Schenkungen in fraudem testamenti: Zur analogen Anwendbarkeit der §§ 2287, 2288 BGB beim gemeinschaftlichen Testament. Zugleich ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments im Bürgerlichen Gesetzbuch [1 ed.] 9783428518234, 9783428118236

Verschenkt der Überlebende sein Vermögen zu Lebzeiten, so wird der Vertragserbe beim Erbvertrag über die §§ 2287, 2288 B

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German Pages 192 Year 2005

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Schenkungen in fraudem testamenti: Zur analogen Anwendbarkeit der §§ 2287, 2288 BGB beim gemeinschaftlichen Testament. Zugleich ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments im Bürgerlichen Gesetzbuch [1 ed.]
 9783428518234, 9783428118236

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Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 335

Schenkungen in fraudem testamenti

Von Philipp Sticherling

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

PHILIPP STICHERLING

Schenkungen in fraudem testamenti

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 335

Schenkungen in fraudem testamenti Zur analogen Anwendbarkeit der §§ 2287, 2288 BGB beim gemeinschaftlichen Testament Zugleich ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments im Bürgerlichen Gesetzbuch

Von Philipp Sticherling

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Sommersemester 2004 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-11823-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel im Sommersemester 2004 als Dissertation angenommen. Ein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Jörn Eckert. Ihm verdanke ich die Anregung für die Bearbeitung des gewählten Themas. Er stand mir stets als wertvoller Gesprächspartner zur Verfügung und lieferte nicht zuletzt durch die Beschäftigung an seinem Lehrstuhl hervorragende äußere Bedingungen für die Anfertigung der Arbeit. Herrn Prof. Dr. Werner Schubert danke ich für die hilfsbereite Unterstützung bei der Materialiensuche und die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Prof. Dr. Hans Hattenhauer und Frau Priv.-Doz. Dr. Ina Ebert danke ich für zahlreiche Gespräche und Anregungen. Frau Dr. Christiane Chlosta, Herrn Dr. Sven-Helge Gold und Herrn Dr. Joachim Steinbeck danke ich für die kritische Durchsicht des Manuskripts. Meiner lieben Frau Stefanie danke ich von Herzen. Sie hat mich in allen Phasen der Arbeit geduldig und aufmunternd unterstützt. Nicht groß genug kann der abschließende Dank für meine lieben Eltern sein. Ihnen habe ich sehr vieles zu verdanken. Hamburg, Februar 2005

Philipp Sticherling

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Methodentheoretischer Teil

15

21

A. Bedeutung der historischen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Historische Auslegung und objektiv-teleologische Kriterien . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsstand in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 21 23 25 27 30

B. Voraussetzungen richterlicher Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

Teil 1 Schenkungen nach dem Tod eines Ehegatten

37

A. Überblick über den derzeitigen Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

B. Vorliegen einer Gesetzeslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unvollständigkeit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Richterrecht und Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Planwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grammatische und systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Historische Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Testament und Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Römisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entdeckung der Verfügungsmacht und gesetzliches Familienerbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vergabungen auf den Todesfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gemeinschaftliches Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) testamentum simultaneum . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39 39 40 43 43 45 46 47 47 49 49 51 57 58 71 72

10

Inhaltsverzeichnis (b) testamentum reciprocum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) pactum de non revocando und testamentum correspectivum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zusammenfassende Bewertung (Testament und Erbvertrag) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schenkungen in fraudem pacti und testamenti . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeines Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schenkungen in fraudem pacti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schenkungen in fraudem testamenti . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ältere Einheitslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Trennungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Einheitslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Preußisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schenkungen in fraudem pacti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schenkungen in fraudem testamenti . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Sächsisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassende Bewertung (Schenkungen in fraudem pacti und testamenti) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Arbeiten der ersten Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorbereitende Sitzungen vom 26. und 28. September 1877 aa) Vorlage Nr. 4/1877 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beschlüsse der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teilentwurf zum Erbrecht (1879) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Revidierter Teilentwurf von 1886 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beratungen der ersten Kommission – Erster Entwurf . . . . . . e) Kritik am ersten Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Arbeiten der zweiten Kommission – Zweiter Entwurf . . . . . . . . a) Beratung der Vorschriften über den Erbvertrag . . . . . . . . . . . b) Beratung der Vorschriften über das gemeinschaftliche Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beschränkte Zulassung des gemeinschaftlichen Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Korrespektivität des gemeinschaftlichen Testaments . . . c) Erste Reaktionen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung und Bewertung der historischen Auslegung . . . . aa) Kein Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der „Wille des Gesetzgebers“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beredtes Schweigen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens . . . . . . . . . 3. Berücksichtigung objektiv-teleologischer Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeinsamkeiten und Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die ablehnende Auffassung von Kricke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76 77 94 97 98 98 100 100 102 104 105 105 106 108 110 111 111 112 112 115 117 120 122 127 136 136 140 140 141 148 152 152 153 153 156 158 158 159

Inhaltsverzeichnis bb) Die vermittelnde Auffassung von Fleischmann . . . . . . . . . . . . . . cc) Die herrschende Meinung – Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ergebnis zur Berücksichtigung objektiv-teleologischer Kriterien . . . 4. Ergebnis zur Planwidrigkeit – Analogieschluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 161 162 167 167

C. Zusammenfassendes Ergebnis zum Teil 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

Teil 2 Annex: Schenkungen vor dem Tod eines Ehegatten

169

A. Überblick über den derzeitigen Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 B. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

Abkürzungsverzeichnis* AGB AK BayObLGZ Begr. bzw. CMBC Cod. Dig. EI E I-VorlZust

E I-ZustRedKom

E II E II rev. F.A.Z. Inst. KE LPartG MietRRG MünchKomm OAG OT PrOT PrOTE

Allgemeines Gesetzbuch für die Preußischen Staaten Alternativ-Kommentar auch: Sammlung von Entscheidungen des obersten Gerichtshofes für Bayern in Gegenständen des Civilrechts und Civilprozeßrechts Begründer beziehungsweise Codex Maximilianeus Bavaricus Civlis Codex Digesten sog. erster BGB-Entwurf (1888) BGB-Entwurf in der Paragraphenzählung des E I nach der „Vorläufigen Zusammenstellung der Beschlüsse der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs“ von Planck (1891–1895) BGB-Entwurf in der Paragraphenzählung des E I nach der „Zusammenstellung der Beschlüsse der Redaktions-Kommission“ der zweiten Kommission (1891–1895) sog. zweiter BGB-Entwurf (1894, 1895) sog. Bundesratsvorlage (1895) Frankfurter Allgemeine Zeitung Institutionen BGB-Entwurf in der Fassung der ersten Beratung der ersten Kommission (1884–1887; sog. Kommissionsentwurf) Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsgesetz) Mietrechtsreformgesetz Münchner Kommentar zum BGB Oberappellationsgericht Obertribunal Preußisches Obertribunal Entscheidungen des PrOT (amtliche Entscheidungssammlung)

* Nicht aufgeführte Abkürzungen entsprechen Kirchner/Butz, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 5. Aufl., Berlin 2003. Hochgestellte Zahlen in den Fußnoten nach Verfasser, Herausgeber oder Werk zeigen die Auflage des zitierten Werks an. Die Namen der unmittelbar zitierten Verfasser sind kursiv hervorgehoben. Eckige Klammern zeigen Anmerkungen oder Auslassungen des Verfassers in Zitaten an.

Abkürzungsverzeichnis RheinMusJur SächsBGB scil. sen. sog. Striethorst TE-ErbR TE-ErbR rev. u. a. v. z. B. z. T. Ziff. zit.

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Rheinisches Museum für Jurisprudenz Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Sachsen scilicet senior sogenannte, sogenannten; sogenannter; sogenanntes Archiv für Rechtsfälle, die zur Entscheidung des königlichen Ober-Tribunals gelangt sind, hrsg. von Theodor Striethorst Teilentwurf zum Erbrecht von Schmitt (1879) revidierter Teilentwurf zum Erbrecht von Schmitt (1886) und andere (Orte); unter anderem/anderen vom zum Beispiel zum Teil Ziffer zitiert

Einleitung Die wohl geläufigste Erscheinungsform des gemeinschaftlichen Testaments ist die des sog. Berliner Testaments.1 Dem Tatbestand des § 2269 Abs. 1 BGB entsprechend setzen sich Ehegatten – seit dem 1. August 2001 auch Lebenspartner2 – gegenseitig als Erben ein und bestimmen, „daß nach dem Tode des Überlebenden der beiderseitige Nachlaß an einen Dritten fallen soll.“3 Hierzu bieten sich zwei Gestaltungsmöglichkeiten: (1) Entweder setzen sich die Ehegatten gegenseitig als (befreite) Vorerben ein, und der Dritte wird von jedem Ehegatten als Nacherbe sowie für den Fall, daß der andere Ehegatte zuerst versterben sollte, als Erbe eingesetzt (sog. Trennungslösung). (2) Oder die gegenseitige Erbeinsetzung erfolgt unbeschränkt, und der Dritte wird von den Ehegatten jeweils – der Auslegung des § 2269 Abs. 1 BGB folgend – allein für den Fall als Erbe eingesetzt, daß der andere Ehegatte zuerst versterben sollte (sog. Einheitslösung). In beiden Fällen treffen die Ehegatten ihre Verfügungen regelmäßig im Hinblick auf diejenigen des anderen (vgl. § 2270 BGB). Insbesondere bei der Einheitslösung gilt dies nicht nur für die gegenseitige Erbeinsetzung, sondern auch für die ersatzweise Erbeinsetzung des Dritten. Erfolgen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament im Sinne des § 2270 BGB qualifiziert (korrespektiv, wechselbezüglich), entfaltet das Testament gewisse Bindungswirkungen: (1) Nach den allgemeinen Regeln können korrespektive Verfügungen eines Ehegatten nur noch von beiden Ehegatten gemeinsam widerrufen werden.4 Ein einseitiger Widerruf ist zu beider Lebzeiten allein nach den für den Rücktritt vom Erbvertrag geltenden Vorschriften des 1 Stöcker FamRZ 1971, 609, 612 kommt nach einer vom Bundesministerium der Justiz veranlaßten Meinungsumfrage aus dem Jahre 1970 zu dem Ergebnis, daß etwa drei Viertel aller Verfügungen von Todes wegen Berliner Testamente seien. Vgl. aus der aktuellen Tagespresse Flick/Oerzen F.A.Z. vom 15.06.2003 S. 22. 2 Vgl. § 10 Abs. 4 LPartG. 3 Sehr richtig zum Begriff des Berliner Testaments Färber S. 47; vgl. danach auch Sticherling JuS 2002, 1248 mit zahlreichen Nachweisen zur differierenden Terminologie im Schrifttum (insoweit ergänzend für das dieser Arbeit zugrunde gelegte Begriffsverständnis von „Färber und Co.“: Gursky3 S. 46 f.; Harder/Kroppenberg5 Rn. 183 ff.; Sarres ZEV 2003, 232, 233; Werner Jura 2003, 410, 411 und jetzt auch Edenhofer in Palandt63 § 2269 Rn. 2). 4 Vgl. nur Edenhofer in Palandt63 § 2271 Rn. 2.

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Einleitung

§ 2296 BGB möglich (vgl. § 2271 Abs. 1 BGB). Der Widerruf hat danach ausschließlich durch notariell beurkundete Erklärung gegenüber dem anderen Ehegatten zu erfolgen (vgl. § 2296 Abs. 2 BGB). (2) Mit dem Tod des anderen Ehegatten entfällt auch diese Widerrufsmöglichkeit; der Überlebende kann nunmehr jedoch seine korrespektiven Verfügungen – beim Berliner Testament die ersatzweise Erbeinsetzung des Dritten – aufheben, wenn er das ihm vom anderen Ehegatten Zugewendete ausschlägt (vgl. § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB). (3) Nach Annahme der Zuwendung oder Verstreichenlassen der Ausschlagungsfrist kann der überlebende Ehegatte die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments dann nicht mehr ohne weiteres überwinden.5 Dieser stufenweisen Steigerung testamentarischer Bindung steht die lebzeitige Verfügungsfreiheit der korrespektiv verfügenden Ehegatten gegenüber. Auf keiner Stufe wird diese Freiheit durch die Vorschriften über das gemeinschaftliche Testament eingeschränkt. Selbst sog. Schenkungen in fraudem testamenti 6 ist der Gesetzgeber wenigstens nicht ausdrücklich entgegengetreten. Solange der andere Ehegatte lebt, werden sich solche Schenkungen in der Regel in Grenzen halten. Andernfalls kann der andere Ehegatte bei Kenntnis derartiger Schenkungen durch Widerruf seiner letztwilligen Verfügungen oder durch Schenkungen seinerseits angemessen reagieren. Nach dem Tod des anderen Ehegatten besteht für den Überlebenden oftmals ein gesteigertes Bedürfnis freigebiger Zuwendungen. Bei der Trennungslösung ist der Dritte zwar vor unentgeltlichen Verfügungen des Überlebenden durch die Vorschriften der Vor- und Nacherbfolge geschützt (vgl. insbesondere § 2113 Abs. 2 BGB). Dieser Schutz erstreckt sich jedoch nur auf das ererbte Vermögen; über das ursprünglich eigene Vermögen kann der Überlebende weiterhin frei verfügen.7 Bei der Einheitslösung ist die Verfügungsfreiheit des Überlebenden überhaupt nicht eingeschränkt. 5 Hat er sich weder die Aufhebung noch die Änderung der korrespektiven Verfügung vorbehalten, ist der Überlebende auf eine einvernehmliche Lösung (§ 2352 S. 1 BGB) mit dem bindend bedachten Dritten angewiesen, falls nicht Verfehlungen des Dritten (§ 2271 Abs. 2 S. 2 BGB i. V. m. §§ 2294, 2333 ff. BGB), Verschwendung oder Verschuldung des Dritten (§ 2271 Abs. 3 BGB i. V. m. §§ 2289 Abs. 2, 2338 BGB) eine Aufhebung bzw. Beschränkung rechtfertigen. Darüber hinaus wird nach ganz überwiegender Auffassung (jüngst unter Berücksichtigung historischer Argumente einschränkend und insgesamt kritisch Iversen ZEV 2004, 55 f.) in den Fällen der §§ 2078, 2079 BGB eine Anfechtung der korrespektiven Verfügung zugelassen (§§ 2281 ff. BGB analog; spätestens seit RGZ 87, 95, 98 ständige Rechtsprechung; vgl. allein Edenhofer in Palandt63 § 2271 Rn. 27 mit weiteren Nachweisen; gegen die Anlogie und für eine direkte Anwendung der §§ 2078 ff. BGB: Kricke S. 33 ff.). Zusammenfassend zur Überwindung testamentarischer Bindung Dohr MittRhNotK 1998, 381, 409 ff. 6 In Anlehnung an PrOTE 46, 93, 93 (Leitsatz Nr. 2), 99 (04.10.1861). 7 Abgesehen davon wird der Schutz durch die Vorschriften der Vor- und Nacherbfolge beim Berliner Testament dadurch relativiert, daß der Nacherbe zugleich Erbe

Einleitung

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Beim Erbvertrag hat der Gesetzgeber versucht, die Antinomie zwischen lebzeitiger Verfügungsfreiheit und erbrechtlicher Bindung durch die Vorschriften der §§ 2287, 2288 BGB zum Ausgleich zu bringen. Die herrschende Meinung wendet diese Vorschriften auch beim gemeinschaftlichen Testament an.8 Dabei wird der Anwendungsbereich der §§ 2287, 2288 BGB zumeist auf Schenkungen des überlebenden Ehegatten nach dem Tod des anderen beschränkt.9 Bislang fand dieser Rückgriff auf die erbvertraglichen Vorschriften nur vereinzelt Kritik.10 Grundlegend für die Meinungsbildung in Rechtsprechung und Literatur äußerte sich bereits wenige Jahre nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs der IV. Zivilsenat des Reichsgerichts.11 Der Senat entschied in einem Fall, dem ein gemeinschaftliches Testament nach der Einheitslösung zugrunde lag, daß die lebzeitige Verfügungsfreiheit des überlebenden nach dem Tod des anderen Ehegatten im Ergebnis nicht unbeschränkt bleiben dürfe. Freilich sei der Überlebende in seiner Verfügungsfreiheit nicht wie ein Vorerbe beschränkt. Insbesondere gelte bei unentgeltlichen Verfügungen nicht die für den Vorerben wegen § 2136 BGB zwingende Vorschrift des § 2113 Abs. 2 BGB. Allerdings finde die Verfügungsfreiheit im Falle des § 2270 BGB ihre Schranke darin, daß „fraudulöse Schenkungen“ im Ergebnis keinen Bestand hätten. Zwar habe das Gesetz die „Unwirksamkeit“12 solcher – auch sog. böslicher – Schenkungen ausdrücklich nur beim Erbvertrag anerkannt. Jedoch sei aufgrund der engen Verwandtschaft zwischen Erbvertrag und korrespektivem Testament13 sowie der völligen Gleichheit der Rechtslage, die zwischen dem durch Erbvertrag gebundenen Erblasser und dem überlebenden Ehegatten bestehe, der das ihm Zugewendete nicht ausgeschlagen habe, kein Grund ersichtlich, der den Gesetzgeber des überlebenden Ehegatten ist (vgl. § 185 Abs. 2 S. 1 Alt. 3 BGB). Beachte ferner § 2113 Abs. 3 BGB. 8 Sowohl im Erbvertrags- als auch im Testamentsrecht sind die §§ 2287, 2288 BGB von ungemein großer praktischer Bedeutung. Im besonderen gilt dies für die Regelung des § 2287 BGB. Als einschlägige Anspruchsgrundlage beherrscht sie die Judikatur zum Erbrecht bis in die jüngste Zeit (siehe auch Schumann § 2287 Rn. 2). 9 Statt vieler zunächst nur Edenhofer in Palandt63 § 2271 Rn. 11 f. und § 2287 Rn. 3. 10 Vgl. aus der neueren Literatur allein Fleischmann S. 8 ff. (1989) und Kricke passim (1991). 11 Vgl. RG, Urt. v. 25.04.1904 – IV 396/03 (auszugsweise veröffentlicht in RGZ 58, 64 ff.). Die nachfolgend im Text wiedergegebene Entscheidung des Reichsgerichts bildete die Grundlage für die Übertragung weiterer Vorschriften aus dem Erbvertragsrecht: §§ 2281 ff. BGB, vgl. RGZ 77, 165, 168; 87, 95, 98 (vgl. dazu oben Fn. 5). 12 Gemeint ist eine Unwirksamkeit im Sinne einer nur vorübergehenden Vermögensverschiebung. 13 Der Senat verwies insoweit auf die Vorschriften zum Berliner Testament und zum diesem entsprechenden Erbvertrag (Krug in Krug/Rudolf/Kroiß § 4 Rn. 19: „Berliner Erbvertrag“, auf diese Bezeichnung wird später im Text auch zurückgegriffen): §§ 2269, 2280 BGB.

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Einleitung

hätte bestimmen können, gerade in der Frage der Schenkungsfreiheit zwischen beiden einen Unterschied zu machen. Die gesetzgeberischen Vorarbeiten würden sogar ausdrücklich das Gegenteil bezeugen.14 Die Untätigkeit des Gesetzgebers wurde lapidar als Versehen oder Indiz für die Selbstverständlichkeit des nach Meinung des Senats zur Anwendung zu bringenden Grundsatzes bewertet: „Entweder beruht es also auf einem bloßen Übersehen, daß § 2287 B.G.B. nicht, gleich anderen Bestimmungen des Erbvertrags, als entsprechend anwendbar erklärt worden ist auch auf korrespektive Testamente, bezüglich deren das Widerrufsrecht erloschen ist (§ 2271), oder es muß angenommen werden, daß nach der Meinung des Gesetzgebers schon der das Gesetz beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben zu demselben Ergebnis nötigt.“

Der IV. Senat führte weiter aus, stehe fest, daß die Verfügungen des einen Ehegatten nicht ohne die des anderen getroffen worden seien, und habe sich der überlebende Gatte durch Nichtausschlagen der Erbschaft an die Erfüllung „der Verfügungen des zuerst verstorbenen [Gatten]“ einmal unwiderruflich gebunden,15 so handle er arglistig, wenn er den Willen des Verstorbenen durch Schenkungen vereitle. Der Beschenkte sei dem Vorwurf der Arglist ausgesetzt, wenn er aus dem Vertrauensbruch des Überlebenden bereichert bleiben wolle. Der Senat knüpfte mit seiner Entscheidung ausdrücklich an die Rechtsprechung des VI. Zivilsenats16 zum vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs geltenden Recht an und wähnte sich ferner im Einklang mit dem weit überwiegenden Teil der Literatur.17 Die relativ schlichte Begründung des Reichsgerichts und die Tatsache, daß die herrschende Meinung – derzeit weitestgehend ohne Berücksichtigung ihrer Kritik18 – die historische Argumentation des IV. Zivilsenats nahezu unkritisch übernommen hat,19 regen zu einer umfangreicheren Untersuchung unter beson14

Verwiesen wurde auf Protokolle S. 458. Gebunden ist der Überlebende aus heutiger Sicht selbstverständlich an seine Verfügung zugunsten des Dritten und nicht an irgendeine Verfügung des anderen Ehegatten. Diese Bindung entspricht allerdings dem Willen des Verstorbenen (vgl. § 2270 BGB). Zu älteren Erklärungs-/Konstruktionsversuchen später noch ausführlich im Text. 16 RGZ 41, 168, 169 f. (05.05.1898) mit weiterem Hinweis auf RG, Urt. v. 11.07.1895 – VI 125/1895. 17 Die Entscheidung enthält insoweit keine Literaturnachweise. Der damalige Meinungsstand in der Literatur wird später ausführlich dargestellt (siehe zum vor dem 01.01.1900 geltenden Recht unten ab S. 97 ff. und zum hier wohl angesprochenen Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs unten S. 148 ff.). 18 Soweit ersichtlich, verweist bisher allein Ebenroth § 3 Fn. 172 auf die Arbeit von Kricke (oben Fn. 10). Die Ausführungen von Fleischmann (ebenda) finden jüngst bei Degert (S. 102; 2001) Berücksichtigung. 19 Stellvertretend für viele Musielak in MünchKomm3 § 2271 Rn. 45. Insoweit besonders beachtenswert auch die „Eigene Stellungnahme“ von Schoeck (S. 89 f.; 1966), der sich monographisch mit der entsprechenden Anwendbarkeit der §§ 2274 ff. BGB beim gemeinschaftlichen Testament beschäftigt hat. 15

Einleitung

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derer Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Vorschriften über das gemeinschaftliche Testament und den Erbvertrag an.20, 21 Die vorliegende Arbeit gliedert sich im wesentlichen in zwei Teile. Der erste Teil bildet den Schwerpunkt der Untersuchung. Beiden Teilen ist ein methodentheoretischer Teil vorangestellt. Im letztgenannten Teil wird auf die nicht unumstrittene Bedeutung der historischen Auslegung eingegangen. Aufbauend auf den Ausführungen dazu, werden die Voraussetzungen richterlicher Rechtsfortbildung herausgearbeitet, insbesondere diejenigen der hier fraglichen Rechtsfortbildung mittels Analogie. Im ersten Teil der eigentlichen Untersuchung wird sodann die bereits erwähnte Grundsatzentscheidung des Reichsgerichts samt der herrschenden Meinung einer umfangreichen Überprüfung unterzogen. Es wird der Frage nachgegangen, ob die Vorschriften der §§ 2287, 2288 BGB zugunsten des korrespektiv bedachten Dritten bei Schenkungen nach dem Tod eines Ehegatten zu Recht Anwendung finden. Dem Titel der Arbeit entsprechend („Schenkungen . . .“) steht hierbei die praktisch bedeutendere Regelung des § 2287 BGB22 im Vordergrund. Den Mittelpunkt der Untersuchung bildet die Erforschung des ursprünglichen gesetzgeberischen Willens. Hat der Gesetzgeber bei seiner mehr oder weniger umfangreichen Verweisungstechnik des § 2271 BGB in das Erbvertragsrecht die Regelungen der §§ 2287, 2288 BGB übersehen? Sah er vielleicht statt dessen – wie vom Reichsgericht in den Raum gestellt – Schenkungen in fraudem testamenti bereits durch den Grundsatz von Treu und Glauben ausreichend verhindert? Oder aber wollte der Gesetzgeber die lebzeitige Verfügungsfreiheit beim gemeinschaftlichen Testament anders als beim Erbvertrag gänzlich unbeschränkt wissen? Im Anschluß an die historische Betrachtung wird die Rechtsstellung der Beteiligten beim Erbvertrag derjenigen beim gemeinschaftlichen Testament gegenübergestellt. Besteht wirklich entsprechend den Ausführungen des Reichsgerichts eine „völlige Gleichheit“ der Rechtslage? Rechtfertigt ein Vergleich der Interessenlagen eine Analogie? Als Annex wird im zweiten Teil der Frage nachgegangen, ob bei Bejahung der fraglichen Analogie nicht konsequenterweise auch eine Analogie zugunsten des Überlebenden bei Schenkungen zu Lebzeiten beider Ehegatten gefordert werden muß. Wenn der Überlebende erst nach dem Tod des anderen Ehegatten von einer fraudulösen Schenkung – zum Beispiel in Form eines Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall (§ 331 BGB) – erfährt, sind seine Reaktionsmöglich20

Eine solche ist bisher noch nicht erfolgt (vgl. noch Schubert Vorlagen I S. XII f.). Vgl. zur oben in Fn. 5 erwähnten Analogie zu den §§ 2281 ff. BGB Iversen ZEV 2004, 55, 56: „Von dem hier aufgezeigten historischen Hintergrund des gemeinschaftlichen Testaments stellt sich aber auch die Frage, ob die Analogie zum Erbvertrag nicht insgesamt kritisch hinterfragt werden sollte.“ 22 Siehe oben Fn. 8. 21

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Einleitung

keiten eingeschränkt. Auf das Recht zum Widerruf kann er nicht mehr verwiesen werden; auch für eine Aufhebung der ersatzweisen Erbeinsetzung des Dritten im Zusammenhang mit einer Ausschlagung des ihm Zugewendeten kann es bereits zu spät sein.

Methodentheoretischer Teil A. Bedeutung der historischen Auslegung I. Historische Auslegung Bei der historischen Auslegung handelt es sich um keine eigenständige Methode der Gesetzesauslegung. Sie ist vielmehr eines von mehreren Elementen eines einheitlichen Auslegungsvorgangs. Die auf dem römischen Recht basierende Methodenlehre Friedrich Carl von Savignys1 kennt neben dem historischen drei weitere Auslegungselemente (canones): das grammatische, das logische und das systematische Element. Mehr oder weniger modifiziert bilden die Savigny’schen canones heute den Kernbestand der juristischen Auslegungsmethode. In der juristischen Methodenlehre2 beginnt die Gesetzesauslegung mit dem aus dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem besonderen Sprachgebrauch des Gesetzes zu entnehmenden Wortsinn (gramatische Auslegung). In einem zweiten Schritt ist die auslegungsbedürftige Norm im Kontext des jeweiligen Gesetzes sowie anderer Gesetze zu sehen (systematische Auslegung). Anschließend ist mit Blick auf die historische Ausgangssituation und die Entstehungsgeschichte der auszulegenden Norm bzw. des gesamten Gesetzes der Wille des Gesetzgebers herauszuarbeiten (historische Auslegung, subjektiv-teleologische Auslegung).3 Darüber hinaus werden Savignys canones vielfach durch sog. objektiv-teleologische Auslegungsriterien erweitert.4 Hierbei soll es sich um „objektive Zwecke des Rechts“ handeln, die sich vornehmlich aus dem Gedanken der Gerechtigkeit ergäben. Besondere Bedeutung wird in diesem Zusammenhang beispielsweise dem Prinzip der Gleichbehandlung des Gleichartigen beigemessen.5

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System I S. 212 ff. Statt vieler zunächst nur Larenz6 S. 312 ff. und Larenz/Canaris3 S. 133 ff. 3 Teilweise wird zwischen historischer und genetischer Auslegung differenziert: Während bei der historischen mit den Vorläufervorschriften als „Normtexten“ gearbeitet werde, würden bei der genetischen Auslegung „Nichtnormtexte“ aus der Entstehungsgeschichte, dem äußeren und inneren Gesetzgebungsverfahren, herangezogen (Müller7 Rn. 360; siehe auch Alexy3 S. 291 ff. und Engisch9 Kapitel IV Fn. 40; vgl. sogleich im Text). 4 Vgl. insbesondere Larenz6 S. 333 ff. und Larenz/Canaris3 S. 153 ff. 5 Vgl. Larenz6 S. 334 und Larenz/Canaris3 S. 155. 2

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Methodentheoretischer Teil

Die historische Auslegung bedient sich sämtlicher Mittel historischer Forschung. Alles Material ist verwertbar, das möglicherweise Schlüsse auf die dem Gesetz oder der einzelnen Norm selbst nicht oder nicht zureichend entnehmbaren, dem Gesetz bzw. der Norm aber zugrundeliegenden Vorstellungen, Wertungen und Zwecke zuläßt. Als historische Auslegung im weiteren Sinne läßt sich eine Auslegung mit Blick auf die historische Ausgangssituation bezeichnen.6 Hierbei wird neben dem faktischen Zustand insbesondere auf den rechtlichen Zustand vor Erlaß des Gesetzes abgestellt. Neben dem Kontext mit den übrigen Normen der historischen Rechtsordnung sind dabei insbesondere die Vorläufervorschriften zu betrachten. Als weitere Erkenntnisquelle dient die eigentliche Entstehungsgeschichte des Gesetzes.7 Sie umfaßt das äußere und innere Gesetzgebungsverfahren: den Anlaß des Gesetzes, die gesamten Vorstufen des schließlich beschlossenen Gesetzes, wie wissenschaftliche Vorarbeiten, Vorentwürfe und deren Veränderungen, sowie parlamentarische Beratungen. Sogar private wissenschaftliche Arbeiten einzelner Personen, die an der Abfassung des Gesetzestextes beteiligt waren, können Verwendung finden.8 All diese Zeugnisse, die allgemein als Gesetzesmaterialien bezeichnet werden, sind selbst wiederum vor dem Hintergrund der historischen Ausgangssituation zu interpretieren. Neben den Vorläufervorschriften kann insbesondere der Rechtsprechung zum alten Recht und dem damaligen Stimmungsbild in der Literatur eine besondere Bedeutung beizumessen sein. Dies gilt namentlich dann, wenn Gesetzesverfasser bzw. Gesetzgeber von der alten Rechtslage ersichtlich beeinflußt waren, wenn das Gesetz von der alten Rechtslage abweichen oder dieser entsprechen sollte.9 Mit dem Alter eines Gesetzes gewinnt seine historische Auslegung an Bedeutung. Die historische Auslegung dient dann vielfach nicht mehr allein dem Ziel, den Willen des Gesetzgebers zu ermitteln, sie wird ferner zum notwendigen Hilfsmittel grammatischer und systematischer Auslegung. Hat sich seit Erlaß des Gesetzes das Sprachverständnis oder haben sich die sozialen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gewandelt, so ist ein Rückblick auf die Zeit seiner Entstehung für die Auslegung unumgänglich: Wer ein älteres Gesetz verstehen will, muß die Sprache des historischen Gesetzgebers kennen und die Problemstellung, auf die das Gesetz einmal als Antwort konzipiert wurde.10 Mit dem zunehmenden Tempo gesellschaftlicher Veränderungen gewinnt die historische 6

So auch Vogel S. 128. Oftmals als „genetische Auslegung“ bezeichnet (vgl. nur oben Fn. 3 und Vogel S. 128). 8 Bydlinski2 S. 449 (mit Beispiel zu § 1074 ABGB auf S. 452). 9 Vgl. zum ganzen Absatz: Bydlinski2 S. 449; Larenz6 S. 330; Larenz/Canaris3 S. 151. 10 Vgl. Baden in Rödig S. 369, 396 ff. Vergleichbar auch Coing Methodenlehre S. 32 sowie neuerdings wieder Rüthers Rn. 787 mit Hinweis auf die Auslegungslehre in den übrigen Textwissenschaften und entsprechenden Nachweisen (siehe insoweit grundlegend für die philosophische Hermeneutik Gadamer6 S. 368 ff., 375 ff.). 7

A. Bedeutung der historischen Auslegung

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Auslegung noch einmal mehr an Bedeutung.11 Über die Frage, wie weit die Bedeutung der historischen Auslegung im Gefüge der einzelnen canones bzw. im Hinblick auf objektiv-teleologische Kriterien reicht, konnte bislang keine Einigkeit erzielt werden.

II. Historische Auslegung und objektiv-teleologische Kriterien Das Stimmungsbild der modernen Auslegungslehre wird noch immer durch den alten Streit zwischen subjektiver und objektiver Auslegungstheorie bestimmt. Ursprünglich beinhaltete diese Kontroverse die Frage nach dem Ziel der Gesetzesauslegung. Die Vertreter der subjektiven Theorie wollten den Willen des Gesetzgebers ermitteln. Hierzu sollten insbesondere die Gesetzesmaterialien dienen. Der Wille des Gesetzgebers sollte in der Regel dem seiner Verfasser entsprechen (sog. Paktentheorie12). Der objektiven Theorie lag der Gedanke zugrunde, das Gesetz reiße sich mit seiner Publikation vom Gesetzgeber los und sei fortan selbständig.13 Daher sei nicht der Wille des Gesetzgebers das Ziel der Gesetzesauslegung, sondern der dem Gesetz selbst innewohnende Sinn und Zweck.14 Namentlich Philipp Heck15 sortierte und benannte die Argumente der objektiven Theorie in seiner umfangreichen Gegenargumentation.16 Mit dem Willensargument wurde gegenüber der subjektiven Theorie der Vorwurf erhoben, die historische Forschung nach dem Willen des Gesetzgebers habe bei modernen konstitutionellen Gesetzen keinen Sinn, da es an einem willensfähigen Gesetzgeber fehle. Das Formargument zielte darauf ab, daß nur die in Gesetzesform eingekleideten Worte Gesetzesmacht haben könnten. Es sei daher unzulässig, mit Hilfe sonstigen Materials einen dem Wortlaut des Gesetzes widersprechenden Inhalt zu gewinnen. Das Vertrauensargument ging dahin, eine historische Auslegung gefährde die Rechtssicherheit. Den „Rechtsuntertanen“ stünde das historische Material nicht zur Verfügung. Mit dem Ergänzungsargu11

Vgl. bereits Hattenhauer Kritik S. 85 (1970). Grundlegend Wächter Saxonica S. 46 ff. (insbesondere S. 50 ff.; 1835); vgl. auch Wächter Abhandlungen S. 79 ff. (1835). Dazu sogleich näher unter Ziff. 2 und 3 im Text. 13 So die Formulierung von Thöl S. 150 (1851). K. Binding S. 454 (1885): „Mit dem Momente der Gesetzespublikation [. . .] verschwindet mit einem Schlage der ganze Unterbau von Absichten und Wünschen des geistigen Urhebers des Gesetzes, ja des Gesetzgebers selbst: und das ganze Gesetz ruht von nun an auf sich, gehalten durch die eigene Kraft und Schwere, erfüllt von eigenem Sinn [. . .].“ 14 „Wille des Gesetzgebers“ versus „Wille des Gesetzes“; zum Theorienstreit Engisch9 S. 106 ff. Einen Überblick über die historische Entwicklung des Streits liefert Mennicken S. 19 ff. 15 Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914 = AcP 112 (1914) 1 ff. 16 Vgl. insoweit Heck AcP 112 (1914) 1, 67 f. 12

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ment schließlich wurde das Bedürfnis zur Fortbildung des Rechts betont. Oftmals reiche der historische Wille zur Befriedigung der Lebensverhältnisse nicht aus. Die von Heck zusammengestellten Argumente finden sich in abgewandelter Form auch in der heutigen Diskussion über die Gesetzesauslegung wieder. Der Kern des alten Theorienstreits hat sich allerdings mittlerweile verlagert. Soweit die objektive Theorie im ursprünglichen Sinne in der neueren Literatur17 immer wieder als Gegenposition aufgebaut wird, scheint es sich hierbei nur noch um didaktische Gründe moderner Subjektivisten zu handeln. Sie wird in ihrer Ursprungsform nicht mehr vertreten, auch nicht von der Rechtsprechung.18 Streitgegenstand ist heute nicht mehr so sehr das Ziel der Gesetzesauslegung. Als solches ist ganz allgemein formuliert die ratio legis, der Normzweck, das Telos anerkannt.19 Gestritten wird nunmehr über den Weg zu diesem Ziel, insbesondere über die Bedeutung der historischen Auslegung im Gefüge der klassischen canones und objektiv-teleologischer Kriterien. Der Streit zwischen subjektiver und objektiver Theorie – so man die Benennung beibehalten möchte – ist damit kein Streit mehr über Alternativen, sondern lediglich noch über die Auslegungselemente und ihre Gewichtung (sog. Rangfolgenstreit).20,21 Als Vertreter einer subjektiven Auslegungstheorie lassen sich heute diejenigen bezeichnen, die Argumenten aus der Entstehungsgeschichte und somit der historischen Auslegung den Vorrang vor objektiv-teleologischen Kriterien einräumen. Teilweise werden die objektiv-teleologischen Kriterien sogar gänzlich aus dem Bereich der Gesetzesauslegung verbannt. Einer (modernen, soll heißen: gemäßigten) objektiven Theorie lassen sich nunmehr diejenigen zuordnen, die eine feste Rangfolge der einzelnen canones ablehnen oder zumindest den Vorrang der historischen Auslegung gegenüber objektiv-teleologischen Kriterien dadurch zurücknehmen, daß Aussagen aus den Gesetzesmaterialien nur ein Mindestmaß an Verbindlichkeit beigemessen wird. Im letzteren Fall läßt sich der „Rangfolgenstreit“ auf unterschiedliche Vorstellungen der Vertreter von subjektiver und objektiver Theorie über den „Wert der Vorarbeiten zum Gesetz als Auslegungsmittel“ zurückführen (sog. Materialienproblem).22 Siehe nur Rüthers Rn. 796 ff. und Säcker in MünchKomm4 Einleitung Rn. 65. Irreführend beispielsweise Heinrichs in Palandt63 Einleitung Rn. 50; hierzu sogleich im Text unter Ziff. 1. 19 Vgl. etwa Bydlinski2 S. 436 mit weiteren Nachweisen. 20 Sehr deutlich Müller7 Rn. 442 ff.; Bydlinski 2 S. 428 ff. (insbesondere S. 430 a. E.); Koch/Rüßmann S. 176 ff.; Kriele2 S. 85 ff.; vgl. auch Alexy3 S. 19 und Engisch9 S. 120. 21 Savigny System I S. 215 hatte für seine canones bewußt keine Rangfolge aufgestellt: „Es sind also nicht vier Arten der Auslegung, unter denen man nach Geschmack und Belieben wählen könnte, sondern es sind verschiedene Thätigkeiten die vereinigt wirken müssen, wenn die Auslegung gelingen soll. Nur wird freylich bald die eine, bald die andere wichtiger seyn und sichtbar hervortreten [. . .].“ 22 Diesen Streitgegenstand filtert auch Hassold ZZP 1981, 192, 193 aus der Diskussion. 17 18

A. Bedeutung der historischen Auslegung

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1. Meinungsstand in der Rechtsprechung Der Meinungsstand in der Rechtsprechung ist insbesondere im Hinblick auf die Regelung des § 31 Abs. 1 BVerfGG von besonderer Bedeutung. Sollte eine Aussage des Bundesverfassungsgerichts über die Rangfolge der canones oder zumindest eine solche über den Wert der Gesetzesmaterialien existieren, so könnte diese für die Fachgerichte verbindlich sein.23 Eine solche Aussage läßt sich derzeit nicht feststellen, zumindest nicht als verbindliche Entscheidung im Sinne des § 31 Abs. 1 BVerfGG.24 Eindrucksvoll kurz faßte ein Präsident des Bundesverfassungsgerichts die methodischen Grundsätze seines Gerichts zusammen: „Ach wissen Sie, bei uns hat jeder Fall seine eigene Methode.“25 Diese Aussage korrespondiert mit der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, die Verfassung schreibe keine bestimmte Methode der Gesetzesauslegung vor.26 Eine Durchsicht der Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen zur Methode der Gesetzesauslegung bestätigt die Methodenvielfalt des obersten Bundesgerichts. Zwar entschied sich das Bundesverfassungsgericht in einer seiner ersten Entscheidungen für die (gemäßigte) objektive Theorie.27 Danach sollte für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift der in dieser zum Ausdruck kommende „objektivierte Wille des Gesetzgebers“ maßgebend sein, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und aus dem Sinnzusammenhang ergebe, in den diese hineingestellt sei. Die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder sollte dagegen nicht entscheidend sein. Der Entstehungsgeschichte komme nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit der nach den sonstigen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigen oder Zweifel beheben könne. Diese im Ansatz kontrollierbare Rangfolge mit untergeordneter Bedeutung historischer Argumente findet sich immer wieder in den methodentheoretischen Grundsatzaussagen des Bundesverfassungsgerichts.28 Diese Aussagen ähneln den begriffsjuristisch geprägten frühen Äußerungen des Reichsgerichts zur Gesetzesauslegung.29 In der Ent23 Die Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG erstreckt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf den Tenor und die „tragenden Gründe“ (vgl. BVerfGE 79, 256, 264 mit weiteren Nachweisen). Die Gegenmeinung in der Literatur beschränkt die Bindungswirkung auf den konkreten Streitgegenstand. Vermittelnd Kriele2 S. 291 ff. 24 Anders etwa Vogel S. 113 und Bleckmann JuS 2002, 942 ff. (dagegen sogleich im Text). 25 Mitgeteilt von Rüthers Rn. 704. 26 BVerfGE 88, 145, 166 f. 27 BVerfGE 1, 299, 299 f. (Leitsatz Nr. 2), 312 (21.05.1952). Siehe daneben ferner mit klarem Bekenntnis zur objektiven Theorie BVerfGE 11, 126, 130 (17.05.1960). 28 Siehe nur Müller7 Rn. 25 f. mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und unlängst Bleckmann JuS 2002, 942, 943.

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scheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts läßt sich teilweise jedoch eine andere Gewichtung feststellen als in seinen Grundsatzaussagen. Nicht selten hat das oberste Bundesgericht gerade die Argumente aus der Entstehungsgeschichte ohne nähere Begründung zu den allein entscheidenden gemacht.30 Stellt das Bundesverfassungsgericht Regeln zur Methode der Gesetzesauslegung auf, so hat es diese selbst konsequent zu beachten, wenn die Regeln für die weitere Rechtsprechung wegen § 31 Abs. 1 BVerfGG verbindlich sein sollen. Denn auch für das Bundesverfassungsgericht gilt der einprägsame Satz von Martin Kriele: „Wird eine methodische Regel mal befolgt und mal nicht befolgt, so bedeutet das, daß sie nicht gilt.“31 Der Bundesgerichtshof hat bisher versucht, der in sich widersprüchlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu folgen. Dementsprechend bekannte sich auch der Bundesgerichtshof zu einer gemäßigten objektiven Auslegungstheorie und stellte im Sinne des Bundesverfassungsgerichts auf den „objektivierten Willen des Gesetzgebers“ ab. Dieser wurde anhand der klassischen Auslegungselemente zuzüglich objektiv-teleologischer Kriterien ermittelt. Der Gerichtshof hat es entsprechend dem Bundesverfassungsgericht nicht geschafft, der untergeordneten Bedeutung gerecht zu werden, die das oberste Bundesgericht der historischen Auslegung in seinen Aussagen zur Methodentheorie beimißt. Auch in der Spruchpraxis des Bundesgerichtshofs wurde die Entstehungsgeschichte immer wieder dann maßgeblich herangezogen, wenn aus ihr Wesentliches für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift zu entnehmen war.32 In einer neueren Entscheidung hat sich der Bundesgerichtshof sogar ausdrücklich einer Bemerkung in den Gesetzesmaterialien verbunden gefühlt und dementsprechend 29 Siehe die berühmt gewordene Eisenbahnentscheidung, RGZ 1, 247, 250 f. (17.03.1879): Subjektive Ansichten einzelner am Gesetzgebungsverfahren Beteiligter seien „von keinem entscheidenden Gewicht gegenüber den Konsequenzen der richterlichen Auslegung des Gesetzes aus dessen Worten, Normzusammenhang, Grundprinzipe und Endzwecke“, und der Zweck solle maßgeblich aus dem Normzusammenhang und nur beschränkt aus den Motiven des Gesetzesentwurfs und den Erklärungen der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten hergeleitet werden. 30 Müller7 Rn. 27 ff. wieder mit Nachweisen; vgl. Bleckmann JuS 2002, 942, 945 ebenso mit Nachweisen. Rüthers Rn. 800 spricht daher von einem Lippenbekenntnis des Bundesverfassungsgerichts zur objektiven Theorie. Nach Säcker in MünchKomm4 Einleitung Rn. 106 geht das Bundesverfassungsgericht in praxi nach der subjektiven Auslegungstheorie vor. 31 2. Aufl., S. 25. Den Methodensynkretismus des Bundesverfassungsgerichts übergeht Vogel (oben Fn. 24); dagegen versucht Bleckmann (ebenda) den unbeschränkten Rückgriff des Bundesverfassungsgerichts auf die Entstehungsgeschichte als Teil einer teleologischen Auslegung zu erklären. 32 Siehe nur das sog. Schallplattenurteil des Bundesgerichtshofs (BGHZ 46, 74 ff. mit zahlreichen Nachweisen zur eigenen Rechtsprechung und zu der des Bundesverfassungsgerichts); vgl. ferner die rechtstatsächlichen Untersuchungen von Honsell S. 130 ff. und kürzlich Seiler S. 182 (Ergebnis: Entstehungsgeschichte oft das entscheidende Kriterium).

A. Bedeutung der historischen Auslegung

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entschieden, obwohl bei objektiv-teleologischer Betrachtung durchaus eine andere Entscheidung nahegelegen hätte.33 Auf den „objektivierten Willen des Gesetzgebers“ stellte der Bundesgerichtshof hierbei entgegen seiner vorhergehenden Rechtsprechung nicht mehr ab.34 Es bleibt abzuwarten, ob der Bundesgerichtshof auch in Zukunft der Entstehungsgeschichte den Vorrang vor objektivteleologischen Kriterien einräumen wird und sich damit zur subjektiven Auslegungstheorie bekennt.35 Das (Lippen-)Bekenntnis des Bundesverfassungsgerichts zur objektiven Theorie kann ihn daran nicht hindern. 2. Meinungsstand in der Literatur Von der Literatur wurde die Rangfolgenfrage frühzeitig in das Verfassungsbzw. Staatsrecht gelenkt.36 Mit Rücksicht auf die richterliche Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) genössen der im Wege der grammatischen Auslegung zu ermittelnde Wortsinn und der im Wege der systematischen und historischen Auslegung zu erforschende Wille des Gesetzgebers den Vorrang vor objektivteleologischen Kriterien.37 Teilweise werden objektiv-teleologische Kriterien so33 Vgl. BGHZ 135, 86, 90 ff. (12.03.1997) mit insoweit ablehnender Anmerkung von Canaris ZIP 1997, 1507 ff. Der Bundesgerichtshof entschied zum bis zum 31.08.2001 geltenden Mietrecht, daß für die Kündigung des Vermieters gemäß § 569 BGB a. F. auch dann ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses im Sinne des § 564b BGB a. F. erforderlich sei, wenn der Erbe zu Lebzeiten des Mieters nicht in der Wohnung gelebt habe. Es sei zwar zutreffend, daß der Erbe dann nicht vor dem Verlust der Wohnung als Lebensmittelpunkt geschützt werden müsse. Bis zu einer Neuregelung – die damals schon im Gespräch war und mittlerweile durch das MietRRG verabschiedet wurde, vgl. § 564 S. 2 BGB n. F. – seien die Gerichte jedoch an die Entscheidung des Gesetzgebers gebunden. Maßgeblich wurden insoweit die Gesetzesmaterialien zu § 564b BGB a. F. (BTDrucks. 7/2011 S. 8 und BTDrucks. 7/2638 S. 2) herangezogen. 34 In BGHZ 135, 86 ff.wird auf BGHZ 46, 74 ff. Bezug genommen. 35 Mit BGH NJW 2003, 2601, 2603 befindet sich der Bundesgerichtshof auf dem besten Weg. 36 Dieses Verdienst wird dem bereits mehrfach zitierten Staatsrechtslehrer Friedrich Müller zugesprochen (vgl. Koch/Rüßmann § 17 Fn. 46). Die „Juristische Begründungslehre“ von Koch/Rüßmann charakterisiert die Rangfolgenfrage nicht als verfassungsrechtliche, sondern als staatstheoretische Frage. Rüßmann FS Wieacker (1990) 33, 41 f.: Im Hinblick auf Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG sei das Grundgesetz selbst auszulegen. Nach welchen Kriterien diese Auslegung zu erfolgen habe, könne der Verfassung nicht entnommen werden. 37 Engisch9 Kapitel 5 Fn. 47; Hassold ZZP 1981, 192 ff.; Hassold FS Larenz (1983) 211 ff. passim; Koch/Rüßmann S. 171, 176 ff., zusammenfassend S. 182, 184; Neuner S. 111 ff.; Rüthers § 22 passim; Säcker in MünchKomm4 Einleitung Rn. 60 ff. passim; vgl. im Ergebnis auch Alexy3 S. 302 ff., der einen grundsätzlichen Vorrang mit Vernunftregeln begründet. Anderer Ansicht Müller7 Rn. 445, der allein einen Vorrang grammatischer und systematischer Auslegung aus staatstheoretischen Erwägungen annimmt. Historische und objektiv-teleologische Auslegung seien ohne Rangverhältnis nachgeordnet, da sie sich im Gegensatz zu den vorgenannten Auslegungsele-

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gar gänzlich aus dem Bereich der Gesetzesauslegung ausgeklammert und dem Bereich richterlicher Dezision38 zugeordnet.39 Vertreter einer solchen Ansicht sehen in der objektiv-teleologischen „Auslegung“ eine verdeckte Form richterlicher Ersatzgesetzgebung. In der vielbeachteten, von Karl Larenz begründeten und von Claus-Wilhelm Canaris fortgeführten „Methodenlehre der Rechtswissenschaft“40 wird zwar ein festes Rangverhältnis unter den canones abgelehnt, die Autoren räumen aber zumindest ein, daß die einzelnen Elemente der Gesetzesauslegung nicht beziehungslos nebeneinander stünden. Es handele sich bei den canones um leitende Gesichtspunkte, denen ein unterschiedliches Gewicht zukomme. Soweit Wortsinn und Bedeutungszusammenhang des Gesetzes Raum für verschiedene Auslegungen ließen, sei diejenige vorzuziehen, die der Regelungsabsicht des Gesetzgebers und dem Zweck der betreffenden Norm am ehesten gerecht werde. Auf objektiv-teleologische Kriterien sei erst dann zurückzugehen, wenn die anderen Kriterien nicht ausreichten.41 Die Bedeutung der historischen Auslegung wird heute insbesondere bei Larenz und Canaris entsprechend den Grundsatzaussagen des Bundesverfassungsgerichts stark eingeschränkt.42, 43 In Anlehnung an das Willensargument der (alten) objektiven Theorie wird davon ausgegangen, daß es bei einem parlamentarischen Gesetzgeber ersichtlich aussichtslos sei, nach den Vorstellungen aller an der Beschlußfassung beteiligten Personen zu forschen, die dem Gesetzesentwurf zugestimmt hätten. Solche Vorstellungen ließen sich nicht ermitteln. Und wenn sie sich ermitteln ließen, welche sollten maßgeblich sein, wenn sie auseinander gingen? Auch könne nicht auf die Vorstellungen der eigentlichen Gesetzesverfasser abgestellt werden. Als Wille des Gesetzgebers hätten dann nämlich die Normvorstellungen der Ministerialbeamten, die den Entwurf ausgearbeitet hätten, und diejenigen der Abgeordneten zu gelten, die die Initiative ergriffen oder den Text mitgestaltet hätten. Die meisten Abgeordneten seien gar nicht in der Lage, sich über die Einzelheiten des Gesetzes eine eigene Meinung zu bilden. Worüber sie sich eine Meinung bildeten und was sie in Wahrheit allein billigten, das seien die Regelungsabsicht und die Zwecke des Gesetzes, die zutage liegenden sozialpolitischen Auswirkungen (besonders bei Maßnahmenten nicht auf den Normtext berufen könnten. Hier scheint das alte Formargument (vgl. oben S. 23) durch. 38 Dazu sogleich im Text unter lit. B (S. 32 ff.). 39 Hassold ZZP 1981, 192, 197, 200; vgl. beispielsweise: Koch/Rüßmann S. 171 f.; Rüthers Rn. 725 ff., 796 ff., zusammenfassend Rn. 821; Säcker in MünchKomm4 Einleitung Rn. 118 ff.; ähnlich auch Neuner S. 110, 113 mit weiteren Nachweisen. 40 Larenz6 S. 343 ff.; Larenz/Canaris3 S. 163 ff. 41 Ähnlich beispielsweise auch Zippelius8 S. 62 f. und Bydlinski2 S. 553 ff. 42 Vgl.: Larenz6 S. 328 f., 344; Larenz/Canaris3 S. 149 f., 164 f.; Canaris ZIP 1997, 1507 ff. 43 Vgl. daneben beispielsweise auch Vogel S. 129 f. (Vorrang intersubjektiver Auslegung – Nachrang subjektiver Auslegung) und Zippelius8 S. 23 f., 50 f.

A. Bedeutung der historischen Auslegung

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mengesetzen), die gesamte „Tendenz“ des Gesetzes. Darüber hinaus nähmen sie vielleicht noch zu bestimmten vorher umstrittenen Einzelfragen Stellung. Im übrigen begnügten sie sich damit, dem Gesetz als Ganzes ihre Zustimmung zu geben, wobei sie darauf vertrauten, daß der Text den von ihnen gebilligten Zwecken und ihrer Meinung nach zu berücksichtigenden Gesichtspunkten entspreche und von den zur Gesetzesanwendung berufenen Organen – den Behörden und den Gerichten – in diesem Sinne ausgelegt werden werde. Ihre Billigung gelte insoweit dem Text als solchem, nicht einer bestimmten Auslegung einzelner Textstellen. Als Wille des Gesetzgebers lassen Larenz und Canaris daher allein die zutage liegende Grundabsicht des Gesetzgebers und diejenigen Vorstellungen gelten, die in den Beratungen der gesetzgebenden Körperschaft oder ihrer zuständigen Ausschüsse zum Ausdruck gebracht und ohne Widerspruch geblieben seien. Konkrete Normvorstellungen, also Vorstellungen über die genaue Bedeutung und Reichweite einzelner Bestimmungen oder eines einzelnen Ausdrucks, könne man am ehesten bei den Verfassern des Gesetzes und den Mitgliedern beratender Kommissionen erwarten; diese seien aber weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit der Gesetzgeber. Die genannten Autoren messen somit entsprechend der bereits Anfang des letzten Jahrhunderts vorherrschenden Meinung44 den konkreten Normvorstellungen der Gesetzesverfasser zwar erheblichen Wert für die Auslegung von Gesetzen bei, sehen in ihnen aber keine bindende Richtschnur für die Gesetzesauslegung. Im Gegensatz dazu geht die eingangs erwähnte, bereits Anfang des 19. Jahrhunderts von Karl Georg von Wächter45 begründete und heute wieder vermehrt vertretene Paktentheorie davon aus, daß sich der Gesetzgeber denjenigen Sinn und Zweck zu eigen mache, den die wahren Gesetzesverfasser als materielle Gesetzgeber vor Augen gehabt und kundgetan hätten.46, 47 Der vom Gesetzgeber akzeptierte Gesetzestext sei nicht als fertige Größe aus dem Nichts entstanden. Hinter ihm stünden die Vorstellungen seiner Verfasser.48 Der Einwand, die Ministerialbürokratie werde mit der Paktentheorie zum Gesetzgeber erhoben, wird als überzogen bezeichnet. Schließlich nehme das Parlament regelmäßig durch seine jeweiligen Experten zumindest kontrollierend an der Gesetzesformulierung teil.49 Es liege daher näher, daß der Gesetzgeber im Zweifel die Vor44 Statt vieler nur Planck4 (Knoke) S. XLX f. Dazu kritisch Heck AcP 112 (1912) 1, 109 f. 45 Siehe oben Fn. 12. 46 Bydlinski 2 S. 275, 432; Engisch9 S. 120; Koch/Rüßmann S. 211 f.; Kramer S. 104 ff.; Neuner S. 104; Rüßmann FS Wieacker (1990) 35, 50; Säcker in MünchKomm4 Einleitung Rn. 124 mit weiteren Nachweisen (der Hinweis auf Enneccerus/ Nipperdey § 54 III geht jedoch fehl, vgl. dort § 55 I 2); Wank2 S. 35 f.; vgl. auch Hassold ZZP 1981, 192, 207 f., 210. 47 Besonders ausführlich zur geschichtlichen Entwicklung der Paktentheorie Baden in Rödig S. 368 ff., insbesondere S. 376 ff. 48 Bydlinski 2 S. 432.

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Methodentheoretischer Teil

stellungen der Gesetzesverfasser akzeptiere, als diejenige des Gesetzesinterpreten oder objektiv-teleologische Gesichtspunkte.50 Zwar möge das Expertenwesen im Widerspruch zum ursprünglichen parlamentarischen Gedanken stehen, die Kompliziertheit moderner staatlicher Steuerungsaufgaben werde gleichwohl nur begrenzte Verbesserungen der Position des einzelnen Parlamentariers zulassen. Die Freistellung des Rechtsanwenders von einer Bindung an die sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden und vom Parlament jedenfalls kontrollierten Regelungszwecke bedeute eine noch stärkere Entwertung des Parlaments.51 Wollte man allein aufgrund der Tatsache, daß Parlamentarier von den Vorstellungen der Gesetzesverfasser keine Kenntnis hätten, eine Akzeptanz des Gesetzgebers verneinen, so müßte man vielfach bereits die Akzeptanz des beschlossenen Gesetzestextes verneinen, da auch dieser regelmäßig nicht allen Abgeordneten bekannt sei. Dies führte im Ergebnis zur Infragestellung des gesamten Systems der parlamentarischen Demokratie.52 3. Stellungnahme Der staatstheoretisch begründete Vorrang historischer Argumente vor objektiv-teleologischen Kriterien überzeugt. Rechtsstaatsprinzip (Grundsatz der Gewaltenteilung, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG; richterliche Gesetzesbindung, Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG) und Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 S. 1 GG) zwingen den Richter, den Willen des Gesetzgebers zu ermitteln, bevor das Gesetz im Rahmen richterlicher Eigenwertung, wenn auch anhand allgemein akzeptierter, im Einklang mit der Verfassung stehender Kriterien, ergänzt bzw. verbessert wird. Die Gesetzesbindung des Richters dient der Durchsetzung des demokratisch gebildeten Gemeinwillens. Auslegung kann nur dahin gehen, diesen Willen festzustellen. Dem demokratisch gebildeten Gemeinwillen kann nur derjenige des historischen Gesetzgebers entsprechen. Ein anderer Wille war bei Erlaß des Gesetzes nicht vorhanden. Das Willensargument der objektiven Theorie überzeugt nicht. Vorstellungen des Gesetzgebers lassen sich vielfach im Wege historischer Forschung ermitteln. Sollten verschiedene Vorstellungen innerhalb der gesetzgebenden Körperschaft geherrscht haben, muß sich die historische Forschung bemühen, die Mehrheitsverhältnisse herauszuarbeiten; schließlich gilt in der Demokratie das Mehrheitsprinzip (vgl. Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG). Das Materialienproblem wird von der Paktentheorie zutreffend gelöst. Neben der historischen Umfeldbetrachtung stellen die Gesetzesmaterialien die wichtigste Erkenntnisquelle für die Vorstellungen des Gesetzgebers dar.53 Dies gilt 49 50 51 52

Koch/Rüßmann S. 211; vgl. auch Neuner S. 104. Neuner S. 104. Koch/Rüßmann S. 211. Neuner S. 104.

A. Bedeutung der historischen Auslegung

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nicht nur für diejenigen Materialien, die direkte Äußerungen der am Beschluß des Gesetzes Beteiligten wiedergeben, wie z. B. die Parlamentsprotokolle. Insbesondere bei umfangreicheren Gesetzen werden solche Materialien nur in wenigen Detailfragen Aufschluß über den Willen des Gesetzgebers geben. Daher ist auch auf diejenigen Materialien zurückzugreifen, welche die Vorstellungen der Gesetzesverfasser wiedergeben. In einer modernen parlamentarischen Demokratie ist es bei der Vielzahl zu verabschiedender Gesetze unerläßlich, daß Gesetzgeber und Verfasser auseinanderfallen. Betraut der Gesetzgeber Spezialisten aus den eigenen Reihen oder externe Experten mit einem Gesetzesentwurf, macht er sich mangels eigener Vorstellungen notwendig deren Vorstellungen zu eigen, soweit er das Gesetz später entsprechend dem vorgelegten Entwurf verabschiedet. Andernfalls würde der Gesetzgeber ein Gesetz und seine einzelnen Normen inhaltlich zumindest teilweise „willenlos“ beschließen,54 im Hinblick auf das Demokratieprinzip eine unerträgliche Vorstellung. Sicherlich ist dem Gesetzgeber nicht jede Aussage aus den Gesetzesmaterialien zuzurechnen. Dies gilt genauso für Aussagen aus der Mitte des Gesetzgebers (Mehrheitsprinzip) wie für diejenigen seiner externen Verfasser. Die einzelne Vorstellung eines Experten kann dem Gesetzgeber allerdings sehr wohl zugerechnet werden, wenn diese innerhalb des „Expertenteams“ und im weiteren Verfahren bis zum Erlaß des Gesetzes widerspruchslos Geltung beanspruchen kann. Zwar ist auch hierbei in der Regel eine Wertung des Rechtsanwenders erforderlich. Der Bewertungsspielraum ist jedoch ein anderer als derjenige beim Rückgriff auf objektiv-teleologische Kriterien. Indem Larenz und Canaris die Verbindlichkeit konkreter Normvorstellungen der Gesetzesverfasser kategorisch ablehnen, schränken sie die Bedeutung der historischen Auslegung unzulässigerweise ein. Ihre Ablehnung birgt die Gefahr in sich, daß der Rechtsanwender frühzeitig zu objektiv-teleologischen Kriterien übergeht. Der Wille des Gesetzgebers würde dann allein zu einer unbeachteten Durchgangsstation auf dem Weg zu eigenen Zweckmäßigkeitserwägungen. Solche sollen dem Rechtsanwender zwar nicht ausnahmslos verwehrt sein. Sie erfordern aber einen erhöhten Begründungsaufwand, weil sich der Rechtsanwender nicht mehr allein auf das Gesetz berufen kann. Zur richterlichen Rechtsfortbildung bedarf es nicht mehr einer verdeckten Auslegung im Sinne des alten Ergänzungsarguments, da der Richter in gewissem Umfang allgemein – auch vom Gesetzgeber (vgl. z. B. § 132 Abs. 4 GVG) – als Ersatzgesetzgeber akzeptiert wird.55 Der erhöhte Begründungsaufwand ist jedoch aus rechtsstaatlichen Gründen unbedingt und unmißverständlich deutlich 53 Zur Bedeutung der Materialien siehe insbesondere Baden in Rödig S. 369 ff. Eine Darstellung des Meinungsstands findet sich ferner bei Honsell S. 48 ff., 186 ff. Grundlegend zum Materialienproblem bereits Heck AcP 112 (1914) 1, 105 ff. 54 Ebenso Wank2 S. 40 (Abgeordnete als „willenlose Wesen“). 55 Dazu und zu den Voraussetzungen richterlicher Ersatzgesetzgebung sogleich im Text unter lit. B. Siehe bereits Heck AcP 112 (1914) 1, 113, der das Ergänzungsargument nur vom Standpunkt der überkommenen Subsumtionslehre aus gelten läßt.

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Methodentheoretischer Teil

zu machen. Das Prinzip der Gewaltenteilung macht dies erforderlich. Unter dem Stichwort „Methodenehrlichkeit“ wird daher in der Literatur56 zu Recht eine klare Trennung zwischen Auslegung und richterlicher Dezision gefordert. Eine solche läßt sich nicht durch eine pauschale Absage an die Verbindlichkeit bestimmter Aussagen aus den Gesetzesmaterialien erreichen.

B. Voraussetzungen richterlicher Rechtsfortbildung Die richterliche Rechtsfindung erfährt nach der Auslegung ihre Fortsetzung in der angesprochenen Rechtsfortbildung. Unstreitig sind die Gerichte seit langem zur Rechtsfortbildung befugt und auch berufen (vgl. etwa § 132 Abs. 4 GVG). Eine Berichtigung des Rechts im Sinne einer „Fortbildung“ contra legem57 (soll heißen: gegen den Wortlaut und die Vorstellungen des historischen Gesetzgebers)58 ist den Gerichten dagegen grundsätzlich verwehrt. Führt die Gesetzesauslegung zu einem Ergebnis, das nicht im Einklang mit der Verfassung steht, so bedarf es keiner korrigierenden Gerichtsentscheidung gegen das einfache Recht, weil das Gesetz bzw. die entsprechende Vorschrift bereits ipso iure nichtig ist. Zu beachten ist jedoch, daß den Fachgerichten bei nachkonstitutionellen Gesetzen insoweit die Verwerfungskompetenz fehlt (vgl. Art. 100 Abs. 1 GG). Eine Contra-legem-Entscheidung ist daher – abgesehen von einem Verstoß gegen Art. 100 Abs. 1 GG – nur im Vorfeld eines Verfassungsverstoßes denkbar. Sie ist ausnahmsweise zulässig, wenn sich die dem einfachen Recht ursprünglich zugrundeliegenden Umstände grundlegend gewandelt haben.59 In der „Methodenlehre der Rechtswissenschaft“ von Larenz60 wird zwischen gesetzesimmanenter und gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung differenziert.61 Während die Rechtsfortbildung praeter legem dem ursprünglichen Plan 56 Insoweit grundlegend Hassold ZZP 1981, 192, 210; Hassold FS Larenz (1983) 211, 217; besonders deutlich erst kürzlich wieder Rüthers Rn. 813 f., der bei seiner gesamten Argumentation für die subjektive Theorie nicht mit Kritik an Larenz und Canaris spart (vgl. Rüthers § 22 passim). Die Vehemenz, mit der Rüthers objektiv-teleologische Kriterien gänzlich aus dem Bereich der Auslegung verbannt, ist mit Blick auf seine immer wieder aufrüttelnde Dokumentation „Die unbegrenzte Auslegung“ (5. Aufl., Heidelberg 1997) zu sehen. 57 Zum schillernden Terminus „contra legem“ Neuner S. 1. 58 So auch: Bydlinski FS Wieacker (1990) 189, 220 ff.; Koch/Rüßmann S. 255; Neuner passim, S. 184 (Zusammenfassung): „Eine ,contra-legem-Entscheidung‘ liegt vor, wenn die Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers mißachtet wird, sofern diese dem möglichen Wortsinn der Gesetzesnorm noch vereinbar ist oder im Wege der Analogie oder Restriktion durchgesetzt werden könnte.“ Vgl. auch Larenz/Canaris3 S. 251, der allerdings selbst der objektiven Thorie folgt. 59 Dazu sogleich auch im Text. 60 6. Aufl., S. 366 ff. 61 Diese Zweiteilung wird in der Methodenlehre teilweise übernommen. Siehe beispielsweise die „Juristische Methodenlehre“ von Kramer S. 132 f. und Wank2 S. 97 f.

B. Voraussetzungen richterlicher Rechtsfortbildung

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des Gesetzes verpflichtet sei, lasse die Rechtsfortbildung extra legem, sed intra ius unter besonderen Voraussetzungen eine Modifikation dieses Plans zu. Voraussetzung der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung sei das Vorliegen einer Gesetzeslücke. Die Lückenhaftigkeit des Gesetzes sei allein anhand der dem Gesetz immanenten Teleologie (ratio legis) zu ermitteln. Für eine das Gesetz übersteigende Rechtsfortbildung dagegen verzichtet Larenz auf den Begriff der Gesetzeslücke als Abgrenzungskriterium. Statt dessen filtert er aus der Rechtspraxis einen bunten Strauß (vermeintlich) objektiver Kriterien heraus.62 Eine Fortbildung des Rechts komme jenseits einer Gesetzeslücke mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs, mit Rücksicht auf die „Natur der Sache“ sowie ein rechtsethisches Prinzip in Betracht. Die Grenze einer solchen gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung finde sich dort, „wo eine Antwort im Rahmen der geltenden Rechtsordnung insgesamt mit spezifisch rechtlichen Erwägungen allein nicht gefunden werden kann, insbesondere daher dort, wo es vorwiegend um Fragen der Zweckmäßigkeit geht oder eine detaillierte Regelung erforderlich wäre, die nur der Gesetzgeber treffen kann, da er allein über die notwendigen Informationen und über die Legitimation zur Schaffung einer solchen Regelung verfügt.“ Die herrschende Meinung sowie die von Canaris fortgeführte „Methodenlehre der Rechtswissenschaft“ (Studienausgabe)63 setzten für die richterliche Rechtsfortbildung insgesamt das Vorliegen einer Gesetzeslücke voraus. Mit dem Begriff der Gesetzeslücke wird dadurch der Bereich richterlicher Rechtsfortbildung abschließend abgesteckt.64, 65 In der Fortführung der Larenz’schen Methodenlehre differenziert Canaris unter Berücksichtigung der hergebrachten Zweiteilung zwischen der Lücke im engeren Sinn für die gesetzesimmanente und derjenigen im weiteren Sinn für die das Gesetz übersteigende Rechtsfortbildung. Die Lücke im weiteren Sinn sei unter Berücksichtigung der gesamten Rechtsordnung festzustellen und insoweit nicht auf die Berücksichtigung der dem Gesetz immanenten Teleologie beschränkt. In der Sache entstehen dadurch keine Unterschiede zur Position von Larenz. Der terminologischen Sichtweise von Canaris wird auch hier gefolgt. Sie hat gegenüber einem eingeschränkten Anwendungsbereich des Begriffs der Gesetzeslücke als Abgrenzungskriterium den Vorteil, im klassischen Dreiklang richterlicher Rechtsfindung (Auslegung, Fortbildung und Korrektur des Gesetzes; sog. Methodentrias) terminologisch klare Grenzen zu ziehen. Damit diese Grenzziehung je62 Ablehnend Rüthers Rn. 913 ff. („Scheinbegründungen“ mit Hinweis auf erhebliche Begründungsdefizite). 63 Larenz/Canaris3 S. 187 ff.; davor Canaris2 passim, insbesondere § 24 ff. (S. 35 ff.). 64 Überhaupt gegen den Begriff der Gesetzeslücke als Abgrenzungskriterium Koch/ Rüßmann S. 254 und wohl auch Pawlowski3 Rn. 462 f. 65 Als erster Methodiker seiner Epoche erkannte Heck AcP 112 (1914) 1, 224 ff. die Bedeutung des Problems der „Gesetzeslücken“ nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Rüthers Rn. 529).

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Methodentheoretischer Teil

doch nicht im terminologischen Bereich stecken bleibt, gilt es, den Begriff der Gesetzeslücke unter Berücksichtigung der soeben herausgearbeiteten Grundsätze der Gesetzesauslegung scharf zu umreißen. Auch hier ist der oben mitgeteilten Forderung nach einer „Ehrlichkeit der Methoden“ nachzukommen. Eine strikte Trennung zwischen zulässiger Gesetzesergänzung im Wege richterlicher Rechtsfortbildung und grundsätzlich unzulässiger Gesetzesderogation ist dabei unerläßlich. In der heutigen Methodenlehre wird der Begriff der Gesetzeslücke vielfach im Anschluß an Canaris gefaßt.66 Mit seiner Dissertation „Die Feststellung von Lücken im Gesetz“ (1964/1983) liefert er eine umfassende Definition: „Eine Lücke ist eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts (d.h. des Gesetzes im Rahmen seines möglichen Wortsinnes und des Gewohnheitsrechts) gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung. Oder: Eine Lücke liegt vor, wenn das Gesetz innerhalb der Grenzen seines möglichen Wortsinnes und das Gewohnheitsrecht eine Regelung nicht enthalten, obwohl die Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit eine solche fordert.“67

Mit dieser Definition umreißt Canaris den gesamten Bereich richterlicher Rechtsfortbildung. Unter Berücksichtigung einer zweigeteilten Betrachtungsweise ist die Definition für den Bereich der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung einzuschränken. Mit dem eng gefaßten Lückenbegriff von Larenz (Lücke im engeren Sinn nach Canaris) ist der Maßstab, an dem sich die planwidrige Unvollständigkeit zu messen hat, auf die dem Gesetz immanente Teleologie, die ratio legis beschränkt.68 Die immanente Teleologie des Gesetzes darf jedoch nicht zu eng verstanden werden. Anders als bei der Gesetzesauslegung ist im Bereich der richterlichen Rechtsfortbildung ein Rückgriff auf objektiv-teleologische Kriterien allgemein anerkannt: „Nicht nur die Absichten und bewußt getroffenen Entscheidungen des Gesetzgebers sind zu berücksichtigen, sondern auch solche objektiven Rechtszwecke und allgemeinen Rechtsprinzipien, die in das Gesetz Eingang gefunden haben.“69 Hierzu zählt das dem allgemeinen Gleichheitssatz zu entnehmende Prinzip der Gleichbehandlung des Gleichartigen. Regelt ein Gesetz einen bestimmten Sachverhalt A in bestimmter Weise, enthält es aber keine Regeln für den von der Interessenlage her vergleichbaren Fall B, so kann das Fehlen einer solchen Regelung als Lücke des Gesetzes aufzufassen sein. Diese kann durch eine entsprechende Anwendung der Regelung für den Sachverhalt A auf den Sachverhalt B geschlossen werden (sog. Analo66 Exemplarisch: Bydlinski2 S. 473; Engisch9 S. 179 ff.; Kramer S. 137; Rüthers Rn. 832. 67 2. Aufl., § 29 (S. 39). Der Ausdruck „planwidrige Unvollständigkeit“ stammt von Elze S. 3 ff. (1916). 68 Larenz/Canaris3 S. 191 ff., 246. 69 Larenz6 S. 374; Larenz/Canaris3 S. 195. Freilich wesentlich vorsichtiger in Bezug auf die objektiv-teleologischen Kriterien Rüthers §§ 22, 23 passim.

B. Voraussetzungen richterlicher Rechtsfortbildung

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gieschluß, argumentum a simili oder a pari).70 Wird erst durch die Anwendung des Gleichheitssatzes eine Gesetzeslücke aufgedeckt, steht deren Ausfüllung durch eine analoge Anwendung der vorhandenen Vorschrift bereits fest. Hier fällt die Erkenntnis, daß eine Gesetzeslücke vorliegt mit der Antwort auf die Frage zusammen, wie diese Lücke im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung auszufüllen ist.71 Canaris spricht daher insoweit in Abgrenzung zur „möglichen“ von einer „notwendigen Analogie“.72 Die anhand der Teleologie des Gesetzes ausgemachte Gesetzeslücke bezeichnet er als „teleologische Lücke“73. Auch dieser terminologischen Einteilung von Canaris wird heute weitgehend gefolgt.74 In seiner Dissertation legt Canaris seiner Definition zwar die objektive Auslegungstheorie in ihrer Ursprungsform zugrunde;75 die Definition läßt sich aber problemlos mit dem hier vertretenen subjektiven Ansatz in Einklang bringen. Gewährt man dem Willen des Gesetzgebers entsprechend den obigen Ausführungen zur Gesetzesauslegung den Vorrang vor objektiv-teleologischen Gesichtspunkten, so hat dem Vergleich der Interessenlagen eine umfangreiche historische Untersuchung voranzugehen. Läßt sich der Wille des Gesetzgebers feststellen, so ist dieser grundsätzlich verbindlich. Hat der Gesetzgeber bewußt geschwiegen (sog. beredtes Schweigen), verbietet sich die Annahme einer „planwidrigen“ Unvollständigkeit und damit Bejahung einer Gesetzeslücke.76 Der entgegenstehende Wille blockiert die Rechtsfortbildung insgesamt; auch eine das Gesetz übersteigende Rechtsfortbildung ist ausgeschlossen.77 Etwas anderes gilt allerdings, wenn ein (verfassungsrechtlich relevanter) Verstoß gegen den Gleichheitssatz vorliegt.78 Dann ist das Gesetz insoweit nichtig und der dahinter stehende Wille des Gesetzgebers unbeachtlich. Der Wille des Gesetzgebers findet darüber hinaus auch im Vorfeld eines solchen Verfassungsverstoßes dann keine Beachtung, wenn sich die tatsächlichen oder rechtlichen Umstände seit Erlaß des Gesetzes maßgeblich verändert Vgl. Larenz6 S. 374 f. und Larenz/Canaris3 S. 195 f. Grundlegend Canaris2 § 64 (S. 71 f.). 72 Vgl. Canaris2 § 138 (S. 145 f.). 73 2. Aufl., § 133 (S. 140 f.). 74 Vgl. etwa Bydlinski2 Buch 3 Fn. 144 und S. 474 sowie Kramer S. 143. 75 Vgl. Canaris2 Kapitel 1 Fn. 100. 76 Etwa Bydlinski 2 S. 475, 570, 585; Engisch9 S. 180 f.; Rüthers Rn. 838. 77 Dies scheint Aunert-Micus S. 98 bei ihren methodentheoretischen Ausführungen zur Thematik dieser Arbeit zu verkennen. Sie stützt sich insoweit allein auf die „Methodenlehre der Rechtswissenschaft“ von Larenz. Doch auch danach läßt sich eine negative Entscheidung des Gesetzgebers nicht im Wege gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung korrigieren (vgl. Larenz6 S. 426 ff.). 78 Im Vorfeld eines solchen Verstoßes spricht Bydlinski 2 S. 485 f. von einer sog. Ähnlichkeitsprüfung. Er macht dann den „natürlichen Rechtsgrundsatz“ des Gleichmaßes im Wege gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung fruchtbar. 70 71

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Methodentheoretischer Teil

haben.79 – Cessante ratione legis cessat ipsa lex. – Für einen solchen Fall einer Entscheidung contra legem ist allerdings ein gegenüber der Rechtsfortbildung erheblich erhöhter Begründungsaufwand erforderlich. Zur Verdeutlichung wird die richterliche Rechtsfindung in diesem Bereich – unter Berücksichtigung einer subjektiven Auslegungslehre – bereits demjenigen der Korrektur des Gesetzes zugeordnet.80 Hat der Gesetzgeber unbewußt geschwiegen oder läßt sich ein bewußtes Schweigen trotz umfassender Prüfung nicht feststellen, hat der Richter die planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes – im Heck’schen Sinne – in denkendem Gehorsam gegenüber dem historischen Gesetzgeber auszufüllen. Steht mit der Annahme einer Gesetzeslücke deren Ausfüllung noch nicht fest, sind die Vorstellungen des historischen Gesetzgebers bei der Rechtsfortbildung vorrangig zu beachten, bevor der Richter über objektiv-teleologische Gesichtspunkte eine eigene Wertung vornimmt. Ein historisches non liquet im letztgenannten Sinne wird bei Vorliegen umfangreicher Gesetzesmaterialien die Ausnahme bleiben.

Bydlinski2 S. 579 ff. („Funktionswandel“); Vogel S. 135, 139. Ebenso Neuner S. 185 (Zusammenfassung). Dagegen wird eine derartige Rechtsfindung in der Methodenlehre vielfach noch nicht als Korrektur des Gesetzes aufgefaßt. Zumindest wird weiterhin mit dem Begriff der Gesetzeslücke gearbeitet (sog. nachträgliche Gesetzeslücke). Terminologisch herrscht hier insgesamt wenig Einklang. 79 80

Teil 1

Schenkungen nach dem Tod eines Ehegatten Da der überlebende Ehegatte nach dem Tod des anderen seine korrespektiven Verfügungen zugunsten des Dritten nicht mehr widerrufen kann, drängt sich ein Vergleich seiner Rechtsstellung mit derjenigen eines durch Erbvertrag gebundenen Erblassers geradezu auf. Dies gilt nicht nur für die dritte Stufe testamentarischer Bindung, die mit Verstreichenlassen der Ausschlagungsfrist oder Annahme der Zuwendung eintritt.1 Bereits mit dem Tod eines Ehegatten und dem damit verbundenen Verlust des Widerrufsrechts liegt ein Vergleich nahe. Denn sofern der Überlebende seine wechselbezüglichen Verfügungen nicht nach § 2271 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 BGB aufhebt, ist er bereits mit dem Tod des anderen Ehegatten testamentarisch gebunden. Ähnlich ist die Rechtslage beim sog. zweiseitigen Erbvertrag, der unter einem Rücktrittsvorbehalt geschlossenen worden ist (vgl. § 2298 Abs. 2 BGB).2, 3

A. Überblick über den derzeitigen Meinungsstand Die Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB nach dem Tod eines Ehegatten auf bindend gewordene testamentarische Verfügungen wurde in der Rechtsprechung seit der – einleitend dargestellten – Grundsatzentscheidung des Rechtsgerichts nicht mehr in Frage gestellt.4 Dieser ständigen Rechtsprechung folgt die Literatur nahezu ausnahmslos.5 Mitunter wird der Rückgriff auf die erbvertraglichen 1

Zu den drei Stufen testamentarischer Bindung vgl. oben in der Einleitung S. 15 f. Kanzleiter in Staudinger13 § 2271 Rn. 86. 3 Zum Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt nur Edenhofer in Palandt63 § 2293 Rn. 1. 4 Für die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei hier nur auszugsweise auf die amtliche Entscheidungssammlung zurückgegriffen: BGHZ 26, 274, 278 ff.; 31, 13, 15 f.; 59, 343, 348; 66, 8, 15 („nach feststehender Rechtsprechung“); 82, 274, 276 f. („ständig“; 1981); 87, 19, 23 f. (in diesem Zusammenhang oft zitiert, aber keine ausdrückliche Aussage). Siehe kürzlich erst wieder OLG Celle, Urt. v. 12.06.2003 – 6 U 239/02 (in ZEV 2003, 417 nur Leitsätze; FamRZ 2003, 1971 ff.) mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, neuste Entscheidung: BGHZ 82, 274, 276 f. 5 Aus der neueren Lehrbuch- und Kommentarliteratur neben Edenhofer in Palandt63 § 2271 Rn. 11 f. und § 2287 Rn. 3 zum Beispiel: Brox20 Rn. 195; Ebenroth Rn. 231; Frank2 § 12 Rn. 23 (nach unbestrittener Rechtsprechung und Lehre); Kanzleiter in Staudinger13 § 2271 Rn. 86 (ganz allgemeine Meinung) und § 2287 Rn. 2 (allgemeine Meinung); Lange/Kuchinke5 § 24 VI 6 (S. 459) (nach allgemeiner Meinung); Lei2

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Teil 1: Schenkungen nach dem Tod eines Ehegatten

Vorschriften sogar als unstreitig bezeichnet.6 Häufig wird die analoge Anwendung nicht einmal mehr erwähnt.7 Davon unbeeinflußt fand die vorliegende Frage hin und wieder doch ihre Beachtung. In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts befaßte sich Reiner Schoeck allgemein mit der Anwendbarkeit erbvertraglicher Vorschriften beim gemeinschaftlichen Testament. Zur Anwendbarkeit der §§ 2287, 2288 BGB folgen seine Ausführungen allerdings im wesentlichen denen des Reichsgerichts.8 Einer genaueren Überprüfung wird die herrschende Meinung bislang einzig von Shirley Aunert-Micus (1991) und Gordon Kricke (1991) unterzogen. Beide haben einen methodischen Ansatz gewählt. Während Aunert-Micus relativ schnell zu dem Ergebnis kommt, daß der Gesetzgeber das Problem der Schenkungen in fraudem testamenti übersehen habe, geht Kricke in einer ebenso knapp gehaltenen Untersuchung der historischen Hintergründe von einer bewußten Entscheidung des Gesetzgebers aus.9 Aunert-Micus10 gelangt im weiteren zur Wesensgleichheit erbvertraglicher und testamentarischer Bindung. Eine differenzierte Behandlung beider Rechtsinstitute wird von ihr daher in diesem Punkt abgelehnt. Kricke11 hingegen kommt in seiner insoweit sehr umfangreichen Untersuchung zum gegenteiligen Resultat und verwirft die herrschende Meinung. Er lehnt eine entsprechende Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB insgesamt ab. Eine vermittelnde Position wurde zuvor von Mathias Fleischmann12 (1989) entwickelt. Er geht ebenso wie Kricke von einer bewußten Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine spezialgesetzliche Einschränkung der Verfügungsfreiheit unter Lebenden beim gemeinschaftlichen Testament aus. Auch aufgrund der „Wesensunterschiede beider Regelungsbereiche“ sei grundsätzlich ein Rückgriff auf die erbvertraglichen Vorschriften versagt. Allerdings kämen die §§ 2287, 2288 BGB dann zur Anwendung, wenn dies dem Willen beider Ehegatten bei Errichtung des Testaments entsprochen habe.13

pold15 Rn. 473 f.; Litzenburger in Bamberger/Roth § 2271 Rn. 18, § 2287 Rn. 1, § 2288 Rn. 1; Mayer in Dittmann/Reimann/Bengel4 § 2269 Rn. 43, § 2271 Rn. 101 (nach herrschender Meinung) und § 2287 Rn. 15; Michalski2 Rn. 281; Musielak in MünchKomm3 § 2271 Rn. 45; Olzen Rn. 464 (allgemeine Meinung); Schlüter14 Rn. 372; Schmidt in Erman10 § 2271 Rn. 18 („anerkannt“); Wolf in Soergel13 § 2271 Rn. 41, 46. Ältere Literatur bei Lübtow S. 518 f. 6 Vgl. beispielsweise Frank (oben Fn. 5) und Kuchinke JuS 1988, 853, 854 sowie bereits sehr deutlich Boehmer MDR 1949, 287, 287: „eine so überzeugende und unbestrittene Analogie, daß sie keiner Erörterung bedarf.“ 7 Vgl. beispielsweise nur Basty MittBayNot 2000, 73, 74 und Mayer ZEV 1998, 50, 50. 8 Vgl. Schoeck S. 87 ff., 92 f. 9 Vgl. Aunert-Micus S. 96 ff. und Kricke S. 39 f. 10 S. 101 ff. 11 S. 37 ff. passim. 12 S. 9 ff.

B. Vorliegen einer Gesetzeslücke

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B. Vorliegen einer Gesetzeslücke Wie im methodentheoretischen Teil dargelegt, bedarf es zur Übertragung bestimmter Regelungen auf einen von ihnen nicht erfaßten Sachverhalt im Wege richterlicher Rechtsfortbildung einer Gesetzeslücke. Das Fehlen einer den §§ 2287, 2288 BGB entsprechenden Regelung für das gemeinschaftliche Testament bzw. einer dementsprechenden Verweisung auf das Erbvertragsrecht müßte eine planwidrige Unvollständigkeit der Rechtsordnung im Ganzen im Sinne der Definition von Canaris darstellen.14 Abzustellen ist damit nicht allein auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs, namentlich die §§ 2265 ff. BGB, sondern auch auf solche Regelungen, die gewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen.15

I. Unvollständigkeit der Rechtsordnung Aus den Vorschriften zum gemeinschaftlichen Testament im Bürgerlichen Gesetzbuch ergeben sich keine Ansprüche des bedachten Dritten wegen fraudulöser Schenkungen16 des Überlebenden. Das Bürgerliche Gesetzbuch ist insoweit unvollständig.17 Aufgrund der das Gewohnheitsrecht einschließenden Definition einer Gesetzeslücke, könnten an einer Unvollständigkeit der Rechtsordnung allerdings Zweifel bestehen. Gewohnheitsrecht entsteht nämlich durch 13 Dagegen Kricke S. 120 ff. sowie jüngst Degert S. 102 (letztere auf Basis der herrschenden Meinung). 14 Dazu bereits oben im methodentheoretischen Teil unter lit. B (S. 32 ff.). 15 Ebenda. 16 Mit dem Titel der Arbeit umschreibt diese Bezeichnung die Schenkung des § 2287 BGB präziser als der heute in Rechtsprechung und Schrifttum vielfach verwendete Begriff der beeinträchtigenden Schenkung (vgl. auch § 3 Abs. 2 Ziff. 7 EStG). Letzterer erfaßt nicht die subjektive Komponente der Vorschrift. Zwar mißt die herrschende Meinung dieser Komponente in der Sache nur eine untergeordnete Bedeutung bei, wenn sie im Anschluß an Spellenberg FamRZ 1972, 349, 355 seit Aufgabe der Rechtsprechung zur sog. Aushöhlungsnichtigkeit (BGHZ 59, 343 ff. = JZ 1974, 30 ff. mit kritischer Anmerkung von Teichmann) die Beeinträchtigungsabsicht beim Vorliegen eines lebzeitigen Eigeninteresses ausschließt (vgl. stellvertretend nur Edenhofer in Palandt63 § 2287 Rn. 6). Diese Ansicht ist allerdings unter Berücksichtigung historischer Argumente – vgl. dazu passim später im Text unten S. 111 ff., 157 f. – nicht unproblematisch. In der neueren Literatur finden sich zunehmend beachtliche Gegenstimmen: Finger/Füser/Hamm/Weber FamRZ 1975, 251, 254 f.; Kanzleiter in Staudinger13 § 2287 Rn. 12 ff.; Lemcke S. 110 ff.; Nolting JA 1993, 129, 135; Speckmann NJW 1974, 341 ff.; Speckmann JZ 1974, 543 ff.; neuerdings auch Schmidt in Erman10 § 2287 Rn. 4 (anders noch in der Vorauflage); Goebel S. 330 (2003) verweist auf „ernst zu nehmende Kritik“. – Statt als „fraudulös“ wird die Schenkung des § 2287 BGB mitunter auch als „böswillig“ bzw. „böslich“ bezeichnet. 17 Der Begriff der Unvollständigkeit ist hier nicht in dem Sinne zu verstehen, daß etwas fehlt, was eigentlich vorhanden sein sollte. Dieser Wertungsfrage wird erst unter dem Aspekt der Planwidrigkeit nachgegangen. Vgl. insoweit Canaris2 § 3 (S. 16).

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Teil 1: Schenkungen nach dem Tod eines Ehegatten

eine dauerhafte tatsächliche allgemeine Übung der Mitglieder einer Rechtsgemeinschaft (inveterata consuetudo – objektives Element) und durch deren allgemeine Überzeugung, die Maxime, die der tatsächlichen Übung zugrunde liegt, sei rechtlich verbindlich (opinio iuris vel necessitatis – subjektives Element).18 Die analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB kann seit der eingangs dargestellten Grundsatzentscheidung des Reichsgerichts auf eine beträchtliche Gerichtspraxis zurückschauen. Seit Inkrafttreten das Bürgerlichen Gesetzbuchs findet sich keine abweichende – zumindest keine abweichende höchstrichterliche – Rechtsprechung. Bis auf die oben genannten Ausnahmen (Fleischmann und Kricke) hat die Gerichtspraxis in der Literatur uneingeschränkt Zustimmung gefunden. Vor der Grundsatzentscheidung des Reichsgerichts wendete sich allerdings bereits Richard Wilke19 (1900) gegen eine Übertragung der erbvertraglichen Vorschriften.20 Zumindest kritisch äußerte sich Heinrich Dernburg (1905).21 Dieser wollte die Bindung des Erbvertrags nicht schlechthin mit derjenigen des gemeinschaftlichen Testaments gleichstellen, ging allerdings davon aus, daß Schenkungen unter Lebenden unzulässig seien, soweit sie einen derartigen Umfang annähmen, daß sie einem Widerruf der wechselbezüglichen Verfügung gleichkämen. Da zwischen Wilke einerseits sowie Fleischmann und Kricke anderseits ein Zeitraum von über 80 Jahren liegt, in dem die Analogie in der Literatur – soweit ersichtlich – keine Gegenstimmen gefunden hat, stellt sich vorliegend die Frage, ob der ständige Gerichtsgebrauch bei allgemeiner Zustimmung im Schrifttum als Gewohnheitsrecht Teil der positiven Rechtsordnung geworden ist. Exkurs: Richterrecht und Gewohnheitsrecht Grundsätzlich entscheiden Gerichte Einzelfälle. Die Rechtsauffassung eines Gerichts, eine bestimmte Norm sei im Wege der Analogie auf einen bestimmten Sachverhalt anzuwenden, erwächst auch nur für den entschiedenen Einzelfall in Rechtskraft. Da das Gericht jedoch für seine Entscheidung in Anspruch nimmt, daß sie dem geltenden Recht entspreche, behauptet es zugleich, zukünftig jeden gleich gelagerten Fall nach der aufgestellten Maxime zu entscheiden. Damit wirkt jede gerichtliche Entscheidung mittelbar durch den Inhalt ihrer Begründung über den entschiedenen Einzelfall hinaus. Die Orientierung an beispielgebenden Entscheidungen – Präjudizien – vornehmlich der obersten Gerichte dient 18 Bydlinski 2 S. 215; Engisch9 S. 46 (knapp); Larenz6 S. 433; Larenz/Canaris3 S. 258 f.; Rüthers Rn. 232. 19 Wilke in Wilke/Reatz/Koffka/Neumann § 2269 Anm. 1 und § 2287 Anm. 1. 20 Die Person von Wilke erfährt insofern besondere Bedeutung, als dieser maßgeblich am Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs beteiligt war (dazu unten S. 127 ff., 136 ff., jeweils passim). 21 Bürgerliches Recht § 93 Fn. 9 (S. 261) und § 93 VI 3 (S. 262).

B. Vorliegen einer Gesetzeslücke

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der Einheitlichkeit und Kontinuität der Rechtsprechung und damit vor allem der Rechtssicherheit. Präjudizien spielen in der Praxis der Gerichte und somit vor allem bei richterlicher Rechtsfortbildung eine kaum zu überschätzende Rolle. Vor allem Präjudizien der obersten Gerichte werden zumindest bei allgemeiner Zustimmung aus dem Schrifttum nach geraumer Zeit wie „geltendes Recht“ angesehen (sog. Richterrecht).22 Ein solches Richterrecht läßt sich allerdings noch nicht automatisch dem geltenden Recht im Sinne des positiven Rechts zuordnen. Das Rechtsstaatsprinzip, namentlich der Grundsatz der Gewaltenteilung und die Gesetzesbindung des Richters, verbietet eine Verbindlichkeit von Präjudizien aus sich heraus. Der Richter ist in erster Linie dem von der Volksvertretung beschlossenen Gesetz verpflichtet. Präjudizien können daher nur mittelbar verbindlich sein, wenn und soweit sie methodisch korrekt aus der positiven Rechtsordnung, insbesondere aus dem maßgeblichen Gesetz, gewonnen sind. Der Geltungsanspruch einer Vorentscheidung ergibt sich nur aus der Richtigkeit der in ihr enthaltenen Argumente.23 Juristenrecht als „wissenschaftliches Recht“ gilt nicht kraft Rechtsautorität, sondern allein kraft seiner Begründung aus der Rechtsordnung.24 Teilweise wird Richterrecht ausnahmsweise dann als verbindlich anerkannt, wenn das geltende Recht mehrere gleich gut begründete Entscheidungen zuläßt. Dadurch soll der Forderung nach Rechtssicherheit (Kontinuität der Rechtsprechung) und Gleichbehandlung (Gerechtigkeitsgleichheit) nachgekommen werden.25 Ein ständiger Gerichtsgebrauch kann allerdings dadurch gesetzesgleiche Verbindlichkeit erlangen, daß er zur Grundlage eines Gewohnheitsrechts wird.26 Nur auf diesem Weg findet Richterrecht Aufnahme in die positive Rechtsordnung. Doch genügt hierfür keineswegs schon ein erheblicher Zeitraum, über den sich die Rechtsprechung als konstant erweist; der Zeitfaktor darf nicht einmal als entscheidend angesehen werden. Geltungsgrund des Gewohnheitsrechts ist – wie bereits erwähnt – die sich in einer konstanten Übung manifestierende allgemeine Überzeugung, ein bestimmter Rechtssatz sei verbindlich.27 Abzustellen ist hierbei auf die Überzeugung der „gewöhnlichen“ Mitglieder der Rechtsgemeinschaft.28 Ebenso wie das Gesetzesrecht findet auch das Gewohnheits22 Zum ganzen Absatz Larenz6 S. 429 f. und Larenz/Canaris3 S. 252 f.; vgl. aber auch Engisch9 Kapitel VIII Fn. 3 (S. 240). 23 Vgl. Larenz6 S. 430 ff. und Larenz/Canaris3 S. 253 ff. 24 Vgl. Flume S. 38 f. 25 Vgl. Bydlinski2 S. 504 ff. und (teilweise übereinstimmend) Bydlinski JZ 1985, 149, 151 ff. („subsidiäre Bindungskraft des Richterrechts“); im Anschluß Larenz/Canaris3 S. 256 ff. (ablehnend noch Larenz6 S. 432 f.). 26 Insoweit zumindest kritisch Rüthers Rn. 233 unter Hinweis auf Max Weber, Rechtssoziologie, 2. Aufl., 1967, S. 209 ff. 27 Larenz6 S. 433 und Larenz/Canaris3 S. 258. 28 Bydlinski 2 S. 215.

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recht seine Wurzel im Volk und nicht in staatlichen Autoritäten. Es wächst „organisch“ aus kollektiv geübten Verhaltensweisen der Bevölkerung und ist daher im Gegensatz zum Richterrecht direktdemokratisch legitimiert.29 Für die Entstehung von Gewohnheitsrecht genügt es deshalb nicht, daß eine bestimmte Judikatur widerspruchslos von den Mitgliedern der Rechtsgemeinschaft hingenommen wird; vielmehr bedarf es der Bildung einer eigenen Rechtsüberzeugung in der Bevölkerung. Unter einer solchen Rechtsüberzeugung ist nicht nur die Erwartung zu verstehen, daß die Gerichte einen bestimmten Rechtssatz anwenden werden, sondern darüber hinaus die Überzeugung, daß sie hierzu verpflichtet sind. Sprachrohr der „gewöhnlichen“ Mitglieder der Rechtsgemeinschaft ist insbesondere das juristische Schrifttum. Eine „öffentliche Meinung“ läßt sich bei einzelnen Rechtsproblemen selten feststellen. Bei allgemeiner Zustimmung ist auch zu berücksichtigen, wie rasch sie sich gegenüber einem Widerspruch durchgesetzt hat und wie weit sie schon vorher geäußerten Überzeugungen entspricht.30 Ein starkes Indiz für eine eigene Rechtsüberzeugung im Schrifttum ist eine eigene Argumentation. Die Argumente können durchaus denen der Rechtsprechung entsprechen. Ein bloßer Hinweis auf die Rechtsprechung ohne rechtliche Argumentation reicht dagegen nicht. Exkurs Ende Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen muß dem Anspruch des testamentarisch bindend Bedachten aus §§ 2287, 2288 BGB eine gewohnheitsrechtliche Geltung wohl abgesprochen werden.31 Sicherlich ist das zeitliche Moment gewaltig, aber eben nicht allein ausschlaggebend. Da im Schrifttum in der „kritiklosen Zeit“ fast ausschließlich auf die Rechtsprechung verwiesen wurde,32 liegt die Annahme einfachen Richterrechts nahe.33 Ob ein Schutz des 29

Vgl. Kramer S. 177. Larenz6 S. 433 und Larenz/Canaris3 S. 258. 31 Weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum wird – soweit ersichtlich – von einer gewohnheitsrechtlich anerkannten Analogie gesprochen. 32 Vgl. auch: Kricke S. 38: In der bisherigen wissenschaftlichen Diskussion finde sich keine eingehende Begründung (ohne Nachweise); Fleischmann S. 7: Die Analogie sei bisher kaum begründet worden. 33 Ganz anders beispielsweise bei der vieldiskutierten Problematik zum zivilrechtlichen Schutz des Persönlichkeitsrechts. Auch wenn die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf dem Weg zu BVerfGE 34, 269 ff. (Entschädigung in Geld bei schwerwiegenden Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wider § 253 BGB a. F.) als unzulässige Korrektur des Gesetzes anzusehen ist, so dürfte diese Rechtsprechung doch im Laufe der Zeit zu Gewohnheitsrecht erstarkt sein (so bereits Larenz6 S. 425 f.; kritisch dagegen Rüthers Rn. 240; siehe dazu und zur geltenden Rechtslage jüngst Ebert S. 491 ff, 514 ff. – Bei Larenz wird in diesem Zusammenhang übrigens sehr deutlich, daß nach seiner „Methodenlehre der Rechtswissenschaft“ gegen den Willen des historischen Gesetzgebers auch keine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung in Betracht kommt; vgl. insoweit bereits oben im methodentheoretischen Teil Fn. 77). 30

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bindend Bedachten vor Schenkungen in fraudem testamenti bereits vor der Rechtsprechung des Reichsgerichts allgemeiner Überzeugung entsprach, soll jetzt noch nicht festgestellt werden. Man wird diese Frage nicht auf die Rechtslage zum Bürgerlichen Gesetzbuch beschränken können. Insoweit hatte das Schrifttum angesichts der frühzeitigen Entscheidung des Reichsgerichts kaum eine Möglichkeit, eine eigene Überzeugung zu bilden. Vielmehr ist ein Überblick über die Rechtslage vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs und ein tieferer Einblick in das Gesetzgebungsverfahren erforderlich. Die Feststellung einer frühen allgemeinen Überzeugung bleibt der sich sogleich anschließenden historischen Untersuchung vorbehalten. Für den weiteren Verlauf wird daher zunächst von einer Unvollständigkeit der gesamten Rechtsordnung ausgegangen. Sollten historische Argumente dann doch für eine von der Rechtsprechung losgelöste allgemeine Überzeugung sprechen, so können die rechtsgeschichtlichen Ausführungen eine historische Analogieprüfung rechtfertigen. Ein negatives Ergebnis würde zwar die Rechtslage nicht unmittelbar berühren, könnte aber die opinio iuris erschüttern und damit Gewohnheitsrecht mittelbar zu Fall bringen. Ferner können historische Argumente auf jeden Fall im zweiten Teil dieser Arbeit zur Lösung geltendrechtlicher Fragen fruchtbar gemacht werden.

II. Planwidrigkeit Damit stellt sich die Frage, ob die Unvollständigkeit der Rechtsordnung entsprechend den Ausführungen zur Methodentheorie dem Plan des Gesetzes (Voraussetzung gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung) oder zumindest dem gegebenenfalls weitergehenden der gesamten Rechtsordnung (Voraussetzung gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung) widerspricht. Eine über den Plan des Gesetzes hinausgehende Rechtsfortbildung kommt – wie eingangs dargelegt – erst dann in Betracht, wenn sich aus der dem Gesetz immanenten Teleologie noch keine Planwidrigkeit ergibt und (!) der Wille des historischen Gesetzgebers einer solchen Rechtsfortbildung nicht widerspricht. Die dem Gesetz immanente Teleologie ist unter Berücksichtigung der oben gewonnenen Erkenntnisse zur Gesetzesauslegung anhand grammatischer, systematischer und historischer Auslegung und gegebenenfalls unter Rückgriff auf objektiv-teleologische Kriterien zu ermitteln. 1. Grammatische und systematische Auslegung Eine am Wortlaut orientierte Auslegung der §§ 2287, 2288 BGB verbietet deren Anwendung beim gemeinschaftlichen Testament. Auch die Vorschriften über das gemeinschaftliche Testament, namentlich § 2271 BGB, stützen man-

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gels entsprechender Verweisung die Anwendung nicht. Dieser Befund ist evident. Er führt zur oben festgestellten Unvollständigkeit des Gesetzes und ist damit eine Grundvoraussetzung für die hier in Frage gestellte Analogie. Ebensowenig aufschlußreich sind systematische Erwägungen. Da sich in § 2271 BGB eine umfangreiche Verweisungstechnik in das Erbvertragsrecht ohne die §§ 2287, 2288 BGB findet, spricht zwar ein Umkehrschluß gegen die Analogie. Genauso spricht auch die Regelung des § 2298 Abs. 2 S. 2 und 3 BGB neben der des § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB gegen eine Gleichbehandlung. Denn es ist zunächst wenig wahrscheinlich, daß der Gesetzgeber dem Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt inhaltsgleich das korrespektive Testament an die Seite stellen wollte. Eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Verfügungsfreiheit unter Lebenden könnte das Nebeneinander beider Rechtsinstitute rechtfertigen.34 Doch liefert die systematische Betrachtung nur Indizien für den entscheidenden Willen des Gesetzgebers. Durch die systematische Auslegung wird nur die bereits festgestellte Unvollständigkeit belegt. Auch das Fehlen einer dem § 2286 BGB entsprechenden Vorschrift im Testamentsrecht deutet nicht auf eine planwidrige Unvollständigkeit der §§ 2265 ff. BGB hin. Die Freiheit des testamentarisch gebundenen Ehegatten, über sein Vermögen unter Lebenden zu verfügen, ergibt sich bereits aus dem dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrundeliegenden Grundsatz der Privatautonomie. Eine Einschränkung dieses Grundsatzes hätte einer Regelung bedurft, nicht aber dessen Bestätigung.35 Die Vorschrift des § 2286 BGB ist daher im Erbvertragsrecht nur von deklaratorischer Natur36 und läßt somit im Zusammenhang mit den §§ 2265 ff. BGB keine Rückschlüsse auf den Plan des Gesetzes im Hinblick auf das gemeinschaftliche Testament zu.

34 Der Umstand, daß das korrespektive Testament im Gegensatz zum Erbvertrag eigenhändig errichtet werden kann, liefert historisch gesehen keine Begründung. Denn ihr Nebeneinander fanden die Vorschriften im Gesetzgebungsverfahren zu einem Zeitpunkt, als die Formerleichterung für Testamente noch nicht vorgesehen war. Dazu später noch S. 166. 35 Nebenbei soll hier nur bemerkt werden, daß sich eine analoge Anwendung des § 2286 BGB beim gemeinschaftlichen Testament methodisch verbietet. Das Bürgerliche Gesetzbuch ist insoweit schon nicht unvollständig. In die hier fragliche Analogie wird die klarstellende Regelung des § 2286 BGB dennoch vielfach einbezogen (vgl. aus der Rechtsprechung nur BGHZ 82, 274, 277 f.; vgl. sonst Edenhofer in Palandt63 § 2271 Rn. 10 und § 2286 Rn. 4 sowie Musielak in MünchKomm3 § 2271 Rn. 45 – jeweils unter Hinweis auf die insoweit vermeintlich grundlegende Entscheidung: BGH DNotZ 1951, 344 f. In dieser Entscheidung wird allerdings aus § 2286 BGB lediglich ein Erstrechtschluß für die lebzeitige Verfügungsfreiheit beim gemeinschaftlichen Testament gezogen: „Selbst durch einen Erbvertrag wird gemäß § 2286 BGB das Recht des Erblassers, über sein Vermögen durch Rechtsgeschäft unter Lebenden zu verfügen, nicht beschränkt. Dies gilt erst recht für sonstige Verfügungen von Todes wegen.“ Vgl. auch den Erstrechtschluß von Kuchinke JuS 1988, 853, 854). 36 Vgl. insoweit auch Protokolle S. 388.

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2. Historische Auslegung Sollte der Gesetzgeber beim gemeinschaftlichen Testament bewußt auf eine den §§ 2287, 2288 BGB entsprechende Regelung verzichtet haben, so ist dieses beredte Schweigen von den Gerichten grundsätzlich als verbindlicher Wille des Gesetzgebers zu akzeptieren. Für eine bewußte Entscheidung des Gesetzgebers könnte die grammatische und systematische Betrachtung sprechen. Sie kann für das gemeinschaftliche Testament und den Erbvertrag ein in sich formal widerspruchsloses Regelungssystem bestätigen. Damit ist allerdings noch nicht festgestellt, ob der Gesetzgeber nicht doch einen anderen Plan verfolgt hat. Ein solches Versehen läßt sich in der Regel im Wege der historischen Auslegung feststellen. Kann ein entgegenstehender Wille dabei nicht festgemacht werden (historisches non liquet), ist der Weg zur maßgeblichen Berücksichtigung objektiv-teleologischer Gesichtspunkte und damit zur Frage der Vergleichbarkeit der Interessenlagen frei. Ob die Unvollständigkeit mit einem „bloßen Übersehen“ des Gesetzgebers begründet werden kann, oder ob der Gesetzgeber zumindest der Meinung gewesen ist, schon der „das Gesetz beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben“ nötige bei Schenkungen des Überlebenden in fraudem testamenti zu einer den §§ 2287, 2288 BGB entsprechenden Rechtsfolge,37 läßt sich nicht so ohne weiteres feststellen. Mit einem Blick in die ganz allgemein gebräuchlichen Gesetzesmaterialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, die sog. Motive und Protokolle, lassen sich keine klaren Erkenntnisse gewinnen. Um dem eingangs nahegebrachten Stellenwert der historischen Auslegung im Gefüge mit den anderen Auslegungselemente gerecht zu werden, ist eine eingehende Untersuchung der historischen Hintergründe erforderlich. Grammatische und systematische Auslegung haben deutlich gemacht, in welchen Regelungsbereichen Anknüpfungspunkte für den Willen des historischen Gesetzgebers zu suchen sind. Es bedarf einer umfassenden Betrachtung der Entstehungsgeschichte der Vorschriften über das gemeinschaftliche Testament, wobei neben § 2271 BGB auch die Entstehungsgeschichte des Berliner Testaments (§ 2269 BGB) als Grundfall testamentarischer Bindung besonders zu beachten ist. Die Entstehungsgeschichte der Vorschriften über den Erbvertrag, insbesondere diejenige der §§ 2287, 2288 BGB, spielt ebenfalls eine maßgebliche Rolle. Schließlich steht die Anwendbarkeit dieser Regelungen zugunsten des testamentarisch bindend Bedachten in Frage. Ferner ist der Frage nachzugehen, in welchem Verhältnis das gemeinschaftliche Testament mit korrespektiven Verfügungen zum Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt steht.

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RGZ 58, 64, 66; vgl. dazu oben in der Einleitung (S. 17 f.).

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a) Historische Ausgangssituation Bevor die eigentliche Entstehungsgeschichte anhand der einschlägigen Gesetzesmaterialien untersucht wird, erfolgt ein Blick auf die Rechtslage vor dem 1. Januar 1900. Ein Überblick über die historische Ausgangssituation erleichtert das Verständnis der umfangreichen Materialien zur Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, daß der Entwurf des Gesetzbuchs „das den Gesamtzuständen des Deutschen Reichs entsprechende bürgerliche Recht in einer den Anforderungen der damaligen Wissenschaft gemäßen Form“ kodifizierend zusammenfassen sollte.38 Da es nach der Aufgabenstellung der vorliegenden Untersuchung in erster Linie darum geht, den Willen des historischen Gesetzgebers herauszuarbeiten, kommt es bei der Beleuchtung der Ausgangssituation weniger auf die heutige Sicht der Dinge an, als vielmehr auf die Sichtweise, die das ausgehende 19. Jahrhundert bestimmt hat.39 Die Grundzüge des Erbvertrags und diejenigen des gemeinschaftlichen Testaments fanden eine ausführliche Beschreibung in den „Standardwerken“ des 19. Jahrhunderts zum deutschen Privatrecht. Ganz besonders wurde die damalige Sichtweise durch drei große Monographien bestimmt.40 Bereits 1828/1829 38 So der vom Bundesrat gebilligte Vorschlag einer von ihm eingesetzten Kommission, die damit betraut war, gutachterliche Vorschläge zu Plan und Methode bei der Erstellung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs zu erarbeiten. Vgl. das entsprechende Gutachten dieser sog. Vorkommission vom 15.04.1874 (mitgeteilt bei Jakobs/Schubert Beratung [Materialien] S. 170 ff.; vgl. Schubert in Jakobs/Schubert a. a. O. S. 27 ff. und Schubert Entstehung S. 3 ff. umfassend zur Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs). 39 An dieser Stelle sei in gewisser Weise vorwegnehmend erwähnt, daß die sog. erste Kommission* bereits in den Jahren 1875 bis 1878 für den Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs die leitenden Grundsätze des Erbrechts festlegte. Als Grundlage dienten der Kommission ausführlich begründete Vorschläge, die ihr der bayerische Ministerialrat Gottfried von Schmitt als Redaktor für das Erbrecht vorlegte. In der Vorlage Nr. 4/1877 befaßte sich der Redaktor mit den Grundzügen des Erbvertrags und der Schenkung von Todes wegen sowie in einer Beilage mit dem Rechtsinstitut des gemeinschaftlichen Testaments (insgesamt 27 Seiten). Die Begründung der Schmitt’schen Vorschläge entspricht weitestgehend derjenigen des 1879 vorgelegten Teilentwurfs für das Erbrecht; Schmitts Begründung bildete gemeinsam mit den Sitzungsprotokollen der ersten Kommission die Grundlage für die 1888 veröffentlichten Motive zum Entwurf der ersten Kommission. Mit seinen grundlegenden Vorarbeiten nahm Schmitt großen Einfluß auf das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Für die Regelungen des Erbvertrags und diejenigen des gemeinschaftlichen Testaments sind daher im Hinblick auf die damalige Sicht der Dinge Schrifttum und Gerichtspraxis bis zur besagten Vorlage Nr. 4/1877 von herausragender Bedeutung. Einzelheiten zum Gang des Gesetzgebungsverfahrens und zum Redaktor des Erbrechts in der ersten Kommission folgen später (vgl. unten S. 111 ff.). * Die Bezeichnung „erste Kommission“ ist nicht qellentreu, da zum Zeitpunkt ihrer Einsetzung noch nicht an eine weitere, die sog. zweite Kommission gedacht worden ist. Um jedoch Verwechslungen zu vermeiden, werden im weiteren Verlauf der Arbeit die Bezeichnungen „erste Kommission“ und „zweite Kommission“ sowie „erster Entwurf“ und „zweiter Entwurf“ verwendet (vgl. auch Schulte-Nölke S. 100, dort Fn. 1).

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veröffentlichte der als Romanist wie auch als Germanist ausgezeichnete Rechtslehrer Johann Christian Hasse im Rheinischen Museum für Jurisprudenz einen umfassenden, von vielen seiner Nachfolger als bahnbrechend angesehenen41 Beitrag über „Erbvertrag, Vertrag über eine fremde Erbschaft, Schenkung Todes halber und wechselseitiges Testament“. In den Jahren 1835/1837/1840 erschien in drei Bänden „Die Lehre von den Erbverträgen“ von Georg Beseler. Ihr erster Band wurde bereits von seinen Zeitgenossen als epochemachende Leistung und von seinem Schüler Otto von Gierke neben „Albrechts Gewere“42 als bedeutendste unter den älteren germanistischen Monographien bezeichnet.43, 44 Der Romanist Gustav Hartmann sollte sich schließlich in einer von der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen gestellten „Preisaufgabe“ ausschließlich mit dem Rechtsinstitut des gemeinschaftlichen Testaments auseinandersetzen. Aufgrund der Berührungspunkte mit dem Erbvertragsrecht konnte er seine Untersuchung allerdings nicht auf das Rechtsinstitut des gemeinschaftlichen Testaments beschränken. Seine Arbeit erschien 1860 unter dem Titel „Zur Lehre von den Erbverträgen und von den gemeinschaftlichen Testamenten“. Hartmann setzte sich in seiner Arbeit mitunter kritisch mit den beiden vorgenannten Monographien von Hasse und Beseler auseinander. aa) Testament und Erbvertrag Rezeption römischen Erbrechts bedeutet Rezeption des testamentum, welches bis heute als einseitige, jederzeit widerrufliche und erst mit dem Tod des Erblassers wirksam werdende Verfügung angesehen wird. Die Geschichte des Erbvertrags und des gemeinschaftlichen Testaments ist die Geschichte einer seltsamen Ehe dieses testamentum mit dem bindenden Vertrag und anderen Rechtsfiguren, die auf eine ähnliche Bindung hinauslaufen.45 a) Römisches Recht Vom Zwölftafelgesetz bis zur Gesetzgebung Justinians kannte das römische Recht nur die gesetzliche und die testamentarische Erbfolge. Das Testament 40 Vgl. schon damals den Hinweis auf die drei nachfolgend genannten Autoren bei Arndts, Oesterreichische Vierteljahresschrift für Rechts- und Staatswissenschaft 7 (1861) 269, 269 f. 41 Vgl. Beseler Erbverträge II/1 S. 18 f. und Hartmann S. 29 f. Siehe auch Battes S. 29 mit weiteren Nachweisen. 42 Albrecht, Die Gewere, als Grundlage des älteren deutschen Sachenrechts, 1828. 43 Vgl. Gierke ZRG Germ. Abt. 10 (1889) 1, 4 f. 44 Vgl. wieder Battes S. 30 f. (1974): „[. . .] bis heute das bedeutendste deutsche Werk über Erbverträge und gemeinschaftliche Testamente, die ,Lehre von den Erbverträgen‘ von Georg Beseler.“ 45 Battes S. 27.

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war das Herzstück des römischen Erbrechts. Es modifizierte die gesetzliche Erbfolge. Die Testierfreiheit war tragendes Prinzip. Hatte der Erblasser ein Testament errichtet, so konnte er es jederzeit widerrufen. Der Erblasser konnte sich weder zur Errichtung eines bestimmten Testaments, noch konnte er seine Erben zur Übertragung seines Nachlasses verpflichten. Ebensowenig wurde ein Verzicht potentieller Erben auf ihr Erbrecht für zulässig erachtet. Derartige Vereinbarungen galten als unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit und wurden als stipulatio contra bonos mores verworfen (vgl. z. B. Dig. 45, 1, 61). Eine verbindliche Erbfolgeregelung durch Rechtsgeschäft wurde neben der gegenüber der testamentarischen Erbfolge subsidiär geltenden gesetzlichen Erbfolgeregelung des Staates nicht akzeptiert. Soweit die Erbfolge nämlich nicht letztwillig, im Sinne einer bis zum letzten Atemzug des Erblassers frei widerruflichen Verfügung, geregelt wurde, blieb die Erbfolge Staatssache und konnte nicht zum Gegenstand privater Verträge werden. Mit Ausnahme des eingangs erwähnten Romanisten Hartmann46 gingen die Juristen des 19. Jahrhunderts im soeben beschriebenen Sinne davon aus, daß das römische Recht verbindliche Absprachen über die Vermögensnachfolge von Todes wegen abgelehnt habe.47, 48 Nichts anderes gilt für die unmittelbar im Anschluß an die Rezeption des römischen Rechts zur Rechtfertigung von Erbverträgen bemühte sog. Soldatenentscheidung des Justinian’schen Kodexes (Cod. 2, 3, 19). Dieser Entscheidung lag die Absprache zweier Brüder zugrunde, die als Soldaten vor einer Schlacht ausgemacht hatten, daß das Vermögen des einen bei einem Unglücksfall dem anderen gehören solle. Daß der überlebende schließlich als Erbe des verunglückten Bruders anerkannt wurde, ergab sich nicht – wie nach der Wiederentdeckung des Justinian’schen Rechts angenommen49 – aus dem pactum der Geschwister. Vielmehr wurde aus dieser Vereinbarung der letzte Wille des Gefallenen herausgelöst und als privilegiertes von allen Förmlichkeiten entbundenes Soldatentestament betrachtet.50 Die einzige Möglichkeit, eine mehr oder weniger verbindliche Nachfolgeregelung zu treffen, bot sich im römischen Recht mit der donatio mortis causa, der sog. Schenkung von Todes wegen, auch als Schenkung (unter Lebenden)51 46

S. 13 ff. Vgl. stellvertretend: Beseler Erbverträge II/1 S. 102 ff.; Hasse RheinMusJur 2 (1828) 149, 154 ff.; Savigny System IV S. 142 ff. Zum römischen Erbrecht aus heutiger Sicht siehe Kaser2 S. 91 ff. (altrömisches Recht), 668 ff. (vorklassisches und klassisches Recht) und Liebs5 S. 130 ff. 48 Battes S. 28 mit weiteren Nachweisen zur Literatur des 19. Jahrhunderts. 49 Dazu später im Text. 50 So bereits Beseler Erbverträge II/1 S. 106 ff. und Hasse RheinMusJur 2 (1828) 149, 163 f. Siehe später auch Merkel S. 9 f. (1930); anders oder zumindest mißverständlich Kipp/Coing14 S. 232 (1990): Vereinbarung (!) über die Erbfolge. 47

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auf den Todesfall bezeichnet. Anders als das Testament konnte sich dieses Rechtsgeschäft ausschließlich auf einzelne Vermögenswerte erstrecken.52 Die donatio mortis causa führte als Schenkung unter Lebenden im Gegensatz zur Verfügung von Todes wegen entweder bereits zu Lebzeiten des Schenkers die gewünschte Rechtsänderung herbei, oder sie begründete einen Anspruch des Beschenkten gegen den Schenker bzw. dessen Erben. Häufig stand sie im Zusammenhang mit einer drohenden Todesgefahr. Die Schenkung erfolgte dann unter der Bedingung, daß sich die Gefahr des Todes realisiere. Sie konnte aber auch unter der schlichten Bedingung erfolgen, daß der Beschenkte den Schenker zu überleben habe. Trat die Bedingung nicht ein, konnte der Schenker den bereits übertragenen Vermögenswert zurückfordern, oder sein Versprechen wurde durch diesen Umstand hinfällig. Ferner wurde in der Regel angenommen, daß sich der Schenker bis zu seinem Tode das Recht zum „willkürlichen Widerruf“ vorbehalten habe. Ein solcher Vorbehalt war allerdings für die Schenkung auf den Todesfall nicht wesentlich. Damit stand die donatio mortis causa einer (verbindlichen) Verfügung von Todes wegen recht nahe. Dies führte in klassischer Zeit schließlich dazu, daß die Schenkung unter Lebenden auf den Todesfall weithin den Vermächtnisvorschriften unterstellt wurde.53 b) Deutsches Recht aa) Entdeckung der Verfügungsmacht und gesetzliches Familienerbrecht54 Zu einer Zeit, zu der im römischen Erbrecht der Grundsatz der Testierfreiheit bereits tragendes Prinzip war, befand sich der deutsche Rechtskreis noch in eiVgl. heute Lange/Kuchinke5 S. 740 ff. und dort Fn. 37. In der Pandektistik war die systematische Einordnung der donatio mortis causa umstritten. Während Savigny System IV S. 18 ff. (insbesondere S. 23) ein Geschäft unter Lebenden annahm, wurde sie von Windscheid7 § 675 Fn. 1 (S. 373 f.) als Verfügung von Todes wegen eingestuft. Im Bürgerlichen Gesetzbuch wurde sie nicht besonders geregelt, siehe nur § 2301 BGB. 52 Unerläßlicher „Haupt- und Grundstein“ eines jeden römischen Testaments war die Erbeinsetzung (heredis institutio). Eine Erbeinsetzung auf einen einzelnen Vermögensgegenstand (heredis institutio ex re certa) widersprach dem römischen Prinzip der Universalsukzession. Von Todes wegen konnten Einzelzuwendungen im (!) Testament durch ein sog. legatum erfolgen. Neben den Legaten entwickelten sich die sog. Fideikommisse (fidei commissum) als zunächst formfreies Vermächtnisgeschäft. Beiden Formen der Einzelzuwendung stand die donatio mortis causa als Rechtsgeschäft unter Lebenden gegenüber. Vgl. nur Kaser2 S. 685 ff., 740 ff. 53 Insgesamt zur donatio mortis causa Kaser2 S. 678, 763 ff. Ausführlich zu diesem Rechtsinstitut aus der Pandektistik Savigny System IV S. 239 ff.; siehe auch umfassend Hasse RheinMusJur 2 (1828) 300 ff.; 3 (1829) 1 ff., 371 ff. 54 Zum nachfolgenden Text insgesamt: Coing Privatrecht I S. 559 ff.; Conrad2 S. 40 ff., 159 ff.; Hagemann HRG I 971 ff. (Erbrecht); Hattenhauer Verfügungsmacht (passim); Hattenhauer Grundbegriffe2 S. 204 ff. = Jura 1983, 9, 10 ff.; Meyer Erbrecht S. 59 ff.; Ogris HRG I 956 (Erbenlaub), 958 f. (Erbenwartrecht), 964 f. (Erb51

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ner rein bäuerlichen Gesellschaftsform ohne Erbrecht.55, 56 Aus der Perspektive des heutigen Rechts war nicht die einzelne natürliche Person Träger der Rechtsfähigkeit, sondern der „unsterbliche“ Familienverband. Die Familie hielt im Sinne einer „überzeitlichen Gesamthand“57 den damals wesentlichen Vermögenswert, das Grundvermögen. Diese Vorstellung blieb in gewisser Weise bis in das 12. und 13. Jahrhundert erhalten. Den Wandel leitete die missionierende Kirche ein, die zur Versorgung ihrer Kleriker Abgaben einbringendes Grundvermögen benötigte. Die lange Zeit von den „weichenden“ Familienmitgliedern bestrittene Verfügungsmacht wurde vorerst nur für religiös motivierte Verfügungen unter Lebenden als donationes pro salute animae (sog. Seelgeräte) und nur für einen kleinen Teil des Familienvermögens anerkannt. Verfügungen über diesen sog. Freiteil hinaus bedurften der Zustimmung der Familie. Es dauerte Jahrhunderte, bis die durch die überkommene Familienordnung stark eingeschränkte Verfügungsmacht schließlich umfassend allgemeine Anerkennung fand. Mit der Entdeckung der Verfügungsmacht58 verlagerte sich die Rechtsfähigkeit von der Familie auf die einzelne natürliche Person. Erst im Wege dieses Prozesses wurden erbrechtliche Regelungen möglich und notwendig. Das deutsche Erbrecht blieb zunächst als reines Familienerbrecht althergebrachten Vorstellungen verhaftet. Es galt das mittelalterliche Rechtssprichwort: „Das Gut rinnt wie das Blut.“ Entscheidend für die Ordnung der gesetzlichen Erbfolge war die Nähe der Verwandtschaft: „Je näher dem Blut, desto näher dem Gut.“59 Für Verfügungen von Todes wegen war gut); Wacke HRG III 1737 ff. (Pflichtteilsrecht); siehe auch Eckert HRG V 719, 720 f. (Verfügung) sowie zum Text im wesentlichen im Anschluß an Conrad und Hattenhauer: Andersch BWNotZ 1982, 153, 154 ff. Vgl. mit Bezug zum Sachsenspiegel auch Schröder JuS 1998, 776, 779. Die zitierten Verfasser im Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG) stützen die Kommentierung der einschlägigen Stichworte im wesentlichen auf Standardwerke des 19. Jahrhunderts. Auf deren Nachweise wird hier verwiesen. Vgl. in Ergänzung dazu ferner: Beseler Erbverträge I S. 1 ff., 13 ff., 48 ff. – jeweils passim – und Hasse RheinMusJur 2 (1828) 149, 165 ff. passim. 55 Wenn der römische Historiker Tacitus (Germania 20) die Rechtslage bei den Germanen mit den knappen Worten: „heredes tamen successoresque sui cuique liberi, et nullum testamentum“ beschrieb, so ging er von einem gesetzlichen Familienerbrecht aus; eine Rechtsordnung ohne Erbrecht konnte er sich als Römer nicht vorstellen (Hattenhauer Grundbegriffe2 S. 205 = Jura 1983, 9, 10). 56 Der nachfolgende Erklärungsversuch ist freilich nicht unumstritten (vgl. etwa Beseler Erbverträge I S. 48 ff.). 57 Vgl. Hattenhauer Verfügungsmacht S. 3. 58 Dazu ausführlich Hattenhauer, Die Entdeckung der Verfügungsmacht, 1969. 59 Ein schönes Beispiel für die Familienerbfolge des Mittelalters bietet der Sachsenspiegel, Landrecht I 3 § 3. Dort werden verwandtschaftliche Verhältnisse und Erbfolge eingehend anhand der Gliedmaßen des menschlichen Körpers beschrieben. Die gesetzliche Familienerbfolge endet mit dem sog. Nagelvetter im siebten Verwandtschaftsgrad. Vgl. zur Familienerbfolge auch Sachsenspiegel, Landrecht I 5: Erbrecht der Kindeskinder.

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noch kein Raum. Es gab nur „geborene“, nicht „gekorene“ Erben: Solus deus heredes facere potest, non homo.60 Abgesehen vom Fall sog. echter Not61 mußte für Verfügungen unter Lebenden über den Freiteil hinaus weiterhin die Zustimmung der Familie eingeholt werden.62 Die durch die Familienerbfolge hervorgebrachten „Anwartschaftsrechte“ der gesetzlichen Erben (sog. Erbenwartrechte) waren zu berücksichtigen. Daher waren die erbberechtigten Familienmitglieder an einer Grundstücksübertragung zu beteiligen. Im Rahmen der hierfür erforderlichen Form der „feierlichen Auflassung“63 konnten sie auf ihre Rechte verzichten (sog. Erbenlaub). Waren sie zu einem solchen Verzicht nicht bereit, mußten sie der Veräußerung „innerhalb Jahr und Tag“ vom Zeitpunkt der Auflassung an widersprechen. Die Veräußerung war den Erben gegenüber dann unwirksam. Sie hatten damit einen Herausgabeanspruch gegen den Erwerber.64 Das Wartrecht der gesetzlichen Erben verblaßte allerdings im Laufe des Mittelalters, indem sein Anwendungsbereich auf das Erbgut in Abgrenzung zum durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworbenen Gut, dem wohlgewonnenen Gut, beschränkt wurde und indem das dem Erbenwartrecht nicht unterliegende bewegliche Vermögen mit dem Aufblühen des Geldwesens, des Handels und der Städte an Bedeutung gewann, bis das Erbenwartrecht schließlich infolge der Rezeption dem Pflichtteilsrecht in verschiedensten Ausgestaltungen weichen mußte. Erst damit war die Verfügungsmacht umfassend anerkannt. bb) Vergabungen auf den Todesfall In den wenigsten Fällen erfolgte die Übertragung von Grundvermögen pro salute animae bedingungs- oder vorbehaltlos. Das Bedürfnis des Veräußerers, den Vermögenswert seiner Gabe zeitlebens unter Ausschluß des Erwerbers zu nutzen und zu genießen, führte frühzeitig zu Konstruktionen, welche die wirtNebenbei sei an dieser Stelle angemerkt, daß der Sachsenspiegel eine weit über den sächsischen Raum hinaus reichende Autorität besaß. Mittelbar diente er auch als Grundlage für den im süddeutschen Raum weitverbreiteten Schwabenspiegel. Der Sachsenspiegel gilt als „großer Gegenspieler“ (Wilhelm Ebel) des römischen Rechts (Schröder JuS 1998, 776 ff.; vgl. auch Wieacker2 S. 107). 60 Nach Coing Privatrecht I S. 559 f. geht dieser lateinische Ausspruch auf den „tractus“ des englischen Juristen Glanville (Ranulphus de Glanvilla, *1120/1130 y1190) zurück. 61 Hierzu auch allgemein Sellert HRG I 1040 ff. (Not, echte). 62 Entgegen der herrschenden Ansicht ging Beseler Erbverträge I S. 54 ff. davon aus, daß die Beteiligung weichender Erben zunächst aus reiner Rücksichtnahme erfolgt und erst mit der Zeit zu einer erforderlichen Rechtshandlung geworden sei. 63 Hierzu recht ausführlich Beseler Erbverträge I S. 19 ff. 64 Vgl. zur Rechtsstellung der weichenden gesetzlichen Erben beispielsweise Sachsenspiegel, Landrecht I 52 § 1.

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schaftlichen Folgen der Übertragung auf den Todesfall des Veräußerers hinausschoben. Zusammenfassend werden diese Rechtsgeschäfte als Vergabungen von Todes wegen bezeichnet. Sie sollen hier in Abgrenzung zu den erst später aufkommenden, heute sog. Verfügungen von Todes wegen, den Testamenten und Erbverträgen, als Vergabungen auf den Todesfall bezeichnet werden.65 Im Gegensatz zu den Verfügungen von Todes wegen waren die Vergabungen auf den Todesfall Rechtsgeschäfte, die bereits zu Lebzeiten der Beteiligten zu einer unmittelbaren Rechtsänderung bzw. Belastung führten.66 Zum einen gab es Grundstücksübertragungen an einen Treuhänder, den sog. Salmann. Dieser hielt den Grundbesitz für den Veräußerer und übertrug ihn nach dessen Tod dem Erwerber. Daneben gab es aber auch Vergabungen auf den Todesfall, bei deren Abwicklung der Veräußerer in direktem Kontakt zum Erwerber stand.67 Hierbei werden zwei Konstruktionsvarianten unterschieden: (1) die donatio reservato usufructu und (2) die donatio post obitum. Bei der ersten Variante wurde der Erwerber sofort alleiniger Eigentümer des Grundstücks. Der Veräußerer behielt sich allerdings zumindest zu seinen Lebzeiten den Nießbrauch am Grundstück vor. Mitunter war er zur Kennzeichnung des neuen Rechtsverhältnisses dem Erwerber gegenüber zur Zahlung eines symbolischen Zinses verpflichtet.68 Während bei der zweiten Variante heute allgemein angenommen wird, daß der Veräußerer dem Erwerber eine Art Anwartschaftsrecht übertragen habe,69 gingen die Meinungen bei dieser Konstruktion im 19. Jahrhundert auseinander. Neben die heute herrschende „Theorie vom Anwartschaftsrecht“70, 71 trat die Vorstellung, daß Veräußerer und Erwerber Eigentümer zur gesamten 65 Beseler Erbverträge I S. 5 wählte bewußt den Begriff der Vergabung von Todes wegen in Abgrenzung zur unbeschränkten Übereignung mit sofortiger Wirkung. In Ergänzung zu der hier verwendeten Literatur kann auf die Nachweise bei Meyer Testament § 1 Fn. 11 verwiesen werden. 66 Der sachenrechtliche Charakter der Vergabungen auf den Todesfall in toto war nicht unumstritten. Die ausschließliche Zuordnung zum Sachenrecht erfolgte erstmals durch Beseler. Er widmete den ersten Band seiner Lehre von den Erbverträgen, mit dem er in Heidelberg habilitiert wurde, allein den Vergabungen auf den Todesfall. Seine Arbeit zeichnet sich dadurch aus, daß er erstmals neben den Rechtsquellen auch zahlreiche Urkunden heranzog, um dem eigentümlichen Rechtsinstitut näher zu kommen (Gierke ZRG Germ. Abt. 10 [1889] 1, 5). Beseler brachte den Nachweis, daß die Vergabungen auf den Todesfall auch mit dem Eintritt des römischen Rechts im Verlauf der Rezeption weitgehend im Wege der Auflassung durchgeführt wurden. Einem vertraglichen Element wies er nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Vgl. Beseler Erbverträge I (passim) und Beseler System4 S. 650 f.). Vgl. auch später noch im Text. 67 Vgl. zunächst nur Beseler Erbverträge I S. 4 f. 68 Beseler Erbverträge I S. 71 ff.; Siegel S. 102; Stobbe1/2 S. 175. 69 Vgl. Conrad2 S. 162 und danach: Hattenhauer Verfügungsmacht S. 18 f. (vgl. wieder Andersch BWNotZ 1982, 153, 156); Lange/Kuchinke5 S. 328. Vgl. auch bereits Meyer Testament S. 7 ff. (1908) unter Hinweis auf Duncker, Das Gesamteigentum, 1843, S. 53 ff. und Hübner, Die donationes post obitum und die Schenkungen mit Vorbehalt des Nießbrauchs im älteren deutschen Recht, in Gierkes Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Heft 26 (1888) S. 4.

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Hand geworden seien. Diese als „Theorie vom Gesamteigentum“ zu bezeichnende Auffassung wurde bereits von Karl Friedrich Eichhorn in seiner „Einleitung in das deutsche Privatrecht“ vertreten.72 Sie fand schließlich mit Beseler einen vehementen, auf dem Gebiet des Erbvertragsrechts prominenten Verfechter.73 Durch den Nießbrauchsvorbehalt bzw. durch anderweitige Absprachen zwischen Veräußerer und Erwerber – welcher juristischen Konstruktion bei der donatio post obitum auch immer der Vorzug zu geben ist74 – behielt der Veräußerer in jedem Fall die uneingeschränkte Nutzungsbefugnis, wobei er die uneingeschränkte Dispositionsbefugnis verlor. Obwohl dies der Rechtsnatur des Nießbrauchs widerspricht, war dem Veräußerer im Falle echter Not in der Regel eine (zweite) Grundstücksveräußerung gestattet.75 Bei der donatio post obitum konnte die Veräußerung nur noch gemeinsam mit dem Erwerber erfolgen. War der Erwerber an der (zweiten) Veräußerung nicht beteiligt, konnte er dieser innerhalb Jahr und Tag widersprechen.76 Seine Rechtsposition kam so im Hinblick auf den Gegenstand der Vergabung auf den Todesfall derjenigen eines gesetzlichen Erben zumindest ziemlich nahe.77 Damit erhielt der Erwerber nach Vgl. etwa Stobbe1/2 S. 175 f.: Bei der donatio post obitum „wird das Recht an der Sache in der Weise übertragen, daß die Ausübung desselben zunächst suspendiert ist, der Besitz beim Vergabenden zurückbleibt und erst post obitum auf den Bedachten übergeht. Es fand nur eine traditio, aber keine vestitura statt; erst nach dem Tode des Vergabenden soll sich der Bedachte von dem Erben des Verstorbenen die vestitura übertragen lassen oder sich eigenmächtig in den Besitz setzten dürfen.“ Stobbe (Fn. 20) sprach insoweit auch von einer „suspensivbedingten Eigentumsübertragung“; vgl. auch Kugelmann S. 11 ff.: Der Bedachte werde Eigentümer, gelange jedoch erst mit dem Tod des Schenkers zur tatsächlichen Ausübung und Nutzung seines Rechts. 71 Albrecht Gewere S. 190 vertrat die Auffassung, daß durch die Auflassung kein bedingtes Recht übertragen werden könne. Neben der Konstruktion über den Nießbrauch stellte er daher nur die Begründung von Gesamteigentum zur Diskussion (vgl. S. 192 ff.; dazu sogleich unten Fn. 72). 72 Siehe nur 2. Aufl. (1825) S. 440 ff. und 4. Aufl. (1836) S. 452 ff. Dagegen bereits Albrecht Gewere S. 192 ff.; entschieden gegen Gesamteigentum und in diesem Zusammenhang immer wieder zitiert: Duncker (oben Fn. 69) und Hübner (ebenda). 73 Vgl. Beseler Erbverträge I S. 73 ff. und passim; Beseler System4 S. 650. Im Anschluß an Beseler auch Dieck Enzyklopädie XL 342, 402 (Erbrecht). 74 So führte Stobbe1/2 § 298 Fn. 20 aus: „Die Quellen selbst lassen uns im Stich bei der Frage, wer während des Lebens der Vergabenden Eigenthümer sei, ob der Vergabende Eigenthum ohne Veräußerungsbefugnis oder der Bedachte Eigentum ohne Nutzungsbefugnis habe. [Ebensogut könnten auch beide Eigentümer geworden sein.] Sie begnügen sich die Befugnisse der beiden Personen festzustellen, ohne sich um die juristische Construktion ihres Rechts zu kümmern.“ 75 Albrecht Gewere S. 200; Beseler Erbverträge I S. 71 ff., 144 ff.; Siegel S. 102 f. Man kann dieses Recht auch mit Rücksicht auf die Konstruktion als „Widerrufsvorbehalt“ für den Fall echter Not erklären. 76 Beseler Erbverträge I S. 73 ff., 144 ff.; Siegel S. 103. Kein Unterschied zur donatio reservato usufructu: Bei einer Veräußerung im Falle echter Not ging der Widerspruch ins Leere (Beseler a. a. O.) 77 Albrecht Gewere S. 190 f. (anders bei der Vergabung auf den Todesfall bei Zuwendung des gesamten Vermögens, S. 221: identische Rechtsposition); Beseler Erbver70

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beiden Konstruktionen eine gesicherte Rechtsposition, ohne daß der Veräußerer den vollen Genuß des Grundstücks zu entbehren hatte.78 Die Vergabungen auf den Todesfall waren bzw. blieben in ihrem Anwendungsbereich nicht auf einzelne Grundstückszuwendungen und nicht auf solche zugunsten der Kirche beschränkt. Mit der Zeit hat sich ihr Anwendungsbereich auf die Übertragung des gesamten, zunächst nur des gegenwärtigen und später auch des künftigen, Vermögens ausgedehnt.79 Die Vergabungen auf den Todesfall entwickelten sich zu einem mehr oder weniger allgemein gebräuchlichen Rechtsinstitut zur Gestaltung der Vermögensnachfolge. Besondere Bedeutung erlangten Vergabungen auf den Todesfall unter Ehegatten. Neben die Zuwendung einzelner Vermögenswerte zur Versorgung der Ehefrau80 traten wechselseitige (gegenseitige) Zuwendungen unter den Ehegatten. Bereits das fränkische Recht kannte solche Verfügungen unter kinderlosen Ehegatten.81 Bei wechselseitiger Vergabung des gesamten Vermögens auf den Todesfall sollte der überlebende Ehegatte die Substanz des erworbenen Vermögens ausschließlich für Almosen – scil. Schenkungen zugunsten der Kirche – sowie für den Fall echter Not angreifen. Nach seinem Tod sollte das Vermögen den gesetzlichen Erben des erstversterbenden Ehegatten zukommen.82 Aber auch eine Konstruktion im Sinne der donatio post obitum war im fränkischen Recht denkbar. Nach Beseler sollte sie sogar aufgrund der von ihm allgemein angenommenen Begründung einer Gesamthandsgemeinschaft gerade unter Ehegatten die Regel gewesen sein. Danach sollte das Vermögen des Erstversterbenden nach dem Tod beider Ehegatten allein den gesetzlichen Erben des Überlebenden zukommen.83 Die Zuwendungen unter Ehegatten erfolgten in der Regel gemeinschaftlich in ein und demselben Rechtsgeschäft (uno actu); sie waren später meist Bestandteil sog. Ehestiftungen (Eheverträge). Die Übergänge zur Begründung der sog. allträge I S. 94 f. (keine Übertragung der Rechte des nächsten Erben); vgl. allerdings Siegel S. 103 (bei der donatio post obitum entspreche die Lage des Bedachten derjenigen des gesetzlichen Erben). 78 Zu dieser Zielsetzung: Beseler Erbverträge I S. 70. 79 Ausführlich Beseler Erbverträge I S. 152 ff. 80 Dazu Beseler Erbverträge I S. 197 ff. Ähnlich wie sich die Kirche ihren Freiteil erkämpfte (vgl. oben im Text), fanden Zuwendungen an die Ehefrau – zunächst in Form des Nießbrauchs – Anerkennung. Ein willkürlicher Widerspruch der weichenden Erben konnte diese nicht zu Fall bringen. Vgl. z. B. auch Hasse RheinMusJur 2 (1828) 149, 185, 189 f. 81 Zur Affatomie des fränkischen Rechts sowie zum Thinx des langobardischen Rechts siehe Beseler Erbverträge I S. 96 ff. bzw. S. 108 ff. und Heusler S. 621 ff. 82 Beseler Erbverträge I S. 105 f. unter Hinweis auf eine Formel aus der Sammlung des fränkischen Mönchs Marculf (und auch bereits S. 84 f. mit Zitat aus der Formel); Stobbe1/2 S. 177 ebenso unter Hinweis auf Marculf. 83 Beseler Erbverträge I S. 106 (vgl. bereits S. 84 f.) unter Hinweis auf eine auszugsweise zitierte Formel das fränkischen Mönchs Lindenbrog; vgl. auch Stobbe1/2 § 298 Fn. 31.

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gemeinen Gütergemeinschaft84 waren fließend. Teilweise war die Kinderlosigkeit der Ehegatten noch bis in das Spätmittelalter Voraussetzung für die Gültigkeit derartiger Vereinbarungen. Es galt der Satz: „Kinderzeugen bricht Ehestiftung.“85 Die Vergabungen auf den Todesfall haben sich bis in die Zeit der sog. Rechtsbücher hinein als unmittelbar gestaltende Rechtsgeschäfte erhalten. Der Sachsenspiegel sieht für das der Vergabung auf den Todesfall zugrundeliegende Versprechen die gerichtliche Bestätigung vor.86 Allgemein wird hierin die Form der gerichtlichen Auflassung erkannt.87 Mit dem Schwabenspiegel gerät die sachenrechtliche Konstruktion der Vergabungen auf den Todesfall ins Wanken. Der Schwabenspiegel bietet in Art. 31188 mehrere Formen zur Auswahl. Die Auslegung dieser Textstelle ist schwierig; sie war im 19. Jahrhundert lebhaft umstritten.89 Von Otto Stobbe wurde ein verhältnismäßig einfacher Erklärungsversuch geliefert. Seiner Auffassung nach skizziere der Schwabenspiegel lediglich die beiden oben beschriebenen Konstruktionsvarianten (donatio reservato usufructu und donatio post obitum) und fordere für beide Varianten die damals übliche Form der gerichtlichen Auflassung. Neben die Form der gerichtlichen Auflassung habe der Schwabenspiegel eine für das Rechtsinstitut der Vergabung auf den Todesfall neue Form gestellt: die Übergabe einer gesiegelten Urkunde.90 Mit diesem Erklärungsversuch konzentrieren sich die Auslegungsschwierigkeiten auf das Wesentliche, die Bedeutung der neuen Form. Hierzu hielt sich Stobbe allerdings recht bedeckt. Er merkte nur nebenbei an, daß der Akt der Übergabe auf einen Vertrag hindeute; ob dabei „ein lediglich obligatorisches oder sofort ein dingliches Recht“ begründet worden sei, ließe sich nicht entscheiden.91 Obwohl der Schwabenspiegel nicht zwischen ererbtem und wohlgewonnenem Gut differenziert,92 war Wilhelm Eduard Albrecht geneigt, in der Übergabe der gesiegelten Urkunde eine Form für die mit der Zeit ohne Zustim-

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Dazu knapp Ogris HRG I 1871 ff. (Gütergemeinschaft). Stobbe1/2 S. 193. 86 Vgl. Sachsenspiegel, Landrecht II 30. Allgemein zu terminologischen Fragen Beseler Erbverträge I S. 13 ff.: Der Begriff „erve“ bzw. „Erbe“ kann auch für „Grundstück“ oder „Eigen“ stehen. Im besonderen vgl. sogleich die Nachweise unten Fn. 87. 87 Vgl. Albrecht Gewere S. 188 f.; Beseler Erbverträge I S. 132 ff.; Kugelmann S. 23 ff.; Siegel S. 101; Stobbe1/2 S. 179. 88 Diese Schwabenspiegelstelle ist jeweils bei den zitierten Verfassern wiedergegeben. 89 Vgl.: Albrecht Gewere S. 198 ff.; Beseler Erbverträge I S. 137 ff.; Dieck Enzyklopädie XL 342, 412 ff. (Erbrecht); Kugelmann S. 31 ff.; Siegel S. 104 ff.; Stobbe1/2 S. 179 ff. mit weiteren Nachweisen. 90 Stobbe1/2 S. 179 ff. 91 Stobbe1/2 § 299 Fn. 4. Für ein obligatorisches Recht sprach sich z. B. Siegel S. 104 ff. und für ein dingliches z. B. Kugelmann S. 31 ff. aus. 92 Hierauf weist Stobbe1/2 § 299 Fn. 4 hin. 85

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mung der weichenden Erben möglich gewordene Zuwendung wohlgewonnenen Guts zu erkennen.93 Eichhorn ging davon aus, daß die immer mehr in Übung gekommenen Vergabungen auf den Todesfall allgemein eine bequemere Form gefunden hätten.94 Dagegen führte Beseler die neue Form – in gewisser Weise im Anschluß an Hasse95 – auf den Einfluß römischen Rechts zurück und erkannte in der gesiegelten Urkunde ein schriftliches Testament.96 Damit war freilich noch nicht das im Wege der Rezeption eindringende römische Recht gemeint, sondern das römische Recht aus früherer Zeit, wie es sich in fränkischer Zeit behaupten und unter dem Einfluß der Kirche in manchen Teilen Deutschlands weiterentwickeln konnte.97 Schließlich wurde noch der Gedanke aufgebracht, daß es sich bei der Zuwendung durch Übergabe einer Urkunde um eine Form ausschließlich für die mit der Zeit in Übung gekommene Zuwendung beweglicher Vermögenswerte gehandelt habe.98 Neben den Vergabungen in Ehestiftungen kannte das Mittelalter weitere spezielle Rechtsgeschäfte zur Regelung der Vermögensnachfolge.99 So gab es vor allem im deutschen Bürgertum bindende Vereinbarungen unter Ehegatten und Kindern aus einer vorhergehenden Ehe über die erbrechtliche Gleichstellung dieser Kinder mit zukünftigen Kindern (sog. Einkindschaft). Eine solche Vereinbarung sollte die wirtschaftlichen Nachteile vermeiden, welche die gesetzliche Familienerbfolge sonst mit sich gebracht hätte.100 Bindende Abreden über die Vermögensnachfolge fanden sich ferner vor allem beim deutschen Adel. Neben dem „Erbverzicht dotierter Töchter“ fand sich die sog. Ganerbschaft: Mehrere Familien nutzen ihre Güter gemeinschaftlich; starb eine Familie aus, wuchs ihr Anteil den übrigen Familien an.101 Von besonderer Bedeutung waren inso93

Vgl. Albrecht Gewere S. 199 f. Eichhorn Einleitung4 S. 823; vgl. Eichhorn Geschichte5 S. 706. Ähnlich Dieck Enzyklopädie XL 342, 412 f. (Erbrecht): neue Form neben (!) Auflassung (S. 413) für „unwiderrufliche, durch gegenseitige Willenserklärung zu Stande gebrachte, contractliche Vereinigung, d.h. mit anderen Worten [. . .] eine teutsche Vergabung von Todes wegen“ (S. 412). 95 RheinMusJur 2 (1828) 149, 189. 96 Vgl. Beseler Erbverträge I S. 137 ff.; vgl. auch Lewis S. 31 ff.; zustimmend Hartmann S. 21; anderer Meinung Albrecht, Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft 11 (1842) 321, 330. 97 Dazu sogleich auch im Text. 98 Testamentsform ausschließlich für bewegliche Vermögenswerte: Lewis S. 31 ff. (33). 99 Einen knappen Überblick bietet Coing Privatrecht I S. 587 f. 100 Erler HRG I 900 f. (Einkindschaft). Erste Spuren wollte Ringelmann S. 9 ff. bereits im 13. Jahrhundert erkennen; dagegen Beseler Erbverträge I S. 7 ff.: Einkindschaft vermehrt erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts als ein der römischen Adoption nachgebildetes Geschäft aufgetreten (ausführlich zu diesem Rechtsinstitut: Beseler Erbverträge II/2 S. 150 ff.). 101 Siehe nur Beseler Erbverträge I S. 81 ff.; Beseler Erbverträge II/2 S. 1 ff.; vgl. ferner Eckert S. 58 ff. 94

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weit vertragliche Absprachen zwischen Familien des Hochadels über die Nachfolge in Herrschaft und Güter, die sog. Erbverbrüderung (Konfraternität).102 gg) Verfügungen von Todes wegen Es war umstritten, ob sich die Vergabungen auf den Todesfall aus sich heraus vor dem Eindringen des römischen Rechts im Wege der Rezeption zu Verfügungen von Todes wegen entwickelt haben. Entsprechend der sogleich skizzierten Literaturgeschichte gingen Anfang des 19. Jahrhunderts weite Teile des Schrifttums noch von einer unbeeinflußten Entwicklung hin zum Rechtsinstitut des Erbvertrags aus. Sie begründeten damit ein Rechtsinstitut des deutschen Rechts, welches sich gegenüber dem „fremden Recht“ durchgesetzt habe.103 Soweit mit den Vergabungen auf den Todesfall ein unbeschränkter Widerrufsvorbehalt verbunden war, wovon bei der Zuwendung des gesamten Vermögens vielfach Gebrauch gemacht wurde,104 wurde darin der Weg zu „Testamenten“ deutschen Ursprungs gesehen.105 Die organische Entwicklung zur Verfügung von Todes wegen wurde namentlich von Beseler in seiner „Lehre von den Erbverträgen“ in Abrede gestellt. Er brachte mit dem ersten Band seiner umfangreichen Untersuchung den Nachweis, daß die Vergabungen auf den Todesfall in Teilen Deutschlands bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts als Rechtsinstitute des Sachenrechts in Gebrauch gewesen seien.106 „Als wesentliches Erfordernis der deutschrechtlichen Vergabung muß man noch für die späteste Zeit die feierliche Auflassung ansehen“; die Auflassung sei keineswegs bloß die äußerliche Form gewesen, sondern sie habe das Geschäft bis in seine innersten Teile beherrscht.107 Beseler ging davon aus, daß sich römische Testamente in Deutschland parallel zu den Vergabungen auf den Todesfall entwickelt hätten.108 Römische Testamente aus früherer Zeit hätten sich gegenüber den strengen Grundsätzen des deutschen Rechts nicht allgemein durchzusetzen vermocht. Die Kirche habe sich diese Form der Zuwendung mit dem sog. Klerikertestament zwar be102 Knapp Stobbe1/2 S. 194 f. und ausführlich Beseler Erbverträge I S. 222 ff.; Beseler Erbverträge II/2 S. 90 ff.; vgl. ferner Eckert S. 49 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 103 Vgl. etwa: Albrecht Gewere S. 207 f., 218 ff.; Albrecht, Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft 11 (1842) 321, 323 ff.; Dieck Enzyklopädie XL 342, 405 ff. (Erbrecht); Eichhorn Einleitung4 S. 705 ff.; Eichhorn Geschichte5 S. 485 ff.; Stobbe1/2 S. 190; Walter S. 485 ff.; heute Wieacker2 S. 232 f. 104 Beseler Erbverträge I S. 148, 191 f.; Beseler Erbverträge II/1 S. 173; Stobbe1/2 S. 191. 105 Vgl. z. B. Albrecht Gewere S. 209 ff. Vgl. auch Stobbe1/2 § 299 Fn. 50a. 106 Vgl. bereits die Nachweise oben Fn. 66 und Beseler Erbverträge II/1 S. 172 ff. 107 Nur Beseler Erbverträge II/1 S. 174 f. 108 Beseler Erbverträge I S. 242 ff.; knapp zusammengefaßt Beseler System4 S. 665 f.

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wahrt, aber zunächst vergeblich versucht, ihr zu allgemeiner Geltung zu verhelfen.109 Mit der wirtschaftlichen Entwicklung und der damit einhergehenden Lockerung der familiären Bindung des Vermögens seien die Vergabungen auf den Todesfall auf dem Weg gewesen, sich aus sich heraus in eine bequemere Form fortzubilden. Zu einer solchen Fortbildung sei es allerdings nicht mehr gekommen, da das römische Testament schließlich über das kanonische Recht sowie im Wege der Rezeption neben den Vergabungen auf den Todesfall als bequemere Form allgemeine Anerkennung gefunden habe.110 Mit dem Siegeszug des Testaments seien die Vergabungen auf den Todesfall im Laufe der Zeit aus der Übung gekommen. Die gelehrten Juristen hätten nun aber gemeint, in den grundsätzlich verbindlichen Vergabungen auf den Todesfall einen Widerspruch zum römisch-kanonischen Testamentsrecht zu erkennen und damit erst die Lehre von den Erbverträgen hervorgerufen.111 Die Autorität von Beseler darf trotz zu seiner Zeit kritischer Gegenstimmen in diesem Punkt nicht unterschätzt werden. Sie beeinflußte die Sichtweise des 19. Jahrhunderts und damit auch diejenige der Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuchs erheblich.112 (1) Erbvertrag Eine erste wissenschaftliche Systematisierung der Lehre von den Erbverträgen erfolgte bereits durch die italienischen Juristen nach der Wiederentdeckung des Justinian’schen Rechts. Sie erkannten in den verbindlichen Nachfolgeregelungen des deutschen Rechts ein im Vergleich zum römischen Recht neuartiges Rechtsinstitut, einen Vertrag über die künftige Erbfolge (pactum de futura successione). 109 Ausführlich ebenda. Vgl. z. B. insoweit auch Hasse RheinMusJur 2 (1828) 149, 184 und zu Seelgeräten als einseitige Verfügungen von Todes wegen Heusler S. 642 ff.; heute Coing Privatrecht I S. 560 f., 564 f. 110 Vgl. zu dieser Entwicklung aus heutiger Sicht Coing Privatrecht I S. 564 ff. 111 Beseler Erbverträge I S. 187 f. und passim; Beseler System4 S. 647 f. 112 Siehe z. B. Hartmann S. 18 ff.; Roth S. 459 (1875) im Anschluß an Beseler Erbverträge II/1 S. 172 und Beseler System3 § 131 Text bei Fn. 2 (S. 551); heute Sellert HRG I 981, 984 (Erbvertrag) neben Beseler mit Hinweis auf Kugelmann passim und Heusler S. 630 ff. Vgl. auch in dieser Sache Beselers Gegner Stobbe1/2 S. 287: „Auf die Autorität von Beseler hin wird häufig der Zusammenhang des Erbvertrags und der alten Vergabung von Todeswegen geleugnet.“ Nur nebenbei sei bemerkt, daß der „Verfasser des Erbrechts“ Schmitt (vgl. oben Fn. 39) für die Begründung seines Entwurfs zum Erbrecht sehr häufig auf das „System des gemeinen deutschen Privatrechts“ von Beseler und auf das „Bayrische Civilrecht“ von Roth zurückgegriffen hat. Allerdings darf das Interesse der Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuchs an diesem frühen Entwicklungsstadium verbindlicher Nachfolgeregelungen nicht überschätzt werden. Im wesentlichen konzentrierten sie sich auf das zu ihrer Zeit geltende Recht und nicht auf dessen Rechtsgeschichte. Die Kenntnis um den Gang der geschichtlichen Entwicklung erleichtert jedoch das Verständnis alten wie neuen Rechts.

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Die Glossatoren versagten einem solchen Vertrag sowohl als pactum de succedendo wie auch als pactum de non succedendo jede Rechtswirksamkeit.113 Sie gelangten so zum absoluten Verbot der Erbverträge nach römischem Recht. Dieses Verbot galt nach herrschender Auffassung auch für den unter Eid abgeschlossenen Erbvertrag.114 Jedoch berührte die „Glosse“ bereits die wichtigen Punkte, welche später eine Beschränkung des römischrechtlichen Verbots rechtfertigen sollten. Zum einen wurde mit einer Glosse zu Inst. 3, 2 § 8 der Grundstein für die Ausnahme des sog. konservativen Erbvertrags gelegt. – Unter dem Begriff des konservativen Erbvertrags wurden später Vereinbarungen zusammengefaßt, die einen Verlust des gemeinen Erbrechts, beispielsweise aufgrund partiklularrechtlicher Vorschriften, verhindern bzw. rückgängig machen sollten (ein Erbrecht sollte „konserviert“ werden).115 – Der benannten Institutionenstelle wurde von den Glossatoren irrtümlich ein Vertrag untergelegt, wonach ein Sohn seinem Vater das gesetzliche Erbrecht wirksam zugesichert habe. Die Glossatoren nahmen hier einen Vertrag über die künftige Erbfolge an, indem sie die Form der altrömischen Emanzipation verkannten.116 Zum anderen wurde mit der Glosse eine wichtige Einschränkung des Verbots der Erbverträge bei der Erklärung einer Konstitution aus dem Kodex vorbereitet. Cod. 2, 3, 30 handelt von einem Vertrag über die Erbschaft eines Dritten. In der entsprechenden Glosse wurde die Schenkung des ganzen Vermögens beiläufig angesprochen und von den Glossatoren für gültig erklärt. Hieran schlossen sich später die weitläufigen Untersuchungen über die donatio omnium bonorum praesentium et futurorum an.117 Eine grundlegende Systematisierung der Lehre wurde von Bartolus de Saxoferrato (*1313/1314 y1357) vorgenommen. Auf ihn ist die bis in das 19. Jahrhundert geltende viergliedrige Unterteilung der Erbverträge zurückzuführen. Den oben bereits erwähnten (1) konservativen Erbvertrag bezeichnete er als pactum pro iure successionis servando, den (2) Erbverzicht bezeichnete er als pactum pro iure successionis amittendo, den (3) Vertrag zur Erlangung der Erbschaft eines Vertragspartners (Erbvertrag im engeren Sinne) als pactum pro iure successionis acquirendo und schließlich den (4) Vertrag über die Erbschaft eines lebenden Dritten undeutlich als pactum, „quod acquireretur per successionem certo modo disponendo“.118 Inhaltlich schloß sich Bartolus eng an die „Glosse“ 113 Vgl. die bei Beseler Erbverträge II/1 S. 121 beispielhaft zitierte Glosse zu Cod. 6, 20, 3. 114 Beseler Erbverträge II/1 S. 121. 115 Dazu Beseler Erbverträge II/1 S. 10 f. und Coing Privatrecht I S. 589. 116 Beseler Erbverträge II/1 S. 122 mit Hinweis auf Pistoris (vgl. später oben im Text mit Nachweis), der dieses Mißverständnis schon vollständig aufgeklärt habe. 117 Beseler Erbverträge II/1 S. 122. 118 Beseler Erbverträge II/1 S. 9 ff. mit Hinweis auf Kommentierungen des Bartolus zu Dig. 45, 1, 61 (auszugsweise zitiert) und Cod. 2, 3, 30. Siehe auch Kipp/

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an. Er ließ neben dem konservativen Erbvertrag allerdings auch den unter Eid abgeschlossenen Erbverzicht gelten. Hierbei stützte sich Bartolus jedoch nicht auf Justinian’sche Rechtsquellen, sondern auf vorrangig zur Anwendung zu bringendes kanonisches Recht. – Nach kanonischem Recht hatte der beeidete Erbverzicht mit Einschränkungen bereits um 1300 Anerkennung gefunden.119 – Bartolus ließ die donatio omnium bonorum, welche von ihm im Zusammenhang mit dem pactum de succedendo abgehandelt wurde, bei einer Beschränkung auf die bona praesentia zu. Bei der donatio omnium bonorum spreche eine Vermutung für eine Beschränkung auf das gegenwärtige Vermögen. Eine Ausdehnung auf die bona futura verwarf Bartolus als unzulässige Einschränkung der Testierfreiheit. Von seinem Schüler Baldus de Ubaldis (*1319/1327 y1400), der seinem Lehrer in der Lehre von den Erbverträgen weitgehend folgte, wurde diese Auffassung bereits als communis opinio bezeichnet. Bartolus erachtete auch einen wechselseitigen Erbvertrag unter milites mit Blick auf Cod. 2, 3, 19 für gültig. Unter den Begriff der römischen Soldaten subsumierte Bartolus bereits die Ritter seiner Zeit. Ein solcher Erbvertrag könne allerdings nur in vim ultimae voluntatis Geltung beanspruchen.120 Die Kommentatoren suchten das (neue) Rechtsinstitut allein mit den Grundsätzen des römischen Rechts zu beurteilen. Eine Ausnahme stellte die Anerkennung des beschworenen Erbverzichts nach kanonischem Recht dar. Beseler sah hier einen Zusammenhang zu der „Geneigtheit“ von Bartolus und Baldus, Zuwendungen an die Kirche auch in Verträgen anzuerkennen. Beide Kommentatoren scheuten sich jedoch, insoweit einen bestimmten Grundsatz auszusprechen.121 Dies entsprach anscheinend auch nicht den Bedürfnissen ihrer Zeit. Denn für Zuwendungen wurden die letztwilligen Verfügungen des römischen Rechts immer gebräuchlicher und die deutschrechtliche Vergabung auf den Todes Fall kam im Gewande der donatio omnium bonorum in beschränktem Umfang zur Geltung.122 Von den Kommentatoren schenkte schließlich Oldradus de Ponte (y1335, Lehrer des Bartolus 1333 in Bologna) den Vergabungen auf den Todesfall einen Coing14 S. 232 und Coing Privatrecht I S. 588 f. unter Hinweis auf Bartolus Bemerkung 7 zu Dig. 45, 1, 61. 119 Papst Bonifaz VIII. (Amtszeit: 1294 bis 1303) bestätigte einen vertraglichen Erbverzicht wenigstens für den Fall, daß eine „dotierte“ Tochter unter Eid ihrem Vater gegenüber auf das Erbrecht verzichte. Später wurde diese Bestätigung allgemein aufgefaßt und blieb lange Zeit bestimmender Grundsatz für die Lehre vom Erbverzicht (Beseler Erbverträge II/1 S. 121 f.). Dieser Entwicklungsgang ist im weiteren Verlauf ausgeklammert; von der Entstehungsgeschichte des Erbverzichts ist im Hinblick auf die der Untersuchung zugrundeliegende Fragestellung keine Aufklärung zu erwarten. 120 Beseler Erbverträge II/1 S. 123 f. Neben den oben bereits genannten Kommentierungen (Fn. 118) wird auf die Kommentierungen des Bartolus zu Cod. 2, 3, 19 und diejenigen des Baldus zu Cod. 2, 3, 30 verwiesen. 121 Beseler Erbverträge II/1 S. 124 f. 122 Ebenda.

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schärferen Blick. Ihm wurde eine wechselseitige Vergabung auf den Todesfall über das gesamte Vermögen zur Begutachtung vorgelegt. Er versuchte das Rechtsgeschäft nach den Regeln des römischen Rechts zu erklären: Zwar könne man auf den ersten Blick geneigt sein, hier ein pactum de successione futura anzunehmen; ein Erbvertrag liege aber mangels Sukzession nicht vor. Ebensowenig liege eine donatio omnium bonorum vor. Es handele sich vielmehr um eine ganz besondere Art der Zuwendung. Bei genauer Betrachtung erkannte Oldradus zwar die Wirkungen der Auflassung, doch blieb ihm die deutschrechtliche Auflassung als Rechtsinstitut fremd. Er ging schließlich davon aus, daß mit der wechselseitigen Vergabung auf den Todesfall eine mit einem Besitzkonstitut verbundene obligatio begründet worden sei.123 Unter den deutschen Juristen vermittelte Ulrich Zasius (*1461 y1535) den Übergang von den „italienischen Praktikern“ in die deutsche Jurisprudenz.124 Obwohl zu seiner Zeit die Vergabungen auf den Todesfall noch in Gebrauch waren, ging Zasius auf diese schon nicht mehr ein; nicht einmal die soeben angesprochenen Ausführungen des Oldradus fanden bei ihm Berücksichtigung.125 Er übernahm die Grundsätze der Kommentatoren zur Lehre von den Erbverträgen, versuchte aber den Statuten und Gewohnheiten des „einheimischen Rechts“ soweit zur Anerkennung zu verhelfen, wie er für diese eine Stütze im römischen Recht finden konnte. Jede Erbeinsetzung in Ehestiftungen wurde von Zasius noch entschieden verworfen; als konservativer Erbvertrag wurden nur solche Verabredungen gestattet, wodurch der Rückfall des Vermögens an die Verwandten der Ehegatten sichergestellt werden sollte. Entsprechend den italienischen Juristen stellte Zasius für den Vertrag über die Erbschaft eines Vertragspartners den Grundsatz auf: „pacta successionis acquirendae etiam juramento firmata non valent.“

Auch ein Testament könne durch einen Erbvertrag, sei es auch ein eidlich bestärkter, nicht unwiderruflich gemacht werden.126 Ebensowenig könne mit Rücksicht auf die Testierfreiheit eine donatio omnium bonorum praesentium et futurorum Geltung beanspruchen. Eine unbestimmte Schenkung des gesamten Vermögens sei allerdings als wirksame donatio omnium bonorum praesentium anzusehen. In einem späteren Rechtsgutachten leitete Zasius aus der eingangs erwähnten Soldatenentscheidung (Cod. 2, 3, 19) die Wirksamkeit einer Erbverbrüderung her. Unbeeindruckt von der herkömmlichen Konstruktion der Vergabung auf den Todesfall faßte er die Konfraternität als einen Unterfall des Erb123 Beseler Erbverträge II/1 S. 162 ff. Das Gutachten des Oldradus: „consilia. cons. 139. Lugduni 1550. fol.“ ist in Auszügen bei Beseler a. a. O. (dort Fn. 33 bis 36) wiedergegeben. 124 Beseler Erbverträge II/1 S. 10. 125 Beseler Erbverträge II/1 S. 164 ff. 126 Zur diesbezüglichen Rechtsentwicklung später.

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vertrags auf. Zasius konnte der Verbrüderung dadurch zur Wirksamkeit verhelfen, daß er das Sonderrecht römischer Soldtaten auf deutsche Fürsten und Grafen übertrug. Er sah in einem Vertrag über die Erbfolge des Hochadels ein dem Privatrecht entrücktes Rechtsinstitut des Staatsrechts.127 Zasius blieb in der Lehre von den Erbverträgen für die deutsche Jurisprudenz lange Zeit die erste Autorität.128 Seine Nachfolger hielten am grundsätzlichen Verbot der Erbverträge fest. Wie ihr Vorgänger suchten sie im römischen Recht Ausnahmen zur Einschränkung dieses Verbots. Sie gingen allerdings einen Schritt weiter, indem sie im „einheimischen Recht“, namentlich in der allgemeinen Gewohnheit, einen hinreichenden Grund erkannten, einzelne Arten des Erbvertrags gegenüber dem römischen Recht zu rechtfertigen.129 Johann Sichardt (*1499 y1552) konnte verbindliche Absprachen über die Vermögensnachfolge unter Ehegatten gegen das römische Recht noch nicht anerkennen. Er brachte mit Blick auf die Ausführungen der italienischen Juristen zu Cod. 2, 3, 19 die Auffassung auf, daß Erbverträge in Ehestiftungen nur in vim ultimae voluntatis gelten würden, also nur dann zur Anwendung kämen, wenn der verstorbene Ehegatte das ihm zustehende Widerrufsrecht nicht ausgeübt habe. Diese Sichtweise rief die später große Verwirrung stiftende Lehre über die pacta dotalia mixta hervor.130 Im Falle eines Gewohnheitsrechts wollte Andreas Gaill (*1526 y1587) verbindliche Vereinbarungen über die Nachfolge in Eheverträgen zulassen. Wechselseitige Zuwendungen des Vermögens gestattete Gaill namentlich dann, wenn eine solche Vereinbarung für den Fall des kinderlosen Ablebens bestimmt war. Mit den Ausführungen des Oldradus zur wechselseitigen Vergabung auf den Todesfall suchte Gaill die wechselseitigen Zuwendungen in Ehestiftungen als eigenständiges Rechtsinstitut zu rechtfertigen, so daß das römischrechtliche Verbot der Erbverträge nicht zu beachten sei. Da Gaill keine Rücksicht auf die Form der Auflassung nahm, konnte er das erworbene Recht nicht als dingliches Recht darstellen. Weil das Versprechen nicht als „wahrer Erbvertrag“ aufgefaßt werden dürfe, sei die wechselseitige Zuwendung des Vermögens unter Ehegatten als donatio inter vivos mit der Begründung einer obligatio zu begreifen.131 Auch Joachim Mynsinger von Frundeck (*1514 y1588) ließ insoweit Vermögenszuwendungen unter Ehegatten 127 Beseler Erbverträge II/1 S. 126 ff. mit Hinweis z. B. auf die Ausführungen von Zasius „in novum Digestum de V. O. L. stipulatio hoc. modo. 61.“ (zu Dig. 45, 1, 61) und das Rechtsgutachten: „responsa et consilia lib. II. cons. 1. (in opp. tom. VI. Francof. 1590. fol.)“ – Erbverbrüderung Hessen/Sachsen. 128 Beseler Erbverträge II/1 S. 126. 129 Beseler Erbverträge II/1 S. 133 f. 130 Beseler Erbverträge II/1 S. 135 ff., 343 ff. unter Hinweis auf Sichardt: „in comment. ad L. Pactum dotali. 3. C. de collationibus“ (zu Cod. 6, 20, 3). 131 Beseler Erbverträge II/1 S. 134, 166 f.; vgl. auch Hartmann S. 23 f. (beide unter Hinweis auf die von Gaill aus Entscheidungen geschöpfte Darstellung der beim Reichskammergericht praktizierten Grundsätze (1578): Zitat nach Beseler: „pract. ob-

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zu.132 Er suchte bereits die Gültigkeit eines Statuts, wonach die Vermögensnachfolge unter kinderlosen Ehegatten geregelt wurde, durch ein argumentum a pacto ad legem mit der Zulässigkeit derartiger Verabredungen in Ehestiftungen zu begründen.133 Johann Fichard (*1512 y1581) konnte in seinen Rechtsgutachten zu keiner klaren Linie finden. Zunächst verwarf er die Gültigkeit von Erbverträgen in Ehestiftungen. Später ließ er wechselseitige Zuwendungen unter Ehegatten „zwar nicht nach der Strenge des Rechts, aber doch nach der Billigkeit“ zu. Er sprach sich zwischenzeitlich für die Gültigkeit solcher Zuwendungen aus, wenn sie allein das „eigene Vermögen“ der Ehegatten beträfen, verwarf aber unbedingt jede weitere Ausdehnung. Trotz dieser Zugeständnisse gelangte er schließlich zu seinem Ausgangspunkt zurück und modifizierte ihn im Sinne der Lehre über die pacta dotalia mixta, indem er Erbverträge in Ehestiftungen nur in vim ultimae voluntatis gelten ließ.134 Diese Sichtweise entspricht auch den von Fichard bearbeiteten Statuten. Sowohl das Solmser Landrecht von 1571 als auch die Frankfurter Reformation von 1578 lassen Erbverträge in pacta dotalia nur gelten, wenn sie nicht widerrufen wurden.135 Die insgesamt schwankende und unsichere Behandlung der Erbverträge bei Fichard zeigt, daß Erbverträge in Ehestiftungen zu seiner Zeit noch keine allgemeine Anerkennung gefunden hatten.136 Für die Zulässigkeit der Erbverbrüderung sprachen sich die genannten Juristen dagegen entschiedener aus. Auch die Einkindschaft wurde als durch die Gewohnheit begründetes Rechtsinstitut von ihnen anerkannt.137 Der Entwicklungsgang, den die Lehre von den Erbverträgen nach Zasius genommen hatte, erfuhr eine Korrektur, sobald eine gründlichere Exegese des Justinian’schen Rechts möglich wurde. In diesem Zusammenhang ist der sächsische Jurist Hartmann Pistoris (*1543 y1603) zu nennen. Von ihm wurde die auf die Glosse zu Inst. 3, 2 § 8 zurückgehende Begründung des konservativen Erbvertrags verworfen.138 Aus dem römischen Recht vermochte er lediglich die servationes, lib. II. obs.“ 124 und 126, nach Hartmann: „obs. pract. II, 126 per totum, besonders Nr. 6.“ 132 Hartmann S. 23 f., vgl. dort S. 24 Fn. 1 Hinweis auf Mynsingers Sammlung und Bearbeitung von Entscheidungen des Reichskammergerichts: „observ. (1563) II, 33.“ 133 Beseler Erbverträge II/1 S. 134. unter Hinweis auf ein Gutachten von Mynsinger: „responsa jur. (Basil. 1596. fol.) resp. 14.“ 134 Beseler Erbverträge II/1 S. 134 ff. unter Hinweis auf Fichard: „consilia (Francof. 1590 fol.) tom I. cons.“ 35, 53, 59, 82; vgl. hier aus der neueren Literatur Merkel S. 22 f. 135 Beseler Erbverträge II/1 § 5 Fn. 31 (S. 136). 136 Beseler Erbverträge II/1 S. 136 f. 137 Beseler Erbverträge II/1 S. 137 f. 138 Beseler Erbverträge II/1 S. 144, mit Hinweis (§ 5 Fn. 4, S. 122) auf Pistoris: „obs. jur. lib. IV. qu. 4. nu. 18.“ Ebenso wie der Erbverzicht (oben Fn. 119) wird auch der konservative Erbvertrag sowie der bisher nicht angesprochene Vertrag über die Erbschaft eines lebenden Dritten von der weiteren Untersuchung ausgenommen.

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Wirksamkeit des Erbvertrags unter Soldaten herzuleiten. Weitere Ausnahmen vom Verbot der Erbverträge mußten ihre Begründung allein aus dem Gewohnheitsrecht oder den Normen des Partikularrechts erhalten. Eine allgemeine Gewohnheit konnte Pistoris ebensowenig wie später sein Landsmann Benedikt Carpzov (*1595 y1666) feststellen. Sie nahmen nicht einmal für wechselseitige Erbverträge in Ehestiftungen eine solche Gewohnheit an. Beide gingen aber im Zusammenhang mit der Lehre über die pacta dotalia mixta davon aus, daß in Ehestiftungen eine donatio mortis causa Aufnahme finden könne. Ein solches Rechtsgeschäft sei allerdings nur dann anzuerkennen, wenn das gegenwärtige Vermögen zum Vertragsgegenstand gemacht worden sei, nicht aber wenn der Vertrag über die Erbschaft oder die Erbfolge geschlossen worden sei. Die Wortwahl der Ehegatten entschied danach darüber, ob eine im Sinne des Oldradus zulässige obligatio gegen die Erben begründet sei oder ein nach römischem Recht unzulässiger Erbvertrag vorgeliege, welcher nur in vim ultimae voluntatis gelte.139 Gewohnheitsrechtliche Geltung gegen das römische Recht konnte bei Pistoris lediglich die Erbverbrüderung und bei Carpzov daneben auch die Einkindschaft beanspruchen.140, 141 In der weiteren Entwicklung sagte sich die Lehre vom römischen Verbot der Erbverträge völlig los und suchte eine gemeinrechtliche Geltung der Erbverträge allein im deutschen Recht. Aus der Ausnahme vom Verbot der Erbverträge wurde so ein Grundsatz des deutschen Rechts, welcher schließlich zur allgemeinen Anerkennung der Erbverträge führte. Zum Teil wurde im 19. Jahrhundert davon ausgegangen, daß bereits David Mevius (*1609 y1670) der Lehre von den Erbverträgen diese neue Richtung gegeben habe. Widersprüche lassen den Standpunkt von Mevius jedoch nicht klar hervortreten. Sein Kommentar zum lübischen Recht (zuerst 1642) enthält eine weitläufige Abhandlung über Erbverträge. Dort ging Mevius noch vom römischrechtlichen Verbot der Erbverträge aus. Gegen das Verbot ließ er den wechselseitigen Erbvertrag, namentlich in Ehestiftungen, als eine im Gewohnheitsrecht begründete Ausnahme gelten. In seinen „decisiones“ (zuerst 1664) 139 Beseler Erbverträge II/1 S. 143 ff., 167 ff., 344 f. unter Hinweis auf Pistoris: quaestionis juris, lib. IV. qu.“ 1 bis 8 und Carpzov: „jurisprudentia romano-saxonica secundum ordinem constititionum D. Augusti electoris Saxoniae (Lipsae 1674. (zuerst 1638.) fol.) p. II. const.“ 5, 35, 43 sowie Carpzov: „responsa juris electoral. (Lipsiae 1642. fol.) lib. V. tit. 1. resp. 5 cf. resp. 65.“; vgl. auch Hartmann S. 23 f. und Hasse RheinMusJur 2 (1828) 149, 201; vgl. heute Coing Privatrecht I S. 591 u. a. unter Hinweis auf Mevius: „Commentarii in ius Lubecense, Francofurti et Lipsiae 1700, rubrica II, 1, Nr. 57 unter Hinweis auf C 4, 11, 1.“ 140 Beseler Erbverträge II/1 S. 147 unter Hinweis auf Carpzov a. a. O. (oben Fn. 139) „const. 35. def. 25.“ (Erbverbrüderung) und „resp. 6.“ (Einkindschaft). 141 Erbverbrüderung und Einkindschaft bleiben als zu Zeiten von Pistoris und Carpzov im deutschen Recht anerkannte Rechtsinstitute im weiteren Verlauf unberücksichtigt. Damit konzentriert sich die Untersuchung auf den Erbvertrag im engeren Sinne (pactum de acquirendo).

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dagegen ließ er später den Erbvertrag ganz allgemein als in der Gewohnheit des deutschen Rechts begründetes Rechtsinstitut zu: „[. . .] in Germania hodie per mores vulgatum est, ut [. . .] pacta successoria valeant.“

Mevius verlangte hier nicht mehr den Nachweis der Gewohnheit gegen das römische Recht. Vielmehr ging er von der Zulässigkeit des Erbvertrags als Grundsatz des deutschen Rechts aus und forderte den Nachweis, daß gegen diesen Grundsatz römisches Recht zur Anwendung zu bringen sei. Da sich diese neue Auffassung allerdings in den „decisiones“ nur bei der Abhandlung über den Erbverzicht befindet, ist fraglich, ob die „gelegentliche unbestimmte Bemerkung in den Decisionen“142 wirklich verallgemeinernd für die Lehre von den Erbverträgen gelten sollte.143 Jedenfalls fand Mevius in diesem Punkt mit Samuel Stryk (*1640 y1710)144 und Johann Schilter (*1632 y1705)145 Nachfolger, die seine Aussage generalisierten. Schilter begnügte sich nicht damit, eine allgemeine Gewohnheit festzustellen. Im Anschluß an Carpzov146 verfolgte er den naturrechtlich begründeten Gedanken, daß der Erbvertrag in seiner Eigenschaft als Vertrag dem Grundsatz zu folgen habe, daß jeder Vertrag eine Klage gebe und volle Gültigkeit habe (pacta sunt servanda).147 Carpzov hatte diesen Grundsatz für den Erbvertrag noch mit Rücksicht auf das römische Verbot der Erbverträge verworfen. Schilter wollte von diesem Verbot gar nichts mehr wissen, da dessen Gründe nicht auf die deutschen Verhältnisse paßten. Mit dem Schlagwort der deutschen Treue suchten die Juristen seinerzeit den Erbvertrag als Rechtsinstitut des deutschen Rechts gegenüber den Grundsätzen des „fremden Rechts“ zu rechtfertigen. Namentlich der Helmstedter Rechtslehrer Augustin von Leyser (*1683 y1752)148 konnte nicht genug von der „unglaublichen Nichtswürdigkeit der Römer“ berichten, welche bei ihnen das Verbot der Erbverträge gerechtfertigt 142

Hartmann S. 26. Beseler Erbverträge II/1 S. 152 f. mit Hinweis auf Mevius: „commentarii in jus lubecense (zuerst Lipsiae 1642. 4.) ad rubr. p. II. tit. 1. – cfr. p. II. tit. 2. art. 2. nu. 182 sqq.“ und Mevius: „decisiones (zuerst Stralsund. 1664. 4.) p. III. dec. 270.“; vgl. auch Hartmann S. 26 mit Hinweis auf Mevius: „Decis. (zuerst Stralsund 1664) p. III. dec. 270 u. ad Jus Lub. II, 1 Nr. 102–106.“ Von Coing Privatrecht I S. 591 wird Mevius: a. a. O. (oben Fn. 139) Nr. 60 bereits dafür zitiert, daß der Erbvertrag zwar nach römischem Recht nichtig sei, aber weder gegen ius divinum noch gegen ius naturalae verstoße. 144 Beseler Erbverträge II/1 S. 153 mit Hinweis auf S. Stryk: „specimen usus mod. pand. lib. II. tit. 14. §. 18. 23. 29.“ und „tractus de successione ab intestato. diss. VIII.“ 145 Beseler Erbverträge II/1 S. 153 mit Hinweis auf Schilter: „praxis juris romani in foro germanico. tom. I. exerc. 8. §. 35–41.“ 146 Beseler Erbverträge II/1 S. 153 mit Hinweis auf Carpzov a. a. O. (oben Fn. 139): „const. 5 deff. 22.“ 147 Der Gedanke „pacta sunt sevanda“ geht auf Hugo Grotius (*1583 y1645) zurück, dazu knapp Liebs5 S. 260 f. 143

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habe; im deutschen Recht sei dieses Verbot dagegen nicht zu begründen. Leyser berief sich auf eine konstante Gewohnheit vor und nach der Rezeption. Zwar lasse sich diese nur für einzelne Institute feststellen, jedoch habe sie im Grunde einen ganz allgemeinen Charakter. Er ließ das Prinzip des Erbvertrags ganz allgemein gelten; selbst einen Vertrag über die Unwiderruflichkeit eines Testaments hielt er für gültig. Damit generalisierte er die Resultate, die schon von Schilter und dem Sohn Stryks, Johann Samuel Stryk (*1688 y1715), zur Lehre vom wechselseitigen Testament der Ehegatten hervorgebracht wurden.149 Bereits Justus Henning Böhmer (*1674 y1749) und der Verfasser der ersten großen territorialen Kodifikation, des bayerischen Zivilgesetzbuchs von 1756, Wiguläus Xaverius Aloysius von Kreittmayr (*1705 y1790),150 hegten keine Zweifel mehr an der allgemeinen Zulässigkeit der Erbverträge nach deutschem Recht.151 Bereits in Samuel Stryks „Usus modernus pandectarum . . .“ wird eine doppelte Art gegenseitiger Zuwendungen in Ehestiftungen beschrieben. Als bekannte Einteilung der Praxis werden pacta dotalia mixta et simplicia unterschieden. Den Eheverträgen mit Erbverträgen in vim ultimae voluntatis bzw. mit Testamenten wurden Eheverträge mit Erbverträgen in vim contractus an die Seite gestellt. Nach den Worten von Beseler habe Mevius schon in seinem Kommentar zum lübischen Recht angenommen, daß bei Zuwendungen in Ehestiftungen kein Erbvertrag in vim ultimae voluntatis, sondern ein „wahrer Erbvertrag“ zu vermuten sei.152 Beseler ist damit allerdings noch nicht von einem Erbvertrag im heutigen Sinne ausgegangen. Denn bei Mevius wurde der Erbvertrag noch als donatio inter vivos abgehandelt, welche eine praesens obligatio begründe.153 Stryk sen. folgte noch der Unterscheidung des Pistoris, ob im Ehevertrag von einer Sukzession und Erbschaft oder bloß vom Vermögen die Rede gewesen sei, um eine einseitig widerrufliche Verfügung von Todes wegen von einem verbindlichen Vertrag unter Lebenden über das Vermögen zu unterscheiden.154 Leyser eiferte heftig gegen die pacta dotalia mixta, da sie dem Grundsatz des deutschen Rechts über die Beständigkeit der Verträge zuwiderliefen. Auch wenn er wegen der „constans praxis“ dieses „monstrum ex juribus partim Germanico partim Romano conflatum“ anerkannte, so verwarf er die Unterscheidung anhand der Wortwahl der Ehegatten und sprach sich im Zweifel für 148 Beseler Erbverträge II/1 S. 154 mit Hinweis auf Leyser: „meditationes ad pand. spec. 43.–45.“ 149 Beseler Erbverträge II/1 S. 155. Dazu später im Text. 150 Anm. 3 zu CMBC III 11 § 1. 151 Beseler Erbverträge II/1 S. 155 f. u. a. mit Hinweis auf Böhmer: „exercitt. ad pand. tom. II. exerc. 31.“ und „tom. IV. exerc. 71.“ 152 Vgl. Beseler Erbverträge II/1 S. 346 mit Hinweis auf Mevius: ad Jus lub. lib. II. tit. 2. art. 12. Nu. 375.“ 153 Hartmann S. 24 Fn. 1. Zur Konstruktion des Erbvertrags sogleich im Text. 154 Beseler Erbverträge II/1 S. 346 mit Hinweis auf S. Stryk: „de cautelis contractuum. sect. III. c. 8. §. 18–20.“

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einen „wahren Erbvertrag“ aus. Aus seiner eigenen Erfahrung führte Leyser an, die Abneigung gegen die Auffassung dieser Geschäfte als letztwillige Verfügungen sei so groß, daß ihm kaum ein Fall bekannt sei, in dem man sich dafür ausgesprochen habe.155 Von Böhmer wurde die Einteilung der pacta dotalia in simplicia und mixta schließlich verworfen. Er versagte pacta dotalia mixta im gemeinen Recht die Anerkennung. Böhmer tadelte auch die Zuflucht zur donatio mortis causa; das römische Recht habe die Schenkung auf den Todesfall im Zusammenhang mit dem Ehevertrag nicht gekannt. Es handele sich hier um ein eigentümliches deutsches Rechtsinstitut, einen „wahren Erbvertrag“; da die allgemeinen Grundsätze für Verträge gelten würden, sei die Unwiderruflichkeit des Geschäfts nicht zu bezweifeln.156 Im gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts hatte die Unterscheidung keine Bedeutung mehr.157 Nachdem der Erbvertrag als allgemeines Rechtsinstitut zur verbindlichen Regelung der Vermögensnachfolge anerkannt war, ließ eine einheitliche dogmatische Begründung des Rechtsinstituts noch bis in das 19. Jahrhundert hinein auf sich warten. Soweit die Fürsprecher der Erbverträge als unwiderrufliche pacta successoria auf deren Konstruktion überhaupt näher eingingen, sahen sie in ihnen zunächst Verträge unter Lebenden, mit denen zwar schon das Recht auf den Nachlaß übertragen werde. Samuel Stryk und Johann Heinrich von Berger (*1657 y1732) bezeichneten dieses Recht allerdings als „jus reale hereditarium“; das „reale“ hatte in dieser Bezeichnung seine eigene Bedeutung; denn dem Erbrecht wurde ein besonderes dingliches Recht auf die Objekte des Nachlasses beigelegt. Mit der Übertragung dieses Rechts sollte der Erblasser die Dispositionsbefugnis über sein Vermögen verlieren.158 Gegen die Annahme einer Vermögensübertragung setzte sich schließlich im 18. Jahrhundert die Auffassung durch, der Abschluß eines Erbvertrags entfalte lediglich obligatorische Wirkungen.159 Dem Vertragserben stehe daher nach dem Erbfall nicht wie nach 155 Beseler Erbverträge II/1 S. 346 mit Hinweis auf Leyser: „meditt. ad pand. spec. 308. med. 3 et 8“. 156 Beseler Erbverträge II/1 S. 347 mit Hinweis auf Böhmer: „exercitt. ad pand. lib. XXXIII. tit. 4. tom. IV. exerc. 71.“ 157 Beseler System4 S. 656 auch hier wieder mit Hinweis auf Böhmer a. a. O. (oben Fn. 156). 158 Beseler Erbverträge II/1 S. 247 ff. mit Hinweis auf S. Stryk: „tract. de successione ab intestato Diss. VIII. cap. 5. §. 24.“ und Berger: „oeconomia juris lib. I tit. 3. th. 11.“; Dernburg Preußisches Privatrecht3 S. 499 unter Hinweis auf: S. Stryk: „tract. de successione ab intestato diss. VIII cap. 5 th. 24, 29 und 33“ und Berger: „oeconomia juris lib. I tit. 3 th. 11 unter 2.“ Hartmann S. 57 mit Hinweis auf S. Stryk: „Tractaus de successione ab intestato diss. VIII. cap. 5 §. 24.“ und Berger: „Oec. jur. lib. I tit. 3 th. 11.“ Vgl. heute Coing Privatrecht I S. 591 f. unter Hinweis auf S. Stryk: „Tractaus de successione ab intestato, Francofurti ad Oderam 1687, diss. VIII, cap. 4, §§ 24 ss.“ und Hommel: „Rhapsodia quaestionum in foro quotidie obvenientium neque tamen legibus decisarum, Byruthi 1782–1787, observatio 708.“; letzterer wandte sich allerdings bereits gegen den Verlust der lebzeitigen Verfügungsfreiheit (Dernburg a. a. O. S. 505, Fn. 1).

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Auffassung von Stryk und Berger das Rechtsmittel des Erben (hereditatis petitio) zu,160 sondern lediglich eine persönliche Klage (actio personalis) auf Überlassung des Nachlasses; er werde allerdings wie ein Universalerbe behandelt.161 Daß der Vertragserbe mit dem Abschluß des Erbvertrags zumindest einen Anspruch auf den Nachlaß erhielt, zeigt sich sonst an der Möglichkeit, die Erfüllung des Vertrags durch die Bestellung eines Pfandrechts oder durch eine Bürgschaft zu sichern,162 ferner an der zugelassenen Vererblichkeit des aus dem Vertrag entspringenden Rechts.163 Eichhorn nahm in diesem Sinne noch Mitte des 19. Jahrhunderts an, daß der Erbvertrag ein unwiderrufliches und daher sogleich wirksames Recht auf den Nachlaß schaffe. Er bezeichnete dieses Recht zwar ausdrücklich als „Erbrecht“, ging aber davon aus, daß es nicht erst durch den Tod des Erblassers erworben werde.164 Im Ergebnis sind mit der Konstruktion aus dem 18. Jahrhundert kaum noch Unterschiede zur Schenkung des römischen Rechts auszumachen. Eine bloß vermeintliche Abweichung besteht darin, daß der Erbvertrag auch dann als gültig angesehen wurde, wenn er das gesamte Vermögen, den ganzen Nachlaß, zum Gegenstand hatte.165 Im Rahmen der Abhandlung über die nach römischem Recht nicht unproblematische Schenkung des gesamten Vermögens bemerkte Savigny unter Bezugnahme auf Eichhorn, daß diese für gültig gehalten werden müsse, weil sie ein „wahrer Erbvertrag“ sei und als solcher im deutschen Recht Bestätigung finde.166

159 Coing Privatrecht I S. 592 unter Hinweis auf Hommel a. a. O. (Fn. 158) observatio 117, 708. 160 Coing Privatrecht I S. 591 f. unter Hinweis auf S. Stryk: a. a. O. (Fn. 158) Kapitel 6 Nr. 17. 161 Coing Privatrecht I S. 592 unter Hinweis auf Hommel a. a. O. (Fn. 158) observatio 117, 708; vgl. auch: Dernburg Preußisches Privatrecht3 S. 499 f. unter Hinweis auf: Hommel: „rhaps. quaest. I obs. 117“; Hartmann S. 28 mit Hinweis auf Hommel: „rhaps. quaest. I, 117.“ 162 Hartmann S. 28 unter beispielhaftem Hinweis auf Berger sowie den dort zitierten Stryk: „oec. jur. lib. I tit. III th. 11.“ Daß die beiden zitieren Autoren im Text als Vertreter für die Annahme einer Vermögensübertragung genannt werden, braucht nicht zu irritieren. Beseler Erbverträge II/1 S. 249 wies bereits darauf hin, daß die Konstruktion von Stryk „eine nicht geringe Verwirrung juristischer Begriffe“ voraussetze. Eine solche Verwirrung habe zu einer Zeit vorkommen können, „als man anfing die deutschrechtlichen Institute selbständig zu konstruieren; [. . .].“ 163 Hartmann S. 28 unter Hinweis auf Böhmer: „exerc. ad Pand. tom. II exerc. 31 n. 7 und 10“, Bülow/Hagemann: „pract. Erörterungen IV, 71“, Hofacker: „princ. jur. civ. §. 1403“ und Glück: „Pand. Thl. 6 S. 557 ff.“ 164 Eichhorn Einleitung5 S. 812 f. (1845), wortgleich in den Vorauflagen seit 1823. 165 Hartmann S. 28 f. 166 Savigny System IV S. 145. Die im Schrifttum angenommene Wesensgleichheit zur Schenkung wurde von Hartmann S. 29 ferner unter Hinweis auf Schirach AcP 2 (1819) 271, 312 f. herausgestellt. Dieser meinte die Unwiderruflichkeit der Schenkung auf den Todesfall durch die These rechtfertigen zu können: „Die Schenkung Todeshalber ist ein Erbvertrag.“

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Die Auffassung, daß der Erbvertrag ein Rechtsgeschäft unter Lebenden sei, welches lediglich eine Obligation erzeuge, wurde vom bayerischen Zivilgesetzbuch von 1753 übernommen; in den nachfolgenden Kodifikationen des Naturrechts hinterließ sie zumindest ihre Spuren. In den „Codex Maximilianeus Bavaricus, Civilis“ und das „Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794“ erhielt der Erbvertrag als allgemein – d.h. nicht nur unter Ehegatten – zulässiges Rechtsgeschäft Einzug (vgl.: CMBC III 11 § 1; ALR I 12 §§ 617 ff.). Nach den Vorschriften des bayerischen Gesetzbuchs können die Verfügungen in einem Erbvertrag einseitig nicht mehr abgeändert bzw. aufgehoben werden, „ausgenommen wenn solches per Modum ultimæ Voluntatis oder sonst wiederruflich gemacht ist“ (CMBC III 11 § 1 Nr. 11); Kreittmayr übernahm in CMBC III 11 § 1 Nr. 8 und 9 die zu seiner Zeit bereits weithin verworfene Lehre über die pacta dotalia mixta und brachte diese sogar für den Erbvertrag unter Nichtehegatten zur Anwendung.167 Entsprechend der damaligen Auffassung wird der verbindliche Erbvertrag im bayerischen Landrecht als Rechtsgeschäft unter Lebenden aufgefaßt und allein der unverbindliche als Verfügung von Todes wegen (vgl. CMBC III 11 § 1 Nr. 8, 9 und 14 a. E.).168 Auf den ersten Blick scheint der Erbvertrag auch dem preußischen Landrecht als Verfügung von Todes wegen fremd zu sein. So heißt es in ALR I 12 § 617: „Auch durch Erbverträge kann ein Contrahent dem andern, oder beyde einander wechselseitig, Rechte auf ihren künftigen Nachlaß einräumen.“

Der Schein trügt. In den einzelnen Bestimmungen zum Erbvertrag geht das Landrecht von einer Verfügung von Todes wegen aus.169 Der Erbvertrag des preußischen Rechts konnte einseitig nur so, „wie Verträge unter Lebendigen, widerrufen werden“ (ALR I 12 § 634). Im Falle eines Widerrufsvorbehalts galt er als Testament (vgl. ALR I 12 § 635). Der Erbvertrag wurde in den Code civil des Français von 1804 – offiziell als „Code Napoléon“ neuverkündet (1807) – ebenso wie in das „Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesamten Deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie“ von 1811 nur mit einem eingeschränkten Anwendungsbereich aufgenommen. Im französischen Gesetzbuch ist der Erbvertrag als donation des biens à venir geregelt. In Ehestiftungen können Dritte über ihr Vermögen zugunsten der Ehegatten und deren 167 Vgl. zusätzlich Kreittmayr Anm. 1, 4 und 5 zu CMBC III 11 § 1. Hierauf antwortete sogleich Johann Stephan Pütter (*1725 y1807) im Namen der Göttinger Juristenfakultät. Er sprach sich ganz im Sinne von Böhmer (vgl. zuvor oben im Text) entsprechend der damals herrschenden Auffassung gegen pacta dotalia mixta aus (Beseler Erbverträge II/1 S. 348 mit Hinweis auf Pütter: „auserlesene Rechtsfälle, I. 46.“). Im „Bayrischen Civilrecht“ von Roth § 316 Fn. 7 a. E. und § 330 Fn. 12 wurden die pacta successoria mixta später als wechselseitige Testamente aus dem Bereich der Erbverträge ausgeschlossen. 168 Vgl. wiederum zusätzlich Kreittmayr a. a. O. (oben Fn. 167); siehe auch OAG München BayObLGZ 7 (1880) 125, 127. 169 Dernburg Preußisches Privatrecht3 § 175 Fn. 5.

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Teil 1: Schenkungen nach dem Tod eines Ehegatten

Kinder unwiderruflich verfügen (vgl. Art. 1082, 1083 CC); wechselseitige Zuwendungen unter den Ehegatten können ebenfalls nur in einem Ehevertrag verbindlich getroffen werden (vgl. Art. 1091 ff. CC).170 Unter den französischen Juristen war im übrigen lange Zeit umstritten, ob das von ihnen als institution contractuelle bezeichnete Rechtsinstitut als donation entre vifs oder als donation a cause de mort einzustufen sei; die herrschende Meinung plädierte im 19. Jahrhundert für ein gemischtes Geschäft.171 Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch kennt nur den Erbvertrag zwischen Ehegatten (§§ 602, 1249 ff. ABGB).172 Auch das österreichische Gesetz hält mit seiner Definition des Erbvertrags zumindest eine Reminiszenz an die Auffassung vom Erbvertrag als Rechtsgeschäft unter Lebenden vor. In § 1249 ABGB ist der Erbvertrag als Vertrag, „wodurch der künftige Nachlaß oder ein Theil desselben versprochen, und das Versprechen angenommen wird,“

beschrieben. Auch hier ist aber wohl lediglich die Definition mißlungen; wie im preußischen Recht sprechen die einzelnen Vorschriften dafür, daß auch bereits im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch mit dem Erbvertrag die Möglichkeit einer unwiderruflichen Erbeinsetzung vorgesehen ist.173, 174 Der Auffassung, daß der Erbvertrag ein „gemeiner Contract“ sei, der lediglich eine obligatio begründe, trat in aller Deutlichkeit zuerst Hasse im ersten Teil seiner umfangreichen Untersuchung im Rheinischen Museum für Jurisprudenz entgegen. Er kam zu dem Ergebnis, daß durch den Erbvertrag ebenso wie durch ein Testament ein Erbe eingesetzt werde. Im Gegensatz zum Testament sei beim Erbvertrag ein Widerruf juristisch nicht möglich. Da durch den Erbvertrag selbst bereits ein Erbrecht begründet werde, bleibe überhaupt nichts mehr übrig, was Gegenstand einer Obligation sein könnte. Der Vertragserbe erhalte mit Vertragsschluß nichts weiter als eine bloße Hoffnung auf den Erwerb des Nachlasses. Der Erbvertrag sei daher – in römischrechtlichen Kategorien gedacht – ein negotium mortis causa und somit keines inter vivos.175 Die De170 Coing Privatrecht I S. 632 (vgl. zur vorhergehenden Praxis in Frankreich S. 589 f.); Coing Privatrecht II S. 605; aus der älteren Literatur: Zachariä7 S. 498 ff. 171 Hasse RheinMusJur 2 (1828) 149, 211 ff. und allgemein S. 199 ff. mit einem guten Überblick über die dogmatische Sichtweise der französischen Juristen (mitunter in den Fußnoten). 172 Mit Hofdekret vom 25.06.1817 wurde auch Verlobten der Abschluß eines Erbvertrags gestattet (Unger3 S. 113). 173 So Arndts, Oesterreichische Vierteljahresschrift für Rechts- und Staatswissenschaft 7 (1861) 269, 283 und Unger3 S. 113 und § 26 Fn. 2. Eine weitere Reminiszenz findet sich in § 1252 ABGB. Danach ist die Eintragung des Erbvertrags in die öffentlichen Bücher vorgesehen. Siehe dazu Beseler Erbverträge II/1 S. 250 f. 174 Einen Überblick über das Erbvertragsrecht im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch findet sich bei Unger3 S. 113 ff. (§ 26). 175 Hasse RheinMusJur 2 (1828) 149, 199 ff.

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duktion wurde von Beseler in seiner Lehre von den Erbverträgen mit großem Beifall aufgenommen.176 Auf diesen geht schließlich der im 19. Jahrhundert geläufige Begriff des Erbeinsetzungsvertrags zurück.177 Erst im Anschluß an die beiden Juristen fand der Erbvertrag in Deutschland als dritter Delationsgrund neben dem Testament und der gesetzlichen Erbfolge seine Anerkennung.178 Nicht durchzusetzen vermochte sich die von Hartmann aufgebrachte Ansicht, daß der Erbvertrag nichts anderes sei als ein Testament, verbunden mit einem Widerrufsverzicht.179 Im Bürgerlichen Gesetzbuch für das Königreich Sachsen aus dem Jahre 1863 ist der Erbvertrag im Einklang mit der herrschenden Meinung im gemeinen Recht als dritter Delationsgrund ohne eine Beschränkung auf Ehegatten geregelt (vgl. §§ 2003, 2542 ff. SächsBGB).180 Die dogmatische Begründung wurde schließlich vom Reichsgericht in Fortsetzung der herrschenden gemeinrechtlichen Gerichtspraxis bestätigt.181 (2) Gemeinschaftliches Testament Der Begriff des gemeinschaftlichen Testaments wird im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht näher erläutert. Das Reichsgericht hat das Wesen des gemeinschaftlichen Testaments im Sinne der §§ 2265 ff. BGB noch darin erblickt, daß es in einer Urkunde errichtet werde.182 Die heute herrschende Meinung hält am Er176

Vgl. Beseler Erbverträge II/1 S. 17 ff. und danach passim. Vgl. Beseler Erbverträge II/1 S. 19, 207 ff.; ähnlich auch schon Hasse RheinMusJur 2 (1828) 149, 150 f. 178 Siehe nach Hasse und Beseler (auch Beseler System4 S. 647 ff. passim) etwa Stobbe1/2 S. 282 (unter Hinweis auf Hasse RheinMusJur 2 [1828] 149, 200 ff., 209 f.) und insbesondere die bei Battes S. 39 f. mitgeteilte Judikatur sowie ergänzend die Literaturhinweise in Fn. 1 (§ 3). 179 Hartmann S. 10 und passim. Danach vor allem das österreichische Schrifttum mit Arndts, Oesterreichische Vierteljahresschrift für Rechts- und Staatswissenschaft 7 (1861) 269, 272 f. (Rezension zu Hartmanns Arbeit) und Unger3 S. 113, § 26 Fn. 5; teilweise auch Förster S. 30 ff. (anders später Förster/Eccius7 S. 311). Siehe ausdrücklich gegen die Hartmann’sche Teilungstheorie stellvertretend Stobbe1/2 S. 283 mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 180 Ein knapper Überblick findet sich bei Schmidt S. 202 ff.; Siebenhaar S. 849 ff. und Grützmann S. 293 f. 181 Siehe RGZ 4, 171, 172 f. (16.04.1881): „Die ältere Auffassung des Erbeinsetzungsvertrages, derzufolge ein schon mit Abschluß des Vertrages sofort wirksames oder doch ein durch den Tod des Erblassers bedingtes Recht des Vertragserben an der Erbschaft angenommen wurde, [. . .] ist seit den Ausführungen von Beseler (Lehre von den Erbverträgen Bd. 2 I. S. 247 flg. 270 flg.) [. . .] in Theorie und Praxis [. . .] mit Recht aufgegeben. Mag man den Erbeinsetzungsvertrag als ein einziges Geschäft auffassen oder ihn in zwei Geschäfte, eine einseitige letztwillige Verfügung und einen vertragsmäßigen Verzicht auf Zurücknahme derselben zerlegen, jedenfalls wird dadurch nicht die Erbschaft übertragen, sondern nur das Recht auf Beerbung, sodaß dadurch nur ein Delationsgrund entsteht [. . .].“ 182 Vgl.: RGZ 50, 308, 309; 72, 204, 205 f.; 87, 33, 34. 177

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fordernis der Urkundeneinheit nicht mehr fest. Entscheidend soll allein der Wille zur gemeinschaftlichen Testamentserrichtung sein.183 Die Auffassung des Reichsgerichts entspricht dem Begriffsverständnis des 19. Jahrhunderts. Die Juristen der damaligen Zeit verwendeten den Begriff des gemeinschaftlichen Testaments ausschließlich für ein Testament, welches von mehreren Personen in einem Akt errichtet wurde (testamentum simultaneum). Die Errichtung mochte in einer Urkunde oder entsprechend den damals für das Simultantestament zulässigen Formen mit einem Solennitätsakt geschehen.184 Im Folgenden wird das heutige weite Begriffsverständnis zugrunde gelegt. Unter einem gemeinschaftlichen Testament werden diejenigen Testamente mehrerer Personen verstanden, für die gegenüber dem Einzeltestament besondere Regelungen gelten. Das gemeinschaftliche Testament des 19. Jahrhunderts, das äußerlich gemeinschaftliche Testament, wird in Abgrenzung dazu, wenn es nicht ausdrücklich als gemeinschaftliches Testament „uno actu“ gekennzeichnet ist, in Anlehnung an den lateinischen Begriff als Simultantestament bezeichnet; vom hier gewählten Begriff des gemeinschaftlichen Testaments ist es mit umfaßt, nicht aber umgekehrt. (a) testamentum simultaneum Daß das römische Recht keine verbindlichen Verfügungen über die Erbfolge zuließ und dementsprechend keinen Erbvertrag kannte, wurde bereits ausgeführt.185 Ob nach römischem Recht gemeinschaftliche Testamente (uno actu) zugelassen wurden, ist fraglich. Abgesehen von der mehrfach erwähnten Soldatenentscheidung verneinten die meisten Juristen im 19. Jahrhundert diese Frage. Zumindest nach Justinian’schem Recht seien Verfügungen mehrerer Personen uno actu über die Erbfolge verboten.186 Dieses Verbot wurde unter anderem damit begründet, daß sich im Corpus juris civilis keine Stelle finde, die auf die Zulässigkeit des testamentum simultaneum nach römischem Recht schließen lasse. Neben dem Schweigen Justinian’scher Quellen beriefen sich die Juristen zumeist auf die sog. unitas actus aus Dig. 28, 1, 21 § 3 (Cod. 6, 23, 28). Danach hat die Errichtung eines Testaments bzw. der entsprechende Solennitätsakt stets ohne Unterbrechung zu erfolgen. Eine Unterbrechung sei bei der Errich183 Wie dieser Wille festzustellen sei, wird unterschiedlich beantwortet. Siehe zum Ganzen nur Pfeiffer FamRZ 1993, 1266, 1269 ff. und Mayer in Dittmann/Reimann/ Bengel4 vor §§ 2265 ff. Rn. 10 ff. 184 Vgl. zum damaligen Begriffsverständnis allein Hartmann S. 87 ff.; siehe heute knapp Coing Privatrecht II S. 603 und ausführlicher Coing JZ 1952, 611 ff. 185 Siehe oben S. 47 ff. 186 Siehe besonders: Hasse RheinMusJur 3 (1829) 239, 239 ff.; Heimbach Rechtslexikon X 713, 889 f. (Testament); Glück S. 50 ff.; vgl. auch Beseler Erbverträge II/1 S. 325 f.; anderer Ansicht insbesondere Hartmann S. 92 ff.

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tung eines Simultantestaments immer anzunehmen. Teilweise wurde das Wesen der unitas actus auch darin erblickt, daß sich ein Solennitätsakt immer nur auf das Testament einer Person beziehen könne. Schließlich wurde die im Zusammenhang mit der Geschichte des Erbvertrags berühmt gewordene Soldatenentscheidung (Cod. 2, 3, 19) dazu bemüht, von der Zulässigkeit des testamentum simultaneum für Soldaten auf dessen Unzulässigkeit inter privatos zu schließen. Erst mit der Testamentsnovelle von Valentinian III. aus dem Jahre 446 sei das Simultantestament allgemein zugelassen worden. Da diese Novelle jedoch keinen Einzug in das Corpus juris civilis erhalten habe, habe sie keinen Einfluß auf die Rechtsentwicklung in Deutschland im Wege der Rezeption nehmen können. Soweit sich noch Spuren der Valentinian’schen Novelle in fränkischer Zeit feststellen ließen, könne diesen Relikten römischen Rechts keine maßgebliche Rolle für die geschichtliche Entwicklung des gemeinschaftlichen Testaments beigemessen werden, da das römische Recht dieser Zeit bereits im 11. Jahrhundert weithin in Vergessenheit geraten gewesen sei.187, 188 Im Gegensatz zur herrschenden Meinung des 19. Jahrhunderts wollten die italienischen Juristen nach der Entdeckung des Justinian’schen Rechts noch nichts von einem Verbot der Testamentserrichtung uno actu wissen. In einem seiner Gutachten bestätigte Oldradus die Wirksamkeit eines Simultantestaments. Er stellte dabei den Satz auf, daß in einem solchen Testament zweier Ehegatten, auch wenn der Form nach nur ein Testament vorliege, zwei Testamente enthalten seien. Hieraus leitete er die wichtige Folge ab, daß jeder Ehegatte sein Testament stets frei widerrufen könne. Das Widerrufsrecht des überlebenden Ehegatten werde durch den Tod des anderen nicht eingeschränkt.189 Die Deduktion des Oldradus wurde namentlich von Bartolus und Baldus sowie von den übrigen Kommentatoren übernommen. Sie stellten dabei die zu ihrer Zeit unbestrittene These auf, daß mehrere Personen ihr Testament auch nach Justinian’schem Recht in einer Urkunde errichten könnten.190 Den italienischen Autoritäten folgte die deutsche Jurisprudenz beispielsweise mit Zasius, Fichard, Mynsinger, 187 Zum Ganzen ebenda; vgl. ferner aus der neueren Literatur Meyer Testament S. 5 f. (1908) mit weiteren Nachweisen zur Literatur des 19. Jahrhunderts und Merkel S. 9 ff. (1930). 188 Zum letzten Satz siehe auch Beseler Erbverträge I S. 242 ff.; hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf Beseler Erbverträge II/1 S. 326: Es sei ein sehr unhistorisches Verfahren, wenn der jüngere Stryk: „de testamentis conjugum reciprocis §. 74. in S. Stryk, operibus vol. XI. diss. 26. (Francof. et Lips. 1750 fol.)“ aus den Spuren der fränkischen Zeit auf die gewohnheitsrechtliche Anerkennung gemeinschaftlicher Testamente seit dem 7. Jahrhundert schließe (vgl. auch Hartmann S. 107 mit Hinweis auf: J. S. Stryk: „Diss. de t. conj. reciprocis §. 7.“ und weitere Nachweise bei Meyer Testament § 1 Fn. 8; nach Merkel S. 11 ff. soll es sich bei diesen Spuren sogar noch um Vergabungen auf den Todesfall handeln). 189 Beseler Erbverträge II/1 S. 327 mit Hinweis auf Oldradus: „consilia, Nu. 174.“; vgl. auch Hartmann S. 110 mit Hinweis auf Oldradus: „Consilia, Frankfurt a. M. 1576, cons. 174.“

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Gaill, Carpzov und Mevius; von Gaill wurde auch die Praxis des Reichskammergerichts angeführt.191 Die genannten Juristen beriefen sich größtenteils auf die Kommentatoren, namentlich auf Oldradus.192 Gesetzliche Anerkennung erhielt das Simultantestament zuerst im Hamburger Stadtrecht von 1497 (Art. K, 2); zahlreiche Stadt- und Landrechte schlossen sich an, wobei die meisten das testamentum simultaneum nur für Ehegatten vorsahen.193 Nach einzelnen Statuten ist es Ehegatten bei allgemeiner Gütergemeinschaft sogar verwehrt, anders als in einem Akt zu testieren.194 Mit dem Siegeszug des römisch-kanonischen Testaments wurden die Vergabungen auf den Todesfall im Laufe des 16. Jahrhunderts vollständig durch das gemeinschaftliche Testament verdrängt.195 Zwar erhob sich bereits Ende des 16. Jahrhunderts – insbesondere unter Hinweis auf das Erfordernis der unitas actus – vereinzelter Widerspruch gegen das Simultantestament; 196 der Widerspruch wurde um den Anfang des 18. Jahrhunderts herrschender und führte schließlich zu der Erkenntnis, daß eine Testamentserrichtung uno actu nach römischem Recht abzulehnen sei.197 Jedoch vermochte sich das aus dem römischen Recht hergeleitete Verbot nicht gegen die Gewohnheiten in Deutschland durchzusetzen. Schon der prominente Verfechter dieses Verbots Johann Samuel Stryk be190

Hartmann S. 110 unter Hinweis Bartolus zu Dig. 28, 6, 20 und Baldus zu Dig. 28, 6, 20, zu Cod. 2, 3, 19 und zu Cod. 6, 23, 21 und 28 sowie mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Meyer Testament S. 11 f., der sich ebenfalls auf Hartmann a. a. O. beruft sowie Coing Privatrecht I S. 585 ohne Nachweise und Kipp/Coing14 S. 215 unter Hinweis auf Bartolus Bemerkung 3 zu Dig. 28, 6, 20, der sich wiederum auf Dig. 2, 13, 6 § 6 berufe. 191 Beseler Erbverträge II/1 S. 327 u. a. mit Hinweis auf Fichard: „consilia. I. 38. – II. 76.“, Gaill: „pract. obsevatt. II. 117.“, Carpzov: „jurispr. for. rom. saxon. P. III. C. 1. def. 11–13.“ und Mevius: „decisiones, IX. 148.“; Hartmann S. 110 u. a. mit Hinweis auf Zasius: „Consil. II, 18 nr. 14 in ejusd. opp., Lugduni 1550, tom. VI.“, Fichard: „Consilia, Francof. 1590, vol. II cons. 83“, Mynsinger: „Singularium observationum centuriae quattuor, Basil. 1596 ed. princ. 1563 obs. I, 8.“ und Gaill: „Obsev. pract. 1578 II, 117.“ Die hier zitierten Leitsätze von Gaill werden mitgeteilt bei Merkel S. 24 f., vgl. passim auch zu andern Zitaten. 192 Ebenda. 193 Hartmann S. 110 f. und Meyer Testament S. 12 f. mit umfangreichen Nachweisen. 194 Hartmann S. 109 unter Hinweis auf das Würtemberger Landrecht von 1567 und das Badische Landrecht von 1622; Roth S. 393 mit weiteren Nachweisen und Hinweisen auf seine Ausführungen zum Familienrecht § 61 Text zu Fn. 63 bis 67; ebenso Stobbe1/2 S. 252; siehe auch Meyer Testament § 1 Fn. 42 mit weiteren Nachweisen. 195 Beseler Erbverträge II/1 S. 175 ff., 181; Beseler System4 S. 669 f.; siehe mit weiteren Nachweisen auch Meyer Testament S. 10 f. 196 Hartmann S. 93, Fn. 2: zuerst der französische Jurist François Hotman (*1524 y1590): „ad §. 12 J. de test ord. 2, 10.“ 197 Hartmann S. 93, 117 f. (selbst anderer Ansicht, vgl. oben Fn. 186) für das 18. Jahrhundert mit Hinweis auf J. S. Stryk: „diss. de testamentis conjugum reciprocis, Halae 1702, § 5 und 6“; vgl. auch die Nachweise zur älteren Literatur bei Glück S. 54, Fn. 16; siehe auch Meyer Testament S. 12.

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rief sich im gleichen Atemzug, in dem er das römische Verbot begründete, zur Rechtfertigung gemeinschaftlicher Testamente auf eine zulässige consuetudo und Praxis in Deutschland.198 Abgesehen vom Code civil des Français, der an dem Verbot gemeinschaftlicher Testamente aus einer Ordonnanz zur Vereinheitlichung des französischen Testamentsrechts aus dem Jahre 1735 festhält (vgl. Art. 968, 1097 CC),199 erhielt das gemeinschaftliche Testament Einzug in die großen Kodifikationen. Während die testamentsweise Verfügung mehrerer Personen „in einem einigen Libell“ im Bayerischen Landrecht von 1616 nur für Ehegatten vorgesehen ist (Tit. 34 Art. 12), läßt der kurbayerische Codex das Simultantestament nicht nur unter Ehegatten zu, sondern ausdrücklich auch unter „anderen“ (CMBC III 4 § 10).200 Das preußische Landrecht trifft ausschließlich Regelungen für das gemeinschaftliche Testament als wechselseitiges Testament201; das Simultantestament selbst wird zwar nicht ausdrücklich zugelassen, jedoch kennt das Landrecht die unitas actus für die Testamentserrichtung nicht (vgl. vielmehr ALR I 12 § 616).202 Unzweifelhaft war für Ehegatten die Testamentserrichtung „in Einem Instrumente“ vorgesehen; sie ist in ALR II 1 §§ 482, 483 als Form des wechselseitigen Testaments ausdrücklich vorgeschrieben. Aus dem Umstand, daß das wechselseitige Testament nur unter Ehegatten zugelassen ist (vgl. ALR I 12 § 614), schloß die herrschende Meinung zum preußischen Recht auf ein Verbot des Simultantestaments unter Nichtehegatten.203 Im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch sind Simultantestamente nur unter Ehegatten und allein in Ehestiftungen zulässig (vgl. §§ 583, 1248 ABGB),204, 205 im sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuch dagegen wieder allgemein (vgl. §§ 2196 ff. SächsBGB).206 198 Coing Privatrecht I S. 586 unter Hinweis auf J. S. Stryk: „De testamentis coniugum reciprocis (resp. Junius), Diss. Halle 1702, § 7“. 199 Coing Privatrecht I S. 587 (Ordonannce von 1735, Art. 77); Coing Privatrecht II S. 604 (Ordonance von 1736); zum Verbot gemeinschaftlicher Testamente nach französischem Recht Zachariä6 S. 249. Der Grund für das Verbot im französischen Recht lag in den mit dem Widerruf des Überlebenden verbundenen Schwierigkeiten (Petersen S. 65). 200 Dazu Kreittmayr Anm. 1a und 3a zu CMBC III 4 §§ 10, 11 und Roth § 316 Fn. 4, 5; Bayerisches Landrecht von 1616 Tit. 34 Art. 12 bei Hartmann S. 111, Fn. 3. 201 Zu diesem sogleich. 202 Dernburg Preußisches Privatrecht3 § 182 Fn. 4 (S. 516). 203 Vgl. nur Koch S. 650 ff. mit Hinweis auf den Verfasser des Landrechts Carl Gottlieb Svarez *1746 y1798 (Schlußvorträge in von Kamptz’ Jahrbüchern für die Preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung, Bd. 41 S. 81 und Nachtrag in der revisio monitorum in den soeben erwähnten Jahrbüchern, Bd. 52 S. 47) und Förster S. 192 f.; anderer Ansicht Dernbrug Preußisches Privatrecht3 § 182 Fn. 4 (S. 516). 204 Ein Hofdekret vom 25. Juni 1817 läßt das gemeinschaftliche Testament auch unter Verlobten zu (Unger3 § 21 Fn. 4). 205 Zum gemeinschaftlichen Testament im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch Unger3 S. 97 ff. (§ 21).

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(b) testamentum reciprocum Aus den zur Rezeptionszeit geläufigen wechselseitigen Vergabungen auf den Todesfall unter Ehegatten gingen zunächst nur gemeinschaftliche Testamente als wechselseitige Testamente hervor.207, 208 Unabhängig davon, ob sie uno actu erfolgten, mußten sich wechselseitige Erbeinsetzungen gegen das römischrechtliche Verbot sog. kaptatorischer Verfügungen durchsetzen.209 Als kaptatorisch wurden diejenigen Verfügungen bezeichnet, die in der Absicht errichtet worden seien, die Erbschaft eines anderen zu erlangen: „quae fit captandae alterius hereditatis causa.“210 Erst später kam dann die Ansicht auf, daß eine wechselseitige Erbeinsetzung in einem Simultantestament nicht zwingend erforderlich sei. Dem gemeinschaftlichen Testament als wechselseitigem bzw. reziprokem Testament (testamentum simultaneum reciprocum) wurde so das „bloß gemeinschaftliche Testament“ (testamentum mere simultaneum) an die Seite gestellt.211 Während der Codex Maximilianeus das bloß äußerlich gemeinschaftliche Testament ausdrücklich anerkennt (CMBC III 4 § 11 Nr. 6),212 blieb die Zulässigkeit des gemeinschaftlichen Testaments als testamentum mere simultaneum im gemeinen Recht bis 206 Zu den „gemeinschaftlichen letzten Willen“ im sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuch: Grützmann S. 289 f.; Schmidt S. 193 ff.; Siebenhaar S. 786 f. 207 Beseler Erbverträge II/1 S. 326 ff.; Hartmann S. 109; Hasse RheinMusJur 3 (1829) 239, 244 f.; siehe aus der neueren Literatur neben Meyer Testament S. 10 f. und Battes S. 49 mit den entsprechenden Nachweisen: Vieles spreche dafür, daß die „Vergabungen von Todes wegen“ als Vorläufer der gemeinschaftlichen Testamente angesehen werden müßten. 208 Ein wechselseitiges Testament mußte nach herrschender Auffassung nicht zwingend ein Simultantestament sein, vgl. nur Mühlenbruch S. 215, Fn. 74 und Unger3 § 21 Fn. 3: „Es versteht sich von selbst, daß auch nicht gemeinschaftliche Testamente wechselseitige Erbeinsetzungen enthalten können.“; anderer Ansicht z. B. Roth S. 394 f. gegen das bayerische Recht (CMBC III 4 § 11 Nr. 6); siehe anderseits wieder ALR I 12 § 616, II 1 § 483 (dazu Koch S. 652 f.). 209 Hartmann S. 114 unter Hinweis auf: Johann Oldendorp (* um 1488 y1567): „Consil. Marpurgensia, Frankf. 1631, vol. IV cons. 1 qu. 1“ und Mevius: „ad Jus Lub. II, 1, 10 Nr. 1–6.“ Der bayerische Kodex will von dem Verbot kaptatorischer Verfügungen im deutschen Recht nichts mehr wissen (vgl. CMBC III 4 § 10 und dazu Kreittmayr Anm. 3b). Ausführlich zu diesem Verbot im gemeinen Recht im Zusammenhang mit der wechselseitig bedingten Erbeinsetzung: Hartmann S. 129 ff. 210 Coing Privatrecht I S. 567 u. a. unter Hinweis auf Favre (Faber, vgl. sogleich im Text): „Codex, 6, 6, 11“. Der Einwand, es lägen bei wechselseitigen Erbeinsetzungen kaptatorische Verfügungen vor, wurde mit dem Hinweis zurückgewiesen, die Erbeinsetzungen beruhten auf „mutuae affectionis“ und fielen daher unter die Ausnahmen in Dig. 28, 5, 70; auch auf Dig. 39, 6, 26 (wechselseitige mortis causa donationes) wurde hingewiesen (Coing Privatrecht I S. 586 u. a. unter Hinweis auf Peck (vgl. sogleich im Text): „De testamentis coniugum libri 5, Coloniae Agrippinae 1558, I, 19, Nr. 1, 2“, Gaill: „Practicarum observationum, II, 117, Nr. 1“, Faber: „Codex 6, 5, 18“. 211 Meyer Testament S. 11. 212 Dazu auch Kreittmayr a. a. O. (oben Fn. 200) und Roth S. 391 f.

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zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs umstritten.213 Auch im preußischen Landrecht war die Zulässigkeit des testamentum mere simultaneum lange Zeit streitig; von der höchstrichterlichen Rechtsprechung wurde es schließlich anerkannt.214 Im österreichischen Recht ist das bloß äußerlich gemeinschaftliche Testament zugelassen (vgl. § 1248 ABGB);215 gleiches gilt für das Bürgerliche Gesetzbuch Sachsens (vgl. §§ 2196 ff. SächsBGB).216 (c) pactum de non revocando und testamentum correspectivum Im Mittelalter galt der bereits von Oldradus für das gemeinschaftliche Testament bestätigte Grundsatz fort, daß die neben den deutschrechtlichen Vergabungen auf den Todesfall herlaufenden römischen Testamente als letztwillige Verfügungen stets einseitig frei widerruflich seien, auch wenn sie wechselseitig errichtet wurden;217 diesem Grundsatz blieben die Juristen bis hin in das 17. Jahrhundert treu.218 Entschieden wurde die Zulässigkeit eines pactum de non revocando bzw. mutando testamento von Bartolus über Zasius bis hin zu Fichard verworfen; ein solches pactum wurde von den genannten Autoren auch dann nicht zugelassen, wenn es mit einem Eid bekräftigt worden sei.219 Mit der Lehre von den Erbverträgen kündigte sich allerdings eine andere Sichtweise an. Wie behutsam die Juristen zunächst gegen den Grundsatz des römischen Rechts argumentierten, zeigen noch die Ausführungen von Schilter (Zitat nach Beseler): „Die Vorschrift, daß man sich nicht binden könne, letztwillige Verfügungen unwiderruflich zu machen, sey zwar dem römischen Rechte eigenthümlich, und nicht juris gentium et naturalis; auch sei bei den Römern die testamenti factio juris pu213 Für eine Beschränkung des Simultantestaments auf wechselseitige Verfügungen z. B.: Brinz2 S. 65 f. (§ 370 Ziff. 2); G. F. Puchta12 S. 689 f. (§ 481); Sintenis3 S. 445 und § 178 Fn. 1 (S. 445 ff.); dagegen beispielsweise Hartmann S. 113 f.; weitere Nachweise bei Roth § 316 Fn. 6 und Stobbe1/2 § 307 Fn. 2. 214 Vgl. PrOTE 82, 209, 212 f. (04.11.1878); siehe auch Färber S. 27 mit weiteren Nachweisen; für die Zulässigkeit des Simultantestaments z. B. Dernbrug Preußisches Privatrecht3 § 182 Fn. 4 (S. 516); dagegen Förster S. 193 und Koch S. 650 f. 215 Dazu Unger3 § 21 Fn 4. 216 Grützmann S. 289; Schmidt S. 193; Siebenhaar S. 786 f. 217 Allein die bei allgemeiner Gütergemeinschaft vorgeschriebenen gemeinschaftlichen Testamente konnten auch nur gemeinsam widerrufen werden (Roth S. 393 f.). 218 Beseler Erbverträge II/1 S. 314 ff. passim und Hartmann S. 117, beide u. a. auch unter Hinweis auf zahlreiche Statuten; vgl. auch Beseler System4 § 147 Fn. 8. Siehe ferner Coing Privatrecht I S. 586 u. a. unter Hinweis auf Peck a. a. O. (oben Fn. 210): 43, Gaill a. a. O. (oben Fn. 210): 117, Faber: „Codex 6, 5, 18“, Carpzov: „Iurisprudentia Romano-Saxonica, II, 43, 10“, S. Stryk: „Usus modernus, Nr. 5 zu D 28, 3“ und die Frankfurter Reformation von 1578. 219 Beseler Erbverträge II/1 S. 317 unter Hinweis auf die Kommentierungen von Bartolus und Zasius zu Dig. 45, 1, 61 sowie auf Fichard: „consilia I. 56. – II. 58.“

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blici gewesen, gehöre jetzt aber zum Privatrecht: daher könne man geneigt seyn, einen Verzicht auf die freie testamenti factio für gültig zu halten. Allein man müsse bedenken, daß wir mit dem römischen Recht auch jene Regel über letztwillige Verfügungen recipirt hätten; Richter und Gesetzgeber möchten daher vorsichtig seyn, und wenn sie jener Regel auch nicht unbedingt folgen wollten, sie doch auch nicht vernachlässigen.“220

Die Ausführungen leiten letztendlich noch nicht zu dem allgemeinen Satz über, daß ein Testament durch Vertrag unwiderruflich gemacht werden könne; Schilter meinte lediglich eine von der communis opinio seiner Zeit abweichende Auffassung für das wechselseitige Testament unter Ehegatten zu rechtfertigen;221 ein solches Testament konnte er sich nur im Zusammenhang mit einem Vertrag vorstellen.222 Samuel Stryk trat insofern schon entschiedener auf. Während sein Sohn in seiner grundlegenden Abhandlung über das wechselseitige Testament die Wirksamkeit des pactum de non revocando im wesentlichen mit der eidlichen Verstärkung nach kanonischem Recht begründete,223 ging der Vater in seinem „Usus modernus pandectarum . . .“ bereits einen Schritt weiter und schloß von der Möglichkeit, die Testierfreiheit im deutschen Recht durch Erbverträge zu beschränken, auf die Wirksamkeit eines solchen Pakts.224, 225 Noch bestimmter sprach sich schließlich Leyser für die Wirksamkeit des pactum de non revocando aus. Sie wurde von ihm aus dem allgemeinen Grundsatz der Verbindlichkeit eines jeden Vertrags abgeleitet.226 Unter anderem dadurch, daß Leyser seine Auffassung über die Wirksamkeit des pactum de non revocando unter dem Titel „de pactis successoriis“ abgehandelt hat, zeigt sich, daß auch er einen inneren Zusammenhang dieses Nebenvertrags mit dem Erbvertrag annahm. Obwohl sich Leyser ganz entschieden für die allgemeine Zulässigkeit des Erbvertrags aussprach,227 hatte er beim pactum de non revocando – wie auch seine Vorgänger – vorzugsweise das wechselseitige Testament (unter Ehegatten) im Auge.228 Während Christian Friedrich Mühlenbruch mit seinen viel220 Beseler Erbverträge II/1 S. 317 f. mit Hinweis auf Schilter: „praxis juris romani. tom. II. exercit. 39. §. 56.“ 221 Dazu sogleich im Text. 222 Beseler Erbverträge II/1 S. 318, 329 mit Hinweis auf Schilter: „praxis jur. rom. tom. II. exerc. 39. §. 56–58“; vgl. auch Hartmann S. 117, Fn. 2 zu Schilter: „exerc. ad Pand. XXXIX §. 56–58“. 223 Siehe auch sogleich im Text mit entsprechendem Nachweis. 224 Beseler Erbverträge II/1 S. 318 mit Hinweis auf S. Stryk: „Usus mod. ad pand. lib. XXVIII. tit. 3. §. 3.“; vgl. auch Coing Privatrecht I S. 586 unter Hinweis auf S. Stryk: „Usus modernus, Nr. 3, 5 zu D 28, 3 unter Berufung auf Gewohnheit“. 225 Merkel S. 27 sieht Georg Adam Struv (*1619 y1692): „Exercitatio XXXII Ziff. XLIII.“ als Urheber des Gedankens, daß der Überlebende beim Berliner Testament auf das Widerrufsrecht verzichten könne. 226 Beseler Erbverträge II/1 S. 318 f. mit Hinweis auf Leyser: „meditt. ad. pand. spec. 43. med. 7. et 8. – vgl. spec. 359. med. 8. et 9.“; vgl. auch Coing Privatrecht I S. 586 unter Hinweis auf Leyser: „Meditationes ad Pandectas, speciemen 43, 6 und 7.“ 227 Dazu bereits oben im Text unter Ziff. (1).

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beachteten Ausführungen in der Fortsetzung von „Glück’s Pandekten“ (Bd. 38, 1835) noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits für das einfache Testament „unbedenklich“ von der Zulässigkeit des pactum de non revocando ausging,229 kehrten beispielsweise mit Hasse und Beseler bedeutende Autoren auf diesem Gebiet in Abgrenzung zum deutschrechtlichen Erbvertrag zu den strengen Grundsätzen des römischen Testamentsrechts zurück.230 Hartmann wieder begründete dagegen mit dem Widerrufsverzicht seine Teilungstheorie.231 Als Rechtsinstitut fand das pactum de non revocando im Partikularrecht zunächst keine Anerkennung;232 allein das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch regelt einen vertraglichen Widerrufsverzicht (vgl. § 2213 SächsBGB).233 Wie das preußische Recht (ALR II 1 § 494)234 ging die Praxis bei einer ausdrücklichen Verabredung der Unwiderruflichkeit davon aus, daß das Geschäft nicht als Testament, sondern als ein Erbvertrag aufzufassen sei.235 Der Codex Maximilianeus dagegen sprach sich sogar bei Auslegungszweifeln für einen Erbvertrag aus (CMBC III 4 § 11 Nr. 7).236 Noch die Grundsätze des römischen Testamentsrechts anerkennend, sahen die Juristen frühzeitig, daß gerade bei wechselseitigen Testamenten oftmals eine gewisse Abhängigkeit (Korrespektivität) der einzelnen Testamente beabsichtigt war (testamentum correspectivum); auch das jederzeit freie, einseitige Widerrufsrecht schien in diesen Fällen als unerwünscht hervorzutreten. Besondere Beachtung verdienten insoweit die wechselseitigen Testamente unter Ehegatten in der Gestalt, wie sie heute – und auch hier im Folgenden – als Berliner Testamente (vgl. Tatbestand des § 2269 Abs. 1 BGB)237 bezeichnet werden oder damals als die „eigentlich correspectiven Testamente“238 bezeichnet wurden.239

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Beseler Erbverträge II/1 S. 319. Mühlenbruch S. 209 ff.; ihm folgend Heimbach Rechtslexikon X 713, 894 ff. (Testament), 1856. Ebenso beispielsweise auch Buchka, Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, Bd. 12 (1848) 210, 215 ff. 230 Vgl.: Hasse RheinMusJus 2 (1828) 149, 208 ff.; Beseler Erbverträge II/1 S. 314 ff. (mit umfangreicher Argumentation gegen Mühlenbruch a. a. O. [oben Fn. 229] auf S. 320 ff.); ebenso beispielsweise auch Bluntschli3 S. 734 f. und Phillips3 § 176 (S. 303). 231 Siehe oben S. 71. 232 Beseler Erbverträge II/1 S. 321 f. Siehe zum bayerischen Kodex Kreittmayr Anm. 8d zu CMBC III 4 §§ 10, 11 und Anm. d zu CMBC III 2 § 4; vgl. dazu Roth S. 396 f. 233 In einem solchen Verzicht wurde nach sächsischem Recht kein Erbvertrag erblickt (siehe Grützmann § 227 Fn. 5). 234 Dazu z. B.: Dernburg Preußisches Privatrecht3 S. 517 unter Hinweis auf S. Stryk: „usus modernus Pand. 28, 3 § 5“ und Mühlenbruch S. 222 ff.; Koch S. 659. 235 Vgl. Beseler Erbverträge II/1 S. 331 f.; siehe sonst nur Hartmann S. 118 ff. (selbst für die Zulässigkeit des pactum de non revocando; vgl. soeben im Text). 236 Mit der herrschenden Auffassung im gemeinen Recht (Tatfrage ohne Vermutung) dagegen Roth S. 397 f. 229

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Da solche Testamente oftmals knapp gefaßt waren,240 war es in der Praxis nicht einfach, den maßgeblichen Willen des jeweiligen Erblassers bzw. den Willen beider Ehegatten zu ermitteln. Praxis und Wissenschaft suchten daher nicht nur nach Gestaltungsmöglichkeiten, sondern vor allem zur Beantwortung der quaestio facti (voluntatits) nach Auslegungsregeln.241

237 Daß der Begriff des Berliner Testaments nicht auf diejenigen gemeinschaftlichen Testamente beschränkt ist, die in ihrer Gestaltung der Einheitslösung folgen, wurde einleitend mit entsprechenden Nachweisen ausgeführt (vgl. oben S. 1). 238 So die Bezeichnung von Mühlenbruch S. 244; vgl. zum damaligen Begriffsverständnis auch Hartmann S. 90; siehe auch Beseler Erbverträge II/1 S. 334. 239 Exkurs: Bei dieser seit jeher geläufigsten Erscheinungsform des gemeinschaftlichen Testaments wurden die Verfügungen zugunsten Dritter, zumeist zugunsten der nächsten beiderseitigen Verwandten (vielfach gemeinsame Kinder), im gemeinen Recht als Vermächtnisanordnungen und nicht als Erbeinsetzungen gesehen. Eine Erbeinsetzung der Dritten als Erben des Überlebenden – heutige Einheitslösung – wurde bis weit in das 19. Jahrhundert hinein nicht in Erwägung gezogen (zum Ursprung der Einheitslösung später, unten S. 104 f., 126 f.); aufgrund der lange Zeit herrschenden Auffassung freier Widerruflichkeit gemeinschaftlicher Testamente (genauer: der Verfügungen des Überlebenden) hätte eine solche Auslegung des Berliner Testaments die Verfügungen zugunsten Dritter vollständig in das Belieben des Überlebenden gestellt. Ebenso kam eine Erbeinsetzung der Dritten als Nacherben des Erstversterbenden – heutige Trennungslösung – zunächst noch nicht in Betracht: Im römischen Recht galt die Regel „semel heres semper heres“, d.h. es gab keine Erben auf Zeit, keine Nacherbfolge im heutigen Sinne; eine heredis substitutio kam nur als substitutio vulgaris, d.h. für den Fall in Betracht, daß der zunächst Bedachte vor Antritt der Erbschaft wegfiel (Vulgarsubstitution, Einsetzung als Ersatzerbe). Als Surrogat einer Erbeinsetzung zur zweiten Hand diente allerdings das sog. Universalfideikommiß (vgl. zum Fideikommiß oben Fn. 52), ein Vermächtnis, durch das dem Erben – Fiduziarerbe – die Verpflichtung auferlegt wurde, die Erbschaft für einen gewissen Fall oder nach einer gewissen Zeit einem anderen – Universalfideikommissar – herauszugeben (restituere). Nach Justinian’schem Recht durfte der Erbe bei der Restitution die falzidische Quart, die hier als trebellianische bezeichnet wird, abziehen. Gegen Übernahme der Nachteile konnte der Fideikommissar den Fiduziarerben zur Antretung der Erbschaft zwingen. Mit den naturrechtlichen Kodifikationen wurde das Fideikommiß zur heute bekannten Vor- und Nacherbschaft, jedoch wurde teilweise noch an den alten Begriffen festgehalten (vgl.: ALR I 12 §§ 53 ff., 259, 260, 466 ff.; §§ 608 ff. ABGB); vgl. schließlich §§ 2005, 2503 ff. SächsBGB. Zur Entwicklung vom Universalfideikommiß zur Vor- und Nacherbfolge: Lange/Kuchinke5 S. 570; Meyer Erbrecht S. 251 ff.; Coing Privatrecht I S. 579 ff., 629 f.; Coing Privatrecht II S. 613 ff. 240 Beispiel bei Hartmann S. 142, 144 (Fn. 2): „Es soll nach dem Letztlebenden Tode der Gesamtnachlaß an unsere beiderseitigen Verwandten fallen.“ 241 Daß bei der Diskussion um die korrespektiven Testamente lediglich nach Auslegungsregeln gesucht wurde, kann nicht stark genug betont werden. Buchka, Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, Bd. 12 (1848) 210, 210 f. wies wieder darauf hin, daß es allein auf den Willen der Testatoren ankomme, daß aber dennoch auch die allgemeine Betrachtung im Stande sei, „eine specielle Theorie der correspectiven Testamente als die Natur der Sache zu ermitteln, wenn man nur die Verhältnisse in’s Auge faßt, welche den Entschluß zu correspectiver Testamentserrichtung gewöhnlich hervorrufen und diesem Entschlusse einen so bestimmten Charakter einprägen, daß auch das Resultat desselben einen stets wiederkehrenden und damit normalen objektiven Typus annimmt.“

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Der französische Jurist Antonius Faber (Antoine Favre, *1557 y1624) entwickelte für einen ganz speziellen Fall gemeinschaftlicher Testamente den Gedanken, daß der Widerruf des einen Testaments das gesamte Testament vernichte;242 allgemein hielt er allerdings noch an der damaligen communis opinio fest.243 Fabers Gedanke blieb bei den deutschen Juristen nicht ohne Zuspruch. Sie erweiterten den Anwendungsbereich des von ihm aufgestellten Prinzips, insbesondere wendeten sie es auf die soeben angesprochenen Berliner Testamente an. Während Carpzov die Ansicht bereits diskutierte, aber im Ergebnis noch verwarf,244 nahm Mevius bereits an, daß für den Fall, wenn der Überlebende die Verwandten des anderen Ehegatten von seinem Vermögen ausschließe, auch die Verwandten des überlebenden Ehegatten vom Vermögen des anderen ausgeschlossen seien.245 Ganz ähnlich faßte Mevius die wechselseitige Erbeinsetzung im Berliner Testament auf, wenn sie nicht bloß in einer Urkunde, sondern auch „conjunctim“ erfolgt sei.246 In einem Gutachten verzichtete Johann Brunnemann (*1608 y1672) hingegen darauf, daß die Ehegatten ihre Erbeinsetzungen ausdrücklich miteinander in einem Satz verbänden („konjugierten“); ferner ließ er das eine Testament mit dem anderen nicht nur beim Widerruf, sondern in jedem Fall seiner Aufhebung fallen.247 Mit voller Bestimmtheit wurde die neue Auffassung schließlich von Johann Samuel Stryk vorgetragen.248 Der Codex Maximilianeus gestattet ganz allgemein gemeinschaftliche Testamente, bei denen eine gegenseitige Abhängigkeit der einzelnen Verfügungen vereinbart wird (CMBC III 4 § 11 Nr. 1); nach bayerischem Landrecht führt die Aufhebung des einen Testaments dann nicht zur Aufhebung des anderen Testaments, wenn das andere Testament in Kenntnis der Aufhebung nicht widerrufen wurde (CMBC III 4 § 11 Nr. 3, 4).249, 250 Beim wechselseitigen Testament statuiert der bayeri242 Hartmann S. 125 f. mit Hinweis auf Faber: „De erroribus pragm. et interpr. jur. Colon. Allobrog. 1606, vol. II S. 28–35 P. III dec. 52, error. 4–7 und Codex Fabrianus, Genuae 1673, S. 630 ff. lib. VI tit. 5 def. 18.“; siehe auch Coing Privatrecht I S. 586 ebenfalls mit Hinweis auf Faber: „Codex, 6, 5, 18“. 243 Hartmann S. 125, Fn. 4 mit Hinweis auf Faber a. a. O. (Fn. 242): S. 34. 244 Hartmann S. 126, Fn. 2 mit Hinweis auf Carpzov: „Jurispr. for. P. III. c. 7 def. 21“ und Meyer Testament § 1 Fn. 49 mit Hinweis auf Carpzov: „Jurisprudentia forensis Romano-Saxonica p. III const. 2 def. 11“ und noch Leyser: „Meditationes ad pandectas VII spec. 359 med. 5 u. a.“ 245 Hartmann S. 126 mit Hinweis auf Mevius: „ad Jus Lub. II, 1, 10“ Nr. 37–43; vgl. auch Beseler Erbverträge II/1 S. 330 mit Hinweis auf Mevius: „ad jus lub. P. II. tit. 1. art. 10. Nu. 39–43.“ 246 Hartmann S. 126 mit Hinweis auf Mevius: a. a. O. (Fn. 245): Nr. 36. 247 Hartmann S. 126 mit Hinweis auf Brunnemann: „Consil. sive resp. acad., Frankf. a.d.O. 1677, cons. 38 S. 302–6.“; siehe inhaltlich ergänzend Merkel S. 26 mit Hinweis auf Brunnemann: „Consilium 38, Nr. 2 und 25.“ 248 Hartmann S. 117, 127 mit Hinweis auf J. S. Stryk a. a. O. (Fn. 197): § 77 und die Arbeit von Ferdinand Christoph Harpprecht (*1675 y1731): de testamentis correspectivis, Tubingiae 1702, §§ 45–48. Vgl. auch Beseler Erbverträge II/1 S. 330 mit Hinweis auf J. S. Stryk: a. a. O. (Fn. 188): § 79.

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sche Kodex ein solches Abhängigkeitsverhältnis (CMBC III 4 § 11 Nr. 3).251 Das Allgemeine Landrecht kannte ebenso wechselseitige Testamente nur als korrespektive Testamente.252 Nach preußischem Recht wird das wechselseitige Testament durch den Widerruf eines Ehegatten – unabhängig von der Kenntnis des anderen Ehegatten253 – vernichtet (ALR II 1 § 485); reagiert jedoch der andere Ehegatte nicht auf den Widerruf, so bleiben seine Verfügungen zugunsten anderer Personen als solcher bestehen, die bloß mit dem Widerrufenden als Verwandte oder besondere Freunde verbunden sind (ALR II 1 § 486). Unwesentliche Änderungen und Zusätze bewirken die Vernichtung nicht; solche Handlungen sind unwirksam, wenn sie einseitig und zum Nachteil des Überlebenden vorgenommen werden (ALR II 1 §§ 487, 488).254 Entsprechend bayerischem und preußischem Recht ging die überwiegende Auffassung zum gemeinen Recht davon aus, daß bei wechselseitigen Testamenten Korrespektivität zu vermuten sei; teilweise wurde die Vermutung auf die gemeinschaftlichen Testamente unter Ehegatten beschränkt, namentlich auf solche Testamente, wonach das Vermögen beider Ehegatten nach dem Tod des Überlebenden bestimmten Dritten zugedacht war (gemeinschaftliche Testamente in der Erscheinungsform des Berliner Testaments; vgl. heute § 2270 Abs. 2 BGB).255, 256 Im Allgemei249

Vgl. Kreittmayr Anm. 1c, 7, 9 zu CMBC III 4 §§ 10, 11 (u. a. unter Hinweis auf Harpprecht und J. S. Stryk, vgl. oben Fn. 248) und Roth S. 398 ff.; vgl. bereits Bayerisches Landrecht von 1616 Tit. 34 Art. 13 (Korrespektivität beschränkt auf heimlichen Widerruf, Text bei Roth § 316 Fn. 11). 250 Ebenso für das gemeine Recht: Glück S. 67 u. a. unter Hinweis auf Harpprecht: „Diss. de testamentis correspectiv. §. XXXVIII. et §. XLII.“; Holzschuher S. 578; Stobbe1/2 S. 257; Windscheid7 § 568 Fn. 5. 251 Ebenda (oben Fn. 249), wobei Roth S. 399 wohl anderer Meinung war und insoweit das bayerische Gesetz unerwähnt ließ. 252 Dernburg Preußisches Privatrecht3 S. 516 f.; siehe auch Färber S. 107; zumindest ist aus den gesetzlichen Regelungen eine Vermutung für die Korrespektivität herzuleiten, vgl. auch die Formulierung von Koch S. 660 und Roth § 316 Fn. 31. 253 So auch für das gemeine Recht: Beseler System4 S. 671; Hasse RheinMusJur 3 (1829) 239, 245; Sintenis3 § 178 Fn. 4 (S. 448). 254 Zu den Wirkungen der Korrespektivität im preußischen Recht nur Dernburg Preußisches Privatrecht3 S. 521 f. 255 Vgl. insgesamt: Glück S. 61 ff.; Hasse RheinMusJur 3 (1829) 239, 245, 269; Heimbach Rechtslexikon X 713, 891 f. (Testament); Holzschuher S. 578; Mühlenbruch S. 223 ff.; Sintenis3 S. 447 f.; Thibaut S. 297; Windscheid7 § 568 Fn. 4; vgl. aus der Gerichtspraxis z. B.: OAG Kassel SeuffArch 4, 63; OAG Rostock SeuffArch 34, 312 (09.11.1868); OAG München BayObLGZ 5, 474, 474 (09.01.1875; zum gemeinen Recht unter Hinweis auf Glück S. 62 f.); anderer Ansicht noch Hartmann S. 128 ff. unter Berücksichtigung des Verbots kaptatorischer Verfügungen (dagegen namentlich Fischer ArchBürgR 6 [1892] 54, 68, 80 ff.). 256 Im einzelnen war hier freilich vieles umstritten. Einen guten Überblick liefert die Gegenargumentation von Hartmann S. 128 ff. und die umfassende Gegenüberstellung der einzelnen Ansichten nebst Auswertung der Gerichtspraxis von Fischer ArchBürgR 6 (1892) 54, 73 ff.; vgl. auch schon die konträren Ansichten zur Auswirkung der Kenntnis des Widerrufs oben in Fn. 250 und 253.

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nen Bürgerlichen Gesetzbuch wird dagegen eine Vermutung für die Korrespektivität abgelehnt; Korrespektivität ist nach österreichischem Recht nur anzunehmen, wenn die Ehegatten sie ausdrücklich festgelegt haben (vgl. § 1248 ABGB).257 Im sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuch wird entgegen der gemeinrechtlich herrschenden Meinung allein bei wechselseitigen Testamenten eine Vermutung für die Korrespektivität abgelehnt (vgl. §§ 2298, 2199 SächsBGB); eine dahingehende Vermutung gilt im sächsischen Recht für das Berliner Testament und für den Fall des Widerrufsverzichts (§§ 2200, 2201 SächsBGB).258 Mit Schilter wurde der Gedanke vorbereitet, wechselseitige Testamente generell in den Kreis der vertragsmäßigen Erbfolge hineinzuziehen. Indem er sich die Errichtung eines wechselseitigen Testaments nur im Zusammenhang mit einem vorhergehenden Vertrag unter den Ehegatten vorstellen konnte, brachte er ein neuartiges Element in die bis dahin römischrechtliche Sichtweise der Dinge. Er stellte mit seiner oben mitgeteilten Äußerung zwar die Widerruflichkeit des wechselseitigen Testaments in Frage, doch blieb er schließlich insoweit der communis opinio seiner Zeit treu und folgte dem römischen Recht. Für das Berliner Testament kam er letztlich zu dem bereits von anderen Juristen259 vorgetragenen Ergebnis, daß der Überlebende an das wechselseitige Testament im Hinblick auf das von ihm herrührende Vermögen nicht gebunden sei.260 Im Prinzip entspricht dies der heutigen Trennungslösung ohne im Sinne des § 2270 BGB qualifizierte Verfügungen zugunsten Dritter. Mit großer Selbstgefälligkeit kündigte schließlich Johann Samuel Stryk für wechselseitige Testamente eine neue Auffassung an.261 Der jüngere Stryk ging gleich soweit, allen wechselseitigen Testamenten die Eigenschaft der Unwiderruflichkeit beizulegen.262 Eventuell, erklärte er, müsse dies wenigstens dann gelten, wenn dem Testament ein unter Eid bekräftigtes pactum de non mutando beigefügt sei. Zwar wende man dagegen ein, dies sei contra substantiam testamenti; aber ohne Grund, da darin Dazu Unger3 S. 105; siehe auch Coing Privatrecht II S. 604. Dazu Grützmann S. 289; Schmidt S. 193 f.; Siebenhaar S. 786. 259 Beseler Erbverträge I S. 329 verweist insoweit auf: „consilia Marpurgensia, vol. cons. 1 et 21“ (vermutlich von Oldendorp, vgl. den Nachweis bei Hartmann S. 114, Fn. 3); Hartmann S. 117, Fn. 2 u. a. mit Hinweis auf Carpzov: „jurispr. forensis Romano-Saxonica P. III const. 7 def. 21“; vgl. auch Mühlenbruch S. 235 unter Hinweis auf Mevius: „comment. ad jus Lub. ad Lib. II. tit. 1. Art. 10. Nr. 34 sqq.“ und „decisiones P. IX. dec. 148.“; ebenso im Anschluß Heimbach Rechtslexikon X 713, 900 (Testament) unter Hinweis auf Mevius: „comm. ad ius Lubecense, ad lib. II. tit. I. art. 10. nr. 34 sq.“ und „Decisiones P. IX. dec. 148.“; vgl. ferner Hartmann S. 147 f. 260 Siehe die Nachweise in Fn. 222. 261 Beseler Erbverträge I S. 330 mit Hinweis auf J. S. Stryk: a. a. O. (Fn. 188): § 71; Hartmann S. 117, Fn. 3: „Um seine Originalität recht zu zeigen, citirt er nicht weniger als vierzig Gewährsmänner gegen sich.“ Zur Auffassung von Stryk siehe auch Merkel S. 27 ff. 262 Hartmann S. 117 mit Hinweis auf J. S. Stryk a. a. O. (Fn. 197): §§ 74 bis 76 (S. 44 bis 46). 257 258

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ein argumentum mere civile liege und nach kanonischem Recht jeder Eid gelte, welcher ohne Verletzung des Seelenheils gehalten werden könne.263 Schließlich machte sich Stryk auch die Auffassung von Brunnemann zu eigen, indem er meinte, in Ermangelung eines eidlichen pactum de non mutando müsse zumindest der Widerruf des einen Testaments die Vernichtung beider Testamente zur Folge haben.264 Mit seiner neuen Auffassung von der Unwiderruflichkeit wechselseitiger Testamente brach Stryk ganz offen mit den Grundsätzen des römischen Testamentsrechts. In diesem Zusammenhang ist auch seine oben erwähnte Position zum testamentum simultaneum zu verstehen. Indem er sich für die Unzulässigkeit des gemeinschaftlichen Testierens (uno actu) nach römischem Recht aussprach,265 und indem er für das Rechtsinstitut des gemeinschaftlichen Testaments ein auf das 7. Jahrhundert zurückgehendes Gewohnheitsrecht annahm,266 bahnte er dem gemeinschaftlichen Testament den Weg für eine „germanisierende“, von den Grundsätzen des römischen Rechts befreite, Betrachtung.267 Auch wenn die Ansicht in den Ausführungen von Schilter und Stryk bereits angelegt war, wagten beide jedoch noch nicht auszusprechen, daß sie das wechselseitige Testament im Grunde genommen für einen Erbvertrag hielten. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde diese Ansicht von Friedrich von Bülow und Theodor Hagemann aufgenommen; sie beriefen sich ausdrücklich auf Schilter und Stryk als sie den Satz aufstellten, „daß jede gleichzeitige, gegenseitige Disposition über die künftige Erbfolge, in einem und dem selben Aufsatze gemacht, unter jeder Form für einen wahren Erbvertrag gehalten werden muß, wenn nicht das Gegenteil ausdrücklich festgesetzt worden ist.“268

Stryk bleib zwar mit seiner Theorie der generellen Unwiderruflichkeit wechselseitiger Testamente nicht allein, er fand beispielsweise auch in Böhmer einen Anhänger seiner Idee;269 gegen die alte Lehre vermochte sich der neue Gedanke jedoch nicht durchzuseten. Selbst diejenigen, die wie Leyser einen Ausschluß des Widerrufsrechts beim wechselseitigen anerkannten, aber für die Widerruflichkeit eine Vermutung gelten ließen, blieben in der Minderzahl.270 263 Beseler Erbverträge I S. 330 mit Hinweis auf J. S. Stryk: a. a. O. (Fn. 188): § 80; Hartmann S. 117 mit Hinweis auf J. S. Stryk a. a. O. (Fn. 197): „§. ult.“ 264 Siehe kurz zuvor oben im Text mit entsprechenden Nachweisen. 265 Siehe oben S. 74. 266 Vgl. oben Fn. 188. 267 Hartmann S. 93, 117 f. 268 Beseler Erbverträge I S. 331 mit Hinweis auf Bülow/Hagemann in ihren praktischen Erörterungen: „IV. 29. §. 7 und 8.“; vgl. auch Hartmann S. 118 mit Hinweis auf Bülow/Hagemann: „Praktische Erörterungen Bd. 4 Nr. 29 S. 169–181.“ 269 Hartmann S. 118 mit Hinweis u. a. auf Böhmer: „Consult. et decis. (Halle 1734) tom. I P. I resp. 686 S. 1039 ff. Nr. 9–25 und resp. 688 S. 1048 ff.“ 270 Hartmann S. 118 mit Hinweis u. a. auf Leyser: „Med. ad Pand. spec. 43, med 7 (vol. I), sec. 449 (vol VII)“. Vgl. auch oben im Text und oben Fn. 226.

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Die Ursprünge einer Einschränkung des Widerrufsrechts beim gemeinschaftlichen Testament wurden in einer Kautel für das Berliner Testament gesehen, welche bereits im 16. Jahrhundert ausführlich von dem belgischen Juristen Peter Peck (Pieter Peck, *1529 y1589) verteidigt wurde.271 Dieser schlug zur Umgehung römischrechtlicher Konsequenzen vor, daß einer der Ehegatten ein Testament errichte, worin er mit Zustimmung des anderen Ehegatten auch über dessen Vermögen zum Besten der gemeinsamen Kinder verfüge. Das Testament bleibe damit zwar für den testierenden Ehegatten widerruflich, gehe aber für den anderen Ehegatten mit dessen Zustimmung, die beispielsweise schon in der Mitunterzeichnung des Testaments gefunden werden müsse, in einen Vertrag über und werde so wenigstens für einen Teil verbindlich.272 Dem zustimmenden Ehegatten blieb es unbenommen, seinerseits ein Testament zu errichten; aufgrund der Verbindlichkeit der Zustimmung sei die diesbezügliche hereditas testamentaria allerdings auf das nach der Zustimmung erworbene Vermögen beschränkt.273 Der Gestaltungsvorschlag von Peck fand in Deutschland allgemeinen Beifall. Juristen wie Christoph Besold (*1577 y1638), Matthias Berlich (*1586 y1638) sowie Carpzov, Mevius, Stryk sen. und Böhmer lassen sich im weitesten Sinne als Anhänger der Kautel des belgischen Juristen bezeichnen.274 Zumeist beschränkten sie den Anwendungsbereich der Peck’schen Kautel nicht allein auf das Berliner Testament, sondern sie schlugen die Konstruktion auch für gemeinschaftliche Testamente unter Ehegatten vor, in denen beispielsweise keine Kinder bedacht wurden.275 Im Bayerischen Landrecht von 1616 findet sich bereits die Möglichkeit geregelt, daß der eine Ehegatte von dem anderen Ehegatten „Gewalt und Billigung“ erhalte, in einem Testament auch über dessen Vermögen zu verfügen. Entgegen der Zielsetzung von Peck blieben „Gewalt und Consens“ im bayerischen Recht allerdings stets widerruflich.276

271 Vgl. nur Beseler Erbverträge I S. 333 mit Hinweis auf Peck: „de testamentis conjugum (Colon. Agripp. 1585.) lib. I. cap. 43.“ und Hartmann S. 148 ebenso mit Hinweis auf Peck: „Tractus de testamentis conjugum, Colon. Agipp. 1665 (ed. princ. v. 1585), lib. I cap. 43 S. 155–65.“ 272 Ebenda, vgl. auch heute Coing Privatrecht I S. 586 f., § 125 Fn. 10: „Diese Lösung scheint auf eine Bemerkung von Bartolus zu Legaten über fremde Sachen (zu D 32, 37 pr) zurückzugehen.“ (neben älteren Juristen auch unter Hinweis auf Peck: „De testamentis coniugum libri 5, Coloniae Agrippinae 1558, I 27, 13“). 273 Hartmann S. 148 (vgl. oben Fn. 271). 274 Beseler Erbverträge I S. 333 mit Hinweis auf Carpzov: „jurispr. forens. rom. saxon. P. III. C. 2. def. 13.“ und Mevius: „ad jus lub. P. II. tit. 1. art. 10. Nu. 56.“; Hartmann S. 149 mit Hinweis auf Besold: „Cons. Tubing. coll. Besoldus, Tub. 1661, cons. 94 nr. 1.“, Berlich: „Decis. aureae, Leipz. u. Frankf. 1699, P. I dec. 92 n. 6 mit Erk. der Leipziger Schöffen v. 1613 (S. 236), Carpzov: „Definit. forens. ad const. elect. Saxon., Leipzig und Frankfurt 1674, P. III, const. 2 def. 13.“, Mevius: „Ad Jus Lub. II. 1, 10 Nr. 56.“, S. Stryk: „Diss. de mutat. ult. vol., Halle 1701, §. 21.“ und Böhmer: „Responsa tom. I, resp. 689 v. J. 1726, Namens der Haller Fakultät.“ 275 Ebenda.

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Teil 1: Schenkungen nach dem Tod eines Ehegatten

In Belgien und Frankreich entwickelte sich auf Pecks Basis frühzeitig eine Theorie, um gerade für den Fall des Berliner Testaments eine Gebundenheit des Überlebenden zu konstruieren. Sie ging bei der Auslegung derartiger Testamente dahin, daß beide Ehegatten sowohl über ihr eigenes als auch über das Vermögen des anderen Ehegatten zugunsten Dritter verfügten. Dieser Auffassung zufolge stand zwar beiden Ehegatten entsprechend den Grundsätzen des römischen Rechts der Widerruf ihrer Verfügung frei; im Falle eines Widerrufs sollten sich die Dritten aber immer noch auf die Verfügung des anderen Ehegatten berufen können. Eine Änderung des gemeinschaftlichen Testaments war danach nur gemeinsam möglich. Nach dem Tod eines Ehegatten konnte der Widerruf des Überlebenden die Dritten von der Rechtsnachfolge in das beiderseitige Vermögen der Ehegatten nicht mehr ausschließen.277 In Frankreich wurde an dieser Auffassung im wesentlichen bis zum Verbot der gemeinschaftlichen Testamente durch die Ordonnanz von 1735 festgehalten; in die gemeinrechtliche Lehre erhielt sie unabhängig vom Zuspruch für die Peck’sche Kautel keinen Einzug.278 Die soeben beschriebene Auffassung bildete allerdings die Grundlage für eine in der deutschen Jurisprudenz später weit verbreitete Auslegungsregel für das Berliner Testament. Den Weg hierzu bereitete der Niederländer Simon van Leeuwen (*1626 y1682). Im Einklang mit der aus Belgien und Frankreich überkommenen Theorie begründete er zunächst die Möglichkeit einer Einschränkung der Testierfreiheit auf Seiten des Überlebenden. Die Ehegatten setzten sich gegenseitig als Erben des beiderseitigen Vermögens ein und wendeten dieses Dritten als sog. Universalfideikommiß zu.279 Mit Blick auf Cod. 6, 42, 25 könne auch das von dem Überlebenden herrührende Vermögen mit einem Fideikommiß belastet werden.280 Bei dieser Konstruktion wurde der Überlebende Fiduziarerbe des beiderseitigen Vermögens, somit auch Erbe seines eige276 Vgl. Bayerisches Landrecht von 1616, Tit. 34 Art. 13 (Gesetzestext bei Roth § 316 Fn. 11). Die besondere Form der Testamentserrichtung wurde mit CMBC III 4 § 10 im Kodex beibehalten. Auch wenn der eine Ehegatte „von des andern Gut zu testiren begwaltet gwest“, so sollte dies im bayerischen Landrecht weiterhin zu keiner Einschränkung der Testierfreiheit auf Seiten des anderen Ehegatten führen (Kreittmayr Anm. 8a zu CMBC III 4 §§ 10, 11; so auch Roth a. a. O.). Anders (bzw. unklar) Hartmann S. 148, Fn. 1. 277 Hartmann S. 149 f.; vgl. auch Hasse RheinMusJur 3 (1829) 490, 494 ff. und Mühlenbruch S. 232, Fn. 96. Letztgenannter spricht in der Konstruktion von einer mortis causa donatio. Hartmann S. 150, Fn. 1 weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß man sich durch die Worte „donner à cause de mort“ und „donation“ nicht täuschen lassen dürfe, denn bei den französischen Juristen sei eine institution nichts als eine donation, vgl. diesbezüglich auch Hasse RheinMusJur 2 (1828) 149, 221 und Hasse RheinMusJur 3 (1829) 490, 550 (Anm. 60). 278 Hartmann S. 150 (Fn. 3): Nur im Geldern’schen Landrecht und aus diesem in die Kurköllnische Rechtsverordnung von 1663 habe die „französische Theorie“ Einzug erhalten. 279 Zum Universalfideikommiß vgl. oben Fn. 239.

B. Vorliegen einer Gesetzeslücke

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nen (!) Vermögens. Mit Hartmann281 mag es nun als willkürlich zu bezeichnen sein, daß der Niederländer schließlich den Konsens der Ehegatten vom Standpunkt Pecks nicht im Zeitpunkt der Testamentserrichtung sah, sondern statt dessen erst für den Zeitpunkt der Antretung der Erbschaft annahm.282 Hartmann meinte, wenn schon davon habe abgewichen werden sollen, daß die Ehegatten bereits mit Errichtung des Testaments an ihre Verfügungen gebunden seien, so wäre es naheliegend gewesen, nicht auf die Antretung der Erbschaft, sondern auf den Tod des erstversterbenden Ehegatten abzustellen.283 Hartmanns Einwand kann für die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des gemeinschaftlichen Testaments dahingestellt bleiben, da dieser später von denjenigen, die beim Berliner Testament für eine Einschränkung der Testierfreiheit auf Seiten des Überlebenden plädierten, nicht vorgebracht wurde. In Literatur und Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts wurde einhellig auf den von Leeuwen gewählten Zeitpunkt für den Eintritt der Bindungswirkung abgestellt.284 Anfang des 18. Jahrhunderts wurde die Theorie des niederländischen Juristen über Berger und Johann Balthasar von Wernher (*1675 y1742) in die deutsche Jurisprudenz eingeführt. Ihnen folgten noch während desselben Jahrhunderts namentlich Johann Georg Estor (*1699 y1773), Karl Ferdinand Hommel (*1722 y1781) sowie Ernst Ferdinand Klein (*1743 y1810).285 Mit den sächsischen Juristen unter den soeben aufgeführten setzte sich die Auslegungsregel ganz im Sinne 280 Hartmann S. 151 mit Hinweis auf Leeuwen: „Censur. forens. v. 1677 ed. 4, Lugd. Batav. 1741, lib. IV cap. 11 Nr. 7 S. 246 ff.“ 281 S. 151 f. 282 Das Bürgerliche Gesetzbuch hat das Grundprinzip des römisch-gemeinen Rechts, daß der Erbe die Erbschaft erst mit dem Antritt erwirbt, nicht übernommen. Es folgt vielmehr dem Gedanken des mittelalterlichen Gewohnheitsrechts, wonach die Erbschaft unmittelbar mit Eintritt des Erbfalls auf den Erben übergeht, dieser allerdings die Möglichkeit hat, die Erbschaft später auszuschlagen. Vgl. Coing Privatrecht II S. 637 und §§ 1922, 1942 BGB. 283 Sollte Hartmann S. 152, Fn. 1 mit seinem auszugsweisen Zitat aus dem Bayerischen Landrecht von 1616 davon ausgegangen sein, daß das ältere bayerische Landrecht eine derartige Einschränkung der Testierfreiheit auf Seiten des Überlebenden beim gemeinschaftlichen Testament zugelassen habe, so könnte dem nicht gefolgt werden. Denn dabei würde der letzte Satz des auszugsweise zitierten Artikels außer Betracht gelassen: „Ist aber, daß ein solch Ehegmächt vor Aenderung ihrer Testament verstorben, so mag alsdann das Ueberlebend von seinem Gut und in gemeinem Gut von seinem Theil testiren nach seinem Gefallen, und ist an das vorige Testament nit gebunden.“ Siehe auch Roth § 316 Fn. 11 mit dem vollständigen Gesetzestext. 284 Siehe die entsprechenden Nachweise im Folgenden. 285 Beseler Erbverträge I S. 334 zunächst nur mit Hinweis auf Hommel: „rhapsodia quaest. I. 166.“; Beseler System4 S. 671 f. unter Hinweis auf Wernher: „sel. observatt. for. P. II obs. 378“ und wieder Hommel: „rhaps. quaest. I. 166.“; Hartmann S. 152 mit Hinweis auf: Berger: „Oec. jur. lib. II tit. 4 them. 22 not. 4, Berufung auf ein resp. v. 1707“, Wernher: „Select. obs. for. tom. II pars 10 obs. 388, tom. I pars. 2 obs. 378, tom. I p. 4 obs. 38 (Viteb. 1710–23)“, Estor: „Rechtsgelahrtheit der Teutschen Thl. 3, Frankf. a. M. 1767, § 2914 ff. S. 1016–18 mit Erk. v. 1764“, Hommel: „Rhapsodia questionum, obs. 166, Byruthi ed. 2 Bd. 1 S. 210 ff.“ und Klein: „Merkw.

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Teil 1: Schenkungen nach dem Tod eines Ehegatten

Leeuwens im sächsischen Privatrecht des 18. und 19. Jahrhunderts durch.286 Im gemeinen Recht avancierte die Theorie des Niederländers zu einer vorherrschenden Meinung bei der Suche nach einer Auslegungsregel für das Berliner Testament. Einer ihrer prominentesten Verfechter in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Romanist Christian Friedrich von Glück in seinem Pandektenkommentar (Bd. 35, 1832): „Hat er aber die Erbschaft des Zuerstverstorbenen angetreten; so erhält nun der Ueberlebende das ihm in dem Testamente des Verstorbenen zugedachte ganze Vermögen, er ist jedoch verpflichtet, die ausserdem noch gemachten Verordnungen desselben zu erfüllen. Soviel aber das eigene Testament des Ueberlebenden betrifft, so wird dasselbe, wenn nur der Verstorbene allein darin zum Erben eingesetzt war, nun durch den Tod desselben destituirt, und hiermit fallen denn auch alle darin angeordneten Legate und Fideicommisse weg.287 Ist aber das Vermögen byder Testirer zu einem Fideicommiß gemacht, das heißt, Beyde haben über ihr Vermögen dergestalt verfügt, daß der Ueberlebende zwar des Vorverstorbenen ganzes Vermögen erhalten, nach dessen Tode aber ihr beyderseitiger Nachlaß an ihre Verwandten von byden Seiten zu bestimmten Theilen, oder an eine gewisse dritte Person kommen soll [Berliner Testament]; so kann nun dieses Fideicommiß nicht mehr geändert werden. Denn der Ueberlebende hat den Willen des Verstorbenen, welches ja auch sein eigener freyer Wille war, durch die Erbschafts-Antretung als unwiderruflich anerkannt und bestätiget. Wenn nun gleich durch die Antretung der Erbschaft schon nach dem gemeinen Rechte der Nachlaß des Testirers mit dem eigenen Vermögen des Erben in einer Masse zusammenfließt; so liegt es hier noch besonders in dem Sinne des ganzen Testaments, daß das byderseitige Vermögen der Testirer gleichsam als Ein Vermögen angesehen, und so nach dem Tode des Ueberlebenden unter die byderseitigen Verwandten der testirenden Ehegatten, als ob es nur eine Erbschaft wäre, vertheilt werden solle. Hierdurch ist nun das Vermögen byder Testirer in die reciproke Einsetzung selbst hineingezogen, und so unzertrennlich damit verknüpft worden, daß eine willkührliche Aenderung von Seiten des Ueberlebenden nicht mehr Statt finden kann. Denn es ist hier ein Universal-Fideicommiß vorhanden, welches byder Ehegatten Vermögen in sich begreift. Jeder Testierer hat hier zugleich über das Vermögen des Andern disponirt. Der Ueberlebende muß also diesen Willen des Verstorbenen anerkennen, wenn er desselben Erbe geworden ist.288“ 289 Rechtssprüche der Hallischen Facultät, Berlin u. Stettin 1796, Bd. 1 nr. XII S. 97– 103.“ 286 Vgl. Curtius2 S. 277 (1807) noch unter Hinweis auf die älteren sächsischen Juristen Berger: „Oec. II. IV. 22. 4.“, Wernher: „P. II. obs. 378.“ und Hommel: „Obs. 166.“; vgl. aber auch Haubold § 343 (1820). Siehe ein bei Emminghaus S. 645 zitiertes Urteil des OAG Dresden: Die sächsische Praxis habe immer den Satz anerkannt, daß Erben, wenn sie aus einem gemeinschaftlichen Testament die Erbschaft angetreten hätten, alle, auch die über ihr eigenes Vermögen getroffenen Verfügungen des Erblassers anerkennen müßten. 287 U. a. Hinweis auf Hommel: „Prog. Mortuo uno coniuge testamentum reciprocum es parte superstitis fit illico destitutum et omnino invalidum. Lipsiae 1764.“ 288 U. a. Hinweis auf Berger: „Oecon. iur. Lib. II. Tit. IV. Th. 22. Not. 4.“ und Haubold: „ad Eundem [Berger a. a. O.] not. n. Tom. I. pag. 416.“; aus der neueren Literatur wurde auf Mittermaier3 § 410 (S. 748) und W. H. Puchta § 248 hingewiesen.

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In der Fortsetzung von „Glück’s Pandekten“ (Bd. 38, 1835) schließt sich der ebenfalls als Romanist hervorgetretene Mühlenbruch ausdrücklich dem Vortrag seines Vorgängers an.290 Er weist hierbei ergänzend darauf hin: „Jeder der Testirer hat hier zugleich über das Vermögen des anderen verfügt. Dies ist schon gemeinrechtlich erlaubt291 und wird durch Erbschaftsantretung, welche bekanntlich eine obligatio quasi ex contractu [292] begründet, unwiderruflich wirksam. Nunmehr ist, dem Sinne der Disposition gemäß das beiderseitige Vermögen als ein einziges, und zwar dem Fideicommißrecht unabänderlich unterworfenes anzusehen.“293

Im 19. Jahrhundert wurde diese Theorie als „Universalfideikommiß-Theorie“294 oder präziser als „Theorie des Universalfideikommisses bezüglich des Ganzen“295 bezeichnet. Abgesehen davon, daß die Konstruktion dieser Theorie eine Bindung des Überlebenden im Einklang mit dem römischen Recht suchte,296 blieb sie den Vorstellungen der Ehegatten gemäß dem Gedanken der Vermögenseinheit verhaftet. Von Färber wird sie daher (für das preußische Recht) in Abgrenzung zur heutigen Einheitslösung als „Ältere Einheitslösung“ bezeichnet.297 Die insbesondere von Glück und Mühlenbruch in das juristische Schrifttum des 19. Jahrhunderts transferierte Auslegungsregel wurde lange Zeit mit den Worten der beiden Autoren von obersten Gerichten für die gemeinrechtliche Praxis übernommen; dies gilt insbesondere für die Spruchpraxis des Oberappellationsgerichts Celle sowie für die Urteile des Oberappellationsgerichts München bzw. später diejenigen des Bayerischen Obersten Landesgerichts zum gemeinen Recht.298, 299 289

Glück S. 68 f. Vgl. Mühlenbruch S. 238 f. 291 Hinweis auf Cod. 6, 42, 25. 292 Als sedes materiae wurde im Corpus juris civilis die Institutionenstelle über die „obligationes quasi ex contractu“ (Inst. 3, 28 § 5) angesehen (hierzu Battes S. 55 unter Hinweis auf „Inst. 3, 27, 5“). 293 Mühlenbruch S. 238. 294 Förster/Eccius7 § 257 Fn. 27. 295 Dernburg Preußisches Privatrecht3 § 183 Fn. 5. 296 Zusammenfassend zu den Versuchen, die Bindung des Überlebenden mit römischen Rechtssätzen zu begründen: Fischer ArchBürgR 6 (1892) 54, 68 ff. 297 Vgl. Färber S. 50 für das preußische Recht. 298 Weitestgehend den im Text genannten Autoren (z. T. wörtlich) folgend Heimbach Rechtslexikon X 713, 898 ff. (Testament). Weitere Vertreter der älteren Einheitslösung: Bornemann2 S. 136; Brinz2 S. 66 f.; Koch S. 666, im Widerspruch zu S. 672; Mittermaier3 S. 748, anders in der nachfolgenden Auflage (vgl. unten Fn. 309). Siehe ferner die Darstellung der Ansicht der „Mehrzahl der Rechtsgelehrten“ bei Holzschuher S. 580 f. Von Schiffner S. 88 wird die ältere Einheitslösung – allerdings zum Erbvertrag – noch 1899 als „gemeinrechtlich d. Z. herrschende Ansicht“ bezeichnet. 299 Vgl.: sehr deutlich OAG München SeuffBl 13, 363 ff. (18.11.1844); etwas ungenau, aber unter Hinweis auf Glück S. 68 f.: OAG Darmstadt SeuffArch 10, 184 (14.09.1855); OAG Celle SeuffArch 11, 57 (26.04.1856); OAG Celle SeuffArch 20, 290

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Teil 1: Schenkungen nach dem Tod eines Ehegatten

Die ältere bzw. alte Einheitslösung wurde zuerst besonders von Hasse und später ebenso eindringlich von Hartmann kritisiert.300 Sie wendeten vom Standpunkt des römischen Rechts ein, daß niemand über das Vermögen eines anderen testieren könne (vgl. Dig. 31, 2, 77 § 24 und Dig. 36, 1, 74).301 Der Erstversterbende könne den Überlebenden als Erben zwar mit einem Fideikommiß zugunsten Dritter belasten, jedoch könne diese Belastung nicht weiter reichen als das dem Überlebenden zugewendete Vermögen: Abgesehen von der Haftung für Nachlaßverbindlichkeiten, könne niemand durch Verfügung von Todes wegen „mehr onerirt als honoriert“ werden (vgl. z. B. Dig. 30, 1, 114 § 3 und Dig. 36, 1, 1 § 17)302. Mache der Erstversterbende dem Überlebenden die Auflage, auch das vom Überlebenden herrührende Vermögen den Dritten zuzuwenden, so sei diese Anordnung unwirksam. Die hereditatis aditio könne den Erben nur zur Erfüllung wirksamer Anordnungen verpflichten, nicht aber zur Erfüllung nichtiger Auflagen.303 Gegen die Argumentation namentlich von Hasse trat bereits Mühlenbruch an. Indem er die Argumentation von Glück um die Annahme eines „Quasikontrakts“ auf deutschrechtlich begründeter Basis ergänzte, verließ er die Bühne der rein römischrechtlichen Argumentation und stellte die Begründung für eine Bindung auf Seiten des Überlebenden auf ein zweites Bein. Dem römischrechtlichen Grundsatz, daß der Erbe an die Vermächtnisse des Erblassers nur insoweit gebunden sei, als er ein Äquivalent hierfür in dem ihm zugedachten Nachlaß finde, maß Mühlenbruch für das deutsche Recht keine entscheidende Bedeutung bei,304 da dem deutschen Recht im Gegensatz zum römischen Recht eine 232 (19.11.1866); wieder unter Hinweis auf Glück S. 68: OAG München BayObLGZ 5, 474 ff. (09.01.1875); OAG München BayObLGZ 6, 212 ff. (14.03.1876); BayObLGZ 12, 243 ff. (07.02.1889); vgl. schließlich noch BayObLGZ 14, 559 ff. (18.04.1893) unter Hinweis auf Glück S. 69, Brinz § 370 und Heimbach a. a. O. (oben Fn. 298) S. 902 (im Ergebnis wurde die Frage der Konstruktion hier vom Bayerischen Obersten Landesgericht allerdings offen gelassen). 300 Vgl. Hasse RheinMusJur 3 (1829) 490, 500 ff. (dagegen Mühlenbruch S. 238 ff., siehe sogleich im Text) und Hartmann S. 152 ff.; siehe zum Disput zwischen Hasse und Mühlenbruch mit Votum für den ersteren: Beseler Erbverträge II/1 S. 334 ff. 301 Dies wurde auch von Buchka, Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, Bd. 12 (1848) 210, 214 ff. anerkannt. Er schloß von der Zulässigkeit des Verzichts auf die Testierfreiheit (vgl. auch oben Fn. 229) auf die Möglichkeit, daß sich die Testatoren einander das „fideikommissarische Onus“ auferlegten, ihre Testamente ohne Widerruf bestehen zu lassen. Durch Annahme der Zuwendung werde dem Überlebenden die Testierfreiheit quasi ex contractu entzogen. Dagegen Hartmann S. 164 ff. 302 Vgl. auch Inst. 2, 24 § 1. Weitere Nachweise aus dem Corpus juris auch bei Battes Kapitel 1 Fn. 54. 303 Ebenda (oben Fn. 300) 304 Ebenso aus der Gerichtspraxis ausdrücklich: z. B. OAG Berlin SeuffArch 32, 326 (19.09.1876) unter Hinweis auf ein Urteil vom 28.02.1870. OAG Dresden SeuffArch 2 (1849) 204 (ohne Datum): Auf die Rechtsregel „nemo magis est onerandus, quam fuit honeratus“ verzichte der Überlebende mit der Antretung der Erbschaft,

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Einschränkung der Testierfreiheit mittels Erbvertrag sowie pactum de non revocando bekannt sei. Das korrespektive Testament habe sich aus dem deutschen Recht heraus entwickelt. Seine Wirkungen könnten nicht nach den Grundsätzen eines Rechts bestimmt werden, das derartige Testamente nicht kenne.305 Im Anschluß an Schilter und Stryk wurde vielfach zur Rechtfertigung der Bindung gänzlich darauf verzichtet, die Bindungswirkung mit den Grundsätzen des römischen Rechts in Einklang zu bringen. Die Juristen beschränkten sich darauf, das korrespektive Testament als Besonderheit des deutschen Rechts aufzufassen und brachten es in die Nähe des Erbvertrags. Sie blieben wie die ältere Einheitslösung bei dem von Leeuwen gewählten Zeitpunkt der Erbschaftsantretung für den Eintritt der Bindungswirkung. Es entspreche dem Willen der Testatoren, daß sich das zunächst widerrufliche Rechtsgeschäft später in ein unwiderrufliches verwandele, ein Testament beim Eintritt gewisser Voraussetzungen die Wirkungen eines Erbvertrages habe.306 Teilweise beriefen sich die Vertreter dieser „germanisierenden“ Betrachtung auch schlicht auf die Praxis oberster Gerichtshöfe; hierbei wurde in der Regel – ebenso wie bei den Nachweisen aus der Literatur – auch auf diejenigen Entscheidungen verwiesen, denen die ältere Einheitslösung bzw. eine rein römischrechtliche Argumentation zugrunde lag.307 Zahlreiche namhafte Rechtslehrer, insbesondere die Verfasser der großen Monographien auf diesem Gebiet, allen voran Hasse, sprachen sich noch im 19. Jahrhundert bis zur Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und auch danach für eine uneingeschränkte Anwendung der Grundsätze des römischen Testamentsrechts aus.308, 309 Sie erkannten zwar das gemeinschaftliche Testament in wenn diese nicht ausdrücklich unter der Protestation erfolge, daß er sich denjenigen Bestimmungen, zu denen der Testator nicht befugt gewesen sei und die daher nicht gelten würden, nicht unterwerfen wolle (vgl. auch Windscheid7 § 634 Fn. 9; dagegen Hartmann S. 157, Fn. 1). 305 Mühlenbruch S. 240 ff.; danach beispielsweise auch Heimbach Rechtslexikon X 713, 904 f. (Testament) und Bolley § 8 (S. 11); dagegen z. B. Buchka, Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, Bd. 12 (1848) 210, 217 f., der darauf verwies, daß diese Regel unmittelbar aus dem Begriff des Legats und Fideikommisses folge. 306 Nach der Hartmann’schen Teilungstheorie (vgl. oben S. 71) gab es keine solchen Wechselwirkungen zwischen dem Erbvertrag und dem Testament. Hartmann S. 121 kannte widerrufliche Testamente und Testamente, bei denen auf das Widerrufsrecht verzichtet wurde; letztere nannte er Erbverträge. Ein gemeinschaftlich errichtetes Testament kann danach entweder die äußere Zusammenfassung mehrerer widerruflicher Testamente darstellen oder aber „Erbvertrag“ sein. Allerdings biete das korrespektive Testament bzw. das Berliner Testament an sich noch keinen Anhaltspunkt dafür, daß es dem Wunsch der Testierenden entspreche, daß die Gebundenheit gerade mit der Antretung der Erbschaft eintrete (vgl. bereits oben S. 87 f.), bzw. daß überhaupt an einen Verlust des Widerrufsrechts gedacht gewesen sei (Hartmann S. 167). 307 Vgl.: G. Binding AcP 58 (1875) 108, 258 ff.; Dernburg Pandekten7 S. 185 f.: Treu und Glauben, Vertragswille; Dernburg Preußisches Privatrecht3 S. 523; Förster/ Eccius7 S. 484 unter Hinweis auf Schilter: „Prax. J. R. exerc. 39 th. 57 und Bülow/ Hagemann: „Praktische Erörterung IV. Nr. 29 S. 169 f.“; Stobbe1/2 S. 257 ff.

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Teil 1: Schenkungen nach dem Tod eines Ehegatten

der Variante des korrespektiven Testaments an, jedoch nur in dem Sinne, daß die Testatoren ihre Verfügungen in ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis stellen könnten. Der eine Teil ging davon aus, daß der auch nach dem Tod des Erstversterbenden stets zulässige Widerruf des Überlebenden die korrespektiven Verfügungen des Erstversterbenden hinfällig werden lasse (auflösende Bedingung). Die Vermögensnachfolge nach dem Erstversterbenden sollte dann im Wege der gesetzlichen Erbfolge stattfinden.310 Der andere Teil ließ die Verfügungen des Erstverstorbenen im Hinblick auf sein Vermögen indirekt durch Verwandlung in ein Erbschaftsvermächtnis zugunsten der nachfolgend bedachten Dritten bestehen. Danach war der Überlebende bzw. waren dessen Erben zur Herausgabe seines Vermögens verpflichtet.311 Eine wahrlich nicht unbeträchtliche Rolle für die Frage, ob und inwieweit der Überlebende beim korrespektiven Testament an die Anordnungen des Erstverstorbenen (ältere Einheitslösung) oder an seine Anordnungen zugunsten der von beiden Testatoren nachfolgend bedachten Dritten gebunden sei, ist der Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts beizumessen.312 Folgte sie nicht den Ausführungen von Glück und Mühlenbruch und damit der älteren Einheitslösung,313 so sprach sie sich zumindest mehrheitlich für eine Bindung des Überlebenden an seine korrespektiven Verfügungen mit dem Erbschaftsantritt aus. Auch hier wurde auf eine Bindung quasi ex contractu abgestellt, deren Zulässigkeit „schon“ nach römischem Recht gegeben sei. Zusätzlich wurde auf die Einschränkung der Testierfreiheit mittels Erbvertrag verwiesen; der Überlebende trete beim korrespektiven Testament in ein „analoges Verhältnis wie bei Erbverträgen“ ein; das 308

Vgl. Hasse RheinMusJur 3 (1829) 239, 269 ff. Vgl. z. B.: André, Magazin für hannoversches Recht 9 (1859) 19, 30 ff.; Arndts14 S. 929 f.; Beseler Erbverträge II/1 S. 334 ff., anders später im „System“ (dazu sogleich im Text mit entsprechendem Nachweis); Bluntschli3 S. 735 f.; Deiters, De dispositionibus hereditariis simultaneis pactitiisque questiones tres, Bonn 1837; Göz AcP 54 (1871) 145, 160 ff., 173 ff.; G. F. Puchta12 S. 689 f.; Sintenis3 S. 449 und § 178 Fn. 6 (S. 449 ff.); Unger3 § 24 Fn. 9; Windscheid7 § 568; Zimmermann, Archiv für praktische Rechtswissenschaft 1 (Heft 3; 1853) 12, 18 ff.; etwas zurückhaltender Mittermaier4 S. 858 (anders noch in der Vorauflage [vgl. oben Fn. 298] und wieder in der 6. Aufl., dort dann unter Hinweis auf Glück S. 69 und Mühlenbruch S. 241). Im Ergebnis auch Hartmann S. 116 ff., 147 ff. (vgl. auch oben Fn. 306). Bolley S. 15 ist zwar anderer Ansicht, aber mit erheblichen Einschränkungen. 310 So Hasse RheinMusJur 3 (1829) 239, 269 ff. und auch: Arndts14 S. 930; Deiters a. a. O. (Fn. 309); G. F. Puchta12 S. 689 f.; Sintenis3 S. 449 und § 178 Fn. 6 (S. 449 ff.); Göz AcP 54 (1871) 145, 173 ff. nahm umgekehrt mit einer aufschiebenden Bedingung an, daß das Testament des Erstverstorbenen gar nicht wirksam geworden sei. 311 So: Unger3 § 24 Fn. 9; Windscheid7 § 568; Zimmermann a. a. O. (Fn. 309) S. 27. 312 Zur älteren Gerichtspraxis, namentlich der des Reichskammergerichts und der Praxis in Hessen: Fischer ArchBürgR 6 (1892) 54, 91 f.: Bereits die jüngere Praxis des Reichskammergerichts und die hessische Praxis habe sich für die Unwiderruflichkeit ausgesprochen („propter quasi contractum hereditatis aditionis“). 313 Siehe die Nachweise oben in Fn. 299 und ferner diejenigen in Fn. 304. 309

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korrespektive Testament erhalte damit die Wirkung eines Erbvertrags.314 Mitunter wurde wieder auf einen dem korrespektiven Testament zugrundeliegenden Vertrag beider Testatoren abgestellt.315 Teilweise wurde auch auf eine Begründung verzichtet, bzw. sie wurde aufgrund recht knapp gehaltener Veröffentlichung nicht mitgeteilt. 316 Mit Urteil vom 24. Februar 1882 fand diese Rechtsprechung die Bestätigung des Reichsgerichts.317 Durch die Gerichtspraxis sah sich schließlich Beseler, der in seiner „Lehre von den Erbverträgen“ noch ganz im Sinne Hasses jegliche Einschränkung des Widerrufsrechts beim gemeinschaftlichen Testament abgelehnt und eine strikte Trennung zwischen Erbvertrag und Testament gefordert hatte,318 in seinem „System des gemeinen deutschen Privatrechts“ veranlaßt, die Fronten zu wechseln und für den Verlust des Widerrufsrechts ein neueres Gewohnheitsrecht anzunehmen.319 Bemerkenswert ist im Hinblick auf die Gerichtspraxis, daß das Reichsgericht in seiner Revisionsentscheidung gegen das Landgericht Wiesbaden und das Oberlandesgericht Frankfurt zu entscheiden hatte.320 Die vorinstanzlichen Gerichte waren im Einklang mit der Praxis des Oberappellationsgerichts Wiesbaden davon ausgegangen, daß das korrespektive Testament auch nach dem Tod des Erstversterbenden stets widerruflich bleibe.321, 322

314 OAG Darmstadt SeuffArch 6, 221 (21.08.1851) unter Bezugnahme auf frühere Entscheidungen vom 18.01.1843 und 24.12.1843. Vgl. auch OAG Kassel SeuffArch 1, 94 (24.12.1840) und OAG Dresden SeuffArch 9, 180 (01/1853): Das korrespektive Testament erhalte mit Antretung die Wirkungen eines Erbvertrags; vgl. ferner OAG Kassel SeuffArch 4, 64 (u. a.: 23.05.1832, 04.06.1834, 22.09.1838). OAG Dresden SeuffArch 2, 72/1 (ohne Datum): mit Antretung Eintritt in ein vertragsmäßiges Verhältnis zu Vermächtnisnehmern bzw. Fideikommissaren (siehe auch OAG Dresden SeuffArch 2, 204; ohne Datum). Siehe ergänzend Fischer ArchBürgR 6 (1892) 54, 91 ff. mit Nachweisen insgesamt zur Rechtspraxis. 315 So z. B. OAG Kiel SeuffArch 16, 123 (16.08.1862). 316 OAG Kassel SeuffArch 1, 93 (24.12.1840); OAG München SeuffArch 30, 42 (18.09.1868), Entscheidung zum Erbvertrag, daher zum korrespektiven Testament nur nebenbei und ohne nähere Begründung; OAG Rostock SeuffArch 34, 312 (09.11. 1868). 317 Vgl. RGZ 6, 174 ff. und kurz danach RG SeuffArch 37, 321 (31.03.1882). 318 Vgl. Beseler Erbverträge II/1 S. 314 ff., 325 ff. 319 Vgl. Beseler System4 S. 671 f. 320 Siehe zum LG Wiesbaden und OLG Frankfurt nur die tatbestandlichen Ausführungen in RGZ 6, 174 ff. 321 Vgl. OAG Wiesbaden, Archiv für praktische Rechtswissenschaft 5 (1858) 447 f. und 8 (1860) 539 mit Hinweis auf Beseler (Erbverträge II/1 S. 314 ff., 329 ff.), Bluntschli, Hasse und Sintenis (vgl. zu diesen soeben Fn. 309). 322 Ebenso OT Stuttgart SeuffArch 2, 72/2 (04.03.1833) unter Hinweis auf Hasse RheinMusJur 3 (1829) 490 ff.; vgl. Fischer ArchBürgR 6 (1892) 54, 99 mit weiteren Nachweisen zur abweichenden Rechtspraxis in Württemberg und auch Oldenburg. Siehe schließlich noch Hartmann S. 167 f., der noch (1860) darauf hinweist, daß der Gerichtsgebrauch „viel zu unsicher und zerrissen“ sei.

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Teil 1: Schenkungen nach dem Tod eines Ehegatten

Die Regelungen des korrespektiven Testaments sind noch im neueren Partikularrecht ähnlich unstet, wie der Verlauf der Diskussion im gemeinen Recht. Während noch das bayerische Landrecht mit der alten Doktrin davon ausgeht, daß der Überlebende über sein eigenes Vermögen (sowie über seinen Anteil am gemeinsamen Vermögen) nach dem Tod des Erstversterbenden ungehindert verfügen könne und nicht an das Testament gebunden sei,323 ist nach preußischem Landrecht bereits eine Bindung des Überlebenden an seine Verfügungen zugunsten Dritter aus dem gemeinschaftlichen Testament anzunehmen, wenn seine Erbeinsetzung mit Rücksicht auf diese Verfügungen erfolgte (ALR II 1 § 492). Dies sollte insbesondere dann der Fall sein, wenn der Überlebende zum Besten der gemeinsamen Kinder oder der Verwandten oder Freunde des Erstverstorbenen verfügt hatte (vgl. ALR II 1 § 493).324 Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch enthält schon keine speziellen Regelungen für korrespektive Testamente; gemeinschaftliche Testamente sind nach dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch stets widerruflich.325 Dagegen wurde die Bindung des Überlebenden an seine korrespektiven Verfügungen entsprechend der frühen gemeinrechtlichen Praxis in Sachsen auch in das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch übernommen (vgl. § 2214 SächsBGB).326 g) Zusammenfassende Bewertung (Testament und Erbvertrag) Gemeinschaftliche Verfügungen von Todes wegen waren zumindest dem römischen Recht aus klassischer Zeit fremd. Dies galt für die äußerlich gemeinschaftliche Errichtung wie für inhaltlich aufeinander abgestimmte Verfügungen verschiedener Personen. Beherrscht wurde das für die Rezeption maßgebliche Justinian’sche Recht vom Grundsatz der Testierfreiheit. Verbindliche Verfügungen von Todes wegen waren danach verboten. Das römische Testamentsrecht trat im Wege der Rezeption in Deutschland in ein Rechtssystem ein, das sich noch nicht vollständig von dem Gedanken der Familienbindung des Vermögens gelöst hatte. Die Rechtsgeschäfte, die das 323 Dies ist im Kodex nicht ausdrücklich ausgesprochen, aber sein Verfasser stellte in seinen Anmerkungen klar, daß der Kodex mit Blick auf das Landrecht von 1616 (Tit. 34 Art. 13, bei Roth § 316 Fn. 11; hier zum Wiederrufsrecht Merkel S. 23 f.) keine Änderung mit sich gebracht habe (vgl. Kreittmayr Anm. 8c und 9c zu CMBC III 4 §§ 10, 11). Ebenso (allerdings nicht ausdrücklich) Roth § 316 Fn. 50; vgl. auch Beseler Erbverträge II/1 S. 342 und wieder Merkel S. 30 ff.; anderer Ansicht aber BayObLGZ 1907, 458, 466. 324 Siehe insoweit zum preußischen Recht nur Dernburg Preußisches Privatrecht 3 S. 523 f. 325 Dazu Unger3 S. 105. 326 Schmidt S. 194; siehe auch Siebenhaar S. 789.

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deutsche Recht für Vermögensverfügungen bis dahin entwickelt hatte, waren von dem Grundsatz geprägt, daß noch der Veräußerer selbst den Vermögensverlust zu seinen Lebzeiten zu erfahren habe. Mit den Vergabungen auf den Todesfall stand eine Konstruktion zur Verfügung, welche es dem Veräußerer erleichterte, den Verlust des Vermögens zu verschmerzen. Die Rechte der aus dem Vermögen weichenden Familienmitglieder waren lange Zeit bei Vermögensübertragungen zu berücksichtigen. So verwundert es nicht, daß die Rechtsstellung, die der Erwerber durch die Vergabung auf den Todesfall erhielt, derjenigen der weichenden Familienmitglieder zumindest recht nahe kam. Das Vermögen wurde aus der Familienbindung in eine andere Bindung überführt. Während der Veräußerer vor der Übertragung mit seiner Familie, insbesondere mit seinen Nachkommen, in einem (natürlichen) Rechtsverhältnis stand, trat er mit der auf den Todesfall wirkenden Übertragung in eine auf eine gewisse Dauer angelegte Rechtsbeziehung zum Erwerber. Dies bedeutete den Verlust oder zumindest eine Einschränkung seiner Verfügungsbefugnis. Auch wenn sich die Vergabungen auf den Todesfall mit der Zeit zu widerruflichen Rechtsgeschäften entwickelten, so blieb ihnen doch der Gedanke der Bindung eigen. Ein Widerrufsrecht mußte immerhin vereinbart werden. Wurde es später bei der Übertragung des gesamten Vermögens vermutet, so blieb doch immer noch der überkommene Grundsatz der Gebundenheit. Nachdem sich unter dem Einfluß der Kirche bereits einseitige Rechtsgeschäfte für Zuwendungen pro salute animae gefunden hatten, brachte das römische Recht mit dem „testamentum“ als allgemeinem Instrument für die Vermögensnachfolge ein neuartiges Element in das bis dahin vom Grundsatz der unmittelbar wirkenden und dadurch verbindlich erscheinenden Vermögensnachfolge beherrschte System. Die entscheidende Rolle auf dem Weg zum Erbvertrag und zum gemeinschaftlichen Testament spielten während der gesamten geschichtlichen Entwicklung die in der Praxis weit verbreiteten Zuwendungen unter Ehegatten. Mit der Rezeption versuchten die Juristen die wechselseitigen Vergabungen auf den Todesfall mit den Grundsätzen des römischen Rechts in Einklang zu bringen. Die Entstehungsgeschichte des Erbvertrags und die des gemeinschaftlichen Testaments lassen sich in ihren Anfängen kaum auseinanderhalten. Es mag angenommen werden, daß erst die aus Sicht des römischen Rechts fremdartigen Elemente im deutschen Recht, insbesondere der Grundsatz der Gebundenheit, den Gedanken einer vertragsmäßigen Erbfolge hervorgerufen haben. Zumindest lieferten die Kommentatoren den deutschen Juristen eine erste Systematisierung der Lehre von den Erbverträgen. Vertragliche und damit grundsätzlich verbindliche Verfügungen von Todes wegen vermochten sie mit Blick auf den Grundsatz der Testierfreiheit nicht anzuerkennen. Sie begründeten mit der Systematisierung zugleich das Verbot der Erbverträge.

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Teil 1: Schenkungen nach dem Tod eines Ehegatten

In den Zuwendungen unter Ehegatten uno actu sahen die italienischen Juristen zwei miteinander verbundene Testamente. Allein aufgrund der Verbindung durch einen Errichtungsakt wollten sie noch keinen Verstoß gegen das Justinian’sche Recht annehmen. Damit war das gemeinschaftliche Testament als testamentum simultaneum als Rechtsinstitut des römischen Rechts anerkannt. Dementsprechend war es den Regeln des fremden Rechts unterworfen und galt bis in die Zeit des Usus modernus hinein als stets frei widerruflich. Verbindlichen Verfügungen versuchten die Kommentatoren über die donatio omnium bonorum eingeschränkt zur Geltung zu verhelfen. In diesem Sinne beschränkten auch die deutschen Juristen solche Verfügungen zunächst nur auf das gegenwärtige Vermögen. Mit der Zeit wurde diese Beschränkung fallengelassen. Eine Reminiszenz an die Vergabungen auf den Todesfall ist darin zu sehen, daß derartige Rechtsgeschäfte als Rechtsgeschäfte unter Lebenden galten, zunächst als Verfügungsgeschäfte und dann später noch im 18. Jahrhundert als Verpflichtungsgeschäfte (keine Verfügungen von Todes wegen!). Die verbindliche Zuwendung des gesamten zum Zeitpunkt des Todes vorhandenen Vermögens stellte einen Verstoß gegen den Grundsatz der Testierfreiheit dar. Diesen Verstoß rechtfertigten die Juristen des Usus modernus mit der Rechtspraxis in Deutschland sowie mit dem naturrechtlich begründeten Satz „pacta sunt servanda.“ War nun die Selbstbeschränkung der Testierfreiheit durch den Erblasser als dem deutschen Recht nicht fremde Einrichtung in der Diskussion, konnte auch die Widerruflichkeit des gemeinschaftlichen Testaments in Frage gestellt werden. Die Lehre über die pacta dotalia mixta zeigt, wie schwer sich die deutsche Jurisprudenz mit einer Selbstbeschränkung der Testierfreiheit anfreunden konnte. Als Vertrag war der Ehevertrag grundsätzlich bindend. Enthielt er – wie vielfach üblich – auch Verfügungen über das Vermögen der Ehegatten für die Zeit nach ihrem Tod, so sollten diese zunächst mit Rücksicht auf den Grundsatz der Testierfreiheit trotz der vertraglichen Einbindung stets frei widerruflich bleiben. Dies galt – wie auch bei Verfügungen außerhalb von Eheverträgen – vor allem dann, wenn die Formulierung auf eine Verfügung von Todes wegen hindeutete und nicht auf ein Rechtsgeschäft unter Lebenden. Eine Einschränkung des Widerrufsrechts beim gemeinschaftlichen Testament suchten die Juristen seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts dadurch zu rechtfertigen, daß sie das gemeinschaftliche Testament als dem deutschen Recht seit langem bekanntes Rechtsinstitut den Grundsätzen des römischen Testamentsrechts entzogen. Nachdem die Einschränkung der Testierfreiheit durch Vertrag im deutschen Recht ihre allgemeine Anerkennung gefunden hatte, bot sich einerseits ein weiteres Argument für die Zulässigkeit der Einschränkung des Widerrufsrechts beim gemeinschaftlichen Testament. Andererseits ermöglichte es die Anerken-

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nung der Selbstbeschränkung der Testierfreiheit, den zunächst nur als Rechtsgeschäft unter Lebenden anerkannten Erbvertrag nunmehr als zulässige verbindliche Verfügung von Todes wegen aufzufassen. Die Vergabungen auf den Todesfall sind die Vorläufer sowohl des Erbvertrags als auch des gemeinschaftlichen Testaments. Beide Verfügungsarten können daher zumindest als „entfernt verwandt“ bezeichnet werden. Sie haben sich in ihrer geschichtlichen Entwicklung aus verschiedenen Richtungen kommend einander angenähert. Der Erbvertrag startete im deutschen Recht als verbindliches Rechtsgeschäft unter Lebenden und das gemeinschaftliche Testament als stets einseitig widerrufliche Verfügung von Todes wegen auf einer rein römischrechtlichen Basis. bb) Schenkungen in fraudem pacti und testamenti Für die vorliegende Untersuchung ist es von besonderem Interesse, wie es im Vorfeld des Bürgerlichen Gesetzbuchs um die Verfügungsfreiheit des durch Verfügung von Todes wegen Gebundenen unter Lebenden stand. Nach den einleitenden Ausführungen zur Entstehungsgeschichte verbindlicher Verfügungen von Todes wegen kann sich die Betrachtung der „großen Rechtsordnungen“ auf die des gemeinen Rechts sowie die des preußischen und sächsischen Rechts beschränken. Das französische Recht kommt schon deshalb nicht in Betracht, da den Einschränkungen der Verfügungsfreiheit unter Lebenden bei der institution contractuelle327 aufgrund des Verbots gemeinschaftlicher Testamente das Vergleichsobjekt fehlt. Ebenso sieht es im bayerischen Recht und im österreichischen Recht aus. Zwar waren dort gemeinschaftliche Testamente nicht verboten, doch sind sowohl nach den Regelungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs als auch nach denen des bayerischen Landrechts die Verfügungen des Überlebenden in einem gemeinschaftlichen Testament stets frei widerruflich; eine Bindung an das eigene Testament ist beiden Rechtsordnungen unbekannt.328 327 Grundsätzliches Verbot unentgeltlicher Verfügungen: Art. 1083 (1093) CC; dazu Zachariä7 S. 503. 328 Dennoch befaßte sich BayObLGZ 1907, 458 ff. (21.09.1906) in einer Entscheidung zum bayerischen Landrecht mit der Einschränkung der Verfügungsfreiheit unter Lebenden bei einem gemeinschaftlichen Testament. Für den Verlust des Widerrufsrechts auf Seiten des Überlebenden nach Antretung der Erbschaft berief sich das Gericht allerdings allein auf die bayerische Rechtsprechung zum gemeinen Recht sowie auf die Regelung des § 2271 BGB. Da keine frühere Entscheidung zum bayerischen Recht für eine Bezugnahme zur Verfügung stand, muß angesichts reichhaltiger Praxis zum gemeinen Recht davon ausgegangen werden, daß das Bayerische Oberste Landesgericht in dieser Entscheidung sichtlich unter dem Einfluß der herrschenden Praxis zum gemeinen Recht und bereits der diese bestätigenden Regelung des § 2271 BGB stand. Rückschlüsse für das bayerische Landrecht können aus der Entscheidung daher nicht gezogen werden (vgl. dazu bereits oben Fn. 323).

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a) Gemeines Recht aa) Schenkungen in fraudem pacti Beim Erbvertrag stellte sich die Frage, ob und inwieweit der Erblasser in seiner Verfügungsfreiheit unter Lebenden einzuschränken sei, erst, nachdem eine solche Verfügungsfreiheit trotz erbvertraglicher Bindung anerkannt war. Mit der Auffassung von Samuel Stryk, wonach der Vertragserbe mit dem Vertragsschluß bereits ein „jus reale hereditarium“ erhielt, sollte der Erblasser die Dispositionsbefugnis über sein Vermögen, von gewissen engen Ausnahmen abgesehen, verlieren.329 Im kurbayerischen Kodex (1756) ist die lebzeitige Verfügungsfreiheit noch nicht ausgesprochen. Die Anmerkungen seines Verfassers gehen dahin, daß die Stryk’schen Grundsätze für den nach bayerischem Recht anerkannten Vermächtnisvertrag gälten; zum Erbvertrag wird von Kreittmayr hingegen keine klare Aussage getroffen.330 Bereits in den kursächsischen Dezisionen von 1746 ist ausdrücklich ausgesprochen, daß der Erblasser, unbenommen sich dieser Freiheit zu begeben, weiterhin über sein Vermögen inter vivos frei verfügen könne.331 Dementsprechende Regelungen finden sich in den naturrechtlichen Kodifikationen.332 Es darf daher angenommen werden, daß sich das Recht zur freien Verfügung unter Lebenden im Laufe des 18. Jahrhunderts im gemeinen Recht durchgesetzt hat. Während insbesondere Hartmann eine Einschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit ablehnte,333 sprach sich Beseler zwar generell gegen eine Einschränkung der Dispositionsbefugnis aus, doch leitete er aus dem das Vertragsrecht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben eine Einschränkung für beeinträchtigende Schenkungen her: „Wenn man diese [Schenkungen des Erblassers nach Abschluß des Erbvertrags] für gültig erklärt, so wird die Einwendung nicht fehlen [. . .], daß dadurch wieder indirect der Widerruf des Geschäftes in seine Hand gelegt sey, indem es ihm möglich werde, durch successive Zuwendungen das Vermögen zu erschöpfen, und so dem 329 Vgl. die Nachweise oben Fn. 158 und insoweit ergänzend Koch S. 790 mit Hinweis auf Berger: „Oeconom. juris Lib. I, tit. 3, th. 11“, der sich u. a. auf Stryk: „de success. ab intestato, Diss. V III, c. 5, th. 24, 29 u. 33“ berufe. 330 Vgl. Kreittmayr Anm. 6a und b zu CMBC III 11 § 1. Wie im Text auch OAG München (22.10.1877) BayObLGZ 7, 125, 125 f.; anders später BayObLGZ 1905, 611, 619 f. 331 Kursächsische Dezisionen von 1746 Nr. 13 (Text bei Beseler Erbverträge II/1 S. 258, Fn. 13; knapp zur Dezision Nr. 13 Schmidt S. 200 f.). Die Dezision war noch von der Vorstellung des Erbvertrags als ein rein obligatorisches Rechtsgeschäft befangen (Schmidt S. 200). 332 Vgl.: ALR I 12 § 624; Art. 1083 (1091) CC; § 1252 ABGB. 333 Vgl. Hartmann S. 57 ff. und ebenso: Arndts, Oesterreichische Vierteljahresschrift für Rechts- und Staatswissenschaft 7 (1861) 269, 276; Bolley S. 78; Förster/ Eccius7 § 247 Fn. 26; Mittermaier4 S. 844 (1830); Roth S. 477 und dort Fn. 24.

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Erfolg nach das Recht der Erben ganz zu verkümmern. Aber selbst die ganz unbeschränkte Befugnis, Schenkungen zu machen, kann man doch noch lange nicht dem freien Widerruf gleichsetzen, weil es etwas ganz anderes ist, ob man eine gesetzliche Befugniß auf geradem Wege und in einem Acte ausübt, wie das z. B. bei der Aufhebung eines Testaments geschieht, oder ob man auf Umwegen und nach und nach ein eingegangenes Rechtsverhältniß zu untergraben sucht, und ein im allgemeinen freilich erlaubtes Geschäft in dieser besonderen Anwendung zur Erreichung eines unrechtlichen Zieles benutzt. Der gewissenhafte und gerechte Mann wird doch Bedenken tragen, auf eine solche Weise einen wenn auch wohlbegründeten Wunsch durchzusetzen. Außerdem aber muß man fest halten, daß das Geschäft, welches einer vertragsmäßigen Erbeinsetzung zum Grunde liegt, der Vertrag ist, dessen innerste Natur jetzt allgemein die Berücksichtigung der bona fides verlangt.334 Nichts ist aber doch so sehr dem guten Glauben zuwider, als die Handlungsweise eines Contrahenten, wodurch er dem ursprünglichen Zweck des Geschäftes, dem id, quod actum est, entgegen tritt, und wenn auch indirect den beabsichtigten Erfolg einseitig aufhebt. Daraus folgt, daß der im Vertrage eingesetzte Erbe jede Verfügung des Erblassers anfechten kann oder nicht anzuerkennen braucht, welche darauf ausging, ihn in dem eingeräumten Rechte zu beeinträchtigen: denn das wäre dolus. Jede Verfügung also, bei der der Erblasser in dolo war, und namentlich jede Schenkung, die hauptsächlich in der Absicht geschah, dem Vertragserben einen Vorteil zu entziehen, wenn auch nebenbei der Beschenkte dadurch begünstigt werden sollte, – ist unstatthaft und widerrechtlich.“335

Die Ausführungen von Beseler fanden im 19. Jahrhundert große Beachtung.336 Sie wurden vielfach von den obersten Gerichtshöfen – zum Teil wörtlich – wie auch später vom Reichsgericht übernommen. In der Rechtsprechung wurde das Anfechtungsrecht allerdings erweitert, indem bei Kenntnis des Erwerbers zusätzlich entgeltliche Rechtsgeschäfte der Anfechtung unterliegen sollten.337, 338 Auch die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuchs waren von den Ausführungen Vergleichender Hinweis auf: Thibaut System8 § 455 Note h. Beseler Erbverträge II/1 S. 259 f. 336 Aus der Literatur: Buddeus Rechtslexikon IV 27, 44 (Erbvertrag); Dernburg Pandekten7 S. 248; Dernburg Preußisches Privatrecht3 S. 506; Dieck Enzyklopädie XL 342, 419 (Erbrecht); Gengler4 S. 742; Gerber16 S. 441; Holzschuher S. 887 f.; Koch S. 790 f.; Phillips3 S. 297; Stobbe1/2 S. 290; Walter S. 489 f.; zuvor bereits ähnlich Eichhorn4 S. 828 f.; vgl. auch: Bluntschli3 S. 716; Maurenbrecher2 S. 353 f. 337 Aus der Praxis der obersten Gerichtshöfe: OAG Oldenburg SeuffArch 17, 264 (19.12.1848); Obergericht Wolfenbüttel SeuffArch 23, 198 (01.10.1867); OAG Kassel, Annalen der Justiz und Verwaltung in der Provinz Hessen, Bd. 15 (1869) S. 458 f. (Nr. 172); OAG Celle SeuffArch 29, 44 (23.10.1873); OT Berlin SeuffArch 32, 58 (16.11.1875); Appellationsgericht Celle SeuffArch 32, 255 (20.02.1877); OLG Oldenburg SeuffArch 40, 296 (25.01.1882). Zuvor bereits OAG Wolfenbüttel vom 03.01.1832: keine Beschränkung in der Verfügungsfreiheit unter Lebenden, „auch nicht wegen Veräußerung unbeweglicher Güter, insofern solche nicht in ein Uebermaaß zur Vernichtung des zugesicherten Erbrechts ausarten, oder die Unveräußerlichkeit im Vertrage ausdrücklich bedungen worden [. . .].“ (auszugsweise veröffentlicht bei Matthiae S. 168 f.; vgl. dort auch LG Wolfenbüttel vom 12.02.1839, bestätigt durch OAG Wolfenbüttel vom 01.11.1839). Vgl. auch OAG Lübeck SeuffArch 9, 22 (05.12.1842): Zulassung eines sog. Pönalmandats zu Lebzeiten des Erblassers. 334 335

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Teil 1: Schenkungen nach dem Tod eines Ehegatten

Beselers sichtlich beeinflußt; im Endergebnis ließen sie die Erweiterung der Rechtsprechung fallen und legten damit eine Regelung vor, die der mitgeteilten Meinung von Beseler entspricht (vgl. § 2287 BGB).339 Während Beseler und mit ihm die wohl herrschende Meinung als Klageart für den Vertragserben die actio doli favorisierte, wurde anderseits auch eine Analogie zur querela inofficiosae donationis (Pflichtteilsergänzung) in Erwägung gezogen. Mit der Anerkennung des Erbvertrags als Verfügung von Todes wegen war die sog. Kontraktsklage zu verwerfen.340 bb) Schenkungen in fraudem testamenti Wurde für das gemeinschaftliche Testament eine Bindung des Überlebenden an die Verfügungen aus dem Testament angenommen, so mußte im Grunde genommen die mit der Auslegung angenommene Rechtsposition der in dem Testament korrespektiv bedachten Dritten im Hinblick auf die lebzeitige Verfügungsfreiheit des Überlebenden von Bedeutung sein. Bis hin zu den Beratungen zum Bürgerlichen Gesetzbuch standen sich beim Berliner Testament im wesentlichen zwei Konstruktionsvarianten gegenüber. Neben die bereits besprochene ältere Einheitslösung trat mit der Zeit die heutige Trennungslösung.341 Die Einheitslösung im heutigen Sinne, wonach die korrespektiv bedachten Dritten lediglich Erben des Überlebenden werden, wurde erst nach den Beratungen der ersten Kommission aufgebracht.342 (1) Ältere Einheitslösung Zwar liegt der älteren Einheitslösung ebenso wie der heutigen Einheitslösung der Gedanke der Vermögenseinheit zugrunde, jedoch wurde dieser Gedanke bei den Vertretern der älteren Lösung nicht immer konsequent durchgeführt. Hätten die Vertreter der älteren Einheitslösung ihre Grundsätze konsequent befolgt, so wäre das Rechtsverhältnis zwischen dem Überlebenden und den nachfolgend bedachten Dritten im Hinblick auf das gesamte Vermögen beider Ehegatten durch das Universalfideikommiß eindeutig bestimmt gewesen.343 Der Überle338 RGZ 28, 171, 174 f. (11.12.1891); angedeutet bereits in RG Urt. v. 10.01.1888 – III 226/87 (auszugsweise veröffentlicht bei Bolze, Die Praxis des Reichsgerichts in Civilsachen, Bd. 5 (1888) S. 272; dieses Urteil enthält auch im Volltext keine näheren Angaben zu Literatur und Rechtsprechung). 339 Im einzelnen dazu später. 340 Zu den Klagearten nur Beseler Erbverträge II/1 S. 265 ff. und ergänzend die Nachweise oben in Fn. 336 bis 338. 341 Beispiele aus der Gerichtspraxis: OAG Rostock SeuffArch 7, 334 (13.09.1849); OAG Rostock SeuffArch 34, 321 (09.11.1868); RG Gruchot 24, 989 ff. (18.12.1879). 342 Dazu sogleich.

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bende hätte zu Lebzeiten über das Vermögen des Erblassers ebenso wie über sein eigenes Vermögen allein in den ihm als Fiduziarerben gezogenen Grenzen verfügen können. Die Substanz des gesamten Vermögens wäre dadurch vor Veräußerungen des Überlebenden geschützt gewesen; die nachfolgend Bedachten hätten als Fideikommissare von dem Überlebenden die Errichtung eines Inventars und die Duldung weiterer Sicherheitsmaßnahmen verlangen können.344 Allenfalls der dem Fiduziarerben gestattete Abzug der sog. falzidischen bzw. trebellianischen Quart hätte dem Überlebenden einen kleinen Anteil am Gesamtvermögen zur freien Verfügung überlassen. Wäre dagegen keine gewöhnliche fideikommissarische Substitution anzunehmen, sondern eine solche auf den Überrest („fideicommissum in id, quod supererit“), so hätte der Überlebende nach gemeinem Recht den Fideikommissaren lediglich ein Viertel der Erbschaft zu bewahren.345 Die Hauptvertreter der älteren Einheitslösung im 19. Jahrhundert kamen hingegen zu anderen Ergebnissen. Glück blieb insoweit konsequent, daß er das Vermögen der Ehegatten nach dem Tod des Erstversterbenden im Hinblick auf die Verfügungsfreiheit des Überlebenden weiterhin als eine Einheit betrachtete. Er kam allerdings zu dem Ergebnis, daß der Überlebende über dieses Vermögen zu Lebzeiten frei verfügen könne. Hätten die Ehegatten sich im Testament nicht ausdrücklich über die Verfügungsfreiheit des Überlebenden ausgesprochen, so sei „unter dem zum Fideicommiß gemachten Vermögen nur dasjenige zu verstehen, was der Letztlebende hinterläßt.“ Denn der Überlebende könne als Universalerbe des Vorverstorbenen mit dem ererbten Vermögen so frei wie mit seinem eigenen ursprünglichen Vermögen schalten.346 Glück warf den bei seiner Betrachtung naheliegenden Gedanken auf, daß das Fideikommiß für ein „fideicommissum eius, quod superfuturum est“ gehalten werden könne; unter Verweis auf Hasse, der die Grundsätze eines Fideikommisses auf den Überrest nicht zur Anwendung bringen wollte, wenn der Fideikommissar zugleich Erbe des Fiduziarerben sei,347 verwirft Glück ein solches Fideikommiß.348 Danach hatte der 343

Zum Universalfideikommiß auch oben Fn. 239. Hier zeigt sich zugleich die Schwäche des Schutzes des „Nacherben“, wenn er wie regelmäßig beim Berliner Testament zugleich Erbe des „Vorerben“ ist. Verfügungen des Überlebenden konnten zwar ohne die Zustimmung der Fideikommissare grundsätzlich keinen Bestand haben. Doch solange die Verfügungen nicht aus einem anderen Grund nichtig waren, mußte einer späteren Anfechtung der Fideikommissare der Erfolg versagt bleiben, wenn sie als Erben des Überlebenden dessen Verpflichtungen zu erfüllen hatten. Vgl. OAG Kiel SeuffArch 12, 172 (29.05.1858) und besonders deutlich – allerdings zum preußischen Recht auf dem Boden der Trennungslösung – RG Gruchot 35, 1045 ff. (29.04.1891); siehe zum geltenden Recht bereits die Anmerkung oben Einleitung Fn. 7. 345 Zum Rechtsverhältnis zwischen Fiduziar und Fideikommissar vgl. die Nachweise in Fn. 239 sowie Windscheid7 S. 354 ff. und Roth S. 373 ff. 346 Glück S. 73 f.; mißverstanden von Mühlenbruch S. 242 f. (vgl. auch Hartmann S. 163 und dort Fn. 4). 344

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Überlebende den Fideikommissaren nicht einmal ein Viertel des von dem anderen Ehegatten herrührenden Vermögens zukommen zu lassen. Offen bleibt bei Glück, ob er dem Überlebenden die völlige Verfügungsfreiheit zugestehen wollte. Hasse jedenfalls – freilich von seinem Standpunkt aus beschränkt auf das Vermögen des anderen Ehegatten349 – geht davon aus, daß die freie Dispositionsbefugnis „nur nicht eigentlich in fraudem der Fideikommissare“ geschehen dürfe; eine solche Disposition lasse sich in jedem Fall anfechten.350 Nach Mühlenbruch dagegen soll der Überlebende über sein eigenes Vermögen im Zweifel inter vivos frei verfügen können, wohingegen er in Bezug auf das Vermögen des anderen Ehegatten den Beschränkungen durch die fideikommissarische Substitution zu unterwerfen sei. Dem eigenen Vermögen sei die trebellianische Quart vom Nachlaß des anderen Ehegatten hinzuzurechnen.351 Von dem ererbten Vermögen habe er den Fideikommissaren bei einer Substitution auf das beim Tod des Überlebenden vorhandene Vermögen mindestens ein Viertel zu überlassen. In Bezug auf das eigene Vermögen seien dem Überlebenden Handlungen „in fraudem fideicommissii“ versagt.352 Im Hinblick auf die Verfügungsfreiheit unter Lebenden betrachtete Mühlenbruch demnach das Vermögen der Ehegatten nicht mehr als Einheit. Er selbst rechtfertigte diese Trennung damit, daß sich die einheitliche Betrachtung darauf beschränke, sicherzustellen, daß der Überlebende den Substituten seinen Nachlaß nicht entziehe.353 In ihrer Funktion schien die ältere Einheitslösung damit darauf reduziert, den Verlust des Widerrufsrechts des Überlebenden beim „eigentlichen correspectiven Testament“ mit einer römischrechtlichen Argumentation zu rechtfertigen. Die Rechtsverhältnisse der Beteiligten an einem Berliner Testament wurden bei Mühlenbruch im Hinblick auf die lebzeitige Verfügungsfreiheit des Überlebenden bereits mit der heutigen Trennungslösung beschrieben. (2) Trennungslösung Mit den Ausführungen zur älteren Einheitslösung sind zugleich auch die Grundzüge für die Trennungslösung herausgearbeitet. Im Hinblick auf das von 347 Hasse RheinMusJur 2 (1828) 239, 268; zustimmend Koch § 63 Fn. 56; dagegen Hartmann S. 163, Fn. 4. 348 Vgl. Glück S. 74. 349 Siehe oben S. 91 f. 350 Hasse RheinMusJur 2 (1828) 239, 268. 351 Dieser Gedanke findet sich bereits bei Haubold, wobei nicht klar wird, ob dieser die Quart vom gesamten Vermögen oder auch nur vom Vermögen des verstorbenen Ehegatten abgezogen wissen wollte; vgl. Hartmann S. 159, Fn. 2 mit Hinweis auf: „Berger oec. jur. ed. Haubold tom. I S. 415 ff.“ 352 Mühlenbruch S. 243; danach Heimbach Rechtslexikon X 713, 905 f. (Testament). 353 Mühlenbruch S. 244; danach Heimbach Rechtslexikon X 713, 906 (Testament).

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dem anderen Ehegatten ererbte Vermögen waren für die lebzeitige Verfügungsfreiheit des Überlebenden die oben aufgezeichneten Beschränkungen durch die fideikommissarische Substitution zu berücksichtigen. Der Überlebende konnte über sein eigenes Vermögen frei zu Lebzeiten verfügen. Über das von dem anderen Ehegatten ererbte Vermögen durfte er über ein Viertel ebenso frei verfügen, ansonsten unterlag dieses Vermögen einem Veräußerungsverbot; beim Fideikommiß auf den Überrest erstreckte sich das Veräußerungsverbot lediglich auf das den Fideikommissaren zustehende Viertel.354 Verfügungen in fraudem fideicommissii über sein eigenes Vermögen konnten dem Überlebenden nach der Trennungslösung nicht versagt werden. Dieses Vermögen unterlag im Gegensatz zur älteren Einheitslösung keiner fideikommissarischen Bindung.355 Auf dem Boden der Trennungslösung lag es nahe, insoweit die Einschränkungen aus dem Erbvertragsrecht zu übernehmen. Schließlich wurde die Bindung des Überlebenden an die korrespektiven Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament mit dessen Nähe zum Erbvertrag begründet. Es wurde der Satz aufgestellt, das Testament habe mit dem Antritt der Erbschaft die Wirkungen eines Erbvertrags.356 Dementsprechend finden sich Nachweise in der Rechtspraxis, wonach die Verfügungsfreiheit des Überlebenden über sein eigenes Vermögen ihre Grenze darin finden sollte, daß ihm solche Verfügungen verwehrt seien, wodurch die „in dem correspectiven Testament zu Gunsten Dritter getroffenen Verfügungen vereitelt würden.“357 Verfügungen „in fraudem testamenti“ blieben dem Überlebenden verwehrt, wenn sie dem Testament geradezu zuwiderliefen.358, 359 Im Schrifttum ist ein ausdrücklicher Verweis auf die beim Erbvertrag von der herrschenden Meinung anerkannte Dolusklage nicht auszumachen. Wenn beispielsweise auch Stobbe ohne Ausführungen zur Dispositionsbefugnis des Überlebenden anmerkte, das Testament erhalte die Wirkungen eines Erbvertrags,360 so mag eine „Analogie“ für ihn selbstverständlich gewesen sein. Besonders deutlich wurde die ältere Einheitslösung von Dernburg361 verworfen. Für ihn erschien sie „von vornherein als wenig natürlich“; Dernburg erachtete eine Konstruktion nach der Trennungslösung als na354

Anderer Ansicht zum letzten Halbsatz Hasse a. a. O. (oben Fn. 347). Anders nach der Auffassung von Buchka a. a. O. (oben Fn. 301). 356 Vgl. oben S. 91. 357 OAG Berlin SeuffArch 22, 45 (04.11.1867). 358 Vgl. PrOTE 46, 93 ff. (04.10.1861). 359 Vgl. OAG München BayObLGZ 5, 474, 475 f. (09.01.1875): zum gemeinschaftlichen Testament unter Hinweis auf Beseler Erbverträge II/1 S. 260; ebenso später BayObLGZ 14, 559, 561 (18.04.1893) mit Hinweis auf Beseler Erbverträge II/1 S. 259 f. und auch auf Mühlenbruch S. 243 und Heimbach Rechtslexikon X 713, 905 (Testament). Während das erste Urteil noch auf dem Boden der älteren Einheitslösung erging, wurde im zweiten Urteil eine Entscheidung zwischen älterer Einheitslösung und Trennungslösung offengelassen. 360 Stobbe1/2 S. 259. 355

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heliegend und im Zweifel selbstverständlich. Die Bindung des Überlebenden an seine korrespektiven Verfügungen rechtfertigte Dernburg mit einem Blick auf die Praxis zum gemeinen Recht sowie die Bemerkung, daß diese Auffassung in einem Rechtssystem, welches Erbverträge kenne, nichts Befremdendes habe.362 Ferner würde es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn der Überlebende entgegen dem damaligen „Vertragswillen“ seine Verfügungen widerrufe.363 Bei seinen Ausführungen zur Konstruktion nach der Trennungslösung beschränkte sich Dernburg darauf, festzustellen, daß der überlebende Ehegatte über sein eigenes Vermögen frei verfügen könne; seine Ausführungen zum Erbvertrag, wo er sich ausdrücklich der Ansicht von Beseler anschloß und die Dolusklage für gegeben hielt, griff er nicht auf.364 (3) Einheitslösung Eine besondere Bedeutung kam der Einschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit des Überlebenden beim Berliner Testament nach der Einheitslösung zu. Die Einschränkungen, welche die fideikommissarische Substitution nach der älteren Einheitslösung und nach der Trennungslösung mit sich brachte, konnten bei der Einheitslösung nicht zur Diskussion stehen. In der Gerichtspraxis tauchte die Einheitslösung erstmals in einer gemeinrechtlichen Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1890 auf.365 Nachdem das Reichsgericht der älteren Einheitslösung auf dem Boden des gemeinen Rechts in dieser Entscheidung eine Absage erteilt hatte, führte es zur Konstruktion des Berliner Testaments aus: „Es ist vielmehr für Fälle der vorliegenden Art nach gemeinem Rechte davon auszugehen, daß die über den Gesamtnachlaß ihrem Wortlaute nach von beiden Ehegatten getroffene Disposition in Wahrheit so zu beurteilen ist, daß jeder Ehegatte für den Fall disponiert hat, daß er selbst der Längstlebende sein werde, gleichwie die Verfügung der gegenseitigen Einsetzung zum Erben von jedem Testator nur für den Fall getroffen ist, daß der Verfügende zuerst sterben werde. Folgeweise ist mit dem Tode des Erstverstorbenen und dem Erbschaftsantritte seitens des Überlebenden die Verfügung des ersteren erledigt, abgesehen von dem aus der Korrespektivität des Testamentes folgenden rechtlichen Gebundensein des Überlebenden, während nunmehr die Verfügung des Längstlebenden über den Gesamtnachlaß in Kraft tritt. Er ist allein Erbe des Erstverstorbenen geworden, und der gemeinsam berufene Nach361 Die Ausführungen von Dernburg sind deshalb von besonderem Interesse, da er sich zum Bürgerlichen Gesetzbuch im Hinblick auf eine analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB zurückhaltend geäußert hatte (vgl. bereits oben S. 40). 362 Dernburg Preußisches Privatrecht3 S. 518 ff. 363 Dernburg Pandekten7 S. 185 f. 364 Vgl. Dernburg Preußisches Privatrecht 3 S. 506, 523 f. In seinen „Pandekten“ äußert sich Dernburg zur Dispositionsbefugnis des Überlebenden nicht. 365 Vgl. auch Färber S. 73.

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erbe wird allein sein direkter Erbe bezüglich des gesamten Nachlasses, nicht zum Teil Universalfideikommissar.“366

In dieser Entscheidung hatte das Reichsgericht noch keine Aussagen zur lebzeitigen Verfügungsfreiheit des Überlebenden zu treffen. Erst in einer unveröffentlichten Entscheidung aus dem Jahre 1895 wurden vom Reichsgericht für ein Berliner Testament nach der Einheitslösung diesbezüglich die Grundsätze aus dem Erbvertragsrecht übertragen: „Diese Willensgebundenheit des Überlebenden müsse aber auch gegenüber solchen Rechtsgeschäften unter Lebenden desselben zur Geltung kommen, welche mit der Verfügung des Testamentes unverträglich seien, jedenfalls gegenüber arglistigen Beeinträchtigungen des Anrechtes des durch die gemeinsame Verfügung berufenen Nacherben mittels solcher Rechtsgeschäfte, wenn ihm an und für sich auch nur gebühre, was der Überlebende hinterlassen werde. Derselbe Schutz gegen derartige Beeinträchtigungen, welche das gemeine Recht dem Vertragserben gewähre, könne auch dem Nacherben aus einem korrespektiven Testamente nicht versagt werden.“367

b) Preußisches Recht aa) Schenkungen in fraudem pacti Nach den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts wird die Verfügungsbefugnis unter Lebenden durch den Erbvertrag nicht eingeschränkt (vgl. ALR I 12 § 624). Der eigentliche Schöpfer des Allgemeinen Landrechts Carl Gottlieb Svarez (*1746 y1798) wollte das Prinzip der lebzeitigen Verfügungsfreiheit ursprünglich ohne Einschränkungen gelten lassen. In den sog. gedruckten Entwurf (Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs für die preußischen Staaten, 1784 bis 1788) wurden keine Einschränkungen aufgenommen. Als dieser Entwurf der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde, kamen diesbezüglich kritische Stimmen auf. So wurde bemängelt, daß die Vertragspartner durch Schenkungen und andere Veräußerungen den Erbvertrag ganz außer Kraft setzen könnten. Daher seien solche dispositiones inter vivos, welche dem Inhalt des Erbvertrags zuwiderliefen, besonders Schenkungen und andere Veräußerungen, auszunehmen, die in der Absicht geschähen, den Erbvertrag zu umgehen.368 Der Gesetzgeber entschied sich letztlich gegen eine solche Einschränkung im Gesetz, da es den Vertragspartnern frei stehe, ihre Dispositionsbefugnis unter Lebenden vertrag366 RGZ 27, 148 ff. (28.11.1890); vgl. danach RGZ 38, 214, 217 f. (01.02.1897). In der gemeinrechtlichen Literatur fand die Einheitslösung keine Beachtung mehr (Löwenwald S. 70 f.). 367 RG Urt. v. 11.07.1895 – VI 125/1895 S. 5; danach RGZ 41, 168, 169 f. (05.05.1898). 368 Mitgeteilt im Rahmen der Gesetzrevision, Pensum XVI, Motive (1835) S. 216 (nachgedruckt bei Schubert/Regge S. 350).

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lich einzuschränken. Statt dessen wurde die Anfechtung übermäßiger Schenkungen (ALR I 12 § 625) und das Antragsrecht auf Prodigalitätserklärung (ALR I 12 § 626) in das Gesetzbuch aufgenommen.369 Nach ALR I 12 § 625 konnte der Vertragserbe solche Schenkungen des Erblassers innerhalb von drei Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Schenkung, zurücknehmen, welche der Erblasser wegen „Uebermaaßes“ hätte widerrufen können (vgl. ALR I 11 §§ 1091 ff.). Damit sind Schenkungen angesprochen, die im Wert das Vermögen des Erblassers um die Hälfte übersteigen. Soweit dem Vertragserben das Recht zum Widerruf erst mit dem Tod des Erblassers zugebilligt wurde,370 war sein Widerrufsrecht damit der querela inofficiosae donationis des Pflichtteilsberechtigten (ALR I 11 §§ 1113 ff.) angepaßt. Zu Lebzeiten des Erblassers hatte der Vertragserbe mit ALR I 12 § 626 die Möglichkeit, die Entmündigung des Erblassers wegen Verschwendung herbeizuführen. Dernburg sprach sich im Anschluß an die oben mitgeteilten Ausführungen von Beseler auch im preußischen Recht dafür aus, dem Vertragserben die Dolusklage zu gewähren, wenn der Erblasser sein Vermögen zu dem Zweck weggegeben habe, den Erbvertrag zu vereiteln.371 In die preußische Rechtspraxis erhielt die gemeinrechtliche Lehre keinen Einzug, ALR I 12 §§ 625, 624 wurden insoweit als abschließende Regelung aufgefaßt.372 bb) Schenkungen in fraudem testamenti Trotz der Geläufigkeit des Berliner Testaments um die Wende zum 19. Jahrhundert, enthält das Allgemeine Landrecht keine dem § 2269 BGB entsprechende Auslegungsregel. Zwar findet sich auch in der Rechtspraxis zum preußischen Recht die ältere Einheitslösung.373 Im Gegensatz zur Praxis des gemeinen 369

Ebenda; vgl. bereits AGB I 12 §§ 625, 626. So etwa: Dernburg Preußisches Privatrecht3 § 177 Fn. 5; ausführlich Göppert S. 6 ff. (Fn. 1); Gruchot S. 353 f.; anderer Ansicht die Gesetzesrevisoren Bornemann2 S. 142 f. und Koch (Erbrecht S. 791 ff. und Kommentar3 ALR I 12 § 624 ff. Fn. 2); vgl. auch Gesetzrevision, Pensum XVI, Motive (1835) S. 216 (nachgedruckt bei Schubert/Regge S. 350). 371 Vgl. Dernburg Preußisches Privatrecht3 S. 506 unter Hinweis auf Beseler Erbverträge II/1 S. 260 (anders in der 4. Aufl. S. 516, ebenso unter Hinweis auf Beseler a. a. O.: bei kollusivem Zusammenwirken von Erblasser und Erwerber sei ein Schadensersatzanspruch gegenüber dem Erwerber gegeben, denn der Vertragserbe habe keineswegs bloß eine Hoffnung). 372 RG JW 1900, 166, 167; vgl. auch zuvor bereits aus dem Schrifttum: Bornemann2 S. 142; Förster/Eccius7 § 247 Fn. 26. 373 Vgl. PrOT, Schlesisches Archiv für die practische Rechtswissenschaft, Bd. 3 (1840) S. 573 ff. (01.10.1838); danach vereinzelt: PrOTE 36, 62 ff. (15.05.1857); 52, 161 ff. (15.04.1864); endgültig verworfen von RG Gruchot 35, 1045, 1048 (29.04.1891); siehe zur älteren Einheitslösung in der Rechtspraxis des Preußischen Obertribunals Färber S. 49 ff. In der Literatur zum preußischen Recht kann Borne370

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Rechts setzte sich jedoch in der Rechtsprechung zum preußischen Recht frühzeitig die Trennungslösung durch. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Berliner Testamente fast ausschließlich im Sinne der Trennungslösung ausgelegt.374 Für die Verfügungsfreiheit des Überlebenden inter vivos war demnach zu differenzieren. Das Vermögen des anderen Ehegatten unterlag den Einschränkungen durch die fideikommissarische Substitution.375 Der Überlebende hatte diesbezüglich nach preußischem Recht die Rechtsstellung eines Nießbrauchers (vgl. ALR I 12 § 466, I 21 §§ 22 ff.); als Fiduziarerbe war ihm grundsätzlich die Veräußerung des Nachlaßvermögens verboten.376 Im Hinblick auf das Immobilienvermögen konnten sich die Substituten vor einem Substanzverlust durch Eintragung der fideikommissarischen Substitution im Grundbuch absichern. Gegen die drohende Veräußerung beweglicher Vermögenswerte konnten die nachfolgend Bedachten gerichtlichen Schutz in Anspruch nehmen.377 War keine gewöhnliche fideikommissarische Substitution anzunehmen, sondern eine solche „in id, quod supererit“, so war der Überlebende zwar befugt, über die Substanz des Vermögens zu verfügen, jedoch blieben ihm freigebige Schenkungen verwehrt (vgl. ALR I 12 §§ 468, 469).378 Die lebzeitige Verfügungsfreiheit über sein eigenes Vermögen wird im Allgemeinen Landrecht durch die Vorschriften über das gemeinschaftliche Testament nicht eingeschränkt. Nach ALR II 1 § 492 kann der Überlebende nach Annahme der Erbschaft nur nicht mehr von seinen eigenen (korrespektiven) Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament abgehen. Im Schrifttum wurde vereinzelt mit dem Eintritt der Bindungswirkung die Anwendung der Vorschriften aus dem Erbvertragsrecht (ALR I 12 §§ 625, 626) gefordert.379 Das Reichsgericht stellte später klar, daß eine Übernahme der erbvertraglichen Vorschriften für das preußische Recht nicht in Betracht komme, da in ALR II 1 § 494 geregelt mann2 S. 136 noch als Vertreter der älteren Einheitslösung bezeichnet werden; widersprüchlich äußerte sich Koch S. 666 (einerseits) und S. 672 f., 676 f. (anderseits, vgl. auch Kommentar3 ALR I 12 §§ 624 ff. Fn. 8). 374 Spätestens seit PrOTE 23, 193 ff. (09.07.1851); siehe danach z. B. auch PrOT Striethorst 34, 50, 56 (16.05.1859) insoweit unter Hinweis auf PrOTE 23, 193; zur Trennungslösung in der preußischen Rechtspraxis mit zahlreichen weiteren Nachweisen Färber S. 56 ff. 375 Zur fideikommissarischen Substitution nach preußischem Recht Dernburg Preußisches Privatrecht3 S. 448 ff.; siehe auch die Darstellung der Gerichtspraxis bei Färber S. 177 ff. 376 Zur Problematik beim Verstoß gegen das Veräußerungsverbot beim Berliner Testament siehe RG Gruchot 35, 1045 ff.; vgl. hierzu bereits oben Fn. 344. 377 Dernburg Preußisches Privatrecht3 S. 453 ff. 378 Dernburg Preußisches Privatrecht3 S. 460 ff. Auch dazu mit Rechtsprechungsnachweisen Färber S. 179 ff. 379 Vgl. z. B. Gruchot S. 490.

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sei, daß wechselseitige Testamente (nur dann) als Erbverträge anzusehen seien, wenn sich die Ehegatten ausdrücklich des Widerrufsrechts begeben hätten.380 Im Anschluß an die gemeinrechtliche Rechtsprechung des preußischen Obertribunals hatte das Reichsgericht bereits zuvor den Satz aufgestellt, daß sich das Verbot abweichender Verfügungen von Todes wegen (ALR II 1 § 492) nur insoweit auf Verfügungen unter Lebenden erstrecken könne, als diese eine Umgehung jenes Verbots bezweckten.381, 382 g) Sächsisches Recht Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen übernahm für den Erbvertrag weitestgehend die Regelungen aus der bereits erwähnten Dezision Nr. 13 aus dem Jahre 1746.383 Nach § 2548 SächsBGB behält der Erblasser das Recht der freien Verfügung unter Lebenden; in bestimmten Grenzen ist ein Verzicht zugelassen. Eine Einschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit wurde in das Gesetzbuch nicht aufgenommen. Das sächsische Recht hielt damit weiterhin an der uneingeschränkten Verfügungsfreiheit unter Lebenden fest.384 Im Kommentar eines der maßgebenden Redaktoren des sächsischen Gesetzbuchs findet sich keine Aussage zur Einschränkung der Dispositionsbefugnis. Der Redaktor Eduard Siebenhaar merkt lediglich an, daß der Vertragserbe kein besonderes Recht erhalte, den Erblasser wegen Verschwendung unter cura status stellen zu lassen. Es verstehe sich dagegen von selbst, daß die allgemeine Befugnis, der Vormundschaftsbehörde von dem verschwenderischen Lebenswandel einer Person Anzeige zu machen und dadurch die Anlegung einer cura prodigi zu veranlassen, auch dem Vertragserben gegenüber dem Erblasser zustehe.385 Andererseits finden sich in den Kommentierungen zum sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuch aber auch Hinweise auf die oben dargestellte gemeinrechtliche Praxis bei arglistigen Veräußerungen des Erblassers.386 380 Vgl. RG JW 1912, 799, 800 (04.05.1912): „Es hat denn auch für das preußische Recht bisher weder in der Rechtsprechung noch auch in der Literatur ein Zweifel darüber bestanden, daß der die Erbschaft aus dem wechselseitigen Testamente annehmende Ehegatte durch § 492 II, 1 in der Verfügung über sein eigenes Vermögen unter Lebenden in keiner Weise beschränkt ist, er dieses Vermögen daher auch in beliebiger Weise verschenken kann.“ 381 Vgl. RG Gruchot 35, 1045, 109 (29.04.1891) unter Hinweis auf PrOTE 46, 93 ff. (vgl. oben Fn. 358). 382 Siehe auch ohne Einschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit: Dernburg Preußisches Privatrecht3 S. 524; Förster/Eccius7 S. 487; Rehbein/Reincke3 ALR II 1 § 492, Fn. 217 (S. 80); Rehbein S. 326 (Anm. V). 383 Vgl. oben S. 98. 384 Grützmann S. 294; Schmidt S. 204; Siebenhaar S. 850. 385 Siebenhaar2 Anm. zu § 2548 (S. 425 f.). 386 Vgl. Hoffamnn/Kaden/Scheele (1889) Anm. zu § 2548 SächsBGB mit Hinweis auf: OT Berlin SeuffArch 32, 58, Appellationsgericht Celle SeuffArch 32, 255, OLG

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Auch für den durch gemeinschaftliches Testament gebundenen Erblasser findet sich im sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuch keine Einschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit. Nach § 2214 S. 2 SächsBGB kann der Überlebende nach Annahme der Erbschaft des Erstverstorbenen seine korrespektiven Verfügungen nicht mehr widerrufen. Hieraus wurde entsprechend den Ausführungen zur Rechtspraxis und zum Schrifttum im gemeinen Recht der Schluß gezogen, daß „der correspective letzte Wille“ insoweit unter die Grundsätze des Erbvertrags trete.387 Die Wirkungen eines Erbvertrags sollten im Hinblick auf das eigene Vermögen des Überlebenden gelten und im Hinblick auf das Vermögen des Erstverstorbenen sollte der Überlebende den Vorschriften der Erbanwartschaft (Vor- und Nacherbschaft, §§ 2503 ff. SächsBGB) unterworfen sein (Trennungslösung).388, 389 Im Sinne der älteren Einheitslösung wurde aber auch „romanisierend“ vertreten, wie sich der Überlebende nach gemeinem Recht mit der Antretung der Erbschaft verpflichten könne, die Anordnung einer fideikommissarischen Substitution über das beiderseitige Vermögen zu erfüllen,390 so gelte er nach sächsischem Recht mit dem Erbschaftsantritt hinsichtlich seines eigenen Vermögens nicht als Vertragserblasser, sondern insgesamt als mit einer Anwartschaft im Sinne des § 2504 SächsBGB beschwert. Der Überlebende sollte damit auch hinsichtlich seines eigenen Vermögens in die Rechtsstellung eines Vorerben eintreten. Die mit § 2389 SächsBGB aus dem römischen Recht übernommene Regel, daß niemandem mehr oneriert als honoriert werden dürfe, komme beim korrespektiven Testament nicht zur Anwendung.391

Oldenburg SeuffArch 40, 296; Nachtrag hierzu: Hoffmann (1895) Anm. zu § 2548 SächsBGB mit Hinweis auf RGZ 28, 171 ff. Vgl. insoweit bereits oben Fn. 337 und 338. 387 Vgl. Schmidt S. 194 und Siebenhaar2 Anm. zu § 2214 (S. 311 ff.) und Anm. zu § 2389 (S. 377); vgl. auch OAG Dresden, Annalen des OAG Dresden, 2. Folge, Bd. 1 S. 154 ff. (zit.: nach OLG Dresden, Annalen des OLG Dresden, Bd. 7 [1886] 259, 263). 388 Vgl. Siebenhaar2 Anm. zu § 2214 (S. 311 ff.). Auch Hoffmann/Kaden/Scheele (1889) Anm. 1 zu § 2200 SächsBGB und Anm. 3 zu § 2201 SächsBGB. 389 Der Vorerbe hatte wie im preußischen Recht die Rechte und Pflichten eines Nießbrauchers; ein gutgläubiger Erwerb zu Lasten des Nacherben war nicht möglich. Bei „befreiter“ Vorerbschaft mußte der Vorerbe lediglich auf Verlangen des Nacherben ein Inventar errichten, zur Sicherheitsleistung war er nicht verpflichtet; das überkommene Vermögen durfte veräußert, belastet und sogar verschenkt werden (vgl. § 2522, 2523 SächsBGB). Zur Erbanwartschaft nach sächsischem Recht Grützmann S. 335 ff. und Schmidt S. 252 f. 390 Die fideikommissarische Substitution als Vermächtnis im gemeinen Recht, vgl. wieder oben Fn. 239. 391 So beispielsweise OLG Dresden, Annalen des OLG Dresden, Bd. 7 (1886) 259, 264 f. (08.04.1885) und Grützmann § 227 Fn. 6 (S. 290) unter Hinweis auf OLG Dresden a. a. O.

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d) Zusammenfassende Bewertung (Schenkungen in fraudem pacti und testamenti) Mit der Anerkennung des Erbvertrags als Delationsgrund neben dem Testament und der gesetzlichen Erbfolge war der Erbvertrag von dem Grundsatz lebzeitiger Verfügungsfreiheit beherrscht. Die dadurch hervorgetretene Antinomie zwischen erbrechtlicher Bindung und lebzeitiger Verfügungsfreiheit wurde im gemeinen Recht dadurch zum Ausgleich gebracht, daß solche Rechtsgeschäfte des Erblassers der Anfechtung des Vertragserben unterlagen, welche auf eine Beeinträchtigung seiner Rechtsposition abzielten. Dies sollte insbesondere für fraudulöse Schenkungen gelten. Seine Begründung fand die Einschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit im Vertragsrecht, namentlich in dem Grundsatz von Treu und Glauben. Während in das Bürgerliche Gesetzbuch Sachsens allein der Grundsatz der lebzeitigen Verfügungsfreiheit aufgenommen wurde, erfuhr dieser Grundsatz im Allgemeinen Landrecht eine Einschränkung für sog. übermäßige Schenkungen des Erblassers. Ferner erhielt der Vertragserbe im preußischen Recht ein besonderes Antragsrecht auf Prodigalitätserklärung. Dieser Schutz des Vertragserben vor Beeinträchtigungen seiner Rechtsposition durch den Erblasser kann als spezialgesetzliche Ausgestaltung allgemein geltender Grundsätze aufgefaßt werden. Dort, wo eine solche Ausgestaltung fehlte, wie neben dem gemeinen Recht auch im Gesetzbuch Sachsens von 1863, setzte sich im 19. Jahrhundert die Anfechtung fraudulöser Schenkungen und anderer Veräußerungen durch. Einer Einschränkung der Verfügungsfreiheit unter Lebenden wurde beim Erbvertrag in Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung sichtlich größere Aufmerksamkeit geschenkt als einer solchen Einschränkung beim gemeinschaftlichen Testament. In der gemeinrechtlichen Literatur und Rechtsprechung mag dies damit zusammenhängen, daß sich die Möglichkeit erbrechtlicher Bindung beim gemeinschaftlichen Testament erst einmal durchsetzen mußte. Abgesehen von der späteren Einheitslösung des Reichsgerichts war der Überlebende beim gemeinschaftlichen Testament regelmäßig bereits als Fiduziar bzw. als Vorerbe gewissen Beschränkungen unterworfen. So erklärt es sich auch, daß die Übernahme der für den Erbvertrag gefundenen Einschränkungen nur im Hinblick auf das zumeist zur freien Verfügung verbleibende eigene Vermögen des Überlebenden diskutiert wurde. Soweit die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments mit dessen Nähe zum Erbvertrag begründet wurde, lag eine Übernahme der Einschränkungen der lebzeitigen Verfügungsfreiheit beim Erbvertrag nahe. Standen wie im preußischen Recht einer solchen Übernahme spezialgesetzliche Vorschriften entgegen, so blieb doch der Gedanke, daß die lebzeitige Verfügungsfreiheit nicht dazu ausgenutzt werden dürfe, die erbrechtliche Bindungswirkung zu umgehen.

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Aufgrund seiner historischen Entwicklung war beim gemeinschaftlichen Testament die Übernahme gewisser Grundsätze aus dem Erbvertragsrecht beim Verlust des Widerrufsrechts nur konsequent. Mit diesem Ergebnis zur Betrachtung der historischen Ausgangssituation ist die analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB im geltenden Recht zunächst als Fortführung der vor dem Bürgerlichen Gesetzbuch herrschenden Rechtspraxis bestätigt. b) Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch Die eigentliche Entstehungsgeschichte der Normen zum Erbvertrag und zum gemeinschaftlichen Testament nimmt ihren Anfang mit den Vorschlägen der Vorkommission vom 15. April 1874.392 Sie schlug die Einsetzung einer Kommission zur Ausarbeitung eines Bürgerlichen Gesetzbuchs vor, wobei die Kommission fünf ihrer Mitglieder mit der Ausarbeitung einzelner Teilentwürfe beauftragen sollte. Einem dieser Teilentwürfe sollte die Aufgabe zukommen, die zersplitterten Regelungen des Erbrechts zu vereinheitlichen. Die Ausarbeitung der Teilentwürfe dachte sich die Vorkommission als eine Kombination von Einzelarbeit der Redaktoren und Tätigkeit der Gesamtkommission. Während der Ausarbeitung der einzelnen Teilentwürfe sollte die Kommission über gewisse grundlegende Fragen und allgemein bedeutsame Prinzipien beschließen. Die Vorschläge der Vorkommission fanden weitestgehend die Billigung des Bundesrats.393, 394 aa) Arbeiten der ersten Kommission Nachdem die Mitglieder der sog. ersten Kommission395 vom Bundesrat gewählt waren, nahm die Kommission ihre Arbeit am 17. September 1874 auf. Die Kommission überließ es ihrem Vorsitzenden, Heinrich Eduard Pape, die einzelnen Redaktoren auszuwählen und ihnen ihre Redaktionsgebiete zuzuweisen. Auf dessen Vorschlag wurde der bayerische Ministerialrat Gottfried von Schmitt zum Redaktor für das Erbrecht bestimmt.396 Wunschgemäß wurde diesem mit Wilhelm Neubauer ein mit dem preußischen Erbrecht bestens vertrauter Hilfsarbeiter an die Seite gestellt.397 392

Vgl. bereits oben Fn. 38. Vgl. das Gutachten der Vorkommission vom 15.04.1874 (mitgeteilt bei Jakobs/ Schubert Beratung (Materialien) S. 170 ff. 394 Mertens S. 5 f.; allgemein Schubert in Jakobs/Schubert Beratung (Materialien) S. 33 ff. und Schubert Entstehung S. 18 ff. Im Folgenden beschränken sich die Nachweise zur Gesetzgebungsgeschichte weitgehend auf die Ausführungen von Mertens; dieser hat sich speziell mit der Entstehungsgeschichte des fünften Buchs befaßt. 395 Zum Begriff „erste Kommission“ vgl. bereits oben Fn. 39. 396 Mertens S. 5 f. 393

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a) Vorbereitende Sitzungen vom 26. und 28. September 1877 Die leitenden Prinzipien für das Erbrecht wurden von der Gesamtkommission bereits in den Jahren 1875 bis 1878 festgelegt. Obwohl diese Beschlüsse für die späteren Hauptberatungen nicht bindend waren, so stellten sie doch für viele Bereiche die Weichen für die Richtung, in der sich die weitere Gesetzgebungsarbeit fortbewegte;398 ausgenommen blieb hiervon allerdings die schon in den Arbeiten der ersten Kommission wechselvolle Entstehungsgeschichte der Vorschriften des gemeinschaftlichen Testaments.399 In den vorbereitenden Kommissionssitzungen am 26. und 28. September 1877 wurden die grundlegenden Beschlüsse, den Erbvertrag und das gemeinschaftliche Testament betreffend, getroffen. Als Beratungsgrundlage diente der Kommission hierbei eine Vorlage mit entsprechenden Vorschlägen und Begründungen von Schmitt, die Vorlage Nr. 4/1877. aa) Vorlage Nr. 4/1877

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In seiner Vorlage sprach sich Schmitt dafür aus, den Erbvertrag als Verfügung von Todes wegen in der Form des „Erbeinsetzungsvertrags“ und des Vermächtnisvertrags zuzulassen.401 Die Zulässigkeit vertragsmäßiger Vermächtnisanordnungen war im gemeinen Recht zuletzt noch umstritten.402 Den Standpunkt des römischen Rechts (Verbot der Erbverträge) wollte Schmitt nicht aufnehmen. Denn damit würde eine deutsche Rechtsentwicklung geleugnet, welche selten so einmütig gegen das römische Recht aufgetreten sei. Der Erbvertrag sei mindestens für das Familienrecht auf seiner heutigen Stufe unentbehrlich.403 Zwar ließen sich gewichtige Gründe für eine Beschränkung des Erbvertrags auf Ehegatten und Verlobte geltend machen, denn schon die geschichtliche Entwicklung des Rechtsinstituts weise darauf hin, daß es seinen Sitz in den Familienverhältnissen habe, insbesondere den ehelichen Verhältnissen. Ganz im Sinne Beselers führte Schmitt aus, daß sich in der gemeinrechtlichen Erweite-

397

Mertens S. 9 f. Vgl. Mertens S. 11, 16. 399 Dazu sogleich. 400 Vorlage Nr. 4/1877 von Schmitt, Nachdruck bei Schubert Vorlagen II S. 931 ff. 401 Vgl. Vorlage Nr. 4/1877 S. 2 ff. (Erbeinsetzungsvertrag), 17 f. (Vermächtnisvertrag). 402 Für die Zulässigkeit Hasse RheinMusJur 2 (1828) 149, 150, 218 und RheinMusJur 3 (1829) 1, 17 f. sowie Hartmann S. 73 ff.; dagegen Beseler Erbverträge II/1 S. 22 ff., 213 ff. und Erbverträge II/2 S. 109 ff.; monographisch zum Vermächtnisvertrag im gemeinen Recht Kugelmann, Gemeinrechtliche Begründung des particulären Erbvertrages, 1877. 403 Vorlage Nr. 4/1877 S. 7. 398

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rung mehr eine juristische Konsequenz als ein Bedürfnis des Lebens offenbare. Abgesehen von dieser Konsequenz spreche aber für eine Aufnahme des unbeschränkt zulässigen Erbvertrags seine weite Verbreitung. Mit dem gemeinen Recht, dem preußischen und sächsischen Recht sei der Erbvertrag in vier von fünf Teilen des Deutschen Reichs allgemein zugelassen.404 Mit dem Erbvertrag als allgemein zulässigem Rechtsinstitut verband Schmitt für den Entwurf seine Ablehnung des gemeinschaftlichen Testaments: „Der Sitz mancher Schwierigkeiten liegt endlich nicht sowohl darin, daß Erbvertrag und Testament neben einander Geltung haben, als in dem Institut des gemeinschaftlichen Testaments, welches eine unklare Mitte zwischen Testament und Vertrag hält. Mit der allgemeinen Zulassung des Erbvertrages wird das gemeinschaftliche Testament als besonderes Institut entbehrlich. Wird der vertragsgemäße Rücktrittsvorbehalt gestattet, so liegt hierin zugleich ein gewisser Schutz gegen die Gefahren der Bindung des Willens, wie gegen die Beeinträchtigungen des anderen Theils, da der Rücktritt vom Vertrage (wenigstens nach dem Entwurfe) wirksam nicht ohne dessen Wissen ins Werk gesetzt werden kann.“405

Dogmatisch begründete Schmitt den Erbvertrag als zweiseitiges Rechtsgeschäft von Todes wegen. Der Hartmann’schen Teilungstheorie406 erklärte er de lege ferenda eine Absage.407 Als Verfügung von Todes wegen begründe der Erbvertrag weder ein dingliches Recht noch ein gegenwärtiges Recht in dem Sinne, daß nur mehr der Tod des Erblassers die Voraussetzung für den Vermögensübergang bilde. Vielmehr begründe er lediglich das Recht, Erbe oder Vermächtnisnehmer zu werden. Bei Lebzeiten des Erblassers bestehe im allgemeinen die Befugnis desselben, über sein Vermögen unter Lebenden zu verfügen.408 Einschränkungen des Erblassers in seiner lebzeitigen Verfügungsfreiheit wurden in der Schmitt’schen Vorlage noch nicht angesprochen. Die Bindungswirkung des Erbvertrags begrenzte Schmitt grundsätzlich auf Anordnungen zugunsten des Vertragspartners. Anordnungen zugunsten Dritter sollten als letztwillige Verfügungen in der Regel dem einseitigen Widerruf des Erblassers unterliegen. Hierdurch war nach Schmitt ein gemeinschaftliches Testament in beschränktem Umfang gestattet.409 Eine Ausnahme von der freien Widerruflichkeit sah er bei gegenseitigen Erbverträgen vor. Setzten sich die Vertragspartner gegenseitig zu Erben ein und trafen sie sogleich Bestimmungen zugunsten Dritter, so sollte nach den Umständen zu beurteilen sein, „ob der Widerruf von der übereinkünftlichen Zustimmung des anderen Vertragschließenden abhängig gemacht werden wollte.“410 404 405 406 407 408 409

Vorlage Nr. 4/1877 S. 7 ff. Vorlage Nr. 4/1877 S. 9 f. Vgl. oben S. 71. Vgl. Vorlage Nr. 4/1877 S. 10 ff. Vorlage Nr. 4/1877 S. 13. Vgl. Vorlage Nr. 4/1877 S. 15.

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Teil 1: Schenkungen nach dem Tod eines Ehegatten

Das Verbot gemeinschaftlicher Testamente wurde von Schmitt in einer Beilage zu seinen Vorschlägen gesondert begründet.411 Während er für testamenta mere simultanea weder eine praktische Bedeutung noch einen vernünftigen Zweck feststellen konnte, treffe dies zwar nicht für die (äußerlich) gemeinschaftlichen Testamente als wechselseitige Testamente zu. Es könne jedoch nicht unbeachtet bleiben, daß in dem Institut des (äußerlich) gemeinschaftlichen Testaments selbst Gefahren lägen: „Den Hintergrund des wechselseitigen Testaments bildet aus Seite der Betheiligten eine Mischung von Vertrauen und Mißtrauen, ein Schwanken zwischen Wollen und Nichtwollen, ein mögliches Bestreben, den anderen Theil durch Vorzeigen der ihm in Aussicht gestellten Vortheile zur Theilnahme zu bewegen, nicht ohne stillen Vorbehalt, diese Vortheile später einseitig und vielleicht gegen Wissen des Anderen wieder wegzuziehen, aber auch eine gewisse, wenigstens faktische Beengung freier Widerruflichkeit. Dazu kommt eine nicht zu bestreitende Schwierigkeit in Eruirung des wirklichen Willens der Betheiligten, weil ein einheitlicher Ausdruck nichtsdestoweniger zwei Willen mit ihren Motiven und hinwieder das Verhältnis beider unter sich decken soll. Hinter den Nächstbetheiligten steht die beiderseitige Verwandtschaft mit eventuellen Rechten oder Hoffnungen.“412

Neben diesen Gefahren, die der gemeinschaftliche Errichtungsakt mit sich bringe, hatte Schmitt ebenso Bedenken gegen erbrechtliche Bindungen gemeinschaftlicher Testamente. Schwierigkeiten biete die juristische Konstruktion eines Instituts, welches eine unklare Mitte zwischen Erbvertrag und Testament halte. Auch spreche die Vielzahl von Prozessen und Kontroversen, die schon in der Wissenschaft namhafte Gegner des gemeinschaftlichen Testaments erzeugt hätten,413 gegen eine Zulassung dieses Rechtsinstituts.414 Noch beachtlicher sei, daß das gemeinschaftliche Testament von den Gesetzgebungen der „großen Gebiete“ (Frankreich, Preußen, Österreich) beseitigt oder zumindest wesentlich beschränkt worden sei.415 Unter anderem wurde von Schmitt diesbezüglich auch auf den damals gerade veröffentlichten Erbrechtsentwurf von Friedrich Mommsen416 verwiesen.417 Anders als beim wechselseitigen Testament – so Schmitt – ließe sich zwar für das korrespektive Testament unter Ehegatten ein gewisses 410

Vorlage Nr. 4/1877 S. 15 f. Vgl. Vorlage Nr. 4/1877 S. 22 ff. 412 Vorlage Nr. 4/1877 S. 25 f. 413 Hinweis auf: Suárez „in den Jahrbüchern Bd. 41 S. 82 ff., Bd. 52 S. 47“, Bluntschli3 S. 736 ff. und „insbesondere“ Beseler Erbverträge II/1 S. 336 ff. 414 Vorlage Nr. 4/1877 S. 26. 415 Soweit Schmitt hier auf Preußen und Österreich abstellte, meinte er die Beschränkung des gemeinschaftlichen Testaments auf Ehegatten (und Verlobte). 416 Entwurf eines Deutschen Reichsgesetzes über das Erbrecht nebst Motiven, 1876. Mommsen ließ das gemeinschaftliche Testament nur unter Ehegatten und Verlobten zu. Er kannte korrespektive Verfügungen, doch ließ er hier das Widerrufsrecht des Überlebenden auch dann bestehen, wenn dieser den anderen Ehegatten bereits beerbt habe (Entwurf: §§ 156 ff. [S. 38 ff.] und Motive S. 242 ff.). Ausführlich zu Momm411

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Bedürfnis ausmachen. Dies gelte insbesondere für in Gütergemeinschaft lebende Ehegatten, die nach manchen Statuten sogar gezwungen wären, gemeinschaftlich zu testieren.418 Da sich jedoch der Entwurf nicht für die Gütergemeinschaft als gesetzlichen Güterstand entschieden habe und dieser nur durch Vertrag eingeführt werden könne, sei das Bedürfnis leicht auf andere Weise zu befriedigen: „Hiermit ist von selbst der Weg gezeigt, auf welchem das unleugbare Bedürfnis seine Befriedigung finden muß, es ist eine Verbindung des Erbvertrags mit dem Ehevertrage, für Nichteheleute der Erbvertrag schlechthin; er reicht um so vollständiger, wenn der Vorbehalt des Widerrufs gestattet wird, [. . .].“419

Ein weiteres Mal sprach sich Schmitt damit deutlich für den Erbvertrag unter Rücktrittsvorbehalt als umfassenden Ersatz gemeinschaftlicher Testamente aus; ein Gedanke der bereits von Mommsen – allerdings ohne Rücktrittsvorbehalt – aufgeworfen worden war.420 Außerdem ließen sich nach Schmitt die mit dem korrespektiven Testament verbundenen Ergebnisse auch auf allgemeinem Weg erreichen. Ein zweiter Weg sei die Erbeinsetzung unter der Bedingung, „daß man hinwieder von dem Eingesetzten letztwillig bedacht sei.“ Eine Disposition dieser Art sei zulässig, da der Entwurf das Verbot kaptatorischer Verfügungen nicht aufgenommen habe. Dieser Weg reiche für alle Fälle, in denen die Beteiligten sich nicht durch Erbvertrag des Widerrufsrechts begäben oder dies ausdrücklich im Erbvertrag vorbehielten, und habe im Gegensatz zum (äußerlich) gemeinschaftlichen Testament den Vorwurf möglicher Täuschungen nicht gegen sich.421 bb) Beschlüsse der Kommission Die Vorschläge von Schmitt wurden von der Kommission weitgehend gebilligt.422 Die Zulassung des Erbvertrags gegen das römische Recht fand keinen Widerspruch.423 Nach eingehender Diskussion entschied sich die Kommission sens Entwurf Andres, Der Erbrechtsentwurf von Freidrich Mommsen – Ein Beitrag zur Entstehung des BGB, 1995. 417 Schmitt sah diesen Entwurf noch vor seiner Drucklegung durch und war von der Arbeit sichtlich sehr beeindruckt. Er warf die Frage auf, ob den Kommissionsberatungen nicht dieser Entwurf zugrunde zu legen sei, statt einen neuen Erbrechtsentwurf anzufertigen. Siehe Mertens S. 12 f.; vgl. Schmitt Begründung S. 35 f., nachgedruckt bei Schubert Vorlagen I S. 151 f. 418 Vorlage Nr. 4/1877 S. 26 f. 419 Vorlage Nr. 4/1877 S. 27. 420 Mommsen S. 244. Da Mommsen das gemeinschaftliche Testament letztendlich zuließ (vgl. oben Fn. 416), brauchte er sich über den Rücktrittsvorbehalt und damit über eine umfassende Ersatzlösung noch keine Gedanken zu machen. 421 Vorlage Nr. 4/1877 S. 27. 422 Vgl. Protokolle der Sitzungen vom 26. und 28.09.1877 (Schriftführer: Neubauer; zitiert nach der metallographierten Abschrift, jetzt mitgeteilt bei Jakobs/Schubert Beratung [Erbrecht] S. 35 ff.).

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dafür, den Erbvertrag allgemein zuzulassen. Ein Gegenantrag, wonach die vertragsweise Erbeinsetzung nur in Eheverträgen vorgesehen werden sollte, wurde mehrheitlich abgelehnt.424 Auch die dogmatische Konstruktion von Schmitt fand die Billigung der Kommission. Damit sei unter anderem entschieden, daß der Erblasser im allgemeinen nicht beschränkt sei, über sein Vermögen unter Lebenden zu verfügen.425 Beim zweiseitigen (wechselseitigen) Erbvertrag war sich die Kommission einig, daß der Überlebende an seine korrespektiven Verfügungen zugunsten Dritter gebunden bleibe.426 Der Referent des Erbrechts werde jedoch zu prüfen haben, ob bei einem Erbvertrag unter Widerrufsvorbehalt ein korrespektives Testament anzunehmen sei, was bedeute, daß der Überlebende nur dann zum Widerruf seiner Verfügungen berechtigt sei, sofern er auf die Erbschaft des Verstorbenen verzichte.427 Damit entschied sich die Kommission zumindest indirekt entgegen Schmitts Vorschlag für die Zulassung korrespektiver Testamente mit erbrechtlicher Bindungswirkung. Ausdrücklich wurde sodann festgestellt: „Unbestritten blieb, daß durch die heutigen Beschlüsse die Zulässigkeit des gemeinsamen Testaments für gewisse Fälle anerkannt sei. Ob dieses Testament im Allgemeinen für zulässig erachtet werden könne, wurde auf den Wunsch des Referenten der späteren Berathung vorbehalten.“428

Die großzügige Formulierung: „mit den heutigen Beschlüssen“ bezieht sich allein auf die zuvor mitgeteilten Ausführungen zum Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt. Mit den „gewissen Fällen“ war also zumindest das korrespektive Testament mit erbrechtlicher Bindungswirkung nach Annahme der Erbschaft gemeint. Die Frage, ob das gemeinschaftliche Testament, wie auch der Erbvertrag, im allgemeinen, das heißt nicht auf Eheleute beschränkt, zuzulassen sei, wollte Schmitt wohl zunächst ausgeklammert lassen und erst im Rahmen der späteren Kommissionsberatungen zum Erbrecht des ersten Entwurfs entschieden wissen. In den vorbereitenden Kommissionsberatungen wurde die von Schmitt in seiner Vorlage noch nicht erörterte Frage, ob der erbvertraglich gebundene Erblasser in seiner lebzeitigen Verfügungsfreiheit einzuschränken sei, speziell beim Vermächtnisvertrag aufgeworfen. Der späteren Beratung des fünften Buchs blieb vorbehalten, wie der Fall zu berücksichtigen sei, wenn eine spezielle Sache den Gegenstand des Vermächtnisvertrags bilde und der Erblasser diese unter

423 424 425 426 427 428

Vgl. Protokoll der Sitzung vom 26.09.1877 S. 1. Vgl. Protokoll (oben Fn. 423) S. 2. Protokoll (oben Fn. 423) S. 2 ff. Protokoll der Sitzungen vom 28.09.1877 S. 2 f. Protokoll (oben Fn. 426) S. 3. Ebenda.

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Lebenden veräußert habe, ob insbesondere dann der Erbe Wertersatz zu leisten habe.429 b) Teilentwurf zum Erbrecht (1879) Auf Grundlage dieser Kommissionsbeschlüsse stellte Schmitt seinen Teilentwurf fertig, den er 1879 der Kommission nebst ausführlicher Begründung vorlegen konnte.430 Die Begründung des Entwurfs entsprach in weiten Teilen den Ausführungen aus der Vorlage Nr. 4 von 1877. Aufgrund der vorbereitenden Kommissionsbeschlüsse fand nun auch das gemeinschaftliche Testament als eigenständiges Rechtsinstitut Aufnahme in den Teilentwurf. Allerdings vollzog sich diese Aufnahme im Vergleich zum damals geltenden Recht wie zum später beschlossenen Gesetz (§ 2267 BGB) nur eingeschränkt. Während das äußerlich gemeinschaftliche Testament (Simultantestament) weiterhin abgelehnt wurde (vgl. § 166 Abs. 1 S. 1 TE-ErbR), ließ der Entwurf wechselseitige und auch ausdrücklich korrespektive Verfügungen in zwei verschiedenen Testamenten zu (vgl. § 166 Abs. 2 TE-ErbR). In der Begründung des Teilentwurfs behielt Schmitt dennoch, neben dem Verweis auf den Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt als Ersatzmöglichkeit,431 den Hinweis bei, daß korrespektive Erbeinsetzungen auch mittels einer einfachen Bedingung oder – dies stellt eine Erweiterung gegenüber der Vorlage von 1877 dar: – Voraussetzung herbeigeführt werden könnten.432, 433 Die im Zusammenhang mit dieser Untersuchung entscheidende Frage der erbrechtlichen Bindung beim gemeinschaftlichen Testament wurde ähnlich dem späteren Gesetz (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB) dergestalt geregelt, daß der Widerruf zu Lebzeiten beider Testatoren stets möglich sei,434 wohingegen der Überlebende sein Widerrufsrecht hinsichtlich seiner korrespektiven Verfügungen zugunsten Dritter mit Annahme der Erbschaft verliere (vgl. § 166 Abs. 3 S. 1 TE-ErbR).435 Eine vergleichbare Rege429

Ebenda. Vorlage Nr. 1/1879 nebst Anlage von Schmitt, im weiteren Verlauf als „TEErbR“ und „Begründung“ zitiert. Nachdruck bei Schubert Vorlagen I S. 1 ff. und S. 95 ff., Fortsetzung: Schubert Vorlagen II S. 1 ff. 431 Die Zulässigkeit des vertragsmäßigen Rücktrittsvorbehalts ist in § 207 TE-ErbR geregelt. Zur Wirksamkeit des Rücktritts eines Teils sollte eine Mitteilung an den anderen Teil durch „rechtsförmliche Zustellung oder einen dieser gleichstehenden Akt“ erforderlich sein. 432 Begründung S. 394. 433 Während die herrschende Meinung im gemeinen Recht ein Abhängigkeitsverhältnis über die Bedingung konstruierte, wurde teilweise auch eine Konstruktion über die Voraussetzung angenommen. Siehe nur Windscheid7 § 588 Fn. 5 mit Plädoyer für die Voraussetzung. 434 Begründung S. 395: unter Hinweis auf den Testamentscharakter. 435 Begründung S. 396. 430

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lung war für den unter Rücktrittsvorbehalt geschlossenen Erbvertrag vorgesehen (vgl. § 216 Abs. 3 TE-ErbR). Dem einseitigen Widerrufsrecht entzogene Verfügungen zugunsten Dritter (vgl. § 216 Abs. 2 TE-ErbR) sollten vom überlebenden Teil dennoch zurückgenommen werden können, wenn dieser die ihm aufgrund des Vertrags angefallene Erbschaft des anderen ausschlage. Der Begründung des Teilentwurfs ist deutlich zu entnehmen, daß Schmitt einer erbrechtlichen Bindung beim gemeinschaftlichen Testament ablehnend gegenüberstand. So führte Schmitt beiläufig aus, daß Beseler gewiß nicht unrecht habe, wenn er eindringlich den Gedanken vertrete, daß mit dem wechselseitigen Testament, sofern es auf eine erbrechtliche Gebundenheit hinauslaufe, die wahre Natur der letztwilligen Verfügung zerstört werde.436 Auch die „offizielle“ Begründung für den Verlust des Widerrufsrechts wirkt sehr zurückhaltend: „Hätte der überlebende Theil die Erbschaft des verstorbenen bereits angenommen und wollte nun seine eigene Verfügung widerrufen, so fragt sich, ob dieser Widerruf mit der selbstverständlichen Wirkung der Wiederaufhebung jener Annahme (resolutiv bedingter Erwerb) zugelassen oder der Annahme die Wirkung des Verlustes der Widerrufsbefugnis beigelegt werden soll. Der Entwurf schließt sich mit der großen Mehrzahl der Rechte der letzteren Auffassung als der zweckmäßigeren Lösung an, ohne zu verkennen, daß die erstere dem Wesen des Testaments mehr entsprechen würde.“437

Bei der Auslegung des Berliner Testaments ging Schmitt von der Trennungslösung aus. Die ältere Einheitslösung wurde von ihm als „Verkehrung der Grundbegriffe“ verworfen. Niemand könne als sein eigener Erbe oder Fiduziarerbe gelten. Demzufolge erschienen jene Dritten, welche nach dem Tod des letztversterbenden Testators berufen seien, als direkt eingesetzte Erben in Beziehung auf das Vermögen des letzteren, als Nacherben in Beziehung auf das Vermögen des erstverstorbenen Testators.438 Als Beleg für die insoweit überwiegende Praxis wurden von Schmitt diverse Entscheidungen des preußischen Obertribunals zitiert.439 Von selbst ergebe sich hieraus, daß das Verhältnis des überlebenden Testators, welcher die Erbschaft des verstorbenen angenommen habe, soweit sein eigenes Vermögen bzw. sein eigener Nachlaß in Frage komme, „dem Verhältnisse eines unter Lebenden frei verfügenden, in Bezug auf Verfügungen von Todeswegen aber gebundenen Erblassers“ anzugleichen gewesen sei. Diese Auffassung werde gemeinrechtlich vertreten und sei auch im preußischen Recht die herrschende.440 Für das Verhältnis des bindend Bedach436 Begründung S. 395 und dort Fn. 1 unter Hinweis auf Beseler Erbverträge II/1 S. 336 ff. 437 Begründung S. 396. 438 Ebenda. 439 Begründung S. 396 f. mit Hinweis auf: PrOTE 18, 34; 23, 193; 64, 162; PrOT Striethorst 5, 1; 51, 1; 79, 291. 440 Begründung S. 397 unter Hinweis auf Roth S. 400 f. und PrOT Striethorst 34, 50 ff.

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ten gegenüber dem Überlebenden sowie dessen Nachlaß verweist der Teilentwurf auf die §§ 214 bis 216 TE-ErbR aus dem Erbvertragsrecht (vgl. § 166 Abs. 3 S. 2 TE-ErbR). Diese Vorschriften stellen mit § 215 TE-ErbR eine Auslegungsregel für das Berliner Testament zur Verfügung (Trennungslösung). Diese Auslegungsregel übernahm Schmitt aus dem Erbrechtsentwurf von Mommsen (vgl. dort § 160) unter Hinweis auf dessen Motive.441 Über eine Einschränkung der Verfügungsfreiheit unter Lebenden ist in den §§ 214 bis 216 TE-ErbR keine Aussage getroffen. Der Grundsatz der lebzeitigen Verfügungsfreiheit des Vertragserblassers (vgl. § 210 TE-ErbR) erfährt im Teilentwurf eine Einschränkung. Das Recht des Vertragserben könne freilich nicht durch rücksichtslose Benutzung der Veräußerungsbefugnis unter Lebenden beeinträchtigt werden.442 Während Schmitt unter der Voraussetzung, daß der allgemeine Teil des Gesetzbuchs eine entsprechende Vorschrift enthalten werde, davon absah, dem Vertragserben das Recht einzuräumen, die Entmündigung des Erblassers wegen Verschwendung zu beantragen,443 sah er mit § 211 TE-ErbR eine Anfechtung doloser Veräußerungen vor. Entgeltliche Veräußerungen sollten dem Anfechtungsrecht unterliegen, wenn der Erblasser in dem Erwerber bekannter Benachteiligungsabsicht gehandelt habe (vgl. § 211 Abs. 1 TE-ErbR). Unentgeltliche Veräußerungen sollten bei Bereicherung des Erwerbers in jedem Fall anfechtbar sein (vgl. § 211 Abs. 2 TE-ErbR); in diesen Fällen sei der dolus zu unterstellen.444 Schmitt wähnte sich mit der vorgesehenen Einschränkung im Einklang mit der gemeinrechtlich herrschenden Meinung sowie im Anschluß an den Entwurf von Mommsen (dort § 199 Abs. 2).445 Hartmanns Ansicht von einer gänzlich unbeschränkten lebzeitigen Verfügungsfreiheit des erbvertraglich gebundenen Erblassers lehnte Schmitt schlicht als unzureichend begründet ab.446 Die von der Kommission bereits aufgeworfene Frage nach dem Schutz des vertraglich bedachten Vermächtnisnehmers löste Schmitt im Teilentwurf mit der Regelung des § 219 TE-ErbR. Danach erhält der Vermächtnisnehmer einen Wertersatzanspruch, wenn ihm der Gegenstand des Vermächtnisses auf andere Weise als durch Zufall oder eigenes Verschulden entzogen sei.447 441

Dazu Mommsen (Motive) S. 246 f.; vgl. Begründung S. 525. Begründung S. 516. 443 Vgl. Ebenda. 444 Begründung S. 517. Gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke sollten dem Anfechtungsrecht entzogen sein (vgl. § 211 Abs. 4 TE-ErbR). 445 Begründung S. 517 unter Hinweis auf: Mommsen (Motive) S. 269; Förster § 247 bei Fn. 42 (S. 39); Beseler System3 § 138 lit. B Ziff. III (S. 578); Beseler Erbverträge II/1 S. 259 ff.; OAG Oldenburg SeuffArch 17, 264, Obergericht Wolfenbüttel SeuffArch 23, 198. Vgl. zum gemeinen Recht die Darstellung oben S. 98 ff. 446 Vgl. Begründung S. 517 mit Hinweis auf Hartmann S. 57 ff. (vgl. bereits oben S. 98). 447 Dazu Begründung S. 535. 442

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Ob Schmitt davon ausging, daß diese speziellen Schutzvorschriften aus dem Erbvertragsrecht (§§ 211, 219 TE-ErbR) auch zugunsten des durch gemeinschaftliches Testament bindend Bedachten gelten sollten, ist fraglich. Dafür könnte seine oben mitgeteilte Bemerkung sprechen, daß der Überlebende „dem Verhältnisse eines unter Lebenden frei verfügenden, in Bezug auf Verfügungen von Todeswegen aber gebundenen Erblassers anzugleichen war, wie denn diese Auffassung gemeinrechtlich vertreten und im preußischen Recht die herrschende ist, Roth §. 316 S. 401, 401; Striethorst 34, 50.“

Allerdings scheint diese Bemerkung allein im Zusammenhang mit seiner Entscheidung für die Trennungslösung zu stehen. Zum einen spricht hierfür seine Bezugnahme auf die preußische Rechtspraxis. Schmitt zitiert mit „Striethorst 34, 50“ eine Entscheidung des preußischen Obertribunals, in der bei der Auslegung eines Berliner Testaments die Trennungslösung zugrunde gelegt, hingegen keine Aussage über eine Einschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit des Überlebenden über sein eigenes Vermögen getroffen wurde. Ferner ist mit den Ausführungen in dieser Arbeit zur Rechtspraxis im preußischen Recht zu berücksichtigen, daß dort die erbvertraglichen Vorschriften zur Einschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit gerade nicht übertragen wurden.448 Weiter ist das von Schmitt gewählte Tempus bei seiner Aussage zu berücksichtigen (. . . anzugleichen war, . . .). Dieses deutet auf die Begründung einer im Entwurf bereits vorgenommenen Angleichung hin. Es muß daher angenommen werden, daß die Aussage lediglich den Verweis in § 166 Abs. 3 S. 2 TE-ErbR auf die §§ 214 bis 216 TE-ErbR begründet. Da von diesem Verweis die §§ 211, 219 TE-ErbR nicht erfaßt sind, kann von einer bewußten Übernahme der Schutzvorschriften aus dem Erbvertragsrecht nicht ausgegangen werden. Naheliegend ist daher die Annahme, daß Schmitt die Frage einer Einschränkung der Verfügungsfreiheit unter Lebenden beim gemeinschaftlichen Testament unberücksichtigt ließ. Ob dies versehentlich geschah, sei zunächst dahingestellt. g) Revidierter Teilentwurf von 1886 Der Teilentwurf zum Erbrecht konnte aufgrund der zuvor erfolgenden Beratung zu den ersten vier Büchern des Gesamtentwurfs erst im Mai 1886 beraten werden. Die bis dahin getroffenen Kommissionsbeschlüsse zu den anderen Teilentwürfen machten Änderungen des Erbrechtsentwurfs von 1879 notwendig. Um die Beratungen zu erleichtern, legte Schmitt einen abgeänderten Entwurf vor,449 der die bis dahin gefaßten Beschlüsse der ersten Kommission berücksich-

448

Siehe oben S. 107 f. Vgl. Änderungsvorschläge zum Entwurf von 1879 nebst Bemerkungen, im weiteren Verlauf der Arbeit als „TE-ErbR rev.“ und „Änderungsvorschläge“ zitiert. Nachdruck bei Schubert Vorlagen II S. 551 ff., 649 ff. 449

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tigte. Die Abänderungen betrafen in der Regel nicht den materiellen Inhalt des Entwurfs von 1879, sie waren meist nur formaler oder terminologischer Art.450 So wurde beispielsweise bei der Regelung des korrespektiven Testaments (§ 166 Abs. 2 TE-ErbR) mit Blick auf den sog. Kommissionsentwurf davon abgesehen, das Abhängigkeitsverhältnis der Kategorie der Bedingung oder der Voraussetzung zuzuordnen (vgl. § 166 Abs. 2 TE-ErbR rev.).451 Abgesehen von dieser redaktionellen Überarbeitung erfuhren die Regelungen für das gemeinschaftliche Testament keine weiteren Veränderungen. Zwar wurde im allgemeinen Teil des Kommissionsentwurfs kein Antragsrecht des Vertragserben wegen Verschwendung aufgenommen, jedoch verzichtete Schmitt auch in seinem überarbeiteten Teilentwurf auf die Aufnahme eines solchen Rechts, da der Redaktor des allgemeinen Teils dieser Frage im Einführungsgesetz näher treten sollte.452 Das oben erwähnte Anfechtungsrecht des bindend Bedachten aus § 211 TE-ErbR wurde in einen Bereicherungsanspruch abgeändert (vgl. § 211 Abs. 1 TE-ErbR rev.). Hierzu sah sich Schmitt veranlaßt, da die Kommission im allgemeinen Teil die dingliche Wirkung der Anfechtung festgelegt hatte. Schmitt sah keinen hinreichenden Grund, die absolute Wirkung der Anfechtung im Erbrecht über andere Mängel als solche der Willensbildung hinaus auszudehnen.453 Die Regelung des § 211 Abs. 1 TE-ErbR wurde gestrichen. Entgeltliche Veräußerungen in Benachteiligungsabsicht seien bereits über das Deliktsrecht erfaßt. Sie fielen, sofern in dem wissentlichen Abschluß des Geschäfts ein Verstoß gegen die guten Sitten zu erblicken sei, unter § 699 KE (actio doli, dem Vorläufer des § 826 BGB). Daß die allgemeinen Grundsätze über Schuldverhältnisse aus unerlaubten Handlungen Anwendung fänden, bedürfe keines Hinweises. Ferner führte Schmitt aus, der Wert dieses gemeinrechtlich umstrittenen Rechtsmittels werde ohnehin nicht sehr groß sein, da der Beweis eines dolus des verstorbenen Erblassers nicht leicht fallen dürfte. Damit reduzierte Schmitt den Schutz des Vertragserben auf einen Bereicherungsanspruch bei unentgeltlichen Veräußerungen; diese bezeichnete er im Einklang mit den bis dahin getroffenen Kommissionsbeschlüssen nunmehr als Schenkungen und Schenkungsversprechen (vgl. § 211 Abs. 1 TE-ErbR rev.).454 Es komme nur darauf an, die größte Ungebühr abzuhalten, welche in entgeltlosen Veräußerungen zu finden sei.455

450

Mertens S. 14 f.; vgl. Änderungsvorschläge S. 1. Dazu Änderungsvorschläge S. 97. 452 Vgl. Änderungsvorschläge S. 103 und dort Fn. 1. 453 Änderungsvorschläge S. 101 f. 454 Bei „Schenkungen, welche durch eine sittliche Pflicht oder die auf den Anstand zu nehmende Rücksicht gerechtfertigt sind,“ sollte kein Bereicherungsanspruch geben sein (vgl. § 211 Abs. 3 S. 2 TE-ErbR rev.). 455 Änderungsvorschläge S. 103. 451

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d) Beratungen der ersten Kommission – Erster Entwurf 456 Die erste Kommission entschied sich mit der Argumentation aus der Begründung des Teilentwurfs für ein ausdrückliches Verbot äußerlich gemeinschaftlicher Testamente (vgl. § 1913 E I).457 Nach den Anträgen der Kommissionsmitglieder war es einzig der sächsische Jurist Anton von Weber der die Errichtungsmöglichkeit von Testamenten in einem Akt – allerdings nur für Ehegatten – forderte.458 Selbst der für den Teilentwurf des Familienrechts zuständige Redaktor und spätere Generalreferent der zweiten Kommission Gottlieb Planck (Preußen) schien sich in den Beratungen noch nicht für die Möglichkeit einer äußerlich gemeinschaftlichen Testamentserrichtung unter Eheleuten ausgesprochen zu haben.459 Im Rahmen der Diskussion über den Antrag von Weber wurde bemerkt: „Bei der Verbreitung, welche die gemeinschaftlichen Testamente der Ehegatten in Deutschland gefunden hätten, werde deren Beseitigung während der ersten Zeit des Bestehens des Gesetzbuches als eine Beengung vielleicht empfunden werden. Allein die Rechtsentwicklung, welche diese Testamente begünstigt habe, sei unverkennbar eine abwegige gewesen. Die gemeinschaftlichen Testamente der Ehegatten seien von schweren Übelständen begleitet gewesen und hätten von jeher eine Quelle von Streitigkeiten gebildet. Aufgabe einer neuen Gesetzgebung sei es, die Betretung des rechten Weges anzubahnen, der in der Benutzung des Erbvertrages liege. Der letztere werde um so mehr allen Anforderungen gerecht zu werden geeignet sein, wenn, wie im § 207 des Entwurfs [TE-ErbR; später § 1958 E I] in Aussicht genommen sei, der vertragsmäßige Vorbehalt des Widerrufes zugelassen werde.“460

Die in das Sitzungsprotokoll aufgenommene Bemerkung entspricht ganz der von Schmitt bereits mit seiner Vorlage Nr. 4/1877 mitgeteilten Begründung. Es 456 Im Folgenden wird auf die Protokolle der ersten Kommission über die Beratung der Teilentwürfe zurückgegriffen (zitiert nach der metallographierten Abschrift; jetzt mitgeteilt bei Jakobs/Schubert Beratung [Erbrecht] S. 43 ff.). Ergänzend wird auf die sog. Motive zum ersten Entwurf verwiesen. Über ihren zweifelhaften Wert für die historische Quellenforschung äußerte sich bereits Schubert Einführung [S. I f.]; vgl. auch Schubert Entstehung S. 34 f. Die Motive zum Erbrecht wurden unter Aufsicht und Mitwirkung Schmitts von seinem Hilfsarbeiter Neubauer auf Grundlage der Begründungen zum Teilentwurf und der hier verwerteten Kommissionsprotokolle erstellt. Von einer Prüfung und Genehmigung durch die Kommission wurde aus praktischen Gründen abgesehen (siehe Mertens S. 16; vgl. allgemein Schubert jeweils a. a. O.). 457 Vgl. Protokoll der 599. Sitzung vom 12.11.1886 (Schriftführer: Börner), S. 9755 f., 9761 unter Hinweis auf Begründung S. 393 f. (vgl. dementsprechend Vorlage Nr. 4/1877 S. 26); vgl. Motive S. 253 f. 458 Vgl. Protokoll (oben Fn. 457) S. 9752 (Antrag Nr. 2 lit. a; Akten des Reichsjustizamts, Antrag Nr. 156 Ziff. 3 lit. a – Weber [S. 174 f.]; vgl. auch Jakobs/Schubert Beratung [Erbrecht] S. 1672 f.). 459 Vgl. Protokoll (oben Fn. 457) S. 9754, 9761 (Antrag Nr. 4; Akten des Reichsjustizamts, Antrag Nr. 173 – Planck [S. 192]; vgl. auch Jakobs/Schubert Beratung [Erbrecht] S. 1673). Später stellte Planck AcP 75 (1889) 327, 403 die Zweckmäßigkeit der Kommissionsentscheidung in Frage. 460 Protokoll (oben Fn. 457) S. 9761 f.; vgl. Motive S. 256 f.

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ist daher anzunehmen, daß er als Redaktor des Erbrechts dem Antrag von Weber während der Sitzung entgegengetreten ist. Die von Schmitt im Anschluß an die vorbereitenden Kommissionssitzungen aufgenommene Regelung für korrespektive Testamente (§ 166 Abs. 2 und 3 TE-ErbR), insbesondere die dort vorgesehene Bindungswirkung nach Annahme der Erbschaft durch den Überlebenden, wurde von der Kommission abgelehnt: „Der Fall, daß zwei reziproke Testamente errichtet worden seien, biete nichts Besonderes. Dasselbe gelte in der Hauptsache von korrespektiven Testamenten, welche lediglich den Inhalt hätten, daß mehrere Personen sich gegenseitig unter der Voraussetzung oder Bedingung als Erben einsetzten, daß die Einsetzung eine gegenseitige bleibe, mithin der Eingesetzte seine Verfügung nicht widerrufe. [. . .] Nicht so einfach gestalte es sich, wenn zwei Personen nicht bloß sich gegenseitig unter der Bedingung bezw. Voraussetzung des Nichtwiderrufens als Erben einsetzen, sondern außerdem eine jede für den Fall ihres Ueberlebens Anordnungen zu Gunsten Dritter treffe und die Bedingung oder Voraussetzung sich auch auf den Fortbestand dieser Anordnungen erstrecke. Zwar ergäben sich für den Fall keine erheblichen Schwierigkeiten, daß bei Lebzeiten beider Theile der eine seine letztwillige Verfügung widerrufe oder daß der Ueberlebende die Erbschaft des Verstorbenen ausschlage. Anders aber, wenn der Ueberlebende die Erbschaft des Verstorbenen angenommen habe und hierauf, vielleicht erst nach langer Zeit, die von ihm zu Gunsten Dritter getroffenen Anordnungen widerrufe. Eine weitverbreitete Meinung, die namentlich auch in das sächsische Gesetzbuch (§ 2114) übergegangen sei, behandele den Widerruf solchenfalls als unzulässig, indem sie aufstelle, daß die Annahme der Erbschaft des Verstorbenen den Verlust des Widerrufsrechtes in sich schließe. Nach der entgegengesetzten Auffassung (vergl. u. a. Mommsen’s Entwurf § 161) soll der Widerruf zulässig sein, jedoch unbeschadet der Folgen, welche sich an die Nichterfüllung der Bedingung bezw. Voraussetzung der Verfügung des Verstorbenen knüpfen. Der Entwurf stelle sich in Abs. 3 [§ 166 TE-ErbR] auf den ersteren Standpunkt. Die entsprechende Regelung habe unverkennbar ihre Vorzüge, unter denen derjenige der Einfachheit nicht der geringste sei. Gleichwohl müsse Bedenken getragen werden, den rein positiven Satz aufzunehmen. Gegen denselben spreche vor Allem, daß der Ausschluß des Widerrufes mit dem Wesen der letztwilligen Verfügung in Widerspruch stehe. [. . .] Desweiteren schaffe man eine Zwitterbildung, ein Testament, das durch die Annahme des Zugewendeten die Wirkungen eines Erbvertrags erhalte. Ein solches Institut sei an sich wenig ansprechend und um so bedenklicher, als damit zugleich ein Mittel geboten werde, absolute Vorschriften des Gesetzes zu umgehen. Eine Person, die fähig wäre, zu testieren, aber nicht einen Erbvertrag zu schließen (vergl. Entw. § 201461), könne durch Errichtung eines derartigen Testamentes und hinzutretende Annahme des Nachlasses des Vorverstorbenen durch Vermittlung des gesetzlichen Vertreters [vgl. § 2043 E I] unwiderruflich sich binden bezw. gebunden werden, während das Gesetz dies für gefährlich erachte und deshalb die Fähigkeit, einen Erbvertrag einzugehen, versagt habe.“462

461 462

§ 201 TE-ErbR = § 1942 E I. Protokoll (oben Fn. 457) S. 9756 ff.; vgl. Motive S. 254 f.

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Teil 1: Schenkungen nach dem Tod eines Ehegatten

Die Kommission war sich zwar durchaus bewußt, daß ihre Entscheidung gegen den Verlust des Widerrufsrechts ebenfalls nicht ohne Bedenken sei. Sie verdiene dennoch den Vorzug. Sei die Erbeinsetzung unter der Voraussetzung erfolgt, daß der Überlebende seine Verfügungen nicht widerrufe, unterliege die Verfügung zu seinen Gunsten der Anfechtung. Die Kommission erkannte hier die Problematik, daß es an einem Anfechtungsberechtigten fehlen könne, weil der Überlebende selbst alleiniger gesetzlicher Erbe des Verstorbenen und mithin alleiniger Anfechtungsberechtigter sei. Sie sah hierin aber keinen genügenden Grund für den Gesetzgeber tätig zu werden. Sei der Fortbestand der Verfügung des Überlebenden nicht zur Voraussetzung, sondern zur Bedingung seiner Erbeinsetzung gemacht worden, so falle diese Erbeinsetzung im Falle des Widerrufs weg. Der Überlebende habe den Nachlaß an diejenigen herauszugeben, die gesetzliche Erben des Verstorbenen wären, wenn dieser zur Zeit des Widerrufs gestorben wäre. Soweit hierdurch den von dem Verstorbenen nachfolgend Bedachten die Zuwendung verloren gehe, seien diese zwar hart getroffen, aber sie hätten dies als Folge des Vorgehens des Verstorbenen hinzunehmen. Dieser hätte die Mittel in den Händen gehabt, die Durchführung seines Willens zu sichern.463 Unter anderem wurde insoweit ein weiteres Mal auf den Erbvertrag verwiesen.464 Die Entscheidung der ersten Kommission für eine uneingeschränkte Widerruflichkeit korrespektiver Testamente und damit gegen den von Schmitt vorgelegten Teilentwurf ist aufgrund der „Vorgaben“, die dieser im Vorwege von der Kommission erhalten hatte,465 zunächst etwas irritierend. Es muß jedoch berücksichtigt werden, daß seit der entgegengesetzten Entscheidung der Kommission neun Jahre vergangen waren. Personell änderte sich die Zusammensetzung der ersten Kommission in dieser Zeit nur durch das Ausscheiden Bernhard Windscheids (Baden).466 Da sich dieser unter anderem in seinem „Lehrbuch des Pandektenrechts“ für die unbeschränkt freie Widerruflichkeit gemeinschaftlicher Testamente aussprach,467 kann der Stimmungswechsel wohl kaum auf seinen fehlenden Einfluß zurückgeführt werden. Die eingebrachten Anträge zeigen, daß sich die Kommissionsmitglieder Karl Kurlbaum (Preußen), Gustav von Mandry (Württemberg) und Planck bereits vor der Beratung gegen einen Verlust des Widerrufsrechts nach Annahme der Erbschaft ausgesprochen hatten.468 Le463

Protokoll (oben Fn. 457) S. 9759 ff.; vgl. Motive S. 255 f. Vgl. Protokoll (oben Fn. 457) S. 9760 a. E.; vgl. Motive S. 256. 465 Vgl. oben S. 116. 466 Zur personellen Zusammensetzung der ersten Kommission bis zum Abschluß der Beratungen des fünften Buchs Schubert in Jakobs/Schubert Beratung (Materialien) S. 36 ff., 47 f. 467 Siehe Windscheid7 § 568 Fn. 7 (ebenso in den Vorauflagen). 468 Vgl. Protokoll (oben Fn. 457) S. 9751 ff.: Antrag Nr. 1, Akten des Reichsjustizamts, Antrag Nr. 164 Ziff. 1 – Kurlbaum (S. 183); Antrag Nr. 3 lit. b und Eventualantrag, Akten des Reichsjustizamts, Antrag Nr. 169 – Mandry (S. 188); Antrag Nr. 4, 464

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diglich Weber, der sich schon für das Simultantestament unter Ehegatten aussprach,469 ging erkennbar von einem derartigen Verlust des Widerrufsrechts aus.470 Da er jedoch erwog, die Beratung über die Zulässigkeit und Wirkung gemeinschaftlicher Testamente bis zur Beschlußfassung über die Zulässigkeit des Widerrufsvorbehalts bei Erbverträgen auszusetzen,471 scheint auch er der Ansicht gewesen zu sein, daß der Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt entsprechenden Ersatz biete. Da die aus dem Beratungsprotokoll zu entnehmende Kommissionsdiskussion im wesentlichen der bereits von Schmitt in seiner Vorlage von 1877 sowie zum Teil auch in seiner Entwurfsbegründung von 1879 vorgebrachten Argumentation entsprach, muß wohl angenommen werden, daß es dem Redaktor des Erbrechts gelungen ist, die Kommission von seinen Bedenken gegen den Eintritt einer erbrechtlichen Bindungswirkung beim gemeinschaftlichen Testament zu überzeugen.472 Der erste Entwurf beschränkte sich damit nicht auf das Verbot des Simultantestaments; mit der Ablehnung spezieller Vorschriften für korrespektive Testamente fand das gemeinschaftliche Testament als Rechtsinstitut keine Aufnahme in den Entwurf. Aufgrund der uneingeschränkten Widerruflichkeit letztwilliger Verfügungen konnte sich die Frage, ob die speziellen Schutzvorschriften zugunsten erbvertraglich Bedachter (§§ 211, 219 TE-ErbR) auch beim gemeinschaftlichen Testament Anwendung finden sollen, gar nicht stellen. Im Gegensatz zu Schmitts Teilentwurf schränkte die erste Kommission den Schutz des durch Vertrag bedachten Vermächtnisnehmers ein, indem sie diesen gemäß § 1956 Abs. 3 S. 2 E I lediglich auf den für den Vertragserben geltenden Bereicherungsanspruch aus § 1952 E I gegen den Beschenkten verwies. Damit werde eine weiterreichende Beschränkung des Erblassers beim Vermächtnisvertrag, wie sie beispielsweise auch von Kreittmayr zum bayerischen Landrecht vertreten worden sei,473 abgelehnt. Ein Wertersatzanspruch würde das vertragsmäßige Vermächtnis zu einem „Mitteldinge“ zwischen einem Rechtsgeschäft unter Lebenden und einer Verfügung von Todes wegen machen.474 Der Anspruch des Vertragserben aus § 1952 Akten des Reichsjustizamts, Antrag Nr. 173 – Planck (S. 192); vgl. auch Jakobs/Schubert Beratung (Erbrecht) S. 1672 f. 469 Vgl. soeben oben S. 122. 470 Protokoll (oben Fn. 457) S. 9752 (Antrag Nr. 2 lit. c; Akten des Reichsjustizamts, Antrag Nr. 156 Ziff. 3 lit. c – Weber [S. 174 f.]; vgl. auch Jakobs/Schubert Beratung [Erbrecht] S. 1672 f.). 471 Ebenda (Eventualantrag). 472 Anders Färber S. 145 f., allerdings ohne Berücksichtigung der Vorgeschichte des Teilentwurfs. 473 Hinweis auf: Kreittmayer Anm. 6a zu CMBC III 11 § 1. Dieser ging zumindest beim Vermächtnisvertrag noch mit S. Stryk davon aus, daß für den Bedachten ein dingliches Recht begründet werde (vgl. oben S. 98). 474 Zur Beratung des § 219 TE-ErbR: Protokoll der 614. Sitzung vom 17.12.1886 (Schriftführer: Börner) S. 10031 ff., dort S. 10045 ff.; vgl. Motive S. 337.

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Teil 1: Schenkungen nach dem Tod eines Ehegatten

E I wegen beeinträchtigender (keine Absicht!) Schenkungen wurde inhaltlich weitestgehend dem § 211 TE-ErbR rev. entsprechend übernommen. Insbesondere wurde Schmitts Entscheidung ausdrücklich gebilligt, daß die Schutzvorschrift wegen § 699 KE (§ 705 E I) lediglich auf Schenkungen zu begrenzen sei.475 Im übrigen war die Kommission der Ansicht, „daß die Entscheidung der Frage, ob der Erwerber unter Umständen nach den Grundsätzen über unerlaubte Handlungen haftpflichtig werden könne, der Doktrin und Praxis anheimzustellen sei.“476, 477 Das Recht des Vertragserben, die Entmündigung des Erblassers wegen Verschwendung zu beantragen, wurde schließlich in den Entwurf des Einführungsgesetzes aufgenommen (vgl. dort Art. 11 § 621 Abs. 4). Im ersten Entwurf beschränkte sich die Frage nach der erbrechtlichen Konstruktion im Falle gegenseitiger Erbeinsetzungen in Verbindung mit Anordnungen zugunsten Dritter für die Zeit nach dem Tod des Überlebenden nur noch auf Verfügungen in Erbverträgen („Berliner Erbvertrag“). Anders als im Teilentwurf, entschied sich die erste Kommission gegen die von Schmitt in § 215 TEErbR vorgeschlagene Trennungslösung.478 Die Kommission sah von einer gesetzlich geregelten Konstruktion oder Zweifelsregelung gänzlich ab, um „die Entscheidung der Würdigung des einzelnen Falles zu überlassen.“479 Dies hielt sie allerdings nicht davon ab, dennoch eine bestimmte Lösung zu favorisieren, die dann auch 1888 mit den „Motiven“ zum ersten Entwurf veröffentlicht wurde: „Gehe die Absicht der Vertragschließenden einfach dahin, der Ueberlebende solle freie Verfügung über das Ganze haben und das Verbleibende den beiderseitigen Verwandten zukommen, so liege es am nächsten, die getroffenen Anordnungen juristisch so zu verstehen, daß jeder Theil den anderen zum Erben eingesetzt und zugleich für den Fall, daß er der überlebende sein sollte, die beiderseitigen Verwandten zu seinen Erben berufen habe.“480

Nach dieser Lösung, die von der Kommission als frei von jeder Verwicklung bezeichnet wurde, sollten die beiderseitigen Verwandten nur als Erben des 475

Unter Hinweis auf Änderungsvorschläge S. 103. Zur Beratung des § 211 TE-ErbR: Protokoll der 612. Sitzung vom 13.12.1886 (Schriftführer: Börner) S. 9989 ff.; vgl. Motive S. 328 ff. 477 Nebenbei sei angemerkt, daß während der Kommissionsberatungen der Antrag von Mandry (Antrag Nr. 1; Akten des Reichsjustizamts, dort Antrag Nr. 214 Ziff. 1; vgl. Jakobs/Schubert Beratung [Erbrecht] S. 1783) abgelehnt wurde, den § 211 TEErbR ersatzlos zu streichen. Ferner lehnte es die Kommission ab, den Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt für die Zeit des nicht erklärten Rücktritts vom Schutzbereich der Vorschrift auszunehmen. Damit würde ein teilweiser Rücktritt gestattet, der nicht einmal dem Vertragserben erklärt zu werden brauche (Protokoll [oben Fn. 476] S. 9997; vgl. Motive S. 330). 478 Zur Beratung des § 215 TE-ErbR: Protokoll (oben Fn. 474) S. 10036 ff.; vgl. Motive S. 337 ff.; siehe auch Färber S. 79 ff. 479 Protokoll (Fn. 474) S. 10039; vgl. Motive S. 338. 480 Ebenda. 476

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Überlebenden in Betracht kommen.481 Damit zeigte die erste Kommission eine bis dahin in Literatur und Rechtsprechung unbekannte Auslegungsregel auf, die bereits wenig später in der oben bereits mitgeteilten Rechtsprechung des Reichsgerichts zum gemeinen Recht wiederzufinden war.482 e) Kritik am ersten Entwurf Die erbrechtlichen Regelungen des ersten Entwurfs wurden unterschiedlich aufgenommen, insgesamt gesehen jedoch günstiger als der übrige Entwurf.483 Die Entscheidung der ersten Kommission, das gemeinschaftliche Testament als eigenständiges Rechtsinstitut abzuschaffen, gehörte mit zu den aufsehenerregendsten Neuerungen, die das fünfte Buch des ersten Entwurfs mit sich brachte. In Wissenshaft und Praxis erfuhr diese Neuerung nur vereinzelt Zuspruch.484 Die Bundesregierungen äußerten sich zumeist entsprechend dem jeweils in ihren Ländern geltenden Recht; so verwundert es nicht, daß sich die Zustimmung im wesentlichen auf diejenigen Länder beschränkte, deren Rechtsordnung dem französischen Recht folgte.485 Die Regelung des § 1913 E I stieß vor allem deshalb auf massive Ablehnung, weil Ehegatten und Verlobte von dem Verbot der gemeinschaftlichen Testamentserrichtung nicht ausgenommen wurden.486 Maßgeblich beteiligt an der Kritik war der Zwanzigste Deutsche Juristentag in Straßburg. Auf der Grundlage zweier Gutachten der Berliner Rechtsanwälte und Notare Carl Laué und Wilke487 sowie nach ausgiebiger Beratung seiner dritten 481

Vgl. Protokoll (Fn. 474) S. 10039; vgl. auch Motive S. 338 f. Siehe oben S. 104. Färber S. 81 f. führt die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf die in den Motiven veröffentlichte Konstruktion der ersten Kommission zurück. Die erste Kommission müsse wenn nicht gar als Schöpfer, so doch als erster ausdrücklicher Verfechter der Einheitslösung gelten. 483 Zur allgemeinen Kritik am ersten Entwurf insgesamt Schubert Entstehung S. 35 ff. und knapp Schubert in Jakobs/Schubert (Materialien) S. 50; allgemein zur Kritik am fünften Buch Mertens S. 17 f.; siehe auch Zusammenstellung (Gutachten) S. 1 ff. 484 So beispielsweise von Stein S. 476 f. und Ubbelohde AcP 75 (1889) 36, 67. Siehe ergänzend vereinzelte Nachweise in Zusammenstellung (Gutachten) S. 42 f. 485 Vgl. nur Zusammenstellung (Bundesregierungen) I S. 176 ff. und II S. 41. Grundlage der kritischen Äußerungen der Länder war ein Schreiben des Reichskanzlers vom 27.06.1889, in dem die wichtigsten rechtspolitischen Fragen zusammengefaßt waren (Schubert in Jakobs/Schubert [Materialien] S. 50 und dort Mitteilung des Briefes: S. 329 ff.). Zu den wichtigsten Fragen zählte mit Ziff. 60 die Unzulässigkeit gemeinschaftlicher Testamente, insbesondere unter Ehegatten, vgl. Jakobs/Schubert a. a. O. S. 333). 486 Vgl. die umfassende Darstellung in Zusammenstellung (Gutachten) S. 43 ff. mit zahlreichen Nachweisen. Siehe ferner die Äußerungen der Bundesregierungen von Preußen, Bayern und Sachsen (entsprechend dem sächsischen Recht für allgemeine Zulassung) in Zusammenstellung (Bundesregierungen) I S. 176 ff. 487 Eingangs als kritische Stimme zur hier in Frage gestellten Analogie erwähnt (vgl. oben S. 40). 482

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Abteilung – mit dem Marburger Rechtslehrer Ludwig Enneccerus als Referenten – entschied sich der Juristentag nahezu einstimmig für die Zulassung des gemeinschaftlichen Testaments unter Ehegatten und Verlobten.488, 489 Es wurde als unnatürlich und dem Wesen der Ehe widersprechend empfunden, daß Ehegatten die gemeinschaftliche Errichtung letztwilliger Verfügungen verwehrt werden sollte.490 Hieran könne auch die Entscheidung der ersten Kommission gegen die Gütergemeinschaft als Form des gesetzlichen Güterstandes nichts ändern.491 Allgemein wurde darauf hingewiesen, das gemeinschaftliche Testieren unter Ehegatten sei eine „mehrere Jahrhunderte lang im weit- aus größten Theile Deutschlands festgewurzelte und lieb gewordene Einrichtung.“492 Es wurde sich auf die Äußerungen Laués berufen,493 der aus seiner Praxis bezeugen konnte, daß Ehegatten fast immer das Verlangen zeigten, ihre letztwilligen beiderseitigen Verfügungen in ein und derselben Urkunde gemeinsam zu errichten. Einzeln testierende Eheleute würden sich sogar entschuldigen, daß sie kein wechselseitiges Testament (uno actu) errichteten.494 Selbst Planck, der das Verbot der ersten Kommission mitgetragen hatte,495 bezeichnete es nunmehr als fraglich, ob nicht doch die Zulassung gemeinschaftlicher letztwilliger Verfügungen für Ehegatten mit Rücksicht auf die herrschende Sitte zweckmäßig gewesen wäre.496 Vorausschauend stellte der Breslauer Rechtslehrer Otto Fischer 1892 fest, daß der Druck der öffentlichen Meinung in diesem Punkt so

488 Verdient die im Entwurfe des bürgerlichen Gesetzbuches vorgeschlagene Abschaffung der wechselseitigen Testamente Zustimmung? Gutachten von Laué Verhandlungen I 3 ff. und Wilke Verhandlungen I 13 ff. 489 Sitzung der dritten Abteilung vom 11.09.1889, veröffentlicht in: Verhandlungen IV 288 ff. (S. 314 ff.); Plenarsitzung vom 13.09.1889, veröffentlicht in: Verhandlungen IV 411 ff. (S. 444). Die Entscheidung des Zwanzigsten Deutschen Juristentages fand auch in der Tagespresse durchweg positive Aufnahme (siehe Zusammenstellung [Gutachten] S. 43 mit entsprechenden Nachweisen). 490 Vgl.: Bähr Beurteilung S. 165; Enneccerus Verhandlungen IV 288, 317 f. (Sitzung der dritten Abteilung) und 411, 445 f. (Plenarsitzung); Gierke S. 523; Laué Verhandlungen I 3, 7 f.; Mommsen AcP 76 (1890) 161, 189 ff. (dort Fn. 11). 491 Enneccerus Verhandlungen IV 288, 317 (Sitzung der dritten Abteilung) und 411, 445 f. (Plenarsitzung). 492 Wilke Verhandlungen I 13, 22 ff., 27 f.; vgl. auch: Baron AcP 75 (1889) 177, 241; Enneccerus Verhandlungen IV 288, 316 f. (Sitzung der dritten Abteilung) und 411, 445 (Plenarsitzung); Gierke S. 523; Kloeppel Gruchot 33 (1889) 338, 362 f.; Laué Verhandlungen I 3, 6 ff. 493 So beispielsweise Enneccerus Verhandlungen IV 288, 317 (Sitzung der dritten Abteilung) und 411, 445 (Plenarsitzung). 494 Laué Verhandlungen I 3, 6 f.; vgl. Wilke Verhandlungen I 13, 24: „Jeder, welcher Testamente aufzunehmen oder zu entwerfen hat, weiß auch aus eigener Erfahrung, wie beliebt solche Testamente überall da sind, wo sie gesetzlich zugelassen werden.“ 495 Siehe oben S. 122. 496 Planck AcP 75 (1889) 327, 403.

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stark sei, daß das Institut des gemeinschaftlichen Testaments „ganz gewiß seinen Platz in dem künftigen deutschen Gesetzbuch behaupten wird.“497 Die von der ersten Kommission vorgeschlagenen Ersatzlösungen wurden als „Künsteleien [. . .], die keine Wurzel schlagen werden“ abgelehnt.498 Bei getrennter Errichtung korrespektiver Verfügungen sei die Gefahr, daß der wirkliche Wille der Ehegatten nicht zum Ausdruck gebracht werde, ungleich größer als bei gemeinschaftlichen Verfügungen.499 Daher ließen sich die zahlreichen Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit korrespektiven Testamenten nicht durch das Verbot gemeinschaftlicher letztwilliger Verfügungen reduzieren. Der Gesetzgeber verstehe seine Aufgabe falsch, wenn er sich aufgrund der nach den Worten der ersten Kommission unverkennbar abwegigen Rechtsentwicklung gemeinschaftlicher Testamente zu diesem Schritt werde hinreißen lassen. Es sei vielmehr seine Aufgabe, die Frage nach der Korrespektivität als eigentliche Quelle vieler Rechtsstreitigkeiten einer befriedigenden Lösung im Gesetz zuzuführen.500 Darüber hinaus sei nicht hinzunehmen, daß durch getrennte Errichtungsakte gezwungenermaßen doppelte Kosten entstünden.501 Der unter Rücktrittsvorbehalt geschlossene Erbvertrag biete zwar einen gewissen Ersatz, da sich materiellrechtlich die Ergebnisse eines gemeinschaftlichen Testaments erzielen ließen. Zum einen sei der Ersatz jedoch unvollständig.502 – Testierfähigen aber noch nicht voll geschäftsfähigen Personen war wegen § 1942 E I der Abschluß eines Erbvertrags verwehrt. Damit war insbesondere einer noch minderjährigen Braut oder Ehefrau eine gemeinschaftliche Verfügung von Todes wegen versagt. – Entscheide sich der Gesetzgeber gegen die Zulässigkeit gemeinschaftlicher Testamente, so habe er zumindest sicherzustellen, daß der minderjährigen Braut oder Ehefrau wenigstens die Möglichkeit eingeräumt werde, mit ihrem Partner einen Erbvertrag unter Rücktrittsvorbehalt abzuschließen.503 Zum anderen wurde vorgebracht, daß die Vertragsnatur auch des unter Rücktrittsvorbehalt geschlossenen Erbvertrags als störend empfunden werden könne. 497

Fischer ArchBürgR 6 (1892) 54, 58. Eck Verhandlungen IV 288, 328 (Sitzung der dritten Abteilung). 499 Enneccerus Verhandlungen IV 288, 323 f. (Sitzung der dritten Abteilung) und 411, 446 f. (Plenarsitzung); Mommsen AcP 76 (1890) 161, Fn. 11; Laué Verhandlungen I 3, 8, 11; vgl. Wilke Verhandlungen I 13, 14, 25 f. 500 Baron AcP 75 (1889) 177, 241 ff.; vgl.: Kühnast S. 27; Mommsen AcP 76 (1890) 161, 189 ff. (dort Fn. 11); Gierke S. 523; Wilke Verhandlungen I 13, 15, 17 f., 19 ff., 28; zum letzteren vgl. auch Enneccerus Verhandlungen IV 288, 320 (Sitzung der dritten Abteilung), 411, 447 (Plenarsitzung). 501 Bähr Beurteilung S. 165; Baron AcP 75 (1889) 177, 241; Enneccerus Verhandlungen IV 288, 317 (Sitzung der dritten Abteilung); Gierke S. 523; Petersen S. 67; Wilke Verhandlungen I 13, 26. 502 Wilke Verhandlungen I 13, 26 f.; vgl.: Enneccerus Verhandlungen IV 288, 324 f. (Sitzung der dritten Abteilung); Gierke S. 523. 503 Petersen S. 71 f., 79; vgl. Wilke Verhandlungen I 13, 26 f.; anderer Ansicht Gierke S. 527. 498

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Während beim gemeinschaftlichen Testament die Möglichkeit des Widerrufs der Regelfall sei, müßte die Rücktrittsmöglichkeit beim Erbvertrag erst im Wege der Einigung herbeigeführt werden. Letzteres stelle einen Umweg dar und könne vom Partner als offenes Zeichen des Mißtrauens verstanden werden.504 Schließlich wurde noch auf den Nachteil hingewiesen, daß die Errichtung eines Erbvertrags im Gegensatz zu der eines Testaments zur Offenbarung des letzten Willens gegenüber Richtern oder Notaren und gegebenenfalls Zeugen zwinge.505 – Während der Erbvertrag nur mittels mündlicher Erklärung vor Gericht oder Notaren abgeschlossen werden konnte (vgl. § 1943 Abs. 2 E I), gestattete der erste Entwurf bei letztwilligen Verfügungen auch die Übergabe einer verschlossenen Schrift (vgl. § 1918 S. 3 E I). – Auch könne der Einwand nicht überzeugen, die gemeinschaftliche Errichtung führe zu einer faktischen Bindung an die eigenen Verfügungen. Denn wenn die nicht bloß tatsächliche, sondern sogar rechtliche Einschränkung der freien Widerruflichkeit durch den Erbvertrag allgemein zugelassen werde, so könne unmöglich an der viel geringeren Beengung Anstoß genommen werden. Ferner habe die faktische Bindung ihre Ursache keineswegs im gemeinschaftlichen Errichtungsakt. Ebenso könnten getrennt errichtete Verfügungen eine derartige Bindungswirkung erzeugen.506 Während über die Zulässigkeit gemeinschaftlicher letztwilliger Verfügungen weitgehend Einigkeit herrschte, gingen die Meinungen über deren Widerruflichkeit auseinander. Die Entscheidung der Kommission, bei korrespektiven Testamenten allgemeine Grundsätze zur Anwendung zu bringen, stieß auf starken Widerstand. Ein Anfechtungsrecht, „welchem es unter Umständen an einem Anfechtungsberechtigten fehlen wird“507, sei vielmehr geeignet, Rechtsstreitigkeiten in besonderem Umfang herbeizuführen.508 Entgegen der Entscheidung der ersten Kommission war allgemein anerkannt, daß beim Berliner Testament allein der Wille der Testierenden darüber zu entscheiden habe, ob der Überlebende sein Widerrufsrecht mit Annahme der Erbschaft verliere oder nicht.509 504 Enneccerus Verhandlungen IV 288, 324 f. (Sitzung der dritten Abteilung), 411, 447 (Plenarsitzung); siehe auch Laué Verhandlungen I 3, 10 und Petersen S. 71; vgl. Gierke S. 523. 505 Enneccerus Verhandlungen IV 288, 325 (Sitzung der dritten Abteilung); Gierke S. 527; Petersen S. 72; Wilke Verhandlungen I 13, 26 f. 506 Wilke Verhandlungen I 13, 14 f. 507 Motive S. 255 a. E.; vgl. oben S. 124. 508 Baron AcP 75 (1889) 177, 243 f.; Laué Verhandlungen I 3, 12; Wilke Verhandlungen I 13, 24 f. 509 Anders hingen Ubbelohde AcP 75 (1889) 36, 54 ff., der sich jedoch generell gegen die Zulässigkeit einer erbrechtlichen Selbstbindung, also auch gegen die Zulässigkeit eines Erbvertrags, aussprach. Ebenso sprach sich Pfizer S. 23 f. gegen den Erbvertrag aus, der jedoch mit seinen polemischen Ausführungen die damalige Rechtspraxis und deren Entwicklung völlig verkannte; kritisch zum Erbvertrag Leonhard S. 160 f.; für eine Beschränkung im Sinne des französichen Rechts: Scherer Besprechung S. 76 f.

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Für den Fall, daß sich dieser hinsichtlich der korrespektiven Verfügungen nicht feststellen lasse, wurden verschiedene Auslegungsmöglichkeiten favorisiert. Enneccerus sprach sich in diesem Fall für die uneingeschränkte Widerruflichkeit gemeinschaftlicher Testamente aus.510 Wollten sich die Ehegatten erbrechtlich binden, sollten sie einen Erbvertrag abschließen. Ergebe der Willen der Testierenden und auch der Wortlaut der gemeinschaftlichen Verfügung, daß eine erbrechtliche Bindung lediglich des Überlebenden gewollt sei, dann sei mit dem Testament ein bedingter Erbvertrag verbunden. Es sei jedoch nicht hinzunehmen, „daß dieser bedingte Erbvertrag so zu sagen heimlich hineinkommt, ohne daß die Parteien es wissen.“511 Dagegen votierten auf dem Juristentag insbesondere der Berliner Rechtsanwalt und Notar Jacobi sowie der Berliner Rechtslehrer Ernst Eck. Während der erste soweit ging, daß im Zweifel korrespektive Verfügungen ohne Unterschied, ob erbvertraglich oder testamentarisch getroffen, unmittelbar nach Errichtung dem einseitigen Widerruf entzogen seien,512 setzte sich Eck für die Lösung des gemeinen und preußischen Rechts ein, wonach im Zweifel beim Berliner Testament die Annahme der Erbschaft zum Verlust des Widerrufsrechts führe.513 von Wilmowski aus Berlin sprach sich gegen eine gesetzliche Auslegungsregel überhaupt aus, wobei er gleichzeitig anerkannte, daß es wohl theoretisch richtig sei, bei Erbverträgen und korrespektiven Testamenten von ihrer Unwiderruflichkeit auszugehen.514 Da sich für keine der Lösungen auf dem Zwanzigsten Deutschen Juristentag eine eindeutige Mehrheit gefunden hätte, entschied man sich, diese Frage gar nicht erst zur Abstimmung zu bringen. Die nahezu einstimmige Entscheidung über die Zulassung gemeinschaftlicher Testamente sollte im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses nicht an Gewicht verlieren.515 Unabhängig von der Entscheidung des Zwanzigsten Deutschen Juristentages hat sich die Mehrheit der Kritiker für den Eintritt einer erbrechtlichen Bindungswirkung nach Annahme der Erbschaft eingesetzt.516 Insbesondere stehe der Grundsatz freier Widerruflichkeit letztwilliger Verfügungen einer Ausnahme nicht entgegen.517 Dies gelte um so mehr, da sich nach dem 510 Enneccerus Verhandlungen IV 288, 320 ff., 331 f. (Sitzung der dritten Abteilung); zustimmend Zirndorfer Verhandlungen IV 288, 326 (Sitzung der dritten Abteilung); dagegen Fischer ArchBürgR 6 (1892) 54, 86 f. (dort Fn. 104). 511 Enneccerus Verhandlungen IV 288, 331 (Sitzung der dritten Abteilung). 512 Jacobi Verhandlungen IV 288, 327 f., 335 f. (Sitzung der dritten Abteilung). 513 Eck Verhandlungen IV 288, 328 ff. (Sitzung der dritten Abteilung). 514 Wilmowski Verhandlungen IV 288, 334 f. (Sitzung der dritten Abteilung). 515 Vgl. Sitzung der dritten Abteilung vom 11.9.1889, veröffentlicht in: Verhandlungen IV 288, 337; vgl. dort Eck Verhandlungen IV 288, 336 und Enneccerus Verhandlungen IV 288, 336 f. und 411, 447 f. (Plenarsitzung). 516 Vgl.: Bähr Gegenentwurf § 1736 (soweit sich Bähr in seiner Anmerkung zu § 1736 gegen eine allgemeine Vermutung verwehrte, betraf dies die Frage der Korrespektivität); Fischer ArchBürgR 6 (1892) 54, 85 und Fn. 159; Jakubezky S. 319 ff.; Laué Verhandlungen I 3, 9 ff.; Petersen S. 80, 68 ff.; Wilke Verhandlungen I 13, 29. 517 Laué Verhandlungen I 3, 8 f.; Petersen S. 69 f.

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Entwurf schon eine Unwiderruflichkeit mittels Erbvertrag herbeiführen ließe;518 wollte man den Grundsatz freier Widerruflichkeit uneingeschränkt gelten lassen, so nötigte dies auch zur Ablehnung der Erbverträge.519 Auch könne der von Schmitt ausgesprochene und in den Motiven wiedergegebene Vorwurf nicht gelten, ein derartiges Testament halte eine unklare Mitte zwischen Erbvertrag und Testament.520 Während Laué noch zurückhaltend aussprach, dieser Vorwurf müßte ebensogut für die Ersatzlösung der ersten Kommission gelten, den unter Vorbehalt des Rücktritts abgeschlossenen Erbvertrag,521 meinte Wilke schon entschlossener, daß ein widerruflicher Erbeinsetzungsvertrag viel eher ein „unklares Mittelding“ zwischen Erbvertrag und Testament sei.522 Auch das Argument der ersten Kommission, daß die Zulässigkeit gemeinschaftlicher Testamente mit erbrechtlicher Bindungswirkung nach Annahme der Erbschaft zur Umgehung der Voraussetzungen des Erbvertrags führen könne, indem Minderjährige erbrechtlich gebunden werden könnten, wurde entweder mit seiner praktischen Bedeutungslosigkeit abgetan523 oder einfach damit entkräftet, daß der Gesetzgeber schließlich auch die Errichtung gemeinschaftlicher Testamente von der Volljährigkeit abhängig machen könnte.524 Die Entscheidung der ersten Kommission, keine Auslegungsregel für Berliner Testamente oder die erstrebte Ersatzlösung, den unter Rücktrittsvorbehalt abzuschließenden Erbvertrag, aufzunehmen, wurde ebenfalls kritisiert. Während Gierke eine solche Auslegungsregel forderte, ohne sich für eine bestimmte Auslegungsregel auszusprechen,525 plädierte die Mehrheit der Kritiker für die gesetzliche Regelung der Trennungslösung.526 Mit Hilfe einer solchen Auslegungsregel ließen sich viele der Rechtsstreitigkeiten vermeiden, die nach Ansicht der Kommission zur Ablehnung des Rechtsinstituts der gemeinschaftlichen Testamente beigetragen hätten.527 Lediglich der bayerische Ministerialrat Karl Jakubezky setzte sich bereits in seinen Bemerkungen für das bayerische Justizministerium (1892) für die Einheitslösung ein.528 Er begründete die dementsprechende Auslegung des Berliner Testaments weder unter Bezugnahme auf die 518

Petersen S. 69 f. Wilke Verhandlungen I 13, 19. 520 Enneccerus Verhandlungen IV 288, 323 (Sitzung der dritten Abteilung); Laué Verhandlungen I 3, 8; Wilke Verhandlungen I 13, 15 f. 521 Laué Verhandlungen I 3, 8.; vgl. auch Petersen S. 70. 522 Wilke Verhandlungen I 13, 16. 523 Petersen S. 70 f.; Wilke Verhandlungen I 13, 19; vgl. Enneccerus Verhandlungen IV 288, 323 (Sitzung der dritten Abteilung). 524 Klöppel Gruchot 33 (1889) 338, 362; Laué Verhandlungen I 3, 11; vgl. anderseits Petersen und Wilke (oben Fn. 503). 525 Vgl. Gierke S. 528. 526 Z. B.: Bähr Gegenentwurf § 1737 Abs. 1 S. 1; Wilke Verhandlungen I 13, 16 f., 20 f., 28. 527 Wilke Verhandlungen I 13, 17. 519

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Äußerungen der ersten Kommission noch unter Hinweis auf die damals aktuelle Rechtsprechung des Reichsgerichts. Jakubezky suchte die Einheitslösung im Einklang mit dem bayerischen Landrecht zu begründen. Die Ehegatten hätten das beiderseitige Vermögen, soweit es sich in der Hand des überlebenden Teils vereinigt habe, „zusammengeworfen“ (CMBC III 4 § 11 Nr. 5), sie hätten das in der Hand des überlebenden Teils vereinigte Vermögen als ein einheitliches, als dessen Vermögen behandelt und für dieses Vermögen „aus einem Mund und Willen“ einen Erben ernannt.529 Der zum Schutz des durch Erbvertrag Bedachten vorgesehene Bereicherungsanspruch aus §§ 1951, 1956 S. 3 E I (vgl. heute §§ 2287, 2288 BGB) erregte relativ wenig Aufsehen. Größtenteils wurde dieser Bereicherungsanspruch in den Kritiken zwar erwähnt, aber nicht kritisiert.530 Interessant ist in diesem Zusammenhang allenfalls die Äußerung von Wilke, der in seinem Gutachten für den Zwanzigsten Deutschen Juristentag davon ausging, daß eine derartige Beschränkung beim korrespektiven Testament damals nicht bestanden habe. Hierin sah er jedoch keinen gravierenden Nachteil des Erbvertrags mit Rücktrittsvorbehalt gegenüber korrespektiven Testamenten, da es nicht verboten sei, vertragsmäßig andere Bestimmungen zu treffen. Die Vertragspartner könnten auf diese Weise dieselben Rechte wie bei korrespektiven Testamenten herbeiführen.531 In der vom Reichsjustizamt gefertigten Zusammenstellung kritischer Äußerungen zum ersten Entwurf findet sich lediglich der Hinweis auf eine kritische Äußerung aus einer Tageszeitung.532 So wurde in einem Artikel des Hamburgischen Correspondenten vom 19. Januar 1889 diesbezüglich über den ersten Entwurf ausgeführt: „Die Form des gemeinschaftlichen Testaments, welche bei uns so beliebt und namentlich für die letztwilligen Verfügungen testierender Ehegatten die durchaus übliche ist, kennt der Entwurf nicht. [. . .] Den Ersatz für das gemeinschaftliche Testament zu bilden ist der Erbeinsetzungsvertrag bestimmt. [. . .] Der charakteristische Unterschied nun dabei, ob eine wechselseitige Erbeinsetzung durch Testament (wie dies bisher bei uns geschehen konnte)[533] oder durch Vertrag (wie dies in Zukunft der Fall sein soll) erfolgt, besteht darin, daß die vertragsmäßige Disposition nach dem Wesen des Vertrages den 528 Vgl. Jakubezky S. 321 f.; vgl. zu den Ausführungen von Jakubezky auch Merkel S. 36 f. 529 Ebenda. 530 So z. B. bei: Gierke S. 528; Klöppel Gruchot 33 (1889) 338, 361 f.; Petersen S. 79; Wilke Verhandlungen I 13, 27. Zustimmend Stein S. 484: „[. . .] die besonderen Bestimmungen des § 1953 [E I], welche ich der gemeinrechtlichen Doktrin einer Freiheit zu allen nicht dolosen Schenkungen um deswillen vorziehe, weil der meist künstliche Beweis des dolus dem Vertragserben eine in thesi leicht gesagte, in praxi schwer lösbare Aufgabe setzt.“ 531 Wilke Verhandlungen I 13, 27. 532 Vgl. Zusammenstellung (Gutachten) S. 60.

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Erblasser an die einmal getroffene Disposition dauernd bindet, während die testamentarische Verfügung ihm durchaus freie Hand läßt: er kann diese jederzeit frei widerrufen. Die einschneidende Folge dieses rechtlichen Unterschieds wird indessen für die Praxis dadurch wiederum beseitigt, daß der Entwurf den Vorbehalt des Rücktritts im Erbeinsetzungsvertrage zuläßt. Hierdurch – und es ist kein Zweifel, daß von diesem Vorbehalt in der Regel Gebrauch gemacht werden wird – wird also der Erbeinsetzungsvertrag in seinen Wirkungen mit Bezug auf diesen Punkt unserem bisherigen gemeinschaftlichen (correspectiven) Testament völlig gleichgestellt. Ebenso wird es dies aber durch die fernere Bestimmung, daß der Widerruf dann nicht mehr zulässig ist, wenn nach dem Tode der eine der beiden Erblasser in den Besitz der Vortheile getreten ist, welche ihm durch die letztwillige Verfügung geboten werden: schlägt er diese dagegen aus, so kann er auch jetzt noch sein Widerrufsrecht ausüben. [. . .] Einen Unterschied jedoch gibt es zwischen dem Erbeinsetzungsvertrage und dem gemeinschaftlichen Testament, welcher als wichtig hervorgehoben zu werden verdient. Durch das gemeinschaftliche Testament wird keiner der beiden testierenden Theile in seinen Verfügungen unter Lebenden irgendwie beschränkt: sowohl während beide Erblasser noch leben, kann jeder von ihnen, als auch nach dem Tode des Erstverstorbenen der überlebende von seinem Vermögen verschenken, so viel er will, und die eingesetzten Nacherben können nichts dagegen machen, wenn sie einen durch Schenkungen entleerten Nachlaß vorfinden. Anders beim Erbeinsetzungsvertrage. Wer einen solchen geschlossen hat, darf – von solchen Schenkungen abgesehen, welche durch eine sittliche Pflicht oder durch den Umstand gerechtfertigt werden – sein Vermögen durch Schenkungen nicht weiter verringern. Hat er dies dennoch getan, so kann nach seinem Tode der Vertragserbe – sei es nun der überlebende Ehegatte oder gemeinschaftliche Kinder, Seitenverwandte oder völlig Fremde – von dem Beschenkten die Herausgabe der diesem zugeflossenen Bereicherung fordern. Immerhin scheint dies dem correspectiven Testament gegenüber als eine so erhebliche Einschränkung der Verfügungsfreiheit der Erblasser, daß dies als eine drückende Beengung vielfach empfunden werden wird.“534

533 Auf das Hamburger Stadtrecht von 1497 folgte das noch im 19. Jahrhundert geltende Statut von 1603 (subsidiär galt gemeines Recht, so auch bei den gemeinschaftlichen Testamenten, Nöldeke S. 815 und die nachfolgend zitierte Literatur zum Hamburger Recht). Die Diskussion zum gemeinschaftlichen Testament nach dem hamburgischen Recht entsprach weithin der Diskussion im gemeinen Recht (vgl. Trummer S. 552 ff., vgl. insbesondere S. 599 ff. zur lebzeitigen Verfügungsfreiheit im Anschluß an Glück S. 74; vgl. auch Baumeister S. 358 ff.). Fischer ArchBürgR 6 (1892) 54, 102 ließ die Hamburger Praxis für seine Untersuchung außen vor, da das Hamburger Stadtrecht von 1603 (Teil 3, Tit. 1, Abs. 19) mit der Theorie seiner Zeit den Satz aufgestellt habe: „Der überlebende Ehegatte darf von seinem Güterteil ein ander Testament machen.“ Siehe hierzu auch Baumeister a. a. O. mit Hinweis auf Beseler Erbverträge II/1 S. 327 (Oldradus, Gaill, Oldendorp, Carpzov; vgl. insoweit auch die Darstellung oben S. 71 ff.). Mit dem Satz des Stadtrechts war die spätere gemeinrechtliche Theorie bei entsprechenden Verfügungen im Testament (korrespektives Testament, Berliner Testament) in der Praxis jedoch nicht ausgeschlossen (vgl. Trummer und Baumeister a. a. O.). 534 Hamburgischer Correspondent vom 19.01.1889 S. 2.

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Wenn sowohl Wilke als auch der „Hamburgische Correspondent“ den Bereicherungsanspruch wegen beeinträchtigender Schenkungen im ersten Entwurf mit Blick auf die korrespektiven Testamente als neuartige Beschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit auffassen, so scheint dies im Widerspruch zu der oben dargestellten Rechtspraxis im gemeinen Recht zu stehen.535 Doch ist zunächst einmal zu berücksichtigen, daß der erste Entwurf dem Vertragserben bei jeglicher Schenkung einen Bereicherungsanspruch gewährt. Soweit ging die damalige Rechtspraxis nicht. Sie beschränkte den Schutz auf arglistige Beeinträchtigungen, auch Schenkungen mußten mit Beeinträchtigungsabsicht vorgenommen werden; lediglich auf den Nachweis ihrer Kenntnis auf Seiten des Erwerbers wurde verzichtet.536 Zudem fand die gemeinrechtliche Rechtspraxis ihre Bestätigung durch das Reichsgericht erstmals (unveröffentlicht) während der Erbrechtsberatungen der zweiten Kommission.537 Auch der Umstand, daß die Einschränkung der Verfügungsfreiheit unter Lebenden eine positive Regelung im Gesetz fand und nicht mehr der Rechtspraxis unter Berücksichtigung von Treu und Glauben überantwortet sein sollte, mag Anlaß zu den kritischen Äußerungen gegeben haben. Per Gesetz wurde die Verfügungsfreiheit des Überlebenden beim korrespektiven Testament in keiner der dargestellten Rechtsordnungen eingeschränkt.538 Ebensowenig findet sich in den Vorschlägen der Bundesregierungen, die sich im Anschluß an den ersten Entwurf für die Zulassung des gemeinschaftlichen Testaments mit erbrechtlicher Bindungswirkung nach Annahme der Erbschaft aussprachen, eine Regelung zur Einschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit.539 Schließlich folgt auch der vieldiskutierte Gegenentwurf von Otto Bähr diesem Prinzip: Von der Trennungslösung ausgehend (§ 1737 Abs. 1 S. 1), wird der Überlebende wie ein befreiter Nacherbe in seiner Verfügungsfreiheit unter Lebenden über das ererbte Vermögen beschränkt (§§ 1737 Abs. 1 S. 2, 1646). Auch wenn der Überlebende nach Bährs Entwurf an seine korrespektiven Verfügungen nach Annahme der Erbschaft gebunden ist (vgl. § 1736), wurde eine Beschränkung seiner lebzeitigen Verfügungsfreiheit über sein eigenes Vermögen nicht vorgesehen. Beim Erbvertrag wurde dagegen eine dem ursprünglichen § 211 TE-ErbR vergleichbare Regelung vorgeschlagen. Entsprechend der gemeinrechtlichen Praxis können Veräußerungen in Beeinträchtigungsabsicht angefochten werden, „wenn der Erwerber mit der Ab535

Vgl. oben die Darstellung zur Rechtspraxis im gemeinen Recht (S. 97 ff.). Vgl. nur Obergericht Wolfenbüttel SeuffArch 23, 198 und später RGZ 28, 171 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 537 Vgl. RG Urt. v. 11.07.1895 – VI 125/1895 S. 5; danach RGZ 41, 168, 169 f. (05.05.1898); siehe dazu oben S. 105 f. 538 Auch der Vorschlag von Wilke Verhandlungen I 13, 28 f. enthält (der Trennungslösung folgend) keine Einschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit des Überlebenden über sein eigenes Vermögen. 539 Vgl. Zusammenstellung (Bundesregierungen) S. 176 ff. (Preußen, Bayern, Sachsen). 536

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sicht des Veräußerers bekannt gewesen ist oder wenn eine Schenkung stattgefunden hat“ (§ 1751 Abs. 2). bb) Arbeiten der zweiten Kommission – Zweiter Entwurf Mit Beschluß vom 4. Dezember 1890 betraute der Bundesrat eine zweite Kommission mit der Revision des ersten Entwurfs. Nachdem Schmitt aus dienstlichen und persönlichen Gründen eine Mitarbeit an der Revision abgelehnt hatte, delegierte Bayern Jakubezky in die zweite Kommission. Mit dem Erbrecht wurde in der zweiten Kommission Wilhelm Rüger aus dem sächsischen Justizministerium betraut. Als dieser zum 30. März 1895 aufgrund seiner Ernennung zum Generalstaatsanwalt aus der Kommission ausschied, übernahm Heinrich Börner (Sachsen), der zuvor bereits als Kommissar des Reichskanzlers an den Sitzungen teilgenommen hatte, das zu diesem Zeitpunkt bereits fast vollständig fertiggestellte Erbrecht. Aus dem Kreis der zuvor abgehandelten Kritiker nahm seit März 1891 Wilke als nichtständiges Mitglied an den Sitzungen der zweiten Kommission teil.540 Die Beratung des § 1913 E I wurde zunächst ausgesetzt. Bevor sich die zweite Kommission der aufgrund vehementer Kritik heiklen Frage zuwendete, ob gemeinschaftliche Testamente zuzulassen und welche Vorschriften gegebenenfalls aufzustellen seien, widmete sie sich den Vorschriften über den Erbvertrag.541 a) Beratung der Vorschriften über den Erbvertrag Bei Aufnahme der Beratungen über die erbvertraglichen Vorschriften wurde zunächst die Zulassung des allgemeinen Erbvertrags in Frage gestellt.542 Eine 540 Siehe zur Vorbereitung und Arbeit der zweiten Kommission allgemein: Schubert Entstehung S. 45 f.; Schubert in Jakobs/Schubert Beratung (Materialien) S. 50 ff.; zum Erbrecht Mertens S. 9, 18 ff.; beispielsweise über Börner und Wilke siehe Jahnel in Jakobs/Schubert a. a. O. S. 92 f., 108 f. 541 Vgl. Protokolle S. 326. Vgl. auch Jakobs/Schubert Beratung (Erbrecht) S. 1677 in Fn. 6 mit dem Hinweis, daß sich in den Akten des Reichsjustizamts der nicht in das Protokoll aufgenommene Antrag von Börner (Antrag Nr. 48 Ziff. 4) finde, die Vorschrift des § 1913 E I zu streichen. Isoliert ist dieser Hinweis mißverständlich. Börner wollte die Vorschrift nicht ersatzlos gestrichen sehen; er sah in seinen eingereichten Anträgen mit Ziff. 25 bestimmte Regelungen für ein gemeinschaftliches Testament unter Ehegatten vor (Akten des Reichsjustizamts Antrag Nr. 48 Ziff. 4 und 25 [S. 85, 89 f.]; vgl. dann wieder Jakobs/Schubert a. a. O. S. 1677 f. [Antrag Nr. 48 Ziff. 25]; dazu später). 542 Vgl. Protokolle S. 365 ff. Die dort mitgeteilten „einschränkenden“ Anträge (S. 366 f.) wurden von Jakubezky (Antrag Nr. 2), Planck (Antrag Nr. 3), Isaak Wolfson (Antrag Nr. 4) und Rudolf Sohm (Antrag Nr. 5) gestellt. Vgl. Akten des Reichsjustizamts: Jakubezky Antrag Nr. 67 (S. 117 f.), Planck Antrag Nr. 79 Ziff. 1 (S. 129),

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Beschränkung auf Ehegatten und Verlobte bzw. eine solche im Sinne der französischen institution contractuelle wurde diskutiert. Die Gegner des allgemeinen Erbvertrags beriefen sich ausdrücklich auf die Ergebnisse der historischen Forschungen von Beseler und leugneten für den von der ersten Kommission ohne Einschränkungen zugelassenen Erbvertrag ein praktisches Bedürfnis. Während die alten Vergabungen als reines Verkehrsgeschäft mit der Rezeption völlig verschwunden seien, habe sich ein Rechtsgeschäft familienrechtlicher Natur erhalten, „welches als Adoption gedacht unter Ehegatten und als Erbverbrüderung beim hohen Adel vermöge des begründeten verwandtschaftsartigen Verhältnisses ein Erbrecht erzeugt habe.“ Aus dem letzteren Geschäft hätten die Juristen des 17. und 18. Jahrhunderts unter völliger Verkehrung seiner Eigenart den damaligen Erbvertrag geschaffen, „die Juristen hätten, wie Beseler (Erbverträge II, 1 S. 200 f.) zutreffend bemerkte, ,ein nur in einzelnen Anwendungen geltendes Institut auch dem Prinzipe nach als ein gemeinrechtliches anerkannt, indem sie in ihrer dem Leben fernstehenden Doktrin das Besondere zum Allgemeinen ausspannen.‘ Der auf dem Lehrsatze ,pacta sunt servanda‘ beruhende, künstlich geschaffene Erbvertrag sei nie allgemein zu wirklichem Leben gediehen [. . .].“543

Die Gegner eines allgemein zuzulassenden Erbvertrags vermochten sich jedoch in der Abstimmung nicht durchzusetzen. Mehrheitlich erkannte die zweite Kommission durchaus ein Bedürfnis erbvertraglicher Verfügungen, welches nicht ausschließlich unter Ehegatten und Verlobten auszumachen sei. Um nicht in eine „bunte Kasuistik“ zu verfallen und da „die beständig wechselnden wirtschaftlichen Verhältnisse leicht neue Bedürfnisse schaffen könnten,“ entschloß sich die zweite Kommission für die Beibehaltung des allgemeinen Erbvertrags. Ein „Fingerzeig“ in diese Richtung sei auch in der Beurteilung zu sehen, welche die von der ersten Kommission beschlossene Beseitigung der gemeinschaftlichen Testamente erfahren habe.544 Ohne die vertagte Frage der Aufnahme des gemeinschaftlichen Testaments in den Entwurf aufzugreifen, entschied sich die zweite Kommission mit dem ersten Entwurf für die Aufnahme des Rücktrittsvorbehalts beim Erbvertrag. Für den gegenseitigen (wechselseitigen) Erbvertrag mit korrespektiven Verfügungen wurde die Regelung beibehalten, daß der Überlebende das Rücktrittsrecht mit dem Tod des anderen verliere, er jedoch bei Ausschlagung des ihm von seinem Vertragspartner Zugewendeten zur Aufhebung seiner Verfügung mittels Testament berechtigt sei (vgl. §§ 1959, 1961 E I und § 2164 E II; heute § 2298 Wolfson Antrag Nr. 77 Ziff. 2 (S. 127), Sohm Antrag Nr. 82 (S. 136); vgl. auch Jakobs/Schubert Beratung (Erbrecht) S. 1737 f. 543 Protokolle S. 369. Die wörtlich mitgeteilten Ausführungen gehen auf die mit dem Antrag eingereichte Begründung von Jakubezky a. a. O. (oben Fn. 542) zurück (dort Hinweis auf Beseler Erbverträge II/1 S. 200 ff., insbesondere S. 203). 544 Vgl. Protokolle S. 371 ff.

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BGB).545 Ebenso wurde ohne Berücksichtigung etwaiger Regelungen für gemeinschaftliche Testamente entsprechend der für die Ersatzlösung laut gewordenen Kritik beschlossen, den Abschluß des Erbvertrags auch in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Ehegatten und Verlobten zu gestatten (vgl. § 2142 Abs. 2 und 3 E II).546 Auf Antrag von Hermann Struckmann, der ebenso wie Börner zunächst als Reichskommissar an den Kommissionssitzungen teilgenommen hatte,547 beschloß die zweite Kommission, entgegen dem Vorschlag der ersten Kommission, eine Auslegungsregel für den „Berliner Erbvertrag“ aufzunehmen.548 Struckmann stellte mit seinem Antrag eine Auslegung nach der Einheitslösung und eventualiter eine solche nach der Trennungslösung zur Disposition. Er faßte die Auslegungsregel als Zweifelsregelung.549 In seinem schriftlich eingereichten Antrag verwies er bereits auf die später auch in den Protokollen mitgeteilten Nachweise. Für die Einheitslösung wurde auf die neue Rechtsprechung des Reichsgerichts sowie auf die oben mitgeteilten Ausführungen von Jakubezky in seinen Bemerkungen zum ersten Entwurf verwiesen.550 Für die Trennungslösung wurde auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum preußischen Recht sowie neben Mommsen’s Entwurf (dort § 160) und Dernburg auf die Kritiker Bähr und Wilke verwiesen.551 Die Kommission entschied sich in Zweifelsfällen für die Einheitslösung, da die Ehegatten bei gemeinschaftlichen letztwilligen (!) Verfügungen von der Annahme ausgingen, ihr Vermögen sei ein einheitliches.552 Im Gegensatz zum ersten Entwurf wurde der Vertragserbenschutz von der zweiten Kommission entsprechend einem Antrag von Jakubezky eingeschränkt.553 Nicht jede Schenkung sollte nach dem Tod des Erblassers zu einem Bereicherungsanspruch führen,554 sondern nur eine solche, die in der „Absicht, das Recht des Vertragserben zu beeinträchtigen,“ vorgenommen sei 545

Vgl. dazu Protokolle S. 413 f., 421 f. Dazu Protokolle S. 374 ff. 547 Vgl. Jahnel in Jakobs/Schubert Beratung (Materialien) S. 107 f. 548 Vgl. Protokolle S. 406 f. 549 Vgl. Protokolle S. 406; vgl. Akten des Reichsjustizamts, Antrag Nr. 63 Ziff. 4 – Struckmann (S. 112 f.); vgl. auch Jakobs/Schubert Beratung (Erbrecht) S. 1776. 550 Hinweis auf: RGZ 27, 150 ff. und Jakubezky S. 319 ff. 551 Hinweis auf: RGZ 11, 258 ff. (preußisches Recht); 25, 138 ff.; „Dernburg, Pand. III §. 97 Anm. 7 und Preuß. Pr. R. III §. 183 bei Anm. 5 ff.“; Bähr § 1737; Zusammenstellung (Gutachten) S. 48 unter Ziff. 5, 6 (Wilke). 552 Protokolle S. 406 f. 553 Vgl. Protokolle S. 389 f. (Antrag Nr. 3); vgl. Akten des Reichsjustizamts, Antrag Nr. 80 Ziff. 2 – Jakubezky (S. 130 f.); vgl. auch Jakobs/Schubert Beratung (Erbrecht) S. 1787. 554 Anders die Anträge von Börner (Protokolle S. 389, Antrag Nr. 1) und Struckmann (Protokolle S. 389, Antrag Nr. 2). Vgl. Akten des Reichsjustizamts: Börner An546

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(vgl. § 2153 E II; heute § 2287 BGB). Jakubezky nahm insoweit in seinem schriftlich eingereichten Antrag auf das damals geltende Recht Bezug. Unter anderem wurde von ihm auf den oben wiedergegebenen Artikel im „Hamburgischen Correspondeten“ sowie mit den „Motiven“ und Dernburg auf das geltende Recht verwiesen.555 Jakubezky erachtete es als unbillig, daß nach dem ersten Entwurf nicht einmal aus den laufenden Einkünften der Erbschaft gemachte Schenkungen der Rückforderung entzogen seien, während der Vorerbe die Früchte des der Vorerbschaft unterliegenden Nachlasses frei verschenken könne.556 Der weitergehende Antrag von Struckmann, entsprechend der gemeinrechtlichen Praxis auch entgeltliche Veräußerungen in Beeinträchtigungsabsicht einem Rückforderungsrecht zu unterwerfen,557 wurde von der Kommission abgelehnt. Auf das gemeine Recht sei in diesem Punkt kein entscheidendes Gewicht zu legen. Einmal habe dort vielfach die vom Entwurf abgelehnte Auffassung mitgewirkt, daß durch den Erbvertrag ein präsentes Recht auf das vorhandene Vermögen des Erblassers begründet werde. Und zum anderen habe sich das Gewohnheitsrecht im gemeinen Recht nur an die Dolusklage anlehnen können. In die „modernen“ Gesetzbücher sei eine entsprechende Vorschrift nicht aufgenommen worden. Die vorgeschlagene Beschränkung entspreche nicht dem Sinn des Erbvertrags. Der Erblasser denke nicht daran, sich seiner Freiheit so weit zu begeben. Daß aber das Interesse des Vertragserben unbedingt eine solche Vorschrift notwendig erscheinen lasse, könne nicht anerkannt werden. Abgesehen von der Möglichkeit, sich vertraglich gegen die vollständige Erschöpfung des Nachlasses abzusichern, werde in „eklatanten Fällen“ der § 749 E II (heute § 826 BGB) eine Handhabe bieten, um einem illoyalen Verhalten zu begegnen.558 Der Schutz des erbvertraglich bedachten Vermächtnisnehmers wurde im Vergleich zum ersten Entwurf erweitert (vgl. § 2154 E II; heute § 2288 BGB). Bei Schenkungen in Beeinträchtigungsabsicht sollte der Vermächtnisnehmer den Vermächtnisgegenstand vom Beschenkten herausverlangen können; bei anderen Beeinträchtigungen wurde ein Wertersatzanspruch gegen die Erben vorgesehen.559 Die mit dem ersten Entwurf für das Einführungsgesetz vorgesehene

trag Nr. 48 Ziff. 35 (S 92 f.), Struckmann Antrag Nr. 63 Ziff. 3 lit. b (S. 112a); vgl. auch Jakobs/Schubert Beratung (Erbrecht) S. 1787. 555 Hinweis auf: Zusammenstellung (Gutachten) S. 60 (Hamburgischer Correspondent) und „wegen des geltenden Rechts“: Motive S. 329; „Dernburg, Pand. III §. 126 bei bei Note 7.“ 556 Vgl. Akten des Reichsjustizamts, Antrag Nr. 80 Ziff. 2 – Jakubezky (S. 130 f.); Anmerkungen zum Antrag nicht mitgeteilt bei Jakobs/Schubert Beratung (Erbrecht) S. 1787. 557 Vgl. Protokolle S. 388 (Antrag Nr. 2); vgl. Akten des Reichsjustizamts, Antrag Nr. 63 Ziff. 3 lit. a – Struckamnn (S. 112 f.); vgl. auch Jakobs/Schubert Beratung (Erbrecht) S. 1781 f. 558 Protokolle S. 392. 559 Vgl. zur Beratung des § 1956 E I Protokolle S. 404 f.

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Regelung, die dem Vertragserben das Recht gewähren sollte, die Entmündigung wegen Verschwendung herbeizuführen, wurde ersatzlos gestrichen.560 b) Beratung der Vorschriften über das gemeinschaftliche Testament Die Frage, ob das gemeinschaftliche Testament im zweiten Entwurf als Rechtsinstitut definitiv zuzulassen sei, wurde zunächst offen gelassen. Die zweite Kommission entschied sich erst im Anschluß an die Beratung der entsprechenden Vorschriften über ein gemeinschaftliches Testament für dessen definitive Zulassung.561 aa) Beschränkte Zulassung des gemeinschaftlichen Testaments Umfassende Vorschläge zur Regelung der Vorschriften über das gemeinschaftliche Testament wurden mit dem Antrag von Börner und mit den beiden Gegenanträgen von Jakubezky und Wilke vorgelegt.562 Sämtliche Anträge stimmten darin überein, daß das gemeinschaftliche Testament nur in beschränktem Umfang zuzulassen sei. Während Wilke mit dem Hauptantrag von Börner das gemeinschaftliche Testament nur unter Ehegatten zulassen wollte, setzte sich Jakubezky für gemeinschaftliche Testamente unter Ehegatten und auch Verlobten ein. Inhaltlich wollte Jakubezky das gemeinschaftliche Testament auf gegenseitige Zuwendungen und die Konstruktion des Berliner Testaments beschränkt wissen.563 Die zweite Kommission war sich darüber einig, daß im Gegensatz zum ersten Entwurf gemeinschaftliche Testamente nicht verboten werden dürften. Sie entsprächen der Gewohnheit in weiten Kreisen. Auch die Regierungen und die Kritik hätten sich überwiegend für die Zulassung ausgesprochen.564 Ähnlich wie sich die erste Kommission entgegen den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs für eine allgemeine Zulassung des Erbvertrags aussprach, lehnte die zweite Kommission die inhaltliche Beschränkung im Sinne des Antrags von Jakubezky ab. Sie räumte ein, daß die abgelehnte Beschränkung zwar den Bedürfnissen entspräche, jedoch fehle es an einem zwingenden Grund für eine Beschränkung. Vielmehr würde dadurch der Rechtsverkehr gefährdet: Man werde im „Publikum“ wohl wissen, daß Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament 560

Dazu Protokolle S. 388 f. Protokolle S. 423, 459. 562 Vgl. Protokolle S. 424 f.; vgl. Akten des Reichsjustizamts, Antrag Nr. 48 Ziff. 25 – Börner (S. 89 f.), Antrag Nr. 85 Ziff. 2 – Jakubezky (S. 139), Antrag 105 – Wilke (S. 168); vgl. Jakobs/Schubert Beratung (Erbrecht) S. 1677 ff. 563 Vgl. Ebenda. 564 Protokolle S. 426. 561

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errichten könnten, nicht aber, daß diese Befugnis eine inhaltlich beschränkte sei.565 Die Zulassung des gemeinschaftlichen Testaments für Verlobte wurde abgelehnt. Jakubezky setzte sich für diese Zulassung ein, da auch für gemeinschaftliche Testamente unter Verlobten eine „festgewurzelte Gewohnheit“ spreche. Die gemeinschaftlichen Testamente Verlobter seien in Bayern üblich. Eine Ausschließung Verlobter sei um so auffallender, als doch beim Erbvertrag nunmehr Ehegatten und Verlobte gleichgestellt seien. Die Mehrheit konnte für gemeinschaftliche Testamente unter Verlobten keine vergleichbare Verbreitung wie unter Ehegatten feststellen. Die Form, in welcher vor der Eheschließung die erbrechtlichen Verhältnisse geregelt zu werden pflegten, sei der mit dem Ehevertrag verbundene Erbvertrag. Die minderjährige Braut könne nunmehr auf den Erbvertrag verwiesen werden. Damit entfalle der Hauptgrund, welcher von denjenigen Kritikern geltend gemacht worden sei, die sich für die Erstreckung des gemeinschaftlichen Testaments auf Verlobte ausgesprochen hätten.566 bb) Korrespektivität des gemeinschaftlichen Testaments Bei der Beratung ging die Kommission einverständlich davon aus, daß die Eigentümlichkeit korrespektiver Verfügungen darin zu erblicken sei, daß zwischen den beiderseitigen Verfügungen ein gewisser Zusammenhang bestehe, welches nicht der der wechselseitigen Bedingtheit und ebensowenig der der vertragsmäßigen Gegenleistung sei. Statt dessen beruhe dieser Zusammenhang darauf, daß jede der beiderseitigen Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen sei. Die Kommission glaubte den wissenschaftlich prägnantesten, wenngleich im Gesetz nicht verwendbaren Ausdruck für das Verhältnis in den Worten zu finden, daß zwischen den beiden Verfügungen der „Zusammenhang des Motivs“ bestehen müsse.567 Zur Frage der korrespektiven Natur gemeinschaftlicher Testamente nahmen insgesamt acht Anträge Stellung.568 Im Vergleich zu anderen Themenkomplexen ist diese Zahl bei insgesamt 18 stimmberechtigten Sitzungsteilnehmern beachtlich. Nach dem Hauptantrag von Börner sollte die Nichtigkeit oder die Aufhebung der Verfügung des einen Ehegatten die Unwirksamkeit der Verfügung des anderen Ehegatten zur Folge haben. Zu Lebzeiten der Ehegatten sollte die Aufhebung nur wirksam sein, wenn sie dem anderen Ehegatten mitgeteilt worden sei. Nehme der Überlebende die Verfügung des anderen Ehegatten an, 565

Protokolle S. 426 f. Protokolle S. 427, zum letzteren mit Hinweis auf Zusammenstellung (Gutachten) S. 43, 46. 567 Protokolle S. 450 f. 568 Vgl. Protokolle S. 448 ff. 566

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könne er seine Verfügung nicht mehr aufheben.569 Die Anträge von Jakubezky und Wilke verweisen für den Widerruf (!) des gemeinschaftlichen Testaments auf die Vorschriften für den Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt (vgl. §§ 1958, 1959, 1961 E I; heute §§ 2293, 2296, 2298 BGB).570 Die „gemeinschaftlichen Verfügungen über den Nachlaß des überlebenden Theiles“ sollten auch im übrigen (!) den Verfügungen eines unter Rücktrittsvorbehalt geschlossenen Erbvertrags gleichstehen.571 Mit dem Hauptantrag sahen die restlichen Anträge im Vergleich zum Erbvertragsrecht eigenständige und zum Teil abweichende Regelungen vor. Von den acht Anträgen wich nur ein Antrag (Antrag Nr. 7) von dem Prinzip ab, daß der Überlebende nach Annahme des ihm Zugewendeten an seine Verfügungen gebunden sei. Dieser Antrag wurde von Mandry gestellt. Danach sollte der Überlebende bei Aufhebung seiner Verfügung das ihm von dem anderen Ehegatten Zugewendete beim Berliner Testament an die nachfolgend bedachten Dritten und sonst an die gesetzlichen Erben des Erstverstorbenen herausgeben.572 Für die Regelung der Korrespektivität nach Maßgabe der für den Erbvertrag gegebenen Vorschriften wurde von den betreffenden Antragstellern (Jakubezky und Wilke) folgendes geltend gemacht: „Zwischen einem gemeinschaftlichen Testament und einem unter Vorbehalt des Rücktritts abgeschlossenem Erbvertrage bestehe jedenfalls insoweit, als es sich um die Beerbung des längstlebenden Ehegatten handele, kein grundlegender Unterschied. Beide seien demselben Zwecke zu dienen bestimmt, die Wahl des einen oder des anderen hänge oft von zufälligen Umständen ab. Auf die Benennung dürfe kein Gewicht gelegt werden, denn ob ein Erbvertrag oder ein gemeinschaftliches Testament gewollt sei, komme häufig den Erblassern selbst nicht recht zum Bewußtsein. Der historischen Entwicklung nach seien die gemeinschaftlichen Testamente aus den Erbverträgen hervorgegangen, wie die Ausdrucksweise der alten Urkunden und die ältere Praxis verschiedener Länder beweise. Hiernach rechtfertige es sich, solche Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments, durch welche gemeinschaftliche Anordnungen über den Nachlaß des überlebenden Ehegatten getroffen würden, ganz den entsprechenden Verfügungen gleichzustellen, die in einem unter dem Vorbehalt des Rücktritts geschlossenen Erbvertrage vereinbart sind. Die Bezeichnung ,gemeinschaftliche Verfügungen‘ müsse dabei in einem weiteren Sinne verstanden werden, so daß es nicht auf die Sprachweise des Testaments oder auf die juristische Struktur der einzelnen Verfügung, vielmehr darauf ankomme, ob dieselbe 569

Vgl. die Nachweise oben in Fn. 562 und Protokolle S. 448. Die Vorschriften in der Fassung nach der Beratung der zweiten Kommission (§§ 1958, 1959, 1961 E I-VorlZust) sind mitgeteilt in Protokolle S. 452, dort Fn. 1. Ferner werden sie bei Jakobs/Schubert Beratung (Erbrecht) S. 1755, 1805 f. mitgeteilt (vgl. dort auch die weitere Entstehungsgeschichte bis zu den Formulierungen des Gesetzes, §§ 2293, 2296, 2298 BGB). 571 Ebenda (oben Fn. 569). 572 Vgl. Protokolle S. 449 f. (Antrag Nr. 7); vgl. Akten des Reichjustizamts, Antrag Nr. 113 – Mandry; vgl. auch Jakobs/Schubert Beratung (Erbrecht) S. 1681. 570

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auf der dem formellen Testierakte doch notwendig vorausgegangenen Willenseinigung [!] der Erblasser beruhe, also der Sache nach eine gemeinschaftliche Verfügung sei.“573

Bei anderen Verfügungen dagegen, die nicht die Beerbung des Überlebenden beträfen, sei es nach Auffassung der beiden Antragsteller nicht so sicher, daß die Verfügungen im Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit ständen. Das Verhältnis sei in diesen Fällen kein so enges, als daß die sämtlichen Rechtssätze des Erbvertrags, namentlich bezüglich des Einflusses der Ungültigkeit einer Verfügung, auf derartige Verfügungen übertragen werden könnten. Nur im Punkte der Aufhebung sei die gleiche Behandlung auch dieser Verfügungen mit den Erbverträgen angezeigt. Denn erhebliche Gründe sprächen dafür, den Widerruf bei allen in einem gemeinschaftlichen Testament vorkommenden korrespektiven Verfügungen dem vorbehaltenen Rücktritt beim Erbvertrag entsprechend zu gestalten. Die für den Rücktritt des Erbvertrags vorgesehene gerichtliche oder notarielle Form (vgl. § 1958 E I, § 2162 E II; heute § 2296 BGB) habe den Vorzug, daß die Aufhebung der Verfügung des einen Teils dem andern zur Kenntnis gebracht werde. Da auch die im Hauptantrag für die Wirksamkeit des Widerrufs vorgesehene Mitteilung einer Form unterworfen werden müßte, weil eine formlose Mitteilung notwendig zu praktischen Mißständen führen würde, sei der Widerruf von einer Rücktrittserklärung in jedem Fall nicht zu unterscheiden. Da die Frage, ob der andere Teil vom Widerruf in Kenntnis zu setzten sei, nicht unumstritten war, wurde ferner darauf hingewiesen, daß es loyaler sei, die Aufhebung einer in einem gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügung mit Wissen des anderen Teils als hinter dessen Rücken zu bewirken. Letzteres entspreche schwerlich den Absichten der Ehegatten bei Errichtung des Testaments.574 Von den Vertretern der übrigen Anträge wurde die Rücktrittsform des Erbvertrags abgelehnt. Damit werde dem schwächeren Teil, namentlich bei Ehen „von Leuten der niederen Stände“, tatsächlich das Widerrufsrecht genommen. Gegen den Rücktritt sprächen ferner formaljuristische Bedenken. Der Rücktritt sei ein dem Vertragsrecht eigentümliches Institut. Seine Anwendung auf einseitige Verfügungen sei etwas ganz Ungewöhnliches.575 „Das Vertragselement [!] in dem gemeinschaftlichen Testamente habe nur die Folge, daß die Verfügung des einen Ehegatten mit der des anderen stehe und falle; in der Form der Aufhebung entspreche der einseitige Widerruf mehr dem Wesen des Testaments und dem praktischen Bedürfnisse werde gerecht, wenn man dem widerrufenden Ehegatten eine formlose Mitteilung an den anderen zur Pflicht mache. Der Gesetzgeber dürfe sich endlich auch nicht der Erwägung verschließen, daß, wenn in einem Gesetzeswerke zwei Rechtsinstitute Aufnahme fänden, die im Wesentlichen 573 574 575

Protokolle S. 453 f. Protokolle S. 454. Ebenda.

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denselben Zweck verfolgten, es geboten sei, sie mit gewissen Unterschieden auszustatten, damit durch die Möglichkeit der Wahl des einen oder des anderen der vorhandenen Verschiedenheit der Fälle Rechnung getragen werde. Wolle man, insbesondere auch hinsichtlich Aufhebung, das gemeinschaftliche Testament ganz nach der Art eines unter Vorbehalt des Rücktritts geschlossenen Erbvertrags regeln, so sei es besser, das Institut überhaupt nicht aufzunehmen und in den Titel über den Erbvertrag die [. . .] Bestimmung einzustellen, daß bei Erbverträgen von Ehegatten und Verlobten in Ermanglung einer gegentheiligen Bestimmung der Rücktritt als vorbehalten gelte.“576

Mandry begründete seinen Antrag, nach welchem die Aufhebung einer korrespektiven Verfügung den Erblassern jederzeit, auch nach der Annahme einer Zuwendung aus dem Nachlaß des Erstverstorbenen, gestattet sein sollte, in erster Linie damit, daß die freie Widerruflichkeit dem Willen der Erblasser entspreche. Wer ein Testament errichte, glaube, an seine darin enthaltenen Verfügungen noch nicht endgültig gebunden zu sein. Die Bindung des Erblassers könne auch bei eintretenden Veränderungen in seinen Lebensverhältnissen zu großen Härten führen. Darüber hinaus griff Mandry den zuvor in anderem Zusammenhang aufgebrachten Gedanken auf, daß es notwendig sei, zwischen dem gemeinschaftlichen Testament und dem Erbvertrag rechtliche Unterschiede bestehen zu lassen. Es empfehle sich, gerade im Punkt des Widerrufs die Verschiedenheit zu betonen und dem gemeinschaftlichen Testament nicht, sei es von Anfang an oder von einem späteren Zeitpunkt an, die Natur eines Erbvertrags „aufzuprägen“.577 Dem Prinzip des Württembergers Mandry, welches nicht allein der Rechtslage seines Bundeslands entsprach,578 sondern hinter dem noch während des 19. Jahrhunderts eine ganz beträchtliche Anzahl der Rechtsgelehrten stand,579 wurde entgegengehalten, es passe nicht zu „dem oben entwickelten Vertragselement“ (!) im gemeinschaftlichen Testament. Nach dem bei der Errichtung des Testaments vorhandenen und beiderseits erklärten Willen der Erblasser müsse angenommen werden, daß der Überlebende infolge des Erwerbs des ihm von dem anderen Zugedachten dem Recht des Widerrufs entsage. „Eine alte und feste Praxis habe mit sicherem Takte für diesen Fall die Bindung des überlebenden Ehegatten zur Geltung gebracht.“ Der Satz sei in das preußische Recht übergegangen und habe für das gemeine Recht seine Anerkennung in der Rechtsprechung des Reichsgerichts gefunden.580 Seine Beseitigung könne aus 576

Protokolle S. 454 f. Protokolle S. 456. 578 Zum Landrecht in Württemberg von 1610 (Teil 3, Tit. 7, § 4) und zur dortigen Rechtspraxis siehe Fischer ArchBürgR 6 (1892) 54, 99 ff.; vgl. auch bereits oben Fn. 321 und 322. 579 Siehe oben S. 91. 580 Protokolle S. 457 mit Hinweis auf ALR II 1 § 492 und RGZ 6, 174 ff. Siehe auch die Darstellung oben S. 77 ff. 577

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keinen inneren Gründen, noch weniger aber aus dem Grunde gefordert werden, damit zwischen dem Erbvertrag mit vorbehaltenem Rücktritt und dem gemeinschaftlichen Testament Unterschiede beständen. Eine weitgehende Übereinstimmung der beiden Institute sei für ihre gleichzeitige Aufnahme in das Gesetzbuch ebensowenig ein Hindernis, wie die nach den Vorschriften des Entwurfs bestehende große Ähnlichkeit zwischen der Hypothek und der Grundschuld deren Nebeneinanderstellung ausgeschlossen habe.581 „Man müsse damit rechnen, daß beide Institute im geltenden Recht vorhanden seien, und auch ein Bedürfnis für die Zulassung des gemeinschaftlichen Testaments neben dem Erbvertrag anerkennen, weil der letztere in manchen deutschen Gebieten unbekannt sei und sicherlich nie – am Wenigsten unter Ehegatten – in der Weise abgeschlossen werde, daß man sich ganz allgemein, ohne jede Beschränkung auf bestimmte Fälle, den Rücktritt vorbehalte. – Gegen den in Antrag Nr. 7 [Mandry] gemachten Vorschlag, die hinfällig gewordene Zuwendung mit rückwirkender Kraft den daselbst bezeichneten Dritten anfallen zu lassen, sprächen erhebliche Gründe. Einmal werde diese Regelung in manchen Fällen, z. B. bei der häufigen Anordnung, daß das gesamte Vermögen nach dem Tode des Längstlebenden den beiderseitigen Verwandten anfallen solle, nicht dem zu vermuthenden Willen des Verstorbenen entsprechen. Sodann aber werde durch den Vorschlag eine Gestaltung der Erbfolge geschaffen, welche der Entw. sorgfältig vermieden habe. Der Entwurf kenne nach §. 1808 [E I = E I-VorlZust; vgl. heute § 2105 BGB582] keine Einsetzung als Erbe oder Ersatzerbe unter einer Bedingung, die sich erst nach dem Eintritt des Erbfalls entscheide; nur eine Nacherbeinsetzung werde in dieser Art zugelassen. Ein vielleicht Jahrzehnte lang in der Schwebe bleibendes Erbrecht, dessen Bestand oder Nichtbestand von einer Potestativbedingung für den überlebenden Ehegatten abhänge, widerspreche völlig dem dieser Vorschrift zu Grunde liegenden Gedanken und müsse beim Eintritte der auflösenden Bedingung praktisch zu sehr unerwünschten Ergebnissen führen.“583

Auf den letzten Einwand hin änderte Mandry seinen das Widerrufsrecht des Überlebenden erhaltenden Antrag dahin ab, daß das Erbrecht des nach Annahme widerrufenden Ehegatten zwar bestehen bleibe, dieser jedoch schuldrechtlich verpflichtet sei, das ihm Zugewendete den nachfolgend bedachten Dritten oder den gesetzlichen Erben herauszugeben.584 Bei der Abstimmung über die Wirkung der Korrespektivität entschied sich die Mehrheit mit zehn gegen acht Stimmen für das System der Anträge von Jakubezky und Wilke. Allerdings wurde die von den Antragstellern vorgenommene Differenzierung zwischen „gemeinschaftlichen Verfügungen über den Nachlaß des überlebenden Theiles“ und sonstigen Verfügungen fallengelassen. Die Kommission entschloß sich, die für einen unter Rücktrittsvorbehalt ge581 582 583 584

Protokolle S. 457. Vgl. Jakobs/Schubert Beratung (Erbrecht) S. 1005. Ebenda (oben Fn. 581). Protokolle S. 458.

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schlossenen Erbvertrag geltenden Vorschriften allgemein bei korrespektiven Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament für anwendbar zu erklären.585 Dieses Ergebnis wurde von Planck in seiner vorläufigen Zusammenstellung der Kommissionsbeschlüsse als Abs. 1 des § d zu § 1913 E I wie folgt fixiert: „Treffen beide Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament Verfügungen, von denen anzunehmen ist, daß die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die des anderen getroffen sein würde, so finden auf die in einem solchen Verhältnisse stehenden Verfügungen die Vorschriften Anwendung, welche für einen Erbvertrag gelten, bei welchem sich die Parteien den Rücktritt vorbehalten haben.“

In Abs. 2 formulierte Planck die von der Kommission beschlossene586 und dem späteren Gesetz (§ 2270 Abs. 2 BGB) entsprechende Auslegungsregel, wann im Zweifel ein solches Verhältnis im Sinne des Abs. 1 anzunehmen sei.587 Entsprechend den Kommissionsbeschlüssen legte Planck damit eine Vorschrift für das gemeinschaftliche Testament vor, die für die Wirkungen der Korrespektivität auf die Regelungen des unter Rücktrittsvorbehalt geschlossenen Erbvertrags verwies. Vor der abschließenden Beschlußfassung der zweiten Kommission ersetzte die Redaktionskommission diesen Verweis weitgehend durch eigenständige Vorschriften für das gemeinschaftliche Testament. Mit den §§ 1939 g, 1939 h ZustRedKom legte sie der Gesamtkommission zwei Vorschriften vor, die im großen und ganzen bereits den §§ 2270, 2271 BGB entsprachen.588 Der Verweis auf die Vorschriften des unter Rücktrittsvorbehalt geschlossenen Erbvertrags beschränkte sich damit lediglich auf die Form für den Widerruf. Der Vorschlag der Redaktionskommission fand schließlich die Zustimmung der Gesamtkommission (vgl. §§ 2137, 2138 E II und §§ 2244, 2245 E II rev.) und wurde später mit den §§ 2270, 2271 BGB Gesetz.589 Vorliegend ist von besonderem Interesse, ob der umfassende Verweis auf die für den unter Rücktrittsvorbehalt geschlossenen Erbvertrag geltenden Vorschriften, den Planck noch entsprechend den angenommenen Anträgen von Jakubezky und Wilke in seine vorläufige Zusammenstellung aufgenommen hatte, mit den Regelungen der §§ 1939 g, 1939 h ZustRedKom materiell vollständig erhalten geblieben ist. Hierbei kommt es zunächst darauf an, wie umfassend der ursprüngliche Verweis zu verstehen war. Insbesondere fragt es sich in Anbetracht der vorliegenden Aufgabenstellung, ob die späteren §§ 2287, 2288 BGB in den Verweis mit 585

Vgl. ebenda. Dazu Protokolle S. 458 f. 587 Mitgeteilt wird die Regelung des § d E I-VorlZust bei Jakobs/Schubert Beratung (Erbrecht) S. 1685. 588 §§ 1939 g, 1939 h ZustRedKom mitgeteilt bei Jakobs/Schubert Beratung (Erbrecht) S. 1686. 589 Vgl. die Zusammenstellung bei Jakobs/Schubert Beratung (Erbrecht) S. 1686 f. 586

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eingeschlossen waren. Die Anträge von Jakubezky und Wilke differenzierten zwischen Verfügungen über den Nachlaß des Überlebenden und sonstigen Verfügungen. Während in jedem Fall die Vorschriften für den Widerruf eines unter Rücktrittsvorbehalt geschlossenen Erbvertrags (heute §§ 2293, 2296, 2298 BGB) gelten sollten, sollten die Verfügungen über den Nachlaß des Überlebenden – „auch im Uebrigen den Verfügungen desselben Inhalts gleich [stehen], welche durch einen unter dem Vorbehalte des Rücktritts geschlossenen Erbvertrag oder Vermächtnisvertrag getroffen werden.“590 (Jakubezky) – „auch im Uebrigen den Verfügungen desselben Inhalts gleich [stehen], welche durch einen unter dem Vorbehalte des Rücktritts geschlossenen Erbvertrag getroffen werden.“591 (Wilke)

Die Kommission beschloß die Differenzierung von Jakubezky und Wilke fallen zu lassen und „allgemein auf die korrespektiven Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments die Vorschriften für anwendbar zu erklären, welche für einen unter dem Vorbehalte des Rücktritts geschlossenen Erbvertrag gelten.“592

Diese Gegenüberstellung zeigt deutlich, daß die Kommission beim gemeinschaftlichen Testament mit korrespektiven Verfügungen für den Widerruf nicht lediglich auf die Regelungen über den Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt abstellen wollte. An und für sich muß daher angenommen werden, daß sämtliche Regelungen, die für den Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt gelten sollten, auch beim gemeinschaftlichen Testament mit korrespektiven Verfügungen zur Anwendung kommen sollten,593 somit auch die späteren §§ 2287, 2288 BGB.594 Die späteren §§ 2270, 2271 BGB inklusive des Verweises auf die Form des Rücktritts beim Erbvertrag (§§ 2271 Abs. 1 S. 1, 2296 BGB) entsprechen jedoch mit gewissen Modifikationen lediglich den ursprünglich für den Widerruf des gemeinschaftlichen Testaments vorgesehenen Vorschriften aus dem Erbvertragsrecht. Der umfassende Verweis wurde von der Redaktionskommission nicht übernommen. Vielmehr erfolgte die Beschränkung für sämtliche korrespektiven Verfügungen, die von der Kommission zuvor schon für den von Jakubezky und Wilke vorgesehenen Teilbereich abgelehnt worden war. Damit stellen sich zwei Fragen: (1) War es der Redaktionskommission bewußt, daß mit ihren Änderungen nur eine eingeschränkte Gleichstellung mit dem Erbvertrag unter Rücktrittsvorbehalt in den zweiten Entwurf hineinkommt? (2) Wurde diese Einschrän590

Protokolle S. 425, 448. Protokolle S. 426, 448. 592 Protokolle S. 458. 593 Zweifel verbleiben, vgl. sogleich im Text unter lit. c. 594 Siehe zur Anwendbarkeit der späteren §§ 2287, 2288 BGB beim Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt oben Fn. 477. 591

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kung von der Gesamtkommission bei der abschließenden Beschlußfassung gebilligt? Beide Fragen lassen sich ebensowenig direkt aus den Materialien beantworten, wie sich mit Sicherheit feststellen läßt, ob die §§ 2287, 2288 BGB von dem ursprünglichen Verweis überhaupt mit erfaßt sein sollten.595 c) Erste Reaktionen in der Literatur Zum Abschluß der historischen Betrachtungen soll ein Blick auf die ersten Reaktionen in der Literatur geworfen werden. Hierbei stehen die Ausführungen im Schrifttum im Mittelpunkt, die vor der einleitend dargestellten Grundsatzentscheidung des Reichsgerichts vom 25. April 1904 erschienen waren bzw. sich zu dieser Zeit bereits im Druck befanden. Zwar konnten diese Publikationen keinen Einfluß mehr auf den Gesetzgeber nehmen, sie zeigen aber eine von der höchstrichterlichen Rechtsprechung unbeeinflußte Sicht der Dinge und lassen teilweise Rückschlüsse auf die Meinungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Personen zu. Nachdem die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs beschlossen worden waren, verblieb dem Schrifttum bis zur Grundsatzentscheidung des Reichsgerichts ein Zeitraum von knapp acht Jahren. Soweit sich in dieser Zeit eine herrschende Meinung von einigem Bestand bilden konnte, sprach sie sich für eine analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB aus. Damit korrespondiert die Aussage des Reichsgerichts, seine Entscheidung sei im Einklang mit dem weit überwiegenden Teil der Literatur ergangen.596 Monographisch behandelte in dem vorbenannten Zeitraum L. Loewenwald das gemeinschaftliche Testament nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch unter besonderer Berücksichtigung des vorhergehenden Rechts (1899).597 Im Zusammenhang mit der Regelung des § 2269 BGB begründete er für die von ihm favorisierte Einheitslösung die „schon im gemeinen Recht“ bei anderen Konstruktionen vertretene Ansicht,598 daß der Überlebende über das beiderseitige Vermögen soweit frei verfügen könne, als das „vertragsmäßige Gebundensein“ nicht verletzt werde; dolose Schenkungen etc. seien ihm natürlich nicht gestattet. Die §§ 2287, 2288 BGB wurden von Loewenwald in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Er stützte seine Aussage allein auf Literatur und Praxis des vor dem 1. Januar 1900 geltenden Rechts.599 595

Vgl. bereits soeben oben Fn. 593. Vgl. RGZ 58, 64, 66; vgl. auch bereits oben S. 17 ff. 597 Vgl. Löwenwald, Die gemeinschaftlichen Testamente im Bürgerlichen Gesetzbuche für das Deutsche Reich mit eingehender Berücksichtigung der bisherigen Rechtssysteme, Berlin 1899. 598 Vgl. Hinweis auf: Glück S. 69 ff., Mühlenbruch S. 243, Hasse RheinMusJur 3 (1829) 239, 267 ff. und OAG Berlin SeuffArch 22, 45. Siehe dazu die Darstellung oben S. 100 ff. 596

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F. Rittgen führte bereits in der Erstauflage des Planck’schen Kommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch (1902) aus, daß der überlebende Ehegatte die lebzeitige Verfügungsfreiheit nicht gegen Treu und Glauben zur Schädigung der in dem gemeinschaftlichen Testament bedachten Dritten mißbrauchen dürfe; vielmehr dürften bei böswilliger Vermögensminderung die in den §§ 2287, 2288 BGB für den Erbvertrag gegebenen Vorschriften entsprechend anzuwenden sein.600 In der Erstauflage von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (1902) setzte sich schließlich Felix Herzfelder verhältnismäßig ausführlich für eine analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB ein. Er ging davon aus, daß hier „nur ein Uebersehen des Gesetzgebers vorliegen dürfte.“ Herzfelder beschränkte die Analogie noch auf gemeinschaftliche Testamente nach der Einheitslösung: „Da nun im § 2271 (vgl. P. V, 452 fg., 457) das Prinzip zweifellos zum Ausdruck gekommen ist, daß bei einem korrespektiven Testamente der überlebende Ehegatte, wenn er das im Testament ihm Zugewendete nicht ausschlägt, gleich einem Erblasser, der unter Vorbehalt des Rücktrittsrechtes einen Erbvertrag geschlossen hat, an die Bestimmungen des Testaments gebunden sein soll, so wird auch entsprechend dem im Sinne dieser Bindung präsumirten Willen der testierenden Ehegatten die analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 nicht abzuweisen sein. [. . .] Ist die Auslegungsregel des § 2269 nicht anwendbar, ist also der überlebende Gatte nur Vorerbe, so kommen natürlich die §§ 2287 und 2288 überhaupt nicht in Frage, sondern §§ 2112 fg., und zwar auch im Falle der §§ 2136, 2137 der Abs. 2 des § 2113.“601

Ob es dogmatisch richtig war, die analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB auf gemeinschaftliche Testamente zu beschränken, die der Auslegung des § 2269 Abs. 1 BGB folgten, ist zweifelhaft, kann aber in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben.602 599 Löwenwald S. 68 ff., insbesondere S. 81; vgl. auch bereits G. Eichhorn4 S. 205 (1900) mit Hinweis auf RGZ 41, 168 ff. (in der Vorauflage äußerte sich Eichhorn zu dieser Problematik noch nicht). 600 Rittgen in Planck1/2 § 2271 Anm. VII unter Hinweis auf: Boehm2 S. 216 (dort nicht direkt ausgesprochen, nur wegen „doloser Verfügungen unter Lebenden“ vergleichender Hinweis auf PrOTE 40, 114; 46, 93), G. Eichhorn4 S. 205 (siehe vorhergehende Fußnote), Löwenwald S. 81 (siehe oben im Text) und die gemeinrechtliche Rechtsprechung des Reichsgerichts: RGZ 41, 168 ff. Im Anschluß an Rittgen auch Strohal3 S. 345; in der knapp gehaltenen Erstauflage (1896) wurde noch nicht auf die Problematik der lebzeitigen Verfügungsfreiheit eingegangen (vgl. Strohal1 S. 6 ff.). 601 Herzfelder in Staudinger1 § 2271 Anm. VI, vgl. auch § 2269 Anm. 5. 602 Vgl. für die damals herrschende Meinung ferner: Goldmann Gruchot 38 (1904) 64, 81 (arg.: „Zwischen einem Erbvertrag und einem gemeinschaftlichen Testamente besteht, wenn letzteres für den überlebenden Ehegatten durch Annahme der Erbschaft unwiderruflich geworden ist, kaum noch ein Unterschied.“); Liebe § 404 Fn. 21 (1904; arg.: Verfügungen würden in gleicher Weise bindend); Proske S. 55 (1905) in einer von dem oben bereits erwähnten Breslauer Rechtslehrer Fischer betreuten Dissertation: die Analogie entspreche nur der „Natur der Sache“ und der „Billigkeit“, auch hier (S. 56) wurde auf die gemeinrechtliche Praxis des Reichsgerichts Bezug genommen (RGZ 41, 168 ff.).

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Der herrschenden Meinung standen auch kritische bis ablehnende Stimmen gegenüber.603 Auch von Dernburg wurde die folgende Frage ausdrücklich aufgeworfen: „Sind auf Schenkungen, welche die korrespektiven Bestimmungen des Testamentes beeinträchtigen, vielleicht die §§ 2287, 2288 BGB entsprechend anzuwenden?“ Im Gegensatz zu Herzfelder ließ Dernburg die Protokolle der zweiten Kommission unberücksichtigt und stellte für die Beantwortung seiner Frage allein auf die Regelung des § 2271 BGB ab. Er war der Ansicht, daß aus dem Verweis auf § 2296 BGB nicht auf eine schlechthin dem Erbvertrag gleichstehende Bindung geschlossen werden könne. Allerdings könnten Schenkungen unter Lebenden einen derartigen Umfang annehmen, daß sie einem Widerruf materiell gleichstünden. Unter Hinweis auf die gemeinrechtliche Rechtsprechung des Reichsgerichts sollten solche Schenkungen unzulässig sein.604 Während Eck in seinen Vorträgen über das Bürgerliche Gesetzbuch auf die Problematik der Verfügungsfreiheit unter Lebenden im Einklang mit den §§ 2265 ff. BGB gar nicht einging, bemerkte Rudolf Leonhard in seinen Anmerkungen zu diesen Vorträgen, daß mit den §§ 2287, 2288 BGB ein Unterschied zwischen dem „widerruflichen gegenseitigen Erbvertrag“ und dem wechselseitigen Testament gezogen sei.605 Leonhard ging demnach von einer bewußten Entscheidung des Gesetzgebers gegen die Übertragung der erbvertraglichen Schutzvorschriften aus. Für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse sind die Veröffentlichungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Personen. Eine umfassende Abhandlung über die Vorschriften des Erbrechts wurde von dem in der zweiten Kommission für das Erbrecht zuständigen Kommissionsmitglied Rüger vorgelegt (1899).606 Wie die meisten Autoren seiner Zeit beschrieb er die neuen Vorschriften lediglich. Rüger verfaßte seine Abhandlung für die sächsische Rechtspraxis. Dementsprechend legte er besonderes Augenmerk auf die Darstellung der Neuerungen, die das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich im Vergleich mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch Sachsens mit sich brachte. Während er den Schutz des Vertragserben durch die Regelung des § 2287 BGB mit Blick auf die Möglichkeit, sich nach § 2548 SächsBGB seiner lebzeitigen 603 Zwar fand die grundlegende Entscheidung des Reichsgerichts (RGZ 58, 64 ff.) später Zustimmung von Scherer Rechtsprechung S. 1029; zuvor griff Scherer Erbrecht S. 360 allerdings noch nicht auf die §§ 2287, 2288 BGB zurück, sondern rechtfertigte aus dem Deliktsrecht (§ 823 BGB) einen Anspruch gegen den Beschenkten bei Schenkungen, die zu dem Zweck vorgenommen worden seien, „um das gesamte Testament ganz oder teilweise illusorisch zu machen“, wenn dem Beschenkten die Absicht des Überlebenden bekannt gewesen sei (conscientia fraudis). 604 Vgl. Dernburg Bürgerliches Recht S. 261 f. (1905) unter Hinweis auf RGZ 41, 168, und RG JW 1900, 830 (gemeines Recht). Auf RGZ 58, 64 ff. wurde nicht verwiesen. 605 Vgl. Eck Vorträge S. 174, 188 f. mit Anm. von Leonhard (1904). 606 Vgl. Rüger, Sächsisches Archiv für Bürgerliches Recht und Prozeß, Bd. 9 (1899) S. 401 ff.

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Verfügungsfreiheit zu begeben, als unvollkommen bezeichnete und aufgrund der vom Gesetz geforderten Beeinträchtigungsabsicht davon ausging, daß die Geltendmachung des Anspruchs in vielen Fällen scheitern werde, so daß der Erblasser ungestraft in vielen Fällen wider Treu und Glauben handeln dürfe,607 ging er auf diese Problematik bei seinen Ausführungen zum gemeinschaftlichen Testament nicht ein.608 Es muß davon ausgegangen werden, daß Rüger die Verfügungsfreiheit unter Lebenden beim gemeinschaftlichen Testament noch nicht als vom Gesetzgeber zu regelndes Problem gesehen hat. Weder die Vorschriften des sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuchs,609 noch die §§ 2265 ff. BGB ließen die Frage einer Einschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit für seine (gegenüberstellende) Abhandlung als erwähnenswert erscheinen. Ein in der damaligen Literatur vielzitierter Gegner einer analogen Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB ist schließlich in Wilke zu sehen. Mit seinen Kommentierungen zu den §§ 2269, 2287 BGB (1900) ging er beim Berliner Testament davon aus, daß der Dritte, welcher nicht Nacherbe des Erstversterbenden sei, für seine Berufung in den Nachlaß des Überlebenden keinen anderen Schutz habe als das Verbot der Aufhebung korrespektiver Verfügungen (§§ 2270, 2271 BGB). „Der Dritte wird nicht einmal, wie der Vertragserbe oder der Vermächtnisnehmer geschützt gegen vorsätzliche Beeinträchtigung Seitens des Überlebenden durch Schenkungen oder durch Beseitigung von Erbschaftsgegenständen.“610 Die Aussage von Wilke erhält deshalb einen besonderen Stellenwert, weil dieser ganz maßgeblich an der Beschlußfassung der Vorschriften über das gemeinschaftliche Testament beteiligt war. Schließlich entschied sich die zweite Kommission im Hinblick auf die Wirkungen der Korrespektivität für das von Wilke und Jakubezky vorgeschlagene System.611 Sollte sich Wilke bei seiner Kommentierung am „Willen des Gesetzgebers“ bzw. demjenigen, der mehrheitlich innerhalb der zweiten Kommission geäußert wurde, orientiert haben, so lassen sich die zwei oben aufgeworfenen Fragen immer noch nicht mit Bestimmtheit beantworten. Es ist etwas irritierend, daß Wilke mit seinem Antrag die Vorschriften zur Anwendung bringen wollte, die für einen Erbvertrag gelten würden, der mit dem Vorbehalt des Rücktritts geschlossen sei, dann aber später jede Einschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit ablehnte. Abgesehen davon, daß es sich schon nicht feststellen läßt, ob Wilke bei seiner Kommentierung den Willen der Gesetzesverfasser im Blick gehabt hat, lassen sich auch unter der Prämisse eines solchen Blicks aus seiner späteren Äußerung verschiedene Schlüsse ziehen. Der umfassende Verweis auf die für den Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt geltenden Vorschriften könnte in der obigen Darstellung mißverstanden sein. Ande607 608 609 610 611

Rüger a. a. O. (oben Fn. 606) S. 427. Vgl. Rüger a. a. O. (oben Fn. 606) S. 430 ff. Dazu oben S. 108 ff. Wilke in Wilke/Raetz/Koffka/Neumann § 2269 Anm. 1, vgl. auch § 2287 Anm. 1. Vgl. die Darstellung oben S. 141 ff.

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rerseits könnte die Fassung der späteren §§ 2270, 2271 BGB durch die Redaktionskommission als eine im Nachhinein von der Gesamtkommission gebilligte Änderung aufgefaßt werden. Letzteres scheint allerdings eher unwahrscheinlich. Denn eine solche Änderung wäre sicherlich diskutiert und in den Materialen dokumentiert worden. Eine eindeutige Aussagekraft kann der ablehnenden Haltung von Wilke damit nicht beigemessen werden; sie bleibt aber ein wichtiger Baustein im Gefüge der historischen Auslegung, der nicht ohne weiteres übergangen werden darf. d) Zusammenfassung und Bewertung der historischen Auslegung aa) Kein Gewohnheitsrecht Die vorstehenden Ausführungen belegen zwar die von der Rechtsprechung des Reichsgerichts für seine grundlegende Entscheidung zur analogen Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB angenommene Übereinstimmung mit dem überwiegenden Teil der Literatur. Doch läßt ein differenzierterer Blick auf die von der Rechtsprechung unbeeinflußten Literaturmeinungen noch keine „allgemeine Überzeugung“ für die Analogie im Schrifttum erkennen. Eine allgemeine Überzeugung kann allenfalls insoweit angenommen werden, daß dem Inhalt des korrespektiven Testaments gegenläufige Verfügungen unter Lebenden nicht uneingeschränkt zur Geltung kommen dürften. Während sich Rittgen und Herzfelder bereits für eine Übertragung der erbvertraglichen Vorschriften im Wege der Analogie einsetzten, suchten Löwenwald und Dernburg noch mit dem weit überwiegenden Teil des Schrifttums eine Einschränkung durch allgemeine Erwägungen unter Bezugnahme auf die gemeinrechtliche Praxis zu rechtfertigen.612 Eine solche Differenzierung zur Frage der Einschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit mag etwas feinsinnig anmuten. Sie ist aber mit Blick auf die eingangs aufgeworfene Frage nach einem Gewohnheitsrecht für die Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB beim gemeinschaftlichen Testament durchaus zu rechtfertigen. Die Beantwortung dieser Frage wurde im Hinblick auf die Ungewißheit einer von der Rechtsprechung unabhängigen allgemeinen Überzeugung in der Literatur zunächst offengelassen.613 Bei differenzierterer Betrachtung läßt sie sich nunmehr verneinen. Doch auch eine undifferenzierte Betrachtung unter Einbeziehung der Diskussion zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs führt zu keinem anderen Ergebnis. Abgesehen von den kritischen Stimmen (Leonhard, Wilke) wurde eine Einschränkung der Verfügungsfreiheit unter Lebenden vor 612 Vgl. neben dem vorstehenden Text auch die gelegentlichen Ausführungen in den entsprechenden Fußnoten. 613 Vgl. oben S. 42 f.

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der Grundsatzentscheidung des Reichsgerichts zumeist lediglich unter Hinweis auf die gemeinrechtliche Rechtspraxis begründet.614 Auch hier fehlt es weitgehend an einer eigenständigen Argumentation.615 Aufgrund der Tatsache, daß Schenkungen in fraudem testamenti weder im Schrifttum des 19. Jahrhunderts zum Gegenstand wissenschaftlicher Erörterungen gemacht, noch im späteren Gesetzgebungsverfahren in irgendeiner Weise thematisiert wurden,616 läßt sich eine entsprechende „allgemeine Überzeugung“ auch nicht für das gemeine Recht annehmen. bb) Der „Wille des Gesetzgebers“ a) Beredtes Schweigen? Die zentrale Frage dagegen, wie es die Verfasser des Gesetzes und mit ihnen der Gesetzgeber mit der Verfügungsfreiheit unter Lebenden bei testamentarischer Bindung gehalten haben, läßt sich auch unter Berücksichtigung der umfangreichen historischen Untersuchungen nicht mit der für eine verfassungsrechtlich gebotene vorrangige Berücksichtigung historischer Argumente erforderlichen Sicherheit beantworten.617 Selbst wenn sich feststellen ließe, daß der Gesetzgeber bewußt auf eine den §§ 2287, 2288 BGB entsprechende Regelung beim gemeinschaftlichen Testament verzichtet habe, blieben immer noch zwei konträre Deutungen für ein beredtes Schweigen. Einerseits könnte mit dem Reichsgericht davon auszugehen sein, daß nach Meinung des Gesetzgebers schon der Grundsatz von Treu und Glauben zu einer den §§ 2287, 2288 BGB entsprechenden Rechtsfolge nötige.618 Anderseits könnte der Gesetzgeber beim gemeinschaftlichen Testament bewußt auf eine Einschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit verzichtet haben, um dieses Rechtsinstitut nicht vollends dem Erbvertrag gleichzustellen. In der neueren Literatur wird insbesondere von Kricke ein Wille des Gesetzgebers im Sinne der letztgenannten Variante angenommen.619 Neben der systematischen Überlegung, daß sich die Verweisungen auf das Erbvertragsrecht in § 2271 BGB nicht auf die §§ 2287, 2288 BGB erstreckten,620 stützt Kricke seine Auffassung im wesentlichen auf Aussagen aus den veröffentlichten Proto614

Ebenda (oben Fn. 612). Zum Erfordernis einer „eigenständigen Argumentation“ zur Abgrenzung des Gewohnheitsrechts vom gewöhnlichen Richterrecht vgl. oben S. 42. 616 Vgl. oben S. 97 ff. und S. 111 ff., jeweils passim. 617 Vgl. zum „Vorrang historischer Argumente“ oben S. 30 ff. 618 Siehe RGZ 58, 64, 66 und dazu oben S. 17 ff. 619 Vgl. Kricke S. 39 f., 71 f. So im Ergebnis auch mit ähnlicher Begründung sehr knapp Fleischmann S. 8 f. 620 Kricke S. 40, 71. 615

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kollen der zweiten Kommission. Hierbei räumt er zwar ein, daß sich in den gesetzgeberischen Vorarbeiten durchaus Argumente für eine Analogie finden ließen. Er teilt hierzu den oben wiedergegebenen Beschluß der zweiten Kommission mit, wonach allgemein bei korrespektiven Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments die Vorschriften für den Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt gelten sollten.621 Ferner sei während der Beratungen teilweise von einer weitgehenden Ähnlichkeit zwischen beiden Rechtsinstituten ausgegangen worden.622 Zur Annahme einer bewußten Entscheidung gegen die Übertragung der erbvertraglichen Vorschriften gelangt Kricke dann aber, indem er auf die Äußerungen während der Beratungen abstellt, wonach Unterschiede zwischen dem Rechtsinstitut des Erbvertrags und dem des gemeinschaftlichen Testaments gefordert wurden.623 „Die Aufnahme zweier weitgehend gleicher Rechtsinstitute in das BGB wäre unsinnig gewesen.“624 Darüber hinaus sei bei den Beratungen eingehend über die Reichweite der lebzeitigen Verfügungsbeschränkung beim Erbvertrag diskutiert worden, wohingegen sich beim gemeinschaftlichen Testament eine vergleichbare Diskussion nicht finde. „Die Nichtregelung einer Verfügungsbeschränkung unter Lebenden muß für den historischen Gesetzgeber aber so augenfällig gewesen sein, der Unterscheid zum Erbvertrag so deutlich, daß nicht von einer versehentlichen Unterlassung der Anwendbarkeitserklärung ausgegangen werden darf.“625 Die historische Argumentation von Kricke überzeugt nicht. Schon unter Berücksichtigung der geläufigen Gesetzesmaterialien – welche sich in dieser Frage auf die veröffentlichten Protokolle der zweiten Kommission beschränken, da in den Motiven der ersten Kommission wegen § 1913 E I kaum eine Beantwortung der vorliegenden Frage gefunden werden kann – erweist sich die Argumentation von Kricke als unhaltbar. Soweit nämlich Kricke darauf abstellt, daß während der Kommissionsberatungen darauf gedrängt worden sei, rechtliche Unterschiede zwischen dem gemeinschaftlichen Testament und dem Erbvertrag bestehen zu lassen, unterschlägt er die in den Protokollen mitgeteilte Gegenauffassung. Ferner trägt er dem Umstand keine Rechnung, daß die von ihm mitgeteilte Auffassung durch die Annahme der „Gegenanträge“ abgelehnt wurde.626 Aus der eigentlichen Entstehungsgeschichte lassen sich allerdings zwei Argumente herausfiltern, die in der bisherigen wissenschaftlichen Diskussion – soweit eine solche überhaupt stattgefunden hat627 – noch nicht vorgebracht wur621 622 623 624 625 626 627

Vgl. Kricke S. 40 mit Hinweis auf Protokolle S. 458 (dazu oben im Text S. 145). Kricke S. 40 mit Hinweis auf Protokolle S. 453. Vgl. Kricke S. 8, 40 mit Hinweis auf Protokolle S. 456. Kricke S. 7, vgl. auch S. 70. Kricke S. 40. Vgl. insgesamt Protokolle S. 448 ff. und die Darstellung oben S. 141 ff. Vgl. oben S. 18, 37 f.

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den. (1) Einmal ist zu berücksichtigen, daß die von der zweiten Kommission zunächst beschlossene umfassende Verweisung auf die Vorschriften über den Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt im Ergebnis nicht Gesetz geworden ist.628 Sollte sich die zunächst beschlossene Verweisung auch auf die späteren §§ 2287, 2288 BGB erstreckt haben,629 könnte die Einschränkung durch die Redaktionskommission für eine unterschiedliche Ausgestaltung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit beim Erbvertrag und beim gemeinschaftlichen Testament sprechen. (2) Weiter ist der Umstand von Bedeutung, daß sich gerade der im Gesetzgebungsverfahren bei der Beschlußfassung über die Regelungen des korrespektiven Testaments maßgeblich beteiligte Wilke gegen eine Übernahme der erbvertraglichen Vorschriften ausgesprochen hat.630 Mit Blick auf die gesamte Entstehungsgeschichte ist eine bewußte Entscheidung gegen eine Einschränkung der Verfügungsfreiheit unter Lebenden dagegen sehr unwahrscheinlich. Die Darstellung der Entstehungsgeschichte des Erbvertrags und des gemeinschaftlichen Testaments zeigt, daß die Nichtregelung einer Verfügungsbeschränkung unter Lebenden für den historischen Gesetzgeber keinesfalls – wie von Kricke angenommen – „augenfällig“ gewesen ist. Während sich die Frage einer Einschränkung der Verfügungsfreiheit unter Lebenden beim Erbvertrag aus seiner historischen Entwicklung heraus aufdrängte und demnach auch frühzeitig stellte,631 war eine solche Frage beim gemeinschaftlichen Testament zunächst von untergeordneter Bedeutung. Der Erbvertrag mußte sich seinen Weg zur Verfügung von Todes wegen erst mühsam bahnen. Auf diesem Weg wurde er seit jeher im Einklang mit den Vergabungen auf den Todesfall vom Grundsatz der Verbindlichkeit beherrscht.632 Für das gemeinschaftliche Testament galt als Verfügung von Todes wegen dagegen mit dem Grundsatz der Widerruflichkeit einhergehend der Grundsatz der Verfügungsfreiheit unter Lebenden. Eine Einschränkung der Verfügungsfreiheit unter Lebenden kam beim gemeinschaftlichen Testament erst mit dem Verlust des Widerrufsrechts in Betracht. Während sich der Verlust des Widerrufsrechts erst gegen die Grundsätze des römischen Rechts durchsetzen mußte, stand die Frage einer Einschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit beim gemeinschaftlichen Testament im Hintergrund.633 Obwohl das gemeinschaftliche Testament bereits im preußischen und sächsischen Recht sowie in der Rechtspraxis des gemeinen Rechts als Instrument zur verbindlichen Regelung der Vermögensnachfolge anerkannt war, schien sich auch dort eine Einschränkung der Verfügungsfreiheit unter Lebenden nicht aufzudrängen. Auffallend ist zum Beispiel, daß das preußische Recht 628 629 630 631 632 633

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

oben S. 146 ff., 151 f. ebenda. oben S. 151 f. nur S. 98 f. oben S. 58 ff. oben S. 71 ff.

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mit ALR I 12 §§ 625, 626 Regelungen für eine Einschränkung der Verfügungsfreiheit unter Lebenden für den Erbvertrag vorhält, aber keine Bestimmungen für das bindend gewordene gemeinschaftliche Testament. Ebenso auffallend ist der Umstand, daß sich eine beträchtliche Anzahl von Gerichtsentscheidungen zur Einschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit beim Erbvertrag findet, dagegen nur eine kleine Anzahl von Entscheidungen zum gemeinschaftlichen Testament. Diesem Bild entspricht auch die Diskussion im Schrifttum. Nur wenige Juristen äußerten sich zu einer Einschränkung der Verfügungsfreiheit unter Lebenden beim bindend gewordenen gemeinschaftlichen Testament. Von hervorzuhebender Bedeutung ist hierbei sicherlich der Umstand, daß die Frage der lebzeitigen Verfügungsfreiheit beim gemeinschaftlichen Testament regelmäßig im Zusammenhang mit der Auslegung des Berliner Testaments gesehen wurde. Solange Rechtspraxis und Schrifttum der älteren Einheitslösung oder der Trennungslösung folgten, standen die Beschränkungen der Verfügungsfreiheit unter Lebenden im Vordergrund, welche die fideikommissarische Substitution mit sich brachte. Erst als mit der gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufkommenden (neuen) Einheitslösung nicht mehr auf jene Beschränkungen zurückgegriffen werden konnte, gewann die Anfechtung wegen fraudulöser Veräußerungen beim gemeinschaftlichen Testament an Bedeutung.634 Da sich dem Gesetzgeber das Problem fraudulöser Veräußerungen durch die historische Ausgangslage anders als beim Erbvertrag nicht aufdrängen mußte, liegt der Gedanke durchaus nahe, daß dieses Problem übersehen wurde. Andernfalls ist es fernliegend, daß der Gesetzgeber beim gemeinschaftlichen Testament die Verfügungsfreiheit unter Lebenden gänzlich unbeschränkt wissen wollte. Denn hätte er die Möglichkeit einer Umgehung der testamentarischen Bindung bewußt in Kauf genommen, so hätte diese Entscheidung als Abweichung von der bisherigen Rechtslage und als Abweichung vom Erbvertragsrecht sicherlich ihren Niederschlag in den Gesetzesmaterialien gefunden. b) Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens Auch wenn mit den zwei oben aufgeführten Argumenten gewisse Zweifel verbleiben, liegt es doch ähnlich den eingangs in Frage gestellten Ausführungen des Reichsgerichts nahe, daß der Gesetzgeber entweder im Einklang mit dem seinerzeit geltenden Recht davon ausging, daß eine Umgehung der Bindungswirkung des § 2271 BGB mittels Verfügung unter Lebenden bereits ohne eine spezialgesetzlich geregelte Einschränkung ausgeschlossen sei, oder daß er die Problematik von Schenkungen in fraudem testamenti schlicht übersehen hat.

634

Zum vorstehenden insgesamt vgl. oben S. 97 ff.

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Für eine Übertragung der erbvertraglichen Vorschriften zum Schutz vor Schenkungen in Beeinträchtigungsabsicht sprechen die Verwandtschaft und die große Nähe des bindend gewordenen Testaments zum Erbvertrag. Ebenso wie in der überwiegenden Rechtspraxis zum gemeinen Recht wurde die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments im gemeinen Recht mit der Verwandtschaft korrespektiver Verfügungen zum Erbvertrag begründet. So wurde während der Beratungen der zweiten Kommission auf eine dem „Testierakte doch notwendig vorausgegangene Willenseinigung“ abgestellt und mehrfach auf das „Vertragselement“ des gemeinschaftlichen Testaments hingewiesen.635 Selbst wenn mit einem beredten Schweigen davon ausgegangen wird, daß der Gesetzgeber lediglich bei einer Umgehung der Bindungswirkungen des § 2271 BGB an einen Schutz des nachfolgend Bedachten nach allgemeinen Grundsätzen gedacht habe, entspricht eine Anwendung der erbvertraglichen Vorschriften der §§ 2287, 2288 BGB im Ergebnis dennoch dem Willen des Gesetzgebers. Dies mag zwar nicht für jedes Stadium der erbvertraglichen Schutzvorschriften im Gesetzgebungsverfahren gelten. Insbesondere das mit Schmitt von der ersten Kommission vorgesehene umfassende „Schenkungsverbot“ hätte eine sehr weitreichende Einschränkung der Verfügungsfreiheit unter Lebenden mit sich gebracht. Eine derart umfassende Einschränkung hätte mit dem Gedanken der unter allgemeinen Gesichtspunkten erforderlichen „Umgehungsabsicht“ im Widerspruch gestanden.636 Die mit den §§ 2287, 2288 BGB Gesetz gewordene Einschränkung erfaßt den Tatbestand der Umgehung des Verbots abweichender Verfügungen von Todes wegen. Denn nur Verfügungen in der Absicht, den Vertragserben zu beeinträchtigen, bezwecken eine Umgehung der erbrechtlichen Bindung. Würde hingegen von einer entsprechenden Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB beim gemeinschaftlichen Testament abgesehen, bestünde die Gefahr, daß für das gemeinschaftliche Testament die von der Literatur einst heftig kritisierte und vom Bundesgerichtshof 1972 aufgegebene Rechtsprechung zur sog. Aushöhlungsnichtigkeit wieder aufleben würde. Danach waren Verfügungen unter Lebenden nach § 134 BGB oder § 138 BGB als Umgehung der Vorschriften über letztwillige Verfügungen (§§ 2271, 2289 BGB) nichtig. In der Rechtsprechung wurde seinerzeit erfolglos versucht, objektive Kriterien für die Nichtigkeit von Umgehungsgeschäften herauszuarbeiten. Mit der Aufgabe der Rechtsprechung zur Aushöhlungsnichtigkeit war eine Erweiterung des Schutzbereichs der §§ 2287, 2288 BGB verbunden. Die Rechtsprechung geht auf Seiten des Erblassers seitdem bereits dann von einer Schenkung in Beeinträchtigungsab-

635 Vgl. die Darstellung oben S. 141 ff. mit den entsprechenden Nachweisen; siehe auch Battes S. 59. 636 Vgl. oben S. 103 (Rechtspraxis zum gemeinen Recht) und besonders oben S. 107 (Rechtspraxis zum preußischen Recht: Das Verbot abweichender Verfügungen [ALR II 1 § 492] könne sich nur insoweit auf Verfügungen unter Lebenden erstrecken, als diese eine Umgehung jenes Verbots bezweckten.).

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sicht aus, wenn der Erblasser die beeinträchtigende Schenkung ohne ein lebzeitiges Eigeninteresse vorgenommen hat.637 Damit überspannt die Rechtsprechung nach einer im Vordringen befindlichen Auffassung den Begriff der Beeinträchtigungsabsicht.638 Wird dagegen der traditionell enge Absichtsbegriff zugrunde gelegt, wird zum einen dem Anliegen der zweiten Kommission entsprochen, die Rechte des Vertragserben zu stärken,639 und zum anderen dem hier angenommenen Willen des Gesetzgebers zur Einschränkung der Verfügungsfreiheit unter Lebenden beim gemeinschaftlichen Testament. 3. Berücksichtigung objektiv-teleologischer Kriterien Bereits die historische Auslegung legt eine analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB beim gemeinschaftlichen Testament nahe. Allerdings kann die Analogie trotz umfangreicher historischer Forschungen nicht als verbindliche „Anordnung“ des Gesetzgebers ausgemacht werden. Allein einer solchen Anordnung wäre im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung ohne Berücksichtigung objektiv-teleologischer Kriterien Folge zu leisten.640 Bei der Berücksichtigung objektiv-teleologischer Kriterien steht im Rahmen der Rechtsfortbildung das dem allgemeinen Gleichheitssatz zu entnehmende Prinzip der Gleichbehandlung des Gleichartigen im Vordergrund. Entscheidend ist vorliegend die Frage, ob sich das historisch begründete Ergebnis durch eine vergleichbare Interessenlage bei erbvertraglicher und testamentarischer Bindung auch „objektiv-teleologisch“ begründen läßt. a) Gemeinsamkeiten und Unterschiede Trotz ihrer Verwandtschaft aus historischer Sicht liegen mit dem gemeinschaftlichen Testament und dem Erbvertrag zwei dogmatisch ganz unterschiedlich begründete Rechtsinstitute vor: ein Testament und ein Vertrag. Dieser dogmatische Unterschied wird besonders deutlich, wenn dem gemeinschaftlichen Testament ohne besondere Berücksichtigung korrespektiver Verfügungen der allgemeine Erbvertrag – und nicht etwa der „Berliner Erbvertrag“ (§ 2280 BGB) – gegenübergestellt wird. Mit Hilfe einer solchen Gegenüberstellung sucht namentlich Kricke, seine ablehnende Haltung zur Analogie der §§ 2287, 2288 BGB zu begründen. 637 Vgl. bereits oben Fn. 16. Zuletzt wieder aus der Rechtspraxis: OLG Celle FamRZ 2003, 1971, 1972 f. 638 Siehe die Nachweise in Fn. 16. 639 Vgl. oben S. 138 f. die Ausführungen zu dem einschränkenden Antrag von Jakubezky sowie insbesondere die historischen Ausführungen von Lemcke S. 114 ff. 640 Einmal abgesehen von einem Verfassungsverstoß; siehe oben S. 32 ff.

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aa) Die ablehnende Auffassung von Kricke Um die Unterschiede zwischen beiden Rechtsinstituten herauszuarbeiten, stellt Kricke zunächst auf ihre gesetzliche Ausgestaltung ab.641 Er weist dabei darauf hin, daß das gemeinschaftliche Testament nur von Ehegatten errichtet werden könne, der Erbvertrag könne dagegen mit einem beliebigen Dritten abgeschlossen werden. Beim gemeinschaftlichen Testament müßten beide Seiten Verfügungen von Todes wegen treffen, beim Erbvertrag reiche es, wenn nur ein Vertragspartner „letztwillige“ Verfügungen vornehme. Als Testament sei auch das Rechtsinstitut des gemeinschaftlichen Testaments vom Grundsatz der Widerruflichkeit beherrscht, wohingegen der Erbvertrag als echter Vertrag im Grundsatz unwiderruflich sei. Zu Recht wird von Kricke auf die unterschiedlichen Formerfordernisse hingewiesen.642 Während die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments durch die Möglichkeit der privatschriftlichen Errichtung (§§ 2247, 2267 BGB) erheblich erleichtert sei, sehe das Gesetz für den Erbvertrag allein die Form der notariellen Beurkundung vor (§ 2276 BGB). Da „besonders riskante oder komplizierte und in ihrer Bedeutung schwerwiegende Rechtsgeschäfte“ vom Gesetz häufig einem besonderen Formzwang unterworfen würden, wobei die Einhaltung der Form für die Parteien eine Warnfunktion erfüllen solle oder ihnen rechtliche Beratung durch einen Notar sichern solle, sei aufgrund der Formerleichterung für das gemeinschaftliche Testament von einer unterschiedlichen Intensität der Bindung beim Erbvertrag und beim gemeinschaftlichen Testament auszugehen. Kricke erkennt in den §§ 2287, 2288 BGB eine gegenüber der rein erbrechtlichen Bindung „erweiterte Bindung“ des Erblassers; auch auf diese beziehe sich die Warnfunktion der strengeren Formvorschrift. Die Formvorschrift des § 2267 BGB könne bei verfassungskonformer Betrachtung nur bei uneingeschränkter Verfügungsfreiheit unter Lebenden Bestand haben. Besonders deutlich tritt der allgemeine Erbvertrag als Vergleichsobjekt bei Kricke hervor, als er die Unterschiede beider Rechtsinstitute anhand der Motivationslage erläutert.643 Das gemeinschaftliche Testament sei für die Ehegatten häufig „Ausdruck der Ehe als Lebens-, Wirtschafts- und Schicksalsgemeinschaft“ und nicht Bestandteil der eigenen Vermögensplanung.644 Der Abschluß eines Erbvertrags stehe dagegen meist im Zusammenhang mit einer Gegenleistung. Kricke rückt hier den sog. Verpfründungsvertrag (§ 2295 BGB) in den Vordergrund. Beim Erbvertrag gehe es dem Vertragspartner des Erblassers in

641

Vgl. Kricke S. 43. Vgl. Kricke S. 44 f.; vgl. auch S. 71, 77 ff. 643 Vgl. Kricke S. 45 ff. 644 Hinweis auf Weirich, Erben und Vererben, Handbuch des Erbrechts, 1983, S. 147; Denkschrift S. 432. 642

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erster Line darum, daß er selbst oder ein bestimmter Dritter Erbe werde. Beim gemeinschaftlichen Testament solle dagegen das Vertrauen des verstorbenen Ehegatten auf die Verwirklichung der wechselbezüglichen (korrespektiven) Verfügungen geschützt werden. Die Begünstigung des „Schlußerben“ – besser: nachfolgend Bedachten645 – sei nicht Intention der gesetzlichen Regelung (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB), sondern „gewissermaßen nur eine beiläufige Folge der Vorschrift.“646 Als Ausdruck der wirtschaftlichen Bedeutung des Erbvertrags und des normalerweise stattfindenden Leistungsaustausches würden die §§ 2287, 2288 BGB nicht zu den allein auf den Vertrauensschutz angelegten Regelungen des gemeinschaftlichen Testaments passen. Im Hinblick auf die Reaktionsmöglichkeiten des durch Verfügung von Todes wegen gebundenen Erblassers geht Kricke beim gemeinschaftlichen Testament von einem gesteigerten Bedürfnis lebzeitiger Verfügungen aus.647 Er meint, dem Erblasser würde es beim gemeinschaftlichen Testament aufgrund der Korrespektivität schwerer fallen, sich zum Beispiel durch Anfechtung oder Ausschlagung von der Bindungswirkung zu befreien. Unberücksichtigt bleibt dabei – wie bei der gesamten Gegenüberstellung von Kricke – die vergleichbare Problematik beim typischen Ehegattenerbvertrag (vgl. §§ 2280, 2298 BGB). Schließlich spricht sich Kricke aus dem Grund gegen eine Übertragung der erbvertraglichen Vorschriften beim gemeinschaftlichen Testament aus, da die in der Praxis selten durchgreifenden Schutzvorschriften der §§ 2287, 2288 BGB schon gar nicht geeignet seien, den „Schlußerben“ wirkungsvoll vor beeinträchtigenden Rechtsgeschäften des überlebenden Ehegatten zu schützen.648 Sollte insoweit eine Schutzbedürftigkeit des erstversterbenden Ehegatten anzuerkennen sein, so wäre es sinnvoller, die Ehegatten auf den Abschluß eines Erbvertrags und zusätzliche Sicherungsmaßnahmen zu verweisen.649 Neben anderen erbrechtlichen und auch schuldrechtlichen Maßnahmen wird die Anordnung von Vor- und Nacherbschaft als wirksame Sicherheitsmaßnahme aufgeführt.650 645 Als Schlußerbe wird beim Berliner Testament nach der Einheitslösung der Erbe des Überlebenden bezeichnet (vgl. Mayer in Dittmann/Reimann/Bengel4 § 2269 Rn. 33). Mit der Umschreibung des „nachfolgend Bedachten“ geht keine Entscheidung zur Auslegung des Berliner Testaments (Einheits- oder Trennungslösung) einher. 646 Vgl. neben dem Nachweis in Fn. 643 auch Kricke S. 58. 647 Vgl. Kricke S. 52 ff. 648 Vgl. Kricke S. 58 ff., 125. 649 Kricke S. 58, 62, 69, 125. 650 Vgl. Kricke S. 69 (Fn. 219), 126 ff., 156 f. (Nießbrauchsvorbehalt, auflösend bedingte Erbeinsetzung, aufschiebend bedingtes Vermächtnis, Testamentsvollstreckung, Verfügungsunterlassungsvertrag [i. V. m. Vertragsstrafe], Sicherungsschenkung). Auf die einzelnen Sicherungsmaßnahmen ist hier nicht näher einzugehen. Lediglich auf die Anordnung von Vor- und Nacherbfolge – und damit auf die Schwächen der Trennungslösung – wird in der folgenden Stellungnahme (sogleich unten S. 162 ff.) eingegangen.

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Obwohl Kricke in den §§ 2287, 2288 BGB eine auf das Erbrecht angepaßte Konkretisierung des allgemeinen Verbots widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium; § 242 BGB) erkennt, lehnt er eine Anwendung dieser Grundsätze beim gemeinschaftlichen Testament ab.651 Das gemeinschaftliche Testament sei ein reines Testament. Anders als beim Erbvertrag, der Verfügung von Todes wegen und Vertrag sei, fehle dem gemeinschaftlichen Testament das schuldrechtliche (vertragliche) Element, welches eine Übertragung der Grundsätze aus dem Vertragsrecht dogmatisch rechtfertigen könne. Das gemeinschaftliche Testament sei eben kein Vertrag, sondern eine auf Vertrauen basierende Verfügung von Todes wegen.652 Die Analogie der herrschenden Meinung entspreche nicht dem unterschiedlichen Wesen von Testament und Vertrag; vielmehr würden die Grenzen zwischen beiden Rechtsinstituten verwischt. bb) Die vermittelnde Auffassung von Fleischmann Auf die unterschiedlichen Bindungswirkungen beim Erbvertrag und bei korrespektiven Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments wurde in der Literatur bereits vor der Veröffentlichung von Krickes Gegenposition (1991) hingewiesen.653 So wurde bereits von Fleischmann (1989) unter Hinweis auf die Unterschiede in der Bindungswirkung eine – mit Blick auf Krickes spätere Gegenposition zur herrschenden Meinung – vermittelnde Auffassung begründet.654 Nach Fleischmann sollen die §§ 2287, 2288 BGB beim gemeinschaftlichen Testament nur dann zur Anwendung kommen, wenn ihre Anwendung dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen der Ehegatten entspreche.655 Fleischmann erkennt in einer unmittelbaren Abhängigkeit der Anwendbarkeit der §§ 2287, 2288 BGB vom „gemeinschaftlichen Erblasserwillen“ gerade den „Wesensunterschied“ zwischen dem gemeinschaftlichen Testament und dem Erbvertrag.656 Anders als beim gemeinschaftlichen Testament habe der Gesetzgeber beim Erbvertrag selbst – zunächst unabhängig vom Willen der Vertragsparteien – die direkte Geltung der §§ 2287, 2288 BGB angeordnet.657 Von Fleischmann wird hier eine bewußte Entscheidung des Gesetzgebers unterstellt, 651

Vgl. Kricke S. 94 ff. passim. Die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments (§ 2271 BGB) begründet Kricke S. 115 ff. mit der inneren Einheit korrespektiver Verfügungen (Bedingungszusammenhang); nicht mit einem Vertragselement oder einem Vertrauensverhältnis. Das durch die Bindungswirkung geschützte Vertrauen sei nur Reflex, nicht dogmatische Grundlage der Konstruktion. 653 Vgl. Fleischmann S. 6 ff. 654 Vgl. bereits oben S. 37 f. 655 Fleischmann S. 15 ff.; dagegen: Kricke S. 120 ff. und (auf Basis der herrschenden Meinung) Degert S. 102. 656 Vgl. Fleischmann S. 18. 657 Ebenda. 652

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um dann eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes zu verneinen. Mit einer solchen petitio principi läßt sich die Analogie der herrschenden Meinung allerdings ebensowenig ablehnen wie mit einem Hinweis auf die Unterschiede zwischen gemeinschaftlichem Testament und (allgemeinem) Erbvertrag.658 cc) Die herrschende Meinung – Stellungnahme Die vorliegend in Frage stehende Analogie kann mit der herrschenden Meinung durchaus auch auf eine Vergleichbarkeit der Interessenlagen gestützt werden.659 In der Literatur wurde die Vergleichbarkeit der Interessenlagen bisher allein von Aunert-Micus (1991) mit einer umfangreicheren Untersuchung bestätigt.660 Sie stellt dabei auf die Entstehung und den „inneren Grund“ der Bindung ab. So weist Aunert-Micus darauf hin, daß zwar die Bindung beim Erbvertrag durch den Abschluß des Vertrags herbeigeführt werde, wohingegen beim gemeinschaftlichen Testament die Bindung kraft Gesetzes (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB) erfolge. Allerdings sei auch beim gemeinschaftlichen Testament der beiderseitige Willensakt des Testierens vorausgegangen. Bei der Gemeinschaftlichkeit des Testierens handele es sich um eine geschäftsähnliche Willensäußerung,661 die mit den Willenserklärungen (letztwillige Verfügungen) der Ehegatten zu einer Äußerung verbunden sei. Dieser enge Zusammenhang rechtfertige den allgemeinen Grundsatz, nach welchem die Regeln für Willenserklärungen auf geschäftsähnliche Willensäußerungen anzuwenden seien.662 Den inneren Grund für die Bindung sieht Aunert-Micus beim gemeinschaftlichen Testament wie auch beim Erbvertrag im Vertrauensschutz.663 Da auch Aunert-Micus beim Vergleich der Interessenlagen vom allgemeinen Erbvertrag ausgeht, sieht sie beim Erbvertrag und beim gemeinschaftlichen Testament unterschiedliche Schutzrichtungen. Beim Erbvertrag vertraue der Vertragserbe, der zugleich auch Anspruchsinhaber des § 2287 BGB sei, darauf, daß der künftige Erblasser keine abweichenden Verfügungen von Todes wegen vornehmen könne. Bei einer ana658 Die Ausführungen von Fleischmann S. 9 ff. zu den unterschiedlichen Bindungswirkungen wurden von Kricke weitgehend übernommen. Insoweit kann auf die vorhergehende Darstellung der Gegenposition von Kricke verwiesen werden. 659 Vgl. für das Schrifttum nur den pauschalen Hinweis auf die Vergleichbarkeit der Interessenlage bei Musielak in MünchKomm3 § 2269 Rn. 34: „gleiche Interessenlage“ und § 2271 Rn. 45: „Ähnlichkeit der Interessen- und Rechtslage“ (vgl. sonst die Nachweise oben Fn. 5). 660 Vgl. Aunert-Micus S. 101 ff.; vgl. auch bereits oben S. 37 f. 661 Pfeiffer FamRZ 1993, 1266, 1270 f. mißt dem Willen zur gemeinschaftlichen Testamentserrichtung rechtsgeschäftliche Qualität bei. So auch Mayer in Dittmann/ Reimann/Bengel4 vor §§ 2265 ff. Rn. 22. 662 Aunert-Micus S. 104 f. 663 Aunert-Micus S. 107 ff.

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logen Anwendung des § 2287 BGB zugunsten des nachfolgend Bedachten beim gemeinschaftlichen Testament sei der Inhaber des Anspruchs aus § 2287 BGB dagegen nicht mit der Person identisch, deren Vertrauen durch die Bindung des gemeinschaftlichen Testaments geschützt werden solle. Die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments ziele allein auf den Vertrauensschutz der letztwillig verfügenden Ehegatten ab. Die unterschiedlichen Schutzrichtungen stünden einer analogen Anwendung allerdings nicht entgegen. Maßgeblich sei, daß beiden Rechtsinstituten ein durch die erbrechtliche Bindung zu schützendes Vertrauensverhältnis zugrunde liege.664 Die bisherigen Stellungnahmen zur Analogie der §§ 2287, 2288 BGB lassen den wechselseitigen Erbvertrag als Gestaltungsmittel der Familienerbfolge außer Betracht. Die Bedeutung dieses Gestaltungsmittels in der Praxis ist nicht zu unterschätzen. Sind Eltern (noch) nicht miteinander verheiratet und wollen sie trotzdem dem Berliner Testament entsprechende Regelungen treffen, bleibt ihnen nur der Abschluß eines wechselseitigen Erbvertrags. Abgesehen von seiner praktischen Bedeutung drängt sich unter dem Eindruck der eigentlichen Entstehungsgeschichte der Normen über den Erbvertrag und das gemeinschaftliche Testament der wechselseitige Erbvertrag als „Berliner Erbvertrag“ für einen Vergleich geradezu auf. Schließlich war die heutige Ersatzlösung für Nichtverheiratete zunächst als Ersatz für das gemeinschaftliche Testament insgesamt vorgesehen. Die Darstellung der eigentlichen Entstehungsgeschichte der Normen über den Erbvertrag und das gemeinschaftliche Testament rückt dabei den wechselseitigen Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt im Sinne des § 2298 BGB in den Vordergrund. Der unter dem Vorbehalt des Rücktritts abgeschlossene Erbvertrag bietet sich ferner in ganz besonderem Maße als Vergleichspartner an, da der Gesetzgeber zur Anwendbarkeit der heutigen §§ 2287, 2288 BGB insoweit eine unmißverständliche Aussage getroffen hat. Abgesehen davon, daß die Regelungen der erbvertraglichen Vorschriften einen Ausschluß des speziellen Vertragserbenschutzes beim Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt nicht vorsehen, haben sich auch die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend ausgesprochen. Die erste Kommission lehnte es sogar ausdrücklich ab, den Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt für die Zeit des nicht erklärten Rücktritts aus dem Schutzbereich des § 211 TE-ErbR (heute § 2287 BGB) herauszunehmen. Die Kommission wollte verhindern, daß durch eine uneingeschränkte Verfügungsfreiheit unter Lebenden im Ergebnis ein formfreier Teilrücktritt in das Gesetz hineinkomme.665 Mit dem „neuen“ Vergleichspartner sind kaum noch Unterschiede zwischen den Rechtsinstituten auszumachen. Zwar verbleibt der Unterschied in der dog664

Aunert-Micus S. 115 ff. Vgl. oben Fn. 477 mit den entsprechenden Nachweisen. Hierzu auch gleich im Teil 2, oben S. 170 ff. 665

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matischen Konstruktion, der dazu führt, daß der Rücktrittsvorbehalt beim Erbvertrag extra vereinbart werden muß, während auch bei korrespektiven Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament der Grundsatz der Widerruflichkeit gilt. Dieser Unterschied läßt sich mit der Entstehungsgeschichte beider Rechtsinstitute erklären und im Hinblick auf die in Frage gestellte Analogie zugleich nivellieren. Die Rechtsinstitute haben sich aus verschiedenen Richtungen kommend einander immer weiter angenähert.666 Obwohl beide Institute im 19. Jahrhundert in vielen Detailfragen kaum noch zu unterscheiden waren,667 blieben sie mit den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Ergebnis jeweils ihren ursprünglichen Grundsätzen treu. Bei einer großen Ähnlichkeit beider Rechtsinstitute rechtfertigt der – rein geschichtlich begründete – dogmatische Unterschied jedoch keine differenzierte Behandlung im Hinblick auf die Verfügungsfreiheit unter Lebenden.668 Auch lassen sich mit dem „Berliner Erbvertrag“ als Vergleichspartner nicht einmal unterschiedliche Schutzrichtungen feststellen. Die Schutzrichtungen sind identisch. Auch beim wechselseitigen Erbvertrag mit weiteren Verfügungen zugunsten nachfolgend bedachter Dritter soll grundsätzlich nur das Vertrauen des Erstversterbenden geschützt werden. Sind die Dritten nicht zugleich Vertragspartner, so ist ihre Begünstigung durch die Vorschriften der §§ 2287, 2288 BGB – ebenso wie beim gemeinschaftlichen Testament – lediglich Reflex des in andere Richtung vorgesehenen Vertrauensschutzes. Auf eine Gegenleistung im Rahmen eines echten Leistungsaustausches kommt es beim Erbvertrag als reinem Gestaltungsmittel der Familienerbfolge ebensowenig an wie beim gemeinschaftlichen Testament. Mit seiner Absage an die Analogie der §§ 2287, 2288 BGB erreicht Kricke keinen verbesserten Schutz des nachfolgend Bedachten vor lebzeitigen Verfügungen des Überlebenden. Zwar mag es sein, daß Ehegatten im Hinblick auf die §§ 2287, 2288 BGB von zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen Abstand nehmen. Lediglich in den Fällen, in denen das Testament (privatschriftlich) ohne fachkundige Beratung errichtet wird, besteht die Gefahr, daß die Ehegatten irrtümlich von einem umfassenden gesetzlichen Schutz ausgehen. Dies setzt allerdings voraus, daß den Ehegatten die Vorschriften der §§ 2287, 2288 BGB bekannt sind. Für den Regelfall wird eine solche Kenntnis nicht zu unterstellen sein. Die Auffassung von Kricke birgt vielmehr die ungleich größere Gefahr in sich, daß sich die Ehegatten irrtümlich auf einen wie auch immer ausgestalteten

666

Vgl. nur die Zusammenfassung oben im Text S. 94 ff. Die Bindung des Überlebenden an seine korrespektiven Verfügungen aus einem gemeinschaftlichen Testament wurde von der herrschenden Meinung mit Blick auf den Erbvertrag begründet: vgl. oben S. 91 f., 92 f. 668 Zumal der dogmatische Unterschied bei der Rechtswahl in der Praxis in den Hintergrund tritt: vgl. bereits die Ausführungen innerhalb der zweiten Kommission (siehe dazu nur oben S. 142); vgl. ferner heute stellvertretend Langenfeld NJW 1987, 1577, 1581. 667

B. Vorliegen einer Gesetzeslücke

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Schutz durch das Gesetz verlassen. Wird der historisch begründete Absichtsbegriff für die §§ 2287, 2288 BGB zugrunde gelegt,669 führt dies keineswegs zu unangemessenen Einschränkungen des Überlebenden in seiner lebzeitigen Verfügungsfreiheit. Ferner gilt es zu berücksichtigen, daß die fachlich nicht beratenen Ehegatten bei einem gesteigerten Sicherungsbedürfnis regelmäßig Vor- und Nacherbschaft anordnen werden. Zumindest wird sich eine solche Anordnung im Gegensatz zu komplizierteren Sicherungsmaßnahmen häufig im Wege der Testamentsauslegung ermitteln lassen. Auch Kricke verweist auf den Schutz des Nacherben durch die Vorschriften der §§ 2112 ff. BGB. Werden die §§ 2287, 2288 BGB jedoch nicht parallel zur Anwendung gebracht, so ist der Schutz des nachfolgend Bedachten vor lebzeitigen Verfügungen des Überlebenden auf das Vermögen des anderen Ehegatten beschränkt (Trennungslösung). Und selbst dieser Schutz ist beim gemeinschaftlichen Testament in der Regel ohne die §§ 2287, 2288 BGB nur unvollkommen. Ist nämlich der nachfolgend Bedachte – wie stets beim Berliner Testament – zugleich Erbe des Überlebenden, so ist eine im Grunde mit dem Eintritt des Nacherbfalls unwirksame Verfügung (vgl. §§ 2113 ff. BGB) wegen § 185 Abs. 2 S. 1 Alt. 3 BGB bei Annahme der Erbschaft des Überlebenden und unbeschränkter Haftung für die Nachlaßverbindlichkeiten dennoch wirksam. Ferner versagt der Nacherbenschutz im Gegensatz zu den §§ 2287, 2288 BGB bei einem gutgläubigen Erwerb (vgl. § 2113 Abs. 3 BGB).670 Wird die testamentarische Bindung mit der Bindung des unter Rücktrittsvorbehalt geschlossenen „Berliner Erbvertrags“ verglichen, verbleiben wenige Unterschiede.671 Der von Kricke vorgebrachte Umstand, daß beim gemeinschaftlichen Testament zwingend von beiden Seiten Verfügungen von Todes wegen getroffen werden müßten, begründet keinen Unterschied zum wechselseitigen Erbvertrag. Unterschiede von einigem Gewicht sind allein darin zu sehen, daß die Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments ausschließlich Ehegatten vorbehalten ist und daß die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments im Gegensatz zum Erbvertrag ohne Beteiligung eines Notars privatschriftlich zugelassen wird.672 Aus einer besonderen Vertrauensgrundlage der Ehe kann für das 669 Die Arbeit folgt hier einer im Vordringen befindlichen Position im Schrifttum; vgl. oben S. 157 f. 670 Vgl. bereits oben passim: S. 16 (dort Fn. 7) und Fn. 344, 376; vgl. ferner Edenhofer in Palandt63 § 2113 Rn. 8. Vgl. weiter zum ergänzenden Schutz des § 2287 BGB: OLG Celle MDR 1948, 142 ff. mit Anmerkung von Kleinrahm: „doppelter Schutz des Vertragsnacherben“ (S. 145); Edenhofer a. a. O. Rn. 12. 671 Zutreffend Basty MittBayNot 2000, 73, 79: Durch die Aufnahme eines Rücktrittsvorbehalts werde beim Erbvertrag eine der gesetzlichen Wertung beim gemeinschaftlichen Testament entsprechende Regelung geschaffen. 672 Die unterschiedlichen Formerfordernisse werden auch von Langenfeld NJW 1987, 1577, 1581 als „wesentlicher Unterschied“ hervorgehoben; vgl. auch Schulz-Zabel S. 72 f.

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gemeinschaftliche Testament nicht auf eine weitere Verfügungsfreiheit unter Lebenden geschlossen werden als beim Erbvertrag. Auch der Erbvertrag ist vom Gesetz als typisches Gestaltungsmittel der Ehegatten konzipiert. Dies zeigt sich an den besonderen Regelungen für Ehegatten (vgl. §§ 2276 Abs. 2, 2279, 2280 BGB) und wird durch seine Entstehungsgeschichte bestätigt.673 Der Formunterschied könnte allerdings eine differenzierte Behandlung in der Frage der Verfügungsfreiheit unter Lebenden rechtfertigen. Die privatschriftliche Form des (gemeinschaftlichen) Testaments wurde zwar bereits von der zweiten Kommission diskutiert,674 gelangte dann aber erst auf Drängen der Juristen aus den französischen und badischen Gebieten über die sog. Reichstagskommission durch den Reichstag in das Gesetzbuch.675 Da die Regelungen der §§ 2287, 2288 BGB bereits vor einer Entscheidung für die Zulassung privatschriftlicher Testamente „fehlten“, läßt sich eine differenzierte Behandlung nicht mit historischen Argumenten begründen. Die Argumentation von Kricke gegen eine analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB könnte allein für das privatschriftlich errichtete gemeinschaftliche Testament eine ablehnende Auffassung rechtfertigen. Wird das gemeinschaftliche Testament vor einem Notar errichtet, bestehen keine für die Frage der Analogie relevanten Unterschiede zum wechselseitigen Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt. Eine differenzierte Behandlung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit beim gemeinschaftlichen Testament kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn die Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB zu einer Einschränkung des Überlebenden führen würde, die ohne vorhergehende Beratung durch einen Notar (vgl. § 17 BeurkG) nicht hingenommen werden dürfte. Dies kann bei der in dieser Arbeit zugrundegelegten (engen) Auslegung der §§ 2287, 2288 BGB jedoch nicht angenommen werden. Die §§ 2287, 2288 BGB sind lediglich als spezialgesetzliche Ausgestaltung eines allgemeinen Umgehungsverbots zu verstehen. Sie schränken den Überlebenden in seiner Verfügungsfreiheit unter Lebenden nur geringfügig ein. Schließlich begründen nur „Schenkungen in fraudem testamenti“ – oder mit den Worten des Gesetzes: in „Beeinträchtigungsabsicht“ – einen Bereicherungsanspruch des nachfolgend Bedachten.

673 Vgl. vor allem die Darstellung der eigentlichen Entstehungsgeschichte oben S. 111 ff. passim. 674 Vgl. nur Protokolle S. 326 ff., zur Form des gemeinschaftlichen Testaments: S. 427 ff. 675 Siehe den Bericht des Abgeordneten Schröder (Berichterstatter in der Reichstagskommission für das Erbrecht) vom 12.06.1896 bei Mugdan S. 878 ff., dort S. 886 ff.; Sitzung des Reichtags vom 27.06.1896 (Stenographischer Bericht S. 3007 ff.); insgesamt zur geschichtlichen Entwicklung des eigenhändigen Testaments: Beutgen, Die Geschichte der Form des eigenhändigen Testaments, 1992 (zur Aufnahme in das Bürgerliche Gesetzbuch: S. 74 ff.).

B. Vorliegen einer Gesetzeslücke

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b) Ergebnis zur Berücksichtigung objektiv-teleologischer Kriterien Das mit historischen Argumenten gefundene Ergebnis läßt sich auch objektivteleologisch begründen. Die Interessenlage bei testamentarischer Bindung ist mit der bei erbvertraglicher Bindung dergestalt vergleichbar, daß eine unterschiedliche Behandlung der Verfügungsfreiheit des gebundenen Erblassers nicht gerechtfertigt werden kann. Die herrschende Meinung wird damit bestätigt. Einer bislang allein von Aunert-Micus besorgten Begründung der herrschenden Meinung wird durch den Vergleich mit dem wechselseitigen Erbvertrag unter Rücktrittsvorbehalt ein neues Argument an die Seite gestellt. Die Interessenlage des Überlebenden, der beim notariell beurkundeten Berliner Testament mit dem Tod des anderen Ehegatten sein Widerrufsrecht verliert, ist mit derjenigen des Überlebenden beim „Berliner Erbvertrag“ mit Rücktrittsvorbehalt identisch. Allein bei privatschriftlicher Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments tritt im Vergleich mit dem zwingend zu beurkundenden Erbvertrag ein Unterschied zwischen beiden Rechtsinstituten hervor. Dieser Unterschied rechtfertigt zumindest bei einer den (verbindlichen) Vorstellungen des Gesetzgebers entsprechenden Auslegung der §§ 2287, 2288 BGB keine differenzierende Behandlung. 4. Ergebnis zur Planwidrigkeit – Analogieschluß Unter Berücksichtigung der im Wege der historischen Auslegung gefundenen Erkenntnisse kann eine bewußte Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine Anwendung der sich aus den §§ 2287, 2288 BGB ergebenden Grundsätze beim gemeinschaftlichen nicht angenommen werden.676 Ein beredtes Schweigen des Gesetzgebers steht der richterlichen Rechtsfortbildung daher nicht entgegen. Im Vergleich mit den erbvertraglichen Vorschriften erscheinen die §§ 2265 ff. BGB „planwidrig unvollständig“, so daß im Ergebnis eine Gesetzeslücke auszumachen ist. Soweit sich diese Lücke bereits historisch aufdecken ließ, stellt sich die Frage, wie die Lücke des Gesetzes zu schließen ist (Analogieschluß). Unter Berücksichtigung der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs bietet sich – „in denkendem Gehorsam gegenüber dem historischen Gesetzgeber“677 – eine Übertragung der §§ 2287, 2288 BGB als Nachfolgeregelung der vormaligen Anfechtung doloser Veräußerungen an. Auch der Gedanke eines allgemein anerkannten Schutzes vor Umgehungsgeschäften rechtfertigt eine entsprechende Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB. Mit dem Vergleich der Interessenlagen ist diese Übertragung methodisch zusätzlich als „notwendige Analogie“ zu fordern.678 676 677 678

Vgl. oben zusammenfassend S. 153 ff. Vgl. oben S. 36. Zur „notwendigen Analogie“ vgl. oben S. 35.

168

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C. Zusammenfassendes Ergebnis zum Teil 1 Die herrschende Meinung wird mit dieser Arbeit erstmalig auf umfassender historischer Basis in Frage gestellt. Die historischen Hintergründe können die Analogie der §§ 2287, 2288 BGB für das gemeinschaftliche Testament nach Eintritt der erbrechtlichen Bindungswirkung zwar nicht als „verfassungsrechtlich“ verbindliches Ergebnis einer richterlichen Rechtsfortbildung begründen. Doch verhelfen die dargestellten Hintergründe der herrschenden Meinung zu einer ihr bisher fehlenden Basis. Auch wenn mit der Untersuchung „lediglich“ die Ergebnisse der eingangs offensiv in Frage gestellten, für die Bildung der herrschenden Meinung grundlegenden Entscheidung des Reichsgerichts bestätigt werden, so verhilft sie der nahezu gewohnheitsrechtlich begründeten Analogie zu weiterer Anerkennung in Anbetracht derzeit aufkommender Gegenpositionen (Kricke und Fleischmann). Der historische Teil dieser Arbeit zeigt, daß sich die Gegenpositionen vom geschichtlichen Hintergrund des nunmehr über 100 Jahre alten Gesetzes entfernt haben. Diese Erkenntnis verwundert ein wenig, da gerade Kricke am Anfang seiner Untersuchung noch auf die besondere Bedeutung eines rechtshistorischen Rückblicks für den Gegenstand dieser Untersuchung verwiesen hat: „Das Problem der Beschränkung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit des durch ein gemeinschaftliches Testament gebundenen Erblassers kann heute nur noch mit Hilfe eines rechtshistorischen Rückblicks in seiner Bedeutung voll verstanden werden.“679

Der Ansatz für die Gegenposition von Kricke ist für das noch gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts in seiner Entwicklung noch nicht abgeschlossene Rechtsinstitut des gemeinschaftlichen Testaments richtig gewählt. Nur läßt sich auf seiner Grundlage keine Gegenposition aufbauen. Die herrschende Meinung wird auch zur Frage der vergleichbaren Interessenlage bei testamentarischer und erbvertraglicher Bindung bestätigt. Eine besondere Nähe des durch gemeinschaftliches Testament gebundenen Erblassers zu dem mittels Erbvertrag gebundenen Erblasser wird durch einen Vergleich mit dem unter Rücktrittsvorbehalt geschlossenen „Berliner Erbvertrag“ herausgearbeitet. Hierin zeigt sich eine Erweiterung der bisher vorgebrachten Argumentation für die herrschende Meinung.

679

Kricke S. 3.

Teil 2

Annex: Schenkungen vor dem Tod eines Ehegatten Abschließend stellt sich die Frage, ob die §§ 2287, 2288 BGB auch zugunsten des überlebenden Ehegatten bei Schenkungen des Erstversterbenden zur Anwendung zu bringen sind. Besondere Bedeutung erlangt diese Frage dann, wenn der Überlebende von einer fraudulösen Schenkung des anderen Ehegatten erst nach dessen Tod erfährt. Der überlebende Ehegatte kann seine korrespektiven Verfügungen wegen § 2271 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB nicht mehr widerrufen. Solange eine Ausschlagung des ihm durch den anderen Ehegatten Zugewendeten noch in Betracht kommt (vgl. §§ 1942 ff. BGB), kann der Überlebende seine Verfügungen zwar noch aufheben, doch muß er dabei – wie beim Widerruf (vgl. § 2270 Abs. 1 BGB) – auf die ihm zugedachte Zuwendung verzichten (vgl. § 2271 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BGB). Nach Annahme oder Verstreichenlassen der Ausschlagungsfrist sind die Reaktionsmöglichkeiten des überlebenden Ehegatten sehr begrenzt.1 Bei „verheimlichten“ Schenkungen zu Lebzeiten beider Ehegatten zog das Reichsgericht eine analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB noch nicht in Betracht; das Reichsgericht beschränkte sich statt dessen auf die Regelung des § 138 BGB als Korrektiv zur lebzeitigen Verfügungsfreiheit der Ehegatten.2

A. Überblick über den derzeitigen Meinungsstand Der Bundesgerichtshof folgt im Ergebnis dem Reichsgericht und spricht sich ausdrücklich gegen eine analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB zugunsten des überlebenden Ehegatten aus.3 Soweit ersichtlich liegt bisher nur eine – für die wohl noch herrschende Meinung wiederum grundlegende4 – Entscheidung des obersten Zivilgerichts vor. Die Übertragung der erbvertraglichen Vor-

1

Vgl. nur oben Teil 1 Fn. 5 unter Hinweis auf Dohr MittRhNotK 1998, 381, 409 ff. Vgl. RG LZ 1920, 698, 699 (31.01.1920). 3 Vgl. BGHZ 87, 19, 23 f. (23.02.1983). 4 Im Anschluß: Basty MittBayNot 2000, 73, 74 (unter Hinweis auf BGHZ 82, 274 ff.); Edenhofer in Palandt63 § 2287 Rn. 3; Finger in AK § 2287 Rn. 3; Kricke S. 58 ff.; Kuchinke JuS 1988, 853, 854 (allerdings ohne Hinweis auf BGHZ 87, 19 ff.); Lange/Kuchinke5 § 24 Fn. 183 (S. 459); Leipold15 § 14 Fn. 31; Mayer in Dittmann/Reimann/Bengel4 § 2287 Rn. 15; Schmidt in Erman10 § 2271 Rn. 18. 2

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Teil 2: Annex – Schenkungen vor dem Tod eines Ehegatten

schriften wird schlicht damit abgelehnt, daß das gemeinschaftliche Testament zu Lebzeiten beider Ehegatten noch nicht bindend geworden sei.5 Eine Erweiterung der Analogie zugunsten des überlebenden Ehegatten wurde im Schrifttum erstmals von Susanne Speth (1985) vorgeschlagen.6, 7 Sie beschränkt ihre Untersuchung allerdings auf Schenkungen im Valutaverhältnis eines Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall (§§ 328, 331 BGB). Da das Valutaverhältnis nach ständiger Rechtsprechung weder formell noch materiell den Regeln des Erbrechts unterworfen wird,8 schützt § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB nicht vor einer durch einen Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall verheimlichten Schenkung. Diesen Umstand nimmt Speth zum Anlaß, mit der für den Widerruf des gemeinschaftlichen Testaments geltenden Formvorschrift des § 2296 BGB eine vom „Gesetz“ gewollte Risikoverteilung zu begründen, die es rechtfertige, dem überlebenden Ehegatten dann einen Bereicherungsanspruch zu gewähren, wenn er zu Lebzeiten des anderen Ehegatten von dessen Schenkung keine Kenntnis erlangt habe. Das für den Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall herausgearbeitete Prinzip hat in der Literatur zum Teil über die §§ 328, 331 BGB hinaus beachtlichen Beifall gefunden.9

B. Stellungnahme Ein beredtes Schweigen des Gesetzgebers steht einer Analogie zugunsten des überlebenden Ehegatten nicht entgegen. Die historischen Ausführungen zur Analogie zugunsten des nachfolgend Bedachten haben gezeigt, daß der Gesetzgeber entweder von einem allgemeinen Schutz vor „Umgehungsgeschäften“ ausgegangen ist oder schlicht die Übernahme der §§ 2287, 2288 BGB für die korrespektiven Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments übersehen hat.10 5 BGHZ 87, 19, 23 unter Hinweis auf RG LZ 1920, 698 und BGHZ 82, 274, 276 f.; vgl. auch die in der vorhergehenden Fußnote Zitierten. 6 Vgl. Speth NJW 1985, 463 ff. 7 Eine Erweiterung zugunsten des nachfolgend Bedachten zieht Johannsen DNotZ 1977 (Sonderheft: „75 Jahre Deutsche Notar-Zeitschrift“) 69, 86 bei Schenkungen zu Lebzeiten beider Ehegatten in Betracht, wenn eine Schenkung von dem überlebenden Ehegatten kurz vor dem Ableben des anderen erfolge, um die damit eintretende Bindung zu umgehen. 8 Eine Transformation der Schenkung in eine Verfügung von Todes wegen nach § 2301 Abs. 1 BGB findet nicht statt: ständige Rechtsprechung seit RGZ 106, 1 ff.; zuletzt wieder bestätigt von BGH ZEV 2004, 118 ff. (26.11.2003) mit insoweit zustimmender Anmerkung von Leipold; siehe auch Leipold14 Rn. 577 ff.; anderer Ansicht beispielsweise Medicus19 Rn. 396 ff. 9 Bei §§ 328, 331 BGB: Kanzleiter in Staudinger13 § 2287 Rn. 2; Schaper in AK § 2271 Rn. 34; Stürner in Jauernig10 § 2271 Rn. 5; bei Unkenntnis der Schenkung: Aunert-Micus S. 111 ff., 118; Musielak in MünchKomm3 § 2271 Rn. 45; Wolf in Soergel13 § 2271 Rn. 42, 46; ganz allgemein bisher nur Liessem MittRhNot 1988, 29, 38.

B. Stellungnahme

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Mit einem Schutz des überlebenden Ehegatten vor Schenkungen des anderen Ehegatten hat sich der Gesetzgeber während des Gesetzgebungsverfahrens nicht auseinandergesetzt. Er hat sich aber bewußt dafür eingesetzt, daß der Widerruf korrespektiver Verfügungen nicht heimlich vorgenommen werden könne. Die Möglichkeit eines heimlichen Widerrufs war für Schmitt und die erste Kommission ein Grund, das gemeinschaftliche Testament nicht in den Entwurf aufzunehmen.11 Die zweite Kommission entschied sich schließlich, für den Widerruf korrespektiver Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments auf die Formvorschrift für den Rücktritt vom Erbvertrag zu verweisen. Um praktische Mißstände zu vermeiden, nahm sie davon Abstand, lediglich eine formlose Mitteilung zu verlangen. Mit der strengen Form des späteren § 2296 BGB sollte gewährleistet werden, daß der Widerruf des einen Teils dem anderen beweisbar zur Kenntnis gebracht werde.12 Durch den Verweis auf § 2296 BGB tritt wiederum der Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt als Vergleichspartner in den Vordergrund. Oben wurde bereits erwähnt, daß die erste Kommission die späteren §§ 2287, 2288 BGB auch bei der Ersatzlösung des gemeinschaftlichen Testaments zur Anwendung bringen wollte. Sie wollte damit einem formlosen Teilrücktritt durch Verfügungen unter Lebenden entgegentreten.13 Der Rücktrittsvorbehalt nimmt dem Erbvertrag nicht seine spezifische Bindung. Solange der Erblasser von dem Rücktrittsrecht keinen Gebrauch macht, besteht kein Unterschied in der Intensität der Bindung zum vorbehaltlos abgeschlossenen Erbvertrag.14 Auch bei den korrespektiven Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament gilt es unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Zielvorstellungen, einer formlosen Aufhebung der Verfügungen entgegenzuwirken. Durch den Verweis in § 2271 Abs. 1 BGB auf die Formvorschrift des § 2296 BGB wurde dem gemeinschaftlichen Testament bereits mit seiner Errichtung eine gewisse Bindungswirkung beigemessen. Während Speth insoweit noch von einer Vorstufe zur späteren Bindung spricht,15 ist nach dem eingangs beschriebenen Dreistufenmodell bereits die erste Stufe der testamentarischen Bindung erreicht.16 Mit den „objektiv-teleologischen“ Argumenten aus dem ersten Teil dieser Untersuchung verbietet sich auch auf dieser Stufe der testamentarischen Bindung eine differenzierte Behandlung.17 Der Vergleich mit dem unter Rücktrittsvorbehalt geschlossenen Erbvertrag rechtfertigt eine umfassende Erweiterung 10 11 12 13 14 15 16

Vgl. oben S. 156 ff. Vgl. oben S. 112 ff. Vgl. nur Protokolle S. 451 ff.; vgl. auch die Darstellung oben S. 141 ff. Vgl. oben S. 163 und Teil 1 Fn. 477. Nur Edenhofer in Palandt63 § 2293 Rn. 1. Vgl. Speth NJW 1985, 463, 465. Siehe oben S. 15 f.

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Teil 2: Annex – Schenkungen vor dem Tod eines Ehegatten

der Analogie.18 Entsprechend der Rechtslage beim Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt ist der Schutz der §§ 2287, 2288 BGB generell zugunsten des überlebenden Ehegatten bei Schenkungen des anderen zur Anwendung zu bringen. Abgesehen davon, daß allein auf diese Weise dem Prinzip der Gleichbehandlung des Gleichartigen entsprochen wird, sprechen auch praktische Gründe für eine umfassende Analogie. Wird allein auf den Schutzzweck des § 2271 Abs. 1 BGB abgestellt, genügte zwar eine analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB in den Fällen, in denen der überlebende Ehegatte keine Kenntnis von der Schenkung hatte. Damit würde aber dem bereits schwer zu beweisenden Tatbestandsmerkmal der Beeinträchtigungsabsicht ohne Not ein weiterer „Unsicherheitsfaktor“ an die Seite gestellt.

17 Vgl. oben S. 158 ff. Vgl. auch Schulz-Zabel S. 65 f.: Der Rücktrittsvorbehalt beim Erbvertrag führe dazu, daß die Verhältnisse genau wie beim gemeinschaftlichen Testament vor dem Tod eines Ehegatten seien. Da Schulz-Zabel (1969) noch von der damaligen Rechtsprechung zur Aushöhlungsnichtigkeit (dazu knapp oben Teil 1 Fn. 16) ausgeht, wird die Analogie der §§ 2287, 2288 BGB bei ihr nur am Rande behandelt (vgl. S. 62 ff.). 18 So bereits Liessem MittRhNot 1988, 29, 38. Bisher weitgehend unbeachtet. Ein Hinweis auf Lissem findet sich in der neueren Kommentarliteratur nur bei Schmidt in Erman10 § 2271 Rn. 18.

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen Methodentheoretischer Teil • Der Gesetzgeber macht sich die Vorstellungen der Verfasser des Gesetzestextes zu eigen (Paktentheorie); die Vorstellungen des Gesetzgebers sind bei der Gesetzesauslegung vorrangig vor objektiv-teleologischen Aspekten zu beachten (Entscheidung des sog. Rangfolgenstreits zugunsten der historischen Auslegung, Bekenntnis zur subjektiven Auslegungstheorie). • Dieser Vorrang gilt auch für die Gesetzesfortbildung. Bei der Analogieprüfung hat dem Vergleich der Interessenlagen eine umfangreiche Untersuchung der historischen Hintergründe zur Ermittlung des gesetzgeberischen Willens voranzugehen.

Teil 1 • Die historische Auslegung legt eine analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB beim gemeinschaftlichen Testament nahe; allerdings kann eine Analogie trotz umfangreicher historischer Forschungen nicht als verbindliche „Anordnung“ des Gesetzgebers ausgemacht werden. • Dem Willen des (historischen) Gesetzgebers wird bei einer Übertragung der §§ 2287, 2288 BGB entsprochen, wenn für die Beeinträchtigungsabsicht der traditionell enge Absichtsbegriff zugrunde gelegt wird. Die derzeit herrschende Lehre, die mit der Rechtsprechung zur „Rechtfertigung“ einer beeinträchtigenden Schenkung auf das lebzeitige Eigeninteresse des gebundenen Erblassers abstellt, ist de lege lata mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der §§ 2287, 2288 BGB abzulehnen. • Wird für die Vergleichbarkeit der Interessenlagen auf der Seite des Erbvertrags auf den wechselseitigen Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt abgestellt, sind kaum noch Unterschiede zwischen dem Rechtsinstitut des Erbvertrags und der geläufigsten Erscheinungsform des gemeinschaftlichen Testaments, dem Berliner Testament, auszumachen. • Die §§ 2287, 2288 BGB (analog) ergänzen den unzureichenden Schutz des Nacherben beim Berliner Testament nach der Trennungslösung.

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen

Teil 2 • Historische Argumente stehen einer Analogie der §§ 2287, 2288 BGB zugunsten des Überlebenden beim gemeinschaftlichen Testament nicht entgegen. • Ein Vergleich der Interessenlage beim gemeinschaftlichen Testament (Berliner Testament) mit derjenigen beim wechselseitigen Erbvertrag mit Rücktrittsvorbehalt rechtfertigt – entgegen der herrschenden Meinung – eine umfassende Analogie zugunsten des überlebenden Ehegatten; die analoge Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB ist dabei nicht auf „verheimlichte Schenkungen“ beschränkt.

Quellen- und Literaturverzeichnis* Albrecht, Wilhelm Eduard: Die Gewere, als Grundlage des älteren deutschen Sachenrechts, Königsberg 1828. – Die Lehre von den Erbverträgen von Georg Beseler (Rezension), in: Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft, Bd. 11 (1842) S. 321 bis 353. Alexy, Robert: Theorie der juristischen Argumentation – Die Theorie des rationalen Diskurses als Theorie der juristischen Begründung, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1996. Alternativ-Kommentar, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (Reihe Alternativkommentare, Gesamtherausgeber Rudolf Wassermann), Bd. 6, Erbrecht, Neuwied 1990 (u. a. bearbeitet von Peter Finger und Jürgen Schaper). Andersch, Willi: Die Generationen in der Rechtsprechung – Verfügungsbeschränkungen unter Lebenden zugunsten der Erben, in: BWNotZ 1982 S. 153 bis 162. André: Ueber das testamentum reciprocum, in: Magazin für hannoversches Recht, Bd. 9 (1859) S. 19 bis 48. Arndts (von Arnesberg), Karl Ludwig: Zur Lehre von den Erbverträgen nach gemeinem und österr. Rechte, in: Oesterreichische Vierteljahresschrift für Rechts- und Staatswissenschaft, Bd. 7 (1861) S. 269 bis 290. – Lehrbuch der Pandekten, 14. Aufl., Stuttgart 1889. Aunert-Micus, Shirley: Der Begriff der Beeinträchtigungsabsicht in § 2287 BGB beim Erbvertrag und beim gemeinschaftlichen Testament, Diss. Münster 1991 (danach Aachen 1995). Baden, Eberhard: Zum Regelungsgehalt von Gesetzgebungsmaterialien, in: Rödig (vgl. unten) S. 369 bis 420. Bähr, Otto: Zur Beurtheilung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, München 1888. – Gegenentwurf zu dem Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Kassel 1892. Bamberger, Heinz Georg/Roth, Herbert: Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 3, §§ 1297–2385 – EGBGB – CISG, München 2003 (u. a. bearbeitet von Wolfgang Litzenburger). * Ausschließlich vollständig zitierte Werke sind im Quellen- und Literaturverzeichnis nicht aufgenommen. Dies gilt ebenso für die Werke, die in den Fußnoten als Nachweise aus der Sekundärliteratur mitgeteilt werden; hier wurden die Nachweise schlicht übernommen. Eine Überprüfung dieser Zitate aus zweiter Hand konnte im Hinblick auf die Zielsetzung dieser Arbeit unterbleiben (vgl. oben S. 46).

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Sachwortverzeichnis Analogie – Analogieschluß 34 f. – Gesetzeslücke 32 ff., 39 – Gleichheitssatz 34 – Voraussetzungen 32 ff. Auslegung – Auslegungstheorie, objektive und subjektive 23 ff. – historische Auslegung 21 ff. – Rangfolge der Auslegungselemente 24 Beeinträchtigungsabsicht 39 (Fn. 16), 99, 105, 119, 121, 126, 135, 138 f., 143, 150 (Fn. 603), 151, 157 f., 166, 172 Berliner Erbvertrag siehe Berliner Testament Berliner Testament – Begriff 15 – Einheitslösung 15, 80 (Fn. 239), 100, 104 f., 166 f. (Erbvertrag), 132 f., 138 (Erbvertrag) – Einheitslösung, ältere 86 ff., 100 ff., 156 – Konstruktion und juristische Begründung 15, 79 ff. (80, Fn. 239), 118, 126 (Erbvertrag), 130 f., 138 (Erbvertrag), 156 – Trennungslösung 15, 80 (Fn. 239), 83, 100, 102 ff., 118 f., 126 (Erbvertrag), 132, 138 (Erbvertrag), 156 donatio mortis causa siehe Schenkung von Todes wegen donatio omnium bonorum 59, 60 f. donatio post obitum 52 ff. donation reservato usufructu 52, 53 (Fn. 76)

Ehestiftung siehe Ehevertrag Ehevertrag 54, 56, 61 ff., 66 f., 96 Einkindschaft 56, 63 f. Erbenlaub 51, 54 (Fn. 80) Erbenwartrecht siehe Erbenlaub Erbverbrüderung 56 f., 61 ff., 137 Erbvertrag – Bayern, CMBC 69 – Entwurf BGB 111 ff., 130 (Fn. 509), 136 ff. – Frankreich, CC 69 f. – juristische Begründung 58 ff. – konservativer Erbvertrag 59 ff., 63 – Österreich, ABGB 70 – Preußen, ALR 69 – Sachsen, SächsBGB 71 – Verbot nach römischem Recht 48, 59, 61 f., 64 f. Erbverzicht 48, 56, 59 f. Fideikommiß 49 (Fn. 52) Freiteil 50 f., 54 (Fn. 80) Ganerbschaft 56 Gesetzesauslegung siehe Auslegung Gesetzeslücke siehe Analogie Gewohnheitsrecht 39 ff. Gütergemeinschaft 54 f. Kirche (Einfluß auf die Entwicklung des Erbrechts) 50, 54, 56 ff., 60 pacta dotalia mixta 62 ff., 66 f., 69, 96 Paktentheorie 23, 29 f., 30 f. Pflichtteilsrecht 51

Sachwortverzeichnis Richterrecht 40 ff. Rücktrittsvorbehalt beim Erbvertrag 113, 115 ff., 122, 125, 126 (Fn. 477), 129 f., 132 ff., 137 f., 142 Sachsenspiegel 50 f. (Fn. 59, 64), 55 Schenkung von Todes wegen 48 f., 64 Schenkungen in fraudem pacti (Erbvertrag) – gemeines Recht 98 ff. – Preußen, ALR 105 f. – Sachsen, SächsBGB 108 – Entwurf BGB 113, 116 f., 119, 121, 125 f., 133, 135 f., 138 f. Schenkungen in fraudem testamenti – Entwurf BGB 120, 125, 141 ff., 148 ff. – gemeines Recht 100 ff. – Preußen, ALR 106 ff. – Sachsen, SächsBGB 109 Schwabenspiegel 51 (Fn. 59), 55 Soldatenentscheidung (Cod. 2, 3, 19) 48, 60, 61 f., 73 Testament, gemeinschaftliches – Bayern 75 f., 79, 81 f., 85, 94 – Begriff 71 f. – Berliner Testament siehe dort – Entwurf BGB 111 ff., 136, 137, 140 ff.

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Form 166 Frankreich, CC 75 juristische Begründung 71 ff. Österreich, ABGB 75, 77, 82 f., 94 pactum de non revocando 77 ff. Preußen, ALR 75, 77, 79, 82, 94 römisches Recht 72 f. Sachsen, SächsBGB 75, 77, 79, 83, 94 – testamentum correspectivum 77 ff., 114 ff., 121, 123 ff., 129 ff. – testamentum mere simultaneum 76, 114 – testamentum reciprocum 76 ff., 112, 123 – testamentum simultaneum, Simultantestament 72 ff., 84, 114, 117, 125, 128, 130 – Verbot kaptatorischer Verfügungen 76 Testierfreiheit – Einschränkung durch (Erb-)Vertrag 60 – im römischen Recht 47 f. Universalfideikommiß 80 (Fn. 239) Vergabungen (von Todes wegen, auf den Todesfall) 51 ff., 57 f., 60 f., 74 Wartrecht siehe Erbenlaub