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German Pages [168] Year 2006
Cora Creutzfeldt-Glees
Schicksal Brustkrebs – Wege zur Bewältigung
Mit einer Abbildung
Vandenhoeck & Ruprecht
Dieses Buch widme ich Werner, Naomi und Terence, allen betroffenen Familien sowie den Brustkrebsgruppen, die ich psychotherapeutisch betreue.
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.
ISBN 10: 3-525-45371-X ISBN 13: 978-3-525-45371-1 Umschlagabbildung: Claude Monet, Seinearm in Giverny (Ausschnitt), 1897, Öl auf Leinwand, 75 x 92,5 cm. © 2007, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH und Co. KG, Göttingen. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Schrift: Life Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 1: Ängste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die Angst wandelt sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frauen sprechen über ihre Ängste . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umgang mit Angst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angst akzeptieren und benennen . . . . . . . . . . . . . . . . Kontrolle statt Hilflosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informationen einholen – zum Experten der eigenen Erkrankung werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sich der eigenen Möglichkeiten und Kräfte bewusst werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hilfe durch vertraute Andere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenseitige Unterstützung Betroffener . . . . . . . . . . . Wann ist professionelle Hilfe notwendig? . . . . . . . . .
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Kapitel 2: Familie und Partnerschaft nach Brustkrebs . .
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Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Partner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschiedliche Reaktionen von Männern und Frauen . . Partner äußern sich zu ihren Erfahrungen . . . . . . . . . . . . Unterstützung des Partners für oder gegen eine Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interview mit dem Ehepaar Kirsch . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
Interview mit Dirk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interview mit Dylan und Lilly . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Krebs-Scheidung« – Mythos oder Realität? . . . . . . . Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Infragestellung und Abwertung des bisherigen Lebens Formen der Bewältigung – wie Familie und Partner ihr Schicksal bewältigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewältigungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderungen durch Rollenwechsel der Partner . . . . Möglichkeiten der Unterstützung für Partner und Angehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wissen, was dem Partner hilft . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau eines Netzwerkes von Helfern . . . . . . . . . . . . Wenn die Familie aus den Fugen gerät . . . . . . . . . . . . Praktische Hilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eltern haben Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufklärung der Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Warum Mütter nicht über Brustkrebs sprechen . . . . . Probleme der Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen, Phantasien und Gefühle von Kindern . . . . . . Hinweise für Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alter und Entwicklungsstufe des Kindes . . . . . . . . . . Reaktionen von Kindern in verschiedenen Altersstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbereitung der Eltern auf ein Gespräch mit den Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie Kinder die Erkrankung der Mutter bewältigen . . Wie viel Wahrheit ertragen Kinder? . . . . . . . . . . . . . . Wann sollten die Kinder informiert werden? . . . . . . . Welche Sprache verstehen Kinder? . . . . . . . . . . . . . . Mütter und Töchter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wissenschaftliche Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . Körperbotschaften/Körpersprache . . . . . . . . . . . . . . . Wie können Eltern ihrem Kind Sicherheit vermitteln? Den Alltag strukturieren und Freude haben . . . . . . . . Was sollen Eltern den Lehrern berichten? . . . . . . . . .
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Inhalt
Können Eltern ihre Kinder zuviel schützen? . . . . . . . Probleme der Kinder schweigender Eltern . . . . . . . . . Was können Eltern noch tun? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Beispiel-Projekt »Kids-Konnected« . . . . . . . . . . . Typische Fragen von Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besondere Familienverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . Mit den Kindern über den Tod sprechen . . . . . . . . . . Wie Kinder verschiedener Altersgruppen den Tod verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erinnerung als Bewältigung für Kinder . . . . . . . . . . . Informationsquellen zur Unterstützung der Eltern . . . Erwachsene Kinder von brustkrebsbetroffenen Müttern erzählen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interview mit Rebecca, Tochter einer krebskranken Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interview mit Anja, deren Mutter und Großmutter erkrankt waren . . . . . . . . . . . . . . . . Interview mit Boaz Tal, Sohn einer an Krebs erkrankten Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 3: Selbstachtung – Körperbild – Sexualität . . . . . 132 Die Verletzung des Selbstwertgefühls . . . . . . . . . . . . . . . . Thema Sexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie beeinflusst das veränderte Körperbild die Sexualität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sexuelle Störungen durch die Brustkrebstherapie . . . Sexuelle Partnerschaftsprobleme nach Brustoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betroffene Frauen und Partner berichten über Sexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hilfen bei sexuellen Problemen . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerden in den Wechseljahren – Wie können sie behandelt werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schweigen brechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
Professionelle Hilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Hilfe durch den Partner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Exkurs: Probleme bei Männern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
Einleitung
Ziel dieses Buches ist es, Frauen das Leben nach beziehungsweise mit Brustkrebs zu erleichtern, indem wichtige Fragen und Themen besprochen werden, die sich auf das Miteinanderleben, also die psychosoziale Seite der Erkrankung beziehen. Brustkrebs ist die häufigste weibliche Krebserkrankung und wird meist als lebensbedrohend empfunden, obwohl die Heilungschancen bei Früherkennung sehr gut sind. Auch bei fortgeschrittener Erkrankung stehen Behandlungen zur Verfügung, die Gewinn von Lebenszeit und Linderung von Beschwerden bringen. Auch wenn tendenziell die Erkrankungsrate an Brustkrebs zunimmt (als Grund vermutet man eine Zunahme von Risikofaktoren), wird heute infolge der Früherkennung die Mehrzahl der Frauen geheilt oder erlebt viele Jahre ohne Rückfall. Dieses Buch beschäftigt sich mit Problemen der Brustkrebserkrankung, die über die medizinische Seite hinausgehen. Betroffene Frauen empfinden oft, dass medizinisch zwar alles untersucht, abgeklärt und behandelt wird, dass jedoch ihre seelischen Bedürfnisse – ihre Trauer, ihre Ängste, ihr Stress, ihre Beziehungen zur Familie und zum Pflegepersonal – zu kurz kommen. Seit den 1950er Jahren versuchen einige betroffene Frauen mutig das Tabu Brustkrebs zu brechen und sich für eine weniger bedrohliche Sichtweise in der Öffentlichkeit einzusetzen. Vor etwa zwanzig Jahren wurden in Zeitschriften, zuerst in der »New York Times«, in der Frauenzeitschrift »Emma«, später auch in der »Zeit« und im »Stern«, Frauen nach Brustamputationen abgebildet, um zu zeigen, dass eine Amputation zwar
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Einleitung
fremd aussieht, aber diesen Frauen nichts an Würde nimmt. Heute existieren in Deutschland mehrere Vereine, zum Beispiel »Frauenselbsthilfe nach Krebs«1 oder »Mammazone«2, die mittlerweile auch Gehör in gesundheitspolitischen Diskussionen finden und sich die Förderung der Forschung auf ihre Fahnen geschrieben haben. Es gibt weltweit unzählige Chat-Rooms im Internet, in denen Frauen ihre Erfahrungen austauschen und sich mit anderen aussprechen können. Früher wurde das Leben mit Krebs als »Vorbereitung auf den Tod« interpretiert. Heute ist es dank der Fortschritte der medizinischen Therapien möglich, dass Krebspatientinnen wieder in die Gesellschaft integriert werden. Diese (Re)Integration ist mehr als nur das Durchstehen der medizinischen Behandlung, sondern bedeutet Rehabilitation auf körperlicher, seelischer und sozialer Ebene. Betroffene Frauen und ihre Familien müssen vorübergehend oder dauerhaft neue Aufgabenverteilungen vornehmen und gewohnte Rollen verändern. Auch die materiellen Lebensgrundlagen können durch die Erkrankung drastisch verändert werden. Diese Veränderungen erfordern Anpassungsprozesse, die bis an die Grenzen der Belastbarkeit der Frauen und ihrer Familien gehen können. Manchmal zerbrechen daran Beziehungen – oder aber sie werden enger. Für manche Frauen ist ihre Krebserkrankung Anlass, ihr Leben neu zu ordnen und anders zu gestalten. Die psychosozialen und psychoonkologischen Helfer müssen Patientinnen und ihr soziales Umfeld bei diesem Prozess unterstützen. Die von den Frauen am häufigsten gestellte Frage ist, wie die Angst, die vom Zeitpunkt des Knotenverdachts an zum Wegbegleiter wird, gemindert oder erträglich gemacht werden kann. Eine weitere wichtige Frage ist die nach dem eigenen Wert, das heißt, ob und wie die Erkrankung das eigene Bild und das Selbstwertgefühl beschädigt oder verändert. Die Amputation der Brust kann die eigene Wertschätzung negativ beeinflussen. Die körperliche Versehrtheit kann die seelische Verletzung stei1 Frauenselbsthilfe nach Krebs Bundesverband e.V. 2 Mammazone – Frauen und Forschung gegen Brustkrebs e.V.
Einleitung
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gern und umgekehrt. Die Brust ist Symbol weiblicher Identität – beim Nähren und Trösten eines Kindes, in der Sexualität und Liebe. Wenn sich die Brust, dieser Ort der Geborgenheit, Ernährung und Lust, bösartig verändert, bleiben Selbstzweifel nur in den seltensten Fällen aus. Sich des eigenen Wertes wieder zu versichern, braucht Zeit und oft auch die Hilfe anderer. Ein wichtiges Thema für die betroffenen Frauen ist: Werden die Beziehungen zu Partnern, Familienangehörigen, Freunden, Nachbarn anders? Die Sexualität könnte sich verändern, sie könnte zum Problem oder aber auch zur Quelle von Zärtlichkeit und Nähe werden. Generell geht es in diesem Buch um Krankheitsbewältigung. Die Bewältigung oder Verarbeitung von Brustkrebs findet nicht bei allen Frauen statt. Frauen berichten von einer veränderten Sichtweise, von Erfahrungen, die auch das künftige Leben prägen. Eine nicht geringe Anzahl von Frauen sieht die Erkrankung auch als Chance, ihr Leben neu und schöner zu gestalten, so widersinnig dies auf den ersten Blick auch klingen mag. Menschen haben die wunderbare Fähigkeit, Dinge, die sie nicht ändern können, in ihre Biographie zu integrieren oder ihnen Sinn zuzuschreiben. Auch das macht einen Teil des Anpassungsprozesses aus. Dass jede Frau ihren ureigenen Weg im Prozess der Anpassung an die Krankheit finden muss, ist inzwischen zur Binsenweisheit geworden. Allerdings lassen sich Faktoren nennen, die diesen Weg beeinflussen. An erster Stelle stehen sicherlich das Ausmaß und die Beeinträchtigungen durch die Erkrankung. Für die seelische Verarbeitung ist es nicht gleichgültig, ob die Ärzte von einer Heilungsmöglichkeit ausgehen oder ob von Beginn an nur die Linderung der Beschwerden in Aussicht gestellt wird. Die Vernachlässigung dieses Aspekts hat in den 1970er Jahren die falsche Theorie der »Krebspersönlichkeit« in der wissenschaftlichen Literatur hervorgebracht. Inzwischen haben methodisch bessere Untersuchungen die Vorstellung von einer »Krebspersönlichkeit« widerlegt und damit Betroffene von dem indirekten Vorwurf entlastet, sie seien selbst verantwortlich für ihre Krankheit.
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Einleitung
Der eigene Lebensweg, die Erfahrungen mit Krisen, deren Meistern oder Versagen in der Vergangenheit bestimmen, welche Kräfte zur Bewältigung des Brustkrebses mobilisiert werden können. Auch die Lebensumstände beim Beginn der Erkrankung sind für die Bewältigung von großer Bedeutung: die Sicherheit, Qualität und Verlässlichkeit der Beziehungen im privaten und beruflichen Bereich während Krisen und Phasen der Angst und Unsicherheit.
Kapitel 1: Ängste
Die Angst wandelt sich Jede Krebsdiagnose, unabhängig von der tatsächlichen Schwere der Erkrankung und der Prognose, führt zu einer existentiellen Verunsicherung. Das Faktum der Sterblichkeit, das natürlich für jeden gilt, wird für die Betroffenen spürbar. Angst ist das zentrale Thema, mit dem Patientinnen, Partner und Familien umgehen müssen. Angst kann unterschiedlich ausgeprägt sein und die Betroffenen in unterschiedlicher Weise beeinträchtigen. Alle Menschen wissen, wie sich die eine oder andere Form der Angst anfühlt. Allerdings ist ein ganz bestimmtes Maß an Angst nur begrenzt nachvollziehbar. Wie sich Todesangst tatsächlich anfühlt, wissen nur Menschen, die sie erlebt haben. Angst kann so beherrschend sein, vor allem wenn gerade erst die Diagnose der Krebserkrankung gestellt wurde, dass Frauen fürchten, verrückt zu werden und die Kontrolle in dem Chaos der Gefühle zu verlieren. Hat eine Frau zusätzlich ungelöste Konflikte, die sie nicht selbst oder mit Hilfer einer Psychotherapie verarbeitet hat, kann eine posttraumatische Belastungsstörung als Reaktion auf die Krebsdiagnose sofort oder Jahre später auftreten. Diese Frauen leiden unter extremen Ängsten, Schlafstörungen, Alpträumen, Episoden von psychoseähnlichen Zuständen und unerwarteten Erinnerungen an traumatische Situationen (Flashbacks). Diese Flashbacks werden durch assoziierte Erlebnisse provoziert (Trigger), welche die schrecklichen Ereignisse erneut ins Bewusstsein rufen. Die betroffenen Frauen können
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Kapitel 1: Ängste
ihre Erkrankung nicht ohne psychotherapeutische Hilfe bewältigen. Für jede Frau und ihre Familie ist die Diagnose Brustkrebs ein überwältigender Schock. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass mehr als die Hälfte aller Frauen mit Brustkrebs heute geheilt werden können. Bei Erkrankung im Frühstadium sind es sogar mehr als 90 Prozent. Die Diagnose löst unzählige Ängste aus – Angst vor der bevorstehenden Brustoperation, vor den Therapien mit ihren Nebenwirkungen und vor einem Leben, das nicht mehr wie vorher sein wird. Renate sagt dazu: »Es soll auch nicht mehr wie vorher sein. – Damals war es zu hektisch, ich lebte nur für andere und hatte keine Energie für mich selbst mehr. Jetzt versuche ich, mein Leben wieder zu ver-rücken und gut für mich hin-zu-stellen.« Angst kann so überwältigend sein, dass wichtige Entscheidungen erschwert werden, vor allem bezüglich der Therapiemöglichkeiten. Furchterregende Fragen tauchen auf: Warum habe ich Krebs bekommen? Was habe ich falsch gemacht? Wird mir der Arzt die ganze Wahrheit sagen? Will ich überhaupt die ganze Wahrheit wissen? Was bedeutet »die ganze Wahrheit«? Wie und wo bekomme ich die beste Behandlung? Wie viel meiner Brust wird entfernt? Wie werde ich die Nebenwirkungen der Therapie ertragen? Wie kann ich sicher sein, dass alles Bösartige entfernt worden ist? Werde ich vorzeitig altern? Hat der Krebs bereits gestreut? Wird meine Behandlung teuer? Kann ich meinen Kindern, der Familie, dem Partner helfen, meinen Krebs zu ertragen? Werden sie oder ich damit überfordert sein? Wird mein Lebenspartner zu mir halten oder mich verlassen? Werden mich meine Freunde unterstützen? Werde ich jemanden finden, der mich begleitet? Muss ich vorzeitig sterben? Trotz dieser Fragen entscheiden sich die Frauen und ihre Angehörigen in der Regel für die medizinisch erfolgversprechendste Behandlung, auch dann, wenn sie eine Brustamputation einschließt. Es gibt jedoch Frauen, für die eine Lebensbedrohung durch die Erkrankung nicht an erster Stelle steht, sondern die Beschädigung ihres Körpers. Eine Brustamputation
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kann dann als Vernichtung aufgefasst werden. Meist entschließen sich aber auch diese Frauen für den medizinisch indizierten Weg, wenn ihnen verständnisvolle Ärzte zur Seite stehen und ihnen bei der Überwindung des Schockzustands helfen. Selbstzweifel, Trauer und Wut werden für alle Betroffenen in unterschiedlicher Ausprägung spürbar. Frauen fühlen sich in ihrer weiblichen Identität bedroht. Jede Bedrohung der Identität geht mit Angst einher, ob sie gewünschtes, ungelebtes Leben versäumt haben, ob sie dies noch nachholen und erleben können. Vielleicht fragen sie sich, ob sie ihre eigene Identität bereits erkannt und erfahren haben, ob sie sie gelebt haben. Jetzt ist die Möglichkeit, darüber nachzudenken … Die Erkrankung führt zum Vertrauensverlust in den eigenen Körper, der eine Basis unseres Selbstwertgefühls bildet. Nichts ist mehr wie vorher. Die Kontrolle über das eigene Leben scheint gänzlich verloren gegangen zu sein. Angst ist eine normale Reaktion. Unter ungünstigen Umständen, vor allem dann, wenn die Umgebung mit dramatisierendem Verhalten und Zeitdruck reagiert, kann sich die Angst zur Panik steigern. Nach dem Diagnoseschock folgt eine Zeit, die von den Bedingungen der medizinischen Behandlung bestimmt wird. Mit dem Arzt zusammen muss eine Entscheidung über das weitere Vorgehen getroffen werden. Eventuell stehen weitere Untersuchungen an und konkrete Vorbereitungen sind für den Krankenhausaufenthalt zu treffen. In der Zeitspanne zwischen Ahnung und Diagnosemitteilung ist die Angst oft überwältigend. Danach erleichtert die Tatsache, dass gehandelt werden muss, den Umgang mit der Angst. Etwas tun können wirkt der Lähmung durch die Angst entgegen und lenkt ab. Eine realistischere Einschätzung der Erkrankung und deren Prognose, zu der in erster Linie der behandelnde Arzt beiträgt, stärkt die Hoffnung in die Behandlung und mindert die Angst. Eindeutige und übereinstimmende Therapieempfehlungen sind für diese Frauen eine große Hilfe. Leider zeigen die Erfahrungsberichte, dass die übermittelten Informationen sich von Arzt zu Arzt immer noch unterscheiden und zur Quelle weiterer Unsicherheit werden. Nicht selten
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kommentieren Frauen diese Tatsache mit: »Drei Ärzte, vier Meinungen«. Die empfohlene Zweitmeinung kann eine wichtige Hilfe sein, Dritt- und Viertmeinungen dienen jedoch nicht der Klärung, sondern steigern Unsicherheit. Zumindest zeitweise stehen konkrete Ängste im Vordergrund, die sich auf die Therapie beziehen können. Unbekannte medizinischen Maßnahmen, fremde Menschen im Krankenhaus, von denen man abhängig ist, eine Fachsprache, die nicht leicht zu verstehen ist, all das verbreitet Furcht. Wenn die Operation am Anfang steht, wird natürlich nach dem Ausmaß und den Auswirkungen gefragt. Aus Sicht der Laien sind die operativen Eingriffe unheimlich, gefährlich und vor allem der Ausgang wird gefürchtet: Wie sehe ich danach aus? Einige Frauen haben Angst vor der Narkose, ausgeliefert zu sein und nicht mehr aufzuwachen. Diese Angst ist nachvollziehbar, die Nikolaus Gerdes den »Sturz aus der normalen Wirklichkeit« genannt hat. Dieser Sturz geht weiter: nach der Operation ein Verband, der die Narbe verdeckt, vorsichtiges Abtasten, um sich der Veränderung oder auch Nicht-Veränderung zu versichern. Drainagen (Schläuche aus der Wunde) und Schmerzen durch die Operation, die durch Schmerzmittel beseitigt werden können, deutliche Bewegungseinschränkungen durch Entfernung von Achsellymphknoten, Angst vor Bewegungen und Angst davor, die Drainagen durch Bewegungen herauszureißen. Fast alle Brustkrebspatientinnen sind nach der Operation erleichtert, eine wichtige Hürde genommen zu haben. Das »Bösartige, Zerstörerische« wurde entfernt. Die Unsicherheit in der postoperativen Phase kann durch einfühlsamen Umgang durch das Klinikpersonal genommen werden. Viele Frauen sind überrascht, wie schnell die körperliche Gesundung nach dem als so tiefgreifend empfundenen Eingriff erfolgt. Dann steigt der Angstpegel wieder an, weil das Warten auf den histologischen Befund (das Ergebnis der Gewebeuntersuchung) in den Mittelpunkt rückt. Unsicherheit und Warten schüren Angst, und Frauen beschreiben die Wartezeit bis zum endgültigen Befund als besonders belastend. Maria, 38 Jahre, beschreibt diese Wartezeit: »Mein Kopf war blockiert durch dieses angstvolle
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Warten. Ich war wie gelähmt, ich funktionierte nicht mehr, als ob ich außer mir stand.« Von dem Ergebnis wird die weitere Behandlung abhängig gemacht, obwohl viele Frauen auch schon vor der Operation wissen, ob sie bestrahlt werden müssen (obligatorisch bei brusterhaltendem Vorgehen) und/oder ob eine Chemotherapie in Erwägung gezogen wird. Nach der Befundmitteilung und der Erklärung der weiteren Therapie geht es um die Frage, wie die Therapie vertragen wird, wie der Alltag organisiert werden kann (mit den Belastungs- und Bewegungseinschränkungen), und auch um die Frage, was die Betroffene selbst für die Gesundung tun kann. Am Beginn des Krankenhausaufenthalts wissen viele Frauen nicht, was sie fragen könnten. Alles ist in höchstem Maß verwirrend und das eigene Denken scheint durch die Angst eingeschränkt. Am Ende des stationären Aufenthalts, vor der adjuvanten (»unterstützenden«) Therapie, wird das Informationsbedürfnis besonders hoch, wie zahlreiche Befragungen gezeigt haben. Neben konkreten Handlungsvorschlägen in Bezug auf Bewegung, Belastung, Vorbeugung eines Lymphödems, um nur einige wichtige Beispiele zu nennen, sollte spätestens hier auch eine sozialrechtliche Beratung erfolgen. Diese Beratung kann für Frauen wichtig sein, die in einem Arbeitsverhältnis stehen und um ihren Arbeitsplatz fürchten. Auch der Hinweis auf die Möglichkeit einer Rehabilitationsmaßnahme nach Abschluss der Behandlungsphase kann helfen, Perspektiven zu entwickeln, die über den belastenden Therapiezeitraum hinaus reichen. Auf dem Hintergrund der Verunsicherung wirkt all das, was fremd ist, zusätzlich angststeigernd. Dazu gehört auch die Verlegung auf eine neue Station mit neuen Ärzten und neuem Pflegepersonal und unbekannten medizinischen Prozeduren. Das gilt insbesondere für die erste Chemotherapie und die erste Bestrahlung. Wenn das Vorgehen bekannt ist, wenn Erfahrungen vorliegen und der Ablauf berechenbarer ist, wirkt das angstmindernd. Die so genannte adjuvante Therapie umfasst radiotherapeutische, chemotherapeutische und hormonelle Maßnahmen, al-
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lein oder in Kombination. Chemotherapien sind trotz aller Informationen für die meisten Frauen beängstigend. Einerseits werden die Maßnahmen als eine Art »Lebensversicherung« betrachtet, andererseits werden die Nebenwirkungen – in erster Linie Haarausfall und Übelkeit – gefürchtet. Schwierig ist der Widerspruch einer Therapie, die der Heilung dienen soll, aber gleichzeitig dazu führt, dass sich Frauen »kränker« fühlen. Die Hormontherapie geht über einen Zeitraum von fünf Jahren. Sie kann, wie auch die Chemotherapie, zu Wechseljahrbeschwerden führen. Rund 70 Prozent der behandelten Frauen kommen durch die Therapie vorzeitig in die Wechseljahre. Angst kann sich in körperlichen Reaktionen ausdrücken. Viele werden durch innere Anspannung und Unruhe am Schlafen gehindert, undefinierbare Schmerzreaktionen können auftreten, Engegefühle, das Gefühl, nicht frei atmen zu können. Zittern, Herzrasen, Herzschmerzen, Schweißausbrüche, aber auch Frieren und kalte Hände können Anzeichen von Angst sein. Häufig besteht auch Appetitlosigkeit: »Alles steht einem bis zum Hals«, »nimmt die Luft zum Atmen« oder »schnürt die Kehle zu«. Während der adjuvanten Therapiephase stehen die Alltagsbelastungen im Vordergrund. Die Beendigung der Therapie wird herbeigesehnt, ist aber gleichzeitig ein kritischer Zeitpunkt, da jetzt nicht mehr medizinische Erfordernisse den Alltag bestimmen. Meist ist die Gefühlslage durch widersprüchliche Empfindungen zwischen Erleichterung, Unsicherheit und Angst bestimmt. Überlegungen, ob eine Rehabilitationsmaßnahme sinnvoll ist, stehen an. Neben der Sorge, den Alltagsbelastungen gewachsen zu sein, schiebt sich die Frage in den Vordergrund: Bin ich jetzt geheilt? Ängste vor einem Rezidiv (Rückfall) sind lange Zeit Wegbegleiter, sie nehmen laut verschiedenen Untersuchungen in den ersten Jahren zu. Besonders kritische Zeitpunkte sind die jeweiligen Nachsorgeuntersuchungen. Die Konfrontation mit Angst ist dann besonders ausgeprägt, und alle betroffenen Frauen warten mit Bangen auf das Resultat. Im Lauf der Zeit, und mit größer werdendem Abstand zum Erkrankungszeitpunkt, tritt die Angst in den Hintergrund und die Sicherheit wird größer. Frauen beschreiben, dass
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wieder Normalität einkehrt. Nur dann, wenn andere Frauen erneut erkranken, zum Beispiel im Rahmen der Nachsorge, wird Angst kurzfristig wieder zum beherrschenden Thema. Frauen, die nach einer Brustkrebserkrankung gesund bleiben, unterscheiden sich in ihrer seelischen Stabilität nicht von gesunden Vergleichsgruppen! Eine Minderheit klagt über psychische Beschwerden, vor allem über Angstzustände. Andere Frauen sind Kämpferinnen gegen den Krebs. Die eigene Stärke ist gewachsen durch überstandene Belastungen. Wie sich Ängste verändern, hängt nicht zuletzt auch vom Krankheitsverlauf ab. Einige Frauen, die vermutlich nicht geheilt werden können, die Metastasen entwickelt haben, müssen von diesem Zeitpunkt an mit der schweren Prognose zurechtkommen, dass die Erkrankung zum Tod führen kann. Die DDR-Schriftstellerin Maxie Wander hat das in ihrem Buch »Leben wär’ eine prima Alternative« (1980) mit dem Satz beschrieben: »Es ist, als würde man mit seinem Mörder in einem Zimmer sein.« Frauen, die ein Rezidiv erleiden, erfahren erneut die Angstgefühle aus der Diagnosezeit; am Anfang eher mit verstärkter Intensität. Das Rezidiv wird als Versagen der Therapie gewertet, und etwa die Hälfte der Frauen macht für das Wiederauftreten des Krebses Stress verantwortlich. Metastatisierender Brustkrebs ist zurzeit noch nicht heilbar. Die Therapie dient der Lebensverlängerung und der Minderung von Beschwerden. Deswegen sollte die Behandlung gut verträglich sein und die Lebensqualität höchste Priorität haben. Allerdings nimmt ein Teil dieser Frauen – in der Hoffung auf Besserung – aggressive Therapien auf sich, denen eine potentiell kurative Wirkung zugeschrieben wird. Das scheint die einzige Möglichkeit, die unkontrollierbaren Ängste zu bannen, und erfüllt das psychologische Bedürfnis nach eigener Kontrolle. Dieser Zeitpunkt ist für die Frauen und die Behandelnden außerordentlich schwierig. Die Heilungshoffnung aufzugeben heißt, sich mit seiner Sterblichkeit auseinanderzusetzen – eine schwierigere Lebenssituation ist kaum vorstellbar, ihre Bewältigung jedoch sehr wichtig, weil das Verdrängen unendlich viel Kraft kostet; Kraft und Energie, die für das Leben gebraucht
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werden. Die meisten Frauen, die sich dazu geäußert haben, fürchten nicht so sehr den Tod, sondern den Weg dorthin. Krebserkrankung als Metapher des Todes wird immer noch assoziiert mit Siechtum, Abhängigkeit, Schmerzen und sozialer Isolation. Das muss nicht so sein, dafür stehen viele Aussagen von betroffenen Frauen. Einige dieser Aussagen sind hier zusammengetragen.
Frauen sprechen über ihre Ängste Im Folgenden sind Aussagen von Frauen gesammelt, die über ihre Ängste, aber auch darüber sprechen, wie sie diesen Ängsten begegnen. Ich bin gerannt jahrelang dem Krebs davongerannt nun hat die Angst mich eingeholt. Renate Dingler
Renate ist 52 Jahre alt. Sie ist vor acht Jahren an Brustkrebs erkrankt, nach einer doppelseitigen Mastektomie (Brustamputation) wurde ein Silikonbrustaufbau durchgeführt. Sie sagt: »Der Krebs hat mir Freiheit und Raum gegeben. Mein Problem war zunächst, aus meinen alten Verhaltensmustern herauszukommen. Heute bin ich erneut zur Nachsorgeuntersuchung gewesen – sogar mit Knochenszintigramm. Es ist alles in Ordnung! Durch meinen Krebs haben sich viele Türen in meinem Leben geöffnet, und ich hoffe, dass es so weiter geht und dass für Angst kein Raum bleibt. Durch meine Brustkrebserkrankung bin ich zum ersten Mal in meinem Leben unsicher, ob mein bisheriger Weg der richtige war. Ich war immer gewohnt, schnurstracks geradeaus zu gehen. Es ist keine echte Angst, aber eine Unsicherheit. Ich gehe wieder nackt in die Sauna und schaue, dass es mir je-
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den Tag gut geht. Ich nehme jeden Tag als eine besondere Gabe. Meine früheren Ängste bestimmen nicht mehr mein Leben. Der Tod und die Beschäftigung mit dem Sterben sind für mich eine große Hilfe gewesen. Ich genieße jeden Tag und habe keine Erwartungen an die Zukunft. Ich habe den Tod meiner Mutter immer noch nicht verarbeitet, und ich glaube, das war ein Auslöser meiner Krebserkrankung. Mir hat meine Arbeit im Hospiz, die Begleitung Sterbender, geholfen, meine eigene Sterblichkeit zu begreifen. Ich betrauerte den Tod meines Vaters, aber diese Trauer hat mich nicht aus der Bahn geworfen. Ich möchte in der Bewältigung meiner Erkrankung einen Schritt nach dem anderen gehen. Ich glaube, Malen ist dabei hilfreich. Durch Farbe kann ich mich ausdrücken, auch durch Schreiben. Oftmals fehlen mir die Worte. Darüber reden ist wichtig, um einer Isolation zu entgehen. Denn auch die Besorgnis und die Ängste der anderen sollten verstanden werden. Für mich ist der Weg das Ziel. Der Krebs hat mir neue Möglichkeiten eröffnet. Vorher bestand mein Leben zu 80 Prozent aus Beruf und nur zu 20 Prozent aus Privatleben. Die Krebserkrankung hat mir mehr Freiheit gegeben. Wir sind eine schweigende Familie. Mein Bruder ist ziemlich hilflos gewesen. Er hat meine Erkrankung als persönliche Kränkung empfunden. Angst habe ich kaum. Ich kann das, was ich spüre, nicht als Angst bezeichnen. Als ich im Krankenhausbett lag, sagte ich mir: So, jetzt geht alles aufwärts. Ich habe damals mit meiner Freundin gebetsmühlenartig alles besprochen. In der Familie habe ich leider bereits Bekanntschaft mit Krebs gemacht. Plötzlich wusste ich: Mein Leben beginnt jetzt! Ich habe erst Angst gespürt, die mit Hilflosigkeit gepaart war, als ich in die Praxis zum CT musste, weil meine Leber angeblich vergrößert war. Ich war wütend und traurig zugleich. Was in der Praxis abgelaufen ist, war menschenverachtend. Mir wurde überhaupt nicht zugehört noch wurden mir meine Fragen beantwortet. Ich beschäftige mich viel mit dem Älterwerden. Ich kann auf neun rezidivfreie Jahre zurückblicken. Ich habe Sorge, dass ich im Alter eingeschränkt sein könnte. Es geht wieder ums Abschiednehmen und
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Loslassen. Das ist ein Thema der Hilflosigkeit. Manchmal sage ich: So. Das hast du jetzt zum letzten Mal getan. Je älter man wird, desto mehr geht es um Abschiednehmen und Verluste. Eine Möglichkeit ist, belastende Dinge aufzuschreiben und anschließend zu begraben. Wichtig ist es, die Angst herauszulassen, egal wie. Angst muss formuliert werden. Die Arbeit im Hospiz hat mir dabei sehr geholfen. Auch wenn ich allein bin, sollte meine Angst verbalisiert werden. Eine begleitende Psychotherapie ist für mich dabei äußerst hilfreich. Meine Strategie, in solchen Situationen ist, wenn Freundinnen oder andere Frauen an Brustkrebs sterben, mir klar zu machen, dass das nicht mein Krebs ist – bei aller Anteilnahme. Ich muss das immer wieder neu üben. Trotz aller Mitgefühlsgebärden bleibt jeder tiefe Schmerz ein Eremit auf Erden. Mitgefühl haben, ja, aber ich nehme den Schmerz den Betroffenen nicht weg. Ich setze meine Kreativität ein und male oder schreibe, bevor die Ängste so mächtig werden, dass sie mich lähmen. Auch hilft es mir, die ganze Trauer, Wut und Angst herauszulassen, zu schreien und zu treten, denn der Krebs hat uns auch nicht sanft behandelt. Ich weiß, dass die Zeit begrenzt ist, und versuche, den Augenblick zu genießen. Ich habe gerade erfahren, wie anstrengend das sein kann, denn es besteht bei mir der Verdacht auf Metastasen im Bereich der Wirbelsäule. Die Ärzte sind sich nicht sicher, ob es eine gut- oder bösartige Veränderung ist. Das Ganze hat mich sehr viel Kraft gekostet. Ich musste mich wieder in den Augenblick, in das Hier und Jetzt, zurückbringen, um Ruhe zu finden und meine Ängste zu bewältigen. Obwohl ich mit dem Wort ›Angst‹ Probleme habe; es ist nicht das richtige Wort für mich. Vielleicht wäre ›Trauer‹ passender. Trauer, weil mir durch die Krebserkrankung vor Augen geführt wird, wie schnell mein Leben ein Ende haben kann.«
Astrid ist 48 Jahre. Sie ist in zweiter Ehe verheiratet und hat drei Töchter. Die Erstdiagnose Brustkrebs erfolgte vor einem Jahr. Eine Brustamputation und nachfolgende Therapien (Chemotherapie und Bestrahlung), die jetzt beendet sind, schlossen sich an.
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»Ich fühle mich im Moment entwurzelt und habe jetzt, da die Therapie beendet ist, verstärkte Ängste. Ich bin in ein Loch gefallen. Mir fehlt die tägliche Disziplin, in die Klinik gehen zu müssen. Jetzt fühle ich mich allein gelassen. Ich bin auf einer Stufe stehen geblieben, und ich traue mich nicht, die nächste zu erklimmen. Es ist die Kraft der Angst, die mich nach unten zieht. Ich möchte lernen, mit meinen Ängsten umzugehen, mich mit meiner Krankheit auseinanderzusetzen und in einen besseren Gemütszustand zu kommen. Ich hoffe, dass ich das schaffe.«
Maria ist 33 Jahre alt. Der Krebsknoten wurde vor zwei Monaten brusterhaltend entfernt. »Ich lebe allein und habe keine Kinder. Ich bin verunsichert, und fürchte mich vor der weiteren Therapie. Ich weiß nicht, ob ich mich bestrahlen lassen soll, ob Hormontherapie oder nicht. Eigentlich möchte ich nichts mehr mit meinem Körper geschehen lassen. Mit sehr viel Widerwillen habe ich mich jetzt zu einer Strahlentherapie durchgerungen.« Ursula ist 32 Jahre alt. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder, sieben und zehn Jahren alt. Ihre Brust ist vor drei Jahren entfernt worden. Zusätzlich bekam sie eine Chemo- und Strahlentherapie. »Ich spüre eine Zerrissenheit und eine starke Verunsicherung und sehe für mich im Moment keine Zukunftsperspektive. Vielleicht brauche ich eine Einzeltherapie als Begleitung. Ich habe Angst, wie die Zukunft aussieht. Ich möchte mit meiner Angst positiver umgehen lernen und sie verstehen können. Es kostet zuviel Energie, mich anderen gegenüber erklären zu müssen. Ich habe starke Angst vor jeder Nachsorgeuntersuchung. Jetzt ist gerade eine überstanden, und meine Angst ist weniger geworden. Unterschwellig warte ich darauf, dass meine Krankheit fortschreitet. Durch meine tiefsitzende Angst habe ich im ganzen letzten Jahr kein Buch über Brustkrebs in die Hand genommen. Ich müsste meine Angst anschauen, ob sie realistisch ist. Ich versuche, viel zu verdrängen. Selbst wenn meine Freundinnen anrufen, spreche ich nicht über meinen Krebs. Das ist
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zurzeit für mich am leichtesten. Wenn ich über meine Ängste spreche, treffe ich auf Fassungslosigkeit meines Gegenübers. Ich verwende gern das Beispiel des Wasserglases, das entweder halb voll oder halb leer ist. Jeden Schluck davon zu genießen, das kann ich nicht immer schaffen. Ich neige eher dazu, das Glas als halb leer anzusehen. Das Wiederkehren des Krebses bei einer Frau aus der Selbsthilfegruppe hat mich sehr belastet. Meine Angst ist dann nach wie vor so präsent, dass sie mich gefangen nimmt. Das erschreckt mich sehr. Aber wie heißt die Angst? Wie sieht sie aus? Wüsste ich das, könnte ich sie besser ertragen. Wie Renate, sollte ich eher von Trauer als von Angst sprechen.«
Judith ist 49 Jahre alt. Zuerst hatte sie eine brusterhaltende Operation, nach einem Narbenrezidiv wurde dann die Amputation vorgenommen. Sie berichtet, sie schlafe ganz gut ein, der Schlaf sei jedoch gestört und irgendwann komme sie wieder bei der Angst an. »Meine Angst wächst bis zum Morgengrauen. Ich habe Angst, wieder ins Berufsleben zu treten. Ich glaube, mein Rezidiv hängt mit meinem Arbeitsbeginn zusammen, denn es kam drei Monate später. Damals wollte ich schnell wieder in mein altes Leben zurückkehren. Heute wäre es schön, einfach in den Tag hineinzuleben. Ich muss lernen, mich besser abzugrenzen, mich zu schützen. Vielleicht wird meine Angst dann weniger. Nein, Angst zu versagen, habe ich nicht. Ich wollte arbeiten, habe aber mein Ziel nicht erreicht. Ich hätte mir mehr Ruhe gönnen sollen. Ich möchte unbedingt wieder gesund und fit werden. Jetzt – nach dem Rezidiv – habe ich mein Leben umgestellt, und ich genieße es. Nach dem Rezidiv habe ich mich schneller erholt als beim Erstauftreten des Krebses. Ich kann nicht mehr unbeschwert sein. Wann werde ich das wieder lernen? Manchmal habe ich das Gefühl, alles ist nur schlecht. Meine Ängste wirbeln um mich rum. Ich habe ein tiefes Bedürfnis nach Freude. Ich wünsche mir, meine Ängste in den Griff zu bekommen und beruflich wieder Fuß zu fassen. Ich möchte meine zukünftige Therapie und mein Leben besser planen, aber die Ärzte unterstützen mich nicht. Sie
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sind sich nicht einig, ob mein Narbenrezidiv bestrahlt, ob ich nochmals Chemotherapie bekommen sollte oder ob dieses Rezidiv eine Metastase ist. Ich bin dadurch sehr verunsichert und zurückgeworfen, und das macht mir Angst. Vorher war ich zuversichtlicher und hoffte auf Heilung – bis zum Rezidiv. Ich habe immer diese tiefe Angst, und ich lebe und lache doch so gern. Die Ängste bringen mich auf eine traurige Ebene. Zurzeit schaffe ich sehr wenig. Ich kann es ganz schlecht annehmen, dass ich durch die Bestrahlung, die ich gerade durchmache, so müde werde. Ich versuche, die Angst zu verdrängen, indem ich schlafe oder mich ablenke. Gespräche über die Angst – insbesondere mit Betroffenen –, aber auch mit Fachpersonal waren für mich hilfreich. Auch das Angerufen-Werden, nicht nur das Anrufen-Müssen, ist eine große Bereicherung. In meiner ganz schlimmen Zeit wurde ich fast täglich angerufen und bekam auch E-Mails geschickt. Besuche haben mir gut getan. Seit meinem Brustkrebs bin ich anders geworden. In Gruppen von Menschen, die keinen Krebs haben, fühle ich mich nicht so gut wie unter Betroffenen. Die Einstellung ›Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden‹ gelingt mir selten, aber ich denke oft daran. Ich weiß, es ist eine hohe Erwartungshaltung. Es geht mir zurzeit gut. Durch die Neuerkrankung einer Freundin bin ich aber sehr belastet, und meine Ängste kommen wieder. Ich leide mit ihr, denn sie hat ihre Mutter und ihre Schwester durch Brustkrebs verloren. Die Angst, die bei mir wieder durch die Neuerkrankung einer der Frauen aus der Selbsthilfegruppe auftritt, werde ich manchmal durch Schreien los. Lautes Schreien, besonders im Wald, tut mir immer gut.«
Sonja ist 39 Jahre alt, ist verheiratet und hat eine 18-jährige Tochter. Der Knoten wurde 1991 entdeckt, brusterhaltend entfernt, bestrahlt, und sie bekam eine Chemotherapie, weil fünf Lymphknoten befallen waren. Elf Jahre lang ging es ihr gut, dann wurden Knochenmetastasen entdeckt. »Ich habe jetzt mehr Ängste denn je. Zurzeit versuche ich, eine stufenweise Wiedereingliederung in mein Berufsleben. Ich weiß jedoch nicht, wie ich das alles bewerkstelligen soll. Bis zur
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Entdeckung der Metastasen habe ich mich frei und unbeschwert wie ein Vogel gefühlt. Ich habe entschieden, dass ich weniger arbeiten werde. Es fällt mir schwer, aus meinem alten Verhaltensmuster herauszukommen. Wenn ich meine Arbeit abgebe oder delegiere, bekomme ich Angst, dass ich nutzlos bin. Schon jetzt komme ich mir vor wie ein Schulschwänzer. Langsam lerne ich, meine freie Zeit besser zu genießen. Ich bin Rosenmontag zum Umzug nach Mainz gefahren. Das hatte ich mir schon immer gewünscht. Meine Angst ist wie ein riesiger dicker Knoten in meinem Bauch, der mich einengt und alles schwer macht. Befreiend ist es, wenn ich an die frische Luft gehe. Die Angst kommt oft nachts. Im Sommer lege ich mich in die Hängematte. Jetzt sitze ich im Schlafsack vor dem Fenster, wenn die Ängste zu stark werden. Der Blick in die weite Natur beruhigt.«
Franziska ist 46 Jahre alt, ihr wurde die rechte Brust vor drei Jahren auf ihren Wunsch entfernt, obwohl der Knoten sehr klein war. »So fühlte ich mich sicherer. Eine soziale Angst sitzt mir im Nacken. Ich arbeite gern, und eine Rente brauche ich als Sicherheit. Der Tod ist für mich noch kein Thema. Vielleicht, wenn irgendwann ein Rezidiv aufträte, würde ich darüber nachdenken. Der Tod ist noch meilenweit von mir entfernt. Es gibt sogar Tage, wo ich überhaupt nicht an den Krebs denke. Ich leide immer noch an den unterschiedlichen ärztlichen Meinungen in Bezug auf eine nachfolgende Therapie. Der Zeitpunkt für eine Chemotherapie wurde verpasst, weil die entscheidenden Arztbriefe zu spät geschrieben wurden. Ich war wütend und habe mich beim Arzt beschwert – ohne Erfolg. Ich wurde als hysterische und schwierige Patientin abgestempelt. Sollte ich einfach resignieren? Nein!« Karla ist 48 Jahre alt und vor zwei Jahren brusterhaltend operiert worden. Anschließend bekam sie eine Strahlen- und Hormontherapie. »Ich habe mit Tamoxifen angefangen und bin jetzt auf Arimi-
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dex umgestiegen. Meine Ängste sind weniger geworden, nachdem ich mich selber wichtiger nehme und mich als gestandene, eigenständige – auch eigensinnige – Frau betrachte.«
Frieda ist 49 Jahre alt. Ihr wurde vor sechs Jahren ein Teil der linken Brust entfernt. Dann Nachresektion (eine weitere operative Entfernung eines Brustteils) und zehn Tage später die Brustamputation, da mehrere kleine Tumore (multifokal) gefunden wurden. »Ich liebe Techno-Musik und möchte auch Tango-Tanzen lernen, denn bei all diesen rhythmischen Bewegungen hat die Angst keinen Raum. Gegen die Ängste hilft mir auch das Meditieren. Ich habe dabei das Gefühl, die Zeit steht still. Ein Hauch von Ewigkeit wird spürbar. So etwas zu erleben, hat eine besondere Qualität.« Dagmar, 70 Jahre alt, hatte eine einseitige Mastektomie vor vier Jahren. Ihre Neuerkrankung wurde bei der Nachsorge entdeckt. »Bei der Mammographie wurde festgestellt, dass die andere Brust auch betroffen ist. Mir helfen positive Erinnerungen an schöne Urlaubsplätze. Ich habe jetzt dreimal im Jahr Geburtstag und habe mein Leben positiv verändert. Ich bin sehr gläubig, und bei der Osterpredigt habe ich auch meine eigene Auferstehung gefeiert, meinen Geburtstag und die Daten der ersten und zweiten Krebserkrankung. Meine Erschöpfung kommt auch dadurch, dass die Angst meine Energien verbraucht und für mich selbst nichts übrig bleibt. Ich denke an die Worte einer anderen Patientin: ›… weil das Verdrängte meine Kraft aufbraucht, ich sie zum Leben brauche!‹« Conny ist 31 Jahre alt. Sie hatte eine Mastektomie wegen mehrerer Knoten in der rechten Brust, anschließend Bestrahlung und Chemotherapie wegen Lymphknotenbefall. Aufgrund ihres Haarausfalls hat sie eine buntgestrickte Kappe aufgesetzt, die ihr ausgezeichnet steht. Sie sagt: »Ich erhoffe mir Hilfe beim Abbau meiner Ängste. Anfänglich konnte ich meinen Brustkrebs nicht realisieren. Jetzt möchte ich hinsehen, was ich für mich
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tun kann. Ich grübele im Moment viel und habe Gedanken über Heilung, Leben und Tod. Es hat schon andere Phasen gegeben, wo es mir besser ging. Ich finde die Arbeit sehr anstrengend, und ich fühle, dass ich weniger schaffe als vor meiner Erkrankung. Außer der Arbeit bleibt kein Raum für mich persönlich. Ich müsste meine Arbeit reduzieren, um mehr Freizeit zu genießen. Das geht jedoch finanziell nicht, denn mein Mann ist arbeitslos. Als ich eine Woche Urlaub hatte, brauchte ich nicht so viel zu grübeln, und meine negativen Gedanken gingen zurück. Ich brauche Zeit zur Regeneration. Ich schaffe es jetzt, in meinem ungepflegten Garten den ganzen Tag zu sitzen und Tee zu trinken, früher musste er in Ordnung sein. Das Unkraut ist mir jetzt gleichgültig.«
Ilse ist 66 Jahre alt. Bei ihr wurde vor zweieinhalb Jahren eine Mastektomie auf ihren Wunsch durchgeführt, »um sicher zu gehen«. Der Operation folgte eine Hormontherapie. Acht Lymphknoten waren betroffen. »Ich lebe jetzt und bin dankbar für jeden Tag. Freude und Leid kommen wie der Wind. Ich habe über Tod und Sterben nachgedacht. Es ist auch kürzlich jemand aus meinem Freundeskreis verstorben. Ein norwegischer Spruch fiel mir ein: ›Ich möchte in meinen Schuhen sterben.‹ Ich habe einen Horror vor einem qualvollen Tod. Ich habe noch nie ein längeres Siechtum miterlebt. Der Tod ist in meiner Familie immer eher unverhofft eingetreten. Dadurch ist kein Abschiednehmen möglich gewesen. Ich werde zwei- bis dreimal nachts wach, auch weil ich durch die Nebenwirkungen des Tamoxifens sehr schwitze, und die Ängste steigen hoch und höher. Ich denke dann an meine kleine süße Enkeltochter und kann wieder einschlafen. Ich versuche zu lernen, dass die Angst nicht übermächtig wird. Ich weiß, sie gehört auch zum Leben. Ich habe inzwischen gelernt, mit der Ungewissheit zu leben. Ich habe nicht mehr so viel Angst vor der Angst.« Luise ist 30 Jahre alt, sie hat drei Kinder. Die Mastektomie war erforderlich, weil der Tumor beinahe so groß wie die Brust war. Chemotherapie erfolgte als Nachbehandlung.
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»Ich schaffe es oft nicht, im Augenblick zu leben. Von dem Zeitpunkt an, als die Histologie [mikroskopische Untersuchung] gezeigt hat, dass meine Lymphknoten befallen sind, ist meine Angst vor dem Sterben gewachsen. Die Angst hat mich gelähmt. In der letzten Zeit ist es mir etwas besser gegangen. Ich bin mit meiner Freundin am Meer gewesen und habe das bewusst genossen. Auch einen Karatekurs habe ich in Belgien mitgemacht sowie an einer Sufi-Meditation in der Natur an einem kleinen Bach teilgenommen. Eine Sufi-Weisheit, die ich seitdem lebe, lautet: ›Alle Weisheit dieser Welt lässt sich in zwei Zeilen sagen: Was für dich getan wird – lass es zu. Was du selber tun musst – sorge dafür, dass du es tust.‹ Zum Schluss dachte ich dann: Sterben könnte vielleicht sogar schön sein, alle Last fallen zu lassen, könnte befreiend sein. Dies hat mir dann, wenngleich es mir geholfen hat, dennoch Angst gemacht. Bei der Meditation kann ich gut in mich gehen. Ich habe Sehnsucht nach Liebe und Leben verspürt. Die Sehnsucht nach Leben macht mich aber gleichzeitig todtraurig. Aber langsam bekomme ich meine innere Zuversicht zurück, weil ich gelernt habe, mich auf mein Inneres zu konzentrieren und zu spüren, was ich mir Gutes tun kann.«
Jeanne ist 43 Jahre alt. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder. Vor drei Jahren wurde bei ihr eine Mastektomie mit einer axillaren Lymphknotenausräumung vorgenommen. »Ich fühle mich festgebunden. Ich werde meine Wut und meinen Zorn nicht los. Seit Wochen warte ich auf einen wichtigen Arztbrief über meine Diagnose. Es ist gut für mich gewesen, mir zu erlauben, einen langjährigen Freund, den ich 25 Jahre nicht gesehen habe, wiederzutreffen, um mit ihm gemeinsam eine Zeit am Strand zu verbringen. Wenn ich morgens um vier Uhr wach werde, meditiere ich – auch wenn ich nur meinen Atem spüre, komme ich wieder zur Ruhe.« Beatrix ist 50 Jahre alt, verheiratet, hat drei Kinder und vier Enkel. Sie lebt seit 16 Jahren mit der Erkrankung. Vor zwölf Jahren sind erstmals Metastasen aufgetreten.
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»Angst habe ich, Angst verdränge ich. Wenn ich wieder von den Ärzten höre: ›Da sind Metastasen‹, dann steigt die Angst erneut hoch. Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich noch habe. Jetzt ist Ostern. Ich bete: ›Oh, Gott, schaffe ich denn noch Weihnachten?‹ Es hilft mir, wenn ich mich in ein Buch vertiefe, insbesondere das von Hildegard Knef: »Der geschenkte Gaul«, dann begreife ich erneut, dass Stahl, Strahl und Gifte erfolgreich gegen den Krebs angewandt wurden, und ich denke, was sie geschafft hat, das schaffe ich auch. Das gibt mir Kraft. Durch meinen Beruf als Arzthelferin bin ich immer realistisch mit meiner Erkrankung umgegangen. Du fragst, was ich anderen Frauen raten würde, wie sie mit ihren Ängsten umgehen können. Dazu kann ich keinen allgemeinen Rat geben, weil jeder andere Bewältigungsstrategien hat. Wichtig ist die Unterstützung durch die Familie. Wenn die ganze Familie mitträgt und über alles sprechen kann, ist das eine große Hilfe. Wenn aber der Partner sich zurückzieht und von der Krankheit nichts wissen will und der Freundeskreis tut, als ob einem nichts fehlt, dann ist das schlecht. Hilfreich ist es, wenn Familie und Freunde die Sorgen verstehen und nicht einfach fragen: ›Wie geht’s?‹, aber signalisieren, dass sie nichts hören möchten. Denn auch Freunde haben Angst – und Krebs als Metapher für den Tod ist ein Tabu –, immer noch werden diese schmerzhaften Themen verdrängt. Mein Mann, der auch mit der Angst lebt und denkt: ›Wie lange habe ich meine Frau noch? Wie lange kann ich die Ungewissheit und den Schmerz meiner Frau selbst noch ertragen?‹ Er könnte auch Unterstützung brauchen, weil es ihn viel Kraft kostet. Mein Mann ist stark, aber ich merke, dass er durch unsere Ängste beim Auftreten von neuen Metastasen manchmal am Ende seiner Kraft ist. Im August 2004 hatten wir beide erneut Angst, da aufgrund des Tumormarkeranstiegs Metastasen vermutet wurden. Wir entschlossen uns zu einer erneuten Chemotherapie, die jetzt beinahe zu Ende geht. Es wurden zum Glück keine Metastasen festgestellt. Oft verstehen wir nicht, was die Ärzte untereinander besprechen, und das mich behandelnde onkologische Team kommuniziert nicht genügend miteinander.
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Das verwirrt und ängstigt. Die Ärzte sollten einem genau erklären, was vor sich geht. Ein sehr unsensibler Onkologe meinte, da ich seit 16 Jahren mit dem Krebs lebe, solle ich mich doch zusammenreißen.«
Umgang mit Angst Ziel kann nicht sein, Ängste völlig zu beseitigen. Das, was zur normalen Lebenssituation dazugehört, kann nicht einfach verschwinden. Ziel kann sein, die Angst zu beherrschen, und nicht, sich von ihr beherrschen zu lassen. Angst kann zeitweilig verdrängt werden. Abwehren oder Verdrängen von Angst ist eine wichtige Schutzmaßnahme, zu der Menschen greifen, wenn die Bedrohung so groß ist, dass eine Bewältigung im Moment nicht möglich ist. Verdrängen ist nichts Negatives. Im Gegenteil, verdrängen kann hilfreich sein. Verdrängung gelingt jedoch nicht dauerhaft, da gerade in der Behandlungsphase eine erneute Konfrontation mit der Erkrankung unausweichlich ist. Ähnlich ist es mit Ablenkung, auch sie kann eine Hilfe sein. Niemand hält es aus, sich andauernd mit angstmachenden Gedanken und Gefühlen zu beschäftigen. Angst hat auch eine positive Funktion: Sie zwingt dazu, den Veränderungen ins Auge zu sehen, und sie kann zum Motor von Anpassungsprozessen werden, die wiederum Teil erfolgreicher Bewältigungsstrategien sein können. Angst zu bagatellisieren, ist nicht hilfreich – im Gegenteil, das wirkt sich auf lange Sicht ungünstig aus. Es gibt Wege, wie man mit der Angst umgehen und mit ihr leben kann. Konkrete Angst sollte angeschaut, angenommen und akzeptiert werden. Sie ist verständlich, sie ist eine normale Reaktion auf eine Bedrohung und keine Schwäche. Mit der Angst zu leben bedeutet, auf sie einzugehen, sich die Frage zu stellen: Wovor habe ich Angst? Zu unterschiedlichen Zeitpunkten treten im Krankheitsverlauf ganz unterschiedliche Ängste auf: – vor einem Rezidiv oder Metastasen,
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zur Belastung für die Familie zu werden, vor medizinisch notwendigen Maßnahmen, vor Verstümmelung, vor Abhängigkeit und Verlust der Kontrolle, vor Einschränkungen durch die Erkrankung, vor Verunsicherung im Selbstbild – Schamängste, vor familiären und sozialen Konsequenzen, vor den Nachsorgeterminen, vor Mitleid, vor sozialer Isolation, die Erkrankung könnte zum Tod führen.
Diese Liste ist sicher nicht vollständig, aber sie enthält die Ängste, die am häufigsten genannt werden. Es gibt keine »Psychotechniken«, um die Angst wegzuzaubern. Aber sie kann durch psychologische Unterstützung ausgehalten, relativiert und erträglich gestaltet werden. Angst kann zeitweise verdrängt werden, aber sie taucht wieder auf; manchmal dann, wenn es nicht erwartet wird, wenn alles überstanden ist, wenn man sich eigentlich wieder für gesund hält. Angst kann sich dann zu Wort melden, wenn es am wenigsten erwartet wird, und sich zum Beispiel in Panikattacken »Luft machen«. Es gibt Wege, wie mit der Angst gelebt werden kann. Das zeigt sich darin, dass Frauen im Verlauf der Erkrankung unterschiedliche Angstniveaus mitteilen. Die Angst muss bei einem Rezidiv oder einem Fortschreiten der Erkrankung nicht zwangsläufig höher sein. Den Frauen und Partnern bleibt letztlich gar nichts anderes übrig, als sich mit der Erkrankung »einzurichten«. In der Regel gelingt ihnen das auch, wenn Menschen nicht durch ihre psychosozialen und körperlichen Bedingungen auf Dauer überfordert sind. Schwierig ist, dass Angst ganz unterschiedliche Gesichter haben kann. Sie kann sich in Gefühlen wie Traurigkeit, Wut, Kälte, Schuld- und Schamgefühlen zeigen. Die Angst hinter diesen Masken muss erst erkannt werden, um damit umgehen
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zu können. Angst kann verborgen sein hinter anderen Gefühlen: Ärger und Wut sind vielleicht erträglicher als Angst. Angst kann auch hinter anderen Masken stecken: Gefühle von innerer Leere, Erstarrung oder Gefühllosigkeit, Rückzug und Desinteresse überwiegen. Oder negative Gedanken kreisen im Kopf herum. Selbstvorwürfe oder selbstschädigendes Verhalten können ebenfalls auf Angst hindeuten.
Angst akzeptieren und benennen Mit der Angst zu leben bedeutet, im ersten Schritt zu akzeptieren, dass Angst eine völlig angemessene und normale Reaktion ist und kein Zeichen von Schwäche. Es ist gut, diese Angst auszusprechen und zu versuchen, sich genauer anzuschauen, wovor man sich fürchtet. Manche Ängste, die sich auf medizinische Maßnahmen, auf Unsicherheiten bezüglich der zu erfolgenden Therapie beziehen, können durch ausführliche Information und durch Gespräche mit den behandelnden Ärzten zumindest verringert werden. Für etliche der gefürchteten Nebenwirkungen im Rahmen der Tumortherapie gibt es heute Linderungsmöglichkeiten. Allerdings sind die Frauen aufgefordert, selbst auf die Suche nach Abhilfe zu gehen, die sehr individuell gestaltet werden muss. Das Sprechen über Angst wirkt entlastend und kann ihre Bedrohlichkeit vermindern. Menschen fürchten, wenn sie über Angst sprechen, könnte sie erst recht »Gestalt« annehmen und schlimmer werden. Das Gegenteil ist der Fall. Ausnahmslos alle Selbsterfahrungsberichte betroffener Frauen legen davon Zeugnis ab. Annemarie Tausch, Psychotherapeutin und selbst an Brustkrebs erkrankt, war eine der ersten, die mit Erkrankten gearbeitet hat. Sie hat ihr bekanntes Buch »Gespräche gegen die Angst« (1987) genannt. An erster Stelle steht das Verbalisieren der Angst. Verbalisieren bedeutet auch Distanzierung und die Möglichkeit der gedanklichen Kontrolle. Diese Erfahrungen werden gestützt durch die neuen Erkenntnisse der Psychotrau-
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maforschung. Auch hier gilt, dass Bewältigung erst möglich wird, wenn die schrecklichen, traumatisierenden Erfahrungen in Worte gefasst werden können und damit als Teil der eigenen Biographie verstanden werden.
Kontrolle statt Hilflosigkeit Ein weiterer wichtiger Punkt beim Umgang mit Angst ist das Zurückgewinnen von Kontrolle. Je hilfloser sich jemand fühlt, desto überwältigender wird die Angst. Deswegen ist es so wichtig, in möglichst vielen Lebensbereichen Kontrolle zurückzugewinnen und wieder handlungsfähig zu werden, auch wenn es scheinbar nur Kleinigkeiten sind, über die wieder selbst entschieden werden kann. In diesem Zusammenhang muss betont werden, wie wichtig das Gespräch mit dem behandelnden Arzt ist; wie wichtig es ist, zu verstehen, was medizinisch/therapeutisch vorgeschlagen wird, um zustimmend und aktiv teilzunehmen. Dies geschieht durch das Einholen von Informationen. Wissen und Kenntnis über Behandlungsmöglichkeiten vermitteln das Gefühl, selbst auswählen und mitentscheiden zu können. Die Bedeutsamkeit dieses Aspekts haben zahlreiche Untersuchungen gezeigt: Nicht die Frage des Operationsverfahrens ist entscheidend für die spätere Beurteilung der Lebensqualität, sondern die Frage, ob die Frauen verstanden haben, warum welche Maßnahme notwendig ist, und vor allem, ob sie in die Entscheidung mit einbezogen wurden und damit einverstanden waren. Patientinnen und Partner haben das Recht zu fragen und so informiert zu werden, dass sie das Vorgehen verstehen können. Mitentscheiden-Können ist, neben Vertrauen in den behandelnden Arzt, der wichtigste Schutz vor überwältigenden Ängsten und Depressionen. Patientinnen und Partner sollten auch wissen, dass Angst dazu führen kann, regressiv zu reagieren. Das heißt, dass Menschen, die sich bedroht fühlen, zu ihrem psychischen Schutz auf kindliche Verhaltensweisen zurückgreifen. Das Denken
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wird magisch (irrational), Logik ist außer Kraft gesetzt, Handlungsfähigkeit kann begrenzt sein. Das Verhalten zeichnet sich durch Unselbständigkeit und Anklammern an andere aus. Dieses Verhalten kann den Partner zum entgegengesetzten Verhalten auffordern. Zeitweilig, in besonders ängstigenden Situationen, kann regressives Verhalten notwendig und eine wichtige Hilfe sein und der Partner (oder auch der behandelnde Arzt) nehmen ersatzweise die alleinige schützende, haltende, erwachsene Position ein. Die Gefahr besteht darin, in diesem regressiven Verhalten stecken zu bleiben und dann noch anfälliger, ängstlicher und abhängiger zu werden. Außerdem wird dieses Verhalten im Krankenhaus nur begrenzt toleriert und Partner oder Angehörige können überfordert werden. Deswegen muss die Autonomie (Eigenständigkeit) der Betroffenen gestärkt werden.
Informationen einholen – zum Experten der eigenen Erkrankung werden Mitentscheidung erfordert zweierlei: entweder selbst Informationen einholen und medizinische Fakten bewerten oder aber, wenn die Beziehung zum behandelndem Arzt entsprechend gut ist, seinem Urteil vertrauen und seine Vorschläge bejahen. Die zweite Möglichkeit ist sicher die leichtere. Für medizinische Laien kann die Bewertung von Befunden sehr schwierig werden, und nicht immer sind Medieninformationen seriös genug und die Quellen eindeutig. In letzter Instanz sind Patientinnen doch darauf angewiesen, ihrem Arzt zu vertrauen. Oft sind auch die jeweiligen Auffassungen gar nicht so unterschiedlich, sondern die Formulierungen unterscheiden sich nur in Nuancen. Wenn man sich nicht auskennt, können aber genau diese Nuancen zum Eindruck führen, die Therapievorschläge unterschieden sich völlig. Verschiedene ärztliche Meinungen sind nach wie vor für die betroffenen Frauen eine zusätzliche Verunsicherung und stören die Anpassung an den Krankheitsprozess. Fatal kann es sein, wenn Frauen, die den ihnen vorgeschlage-
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nen Weg nicht ertragen können, immer neue Ärzte aufsuchen, in der Hoffnung jemanden zu finden, der mit ihren subjektiven Theorien übereinstimmt und sie vor einer Operation, Chemotherapie und Bestrahlung bewahrt. Auch wenn nie überstürzte Entscheidungen gefällt werden sollten und Frauen mit ihren Angehörigen in Ruhe überlegen können, kann dieser Weg zu gefährlichen Behandlungsverzögerungen führen. Hier geht es um Vertrauen in sich selbst und in die behandelnden Ärzte. Wie aus Untersuchungen und auch aus Selbstberichten hervorgeht, entscheiden sich noch immer Frauen für eine Mastektomie, weil sie diesen Schritt für sicherer halten. Die Vorstellung »viel hilft viel« prägt hier die Laienmeinung. Gerade dann ist einfühlsame und sorgfältige Aufklärung erforderlich, um deutlich zu machen, dass eine brusterhaltende Therapie, wenn bestimmte medizinische Kriterien erfüllt sind, genauso sicher ist wie die Amputation. Leider ist es immer noch so, wie eine 2003 veröffentlichte große Studie der Deutschen Krebshilfe gezeigt hat, dass ältere Frauen von ärztlicher Seite nicht so umfangreich informiert werden wie jüngere Frauen. Ältere Frauen kann »der Gott in Weiß« leichter beeinflussen. Sie wurden in der Regel sowieso kaum je um ihre Meinung in ihrem Leben gefragt. Entscheidet sich eine Frau trotz Erfassung aller wichtigen Informationen und gegenteiliger ärztlicher Meinung für die radikalere Variante der Operation, wird sie mit dieser Entscheidung meistens gut zurechtkommen und sich genauso gut an den Krankheitsprozess anpassen können wie brusterhaltend operierte Frauen. Heute gilt eine brusterhaltende Operation geradezu als Dogma – einerseits völlig zu Recht, andererseits bringt dieses Vorgehen neue und andere Belastungen mit sich. Im seltenen Fall muss nach einem Eingriff nachoperiert werden. Für diese Frauen bedeutet das eine weitere Wartezeit mit Ungewissheit und Angst bis zum nächsten histologischen Befund. Vor der Operation ist es wichtig, sich diese, wenn auch seltene, Möglichkeit vor Augen zu führen und nicht als Katastrophe zu begreifen. Wer sich solide informieren will, kann das heute ohne
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Schwierigkeiten tun. Die Fachverbände der Ärzte, der Krebsinformationsdienst der Deutschen Krebshilfe, aber auch Patientenverbände bieten im Internet Informationen an. Hier sind auch die Leitlinien zur Behandlung von Brustkrebs zu finden, die in Absprache der Expertengremien regelmäßig überarbeitet und aktualisiert werden. Diese Leitlinien sollen dazu führen, dass ein optimaler Behandlungsstandard in Deutschland garantiert wird, unabhängig davon, wo sich eine Frau behandeln lässt. Ursula Goldmann-Posch und Rita Rosa Martin haben das »Über-Lebensbuch Brustkrebs« (2003) geschrieben. Das Buch hat zum Ziel, Patientinnen auf ihrem Weg zu Expertinnen zu schulen und ihnen wichtige Informationen an die Hand zu geben, die es ihnen ermöglichen sollen, im Kontakt mit den Ärzten informierte Konsensentscheidungen zu treffen. Dieses Buch bewegt sich fachlich auf hohem Niveau und erfordert eine gründliche Beschäftigung mit der Materie. Fraglich ist, in welchen Phasen der Erkrankung eine derartig anspruchsvolle Informationsarbeit geleistet werden kann oder will und ob nicht bei der Mehrzahl der betroffenen Frauen das Gefühl von Überforderung noch vergrößert wird.
Sich der eigenen Möglichkeiten und Kräfte bewusst werden All das, was das Selbstwertgefühl, die Selbstachtung erhält oder steigert, mindert Angst oder trägt dazu bei, ihr den überwältigenden Charakter zu nehmen. Dazu gehört auch, Ressourcen zu mobilisieren, das heißt sich auf die Kräfte und Möglichkeiten zu besinnen, die in früheren schwierigen Lebenssituationen geholfen haben. Oft sind diese Fähigkeiten verschüttet und müssen wieder ausgegraben werden. Stolzsein auf die eigenen Fähigkeiten, Selbstachtung und ein großes Selbstbewusstsein erleichtern die Anpassung an die Krankheit. Dafür gibt die Psychotherapie Raum, mit der Krankheit leben zu lernen. Zu den eigenen Ressourcen können auch religiöse Bindung, Glauben und Spiritualität gehören. Frauen, die über diese Mög-
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lichkeit verfügen, sehen darin eine Kraftquelle. Sie fühlen sich getragen, geborgen und vertrauen darauf, dass sie »es« schaffen. Für diese Frauen stellt sich erst gar nicht die Frage »warum ich?«. Derjenige, der ihnen diese Prüfung geschickt hat, hilft auch, sie zu bestehen. Natürlich gibt es auch Frauen, die gerade in der Erkrankungsphase an ihrem Glauben zweifeln und für die vermeintliche Glaubensgewissheiten verloren gehen, zumindest vorübergehend. Hilfreich ist auch, der Angst etwas entgegenzusetzen: – »Ich will leben.« – »Mir geht es gut.« – »Ich bin kein Opfer.« – »Ich will meine Kinder aufwachsen sehen.« – »Ich will meinen 80. Geburtstag feiern.« – »Ich will den kommenden Frühling erleben.« Selbst dann, wenn diese Autosuggestionen übertrieben optimistisch erscheinen, sind sie hilfreich. Die Forschung zeigt, dass Optimisten Krisen besser meistern. Die Gabe, mehr im Jetzt zu leben und viele Augenblicke genießen zu können, trägt auch zur Selbstachtung bei. Auf die eigenen Bedürfnisse achten, sich selbst nicht aus den Augen verlieren, sich zu erlauben, vom zur Verfügung stehenden »Zeitkuchen« ein größeres Stück abzuschneiden, all das kann den Umgang mit der Erkrankung erleichtern. Sich der eigenen Stärken versichern, kann auch heißen, durch die Angst gehen: Gefühle aushalten, sich nicht von belastenden Gefühlen ablenken zu lassen. Dieser Weg ist am schwierigsten – aber auch am wirksamsten. Diejenigen, die sich mit dem »schlimmsten Vorstellbaren« konfrontiert haben, erfahren ihre Stärke, sie erfahren, dass sie die Angst überleben können. Die Angst vor der Angst wird überflüssig. Aber Vorsicht, nicht jeder Zeitpunkt ist dafür geeignet. Manchmal ergibt sich der Zeitpunkt von selbst, häufig bedarf es einer wiedergewonnenen psychischen Stabilität, um sich der Angst zu stellen. Spezielle Techniken zur Angstbewältigung: – Bewegung: Richtig dosierte Bewegung ist wichtig, nicht nur
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um wieder fit zu werden, sondern auch um das Wohlbefinden zu steigern. Spaziergänge mit ansteigendem Tempo bis zum flotten Gehen, auch Walking (z. B. Nordic Walking) mit einer Pulsmessuhr, so dass man objektiv seine körperliche Leistung messen und subjektiv auf die Befindlichkeit achten kann. Das wirkt auch vorbeugend gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Osteoporose. Bei schlechtem Wetter geht man auf einem Laufband. Es wird mit einer Drei-MinutenLaufphase begonnen, danach eine Pause von drei Minuten. Oft ist nach vier Wochen Training eine Gehstrecke von mehreren Kilometern möglich. Das gilt auch für Frauen, die gerade eine Chemo- oder Strahlentherapie machen, selbst für Betroffene mit Knochenmetastasen. Es gibt bundesweit über 300 Sportgruppen für brustkrebskranke Frauen, wobei Sport mit Spiel, Spaß und Entspannung erlebt und genossen werden kann. Besonders wichtig ist die Funktionsgymnastik, zum Beispiel die Schulter-Arm-Beweglichkeit, zur Verhinderung der Bildung oder zur Minderung eines bestehenden dicken Arms durch ein Lymphödem. – Entspannung: Sie verschafft der Psyche eine Ruhepause von den mit Krebs verbundenen belastenden und beängstigenden Gedanken. Durch Entspannung werden Blutdruck, Puls, Atmung, Sauerstoffverbrauch und der gesamte Stoffwechsel positiv beeinflusst und dadurch kann Stress abgebaut werden. Geist und Seele beruhigen sich. Der Körper wird biegsamer, die Muskeln dehnbarer. – Atemtraining: In den asiatischen Meditations- und Bewegungslehren wird der Atem als Brücke zwischen Körper und Geist angesehen und auch so eingesetzt. Bei einigen Übungen wird sich auf die Atmung konzentriert. Es wird in den Bauch eingeatmet, man spürt, wie der Atem ruhig kommt und geht – wie die Wellen des Meeres. Zum Beispiel tief in den Bauch ein- und ausatmen. Als Ergebnis lässt die Spannung nach. Die Atemzüge werden seltener, bis man bei sechs Atemzügen pro Minute angelangt ist. – Feldenkrais: Das ist eine Entspannungstechnik, die Bewusstheit durch Bewegung bringt. Ziel ist, gesundheitsschädliche
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Kapitel 1: Ängste
Bewegungsmuster zu verändern und den Geist von negativen Denkmustern zu befreien. Außerdem helfen Feldenkrais-Übungen nach Brustoperationen, das gestörte Körperbild wieder zu harmonisieren und das Gespür für den eigenen Körper zu verbessern. Meditation: Hierbei wird eine geistig-spirituelle Sammlung angestrebt. Man ist in sich selbst vertieft, vom Körperlichen gelöst und kann seine Gefühle und körperlichen Reaktionen objektiver und gelassener betrachten. Das hilft bei der Überwindung von Angst, Sorgen und Schmerzen. Diese Methode stellt das durch die Krankheit gestörte Gleichgewicht zwischen Körper und Seele wieder her. Weitere Entspannungsformen: Jede Frau sollte die für sie hilfreichste und wirksamste Entspannungsmethode herausfinden und diese regelmäßig üben. Folgende weitere Methoden kommen dabei in Betracht: Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung nach Jacobson, Yoga, ZenMeditation, Ayurveda, Tai-Chi und andere Bewegungs- und Meditationsarten. Beherrscht man eine dieser Methoden, kann man sie vor und bei stress- und angsterregenden Situationen einsetzen und ruhig und entspannter werden. Wohltuend und entspannend sind auch Massagen, etwa die klassische oder ayurvedische Form. Hierbei wird der Körper mit warmen Aromaölen übergossen und massiert. Auch Shiatsu (japanische Druckpunktmassage) und Fußreflexzonenmassage können hilfreich sein. Lachen, Heiterkeit, Kreativität: Sie sollen die so genannten Glückshormone – die Endorphine – mobilisieren. Diese im Gehirn gebildeten Eiweißkörper haben eine morphinähnliche Struktur und gehören zu den Nervenüberträgerstoffen (Neurotransmitter). Hiermit ist allerdings nicht einfach die Aufforderung gemeint, positiv zu denken, gleichgültig ob die Gefühlslage das zulässt oder nicht. Visualisieren: Hierbei wird die Konzentration auf heilende Vorstellungen gelenkt. Zum Beispiel kann man imaginieren (sich bildlich vorstellen), dass der Körper den Krebs besiegen wird, indem das Immunsystem als warme strahlende
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Sonne die als Eisblöcke vorgestellten Krebszellen schmilzt und verschwinden lässt. Visualisierung soll die eigenen Kräfte zur Heilung und Genesung aktivieren. – Autosuggestive Slogans: Diese Art der Suggestion hat verschiedene Ziele. Zum einen soll sie über die Gedanken die Aufmerksamkeit zentrieren, um dadurch die angstmachenden Gedanken auszublenden, zum zweiten sollen in Form einer Selbstbeschwörung Gedanken, die auf positive Aspekte und erstrebenswerte Ziele gerichtet sind, dabei helfen, die Belastungen besser zu meistern. Durch jede dieser Techniken wird die Aufmerksamkeit gelenkt und zentriert. Wer über diese Gabe verfügt oder sie sich aneignet (das setzt allerdings regelmäßige und auch längerfristige Übung voraus), findet Phasen von Entlastung, kann neue Kraft tanken und sich von unerwünschten Grübeleien ablenken. Dem widersprechen übrigens nicht die vorher genannten Möglichkeiten, mit Angst umzugehen. Alles, was der Selbstkontrolle bei Angst dient, stärkt das Selbstvertrauen.
Hilfe durch vertraute Andere In Krisensituationen kann Angst so überwältigend sein, dass all die genannten Vorschläge nicht greifen. Wenn das eigene Denken scheinbar nicht mehr klar ist, das Gedächtnis und die Aufmerksamkeit nicht mehr wie gewünscht funktionieren, dann hilft immer noch das, was Kinder automatisch tun: sich bei Schutzbedürftigkeit an vertraute Menschen zu wenden, sich durch sie stützen und stärken lassen und zeitweise die Verantwortung an sie abgeben. Es ist immer wieder verblüffend zu beobachten, wie wirksam diese Hilfe ist.
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Kapitel 1: Ängste
Gegenseitige Unterstützung Betroffener Für betroffene Frauen kann der Kontakt mit anderen Betroffenen außerordentlich wertvoll sein. Hier treffen sie auf Menschen, die Ähnliches durchgemacht haben, die nicht erst ihr Einfühlungsvermögen bemühen müssen, sondern alle Ängste und Belastungen im wahrsten Sinne des Wortes am eigenen Leib erfahren haben. Die »Frauenselbsthilfe nach Krebs« organisiert Selbsthilfegruppen. Auch selbst gegründete oder von anderen Institutionen angebotene Gruppen gibt es. Örtliche Krebsberatungsstellen kennen die Angebote und helfen bei der Suche. Nur ein kleiner Teil der betroffenen Frauen organisiert sich in Selbsthilfegruppen. Vielfach ist das Argument zu hören, »nicht nur über Krebs sprechen zu wollen«. Die Gruppen sind so unterschiedlich wie die in ihnen organisierten Menschen. Die Angebote sind nicht überall gleich. Neben Informationen, Veranstaltungen, Beratung und Kursen zur Mobilisierung der eigenen Abwehrkräfte, gemeinsamen Freizeitangeboten, Entdeckung des eigenen kreativen Potentials ist sicher allen gemeinsam, dass sie unterstützen wollen durch persönlichen Kontakt. Neben den reinen Selbsthilfegruppen gibt es auch Gruppen, die von Psychotherapeuten geleitet werden. Kliniken, Beratungsstellen und alternative Gesundheitszentren bieten diese Gruppen gelegentlich an. In Rehabilitationseinrichtungen gehören sie zum Basisangebot. Auch hier gibt es unterschiedliche Zielsetzungen und Themen: Sie können der Selbsterfahrung dienen, dem Erwerb von Techniken für Angst- und Stressbewältigung, dem Einüben neuer Verhaltensweisen, der Steigerung der körperlichen Belastbarkeit und anderem mehr. Informationen über diese Angebote bieten die Broschüren der entsprechenden Rehabilitationskliniken. Allgemein lassen sich folgende Ziele hervorheben: – Hoffnung stärken, – Gemeinsamkeit der Erfahrung und gegenseitiges Verständnis, – Der Isolation in der Erkrankung entgegenwirken, – Weitergabe von Informationen,
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– Gegenseitige Unterstützung, – Lernen, sich mitzuteilen, »Unaussprechbares« in Worte fassen, – Lernen von anderen. Studien zur psychosozialen Unterstützung bei von Brustkrebs betroffenen Frauen stellten eine Besserung der seelischen Befindlichkeit, der Schmerztoleranz sowie eine bessere Krankheitsbewältigung bei den Nebenwirkungen der Therapie und eine Verbesserung der Lebensqualität fest. Durch ihren starken Gruppenzusammenhalt gab es keine Isolation und weniger innerfamiliäre Probleme.
Wann ist professionelle Hilfe notwendig? Professionelle Hilfe wird notwendig, wenn Brustkrebs als seelisches Trauma erlebt wird. Seelische Traumata sind Ereignisse, für die die eigenen Bewältigungsstrategien nicht ausreichen. Seelische Belastungsgrenzen werden überschritten. Diese Frauen leiden unter intensiven Angstzuständen, Gefühlen von Hilflosigkeit und Kontrollverlust. Sie stehen unter einem emotionalen Schock, leiden unter massiver Erschütterung und manchmal Verwirrung ihres Denkens. Sie fühlen sich als Opfer, ausgeliefert, ohne eigene Handlungsmöglichkeit. Typische Symptome bei traumatisierten Menschen sind, dass sie ihre schrecklichen Erfahrungen in wiederkehrenden unverhinderbaren Alpträumen wiedererleben oder Flashbacks erleiden; das sind Sinneswahrnehmungen, die sich scheinbar unvermittelt aufdrängen, aber durch Trigger ausgelöst werden. Das sind Reize, die an die durchlebten Traumata unbewusst erinnern. Traumatisierte Menschen versuchen all das zu vermeiden, was die Erinnerung an das Erlebte hervorruft. Obwohl sie mit ihren Erlebnissen beschäftigt sind, können sie unter ausgeprägten Gedächtnisstörungen leiden. Fast immer gehören auch quälende Schuldgefühle zu den Symptomen. Hier ist eine spezielle Traumatherapie nötig.
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Kapitel 1: Ängste
Professionelle Hilfe ist auch notwendig, wenn Frauen mit einer Depression auf die Erkrankung reagieren; wenn Sinnlosigkeit, Schuldthematik und Leere das Leben bestimmen; wenn sie unter Schlafstörungen, Unruhezuständen, anhaltender Angst und Antriebstörungen leiden. Gedanken an Selbsttötung sind das höchste Alarmsignal! Auch Panikattacken bedürfen schnellstmöglich professioneller Hilfe, und zwar bevor die Angst vor der Angst zum beherrschenden Thema wird. Solange noch keine Chronifizierung eingetreten ist, sind Panikattacken gut zu behandeln. Sogar dann, wenn die Symptome lange bestehen und bei jedem neuen furchterregenden Ereignis verstärkt werden oder erneut auftreten, bringt Psychotherapie Erleichterung. Medikamente, so genannte Anxiolytika (angstlösende Mittel) und Antidepressiva, können zeitweise notwendig und hilfreich sein. Vor allem in Krisensituationen, bei ausgeprägterer depressiver Symptomatik, Panik, Erregungszuständen, Schlaflosigkeit und manchmal auch bei anhaltenden Schmerzen. Hilfe in Form von Beratung oder Psychotherapie ist auch geboten, wenn sich die Stimmung auf das Familien- und Sozialleben negativ auswirkt und Beziehungen zu zerbrechen drohen. In allen bedrohlichen Lebenssituationen vermag professionelle Hilfe Linderung zu vermitteln. Studien seit den siebziger Jahren über psychosoziale Hilfe zeigen, dass Frauen davon profitieren. Frauen in therapeutisch geleiteten Gruppen – unabhängig von der Art der angewandten Methoden – zeigten weniger Angst, bessere Bewältigung familiärer Probleme, Selbstsicherheit sowie vermehrtes Wissen über Brustkrebs und die Therapien.
Kapitel 2: Familie und Partnerschaft nach Brustkrebs
Familie Die Diagnose Brustkrebs ist für eine Frau ein einschneidendes Ereignis, aber nicht nur für sie selbst, sondern auch für Partner, Familie, Verwandte und Freunde – also für ihr gesamtes soziales Umfeld. Ihr Leben ändert sich durch die Erkrankung. Viele Familien gehen nach einer Phase der Umorientierung unterstützend und kreativ mit der neuen Situation um. Sie begreifen die Krankheit als Herausforderung, stellen sich auf die neuen Alltagsanforderungen ein. Engerer Zusammenhalt aller Familienmitglieder kann ein positiver Effekt der Erkrankungskrise sein. Die Erkrankung der Partnerin beziehungsweise der Mutter wird als gemeinsamer Schicksalsschlag begriffen, die Diagnose ist ein Schock, der zuerst einmal den festen Boden, die sichere familiäre Struktur, ins Wanken bringt. Unabhängig von der tatsächlichen Krankheitssituation, also unabhängig davon, ob die Erkrankung in einem frühen oder späten Stadium erkannt wird, ist das Wort »Brustkrebs« mit vorzeitigem Sterben assoziiert. Denn Krebs wird immer noch – trotz wirkungsvoller neuer Medikamente – als Metapher des Todes erachtet. Ein Teil der Diagnoseverarbeitung besteht darin, sich mit Hilfe des behandelnden Arztes ein realistisches Bild von der Bedrohung zu machen. Und das bedeutet, statistisch gesehen, dass zwei Drittel aller Frauen mit Brustkrebs geheilt werden können. Die Familie und der Partner werden durch die BrustkrebsDiagnose bei einem Familienmitglied nicht nur schmerzhaft
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Kapitel 2: Familie und Partnerschaft nach Brustkrebs
mit dessen Sterblichkeit konfrontiert, sondern auch mit der eigenen und müssen sich vorzeitig damit auseinandersetzen. Familienmitglieder sind mitbetroffen, aber auf eine andere Art als die Patientin. Sie sehen die Ängste, die Verzweiflung und das Leiden der Frau und fühlen sich dabei hilflos. Sie leiden mit während der Therapien, sie fürchten sich genauso vor einem Wiederauftreten der Erkrankung und sie haben Angst, die Betroffene zu verlieren. Sie werden konfrontiert mit Veränderungen ihrer gewohnten Lebensweise, mit neuen Anforderungen. Diese Veränderungen im Alltag können eine Umkehrung der Rollen innerhalb der Familie notwendig machen. Die Unsicherheit gegenüber der Zukunft und immer wieder auftretende Ängste stellen für die Familie – am meisten an die Partner – besondere Herausforderungen dar. Für die Bewältigung von Lebenskrisen spielt das Gefühl der Zusammengehörigkeit eine zentrale Rolle. Aber nicht nur der emotionale Rückhalt ist entscheidend. Partner und Familienangehörige sind wichtig für die Stabilisierung und Genesung der Erkrankten. Sie sind häufig Bindeglied zu anderen, organisieren die praktischen Aufgaben, sammeln Informationen, kümmern sich um das Funktionieren im Alltag. Je kränker Frauen sind, desto stärker wird auch die Familie in Versorgungsaufgaben eingebunden. Die Familie leistet oft die wichtigste praktische Hilfe. Je nach Krankheitszustand, Therapien, Krankenhausaufenthalt ändern sich die Bedürfnisse der Betroffenen. Das kann nur geschehen, wenn die Familie ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle wie Ängste, Wut oder Abscheu zunächst zurückstellt und zuerst an die Betroffene denkt. Die Neuorientierung des Familienalltags erfordert eine Umstrukturierung. Die Aufgabenbereiche innerhalb der Familie ändern sich und müssen oft neu organisiert werden. Die Familie ist zentral für Hilfe und Unterstützung und nimmt deshalb eine wichtige Rolle bei der Krankheitsbewältigung ein. Schließlich ist für die meisten Menschen die Familie der Ort der Geborgenheit, Versorgung, Liebe und Stütze. Die Familie leistet soziale und emotionale Unterstützung. Sie vermittelt der Betroffenen, auch wenn diese zeitweise ihre Rolle als Partnerin
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und Mutter nicht ausüben kann, dennoch wie zuvor respektiert und geliebt zu werden. Natürlich werden Frauen nicht allein für die Erfüllung ihrer Rolle geliebt und geschätzt, obwohl traditionell die Gesellschaft ihnen eine spezifische Rolle zuweist. Fühlt eine Frau sich schwach, greift sie vielleicht auf alte Verhaltensmuster zurück. Sie hängt an ihrer Rolle, obwohl das ihre Kräfte überfordern kann. Die heutige Rolle der Frau in der Familie ist immer noch die der emotional Stützenden; außerdem lastet auf ihr häufig auch noch die praktische Erledigung des Haushalts. Meistens ist die Frau Ansprechpartnerin bei auftretenden Problemen von Familienmitgliedern und hat lernen müssen, ihre eignen Bedürfnisse zurückzustellen. Kann sie ihre Familie nicht mehr wie gewohnt unterstützen, droht das Familiensystem instabil zu werden. Erfahrungsgemäß wirken sich die seelischen und körperlichen Folgen der Brustkrebserkrankung intensiv auf die ganze Familie aus. Bei jeder Nachuntersuchung, jedem Rückfall oder Fortschreiten der Erkrankung sind die Ängste der Familienmitglieder wieder präsent. Für den Partner kann es besonders schwer sein, wenn die Kinder bisher von der Mutter versorgt wurden. Ein gesunder Partner kann durch die Veränderungen seines Alltags wichtige Bereiche seines Lebens verlieren: sein Liebesleben, Freizeit, Hobbys, Zeit für Kollegen und Freunde. Das kann zu Spannungen führen. Bei langandauernder Krankheit kann es zu Erschöpfung und Mutlosigkeit einzelner Familienmitglieder kommen. Sie können psychosomatische Beschwerden entwickeln wie Kopf- und Magenschmerzen, Schlaflosigkeit oder auch psychische Probleme wie Gereiztheit, Konzentrationsstörungen, Depressionen und Angst. Kleinere Kinder können erneut Bettnässer werden. Durch Essensstörungen oder Rückfälle in frühkindliche Verhaltensweisen (Regression) zeigen sie ihre Betroffenheit ohne Worte. Oft verlangen sich Familienmitglieder eine unrealistische Stärke und Belastbarkeit ab. Sie wollen sich nicht eingestehen oder realisieren, dass sie nicht alles leisten können, und leiden dann an Überforderung (Burn-out-Syndrom), die bis zu einer
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Kapitel 2: Familie und Partnerschaft nach Brustkrebs
Krankheit führen kann, wenn ihre eigenen Kraftreserven erschöpft werden. Einige brustkrebskranke Frauen beschreiben, dass sich ihre Lebensperspektive und ihre Lebenseinstellung seit der Diagnose stark verändert haben. Sie freuen sich intensiver über positive Alltagserlebnisse und schätzen jeden Tag, jede Stunde, jede Minute. Andere Frauen verleugnen und verdrängen ihren Brustkrebs. Sie wollen weiter leben, als ob nichts gewesen sei. Sie geben sich heiter und unbeschwert. Die Umwelt bewundert sie. Es kann aber stellvertretend einem Familienmitglied oder Freunden schlecht gehen. Unbewusst hat die Betroffene ihre Ängste an ein andere Familienmitglieder oder an Freunde delegiert. Diesen ist das oft nicht bewusst. Sie fühlen sich dann in ihrer Lebensqualität stärker eingeschränkt als die Kranke selbst. Sie leiden möglicherweise unter psychosomatischen Beschwerden wie Herzrasen oder Übelkeit. Sie können depressiv oder sogar panisch reagieren. Hier ein Beispiel: Gretel (59 Jahre) sagt zu ihrem Mann Hans (50 Jahre): »Ich muss dir sagen, es ist schlimm, aber ich/wir werden es meistern. Ich habe Brustkrebs, und vergrößerte Lymphknoten sind in meiner Achsel getastet worden. Morgen werde ich operiert.« Hans berichtet: »Ein eiskaltes Gefühl strömte von meiner Frau auf mich über. Ich fühlte Entsetzen, Angst und Panik. – Wie konnte sie bloß so ruhig blieben? Sie war immer die Starke gewesen – immer, auch jetzt fröhlich. Ich sog alles in mich auf. Sie tat mir unendlich leid. Warum weinte sie nicht? Tränen flossen aus meinen Augen. Ich versuchte, sie zu trösten. Sie sagte: ›Ich bin okay. Ich werde den Krebs besiegen. Reden wir nicht mehr darüber.‹ Mein Herz blutete vor Trauer. Würde ich allein ihr/unser Leid tragen müssen? Warum können wir nicht kommunizieren? War sie unfähig zu trauern?« Besonders schwierig ist der Umgang mit Hoffnung. Die Familie setzt große Hoffnung in die Therapie. Allerdings: Je größer die Hoffnung, desto größer ist auch die Gefahr der Enttäuschung,
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sollte eine Therapie keine Heilung bringen. Dennoch ist Hoffnung in jeder Form lebensnotwendig und berechtigt: Zwei Drittel aller Frauen mit Brustkrebs werden geheilt. Sollte ein Rezidiv auftreten, kann es meist erfolgreich behandelt werden. Ebenso sind Metastasen durch neue Medikamente beeinflussbar. Hier folgt eine kurze Zusammenstellung über die Belastungen der Familie. Gerhard Strittmatter1 stellte wissenschaftliche Literatur über Familienbelastungen nach folgenden Gesichtspunkten zusammen: – Angst vor einer ungewissen Zukunft, – Angst, die Betroffene leiden zu sehen, – Angst, sie zu verlieren. Dagegen setzte er die Bedeutung der sozialen Unterstützung der Familie durch: – Informationen sammeln, – praktische Unterstützung in allen Lebensbereichen, – emotionale Unterstützung durch aktives Zuhören, – Verständnis und Bestätigung der Denkweise und Gefühle der Betroffenen, – Unterstützung durch positive einfühlende Gespräche, – Wahrung des Familienzusammenhalts und Zugehörigkeitsgefühl, – Aufrechterhaltung der emotionalen Rolle der Betroffenen (ohne sie zu belasten) innerhalb der Familie. Strittmatter schlägt zur Unterstützung im täglichen Umgang miteinander diese Hilfen vor: – Öfter in der Nähe der Erkrankten bleiben. Sie darf sich nicht isoliert fühlen und sollte – beispielsweise mit einem Kuss – begrüßt werden wie vor ihrer Erkrankung. – Stets hellhörig auf die Gefühle der Erkrankten achten und 1 Theologe, Psychotherapeut und Psychologe; Leiter der Abteilung für Psychosoziale Onkologie und Rehabilitation an einer Fachklinik in Münster.
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Kapitel 2: Familie und Partnerschaft nach Brustkrebs
sich bewusst sein, dass sie nicht immer über die Krankheit sprechen möchte.
Partner Die Auseinandersetzung mit der Erkrankung ist am intensivsten zwischen der betroffenen Frau und ihrem Partner, weil die physischen und psychischen Folgen der Brustkrebserkrankung sich hier besonders auswirken. Der Partner ist nicht nur Unterstützer seiner Frau, sondern muss sich auch selbst mit der Erkrankung auseinandersetzen. Studien haben gezeigt, dass für die meisten Frauen der Partner (oder die Partnerin) als Unterstützung an erster Stelle steht. Auch in zahlreichen Selbsterfahrungsberichten wird die Bedeutung der Partner hervorgehoben. Allgemein nehmen sich Partner in Krisensituationen wechselseitig als wichtigste Quelle der Unterstützung wahr. Besonders Männer suchen sie an erster Stelle bei ihrer Frau. Ist die Frau an Brustkrebs erkrankt, ist sie natürlich mit ihrem eigenen Leid beschäftigt und steht dem Partner nicht mehr in dem Ausmaß in Krisenzeiten zur Verfügung wie vorher. Frauen, die keinen Partner/keine Partnerin haben, berichten über Schwierigkeiten, mit der Krankheit »allein fertig zu werden«. Sie berichten über vermehrte Sorgen, die sich auf ihre weibliche Identität beziehen. Sie haben weniger Mut, in die Zukunft zu schauen, und fürchten, durch ihren jetzt beschädigten Körper keinen Partner mehr finden zu können. Das unterstreicht die Bedeutung des sozialen Eingebundenseins. Natürlich muss und kann das nicht ausschließlich durch Partner geleistet werden. Andere Menschen, zu denen enge Beziehungen bestehen, können den Partner unterstützen. Die Bedeutung des Partners wird in Forschungsergebnissen zu Anpassungsproblemen der Frauen im Verlauf ihrer Erkrankung bestätigt. Sie zeigten, dass das Alleinsein beziehungsweise Alleinleben einen bedeutsamen Risikofaktor darstellt. Erkrank-
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te Frauen, denen das soziale Eingebundensein fehlt, laufen Gefahr, häufiger an psychischen Störungen mit Krankheitswert wie Ängsten, depressiven Reaktionen, chronischer Müdigkeit und anderem mehr zu leiden. Umgekehrt geben Menschen mit adäquater sozialer Unterstützung weniger psychosozialen Stress an. Ein andauernder psychischer Druck fördert emotionale Probleme und erschwert die Krankheitsbewältigung. Eine psychosoziale Intervention durch Fachleute ist dann hilfreich.
Unterschiedliche Reaktionen von Männern und Frauen Während für Männer allein die Tatsache des Verheiratetseins nachgewiesenermaßen eine schützende Funktion ausübt, spielt bei Frauen die Qualität der Paarbeziehung eine wichtige Rolle. Daraus folgt, dass für Frauen, die ihre Ehe/Partnerschaft als »schlecht« oder »schwierig« oder »nicht hilfreich« beschreiben, diese psychische Schutzfunktion entfällt und die Partnerschaft sogar zur zusätzlichen Belastung und Stressquelle werden kann. Wenn Frauen hauptsächlich verantwortlich für emotionale und soziale Beziehungen in einer Partnerschaft sind, tendieren sie dazu, wenn ihr Partner erkrankt, eigene Wünsche und Aktivitäten, manchmal sogar Beruf oder Karriere aufzugeben. Das kann bis zur dienenden Hingabe gehen. Andere Frauen dagegen empfinden in solch einer Situation einen Emanzipationsgewinn. Sie spüren eine andere Machtverteilung in der Partnerschaft durch ihre Rollenübernahme. Das hilft ihnen, fürsorglich zu sein, ohne ihre Lebensziele aufzugeben, auch wenn die Mehrfachbelastung sehr stark ist. Von der Forschung wird bestätigt, dass das seelische Gleichgewicht der Männer stärker vom Befinden ihrer erkrankten Frau und von der Kommunikation über ihre Erkrankung abhängt als umgekehrt. Männer suchen sich eher praktische Hilfe, während Frauen Aufgaben bis zur Selbstüberlastung übernehmen, da sich Frauen traditionell für pflegerische und soziale
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Kapitel 2: Familie und Partnerschaft nach Brustkrebs
Aufgaben zuständig fühlen. Das erwartet auch ihr Umfeld. Erkrankte Frauen selbst befinden sich dann in einer Zwickmühle und können oft nur unzureichend für sich sorgen, indem sie nicht genug delegieren. Oder sie empfinden sich bei Abgabe ihrer Rollen als überflüssig. Frauen sollten dennoch lernen, für sich selbst gut zu sorgen. Sie sollten versuchen, ihre Aufgaben so zu delegieren, dass sie Selbständigkeit und Identität wahren können und das Gefühl haben, Kontrolle zu behalten. Es gibt zahlreiche Untersuchungen, in denen Partnern persönliche Fragen zur Brustkrebserkrankung ihrer Partnerinnen gestellt wurden. Obwohl Männer weniger gewohnt sind, ihre Gefühle in Worte zu fassen, bezieht sich die folgende Zusammenfassung auf die Selbstschilderung von Partnern in solchen Studien. Die Belastung des Partners kann so hoch sein wie die Belastung der Patientin. In manchen Untersuchungen geben Partner sogar eine höhere Belastung an als die Betroffene selbst. Je stärker die kranke Partnerin belastet ist, desto stärker fühlt sich auch der Partner belastet. Das bezieht sich vor allem auf die emotionalen Belastungen der Partnerin. Da Frauen eher als Männer über ihre emotionalen Belastungen reden, orientieren sich die Partner daran und erleben die Belastungen mit. Untersuchungen zeigen außerdem, dass Partner oft mehr Angst haben als die Betroffenen selbst und dass sie sich davor fürchten, für die Partnerschaft Wichtiges versäumen zu können. Die Sorge, nicht alles Notwendige getan zu haben, wirkt noch nach dem Tod der Partnerin. Das ist ein Teil der Trauer, wenn die Partnerin vorzeitig gestorben ist. Eine Minderheit der Partner entwickelt psychische Anpassungsstörungen. Verantwortlich dafür, dass Partner sich selbst als ausgeprägt belastet erleben, sind die Angst, den anderen zu verlieren, das Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit und die neue Rolle als derjenige, der Versorgungsaufgaben übernehmen muss. Letzteres erfordert eine zwangsweise Anpassung an einen veränderten Alltag. Zusätzlich zu den gewohnten Aufgaben und Rollen müssen neue, unbekannte übernommen werden. Partner selbst beschreiben zwei Hauptaufgaben:
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– sich auf die Krankheit der Partnerin und deren Unterstützung konzentrieren; – sich darauf konzentrieren, dass das normale Leben weitergeführt werden kann. Allein diese Hauptaufgaben sind schwer miteinander zu vereinbaren, sie widersprechen sich zum Teil sogar. Daneben wurden noch weitere, untergeordnete Aufgaben identifiziert: – anwesend sein/ da sein für die Partnerin, – sich auf Ärzte und die medizinischen Erfordernisse beziehen, – sich informieren und teilnehmen an Entscheidungen, – normale Familienmuster aufrechterhalten und das Familienleben weiter führen, – delegieren können, – Hilfe zur Selbsthilfe suchen, – das eigene Arbeitsleben anpassen, – Finanzen regeln, – gesunde Überzeugungen pflegen, – lebensbejahende Handlungen aktivieren, – für sich selbst sorgen. Die vielfältig genannten Aufgaben zeigen, wie wichtig es ist, zur Unterstützung ein soziales Netz aktivieren zu können. Erschwert wird die Situation zusätzlich, wenn die Partner noch andere Personen versorgen müssen, etwa kleine Kinder, hilfsbedürftige Eltern oder andere Familienangehörige. Partner betonen, wie wichtig eine gute Beziehung zu den professionellen Versorgern (Ärzte, Pflegekräfte) ist. Für die höheren Belastungen im Alltag ist das Alter der Patientin nicht unerheblich. Jüngere Paare sehen sich oft stärkeren Belastungen ausgesetzt, während die Dauer der Partnerschaft bei älteren Paaren eine positive, schützende Rolle spielt. Manche Männer krebskranker Frauen verstecken ihre Gefühle von Hilflosigkeit und Betroffenheit hinter einer kühlen, sachlichen Distanziertheit oder sie bagatellisieren die Erkrankung und zeigen sich unangemessen optimistisch. Sie meinen,
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damit ihren Frauen helfen zu können. Viele Männer lassen auch heute noch nicht Gefühle zu. Ein Mann, der weint, gilt im Allgemeinen immer noch als Weichling. Die betroffenen Frauen sind dann jedoch enttäuscht von dem scheinbaren Unverständnis ihrer Partner und fühlen sich einsam und zurückgewiesen. Viele Frauen tendieren auch dazu, ihre Partner nicht belasten zu wollen, und unterdrücken ihre eignen Bedürfnisse nach offener Kommunikation, Aussprache und Liebe. Kann ein Partner seine Frau nicht unterstützen, wird er für sie zur Belastung. War die Beziehung schon vor der Krankheit brüchig, treten Probleme gehäuft auf und beide ziehen sich voneinander zurück. Partner erfahren weniger Unterstützung von außen als die Patientin selbst. Das gilt sowohl für praktische als auch für emotionale Unterstützung. Werden Partner nach ihrem Unterstützungswunsch gefragt, nennen sie an erster Stelle praktische Hilfe und erst dann emotionale Unterstützung. Bislang kaum untersucht sind die ökonomischen Veränderungen in der Partnerschaft. Nicht alle Patientinnen kehren nach der Behandlung an den Arbeitsplatz zurück. Bei einer pflegebedürftigen Partnerin kann der Mann unter Umständen nur teilweise seinen beruflichen Verpflichtungen nachgehen. Das bedeutet auch eine Veränderung beim Familieneinkommen. Neben den veränderten Anforderungen des Alltags stellen sich Partner die gleichen Fragen wie die Betroffenen und müssen mit deren Ängsten wie auch mit den eigenen umgehen lernen. Im Mittelpunkt steht die Frage nach den Möglichkeiten des Geheilt-Werdens beziehungsweise in der Phase nach der Primärtherapie die Angst, dass die Erkrankung erneut auftreten könnte. Sollte der Krebs wiederkommen (Rezidiv) oder streuen (metastasieren), ist eine realistisch-optimistische Haltung des Partners hilfreich.
Partner äußern sich zu ihren Erfahrungen
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Partner äußern sich zu ihren Erfahrungen Schriftlich dokumentierte Erfahrungen, mit der durch die Erkrankung der Partnerin veränderten Situation umzugehen, gibt es kaum. Nicht selten sehen sich Partner mit Kritik und zeitweiligem Rückzug durch die Partnerin konfrontiert. Zu Beginn sind es oft die Frauen, die im Gefühl der eigenen Beschädigung dünnhäutiger und kränkbarer werden. Von Seiten der Partner ist Hilflosigkeit das vorherrschende Gefühl, nicht Abwertung. Die Probleme des Partners, der helfen möchte, werden von dem Psychologen und Philosophen Ken Wilber in seinem Buch »Mut und Gnade« (1992) beschrieben. Er meint, dass, obwohl die Probleme des Helfers – im Vergleich zum Krebs seiner Partnerin – unbedeutend erscheinen, sie dennoch vorhanden sind. Sie nehmen zu, weil man sie mit der Partnerin nicht besprechen kann, weil die Erkrankte selbst oft die Ursache der Schwierigkeiten ist, und deshalb bleiben sie oft ungelöst. Das kann bei einem introvertierten Partner bedeuten, dass er psychosomatische Symptome bekommt wie Herzrasen, Schlaflosigkeit und vermehrt Angstzustände, die sogar in Panik ausarten können. Introvertierte Partner neigen bei Überforderung zu suizidalen Gedanken, während extrovertierte gelegentlich phantasieren, dass der geliebte Partner stirbt, und aggressive Impulse entwickeln. Ken Wilber zeigt, dass hier Ängste vor Gewalt und Tod spürbar werden, die mit Verbitterung verbunden sind. Mit den negativen Gedanken, die beide befallen, tauchen belastende Schuldgefühle auf. Dennoch muss man verstehen, dass solche Gedanken und Gefühle in einer derartigen Situation normal sind. Hier ist es hilfreich, wenn Helfer über ihre Gedanken mit anderen Vertrauten reden können. Deshalb empfiehlt Ken Wilber die Unterstützung durch eine Selbsthilfegruppe von Partnern Betroffener. Eine Selbsthilfe für Helfer sei das Beste, um sich richtig aussprechen zu können. Auch Einzel- und Paartherapie schlägt er zur Unterstützung in dieser Krise vor. Ken Wilber erklärt ein Problem, von dem Vicky Wells sagt: »Niemand interessiert sich für chronische Dinge.« Wenn Helfer
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über ihre Probleme mit anderen reden, möchten sie Rat und Trost erhalten. Der Helfer wird zunächst auch verständnisvoll unterstützt, und dadurch geht es ihm besser. Aber die Situation bleibt unverändert, weil die Partnerin nach diesem Gespräch immer noch Krebs hat. An manchen Tagen geht es ihr schlechter und dadurch dem Helfer auch. Er wendet sich dann erneut an seine Freunde, wird wieder aufgebaut, es geht ihm auch kurzfristig besser, aber die Situation zu Hause ist dieselbe geblieben. Der Helfer kann sich also unter Umständen täglich schlecht fühlen. Er kann aber nicht ständig darüber reden, sonst wird er als »ewiger Jammerer« angesehen, und niemand – außer den Professionellen – will sich immer die gleichen Probleme anhören. Chronische Probleme werden für andere uninteressant. Ein Helfer kann sich dadurch allein gelassen und isoliert vorkommen, wenn die Probleme übermächtig werden. Dann ist es an der Zeit, professionelle Hilfe aufzusuchen. Manchmal ist eine Selbsthilfegruppe dafür geeignet, denn hier kann man auch negative Gefühle und Gedanken verbalisieren und stößt auf Verständnis der anderen durch deren eigene Erfahrungen. Hinter den Gefühlen von Zorn, Wut und Ohnmacht gegenüber der kranken Partnerin verbirgt sich Liebe. Denn wäre der helfende Partner sonst geblieben? Die Liebe bleibt jedoch oft unter der Wut versteckt. Es ist für eine Beziehung nicht gut, wenn die Partner ihre Wutgefühle, die, wie Ken Wilber beschreibt, bei beiden zwangsläufig entstehen, aufeinander abladen. Denn die kranke Partnerin ist nicht schuld an ihrer Erkrankung. Ken Wilber hat Freiraum für sich gewonnen, indem er mit psychotherapeutischer Hilfe seine negativen Gefühle bearbeiten konnte. Das half ihm, ohne Schuld- und Schamgefühle mit seiner Frau zusammenzusein. Ken Wilbers Erfahrung ist, dass die Helfer selbst nicht genügend Liebe bekommen, und deshalb ist ihre Aufgabe so schwer. Er lernte, dass Helfer ihre Wut, ihren Hass und sämtliche negativen Gefühle aus dem Weg räumen müssen, damit die Liebe wieder freien Raum hat. Helfer erfahren, dass es Themen gibt, die sie unmöglich mit der kranken Partnerin besprechen können. Offenheit ist wichtig,
Partner äußern sich zu ihren Erfahrungen
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aber nur bis zu einem gewissen Grad, denn sie kann auch verletzen. Deshalb empfiehlt er »die Kunst der hoffnungsvollen Lüge«. Die Pera-Hospizbewegung sagt dazu: »Du musst nicht die ganze Wahrheit sagen, aber alles, was du sagt, muss wahr sein.« Bei einem schlechten ärztlichen Befund darf man das Entsetzen der betroffenen Person nicht bagatellisieren. Der Partner sollte dann einfühlend und mitfühlend sein und dementsprechend reagieren. Das bedeutet, die eigene Angst oder Wut zunächst der Partnerin gegenüber zu unterdrücken, einfach nur für sie da sein. Eigentlich möchte ein Helfer kein »Schwamm« für ihre Ängste sein, sondern eher ein »Retter in der Not«. Er möchte seine Hilflosigkeit im Umgang mit dem noch unbekannten Schicksal nicht wahrhaben, weil er Angst um seine Partnerin hat. Ken Wilber brauchte ein Jahr, um zu lernen, dass er vieles nur hinnehmen, aber nicht bessern konnte. Einfach nur bei seiner Frau sein, das reichte beiden. Ken Wilber fühlte sich durch den Rollenwechsel oft wie eine »japanische Hausfrau«, da er alles für seine Partnerin machte, weil sie dazu nicht mehr in der Lage war. Für einen männlichen Helfer ist das meist schwierig. Er kann vielleicht das Versorger-Dasein nicht mehr ertragen. Wenn seine geliebte Partnerin nach seinem Befinden fragt, möchte er manchmal antworten, so schlecht, dass er sogar Suizidgedanken habe. Solche Äußerungen wären gefährlich. Besser ist es, sie abzumildern und der Partnerin zu erklären, er sei müde, aber er werde es durchstehen. Ken Wilber lernte schließlich, die starken Gefühle seiner Partnerin – wie Wut, Angst, Schmerzen, Entsetzen –, die bei ihm abgeladen wurden, wie ein »Schwamm« aufzusaugen. Dann hielt er sie im Arm, nahm ihre Emotionen in sich auf und teilte sie mit ihr. Erfuhr seine Partnerin erneut, dass zum Beispiel eine neue Metastase gewachsen war, erwartete sie, dass er mit ihr weinte, ihre Emotionen in seinem »Schwamm-Dasein« aufsaugte und ihre Mutlosigkeit zerstreuen konnte. Er musste lernen, das auszuhalten. Wilber hat seine Partnerin in ihren Therapieentscheidungen
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unterstützt. Vermutete er jedoch eine falsche Entscheidung, wehrte er sich dagegen, sogar wenn seine Frau daran glaubte. Entschloss sie sich endgültig für eine Therapie – auch gegen sein besseres Wissen –, unterstützte er sie dennoch. Er gewöhnte sich daran, alle Hausfrauenpflichten zu übernehmen. Seine Frau war mit ihrem ständigen Kampf beschäftigt, wieder gesund zu werden. Alltägliche Dinge mussten weiterlaufen. Ken Wilber sagt: »Die Existentialisten haben recht, wenn sie sagen, dass wir zu unseren einmal gefällten Entscheidungen stehen müssen; unsere Entscheidungen formen unser Schicksal. Wenn wir nicht zu unseren Entscheidungen stehen, ist das ›Treulosigkeit‹ und führt zum ›unauthentischen Sein‹. Entscheidungen haben mich angehalten, durch alle Hochs und Tiefs bei meiner Frau zu bleiben und sie bis zum Ende ihrer Krankheit zu begleiten.« Ken Wilber hatte oft Zweifel, er fühlte sich dann unauthentisch, litt unter Selbstmitleid, Selbstvorwürfen und Schuldgefühlen. Er hielt sich jedoch an sein Versprechen; es war seine freie Entscheidung, diese Rolle fortzuführen. Er beschloss, die Wahl täglich neu zu treffen, um die negativen Gefühle zu bewältigen. Nach vielen schwierigen Schritten und Erkenntnissen kam Ken Wilber zu seiner eigentlichen Aufgabe – dem Schreiben – zurück, und konnte wieder meditieren. Er schreibt: »Wenn man diese wahllose Aufmerksamkeit, dieses reine Betrachten von Moment zu Moment aufrechterhält, dann ist der Tod nur ein Augenblick wie irgendein anderer. Man scheut den Tod nicht, man klammert sich nicht ans Leben – beide sind nur vorübergehende Erfahrungen.« Wilber fand in der buddhistischen Weisheit eine Hilfe. Er lernte dadurch das Loslassen. Der Krebs seiner Frau erinnerte ihn ständig daran, dass der Tod ein großes Loslassen ist. Er tat, was er als »selbstloses Dienen der Mystiker« beschreibt: anderen dienen. Er wollte lieben und dienen, wie Mutter Theresa sagt: »Lieben, bis es weh tut«.
Partner äußern sich zu ihren Erfahrungen
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Unterstützung des Partners für oder gegen eine Therapie Natürlich soll der Partner die Auswahl der Therapie mit seiner Partnerin und mit den Ärzten besprechen. Er sollte seiner Partnerin zuhören, er darf sich seine eigene Meinung bilden, und wenn alle mit der weiteren Behandlung zufrieden sind, kann er sie mit gutem Gewissen unterstützen. Manchmal gehen jedoch die Meinungen bei Therapieentscheidungen der Partner auseinander. Wenn das so ist, sollte der Partner dies zwar äußern, aber dabei Fingerspitzengefühl für die Grenzen zu haben: »Ratschläge Sind auch Schläge. Das hatte ich vergessen. Vorgestern haben meine Worte Dich erschlagen. – Verzeih! Renate Dingler
Interview mit dem Ehepaar Kirsch Frau Kirsch betrat das Untersuchungszimmer und fragte sofort, ob ihr Mann dabei sein dürfe. Sie ist 60 Jahre alt, schlank, zierlich mit ebenmäßigen Gesichtszügen und hat seidig-glänzendes Haar, ist romantisch gekleidet – Bluse mit Rüschen, langer Rock. Sie erscheint schüchtern und dennoch stark. Herr Kirsch, übergewichtig, dynamisch, temperamentvoll, unterbricht uns ständig während des Gesprächs und erzählt Geschichten über Chemotherapien, die schiefgelaufen seien in der Familie. Rose Kirsch berichtet: »Vor zehn Jahren ertastete ich einen Knoten in meiner Brust. Eine anthroposophische Ärztin empfahl eine Probebiopsie. Sei er bösartig, könne ich vielleicht noch ein Jahr leben. Unternähme ich nichts, würde er vielleicht von selbst verschwinden und mein Leben könnte ein natürliches Ende haben. Da mein Mann mich braucht, verstand ich diese Aussagen so: Würde ich eine
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Biopsie vornehmen lassen, würde ich eher sterben, und das wollte ich nicht. Also unternahm ich gar nichts.« Sigfried Kirsch unterbrach uns: »Ich habe meine Frau stets bei allen Entscheidungen unterstützt. Ich war wie sie gegen eine Operation oder eine Chemotherapie, denn ich habe in der Familie erlebt, dass es einem nach einer Chemotherapie schlecht geht und Operationen sind gefährlich.« Rose Kirsch wandte ein: »Ich wollte auch nicht meine Haare verlieren. Ich bin eine Ästhetin. Mein Mann und ich führen eine gute Ehe trotz fehlender Sexualität und reden über alles miteinander. Ich hatte Angst – vor Operation und Narkose, weil ich befürchtete, nie wieder aufzuwachen.« Siegfried Kirsch: »Ich habe meine Frau unterstützt, dass sie nicht noch mal zum Arzt gehen sollte.« Rose Kirsch: »Aber der Krebstumor wuchs und wuchs, und nach neuneinhalb Jahren ging ich dann doch zu einem Spezialisten, der eine Biopsie durchführte, die bestätigte, dass es Brustkrebs war. In der Zwischenzeit war der Tumor so groß geworden, dass er schon durch die Haut wuchs, und ich hatte vergrößerte Lymphknoten unter dem Arm, auch einige Knoten unter der Haut. Ich habe meine Geschwulst selber verbunden. Meine einzige Beschwerde war Müdigkeit aufgrund einer Blutarmut, weil das Blut manchmal aus dem Geschwür trat. Der Chirurg gab mir einen Aromatasehemmer, und dadurch wurde der Tumor kleiner. Jedoch vertrug ich dieses Medikament nicht, ich bekam Sehstörungen und Beinkrämpfe und setzte das Medikament ab und wollte alternative Methoden ausprobieren. Ich ließ mich nicht operieren, weil ich meinem Mann gegenüber Schuldgefühle hatte, da ich niemals Sexualität wollte, und ich weiß, wie wichtig das für einen Mann ist.« Sigfried Kirsch: »Ja. Sie hat sich mir verweigert, ich habe sie auch nie gezwungen, und dabei ist sie eine begehrenswerte Frau. Sonst stimmt alles in unserer Ehe: Wir reden über alles, lieben uns und führen eine harmonische Ehe. Wir machen alles gemeinsam. Wir sind niemals ohne den andern.« Rose Kirsch: »Meine Schuldgefühle sind enorm, und obwohl ich meinen Mann liebe, habe ich seit meiner Pubertät Berüh-
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rungsängste. Ich habe das Gefühl, ich bin keine richtige Frau, weil ich keine Sexualität möchte.« Sigfried Kirsch: »Ich habe meine Frau in allen ihren Entscheidungen unterstützt.« Rose Kirsch: »Ich muss meinen Brustkrebs als Strafe für meine Schuld tragen.«
Wir sprachen lange miteinander. Ich erklärte Frau Kirsch, dass ihre Überlebenschance größer wäre, wenn sie sich schulmedizinisch korrekt behandeln ließe mit Chemotherapie, Operation und Bestrahlung. Ich erklärte ihr, dass ich ihr einen sofortigen Termin bei einem Brustchirurgen machen würde, und fragte, ob sie damit einverstanden sei. Herr und Frau Kirsch sagten nun beide »ja«. Noch am selben Tag wurde bei dem Chirurgen die Behandlung begonnen. Herr und Frau Kirsch sahen also nun ein, dass eine Behandlung notwendig war. Wir sprachen noch über die zerstörerische Sinnlosigkeit von Schuldgefühlen. Herr und Frau Kirsch waren jetzt bereit, während und nach der medizinischen Behandlung eine Psychotherapie zu machen. Dieses Ehepaar, das gut miteinander kommuniziert und sich gegenseitig unterstützt, zeigt, dass es lebensgefährlich sein kann, einen falschen Entschluss bei der Krebsbehandlung zu unterstützen. Ken Wilber versuchte dagegen, Therapien, die er nicht für gut hielt, seiner Frau auszureden, unterstützte sie jedoch in den von ihr gefällten therapeutischen Entscheidungen. Seine Frau kämpfte mit schulmedizinischen und alternativen Methoden ständig gegen ihren Brustkrebs vom Zeitpunkt der Diagnose an.
Interview mit Dirk Dirk hat Beatrix zehn Jahre nach ihrer Brustkrebsdiagnose geheiratet. Die Hochzeit wurde nach Beenden der Bestrahlung einer Metastase gefeiert. Dirk berichtet: »Als ich Beatrix heiratete, wusste ich, dass ihr
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Krebs gestreut hatte. Ich hatte Hoffnung, weil der Krebs durch die Therapie klinisch verschwand. Wir sind aktiv, gehen auf Partys, machen Reisen. Wir genießen unseren Freundeskreis. Ich habe eine erfüllende Beschäftigung. Wir ergänzen uns im Haushalt, sogar im Beruf, weil wir gemeinsam Geschäftsfreunde besuchen und einladen. Wir leben mit der Erkrankung von Beatrix so normal wie möglich.« Dirk und Beatrix haben ein starkes, unterstützendes soziales Netz. Er ist liebevoll und fürsorglich im Umgang mit seiner Frau. Dirk sagt: »Ich muntere sie auf, wenn sie melancholisch wird, oder ich höre einfach zu und bin bei ihr. Das ist meine Aufgabe nicht nur als Partner, sondern als liebender Ehemann. Das verstehe ich unter einer guten Ehe, sich gegenseitig zu unterstützen, wenn Problemen auftreten.« C2: »Überfällt dich manchmal die Angst?« D2: »Natürlich! Dann, wenn harte Aussagen von Ärzten kommen – nach einer erfolglosen Operation oder schlechten Blutwerten oder wenn von ›kurzer Lebenserwartung‹ gesprochen wird, kommen natürlich verstärkt Ängste auf. Aber ansonsten haben wir immer Hoffnung und denken nicht an das Ende (Tod) unserer Beziehung. Wir kosten jeden Tag voll aus, den wir gemeinsam verbringen dürfen. Ich spreche auch mit Beatrix über meine Sorgen. Wenn sie das belastet, rede ich mit Freunden. Obwohl diese nicht verstehen, dass der Partner auch unter der Erkrankung seiner Partnerin leidet.« C: »Woher bekommst du deine Stärke? Was sind deine Ressourcen? Wie bewältigst du die Erkrankung deiner Frau?« D: »Weil ich stabil und optimistisch bin. Bekommen wir eine negative Aussage von Ärzten, versuchen wir, diese positiv anzugehen und zu bewältigen – zum Beispiel: Welche Therapie ist jetzt hilfreich? –, und wir verlieren nicht die Hoffnung. Wir wohnen nicht zurückgezogen, sondern gehen unseren Interessen nach (Theater-, Konzert-, Kinobesuche), treiben Sport, haben Spaß an Gesprächen mit Freunden, reisen und reden über alles.« 2 C: Cora Creutzfeldt (Interviewerin); D: Dirk.
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C: »Ihr habt mehrere Kinder – wie gehen sie mit der Erkrankung von Beatrix um?« D: »Ein Kind hat noch nicht das Verständnis oder die Erfahrung mit einer schweren Krankheit. Besonders schwer wird der Umgang mit dem Tod und dem eventuellen Sterben der Mutter. Unsere Kinder sind rücksichtsvoll. Aber sie können sich das Ende, dass ihre Mutter sie vorzeitig verlassen muss, nicht vorstellen. Wer hilft den Töchtern? Wo haben sie Raum? Eine unserer Töchter möchte nicht erwachsen werden – in der Hoffnung, ›als Kind‹ würde ihre Mutter sie nie verlassen können.« C: »Was meinst du mit ›Umgang mit dem Tod‹?« D: »Der ›Umgang mit dem Tod‹ kann der Hintergrund dieser Krankheit sein.« C: »Wie stehst du dazu?« D: »Natürlich bekomme ich Angst. Aber Beatrix geht es trotz Metastasen gut. Der Gedanke an den Tod ist noch nicht dran. Sollte Beatrix sterben, wird das ein tiefer Einschnitt in meinem Leben sein. Meine Grundhaltung ist das Prinzip Hoffnung und weniger der Tod. Ich kann ihn mir nicht vorstellen. Wir versuchen eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Tod; das gehört dazu – der Tod lebt mit.« C: »Du bist Sportler und hast viele Hobbys, aus denen du deine Kraft ziehst.« D: »Ich spiele Squash, fahre Rad, laufe Ski. Im Sommer wandere ich mit Beatrix. Es gibt viel, woran ich Freude habe. Ich bastele gerne am Haus, repariere alles selbst. Diese Beschäftigung lenkt mich von meinen Sorgen ab. Unser finanzieller Rahmen ist okay. Alles zusammen ist eine gute Voraussetzung, um gewappnet und stark zu sein bei dieser Krankheit.« C: »Deine Erfahrungen werden anderen betroffenen Paaren helfen. Es gibt ja 67.000 allein in Deutschland.« D: »Der Brustkrebs ist nicht das Belastendste. Wenn Beatrix nicht gut drauf ist, bedrückt sie das mehr als der physische Stress der Krebserkrankung. Obwohl ich mich nicht in sie ›reinziehen lasse‹, sondern optimistisch bleibe, muss ich doch auf manches verzichten. Ich bin aktiv und habe auch eigene Wün-
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sche, die ich oft zurückstellen muss. Ich versuche, unsere Gemeinsamkeiten zu stärken.« C: »Bekommst du Wut auf die Erkrankung oder auch auf die Ärzte, die sich unverständlich ausdrücken und sich nicht genug Zeit nehmen?« D: »Ja, natürlich habe ich Wut auf den Krebs und auf ärztliche Aussagen, die weder mich, noch meine Partnerin, noch meine Familie aufbauen. Das zerstört Vertrauen, das man Ärzten sonst entgegenbringt. Aber grundsätzlich genießen wir das Leben, auch weil wir durch die Krankheit intensiver miteinander leben. Das gemeinsame Gespräch macht das Tragen der Erkrankung leichter. Wir können trotz der Erkrankung mit Brustkrebs gut leben.« C: »Als Eure gemeinsame Freundin, aber dennoch Außenstehende, finde ich eure Beziehung intensiver als die mancher Paare, die nicht mit der Krankheit leben müssen.« D: »Das Leben erleben ist lebenswert. Wir haben schon zwanzig Jahre gemeinsam mit dem Krebs gelebt, und das Leben mit allen Höhen und Tiefen angenommen und genossen.« C: »Du hast die ganze Zeit zu ihr gestanden, sie begleitet.« D: »Das war für mich nie ein Thema, Beatrix hat sich als Mensch nicht verändert durch Brustkrebs. Ich spüre, wenn es Beatrix nicht gut geht, und kann sie aufmuntern durch einen Vorschlag, Gemeinsames zu unternehmen, oder ich nehme sie schweigend in meine Arme. Wenn ihre Augen den angespannten Ausdruck verlieren, weiß ich, dass es ihr besser geht. Natürlich hat sich unsere Sexualität im Vergleich zu früher verändert. Jetzt ist sie zärtlicher, hautnäher. Wir liegen eng beieinander, sind uns nahe, reden über alles. Die wilden ersten Jahre sind vorbei, aber wir haben sie auch bewusst erlebt und gelebt. Was wir jetzt haben, ist auf einer anderen tieferen Ebene. Unsere Liebe schließt alle Lebensbereiche ein. Wir teilen das Unangenehme und das Schöne.«
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Ein Gedicht von Renate Dingler über den Tod: »Ich stelle mir meinen Tod vor Wie den Geliebten von damals Mit dem ich im Tangofieber Das Leben durcheilte.« Ich stelle mir meinen Tod vor Wie den Sonnenaufgang am Meer Der mich begrüßt am Morgen Nach einer Tangonacht mit Dir. Ich stelle mir meinen Tod vor Wie den Sonnenuntergang über dem Inselhafen Der mein Schiff beschützt mit Liebe Nach seiner letzten Reise. Ich stelle mir meinen Tod vor Und ein Lachen kommt in meine Augen Mit dem Tod einen wilden Tango tanzen? Warum nicht! Lebendiger kann Sterben Doch nicht sein!
Interview mit Dylan und Lilly Dylan, 32 Jahre, ist Biologe und möchte zurück in sein Heimatland in Afrika, um dort Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Seine Frau Lilly, 37 Jahre, Lehrerin, ist auch bereit, mit ihm zusammen in Afrika zu arbeiten. Ihr Plan wurde abrupt durch einen Knoten in Lillys Brust unterbrochen. Beide kamen tief betroffen abends zu mir, um über den Knoten, den Lilly in ihrer Brust ertastet hatte, zu sprechen. Die Ärzte hatten ihr gesagt, die Brust müsse nicht entfernt werden, aber Lilly meinte, sie müsse amputiert werden, um sich die Bestrahlungszeit zu sparen und um so schnell wie möglich mit Dylan nach Afrika fahren zu
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können. Dylan standen die Tränen in den Augen, weil er nicht wollte, dass Lilly für ihn ihre Brust opferte. Wir haben drüber diskutiert, und Lilly war mit einer Knotenentfernung einverstanden. Sie änderte jedoch später ihre Meinung, ließ ihre Brust entfernen. Da einige Lymphknoten befallen waren, musste sie sich einer Chemotherapie unterziehen. Aus Loyalität hat Dylan, als Lillys Haare ausfielen, seine schwarzen Locken abscheren lassen. Er lief mit Glatze herum, bis Lillys Haare wieder gewachsen waren. So zeige er sich völlig solidarisch mit dem Schicksal seiner Frau. Heute leben beide mit ihren Kindern glücklich in Afrika, sie arbeiten dort in ihrem Beruf. Manchmal beneidet Lilly die afrikanischen Frauen, die mit ihren nackten Brüsten stolz und schön ihre Arbeit verrichten. Lilly war es peinlich, mit nur einer Brust das Gleiche zu tun. Nach einigen Monaten konnte sie jedoch auch ihre einseitige Brustlosigkeit in afrikanischer Kleidung stolz tragen.
»Krebs-Scheidung« – Mythos oder Realität? Die Vorstellung, dass Partner ihre kranken Frauen verlassen, ist leider noch immer verbreitet. Claus Buddeberg hat die einzige umfassendere deutschsprachige Untersuchung »Ehen krebskranker Frauen« (1985) vor mehr als zwanzig Jahren verfasst. Sein Fazit hat heute noch Gültigkeit: Gestörte Beziehungen werden durch die Erkrankung noch schwieriger, gute Beziehungen werden nicht beschädigt – im Gegenteil, sie entwickeln sogar einen besseren Zusammenhalt. Aktuellere Untersuchungen aus Kanada und Norwegen bestätigen das frühere Ergebnis von Buddeberg: Diejenigen Frauen, die vor der Diagnose unzufrieden mit ihrer Ehe waren, blieben es auch nach der Erkrankung und waren am ehesten von Trennung betroffen. Stützende, stabile Partnerschaften wurden – trotz schwieriger Phasen mit der Krankheit – eher noch enger.
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Kommunikation Erkrankt die Partnerin an Brustkrebs, verändert sich die Kommunikation in der Paarbeziehung. Generell sind die Beziehungen der erkrankten Frau zu ihrem Partner und auch zu anderen nahestehenden Menschen belastet durch Verhaltensunsicherheiten und Befangenheit auf allen Seiten. Die Vorstellungen darüber, wie eine hilfreiche Beziehung sein könnte, divergieren erheblich. Angehörige bewerten einen Umgang mit der Erkrankung als positiv, wenn die Kranken »entschlossen gegen die Erkrankung ankämpfen« und wenn es ihnen gelingt, »nicht ins Grübeln zu kommen«. Gesunde meinen, dass Krebskranke, um die Heilung zu fördern, froh und optimistisch sein sollen. Entsprechend versuchen sie, die Kranke aufzumuntern. Derartige Bemühungen werden von den Kranken selbst oft als wenig hilfreich empfunden, obwohl herzlich zu lachen den Geist erfrischt. Gesunde meiden oft eine Aussprache über belastende Gefühle, sie fürchten, das sei schädlich. Die Auffassung, dass das, was nicht ausgesprochen wird, auch nicht existiert, scheint vielfach den Umgang miteinander zu prägen. Während dieses Ausblenden den Gesunden oft gut gelingt, fühlen sich betroffene Frauen durch eine Konfrontation mit optimistischen Gefühlen und Gedanken allein gelassen und missverstanden. Patientinnen fühlen sich möglicherweise durch dieses Kommunikationstabu in ihren Möglichkeiten zum freien Emotionsausdruck eingeschränkt. In einer Untersuchung, die von Hermann Faller (1998) referiert wird, geben 87 Prozent der erkrankten Patienten an, dass sie oft ihre Empfindungen für sich behalten und vor Familienmitgliedern verbergen. Sie erleben, dass andere über ihre Sorgen nichts hören wollen, fühlen sich nicht ernst genommen, zweifeln sogar an der Berechtigung ihrer Gefühle und verstummen. In der gut gemeinten Absicht, die Partnerin oder den Partner zu schützen, wird weniger offen kommuniziert. Ängstigende Inhalte werden gemieden. Ähnliches gilt für die Art der Konfliktlösung. Auch bei Paaren, die vor der Erkrankung Kon-
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flikte offen angesprochen haben, zeigt sich ein Wandel im Umgang mit Konflikten. Sie werden vermieden, um die emotional schwierige Situation nicht noch aufzuheizen. Auch hier gilt, dass die kurzfristige Entlastung unter Umständen erkauft wird mit weniger Austausch und Intimität, mit Rückzug und Einsamkeit. Beide, erkrankte Frau und Partner, sind im Dilemma gefangen: – Frauen sollen einerseits über ihre Belastungen sprechen, um Unterstützung zu erhalten; andererseits kann eine weitgehende Selbstenthüllung Partner ängstigen, verunsichern und zum emotionalen Rückzug treiben. – Partner müssen eine Balance finden zwischen einem offenen Ohr für belastende Gefühle und der Ermunterung zu Aktivität auf der einen Seite und der Aufrechterhaltung von »Normalität« auf der anderen Seite. Aktivität und das Fördern von Autonomie wirken Gefühlen von Hilflosigkeit und Kontrollverlust entgegen und helfen so bei der Anpassung an die Krankheitssituation. Nur trösten und aufmuntern, ohne die Bereitschaft, auch die andere, »normale« Seite zu akzeptieren, erleben viele Frauen als wenig hilfreich. – Manchmal hüllen sich betroffene Frauen in ein stoisches Schweigen über ihre Gefühle. Nur so können sie ihr Schicksal ertragen und bewältigen. Für die meisten Partner ist das Nicht-kommunizieren-Können oder -Wollen schwieriger auszuhalten als das Ausdrücken von belastenden Gefühlen. Partner sollten das Schweigen akzeptieren und als Versuch der Partnerin erkennen, für sich eine schützende Mauer gegen ihre Umwelt zu errichten, um »Normalität« zu bewahren. Die Partner können lediglich anbieten, dass sie jederzeit für die Betroffene unterstützend da sein wollen, wenn sie dies wünscht. Schweigen in einer Partnerschaft ist jedoch belastend. – Einige Frauen delegieren unbewusst ihre Ängste an andere. Diese leiden dann mehr als die Betroffene selbst, die unbeschwert wirkt.
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Infragestellung und Abwertung des bisherigen Lebens Menschen können kaum anders, als in existentiellen Krisensituationen nach dem Grund und dem Sinn dieser Krise zu fragen. Schwere Krankheiten sind solche Krisensituationen und die Frage, die häufig am Beginn einer Erkrankung gestellt wird, lautet: Warum gerade ich? Diese Frage kann in Beziehungen ihre destruktive Macht entfalten, wenn »normale« Konflikte und Schwierigkeiten, die fast jedes Paar begleiten, im Kontext der Krankheit eine andere Wertigkeit erlangen. Nachweislich neigen gerade Frauen dazu, die Ursachen für ihre Krebserkrankungen in ihrer Vergangenheit zu suchen und »falsch gelebtes Leben« oder eine »falsch gelebte Beziehung« verantwortlich zu machen. Nicht selten wird von professioneller Seite – von Ärzten und Psychotherapeuten – solchen subjektiven Theorien Vorschub geleistet. Selbst in einfühlsamen Büchern wie zum Beispiel in dem von Marina Schnurre (»Sprich mit mir, damit ich mich fühle«, 1991) findet sich diese Art von Theorien. Auf die Frage nach den positiven Aspekten einer Erkrankung antwortet Schnurre: »O ja, das gibt es auch. Wenn man Krankheit als das sehen kann, was sie auch ist: ein Hinweis unseres Körpers auf ein nicht adäquat gelebtes Leben, dann hat man auch die Chance, daraus Schlüsse zu ziehen.« Die Autorin möchte das allerdings nicht als Schuldzuweisung verstanden wissen – aber wie denn dann? »›Geh du vor‹, sagt die Seele zum Körper – ›vielleicht weißt du eher …‹ Krebs gibt mir die Chance, auf mich zu hören, mit meinem Körper umzugehen, meine Seele zu beobachten.« Warum wird diese Frage von (fast) allen Betroffenen zumindest zeitweilig gestellt? Im Anpassungsprozess an eine Krankheit hat diese Frage eine wichtige Funktion. Im inneren Gefühlschaos, in der Situation des »Sturzes aus der normalen Wirklichkeit« ist sie ein Versuch, durch kausale Erklärungen – wenn … dann (»weil ich mich in der Ehe immer untergeordnet habe, deshalb bin ich krank geworden …«) – Ordnung zu schaffen. Wenn keine medizinische Erklärung greift, wird zu einer psychologischen gegriffen. Das, was erklärt werden kann,
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verliert etwas von seinem Schrecken. Je unerklärlicher, je unheimlicher Ereignisse erlebt werden, desto größer ist die sie begleitende Angst. Eine Ursache finden für die Krankheit heißt auch, mindestens symbolisch auf diese Ursache Einfluss nehmen zu können. Einfluss nehmen, etwas tun oder handelnd verändern können, bedeutet, Kontrolle über das eigene Leben zurückgewinnen. Das Streben nach Kontrolle ist ein wichtiger psychischer Mechanismus, um Angst bewältigen zu können. Erst im Verlauf des Krankheitsanpassungsprozesses können Vorstellungen von eigener Schuld modifiziert und realistischer gefasst werden, doch können Lebens- und Beziehungsbedingungen im Lichte der Erkrankung durchaus neu bewertet werden und so zu anderen Prioritätensetzungen führen. Auch das ist durch Erfahrungsberichte Betroffener dokumentiert und durch Studien gut belegt: Krankheitserfahrung verändert Lebensziele und Werte im Hinblick auf familiären Zusammenhalt, Liebe, Unterstützung. Leistung, Besitz und Beruf können dagegen in ihrer Bedeutung eine Relativierung erfahren. Nicht Haben, sondern Sein rückt in den Vordergrund. Schuldzuweisungen können die Anpassung an den Krankheitsprozess des Paars erschweren und damit psychische Probleme in der Auseinandersetzung mit der Krankheit eher begünstigen. Partnern wird vor allem zu Beginn der Erkrankung und bei möglichen sich wiederholenden Krankheitsereignissen im Versuch, die Partnerin zu verstehen, viel abverlangt. Wenn Partnern den Blick und das Verständnis für diese Schulddynamik nicht möglich ist, sie deren Bedeutung nicht richtig einschätzen können und sie die in ihren Augen ungerechte Beurteilung nicht aushalten können, kann ein quälender Zirkel gegenseitiger Abwertung, Missachtung von Gegenwart und Vergangenheit und Infragestellung einer gemeinsamen Zukunft daraus resultieren. Für den Partner als Nicht-Betroffener setzt allein die Tatsache, gesund zu sein, ihn scheinbar ins Unrecht. Nicht selten ist in Gesprächen zu hören: »Egal, was ich sage oder mache, es ist immer falsch.« Hilflosigkeit, Einsamkeit und Rückzug des Partners können die Folge sein – mit fatalen Konsequenzen für die erkrankte Partnerin.
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Krisensituationen stellen Bewährtes in Frage. Gefühlschaos ist allerdings kein guter Ratgeber bei nötigen Weichenstellungen für die Zukunft. In jedem Fall lohnt es sich, nach der Funktion solcher Bewertungen für die Anpassung an die Krankheit zu fragen, sich Zeit zu lassen für Entscheidungen und auch den Partner zu ermutigen, seine Sicht darzulegen. Gerade in engen Beziehungen kann die Tatsache, gesund zu sein, gegenüber der erkrankten Partnerin zu Schuldgefühlen führen; sie können unbewusst bleiben. Ähnliches Verhalten zeigen auch Überlebende nach Katastrophen. KZ-Häftlinge, Flugzeugabsturz-Überlebende, Zugverunglückte leiden unter einer Überlebensschuld. Wut, Ärger, Enttäuschung sind ihnen nicht »erlaubt«. Das kann zu unangemessenem Verhalten führen wie Überfürsorglichkeit, Autonomiebeschränkung, Verzicht auf Konfrontation und macht letztendlich kränker. Auch wenn diese Verhaltensweisen kurzfristig Entlastung bringen, Konflikte verdecken und schonend erscheinen, können sie langfristig gegenteilige Effekte bei den betroffenen Frauen hervorrufen. Sich für die erkrankte Partnerin zu opfern ist keine Hilfe. Selbstwertminderung bei der Partnerin kann die Folge sein, unter Umständen verbunden mit Gefühlen von Schuld und Undankbarkeit. Das Gefühl, überflüssig zu sein und zur Last zu fallen, kann auf Seiten der Kranken gefördert werden. Unterstützung kann aber auch inadäquat sein und an dem vorbeigehen, was sich betroffene Frauen wünschen; sie kann ineffektiv sein, vor allem dann, wenn die Partner ihre eigenen Belastungen kaum noch bewältigen können. Unterstützungserwartungen können auch enttäuscht werden, erst recht, wenn die Frauen sie nicht äußern und die Partner auch nicht danach fragen. Frauen müssen lernen, ihre Gefühle nicht zu unterdrücken, sondern sie auszudrücken! Ein weiterer heikler Punkt ist die Konfrontation des Partners durch die Partnerin, dass sie jetzt »nur noch an sich denken« wolle; als Kontrast gegen ihr früheres Verhalten, bei dem sie »nie an sich gedacht« habe und nur für die Familie da gewesen sei. Diese Vorstellungen entwickeln sich des öfteren im Kon-
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takt mit anderen betroffenen Frauen und werden häufig von psychotherapeutischer Seite gestützt. So richtig der Kern eines »gesunden Egoismus« auch sein mag, in belastenden Situationen bringt er Sprengstoff für die Beziehung mit sich. Der Partner erkennt möglicherweise seine Frau nicht mehr wieder, kann nicht nachvollziehen, was vor sich geht, und sieht seine Bemühungen abgewertet. Eine Frau, die über frühe positive emotionale Erfahrungen von Bindung verfügt und gute Interaktion verinnerlicht hat, hat positive Vorstellungen von ihren Bezugspersonen entwickelt. Sie besitzt ein starkes Selbst, das ihr hilft, autonom zu bleiben. Solche Frauen können auch ohne Hemmungen um Hilfe bitten.
Formen der Bewältigung – wie Familie und Partner ihr Schicksal bewältigen Christine Schönberger und Ernst von Kardorff beschreiben in ihrem Buch »Mit dem kranken Partner leben« (2004) die verschiedenen Bewältigungsstrategien von Paaren. Hierbei spielen Charaktereigenschaften, Biographie, Bildung, Beruf, Partnerund Familienbeziehungen sowie frühere Bewältigungsstrategien bei Schicksalsschlägen und im Umgang mit Krankheiten eine Rolle. Die eigenen sowie familiären Erfahrungen mit Krankheit, Behinderung, Vorerfahrungen im Gesundheitsbereich oder auch traumatische Lebensereignisse, die erfolgreich gemeistert wurden, sind prägend. Die Erfahrungen aus der Herkunftsfamilie im Umgang mit Krankheit und anderen bedrohlichen Ereignissen beeinflussen die individuelle Bewältigung der aktuellen Krise. Vorherige Traumata wie Überfälle, Unfälle oder Misbrauch können, wenn sie nicht überwunden wurden, eine erhöhte psychische Verletzlichkeit mit sich bringen.
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Bewältigungsstrategien Die im Folgenden aufgeführten Bewältigungsstrategien beruhen auf einer Mischung aus bewussten und unbewussten Gefühlen. Sie zeigen die verschiedenen Kampfstrategien der Partner und Angehörigen gegen Herausforderungen im Allgemeinen und damit auch gegen die Krebserkrankung des Familienmitglieds im Speziellen. Hingabe, Selbstaufgabe, Aufopferung: Bei dieser Form der Krankheitsbewältigung leben Angehörige ausschließlich in ihrer neuen Rolle. Ihr Lebensinhalt wird die Versorgungsarbeit für die kranke Frau. Hier besteht die Gefahr einer symbiotischen Beziehung. Dann werden die eigenen Ressourcen schnell erschöpft. Jedoch kann der »Aufopferer« durch einen neuen Sinn in seinem Leben sich in der Partnerschaft stärker fühlen. Die Gefahr bleibt, dass er durch seine aufopfernde Hingabe in eine Abhängigkeit gerät. Die Kranke selbst kann sich dann überflüssig vorkommen, weil die Aufgaben komplett vom Partner übernommen werden. Fürsorglichkeit und Überfürsorglichkeit: Die Familie nimmt der erkrankten Frau alles ab – auch ohne ihre Zustimmung. Leicht kann die Frau dadurch »entmündigt« werden, wenn die Familie stellvertretend für sie handelt. Das kann eine Entlastung und auch ein Schutz sein, etwa vor in Panik getroffenen Entscheidungen. Diese Überbesorgtheit kann jedoch auf Seiten der betroffenen Frau zu Abhängigkeit, Unselbständigkeit oder gar Hilflosigkeit führen. Selbstmitleid: Die eigene Betroffenheit des Partners steht im Vordergrund, wenn er seine Partnerin und die anderen Familienmitglieder emotional und praktisch unterstützt. Zweifelhafte Unterstützung: Hierbei wird die Frau von der Familie/Partner bei allen Entscheidungen unterstützt, auch dann, wenn sie nicht glauben, dass sie den besten Weg gewählt hat. Gemeinsam handeln: Entschlüsse werden von beiden Partnern gefasst und getragen sowie bei jeder neuen Situation mit dem Blick auf die mögliche Wirkung auf beide Partner durchdacht.
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Einzeln handeln: Der erkrankte Partner nimmt alle Entscheidungen, die seine Krankheit betreffen, allein auf sich. Die Familie wird in Unwissenheit gelassen oder nur teilweise informiert. Das führt oft zu großen Unruhen bei den Familienmitgliedern, weil sie nie genau wissen, wie es um die Erkrankte steht.
Veränderungen durch Rollenwechsel der Partner Häufig sind die Partner unterschiedlichen und scheinbar unvereinbaren Anforderungen ausgesetzt, die den Ablauf des gewohnten Alltags erschweren. Sie leben in einem Spannungsverhältnis. Das entsteht durch die Krankheitsfolgen, die erwünschte praktische und emotionale Unterstützung, das Abhängigsein von Ärzten und Pflegepersonal, die Angst vor Rezidiven und anderem mehr. Es kann zu einer einseitigen Abhängigkeit der Partnerin kommen, wenn der andere Partner alles übernimmt. Partner können, wenn sie überfürsorglich sind und nicht genügend für sich selbst sorgen, andere Verluste als die Partnerin erleben. Sie verzichten zum Beispiel auf viele ihrer Lebensbereiche, sorgen sich ungenügend um ihre eigene Gesundheit, tragen durch die Krankheit ausgelöste zusätzliche Belastungen und können durch ungenügende Zeit für Freunde in eine soziale Isolation kommen. Schönberger und von Kardorff (2004) haben die verschiedenen Arten der Spannungen beschrieben, die durch die Doppelrolle entstehen, in der sich Partner vom Zeitpunkt einer Krebsdiagnose an befinden. Einerseits sind sie Partner mit eigenen Bedürfnissen und Erwartungen an die Partnerschaft und andererseits sind sie als Helfer erwünscht. Dadurch werden Ressourcen gebraucht – ebentuell auch verbraucht –, so dass Partner selbst Hilfe brauchen. Sie gehören einem Familiensystem an, das auf gegenseitigen Erwartungen an Solidarität, auf Rollenklarheit sowie Intimität beruht. Als Helfer müssen Angehörige – besonders der Partner – stets neuen Erwartungen gerecht werden sowie ungewohnte Aufgaben bewältigen. Partner sollen die Erwartungen der Partnerin, der Familie sowie des Behandlungssystems erfüllen. Ein wichtiger Konfliktstoff ist, wenn Pa-
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tientin und Angehörige nicht einer Meinung bei Behandlungsentscheidungen sind. Problematisch wird die Situation auch, wenn der Partner die körperliche Versorgung der betroffenen Frau durchführt, die sonst von einer Pflegerin gemacht werden könnte. Dabei kann eine Frau die Grenzen ihrer weiblichen Identität verlieren. Auch die Identität ihres Partners verwischt sich und ist der Frau nicht mehr deutlich. Die Aufgabenverteilung beziehungsweise die Rollenverschiebung ist asymmetrisch. Diese Dysbalance kann zu einer verstärkten Abhängigkeit durch die krankheitsbedingten Aufgaben, Rücksichtnahmen und zeitlichen Einschränkungen führen. Da die erkrankte Partnerin mehr Fürsorge als der Partner braucht, kommt es zu Abhängigkeiten, die den Freiraum des Partners beschneiden. Um genügend Regeneration und Entlastung von der Fürsorge zu erfahren, müssen eigene Lebensbereiche des Partners als Selbstfürsorge gepflegt werden. Diese Selbstfürsorge ist jedoch oft von Schuldgefühlen belastet. Partner und Angehörige fühlen sich dann infolge dieser Gefühlsambivalenz überfordert und haben Skrupel, für sich selbst genügend zu tun. Inanspruchnahme von professioneller Hilfe kann dann hilfreich sein. Partner haben das Recht auf ihr eigenes Leben und dürfen sich das schuldlos eingestehen. Es ist oft eine Gratwanderung. Schnell entstehen dabei Schuldgefühle, Ängste, Depressionen, die den seelischen Druck so stark werden lassen, dass er nur durch professionelle Hilfe oder in Selbsthilfegruppen gelöst werden kann. Übernimmt der Partner Rollen und Aufgaben von der erkrankten Partnerin, entstehen automatisch Ungleichheiten in der Beziehung: Der gesunde Partner gewinnt an Macht, während die kranke Frau Verluste spürt, weil sie ihre Rolle nicht mehr in gewohnter Weise ausfüllen kann. Fürsorglichkeit kann aber auch zur Aufwertung beider Partner führen. Gebender und Nehmende haben dann beide einen Gewinn. Manchmal sind Paare sich in der Krankheitsakzeptanz sowie in den Behandlungsentscheidungen nicht einig. Diese Meinungsverschiedenheiten können zu Entfremdung, zu Isolation
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und in der Folge auch zum Zerbrechen der Partnerschaft führen.
Möglichkeiten der Unterstützung für Partner und Angehörige Wissen, was dem Partner hilft Ein Partner kann oft die Ängste und Sorgen seiner erkrankten Partnerin nicht nachvollziehen. Denn diese sind nicht nur Bedrohung durch den Krebs und der belastenden Therapien, sondern auch Sorge um ihre Attraktivität und Sexualität. Besonders nach einer Mastektomie befürchten manche Frauen, dass ihr Partner sie entstellt und abstoßend findet – oftmals weil sie selbst ihren Körper so empfinden. Durch Akzeptanz ihres veränderten Körpers kann der Partner sie in ihrer Persönlichkeit, Weiblichkeit und Attraktivität bestätigen und bestärken. Natürlich erfordert es auch vom Partner Mut, sich die Narbe anzusehen und zu berühren. Bittet er seine Partnerin (wenn er kann), ihm die Narbe zu zeigen, und er nimmt die Veränderungen ohne Abscheu an, braucht sie ihre Narben nicht vor ihm zu verbergen. Beide werden realisieren, dass der Anblick einer operierten Brust nicht abstoßend, sondern anders ist und deshalb oft erst einmal gewöhnungsbedürftig. Der Partner wird feststellen, dass seine Partnerin – wie er auch er selbst – mehr Zeit benötigt, um sich an ihren veränderten Körper zu gewöhnen. Um diese delikate Situation zu meistern, sollte der Partner – genau wie seine Frau – über Wirkung und Nebenwirkung der Therapie und mögliche psychische Reaktionen durch die Operationen informiert sein.
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Aufbau eines Netzwerkes von Helfern Die Anforderungen an Partner und Familienangehörige sind oft zu überwältigend, um allein damit umgehen zu können. Anstatt um Hilfe zu bitten, herrscht die Tendenz vor, sich erst einmal ausschließlich auf den inneren Kern der Familie zurückzuziehen und sich abzukapseln. Dabei ist sowohl für die erkrankte Frau als auch für die anderen die Möglichkeit, teilen zu können, emotional entlastend. Helfer brauchen konkrete Vorschläge, welche Art von Hilfe benötigt wird und wie oft und wann sie erwünscht ist. Oft sind es gerade die Kleinigkeiten im Alltag, die abgenommen werden können, wie zum Beispiel: – den Partner während der Abwesenheit seiner Frau mitversorgen, – Haushalts-/Gartenarbeiten oder Ähnliches übernehmen, – Fahrdienste bereitstellen, – wenn gewünscht, Besuche im Krankenhaus, – Hilfe bei der Kinderbetreuung. Der Phantasie und den Ideen sind keine Grenzen gesetzt – allerdings unter einer Bedingung: dass die Art der Hilfe abgesprochen wurde. Nicht sinnvoll sind »kluge Ratschläge«, wie die Familie sich verhalten möge. Familien, die in der Lage sind, ein Netz von Helfern zu organisieren, sind für schwierigere Belastungen und Aufgaben wie beispielsweise Pflegetätigkeiten besser gerüstet. Fühlen Helfer sich überfordert, gibt es auch für sie Selbsthilfegruppen. Hier können sie sowohl negative als auch positive Gefühle und Erfahrungen austauschen und Verständnis finden.
Wenn die Familie aus den Fugen gerät Je nach Ausmaß der Belastung und in Abhängigkeit davon, welche Konflikte und Probleme bereits vor der Erkrankung vorhanden waren, können die Belastungsgrenzen der Familie als Ganzes überschritten werden, sie gerät aus den Fugen. Die ein-
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zelnen Familienmitglieder sind emotional so miteinander verbunden, dass sie selbst »den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen«. Der Blick auf Lösungsmöglichkeiten ist verstellt und Veränderungen scheinen unmöglich. Leider scheuen sich viele Familien, professionelle Hilfe zu suchen. Professionelle Hilfe bedeutet zum Beispiel, sich an entsprechend ausgebildete Paar- und Familientherapeuten zu wenden. In Krisensituationen ist deren Hilfe zuallererst darauf ausgerichtet, an konkreten Lösungsmöglichkeiten für die bestehenden Probleme mitzuarbeiten. Kostenlose Hilfe bieten die Ehe- und Lebensberatungsstellen der Evangelischen und Katholischen Kirchen an. Krebsberatungsstellen verfügen meist über kompetente Mitarbeiter, die entsprechend familientherapeutisch orientiert sind. Auch Kliniken mit psychosozialen Diensten halten ein solches Angebot bereit. Von den Krankenkassen werden ambulante Paar- und Familientherapien in der Regel nicht bezahlt. Allerdings ist bei Einzelpsychotherapien die Mitbehandlung unter bestimmten Bedingungen möglich. Bei Schwierigkeiten, die sich in erster Linie auf die Reaktionen der Kinder beziehen, können die Dienste der Erziehungsberatungsstellen in Anspruch genommen werden. Der Kinderarzt kann im Bedarfsfall auch Psychotherapie für Kinder und Jugendliche vermitteln. Die Angebote sind in ländlichen Regionen eher bescheiden, und insgesamt sind oft Wartezeiten vorgeschaltet.
Praktische Hilfen Von der Familie und von Freunden kann als konkrete Hilfe geleistet werden: – Kinderbetreuung, – Haushaltshilfe, – finanzielle Unterstützung – Hilfe bei der Pflege, – Schulungen durch Krankenkassen, – Hilfe in der letzten Lebensphase.
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Kinder Eltern haben Verantwortung Es ist schwer für Mütter, dass ihre Erkrankung ebenfalls die Familie trifft. Sie haben oft Schuldgefühle, weil sie ihre Elternrolle nicht so, wie sie es wünschen, erfüllen können. Die Erziehung kann sich durch die Erkrankung verändern. Mangels Kraft und Geduld der Eltern werden Kinder oft verwöhnt oder aber emotional vernachlässigt. Die Erziehung und das individuelle Verhalten der Eltern sind enorm wichtig für das weitere Leben der Kinder. Sie lernen durch das Vorleben ihrer Eltern. Eltern haben Modellfunktion, auch darin, wie sie mit Krisen umgehen. Alle profitieren, wenn Eltern Hilfe, Entlastung und Freude suchen, zum Beispiel durch Psychotherapie, einen Kuraufenthalt, Mal- und Tanzkurse. Dadurch werden auch die Kinder entlastet. Kinder nehmen alle Veränderungen innerhalb der Familie wahr. Auch wenn die Eltern sich nicht offen aussprechen, spüren sie deren Angst, Bedrohtsein, Hilflosigkeit und Wut. Die Kinder reagieren darauf mit ähnlichen Emotionen. Wenn sie über ihre eigenen Ängste nicht sprechen können oder damit allein gelassen werden, können sie sich in eine Phantasiewelt flüchten, die noch furchtbarer sein kann als die Wirklichkeit. Daher sollten die Eltern ihren Kindern gegenüber ehrlich und offen sein, soweit es das Alter des Kindes zulässt. Kinder fragen nicht mehr, als sie ertragen und verstehen können, deshalb sollten nur ihre Fragen beantwortet werden. Brustkrebs soll direkt als »Brustkrebs« benannt werden. Kinder haben ein feines Gespür dafür, was einer Mutter fehlt. Wird Krebs nicht benannt, denken sie, ein schreckliches Geheimnis stecke dahinter, und ihre Ängste verstärken sich dadurch. Durch offene Kommunikation und ein Miteinanderreden kann das Thema Brustkrebs für ein Kind einen Teil seines Schreckens verlieren. Man muss nicht die ganze Wahrheit sagen, aber das, was den Kindern gesagt wird, muss wahr sein. Kindern sollte auf ihrer Verständnisebene alles erklärt werden. Das muss feinfühlig geschehen,
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um eine Überlastung zu vermeiden. Aber sie dürfen nicht das Gefühl bekommen, dass man ihnen etwas verheimlicht. Kinder kranker Eltern können Schuldgefühle entwickeln. Sie verknüpfen ihr eigenes Verhalten mit der Erkrankung der Mutter. Ein kleines Kind kann denken: »Ich war ungezogen und böse und bin an Mamas Erkrankung schuld.« Deshalb ist es sehr wichtig, Kindern zu erklären, dass das Auftreten einer Erkrankung und die damit verbundenen Veränderungen ihres Alltags sowie die Veränderung ihrer Mutter nichts mit dem vorausgegangenem Verhalten oder mit Wutgefühlen der Kinder zu tun haben. Je nach individuellem Entwicklungsstand verhalten sich Kinder unterschiedlich. Kleinere Kinder können regressiv reagieren, das heißt, dass sie sich nicht mehr altersgemäß verhalten und zum Beispiel erneut Bettnässen oder sich übermäßig an ein Elternteil klammern, oder sie übernehmen eine neue Funktion, beispielweise die Versorgung der Familie oder der Erkrankten, die ebenfalls nicht altersgemäß ist und sie überfordert. Das tut den Kindern nicht gut. Kleine Kinder können ungesehene Ereignisse nicht nachvollziehen und haben Angst davor. Sie haben keine Vorstellungen davon, was im Krankenhaus oder in der Arztpraxis mit ihrer Mutter geschieht. Deshalb ist es sinnvoll, den Kindern die Behandlungsräume zu zeigen. Wenn sie mit eigenen Augen sehen, dass bei Untersuchungen und Gesprächen nichts Furchterregendes mit ihrer Mutter geschieht, können sie sich von ihren ängstlichen Vorstellungen lösen und lernen damit umzugehen. Ältere Kinder ziehen sich im Fall einer ernsten Erkrankung eines Elternteils manchmal aus der Familie und dem Freundeskreis zurück. Ihre schulischen Leistungen können nachlassen. Sie können aggressiv, antisozial oder auch autoaggressiv werden, das heißt, sie zeigen ein selbstschädigendes Verhalten. Bei pubertierenden Kindern kann das ausgeprägt sein. Dann sind psychotherapeutische oder ärztliche Gespräche angezeigt. Bei älteren Kindern kann der Wunsch nach Ablösung und eigener Lebensgestaltung zu heftigen Schuldgefühlen führen: Einerseits möchten sie sich vom Elternhaus lösen, andererseits haben sie Angst um das erkrankte Elternteil und fühlen sich zur Hilfe
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verpflichtet. Manche Kinder möchten nicht erwachsen werden und entwickeln den Wunsch, immer Kind zu bleiben, in der Hoffnung, dass sie dann ihre Mutter nie verlieren. Bei der Neuorganisation der Familie und der Verlagerung von täglichen Aufgaben an ältere Kinder ist darauf zu achten, dass ihnen nicht zuviel aufgebürdet wird. Selbst wenn sie in der Lage sind, bestimmte Aufgaben zu übernehmen, sollten sie nicht überfordert werden. Wenn Kinder und Jugendliche ihnen angemessene Aufgaben bewältigen und eine verantwortungsvolle Rolle innerhalb der Familie übernehmen, sind sie meist stolz, helfen zu können. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl. Durch ihre Mithilfe können sie gleichzeitig Ängste und Schuldgefühle abbauen, da sie sich aktiv an der Genesung ihrer Mutter beteiligen. Wenn die Brustkrebserkrankung lange dauert und die Bewältigungsstrategien der Familie nicht ausreichen, können die Kinder psychische und soziale Auffälligkeiten entwickeln, die zur Verschärfung der familiären Krisensituation führen.
Aufklärung der Kinder Durch den Schock der Brustkrebsdiagnose und die dadurch ausgelösten Gefühle, wie Verzweiflung, Wut, Aggression und Trauer beider Elternteile, kann sich die Wahrnehmung und Fürsorge ihren Kindern gegenüber verändern. Oftmals erkennen Eltern nicht mehr die Signale, die von ihren Kindern ausgesandt werden. Sie unterschätzen die Belastung der Kinder. Eltern wie Kinder leiden unter Schuldgefühlen: die Eltern, weil sie ihren familiären Aufgaben nicht mehr gerecht werden, und die Kinder, weil sie fürchten, dass ihr Verhalten Grund für die Erkrankung der Mutter und für die Veränderung und Zurückgezogenheit der Eltern sei. Kinder spüren die Belastungen einer Mutter und werden betroffen und verunsichert. Ihr Alltag gerät aus den Fugen. Plötzlich ist ihre heile Kinderwelt, die vorher klar strukturiert und sicher war, gefährdet. Sie bekommen Angst. Die Angst kann sich auf kaum sichtbare, aber auch auf störende und unangenehme Weise äußern. Eltern, die diese Ängste ih-
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rer Kinder nicht erkennen oder nicht einordnen können, reagieren oft unverständlich, was die Unsicherheit, Angst, Sorge und Schuldgefühle ihrer Kinder noch verstärkt. Bleibt die Not der Kinder unbeachtet, kann das ernste seelische Folgen haben. Kinder in dieser unsicheren Situation brauchen viel Liebe, Zuwendung, Verständnis, das Gefühl von Sicherheit und Stabilität sowie die Gewissheit, dass die Eltern trotzdem noch für sie da sind. Die Familienatmosphäre, insbesondere die innerfamiliären Spannungen, die zwangsläufig mit der Krebsdiagnose und dem weiteren Krankheitsverlauf verbunden sind, überträgt sich auf die Kinder. Manche Eltern versuchen, ihr Kind zu schonen und abzuschirmen. Über Unangenehmes wird geschwiegen. Für Kinder bedeutet das jedoch Ausgeschlossensein und Distanz. Das steigert ihre Angst. Wenn Kinder nicht verstehen, was mit ihren Eltern los ist, wächst ihre psychische Belastung und sie werden labiler. Kinder sind sensibel und spüren, was ihre Eltern empfinden. Selbst gesunde Eltern schätzen die seelische Belastung ihrer Kinder oft falsch ein. Deshalb ist es wichtig, mit den Kindern über die Erkrankung zu sprechen. So können viel Leid und eventuelle psychische Fehlentwicklungen vermieden werden. Kinder können, wenn mit ihnen auf einfühlende Art kommuniziert wird, in dieser schwierigen Situation unerwartet Stärke und Disziplin entwickeln. Eine Studie3 aus Israel berichtet über die psychosoziale Anpassung von Kindern, deren Mütter Brustkrebs haben. Achtbis 16-jährige Kinder von Müttern mit Brustkrebsdiagnose wurden mit Kindern von Müttern verglichen, die eine gutartige Brustbiopsie (Gewebeuntersuchung) hatten. Untersucht wurden Befindlichkeit, soziales Verhalten und Verhaltensauffälligkeiten. Obwohl die Kinder von Müttern mit Brustkrebs mehr psychische Probleme hatten als jene der Mütter mit gutartigen Biopsien, wurden zwischen beiden Gruppen keine signifikanten 3 Psychooncology, vol. 10(5) / 2001: 361–369. Department of Psychiatry Beth Israel Deacones Medical Center, East Campus, 330 Brookline Avenue, Boston, MA 02115, USA.
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Unterschiede hinsichtlich Anpassungs- und Entwicklungsproblemen bemerkt. Die Kinder in beiden Gruppen waren verantwortungsbewusster als eine Gruppe von Kindern der gleichen Altersstufe, deren Mütter weder Biopsien noch Brustkrebs hatten. Einige Heranwachsende, deren Mütter an Brustkrebs erkrankten, zeigten sogar bessere soziale und akademische Aktivitäten und Leistungen, wenn ihre Mütter unter der Diagnose und Therapie litten, während Heranwachsende von Müttern mit gutartigen Biopsien weniger gut abschnitten, wenn ihre Mütter depressiv wurden.
Warum Mütter nicht über Brustkrebs sprechen Wissenschaftler (Barnes et al. 2000) untersuchten brustkrebsbetroffene Mütter und ihre Kinder unterschiedlichen Alters einige Monate nach der Diagnose. Alle Mütter hatten ihre Partner frühzeitig informiert. Fast allen Kindern wurde erzählt, dass die Mutter krank sei, aber nur ein Teil der Kinder wussten, dass die Krankheit Krebs war. Manche Mütter können nicht über ihre Erkrankung sprechen, weil sie meinen, Krebs sei ein Tabuthema und ihr Umfeld könnte davon erfahren. Sie wollen ihre Kinder schonen und haben Angst, ihre Kinder allein zurücklassen zu müssen. Die Mütter der Untersuchung hatten folgende emotionale Gründe, ihre Kinder nicht zu informieren: – Angst vor Tabufragen der Kinder, besonders dass die Mutter sterben könnte. Hier wollten die Mütter die Kinder vor Ängsten schützen. – Mütter dachten, die Kinder würden es sowieso nicht verstehen, sie seien noch zu jung. – Den richtigen Zeitpunkt für die Mitteilung schien es niemals zu geben, entweder wurde Geburtstag gefeiert, wurden gemeinsame Ferien verbracht oder das Kind schien durch Schule, Kindergarten oder andere Gründe belastet zu sein. – Mütter hatten große Ängste, falsch zu berichten und die Kinder noch mehr zu verunsichern.
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– Viele Mütter hielten die Kinder vom Krankenhaus fern, ebenfalls um ihnen ihre Ängste zu nehmen, wodurch jedoch die Kinder noch mehr litten. – Einige Mütter wollten ihre Krebserkrankung für sich allein als Geheimnis bewahren, da sie fälschlicherweise meinten, dass das Wort »Krebs« sofort in Verbindung mit Tod und Sterben gebracht wird. Sie wollen ihre Kinder nicht belasten und möchten nicht, dass sie zu sehr mitleiden. – Obwohl Mütter selbst gut informiert waren, hatten sie von ärztlicher Seite keine Unterstützung für ihre Kinder bezüglich eines Gesprächs. Hier wäre es angebracht, eine Krebsberatungsstelle oder einen Psychoonkologen einzuschalten. Andere Mütter informierten ihre Kinder ausführlich und früh, weil sie glaubten, dass Kinder das Recht haben zu wissen, wie es um sie steht. So haben sie das Vertrauen der Kinder nicht verloren und ihnen Raum und Zeit für Gespräche gegeben und so ihre Ängste gemindert. Diese Mütter meinten, dass ihre Kinder es sowieso erfahren würden, und wollten es ihnen daher selbst sagen, damit die Kinder keinen Vertrauensverlust erlebten. Insgesamt wünschten sich alle Eltern, dass es jemanden gäbe, der ihnen erklärte, wie man einem Kind eine derartige Nachricht am besten mitteilt.
Probleme der Kinder Durch die Erkrankung der Mütter bekommen die Kinder meist weniger Zuwendung und Aufmerksamkeit, weil die Mütter mit ihren eigenen Ängsten zunächst selbst zurechtkommen müssen. Außerdem erfolgt immer wieder eine Trennung, weil die Mutter durch Arztbesuche, Klinik- und Kuraufenthalte nicht präsent ist und dadurch der Kontakt und die seelische Wärme fehlen. Soll das Kind mehr Aufgaben innerhalb der Familie übernehmen, hat es natürlich nicht mehr so viel Zeit für sich und seine Freunde. Wenn es zudem nicht über die Erkrankung informiert wurde, wird es völlig verunsichert. Kinder entwickeln
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dann Ängste in beide Richtungen: Angst, die Mutter zu verlieren, und Angst, ihre Familie mit ihren eigenen negativen Gefühlen zu belasten.
Fragen, Phantasien und Gefühle von Kindern Warum, wieso und woher hast du Krebs bekommen? Wirst du deine Haare verlieren? Musst du noch mal ins Krankenhaus? Wirst du wieder gesund? Kann ich die Narbe sehen? Tut sie weh? Darf ich meinen Freunden und meinen Lehrern erzählen, dass du Krebs hast? Ist Krebs ansteckend? Werde ich jetzt auch krank, und muss ich sterben? Kommt dein Krebs, weil ich böse war? Musst du sterben? Fahren wir noch in Urlaub? Können wir noch Familienfeste feiern? Darf ich trotzdem zum Ballettunterricht oder zum Fußballtraining? Meine Eltern reden nur noch von Krebs. Sie haben kaum Zeit für mich. Mir ist das Aussehen meiner Mutter peinlich. Ich habe kaum noch Freunde. Dies sind nur ein paar Fragen und Gedanken von Kindern. Nicht alle Kinder können über ihre Ängste und Sorgen sprechen. Eltern meinen manchmal: »Meine Kinder fragen nicht und äußern sich nicht zu der Erkrankung.« Bei genauerem Hinhören jedoch, insbesondere bei jüngeren Kindern, kommen Bemerkungen nebenbei, die man leicht überhört. Denn die meisten Kinder – egal welchen Alters – sind mit der Krankheit ihrer Mütter beschäftigt. Wichtig ist, dass Eltern das Denken und die Gefühle der Kinder verstehen. Kindliche Phantasien können die Realität weit übertreffen und Ängste hervorrufen, die ein Ausmaß annehmen, das für Erwachsene nicht vorstellbar ist. Kinder können ihre Ängste an isolierten Ereignissen festmachen, wenn sie zum Beispiel ihre Mutter in der Klinik besuchen und sehen, dass sie Infusionen oder eine Spritze bekommt, Schläuche am Körper hat und so weiter. Verstehen Kinder nicht, was während der Therapiemaßnahmen passiert, können sie sich so fürchten, dass sie Schlafstörungen bekommen. Manchmal glauben Eltern, dass Kinder herzlos seien, weil
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sie Fragen stellen wie zum Beispiel: »Können wir trotzdem in den Urlaub fahren?« Daran zeigt sich jedoch ein Grundbedürfnis nach Sicherheit für die Zukunft. Oder Kinder möchten eine »Out-Zeit« haben, um sich nicht ständig mit der Krankheit konfrontieren zu müssen. Am häufigsten haben Kinder Schuldphantasien. Sie meinen, durch falsches Verhalten hätten sie die Krankheit ausgelöst, und möchten diese durch »besonders-lieb-sein« beeinflussen. Sie versuchen, alles richtig zu machen, zu gehorchen und gute Noten nach Hause zu bringen. Da jedes Kind anders ist, sollte jedes Kind individuell über die Brustkrebserkrankung aufgeklärt werden. Eltern sollten über die Charaktereigenschaften ihres Kindes nachdenken und versuchen, sich in das Kind hineinzudenken. Wo sind seine Stärken und wo die Probleme? Eltern sollten dabei Alter und Entwicklungsstadium, in dem sich ihr Kind befindet, berücksichtigen.
Hinweise für Eltern – Auffälligem Verhalten des Kindes, das vor der Erkrankung der Mutter nicht vorhanden war, sollte nachgespürt werden. – Kinder sind wütend auf ihre Eltern oder aber überbesorgt aus Unsicherheit und Angst um sie. Fühlt das Kind sich wieder sicher in seiner Familie, normalisiert sich sein Verhalten. – Erkrankt eine Mutter, werden manchmal die Kinder aggressiv oder sozial auffällig. Hier ist professioneller Rat angezeigt. Ein Kind demonstriert durch aggressives Verhalten sein Unverständnis, seine Wut und seine Isolation und braucht dann besondere Fürsorge. – Manche Verhaltensweisen sind auf eine bestimmte Entwicklungsphase und nicht ausschließlich auf die Erkrankung der Mutter zurückzuführen. – Besteht ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern, können die Kinder durch das Familienschicksal emotional reifen.
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Alter und Entwicklungsstufe des Kindes Säuglinge und Kleinkinder sind normalerweise noch ganz ichbezogen. Sie betrachten ihre Eltern als »allmächtig«. Deshalb beziehen sie jedes Geschehen auf sich selbst und ihr eigenes Verhalten. Ein Kind von eineinhalb Jahren beispielsweise begreift nicht die Erkrankung der Mutter, sondern bemerkt nur, dass sie nicht so wie früher ganz für es da ist. Das Kind bezieht sich dann mehr auf den Vater. Sein drei- bis vierjähriges Geschwister kann regressiv reagieren etwa durch erneutes Einnässen und oder Nichtverlassen des Hauses. Zusammengefasst hängen kindliche Reaktionen von folgenden Faktoren ab: – der Entwicklungsstand des Kindes und seine Vorerfahrung mit Krankheit; – die individuelle Beziehung des Kindes zur Mutter; – Probleme und Konflikte des Kindes beziehungsweise in der Familie, die vor Bekanntwerden der Diagnose vorhanden waren; – wie positiv das soziale Umfeld die Kinder unterstützt; – ob der Vater genügend Zeit aufbringen kann, um die Rolle der Mutter teilweise oder völlig zu übernehmen; – das Alter der Töchter bei der Diagnosestellung (wenn sie in der Pubertät sind und sich ihre Brüste entwickeln, ist der Anblick des mütterlichen Brustkrebses belastend und löst Ängste oder auch Aggressionen aus); – der Krankheitsverlauf: Sollte es zu Rezidiven kommen und werden dann weitere Behandlungen erforderlich, bleibt weniger Zeit für ein normal strukturiertes Familienleben; – die Heilungschancen der Mutter sollten Kinder optimistisch, aber realistisch erfahren. Wenn Kinder befürchten, die Mutter könnte sterben, treten schwere Konflikte auf.
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Reaktionen von Kindern in verschiedenen Altersstufen Säuglinge und Kinder unter zwei Jahren Kinder in diesem Alter reagieren sehr empfindlich auf atmosphärische Veränderungen, obwohl sie noch nicht erkennen, dass diese mit der Erkrankung der Mutter zusammenhängen. Durch eine abrupte Trennung von ihrer Mutter können sie psychisch stark beeinträchtigt werden. Sind andere vertraute Personen in ihrer Umgebung, etwa der Vater oder die Großeltern, die vorübergehend die Bezugspersonen werden, können die kleinen Kinder die Trennung besser verkraften. Wichtig ist, dass die Mutter versucht, mit ihrem Kind – wo sie auch ist, ob in der Klinik oder bei der Reha-Maßnahme – Kontakt zu halten, zu telefonieren, falls das Kind schon dazu in der Lage ist, so dass die Bindung konstant erhalten bleibt. Das gibt dem Kind ein Gefühl von Sicherheit. Kinder sollten ihre Mütter besuchen können. Wenn das Kind nicht über genügend Wörter verfügt, kann man ihm erklären, dass Mama krank ist (ein »Aua« hat), denn sie spüren ohnehin die veränderten Gefühle ihrer Mütter. Hier spielt die Körpersprache eine wichtige Rolle, denn Kleinkinder suchen oft nach einer Antwort in den Gesten und Gesichtszügen der Eltern. Sind die Eltern unruhig oder ängstlich, überträgt sich das auf die Kinder. Sie reagieren dann mit Weinen, Essensverweigerung, Unruhe und Schlaflosigkeit. Sie können »nörgelig« werden, und ihre Weinerlichkeit kann die Mutter weiter strapazieren. Eltern sollten den Kindern sagen, wenn die Mama wieder weg muss und wer für sie in der Zwischenzeit verantwortlich ist, um ihren Alltag weiterhin strukturiert zu erhalten. Kinder zwischen zwei und fünf Jahren Aus eigener Erfahrung haben diese Kinder meist ein Verständnis vom Kranksein und sogar vom drohenden Verlust. Obwohl Kinder dieser Altersgruppe unterschiedlich reagieren können, haben sie alle Ängste vor einer Trennung von ihrer Mutter. Sie können nachdenken über die Gefühlszustände Erwachsener und haben schon eine Zeitvorstellung. Das heißt, Eltern sollten
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sich bei Abwesenheitszeiten genau festlegen, wann sie wiederkommen, denn ein späteres Wiedererscheinen verunsichert die Kinder und verstärkt ihre Ängstlichkeit. Sie glauben, solche Abweichungen entstünden durch ihr Verhalten. Oft meinen sie sogar, an der Erkrankung schuld zu sein. Folgende typische Reaktionen sind für diese Altersgruppe beobachtet worden: Das Kind möchte die Wohnung nicht mehr verlassen, es zieht sich von der Mutter zurück. Beim Zurückfallen in eine frühere Entwicklungsstufe (Regression) verlangt es eine Windel, lutscht am Daumen oder will wieder »ein Fläschchen« haben. Vermutet wird, dass hinter dieser Regression die Sehnsucht steht, die Welt wieder in Ordnung zu haben, dass alles wieder wie vorher wird. Um ein Baby müssen die Eltern sich mehr kümmern, so kann Regression ein unbewusster Versuch sein, eine sichere, tröstende, heile Welt zu schaffen. Einige Kinder bekommen psychosomatische Beschwerden wie Hals- oder Magenschmerzen sowie Einschlafprobleme. Kindergartenkinder können aggressiv und zerstörerisch in der Kindergruppe werden. Das sind Zeichen ihrer latenten Ängste, daher sollten die Eltern die Betreuer im Kindergarten oder in der Spielgruppe über die Erkrankung der Mutter informieren, so dass sie das Verhalten der Kinder zuordnen und eventuell lenken können. Da Kinder in dieser Altersstufe eine Konzentrationsspanne von nur fünf bis fünfzehn Minuten haben, sollte nur das Wesentliche über die Krankheit erzählt werden. Die Eltern müssen den Kindern erklären, was sich an ihrem Alltag verändert. Wenn ein Elternteil an Krebs erkrankt, brauchen Kinder viel Aufmerksamkeit und Zuwendung, auch wenn die Eltern mit ihrem eigenen Leid beschäftigt sind. Kinder können fragen: »Mama, musst du jetzt sterben?«, wenn sie von Dritten hören, dass die Mutter Krebs, also eine hochgefährliche Erkrankung hat. Deshalb ist es besser, bei der Aufklärung der Kinder »Krebs« beim Namen zu nennen und ihn möglichst zu erklären.
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Kinder zwischen fünf und sieben Jahren Obwohl ihre Sprachkenntnisse noch nicht ausreichen, um ihre Gefühle differenziert auszudrücken, können Kinder dieser Altersspanne Veränderungen in der Familie objektiv betrachten. Sie erkennen, dass diese Veränderungen nichts mit ihnen zu tun haben. Es trifft sie keine Schuld. In dieser Zeit benötigen sie besondere Zuwendung, sonst fühlen sie sich einsam und missverstanden. Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren Mit der Einschulung beginnt eine Loslösungsphase vom Elternhaus. So trifft die Erkrankung der Mutter die Kinder in einer sensiblen Situation, denn sie verstehen bereits, wie ernst es um die Gesundheit der Mutter steht. Ab sieben Jahren haben Kinder sprachliche und einfühlende Fähigkeiten. Sie können eigene Bewältigungsstrategien entwickeln, zum Beispiel Sport treiben, Musik hören. Reichen diese nicht aus, um emotionale Stabilität zu erlangen, können Ängste überhand nehmen, und die Kinder werden möglicherweise in der Schule auffällig. Ihre Lernfähigkeit und allgemeinen Leistungen gehen zurück. Bisweilen kann auch das Gegenteil eintreten: Die Kinder verbessern sich in der Schule, bringen gute Noten nach Hause in der Hoffnung, der Mutter eine Freude zu machen. Andere Kinder werden traurig, missmutig, können sich am Alltag nicht mehr richtig freuen. Sie lachen nicht mehr, und das ist ein Signal für die Eltern, dass sie versuchen sollten, den Kindern Spaß und Freude in den täglichen Alltag zurückzubringen. Ziehen Kinder sich von ihren Freunden zurück, sollten Eltern sie ermutigen, ihre Freunde wieder zu besuchen, zu sich nach Hause einzuladen und ihren Alltag normal zu gestalten. In diesem Alter beobachten Kinder den Vater genauer auf seine Reaktionen hin. Ist er streng und unausgeglichen, nehmen die Kinder das als Signal auf und verhalten sich ähnlich wie er. Bisweilen versuchen sie jedoch, stoisch zu sein und keine Emotionen zu zeigen. Eine weitere mögliche Reaktion für Kinder dieser Altersgruppe ist, dass sie überfürsorglich werden und Rollen über-
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nehmen, die sie überfordern. Jedoch kann andererseits dieser Rollenwechsel das eigene Ich stärken. Sie versuchen, die Mutter zu bemuttern oder weichen nicht mehr von ihrer Seite. Sie wollen sie schützen; gleichzeitig gibt ihnen die mütterliche Nähe selbst Schutz. Manche Kinder entwickeln Aggressionen gegenüber der Mutter als Ausdruck ihrer Wut über die Krebserkrankung. Für eine Mutter ist diese Reaktion schmerzlich, bis ihr klar wird, dass nicht sie, sondern die Erkrankung das kindliche Verhalten auslöst. Eltern sollten darauf achten, dass Kinder in dieser Situation nicht zu viel Verantwortung aufgeladen bekommen und keine Schuldgefühle entwickeln. Denn Kinder meinen oft, dass sie durch ihr Verhalten die Erkrankung der Mutter verursacht haben könnten. Mädchen sind besonders anfällig für Schuldgefühle. Sie werden extrem lieb, gehorchen aufs Wort und verbergen ihre Traurigkeit und ihre Tränen. Natürlich kann auch bei ihnen das Gegenteil eintreten: Werden sie von den Eltern nicht verstanden oder wenig informiert, verschlechtern sich nicht nur ihre schulischen Leistungen, sondern sie werden auch aggressiv gegenüber ihren Klassenkameraden oder sogar gegenüber ihrer kranken Mutter. Das kann so ausarten, dass sie ihre Mutter anschreien, sie solle doch nun endlich sterben. Das erschreckt natürlich die Mutter, und sie wird – oft mit Hilfe einer Beratungsstelle – lernen müssen, dass hinter dem Verhalten ihres Kindes extreme Ängste – sogar Todes- und Verlustängste – stehen. Damit das Kind wieder Selbstvertrauen erlangt, kann eine Psychotherapie angebracht sein. Sie hilft, die neue Familiensituation zu bewältigen. Ein weiteres Problem ist, wie Kinder mit ihren Ängsten um die erkrankte Mutter in der Schule umgehen, zum Beispiel ob sie es jemandem anvertrauen oder nicht. Verbieten Eltern ihren Kindern, über die Erkrankung ihrer Mutter zu sprechen, sind Kinder damit unnötig belastet. Es ist besser, wenn Eltern die Lehrer informieren und den Kindern dies mitteilen. Themen, die für Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren von Bedeutung sind:
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– Kinder in diesem Alter möchten alles wissen, daher sollten Eltern – eventuell mit Hilfe von Büchern – ihren Kindern die Erkrankung und die Therapie erklären. – Ärzte können hilfreich sein, wenn sie den Kindern in einer altersgemäßen und verständlichen Sprache die Diagnose und Therapie erklären. – Kinder sollten wissen, dass es durch die Therapie zu Haarausfall kommen kann und die Mutter eventuell vorübergehend eine Perücke tragen wird. – Den Kindern muss klargemacht werden, dass Krebs nicht ansteckend ist. – Eltern sollten die Lehrerinnen und Lehrer über die Erkrankung informieren, so dass sie abweichendes Verhalten der Kinder verstehen und auffangen können; Schulprobleme können in diesem Fall mit Protest- oder Angstverhalten in Verbindung stehen. – Wichtig ist ständige Kommunikation zur Vermeidung von Schuldgefühlen der Kinder. – Die Erkrankung der Mutter darf die Kinder nicht unter Druck setzen. Sie müssen wissen, dass die Genesung der Mutter nicht von besonders bravem Verhalten und guten schulischen Leistungen der Kinder abhängt. – Der Alltag der Kinder sollte strukturiert bleiben; sie müssen wissen, was sich täglich ändert, zum Beispiel dass jemand anderes sie zum Fußball oder Musikunterricht bringt, solange die Mutter nicht einsatzfähig ist. Teenager und Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren Es ist bekannt, dass die Pubertät mit hormonellen Hochs und Tiefs sowie Gefühlswallungen einhergeht. Die Pubertät ist eine schwierige Zeit für Kinder und Eltern. Wenn eine zusätzliche Belastung durch die Krebserkrankung der Mutter hinzukommt, wird dieser Altersabschnitt meistens noch komplizierter. Teenager und Jugendliche haben spezielle Probleme, in der Regel sind dabei, Selbständigkeit und Ablösung vom Elternhaus zu erreichen. Durch die Erkrankung der Mutter werden sie jedoch moralisch sozusagen gezwungen, bei ihren Eltern zu bleiben
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und sie zu unterstützen. Besonders wenn noch kleinere Geschwister da sind, fallen den jugendlichen Kindern oft überfordernde Rollen zu. Wenngleich Jugendliche merken, dass ihre Eltern plötzlich verändert sind, fragen sie nicht unbedingt nach. Deshalb kann ein Gespräch mit ihnen für Eltern schwierig werden. Besondere wenn vor der Krebsdiagnose Konflikte untereinander bestanden. Jugendliche, besonders Mädchen, haben große Angst, dass sie selbst erkranken. Diese Angst kann natürlich auch bei jüngeren Kindern auftreten. Das Wachsen der Brüste und Schambehaarung gehört zu einem wichtigen Teil der weiblichen Pubertät. Erkrankt die Mutter eines pubertierenden Mädchens an Brustkrebs, kann es große Ängste entwickeln, dass der Krebs bei ihr ebenfalls auftritt. Sie beginnt, übermäßig besorgt ihre Brüste zu beobachten. Ihre Angst, selbst an Brustkrebs zu erkranken, ist verstärkt, wenn weitere Familienmitglieder Brustkrebs hatten oder haben (s. a. Abschnitt »Mütter und Töchter«, S. 99). Gespräche mit einem Arzt oder Psychotherapie sind hilfreich, um die Angst zu relativieren und in den Griff zu bekommen. Weitere mögliche Reaktionen von jugendlichen Kindern können sein: – Depression, – Ess- und Schlafstörungen, – Schul- und Leistungsschwierigkeiten, – Aggressionen gegen die Eltern oder gegen die gesamte Familie, Freunde, Lehrer oder andere Menschen in ihrer sozialen Umgebung, – psychosomatische Störungen wie Schmerzen in verschiedenen Körperregionen, – Rückzug und Isolation von den Freunden, – Drogenkonsum, – Vernachlässigung ihrer Freizeitbeschäftigungen, Hobbys und anderer Aktivitäten, die ihnen früher Freude machten.
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Vorbereitung der Eltern auf ein Gespräch mit den Kindern Eltern sollten nicht warten, bis sich eine »günstige Gelegenheit« ergibt, sondern selbst mit einem Gespräch beginnen. Meistens sind die Jugendlichen bereit zuzuhören, wenn Eltern betonen, dass sie etwas Ernstes zu besprechen haben, das die Familie betrifft. Wie bei den anderen Altersgruppen ist auch bei Heranwachsenden Offenheit in Bezug auf die Erkrankung wichtig. Je weniger sie tabuisiert wird, desto weniger Ängste entstehen. Oft wissen Jugendliche durch die Medien einiges über Krebs. Die meisten haben Kenntnisse über das Internet erhalten oder können dort nachlesen. Ein Gespräch mit Professionellen wäre sinnvoll, um den Jugendlichen den Wust an Informationen zu erklären. Professionelle können spezielle Fragen beantworten zu den verschiedenen Untersuchungen und Behandlungen. Auf Wunsch des Kindes könnten sie erklären, wie Krebs entsteht.4 Ist die Mutter alleinstehend und schwer erkrankt und dadurch nicht imstande, für ihr Kind zu sorgen, sollte eine andere, vom Kind akzeptierte Betreuungsperson das Gespräch übernehmen. Folgende Punkte können für die Vorbereitung eines Gesprächs mit den Kindern hilfreich sein: – Vieles wird durch Krebs verändert. – Was bedeutet Krebs in der Familie? – Ist Krebs heilbar? – Wie wird Krebs behandelt? In leicht verständlicher Weise Therapieformen erklären. – Die Nebenwirkungen ansprechen. – Wie die Kinder den Eltern helfen können.
4 Eine Krebszelle entsteht durch die krankhafte Umwandlung einer normalen Körperzelle. Wenn derart veränderte Zellen vom körpereigenen Abwehrsystem nicht mehr abgefangen werden, wachsen sie zu Krebsgeschwülsten. Diese müssen behandelt werden, sonst könnten sie im Körper weiter wachsen und streuen.
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Wie Kinder die Erkrankung der Mutter bewältigen Kinder haben sensible Antennen für die Gefühle ihrer Eltern. Wenn die Familie offen mit der Erkrankung sowie mit den damit verbundenen Veränderungen umgeht, die Mutter gut mit ihrer Erkrankung und den auftretenden Ängsten zurechtkommt, offen ist für die Beantwortung von Fragen der Kinder, überträgt sich diese Stabilität auf die Kinder. Untersuchungen zeigten, dass die Geschehnisse selbst nicht ausschlaggebend sind, sondern die Art und Weise, wie damit umgegangen wird. Das ist entscheidend für eine gute Bewältigung dieser außergewöhnlichen Situation. Hadern jedoch Eltern oder Betreuungspersonen mit dem Schicksal und finden keine Bewältigungsstrategien, bekommt das Kind unverständliche doppelte Botschaften vermittelt, die stark verunsichern; etwa wenn Eltern behaupten, es sei alles in Ordnung, die Kinder aber eine Atmosphäre der Angst und Unsicherheit spüren; die Mutter sich schweigend zurückzieht und nicht auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen kann. Kinder können mit einer derartigen Situation nicht umgehen. Das Unausgesprochene und das Erlebte passen nicht zusammen. Das Wissen über die Gründe der veränderten Familiensituation nimmt ihnen die Angst, sonst kann ein Kind so verhaltensauffällig werden, dass professionelle Hilfe für die Familie benötigt wird. Es darf nicht vergessen werden, dass Kinder Wut auf den Brustkrebs und ihre Mutter entwickeln können, denn ihr Leben hat sich dadurch negativ verändert. Begleitet der Vater die Mutter zu Therapien oder ins Krankenhaus, fühlen sich Kinder oftmals vernachlässigt, ausgeschlossen und allein gelassen. Eltern signalisieren, dass die Kinder Mitgefühl und Rücksicht zeigen sollten. Sie sind enttäuscht, wenn dies die Kinder – trotz Erklärung – nicht tun, sondern ihre eigenen Wege gehen. Eltern verstehen oft nicht, dass Kinder beispielsweise laut mit Freunden durch die Wohnung toben, je nach Altersstufe ihrer liebsten Beschäftigung nachgehen, insbesondere Jungen, die viel Sport machen, um ihr Leben so normal wie möglich weiter-
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zuführen, jedoch sind das gute Bewältigungsstrategien für Kinder. Sie brauchen den normal strukturierten Alltag. Manche Kinder schützen sich vor der Tragik, die zu Hause herrrscht, indem sie sie verdrängen und ausblenden durch Beibehaltung ihrer normalen Aktivitäten. Nicht alle Kinder verhalten sich so »normal«; sie ziehen sich zurück von ihren Freunden, bleiben zu Hause und sind – oft sogar innerhalb der Familie – isoliert, es sei denn, dass die Eltern mit ihnen kommunizieren. Erst wenn diese Kinder sich wieder sicher fühlen, leben sie wie bisher und spielen mit Freunden. Manche Kinder verdrängen den Brustkrebs ihrer Mutter als Bewältigungsstrategie. Gelegentlich kommen dann erst Jahre später die Trauer und Wut hoch. Eine Auseinandersetzung mit dem Krebstrauma, oft mit therapeutischer Hilfe, kann auch zu einem späteren Zeitpunkt noch erfolgreich sein. Kinder sollen über Krebs reden dürfen, aber auch über gemeinsame schöne Erlebnisse sprechen, damit der Alltag nicht nur durch die Ängste aufgrund von Ungewissheit, durch Schuldgefühle und Trauer überschattet wird. Sollte die Krankheit der Mutter fortschreiten, benötigen Kinder – jeder Altersstufe – eine ihnen angemessene Erklärung, wie es um die Mutter steht. Es ist dringend notwendig, dass Kinder die Möglichkeit haben, sich von der Mutter – sollte es so kommen – verabschieden zu können. Dieses Abschiednehmen wird durch Schweigen oder Tabuisieren unmöglich gemacht. Dadurch nimmt man ihnen die Chance, ihren Verlust zu verarbeiten, die entweder für immer verloren geht oder unter Umständen erst Jahrzehnte später ermöglicht wird. Kommen Kinder ihre Mutter im Krankenhaus nach einer Brustoperation besuchen, kann ihnen angeboten werden, die Narbe anzuschauen. Danach ist meist die größte Angst genommen, die Realität kann besser akzeptiert werden. Viele Eltern befürchten, dass sie ihre Kinder unnötig belasten, wenn sie offen mit ihnen reden. Sie sind verunsichert, weil sie nicht mit den Gefühlen ihrer Kinder umgehen können. Natürlich wird das Kind oft mit Trauer, Wut und Tränen reagieren. Ärger, Aggressivität oder Verdrängung sind weitere Reakti-
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onen von Kindern auf die belastende Situation. Der Schreck der Krebserkrankung der Mutter löst alle möglichen Reaktionen aus. Eltern, die das wissen, können sich darauf einstellen, ihr Kind trösten und wachsam sein, es in die Arme nehmen oder einfach nur da sein und seine Gefühle ernst nehmen. Wichtig ist, dem Kind zu versprechen, dass alles getan wird, damit die Mutter wieder gesund wird, und dass man Verständnis für die kindlichen Reaktionen entwickelt. Ferner sollte man dem Kind versprechen, ihm alles zu sagen, soweit es dies möchte. Zeigen Eltern ihre Gefühle, ob Trauer, Freude oder auch Angst, lernt das Kind, dass es normal ist, Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Sollte ein Kind scheinbar teilnahmslos auf die Nachricht vom Brustkrebs reagieren, kann es sein, dass die Eltern selbst es ihm ohne Emotionen sagten. Natürlich sollte man Kinder nicht mit der ganzen Gefühlspalette überschütten. Aber sie an der Erkrankung und den damit verbundenen Veränderungen nicht teilhaben zu lassen, wäre auch nicht richtig. Am besten ist ein gesunder Mittelweg der Kommunikation, der einfühlsam altersgemäß und individuell gefunden werden muss.
Wie viel Wahrheit ertragen Kinder? Alle – auch sehr kleine Kinder – spüren Unruhe bei den Eltern. Damit die Kinder nicht wilde und angstvolle Phantasien entwickeln, sollten sie über einschneidende Ereignisse informiert werden. Sagt man Kindern nicht die Wahrheit, beginnen sie an sich selbst zu zweifeln, denn die Eltern sind meist für sie unantastbar. Kinder spüren: Es ist etwas Schreckliches passiert, aber die Eltern verheimlichen das und tun, als ob das Leben normal weiterginge. Sie beginnen, den Eltern nicht mehr zu trauen, sind ratlos, können die elterlichen Reaktionen nicht einschätzen. Dadurch wird diese ohnehin schon schwere Situation noch schwieriger, und oft reagieren Kinder darauf mit Verhaltensstörungen. Sie übersetzen es für sich so: »Meine Eltern vertrauen mir nicht, und ich kann mich nicht mehr auf sie verlassen.« In
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einer Zeit, wo eine gute, stabile Beziehung zu den Eltern ausschlaggebend ist, kann Schweigen oder Lügen, um die Kinder vermeintlich schonen zu wollen, schädlich sein. Die Atmosphäre ist angespannt, die Kinder sind verunsichert, ihre Ängste werden stärker. Jedoch sollte die Wahrheit auch nicht dramatisch vermittelt werden; den Kindern sollte genügend, aber nicht zuviel an Informationen angeboten werden.
Wann sollten die Kinder informiert werden? Spätestens dann, wenn der Alltag der Kinder sich verändert, müssen sie darüber informiert sein, dass die Mutter krank ist und nicht mehr ihren gewohnten Aufgaben nachgehen kann. Eine Alternative sollte angeboten werden, zum Beispiel eine Freundin oder Tante übernimmt Fahrdienste und anderes mehr. Das ist wichtig, sobald Kinder in den Kindergarten oder zur Schule gehen. Oder eine Freundin führt den Haushalt und ist präsent, wenn die Kinder Hilfe benötigen. Gleichzeitig sollte den Kindern bei einem Krankenhausaufenthalt versichert werden, ihre Mutter jederzeit besuchen zu können. Ein Kind sollte nicht über eine Verdachtsdiagnose informiert werden, sondern erst wenn die Diagnose sicher feststeht. Denn den Schock der Brustkrebsdiagnose kann man vor den Kindern nicht verheimlichen. Der beste Zeitpunkt, ein Kind darüber aufzuklären, ist, wenn Eltern wissen, dass ihr Kind innerlich ruhig ist. Zum Beispiel sollte es nicht gerade müde, hungrig oder seelisch im Ungleichgewicht sein. Eltern sollten es dem Kind auch nicht kurz vor dem Schlafgehen sagen, sondern zu einem Zeitpunkt, wo man es nach dem Gespräch noch mit etwas Schönem ablenken könnte. Es ist gut, wenn Vater und Mutter gemeinsam mit dem Kind sprechen, dann merkt es, dass ihm nichts verheimlicht wird und er in das Familiengeschehen mit einbezogen wird. Sollte das Kind in der Öffentlichkeit mit laut gestellten Fragen kommen, kann man es damit beruhigen, dass man es später allein mit ihm besprechen wird.
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Welche Sprache verstehen Kinder? Entwicklungspsychologen bestätigen, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind, sie verstehen und denken anders. Wie Eltern mit ihren Kindern über Krebs sprechen, hängt vom Alter und Entwicklungsstand ab, mit Worten, die dem Kind geläufig sind. Vorerfahrungen mit Erkrankungen (zum Beispiel bei den Großeltern oder anderen Familienmitgliedern) sind hilfreich. Wird über die Krankheit gesprochen, sollte »Krebs« ruhig so benannt werden. Offene Sprache vermeidet späteren Schaden. Konkrete Informationen helfen bei der Überwindung der diffusen Angst, die durch Unklarheit entsteht. Kinder müssen zum Beispiel wissen, dass die Krebsbehandlung anstrengend ist, denn gegen gefährliche Zellen müssen auch wirkungsvolle Medikamente eingesetzt werden. Kleinere Kinder sind am leichtesten durch Rollenspiele mit Puppen oder mit Hilfe von Kinderbüchern aufzuklären. Kinder brauchen Zeit und Raum für Fragen sowie für Gefühlsreaktionen. Eltern müssen nicht von sich erwarten, perfekt bei der Aufklärung zu sein. Missverständnisse können durch ein klärendes Gespräch korrigiert werden.
Mütter und Töchter Besonders sensibel auf den Brustkrebs ihrer Mütter reagieren oft Töchter. Töchter leiden neben den zwangsläufig auftretenden Ängsten und Sorgen um die Mutter – wie auch die anderen Familienmitglieder – zusätzlich unter der Angst, später selbst einmal an Brustkrebs zu erkranken. Diese Angst ist nur bei einer kleinen Minderheit berechtigt, denn nur fünf bis sieben Prozent aller Fälle von Brustkrebs sind erblich.5 Töchter kön5 Wachsam sollten junge Frauen sein, wenn bei Mutter, Großmutter, Schwester oder Tante vor den Wechseljahren Brustkrebs auftrat. In diesen Fällen sollte man eine Expertin oder einen Experten zu Rate ziehen, der oder die entscheiden wird, ob ein Gentest erforderlich
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nen Aggressionen gegen ihre Mütter entwickeln, wenn sie fürchten, selbst zu erkranken aufgrund eines erhöhten erblichen Risikos. Das wird der Mutter dann vorgeworfen. Oft haben auch Mütter ihren Töchtern gegenüber Schuldgefühle, wenn sie tatsächlich ein genetisch erhöhtes Brustkrebsrisiko weitervererben könnten. In solchen Fällen ist es sinnvoll, offen über die Gefühle sowie über das reelle Risiko für die Töchter zu sprechen. Es besteht die Gefahr, dass die Kranke zum »Sündenbock« wird und die Schuld für alle ungelösten Probleme zwischen Mutter und Tochter der Krankheit zugeschoben wird. Das gefährdet ihre Beziehung. Einige Töchter übernehmen die Trauer, Wut und den Schmerz ihrer Mutter und vergessen dabei ihre eigenen Bedürfnisse. So verständlich das auch ist, läuft die Tochter Gefahr, ihr eigenes Leben zu vernachlässigen. Da die Krebserkrankung zeitweilig zum Mittelpunkt des Lebens wird, kann die Aussprache hierüber zwischen Müttern und Töchtern zu einer engeren Beziehung führen.
Wissenschaftliche Untersuchungen Eine amerikanische Studie (Welch et al. 1996), in der Kinder und Eltern befragt wurden, nachdem die Mütter an Brustkrebs erkrankt waren, zeigte Folgendes: – Kinder und Jugendliche kamen insgesamt überraschend gut mit der Krankheit ihrer Mütter zurecht. – Einige zeigten allerdings Symptome wie Ängste, Depressionen sowie Aggressivität. – Mädchen unterschieden sich im Verhalten von den Jungen; desgleichen jüngere und ältere Kinder. – Mädchen waren aggressiver als gleichaltrige männliche Jugendliche. Diese Situation blieb während der ganzen Krankheitsphase bestehen.
ist. – Mädchen mit genetischem Risiko sollten das Abtasten ihrer Brüste als normale Routine einmal im Monat durchführen.
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– Kinder zwischen sechs und zehn Jahren hatten keine größeren Ängste. Jedoch bei jüngeren und bei älteren Kindern waren die Ängste und Depressionen größer, als die Eltern es einschätzten. – Heranwachsende Kinder erkrankter Mütter konnten im Laufe der Zeit besser mit der Krankheit umgehen. – Bedeutsam in dieser Studie war, dass die Eltern von heranwachsenden Mädchen die Depressionen und Ängste ihrer Töchter kaum bemerkten oder dass die Töchter versuchten, ihre Ängste vor den Eltern zu verbergen. Eine andere Studie (Wellich et al. 1992) untersuchte die Auswirkungen auf die Töchter von brustkrebserkrankten Müttern. Töchter von brustkrebskranken Frauen wurden mit Töchtern von gesunden Frauen verglichen. Sie hatten die gleiche Schulausbildung und einen vergleichbaren Entwicklungsstand. Die Studie ergab, dass Töchter von brustkrebskranken Müttern mit ihrer Sexualität weniger zufrieden waren, mehr Angst vor Brustkrebs hatten und besser über diese Erkrankung Bescheid wussten. Erwachsene Töchter, deren Mütter an Brustkrebs erkrankt waren, meinten, dass dies ihr Leben unabdingbar verändert habe und sie von der Vergangenheit immer wieder eingeholt würden. Die Erkrankung der Mutter hatte auch weitreichende Auswirkungen auf die Wahl ihres Berufs, ihres Partners und sogar ihres Lebensstils bezüglich Ernährung, Genussmittel und Sport. Jüngere Töchter fühlen sich oft schuldig, weil sie unter dem Verlust der elterlichen Zuwendung negativ reagiert hatten. Andere sind heute noch wütend auf ihre Mütter, weil sie ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellten, um für die kranke Mutter zu sorgen. Töchter, die zu Beginn der mütterlichen Erkrankung entweder noch klein oder aber schon fast erwachsen waren, kamen relativ gut zurecht. Am schwierigsten war die Verarbeitung der Erkrankung der Mutter für die heranwachsenden Töchter. In dieser Phase der Pubertät ist ihre Persönlichkeitsentwicklung ausgerichtet auf Loslösung, Autonomie und Selbständigkeit. Müssen Töchter in diesem Alter übermäßige Pflichten für ihre
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Mutter übernehmen, wird ihr natürlicher Drang, sich vom Elternhaus zu lösen, unterdrückt. Weitere Probleme dieser Altersgruppe sind Störungen in ihrer Sexualentwicklung. Es ist wahrscheinlich, dass heranwachsende Töchter die Entwicklung ihrer Brüste sowie die Reifung ihres Körpers dann, wenn die Mutter an Brustkrebs erkrankt, mit Krankheit und Verstümmelung ihres eigenen Körpers verbinden. Oft sind hier aufklärende und beratende Gespräche notwendig, damit die Töchter wieder ein normales Verhältnis zu ihrem reifenden weiblichen Körper entwickeln können. Es kann vorkommen, dass der Tod ihrer Mutter bei einem heranwachsenden Mädchen so starke Ängste auslöst, dass sie ihre Geschlechtsrolle nicht wahrhaben will. Sollte eine Mutter an Brustkrebs sterben, können Mädchen andauernde Angst um ihre sich entwickelnden Brüste bekommen. Gerade deshalb muss die Angst durch Gespräche sowie durch eine normale Vorsorge genommen werden.
Körperbotschaften/Körpersprache Jeder menschliche Körper sendet automatisch Botschaften aus, die neben der gesprochenen Sprache als so genannte nonverbale Botschaften fungieren. Augenkontakt, Mimik, Gesten, Körperhaltung, eine besondere Art zu sprechen – stolpernd, zurückhaltend oder flüssig – geben Auskunft über das Befinden. Kinder nehmen diese Körpersprache auf, denn sie sagt oft mehr als Worte. Auch wenn Kinder keine Reaktionen zeigen, kann durch die Nachricht der Krebsdiagnose ihre innere Welt zusammenbrechen. Eltern können aus der Körpersprache des Kindes Rückschlüsse ziehen, wie es ihm tatsachlich geht. Eltern sollten auch erkennen, wann genug über die Krankheit gesprochen wurde, sonst kann es zu bedrohlich werden für das Kind. Es ist nicht notwendig, die kleinsten Details der Erkrankung und Behandlung mit dem Kind zu besprechen, es sei denn, es möchte es explizit wissen. Eltern sollten ihre Kinder langsam, Schritt für Schritt informieren. Vor jedem Gespräch
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mit ihnen sollten sie wahrnehmen, wie stabil sie und ihre Kinder zurzeit sind, sich vorher auch mit dem Partner besprechen und vor allem ihr Kind beobachten: Was vermittelt seine Körpersprache? Zuwendung oder Abwehr? Natürlich muss die Information für das Kind verständlich sein. Es sollte über die anstehenden Therapien und die eigenen Gefühle nur das vermittelt bekommen, was es verkraften kann. Wenn die Mutter offen Gefühle zulässt und ausspricht, kann das für das Kind tröstlich sein und ihm Tore öffnen, über seine eigenen Gefühle sprechen zu können.
Wie können Eltern ihrem Kind Sicherheit vermitteln? Eltern dürfen nichts versprechen, was sie nicht halten können. Wird ein Versprechen gebrochen, fühlt sich das Kind belogen. Kinder sollten auch über jegliche Veränderungen, die im Alltag passieren, informiert werden, denn sie brauchen einen verlässlichen, strukturierten Tagesablauf. Struktur bedeutet Sicherheit für ein Kind. Die Eltern sollten zudem, so oft es ihnen möglich ist, ein offenes Ohr für ihre Kinder haben und als Ansprechpartner bereit stehen.
Den Alltag strukturieren und Freude haben Eltern können den Alltag für ihre Kinder strukturiert gestalten und feste Zeiten bereitstellen, die nur für Kinder und Eltern da sind. Man kann mit ihnen zum Lieblingsrestaurant gehen, gemeinsam spielen, ihnen vorlesen, zusammen Kassetten hören, Videos anschauen, malen oder kleine Kinderpartys veranstalten. Nach einer Krebsdiagnose haben Kinder nämlich oftmals das Gefühl, dass ihr Leben weder Freude noch Spaß erlaubt. Dann ist Lachen die beste Medizin, sei es durch einen lustigen Film, einen Zirkusbesuch oder auf andere kindgerechte Weise. Gerade in besonders schönen Momenten, wenn Eltern und
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Kinder sich wohl fühlen, können traurige, verzweifelte Verlustgefühle hochkommen. Eltern fragen sich dann: Wieso gerade jetzt? Während der schönsten Stunden wird ihnen bewusst, wie viel sie verlieren können, wie vergänglich das Leben ist. Wenn Eltern diese Tatsache realisieren, können sie die schönen Stunden mit ihren Kindern auf besondere Art und Weise erleben. Diese Stunden werden zu wertvollen Ressourcen und geben Eltern und Kindern neue Kraft. Um die Angst, die durch Unwissen und Unsicherheit besteht, zu durchbrechen, ist es wesentlich, dem Kind zu erklären, was sich ändert und was beim Alten bleibt. Kinder sollten über größere Ereignisse – Therapien und deren Folgen, einen Kuraufenthalt oder eine Rehabilitationsmaßnahme – informiert werden, damit sie sich darauf vorbereiten können, dass sie eventuell vorübergehend eine andere Betreuungsperson bekommen. Natürlich kann ein Kind beim ersten Mal nicht alles über die Erkrankung begreifen. Deshalb ist es hilfreich, wenn die Mutter nach den Vorstellungen des Kindes fragt und dann nach und nach erklärt, was zum Beispiel bei der Chemotherapie passiert: dass die schnell wachsenden Krebszellen dadurch zerstört werden, aber die Haare ausfallen können, diese jedoch wieder nachwachsen. Wenn es für die Eltern unmöglich ist, selbst mit dem Kind darüber zu sprechen, ist es gut, sich an eine Krebsberatungsstelle zu wenden, um Hilfe bei einem gemeinsamen oder Einzelgespräch mit dem Kind zu erhalten. Für viele Eltern ist eine schwierige Frage, ob Personen außerhalb der Familie informiert werden sollten oder nicht. Aber für Kinder ist es belastend, ein so großes Geheimnis für sich behalten zu müssen. Deshalb wäre es wichtig, auch die Lehrer zu informieren, die dann – je nach Wunsch der Eltern – mit der Klasse einfühlsam sprechen könnten. Berater können auch Eltern darin unterstützen, wie sie lernen können, mit Freunden, Nachbarn, Kunden und so weiter über ihr Problem zu sprechen. Wichtig ist, auf sein eigenes Gefühl zu hören, wie viel, wem und was sie mitteilen können. Viele wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass Unterstützung von Familie und Freun-
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deskreis – also soziale Unterstützung – zu einer optimalen Krankheitsverarbeitung und -bewältigung beiträgt.
Was sollen Eltern den Lehrern berichten? Es kann sein, dass das Kind einer krebskranken Mutter durch die veränderte Situation zu Hause Schulprobleme bekommt. Schulische Leistungen können nachlassen, weil die Belastungen und die Sorge um die kranke Mutter und der veränderte Tagesablauf den Kindern psychische Energien rauben. Insbesondere pubertierende Jugendliche können depressiv reagieren. Sie werden müde, lust- und kraftlos. Deshalb ist es wichtig, die Lehrer zu informieren, damit sie verstehen, warum ein Kind in der Schule auffällig wird. Die Deutsche Krebshilfe empfiehlt, den Lehrer für ein Gespräch zur betroffenen Familie nach Hause einzuladen. Manchmal ist es günstiger, dass ein Gespräch zwischen Eltern und Erzieherinnen oder Lehrern im Kindergarten oder in der Schule – also auf »neutralem Boden« – durchzuführen. Der Lehrer könnte dann im Biologie-Unterricht Krebs zum Thema machen und somit ein Teil des Tabus und der Angst nehmen. Weiterhin ist die Hilfe von Lehrern notwendig, um die Aufmerksamkeit der Mitschüler auf das betroffene Kind zu lenken und damit Hänseleien zu unterbinden. Meist entsteht diese kindliche »Grausamkeit« aus eigenen Ängsten heraus. Die anderen Kinder befürchten, dass auch ihre Eltern erkranken könnten.
Können Eltern ihre Kinder zuviel schützen? Die meisten Eltern glauben, dass sie ihre Kinder beschützen und Böses von ihnen fernhalten müssen, damit sie eine unbeschwerte Kindheit erleben. Natürlich sollen sie das. Aber Eltern sollen nicht überbehütend sein und in unrealistischer Weise schützen. Kinder müssen auf das Leben außerhalb der behütenden Familie vorbereitet werden.
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Manche Mütter halten den Krebsknoten in ihrer Brust vor der Familie geheim – aus mehreren Gründen. Das kann Schutz, Angst, Verleugnung, Verdrängung oder alles zusammen sein. Beispiel: Petra ist drei Jahre alt. Ihre Mutter erträgt die Wartezeit auf die Diagnose, den Krankenhausaufenthalt, die Therapien allein. Es geht ihr nicht gut, sie wird ungeduldig – besonders mit den Kindern –, sie schläft schlecht und zieht sich in ihrer Angst von der Familie zurück. Petra kann das nicht verstehen und meint, sie sei böse. Ihr Vater erfährt die Wahrheit über den Krebs, erst nachdem seine Frau in der Klinik war, und der Tochter Petra hatte die Mutter erzählt, sie müsse auf eine kurze Reise. Als sie zurückkam, war sie mit ihrem eigenen Leid beschäftigt, so dass sie Petra nicht ihre sonst übliche liebevolle Fürsorge geben konnte. Petra reagierte mit Ängsten, wurde aggressiv und lehnte sich gegen ihre Eltern auf. Sie spürte, dass sich die Familienatmosphäre verändert hatte, beide Eltern wirkten besorgt und hatten wenig Zeit für sie. Petra steigerte sich immer mehr in ihre Ängste und bekam Schuldgefühle in der Vermutung, ihr Verhalten könne das Ganze verursacht haben. Weil sie nicht wusste, worum es tatsächlich ging, versuchte sie dann verzweifelt, positive Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, indem sie besonders lieb war und schöne Basteleien aus dem Kindergarten mitbrachte. Aber das änderte nichts an der Situation. Ihre Schuldgefühle wuchsen, weil sie immer mehr davon überzeugt war, dass sie für alles verantwortlich sei. Dies ist ein typisches Beispiel für ein Kind, dem man nicht die Wahrheit über eine Erkrankung sagt, denn ständige Ungewissheit ist schwer zu ertragen.
Probleme der Kinder schweigender Eltern Kinder, die ein ähnliches Schicksal wie Petra erleiden durch das Schweigen der Eltern, werden von dem Hamburger Kinderpsychiater Peter Riedesser als »Schattenkinder« bezeichnet. Diese Schattenkinder haben noch kein größeres psychosoziales Umfeld, das sie trösten und unterstützen könnte, ihre wichtigsten
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Bezugspersonen sind die Eltern. Wenn diese Eltern, auch im Glauben, das Beste für ihr Kind zu tun, nicht mehr mit ihm kommunizieren, ist das Leid der Schattenkinder unermesslich. Sie fühlen sich allein, isoliert, unverstanden und ängstlich. Ihre Phantasien blühen, und diese sind meist schlimmer als die Wahrheit. Werden Kinder ausgegrenzt von dem Erleben des Brustkrebses der Mutter, können sie verletzt sein und sich ausgeschlossen fühlen. Das ist oft schmerzhafter als die Wahrheit, die ihnen nicht gesagt wird. Diesen Vertrauensbruch können Kinder weder verzeihen noch vergessen. Deshalb sollten Eltern ein Gespräch über den Brustkrebs der Mutter mit ihren Kindern führen. Jedes Gespräch, auch eins, das nicht ganz verstanden wird, ist besser als Schweigen. Da Kinder ständig ihre Eltern beobachten, merken sie sofort, wenn ihnen etwas fehlt, obwohl Eltern oftmals irrtümlich meinen, ihre Kinder nähmen das nicht wahr. Eine bedrückende Familienatmosphäre verängstigt die Kinder, nimmt ihnen Lebensfreude und das Gefühl, von den Eltern geliebt zu werden. Unter diesem erhöhten psychischen Druck können sie unter Angst und Depressionen leiden und ein negatives, unsicheres Selbstbild entwickeln. Der psychische Druck des Schweigens kann Kinder ihr Leben lang belasten. Durch das negative Selbstbild können sie ihre eigenen Begabungen nicht mehr richtig einschätzen. Später im Leben können sie sich übermaßig verantwortlich fühlen für ihre Misserfolge und ihre eigenen Erfolge nicht wertschätzen. Natürlich gibt es auch Kinder, die Negatives überwinden. Eine 96-jährige Frau berichtet: »Ich habe die ganze Nacht an meine Mutter gedacht und musste dabei bitterlich weinen, denn meine Mutter ist mit 36 Jahren an den Folgen von Brustkrebs gestorben, den man damals nicht so gut behandelt konnte. Wir Kinder merkten, dass sie sich oft hinlegen musste und so traurige Augen hatte. Unsere Eltern liebten sich, seitdem sie 17 waren. Wir waren eine fröhliche und unternehmungslustige Familie gewesen. Jetzt war alles anders. Wie ein geheimnisvoller, bedrückender Schleier umhüllte die Traurigkeit unsere Familie. Unser Vater versuchte mit uns wie vorher zu spielen, aber wir merkten, dass ungewollt Tränen an seinen Wangen herunterlie-
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fen. Wir bemühten uns, lieb zu sein, auf Zehenspitzen zu gehen, unserer Mutter Freude zu machen. Blumensträuße, von uns gepflückt, füllten unsere helle Wohnung. Diese schien plötzlich dunkler zu werden in jenen Tagen. Was war mit unseren Eltern los? Was hatten wir Böses getan? Eine Schwester begann, Streiche in der Schule und zu Hause zu spielen. Aber durch ihr Verhalten bereitete sie noch mehr Kummer. Damals war Brustkrebs ein Tabuthema. Hätten unsere Eltern uns die Erkrankung anvertraut, wäre die Situation leichter zu ertragen gewesen! Wir beobachten unseren einst so fröhlichen Vater, wie er immer trauriger und verschlossener wurde. Uns vier Töchtern wurde niemals gesagt, wie ernst es um meine Mutter stand, und ich erfuhr das erst, als ich an ihrem Bett saß und mich für immer verabschieden musste. Als ich später – nach den Nürnberger Gesetzen – aus Deutschland fliehen musste und zwei Drittel meiner Familie in Konzentrationslagern verlor, träumte ich oft von dem Sterben meiner Mutter. Wir hatten ein sehr enges Verhältnis miteinander, und mein Vater, obwohl Wissenschaftler, nahm sich Zeit für seine Familie. Meine Eltern haben sich sehr geliebt, und mein Vater hat den frühen Tod meiner Mutter nie verkraftet. Trotzdem war er für uns ein großer Trost. Der Abschied von meiner Mutter kam erneut hoch, als ich hörte, dass meine jüngste Tochter ebenfalls Brustkrebs hatte. Vor einem Jahr, als ich mit zwei Knochenbrüchen in der Klinik lag, kam die Erinnerung an das Sterben meiner Mutter wieder hoch, und ich weinte bitterlich. Am nächsten Morgen war ich jedoch wie befreit, als ob ich endlich – im hohen Alter – habe loslassen können.«
Manche Kinder kommen erstaunlich gut mit der Krebserkrankung ihrer Mutter zurecht. So berichtet zum Beispiel Klara, 27 Jahre alt: »Für uns Kinder war es wichtig, dass wir stets mit in das Krankheitsgeschehen einbezogen wurden. Außerdem spürten wir niemals, dass unsere Eltern Angst hatten. Es wurde nichts dramatisiert, und Vater und Mutter stützten sich gegenseitig. So hatten wir eine große emotionale Stabilität durch die Gebor-
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genheit und übernahmen die Gelassenheit unserer Eltern. Wir wurden nicht über die Diagnose in Unwissenheit gelassen. Ich fühlte mich ernst genommen und niemals hintergangen oder belogen. Meine Eltern waren stark, weil sie uns vorlebten, dass selbst ein Krebs zu bewältigen war und dass wir Kinder keine Sorgen und Ängste zu haben brauchen. Wir konnten uns auf unsere Eltern verlassen.«
Hanna, 37 Jahre, ist selbst Mutter von drei Kindern. Sie sagt: »Meine Mutter hatte Brustkrebs, und ihre Brust wurde entfernt. Wir hatten ein enges Verhältnis und waren uns auch körperlich nah. Innerhalb der Familie redeten wir offen über Krebs. Wir hatten zwölf Monate, um Abschied von meiner Mutter zu nehmen, bevor sie starb. Viele interessante Gespräche gingen dem voraus. Eigentlich nahm ich jeden Tag von ihr Abschied, denn wir wussten nicht, wie lange sie leben würde. Ich selbst spreche auch mit meinen Kindern über den Tod, weil sie wissen, dass ihre Großmutter an Brustkrebs gestorben ist. Dadurch, dass uns unsere Mutter mit einbezogen hat und uns dennoch genügend Zeit und Raum ließ für unsere eigenen Bedürfnisse, hat sie uns sehr geholfen. Sie hat die Zeit, die ihr noch blieb, intensiv und fast normal gelebt. Sie hat ihr Leben voll ausgekostet und jeden Tag genossen. Damals wurden wir nicht in die Therapie mit einbezogen, was ich sehr bedauert habe, und heute würde ich dafür plädieren, dass Kinder mehr Wissen zugetragen wird.«
Was können Eltern noch tun? Fachleute vertreten die Auffassung, dass die Erkrankung der Mutter den Kindern ihrem Alter und ihrer seelischen Entwicklung entsprechend erklärt werden sollte. Um hierbei den Eltern Hilfestellung zu geben, gibt es Bücher, Broschüren und Krebsberatungsstellen. Kommt es darüber zu einem offenen Gespräch, können alle Familienmitglieder besser damit zurechtkommen.
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Besonders zu empfehlen ist ein Projekt aus Kassel. Es heißt »Morgenrot« und ist ein familienorientiertes Angebot für Kinder und Jugendliche von chronisch kranken Eltern oder Geschwistern, da erkannt wurde, dass die seelische und emotionale Belastung für die ganze Familie manchmal zu groß werden kann. Die Bedürfnisse der Kinder kommen dann meist zu kurz. Deshalb bietet dieses Projekt (Kontaktdaten s. S. 121) familienunterstützende Gespräche an, die helfen können, das Verständnis füreinander zu fördern. Es gibt dort zahlreiche kreative Gruppenangebote mit Malerei, Musik und anderem mehr. So haben Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, schöpferisch tätig zu sein und auf spielerische Weise ihre Gefühle und psychischen Belastungen zu verarbeiten. Denn Kinder und Jugendliche können in schwierigen Lebensphasen oft ihre eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten nicht mehr sehen oder setzen sie nur noch begrenzt ein. Außerdem können besondere Tage ausgewählt werden, an denen viel Raum für Freude und Spaß gegeben wird, oder die Kinder nehmen an Veranstaltungen von Sommer-Camps teil, bei denen sie für einige Tage bis Wochen betreut werden, Sport treiben und sich in einer »normalen Welt« vom Stress zu Hause erholen können. Betroffene Eltern könnten sich zusammentun, um Kinderspielgruppen für die Kleinkinder zu organisieren oder die Ideen von der amerikanischen »Kids Konnected« (s. u.) übernehmen, wie zum Beispiel regelmäßige Treffen einmal im Monat zum Gesprächsaustausch und kreative Gestaltungsgruppen für die Kinder. Um die häusliche, durch die Krankheit der Mutter überschattete Atmosphäre zu verlassen, wäre auch ein Internatsaufenthalt denkbar. Hier können Kinder mit Gleichaltrigen in einer Klasse leben und wohnen unter einem Schutz von Normalität.
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Das Beispiel-Projekt »Kids-Konnected« Die Kids-Konnected-Gruppe hat drei Altersgruppen: Drei- bis Siebenjährige, Sieben- bis Zwölfjährige und Jugendliche. Beim monatlichen Treffen können die Kinder sich über ihre Ängste und Sorgen aussprechen. Ärzte und Pflegepersonal sowie Mitarbeiter in Gesundheitsberufen wie Psychologen sind anwesend und können den Kindern erklären, wie die Krankheit aussieht und Fragen beantworten. Bestimmte Tage sollten für Spiele, Ausflüge und gemeinsame Unternehmungen nach dem Wunsch der Kinder gemeinsam mit den Eltern eingeplant werden. Die Sommer-Camps sind wie gemeinsame Ferien. Die Kinder sind unter sich, können sich kindgerecht verhalten, und dadurch werden viele angestaute Aggressionen abgebaut. Kinder lernen dort neue Sportarten, basteln, toben, klettern, schwimmen – so vergessen sie ihre Sorgen und haben Freiräume. Die Kinder selbst leiten die Gruppen (und werden dabei durch Erwachsene unterstützt). Die amerikanische Organisation »Kids Konnected« erklärt Krebs in einer kindgerechten Sprache: »Jeder Mensch besteht aus Millionen von Zellen. Manchmal geraten einige davon außer Kontrolle und wachsen. Da es sich aber um körpereigene Zellen handelt, wird das körpereigene Abwehrsystem nicht damit fertig. Wachsen die Zellen unbehandelt weiter, stören sie die normale Arbeit der gesunden Körperzellen und machen es schwierig, den Körper zu versorgen.« www.kids-konnected.org wurde von einem elfjährigen Jungen gegründet, dessen Mutter 1993 an Brustkrebs verstarb. Diese Organisation hat sich über die ganzen USA verbreitet. Eltern können auf der Website hilfreiche Informationen für ihre Kinder herunterladen. Dort werden auch weitere Aktivitäten angeboten (in Deutschland unter http://www.hilfe-fuer-kinderkrebskranker.de).
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Typische Fragen von Kindern Typische Fragen von Kindern krebskranker Mütter und mögliche Antworten wurden von der Journalistin und Psychotherapeutin Susanne Krejsar formuliert: Frage: Bin ich schuld an deinem Krebs? Antwort: »Keiner ist schuld daran! Selbst wenn wir uns gezankt haben oder ich böse auf dich war oder du auf mich, oder auch, wenn du schlechte Noten nach Hause gebracht hast oder du dich mit deinen Geschwistern gezankt hast, all das hat überhaupt nichts mit meinem Krebs zu tun.« »Kinder wie Erwachsene«, sagt Ulla Steger, Psychotherapeutin, »haben den Wunsch, die Ursachen für eine Krankheit zu finden. Deshalb sind medizinische Aussagen hilfreich, die ein Kind von unnötigen Schuldgefühlen befreien, denn die Krebsentstehung hat nichts mit seinem Verhalten zu tun.« Eine weitere Frage eines Kindes könnte sein: »Mama, ist dein Krebs ansteckend?« Antwort: »Nein. Krebs kann man von niemandem bekommen, er ist nicht ansteckend. Wir können auch weiterhin eng zusammen kuscheln, wir können uns umarmen, baden und schwimmen. Frage: »Muss ich dich jetzt anders behandeln?« Antwort: »Nein, ich bin immer noch deine Mutter, die gleiche wie vorher, die jetzt nur vorübergehend krank geworden ist.« Frage: »Darf ich Freunden und Verwandten von dem Krebs erzählen?« Antwort: »Natürlich, Freunde und Verwandte sind Menschen, die eine wichtige Rolle in unserem Leben spielen. Sie wissen meist nicht viel über Krebs, aber ihr könnt es ihnen dann erklären. Oder sie können zu mir kommen, und ich erkläre es ihnen.« Kindern nimmt es etwas von ihrer Angst, wenn der Krebs nicht tabuisiert wird und sie auch mit ihren Freunden darüber reden können. Frage: »Darf ich deine Narbe anschauen? Darf ich sie berühren? Darf ich sie streicheln?«
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Mutter: »Ja, natürlich darfst du das. Du musst sie nur erst mal sanft anfassen, bis es verheilt ist.« Frage: »Ist Krebs eine tödliche Erkrankung?« Antwort: »Krebs ist eine schwere Erkrankung, und in manchen Fällen kann er tödlich sein. Aber die Ärzte und ich geben uns alle Mühe, dass ich bald wieder gesund werde. Es gibt Zeiten, wo ich meinen Mut und meine Kräfte zusammenhalten muss, um meinen Krebs mit Hilfe von den Medikamenten zu bekämpfen.« Frage: »Wie kann ich dir am besten helfen?« Antwort: »Du bist mir eine große Hilfe, wenn du verstehst, warum ich manchmal weniger Zeit für dich habe. Das ist nicht, weil ich dich jetzt weniger lieb habe, sondern weil ich in die Klink muss. Der Krebs muss behandelt werden, und die Therapie ist so anstrengend, dass ich ganz müde werde. Aber ich hab dich immer lieb. Du hilfst mir dadurch, dass du mich umarmst, dass das du mich lieb hast, auch wenn ich manchmal schlecht gelaunt bin oder allein sein will, dass du nicht böse bist, wenn ich mehr Zeit für mich brauche und weniger für euch Kinder habe. Wir sollten Sachen tun, die uns Spaß machen, so dass wir gemeinsam lachen können. Wenn du Angst hast oder dir zum Weinen zumute ist, komm zu mir, und dann können wir zusammen traurig sein, aber wir werden später wieder fröhlich. Wir können über alles reden. Auch alle deine Gefühle sind erlaubt, nichts braucht verschwiegen zu werden.« Eine wichtige Frage, die Kinder oft stellen, ist: »Wirst du wieder gesund?« Mütter können darauf antworten: »Meine Chancen sind sehr gut, weil mein Krebs früh entdeckt wurde. Das hängt auch von meinem eigenen Körper ab, wie er die Krebszellen abwehrt, und von der Behandlung. Es hilft, wenn wir alle glücklich sind.« Frage nach einer Amputation der Brust: »Wird deine Brust wieder wachsen?« Antwort: »Nein, eine Brust kann nicht nachwachsen, aber durch eine kosmetische Operation kann man eine neue Brust machen, das habe ich vor, und ich freue mich darauf und bin gespannt, was ihr dazu sagt.«
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Frage: »Kann ich mitkommen zu deinen Arztterminen und Behandlungen?« Mütter können entweder antworten: »Gern.« Oder: »Das ist lieb von dir, aber diesmal werde ich allein gehen, weil es länger dauert und du dich langweilen könntest. Ich verspreche dir, danach alles zu erzählen.«
Besondere Familienverhältnisse In manchen Familien wird die Vermittlung einer Krebsdiagnose besonders schwer. Sind Kinder durch eine spezielle Familiensituation belastet, ist es für Eltern sinnvoll, sich professionelle Beratung zu suchen. Diese komplizierten Familienstrukturen sind zum Beispiel alleinerziehende Mütter. Wenn sie erkranken, fühlen sich die Kinder besonders allein gelassen, denn oft ist keine Ersatzperson da, die sich täglich um sie kümmert. Diese Kinder haben Angst vor einem möglichen Sterben ihrer Mutter. Finanzielle Sorgen erschweren die ganze Lebenssituation oft zusätzlich. Wenn diese Kinder merken, dass die Mutter ebenfalls unter diesen Sorgen leidet und sogar Schuldgefühle entwickelt, eventuell für sie nicht mehr sorgen zu können, dann kann die Situation eskalieren. Konflikte zwischen den Eltern sind normalerweise belastend. Kommt eine Krebserkrankung hinzu, sind die Kinder meist überfordert. Professionelle Hilfe ist ratsam. Folgende familiäre Konstellationen erweisen sich oft als problematisch, wenn bei der Mutter eine Krebserkrankung diagnostizert wird: – Eine Mutter hat zum zweiten Mal geheiratet und eine Tochter mit in die Ehe gebracht. Das kann, wenn sie erkrankt, zu Problemen führen. Insbesondere, wenn die Tochter sich mit dem neuen Stiefvater nicht versteht, fühlt sich die Tochter ausgeschlossen, allein gelassen und entwickelt massive Ängste. – Wenn Kinder adoptiert werden, haben sie bereits eine Familie verloren. Erkrankt die neue Mutter an Krebs, sind sie oft
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verwirrt, hilflos, ängstlich und haben existentielle Nöte. Sie verhalten sich auffällig, werden überfürsorglich oder das Gegenteil: Sie reagieren massiv aggressiv auf die Krebserkrankung, weil ihre Verlustängste erneut auftauchen. – Familien, die mit anderen psychischen oder physischen Erkrankungen belastet sind, entweder durch die Erkrankung eines Elternteils oder eines der Kinder (zum Beispiel eine Behinderung), haben spezielle Probleme. Kinder dieser Familie haben mehr als die normale Last zu tragen und reagieren besonders heftig, wenn die Mutter an Krebs erkrankt. Für sie ist eine psychotherapeutische Begleitung oder Beratung an einer Krebsberatungsstelle hilfreich. – Familien, in denen ein Elternteil bereits an Krebs erkrankt oder sogar verstorben ist oder die Großeltern Krebs hatten. Unter diesen Umständen können die vorbelasteten Kinder schnell große Ängste entwickeln. Hier ist professionelle Beratung notwendig.
Mit den Kindern über den Tod sprechen Es ist für Eltern eine schwere Aufgabe, mit ihren Kindern über den eventuell bevorstehenden Krebstod der Mutter zu sprechen. Sollte die Krankheit jedoch fortschreiten, ist es wichtig, die Kinder auf den Tod und das Abschiednehmen von ihrer Mutter vorzubereiten. Sobald der Tod der Mutter voraussehbar ist, sollten die Kinder noch genügend Zeit haben, sich von ihr zu verabschieden. Obwohl sie große Angst und Traurigkeit befallen wird, werden sie später den Verlust ihrer Mutter besser verkraften können. Erstaunlicherweise können Kinder mit dem Thema Tod und Sterben oft besser zurechtkommen als die Erwachsenen selbst. Manche Kinder reagieren sachlich und wünschen sich als Erinnerung ein Schmuckstück der Mutter. Es ist gut, wenn Eltern sich auf ein Gespräch über den Tod mit einem Psychologen, Psychotherapeuten, Seelsorger oder Pfarrer vorbereiten. Ein Geistlicher ist dann zu empfehlen, wenn die Kinder religiös erzogen worden sind und auch die El-
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tern religiöse Bindungen haben. Man könnte sein Kind fragen, was es bereits über Tod und Sterben weiß, und daran das Gespräch anknüpfen. Hierüber gibt es Bücher für kleine und ältere Kinder, die bei der Vorbereitung sehr hilfreich sind. Während dieses Gesprächs kann den Gefühlen freien Lauf gelassen werden, Emotionen sollten nicht unterdrückt werden, da Kinder sonst meinen könnten, dass sie nicht traurig sein dürfen. Oft werden diese Gefühle dann durch eine Fassade vorgetäuschter Fröhlichkeit verdeckt. Das machen Kinder, um ihre Eltern zu schonen, leiden jedoch unendlich darunter. Bei diesen Gesprächen ist es wichtig, dass die Eltern Worte benutzen, die die Kinder verstehen. Kinder fragen dann oft: »Mama, wirst du wieder gesund werden?«, und sie antwortet: »Nein, ich werde sterben.« Dann werden alle weinen, und selbst wenn die Kinder das nicht wahrhaben wollen, so haben sie es gehört und am Ende verspüren sie doch eine Erleichterung darüber, dass das Unfassbare ausgesprochen und verständlich gemacht wurde. Sie können gemeinsam darüber sprechen und trauern. Außerdem verstehen dann Kinder, warum ihre Umwelt in der letzten Zeit so traurig war. Sie erkennen, dass dies nichts mit ihnen zu tun hat, sie brauchen keine Schuldgefühle zu haben, sondern können die bedrückte Stimmung auf die lebensbedrohliche Erkrankung ihrer Mutter zurückführen. Abschied-nehmen-Können ist ein wesentlicher Schritt bei der Bewältigung des Verlustes einer Mutter. Man sollte den Kindern versichern, dass ihre Zukunft geregelt und finanziell abgesichert ist. Kinder sollten wissen, wo sie im Fall des Todes der Mutter leben werden, dass sie zum Beispiel beim Vater oder den Großeltern bleiben können. Die Eltern sollten Antworten bereit haben auf Fragen wie: Wer kümmert sich um die Beerdigung? Wer kümmert sich um die weitere Ausbildung, um die Schule, um das Studium der Kinder? Kinder in verschiedenen Altersstufen reagieren auf Trennung und Tod auf verschiedene Art und Weise. Die Trauer von Kindern ist anders als die von Jugendlichen oder Erwachsenen, denn Kinder leben meist völlig in der Gegenwart, und insbe-
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sondere Kleinkinder können noch keine zeitlichen Dimensionen verstehen. Kinder leben spontaner, sie haben – manchmal für Erwachsene nicht verständliche – Momente der größten Trauer mit Tränenausbrüchen und spielen kurz danach wieder wild und fröhlich. Wenn Trauer die Kinder überkommt, geschieht dies oft zu einem Zeitpunkt, an dem die verstorbene Mutter ihnen besonders fehlt, etwa bei einem Spiel, dass sie gemeinsam mit der Mutter spielten. In dieser Trauerphase brauchen diese Kinder besonderen Schutz, Zuwendung und Liebe. Kinder meinen nach einem großen Verlust, dass sie niemals wieder glücklich sein werden, obwohl sie meist schon Erfahrung mit Abschied gemacht haben, zum Beispiel Abschied vom Kindergarten, von einem Haustier oder von Freunden; auch Abschied und Verlust bei Trennung oder Scheidung der Eltern. Im Gegensatz dazu haben Erwachsene die Möglichkeit zu erkennen, dass ein Abschied Freiräume für Neues eröffnet.
Wie Kinder verschiedener Altersgruppen den Tod verstehen Bereits Säuglinge zeigen Reaktionen, die psychologisch als Trennungsängste beschrieben werden. Sie schreien und weinen und zeigen allgemeine Schreckhaftigkeit. Säuglinge haben noch kein Zeitgefühl, und wenn der Säugling seine Mutter auch nur für kurze Zeit aus seinem Blickfeld verliert, weiß er nicht, ob dies für immer ist. Kinder im Alter von zwölf Monaten bis zwei Jahren können an mehrere Personen eine Bindung haben. Dabei spielen die Sprache, die Lautstärke und Stimmlage eine besondere Rolle. Wenngleich diese Kleinkinder den Tod als solches nicht verstehen können, werden durch Verluste uralte Trennungserfahrungen reinszerniert. Daher fühlen sie die Verluste. Bei ihnen – wie auch bei Säuglingen – ist es wichtig, die Alltagsstruktur möglichst aufrechtzuerhalten; besonders sollte auf die emotionalen Bedürfnisse dieser Kinder eingegangen werden. Betreuer kön-
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nen mit diesen Kindern singen, zärtlich sein, eine bestimmte Zeit für Spiele einrichten, die stets eingehalten wird. Einfache Sätze können öfter wiederholt werden, wie: »Mama kommt bald.« Oder: »Mama muss weg.« Diese Sätze werden nach einiger Zeit von dem Kleinkind begriffen. Kinder unter sechs Jahren glauben, der Tod sei noch rückgängig zu machen. Sie meinen, die Toten schlafen und können unter verschiedenen Voraussetzungen weiterleben. Wenn Tod als Trennung von geliebten Menschen verstanden wird, durchleben die Kinder Trauerreaktionen. Außerdem spüren sie die Trauer in ihrer Familie, hoffen aber, dass alles wieder gut wird. Phantasie, mystisches Denken und Realität können oft nicht getrennt werden. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern Kindern erklären, woran die Mutter gestorben ist, und dass das Kind keine Schuld daran hat. Die Wortwahl dabei ist wichtig, denn Kinder nehmen Erklärungen wörtlich, dann können Ängste, aber auch gefährliche Sehnsüchte auftreten. Sagt man zum Beispiel einem Kind unter sechs Jahren: »Mama ist eingeschlafen«, dann kann das Kind Angst vor dem Einschlafen entwickeln. Die Mitteilung »Mama ist im Himmel« kann bedenkliche Sehnsüchte hervorrufen, auch dort hinkommen zu wollen. Meist ist die erste Konfrontation mit dem Tod das Sterben eines Tiers. Kindern wird erklärt, dass der Körper der Tiere aufgehört hat zu funktionieren. So wird begriffen, dass das tote Tier nicht mehr laufen, essen oder atmen kann. Kinder bekommen die Trauer der Eltern beispielsweise über einen Todesfall in der Verwandtschaft mit. Sie erfahren dadurch, dass Weinen und Traurigsein erlaubt sind – und leider auch zum Leben gehören. Kinder im Alter von fünf bis sieben Jahren haben eigene bildliche Vorstellungen vom Tod, zum Beispiel ein Knochenmann oder ein Engel. Nicht alle begreifen die Endgültigkeit des Todes, obwohl sie in diesem Alter meist zwischen Realität und Phantasie unterscheiden können. Dennoch wird oft der Tod als Strafe für »böses Verhalten« gesehen, das der oder die Tote oder sogar die trauernde Familie verursacht haben – und somit das Kind selbst. Neue, unbekannte Gefühle werden durch den
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Tod ausgelöst: Zukunftsangst, Schuld, Verwirrung, Depression. Wenn das geschieht, sollten Eltern wachsam sein und versuchen, das Kind zu verstehen und ihm Geborgenheit, Liebe, Unterstützung und ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Ein Kind kann auch mit plötzlichen Aggressionen, scheinbar grundlosem Weinen oder Sprachlosigkeit reagieren. Ein Kind muss bitter lernen, dass die verstorbene Mutter durch nichts zu ersetzen ist, selbst nicht durch das liebste Spielzeug oder andere Ablenkungen. Jugendliche reagieren natürlich anders. Sie können sich auf den Tod besser vorbereiten und bereits Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen. Nach außen können sie Autonomie zeigen, selten aber sind sie bereits durch eine religiöse Bindung gefestigt. Daher bekommen Jugendliche Zweifel und sind verunsichert, auch wenn sie ihr eigenes soziales Netz haben. Auch bei Jugendlichen ist der Verlust eines Elternteils ein tiefer Einbruch. Manchmal übernehmen Jugendliche Verantwortung und die Rolle des verstorbenen Elternteils innerhalb der Familie. Dann besteht die Gefahr einer Überforderung. Als Reaktion auf den Tod ihrer Mutter können Jugendliche auf Sekten hereinfallen und einen fremden religiösen Glauben annehmen, wenn sie keine Unterstützung von ihrer Familie oder erfahrener Bezugsperson bekommen. Man sollte die Jugendlichen bei der Planung von Trauerritualen mit einbeziehen. Jugendliche brauchen genügend Freiräume, um ohne Schuldgefühle ihre bisherigen Lebensaktivitäten wieder aufnehmen zu können. Sollten Zeichen einer Depression auftreten, wie erhöhte Müdigkeit, Isolation, Schweigsamkeit, Schlafstörungen, Veränderungen der Essgewohnheiten, muss professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Auch die Erwachsenen sollten ihre Trauer zeigen. Das ist für Jugendliche für ihre eigenen Trauergefühlen wichtig. Eltern brauchen ihre Tränen vor den Kindern nicht zu verbergen, denn vorgespielte Fröhlichkeit macht sie nur unglaubwürdig. Hilfreich für alle Kinder sind kreative Möglichkeiten, um ihre Trauer bewältigen zu können. Sie können zum Beispiel der
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Kapitel 2: Familie und Partnerschaft nach Brustkrebs
verstorbenen Mutter Briefe schreiben, malen, Gedichte verfassen oder sich Erinnerungsrituale ausdenken. Der Besuch am Grab der Mutter am Todestag kann zu einem wichtigen und unterstützenden Ritual werden. Kinder brauchen Zeit, wieder ihr eigenes Leben leben zu dürfen, es genießen zu können, zu lachen, zu spielen und fröhlich zu sein. Susanne Krejsa ist niedergelassene Psychotherapeutin6 mit der Spezialisierung der Betreuung krebskranker Erwachsener und ihren Angehörigen sowie von Kindern krebskranker oder verstorbener Eltern. Sie erklärt das Todeskonzept, das Kinder in verschiedenen Altersstufen entwickeln, folgendermaßen: – Im Alter von neun Monaten bis zweieinhalb Jahren können Kinder unterscheiden zwischen lebendigen und unlebendigen Objekten. Sie erleben Verluste nur durch Übertragung der traurigen Stimmung und der Gefühle ihrer Eltern. – Im Alter von zweieinhalb bis drei Jahren wird Tod als ein Nicht-Leben gesehen und als ein Abschied für eine begrenzte Zeit gedeutet. – Im Alter von drei bis fünf Jahren durchleben Kinder eine magische Phase und glauben, den Tod durch bestimmte Verhaltensweisen umgehen zu können. Sie wissen, alte Menschen müssen sterben, meinen aber, dass besondere, ihnen nahe stehende Menschen unsterblich seien. Oder der Tod wird als eine vorübergehende Phase wie ein Schlaf oder eine Reise aufgefasst. Todsein wird als ein weniger Lebendiges gedeutet. – Im Alter von sechs bis acht Jahren erkennen Kinder, dass alles, was lebt, einmal sterben muss und dass Körperfunktionen, die für die Erhaltung des Lebens notwendig sind, aufhören, wenn etwas Lebendiges stirbt. Sie wissen, dass der Tod nicht rückgängig gemacht werden kann und eine Trennung für immer ist.
6 Außerdem ist S. Krejsa Journalistin und Projektleiterin am Internationalen Journalismus-Zentrum an der Donau-Universität Krems.
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– Ab dem neunten Lebensjahr erfahren Kinder, dass der Körper nach dem Tod »zu Staub« wird.
Erinnerung als Bewältigung für Kinder In Uganda ist die Tradition der Memory-Books verbreitet. Das sind Bücher, die an das gemeinsame Leben erinnern. Darüber hat der schwedischen Autor Henning Mankell ein Buch gemacht »Ich sterbe, aber die Erinnerung lebt« (dt. Ausgabe 2005). Gute Anregungen für die Gestaltung solcher MemoryBooks werden in dem Buch »Mama hat Krebs« von Susanne Krejsa (2004) gegeben. Diese Bücher sind eine Hilfe zur Krankheitsbewältigung für Mütter und Kinder.
Informationsquellen zur Unterstützung der Eltern Es gibt unzählige Organisationen und Beratungsstellen für Krebs. Im Internet findet man viele Adressen zur Aufklärung von Kindern, deren Eltern Krebs haben. Das kann Eltern helfen. Zwei Beispiele seien hier genannt: Über die E-Mail-Adresse [email protected] der Internetseite www.komen.de (des Vereins »Komen Deutschland e.V. – Verein für die Heilung von Brustkrebs«) kann das Buch »Was ist mit Mama los? Mutter hat Brustkrebs – was nun?« kostenlos bestellt werden. Die Kontaktstelle »Leben mit Krebs e. V.« (Motz-Str. 4, 34117 Kassel, Tel. 0561-107670, E-Mail: [email protected]) bietet eine Gruppe für Kinder krebserkrankter Eltern an, die sich »Morgenrot« nennt.
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Kapitel 2: Familie und Partnerschaft nach Brustkrebs
Erwachsene Kinder von brustkrebsbetroffenen Müttern erzählen Interview mit Rebecca, Tochter einer krebskranken Mutter Rebecca ist zwanzig Jahre alt und studiert Medizin. Sie kommt aus einer großen Familie, die fünf Generationen umspannt. Brustkrebs ist in ihrer Familie gehäuft vorgekommen. Rebecca sagt: »Ich habe befürchtet, dass meine Mutter Brutkrebs hat, als sie beim Eincremen einen erbsengroßen Knoten ertastet hatte. Zu viele meiner Familienmitglieder hatten Brustkrebs: meine Großmutter, meine Großtante, meine Cousine sowie zwei Großcousinen. Meiner Großmutter geht es trotz ihrer Brustkrebsmetastasen mit 96 Jahren noch gut. Meine beiden Schwestern und ich haben gutartige Knoten in der Brust. Wir gehen regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung. Als mir meine Mutter sagte, sie habe Brustkrebs, tat mein Herz so weh und klopfte wie wild. Sie klang so traurig. Ich stand unter Schock. Ich spürte, ihre Trauer wurde meine Trauer, ihr Schmerz, mein Schmerz, ihre Wut, meine Wut. Ich verlor zeitweise mich und meine Gefühle. Ich wusste, dass unser ganzes Familienleben sich von nun an verändern würde. Die erste bei mir aufkommende Angst – obwohl ich als Medizinstudentin wusste, dass das nicht zutrifft – war, dass meine Mutter oder auch ich selbst an Brustkrebs sterben könnte, wie andere Frauen in unserer Familie. Ich unterbrach sofort mein Studium und fuhr nach Hause zu meiner Mutter. Die Diagnostik lief noch. Wir wussten nicht, was es für eine Krebsart war, wie weit fortgeschritten, wie bösartig, ob der Krebs schon gestreut hatte, wann operiert werden sollte, und die Angst war groß. Aber ich musste bei meiner Familie sein. Ich wollte helfen. Mein Freund und ich begleiteten meine Mutter später zu all ihren Behandlungen und haben sie unterstützt. Als sie nach der Operation noch zu Hause im Bett lag, habe ich gekocht, den Haushalt gemacht und auch auf ihre Enkelkinder aufgepasst. Ich kuschelte mich neben sie ins Bett, zur
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Ablenkung sahen wir uns Videos an oder hörten Musik. Es war auch kein ›Katastrophen-Gefühl‹ in der Familie. Wir haben immer alles zusammen gemacht, und wir rückten als Familie noch enger zusammen. Wenn mein Vater, der auch Arzt ist, abends von der Arbeit und meine Brüder von der Schule kamen, aßen wir gemeinsam. Mein Freund hat mir in dieser Zeit sehr geholfen. Ohne ihn hätte ich das alles nie geschafft. Wir sind eine große Familie und waren alle in dieser Zeit mit meiner Mutter dauernd zusammen, so dass sie nicht, wenn sie das nicht wollte, allein war. Meine Freundinnen haben mich leider im Stich gelassen. Sie wussten nicht, wie sie reagieren sollten. Ich hätte eigentlich von ihnen erwartet, dass sie für mich da sind. Ich konnte aber nicht darüber sprechen, weil ich selbst mit der Situation nicht fertig wurde. Ich hätte auf sie zugehen sollen und ihnen sagen, was ich brauche, was sie für mich tun könnten. Wenn man plötzlich erfährt, dass jemand in der eigenen Familie schwer krank ist – besonders eine Erkrankung wie Brustkrebs, die schlimm enden kann, aber nicht zu enden braucht –, wird man unfair, ungeduldig, hat böse Gedanken, wird dünnhäutig und gereizt. Ich dachte: Warum passiert das ausgerechnet meiner Mutter! Natürlich gibt es keine Gerechtigkeit im Leben, aber ich hatte trotzdem Wut. Ich hatte das Gefühl, es war mein Recht, unfair zu sein, und ich durfte mich auch unmöglich verhalten. Mamas Krankheit hat mich sehr viel Kraft gekostet, aber ich habe es nie bereut, die ganze Zeit bei ihr gewesen zu sein – trotz des versäumten Semesters. Es war ein gutes, schönes, befriedigendes Gefühl, etwas für die eigene Mutter tun zu können, und ich bin immer noch froh, dass ich ihr helfen konnte. Wir waren schon vorher eine sehr enge Familie; Mamas Brustkrebs hat diesen Zusammenhalt noch verstärkt. Es ist gut, wenn so viele mithelfen. Nach Beenden der Therapien bemühten wir uns als Familien, jeden Tag bewusster zu genießen. Meine Mutter hat später noch eine Aufbauoperation machen lassen, so dass sie nicht ständig an ihre verlorene Brust denken musste. Heute, neun Jahre nach der Operation, geht es ihr gut. Sie leidet nur noch unter Hitzewallungen. Wir wissen, wie kostbar es ist, eine Mutter zu haben.
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Kapitel 2: Familie und Partnerschaft nach Brustkrebs
Interview mit Anja, deren Mutter und Großmutter erkrankt waren7 7 Anja ist 26 Jahre alt. Sie hat ein ungewöhnliches Schicksal. Drei weibliche Familienmitglieder hat sie durch Krebserkrankungen verloren: Großmutter, Mutter und die ältere Schwester. Ihre Mutter ist an Brustkrebs gestorben, 13 Jahre nach der Ersterkrankung. »Ich war elf Jahre alt, als meine Mutter erkrankt ist. Das war 1988. Viel habe ich damals nicht mitbekommen; nur dass irgendwas schief gelaufen ist: drei Operationen. Erst Erleichterung, weil nach mündlicher Aussage die Lymphknoten nicht befallen waren, dann die Nachricht, dass viele Lymphknoten befallen sind. Meiner Mutter wurde gesagt, dass sie die nächsten fünf Jahre nicht überleben würde. Das war ein sehr einschneidendes Erlebnis. Ich habe meine Mutter viel weinen sehen, ihr tat alles weh, und wir mussten warten und immer kam noch ein schlechteres Ergebnis. So kannte ich meine Mutter nicht. Sie hat immer gearbeitet, war aktiv. Das Krankenhaus fand sie furchtbar. Ich habe immer noch eine Antipathie gegen dieses Krankenhaus, die Flure, der Geruch, die eilenden Schwestern, das Stöhnen aus den Sälen. Bewusst habe ich mit niemandem darüber gesprochen. Mutter hat ihre Erkrankung vor der ›Öffentlichkeit‹ verborgen. Ihr Schweigen führte zur Isolation. Erst viel später wurde das anders. Mit meiner Schwester, die damals 15 war, habe ich auch nicht darüber gesprochen. Zufällig habe ich einen heftigen Streit zwischen meiner Mutter und meiner Schwester mitbekommen. Meine Schwester hatte mit ihren Freundinnen über die Erkrankung gesprochen, und meine Mutter wollte das nicht, das sollte keiner wissen. Für meine Mutter muss das sehr schwierig gewesen sein. Richtig darüber geredet hat sie nicht. In ihrer letzten Lebensphase, nach dem zweiten Rezidiv hat sich das allerdings völlig verändert: Die Krankheit durfte öffentlich werden. Wir sind dann zum Beispiel gemeinsam ins Schwimmbad gegangen, und es war kein Problem, den Badeanzug auszu7 Interviewerin: Dr. Margret Kamm.
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ziehen und zu duschen. Sie hat ganz selbstverständlich ihre Prothese abgenommen. Fünf Jahre nach der Ersterkrankung war unser Leben ›normal‹. Dann kam die Krebserkrankung und der frühe Tod meiner Schwester. Beide Eltern haben sich um meine Schwester gekümmert. Meine Eltern haben mich auch hier wenig einbezogen. Ich habe so neben ihnen hergelebt, sie wussten nichts von mir. Später konnte ich mit meiner Mutter darüber sprechen, und es hat ihr sehr Leid getan, sich in dieser Zeit so wenig um mich gekümmert zu haben. Nach der Erkrankung meiner Mutter haben mir meine Eltern ein Pferd geschenkt. Immer wenn es schwierig war, bin ich dorthin gegangen, oder meine Eltern haben mich dorthin ›verfrachtet‹. Sie hatten die netten Leuten im Stall informiert und sie gebeten, ein Auge auf mich zu haben. Das habe ich aber erst später erfahren. Auch die Krankheit meiner Schwester haben nur wenige Freunde der Familie mitbekommen. Meine beste Freundin hat erst nach ihrem Tod davon erfahren. Ich habe mit niemandem darüber gesprochen. Ich wollte kein Mitleid, ich hatte meine Tiere – und den alten Streit zwischen meiner Mutter und meiner Schwester hatte ich nicht vergessen. […] Nach dem Tod meiner Schwester ist die Ehe meiner Eltern zerbrochen. Beide waren so fertig, jeder wäre lieber an ihrer Stelle gestorben. Sie haben nur noch gestritten. Die Trennung war schwer, ich war jeweils eine Zeit bei beiden. Ich verstehe mich gut mit meinem Vater. Er unterstützt mich, wenn er kann. Die Zeit nach dem Tod meiner Schwester und dem kurz darauf folgenden zweiten Rezidiv meiner Mutter war schrecklich: Meine Mutter hat sich um nichts mehr gekümmert, nur noch apathisch dagesessen. Ich wollte, dass sie ihre Tätigkeiten aufnimmt, sich nicht einfach hängen lässt, und habe sie angeschrien. Später erzählte sie mir, nach dem Tod meiner Schwester hätte sie sich am liebsten das Leben genommen. Dass es mich gab, habe sie daran gehindert. Dann hat sich meine Mutter verändert. Anfangs war sie nicht die starke Frau, die sie später wurde. Zunächst wollte sie die Krankheit nur weghaben, dann hat sie gesagt: ›Ich lebe damit.‹
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Kapitel 2: Familie und Partnerschaft nach Brustkrebs
Belastet hat mich die Reaktion ihrer Chefin: Sie hat keine Rücksicht darauf genommen, wie es meiner Mutter ging. Sie hat sie nach der Chemotherapie arbeiten lassen, nicht gefragt, wie es ihr geht, sie unter Druck gesetzt mit ihrem esoterischen Denken. Sie ist soweit gegangen, meiner Mutter zu sagen: ›Du wirst nie heil werden, wenn du dies nicht machst.‹ Den schulmedizinischen Weg fand sie nicht akzeptabel. Einmal hat sich meine Mutter darauf eingelassen, zu diesen esoterischen Sitzungen zu gehen. Sie hat entschieden, dass das nichts für sie ist. Einmal habe ich sie heftig weinend deswegen vorgefunden. Sie mochte ihre Arbeit sehr gern. Aber sie war sehr stolz und hat mir verboten, mich mit ihrer Chefin anzulegen. Irgendwann, als sie sehr krank war, hat ein Rollenwechsel stattgefunden. Ich war für sie da, bin viel bei ihr gewesen, und wir haben über die Vergangenheit reden können. Sie hat mich gefragt, wie ich diese Zeit erlebt habe. Sie hat Abschied genommen, hat ihr Testament geregelt und war danach entspannt. Ihr Tod war sehr schmerzlich, aber ich weiß, ich habe alles getan, was möglich war. Ich war so oft mit ihr zusammen, wie ich konnte und sie es wünschte. Es ist gut so.« Frage an Anja: Woher haben Sie, Anja, die Kraft genommen, das alles zu schaffen: die Fürsorge für die Familienmitglieder, ihre Berufsausbildung und ihre berufliche Tätigkeit? »Dadurch, zu sehen, wie meine Mutter am Schluss gelebt hat – ich habe solche Hochachtung! Sie hat einfach gelebt, war fröhlich, ich möchte diese Zeit nicht missen. Natürlich bin ich auch traurig, immer noch, immer wieder. Aber diese Zeit war so intensiv und kostbar. Und trotz der Trennung weiß ich, dass sich meine Eltern geliebt haben, bis zum Schluss.«
Interview mit Boaz Tal, Sohn einer an Krebs erkrankten Mutter Boaz Tal, 52 Jahre alt, lebt und arbeitet in Jaffa/Israel. Er ist ein international anerkannter Künstler, hatte weltweit über 200 Ausstellungen. Seine Werke hängen in über 30 Museen oder
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befinden sich in Privatbesitz. Boaz Tal ist mit vielen Kunstpreisen ausgezeichnet worden. Er ist auch Schriftsteller mit zahlreichen Veröffentlichungen, Fotograf, Filmproduzent. Er übt leitende Funktionen in Film, Kunst und Fotografie an mehreren Kunstakademien und Universitäten in Israel aus. Die Linse seiner Kamera wird zum Pinsel, um die Farben des Lebens festzuhalten. Seine Fotografien erinnern teilweise an die alten Meister und an die Expressionisten. Boaz Tal hat auch die israelische Sängerin Tami fotografiert, die Brustkrebs hatte. Ich fragte ihn: »Warum hilfst du Frauen mit Brustkrebs? Warum benutzt du deine Kunst – die Fotografie –, um Brustkrebs zu bekämpfen? Er antwortete: »Meine Reise in die Zone des Brustkrebses begann, als ich sieben Jahre alt war. Bei meiner Mutter musste eine Mastektomie vorgenommen werden. Weder meine Schwester noch ich wussten, was eine Mastektomie war oder was für eine Erkrankung dahinter steckte. Ich glaube nicht an Zufälle. Mit 21 Jahren studierte ich die Kunst der Fotografie, und damit begann auch meine intensive Auseinandersetzung mit der Brustkrebserkrankung. Eine Freundin und Künstlerkollegin hatte Brustkrebs und wurde behandelt. Sie erzählte mir alles über die Therapien, die Operationen, die Qualen, die sie erlitt. Sie gründete eine Organisation, um Frauen mit Brustkrebs während und nach der Diagnose und Behandlung zu unterstützen. Sie bat mich um Hilfe, das Tabu des Brustkrebses zu brechen und die Öffentlichkeit mehr darüber zu informieren. Natürlich konnte ich ihr mein professionelles Können und mein Talent des Fotografierens anbieten. Damals waren meine künstlerischen Themen Familie, männliche und weibliche Rollen, Geschlecht (Gender) und Brustkrebs. Frauen nach Brustkrebsoperationen kamen in mein Studio, um auch anderen Frauen durch ihr Sich-Zeigen zu helfen. Erst später realisierte ich, warum ich bereit war, mich so tief in dieses Thema zu involvieren. Brustkrebs war eines meiner Themen. Brustkrebs beeinflusste meine Arbeit; ich hatte dies nur damals noch nicht erkannt. Da ich auch Kunsttherapie studiert hatte, konnte ich mich fragen, warum ich mich beim Fotografie-
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Kapitel 2: Familie und Partnerschaft nach Brustkrebs
ren mit Themen wie Familie, die Rolle der Geschlechter und Sexualität beschäftigte. Durch die Mastektomie meiner Mutter versuchte ich, das Phänomen ›Brustkrebs‹ durch die Linse meiner Kamera zu verstehen. Das war der Anfang einer langen Reise. Seit sieben Jahren fotografiere ich Frauen mit Brustkrebs. Als meine Mutter bereits über 80 Jahre alt war, stand sie vor meiner Kamera und zeigte ihre Narbe. – Es war zu spät. Niemand in meiner Familie hatte damals ihre Erkrankung erwähnt. Das konnte ich erst verstehen, nachdem ich zwanzig Frauen mit ihren Narben nach Brustkrebsoperationen fotografiert hatte. Erst nach so vielen Jahren konnte meine Mutter über ihre Erkrankung sprechen. Sie sagte: ›Vielleicht haben sie mich umsonst operiert.‹ Seit Jahren hatte sie mit Angst-, Scham- und Wutgefühlen gelebt, besonders mit der Wut auf Ärzte, die ihren Körper ruiniert hatten. Sie sagte: ›Sie fanden damals einen erbsengroßen Tumor.‹ Nach ihren Angaben hatte man sie damals nicht aufgeklärt, so dass sie nicht verstand, warum ihr die Brust abgenommen wurde. Die Hälfte ihres Lebens hat sie in ihrer stillen Wut verbracht, weil sie nicht darüber sprechen konnte. All diese Jahre über hatte sie Angst. Sie ist oft zur Kontrolluntersuchung gewesen und litt unter ihren entstellenden Narben. Wir sprachen jedoch damals zu Hause niemals darüber. Das hat unser Familienleben stark beeinflusst und verändert. Als ich meine Mutter dann viel später fotografierte, sagte sie: ›Sieh mal, was für eine hässliche Narbe ich habe!‹ Ich konnte ihr nicht sagen, dass ich schon schlimmere gesehen hatte. Ich musste mich erst darauf vorbereiten und zunächst viele andere Frauen fotografieren, um endlich die Narbe meiner Mutter anschauen und akzeptieren zu können. Als ich ihre Narben sah, konnte ich meine eigenen begreifen. Ich fühlte eine tiefe Traurigkeit. Ich war traurig darüber, dass es zu spät war, traurig, dass ich, ›ihr kleiner Sohn‹, sie durch das Brechen ihres Tabu gedemütigt haben könnte – dass es ein Tabu sein musste! Auch betrauerte ich die verlorene Möglichkeit, eine normale Beziehung zu meinen Eltern und eine heile Kindheit erlebt zu haben. Hätte man offen über den Brustkrebs meiner Mutter sprechen können, wäre vieles anders gelaufen. Ein Kind wächst in seinem
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eigenen Zuhause auf, es ist seine Realität. Es hat keine andere Wahl. Unsere Kindheit wurde verzerrt. Wären meine Eltern nicht sprachlos gewesen, wäre es nicht zu diesen unausgesprochenen bedrohlichen Spannungen gekommen. Durch Kommunikation hätte die innere Belastung reduziert werden können. Durch diese Verdrängung konnten unsere Eltern uns nicht das geben, was wir als Kinder gebraucht hätten. Meine Mutter war oft wütend und aggressiv. Ich spürte ihr Ebenbild in meiner inneren Wut. Ihre innere Wut richtete sich gegen meinen Vater und gegen uns Kinder. Durch offene Aussprache über ihre Erkrankung hätte dies sicher verhindert werden können. Heute verstehe ich, dass Wut und Angst ihre ständigen Begleiter waren. Es muss sehr traumatisch für sie gewesen sein, aber sie machte alles mit sich selbst ab. Im Nachhinein wünschte ich
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mir, sie hätte offener damit umgehen können, dann hätten wir es gemeinsam tragen und sie dadurch unterstützen können. Ich überlegte, wie ich das Tabu des Brustkrebses brechen könnte, um die Möglichkeit für andere Familien zu finden, offen über ihre Ängste, ihre Scham, ihre Wut zu kommunizieren. Ich habe nicht bewusst meine Arbeit – das Fotografieren brustkrebserkrankter Frauen – als Antwort auf meine persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema gesehen. Ich sehe sie als Antwort auf ein universales Bedürfnis. Ich möchte mein Talent dazu verwenden, um die Öffentlichkeit auf die Problematik, die Brustkrebs nach sich zieht, aufmerksam zu machen und Platz und Raum für offene Kommunikation zu schaffen. Meinen Kampf gegen den Brustkrebs führe ich mittels meiner künstlerischen Begabung. Ich glaube, Künstler sollten ihr Talent nutzen, um eine direkte Wirkung auf das Leben zu haben. Brustkrebs ist eine universale Bedrohung. Die Früherkennung ist die Vorsorge. Es ist notwendig, das Thema Brustkrebs immer mehr an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Fotografie besitzt die Kraft, einen anderen Weg zur Kommunikation darüber zu öffnen. Durch meine Fotografien wissen Frauen, wie sie danach aussehen können. Brustkrebs in Kreativität zu integrieren und so zu sublimieren, wäre Teil eines therapeutischen Prozesses. Das nennt Aristoteles »die Kraft der Kunst zur Erhaltung der inneren psychischen Harmonie«. Das Gleichgewicht der inneren Harmonie wird durch Kommunikation in jedem Bereich gefunden. Ich versuchte, Brustkrebs aus der weiblichen Sicht zu verstehen. So unterhielt ich mich mit den betroffenen Frauen, die ich fotografierte, und verstand dadurch ihre Probleme mit der Diagnose, mit der Therapie und mit der Bewältigung dieser Erkrankung. Alle Frauen, die ich fotografierte, hatten das gleiche Ziel: Sie wollten dazu beitragen, dass die Öffentlichkeit das Problem der brustkrebsbetroffenen Frauen, ihre Partner und Familien besser versteht. Sexualität und weibliche Identität sind konstruiert durch äußerliche Bilder. Männer und Frauen internalisieren dies als Wahrheit, und beide sind in gleicher Weise manipuliert. Wir
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sind die Sklaven einer zwanghaften Normalität. Ich zeige die visuellen Informationen über Brustkrebs, die ich durch meine anderen Kunstwerke sammelte, und versuche, sie in das einerseits schmerzhafte, andererseits wundervolle und komplizierte Muster des Lebens einzuweben.« Boaz Tal
Kapitel 3: Selbstachtung – Körperbild – Sexualität
Die Verletzung des Selbstwertgefühls Auch heute noch sind starke, symbolträchtige Emotionen mit der weiblichen Brust verbunden. Sie steht für Mütterlichkeit, Weiblichkeit, Sexualität, sie spendet Trost und Wärme. Jede Frau, die an Brustkrebs erkrankt, hat Angst davor, dass die Erkrankung zur Verletzung ihres Körperbildes und dadurch auch des Selbstwertgefühls und der Selbstachtung führt. Die Beschädigung des Frauseins betrifft nicht nur die Frauen, die sich einer Brustamputation unterziehen mussten. Frauen, die brusterhaltend operiert werden konnten, sind in ähnlicher Weise betroffen, auch wenn sie auf längere Sicht mit ihrem Aussehen und ihrem Körperbild zufriedener sind als die radikaler operierten Frauen. Die Reaktionen von betroffenen Frauen sind nicht unabhängig von den Reaktionen der Anderen. Eigene Bewertungen, Bewertungen anderer und vermeintliche Bewertungen anderer bestimmen auch, wie der Umgang mit der Erkrankung aussieht. Selbstabwertung und Scham können Ausdruck des eigenen inneren Bewertungsprozesses sein, natürlich beeinflusst von gesellschaftlichen Vorstellungen von Weiblichkeit, können aber auch in der Folge negativer Bewertung durch andere ausgelöst werden. Die Medien propagieren eine feste, runde, straffe, hohe Brust als Voraussetzung für Wohlbefinden und Attraktivität einer Frau. Viele Männer akzeptieren, ja, fördern diese Darstellung der vollkommenen Frau, so dass bereits Frauen im Teenageralter versuchen, diese Forderungen zu erfüllen. Die zuneh-
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mende Anzahl von meist überflüssigen und nicht ungefährlichen Brustoperationen zur Erfüllung dieses Schönheitsideals beweist das. Die kulturelle Bedeutung der Brust als Symbol von Weiblichkeit sollte nicht unterschätzt werden. Allerdings scheinen betroffene Paare mit intakter Beziehung hier leichter abstrahieren zu können als angenommen wird. Fast immer wird der Frage nach der effektivsten Behandlung und nicht der Frage nach Brusterhalt Vorrang eingeräumt. Sind Frauen, die ihre Weiblichkeit hauptsächlich über ihre Brüste definieren, von Brustkrebs betroffen, ist nicht allein ihr Leben bedroht, sondern ihr Körperbild könnte zerstört oder zumindest stark gestört werden. Sie haben wesentlich größere Angst, als Frau nicht mehr vollwertig und für den Partner nicht mehr attraktiv zu sein, als die meisten anderen an Brustkrebs erkrankten Frauen. Das kann sogar soweit gehen, dass sie jegliche Operation und Therapie verweigern. Die Frage der Beschädigung von weiblicher Identität, Körperbild und Sexualität, die meist im gleichen Atemzug genannt werden, spielt im populären und auch im professionellen Diskurs eine zentrale Rolle – anders als bei anderen potentiell lebensbedrohlichen Erkrankungen; beim Herzinfarkt würde niemand auf die Idee kommen, dies als Bedrohung weiblicher Identität zu interpretieren. Genau deshalb ist das DarüberSprechen bei Brustkrebs so wichtig – denn die weibliche Identität ist nicht nur »Brust«, sie ist unendlich mehr. Da das Körperbild allumfassend durch Gedanken, Gefühlen, Vorstellungen und Erscheinungen erlebt wird, bedeutet es mehr als die äußere Erscheinung, mehr als eine Veränderung der Körpersymmetrie. Ein Blick auf Forschungsergebnisse zeigt: – Alle Studien bestätigen, dass eine Brustamputation als traumatische Verletzung wahrgenommen wird. – Brusterhaltend operierte Frauen sind nach der Operation und auch später mit ihrem äußeren Erscheinungsbild zufriedener und empfinden weniger Scheu bei Berührungen. Sie fühlen sich kaum eingeschränkt bei der Kleiderauswahl und
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Kapitel 3: Selbstachtung – Körperbild – Sexualität
trauen sich zum Beispiel in die Sauna zu gehen, sich nackt zu zeigen. – Festgestellt wurde, dass die meisten Frauen mit Brustamputation nach einer Zeit der Anpassung (ca. ein bis zwei Jahre) nicht mehr psychische Probleme haben als Frauen, die brusterhaltend operiert wurden. – Chemo- und Hormontherapien haben vorübergehend einen negativen Einfluss auf die Haltung gegenüber Körperbild und Sexualität. Haarausfall wird von vielen Frauen als besonders einschneidend erlebt, weil dieser auch mit guten Perücken nicht immer kaschiert werden kann und der Blick in den Spiegel die Fremdheit hervorhebt. Ausgeprägt ist die Angst vor den fremden Blicken: »Jeder kann ja sehen, dass ich Krebs habe.« Das macht schutzlos und verletzlich. Außerdem hat Haarverlust auf der unbewussten Ebene stigmatisierende Bedeutung, da in der Vergangenheit die Haare bei Delinquenten, Verrätern und Hexen geschoren wurden. Es ist kein Trost, zumindest nicht am Anfang, dass die Haare wieder wachsen. Das macht verständlich, warum der Haarausfall, auch wenn er nicht dauerhaft oder nur teilweise vorhanden ist, von den Frauen als so einschneidend erlebt wird. Manchmal wird Haarausfall mehr gefürchtet als die Amputation selbst. Fast die Hälfte der betroffenen Frauen hält Haarausfall für den belastendsten Effekt der Chemotherapie. Nicht selten berichten Frauen, wie sehr sie sich verletzt fühlen wenn Gesunde ihren Kummer mit der Bemerkung »Dafür gibt es doch gute Perücken« kommentieren. Auch Gewichtsveränderungen können zur Wandlung des Körperbildes führen. Bei der Hormontherapie zeigt sich oft die Tendenz, an Gewicht zuzunehmen, während eine Chemotherapie eher eine Gewichtsabnahme mit sich bringt, es sei denn, die Frau kommt dadurch in die Menopause. Die Krankheit bedingten Veränderungen des Körpers, das Abschiednehmen vom gewohnten Selbstbild, die gesundheitlichen Verluste erfordern eine Integration von beängstigenden
Die Verletzung des Selbstwertgefühls
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Erfahrungen. Diese können nur über einen Trauerprozess verarbeitet werden. Die Frage der eigenen Sterblichkeit ist nicht nur mehr eine abstrakte Frage, sondern wird zur Erfahrung am eigenen Leib. Der Körper, die Brust – eine Quelle von Stolz, Weiblichkeit, Erotik – wird zum Feind und produziert eine potentiell tödliche Krankheit. Für betroffene Frauen bleibt eine tiefe Verunsicherung. Die körperlichen Wunden heilen in der Regel schnell, die seelischen dagegen brauchen lange Zeit. Obwohl es heißt, dass die Zeit alle Wunden heilt, bleiben die Narben. Sie sind ein Mahnmal gegen das Vergessen. Sie sollten Frauen erinnern, bei sich zu bleiben, sich zu lieben und gut und vorsichtig mit sich umzugehen. Auch wenn die Außenwelt ihnen Egoismus vorwirft, ist es lebensnotwendig, gut für sich zu sorgen, um Heilung zu fördern. Der Körperverletzung wird die Verletzlichkeit durch den vermeintlichen Blick der Anderen hinzugefügt – seien diese nun real oder phantasiert. In dieser Situation von Verletzlichkeit spielen die Partner eine Rolle, die sie häufig selbst nicht durchschauen können. Frauen die sich verletzt fühlen, deren Selbstwertgefühl gemindert ist, die ihre weibliche Identität und Stärke in Frage stellen, unterscheiden nicht immer zwischen ihren eigenen Gefühlen und denen anderer. Ihre Empfindungen werden nach außen verlagert und möglicherweise Partnern unterstellt. Aus der Haltung »ich kann mich so nicht akzeptieren« wird dann »du kannst mich nicht akzeptieren«. Es kann viel Zeit und Liebe benötigen, bis die Unterscheidung der Perspektiven wieder möglich wird. Partner sollen sich genug Freiräume gönnen. Es ist keine Hilfe, wenn Partner beteuern, die Brustamputation, mache ihnen gar nichts aus. Ob das im Einzelfall stimmt, sei dahin gestellt. Für die Partnerin bedeutet es eine zusätzliche Kränkung, weil es die Missachtung ihrer körperlichen Beschädigung bedeutet. Gerade in einer Zeit, in der betroffene Frauen zur Restrukturierung ihres Selbstbildes auf (männliche bzw. partnerschaftliche) Hilfe angewiesen sind, weisen sie diese oft aus Angst vor Abweisungen zurück. Gelegentlich wird der
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Kapitel 3: Selbstachtung – Körperbild – Sexualität
Partner tatsächlich verletzend, wenn er das veränderte Körperbild nicht akzeptieren kann – auch wenn er dieses Gefühl unbewusst als abweisendes Signal der Partnerin vermittelt. Das kann sich gerade auch auf Nähe und Körperkontakt beziehen. Auf die möglichen Konsequenzen für die Sexualität des Paars wird in einem gesonderten Abschnitt eingegangen.
Thema Sexualität Sexualität wird selten spontan thematisiert. Zu groß sind Unsicherheit, Tabus und Schamgefühle. Meist wird nur auf Nachfrage über Sexualität gesprochen. Studien verdeutlichen, dass die meisten der an Krebs erkrankten Menschen mehr Informationen über Sexualität wünschen. Ärzte beraten meistens erst über Sexualität, wenn Frauen direkt danach fragen. Jedoch fühlen sich manche Ärzte mit einem solchen Gespräch überfordert. Mangels Wissen auf sexuellem Gebiet, eigener Hemmung, Zeitmangel und Angst, keine spezielle Hilfe anbieten zu können, wird ein Gespräch unterbunden. Oft braucht nur ein kleiner Teil der Patienten einen speziellen Sexualtherapeuten. Schon das kurze Gespräch eines einfühlsamen, beratenden Arztes eine kann eine therapeutische Wirkung haben. Wenn eine Frau mit ihrem Arzt ein solches Gespräch führen kann, lernt sie, dass es auch mit ihrem Partner möglich ist, über intime Probleme zu sprechen. Jedoch nur wenige Frauen trauen sich, das Thema anzusprechen. Wird Sexualität in der Paarkommunikation ausgespart und auch der behandelnde Arzt bei bestehenden Problemen nicht um Hilfe gebeten, können Kommunikationsschwierigkeiten entstehen. Das kann es den Partnern unmöglich machen, wieder eine unkomplizierte sexuelle Beziehung aufzunehmen. Es gibt kaum Literatur über die psychosexuelle Befindlichkeit von Frauen nach Brustamputationen. Der Grund liegt in der Herangehensweise in der Forschung, die nach männlichen Kriterien ausgerichtet ist: Es wird nach sexuellen Funktionen
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als Leistung gefragt, zum Beispiel nach der Häufigkeit des Koitus und des Orgasmus. Die qualitativen Aspekte des sexuellen Erlebens werden nicht berücksichtigt. Studien über das Orgasmuserleben von gesunden Frauen zeigten, dass circa 80 Prozent keinen Orgasmus erleben, nur 20 Prozent halten den Orgasmus für das Wichtigste bei der Sexualität; er ist für sie nur eine von mehreren Quellen sexueller Zufriedenheit. Für viele Frauen wichtiger sind Wärme, Liebe, körperliche Nähe, Zärtlichkeit, Vertrauen, Freundschaft, Sinnlichkeit, Kommunikation und Intimität auf physischer und psychischer Ebene. Für die Mehrzahl von Frauen ist wichtig, dass Sexualität mit Orgasmus nicht befriedigt, wenn andere Gefühlsqualitäten fehlen. Negative Gefühle – bis zu Missbrauchsempfindungen – können danach länger empfunden werden.
Wie beeinflusst das veränderte Körperbild die Sexualität? Das Körperbild ist die Vorstellung, die jeder von seinem eigenen Körper hat – unabhängig von der eigenen Zufriedenheit damit. Das Körperbild umfasst Gedanken, Gefühle, Vorstellungen und Erscheinungen des eigenen Körpers, die im Lauf des Lebens verinnerlicht wurden. Das Körperbild ist also weitaus mehr als die äußere körperliche Erscheinung. Körperliche Veränderungen durch Narben können deshalb eine tiefere Bedeutung erlangen. Das innere Körperbild kann auf verschiedenen Ebenen verletzt werden. Äußere Verletzungen, die zu einer Körperasymmetrie führen wie die Narbe bei einer Mastektomie, sind sichtbare Realität. Ein derart verändertes Körperbild kann aber auch eine existentielle Bedrohung auslösen, denn jede Krebsdiagnose führt zu einer Verunsicherung. Die betroffene Frau fragt sich, ob sie geheilt werden kann – oder ob sie sterben muss. Das abstrakte Wissen um das eigene Sterben wird konkret spürbar. Ein verletztes Körperbild aufgrund eines Brustverlusts oder einer Beschädigung durch brusterhaltende Operationen geht
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mit einer Verletzung des Selbstwertgefühls einher. Die eigene erotische Ausstrahlung wird von der betroffenen Frau als gemindert erlebt. Dadurch kann es auch zu einem veränderten Sexualerleben kommen. Befragungen zeigen aber, dass die Veränderungen im Sexualleben unabhängig sind von der Art der Operation. Das heißt, für eine befriedigende Sexualität spielt der rein figürliche Aspekt des Körperbilds nicht die zentrale Rolle. Dennoch berichten Frauen mit Mastektomie über mehr Hemmungen, sich dem Partner nackt zu zeigen, und vermeiden Brustberührungen. Studien über das Körperbild von Frauen, die sich wegen eines genetisch bedingten hohen Risikos vorbeugend einer beidseitigen Brustamputation unterzogen, zeigen, dass die körperliche Veränderung bei ihnen in den Hintergrund rückt. Für diese Frauen ist ihre Gesundheit wichtiger als ein äußerlich unversehrter Körper. Anpassungsprobleme treten nur bei einer kleinen Minderheit auf. Für die Bewältigung einer Brustkrebserkrankung ist die Einstellung der betreffenden Frau gegenüber ihrer Gesundheit entscheidend. Wenn Angst, Unsicherheit, bange Zukunftsfragen vorherrschen, vergehen naturgemäß Lust und Verlangen. Allerdings trifft das nicht auf alle Paare zu. Haben Partner vor der Erkrankung der Frau eine ungetrübte und lebendige Sexualität gelebt, können sie in dieser Situation von Bedrohung auf gute körperliche Gefühle zurückgreifen, auf Erfahrungen, die Halt geben können, die vertraut sind und die im vorherrschenden Chaos Entlastung gewähren. Da nur in einer Minderheit von Fällen eine Brustkrebserkrankung so dramatisch verläuft, dass sie in einem kurzen Zeitraum zum Tod führt, gibt es in der Regel auch bei Frauen, bei denen der Krebs wiederkommt, lange Phasen mit Krankheitsstillstand, in denen der Wunsch nach Normalität besteht. Zu dieser Normalität kann auch Sexualität gehören. Maxie Wander beschreibt die Veränderungen in ihrem Buch »Leben wär’ eine prima Alternative« (1980): »Andere Frauen altern langsam und merken es kaum. Ich bin in einem Herbst gealtert, habe einen zerschnittenen Körper, der nie wieder einen
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Mann reizen wird. Nie wieder werde ich mich unbefangen am Strand ausziehen können. Mein Körper, den ich gern hatte, ist ausrangiert für immer. Ich kann es nicht fassen, es ist zu grausam.« Maxie Wander, deren Buch posthum von ihrem Mann veröffentlicht wurde, ließ die in ihren Briefen keinen Zweifel an der großen Liebe zu ihrem Mann, hat aber trotzdem ihre Attraktivität in Frage gestellt. Wie schwierig das für Partner ist, lässt sich leicht ableiten. Äußerungen wie »Ich liebe dich, alles andere ist nicht wichtig« oder »Ich habe dich nicht wegen deines Körpers, deiner Brust geheiratet« können hilfreich sein, und es ist wichtig, sie zu wiederholen. Es kann dauern, bis sie »ankommen«, bis ihr Wahrheitsgehalt von der Partnerin anerkannt wird. Es gehört zum Prozess der Krankheitsbewältigung, die eigenen Verletzungen wirklich als die eigenen wahrzunehmen und nicht auf andere zu projizieren; also zu verstehen, dass die Selbstzweifel und die Skepsis bei der Erkrankten selbst liegen und nicht beim Partner. Auch wenn die betroffene Partnerin sich selbst noch nicht akzeptieren kann, könnte sie die Äußerungen des Partners nutzen für die Restrukturierung ihres neuen Selbstbildes.
Sexuelle Störungen durch die Brustkrebstherapie Durch die Chemotherapie auftretende Symptome stören ein normales beziehungsweise erfülltes Sexualleben: Erschöpfung, Depression, Müdigkeit, Übelkeit, Schleimhautschäden, Schlafstörungen, Erbrechen, Haarausfall, erhöhte Infektanfälligkeit, Gewichtszunahme, höhere Schmerzempfindlichkeit im Bereich der Scheide. Etwa zwei Drittel der mit Chemo- und/oder Hormontherapie behandelten Frauen leiden zudem unter Hitzewellen und Nachtschweiß. Sind diese Schweißausbrüche ausgeprägt, sind sie häufig mit Angst und Schlafstörungen verbunden. Eine Frau, die durch Chemotherapie und Bestrahlung erschöpft ist, wird sexuell nicht begehren noch sich begehrenswert fühlen, insbesondere kurz nach der Operation.
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Die jüngeren Frauen werden infolge der Tumorbehandlung mit Hormonen oder Chemotherapie in einen Zustand versetzt, der dem von Frauen in den Wechseljahren entspricht. Es entsteht ein Östrogenmangel, weil die Eierstockfunktionen ausfallen. Während im normalen Lebenszyklus dieser Vorgang mehrere Jahre beansprucht, erfolgt er aufgrund der Brustkrebstherapie abrupt. Für die Frauen kann das bedeuten, dass es im Verlauf der sexuellen Erregungsphase zu weniger Elastizität und Befeuchtung der Scheide kommt. Dadurch kann sexuelle Vereinigung schmerzhaft werden und als Folge Lust verhindern. Chemo- und Hormontherapie können diese Effekte noch verstärken. Neben dem Östrogenabfall kommt es zu einem Mangel an Testosteron (»Lusthormon«). Die Erregungsphase kann dadurch zeitweise erlöschen. Erotische Phantasien, sexuelles Verlangen und Erregung sind nicht in erster Linie vom Östrogen-, sondern vom Testosteronspiegel abhängig. Wenn eine Frau keine erotischen Gedanken und Gefühle mehr spürt, sei es infolge von Hormonmangel oder durch ihr gestörtes Körperbild, ist ihre Lustlosigkeit auch für ihren Partner enttäuschend. Die Erregung der Partnerin ist ein starkes Aphrodisiakum für viele Männer. Fehlende Lust kann einen Mann so enttäuschen, dass er impotent wird. Libidoverlust kann auch rein psychisch bedingt sein. Bevor eine Testosteron-Dauertherapie (durch Hautpflaster oder Salben) eingeleitet wird, sollten deshalb insbesondere psychische und partnerschaftsbezogene Faktoren abgeklärt werden. Zum Thema Sexualität nach Brustaufbau gibt es keine systematischen Studien. Jedoch zeigen Untersuchungen, dass jüngere Frauen eher einen Brustaufbau wählen als ältere Frauen. Nach einem gelungenen Brustaufbau sind Frauen mit ihrer äußeren Erscheinung zufriedener als Frauen mit Mastektomie ohne Brustaufbau. Erstere fühlen sich besser, wenn sie sich vor ihrem Sexualpartner nackt zeigen und sexuell aktiv sind.
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Sexuelle Partnerschaftsprobleme nach Brustoperationen Die Brüste einer Frau spielen im Sexualleben für beide Partner als erotisch stimulierbare und stimulierende Organe eine große Rolle. Wie stark eine Brustamputation oder brusterhaltende Tumorentfernung die Sexualität beeinflusst, hängt wesentlich von der Qualität der sexuellen Beziehung vor der Brustkrebsdiagnose ab. Meistens fühlen sich Frauen, die eine brusterhaltende Operation hatten, in ihrer körperlichen Identität und Sexualität vorübergehend weniger verletzt als Frauen, bei denen eine Mastektomie notwendig war. Auf längere Sicht ist die Art der Operation nicht der entscheidende Faktor. Dennoch befürchten viele Frauen, durch ihr gestörtes Körperbild für ihren Partner nicht mehr schön zu sein, und entziehen sich ihm sexuell. Körper und Seele brauchen Zeit, um Sexualität wieder genießen zu können. Abgesehen von Chemo- und Hormontherapien kann auch der seelische Stress, den die Erkrankung verursacht, den Hormonhaushalt derart verändern, dass die Libido, die sexuelle Lust, zeitweise erlischt. Partner sollten wissen, dass nach Diagnosestellung und in der Therapiephase Frauen ein erhöhtes Bedürfnis nach Zärtlichkeit, körperlicher Nähe und Unterstützung haben; sie möchten, im wahrsten Sinne des Wortes, gehalten werden. Demgegenüber ist das Verlangen, mit dem Partner zu schlafen, eher gemindert, was verständlich ist, wenn man sich die Konsequenzen der Behandlung anschaut (siehe im nächsten Abschnitt). Bei jüngeren Frauen werden sexuelle Schwierigkeiten besonders belastend erlebt. Damit verbunden ist das Thema Schwangerschaft. Chemotherapien können die Hormonproduktion der Eierstöcke und dadurch den Menstruationszyklus und die Fruchtbarkeit vorübergehend oder dauerhaft beieinträchtigen. Die Eierstöcke erholen sich jedoch bei jüngeren Frauen nach der üblicherweise zweijährigen Hormontherapie wieder. Frauen, die zur Zeit ihrer Brustoperation keinen Partner hatten, sind mit anderen Problemen konfrontiert. Sie fragen sich: Wie wird ein zukünftiger Partner auf meine fehlende oder vernarbte Brust reagieren? Wie wird mein Körper auf ihn wirken?
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Bin ich noch begehrenswert? Wie wird er mit meiner Erkrankung umgehen? – Das kann zu großen Ängsten und sogar zur Isolation führen. Die Ängste, die in einer noch nicht festen Beziehung hochkommen, wurzeln im Zweifel an der eigenen Wertigkeit innerhalb einer späteren Beziehung. Deshalb ist es diplomatischer, über das intime Thema Brustkrebs erst zu sprechen, wenn sich die Frau in ihrer neuen Beziehung schon recht sicher fühlt. Oft sind die Probleme aber gar nicht in erster Linie sexuellen Ursprungs, sondern Beziehungsprobleme, die sich dann im sexuellen Bereich äußern. Können in einer Beziehung die Partner über Sexualität sowie über die eigenen Gefühle, Wünsche, Erwartungen offen sprechen, so kann das gemeinsame Sexualleben die Problematik des Brustkrebses überwinden oder sogar die Sexualität noch erfüllender werden lassen. Alleinstehende oder jüngere brustkrebserkrankte Frauen können vom Thema Sexualität stärker belastet sein als Frauen nach der Menopause oder solche, die familiär eingebunden sind. Auch die Art der Bewältigung der Erkrankung ist altersabhängig. Jüngere Frauen haben mehr Probleme hinsichtlich der Sexualität und auch ihrer Fruchtbarkeit; sie nehmen auch mehr professionelle Hilfe wie zum Beispiel Psychotherapie in Anspruch. Befragungen von brustkrebskranken Frauen zu ihrer Lebensqualität ergaben, dass sie sexuelle Unzufriedenheit als das zweitgrößte Problem erleben. Darunter sind Störungen im sexuellen Erleben, vor allem das Unerfülltbleiben ihrer sexuellen Wünsche zu verstehen. Bei Männern kann die körperliche Veränderung bei seiner Partnerin zum Nachlassen des Lustgefühls führen; es kommt zur Blockierung in der Erregungsphase. Nicht selten treten Gefühle von Verlust und Wut auf. Bei eitlen (narzisstischen) Männern kann bereits das Wissen um die Krankheit zur Zurückweisung ihrer Partnerin führen.
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Betroffene Frauen und Partner berichten über Sexualität Beatrix schildert zum Thema Sexualität und Körperbild: »Nach einem so langen Krankheitsverlauf, der mit viel Schmerzen verbunden ist, hat sich mein sexuelles Leben und Erleben verändert. Ich bin nicht mehr so offen. Wir haben uns lieb und genießen Zärtlichkeiten, aber der eigentliche Geschlechtsakt ist eingeschränkt. Das geht jedoch von mir aus, weil ich mich nicht mehr so attraktiv fühle wie früher. Obwohl ich Dirk liebe, kann ich den Sexualakt selten genießen, weil er schmerzhaft ist (dünne Scheidenwände, die leicht verletzt werden, und Scheidentrockenheit). Wir kuscheln und streicheln uns, sind zärtlich miteinander, genießen die vollkommene Nähe. Auch wenn er sich intime Sexualität öfter wünscht, kann ich ihn befriedigen durch erotisches Streicheln, das tut mir auch gut. Auf der rechten Seite habe ich eine ›Plastikbrust‹ (meine Silikoneinlage). Selbst wenn ich mein Hemd anbehalte, finde ich mich nicht attraktiv. Ich bin dünn geworden und fühle mich weder schön noch begehrenswert. Dirk sagt, dass stört ihn nicht, aber ich kann trotzdem nicht glauben, dass er meinen Körper noch begehrenswert findet. Er hat dies zwar nie geäußert, aber er meint, ich solle mehr essen, damit meine Rippen nicht sichtbar sind – das verletzt. Wärme, Nähe, Kuscheln sind mir wichtig, aber bei manchen sexuellen Dingen kann ich nicht mehr mitmachen. Manchmal schlafe ich mit ihm richtig, um vollkommene Nähe zu erhalten und zu geben.« Dirk, 54 Jahre: »Natürlich hat sich die Sexualität im Vergleich zu früher verändert. Jetzt ist sie zärtlicher, hautnäher. Wir liegen eng beieinander, sind uns nahe, reden über alles miteinander. Die wilden ersten Jahre sind vorbei, aber wir haben sie auch bewusst erlebt. Was wir jetzt haben, ist auf einer anderen Ebene. Das geht viel tiefer. Es ist eine Liebe, die alle Lebensbereiche einschließt, so dass wir sowohl das Schöne als auch das Unangenehme teilen können.« Frank, 42 Jahre: »Meine Frau schrie mich an: ›Du hast mich seit meiner Mastektomie nicht mehr berührt. Durch den Verlust meiner Brüste bin ich doch nicht weniger weiblich, aber du bist
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weniger männlich geworden!‹ Sie hat Recht. Ich habe Angst und Schuldgefühle. Angst vor dem Krebs in ihr und Schuldgefühle, weil ich sie liebe, ohne sie zu begehren.« Judith, 36 Jahre: »Eineinhalb Jahre sind vergangen, seit ich meine Diagnose vermittelt bekam. Für mich bedeutet Sexualität eine lange Narbe. Ich überlege, ob ich die verbliebene Brust verkleinern lasse, da der Aufbau in der kranken Brust nicht geklappt hat. Ich habe Angst vor weiteren Operationen. Ich fühle mich doch in meiner Weiblichkeit sehr verletzt.« Renate, 52 Jahre: »Meine neuen Brüste (doppelseitige Mastektomie mit Aufbau) sind schöner als vor der Amputation. Für mich ist meine Brust nicht Silikon. Sie ist meine Brust, sie gehört zu mir, und ich liebe sie. Ich habe einen starken Schutzreflex für meine Brüste. Ich passe seit meiner Erkrankung mehr auf sie auf. Deshalb ist für mich mit der beidseitigen Amputation mein ›Brustbild‹ stimmig. Auch die Narben (Wucherungen) gehören zu meinem Körperbild. Ich fühle mich rundum gut. Ich habe keine Probleme mit Sexualität.« Gabi, 40 Jahre: »Sexuell habe ich weniger Verlangen, weil ich mich nicht mehr begehrenswert fühle. Ich versuche, die nicht vorhandene Brust durch einen hübschen BH zu kaschieren.« Sonja, 31 Jahre: »Ich habe nicht nur eine Narbe an der Brust, sondern noch zusätzlich eine auf dem Rücken, weil ein Teil des Rückengewebes zum Aufbau meiner fehlenden Brust vom Rücken genommen wurde. Ich muss meinen Körper neu kennen lernen. Das ist spannend! Durch Streicheln versuchen mein Mann und ich neue erogene Zonen zu entdecken.« Franziska, 39 Jahre: »Durch das plötzliche Aufhören meiner Menstruation durch die Therapie habe ich das Gefühl, ein völlig anderer Mensch zu sein. Ich kann noch nicht mit Sexualität umgehen, aber ich bin zuversichtlich, es wieder zu lernen, aber auf eine andere Art.« Annette, 63 Jahre: »Ich habe mich gegen einen Brustaufbau entschieden; dennoch habe ich ein gutes Körpergefühl. Ich habe durch die Brustkrebserkrankung ein neues Körperbewusstsein gewonnen.« Ruth, 75 Jahre: »Ich gehe sogar wieder in die gemischte Sau-
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na – also Männer und Frauen zusammen – und werde nicht angestarrt. Ich fühle mich frei und spreche offen über meinen Brustkrebs. So gebe ich damit auch den Männern die Freiheit, mich zu fragen.« Ulli, 31 Jahre: »Ich habe jetzt wieder mehr Ängste und beschäftige mich häufiger mit dem Thema Brustkrebs. Die Angst nimmt mir alle Lust zur Sexualität.« Grete, 36 Jahre: »Meine Scheide ist nach der Chemo- und Hormontherapie so trocken und brüchig geworden, dass Geschlechtsverkehr zu schmerzhaft ist. So streicheln mein Mann und ich uns gegenseitig und fühlen uns warm und nah.« Conny, 32 Jahre: »Ich habe noch keine Lust zur Sexualität, aber schlafe trotzdem mit meinem Mann, weil ich weiß, dass er das braucht, und mir gibt es das Gefühl der Nähe.« Renate, 52 Jahre: »Ich fühle mich mit meinen beiden neuen Brüsten so schön und sicher, dass ich Sexualität genießen kann.« Judith, 36 Jahre: »Im Bereich meiner Operationsnarben treten solch schmerzhafte Spannungszustände auf, dass ich es nicht ertragen kann, dort berührt zu werden. So sprechen mein Mann und ich über andere Formen von sexueller Nähe, die für uns beide befriedigend sind, und ich hoffe, meine Lust auf Sexualität bald wieder zu erlangen.« Wilhelmine, 67 Jahre: »Nach dem Verlust meiner Brust konnte ich mich nicht mehr als vollwertige Frau fühlen. Ich vermied jeden Blick in den Spiegel und fühlte mich unattraktiv und zog mich sexuell von meinem Partner zurück. Heute weiß ich, dass ich mich selbst nicht leiden konnte. Mein Körperbild war zerstört. Ich konnte mich nicht ansehen – es war zu schmerzlich –, die Narben, die fehlende Brust, und ich habe meine Gefühle auf meinen Mann geschoben. Ich glaubte ihm nicht, als er mir sagte, dass er mich sexuell noch begehre. Nach einigen Wochen bemerke ich, dass er durch seine liebevolle Art mich als Frau tatsächlich noch begehrte, und so begann langsam, unser Sexualleben wieder schön zu werden.« Anni, 29 Jahre.: »Obwohl die Ärzte mir während meiner Hormontherapie zum Geschlechtsverkehr rieten, um meine Scheide zu dehnen, hat mich unsere Sexualität belastet und mein Begeh-
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ren zerstört. Es hat Monate gedauert, ein unbefangenes positives Gefühl bei der Sexualität zu entwickeln. Obwohl ich nur noch selten zum Orgasmus komme, da meine Scheide trotz Gebrauch eines Gleitgels sehr schmerzhaft ist, kann ich einen Mann erregen. Das tut mir gut.« Frieda, 81 Jahre: »Alle reden über die sexuellen Bedürfnisse der Männern – und wie ist es eigentlich bei uns betroffenen Frauen, die mit dem Tod konfrontiert waren und sich nach den eingreifenden Therapien düster und trocken in der Sexualität fühlen. Trotzdem haben wir erotische Bedürfnisse, das heißt nicht, dass das Glied unbedingt in die Scheide geführt werden muss. Wir haben eher das Bedürfnis nach Zärtlichkeit, Wärme, Nähe, Streicheln, Gesprächen – alles, was die Sexualität umrandet und nicht direkt zum Geschlechtsakt führt. Ich möchte, dass mein Partner mich neu entdeckt, dass er die Lust, die er verspürt, wie er sagt – trotz meiner Narben –, mit Geduld an meinem Körper und im Gespräch ertastet. Ich wünschte, dass wir über alles miteinander reden könnten. Geht das nicht, wird meine Sexualität brach liegen, es sei denn, ich treffe einen anderen Mann, der mich versteht. Wenn mein Partner und ich erforschen, was wir beide möchten, um uns nahe zu sein, um wieder zueinander zu finden, dann kann unsere Sexualität neu blühen.« Petra, 29 Jahre: »Seit eineinhalb Jahren habe ich kein Begehren mehr. Ich fühle mich meinem Mann gegenüber schuldig, weil ich ihn mag, aber keinen Sex haben möchte. Wir sprechen offen darüber. Er ist verständlicherweise sehr verletzt, dass ich ihn nicht mehr begehre. So hatten wir seit meiner Diagnose keine Sexualität mehr. Wenn er mich sexuell berührt, habe ich das Gefühl, vergewaltigt zu werden. Wir beide sind unglücklich darüber. Früher war unser Sexualleben sehr schön. Wir überlegen, jetzt doch einen Sexualtherapeuten aufzusuchen.«
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Hilfen bei sexuellen Problemen Zusammenfassend hier noch einmal die Ursachen für sexuelle Schwierigkeiten, unterteilt nach körperlicher und psychischer Ebene. Körperliche Ursachen: – Therapeutisch-bedingte menopausale Beschwerden (Symptome wie in den Wechseljahren) – Schmerzen beim Geschlechtsverkehr wegen fehlenden Feuchtwerdens der Scheide als Folge einer Chemo- oder Hormontherapie; – allgemeine Verschlechterung des körperlichen Wohlbefindens durch die Krebserkrankung und deren Behandlung. Psychische und soziale Ursachen: – Die Konfrontation mit der Diagnose »Krebs« und deren Auswirkung auf das Selbsterleben und das Selbstwertgefühl; – Ängste vor der Behandlung und deren Folgen; vor Ausgrenzung durch die Familie und das soziale Umfeld; – Beeinträchtigungen des Empfindens der eigenen Attraktivität, vor allem durch Verlust oder Veränderung der Brust; durch das veränderte Körperbild Verlust des Selbstwertgefühls; – krankheits- und therapiebedingte depressive Verstimmungen; – sexuelle Versagensängste; – unausgesprochene Vermutungen des Partners, dass die Partnerin keinen Sexualverkehr mehr wünscht oder Schmerzen dabei erleiden könnte; – Furcht, dass der Partner Abscheu empfindet; – durch die Erkrankung ausgelöste, eventuell bereits davor bestehende unterschwellige Partnerschaftskonflikte.
Oft kommt es zu Wechselwirkungen zwischen körperlichen und seelischen Ursachen! Diese Auflistungen sind nicht nur wichtig zum Verständnis, es lassen sich daraus auch Hilfen ableiten. Bevor darauf Bezug
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genommen wird, werden zum besseren Verständnis noch einige allgemeine Erläuterungen zu Sexualität gegeben: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert »Sexualität« als die Integration körperlicher, emotionaler, intellektueller und sozialer Aspekte des Sexualerlebens, die die Persönlichkeit, Kommunikation und Liebesfähigkeit stärken. Oder anders formuliert: Sexualität ist ein vielschichtiger Verhaltens- und Erlebensbereich, der durch eine enge Verknüpfung von körperlichen und psychischen Prozessen gekennzeichnet ist. Sie ist einzigartig durch die spezifische Erlebnisqualität von sexueller Erregung und Lust. Sexualverhalten beinhaltet drei Aspekte: Die Fortpflanzung ist der älteste und bekannteste, für einige Menschen auch der zentrale Aspekt von Sexualität. Bei dem selbstbestätigenden Aspekt steht Sexualität für die Freude am eigenen Körper, für das Selbst- und Lustgefühl. Der Beziehungsaspekt beinhaltet, dass das Sexuelle auf andere orientiert ist. Die sexuelle Reaktion beruht auf psychobiologischen Prozessen, das heißt, ein Zusammenspiel von Nerven und Hormonen, die durch Veränderungen wie Krankheit oder Älterwerden beeinflusst werden, wobei das Gehirn die Sexualität steuert. Diese komplexe Schaltzentrale, in der Reize von außen und Bedürfnisse, Wünsche und Empfindungen aus allen Teilen des Körpers integriert werden, ermöglicht die Ausbildung einer persönlichen, sich verändernden und sich entwickelnden Sexualität. Jeder hat seine eigene Art von Sexualität, aber kaum ein anderer Erlebensbereich wird so stark beeinflusst von gesellschaftlichen Mythen und Bewertungen. Ein erfülltes Sexualleben gehört zu einer guten Lebensqualität. Menschen haben unterschiedliche sexuelle Bedürfnisse, Vorstellungen, Überzeugungen und Neigungen, unabhängig davon, ob Sexualität aktiv praktiziert wird. Sexualität wird durch Erziehung, Traditionen, Erfahrungen sowie durch das psychosoziale Umfeld beeinflusst.
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Aphrodisiaka Aphrodisiaka sind Substanzen, die sexuelle Lust und Potenz erwecken, anregen und steigern können. Sie sind seit dem Altertum bekannt. Früher wurde das pulverisierte Rhinozeroshorn als lust- und potenzsteigerndes Mittel eingesetzt sowie andere tierische Organe. Für diesen uralten menschlichen Wunsch, seine Sexualität noch intensiver zu erleben, mussten viele Tiere ihr Leben lassen. Heute noch werden in der westlichen Welt Pflanzenteile, Früchte oder Ginsengwurzeln empfohlen. Diese Substanzen sind meist unschädlich, und wenn eine Wirkung eintritt, kann diese auf einem Placeboeffekt beruhen, denn zu den meisten pflanzlichen Aphrodisiaka sind keine wissenschaftlichen Studien veröffentlicht. Für Frauen gibt es auch Viagra, aber bevor dieses Medikament eingesetzt wird, sind Gespräche mit dem behandelnden Arzt erforderlich. Bekannt ist, dass bei Frauen die Wirkung nicht so eindeutig ist wie bei Männern. Beckenbodenübungen Es gibt eine Vielfalt von Beckenbodenübungen, wobei die Frau bewusst lernt, die verschiedenen Öffnungen im Beckenboden zu spüren, zusammen- und nach oben zu ziehen und zu schließen. Dazu braucht die Frau Ruhe zur Konzentration. Beckenbodenübungen sollten täglich mindestens sechsmal durchgeführt werden. Sie können im Sitzen, Stehen oder Liegen erfolgen. Hat eine Frau ihre Beckenbodenmuskulatur unter Kontrolle, kann sie durch völlige Entspannung Schmerzen beim Geschlechtsverkehr verringern. Sie kann Inkontinenz – ob Urin, Wind oder Stuhl – durch Kontraktionen (Zusammenziehen) ihrer gut trainierten Beckenbodenmuskulatur erreichen. Übungen zur gezielten Stärkung der Beckenbodenmuskulatur werden von Krankengymnastinnen angeboten. Beherrscht eine Frau diese Übungen erst einmal, kann sie sie ohne weiteres überall mit Erfolg einsetzen. Zusätzlich ist es für eine Frau schön, wieder Körperteile zu spüren, die sie im Griff hat.
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Vibratoren Manche Sexualtherapeuten empfehlen Vibratoren. Sie haben mannigfaltige Formen. Sie können aus einem Katalog für sexuelle Hilfsmittel ausgesucht werden. Sie sind hilfreich, um die Scheide vor einer durch Hormonmangel bedingten Schrumpfung zu schützen. Sie können über den Körper geführt werden und dienen zur Entdeckung neuer erogener Zonen der sexuellen Lust. Ein Vibrator kann an der Innenseite der Arme, Beine, Brust und sogar über Narben geführt werden, und eine Frau konzentriert sich dabei auf ihre Gefühle und Empfindungen. Diese körperlichen Entdeckungsreisen sollten im entspannten Zustand durchgeführt werden. Je entspannter eine Frau hierbei ist, desto eher wird sie herausfinden, was ihr gefällt. Wird ein Vibrator in die Scheide eingeführt, sollte jeweils ein Gleitgel benutzt werden, um die empfindlich gewordene Schleimhaut zu schonen. Um einer Schrumpfung der Scheide vorzubeugen, sollten Vibratoren regelmäßig etwa einmal pro Woche eingeführt werden. Selbstbefriedigung kann helfen, Angst zu mindern, Spannungen abzubauen, sich seiner Reaktionsmöglichkeiten zu versichern, und führt zusätzlich zu günstigen Effekten auf die Scheidenschleimhaut (Durchblutung, Befeuchtung).
Beschwerden in den Wechseljahren – Wie können sie behandelt werden? Frauen, die künstlich in die Wechseljahre durch die Chemooder Hormontherapie kommen, können erheblich unter Beschwerden leiden. Gegen diese Beschwerden können bestimmte Hormonkombinationen helfen, sollten alternative Mittel wirkungslos sein. Hormonersatztherapie ist gerade bei brustkrebskranken Frauen ein heikles Thema und muss mit einem Mediziner geklärt werden. Viele Brusttumore sind hormonabhängig und eine entsprechende Therapie kommt aus diesem Grund nicht in Frage. Ob Östrogene und/oder Androgene zugeführt werden, muss der Arzt entscheiden. Androgene wirken luststeigernd,
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Östrogene haben eine bedeutende Wirkung in der sexuellen Erregungsphase für Befeuchtung, Elastizität und Weitung der Scheide. Bei einem hormonunabhängigen Brustkrebs können bei starken Beschwerden nach einem Gespräch mit dem Gynäkologen Hormone eingenommen werden. Bei hormonabhängigen Tumoren jedoch sprechen sich die meisten Gynäkologen gegen Hormonpräparate aus in den ersten fünf Jahre nach der Diagnose. Dann sollten alternative Mittel zur Besserung der Befindlichkeit und der Lebensqualität eingesetzt werden. Pflanzliche Präparate können ausprobiert werden. Frauenärzte empfehlen Präparate mit Melissen-, Silberkerzen-, Johanniskraut-Extrakten oder Auszügen von Baldrian, Hopfen und Passionsblume. Wichtig ist, das körperliche Befinden durch Sport, Krankengymnastik und Entspannungsübungen zu verbessern. Bei starken Depressionen sollte ein Arzt aufgesucht werden, denn es sollte geklärt werden, ob psychische oder hormonelle Probleme dafür verantwortlich sind. Sollten alternative Mittel nicht zur Verbesserung der Lebensqualität führen, können niedrig dosierte Gestagene (auch als Pflaster) verordnet werden. Frauen, die Tamoxifen bekommen, leiden oft weniger unter Wechseljahrbeschwerden (außer Schweißausbrüchen). Sollten Frauen starke Beschwerden haben, können sie ein ärztliches Gespräch über die Vor- und Nachteile einer Hormonersatztherapie führen. Wenn eine Frau sich hierzu entschließt, sollte sie nach Beenden der Chemo- oder Hormontherapie eine so genannte Östrogen-Gestagen-Substitution erhalten. Das »Designer-Östrogen« Tibolon, das nicht in der Brust wirken soll, wäre eine Kompromisslösung bei starken Beschwerden. Bei Scheidentrockenheit können östrogenhaltige Cremes, zum Beispiel Estriol, ohne Bedenken angewandt werden. Nach Wiederaufbau der Scheidenschleimhaut gelangen keine Hormone in den Blutkreislauf.
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Schweigen brechen Der erste und wichtigste Schritt besteht darin, Rückzug und Schweigen zu beenden. Bedürfnisse auf beiden Seiten dürfen, ja müssen sogar, ausgesprochen werden. Nur wenn darüber gesprochen wird, kann der Partner verstehen, wann er seine Partnerin schonen sollte und was er ihr zumuten kann. Wichtig ist auch, zu wissen, dass es keinerlei Ansteckungsgefahr gibt. Gelegentlich behindern derartige irrationale Vorstellungen auch sexuellen Genuss. Sexualität ist auch nicht zu anstrengend oder in irgendeiner Weise schädlich. Marie, 49 Jahre, berichtet hierzu: »Eine Gruppe betroffener Frauen hat über ihre sexuellen Erfahrungen nach der Krebserkrankung offen gesprochen. Das war für mich eine Befreiung! Vorher wagte ich nicht, mit meinem Mann oder irgend jemandem anderen darüber zu sprechen. Frauen haben in dieser psychotherapeutisch geleiteten Gruppe ihre sexuellen Phantasien erzählt. Das war sehr befreiend für mich. Ich konnte danach auch mit meinem Mann sprechen. Das hat sich positiv auf unsere sexuelle Beziehung ausgewirkt.« Eva, 33 Jahre: »Ich habe Probleme mit meiner Sexualität bezüglich meines Lustempfindens. Dies hat mit zunehmender Dauer mit der Einnahme meiner Medikamente (Tamoxifen und Zoladex) exponentiell abgenommen. Ich betraure diesen Verlust.« Jeannette, 61 Jahre: »Ich habe seit zwei Jahren keine Sexualität mehr genossen. Für meinen Mann musste jede Umarmung in Sex enden – alles oder nichts! Ich fühle mich weniger wert als Frau und befürchte, dass mein Mann mich verlässt.« Anna sagte in der Frauengruppe, dass sie das Problem mit der Sexualität kenne. »Es ist gut, dass es die Möglichkeit gibt, sich hierfür Hilfe zu holen. In meiner Beziehung ist die leidenschaftliche Ebene nicht mehr da, aber mehr Zärtlichkeit.« Corinna, 41 Jahre: »Sexualität ist auch für mich ein großes Problem. Mein Mann kann nicht damit umgehen, und ich auch nicht. Ich fühle mich unattraktiv. Durch den Verlust meiner Brust bin ich asymmetrisch. Außerdem bin ich viel zu dick geworden und nehme nicht ab.«
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Renate, 52 Jahre: »Ich bin durch meinen beidseitigen Brustaufbau wieder im Gleichgewicht. Ich fühle mich schön und begehrenswert.« Sigrid, 36 Jahre: »Wir hatten auch schon vor meiner Erkrankung sexuelle Probleme, die sich jetzt gesteigert haben. Wir überlegen, ob wir zusammen eine Paartherapie bei einer Sexualtherapeuten machen.« Michelle, 28 Jahre: »Ich habe zurzeit keinen Partner. Die letzte Beziehung ist durch meinen Brustkrebs zerbrochen. Das war sicherlich meine Schuld, weil ich mich so entstellt fand. Mein eigenes Körpergefühl ist nicht gut, und ich würde sicher in eine neuen Beziehung viele Probleme mit hineinbringen.« Ricarda, 38 Jahre: »Ich glaube, dass die meisten Partner einen ähnlichen Schock erleiden wie wir erkrankten Frauen. Da Sexualität so intim ist, kann es unter einem solchen Stress nicht funktionieren.« Renate, 52 Jahre: »Ich glaube, es ist immer noch schwierig für Männer, über Gefühle zu sprechen. Bei der älteren Generation ist es fast unmöglich und die jüngere kann teilweise nicht ihre Gefühle offenbaren. Es besteht bei der nächsten Generation noch Hoffnung, dass sie in der Lage sein wird, Gefühle zu äußern.« Nicole, 33 Jahre: »In unserer Partnerschaft gibt es Höhen und Tiefen – wie vor meiner Erkrankung. Aber jetzt fühle ich mich schuldig. Mein Mann und ich befinden uns in einer Krise.« Ludmilla, 48 Jahre: »Ich bin seit drei Jahren in einer therapeutisch geleiteten Gruppe. Seitdem fühle ich mich verstanden und getragen, und es ist ein befreiendes Gefühl, alles sagen zu können, was ich auf dem Herzen habe – ohne Angst, jemanden zu kränken. Jetzt kann ich mit meinem Mann darüber sprechen. Ich habe ihn sogar verführt. Das hat Mut gekostet, aber es war für uns beide schön und befreiend.«
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Gruppentherapie Verschiedene Studien haben gezeigt, dass an Brustkrebs erkrankte Frauen, die eine psychotherapeutisch geleitete Gruppe Betroffener aufsuchen, eine Lebensverlängerung aufweisen. Andere Studien konnten dies nicht beweisen, jedoch hatten alle Studien das Ergebnis, dass die Lebensqualität dieser Frauen sich deutlich verbessert. Große Übersichtsstudien und Metaanalysen bewiesen, dass die Gruppentherapie effektiv und gegenüber der Einzeltherapie zumindest gleichwertig ist und dass sie sich bei Frauen mit höheren Vorbelastungen sogar als effektiver erweist. Außerdem ist Gruppentherapie ungefähr viermal kostengünstiger als die Einzeltherapie. Besondere Faktoren der Gruppentherapie erhöhen ihre Wirksamkeit. Den Gruppenteilnehmerinnen wird soziale Unterstützung zuteil, die erlebte Erfahrung des Teilens und der gegenseitigen Unterstützung innerhalb und außerhalb der Gruppe ist hilfreich. Die gegenseitige Unterstützung, das Gefühl, nicht isoliert mit der eigenen Erkrankung dazustehen, sowie die Entstigmatisierung von Brustkrebs sind hilfreiche therapeutische Faktoren. In Gruppen werden Wissen und Information ausgetauscht. Die emotionale Offenheit in der Gruppe bietet einen Ausweg aus den sozialen Zwängen und aus dem Gefangensein im Negativdenken. Eigene Bewältigungsmöglichkeiten sowie Strategien sind in Gruppen effektiver zu erlernen als in der Einzeltherapie. Die Unterstützung durch die anderen Gruppenmitglieder und die therapeutisch wirksame Freundlichkeit in der Gruppe in Form von Fürsorge fördern noch mehr den besseren Umgang mit den eigenen Belastungen. Sogar bei metastasierendem Brustkrebs sind Anregungen und Vermittlung von Hoffnung innerhalb der Gruppe entscheidend. Frauen können erleben, dass sogar der Tod mit Würde und Bedacht offen besprochen und ihm begegnet werden kann. Eine Gruppe von Frauen, die drei Jahre lang an einer therapeutisch angeleiteten Therapie teilnehmen, beantworteten folgende Fragen. Was habe ich für mich persönlich in den vergangenen drei Jahren erreicht und was nehme ich aus der Gruppe mit?
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Angie, 41 Jahre: »Ich habe in den vergangenen Jahren erreicht, mehr auf die Signale meines Körpers zu hören beziehungsweise sie wichtig zu nehmen. Trotz meiner Rezidive fühle ich mich besser und werde von der Gruppe getragen. Ich habe mich aus meiner Opferrolle befreit. Ich weiß, ich bin eine gestandene Frau und kein dummes Kind mit Ängsten vor eingebildeten Autoritäten.« Marie, 35 Jahre: »Meine Angstattacken sind seltener und weniger heftig geworden, seitdem ich mit der Gruppe arbeite. Bekomme ich Panik, gelingt es mir jetzt meistens, diese in den Griff zu bekommen, das heißt, ich kann meine Gedanken und Gefühle etwas besser steuern und vor allem mit den Gruppenmitgliedern teilen. Ich bin stärker geworden und kann mich in schwierigen Situationen durchsetzen.« Renate, 52 Jahre: »Ich habe erreicht, mich mitzuteilen, mich weiter auf den Weg ›Leben mit Krebs‹ zu machen, wie ich es für mich als gut empfinde. Ich habe Bestätigung in der Gruppe gefunden und bin geduldiger geworden. Ich habe gelernt, anders – das heißt ausgewogener – zu formulieren. Gute Gedanken nehme ich aus dieser Gruppe mit nach Hause. Ich könnte die Gruppe durch meine langjährige Erfahrung mit Brustkrebs beraten, wie sie ihre Belange bei Ämtern und Ärzten durchsetzen kann.« Silke, 62 Jahre: »Ich fühle mich nicht mehr so allein und bin gestützt von der Gruppe und nehme ein Gefühl der Zugehörigkeit mit. Bei einer barschen Diagnosevermittlung kann ich zum Beispiel meine Ängste vor einer Metastase mit den anderen teilen. Das trägt mich und hilft mir.« (Alle Gruppenmitglieder haben in dieser positiven Weise auf die erste Frage geantwortet.) Wie weit bin ich im Hinblick auf das von mir gesteckte Ziel zu Beginn der Gruppentherapie auf einer Skala von 1 bis 10 gekommen? Angie: »Dadurch, dass ich immer wieder bemüht bin, für mich zu sorgen, hat sich meine Lebensqualität deutlich verbessert, und ich bin auf der Skala mindestens bei 7 angelangt. Am Anfang der Gruppentherapie war ich meist unter 2.«
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Maria: »Heute bin ich bei 6, manchmal sogar höher. Am Anfang hatte ich gar keine Ziele, nur Depressionen. Durch meine Aktivitäten (z. B. Gruppensport und Trommeln) sind meine Isolation, Wut und Angst weniger geworden, und ich bin einfach besser drauf – trotz vieler beruflicher Probleme, die ich jetzt gut meistern kann.« Renate: »Ich bin auf einer satten 10 angekommen, und sicher stehe ich dort auch ganz fest. Ziel war: Neugierde, wie so eine Gruppentherapie läuft. Ich bin positiv überrascht und dankbar für diese Erfahrung.« Was würde ich einer betroffenen Frau raten, die beabsichtigt, eine Gruppentherapie in dieser Form zu machen? Angie: »Ich würde einer betroffenen Frau zuraten, diese Therapieform zu wählen, denn dieses sensible Verständnis und die Aufnahme in einer Gruppe ermöglicht einen anderen Umgang mit der lebensbedrohlichen Erkrankung sowie auch mit den behandelnden Ärzten und den Behörden.« Maria: »Sie sollte schauen, ob sie Vertrauen zu dem Therapeuten/der Therapeutin hat. Eine gute Leitung ist wichtig, um kleine Schritte vorwärts zu machen. Diese kleinen Schritte sollten auch das Ziel der anderen Mitglieder sein.« Sonja: »Die Unterstützung von Gruppenmitgliedern untereinander während und außerhalb der Sitzungen war eine große Hilfe. Wir begleiteten uns gegenseitig zu Arztbesuchen und waren in telefonischem Kontakt. Oft trafen wir uns zum Essen, besuchten gemeinsam Kurse oder gingen tanzen. Diese Gemeinsamkeiten innerhalb und außerhalb der Gruppe waren sehr hilfreich.« Renate: »Die Gruppentherapie ist ernst zu nehmen. Wissen, Therapie ist Arbeit, ist Denken, ist Fühlen und Handeln. Sie ist auch manchmal schmerzhaft. Sie bedeutet einen Neuanfang, Ausbrechen aus alten Grenzen. In einer Gruppe können wir Tabus ansprechen. Ich habe gelernt, dass ich mich auch den Biographien und der Erkrankung (auch wenn der Krebs wiederkommt) der anderen Frauen in der Gruppe aussetzen kann. Ich realisiere, es ist nicht MEINE Erkrankung in dem Stadium, sondern die Erkrankung der anderen, aber ich kann mitfühlend unterstützen.«
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Das sind wenige, aber typische Beispielaussagen von insgesamt etwa zehn Gruppenmitgliedern, die gelernt haben, das Schweigen zu durchbrechen, sich gegenseitig zu unterstützen und Tabus innerhalb der Gruppe aufzuheben. Die Frauen fühlen sich befreit und können offener mit ihren Partnern, anderen Familienmitgliedern oder Freunden darüber sprechen. Angst, Scham und Furcht werden ihnen teilweise genommen, Bewältigungsstrategien werden angeboten und innerhalb der Gruppe diskutiert.
Professionelle Hilfe In einigen Fällen genügt die ärztliche Aufklärung sowie die Aussprache mit anderen Betroffenen nicht. Dann kann eine Psychotherapie oder Sexualtherapie angezeigt sein. Grundsätzlich ist zwischen einer Psychotherapie und einer Sexualtherapie zu unterscheiden, auch wenn die Grenzen zwischen beiden fließend sind. Bei einer Psychotherapie geht es um die Behandlung seelischer Konflikte und Ängste, die sich auf die Sexualität auswirken können. Im Mittelpunkt steht aber nicht die gezielte Behandlung einer sexuellen Störung. Sie berücksichtigt dabei zwar die Gesamtpersönlichkeit der Patientin, aber die Gespräche selbst sind nur aufdeckend, soweit es für die erforderliche Beseitigung der sexuellen Problematik notwendig ist. Wenn eine Frau den Mut hat, über Probleme in ihrer Sexualität zu sprechen, gibt es viele Möglichkeiten, diese zu bewältigen. Therapeutische Gespräche können für Frauen hilfreich sein, die Schwierigkeiten haben, das komplizierte Gleichgewicht zwischen Brustkrebs, Sexualität und Liebe zu halten. Das therapeutische Ziel für diese leicht verletzbaren Frauen ist, ihren Hang zur Selbstzerstörung zu verhindern. Das wäre zum Beispiel bei einer überflüssigen Mastektomie, bei starker Chemound Hormontherapie aufgrund von Gehorsam gegenüber einem überbesorgten Arzt der Fall.
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Kapitel 3: Selbstachtung – Körperbild – Sexualität
Hilfe durch den Partner Auch wenn der Mann noch so verständnisvoller ist – er kann nicht die Identitätsprobleme seiner brustkrebskranken Partnerin lösen. Er kann jedoch wesentlich dazu beitragen, dass sie sich nach einer Brustoperation, besonders bei einer Mastektomie, noch als vollwertige Frau angenommen und geliebt fühlt. Er kann ihr durch seine Zuneigung, Anerkennung und praktische Unterstützung helfen. Beide Partner gewinnen an Vertrauen durch gegenseitige Offenheit. Eine Krebserkrankung kann daher eine Chance sein, negative Beziehungs- und Verhaltensmuster in einer Partnerschaft in positive zu verwandeln, so dass ein gemeinsames Planen für das miteinander Weiterleben und nicht die Krankheit im Vordergrund steht. Stabile Partnerschaften, in denen sich beide gegenseitig stützen, werden noch enger und intensiver. Die emotionale Bindung wird bedeutungsvoller als die Sexualität. Sexualität kann, wenn alte Verhaltensmuster verändert werden, vielleicht dadurch, dass zeitweise Geschlechtsverkehr von der Frau nicht gewünscht wird, zum Experimentieren und zur Ausweitung des erotischen Repertoires führen. In einer Beziehung gibt es auch Wege von Verinnerlichung, Wandlung und Enthaltsamkeit als Alternativen zur ausgelebten Sexualität. Dazu gehören körperliche Nähe und Wärme, verständnisvolle, vertraute Kommunikation und das Wissen, sich aufeinander verlassen und einander vertrauen zu können. Es war so gut, der Tage kleines Leid in Deine stets bereite Hand zu legen. Du warst mir Ziel auf vielen meinen Wegen und Hafen meiner Seele Müdigkeit.
(Mascha Kaléko)
Exkurs: Probleme bei Männern
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Es war so gut in Deinen Worten zu finden den Glauben an mich und meine Seele die Hoffnung für mein Überleben Es war so gut in Deinen Augen zu lesen die Wahrheit meines Seins Es war so gut in Deinem Lachen mit zu hören wie einfach doch das Leben ist Es war so gut den Raum mit dir zu teilen in dem die Achtung sanft pulsiert Es war so gut für mich in Deine Hand Berührung legen.
(Renate Dingler)
Exkurs: Probleme bei Männern Frauen sollten realisieren, dass auch ihre Partner Probleme mit Sexualität haben können. Männer können unter sexuellen Störungen leiden, die nicht nur als schmerzliche Beeinträchtigung, sondern auch als ernsthafte Bedrohung ihrer Identität und ihres Selbstwertes erlebt werden. Bei der so genannten erektilen Dysfunktion kommt es nicht zur Versteifung des Glieds oder sie reicht in Dauer oder Stärke nicht aus für den Geschlechtsverkehr. Orgasmusstörungen äußern sich beim Mann in vorzeitiger, ausbleibender oder unbefriedigender Ejakulation. Auch Männer können nach dem Sexualakt unter Verstimmungen leiden wie Depression, Gereiztheit, innere Unruhe oder Schlafstörungen. Manche Männer leiden unter sexueller Unlust oder Aversionen – dabei empfinden sie selten oder nie ein sexuelles Verlangen. Sie sind von Versagensängsten geplagt und weisen ein Vermeidungsverhalten auf; vor allem wenn zwischen den Partnern
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keine Klarheit herrscht über die individuellen Wünsche oder darüber, was möglich ist und was nicht. Das Gefühl, dauerhaft zurückgewiesen zu werden, wie es durch manche Frauen aus Unsicherheit oder einfach unbewusst bei ihren Partner ausgelöst wird, kann die männliche Identität angreifen und damit lustmindernd wirken. Wenn Männer lernen könnten, ihre Gefühle deutlicher wahrzunehmen und vor allem auch über sie zu sprechen, wäre das für sie und für die Paarbeziehung eine große Hilfe. Unterstützung dafür könnten sie in einer Selbsthilfe- oder therapeutisch angeleiteten Gruppe finden. Auch der Schriftsteller, Philosoph und Psychotherapeut Ken Wilber, dessen Frau an Brustkrebs erkrankte (siehe seine in diesem Buch zitierten Äußerungen, S. 55ff.), hat Kraft und Hilfe in solchen Gruppen gefunden. Probleme, die er nicht mit seiner Partnerin besprechen konnte, waren dort möglich, und es war auch für ihn eine Erleichterung zu wissen, dass andere Partner dasselbe Leid wie er empfanden. Dort bekam er Unterstützung und neue Kraft, wieder mit der Erkrankung seiner Frau verständnisvoll umzugehen.
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Danksagung
Allen, die zum Entstehen dieses Buches beigetragen haben – und es sind viele –, möchte ich danken: den Frauen mit Brustkrebs, die ihre Geschichte erzählten, und die ich begleiten darf; meiner Familie, Freundinnen und Freunden für ihr Verständnis und ihre Unterstützung; den Frauen der Selbsterfahrungsgruppe Kassel für ihre Anregungen sowie folgenden Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeitern onkologischer Teams und Künstlern, mit denen ich zusammenarbeitete: – meinem Freund und Mentor, Herrn Prof. Dr. phil. Hannes Friedrich, Göttingen, – der psychoonkologischen Supervisionsgruppe in der Abteilung für Medizinische Soziologie der Universität Göttingen, – Frau Dipl.-Psych. Regine Bachmann, Systemische Familientherapeutin sowie Kotherapeutin der Selbsterfahrungsgruppen in der Kontakt- und Beratungsstelle für »Leben mit Krebs e.V. , Kassel«, – Frau Dr. Margret Kamm, Diplom-Pychologin und Psychoonkologin an der Universitäts-Frauenklinik Göttingen, für konkrete Hilfe und Zusammenarbeit, – meiner langjährigen Freundin Johanna Brüggemann für ihre umfassende Hilfestellung, ihre ständige Unterstützung und Begleitung rund ums Buch, – Frau Ulrike Kamp, Redakteurin des Verlags Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, – Frau Renate Dingler, Kassel, – Herrn Heinrich Brüggemann, Göttingen, – Frau Dr. Ing. Agr. Heike Gondermann-Ossowski, Göttingen,
165 – meiner Tochter, Naomi Creutzfeldt-Banda, University of Oxford, Wolfson College, – der Beratungs- und Kontaktstelle »Leben mit Krebs e.V., Kassel«, – unserer psychoonkologischen Supervisionsgruppe der Universität Göttingen. Ich möchte meinem Mann, Prof. Dr. med. Dr. h.c. Werner Creutzfeldt, FRCP, Göttingen, für viele Diskussionen und mehrfaches Korrekturlesen sowie meiner Freundin Johanna Brüggemann für ihre kreative Mitarbeit und ihre kenntnisreiche technische Hilfe, meiner Kotherapeutin Regine Bachmann für die lebendige, intensive Mitarbeit sowie die exzellente Protokollführung unserer gruppentherapeutischen Gespräche danken. Mein besonderer Dank gilt meinem Supervisor und Freund Hannes Friedrich für seine Großzügigkeit und die Vermittlung seines psychoonkologischen und psychotherapeutischen Wissens.
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he ic h ddaanach aaus? us? Cora Creutzfeld-Glees Wie se seh ich Bilder und Texte von Frauen nach einer Brustkrebsoperation Die Brust ist vielfältiges Symbol des Weiblichen. Wenn ein Knoten in der Brust als Krebs diagnostiziert wurde, sieht sich die betroffene Frau oft angstvoll, unwissend und hilflos einer plötzlichen Veränderung ihrer Brust gegenüber. Sie will wissen, wie sie nach einer Operation aussieht. Soll sie einen Brustaufbau machen lassen oder nicht? Die Bilder von betroffenen Frauen, die über ihre Erfahrungen mit Brustkrebs sprechen, können anderen Frauen helfen, ihr eigenes Schicksal zu bewältigen. Jede Frau hat eine andere Geschichte, geht anders mit ihrer Erkrankung um. Die fotografierten Frauen verbergen ihre Operationsnarben nicht, sondern zeigen sie offen und sprechen darüber. Sie machen – trotz des Entsetzens, des Schocks und der wiederkehrenden Ohnmachtsgefühle – Mut zu einem lebenswerten Leben.
Ulrich Kunath Der kundige Patien Patient Wie bekomme ich die optimale Behandlung? Gesundheit ist das höchste, unbezahlbare Gut, das das Dasein erst lebenswert macht. Deshalb ist eine optimale ärztliche Behandlung der verständliche Wunsch jedes Patienten. Unter dem Einfluss von Politikern, Interessenverbänden und Krankenkassen hat der Faktor Wirtschaftlichkeit in der Medizin von heute oberste Priorität erlangt. Der Arzt ist in der Freiheit seiner Berufsausübung zunehmend eingeschränkt, der Patient in jeder Hinsicht bevormundet. Das intime Vertrauensverhältnis zwischen dem Kranken und seinem Arzt hat sich zur reglementierten Menschlichkeit gewandelt. Über das Gesundheitssystem informiert zu sein, noch bevor man zum Patienten wird, und seinen Vertretern mit gesunder Skepsis, aber auch mit Verständnis zu begegnen, kann vor Enttäuschungen und Gefährdungen bewahren, ja sogar indirekt auf die Qualität medizinischer Versorgung Einfluss nehmen. Das Buch ist nicht nur Ratgeber, sondern soll den potenziellen Patienten dazu anregen, das Gesundheitssystem kritisch zu hinterfragen. Wer sich als kundiger Patient erweist, kann auch einen Beitrag zur patientenorientierten Verbesserung des Systems leisten.
Wissen gegen Angst Cora Creutzfeld-Glees
/HEHQ QDFK %UXVWNUHEV $XINO¦UXQJ $XVVLFKWHQ +LOIHQ 2001. 231 Seiten mit 1 Abbildung und 2 Tabellen, kartoniert ISBN 10: 3-525-01463-5 ISBN 13: 978-3-525-01463-9
Brustkrebs ist die häufigste Krebsart bei der Frau. Zunehmend mehr Frauen sind davon betroffen. Obwohl die Heilungschancen durch Früherkennung gut sind, kommt es bei manchen Frauen zur wiederholten Krebserkrankung. Weltweit gibt es Millionen von Frauen, die nicht wissen, dass sie bereits an Brustkrebs erkrankt sind. Bei ihnen wird der Krebs häufig erst in einem Stadium erkannt, in dem keine vollständige Heilung mehr möglich ist; es sind 30 bis 50 Prozent der neu diagnostizierten Fälle. Besonders für diese Frauen, ihre Familien, Freunde, Ärzte und Begleiter ist dieses Buch geschrieben. Es beschäftigt sich mit den seelischen und körperlichen Problemen beim Wiederauftreten des Krebses nach scheinbar erfolgreicher Erstbehandlung. Die Ärztin und Psychotherapeutin Cora Creutzfeldt-Glees will informieren, weil sie überzeugt ist, dass umfassendes Wissen für Betroffene wie auch für ihre Helfer das Leben mit der Diagnose Brustkrebs erleichtert. Sie sind der Krankheit durch mehr Wissen und Verstehen nicht mehr hilflos ausgeliefert. Dieses Wissen wird durch Erfahrungsberichte betroffener Frauen, erläuternde Sachinformation und Interviews mit onkologischen Ärzten vermittelt. Auch die Sorgen und Nöte von Helfern im Umgang mit der Erkrankung werden zum Thema gemacht.
Systemische Hilfe für Krebspatienten und ihr Umfeld Wolfgang Hagemann 1DFK GHU .UHEVGLDJQRVH 6\VWHPLVFKH +LOIHQ I¾U %HWURIIHQH LKUH $QJHK¸ULJH XQG +HOIHU Mit Beiträgen von Gabriele Enders und Klaus Wehle. Fotos aufgenommen von Anne E. Stärk. 2003. 160 Seiten mit 44 Fotos, kartoniert ISBN 10: 3-525-46170-4 ISBN 13: 978-3-525-46170-9
Wie ein Schatten wirft sich die Krebsdiagnose auf die Familie, lässt Entwicklungen verzögern, verschiebt Aufmerksamkeitsschwerpunkte. Die Beziehungsmuster verändern sich maßgeblich in Reaktion auf die Erkrankung. Die Diagnose trifft primär den Erkrankten selbst, doch in erheblichem Maß auch die nächsten Angehörigen und Freunde. Die systemische Familientherapie erweitert die Diagnose Krebs auf die Menschen, die mitleiden, wie auch auf alle Helfer und an der Krebsbehandlung Mitwirkende. In fünf anschaulichen Bildsequenzen einer systemisch-integrativen Familienaufstellung wird die Krebserkrankung eines Menschen in ihren dynamischen Auswirkungen auf das Familienleben praxisnah verdeutlicht. Die Kindertherapeutin Gabriele Enders weist in ihrem Beitrag darauf hin, dass die Kinder krebskranker Mütter oder Väter oft in ihren Bedürfnissen zu wenig wahrgenommen werden. Der Onkologe und Psychotherapeut Klaus Wehle beschreibt die Einzeltherapie einer an Brustkrebs erkrankten 58-jährigen Frau.