Drei Wege: Ideen zur deutschen Politik 9783486749076, 9783486749069


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German Pages 197 [204] Year 1924

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
I. Die demokratische Staatskunst
II. Die internationale Idee
III. Der westeuropäische Bundesstaat
IV. Die germanischen Staaten
V. Die Wellrevolution
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Drei Wege: Ideen zur deutschen Politik
 9783486749076, 9783486749069

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Drei Wege Ideen zur deutschen Politik

Don

Dr. Wahrheit waltet. Die Franzosen rechnen Karl den Großen zu ihrer Geschichte, da er 92

auf ihrem Boden sein Reich begründete, und wir wiederum zählen ihn zu unseren Heroen, da er ein germanischer Fürst mit germanischem Heervolk gewesen ist, so daß die beiden Völker sich aus dem gemein­ samen Boden großer Erinnerung finden können. An der Schwelle unserer Geschichte steht das gewaltige Karolingische Reich, das beide Völker umfaßt. Lange, leidvolle, blutgetränkte Wege mußten die Völker getrennt durchwandern, bis sie sich spät wieder zur Einheit zusammenfinden. Das ist der große Ring unserer Geschichte, der zu seinem Ausgange zurücktehrt. Allerdings mit Gewalt läßt sich dieses größere Reich des vereinten Westeuropa, das erneuerte Ka­ rolingische Reich nicht wiedererbauen. Es wäre ein eitler, müßiger und verderblicher Wahn Frankreichs, durch Unterjochung und Gewattherrschaft über Deutschland dieses Ziel, wenn es dasselbe sich an­ eignen sollte, erreichen zu wollen. Rein, nur die freie Vereinbarung, der freiwillige, eigene, überzeugte Entschluß der Völker und nur in gegenseitiger Anerkennung und Gerechtigkeit auf echten demokrati­ schen Grundsätzen, die so viel gepriesen, aber so wenig befolgt werden, können dieses Weltreich der Demokratie — ein solches muß es offenbar werden — errichten und ausbauen. Die meisten Staatsgründungen in der Geschichte sind auf dem Wege der Gewall erfolgt. Ader zu­ meist hängt ihnen dieser Ursprung noch lange stören- und verderben­ bringend an. Es gibt in der Geschichte auch diswellen friedliche Staatengründungen. Und hier muß, wenn das Werk Bestand haben, wenn es eine neue und stolze Geschichte eröffnen soll, eine friedliche Staatsgründung vollzogen werden, nach allem Blut un­ allen Tränen, nachdem die Well an Krieg und Gewall wahrlich genug und übergenug erlebt hat. Das muß die Antwort auf -en Weltkrieg, der große Schlußakt des erschütternden Dramas werden. Zu deutlich empfinde ich es, zu greifbar und unentrinnbar steht dieser Gedanke vor mir, als daß ich ihn mir durch all die zahl­ reichen, mir wohlbekannten Einreden und Einwände sollte ver­ unglimpfen und zerknittern lassen. Der Gedanke ist wahr, die Ge­ schichte selbst zeugt für ihn. Schließlich ist die Politik wie alle letzte, schwerste Erkenntnis, die nicht mehr der adtastenden Erfahrung oder -em rechnenden Verstände erreichbar ist, eine Sache der höheren Schau, ohne welche noch niemals etwa» Großes im Menschenleben, sei es auf welchem Gebiete immer, erkannt und geschaffen worden ist. Man muß den Blick für solche Erkenntnisse haben, sie lassen sich nicht beweisen, durch keine Gründe erhärten. Alle höchsten Erkenntnisse sind dem Beweise unzugänglich, sie trogen stolz ihre Wahrheit in sich selbst.

An eine Bedingung ist freilich der Gedanke und sein Gelingen geknüpft, nämlich dah unsere Verfassung schöpferischen Staats­ männern die Entfaltung und Wirksamkeit verstattet. Das ist eine sehr heikle, aber zugleich sehr wichtige, lebenswichtige Frage. Alles Schöpferische ist etwas Persönliches, geht stets von hochbegabten, besonders gearteten Persönlichkeiten aus. Das ist eine unumstöhliche Wahrheit, die ich hier des näheren nicht belegen, nicht ein­ gehend erörtern kann. Nur der persönliche Mensch, der einzelne, kann eingreifende, umgestaltende, erlösende Taten verrichten, Taten, die einen Einschnitt in die Geschichte graben. Und gibt unsere Ver­ fassung solchen Persönlichkeiten für ihr Schaffen Raum und Bewe­ gung? Ich hatte die Absicht, dieser Schrift eine andere vorauszu­ schicken, ein staatsrechtlich-philosophisches Werk, das ich schon oben erwähnte, das sich eingehend mit dem Derfassungsleben beschäftigen soll. Der neue Staat bedarf notwendig einer soziologisch-philosophi­ schen, ethisch-psychologischen Begründung, Durchdringung und Klärung. Ohne das ist der Staat nur eine rein formale Schöpfung, bedeutet er nur leere Bestimmungen, denen keine Kraft innewohnt, die wie ein dünnes, fadenscheiniges Netz das Volt überziehen, welches aber das Volk je nach Stimmung und Laune, wie der Windstoß der veränderlichen Meinungen die Leidenschaften auftegt und treibt, wieder zerreißen kann. An den Staat, der das Volt zusammenfassen und handlungsfähig machen soll, muß geglaubt werden, der Staat muß fest und tief in den Gemütern wurzeln. Man spricht heute wieder viel von der Autorität des Staates. Durch bloße Gewalt wird diese Autorität nicht aufgerichtet und nicht geschaffen. Eine innere Autorität muß es sein, die sich auf reiner und freier Überzeugung der Bürger gründet, welche ihren Staat lieben und an ihn glauben. Es hängt so ziemlich alles an der Frage, ob wir diesen Glauben an unseren Staat bei der Mehrheit der deutschen Bürger erzeugen können. Denn es wäre eine schwere Selbsttäuschung zu meinen, daß der gegenwärtige Staat diesen Glauben im Herzen des deutschen Volkes sich bereits erworben hätte. Der neue Staat ruht noch auf sehr schwankem Grunde. Ich hoffe, daß es mir trotz der Schwierig­ keit und Gefahr, die heute das gesamte deutsche Schrifttum umlauern, gelingen wird, das geplante Werk zu vollenden, auf das ich hier im voraus verweisen muß, da ich so schwerwiegende Fragen, wie ich sie soeben berührte, nicht obenhin im Vorbeigehen behandeln kann. Dort wird eingehender die bedeutsame Frage nach der schöpferischen Kraft im Staatsleben besprochen werden, mit dem Nachweis, daß diese wie bei allen anderen menschlichen Schaffensgebieten in der Einzelpersönlichkeit wohnt. Einer der wichtigsten Gesichtspunkte 94

für unser gesamtes Staatsleben wird die Frage sein, ob die Demo­ kratie auch den höherstehenden, zum Höheren berufenen Persönlich­ keiten, den eigentlichen Schöpfern und Führern des Menschenlebens Bewegungsfreiheit und Einfluß einräumen wird, oder ob Demo­ kratie wirklich, wie es vielfach den Anschein hat, die alleinige Herr­ schaft der vielen, der dumpfen, unschöpferischen Masse bedeuten soll. Ich sagte schon oben, die Demokratie ist im höchsten Maße gefährdet. Nur wenn sie etwas leistet, wird sie bestehen bleiben. Sie verwirkt chre eben errungene Geltung, versinkt wieder in die bodenlose Tiefe des Nichts, wenn sie berechtigte Erwartungen ständig enttäuscht. Die erste Bedingung ist, daß sie nicht die stärkeren, gedankenreicheren und willensmächtigeren Persönlichkeiten ausschaltet, in den Hinter­ grund der Untätigkeit und Ohnmacht drängt. Und jedenfalls kann die hier empfohlene Politik nur ein freier Staatsmann verwirk­ lichen, ja auch nur einleiten und anregen, ein Staatsmann, welcher nicht am Gängelbande irgendwelcher Parteigesetze und Partei­ begriffe gehalten wird, der den Blick und den Willen in alle Reiche der Wirklichkeit ungehemmt kann schweifen lassen, der unbefangen ist und unbefangen handeln darf, der die Umschnürungen und Fall­ stricke der zahllosen Mitherrscher in Parlament und Verwaltung hinter sich und unter sich weiß. Diele Köche verderben -en Brei — das ist doch eine uralte und immer neue Wahrheit, gegen die auch die demokratische Verfassung nicht ungestraft verstoßen kann. Nur ein derart unabhängiger, seiner eigenen Verantwortung mächttger Staatsmann darf etwas wagen. Und nur der große Wagemut kann Deutschland retten. Dieser Wagemut aber ist immer zuerst ein geistiger, sittlicher Mut, der mit Vorurteilen, welche die Völker in strengen Banden gefesselt halten, zu brechen wagt. Dieser sittliche Mut vor allem beseelt und ziert den einsamen Herrscher, der eben dadurch zum Führen berufen ist. Mein auch der stärkste Mut und der unbeugsamste Wille können vieles nicht erzwingen. Vieles läßt sich dem Geschick nicht abttotzen. Und alle noch so sorgfältigen, eindringenden Erwägungen, alle noch so überzeugenden Empfehlungen und Mahnungen können die Zweifel nicht beschwichttgen, die gerade den hier besprochenen politischen Gedanken umschlingen. Mle Versuche werden mißlingen, so wird man abschließend urteilen. Frankreich wird nicht wollen — das wird immer das tragische Ergebnis aller edelgemeinten und weisen Bemühungen sein. Nicht die Zunge der höchsten Beredsamkeit wird den ftanzösischen Hochmut und Starrsinn bewegen können. Ich sagte von vornherein selbst, wie gering mein Glaube an die Möglichkeit des hier vorgeschlagenen politischen Gedankens ist. Als höchst un-

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wahrscheinlich bezeichnete ich selbst die Aussicht auf Verwirklichung und Erreichung des aufgewiesenen politischen Zieles und doch weih ich bestimmt: diese Stufe mutz die deutsche Politik zunächst durchlaufen. Dann nur ist der Weg in die Zukunst offen. Eine grohe, klare, volle Frage an Frankreich, eine Frage, die aufs Ganze geht und nicht in dürftigen Halbheiten stecken bleibt — das ist das nächste Gebot. Sie wird wohl ein Nein, sogar ein sehr empörte», verächlliches, hohnstrotzendes Nein auslösen. Vermutlich. Aber wissen müssen wir das, durch unzweideutige Erfahrung, durch ganz zweifelsfreie, bestimmte Erklärungen wissen, datz dieser Weg persperrt ist. Dann erst dürfen wir den Blick in andere Richtungen lenken. Dann haben wir sicheren Grund und Boden unter den Führn, um weiterzuwandern. Die volle Klarheit, die uns diese Er­ fahrung verleiht, wird unserm Handeln Entschiedenheit und Stetig­ keit geben. Was dann zu tun ist, soll uns in den beiden letzten Ab­ schnitten dieses Buches beschäftigen.

IV.

Die germanischen Staaten. Notwendige Gedanken liegen in der Lust. Sie tauchen gewöhn­ lich zu gleicher Zeit an verschiedenen Stellen auf. So hat es auch den soeben besprochenen Gedanken in der Gegenwart nicht an Vertretern gefehlt. Die Philosophie kann niemals die Absicht haben, möglichst neu und überraschend zu sein. Das mutz sie der Tages­ schriststellerei überlassen, die um jeden Preis auffallen und abstechen will. Ties, gründlich zu sein, ihre Gedanken möglichst mit über-eugenden und zwingenden Einsichten, die aus der Sache selbst entspringen, zu belegen muh sie bestrebt sein, um echte Werte zu erzeugen, welche kraft ihrer Wahrheit und Beständigkeit das Leben in eine dauerhafte und erspriehliche Ordnung bringen. Zch möchte deshalb meine Darlegungen und deren Inhalt nicht mit Sicherlich ähnlichen Ge­ danken verwechsell wissen, die sich in unserer Zeit hervorgedrängt haben und doch von ganz anderer Wesensart sind. Ich denke hierbei namentlich an die stanzosensteundliche Politik, die die Berliner Dossische Zeitung mit vollen Backen angepriesen hat. Ich werde bei ihren Auffätzen den bitteren Beigeschmack nicht los, datz es hier trotz aller tönenden Worte auf eine dauernde Unterwerfung Deutsch-

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lands unter Frankreichs Oberhoheit hinausläuft — wenn auch gewiß unabsichtlich. Aber die dort betriebene Politik scheint mir dieses Ergebnis notwendig nach sich zu ziehen. Und zwar aus dem ein­ fachen Grunde, weil die angeratene Bündnispolitik nach Frank­ reich hin als die einzige, einzig mögliche und rettende hingestellt wird, als ob es für Deutschland gar keinen anderen Ausweg gäbe. Die Ausschließlichkeit, die in dieser Auffassung liegt, muß naturgemäß Deutschland in eine bedingungslose Unterwerfung unter Frankreich hineinzwängen. Diese Überzeugung verleiht Frankreich ein der­ artiges Übergewicht seiner politischen Stellung, daß an einen echten und gerechten Ausgleich der beiden Völker gar nicht zu denken ist. Nein, so arm ist die Weltgeschichte wirklich noch nicht, daß sie voll­ kommen von der Entscheidung, dem guten oder bösen Willen eines einzigen Volkes, in diesem Falle Frankreichs, abhängig wäre. Es gibt noch andere Möglichkeiten und politische Ziele, die neben den bisher vorgetragenen dem politischen Leben Europas eine feste, und heilbringende Gestalt verschaffen können, in die auch Deutschland mit eingeschlossen ist. Und wenn ich an den Leiter der deutschen Politik das Ansinnen stellte, er solle in großen Zügen die Frage der europäischen Gesamtpolitik vor der Welt furchtlos besprechen, so ist meine Vorstellung hierbei natürlich nicht, daß er nur diesen einen Gedanken und das eine Ziel, das wir bisher erörterten, als einzige politische Weisheit Deutschlands von sich geben solle. Damit würde er sich und sein Volk vollkommen in die Gefangenschaft Frankreichs ausliefern, und zwar deshalb vollkommen, weil diese Gefangen­ schaft gänzlich freiwillig wäre, die die gewaltsam aufgezwungene stets weit übertrifft, da alle Gewaltsamkeit nie den Menschen ganz und gar einnehmen und überwinden kann, weil dann in der Seele, auch in der gebeugten und gebrochenen Seele, immer noch eine letzte heimliche Auflehnung, eine unausrottbare Sehnsucht nach Frei­ heit wachbleibt. Der gefesselte Knecht gehört nie dem Herren ganz. Nur wer sich selbst unterwirft und hingibt, da er sein Leben aus eigener Verantwortung und Kraft nicht mehr zu leben vermag, begibt sich in unwiderrufliche Knechtschaft. In diese allerschlimmste und hoff­ nungslose Lage muß eine einseitig und ausschließlich franzosen­ freundliche Politik Deutschland unweigerlich hineindrängen. Aus diesem Grunde sind Gegengewichte dieser Wendung der deutschen Politik gegenüberzustellen. Andere Ausblicke und Wege sind aufzu­ schließen, die uns eine freie Wahl lassen, die auch die außerdeutsche Welt vor eine bedeutungsvolle und ernste Wahl stellen, so daß die Geschichte Europas erst nach sorgfältigem Erwägen und Prüfen in eine dauernde Form eingeht, daß die europäischen Völkerkräfte Horneffer', Drei Wege.

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nach gewissenhafter gegenseitiger Abschätzung und Bewertung zu fester Gestalt gerinnen. Noch schwebt die europäische Zukunft im Un­ bestimmten. Die europäische Geschichte darf sich nicht kopfüber in eine Bahn stürzen, um aus der Verwirrung herauszu-kommen. Erst um sich schauen und bedenken. Dann wählen. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Gestalt, die die europäischen Völker an­ nehmen, wirklich dauernde Zustände herbeifahren, die nicht immer­ fort wieder in Frage gestellt werden, weil diese Gestalt aus dem innersten und echten Charakter der europäischen Völker erwachsen ist. Solange irgendwelche politischen Verhältnisse noch unausgemacht und in der Schwebe sind, darf der ernsthafte und besonnene Staats­ mann sich nicht auf eine bestimmte Lösung versteifen, er darf nicht unverwandt nur auf ein Ziel hinstarren. Bei der Unbestimmtheit und Unberechenbarkeit aller menschlichen Verhältnisse muß er ge­ lassen abwarten, welche Verbindung und Möglichkeit ihm die Ent­ wicklung an die Hand geben wird. Dann erst darf er zugreisen und handeln. Damit ist nicht gemeint, daß die Politik niemals entschiedene und unabänderliche Entschlüsse fassen dürfe, baß sie immer im Schwan­ ken und Zuschauen verharren müsse, sich niemals binden dürfe. So ist allerdings die Politik bei uns leider vielfach mißverständlich aufgefaßt und betrieben worden. Die dilettantische Politik ist ent­ weder doktrinär, einen bestimmten Gedanken greift sie auf und in diesen verrennt sie sich so unbedingt und völlig, daß sie gar nichts anderes mehr zu sehen vermag, ohne rechts oder links zu schauen immer nur dem einen Ziel nachjagt. Oder sie wird Taumel- und Schaukelpolitik, die es zu gar keiner Beständigkeit und Klarheit bringt, weil sie sich nicht zur rechten Zeit zum großen und vollen Entschlüsse aufzurafsen vermag. Die Freiheit der Entschließung sich vorzu­ behalten, gilt dann als die höchste Weisheit der politischen Runft. Der Mangel an Bindung, der in dieser Haltungsweise liegt — jeder feste Entschluß bindet seinen Urheber — gibt dieser Politik zeitweise einen gewissen Anschein von Selbstherrlichkeit und Kraft, der dann aber, wenn die Verhältnisse reis geworden sind, grausam zerfließt und die furchtbare Schwäche und Ohnmacht dieser Unentschiedenheit offenbart. Diesen politischen Typus zeigte uns in seiner ganzen abschreckenden Gefährlichkeit Wilhelm I I. mit seinem „Tänzer" BÄow. Den ersten Fehler allzu großer Starrheit und Unbeweglich­

keit haben vielfach unsere Parteien, namentlich die demokratischen, an den Tag gelegt, denen es allerdings seit der Revolution die zu äußerst rechts stehende Partei, nachdem sie in die Stellung der Opposition geraten war, an Unentwegtheit gleichzutun suchte. Der harte Parteidoktrinarismus von der einen Seite und die schillernde 98

Anrast des letzten Kaisers andrerseits, beide gleich dilettantisch un­ unreif, haben den deutschen Staat zwischen sich zerrieben. Stetig wiederholte Mißerfolge, die zuletzt in eine Katastrophe ausmünden, beruhen nicht auf Zufälligkeiten, sondern auf Fehlern -er handelnden Menschen. Und diese Fehler einzelner Handlungen wiederum beruhen aus irgendwelchen allgemeinen und grund­ sätzlichen Irrtümern und Verkennungen des Wesens der Politik. Es rächt sich immer schwer, wenn man alle allgemeinen und grund­ sätzlichen Erwägungen in den Wind schlägt und nur vom Einzelnen und nur für das Einzelne zu leben und zu wirken sucht. Man gerät dadurch in eine hilflose Abhängigkeit von den einzelnen Begebenheiten und Umständen, die den Menschen gleichsam mit sich zerren. Nur ein allgemeiner Überblick, nur grundsätzliche Klarheit machen den Menschen zum Herren seiner Geschicke. Und diese Herrschaft ist doch eigenüich das höchste Ziel der Politik. Wahre und kunstgerechte Politik läßt die noch unausgemachten, noch schwankenden Dinge in ihrer Unbestimmtheit bestehen, weiß gelassen abzuwarten, kommt nicht dem unverkennbaren Laus der Dinge mit festen, vorgefaßten Urteilen zuvor. Wenn aber das Geschick gesprochen hat, die Ver­ hältnisse feste und unverrückbare Umrisse angenommen haben, dann muß der echte Staatsmann mit fester Hand zugreisen un­ feinem Handeln eindeutige, llare, unverwischbare Besttmmtheit geben. Gelassenheit und Entschlossenheit zusammen, Zaudern und Handeln, Langsamkeit und Schnelligkeit, vorsichtiges Sich-Einsühlen und Einschmiegen in die Umstände und dann wieder über diese Umstände sich kühn hinwegheben — diese Gegensätze und die Ver­ einigung dieser Gegensätze machen den wahren Staatsmann aus. Mit dieser Einsicht gerüstet verfolgen wir unser Problem weiter und fragen: was soll geschehen, wenn Frankreich sich den gemachten Vorschlägen dauernd verschließt, sich gegen die bestbegründeten und unwiderlegbaren Beweise verhärtet? Ich halte an der Anschauung fest, daß die Schaffung des übernationalen Wellstaates die Aufgabe der Politik unseres Zeitalters ist, wogegen man sich vergeblich sträuben wird. Die Verhältnisse, wie sie die bisherige Geschichte hervor­ gebracht hat und die nicht rückgängig zu machen sind, erzwingen diese Weiterbildung und Durchführung vorhandener Antriebe. Die Geschichte ist zu weit gediehen, ist unbewußt in einer bestimmten Richtung zu folgerichtig und entschieden dahingeschritten, um noch wieder ab- und umbiegen zu können. Sie muß über den Rubikon hinüber. Der Entschluß ist schwer, aber er muß gefaßt werden. Das l 9. Jahrhundert gehörte dem Nationalstaat, das 20. wird dem übernationalen Weltbundesstaat gehören. Daran ist nicht zu zweifeln.

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Aber diese innere Notwendigkeit hat nicht nur einen Zugang zur Verwirklichung. Das war auch bei früheren großen Wendungen der Geschichte, die eine neue Epoche einleiteten, niemals der Fall. Wie ein abwärtsgleitendes Gewässer hierhin und dorthin drängt, um zuletzt an bestimmter Stelle sich in einen mächtigen Sturz zu sammeln, so auch der Strom des geschichtlichen Lebens. Er setzt hier und dort an, er versucht an mehreren Stellen den Durchbruch, bis er schließlich seinen Ausgang findet und frei dahinbraust. Niemand weiß im voraus, wo das geschehen wird. Das Zweckmäßigste und Gegebene wäre ein Zusammenschluß der räumlich benachbarten Staaten, also der Staaten des europä­ ischen Festlandes. Die Gemeinsamkeit der wirtschaftlichen Interessen, die durch diese Nachbarschaft bedingt und hergestellt wird, sollte die Völker wahrlich, veranlassen, sich dem geschichtlichen Gesetz zu fügen und aus breiterer Grundlage, mit größeren Ausgaben und weiteren Aussichten das geschichtliche Leben sortzubilden, indem sie in einen gemeinsamen Staatsbau einziehen. Aber was die Verhältnisse noch so dringend gebieten, wird ost genug nicht von den Menschen erkannt und anerkannt. Die Menschen wissen sich häufig genug nicht den äußeren Erfordernissen des Daseins anzubequemen, Person und Sache liegen oft genug miteinander in heftigem Streit, woraus so viele tragische Spannungen und Schicksale hervorgehen. Die Ver­ stocktheit, der Trotz der Menschen — ja, sagen wir es gerade heraus: ihre Dummheit lassen sie die größten Gelegenheiten und einzigen, nimmer wiederkehrenden Stunden, da sie das Geschick zu bedeutungs­ vollen Taten beruft, versäumen. Wenn die räumliche Nachbarschaft nicht die Völker aneinander zu binden vermag, dann bietet sich als ergänzendes Bindemittel die Nassen-, Sprach- und Kulturverwandtschaft dar. Man sollte sogar meinen, daß diese in erster Linie als die verknüpfende Kraft unter den Völkern zu betrachten sei, in der Annahme, daß diese Eigenschaften doch der Natur, wenigstens der menschlichen Natur näher stehen, unmittelbar aus dem menschlichen Wesen und seiner eigenen Tiefe hervorzugehen scheinen, wogegen die räumliche Nachbarschaft mehr eine äußere Beziehung darzustellen scheint. Die Erfahrung lehrt häufig das Gegenteil. Wie im Familien­ leben die Blutsverwandtschaft, die gleiche Abkunft und selbst gleiche Erziehung durchaus nicht immer die innigsten und dauerndsten Verbindungen und Freundschaften knüpfen, sondern innerhalb der gleichen Verwandtschaft tiefe und erbitterte Feindschaften auf­ brechen können, während anderseits von Hause aus viel fremdere Beziehungen die allerwärmsten und stärksten Vereinigungen von reinster Herzlichkeit und echter Treue erzeugen können, so auch im

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Völkerleben. Die Schweiz zeigt es deutlich. Die räumliche Ver­ bundenheit vereinigt sprach- und rassensremde Glieder zu innerlicher Lebensgemeinschaft. Aber es kann auch umgekehrt sein. Die Bluts­ verwandtschaft braucht gewiß nicht immer in Widerspruch mit der Natur zu trennen, sie kann auch der natürlichen Anlage entsprechend und dieser folgend dauernd feste und starke, allen Stürmen und Versuchungen standhaltende Verbindungen schaffen. Es muß in jedem besonderen Falle die Erfahrung lehren, was die Menschen vorziehen. Ihre jeweiligen Charaktere entscheiden darüber. Und so entscheiden auch in jedem besonderen Falle der Geschichte die Charaktere der Völker, wohin sie sich neigen, von welchem Prinzip der Verknüpfung sie sich leiten lassen. Und wenn nun die räumliche Nachbarschaft mit all den Gemeinsamkeiten, die sie im Gefolge hat, nicht die europäischen Völker zu gegenseitiger Annäherung und Verständigung zu bringen vermag, wenn diese, infolge unüberwind­ licher Abneigung, so sehr das tiefste Interesse ihnen solche Verbin­ dung empfiehlt, sich schlechterdings nicht finden können und wollen — dann tritt notwendig die naturgegebene Verwandtschaft nach Abstammung, Sprache und Kultur in die Lücke ein, dann muß die Geschichte, die nun einmal unabwendbar über die nationale Schranke hinüberdrängt, sich an diese Verwandtschaft halten und hier den obenerwähnten Durchbruch suchen. Das lenkt bei der Annahme dauernder Ablehnung und Versagens von feiten Frankreichs unsern Blick nach England hinüber, legt uns den Gedanken der politischen Vereinigung der germanischen Völker Europas nahe. Ich habe keinen Zweifel darüber gelassen, daß ich unseren Ausgleich mit Frankreich, mit dem Ergebnis des westeuropäischen Bundesstaates, zunächst für erstrebenswert halte. Und zwar aus dem wichtigen Grunde, weil dadurch die Möglichkeit gegeben wäre, die beiden großen Probleme der europäischen Politik zu lösen, nämlich die Beziehungen der europäischen Festlandsvölker zueinander aus eine dauerhafte Grundlage zu stellen und zweitens das Ver­ hältnis des europäischen Festlandes zu England zu klären. Das zweite Ergebnis würde dem ersten auf dem Fuße folgen. Die Gründe sind oben dargelegt worden. Versagt sich aber dieser Weg, so müssen wir notwendig das zweite Problem zuerst in Angriff nehmen, die Lösung der politischen Spannung Europas von diesem zweiten Pro­ blem aus, nämlich von der Beziehung zu England versuchen. Viel­ leicht daß dieser Weg aussichtsreicher ist. Etwas spricht ohne weiteres für einen ernstlichen Versuch nach dieser Seite hin: die hohe staats­ männische Kunst und Einsicht, die in England aufgespeichert und erblich ist. Die englischen Staatsmänner dürften vermutlich zwingen101

-en und gewichtigen Gründen für eine Neuordnung und Umstellung der europäische Völkerverhältnisse zugänglicher sein. Die Eng­ länder sind allerdings keine Freunde von schnellen Entschlüssen. Sie lassen sich in allem Zeit, lassen alles erst gehörig ausreifen und auch darin zeigt sich ihre hohe politische Begabung. Aber wenn sie ein Ziel erkannt und sich zu eigen gemacht haben, so wissen sie dann auch mit unbeugsamer Zähigkeit gegen alle Widerstände das erstrebte Ziel durchzusetzen. Daß die Initiative zu neuen politischen Begriffen und Ideen von uns ausgeht, daß wir zuerst neue, politische Vorschläge machen müssen, ist nicht verwunderlich. Denn Frankreich und England sind die Sieger, die abwarten können. Sie haben zurzeit gar keine zwingende Veranlassung, aus neue politische Gedanken zu sinnen und sich damit Mühe zu machen. Warum sollten sie ihre Lage ändern wollen, die für den Augenblick wenigstens keine Bedrängnis zeigt, politische Umbildungen durchaus nicht zu erfordern scheint? Wir sind die Besiegten, wir müssen aus einer unerträglich gewordenen Lage heraus. Was Wunder, daß wir nach Gedanken fahnden, die die politische Welt verändern sollen! So fällt uns notwendig die gedankliche Initiative zu. Aber dieser gedank­ liche Vorsprung wird tausendmal wettgemacht durch die Bedeutung der Entschlüsse auf der anderen Seite. Denn auf der Seite der Sieger liegt das Handeln, liegt die Tat, die unsere Vorschläge allein ver­ wirklichen kann. Unsere Gedanken sind, da wir machttos sind, tot­ geboren, wenn nicht jene Völker, die im Vollbesitz ihrer Stärke sind, sie aufgreifen und in die lebendige Geschichte einführen. So ver­ teilen sich die Aufgaben: unser ist die Erfindung und jener die Aus­ führung. Hierbei ist eins gewiß, daß die starken und zunächst in Sicherheit lebenden Völker die von uns erzeugten Gedanken und Vorschläge nur beachten und aufnehmen werden, wenn sie ihrem eigenen Interesse entsprechen. Das ist in der Politik von jeher so gewesen und wird in alle Zukunft so bleiben, weil es so bleiben muh. Politik ist Verwirklichung des Zweckmäßigen und Nützlichen. Aber nun besteht die Wahrscheinlichkeit oder doch Möglichkeit, daß Eng­ land sich weniger der Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit der von uns gemachten Vorschläge verschließt, daß die altererbte politische Älugheit und Erfahrung Englands unsere aus der Not geborenen Ge­ danken würdigt und anerkennt. Selbstverständlich wird es sie an dem eigenen Nutzen messen. Dieser Nutzen wird der einzige Maßstab der von ihm zu befolgenden Politik sein und zumal einem Volke gegen­ über, mit dem es noch soeben in furchtbarem Streit die Waffen gekreuzt hat. Aber der wirttiche, wahre, echte, dauernde Nutzen hat noch immer aus England einen starken Einfluß ausgeübt, es hat

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sich selten dem Gewicht des offenbaren Nutzens verschlossen, eben weil das englische Volk von hoher politischer Begabung ist. Bei uns hat man ost genug darüber gezetert, hat damit geglaubt England etwas Schlechtes und Minderwertiges anzuhängen. Welch eine grenzenlose Torheit! Es wäre uns heilsamer gewesen, wenn auch wir unseren Nutzen besser erkannt und wahrzunehmen verstanden hätten. Gerade dadurch beweist sich die politische Überlegenheit Englands, daß es im allgemeinen das ihm Heilsame so viel klarer zu erkennen und so viel entschiedener zu verfolgen pflegt. Anstatt das zu bekritteln, sollten wir es bewundern und nachzuahmen versuchen. Dieser Vorzug Englands aber kann uns gewisse Hoffnungen geben, auf dem Wege einer politischen Anstage an England die politischen Zustände Europas zu verbessern. Die wahrscheinliche Abneigung Frankreichs braucht uns nicht sogleich voller Hoffnungslosigkeit zu überantworten. Die politische Weisheit Englands kann, wenn wir besonnene und weit­ schauende Politik treiben, der Verfassung Europas eine von Grund aus andere Gestalt geben. Man wird diesen Erklärungen angesichts der bisherigen Ent­ täuschungen, die uns die englische Politik seit Beendigung des Krieges nun schon so oft bereitet hat, den stärksten Zweifel entgegensetzen. Allein auch England gegenüber, glaube ich, liegt das Ausbleiben jeden greifbaren Erfolges unserer Politik -um größten Teil an uns selbst, weil wir alles von England untätig erwarteten, weil wir meinten, England müsse es allein tun, müsse von sich aus eine neue Wendung in der Weltpolitik einleiten. Das ist gänzlich irrig und läßt jedes politische Denken vermissen. Man erreicht politisch nur etwas, wenn man etwas gibt, wenn man etwas anzubteten hat. Und wahr­ lich, wir haben etwas anzubieten. Die deutsche Volkskrast ist noch nicht erloschen. Bevor sie völlig ausgetilgt wird, müssen wir sie richtig in das Kräftespiel der Weltpolitik einstellen. Schenken wird man uns niemals eine bessere Zukunft. Wir müssen einen Einsatz machen, der uns vorwärts bringt, der die Mitspieler oder einige von ihnen anreizt, dem deutschen Volke die Hand zu reichen. Auch England gegenüber müssen wir eine Politik des Angebotes treiben — anders werden wir nie die Isolierung überwinden, die wir bei Ausbruch des Krieges so entsetzensvoll erlebten und die wir seitdem durch die Stürme des Weltkrieges und die Wehen der Revolutionsjahre hin­ durch bis jetzt unverändert weitergeschleppt haben. Diese Isolierung ist zuletzt die Quelle all unseres Unglücks. Eine Isolierung aber hebt man nur dadurch auf, daß man wertvolle, bedeutsame, das Intereste der umgebenden Mächte oder einer derselben erregende Angebote macht. Don nichts kommt nichts. Und zwar muß auch das an Eng103

land zu richtende Angebot ein volles, großes Angebot sein, denn sonst ist es wirkungslos. Es muh aufs Ganze gehen. Es darf nicht in Halbheiten stecken bleiben. Im Norden Europas wohnt eine Reihe kleinerer stamm- und sprachverwandter germanischer Völker, die in der Geschichte von hoher Bedeutung zu werden versprechen. Sie bilden gleichsam die Ver­ bindung und Brücke zwischen den beiden größeren germanischen Völkern, den Inselgermanen, den Engländern, und dem Hauptstamm der Festlandgermanen, den Deutschen. Ihre Neigungen führen sie entweder mehr nach der einen oder andern Richtung hin. Norwegen, nach dem Meere geöffnet, ganz dem Meere zugewandt, fühlt sich naturgemäß dem Geist und dem Interesse Englands nahe, in den bedeutendsten Bedürfnissen ist es mit England verbunden. Schweden, durch seine Lage und große geschichtliche Erinnerungen an Deutsch­ land verwiesen, hat stets, auch in bedrängten Stunden, Deutschland freundschaftliche Gesinnungen entgegengebracht. Holland und Dänemark waren in ihren Sympathien meist geteilt. Neben den englischen und deutschen Beziehungen haben in beiden Ländern immer auch gewisse Zuneigungen nach Frankreich hin bestanden, die namentlich in Dänemark stark waren, wohl aus Grund der Ab­ neigung gegen den größeren deutschen Nachbarn. In Holland sind die französischen Stimmungen stark im Schwinden begriffen. Span­ nungen auch innerhalb dieser kleineren Staaten sind besonders zwischen Norwegen und Schweden vorhanden gewesen und noch vor­ handen. Aber alle diese Gegensätze zwischen den kleineren germanischen Staaten selbst und zwischen ihnen und einem der größeren germani­ schen Mächte sind nicht entfernt tief und gewichtig genug, um diese so vielfach verbundenen Völker dauernd zu trennen. Selbst die lang gesponnenen Zwistigkeiten zwischen Dänemark und Deutschland wegen der geringfügigen Grenzstreitigkeiten kommen neben den hohen gemeinsamen Fnteressen, die alle diese Völker verbinden, gar nicht in Betracht oder sollten nicht in Betracht kommen. Der ge­ schichtliche Beruf dieser Völker scheint mir nun darin zu liegen, unter dem Einfluß des geschichtlichen Zuges zum übernationalen Welt­ staate hin, in einem großen und bedeutsamen Augenblicke der Ge­ schichte, zunächst untereinander zu einer festeren Einheit zusammen­ zuwachsen und dann vor allem das Bindeglied zwischen England und Deutschland zu bilden, ihnen den Übergang zu erleichtern zu einem gemeinsamen germanischen Weltstaat, was eine gewaltige Aussicht für die Zukunft eröffnet. Wenn diese Völker den Rus der Welt­ geschichte zu vernehmen wissen, so können sie eine unvergleichlich große und ruhmvolle Tat vollbringen und zwar eine entschiedene 104

Friedenstat, woran ihnen doch nach ihren Bekenntnissen alles zu liegen scheint. Diese germanischen Völker des Nordens werden sich niemals ausschließlich einem der großen germanischen Reiche als Gefolgschaft angliedern, um nicht von dem Übergewicht des größeren Reiches in ihrem Sonderdasein, das sie mit Recht eifersüchtig hüten, bedroht zu werden. Deutschland liegt ihnen für einen einseitigen Anschluß zu nahe und England zu weit. Aber beide Reiche durch ihre Brückenstellung zu einem höheren staatlichen Gesamtorganismus zu verknüpfen, hierzu die glückliche und bedeutsame Zwischenstellung, die sie innehaben, zu nutzen, sollte wohl ihren politischen Ehrgeiz reizen können. Damit gewännen sie eine hervorragende, in ihren Wirkungen gar nicht abzusehende Bedeutung für die Geschichte. Wenn ich eben davon sprach, daß in den kleineren Völkern allerwertvollste politische Kräfte unerlöst schlummern, die der mensch­ lichen Geschichte verloren gehen, so zielte ich damit namentlich auf die germanischen Staaten des europäischen Nordens. Sie würden aus ihrem unfruchtbaren Stilleben, in dem wunderbare Kräfte verkümmern, herausgehoben und in den großen Strom des geschicht­ lichen Lebens hineingerissen werden. Diese Völker haben zweifellos Begabungen aufzubringen und in die geschichtliche Welt einzustellen, die den großen englischen Staatsmännern und unserem Bismarck ebenbürtig sind. Sind sie doch auch germanische Völker — warum sollten sie hinter England und Deutschland in ihrer Begabung zurück­ stehen? Das ist sicherlich nicht der Fall. Was könnten diese Kräfte dem staatlichen Leben der germanischen Welt und damit der Mensch­ heitsgeschichte für Dienste leisten l Übergänge, Verbindungen, Vermittlungen zwischen gegenseitig gespannten Kräften sind von allergrößter Bedeutung, erreichen denselben Wert wie die zu ver­ bindenden massiveren Kräfte selbst. Das ist nicht nur bei dem Steinbau der Fall, mit der Verklammerung durch Mörtel oder Eisen, sondern auch bei dem Staatenbau. Im unorganischen wie organischen Leben muß es Bindeglieder geben. Das Ziel aber, das diese Betrachtung vor den geistigen Blick der germanischen Völker, Englands, der nordeuropäischen Klein­ staaten und Deutschlands hinstellt, ist grundsätzlich erreichbar. Ja, für diesen Gedanken ist schon eine großartige Vorarbeit geleistet worden in der mächtigsten politischen Bildung der Neuzeit, in dem englischen Weltreich. Das englische Reich kann den Rahmen ab­ geben, um diese großgermanische Staatsidee zu verwirklichen, es braucht diesen Rahmen nur etwas zu erweitern, um die germanischen Staaten des europäischen Festlandes, von der skandinavischen Nord­ spitze bis zum Fuße der Alpen, in sich auszunehmen.

Das englische Weltreich ist kein geschlossener Einheitsstaat mehr. Die Selbständigkeit der Dominions hat ihn zu einem grohen Bundes­ staate gemacht. Allerdings ist dank der überaus konservativen Ge­ sinnung des englischen Volkes und infolge der ungemeinen Aus­ dehnung des Reiches über die verschiedensten Erdteile hin das Über­ gewicht und die entscheidende Stellung der zentralen politischen Gewalt in London noch ganz außerordentlich, diese zentrale Stellung ist immer noch fast unbedingt, so daß die Selbständigkeit der Einzel­ glieder des Reiches sich eigentlich nur aus ihre eigenen, engeren An­ gelegenheiten erstreckt. Die Verwaltung der gemeinsamen Reichs­ angelegenheiten ist noch fast ganz in den Händen des europäischen Eng­ land verblieben. Allein es ist auch hierüber schon viel in den Do­ minions geklagt worden. Die in Abständen stattfindenden Be­ ratungen über Reichsangelegenheiten, die in London tagen und in denen die europäische Zentralmacht vor den Kolonialstaaten Rechenschaft ablegt, genügen den letzteren nicht mehr, sie wollen vollgültige Glieder des gesamten Weltstaates werden, was das leitende europäische England ihnen auf die Dauer nicht wird versagen können. England ist mit der Verselbständigung der Gliedstaaten zu weit gegangen, um wieder umkehren oder aus halbem Wege stehen bleiben zu können. Es muß zu einem vollausgereisten Bundesstaate sich weiterbilden, in welchem die Einzelstaaten verfassungsgemäß be­ stimmte Mitwirkungen an allen allgemeinen Aufgaben des Gesamt­ staates verbrieft erhalten. Die groß angelegte, weitherzige und klare politische Natur des englischen Volkes wird diesen Weg zu finden wissen. Die ganze staatliche Entwicklung Englands enthält in sich eine zu starte Folgerichtigkeit und Stetigkeit, um nicht nach allen bisherigen Voraussetzungen in dieses Ergebnis auszulaufen. Und wenn nun dieses Ziel erreicht, das englische Weltreich zu einem vollen Bundesstaate geworden ist, dann steht nichts im Wege, falls es die politische Entwicvung erfordert — und sie wird es er­ fordern —, daß in diesen Bundesstaat auch andere, zwar stamm­ verwandte, aber anderssprachige Völker als neue Glieder des großen Bundesstaates ausgenommen werden, eben die germanischen Staaten des europäischen Festlandes. Und vielleicht gibt diese Notwendigkeit, dieser unerläßliche Schritt die Veranlassung, dem englischen Welt­ reich den vollen Charakter eines Bundesstaates aufzuprägen, die schon vorhandenen Keime zu einem solchen Staatswesen zur vollen Ent­ faltung auszureifen. Denn die bisher international selbständigen germanischen Staaten des europäischen Festlandes, Deutschland ebenso wie die germanischen Kleinstaaten, können diesen bedeut­ samen Entschluß naturgemäß nur fassen, können sich zu diesem 106

natürlich nicht leichten Entschlüsse nur austaffen, wenn sie als relativ unabhängige Gliedstaaten sich einem größeren Staatsgefüge ein­ ordnen, um ihm in seiner Ganzheit einen wesentlichen Teil ihrer bis­ herigen Unabhängigkeit zu opfern, wenn auch der geringste Anschein schwindet, als ob sie sich einem einzigen Volke als Unterworfene, als Trabanten unterordnen und anschlietzen. Das können sie auch dem mächtigsten Staatsgebilde gegenüber, auch in der Beziehung zu England niemals über sich gewinnen. Die Gesamtverfassung des Reiches muß ihnen die ihrem Selbstgefühl unentbehrliche Würde belassen. Rur dann können sie freudig und mit voller Straft das Gesamtreich tragen und stützen, im Rahmen des Gesamtreiches und für das Gesamtreich ihre volle Lebenskraft auswirken. Diese groß­ artige Möglichkeit bietet sich zweifellos durch die eigentümlich folge­ richtige Geschichte des englischen Weltreiches dar. War im Mittel­ alter das deutsche Volk mit seinem Kaisertum der Brennpunkt der europäischen Geschichte, so ist mit dem unermeßlich erweiterten Blick, durch die Öffnung aller Meere nunmehr naturgemäß England berufen, für diesen Zusammenschluß, diesen Zusammenstrom von geschichtlichen Strästen den Anknüpfung»- und Mittelpunkt abzu­ geben. Die Großbritannischen Inseln bilden gleichsam das Haupt und den Oberkörper eines Organismus, der bisher nur auf einem Fuße stand, nur einen Fuß in die koloniale Welt hinausstreckte. Wenn dieser Organismus dauernd lebensfähig und ungefährdet bleiben will, so muh er auch auf einem zweiten Fuße stehen, muh er auch auf dem europäischen Festlande eine mächtige, tragfähige Stütze finden, die ihm naturgemäß nur die stammverwandten germanischen Fesllandstaaten bieten können. Das ist doch die einzige naturgemäße Gestaltung der Dinge, während die Anlehnung Englands an irgend­ ein anderes europäisches Staatsgebilde, zurzeit etwa die Anlehnung an Frankreich, etwas Willkürliches und Gekünsteltes an sich trägt und deshalb auch nur unter besonderen Umständen, für vorüber­ gehende Zeit Grund und Berechtigung haben kann. Eine solche Ver­ bindung trägt den Keim der Zersetzung, der Entzweiung in sich. Oder was soll England Portugal? Rur wahrhaft produktive Völker können ihm auf dem europäischen Fesllande wertvolle Anknüpfung, Machtzuwachs und Halt gewähren. Man erinnert sich in diesem Zusammenhänge, daß England vor dem Striege unter der Kanzlerschast Bülows Deutschland ein Bündnis angetragen hat. Der sichere und klare Instinkt Englands hat es auf diese Bahn gelenkt. Und nur eine geradezu grenzenlose Verblendung hat Deutschland oder dessen leitende Staatsmänner damals dieses Bündnis ausschlagen lassen. Wieviel besser, für Deutschland würdiger und gedeihlicher wäre

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damit der Anfang für die hier empfohlene politische Zukunft ge­ macht worden! Welche Leiden hat Deutschland über sich ergehen lassen müssen, weil es nicht auch von ähnlich sicherem Instinkt ge­ leitet war, welche Kümmernisse wären ihm erspart worden! Damals tat England den ersten Schritt, seht, nach schweren Demütigungen und härtesten Schicksalsschlägen, belehrt und durch den geschichtlichen Gang aufgeklärt, muß Deutschland in denselben damals versäumten Weg einbiegen und muß diesmal das erste Wort sprechen. Eine tiefe innere Notwendigkeit hat damals England die Annäherung an Deutschland ausgedrängt, aus tiefer innerer Notwendigkeit kehrt dieser Gedanke heute wieder, weil er in der Lage der Völkerverhält­ nisse selbst begründet ist. Nur durch den Hinzutritt -er europäischen Festlandsgermanen kann das englische Weltreich zu einem abge­ rundeten und vollen Organismus erweitert werden. Der linken Hälfte gleichsam, die in der kolonialen Beziehung Englands liegt> muß die rechte Hälfte mit den stammverwandten Völkern des Festlandes angeschlossen werden. Dann erst sieht dieser Bau in festem und unerschütterlichem Gleichgewicht. Dem Schwergewicht auf der einen Seite ist das entsprechende Schwergewicht auf der anderen Seite hinzuzusügen. Ich unterlasse, näher auszumalen, welche Wir­ kung eine solche staatliche Schöpfung in der Gestaltung der politischen Weltverhältnisse Hervorrufen würde. Mit so überragender und starker Macht würde dieser germanische Weltstaat dastehen, daß er den Frieden auf der Erde für weite, unabsehbare Zeiträume verbürgen könnte. Nicht der Völkerbund, sondern nur der große Weltbundesstaat kann den Frieden schaffen. Dao ist das einfache, aber so überaus folgenschwere Ergebnis dieser ganzen Untersuchung, der eigentliche Sinn und Gehalt dieser ganzen Arbeit. Und dieser Weltbundesstaat wiederum kann nicht aus dem Nichts erstehen, kann nur dort seinen Anfang nehmen, wo die Vorbedin­ gungen zu ihm bereits gegeben sind, wo er schon im Werden begriffen ist. „Die Natur macht keine Sprünge", das ist eine alte philosophische Weisheit. Darüber aber kann doch gar kein Zweifel obwalten, daß im englischen Weltreiche die Tendenz zu diesem Weltbundesstaate angelegt ist, ganz unverkennbar aus seiner Gestaltung wie eine Verheißung spricht. Darum muß hier die Anknüpfung gesucht, der Einschlag der Zukunft hier getan werden. Eine großartige geschicht­ liche Entwicklung würde damit abgeschlossen, eine noch viel größere eröffnet werden. Aber der Unglaube, -er dem westeuropäischen Bundesstaate entgegenschlägt, droht auch diesen Traum hinwegzublasen. Und wer vermöchte es den Deutschen zu verargen, wenn sie nach so namen-

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losen Enttäuschungen in völligen Unglauben versinken, sich gänz­ licher Hoffnungslosigkeit in die Arme werfen? Alles müßiges Ge­ rede 1 wird man erklären. England hat bereits gewählt, hat sich für Frankreich entschieden. In der schicksalsvollen Stunde des Kriegs­ ausbruches ist es auf seine Seite getreten. Und trotz aller Schwierig­ keiten, die sich inzwischen innerhalb dieses Verhältnisses aufgetürmt haben, ist es an Frankreichs Seite geblieben. Es wird uns nicht ge­ lingen, es von Frankreich loszulösen. Uns freilich wird es nicht ge­ lingen, aber doch vielleicht der Macht der Umstände, die eine starke Sprache sprechen. Die innere Logik der Dinge selbst rückt vielleicht England doch eines Tages von Frankreich ab. Die Verhältnisse liegen in England gänzlich anders als in Frank­ reich. Fast das ganze Frankreich steht geschlossen hinter Poincaräe. Die wenigen Ausnahmen kommen überhaupt nicht in Frage. Ein einheitlicher Wille beseelt ganz Frankreich, der in seiner gegenwärtigen Politik seinen unverhüllten Ausdruck findet. An diesem geschlossenen Willen werden alle Versöhnungsversuche und Anregungen wie rin­ nendes Wasser abgleiten. Ganz anders aber sieht es in England aus. England ist in sich gespalten. Dort ringen zwei Parteien mit ent­ gegengesetzten außenpolitischen Zielen um die bestimmende Geltung, eine sranzosenfreundliche und - ich will nicht sagen deutschfreund­ liche Richtung — denn von Freundlichkeit für das Deutschtum ist in England noch nichts zu spüren — aber der franzosenfreundlichen steht zum mindesten eine sranzosenseindliche Richtung der englischen Politik gegenüber, die auch unbeabsichtigt für Deutschland günstig wirken muß, falls sie sich durchseht. Diese Spaltung im Willen Englands im Gegensatz zu der einmütigen Haltung Frankreichs gibt der deutschen Politik England gegenüber ganz andere Ansatz­ möglichkeiten, die wir erkennen müssen, die vielleicht doch dereinst eine Besserung unserer Lage herbeiführen können. Zurzeit ist in England infolge des in ihm selbst vorhandenen Zwiespaltes noch alles in ungewisser Schwebe. Eine unbedingte und für die nächste Zukunft ausschlaggebende Entscheidung ist in England noch nicht erfolgt. Das muß eine unbefangene Prüfung, die sich nicht von vornherein durch Schwermut und Zweifel den Blick trüben läßt, anerkennen und aussprechen. Eine ganz eigentümliche Unsicherheit ist in die Politik Englands gekommen, eine Erscheinung, die man im allge­ meinen an England gar nicht kennt, etwas, das ganz außerordentlich befremdend wirkt, angesichts des starken Willens, der entschiedenen und zielsicheren Politik, die wir doch immer an England bewundern mußten. Woher dieses eigentümliche Schwanken, das Tasten, das Hin und Her, Vorwärts und Zurück, das sich in der Politik Englands 109

seit der Beendigung des Krieges ständig wiederholt hat? Es ist ein Kennzeichen, daß England vor großen und einschneidenden Ent­ schlüssen steht, denen gegenüber es sich noch nicht für eine unbe­ dingte Wahl entschieden hat. Eine wichtige Mahnung an uns, über diese Unsicherheit und diese Spaltung Englands nachzudenten und dementsprechend unsere Politik zu führen. Denn niemals wird England zu. unseren Gunsten seine Wahl treffen, wenn wir selbst eine schwankende Haltung zeigen, wenn wir selbst willenskrank und entschlußunfähig unserem politischen Streben nicht eine festumrissene Gestalt, ein klares Antlitz zu geben vermögen. Nur wenn wir unserer­ seits unzweideutige Ziele für unsere politische Zukunft aufstellen, die mit den Wünschen und Aufgaben Englands zusammenstimmen, können wir auf eine bewußte, klare Wendung -er englischen Politik hoffen, und zwar eine Wendung, die das deutsche Staatsleben begünstigt. Es gibt in England immer noch eine starke sranzosenfreundliche Partei, trotz der ungeheuerlichen Zumutungen, die Frankreich nach Beendigung des Krieges an England gestellt hat. Wir haben diese Partei während des ganzen Verlaufs des Ruhrkonflikts mächtig an der Arbeit gesehen, haben immer wieder beobachten müssen, daß diese einflußreiche Partei alle Ansätze Englands zu einer Frankreich abgeneigten und Deutschland zugeneigten Politik zu durchkreuzen wußte. Die herausfordernde, über alle Rücksichten hinwegschreitende Politik Frankreichs, die dem englischen Volke und seinem Stolze wahrlich schwer zu schaffen machte, vermochte diese Kreise bisher nicht umzusümmen. Unentwegt halten sie an dem Bündnis mit Frankreich fest. Es ist auf dieser Seite nicht das Gefühl der Ohn­ macht der englischen Politik auf dem Fesllande, was diese Partei an Frankreichs Seite drängt. Diese Überzeugung der gegenwärtigen Schwäche Englands auf dem Fesllande, die England Frankreich gegenüber zu vollkommener Tatenlosigkeit verurteilt, beherrscht vielmehr die Frankreich ungünstig gestimmten Kreise in England, die Frankreich zwar entgegentreten möchten, die von ihm erstrebte oder schon besessene und grausam ausgenutzte Gewaltherrschaft über Europa ihm streitig machen möchten, aber nicht können. Der Mangel an Folgerichtigkeit und Mut, der diese Politik Englands bisher gehemmt hat, beruht in der Hauptsache eben auf der Einsicht in das gegenwärtige Unvermögen Englands. Bei allem guten Willen und klarer Erkenntnis der Sachlage, der Erfordernisse der englischen Politik vermögen die Anhänger dieser Politik sie doch nicht durchzu­ führen, wie das oben von mir dargelegt worden ist. Nein, die Gegen­ partei der für Frankreich günstig gestimmten englischen Politik betreibt diese durchaus mit ehrlichem Willen und aus innerer Aber-

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zeugung, was für uns wichtig zu wissen ist. Vier Jahre hat England an der Seite Frankreichs in dem allerschwersten Kriege gestanden, -er auch seine eigene Existenz bedrohte. Derartiges vergiht sich nicht so schnell. Das Bündnis mit Frankreich hat die beiden Mächte den Sieg erringen lassen. Das prägt sich dem Gedächtnis ein, ist tief in das Bewuhtsein und die Gesinnung der beiden Bundesgenossen eingedrungen. Unwillkürlich mutz ihnen diese glückliche Erfahrung die Überzeugung einslöhen, dah auch für die Zukunft alles Heil von diesem Bündnisse zu erwarten sei. Etwas, das sich so gut bewährt hat, wirst der Mensch nicht leichter Hand, nach kurzer Zeit, wieder von sich. Das ist begreiflich. Nur die allerschlimmsten, zwingendsten Gegenersahrungen können einen derartigen Bund wieder zerreißen, den einen Kriegsgefährten von dem andern abdrängen. Aber es ist nicht nur die Treue gegen den ehemaligen Kriegsgenossen in Sturm und Gefahr, die einen großen Teil des englischen Volkes dauernd und fest an Frankreich knüpft, es ist mehr noch die unausrottbare, tiefe Abneigung gegen Deutschland, die England zu dieser sranzosenfteundlichen Politik hinzieht. Deutschland ist England zu gefährlich gewesen. Auch das hat sich tief dem Gedächtnis eingegraben. Bei der Beurteilung der politischen Auffassung und Stellung der anderen Völker uns gegenüber, übersehen wir nur zu leicht, wie unsere Macht und deren Auswirkung vor dem irrlege und besonders während des Krieges beschaffen war, welchen Eindruck wir mit unserer Machtenffaltung aus wirtschaftlichem wie auf politischem Gebiet bei den anderen Völkern erweckt haben, woraus so schwere Irrtümer unserer heutigen politischen Anschauung hervorgehen. Politik heitzt vor allem, sich in die Lage des anderen hineinversetzen können, wie ich schon oben sagte. Für uns drängen sich zwischen unsere damaligen Zustände und Leistungen, zwischen unsere damalige Gröhe und unsere jetzige Hilflosigkeit und* Niedergeschlagenheit ungeheure Er­ eignisse, die unser Inneres mächtig umgewühlt haben, unsere Stellung zu allen Dingen von Grund aus verändert haben. An die alte Zelt, an das starke und freie Deutschland und seine Tatenkrast denken wir kaum noch, das klingt uns wie ein matter, halbverschollener Traum. Die anderen Völker haben das alte und große Deutschland noch nicht vergessen. Denn die geschichtlichen Vorgänge, die sich inzwischen zugetragen haben, haben ihre Sinne nicht so vollständig wie die unseren einnehmen können, haben sie nicht wie uns gefangen ge­ nommen, da sie diese Ereignisse, den Untergang Deutschlands mit allen schmerzhaften Zuckungen, als unbeteiligte Zuschauer nur aus der Ferne haben betrachten können. So haben diese Vorgänge ihre Einbildungskraft nicht in gleichem Matze beschäftigt, haben ihre

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Erinnerung an das einst gewaltige und bedrohliche Deutschland nicht ebenso wie bei uns selbst trüben können. Das müssen wir bei unseren politischen Erwägungen sorgfältig in Rechnung ziehen oder wir begehen die schwersten Irrtümer. Für uns ist der Zusammen­ hang mit der alten Zeit so gut wie zerrissen, für die außerdeutschen Völker ist dieser Zusammenhang nicht zerrissen. Sie sehen im gegen­ wärtigen Deutschland noch immer das alte, erwarten immer noch ein Wiederaufleben der ehemaligen deutschen Kraft, und zwar in abseh­ barer Zeit, machen sich in ihren Vorstellungen durchaus aus eine Wiederaufnahme unserer früheren Politik gefaßt. Uns erscheint das seltsam, fast lächerlich, und doch ist es so. Vier volle Jahre haben wir gegen die ganze Welt mit einer in der gesamten Geschichte noch niemals in Erscheinung getretenen Volkskrast im Kampfe gestanden. Unvergleichliche, fast märchenhafte Taten haben wir unverlöschbar in das große Buch der Geschichte eingetragen. Mehr als einmal schien sich die Wage des Sieges zu uns hinzuneigen. Noch kurz vor dem Ende hatten wir die Hand ganz dicht am Siegerkranze. Wahrlich kein Wunder, wenn den andern Völkern, namentlich denjenigen, welche mit uns um den Sieg rangen, die Erinnerung an solche Leistungen, die ihnen ans Leben griffen, noch nicht verblassen will. Mit einiger Übertreibung kann man sagen: noch immer zittert die ganze Welt vor Deutschland. Mögen sich die Völker den Anschein geben, als ob sie uns verachten oder bemitleiden — eine in der Tiefe wachsame und regsame Furcht vor den Deutschen will noch immer nicht völlig weichen, bestimmt, mehr als sie sich dessen bewußt sind und eingestehen wollen, ihr politisches Denken und Handeln. Ich will nicht von den persönlichen Erfahrungen sprechen, die jede englische Familie im Kriege gemacht hat, daß fast jede Familie Verluste an Menschenleben zu betrauerst hat, obwohl solche Wirkungen nicht zu unterschätzen sind. In ihrer zusammengefaßten Einheit, da von allen Seiten her die gleichen Gesinnungen zuströmen, üben solche Stimmungen eine große Wirkung in die politische Haltung der ganzen Nation aus. So bittere Erfahrungen bleiben in allen ein­ zelnen haften und erzeugen eine mehr oder weniger durchgehende Empfindung der Abneigung, des Hasses gegen den vermeintlichen Übeltäter, der solche Wunden, wie man sich glauben macht, aus reiner Verbrechergesinnung geschlagen hat. Das ist menschlich völlig verständlich. Es wäre erstaunlich, wenn es anders wäre. Solche Gefühle müssen notwendig eine deutschfreundliche Politik, auch wenn sie dem dringendsten Interesse Englands entspricht, immer wieder hemmen und erschweren. Aber ich will diese persönlichen Empfin­ dungen nicht weiter verfolgen und nur berücksichtigen, was England

als solches, als Volk, als Staat für Erfahrungen und Regungen aus dem Kriege heimgebracht hat. Nur wenn wir diese kennen, können wir die englische Politik verstehen. Auch für England hat der Welt­ krieg ein ganz elementares, einschneidendes, über alle Matzen folgen­ schweres Ereignis, ein wahres Schicksal bedeutet. In diesem Kriege war England mit seiner ganzen Macht und Weltstellung, mit seiner ganzen Geschichte und Zukunft zum erstenmal ernsthaft in Frage gestellt. Wenn man von den alten, verschollenen Zeiten absieht und nur die letzten Jahrhunderte in Betrachtung zieht — und nur die jüngere Vergangenheit lebt in der Regel im Bewußtsein der Völker fort, das weiter Zurückliegende bleibt nur ein Gegenstand gelehrter Beschäftigung, hat keine unmittelbare geschichtliche Kraft — wertn wir die englische und europäische Geschichte des letzten Jahrhunderts überblicken, so war England eigentlich niemals in seinem staatlichen Dasein wirklich ernstlich und tödlich bedroht. Selbst in der napoleoni­ schen Zeit, zur Zeit der höchsten Machtstellung Napoleons, als ganz Europa ihm zu Füßen lag, war doch Englands Stellung nicht wirklich bis zur Gefahr des Unterganges erschüttert. Es konnte in seiner Seestellung ziemlich gelassen die willkürlich und ziellos aufgetürmte Macht Napoleons mit anschauen, konnte ihrer im Grunde spotten, da es selbst, trotz aller Machenschaften des Korsen, unangreifbar war. Zum erstenmal in der englischen Geschichte der letzten Jahrhunderte ist es in dem Weltkriege England an Nerv und Leben gegangen. Es hat die letzte Kraft, den letzten Mann einsetzen müssen. Die Durch­ führung der allgemeinen Wehrpflicht während des Krieges war etwas Ungeheuerliches für das englische Volkstum. Es hat es durchgeführt, es ist nicht davor zurückgeschreckt. Aber daß es das tat, tun mutzte, ist der klarste Beweis, wie unsagbar ernst England selbst seine damalige Lage und Gefahr betrachtete. Niemals hätte es sich hierzu verstanden, wenn es nicht bis zum Äußersten gefährdet gewesen wäre, wenn nicht bis in die Tiefe des ganzen Volkstums die Aberzeugung durch­ gedrungen wäre, daß es sich um Kopf und Kragen handelte. Diese Tatsache allein beweist, welche Schauer über die Seele Englands dahingefahren sind. Denn sonst hätte es niemals einen so einschneiden­ den Entschluß gefaßt und durchgeführt, der mit seiner gesamten Geschichte in Widerspruch stand. Das sagt alles. England ist niemals wählerisch in seinen Bundesgenossen ge­ wesen. Denn bei allen Vorzügen der insularen Lage bringt diese doch auch erhebliche Nachteile mit sich. England hat so gut wie nie seine Kriege, wenigstens mit den größeren Mächten, allein durchgekämpft. Es hat immer binnenländische Bundesgenossen nötig gehabt, sie ge­ worben und auch stets gefunden. Und wahrlich auch diesmal, in der Horneffer, Drei Wege.

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großen Auseinandersetzung mit Deutschland, haben sie ihm nicht gefehlt, in Hellen Scharen sind sie wie nie zuvor herbeigeeilt. Ganz Europa machte sich aus die Beine, um mitzukämpsen, das allverhaßte Deutschland zu Fall zu bringen. Die gewaltige Schaffenskraft, die das deutsche Volk im letzten Menschenalter zu aller Welt Staunen entfaltete, hatte drückend aus die europäischen Nachbarvölker gewirkt. Sie wünschten nicht von Deutschland überholt und in Schatten ge­ drängt zu werden. So traten sie fast insgesamt mit Frankreich und England in eine Schlachtlinie ein, mit der Darangabe aller ihrer Kräfte. Aber nun begab sich etwas ganz Seltsames und Über­ raschendes. Ehemals, in früheren europäischen Kriegen, hat Eng­ land, immer mit einigen europäischen Festlandvölkern im Bunde, obenauf bleiben können, es hat ziemlich sicher und gefahrlos diese Kriege nur mit halber Kraft führen dürfen, weil es des Sieges seiner Partei im europäischen Völkerkreise völlig gewiß war, eine Er­ wartung, die England niemals getäuscht hat. Nun aber, in dem Kampf gegen Deutschland, kam es anders. Auch der gemeinsamen An­ strengung und Mitarbeit von ganz Europa wollte es nicht gelingen, Deutschland niederzuwerfen, auch dieser gewaltigen Koalition schien das kraftstrotzende deutsche Volk standhalten, es schien der vereinten Kriegsmacht aller Gegner trotzen zu können. Auch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in England, die Hungerblokade und was alles sonst unternommen wurde, um die deutsche Kraft zu brechen, alles schien vergeblich zu sein. Eine unerhörte Schande schien über Europa und namentlich über das stolze England, das seit Jahr­ hunderten unbesiegte, herauszuziehen. Das eine Deutschland drohte über das gesamte Europa und zugleich das große englische Weltreich den Sieg zu erringen und Herr zu werden. Ganz nahe war Deutschland an diese Möglichkeit herangerückt, eine für England ganz unerträgliche, geradezu schaudererregende Möglichkeit. So mußte es in dem kritischen Augenblick des Krieges, da sich die Ent­ scheidung einzuleiten schien, den Bittgang nach Amerika antreten, zu dem jüngeren, starken Halbbruder, der zwar stets gutwillig und dienstwillig dem älteren europäischen Bruder sich untergeordnet hafte, den aber England doch immer ziemlich von oben herab als Bastard behandelt, über die Achsel angeschaut hatte, den es nie als ebenbürtig hatte anerkennen wollen. In höchster Lebensgefahr rief es jetzt nach ihm um Hilfe. Und er kam und half, er gab dem abgekämpften, ermüdeten Deutschland den letzten Todesstoß. Das sind für England herbe Erinnerungen, die in ihm nachwirken müssen. So schaut England aus den verflossenen Krieg zurück. Wie muß sich nach solchen Erlebnissen die englische Politik gestalten? Wir können

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nach solchen Vorgängen doch beim besten Willen nicht ohne weiteres eine Deutschland wohlgesinnte Politik von England erwarten. Das wäre zu viel verlangt, wäre wider alle natürlichen Regungen und geistigen Lebensgesetze. England mutz nach wie vor aus Grund so ernster Erfahrungen ein wachsames Auge aus Deutschland haben, das begreift man wohl. Mag Frankreich dem englischen Stolze noch so hart zusetzen, mag es mit seinem herrischen Auftreten in Europa, doch nut durch fremde Hilfe, namentlich die angelsächsische Hilfe zum Siege emporgetragen, übermütig geworden, das stärkste Mißtrauen Englands wecken — und ich glaube, keinem Engländer ist der heutige französische Hochmut behaglich — mag das alles der Fall fein, der wohlüberlegte und vorsichtige politische Geist Englands glaubt das alles hinnehmen zu müssen. So unerfreulich die französische Politik für England sein mag, noch weit schlimmer dünkt ihm eine Wieder­ erstarkung Deutschlands. Alles erscheint erträglich, nur das nicht. Das Schlimmste scheint zu befürchten, wenn dieses unheimliche Volk wieder auslebt und sich von neuem kräftigt. Dazu soll England die Hand bieten? Nimmermehr. Die größten Ungezogenheiten, ja, wenn -er Ausdruck erlaubt ist, die ärgsten Frechheiten Frankreichs müssen für England leicht wiegen im Vergleich zu den realen Ge­ fahren, die noch immer hinter Deutschland lauern. Denn wenn Deutschland sich wieder wirtschaftlich hebt, dann wird es bald auch wieder politisch und militärisch stark werden. Und soll dann etwa das Spiel von neuem beginnen? Soll all die Mühe und Not des großen Krieges umsonst ausgewandt sein, damit England sich in kurzer Zeit wieder vor dieselbe Ausgabe gestellt sieht, wieder denselben leistungs­ fähigen und bedrohlichen Gegner vor sich hat? Sollen die großen, schweren Opfer des Krieges, die doch ein für allemal England von dieser Gefahr befreien sollten, vergeblich gebracht worden sein, so daß der grausame Wassengang noch einmal anzutreten ist? Machen wir uns vollkommen klar, daß diese Auffassung vorläufig noch, wenn nicht ganz bedeutsame politische Wendungen und Umstel­ lungen vor sich gehen, die Grundstimmung in England sein muß, mag Frankreich aus dem Festlande toben wie es will. Dieses Gefühl der Besorgnis vor einem wieder ausgerichteten Deutschland muß in England unter den gegenwärtigen internationalen Verhältnissen herrschend bleiben. England kann doch unmöglich seine ganze Politik vom Weltkriege umdrehen und rückgängig machen, wenigstens nicht aus das Ungefähr hin, ins Blaue hinein, ohne gegen die von Deutsch­ land zu gewärtigenden Gefahren geschützt zu sein. Und doch ist das alles nur die eine Seite der Politik Englands. Es ist dies gleichsam die menschlich begreifliche Gefühls Politik,

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die die augenblickliche Lage Englands hervorbringen mutz. Die Dernunftpolitik drängt England in andere Richtung. Und die Vernunft hat in England immer noch über die widerstreitenden Gefühlsftimmungen zuletzt den Sieg davongetragen. England hat nun doch in der Verbindung mit Frankreich ein Haar gefunden. Seinem Stolz al» Grotzmacht sind durch da» eigenmächtige und heraus­ fordernde Verhalten Frankreichs Nackenschläge versetzt worden, die e» nicht leicht verwinden kann. Als Grotzmacht, ja, als Weltmacht von einer vor kurzem noch unterlegenen Macht zweiten Ranges verächtlich beiseite geschoben zu werden, das verträgt der englische Nationalstolz auf die Dauer nicht. Mehr aber als solche moralischen Rücksichten werden schliehlich die realen Notwendigkeiten Englands eine Nachprüfung und Umstellung seiner Politik gebieten. Als stärkste Antriebe zu dieser Wandlung werden die wirtschaftlichen Umstände wirten. K Wie sehr England mit der Wirtschaft des festländischen Europa auf Gedeih und Verderb verbunden ist, habe ich oben schon ausgeführt. Frankreich ist durch und durch unproduktiv. In der Hauptsache ein agrarisches Volk hat es den grotzen Zug der neueren Wirtschaft, der industriellen Großwirtschaft nur teilweise, in geringe­ rem Matze miterlebt und mitgetragen. Aber mit unverhohlenem Neid hat Frankreich diese Entwicklung der industriellen Groß­ wirtschaft in Deutschland, England und Amerika angeschaut. Mit schwerem Arger hat e» die drei germanischen Mächte immer kühner und erfolgreicher diese Bahn der industriellen Entwicklung unnachhol­ bar voranschreiten sehen. Sein ganzer, tiefer Kummer seit dem letzten Menschenalter ist es eben, dah es in dieser Hinsicht so beträcht­ lich zurückgeblieben ist und nicht entfernt mit den Wirtschaften der germanischen Völker wetteifern kann. Und diesen Vorsprung hofft es nun nach dem siegreichen Ausgange des Weltkrieges mit einem Male einholen zu können, indem es sich der deutschen Wirtschaft, deren Hauptstätten nahe an seiner Grenze liegen, bemächtigt. Da­ mit will es mühelos ernten, was Deutschland in langer und zäher Arbeit vorbereitet und geschaffen hat. Nicht nur eine erste Mllltärmacht, nein, auch eine erste Weltwirtschaftsmacht hofft Frankreich durch diesen dreisten Griff zu werden. Nun meint es, werde es mit einem Wurf erreichen, was es seit langem so heiß und doch immer vergeblich ersehnt hat. Ein eitler Wghn — nur der wahrhaft Be­ fähigte kann eine Grotzwlrtschast schaffen, auftecht erhalten und weiter­ führen. Diese Aufgaben liegen der Begabung der Franzosen nicht, daran kann kein Zweifel sein. Sie haben andere, nicht zu unter­ schätzende Gaben, die ich hier nicht zu nennen brauche. Aber die große Organisationskraft, der kühne und doch vorsichtige Unternehmungs116

geist und dann, ihm sich anschließend, die zähe ausharrende Geduld und Arbeitskraft, wie sie die Großwirtschaft unbedingt erheischt, diese Befähigungen sind nun einmal den Franzosen fremd, sind ihnen trotz einzelner Ausnahmefälle, die nicht verkannt werden sollen, im allgemeinen nicht gegeben. Ihr unruhiges, sprunghaftes, sprühendes Wesen, das in anderer Beziehung wahrlich seine Vorzüge zeigt, scheint solche weitausschauenden und schwerfälligen Werke nicht bewältigen zu können. Sie werden sich täuschen, wenn sie glauben, sie könnten auf dem Rücken der deutschen Wirtschaft, auf dem Sklavenjoch, das sie der deutschen Arbeit auserlegen, sich zu einer der englischen und amerikanischen ebenbürtigen Weltwirtschaft empor­ schwingen. Sie können die deutsche Wirtschaft nur zerstören. Eine trostlose Verkümmerung der deutschen Wirtschaft wird die unaus­ bleibliche Folge dieses verfehlten Versuches sein. Ein Vampyr, der sich auf einen blühenden Organismus stürzt, hat diesen noch niemals mit seinem Blutsaugen lebensvoll und stark gemacht. Die frische Lebenssarbe entschwindet ihm, eine Leiche bleibt zurück. Diese Naturgesetzlichkeit muß auch in dem Völkerleben, wenn ein unproduktives Volk sich über ein produktives Volk hermacht, sich über dasselbe lagert und von ihm zehren will, zur Erscheinung kommen. Niemals kann daraus Kraft und Leben entquellen. Das ist so sicher, daß sich nur die ärgste Verblendung darüber täuschen kann. Denken wir uns einen Augenblick, Deutschland hätte in dem Kriege, wenigstens aus dem europäischen Festlande, den Sieg er­ rungen und seine Stellung behauptet. Ganz wunderbare, die heilsamsten Folgen wären aus diesem Ergebnis hervorgegangen. Das steht außer allem Zweifel. Das zerstörte Nordsrantreich wäre längst wieder ausgebaut worden. Ein ganz erstaunlicher wirtschaft­ licher Aufschwung wäre in ganz Europa angebrochen. In alle euro­ päischen Völker, namentlich auch in die östlichen Völker, von Littauen und Polen bis nach Rumänien, dem Balkan und Dorderasien hin, hätte der deutsche Unternehmungsgeist seine befruchtende Kraft getragen. Sin feuriges Bewegen aller Kräfte wäre in Zug gekommen über ganz Europa hinweg, von Ost nach West, von Süd nach Nord. Das kann eine gewissenhafte Betrachtung der europäischen Völker­ verhältnisse nicht in Abrede stellen. Auch alle neutralen Länder, die heute durch den Zerfall der deutschen Wirtschaft so hart zu leiden haben, wären mit in diese schwungvolle Bewegung hineingerissen worden, und so hätten sie an dem deutschen Siege, den sie so arg befürchteten, von dem sie alles Unheil, ja sogar den Weltuntergang erwarteten, ihren gemessenen Anteil selbst davongetragen. Wie oft hat man es in der Geschichte erlebt, daß die Meinungen der ganzen

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Welt irrig waren, daß die Menschheit in ihrer großen Mehrheit sich für das Verkehrte entschieden hat! Das Vernünftige, Rechte hat durchaus nicht immer den Sieg in der Vorstellungswelt und im Handeln der Menschen. Aus dieser Sachlage ist ersichtlich, wie un­ sinnig und schädlich, für Europa geradezu mörderisch der allgemeine Haß gegen Deutschland, die allgemeine Hilfe für Frankreich gewesen sind. Frankreich hat vor dem Kriege Europa wirtschaftlich wenig gegeben, hat von Europa wenig empfangen. An Frankreich hat das Geschick Europas nicht gehangen. Was aus Frankreich wurde und wird, konnte und kann das übrige Europa ziemlich gleichgültig mit anschauen. Mit seinen Lebensinteressen ist Europa an Frankreich nicht gebunden. Deutschland aber war im höchsten Grade ein pro­ duktives Land, es gab Europa viel, es empfing von Europa viel. Ein reiches, wechselseitiges, ersprießliches Geben und Nehmen war es, was ganz Europa mit Deutschland verknüpfte. Nur ein gänzlich blinder Haß kann das verkennen. Breitet nun Frankreich sein Leichentuch über die deutsche Wirtschaft aus, daß sie in Un­ produktivität hinsiechen und absterben muß, dann wehe den europä­ ischen Völkern, dann gleiten sie unaufhaltsam mit in das Elend und die Verarmung herab. Ein unproduktiver Mensch hat noch nie seiner Umgebung genützt, das weiß man doch. Ein unproduktives Volk kann auch niemals den umgebenden Völkern nützen, das sollte doch endlich begriffen werden. Am meisten muß natürlich die stärkste produktive Wirtschaft Europas von der wirtschaftlichen Abschlachtung Deutschlands in Mitleidenschaft gezogen werden. Das ist die Wirt­ schaft Englands. Wie innig und fest die englische Wirtschaft mit der wirtschaftlichen Lage in Festland-Europa verbunden ist, habe ich schon oben ausgeführt. Die eigentliche Wirtschaft aber von FestlandEuropa ist die deutsche Wirtschaft, diese ist ihr Kern- und Herzstück, wo alle Adern des wirtschaftlichen Geflechts zusammenlaufen, von woher sie ausgehen, wohin sie zurückstreben. Daran kann keine Mißgunst, kein Haß etwas ändern, es sind Tatsachen. Wer gegen sie verstößt, erntet am eigenen Leib und Leben den Fehler seiner Einsicht. Der Irrtum fällt mit voller Wucht auf ihn selbst zurück. Allerdings nicht sofort; im Völkerleben wirken sich die Kräfte nur allmählich aus. Aber einst brechen die lange verhüllten Kräfte und Naturnotwendigkeiten an die Oberfläche durch und offenbaren sich mit zwingender Gewalt — vielleicht erst, wenn es zu spät ist, wenn sie mit herben Leiden an den Völkern Strafe und Rache für die Verkennung, die sie zu lange zurückgedrängt hat, geübt haben. Ein produktives Volk, wie es England ist, kann nur mit einem andern produktiven Volke zusammenarbeiten — das ist eine Binsenwahrheit.

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Alle Arbeit ist Austausch, ein Geben und Nehmen von Gütern und Kräften. Und diese Einsicht hat sich ja auch bereits in England sicht­ lich Bahn gebrochen. Und das ist die andere Seite der englischen Politik, die mit der sranzosenfreundlichen Politik in England ringt, wodurch die Spaltung im gegenwärtigen englischen Volke hervor­ gerufen ist. Im Grunde genommen ist es höchst erstaunlich und bewundernswert, daß England so rasch nach dem Kriege, nachdem es noch soeben Deutschland als seinen wahren Todfeind bis zum Verbluten bekämpft hat, diese Wendung seiner Politik doch schon wenigstens erwägt, schon in Gedanken ersaßt und bedenkt. Das ist, wenn man gerecht urteilt und die große Schwierigkeit der Völkerverschiebungen, der Umstellung der Politik großer Nationen in Rechnung zieht, im höchsten Grade bewundernswert. Es ist wieder ein neuer, klarer Beweis für die hohe politische Begabung Eng­ lands. Und das Bemerkenswerte an dem bedeutsamen Vorgänge ist, daß diese Auffassung einer notwendigen Stützung Deutschlands gegen Frankreich und seine Raublust nicht nur von einzelnen Köpfen in England erkannt und vertreten wird, nicht von einer kleinen und machtlosen Opposition, einigen wenigen Schwarmgeistern und Störenfrieden. Nein, der leitende englische Staatsmann selbst, die amtliche Politik Englands hat bereits diese Wahrheit und Not­ wendigkeit eingesehen und hat sie auch mit unverblümter Offenheit vor der Welt kundgetan. Das ist für jeden Sachverständigen aus dem Gebiete der Politik etwas ganz Außerordentliches, geradezu Staunenswertes. Die Noten und Reden Baldwins haben nichts an Klarheit über das Verhalten Frankreichs, über die Folgen seiner Hochmuts- und Zeeftörungspolitik zu wünschen übrig gelassen. Wer etwas von Politik versteht, muß daraus mit Befriedigung entnehmen, daß die neue Richtung und Zielsetzung der englischen Politik, der Wille zu dieser neuen bedeutsamen Umstellung schon weit, recht weit gediehen ist. Allerdings ist es bis jetzt nur erst Erkenntnis und Wort geblieben und noch nicht Tat geworden. Aber nur der unreife Dilettant in politischen Dingen kann jetzt schon mehr er­ warten. Der meint, England müßte sofort seinen Einsichten und Ankündigungen auch die Tat und die Vollbringung folgen lassen. Wie töricht! Die englischen Staatsmänner-wissen, daß die großen Völker nur schwer zu neuen politischen Gedanken und Aufgaben zu bewegen sind, daß sie kraft ihrer Masse und Schwerfälligkeit überhaupt nicht leicht zu irgendeinem Ziele hinzulenken sind, ge­ schweige zu einem neuen, ihren innern Gefühlen zunächst ganz wider­ streitenden und befremdlichen Ziele. Darum sprechen sie erst die Einsicht aus, die sie erkannt haben, schlicht und formlos, ohne pathetische

Gebärde, ernst und fest. So sind die Reden Baldwins beschaffen, wahre Musterbilder weitschauender, klarer Politik. Damit bereiten diese erfahrenen Staatsmänner die Völker, das eigene und die fremden, langsam vor, lenken ihre Gedanken in gewisse, von ihnen als heilsam erkannte Richtungen hin, um sie dereinst, wenn sich die Einsicht bei ihnen durchgesetzt hat, zur entscheidungsvollen Tat mit fortzureihen. Und dann folgen ihnen die Völker auch. Die Staats­ männer haben sie dann in der Hand, um mit ihnen als einem kraft­ vollen, unfehlbaren Werkzeug ihre Gedanken, die inzwischen selbst­ verständliches und unbestrittenes Allgemeingut geworden sind, in die Wirklichkeit überzuführen. Die deutschen Staatsmänner sprechen gar nichts au-, sie bewegen sich in stachen, nichtssagenden Allgemein­ heiten, die die Gedanken nicht llären, die Gemüter nicht erwärmen, den Willen nicht stärken können. Ihre eigene Mutlosigkeit breitet sich lähmend und noch weiter schwächend über das ganze Volkstum au». Das deutsche Volk hat an seinen Staatsmännern keine Stützen und Kraftquellen. In so kummervollen, verzweifelten Zeiten muh der gebietende Staatsmann dem Volke gleichsam ein Priester sein im erhabensten Sinne des Wortes, ein Licht- und Heilbringer, wenn dieses Licht und Heil auch erst in Zukunft aufgehen wird. Durch das Ausweisen des Weges rettet er sein Volk vor der Verzweiflung, damit reicht er ihm schon einen Becher der Stärkung dar. Ale Erlösung und Befteiung im Menschenleben ist immer nur eine Art Wegweisung. Betreten und wandeln müssen die Menschen den aufgewiesenen Pfad selbst. Der Reichskanzler Stresemann hat allerdings, mit Freude sei es anerkannt, schon Töne in diesem Sinne angeschlagen. Unmittelbar bevor er Reichskanzler wurde, sagte er im Reichstage, daß die Lage Deutschlands wirllich nicht so schlecht und hoffnungslos sei, wie man vielfach glaube. Und in seinen Reden als Kanzler hat er wiederholt seinen Glauben an die deutsche Zukunft in hellen, llangvollen Worten bekannt, hat er den Glauben an die deutsche Zukunft zu beleben und zu erneuern gesucht. Das ist etwas, aber es ist unzulänglich. Solche Worte verhallen zu schnell, lösen nicht wirllich die Eiskruste der völlig erstarrten, im Zweifel halb erstorbenen Gemüter. Auf einen Augenaustchlag der Hoffnung folgt immer wieder quälend und drückend die taube, unbarmherzige Hoffnungslosigkeit, die wie Schlangengeringel die Seelen in un­ bewegbaren Banden hält. Rein, nur eine ganz bestimmte festumrissene Idee, die der verantwottliche Staatsmann vor dem Volte aufpflanzt, kann diese heilende und kräftigende Wirkung üben, auch wenn die Idee bei weitem noch nicht zur Ausführung reif ist. Durch das Aussprechen wird sie reif zur Ausführung. Sie findet

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ihren Eingang bei den Menschen, gewinnt Boden und Macht im Dolksdewußtsein, und so rüstet sie sich langsam zur Derwirllichung, bi» sie sich dann losringt und, getragen von der mitgestimmten, bereitwilligen Dolkstraft, sich in lebendige Tat verwandelt. Doch ich kehre zur Sach« selbst zurück. Unwillkürlich wird man unmutig, wenn man die weisheitsvolle englische Staatskunst mit der deutschen Staatskunst oder Un tunst zu vergleichen gendtigt wird. Und nun gar noch, wenn die Deutschen an dem zögernden, gehaltenen Borgehen -er englischen Staatsmänner unreife Äritit üben und nicht das innere Recht und den Zweck dieser Handlungsweise begreifen können. Der Tag zu einer entscheidenden Wendung der englischen Politik von Frankreich fort ist noch nicht gekommen. Daß er komme, dazu können wir viel beitragen, wie sich sogleich ergeben wird. Der wirtschaftliche Verfall Europas, den Frankreich verschuldet, wird England mit der Zeit zu denken geben, es wird damit in seinen tiefsten Lebensinteressen getroffen. Aber noch stärker wird sein politisches Interesse ihm eine Lösung von Frankreich zur unumgäng­ lichen Notwendigkeit machen. Man sagt ja immer, in England gelle nur das wirtschaftliche, geschäftliche Interesse, die englische Polltik sei ausschließlich von wirtschaftlichen Rücksichten bestimmt. Da» ist auch einer der zahlreichen Irrtümer, die in den Vorstellungen -er Menschen, namenllich in Deutschland, ihr Unwesen treiben. Unsere ganze Zeit ist überladen, überlastet von Irrtümern. Niemals wohl, in keinem anderen Zeitalter hat der Wahn in jeder Gestalt eine so ausgebreitete und verheerende Macht besessen wie gegenwärtig. Denn sonst könnte das wirkliche Leben nicht so traurig zerrissen un­ zerrüttet sein, nicht in dauernden Krämpfen liegen, wenn nicht tiefgreifende und zahlreiche Irrtümer darüber ihre unheilvolle Geißel schwängen. Ein klares, einsichtiges Leben gedeiht, ein ver­ düsterte», vom Irrwahn umsponnenes Leben verknäult sich in sich selbst und richtet sich zugrunde. Das ist schon die Einsicht de» alten Sokrates gewesen, warum er die Erkenntnis für den Inbegriff aller Tugend erklärte. Mer die Menschheit will heute von den ältesten, einfachsten Wahrheiten nichts wissen. England ist weit entfernt, nur immer geschäftliche Ziele zu haben. Ganz im Gegenteil. Da» ganze Denken Englands ist staatlich. Der Staat und dessen Mach» sind die einzigen Richtlinien der Handlung»- und Derhaltungsweife Englands. Diesem Gesichtspunkt ordnet es alle anderen Rück­ sichten und Dotteile unter. Spielend gibt es die größten, scheinbar unentbehrlichsten Augenblickswette hin, wenn es dafür die politische Macht erhalten oder mehren kann. Ganz großzügig und weitblickend, von jedem engen Krämergeiste völlig frei, schaut es nur in ferne 121

Zukunft, in der Zuversicht, daß die erhaltene oder neu gewonnene politische Macht dereinst alle wirtschaftlichen Opfer wettmacht, weil sie neue und viel größere wirtschaftliche Erfolge einst aus sich erzeugen wird. Die Wirtschaft und ihre Entfaltung als Folge, als unausbleibliche Nachwirkung der politischen Macht — das ist das Grundgesetz Englands, das bei allen Maßnahmen durchschimmert. Mit dieser weisen und richtigen Rangordnung der Werte hat man den Schlüssel zum Verständnis des englischen Volkes. Die Vorzugsstellung aber, die England der politischen Aufgabe einräumt, wird ihm mit der Zeit immer nachdrücklicher die Bedenk­ lichkeit seiner Stellung an Frankreichs Seite ausdrängen. Von Eng­ land ungestört, unter dem Schutz der Entente mit England, steigt Frankreich zu immer stärkerer politischer und militärischerMacht heran. Wenn England aus jeden Einfluß auf dem Festlande verzichtet, kann es ja zur Not dieses politische Wachstum Frankreichs dulden, in der Gewißheit, daß es damit zwar das europäische Festland seiner Macht unterwirft, aber dennoch niemals, wenigstens nicht so leicht, seiner Weltstellung über See hin bedrohlich werden wird. Da werde seine Seemacht ihm immer Sicherheit gewähren und Frank­ reich in Schranken halten. So kann man vorläufig in England die Lage anschauen. Aber einst — und England vermag doch in die Zukunft zu schauen, alle politische Weisheit und Kunst gipfelt doch in dem richtigen Fernblick und der daraus entspringenden Vorsicht, der entsprechenden Vorbeugung — einst wird die große Macht, die sich Frankreich unter dem eigenen Schuhe Englands aneignet, für England verderblich werden, wenn eine andere ozeanische Macht, nämlich Amerika, gegen England Front macht. Ich weiß wohl, daß dazu heute nicht die leisesten Andeutungen vorliegen. Aber der Politiker muß auch ohne sichtbare Anzeichen, bevor solche gewahr werden, schon aus der vorhandenen Kräftelagerung der Völker diese künftig notwendig werdende Gestaltung der Beziehungen zu er­ kennen vermögen. Noch ist Amerika, trotz seiner eigenen Macht­ fülle, ein Trabant Englands. Aber es ist mit Trabanten eine eigene Sache. Sie tragen sehr lange ihre Dienstbarkeit, folgen gutwillig dem Herrn und Führer. Aber eines Tages, selbst kräftig und sicher geworden, durch die vorbildliche Führung emporgewachsen, kündigt der Trabant den Gehorsam. Jedes Trabantenverhältnis trägt die dereinstige Absage und Befreiung in sich. Wie aber stimmt diese Auffassung zu der früher von mir betonten Stellung Amerikas zu Europa, aus welches es bereits im Bewußtsein der eigenen Über­ legenheit und als vermeintlich einziger Träger der menschlichen Kultur in Zukunft mitleidig und erhaben herabsieht? Bei England 122

macht Amerika — jetzt noch! — eine Ausnahme, in England sieht es noch immer sein maßgebendes Vorbild, an das es sich in jedem Sinne als junges Staatsgebilde, wie der Schüler an den Meister, gebunden fühlt. Und zudem ist ja auch England, wie dargetan, gar kein europäischer Staat im engeren Sinne mehr, sondern ein Weltstaat, in allen Erdteilen heimisch, mit tausend Interessen über alle Erdteile hin. Amerika entfaltet eine große Handelsmacht, es schafft eine erste Kriegsflotte. Damit betritt es denselben Weg wie Deutschland im Wilhelminischen Zeitalter und muß dadurch früher oder später unbedingt in einen Gegensatz zu England geraten. Denn in dieser Frage kann Englund keinen Spaß verstehen. Da muß es unnachsichtig sein. Das hat Deutschland erfahren, das wird auch Amerika einst erfahren und jede Macht, die sich auf dem Meere anmaßend und anspruchsvoll gebärdet. Irgendwann muß und wird England hiergegen einschreiten müssen. Dann spränge der Gegensatz zu Amerika heraus. Das ist so unausbleiblich wie die Nacht dem Tage folgt. Und dann wird England von Amerika und Frankreich in eine lebensgefährliche Mitte genommen. Ich weiß wohl, noch ist keine Spur von dieser Entwicklung kenntlich. Aber das wäre ein kümmerlicher Politiker, der sich nur an die gegebenen Tatsachen klammerte und nicht erriete, was in den gegebenen Tatsachen schlum­ mert, was aus diesen folgerichtig erwachsen muß. Und diese Ent­ wicklung liegt in den heutigen Beziehungen, wie sie aus dem Welt­ kriege entflossen sind, eingebettet. Auf diesen Zusammenstoß muß der geschichtliche Verlaus hintreiben. Das muß sich England vor Augen halten. Allerdings hat es, in der beunruhigenden Aussicht, einst von Amerika und Frankreich in die Zange genommen zu werden, im fernen Hintergründe einen Helfer und Freund: Japan. Aber es ist doch wohl keine sehr weise und behutsame Politik, die sich auf Japan verläßt. Japan ist ein eigentümlicher, ein besonders gearteter Bundesgenosse, dessen Entschlüsse im entscheidenden Augenblick keiner im voraus wissen kann. Japan unbedingt zu trauen, wäre doch wohl eine verfehlte Politik. Es könnte geschehen, daß Japan, obwohl es durch das Bündnis mit England zur Großmacht, in die Weltpolitik gehoben wurde, in jenem bedeutungsvollen Augenblicke es für zweckmäßiger hielte, im Bunde mit den anderen Mächten, die diesen Bundesgenossen höchst willkommen heißen würden, zu­ nächst die stärkste und älteste Seemacht, England aus dem Sattel zu schleudern, die Meere und Erdteile erst einmal von der überragenden Seemacht Englands zu befreien, in der sicheren Erwartung, später auch mit den noch übrig gebliebenen Mächten den Strauß auszufechten und fertig zu werden. Diese Möglichkeit ist durchaus 123

nicht von der Hand zu weisen. Japan ist eine Sphinx. Dann stände England, von allen Seiten umringt, einer Weltkoalition gegenüber, wie Deutschland im letzten Weltkriege. Und es bewahrheitet sich an England der Spruch: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Diese sonderbare Umkehrung könnte leicht geschehen. Hier­ gegen kann England in weiter Voraussicht nur Vorsorge treffen, indem es aus dem europäischen Festlande eine Stütze sucht. Und das kann naturgemäh nur das germanische Nord- und Mitteleuropa sein. So drängen auch die politischen Interessen England und Deutschland zusammen. Wir haben gesehen, daß bereits Ansätze und Vorbedingungen zu dieser Richtungsnahme der englischen Politik vorhanden sind. Was hemmt und durchquert diese Ansätze, daß sie sich noch nicht zur Reife, zur bestimmenden und klaren Tat haben durchringen können? Auch Deutschland ist für England, wie ich nachwies, noch ein ungevärtes, schillerndes Etwas, dem es durchaus noch nicht zu trauen wagt. An eine Bedingung ist die Wendung England» nach Deutschland hin geknüpft, nur mit einer Gewißheit kann England diesen ernsten und gewichtigen Schritt, vor welchem es immer noch zurückschreckt, tun, nämlich, daß es sich nicht von neuem in Deutschland einen wirtschaftlichen Rivalen und politi­ schen Gegner großzüchtet. Andernfalls ist dieser Weg versperrt. Man glaube doch ja nicht, bilde sich doch nur nicht ein, daß das ungeheure Geschick des Wetttrieges wenige geringfügige Folgen in der politischen Gestaltung der Menschheit haben werde, daß nur leise Änderungen, mäßige Verschiebungen dieses Geschick wieder ausgleichen, die Menschheit in eine neue und gesicherte Ordnung bringen könnten. Nein, so gewaltig der Einschnitt der Zerstörung durch den Weltkrieg war, so bedeutsam und folgenschwer, kühn und durchgreifend muß auch die Reform, die Lebenseinrichtung und Er­ neuerung sein, die zur Heilung der Wunden, zur Vorbeugung für ähnliche Ausbrüche von der Menschheit getroffen werden müssen. Mit kleinen, kleinlichen, kümmerlichen Mitteln und Mittelchen, daß es nach dieser grausigen Sturzflut der Geschichte wieder im alten Gleise ziemlich unverändert weiter gehe, damit kommt man nach einer so furchtbaren Erschütterung und mächtigen Entladung nicht aus. Nur eine große Tat kann solchen weltgeschichtlichen Vor­ gängen, die an Wucht der Wirkung alle» in Schatten stellen, was bisher der Verlaus der Menschheitsgeschichte gezeitigt hat, das Gleich­ gewicht halten, kann ihnen die gebührende, ebenbürtige Antwort geben. Diese große Tat — das behaupte ich vor Deutschland und Emopa — ist der Weltbundesstaat. Das ist das Gebot, die erhabene 124

Mahnung, die der Weltkrieg ausspricht, mit mächtiger, unüberhör­ barer Stimme verkündet. Und Deutschland ist es, das hierzu die Anregung geben, seine Bereitwilligkeit hierzu tundtun muß. Frankreich wird, wir sahen es, hiergegen sein Ohr verschließen. Altgewvrdene Völker, die die Höhe ihres Leben» überschritten haben, können neue und fruchtbare Ge­ danken nicht mehr aufnehmen und sich nicht mehr einverleiben. Darin zeigt sich ihre Sterilität, ihr Starr- und Hartwerden int Aller. Man kann die gleiche Beobachtung an allgewordenen Familien, allen Adelsgeschlechtern machen. Noch haben sie dieselbe vornehme Lebens­ führung wie ihre schöpferischen Vorfahren, dieselbe edle Haltung nach außen. Auch der Gharakter kann noch lange unverändert bleiben. Mut, Tapferkeit, Gewissenhaftigkeit, Hochsinn — alles kann noch vorhanden sein. Aber die Intelligenz läßt nach, eine gewisse Unbeweglichkeit des Geistes läßt sie neuen und andersarttgen An­ schauungen und Begriffen, die ihrer Gewohnheit ftemd sind, eine neue Lebensweise einleiten, nicht mehr zugänglich werden. Sie lehnen jede Erweiterung und Änderung ihrer Lebensanschauungen ab, schließen sich in ihre Überlieferungen, ihre ererbten Begriffe

wie in ein festes Gehäuse ein, aus dem sie nicht mehr herauszuschauen vermögen. Das ist der kaum merkbare Anfang der Entartung und des Verfalls. Er seht mit einer langsamen Verdummung ein, die eine Folge der allzu unbeweglichen, zu starr gewordenen geistigen Verfassung ist. Und auf den Verfall der Intelligenz folgt bann auch in gewissen Abständen der moralische Verfall. Der gleiche Vorgang spielt sich auch bei Völkern ab. Völker, die neue Ideen nicht mehr zu begreifen vermögen, sind dem Absterben geweiht. Eine einbrechende Verdummung macht sie unfruchtbar, für eine neue, veränderte, erweiterte und erhöhte Lebensepoche der Geschichte nicht mehr ge­ eignet. In sich selbst befangen, schließen sie sich von dem Fortgänge der Geschichte selber aus. Das wird vermutlich die Stellung Frank­ reichs zu dem neuen geschichtlichen Gedanken des Weltbundesstaates sein. Ganz und gar in ihrer Nattonalität und deren abgeschlossener Form befangen, können die Franzosen anderen Nationen nicht die Gleichberechtigung zuerkennen. Nur unterjochen können sie oder glauben sie zu können. Und damit versäumen sie den großen geschichllichen Augenblick. An der Wasserscheide der geschichtlichen Entwicklung, bei dem Übergange zu einer neuen Hochebene des ge­ schichtlichen Lebens gleiten sie rückwärts und abwärts. Denn ein Beharren gibt es in dem ununterbrochenen Fluß der Geschichte nicht. Die über sie gekommene Verdummung und geistige Verhärtung macht sie zu dieser neuen Lebensform unfähig.

Anders steht es voraussichtlich mit England. Bei England ist es nicht unbedingt ausgeschlossen, nicht von vornherein unmöglich, -aß es diesem neuen geschichtlichen Gedanken Verständnis entgegen­ bringt. Denn wenn England den freien und kühnen Entschluß saßt, die Hand zur Schaffung eines großgermanischen Weltstaates zu bieten, dann wäre für England die Gefahr gebannt, die es heute schwanken und zögern läßt, seiner Politik eine so unsichere und unklare Haltung gibt, nämlich daß Deutschland sich neuerdings wieder zu einer Gegner­ schaft und Rivalität England gegenüber wirtschaftlich und politisch erhöbe. Dann könnte England, dieser Besorgnis, die es heute noch beunruhigt, entledigt, die in seinem eigenen tiefsten Interesse liegende Politik entschlossen einschlagen, bewußt und ohne Schwanken eine Politik betreiben, die es an die Seite Deutschlands rückt. Wenn das aber wirklich geschähe, wenn England sich die ger­ manischen Staaten des europäischen Festlandes in einem groß­ germanischen Weltstaate enger angliederte, wenn England hierzu den geistigen Weitblick und die Schwungkraft des Willens besäße — so wird man vielleicht einwenden — würde es nicht eben damit die von Deutschland drohende Gefahr der wirtschaftlichen und politischen Rivalität erst recht für sich herausbeschwören? In dem neuen großen Staatsverbande völlig gesichert, müßte das deutsche Volk mit seiner angeborenen Kraft seine wirtschaftliche Entfaltung bis zur Überflügelung der englischen Wirtschaft steigern. Und was es po­ litisch mit Trabanten für eine Bewandtnis habe, hätte ich soeben selbst noch ausgesprochen: Trabanten verweigern eines Tages den Gehorsam, wenn sie sich durch das Gefolgschastsverhältnis genügend gestärkt haben; dann stellen sie sich aus sich selbst. Mit der neuen Ordnung sei das Verhältnis zwischen England und Deutschland erst wahrhaft gefährdet und zum Scheitern bestimmt. Denn dann hätte England Deutschland gleichsam wie den Pfahl im eigenen Fleische. Es käme vom Regen in die Traufe. Wir müssen die Verhältnisse völlig durchschauen, sie bis aus den Grund klären, sonst können wir nicht zu gefestigten, zweifelsfreien politischen Urteilen gelangen. Von der wirtschaftlichen Rivalität zwischen England und Deutschland ist vor dem Kriege viel Aufhebens gemacht worden. Beide Völker haben die Rivalität über Gebühr­ beachtet und besprochen, England in Unruhe und Sorge, Deutsch­ land mit wachsendem Hochgefühl. Zu beidem war keine Veranlassung gegeben. Es war naturgemäß, daß die deutsche Wirtschaft nach der jahrhundertelangen Einsperrung und Hemmung der deutschen Kräfte infolge unserer verderblichen politischen Zustände, nunmehr, nach der Aufrichtung eines einheitlichen und starken Staates, mächtig empor-

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schwoll, wuchtig emporschnellte und so sich rascher aufwärts bewegte als die Wirtschaft anderer, schon vorher vom Glück begünstigter Völker. Aber dieser deutsche Aufschwung hat nachweislich keineswegs die anderen Wirtschaftskörper geschädigt, im Gegenteil, er hat sie seiner­ seits befördert und ebenfalls, wenn auch nicht in gleichem Tempo, anwachsen lassen. Die Statistik hat erwiesen, dah die englische Volkswirtschaft vor dem Kriege, weit entfernt etwa infolge der deutschen Konkurrenz eine Abwärtsbewegung zu zeigen, umgekehrt eine ständige und großartige Zunahme erfahren hat. Die englische Wirtschaft im ganzen ist, trotz einzelner entgegengesetzter Erfahrungen, in gewissen Zweigen, wie das nicht verwunderlich ist, durch das Auf­ blühen der mitteleuropäischen Wirtschaft nur gehoben worden. Und denken wir uns die englische und deutsche Wirtschaft in einem großen Weltstaatsgebilde noch näher verbunden, so würden auch dann wohl einzelne Wirtschaftszweige, für die in dem einen oder anderen Lande günstigere Bedingungen gegeben sind, durch die wechselseitige Konkurrenz leiden und zurückgehen. Im großen und ganzen aber würden die Wirtschaften der beiden Länder sich vorzüg­ lich und zu höchstem gegenseitigen Nutzen miteinander einspielen, würden beiderseitig ungeahnt gedeihen. Das steht außer allem Zweifel. Die Welt ist groß und mit dem leisen Erwachen aller außereuropä­ ischen Länder und Völker noch unbegrenzter wirtschaftlicher Erschlie» ßung und Beftuchtung fähig. Die englische und deutsche Wirtschaft ver­ eint würden dieses gemeinsame Werk in dem gemeinsamen groß­ germanischen Bundesstaat wunderbar und zu gegenseitiger reichster Entfaltung und Betätigung vollbringen können, würden den alten Ruhm Europas wahren und, mit den anderen Erdteilen verknüpft, die gesamte Weltwirtschaft in reißende Bewegung bringen. Eng­ land würde, wie das schon jetzt in der englischen Wirtschaft angelegt ist, mehr den Handel innehaben und führen, Deutschland mehr die Industrieproduktion pflegen, ohne damit eine scharfe, gegenseitige Abgrenzung zu bezwecken. Auch in Deutschland würde der Handel gedeihen und in England die industrielle Produktion weiterblühen. Aber im allgemeinen, in den Grundzügen würde diese Verteilung der Aufgaben zu gegenseitiger Ergänzung das Ergebnis der Ver­ einigung sein. Deutschland kann ohne reiche Beteiligung ausländischen Kapitals seine niedergedrückte, schon fast erlahmte Wirtschaft nicht wieder emporbringen. Aber anstatt des wilden Einströmens des Kapitals von aller Herren Ländern, das uns den Grund und Boden unter den eigenen Füßen wegzieht, allen deutschen Besitz als ein unerbetener Gast und Räuber an sich reißt, wäre es wohl angebracht, in diese ftemde Kapitalbeteiligung, die unerläßlich ist und uns selbst 127

nur zum Heile gedeihen kann, Plan, Ordnung und Einheitlichkeit hineinzubringen. Das kann nur durch eine große politische Aktion geschehen, durch die die politischen und wirtschaftlichen Ausgaben unter einen einheitlichen Gesichtspunkt gestellt und in eine gleich­ artige Richtung gelenkt werden. Das kann nur die planmäßige poli­ tische und zugleich wirtschaftliche Verknüpfung mit England leisten. Und wie wirtschaftlich die Angliederung Deutschlands an das englische Staats- und Wirtschaftssystem für England keine Bedrohung bedeutet, so auch politisch nicht. Als Bundesstaat des großgermani­ schen Weltreiches verzichtet Deutschland, wie ich es schon von dem in der Theorie denkbaren vereinigten Festland-Europa mit Bestimmt­ heit gefordert hatte, mit der gleichen Bestimmtheit aus jede See­ macht. Es stellte zu der allgemeinen Wehrmacht des Gesamtreiches ein Kontingent als europäische Landmacht. Solche Landmacht ist als Stütze für England unentbehrlich, wie das oben gezeigt wurde. Das deutsche Militär hat ehemals die Ordnung, die zur wirtschaft­ lichen Arbeit erforderlich ist, in Europa gewährleistet. Frankreichs Heer ist nur ein Werkzeug der Zerstörung, ist es immer gewesen und wird es immer mehr werden, wie sich offenbaren wird. Damit ist England nicht gedient. Das wiederhergestellte deutsche Heer kann allein der europäischen Wirtschaft die stetige Ruhe verschaffen. Im Rahmen und als Glied des großgermanischen Weltbundesstaates hat dieses künftige deutsche Heer, die daraus gestützte politische Macht Deutschlands, jede Gefährlichkeit für England verloren. Denn hier ist es nicht ein loses Trabantenverhältnis, das nur vorübergehende Dauer hat. Sondern ein einheitlicher Staatsorganismus ist aüs der Verbindung hervorgegangen, der alle Glieder zu ihrem eigensten Vorteil, zu ihrem und des großem Gesamtstaates Nutzen verbindet, und zwar zu einem Nutzen, der unverkennbar ist und alsbald auch durch die geschichtliche Entwicklung hell und unzweideutig bewiesen wird, der in die lebendige Erfahrung der Menschen übergehen wird, so daß ein nachträgliches Wiederabspringen ebenso zwecklos wie unmöglich ist. England besitzt mit dieser Neuordnung wahrlich alle Bürgschaften, die es nur erwarten kann, ja, mehr als es jemals erwarten konnte. Aber die Schwierigkeit droht diesem Gedanken gar nicht so sehr vom englischen Volke, wie mir scheint, sondern vom deutschen Volke. Ich habe bisher in meinen Erörterungen alles immer nur vom englischen Standpunkte aus betrachtet und dargestellt. Und das war notwendig. Denn bei politischen Neuerungen, die man anderen nahebringen will, muß man sich ganz und gar in die Lage, die Inter­ essen, die Notwendigkeiten dieser anderen, an die man sich wendet,

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mit denen man eine Verbindung Herstellen will, hineindenken können und es auch tun, wenn man Erfolg erzielen will, Zum Schluß dieses Abschnittes aber müssen wir den Mick nunmehr auch nach Deutschland wenden. Kann denn Deutschland diesen Vorschlag annehmen? Rann Deutschland als selbständiges und freies Volk, das es jetzt zwar nicht ist, aber das doch wieder zu werden es vollen Anspruch erheben darf, auf seine eigene Staatlichkeit und Freiheit verzichten? Rann ihm dieser unerhörte Verzicht gerade dem stolzen England gegenüber zugemutet werden? Ist so etwas nur auszu­ sprechen, nicht als Schmach, als schändlichster Verrat zu brand­ marken? Ist damit nicht die ganze deutsche Geschichte um ihren Sinn gebracht? Wozu der preußische Staat Friedrichs des Großen, die Freiheitskriege, die Reichsgründung Bismarcks, die große deutsche Expansion-- und Arbeitskraft in der nachbismarckschen gelt, der Weltkrieg — wozu all dieses große, herrliche Heldentum, wenn Deutschland zuletzt doch klein beigeben muß, um, seiner eigenen Freiheit und unabhängigen Weltstellung entlleidet, ärmlich un­ kümmerlich in dem englischen Weltreiche, vorausgesetzt daß England überhaupt so etwas will, einem solchen Gedanken überhaupt Raum gibt, zuletzt Zuflucht zu suchen? gst das nicht ein erschütterndes, ja mehr noch klägliches Schauspiel? Man glaube ja nicht, daß ich solchen Gefühlen nicht zugänglich wäre. Die großen nationalen Erinnerungen, der stetige und große Aufstieg Deutschlands bis zum Weltkriege hin bilden die geistige Lust, in der ich zu atmen gelernt habe, enthalten die seelische Stimmung, in der ich noch immer lebe und webe. Richt verraten, sondern vollenden soll die politische Zukunft, die ich anrate, diese erhabene Vergangenheit. Wahre Seelengröße zeigt sich darin, daß man nicht stärker sein will als man wirklich ist. Deutschland hat gemeint, aus eigener Kraft eine Weltmacht werden zu können. Und die erstaun­ lichen Dolkskräste, die es in sich barg, die in wunderbarer Fülle aufschossen, konnten es wohl zu diesem Wahn verführen. Ich will es nicht beschönigen, ich habe diesen Traum einer deutschen Welt­ macht redlich mitgeträumt. Aber eingeklemmt in die Mitte Europas, von zahlreichen abgünstigen und gegen seine Dolkskraft mißtrauischen Völkern umgeben, also auf seinem eigenen Grund und Boden nicht sicher, sondern ringsum bedroht und in Frage gestellt, konnte Deutschland nicht den Flug in die Weite nehmen. Es muhte wie Ikarus mit zerbrochenen Flügeln von der Höhe, die es im ersten hoffnungsreichen Anflug errungen hatte, niederstürzen. Das ist jetzt seine Lage. Und dieses Verhältnis ist dauernd in der unabänder­ lichen Lage der europäischen Dölkerverhältnisse begründet. Ent8etn