich aufgrund der territorialen und personellen Größe der Polis nicht alle athenischen Bürger persönlich gekannt haben und dass dieser Umstand dann auch politische Probleme mit sich brachte, ist sowohl im 5. Jahrhundert bei Thukydides836 als auch im 4. Jahrhundert bei Isokrates explizit belegt.837 Will man also Kommunikationsebenen, welche nach 834 Siehe HANSEN 1985, besonders S. 26–69, der zusätzlich noch von ca. 5000 athenischen Bürgern ausgeht, die als „honorary citizens, mercenaries, klerouchs and metics living in other cities“ (S. 68) nicht (dauerhaft) in Attika lebten. Siehe auch grundlegend BELOCH 1968 [1886], S. 57–69, der die überlieferte Bürgeranzahl von 21000 durch Ktesikles als Ergebnis der angeblichen Volkszählung des Demetrios von Phaleron (FGrHist IID 245 fr. 1 = Athen. deipn. 272c) noch für glaubhaft hielt, später (BELOCH 1923, S. 404–407) jedoch für 25000 Bürger plädierte, da durch Demetrios nur die anwesenden wehrfähigen Bürger zwischen 18 und 60 Jahren gezählt wurden. Siehe dagegen aber RUSCHENBUSCH 1984, der für eine konstante Bürgerzahl von 21000 für das gesamte 4. Jahrhundert argumentiert, da trotz „grosser Kinderzahl […] der Bevölkerungszuwachs durch Kriegsverluste und durch die Aussendung von Kleruchen […] wieder auf Null reduziert wurde“ (S. 265). Zu den Schwierigkeiten bei der Erstellung demographischer Modelle für das klassische Athen, unter besonderer Berücksichtigung des Ansatzes von Hansen, siehe AKRIGG 2011, generell für die griechische Welt von der mykenischen Epoche bis zum Hellenismus SCHEIDEL 2003 und für die klassischen Polisstaaten HANSEN 2006b. 835 Siehe dazu etwa die komplexen Berechnungen von HANSEN 1988, welcher sogar von mindestens 60000 erwachsenen, männlichen athenischen Bürgern für das Jahr 432/31 ausgeht (S. 26f.). BUSOLT / SWOBODA 1972 [1926], S. 874, gingen für die Zeit des Kleisthenes von einer Bürgerzahl von 30000 aus, welche bis zum Beginn des Peloponnesischen Krieges auf etwa 40000 gestiegen war. Für das 4. Jahrhundert gehen sie allerdings von einem Absinken auf 20000 bis 21000 Bürger aus. 836 Vgl. Thuk. 8,66,3f.; hier wird die fehlende gegenseitige Bekanntschaft der Bürger zum Hindernis für eine effektive Gegenbewegung gegen den oligarchischen Putsch im Jahr 411: „Weil sie die Zahl der Verschworenen für größer hielten als sie wirklich war, hatten sie umso mehr den Mut verloren; gerade das herauszufinden waren sie nicht imstande; wegen der Größe der Stadt und der fehlenden gegenseitigen Bekanntschaft hatten sie dazu keine Möglichkeit“ – καὶ τὸ ξυνεστηκὸς πολὺ πλέον ἡγούμενοι εἶναι ἢ ὅσον ἐτύγχανεν ὂν ἡσσῶντο ταῖς γνώμαις, καὶ ἐξευρεῖν αὐτὸ ἀδύνατοι ὄντες διὰ τὸ μέγεθος τῆς πόλεως καὶ διὰ τὴν ἀλλήλων ἀγνωσίαν οὐκ εἶχον. 837 Vgl. Isokr. or. 15,172; hier wird die fehlende gegenseitige Bekanntschaft der Bürger als Voraussetzung für Verleumdung und üble Nachrede durch politische Gegner angesehen: „Wegen ihrer [Athens] Größe und der hohen Einwohnerzahl ist sie nicht leicht überschaubar und auch nicht leicht kontrollierbar, sondern wie ein Bergbach reißt sie alles mit sich fort, Mensch oder Dinge, wie sie es gerade jeweils erfaßt, und sie hat somit bei manchem schon eine Meinung entstehen lassen, die der Wahrheit entgegengesetzt war” / διὰ γὰρ τὸ μέγεθος καὶ τὸ πλῆθος τῶν ἐνοικούντων οὐκ εὐσύνοπτός ἐστιν οὐδ’ ἀκριβὴς, ἀλλ’ ὥσπερ χειμάρρους, ὅπως ἂν ἕκαστον ὑπολαβοῦσα τύχῃ καὶ τῶν ἀνθρώπων καὶ τῶν

200 Die klassische Polis als institutionalisierte Dorfgemeinschaft

dem Prinzip der ‚face to face society‘ funktioniert haben könnten, für Athen aufzeigen, muss man sich die Untergliederungen des athenischen Gemeinwesens ansehen.838 Gemeint sind damit die Gene, die Phratrien, die Trittyen, die Phylen und die Deme.839 Die Phratrien,840 Trittyen841 und Phylen,842 bei all ihrer Bedeutung für das kultische bzw. soziopolitische Gefüge der athenischen Gesellschaft – sowohl vor als auch nach den Reformen des Kleisthenes – können von vornherein ausgeschlossen werden, da es weder in archaischer Zeit noch in klassischer Zeit genug davon gegeben hat, um die Bürger in Gruppen zu unterteilen, die dem Anspruch einer ‚face to face society‘ gerecht geworden wären.843 Anders sieht es da schon bei den Genen und den Demen aus. Daher soll zuerst die Institution der Gene betrachtet werden,844 auch wenn diese Entitäten am schwersten zu fassen und zu bestimmen sind. Klar scheint nur zu sein, dass sie sowohl in archaischer als auch in klassischer Zeit, wohl als elitäre Verbindungen, religiöse Aufgaben wahrnahmen. Inwieweit sie darüber hinaus in Verbindung mit den Phratrien auch ge-

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πραγμάτων, οὕτω κατήνεγκεν, καὶ δόξαν ἐνίοις τὴν ἐναντίαν τῆς προσηκούσης περιέθηκεν. Aristoteles (pol. 1264a 5-10) scheint solche Unterteilungen für alle realen und idealen Staaten als Notwendigkeit vorauszusetzen: „Nicht nämlich könnte man einen Staat schaffen, wenn man nicht die Dinge teilte und abtrennte, in Tischgemeinschaften etwa, in Geschlechter und Stammesvereinigungen“ – οὐ γὰρ δυνήσεται μὴ μερίζων αὐτὰ καὶ χωρίζων ποιῆσαι τὴν πόλιν, τὰ μὲν εἰς συσσίτια τὰ δὲ εἰς φατρίας καὶ φυλάς. Siehe dazu auch SIEWERT 1982, S. 1. Vgl. OSBORNE 1985, S. 89: „While the notion of a ‘face-to-face‘ society is absurd as a picture of Athens as a whole, it is of value in considering the nature of smaller groups”. Konzise Darstellungen der Untergliederungen des athenischen Staates bieten etwa HANSEN 1999, S. 101–106, u. BLEICKEN 1995a, S. 180–189. Vgl. dazu ROUSSEL 1976, S. 93–57, speziell für Athen S. 139–154; außerdem LAMBERT 1993. Vgl. dazu SIEWERT 1982; außerdem STANTON 1994 u. RHODES 2002. Vgl. dazu ROUSSEL 1976, S. 161–309, speziell für Athen S. 193–208 u. 269–289; außerdem N. JONES 1995 u. N. JONES 1999, S. 151–194. Folgt man den Angaben in der Athenaion politeia (21,2), dann gab es vor den kleisthenischen Reformen vier Phylen (angeblich auch schon eine vorsolonische Institution – siehe Athen. pol. 8,3), die durch die Reformen auf zehn erhöht wurden. Ebenso gab es angeblich zwölf Trittyen, welche auf dreißig (21,3) erhöht wurden. Die Anzahl der Phratrien ist schwieriger zu bestimmen, aber nach einem Fragment der Athenaion politeia (fr. 3 [OCT] = Lexicon Patm. p. 152 Sakkel.) sollen es vor den kleisthenischen Reformen zwölf gewesen sein, welche durch Kleisthenes beibehalten wurden (vgl. Athen. pol. 21,6). In der Politeia des Aristoteles scheint aber von der Notwendigkeit einer Erhöhung der Anzahl der Phratrien durch Kleisthenes ausgegangen zu werden (vgl. Aristot. pol. 1319b 20–24). Der Quellenwert des Fragmentes 3 ist allerdings sehr fraglich (vgl. LAMBERT 1993, S. 371–380). LAMBERT 1993, S. 18–20, rechnet jedenfalls mit etwa dreißig Phratrien im 4. Jahrhundert. Vgl. dazu grundlegend BOURRIOT 1976 u. ROUSSEL 1976, S. 15–89.

201 Das ‚face to face‘ Prinzip in der politischen Kommunikation

nuin politische Obliegenheiten hatten, ist nicht mehr mit Sicherheit feststellbar.845 Auch die Anzahl der Gene ist nicht bekannt, wird aber etwa von Robert Parker für das 4. Jahrhundert auf etwa sechzig geschätzt.846 Wenn dies zutreffen würde, und die Schätzung von 30000 Bürgern ebenso, und es eine gleichmäßige Aufteilung aller Bürger auf alle Gene gegeben hätte, dann könnte man für jedes Genos mit seinen dann ca. 500 Mitgliedern tatsächlich noch das ‚face to face‘ Prinzip postulieren. Wahrscheinlich war aber wohl aufgrund des elitären und damit exklusiven Charakters der Gene nur eine Minderheit der athenischen Bürger in diesen organisiert.847 Damit ist das ‚face to face‘ Prinzip für diese gesellschaftlichen Untereinheiten gerade aufgrund der Exklusivität zwar zutreffend. In den génē aber eine gesamtgesellschaftliche Untergliederung zu sehen, durch welche das athenische Gemeinwesen insgesamt gleichsam zu einer indirekten ‚face to face society‘ wird, ist dadurch aber auch nicht mehr möglich. Es bleiben für Athen also nur noch die Deme übrig, wenn man eine Institution identifizieren will, in welcher alle erwachsenen männlichen Bürger organisiert gewesen sind und deren Funktion eine genuin politische war.848 Die attischen Deme waren dann auch institutionell betrachtet eine der Grundlagen des politischen Systems des athenischen Staates.849 Jeder Demos hatte dabei spätestens seit den kleisthenischen Reformen eigene Magistrate und eine eigene Versammlung. Ebenso besaß jeder Demos ein eigenes Budget, aus welchem etwa Ehrungen oder öffentliche Baumaßnahmen finanziert werden konnten. Auch auf 845 Vgl. R. PARKER 1996, S. 56–66. Der Vollständigkeit halber soll hier aber noch das bereits genannte Fragment der Athenaion politeia (fr. 3 [OCT] = Lexicon Patm. p. 152 Sakkel.) aufgeführt werden, in welchem von zwölf vorkleisthenischen Phratrien mit je dreißig Gene berichtet wird, in welchem je dreißig Männer organisiert waren: „[…] so daß sich insgesamt zwölf Teile ergaben, so viele wie die Monate im Jahr; diese werden Trittyen und Phratrien genannt. Einer Phratrie waren dreißig Geschlechter zugeordnet, so viele wie die Tage im Monat, und ein Geschlecht bestand aus dreißig Männern“ – […] ὅπως γίνηται τὰ πάντα δώδεκα μέρη, καθάπερ οἱ μῆνες εἰς τὸν ἐνιαυτόν, καλεῖσθαι δὲ αὐτὰ τριττῦς καὶ φρατρίας: εἰς δὲ τὴν φρατρίαν τριάκοντα γένη διακεκοσμῆσθαι, καθάπερ αἱ ἡμέραι εἰς τὸν μῆνα, τὸ δὲ γένος εἶναι τριάκοντα ἀνδρῶν. Dies würde also 360 Gene für das vorkleisthenische Athen bedeuten. Folgt man weiter der Athenaion politeia (21,6), so ließ Kleisthenes diese unverändert bestehen. 846 Siehe R. PARKER 1996, S. 56 u. S. 284–327, mit einer Zusammenstellung aller aus den Quellen bekannten Einheiten, welche mit Sicherheit oder zumindest einer gewissen Wahrscheinlichkeit (47 Entitäten), bzw. zumindest als Möglichkeit (33 Entitäten) als Gene zu identifizieren sind. 847 Vgl. dazu LAMBERT 2015. 848 Zu den Demen als ‚face to face societies‘ siehe etwa WALTER 1993, S. 206f. 849 Die folgenden Ausführungen basieren dabei weitestgehend auf den grundlegenden Arbeiten von OSBORNE 1984 u. WHITEHEAD 1986; außerdem N. JONES 1999, S. 51–150. Siehe dagegen aber OBER 1989, S. 31–33, welcher die Bedeutung der Demengemeinde als „factor in local social stability“ (S. 31) zwar durchaus anerkennt, die politische Bedeutung der Demenebene – gerade für den athenischen Gesamtstaat – aber eher als gering einschätzt; siehe dagegen wiederum FUNKE 2003.

202 Die klassische Polis als institutionalisierte Dorfgemeinschaft

religiöser Ebene muss man von einem regen Leben auf Demenebene ausgehen.850 Eine der wichtigsten Aufgaben der Demenversammlung, zumindest nach den kleisthenischen Reformen, war dabei die formale Aufnahme der männlichen Nachkommen athenischer Bürger bei Erreichung der Volljährigkeit in den Demenverband und damit selbstverständlich auch in den athenischen Bürgerverband insgesamt.851 Die entscheidende Instanz für die Gewährung der vollen politischen Rechte und damit der Möglichkeit zur vollen politischen Mitherrschaft im athenischen Gemeinwesen war damit nicht die Volksversammlung der Gesamtgemeinde, sondern es waren die Versammlungen dieser politischen Untergliederungen.852 Für das 4. Jahrhundert lassen sich wenigstens 139 Demen aus dem literarischen und epigraphischen Befund namentlich nachweisen.853 Die Anzahl der Demen scheint in klassischer Zeit aber nicht stabil gewesen zu sein. So geht Strabon etwa von 170 oder 174 Demen für das 3. Jahrhundert aus,854 Herodot schreibt Kleisthenes aber die Zuteilung von je zehn Demen auf jede der zehn Phylen zu,855 was also 100 Demen für das Jahr 508/07 bedeuten würde.856 850 Vgl. etwa SINCLAIR 1988, S. 51–53. 851 Vgl. Athen. pol. 42,1: „An der Staatsverwaltung habe diejenigen Anteil, deren Eltern beide Bürger sind; sie werden, wenn sie achtzehn Jahre alt geworden sind, in die Liste der Demenmitglieder eingetragen. Wenn sie eingetragen werden, stimmen die Demenmitglieder unter Eid über sie ab, und zwar zunächst darüber, ob die Kandidaten das vom Gesetz vorgeschriebene Alter erreicht zu haben scheinen; wenn sie es nicht zu haben scheinen, kehren die Kandidaten zu den Knaben zurück. Zum zweiten stimmen sie darüber ab, ob ein Kandidat frei ist und ob seine Herkunft den Gesetzen entspricht“.– μετέχουσιν μὲν τῆς πολιτείας οἱ ἐξ ἀμφοτέρων γεγονότες ἀστῶν, ἐγγράφονται δ᾽ εἰς τοὺς δημότας ὀκτωκαίδεκα ἔτη γεγονότες. ὅταν δ᾽ ἐγγράφωνται, διαψηφίζονται περὶ αὐτῶν ὀμόσαντες οἱ δημόται, πρῶτον μὲν εἰ δοκοῦσι γεγονέναι τὴν ἡλικίαν τὴν ἐκ τοῦ νόμου, κἂν μὴ δόξωσι, ἀπέρχονται πάλιν εἰς παῖδας, δεύτερον δ᾽ εἰ ἐλεύθερός ἐστι καὶ γέγονε κατὰ τοὺς νόμους. 852 Auch wenn im Zweifelfall – also wenn jemand gegen die Ablehnung seiner Aufnahme in den Bürgerverband durch die Demenversammlung oder seinen Ausschluss Widerspruch einlegen wollte – das Letztentscheidungsrecht bei der Gesamtgemeinde lag (vgl. Athen. pol. 42,1 u. Dem. or. 47). 853 Vgl. etwa TRAILL 1975, S. 73–103. 854 Vgl. Strab. geogr. 9,1,16: „Ferner nennt er Eleusis, einen der hundertsiebzig Demen (und noch vier dazu, wie man sagt), und keinen der übrigen” / Ἐλευσῖνά τε εἰπὼν ἕνα τῶν ἑκατὸν ἑβδομήκοντα δήμων πρὸς δὲ καὶ τεττάρων, ὥς φασιν, οὐδένα τῶν ἄλλων ὠνόμακεν. 855 Vgl. Hdt. 5,69,7–19: „[…]da änderte er die Namen der Phylen und vermehrte ihre Zahl. Zehn Phylenvorsteher nämlich schuf er statt der bisherigen vier, und nach der Zehnzahl ordnete er auch die Demen den Phylen zu”. / […]τὰς φυλὰς μετωνόμασε καὶ ἐποίησε πλέονας ἐξ ἐλασσόνων· δέκα τε δὴ φυλάρχους ἀντὶ τεσσέρων ἐποίησε, δέκαχα δὲ καὶ τοὺς δήμους κατένειμε ἐς τὰς φυλάς. Dies ist zumindest die Lesart in allen Handschriften (vgl. KIENAST 2005a, S. 469 Anm. 7) und die gegebene Übersetzung von Walter Marg gib dies wohl auch akkurat wieder. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Übersetzung von Josef Feix dagegenzustellen, der, von derselben Lesart des Textes ausgehend, folgende Version bietet: „Er ernannte an Stelle von vier Stammeshäuptern zehn und ver-

203 Das ‚face to face‘ Prinzip in der politischen Kommunikation

Man sollte also bei den Demen nicht von einer statischen Anzahl seit den kleisthenischen Reformen ausgehen, sondern eher mit einem begrenzten evolutionären Anpassungsprozess aufgrund der sich verändernden demographischen und siedlungsgeographischen Umstände rechnen. Wie dem auch sei, geht man jedenfalls für das 4. Jahrhundert von 30000 athenischen Bürgern und 139 Demen aus, dann könnte man im Durchschnitt mit ca. 215 bis 216 Bürgern pro Demengemeinde rechnen. Nimmt man für das Jahr 507/06 v. Chr. selbst eine sehr hohe Bürgeranzahl von 50000 an und akzeptiert für die kleisthenischen Demen die Zahl 100, wäre der Durchschnitt pro Demengemeinde mit 500 Bürgern immer noch in einem Bereich, in dem das ‚face to face‘ Prinzip für die soziopolitische Kommunikation möglich ist. Gegen diese Überlegungen lassen sich allerdings drei Einwände erheben. So ist zum Ersten bekannt, dass die Bürgeranzahl der einzelnen Deme, zumindest ab dem 4. Jahrhundert, sehr unterschiedlich sein konnte. Dies ergibt sich aus dem repräsentativen Charakter, welcher bei allen grundlegenden direktdemokratischen Elementen eben auch Teil des athenischen politischen Systems der klassischen Zeit gewesen ist. Dieser manifestierte sich vor allem in der Zusammensetzung des Rates. Von den 500 Ratsmitgliedern mussten bekanntlich je 50 aus jeder der zehn Phylen kommen, aber auch die Trittyen und eben die Demen mussten anteilig zur Anzahl ihrer Bürger im Rat vertreten sein. Durch das epigraphische Material ist fassbar, wie unterschiedlich die Anzahl der Ratsmitglieder dabei auf die einzelnen Demen verteilt war.857 Der größte athenische Demos war dabei Acharnai mit 22 Ratsmitgliedern,858 obwohl es sich bei diesem um einen ländlichen Bezirk nördlich von Athen handelte, in welchem keine urbanen Strukturen nachgewiesen sind.859 Der direkte westliche Nachbardemos von Acharnai, Kropidai, stellte dagegen nur ein Ratsmitglied.860 Aus diesen Angaben und geschätzten Gesamtbürgerzahlen nun auf die Bürgerzahlen der einzelnen Demen schließen zu wollen, ist ein derart unsicheres Verfahren, dass man sich

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858 859 860

teilte auch die Gemeinden auf die zehn Phylen“. Damit wäre das Problem der Demenanzahl geschickt umgangen. Allerdings scheinen schon alle Versuche das δέκα im griechischen Text anders zu lesen (etwa als δέκαχα), sich nur aus der inhaltlichen Ablehnung von einhundert kleisthenischen Demen zu ergeben – siehe etwa den Kommentar von Walter How und Joseph Wells (HOW / WELLS 1967 [1928]) zu 5,69. Dafür, dass diese Angabe des Herodot zutreffend sein könnte, haben sich etwa BUSOLT / SWOBODA 1972 [1926], S. 873, und in letzter Zeit KIENAST 2005a ausgesprochen. Vgl. TRAILL 1975, S. 1–24, und Tafeln I–X. Allerdings scheinen die Quoten für die Ratsherren der einzelnen Demen nicht über zwei Jahrhunderte stabil gewesen zu sein, sondern auch eine evolutionäre Anpassung erfahren zu haben (vgl. HANSEN 1991, S. 102). Vgl. IG II² 1745, wo unter Ἀχαρνῆς 22 Prytanen namentlich aufgeführt sind. Vgl. LOHMANN 1996, Sp. 70f. Vgl. IG II² 1742, wo unter Κρωπίδαι nur ein einsamer Ἔνδημος Ἀρρενήιδο als Prytane aufgeführt wird.

204 Die klassische Polis als institutionalisierte Dorfgemeinschaft

dessen eigentlich enthalten sollte. Dennoch kann man wohl davon ausgehen, dass eine Demengemeinde mit 22 Vertretern im Rat mehr als 1000 volljährige männliche Bürger besessen haben muss.861 Gestützt wird diese Vermutung auch durch Thukydides, der explizit für die Zeit des Peloponnesischen Krieges Acharnai als den größten Demos bezeichnet.862 Dieser Demos allein, folgt man weiter Thukydides, soll 3000 Hopliten gestellt haben. Allerdings stellt diese hohe Zahl möglicherweise einen Fehler in der erhaltenen Abschrift dar und es wurde ursprünglich nur eine Anzahl von 1000 Hopliten genannt.863 Doch weder die genaue Anzahl der Hopliten am Ende des 5. Jahrhunderts noch die genaue Anzahl der volljährigen männlichen Bürger im 4. Jahrhundert sind hier entscheidend. Die Indizien machen es jedenfalls wahrscheinlich, dass die Demenbürgeranzahl von Acharnai sowohl im 5. also auch im 4. Jahrhundert so groß gewesen ist, dass das ‚face to face‘ Prinzip im politischen Raum, den die Demengemeinde ja erst einmal darstellte, nur schwerlich möglich gewesen zu sein scheint. Dieser Feststellung kann man allerdings zwei Überlegungen entgegenhalten. Zum einen stellte Acharnai, was die Anzahl der Ratsmitglieder anging, eine Ausnahme dar. Denn fast alle anderen Demen stellten zehn oder weniger Mitglieder im Rat und damit ist für diese eher mit einer Anzahl von 200 bis 400 Bürgern zu rechnen, selten mit mehr als 500 Bürgern. Zum anderen kann für die wenigen Demen mit mehr als 500 Bürgern das ‚face to face‘ Prinzip wohl dennoch angenommen werden, zumindest für die politisch potenziell aktivere Gruppe der über dreißigjährigen Bürger. Denn es war diese Bürgergruppe, welche für die meisten Los- und Wahlämter in Frage kam und wohl auch mit der Gruppe der oíkos-Besitzer – unabhängig von der sozioökonomischen Stellung des oíkos – übereinstimmte. Ein zweiter Einwand gegen das ‚face to face‘ Prinzip auf der lokalen Ebene der Demen ist in letzter Zeit vor allem von Edward Cohen und Robin Osborne864 861 Trotz der Unsicherheit des Verfahrens sei hier dennoch auf den Versuch von OSBORNE 1985, S. 42–45, verwiesen, der davon ausgeht, dass etwa Acharnai mindestens 715 Bürger, die 30 Jahre oder älter waren, benötigte, um jedes Jahr seine 22 Ratsmitglieder, die ja nur einmal im Leben wiedergewählt werden konnten, stellen zu können. Nimmt man hier die Vermutung von HANSEN 1999, S. 89, hinzu, dass ein Drittel der männlichen athenischen Bürger zwischen 18 und 29 Jahren alt war, so würde man für Acharnai eine Mindestanzahl von 1072 bzw. 1073 Bürgern erhalten. Nach Abzug der den Ephebendienst leistenden 18 bis 20jährigen Bürger käme man auf mindestens 1000 Demenmitglieder, welche an den politischen Prozessen in der Demengemeinde aktiv teilhaben konnten. 862 Thuk. 2,19,2: χωρίον μέγιστον τῆς Ἀττικῆς τῶν δήμων καλουμένων. 863 So die Rekonstruktion von DOW 1961, wobei es auch noch niedrigere Ansätze gibt; so geht etwa MILCHHÖFER 1893, Sp. 209, von nur 500 Hopliten aus. 864 Vgl. COHEN 2000, S. 104–129, der seine Ansicht klar auf den Punkt bringt: „A society characterized by murky and complex multidimensional social affiliations and arrangements that were continually being modified by internal demographic mobility and by extensive immigration and emigration, Athens was not a “face-to-face” community – not on

205 Das ‚face to face‘ Prinzip in der politischen Kommunikation

vorgetragen worden. Nämlich die Unmöglichkeit einer allgemeinen persönlichen Bekanntschaft aller Demenmitglieder aufgrund der feststellbaren geographischen Mobilität der Bevölkerung von Attika, verbunden mit der Erblichkeit der Demenzugehörigkeit seit den kleisthenischen Reformen.865 Dies bedeutet, dass die Demengemeinde des Wohnsitzes bei einer relevanten Anzahl von Bürgern nicht mit der Demengemeinde übereingestimmt haben wird, bei der diese Bürger ihre politische Zugehörigkeit verorteten. Dass es vor allem im Verlauf des 4. Jahrhunderts zu einer dauerhaften Umsiedlung von Bürgern innerhalb Attikas gekommen ist, wohl häufig von den ländlichen Demen hin zu den städtischen Demen von Athen und dem Piräus, ist in den Quellen klar belegt. Über die Quantität und Qualität dieser Binnenwanderung, also wie substanziell der Verlust an Bürgern für gewisse ländliche Demen gewesen ist und inwieweit die Emigranten ihre sozialen und politischen Bindungen zu ihrem Heimatdemos reduzierten, lassen sich aber kaum gesicherte Aussagen treffen. Auch sollte man, wie Claire Taylor gezeigt hat, weder von einem simplen Modell der ‚Landflucht‘ ausgehen, noch jede Migrationsbewegung als eine permanente verstehen. Es ist immer mit der Möglichkeit zu rechnen, dass Personen aus ökonomischen

a polis-wide scale and not within its demes” (S. 105f.). Vorsichtiger ist hingegen die Einschätzung von OSBORNE 2011, S. 217: „As for classical Athens, a community numbering in total perhaps 300000 persons, with 30 to 60,000 adult male citizens […] it can never as a whole have remotely approached the condition of a ‘face-to-face’ society. Even the various subdivisions of the Athenian polis can rarely have been face-to-face societies in the sense in which Laslett used the term”. 865 Es sei an dieser Stelle aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Erblichkeit der Zugehörigkeit zu einer Deme nicht direkt in den Quellen belegt ist, sondern nur indirekt durch den literarischen und epigraphischen Befund des 4. Jahrhunderts wahrscheinlich gemacht werden kann (siehe etwa COHEN 2000, S. 113–120). Eine Verbindung dieser Erblichkeit mit den kleisthenischen Reformen ist zwar ebenso wahrscheinlich, aber nicht zwingend. Genauso gut könnte eine solche gesetzliche Regelung mit dem Bürgerrechtsgesetz des Perikles von 451 v. Chr. (Athen. pol. 26,4 u. Plut. Per. 37,2–5; siehe dazu etwa BOEGEHOLD 1994 u. COSKUN 2013) zusammenhängen. Denn dieses Gesetz brachte eine generelle Verschärfung der Zugangsbeschränkungen zum athenischen Bürgerrecht. Ebenso wurde damit erst einmal der ‚face to face‘ Charakter der, nun möglicherweise erst erblichen, Demengemeinschaft gestärkt, welche ja die Kontrollinstanz für die Verleihung des Bürgerrechtes gewesen ist. Selbst ein Zusammenhang zu der Erneuerung der Bestimmung, dass auch die Mutter athenische Bürgerin sein musste, damit die Nachkommen als legitim angesehen wurden und, im Falle der männlichen Nachkommen, ihnen so die vollen politischen Rechte zustanden, kann nicht ganz ausgeschlossen werden. Diese Erneuerung geschah nach dem Peloponnesischen Krieg im Jahr 403 durch Aristophon (vgl. Athen. deipn. 577b–c u. Isaios 8,43), auch wenn im 4. Jahrhundert nicht mehr alle Athener das ursprüngliche Gesetz mit Perikles in Verbindung brachten, sondern es selbstverständlich Solon zuschrieben (Dem. or. 57,31f.). Dies ist wieder ein Beleg dafür, wie politische Reformen der näheren Vergangenheit durch die Anbindung an das Wirken eines halbmythischen Kulturheroen unverfügbar gestellt wurden, um damit die eigene, sich verändernde politische Ordnung zu stabilisieren.

206 Die klassische Polis als institutionalisierte Dorfgemeinschaft

Gründen nur für begrenzte Zeiträume ihre Heimatdemen verließen.866 Zumindest kann man feststellen, dass die belegten Wanderbewegungen das politische System des athenischen Staates bis zum Ende des 4. Jahrhunderts nicht wesentlich beeinträchtigt haben.867 Ein dritter Einwand wurde ebenfalls in letzter Zeit von Edward Cohen und Robin Osborne stark gemacht. Dieser lautet, dass die Demengemeinde, wenn man sie primär als eine Siedlungsgemeinschaft betrachtet, mehr war als die Summe der männlichen Bürger, seien diese nun Demenmitglieder oder Mitglieder anderer Demen. Denn natürlich müssen die Frauen, die Metöken, die Freigelassenen und auch die Sklaven als integraler Bestandteil der sozialen Gemeinschaft betrachtet werden.868 Aber dass der politische Unterschied zwischen Bürgern und Nicht-Bürgern, zwischen Männern und Frauen, zwischen Freien und Unfreien konstitutiv für das athenische Gemeinwesen war, kann genauso wenig geleugnet werden.869 Ebenso, dass für jeden Demenbürger die persönliche Bekanntschaft der zur politischen Teilhabe berechtigten Demenmitglieder absoluten Vorrang gehabt haben muss, vor der persönlichen Bekanntschaft mit den Sklaven, Freigelassenen oder Frauen seiner Demengenossen. Dies galt zumindest ebenso für solche Metöken, mit denen ein Bürger keine sonstigen, etwa ökonomische Beziehungen hatte.870

9.4.

Athen – Eine anonyme Massengesellschaft?

Die bisherigen Überlegungen bedeuten nun nicht, dass die Stellung jedes Einwohners von Attika immer eindeutig war. So stellt Edward Cohen eine ganze Reihe von Zeugnissen zusammen, die für das Athen des 4. Jahrhunderts geradezu eine anonyme Massengesellschaft zu belegen scheinen. Vor allem die Beispiele über offenbare Unklarheiten beim persönlichen Status von Individuen – also ob sie Bürger, Metöken oder gar Sklaven waren – zeichnen ein entspre866 Vgl. C. TAYLOR 2011. 867 Vgl. dazu ENGELS 1992, S. 433–451. 868 Siehe COHEN 2000, S. 106–108, u. R. WALLACE 2011; außerdem OSBORNE 2010, S. 39– 63, der zusätzlich zu den hier genannten ‚staatlichen‘ Untereinheiten weitere Gemeinschaften aufführt, in welchen die Bewohner Attikas, darunter „women and even slaves“ (S. 48) organisiert waren. Zu den verschiedenen politisch-rechtlichen Statusgruppen innerhalb des athenischen Gemeinwesens siehe grundlegend KAMEN 2013; zu dem rechtlichen Status der athenischen Metöken, bei welchen es anscheinend keinen Unterschied zwischen freigelassenen und freigeborenen Personen gab, siehe SOSIN 2016. 869 Vgl. etwa PATTERSON 2007. 870 Sonstige Beziehungen können etwa ökonomischer Natur gewesen sein, welche dann auch Nicht-Bürgern ein gewisses Maß an Partizipation und sozialer Mobilität im athenischen Gemeinwesen ermöglichte (siehe dazu die Untersuchung von DEENE 2014).

207 Athen – Eine anonyme Massengesellschaft?

chendes Bild.871 Nun müssen allerdings die von Cohen aufgeführten Behauptungen von Platon und dem Autor der pseudo-xenophonischen Athenaion politeia, nachdem die Sklaven in Athen genauso frei wie ihre Herren seien872 und die gleiche Kleidung wie die Freien trugen,873 nicht ohne weiteres als Darstellung der realen Verhältnisse akzeptiert werden. Dies gilt genauso für die Ausführungen des Aristoteles, dass auch Nicht-Bürger unbemerkt an der politischen Herrschaft hätten partizipieren können874. Alle drei Autoren waren bekanntlich Feinde der demokratischen Ordnung in Athen und daher aus politischen Gründen geneigt, diese zu diffamieren. Dass sie dies über den Vorwurf einer vermeintlichen Verwischung der klaren Unterschiede zwischen Freien und Unfreien, Bürgern und Fremden versuchten, zeigt eher, wie wichtig diese Unterscheidungen für das soziopolitische Selbstverständnis der athenischen Gesellschaft waren. Es kann aber durchaus ein Funken Wahrheit in diesen Anwürfen gelegen haben, da sie sonst als politische Polemik nicht funktioniert hätten. Die anderen Belege für einen unklaren politischen Status von athenischen Einwohnern scheinen dann auch eher Ausnahmefälle zu schildern. Hierbei handelt es sich zumeist um Geschehen, in denen mit viel krimineller Energie versucht wurde, persönlichen Gegnern zu schaden bzw. durch Verleumdungen einen materiellen Vorteil zu erlangen. So wird etwa in der 57. Rede des Demosthenes ziemlich deutlich, dass ein Vertreter der lokalen Demenelite die Demeninstitutionen missbrauchen kann, um gegen einen persönlichen Feind innerhalb der Demengemeinde vorzugehen.875 Dies geschieht, indem rückwirkend der Bürgerstatus der bereits verstorbenen Eltern des Gegners infrage gestellt wird. Auch belegt die Rede, dass es durchaus persönliche Bindungen innerhalb der Demengemeinde gab, die dem demokratischen und ‚rechtsstaatlichen‘ Prinzip zuwiderlaufen konnten, da sie parallel zur Demengemeinde existierten.876 Allein einen Beleg für eine fehlende allgemeine gegenseitige Bekanntschaft der Demenmitglieder bietet die Rede nicht.877

871 Vgl. COHEN 2000, S. 106–112. 872 Vgl. Plat. pol. 563b 5–7. 873 Vgl. Ps.-Xen. Ath. pol. 1,10. Siehe dazu auch die Untersuchung von OSBORNE 2011, S. 105–123, in welcher er darstellt, dass es in den erhaltenen bildlichen Darstellungen aus der klassischen Zeit keine eindeutigen Unterscheidungsmerkmale zwischen Bürgern und Nicht-Bürgern, Freien und Sklaven gebe; anders sehen dies etwa BÄBLER 1998, S. 21– 32, u. HEINEMANN 2000. 874 Vgl. Aristot. pol. 1326b 19–22. 875 Persönliche Feindschaft: Dem. or. 57,8; Missbrauch der Institutionen: Dem. or. 57,9–13. 876 Vgl. Dem. or. 57,10; wobei Eubolides, wenn die Angaben seines Gegners korrekt sind, nicht einmal sechzehn seiner Demengenossen für seine Intrige gewinnen konnte (vgl. Dem. or. 57,13). 877 Zur Bedeutung der persönlichen gegenseitigen Bekanntschaft als Argument in Bürgerrechtsstreitfällen im 4. Jahrhundert in Athen siehe auch SCAFURO 1994.

208 Die klassische Polis als institutionalisierte Dorfgemeinschaft

Einen instruktiveren Fall für die möglichen Schwierigkeiten in der Bestimmung des politischen Status eines Einwohners von Athen scheint die 23. Rede des Lysias („Gegen Pankleon“)878 zu bieten. In dieser Prozessrede wird ersichtlich, inwieweit der personale Status von athenischen Einwohnern tatsächlich umstritten sein konnte. Ebenso wird erkenntlich, in welche sozialen und politischen Gemeinschaften diese eingebunden waren. Außerdem lässt sich nachvollziehen, nach welchen Prinzipien diese Gemeinschaften funktionierten oder doch zumindest von den Athenern erwartet wurde, wie diese zu funktionieren hatten. Des Weiteren kann man erkennen, worin der Unterschied zwischen diesen Gemeinschaften und der gesamtgesellschaftlichen Ebene des athenischen Staates bestand. Diese Rede des Lysias wird dann auch sowohl von Cohen als auch von Osborne als zentraler Beleg gegen das ‚face to face‘ Prinzip, auch auf der Ebene der Demen, angeführt.879 Doch schaut man sich das Zeugnis genauer an, dann wird zwar tatsächlich deutlich, dass das ‚face to face‘ Prinzip auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene des athenischen Gemeinwesens tatsächlich nicht gegeben war. Auf der Demenebene wurde die persönliche gegenseitige Bekanntschaft aber von den athenischen Bürgern eindeutig erwartet. Ebenso existierte die Erwartung, dass diese persönliche gegenseitige Bekanntschaft letztendlich auch zur Statusklärung eines Individuums beitragen kann. Dies galt auch dann, wenn es nur in einem negativen Sinne möglich war, nämlich zur Feststellung, zu welcher ‚face to face‘ Gemeinschaft ein Individuum nicht gehörte. Denn im Fall des Pankleon hatte sein Ankläger erst einmal, aufgrund des unklaren personalen Status des Beklagten, wirkliche Schwierigkeiten, diesen in der rechtlich ordnungsgemäßen Form zur Verantwortung zu ziehen. Zu Beginn der Auseinandersetzung glaubte der Ankläger es mit einem Metöken zu tun zu haben und versuchte deswegen die Verhandlung vor dem Polemarchen zu führen.880 Doch Pankleon konterte diesen Versuch, indem er behauptete ein Plataier zu sein und zu der Demengemeinde Dekeleia zu gehören.881 Er scheint damit versucht zu haben, sich als ein Angehöriger oder Nach878 Den Grund des Rechtsstreites und die genaue Art des endgültigen Verfahrens, in welchem die Rede gehalten wurde, oder auch nur den Name des Anklägers erfährt man in der Rede allerdings nicht (vgl. TODD 1993, S. 167–170). 879 Vgl. COHEN 2000, S. 109–111, u. OSBORNE 2011, S. 217–221. 880 Lys. or. 23,2: „Er hatte mir nämlich lange Zeit Scherereien gemacht, und so ging ich zu der Tuchwalkerei, wo er arbeitete, und forderte ihn vor den Polemarchen, weil ich meinte, er sei Metöke. Da er aber erklärte, er sei Plataier, fragte ich ihn, aus welchen Stadtteil er stamme; einer der Anwesenden riet nämlich, ihn auch vor das Gericht des Bezirkes zu zitieren, dem anzugehören er vorgab“ – ὡς γὰρ ἀδικῶν με πολὺν χρόνον οὐκ ἐπαύετο, ἐλθὼν ἐπὶ τὸ γναφεῖον, ἐν ᾧ εἰργάζετο, προσεκαλεσάμην αὐτὸν πρὸς τὸν πολέμαρχον, νομίζων μέτοικον εἶναι. εἰπόντος δὲ τούτου ὅτι Πλαταιεὺς εἴη, ἠρόμην ὁπόθεν1 δημοτεύοιτο, παραινέσαντός τινος τῶν παρόντων προσκαλέσασθαι καὶ πρὸς τὴν φυλήν, ἧστινος εἶναι σκήπτοιτο. 881 Lys. or. 23,3: „Darauf antwortete er aber, er sei aus der Gemeinde Dekeleia, und so lud ich ihn vor das Zuständige Gericht des Bezirkes Hippothontis“ – ἐπειδὴ δὲ ἀπεκρίνατο

209 Athen – Eine anonyme Massengesellschaft?

komme der im Peloponnesischen Krieg zerstörten Polisgemeinschaft von Plataiai auszugeben. Die Bürger von Plataiai hatten nach der Zerstörung ihrer Heimatpolis das athenische Bürgerrecht erhalten.882 Der namenlose Ankläger behauptete nun – und auch wenn dies nicht der Wahrheit entsprochen haben muss, so muss es doch wenigstens für die Richter glaubhaft gewesen sein – sich als Erstes nach Pankleon unter dessen Demengenossen erkundigt zu haben.883 Dies ist zum einen durchaus glaubwürdig, da der Ankläger bereits Zweifel in Hinblick auf den Bürgerstatus des Pankleon hatte. Zum anderen ist es aber auch glaubhaft, da der Ankläger hier – selbst wenn sich der Bürgerstatus des Pankleon verifiziert hätte – nach Zeugen hätte suchen können, welche zum Charakter des Angeklagten im Sinne des Klägers hätten Auskunft geben können. 884 Man sieht daran sehr deutlich, dass die Erwartung des Anklägers, und damit wohl auch die der Empfänger der Rede, klar war. Von den Demenbürgern konnte man erwarten, dass sie ihre Demengenossen persönlich kannten.885 Da aber kein greifbares Demenmitglied von Dekeleia den Pankleon gekannt haben soll, wollte der Ankläger diesen nun wieder als Metöken behandeln. Doch legte Pankleon erneut Widerspruch ein und beharrte auf seinen Bürgerstatus.886 Um sich nicht dem Vorwurf der Nachlässigkeit auszusetzen, so zumindest der Ankläger, unternahm er nun einen zweiten Versuch, den personalen Status des Beklagten zu klären.887 Da dieser sich ja zuerst als Plataier identifiziert hatte, wollte der Ankläger nun unter der landsmannschaftlichen Gemein-

882 883

884 885 886 887

ὅτι Δεκελειόθεν, προσκαλεσάμενος αὐτὸν καὶ πρὸς τοὺς τῇ Ἱπποθωντίδι δικάζοντας. Dekeleia war im 4. Jahrhundert eine der siebzehn Demen der Phyle Hippothontis. Zum Problem der Bürgerrechtsverleihung an Plataier im Verlauf des Peloponnesischen Krieges siehe HAMMOND 1992, S. 145–150. Lys. or. 23,3: „Darauf antwortete er aber, er sei aus der Gemeinde Dekeleia, und so lud ich ihn vor das dafür zuständige Gericht des Bezirkes [Phyle] Hippothontis. Dann ging ich zu der Friseurstube bei den Hermen, wo die Leute aus Dekeleia verkehren, und erkundigte mich dort. Ich fragte alle Dekeleier, die ich finden konnte, ob sie einen gewissen Pankleon kennen, der aus Dekeleia stamme. Keiner sagte, dass er ihn kenne“ – ἐπειδὴ δὲ ἀπεκρίνατο ὅτι Δεκελειόθεν, προσκαλεσάμενος αὐτὸν καὶ πρὸς τοὺς τῇ Ἱπποθωντίδι δικάζοντας, ἐλθὼν ἐπὶ τὸ κουρεῖον τὸ παρὰ τοὺς Ἑρμᾶς, οἷ Δεκελειεῖς προσφοιτῶσιν, ἠρώτων, οὕς τε ἐξευρίσκοιμι Δεκελειέων ἐπυνθανόμην εἴ τινα γιγνώσκοιεν Δεκελειόθεν δημοτευόμενον Παγκλέωνα. ἐπειδὴ δὲ οὐδεὶς ἔφασκεν γιγνώσκειν αὐτόν. Zur Bedeutung der Zeugen siehe TODD 1993, S. 96f. Dies trifft wohl gerade für eine relativ kleine Demengemeinde wie Dekeleia zu, welche nur vier Ratsmitglieder stellte (vgl. LOHMANN 1999). Vgl. Lys. or. 23,5. Lys. or. 23,5: „Da ich nun sehr darauf achte, bei niemanden den Anschein zu erwecken, als wolle ich nur Mutwillen treiben, anstatt Genugtuung für die erlittenen Scherereien zu erhalten“ – περὶ πολλοῦ ποιούμενος μηδενὶ δόξαι ὑβρίζειν βούλεσθαι μᾶλλον ἢ δίκην λαβεῖν ὧν ἠδικήθην. Zur sehr realen Gefahr, dass der Beklagte wegen einer illegalen Anklage das Verfahren drehen und gegen den Ankläger richten konnte, siehe. TODD 1993, S. 136–138.

210 Die klassische Polis als institutionalisierte Dorfgemeinschaft

schaft der Plataier in Athen versuchen, Genaueres über Pankleon zu erfahren.888 Unter den Plataiern fand er nach längeren vergeblichen Suchen einen Plataier namens Nikomedes, welcher Pankleon tatsächlich kannte. Allerdings identifizierte dieser Pankleon nicht als seinen Mitbürger, sondern als seinen entlaufenen Sklaven.889 Nun wird die Geschichte kompliziert. Anscheinend auf die Spur seines entlaufenen Sklaven gebracht, wollte Nikomedes diesen zurück. Pankleon, so lässt sich vermuten, lebte bereits eine gewisse Zeit als Lohnarbeiter, mehr oder weniger unbehelligt, in Athen. Jedenfalls lebte er unbehelligt von Nikomedes, der ja vorgeblich sein Besitzer gewesen sein will. Laut dem Ankläger arbeitete Pankleon als Tuchwalker890 und befand sich schon seit längerer Zeit in einem Streit mit dem Ankläger.891 Auch scheint er vor dem Polemarchen bereits in anderen Rechtsstreitigkeiten zitiert worden zu sein.892 Da er daraus resultierende Geldforderungen wohl nicht vollständig begleichen konnte, ging er anscheinend für einige Zeit nach Theben ins ‚Exil‘, 893 bevor er nach Athen zurückkehrte und sein an Rechtsstreitigkeiten reiches Leben fortsetzte. Nun jedoch, durch den Ankläger auf die Spur des Pankleon gebracht, wollte Nikomedes diesen ergreifen. Dies wurde aber anscheinend durch Freunde und Bekannte des Pankleon zweimal verhindert,894 also von einer Gemeinschaft welche sich nicht politisch, sondern sozial definierte und mit Sicherheit nach dem ‚face to face‘ Prinzip funktionierte. Die ganze Affäre um Pankleon zeigt nun tatsächlich sehr deutlich, dass das athenische Gemeinwesen Züge einer anonymen Massengesellschaft aufwies. In dieser konnte der personale Status eines Individuums nicht nur unbekannt sein, sondern ein Individuum konnte diese Anonymität auch ausnutzen, um einen personalen Status zu usurpieren, welcher ihm nicht zustand. Die Möglichkeit, in der Masse der Bewohner unterzutauchen oder nach einer Verurteilung eine Zeit lang 888 Lys. or. 23,5–6: „[…] fragte ich zuerst Euthykritos, von dem ich wusste, dass er der älteste der Plataier war und von dem ich annahm, dass er sich besonders gut auskannte. Ich fragte also, ob er einen gewissen Pankleon aus Plataiai, Sohn des Hipparmodoros, kenne. Nachdem er mir jedoch antwortete, dass er zwar Hipparmodoros kenne, aber wisse, dass der keinen Sohn habe, weder einen Pankleon noch sonst einen, befragte ich auch alle anderen, von denen ich wusste, dass sie Plataier sind. Keiner jedoch kannte seinen Namen“ – πρῶτον μὲν Εὐθύκριτον, ὃν πρεσβύτατόν τε Πλαταιέων ἐγίγνωσκον καὶ μάλιστα ὠόμην εἰδέναι, ἠρόμην εἴ τινα γιγνώσκοι Ἱππαρμοδώρου ὑὸν Παγκλέωνα Πλαταιέα: ἔπειτα δέ, ἐπειδὴ ἐκεῖνος ἀπεκρίνατό μοι ὅτι τὸν Ἱππαρμόδωρον μὲν γιγνώσκοι, ὑὸν δὲ ἐκείνῳ οὐδένα οὔτε Παγκλέωνα οὔτε ἄλλον οὐδένα εἰδείη ὄντα, ἠρώτων δὴ καὶ τῶν ἄλλων ὅσους ᾔδη Πλαταιέας ὄντας. πάντες οὖν ἀγνοοῦντες τὸ ὄνομα αὐτοῦ. 889 Vgl. Lys. or. 23,7; der (mögliche) Besitzer der Pankleon wird allerdings erst später (Lys. or. 23,9) namentlich identifiziert. 890 Lys. or. 23,2: τὸ γναφεῖον, ἐν ᾧ εἰργάζετο. 891 Lys. or. 23,2: ἀδικῶν με πολὺν χρόνον. 892 Lys. or. 23,3: ἑτέρας δίκας […] παρὰ τῷ πολεμάρχῳ. 893 Lys. or. 23,14f.: μεταστὰς ἐντεῦθεν Θήβησι μετῴκει. 894 Vgl. Lys. or. 23,9–11.

211 Athen – Eine anonyme Massengesellschaft?

ins Exil zu entweichen, um, nachdem sich die Situation wieder beruhigt hatte, schließlich zurückzukehren, scheint ebenfalls gegeben gewesen zu sein.895 Die Affäre zeigt nun allerdings auch, dass alle Akteure in vielfältige soziale und politische Beziehungen eingebunden waren. Ebenso scheint von allen Verfahrensbeteiligten erwartet worden zu sein, dass zur Klärung des persönlichen Status gerade die primär politischen Gemeinschaften – also explizit die Demengemeinschaft, aber auch die Gemeinschaft der Plataier – beitragen können müssen.896 Die fehlende persönliche Bekanntschaft in diesen Gemeinschaften hatte gleichsam Beweiskraft für den fehlenden Mitgliedsstatus. Diese traditionellere Lesung der 23. Rede des Lysias scheint also nach wie vor die bessere zu sein.897 Die hier angestellten Überlegungen zum ‚face to face‘ Prinzip in der politischen Kommunikation auf Demenebene sind vor allem aus einem Grund wichtig für das Verständnis des athenischen Staates. Denn obwohl es viele Unklarheiten bei den Details der Entscheidungsverfahren in den Demenversammlungen gibt, waren es doch diese Institutionen, welche die Kandidaten für das Losverfahren zum Rat der Fünfhundert bestimmten.898 Denn erst nach dieser entscheidenden Vorbestimmung kam es zum Losverfahren auf der Ebene der Gesamtpolis.899 Bei allen nicht bekannten normativen Details der Vorauswahl der potenziellen Ratsmitglieder muss man doch davon ausgehen, dass auf Demenebene eine so895 Siehe dazu auch N. JONES 1999, S. 83–86, welcher vermutet, dass Pankleon für seine Statususurpation daher ganz bewusst eine ländliche, abseits gelegene Demengemeinde gewählt hat und sich dazu noch zum Mitglied einer weiteren Gruppe machte, welche – trotz Bürgerstatus – nur bedingt in die Demenverbände sozial und politisch integriert war, eben „two small communities both of which had suffered enemy occupation or destruction in recent decades” (S. 86). Dies würde auch erklären, warum Pankleon nicht einfach eine große Demengemeinde wie Archanai gewählt hat, um die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung seines Betruges zu vermindern. Auch die Gerichtsreden im Zusammenhang mit dem Diapsephismos von 346/45 (vgl. Dem. or. 57 u. Dem. or. 59 sowie Is. 12) und der Witz des Anaxandrides über die Demengemeinde von Sounion zeigen (Anaxan. fr. 4,3–4 = Athen. deipn. 263c: „Viele aber sind zwar heute nicht frei, morgen aber schon Bürger des Demos Sounion“ – πολλοὶ δὲ νῦν μὲν εἰσιν οὐκ ἐλεύθεροι, εἰς αὔριον δὲ Σουνιεῖς), als wie leicht von den Athenern unter Umständen die Möglichkeiten zur Usurpierung des Bürgerstatus eingeschätzt wurde. 896 Siehe dazu auch GOTTESMAN 2014, S. 166–169, der auch darauf hinweist, dass die Erwartung bestand, dass die Statuszugehörigkeit eines Individuums dem sozialen Umfeld bekannt zu sein hat. Ebenso merkt er zu Recht an, dass der individuelle politische Status „in general was defined through public performances that produced witnesses. If one was able to orchestrate a public performance that defined one’s status or identity in a certain way, this became a powerful evidence of that status“ (S. 168). 897 Etwa WHITEHEAD 1986, S. 68f. u. 226. 898 Siehe WHITEHEAD 1986, S. 266–270, der von einem gemischten Verfahren zur Bestimmung der Kandidaten zwischen Demenversammlung und Phylenversammlung ausgeht. Tatsächlich ist nicht bekannt, ob auf Demenebene gelost oder gewählt wurde (vgl. HANSEN 1999, S. 248). 899 Vgl. OSBORNE 1985, S. 80–83.

212 Die klassische Polis als institutionalisierte Dorfgemeinschaft

ziale Kontrolle und Auslese der potenziellen Kandidaten stattgefunden hat.900 So kann man vermuten, dass – in der Meinung der Mehrzahl der Demenmitglieder – politisch unzuverlässige oder politisch vollständig unfähige Demenmitglieder durch sozialen Druck von einer Kandidatur abgebracht wurden. Ebenso werden Angehörige der politischen Eliten ihre soziale Stellung ausgenutzt haben können, um sich als Kandidaten aufstellen zu lassen.901 Allerdings ist zu vermuten, dass die spezifische athenische Form der politisch institutionalisierten ‚face to face‘ Beziehung zwischen Angehörigen verschiedener sozialer Schichten eher zu einer egalitären politischen Grunddisposition beigetragen haben wird.902 Außerdem löst das Prinzip der ‚face to face‘ Kommunikation auf der Demenebene, von Ausnahmen einmal abgesehen, Fragen nach der Feststellbarkeit der Zugehörigkeit zum Bürgerverband – also ob es Bürgerlisten auf Demenebene gegeben hat und wie der Bürgerstatus einer Frau überhaupt festgestellt werden konnte – auf. Wer fast allen Demengenossen als guter, demokratisch gesinnter athenischer Bürger bekannt war, der war athenischer Bürger und dessen Mutter musste notwendigerweise eine athenische Bürgerin gewesen sein. Ob die Mutter nun den Demengenossen tatsächlich bekannt war oder nicht, wird dabei kaum eine Rolle gespielt haben. All dies war unersetzlich für das Funktionieren der demokratischen Ordnung in Athen nach den Reformen des Ephialtes und überhaupt Grundvoraussetzung für die Entstehung einer demokratischen Ordnung nach den kleisthenischen Reformen.903 Doch muss eine ‚face to face society‘ natürlich nicht notwendigerweise egalitär sein, allein der Ursprung von Lasletts Konzept aus der Familie spricht ja entschieden dagegen. Und selbst wenn ein egalitärer Grundanspruch vorhanden ist, können institutionelle Eigenheiten einer ‚face to face society‘ auch das Gegenteil bewirken, wie etwa im Falle Spartas.

900 In Dem. or. 57,46–49 geht es zwar nicht um die Vorauswahl von Ratsmitgliedern, sondern nur um die Vorauswahl für die Losungsteilnehmer für ein lokales Priesteramt, aber der Redner betrachtet nicht erst die Losung, sondern bereits die erfolgreiche Nominierung als klaren Beleg für seinen Bürgerstatus und Unbescholtenheit. 901 OSBORNE 1985, S. 81: „Prominent political figures manage to be bouleutai in times of crisis with a suspicious frequency”; siehe auch OSBORNE 1985, S. 235f. Anm. 39, mit den Belegen. 902 So etwa OBER 1989, S. 31. 903 Neben den Demengemeinschaften gab es in Athen natürlich noch eine ganze Reihe von sozialen Netzwerken, welche geographische und soziale Schranken überwanden und in denen die Kommunikation nach dem ‚face to face‘ Prinzip funktionierte – siehe dazu KIERSTEAD 2013, S. 115–173, u. GOTTESMAN 2014, S. 44–76.

213 Der spartanische Staat als Dorfgemeinschaft

9.5.

Der spartanische Staat als Dorfgemeinschaft

Wie bereits ausgeführt, ist die Voraussetzung für das Funktionieren des ‚face to face‘ Prinzips innerhalb einer Gruppe, dass diese nicht mehr als 500 Akteure haben sollte.904 Die Frage ist nun, ob unter dieser Bedingung das ‚face to face‘ Prinzip außer auf die athenischen Demen auch auf die soziopolitischen Untereinheiten der anderen Großpoleis Anwendung findet. Hier bietet es sich an, aufgrund der Quellenlage, als Erstes auf Sparta zu blicken. Dabei ist nun zuerst nach der Einwohnerzahl des spartanischen Staates zu fragen und nach der Zahl der politisch vollberechtigten Bürger. Was die Einwohnerzahl des spartanischen bzw. lakedaimonischen Staates angeht, so wird diese in klassischer Zeit kaum weit unter der von Athen gelegen haben. Denn nicht nur die Frauen und Kinder der spartanischen Bürger sind hier zu berücksichtigen, sondern natürlich auch die Periöken und die Heloten.905 Dazu kommt auch noch eine Anzahl von Spartiaten, welche – aus dem einen oder anderen Grund – ihren Bürgerstatus verloren hatten oder zumindest nicht das volle spartanische Bürgerrecht besaßen.906 Die Anzahl der erwachsenen männlichen Bürger war in Sparta allerdings 904 Siehe dazu oben Kap. 3.3. 905 Zu den beiden Gruppen und ihren Stellungen im lakedaimonischen Gemeinwesen siehe etwa THOMMEN 1996, S. 51–54, u. CARTLEDGE 2002, S. 138–168. Über die politischen und sozialen Strukturen der verschiedenen Periökensiedlungen ist kaum etwas bekannt, eine Zusammenstellung von dem, was bekannt ist, findet sich bei WALLNER 2008. Plutarch schreibt dem mythischen Gesetzgeber Lykurg eine Einteilung des Periökengebietes in 30000 klā́ roi zu (vgl. Plut. Lyk. 8,3), was also 30000 oíkos-Besitzer und vielleicht 120000 Periöken insgesamt bedeuten könnte. Dies ist natürlich nur eine Zahl, welche Plutarch in einer Tradition vorlag, das Siedlungsgebiet der Periöken erlaubt aber auch höhere Einwohnerzahlen (vgl. WALLNER 2008, S. 360f.). Es ist allerdings umstritten, ob die Periöken in regelrechten eigenen Poleis lebten oder doch eher in kleineren Dörfern mit sehr begrenzter Einwohnerzahl (vgl. EREMIN 2002). Zur Entstehung der Helotie in Lakonien siehe etwa WELWEI 2006. Die Anzahl der Heloten wird zu Beginn des 5. Jahrhunderts wohl um die 100000 betragen haben (vgl. FIGUEIRA 2003, mit Aufarbeitung der Forschung zur Demographie der Heloten), zum Verhältnis zwischen Heloten und Spartaner, welches wohl nicht nur geprägt war von permanenter Unterdrückung und permanenter Angst vor Revolten, siehe BIRGALIAS 2002, auch wenn dieser das Bild wohl etwas zu harmonisch zeichnet: „Given the historical context, and in comparison with what was going on in the rest of the Greek world [in der archaischen Zeit], the social security provided for the poor peasant [dem Heloten], even if it was a form of dependency, was revolutionary and pioneering, guaranteeing them a better, safer and institutionally more secure life“ (S. 259). 906 Zu den verschiedenen Gruppen ohne volles spartanisches Bürgerrecht siehe LINK 1994a, S. 14–19 u. 21–27. Der Hauptgrund für den Verlust des Bürgerrechtes lag wohl vor allem in der zunehmenden Konzentration des Landbesitzes (klā́ roi samt Heloten) im Verlauf des 5. Jahrhunderts in den Händen weniger Spartiaten (vgl. HODKINSON 2009 [2000], S. 399–445). Dies führte zu einer Verarmung vieler Bürger, welche dann nicht mehr in der Lage waren, ihren Anteil für die Mahlgemeinschaften aufzubringen. Dies ging zwangsläufig mit dem Verlust des Vollbürgerstatus einher, wenn nicht ein wohlhabendes Syssi-

214 Die klassische Polis als institutionalisierte Dorfgemeinschaft

weitaus geringer als in Athen. Für das erste Viertel des 4. Jahrhunderts könnte die Anzahl der Vollbürger auf bis zu 1000 abgesunken sein.907 Aber selbst zu Beginn des 5. Jahrhunderts deuten die Angaben in den Quellen auf nicht mehr als 10000 Vollbürger hin.908 Doch selbst bei nur 1000 Bürgern wird es schwierig, eine ‚face to face society‘ zu postulieren. Daher muss auch für das spartanische Gemeinwesen die Frage gestellt werden, ob sich nicht vielleicht soziopolitische Untergliederungen finden lassen. Auf solche Untergliederungen könnte dann – ähnlich wie bei den athenischen Demen – das ‚face to face‘ Prinzip eher Anwendung finden. Wohl seit der früharchaischen Zeit war Sparta in die klassischen dorischen Phylen (Dymanes, Hylleis und Pamphyloi) gegliedert. In Ermangelung eines urbanen Zentrums vor der hellenistischen Zeit waren die fünf Dörfer Kynosoura, Limna, Mesoa, Pitana und Amyklai die Siedlungszentren des spartanischen Bürgergebietes. Darüber hinaus bildeten diese aber auch die Grundeinheiten der politischen Gliederung des spartanischen Staatsgebietes.909 Die fünf Dorfgemeinschaften waren, bei allen soziopolitischen Umbrüchen, welche auch Sparta in der spätarchaischen Zeit erfahren hat, gewachsene soziale Einheiten. Innerhalb dieser ‚Dorfgemeinschaften‘ wird die soziopolitische Kommunikation nach dem ‚face to face‘ Prinzip funktioniert haben. Allerdings nur in einer sehr eingeschränkten Weise, da zu Beginn des 5. Jahrhunderts für jedes dieser Dörfer mit durchschnittlich 2000 Vollbürgern gerechnet werden muss. Mit dem demographischen Wandel im Verlauf des 5. Jahrhunderts werden sich die einzelnen Dorfgemeinschaften aber immer mehr dem Ideal einer ‚face to face society‘ angenähert haben, auch wenn wenig über ihre Bedeutung bekannt ist.910

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tien-Mitglied die Beiträge übernahm. Dies führte dann noch stärker zu sozialen und politischen Abhängigkeiten und verstärkte den oligarchischen Charakter der spartanischen Ordnung. Für die Schlacht von Leuktra im Jahr 371 v. Chr. beziffert Xenophon das spartanische Bürgeraufgebot auf 700 Mann (Xen. hell. 6,4,15), wobei nicht das volle Aufgebot ins Feld geführt wurde (vgl. Xen. hell. 6,1,1 u. 6,4,17) und auch noch die nicht mehr wehrpflichtigen Spartaner zu berücksichtigen sind. Aristoteles wiederum berichtet von weniger als 1000 Vollbürgern, anscheinend auch für die Zeit von Leuktra (pol. 1270a 29–31). CARTLEDGE 2002, S. 264, u. WELWEI 2004a, S. 310f., halten zwar die Angabe des Aristoteles für zu gering, gehen aber, den Angaben des Xenophon folgend, für die Zeit vor der Schlacht von Leuktra auch von nicht mehr als 1500 Vollbürgern aus. HODKINSON 2009 [2000], S. 399 Anm. 1, rekonstruiert ein Gesamtaufgebot von ca. 1200 Vollbürgern für die Zeit vor Leuktra. Plutarch kennt eine Tradition, nach welcher Lykurg 9000 gleiche klā́ roi an alle spartanischen Vollbürger verteilte (Plut. Lyk. 8,3); Herodot nennt für die Zeit der Perserkriege expressis verbis 8000 spartanische Vollbürger (Hdt. 7,234,2), was mit der von ihm genannten Zahl von 5000 Hopliten als Aufgebot für Plataia (Hdt. 9,10,1) korrespondiert. Vgl. N. JONES 1987, S. 118–23. Etwa ob die Dörfer als Grundlage der Heeresorganisation dienten (vgl. N. JONES 1987, S. 119f.).

215 Der spartanische Staat als Dorfgemeinschaft

Anders verhält es sich bei den Syssitien. Bei diesen Untereinheiten der spartanischen Bürgerschaft kann kein Zweifel bestehen, dass es sich dabei um ‚face to face‘ Gemeinschaften mit großer sozialer und politischer Bedeutung gehandelt hat.911 Diese ‚Mahlgemeinschaften‘ bestanden wohl je aus etwa fünfzehn Männern,912 die sich regelmäßig zu einer gemeinsamen Abendmahlzeit trafen. Die Teilhabe an der politischen Herrschaft in Sparta war nun bekanntlich an die Zugehörigkeit zur Gruppe der hómoioi, der spartanischen Vollbürger, gebunden. Ein solcher konnte nur sein, wer Mitglied einer Mahlgemeinschaft war, von den Mitgliedern dieser Gemeinschaft also offiziell aufgenommen und als einer der ihren anerkannt wurde.913 Die Vergabe des Bürgerrechtes lag also auch in Sparta, genau wie in Athen, bei der untersten politischen Ebene des Gesamtstaates.914 Auch im spartanischen Gemeinwesen ist diese als eine ‚face to face‘ Gemeinschaft zu betrachten und entsprach weitaus stärker dem Ideal, als dies in Athen der Fall war. Am Beispiel von Sparta sieht man nun aber auch sehr deutlich, dass die Existenz einer ‚face to face society‘ nicht notwendigerweise zu einer egalitären Gesellschaftsordnung führen musste. Dies galt trotz des ostentativen ideologischen Anspruch (hómoioi) der spartanischen Gesellschaft.915 Denn die Zugehörigkeit entsprang, anders als in Athen, gerade nicht durch legitime Abstammung von zwei Bürgern. Vielmehr war das Durchlaufen der agōgḗ und eben die Aufnahme und die Mitgliedschaft in einer Mahlgemeinschaft die notwendige Voraussetzung.916 Um Mitglied in einer Mahlgemeinschaft zu sein, musste der Einzelne eine Abgabe an Nahrungsmitteln leisten.917 Konnte er diese nicht mehr erbringen, verlor er seinen Status als Vollbürger. Aber auch unter denen, die sich den vollen Beitrag leisten konnten, bestand keine soziale Egalität. Denn die Syssitien-Mitglieder konnten anscheinend zusätzliche Nahrungsmittel, über ihren Grundbetrag hinaus, beisteuern. Dadurch entstanden innerhalb der Syssitien Hierarchien.918 Diese Hierarchien werden dann natürlich auch Rückwirkungen auf die politische Sphäre gehabt haben. Die soziale Ungleichheit der spartanischen Bürger wurde durch das System der Syssitien also institutionalisiert. Festzuhalten bleibt aber, dass sich auch der spartanische Staat in ‚face to face societies‘ untergliedern lässt, welche die politische Grundlage des spartanischen Gemeinwesens bildeten. Der Unterschied zum athenischen 911 Zur Entstehung der Syssitien siehe etwa LINK 1998; LINK 2000, S. 100–111; WELWEI 2004a, S. 79–85; RABINOWITZ 2009. 912 Plut. Lyk. 12,2: „Sie kamen zu fünfzehn – oder auch einige mehr oder weniger – zusammen“ – συνήρχοντο δὲ ἀνὰ πεντεκαίδεκα καὶ βραχεῖ τούτων ἐλάττους ἢ πλείους. 913 Vgl. dazu etwa SINGOR 2009. 914 Vgl. HODKINSON 1983, S. 253. 915 Vgl. LINK 2000, S. 111–117; zur Frage, wann das hómoioi-Ideal entstand, siehe M. MEIER 2006. 916 Vgl. LINK 2000, S. 115f. 917 Angaben zur Abgabe finden sich bei Plutarch (Lyk. 12,3) und bei Dikaiarchos von Messene (FGrHist IIB 242 fr. 23 = Athen. deipn. 141c) – siehe dazu auch FIGUEIRA 1984. 918 Vgl. HODKINSON 1983, S. 253f.

216 Die klassische Polis als institutionalisierte Dorfgemeinschaft

System besteht aber darin, dass sich die Syssitien anscheinend nicht aus ursprünglich siedlungstechnischen Einheiten entwickelten, also vornehmlich aus den egalitären Dorfgemeinschaften.

9.6.

Die staatlichen Untereinheiten in den übrigen griechischen Gemeinwesen

Ohne jedes Gemeinwesen in der griechischen Welt einzeln durchzugehen, lässt sich doch begründet vermuten, dass alle größeren griechischen Gemeinwesen politische Untergliederungen besaßen. Dies war auch ganz unabhängig davon der Fall, ob es sich um Poleis, Bundesstaaten oder ‚Stammstaaten‘, um Staaten des Mutterlandes oder der Kolonisationsgebiete gehandelt hat.919 In den meisten Fällen sind die Informationen zwar nicht ausreichend, um die personellen Größen dieser, oft nur schemenhaft erkennbaren, Untereinheiten zu bestimmen. Auch sind diese nicht zwangsläufig siedlungstechnischen Ursprunges, wie dies bei den athenischen Demen der Fall war. Vor allem die Unterteilung der Bürgerschaften in ‚Phylen‘ ist für viele Gemeinwesen nachweisbar.920 Die Phylen konnten territorial verankert sein, mussten dies aber nicht.921 Dennoch ist die siedlungstechnische Variante oder zumindest der Ursprung der Untergliederung in einer, meist dörflichen, Siedlungseinheit für viele griechische Gemeinwesen bezeugt.922 Als Beispiel sei hier nur das euböische Eretria genannt. Für dieses Gemeinwesen ist eine politische Untergliederung in personale (φυλές) und territoriale Einheiten (χῶραι und eben δῆμοι) belegt.923 Diese waren dann, ähnlich wie im Fall von Athen, auch elementar für das Funktionieren der politischen Ordnung in Eretria. Interessanterweise scheint es sich bei der politischen Ordnung der Polis Eretria um eine wenigstens proto-demokratische gehandelt zu haben, ähnlich der athenischen Ordnung nach den kleisthenischen Reformen. Das Zusammenwirken der verschiedenen politischen Institutionen

919 Natürlich liegen nicht für alle griechischen Gemeinwesen Informationen zu möglichen gesellschaftlichen und politischen Untergliederungen vor, die vorhandenen wurden aber von N. JONES 1987 sorgfältig zusammengetragen. 920 Unabhängig davon, was darunter ‚tatsächlich‘ zu verstehen ist – siehe dazu ROUSSEL 1976, S. 161–164, hier S. 163: „Chez les Grecs toutefois, l'emploi du mot phylè, malheureusement traduit par „tribu“ chez les modernes, parait beaucoup plus limité et plus précis que ceux des autres termes désignant classes, groupes ou divisions à l'intérieur des sociétés“. 921 Vgl. BUSOLT 1979 [1920], S. 266–272. 922 Vgl. BUSOLT 1979 [1920], S. 262–272; N. JONES 1987, S. 4–7; GSCHNITZER 1991a. 923 Vgl. W. WALLACE 1947; GEHRKE 1985; KNOEPFLER 1997; K. WALKER 2004, S. 240– 245.

217 Zusammenfassung

dieser Polis lässt sich an einem erhaltenen Proxenie-Dekret rekonstruieren, dessen Entstehung auf 509 v. Chr. oder kurz danach datiert wird.924 Doch es gab natürlich auch eine ganze Reihe kleinerer Gemeinwesen. Bei diesen besaß der „überwiegende Teil der in klassischer Zeit mehr als 800 Poleis […] an heutigen Maßstäben gemessen eher einen dörflichen Charakter“. Bei diesen Poleis bildeten „Polisterritorium und Siedlungsverband eine in sich geschlossene Einheit“. Ebenso verfügten die meisten dieser Poleis „nicht über eine hinreichend große ‚kritische Masse‘“ an Bürgern, „um sozusagen jenseits der Polis einen eigenen Lebensraum zu konstituieren“.925 Doch diese politischen Gemeinwesen waren dann aufgrund ihrer begrenzten Bürgerzahl bereits ‚face to face‘ Gesellschaften, auch ohne (nachweisbare) politische Untergliederungen.

9.7.

Zusammenfassung

Wichtig ist es jedenfalls festzuhalten, dass mit einiger Wahrscheinlichkeit alle griechischen Gemeinwesen, ab einer gewissen personalen Größe, politische Untereinheiten besaßen. Bei den Stammstaaten und den Bundesstaaten waren dies wohl in der Regel die natürlichen Siedlungseinheiten im Staatsgebiet, unabhängig davon, ob diese als πόλις, κώμη oder auch anders bezeichnet wurden.926 In den selbstständigen, größeren Gemeinwesen bestand eine Untergliederung in personelle und territoriale Einheiten. Dabei scheint häufig eine Mischung von personellem und territorialem Charakter vorzuliegen. Oft kann man die erkennbaren Einheiten auch einfach nicht eindeutig zuordnen. Wenn, wie im Falle von Athen und Sparta, der personale Umfang der wichtigsten staatlichen Untereinheiten einschätzbar ist, dann scheint sich dieser in einem begrenzten Rahmen zu bewegen. Ein solcher erlaubt es immer, diese Untereinheiten als ‚face to face communites‘ zu betrachten. Besonders im Fall von Athen kann man erkennen, dass diese in der Regel dörfliche Siedlungen bzw. Stadtteile darstellen, welche gewachsene soziopolitische Einheiten gewesen sind. Diese ge924 Vgl. IG XII Suppl. 549 und zur Datierung K. WALKER 2004, S. 239. Allerdings sollte man mit Bezeichnungen wie „early Eretrian democracy“ (S. 252) vielleicht etwas vorsichtiger verfahren. Dass das politische Herrschaftssystem von Eretria dann auch das direkte Vorbild für die kleisthenischen Reformen gewesen sei, Kleisthenes als Exilant in Eretria dieses direkt erlebt und dieses als politische Innovation aus der Verbannung mit zurück nach Athen gebracht haben könnte, ist eine reine, wenn auch anregende, Spekulation (vgl. K. WALKER 2004, S. 252–262). 925 FUNKE 2004, S. 96. 926 Eine größere Polis in einem Bundesstaat konnte natürlich wiederum in kleinere Einheiten gegliedert sein, etwa Mantinea (vgl. N. JONES 1987, S. 132–135), Gründungsmitglied des Arkadischen Bundes, und Megalopolis (vgl. N. JONES 1987, S. 135–138), die durch Synoikismos entstandene ‚Hauptstadt‘ des Bundes.

218 Die klassische Polis als institutionalisierte Dorfgemeinschaft

wachsenen, zumeist dörflichen Grundeinheiten besaßen egalitäre und auf das Gemeinwohl ausgerichtete soziale und politische Institutionen. Diese dörflichen Siedlungsgemeinschaften sind es gewesen, welche sich als Kernzellen der griechischen Staatlichkeit bis zu den früharchaischen Dorfgemeinschaften – wie sie in den homerischen und hesiodischen Texten imaginiert werden – zurückverfolgen lassen.

219 Zusammenfassung

10. ERGEBNISSE Nach allem, was sich aus der spärlichen Überlieferung erkennen lässt, verlief die soziopolitische Entwicklung in Griechenland bis zum Ende der Bronzezeit nach klassischem evolutionärem Muster. Eine kleine Elite, an deren Spitze mit einiger Wahrscheinlichkeit ein monarchischer Herrscher stand, kontrollierte die Geschicke einer ganzen Reihe von kleineren politischen Entitäten. Nichts deutet auf die Existenz entwickelter egalitärer oder partizipatorischer Strukturen in dieser Epoche hin. Die soziopolitische Ordnung sollte man außerdem, im evolutionären Sinne, am ehesten als eine frühe Form von Staatlichkeit klassifizieren. Der Untergang dieser Gemeinwesen am Ende der Bronzezeit scheint im griechischen Kulturraum weitestgehend zu einer soziopolitischen Tabula rasa geführt zu haben. Die staatlichen Strukturen gingen jedenfalls restlos unter. Die mykenischen Gemeinwesen konnten lediglich in der Form von ‚failed states‘ noch für einige Generationen ein Schattendasein führen. Die soziopolitischen Strukturen der sogenannten ‚Dunklen Jahrhunderte‘ lassen sich aufgrund der fehlenden schriftlichen Zeugnisse nur sehr bedingt rekonstruieren. Es spricht allerdings nichts dafür, dass man hier in irgendeiner Weise staatliche Ordnungen annehmen sollte. Auch ist davon auszugehen, dass – wie in allen vorstaatlichen Gemeinwesen – die gesellschaftlichen Ordnungen weitaus egalitärer waren, als in den staatlichen Ordnungen der mykenischen Epoche. Erst mit der Rückkehr der Schriftlichkeit in den griechischen Kulturraum lassen sich wieder soziale und politische Strukturen historisch fassen. Dieser Prozess kann wohl in das beginnende 8. Jahrhundert verortet werden. Um das Jahr 700 kam es dann zur schriftlichen Fixierung zweier, zuvor mündlich tradierter, epischer Gedichte: der ‚Ilias‘ und der ‚Odyssee‘. Mit diesen besitzt man nun erstmals zwei längere Texte, aus denen sich eine soziopolitische Ordnung konstruieren lässt. Zwar waren diese Texte, beide angeblich vom Dichter Homer verfasst, keine Geschichtsbücher, sie können aber auch nicht in einem historischen und sozialen Vakuum entstanden sein. Vielmehr muss die geschilderte Hintergrundwelt den Rezipienten vertraut gewesen sein, da die Geschichten sonst nicht verständlich gewesen wären. Die Verortung der geschilderten Hintergrundwelt in die Zeit der schriftlichen Fixierung liegt dabei am nächsten, da erst in diesem Moment die immer wieder aktualisierende Anpassung der Texte an die sich verändernden gesellschaftlichen Strukturen endet.

220 Ergebnisse

Die soziopolitische Ordnung, welche nun in den Texten sichtbar wird – also die sogenannte homerische Gesellschaft – scheint deutlich egalitärer gewesen zu sein, als die der mykenischen Epoche. Ebenso zeichnet sie sich durch nur schwach entwickelte politische Institutionen aus. Die Stufe zur Staatlichkeit scheint eindeutig noch nicht überschritten zu sein. Außerdem zeichnet sich die Welt des Homer durch eine geringe horizontale und vertikale gesellschaftliche Stratifizierung und ein hohes Maß an sozialer Mobilität aus. Nimmt man nun die zwei Werke des Hesiod hinzu, welche wahrscheinlich kurz nach den homerischen Texten entstanden sind, schärft sich das Bild von egalitär organisierten dörflichen Gemeinwesen weiter. Die bedeutendste gesellschaftliche Schicht in diesen Gemeinwesen bildeten dabei die Bauern, welche von der Bewirtschaftung ihres eigenen Landbesitzes mittels ihrer eigenen Ressourcen – am wichtigsten war hier ein paar Zugochsen – lebten. Neben diesen Bauern standen zwar Händler und Schmiede, aber schon andere spezialisierte Handwerker sind in dieser Welt eher selten. Unter dieser ökonomisch bestimmten ‚Mittelschicht‘ gab es noch Bauern, die nicht von ihrem eigenen Land und mittels ihrer eigenen Ressourcen leben konnten. Außerdem lassen sich noch Tagelöhner und Bettler fassen, ebenso wie Sklaven. Über der bäuerlichen Mittelschicht stand eine Elite, welche sich primär durch ihre ökonomische Leistungsfähigkeit auszeichnete. Diese Elite besaß zwar Macht, dauerhafte Herrschaft im eigentlichen Sinne übte diese als Gruppe aber nicht aus. Vielmehr scheint es sich bei den Angehörigen der Eliten um Inhaber individueller Machtpositionen gehandelt zu haben, die als βασιλεῖς bezeichnet wurden. Hingegen gab es für die elitäre Gruppe als solche keinen festen Terminus, lediglich Umschreibungen wie etwa ἁγαθοί. Nur in Ausnahmefällen – Streitschlichtung des eigenen Gemeinwesen, Abwehr äußerer Bedrohungen vom eigenen Gemeinwesen, gemeinsame Raubzüge – konnte durch einzelne Vertreter eine situative Herrschaft begründet werden. Mit dem Ende des Ausnahmefalles endete aber auch ihre Herrschaft. Auch zeichneten sich diese βασιλεῖς in ihrer heroischen Asozialität durch fehlenden Gemeinsinn aus, sodass mit ihnen kaum ein Staat zu machen war. Die Institution, welcher am ehesten eine Herrschaftsfunktion zukam, ist hingegen die Volksversammlung. Diese war die zentrale Institution des dörflichen Gemeinwesens, in welcher Fragen des dörflichen Gemeinwohls entschieden wurden. Natürlich wurden in dieser Versammlung Entscheidungen nicht ‚demokratisch‘ getroffen. Der individuelle Status eines Redners spielte stets eine entscheidende Rolle. Auch kannte die homerische Volksversammlung noch keine Mehrheitsentscheidung und konnte nur im Konsens entscheiden. Konnte kein Konsens hergestellt werden, kam sie schnell an ihre institutionellen Grenzen. Dennoch war diese Institution von ihrem Wesen her auf Partizipation und Inklusion ausgelegt, da sie allen erwachsenen männlichen Mitgliedern des Gemeinwesens zugänglich war. Daher weist die Institution der Volksversammlung eindeutig auf den egalitären Grundcharakter der homerischen und hesiodischen Gesellschaftsordnung hin. Zwar ging auch von der Volksversammlung Herrschaft noch nicht kontinuierlich oder wenigstens regelmäßig aus, das Potenzial dazu scheint bei ihr aber am

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größten gewesen zu sein. Die Volksversammlung scheint damit in der homerisch-hesiodischen Gesellschaftsordnung einer genuinen politischen Institution am nächsten zu kommen. Natürlich stellt diese konstruierte Gesellschaftsordnung keine historische Wirklichkeit dar. In keinem früharchaischen griechischen Gemeinwesen werden jemals genau solche soziopolitischen Strukturen existiert haben, wie man sie aus den homerischen und hesiodischen Texten konstruiert. Auf der anderen Seite ist die historische Wirklichkeit oder gar die historische Wahrheit sowieso nicht zu rekonstruieren. Allein die historischen Wahrscheinlichkeiten aufzuzeigen, kann vom Historiker tatsächlich geleistet werden. In diesem Sinne stellt die konstruierte homerisch-hesiodische Gesellschaftsordnung ebenfalls nur ein Modell dar. Mit einiger Wahrscheinlichkeit werden die historischen Gesellschaftsordnungen der einzelnen früharchaischen griechischen Gemeinwesen ähnlich funktioniert haben. Dies bedeutet aber auch, dass in der früharchaischen Zeit spezifische Gemeinwesen, wie etwa die archäologisch fassbaren Siedlungszentren Athen und Korinth, historisch noch nicht fassbar sind. Zumindest nicht aus zeitgenössischen historischen Quellen. Spätere Überlieferungen zur früharchaischen Geschichte einzelner Gemeinwesen sind hingegen nur sehr bedingt benutzbar und in eigentlich allen Fällen ist deren historische Zuverlässigkeit äußerst unwahrscheinlich. Dennoch gewähren die homerischen und hesiodischen Texte einen genuinen Einblick in die soziopolitische Ordnung der früharchaischen Gemeinwesen. Zwar weisen nun die schwach entwickelten politischen Institutionen der früharchaischen Gesellschaftsordnung diese – im evolutionären Sinn – als eine vorstaatliche Ordnung aus. Dennoch, ohne eine teleologische Entwicklung postulieren zu wollen, scheint das Potenzial für einen sich verstärkenden politischen Institutionalisierungsprozess gegeben gewesen zu sein. Die Möglichkeit bestand also, dass sich aus der früharchaischen Gesellschaftsordnung eine frühe Form von Staatlichkeit entwickeln konnte. Gegen alle evolutionären Tendenzen erweisen sich in der früharchaischen Epoche aber nicht die hierarchischen und exklusiven, sondern die partizipatorischen und egalitären als die bedeutendsten soziopolitischen Institutionen. Die partizipatorisch-egalitäre Institution der Volksversammlung, also die versammelte dörfliche Gesamtgemeinde, scheint dabei den evolutionären Kern für den Entstehungsprozess staatlicher Strukturen gebildet zu haben. Gegen diese egalitären Tendenzen lassen sich für die gesamte archaische Epoche aber vielfältige konträre Entwicklungen aufzeigen. Diese scheinen denn auch eher in das gewöhnliche evolutionäre Entwicklungsmuster einer Hierarchisierung und Monopolisierung von Machtpositionen zu passen. Eine solche Entwicklung lässt sich bereits in den homerischen Texten fassen. So ist die Zugänglichkeit zur homerischen Elite zwar primär durch die individuelle ökonomische Leistungsfähigkeit bestimmt, andere Qualifikationen – etwa körperliche und geistige Leistungsfähigkeit – bleiben immer sekundär. Dennoch ist die Vorstellung präsent, dass sich diese sekundären Qualifikationen vom Vater auf den

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Sohn vererben. Daraus entsteht dann die gesellschaftliche Erwartung, dass der erwachsen gewordene Sohn im Normalfall in die soziale Stellung des Vaters eintritt. Dies gilt zumindest solange, wie der Sohn auch das ökonomische Potenzial des Vaters, also dessen oíkos, ungeschmälert zu übernehmen vermag. Eine solche gesellschaftliche Erwartungshaltung, also dass der Sohn in die Stellung des Vaters eintreten sollte, stellt aber auch nicht annähernd eine soziale oder gar politische Institution dar. Erstaunlicherweise änderte sich im griechischen Kulturraum dieser Befund auch im Verlauf der archaischen und klassischen Zeit kaum. Ein ‚Adel‘ konnte sich, anders als etwa im archaischen Rom, nie etablieren. Die soziale Vorrangstellung beruhte auch weiterhin primär auf der ökonomischen Überlegenheit der einzelnen Akteure. Ab dem 6. Jahrhundert lassen sich dann politische Institutionalisierungen solcher sozialer Vorrangstellungen fassen. Die Folge war, dass die politische Partizipation durch rechtliche Satzung an die ökonomische Leistungsfähigkeit gebunden wurde. In Athen lässt sich dieser Prozess mit der Etablierung der sogenannten ‚solonischen Zensusordnung‘ im Rahmen der solonischen Reformen zu Beginn des 6. Jahrhundert fassen. Es ist nun wenig wahrscheinlich, dass es im 7. Jahrhundert eine hierarchisierte und monopolisierte Herrschaftsordnung in Athen oder anderswo in der griechischen Welt gegeben hat. Vielmehr deutet die Qualität der solonischen Reformen als ein politischer Institutionalisierungsschritt auf eine Erhöhung des Grades an Staatlichkeit im athenischen Gemeinwesen hin. Verbunden war dies – entsprechend dem evolutionären Muster – aber mit einer Hierarchisierung und Monopolisierung von Machtpositionen. Gemessen an seinen Reformen kann Solon also nicht als Vater der athenischen Demokratie angesehen werden, wie dies im kollektiven Gedächtnis der Athener geschehen ist. Seine Reformen können noch nicht einmal als ein konstitutiver Schritt oder auch nur als eine notwendige Voraussetzung für die spätere Entstehung einer demokratischen Ordnung angesehen werden. Vielmehr konnten die vorstaatlichen und egalitären Strukturen trotz des ‚solonischen‘ Institutionalisierungsschubes und nicht wegen der solonischen Reformen überdauern. Was man am Beispiel Athens bedauerlicherweise nicht sehen kann, ist der genaue Punkt, an welchem das athenische Gemeinwesen in seinem Staatsentstehungsprozess die Schwelle zur Staatlichkeit überschritten hat. Zwar deuteten die Überlieferungen zu den Kulturheroen Drakon und Solon an, dass dieser Schritt im Staatsentstehungsprozess mit dem Wirken und der zeitlichen Verortung dieser Personen – ob historisch oder nicht ist dabei nicht entscheidend – zu verbinden ist. Doch setzten gerade die tief greifenden politischen Veränderungen durch den Gesetzgeber Solon eine bereits entwickelte politische Institutionalisierung voraus. Die Stufe zur Staatlichkeit musste bereits überschritten worden sein, bevor es zu den solonischen Reformen kommen konnte. Geht man allerdings einige Jahrzehnte in der Zeit zurück und betrachtet das kretische Gemeinwesen von Dreros, so lässt sich vielleicht doch dem ephemeren Überschreiten der Schwelle zu Staatlichkeit – an sich ja auch wieder ein Prozess und kein Ereignis – nahekommen. Denn mit dem bekannten und viel diskutierten Gesetz

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von Dreros scheint der Überschreitungsprozess historisch fassbar. Die ‚Polis‘, also mit hoher Wahrscheinlichkeit das Gemeinwesen von Dreros als Ganzes, beschloss Iterationsschranken für die Magistratur des Kosmos. Der Anspruch dieses Gesetzes war eine allgemeine und dauerhafte Verbindlichkeit für alle Mitglieder des Gemeinwesens. Allerdings scheint die Gemeinschaft von Dreros sich nicht sicher gewesen zu sein, ob alle politischen Akteure, welche in das Amt des Kosmos gelangen konnten, dies auch anerkennen würden. Daher sah sich die Gemeinschaft gezwungen, konkrete Strafen zu verhängen für den Fall, dass ein Individuum gegen die Iterationsschranken verstieß. Die politische Ordnung war noch nicht so weit institutionalisiert – oder auch: unverfügbar gestellt – dass von den politischen Akteuren grundsätzlich von einer allgemeinen Verbindlichkeit der Ordnung ausgegangen worden wäre. Ein deviantes Verhalten erschien dem Gemeinwesen als stets präsente Möglichkeit und nicht nur als Ausnahme von der Regel. Daher musste im Gesetz noch einmal klar gemacht werden, dass die Entscheidungen eines gegen die Regel amtierenden Kosmos ungültige waren. Dies verstand sich eben noch nicht von selbst. Auch mussten die anderen kollektiven Organe des Gemeinwesens explizit darauf verpflichtet werden, diese konkrete Verfügung zur politischen Verfassung des Gemeinwesens zu garantieren. Es verstand sich also auch noch nicht von selbst, dass sie dies für alle ‚Verfassungsgrundsätze‘ zu tun hatten. Die asoziale Macht einzelner Mächtiger, wie man sie etwa in den früharchaischen βασιλεῖς erkennen kann, scheinen die Gesetzesgeber von Dreros stets im Sinn gehabt zu haben. Dennoch war der Versuch, alle Mächtigen mittels verschriftlichter institutioneller Regeln in das Gemeinwesen und seine Ordnung einzubinden, etwas revolutionär Neues. Denn mit den archaischen βασιλεῖς war zwar kein Staat zu machen, gegen sie aber auch nicht. Dies scheint man in der Mitte der archaischen Epoche in Kreta erkannt zu haben. Jedenfalls zeigt sich in Kreta die egalitäre Grunddisposition der dortigen Gemeinwesen immer wieder. Diese egalitäre Grunddisposition konnte dann auch – gegen alle evolutionären Tendenzen – während des Prozesses der Entstehung von Staatlichkeit nicht überwunden werden. Auch reichte die Entwicklung rein partizipatorischer Strukturen, wie dies etwa in Rom der Fall gewesen ist, zur Befriedigung der egalitären Grunddisposition nicht aus. Auf der anderen Seite bedeutete dies aber noch lange nicht, dass daraus die Herrschaftsform der Demokratie entstehen musste. Denn weder die Entstehung von Staatlichkeit noch die Entstehung von Demokratie war im griechischen Kulturraum eine teleologische Entwicklung. Vielmehr gelang es in den Gemeinwesen des archaischen Kreta oligarchische Herrschaftsstrukturen in staatlichen Ordnungen zu etablieren. Allerdings mussten die oligarchischen Eliten diesen Prozess mittels einer ostentativen Gleichheitsideologie und durch den Verzicht auf eine ostentative ökonomische Distinktion erkaufen. Diese Möglichkeit der Befriedigung der egalitären Grunddisposition in einem grundsätzlich oligarchischen System lässt sich noch deutlicher in Sparta erkennen. Hier wurde die Gleichheitsideologie der ὅμοιοι auf die Spitze getrieben, zumindest wenn man einem außenstehenden wie

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Herodot folgt. Denn der Geschichtsschreiber lässt den exilierten spartanischen König Damaratos darlegen, dass zwar alle Lakedaimonier ἀγαθοí seien, aber deswegen noch nicht alle zu den ὅμοιοι gehören würden. Nur die Bürger des spartanischen Gemeinwesens selbst sind ὅμοιοι und damit selbstverständlich allen ἀγαθοí überlegen.927 Einen anderen Weg, egalitäre Grunddispositionen institutionell zu fassen, ging bekanntlich das athenische Gemeinwesen. Wie bereits erwähnt, befand es sich mit den solonischen Reformen auf dem Weg zu einer klassisch oligarchischen Ordnung. In dieser wurde lediglich durch eine allgemein zugängliche Volksversammlung ein gewisses Maß an politischer Partizipation aufrechterhalten. Dies scheint zu einer gewissen politischen Apathie bei weiten Teilen der unterelitären Bürgerschaft geführt zu haben. In den Machtkämpfen zwischen den einzelnen Angehörigen der Elite spielten sie jedenfalls nur eine sekundäre Rolle und der ‚Machtergreifung‘ des Tyrannen Peisistratos standen sie eher gleichgültig gegenüber. Dieser und seine Söhne übten ihre Macht dann auch eher neben den solonischen Institutionen als durch diese aus und scheinen zur staatlichen Weiterentwicklung Athens nicht viel beigetragen zu haben. Erst die spartanische Intervention im Jahr 510 v. Chr., welche zum Sturz des Hippias führte, befreite die athenischen Bürger aus ihrer politischen Apathie. In einem revolutionären Akt vertrieben sie den spartanischen König Kleomenes und seinen athenischen Parteigänger Isagoras aus Athen. An die Spitze dieser Bewegung stellte sich Kleisthenes, welcher aus der elitären Familie der Alkmeoniden stammte. In einer Reihe von politischen Reformen schuf er die institutionellen Grundlagen, welche zum evolutionären Sonderfall einer demokratischen Herrschaftsordnung im Verlauf des 5. Jahrhunderts führte. Von allen politischen Akteuren war ein hohes Maß an Gemeinsinn als soziomoralische Ressource notwendig, um diesen Entwicklungsprozess zu ermöglichen. Dieser Sonderfall ist umso erstaunlicher, als mit der Etablierung einer institutionalisierten politischen Egalität auch eine Stärkung staatlicher Strukturen verbunden war. Das athenische Polisterritorium wurde nun erst zum wirklichen Staatsgebiet. Mit der kleisthenischen Demenreform wurde ein föderales System etabliert, durch welches versucht wurde, jeden Bürger politische einzubinden. Die Souveränität des Demos wurde durchgesetzt, indem nach und nach alle legitimen Herrschaftsakte nur noch von der Volksversammlung, den Gerichtshöfen und dem Rat der Fünfhundert durchgeführt werden durften. Aufgrund der Besetzung der Gerichtshöfe und des Rates per Losentscheid, konnten die dort zusammengekommenen Bürger ideologisch stets als die Gesamtgemeinde betrachtet werden. In der politischen Praxis führten die hohen Iterationshürden dazu, dass fast jeder athenische Bürger einmal in seinem Leben im Rat der Fünfhundert – also der athenischen Regierung – gedient haben wird. Je mehr die politische Ordnung des athenischen Gemeinwesens institutionalisiert wurde, je stärker also der Grad an Staat927 Vgl. Hdt. 7,234,1f.

225 Zusammenfassung

lichkeit wurde, desto stärker wurde auch der Grad an politischer Egalität. Egalität und Staatlichkeit fanden, gegen alle evolutionäre Wahrscheinlichkeit, in der politischen Ordnung Athens zusammen. Athen war damit zwar ein Sonderfall, aber kein Einzelfall. Auch Argos scheint sich parallel zu Athen im 5. Jahrhundert zu einer vitalen Demokratie entwickelt zu haben. Ebenso scheint die Entstehung protodemokratischer Strukturen in Eretria, ähnlich wie in Athen, bereits am Ende des 6. Jahrhunderts begonnen zu haben. Dessen ungeachtet lässt sich die Entwicklung natürlich nur in Athen genauer nachvollziehen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass gerade in Athen ein weiteres Element institutionalisierter politischer Egalität deutlich zutage tritt. Hierbei handelt es sich um die Art der soziopolitischen Untergliederung des Gemeinwesens. Hier waren die Phylen und Phratrien sicherlich wichtig, die wichtigste Untergliederung war aber die in Demen. Bei der Neukonstituierung dieser Einheiten im Zuge der kleisthenischen Reformen wurden zwar auch, wo notwendig, artifizielle Strukturen geschaffen. Im Großen und Ganzen wurden aber die gewachsenen Strukturen, also die althergebrachten Dorf- und Stadtteilgemeinschaften, zu den föderalen politischen Untereinheiten des athenischen Staates. In diesen Einheiten beruhte ein wesentliches egalitäres Moment darauf, dass sich alle Bürger untereinander persönlich kennen konnten. Die soziopolitische Kommunikation auf dieser Ebene funktionierte also nach dem ‚face to face‘ Prinzip. Auf gesamtstaatlicher Ebene, bei 30000 bis 60000 erwachsenen männlichen Bürger in der klassischen Zeit, konnte dieses Prinzip nicht funktionieren. In der zentralen Volksversammlung mit wenigstens sechstausend Teilnehmern war die Gefahr groß, dass der einzelne Bürger unterging. In den Versammlungen auf der Ebene der Demen jedoch, in welchen etwa über die Kandidaten für den Rat der Fünfhundert vorentschieden wurde, sah die Sache anders aus. Hier werden in der Regel nur einige Dutzend, selten jedoch mehr als einbis zweihundert Bürger zusammengekommen sein. Auch war der Zeitaufwand für die Teilnahme an einer Versammlung auf Demenebene weitaus geringer und dadurch verbesserte sich die Möglichkeit der Partizipation für viele Bürger. Ebenso war die Chance, dass jeder Bürger nicht nur abstimmen, sondern auch seine Meinung äußern konnte, auf dieser politischen Ebene weitaus höher. Damit konnte auf der Demenebene jeder Bürger weitaus aktiver den politischen Entscheidungsprozess mitbestimmen und wurde dadurch wiederum in das demokratische Herrschaftssystem eingebunden. Wieder zeigt sich der athenische Sonderfall darin, dass ausgerechnet die Ausweitung der politischen Egalität und die Verfestigung von staatlichen Strukturen einander bedingten und sich gegenseitig verstärkten. Die Entstehung von Staatlichkeit ist unter dem Blickwinkel der soziokulturellen Evolution stets mit dem Verlust von sozialer und politischer Egalität verbunden. Daher ist die Entstehung einer demokratischen staatlichen Ordnung nach den ‚Regeln‘ der soziokulturellen Evolution eigentlich nicht möglich. Dennoch setzte am Ende des 6. Jahrhunderts in einigen griechischen Gemeinwesen, die

226 Ergebnisse

die Stufe zur Staatlichkeit bereits überschritten hatten, ein neuer Entwicklungsprozess ein. Dieser führte zu einem vorher nie da gewesenen Maß an politischer Gleichheit der erwachsenen männlichen Bürger. Entgegen den globalen evolutionären Tendenzen führte diese Entwicklung aber nicht ebenso zu einer Degeneration und schließlich zu einem Zerfall staatlicher Strukturen. Das Experiment der Demokratie führte weder in Athen noch in Argos dazu, dass diese zu ‚failed states‘ wurden. Vielmehr kam es zu einem Wechselwirkungsprozess, in welchem sich eine Ausweitung institutionalisierter politischer Egalität und eine Verstärkung von Staatlichkeit gegenseitig bedingten. Die Frage zu beantworten, warum es nun ausgerechnet im griechischen Kulturraum zu solchen Sonderentwicklungen gekommen ist, war nicht Ziel dieser Arbeit. Diese Frage kann letztendlich auch gar nicht beantwortet werden, ohne ins Ideologische abzugleiten. Vielmehr sollten nur einige Bedingungen und Besonderheiten der soziopolitischen Entwicklung hin sowohl zu einer politisch egalitären als auch staatlichen Ordnung aufgezeigt werden. Diese Bedingungen und Besonderheiten der soziopolitischen Entwicklung lassen sich dabei bis in die früharchaische Zeit zurückverfolgen. Bereits die egalitäre Grunddisposition der vorstaatlichen homerischen und hesiodischen Dorfgemeinschaft schränkte die Macht der Eliten ein. Zumindest wurde die Elite zu einer gemeinsinnigen ostentativen Rücksichtnahme auf die egalitären Befindlichkeiten der unterelitären Schichten genötigt. Daraus folgte jedoch keineswegs die Notwendigkeit einer demokratischen Entwicklung. Als Alternative zu tatsächlicher politischer Egalität etablierte sich etwa im 6. Jahrhundert, so in Sparta und in den Gemeinwesen auf Kreta, eine ostentative Gleichheitsideologie. Mit dieser konnten die Eliten ihren Gemeinsinn demonstrieren und bei den minderberechtigten Bürgern erfolgreich Akzeptanz für eine oligarchische Herrschaftsordnung schaffen. Die Entstehung von politisch institutionalisierter Egalität, also einer demokratischen Herrschaftsordnung, war – ebenso wie die Entstehung von Staatlichkeit selbst – ein zutiefst kontingenter Prozess.

227 Abkürzungen von Standardwerken und Quelleneditionen

11. ANHANG

11.1. Abkürzungen von Standardwerken und Quelleneditionen APF J. K. Davies: Athenian Propertied Families. 600–300 B.C., Oxford 1971. EPGF (DAVIES) Epicorum Graecorum Fragmenta, herausgegeben von Malcolm Davies, Göttingen 1988. FGRHIST II A Die Fragmente der Griechischen Historiker, Zweiter Teil, A, Nr. 64–105, herausgegeben von F. Jacoby, Leiden 1926. FGRHIST II B Die Fragmente der Griechischen Historiker, Zweiter Teil, B, Nr. 106–261, herausgegeben von F. Jacoby, Leiden 1926. FGRHIST III B Die Fragmente der Griechischen Historiker, Dritter Teil, B, Nr. 197–619, herausgegeben von F. Jacoby, Leiden 1955. FORNARA Translated Documents of Greece and Rome, Band 1: Archaic Times to the End of the Peloponnesian War, edited and translated by C.W. Fornara, 2nd Edition, Cambridge 1994. HGIÜ Historische Griechische Inschriften in Übersetzung. Band 1: Die archaische und klassische Zeit, herausgegeben von K. Brodersen / W. Günther / H. Schmitt, Darmstadt 1992. ML A Selection of Greek Historical Inscriptions to the End of the Fifth Century BC, edited by R. Meiggs / D.M. Lewis, Oxford 1992. KAH II Keilschrifttexte aus Assur historischen Inhalts, Zweites Heft, herausgegeben von O. Schroeder, Leipzig 1922. PA Prosopographia Attica, 2 Bände, herausgegeben von Johannes Kirchner, Berlin 1901–1903.

228 Anhang

11.2. Verzeichnis der benutzten Quellenedition Der zuerst genannte Titel unter jedem Autor bzw. Werk stellt jeweils die Herkunft des wiedergegeben Orginaltextes dar und die zweite Angabe den Ursprung der deutschen Übersetzung. Ist in der Arbeit in Ausnahmefällen eine andere Textgrundlage bzw. Übersetzung gewählt worden, dann wurde dies unmittelbar angemerkt. AISCHINES Aischines with an English translation by C. Darwin Adams London, London 1919. ALKAIOS Greek Lyric. Band 1: Sappho and Alcaeus, edited and translated by David A. Campbell, London 1990. J. Latacz: Die griechische Literatur in Text und Darstellung. Archaische Zeit, 2., durchgesehene und verbesserte Aufl., Stuttgart 1998. ARISTOPHANES Aristophanes Comoediae, ed. F.W. Hall and W.M. Geldart, Band 2, Oxford 1907. Aristophanes: Sämtliche Komödien, herausgegeben von Otto Weinreich, übertragen von Ludwig Säger, 2. Band, Zürich / Stuttgart 1968. ARISTOTELES Politica Aristotelis politica, ed. W.D. Ross, Oxford 1957. Aristoteles: Politik, übersetzt und herausgegeben von Franz F. Schwarz, Stuttgart 2010. Ars Rhetorica Aristotelis Ars Rhetorica, ed. W.D. Ross, Oxford 1959. Aristoteles: Rhetorik, übers., mit einer Bibliographie, Erläuterung und einem Nachwort von Franz G. Sievke, 4. Aufl., München 1993. ATHENAION POLITEIA Athenaion politeia, ed. G.F. Kenyon, London 1920. Aristoteles: Der Staat der Athener, übersetzt und herausgegeben von Martin Dreher, Stuttgart 2009. DEMOSTHENES Demosthenis Orationes, ed. W. Rennie, Oxford 1931. Antiphon: Gegen die Stifmutter / Apollodoros: Gegen Neaira (Demosthenes 59). Frauen vor Gericht, eingeleitet, herausgegeben und übersetzt von K. Brodersen, Darmstadt 2004. HERODOT Herodotus, with an English translation by A. D. Godley. London 1920. Herodot: Historien I–V, übersetzt von Walter Marg, mit einer Einführung von Detlev Fehling und Erläuterungen von Bernhard Zimmermann, München 1991. HESIOD Erga kai hemerai Hesiodi opera, ed. F. Solmsen, Oxford 1970. Hesiod: Werke und Tage, gr.-dt., übersetzt und herausgegeben von O. Schönberger, Stuttgart 2007. Theogonia Hesiod: Theogony, ed. M.L. West, Oxford 1966. Hesiod: Theogonie, gr.-dt., übersetzt und herausgegeben von O. Schönberger, Stuttgart 2011. HOMER Ilias Homeri Ilias, ed. T.W. Allan, Band 1–3, Oxford 2000. Homer: Ilias, neu übertragen von Wolfgang Schadewaldt, Frankfurt a. M. 1975.

229 Verzeichnis der benutzten Quellenedition

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230 Anhang

11.3.

Verzeichnis der benutzten Sekundärliteratur

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256 Anhang

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257 Quellenregister

11.4. Quellenregister 1Sam 8 .....................................................54 2Kön 21,23f. ............................................52 Ael. Arist. or. 46,207 ...............................20 Ael. NA 2,11 .........................................116 Ael. VH 6,9 ...........................................116 Aet. plac. 5,19,4 ......................................10 Ail. var. 8,16 ..........................................152 Aischin. orat. 1,6 ...................................139 Aischyl. Suppl. 516–624 .......................129 Alk. fr. 360 L.-P. ...................................115 Alk. fr. 426 West .....................................21 Anaxan. fr. 4,3–4 ...................................211 Anaximand. fr. 12A30 Diels / Kranz ......10 And. 1,106 .............................................176 And. 1,96–98 ...........................................57 Aristoph. Hipp. 190–194 .......................194 Aristoph. Hipp. 223f..............................194 Aristoph Lys. 274–279 ..........................186 Aristoph. Lys. 1150–1156 .....................186 Aristot. pol. 1252a 25–1253a ................191 Aristot. pol. 1252b 15f. .........................191 Aristot. pol. 1252b 27–30 ......................191 Aristot. pol. 1253a 2f.................................8 Aristot. pol. 1264a 5-10.........................200 Aristot. pol. 1266b 14–18 ......................141 Aristot. pol. 1270a 29–31 ......................214 Aristot. pol. 1270b 7 ..............................123 Aristot. pol. 1270b 23f. .........................123 Aristot. pol. 1270b 25–28. .....................123 Aristot. pol. 1271a 9–18 ........................123 Aristot. pol. 1271b 40–1272b 23 ...........115 Aristot. pol. 1272a 8 ..............................108 Aristot. pol. 1272a 34 ............................116 Aristot. pol. 1272b 1–1272b 22 .............131 Aristot. pol. 1273b 35–39 ..............135, 183 Aristot. pol. 1273b–1274b .....................128 Aristot. pol. 1274a 15–20 ......................147 Aristot. pol. 1274a 8–9 ..........................175 Aristot. pol. 1275b 34–39 ......................177 Aristot. pol. 1279a–b .............................194 Aristot. pol. 1293a 26–34 ......................112 Aristot. pol. 1293b 3f. ...........................194 Aristot. pol. 1293b 34–39 ......................194 Aristot. pol. 1293b–1294b .....................185 Aristot. pol. 1294a 19–25 ......................194 Aristot. pol. 1299b 20–29 ......................194 Aristot. pol. 1303a 6–8 ..........................130 Aristot. pol. 1305a 22–24 ......................152

Aristot. pol. 1306a 32–36 ..................... 129 Aristot. pol. 1310b ................................ 152 Aristot. pol. 1310b 30f. ......................... 152 Aristot. pol. 1318a 6–8 ......................... 195 Aristot. pol. 1319b 19–21 ..................... 171 Aristot. pol. 1319b 20–24 ..................... 200 Aristot. pol. 1326b 14–20 ....................... 42 Aristot. pol. 1326b 19–22 ..................... 207 Aristot. rhet. 1387a ............................... 194 Athen. deipn. 141c ................................ 215 Athen. deipn. 263c ................................ 211 Athen. deipn. 272c ................................ 199 Athen. deipn. 577b–c ............................ 205 Athen. deipn. 695 .................................. 186 Athen. pol. 2,1f. .................................... 140 Athen. pol. 5–12 ................... 135, 139, 183 Athen. pol. 5,2 ........................................ 35 Athen. pol. 6,2 ...................................... 116 Athen. pol. 7,3 ...... 142, 143, 146, 147, 174 Athen. pol. 7,3f. .................................... 141 Athen. pol. 7,4 83, 136, 144, 146, 173, 175 Athen. pol. 8,3 .............................. 136, 200 Athen. pol. 8,4 ...................... 143, 167, 174 Athen. pol. 8,5 ...................................... 142 Athen. pol. 9,1 ...................................... 147 Athen. pol. 11,1 .................................... 136 Athen. pol. 12,3 .................................... 163 Athen. pol. 12,4 .................................... 141 Athen. pol. 12,5 ...................................... 33 Athen. pol. 13,4 .................................... 153 Athen. pol. 13,5 .................................... 176 Athen. pol. 13–17 ................................. 152 Athen. pol. 14,1 .................................... 152 Athen. pol. 14,3 ............................ 153, 155 Athen. pol. 14,4 .................... 153, 154, 155 Athen. pol. 15,1 .................................... 156 Athen. pol. 15,2 ............................ 158, 159 Athen. pol. 15,2–5 ................................ 158 Athen. pol. 15,3 .................................... 156 Athen. pol. 15,4 .................................... 160 Athen. pol. 16,2–4 ................................ 162 Athen. pol. 16,5 ............................ 148, 163 Athen. pol. 18 ....................................... 188 Athen. pol. 20,2f. .................................. 185 Athen. pol. 20,3 .................................... 185 Athen. pol. 20,4 .................................... 171 Athen. pol. 21 ............... 167, 168, 169, 200 Athen. pol. 21,2 ............................ 167, 200

258 Anhang

Athen. pol. 21,3 .............................167, 200 Athen. pol. 21,4 .............................167, 168 Athen. pol. 21,5 .............................148, 168 Athen. pol. 21,6 .....................167, 200, 201 Athen. pol. 22,1 .......................83, 171, 184 Athen. pol. 22,2 .....................................172 Athen. pol. 22,5 .....................................174 Athen. pol. 25,1–2 .................................172 Athen. pol. 26,2 .....................................142 Athen. pol. 26,3 .....................................164 Athen. pol. 26,4 .............................197, 205 Athen. pol. 29,3 .....................................184 Athen. pol. 41,2 .............................135, 183 Athen. pol. 42,1 .....................................202 Athen. pol. 43,2 .....................................174 Athen. pol. 43,4 .......................................57 Athen. pol. 44,1 .....................................173 Athen. pol. 45,1 .....................................174 Athen. pol. 45,3 .....................................174 Athen. pol. 49,3 .....................................174 Athen. pol. 53,1 .....................................164 Athen. pol. 62,3 .....................................173 Athen. pol. fr. 3 [OCT] ..................200, 201 Cass. Dio 27,90,1 ..................................116 Dem. or. 19,255 .............................137, 189 Dem. or. 20 ............................................137 Dem. or. 20,102 .....................................137 Dem. or. 21,142 .....................................139 Dem. or. 24,142 .....................................137 Dem. or. 47 ............................................202 Dem. or. 57 ............................205, 207, 211 Dem. or. 57,10 .......................................207 Dem. or. 57,13 .......................................207 Dem. or. 57,31f. ....................................205 Dem. or. 57,46–49 .................................212 Dem. or. 57,8 .........................................207 Dem. or. 57,9–13 ...................................207 Dem. or. 57,30 .........................................56 Dem. or. 59 ............................................211 Dem. or. 59,75 .......................................183 Dem. or. 59,88 ...................................58, 59 Demetr. FGrHist IIB 228 fr. 31 .............148 Demetr. FGrHist IID 245 fr. 1...............199 Dikaiarch. FGrHist IIB 242 fr. 23 .........215 Diod. 7,9,4 .............................................111 Diod. 7,9,6 .............................................111 Diod. 14,13,2 .........................................127 Diod. 13,95,5f........................................152 Diod. 14 .................................................127 Diod. 17,71,2 .........................................144 Diod. fr. 7,12,6 ......................................120

Diog. Laert. 1,66 ................................... 152 Dtr 12–26 ................................................ 52 Dtr 16,18 ................................................. 53 Eur. Suppl. 349f. ................................... 183 Eur. Suppl. 404–408 ............................. 183 Ex 20,2–17 .............................................. 52 FGrHist IIB 239 fr. A45 ....................... 186 FGrHist IIIB 333 fr. 123 ......................... 86 Hdt. 1,59,3 ............................................ 153 Hdt. 1,59,4–6 ........................................ 152 Hdt. 1,59,6 .................................... 153, 160 Hdt. 1,60,1 ............................................ 153 Hdt. 1,60,3 .................................... 154, 155 Hdt. 1,60,3–5 ........................................ 154 Hdt. 1,60,4 ............................................ 154 Hdt. 1,61,1 ............................................ 156 Hdt. 1,61,1–2 ........................................ 153 Hdt. 1,61,2 ............................ 153, 156, 159 Hdt. 1,61,3 .................................... 153, 156 Hdt. 1,61,3f. .......................................... 159 Hdt. 1,61,3–64,3 ................................... 158 Hdt. 1,61,4 ............................................ 159 Hdt. 1,62,1 .................................... 158, 159 Hdt. 1,63,1 ............................................ 159 Hdt. 1,64,1 ............................................ 158 Hdt. 1,65 ............................................... 122 Hdt. 1,65f. ............................................. 121 Hdt. 3,80–82 ........................................... 54 Hdt. 5,58,1f. ............................................ 68 Hdt. 5,63–65 ................................. 166, 186 Hdt. 5,66,1 .................................... 166, 181 Hdt. 5,66,2 .................................... 167, 171 Hdt. 5,69,2 .................................... 167, 184 Hdt. 5,69,7–19 .............................. 169, 202 Hdt. 5,70–72 ......................................... 185 Hdt. 5,72,1 ............................................ 188 Hdt. 5,92,1 ............................................ 111 Hdt. 6,101,3 .......................................... 174 Hdt. 6,123 ..................................... 166, 187 Hdt. 6,131,1 .................................. 171, 184 Hdt. 6,83 ............................................... 130 Hdt. 7,153,2–4 ...................................... 197 Hdt. 7,234,1f. ................................ 125, 224 Hdt. 7,234,2 .......................................... 214 Hdt. 9,10,1 ............................................ 214 Herakl. Lembos fr. 40 Dilts .................. 129 Hes. erg. 174–201 ................................... 76 Hes. erg. 220 ......................................... 164 Hes. erg. 247–272 ................................... 76 Hes. erg. 298–310 ................................... 82 Hes. erg. 310 ........................................... 82

259 Quellenregister

Hes. erg. 311f. .........................................82 Hes. erg. 312 ............................................82 Hes. erg. 319–324....................................82 Hes. erg. 339–355....................................96 Hes. erg. 344f. .........................................31 Hes. erg. 349–351....................................31 Hes. erg. 356f. .........................................96 Hes. erg. 38f. .........................................164 Hes. erg. 404–616..................................144 Hes. erg. 602 ............................................86 Hes. theog. 81–90 ....................................85 HGIÜ I, Nr. 2 ........................................108 Hom. Il. 1,101–194 .................................83 Hom. Il. 1,116f. .......................................92 Hom. Il. 1,188–221 .................................93 Hom. Il. 1,189–221 .................................76 Hom. Il. 1,223–303 .................................83 Hom. Il. 1,225–231 .................................91 Hom. Il. 1,250–252 .................................77 Hom. Il. 1,320–326 .................................88 Hom. Il. 1,320f. .......................................88 Hom. Il. 1,334 .........................................88 Hom. Il. 1,334f. .................................84, 88 Hom. Il. 2,37 ...........................................77 Hom. Il. 2,50–52 .....................................88 Hom. Il. 2,55–154 ...................................89 Hom. Il. 2,75 ...........................................89 Hom. Il. 2,96–98 .....................................88 Hom. Il. 2,143–211 .................................91 Hom. Il. 2,184 .........................................88 Hom. Il. 2,202 .........................................75 Hom. Il. 2,204 .........................................76 Hom. Il. 2,212–215 .................................87 Hom. Il. 2,212–277 ...................................3 Hom. Il. 2,233f. .......................................91 Hom. Il. 2,265 .........................................87 Hom. Il. 2,265–269 .................................87 Hom. Il. 2,494–759 ...........................63, 76 Hom. Il. 3,221–223 .................................87 Hom. Il. 3,245–248 .................................88 Hom. Il. 4,315f. .......................................85 Hom. Il. 4,322–325 ...........................77, 85 Hom. Il. 4,330 .......................................101 Hom. Il. 4,399–402 .................................75 Hom. Il. 6,208 ...............................165, 190 Hom. Il. 6,234–236 .................................84 Hom. Il. 7,274–282 .................................88 Hom. Il. 7,323–343 .................................90 Hom. Il. 7,345–442 .................................90 Hom. Il. 9,63f. .........................................89 Hom. Il. 9,69 ...........................................76

Hom. Il. 9,269f........................................ 84 Hom. Il. 9,300–302 ................................. 92 Hom. Il. 9,346–429 ................................. 83 Hom. Il. 9,381–384 ................................. 72 Hom. Il. 10,260–265 ............................... 84 Hom. Il. 11,784 ............................. 165, 190 Hom. Il. 12,13–35 ................................... 72 Hom. Il. 18,79–93 ................................... 93 Hom. Il. 18,243–313 ............................. 100 Hom. Il. 18,309–313 ............................. 100 Hom. Il. 18,543 ..................................... 144 Hom. Il. 19,40–46 ................................... 95 Hom. Il. 19,79f........................................ 87 Hom. Il. 19,155–179 ............................... 75 Hom. Il. 21,44 ......................................... 86 Hom. Il. 21,444 ....................................... 86 Hom. Il. 22,61–77 ................................... 94 Hom. Il. 24,468–691 ............................... 93 Hom. Od. 1,105 ...................................... 95 Hom. Od. 1,143 ...................................... 88 Hom. Od. 1,170–172 .............................. 95 Hom. Od. 1,187f. .................................... 95 Hom. Od. 1,384–387 .............................. 81 Hom. Od. 1,392–394 .............................. 81 Hom. Od. 1,394–398 .............................. 81 Hom. Od. 1,428–431 .............................. 95 Hom. Od. 2,26–32 .................................. 97 Hom. Od. 2,29 ........................................ 98 Hom. Od. 2,42–46 .................................. 98 Hom. Od. 2,46f. ...................................... 98 Hom. Od. 2,6–259 ............................ 3, 152 Hom. Od. 2,64–71 .................................. 98 Hom. Od. 2,86–126 ................................ 98 Hom. Od. 2,210 .................................... 100 Hom. Od. 2,211 .................................... 100 Hom. Od. 3,102–119 ............................ 101 Hom. Od. 4,642 ...................................... 86 Hom. Od. 4,735f. .................................... 95 Hom. Od. 6,57–84 .................................. 83 Hom. Od. 7,149f. .................................... 78 Hom. Od. 7,4–6 ...................................... 83 Hom. Od. 8,246–249 .............................. 77 Hom. Od. 8,492–520 .............................. 85 Hom. Od. 8,555 ...................................... 76 Hom. Od. 8,555f. .................................... 96 Hom. Od. 11,489 .................................... 86 Hom. Od. 14,21 ...................................... 77 Hom. Od. 14,194f. .................................. 77 Hom. Od. 15,482f. .................................. 95 Hom. Od. 16,373–384 ............................ 99 Hom. Od. 16,375–382 ............................ 99

260 Anhang

Hom. Od. 17,265–299 .............................83 Hom. Od. 18,357 .....................................86 Hom. Od. 22,1–389 .................................83 Hom. Od. 22,54–59 .................................94 Hom. Od. 22,230 .....................................77 Hom. Od. 22,279–281 .............................95 Hom. Od. 22,330f. ...................................97 Hom. Od. 22,361f. ...................................97 Hom. Od. 22,417–479 .............................83 Hom. Od. 23,117–122 ...........................101 Hom. Od. 23,121f. ...........................99, 100 Hom. Od. 23,130–140 ...........................101 Hom. Od. 24,353–355 ...........................101 Hom. Od. 24,413f. .................................101 Hom. Od. 24,413–420 ...........................101 Hom. Od. 24,420–470 ...............................3 Hom. Od. 24,421–469 ...........................152 Hom. Od. 24,425–529 .............................94 Hom. Od. 24,426–429 ...........................101 Hom. Od. 24,430–437 ...........................102 Hom. Od. 24,454–462 ...........................102 Hom. Od. 24,463–466 ...........................102 Hom. Od. 24,492–499 .............................95 Hom. Od. 24,520–524 ...........................103 Hom. Od. 24,526–534 ...........................103 Hom. Od. 24,529–548 .............................94 Hom. Od. 24,539–544 ...........................103 IG I² 10 ..................................................173 IG I³ 14 ..................................................173 IG I³ 1031 ......................................161, 166 IG II² 1362 .............................................169 IG II² 1742 .............................................203 IG II² 1745 .............................................203 IG XII Suppl. 549 ..................................217 Is. 12 ......................................................211 Isaios 8,43..............................................205 Isokr. or. 7,15–17 ..................................185 Isokr. or. 12,144 ....................................139 Isokr. or. 15,172 ....................................199 Isokr. or. 15,232 ....................................184 Iust. 2,8,5 ...............................................152 KAH II 122,36–39...................................72 Kall. Ap. 48 ...........................................144 Kons. Porph. De legationibus 159,30 ....117 Kons. Porph. De virtutibus 2,268,5 .......117 Kypria, EpGF (Davies) p. 31,41–43 .....102 Kys. or. 2,17f. ........................................183 Lexicon Patm. p. 152 Sakkel. ........200, 201 Lys. or. 2,17f. ..........................................35 Lys. or. 23,2 ...................................208, 210 Lys. or. 23,3 ...........................208, 209, 210

Lys. or. 23,5 .......................................... 209 Lys. or. 23,5–6 ...................................... 210 Lys. or. 23,7 .......................................... 210 Lys. or. 23,9 .......................................... 210 Lys. or. 23,9–11 .................................... 210 Lys. or. 23,14f. ...................................... 210 Marm. Par. ep. 45 ................................. 186 ML 2 ..................................................... 131 ML 40 ........................................... 173, 174 Paus. 1,29,5 ........................................... 184 Paus. 2,4,4 ............................................. 111 Paus. 2,19,3f. ........................................ 129 Phil. virt. 187 ........................................ 116 Photius bibl. 248 ..................................... 20 Pind. 1,11 .............................................. 115 Plat. leg. 738d–e ..................................... 42 Plat. pol. 445d ....................................... 194 Plat. pol. 563b 5–7 ................................ 207 Plat. pol. 565c–e ................................... 152 Plat. polit. 301a ..................................... 194 Plat. Prot. 343a...................................... 136 Plin. nat. 34,17 ...................................... 188 Plu. Pel. 23,3 ......................................... 144 Plut. De mul. vir. 4................................ 130 Plut. Lyk. 1,1 ........................................ 121 Plut. Lyk. 6,1,4-6,2,1 .................... 120, 121 Plut. Lyk. 6,2,1 ..................................... 122 Plut. Lyk. 6,4,5f. ................................... 121 Plut. Lyk. 8,3 ................................ 213, 214 Plut. Lyk. 6,10 ...................................... 120 Plut. Lyk. 12,2 ...................................... 215 Plut. Lyk. 12,3 ...................................... 215 Plut. Lys. 24,2–25,3 .............................. 127 Plut. Per. 37,2–5............................ 197, 205 Plut. Sol. 15........................................... 141 Plut. Sol. 18,1f. ............................. 141, 144 Plut. Sol. 18,2–7.................................... 147 Plut. Sol. 19,1........................................ 143 Plut. Sol. 19,1–2............................ 167, 174 Plut. Sol. 23,3........................................ 138 Plut. Sol. 30,1–3.................................... 152 Poll. 8,130 ............................. 141, 144, 146 Polyain. 1,21,3 ...................................... 152 Ps.-Xen. Ath. pol. 1,10 ......................... 207 Schol. Aristoph. nub. 37 ....................... 148 Schol. Pind. Isthm. 2,17 ........................ 115 SEG 11,336 ........................................... 130 Solon fr. 2 Latacz .......................... 137, 189 Solon fr. 3 Diehl ........................... 137, 189 Solon fr. 3 Gentili / Prato .............. 137, 189 Solon fr. 4 West ............................ 137, 189

261 Quellenregister

Solon fr. 5 West .............................117, 136 Solon fr. 5,1–4 Diehl .............................117 Solon fr. 5,1–6 Diehl .............................136 Solon fr. 7 Gentili / Prato ......................136 Solon fr. 7 Latacz ..........................117, 136 Solon fr. 7 L.-P. .....................................117 Solon fr. 31 Gentili / Prato ......................33 Solon fr. 34 West ...................................163 Solon fr. 36 West ...................................141 Solon fr. 37 West .....................................33 Solon fr. 29b Gentili / Prato ..................163 Strab. geogr. 8,6,20 ...............................111 Strab. geogr. 9,1,16 ...............................202 Theogn. 39–58 .......................................116 Theogn. 183–190 ...................................113 Theogn. 315–318 ...................................115 Theogn. 523–526 ...................................116 Thuk. 1,20,2f. ........................................187 Thuk. 2,15,1–2 ......................................183 Thuk. 2,19,2 ..........................................204 Thuk. 2,65,9 ..........................................176 Thuk. 3,19,1 ..........................................146 Thuk. 3,82,8 ..........................................193

Thuk. 6,53,3 .......................................... 186 Thuk. 6,54,6 .......................................... 160 Thuk. 6,55–59 ....................................... 187 Thuk. 6,58,1f......................................... 160 Thuk. 6,59,1 .......................................... 187 Thuk. 6,59,4 .......................................... 186 Thuk. 8,28,3 .......................................... 116 Thuk. 8,66,3f......................................... 199 Thuk. 8,69,5 .......................................... 175 Tyrt. fr. 1b Gentili / Prato ............. 120, 122 Tyrt. fr. 3a Diehl ........................... 120, 122 Tyrt. fr. 4 West.............................. 120, 122 Tyrt. fr. 6/7 Diehl .................................... 21 Tyrt. fr. 6/7 Gentili / Prato ...................... 21 Tyrt. fr. 10 Latacz ................................... 21 Tyrt. fr. 10 West...................................... 21 Tyrt. fr. 14 Gentili / Prato ............. 120, 122 Xen. hell. 1,7 ......................................... 176 Xen. hell. 6,1,1 ...................................... 214 Xen. hell. 6,4,15 .................................... 214 Xen. hell. 6,4,17 .................................... 214 Xen. Lak. pol. 5,3 ................................. 126

Geschichtswissenschaften

Band 45: Stefan Fraß: Egalität, Gemeinsinn und Staatlichkeit im archaischen Griechenland 2018 · 274 Seiten · ISBN 978-3-8316-4212-0 Band 44: Sabine Kurtenacker: Der Einfluss politischer Erfahrungen auf den Verfassungskonvent von Herrenchiemsee · Entwicklung und Bedeutung der Staats- und Verfassungsvorstellungen von Carlo Schmid, Hermann Brill, Anton Pfeiffer und Adolf Süsterhenn 2017 · 392 Seiten · ISBN 978-3-8316-4631-9 Band 43: Elcin Dindar: Die türkische Zypernpolitik im Konfliktfeld des östlichen Mittelmeers 1950–1974 2017 · 346 Seiten · ISBN 978-3-8316-4656-2 Band 42: Thomas Fischl: Mitgefühl – Mitleid – Barmherzigkeit · Ansätze von Empathie im 12. Jahrhundert 2017 · 280 Seiten · ISBN 978-3-8316-4608-1 Band 41: Jan-Hendrik Hartwig: Die Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes über die Wirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik 2017 · 420 Seiten · ISBN 978-3-8316-4602-9 Band 40: Magda Beiss: Das Frankfurter Israelitische Familienblatt als Spiegel der Zeit von 1902 bis 1919 2017 · 502 Seiten · ISBN 978-3-8316-4601-2 Band 39: Andrea Zedler, Jörg Zedler (Hrsg.): Prinzenrollen 1715/16 · Wittelsbacher in Rom und Regensburg 2016 · 392 Seiten · ISBN 978-3-8316-4567-1 Band 38: Tobias Hof (Hrsg.): Empire, Ideology, Mass Violence: The Long 20th Century in Comparative Perspective 2016 · 278 Seiten · ISBN 978-3-8316-4331-8 Band 37: Matthias Johannes Bauer: „Der Allten Fechter gründtliche Kunst“ – Das Frankfurter oder Egenolffsche Fechtbuch · Untersuchung und Edition · critical edition with two pages Englisch abstract 2016 · 324 Seiten · ISBN 978-3-8316-4559-6 Band 36: Isabella Schüler: Franz Anton Graf von Kolowrat-Liebsteinsky (1778–1861) · Der Prager Oberstburggraf und Wiener Staats- und Konferenzminister 2016 · 388 Seiten · ISBN 978-3-8316-4552-7 Band 35: Stefan Trinkl: Das Zisterzienserkloster Fürstenfeld unter Abt Balduin Helm 1690–1705 2015 · 470 Seiten · ISBN 978-3-8316-4438-4 Band 34: Anika Aulbach: Die Frauen der Diadochendynastien · Eine prosopographische Studie zur weiblichen Entourage Alexanders des Großen und seiner Nachfolger 2015 · 220 Seiten · ISBN 978-3-8316-4465-0 Band 33: Linda Brüggemann: Herrschaft und Tod in der Frühen Neuzeit · Das Sterbe- und Begräbniszeremoniell preußischer Herrscher vom Großen Kurfürsten bis zu Friedrich Wilhelm II. (1688– 1797) 2015 · 478 Seiten · ISBN 978-3-8316-4442-1 Band 32: Karl Rösch: Franz Josef Strauß – Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Weilheim 1949–1978 2014 · 618 Seiten · ISBN 978-3-8316-4392-9

Band 31: Armin Gugau: Untersuchungen zum Landshuter Erbfolgekrieg von 1504/1505 · Die Schäden und ihre Behebung 2015 · 380 Seiten · ISBN 978-3-8316-4387-5 Band 30: Rainer Welle: … vnd mit der rechten faust ein mordstuck – Baumanns Fecht- und Ringkampfhandschrift · Edition und Kommentierung der anonymen Fecht- und Ringkampfhandschrift Cod. I.6.4° 2 der UB Augsburg aus den Beständen der ehemaligen Öttingen-Wallersteinschen Bibliothek · 2 Bände, nur geschlossen beziehbar 2014 · 472 Seiten · ISBN 978-3-8316-4377-6 Band 29: Susanne Greiter: Flucht und Vertreibung im Familiengedächtnis · Geschichte und Narrativ 2013 · 350 Seiten · ISBN 978-3-8316-4292-2 Band 28: Panagiotis Argyropoulos: Von der Theorie zur Empirie · Philosophische und politische Reformmodelle des 4. bis 2. Jahrhunderts v. Chr. 2013 · 212 Seiten · ISBN 978-3-8316-4244-1 Band 27: Gerd-Bolko Müller-Faßbender: München und seine Apotheken · Geschichte des Apothekenwesens der bayerischen Haupt- und Residenzstadt von den Anfängen bis zum Ende des bayerischen Kurfürstentums 2015 · 388 Seiten · ISBN 978-3-8316-4157-4 Band 26: Hagan Brunke: Essen in Sumer · Metrologie, Herstellung und Terminologie nach Zeugnis der Ur IIIzeitlichen Wirtschaftsurkunden 2011 · 284 Seiten · ISBN 978-3-8316-4089-8 Band 25: Felix de Taillez: »Amour sacré de la Patrie« – de Gaulle in Neufrankreich · Symbolik, Rhetorik und Geschichtskonzept seiner Reden in Québec 1967 2011 · 210 Seiten · ISBN 978-3-8316-4073-7 Band 24: Oliver Götze: Der öffentliche Kosmos · Kunst und wissenschaftliches Ambiente in italienischen Städten des Mittelalters und der Renaissance 2010 · 586 Seiten · ISBN 978-3-8316-4006-5 Band 23: Joachim Helbig: Postvermerke auf Briefen 15.–18. Jahrhundert · Neue Ansichten zur Postgeschichte der frühen Neuzeit und der Stadt Nürnberg 2010 · 288 Seiten · ISBN 978-3-8316-0945-1 Band 22: Karen Königsberger: »Vernetztes System«? · Die Geschichte des Deutschen Museums 1945–1980 dargestellt an den Abteilungen Chemie und Kernphysik 2009 · 390 Seiten · ISBN 978-3-8316-0898-0 Band 21: Dirk Preuß: Anthropologe und Forschungsreisender · Biographie und Anthropologie Egon Freiherr von Eickstedts (1892–1965) · mit einem Werkverzeichnis von Eickstedts 2009 · 392 Seiten · ISBN 978-3-8316-0872-0 Band 20: Anette Bangert: Elector Ferdinand Maria of Bavaria · Bavarian Imperial Politics during the Interregnum 1657–58 2008 · 310 Seiten · ISBN 978-3-8316-0772-3

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