Sankt Georg die Wehrkirche zu Rastenburg [Reprint 2020 ed.] 9783112355589, 9783112355572

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Sankt Georg die Wehrkirche zu Rastenburg [Reprint 2020 ed.]
 9783112355589, 9783112355572

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KUNSTWISSENSCHAFTLICHE STUDIEN BAND XIV

ERNST

WITT

SANKT GEORG D I E W E H R K I R C H E ZU RASTENBURG

DEUTSCHER

KUNSTVERLAG

B E R L I N

1933

INHALT VORWORT

VII

DIE STADT Landschaft und Geschichte Burg- und Stadtsiedlung

1 1 3

DIE SANKT GEORGSKIRCHE Quellen zur Baugeschichte Heutige Gestalt Baugeschichtliche. Merkmale Datierung der Bauteile Proportionsgesetz Die Kleine Kirche

7 7 10 16 26 32 35

ENTWICKLUNG DER GESAMTANLAGE IN IHRER BAUKÜNSTLERISCHEN GESTALTUNG . . . . • 37 DIE KUNSTGESCHICHTLICHE KIRCHE

STELLUNG

DER

WEHR43

BEMERKUNGEN

51

LITERATUR

54

DRUCK VON J. I . AUGUSTIN IN GLÜCKSTADT UND HAUBURG

VORWORT Wenn etwas die steigende Aufmerksamkeit rechtfertigt, die die mittelalterliche Kunst im Gebiete des Deutsch-Ordensstaates Preußen erfährt, so ist es dies: nirgends so wie hier hat sich mittelalterliches Kunstschaffen die dem germanischen Formwillen eigene Prägung bewahrt u n d sich zu einem Ausdruck so kraftvoll nationaler Eigenart gesteigert. Als unter dem glanzvollsten Vertreter mittelalterlichen Kaisertums, Friedrich II., bereits u m das J a h r 1230 in Deutschland die völkischen K r ä f t e zu ermatten begannen u n d die herkömmlich wirksamen Ziele zurücktraten, wurde damit auch im geistigen Leben der Nation erstmalig der Weg freigegeben f ü r ein breites Einströmen fremder Anregungen u n d Vorbilder. Die geistige Führung ging allmählich von den einzelnen Trägern des persönlichkeitstarken Rittertums auf den breiten Kulturgrund des aufblühenden Städtetums über, dessen kulturelle Ungebundenheit sich bereitwillig fremden Einflüssen öffnete. I n diesem Umwandlungsprozeß r a f f t e sich aber noch einmal der ganze staats- u n d kulturbildende Stolz eines sterbenden Standes zu einer Leistung von wahrhaft geschichtsbildender Bedeutung in der Eroberung Preußens zusammen. Die Einzigartigkeit, die dieses Unternehmen kennzeichnet, liegt nicht zum mindesten über seinen noch heute sichtbaren Auswirkungen, der künstlerischen Ausbildung mittelalterlicher Baukunst im Deutsch-Ordenslande. Die Gotik fand hier auf einem Boden ohne eigene kulturelle Überlieferung, nur auf die geistigen Beziehungen zum Kernlande angewiesen und wenig beeinflußt von entfernteren Strömen westlicher Geistesentwicklung einen Ausdruck, der in seiner jugendhaften Frische u n d herben Ursprünglichkeit eine eindringlich deutsche Sprache spricht. Das ist es, was dieser Kunst wachsendes Verständnis sichert u n d diese Zeugen einer großen Vergangenheit in den Kämpfen u m eine h a r t e Gegenwart besonders wert sein läßt. Dieser Gruppe stolzester deutscher Kulturleistungen daneben die Geltung zu verschaffen, die sie nach Umfang u n d Bedeutung im R a h m e n der deutschen Kunstentwicklung beanspruchen darf, erscheint in der gegenwärtigen Lage des deutschen Ostens als selbstverständliche Pflicht. Versuche zur Fassung von entwicklungsgeschichtlichen Bindungen u n d zur Verdeutlichung der immanenten Kräfte, die dem Schaffen eines Raumes u n d einer Zeit unverwischbare Prägung geben, stehen f ü r Ostpreußen noch in den Anfängen. Dieses gilt vor allem f ü r die Frühzeit seiner künstlerischen Vergangenheit, die in mehr als einer Beziehung auch ihren Gipfel bedeutet. Auf weiten Strecken ist hier der Boden f ü r eine zusammenfassende Verlebendigung dieser Kunst noch dunkel. N u r der mittelalterliche Wehrbau des Ordens ist durch die Lebensarbeit C. Steinbrechts näher erforscht VII

worden u n d h a t durch C. H . Clasen seine kunstgeschichtliche Ausdeutung erfahren. F ü r den Städtebau, den Wohnbau und den Sakralbau .fehlen aber Vorarbeiten fast vollständig. Diese Lücke durch Untersuchung eines der interessantesten ostpreußischen Kirchenbauten schließen zu helfen, sei Aufgabe dieser Arbeit. Die Sonderstellung der Wehrkirche in Rastenburg hat schon manchen Kunsthistoriker u n d Architekten zu einer Beschäftigung mit ihr gereizt, ohne daß diese Arbeiten durch eine genaue Feststellung der Baugeschichte deren kunsthistorische Einordnung ermöglicht h ä t t e n . Bei dem Mangel an überliefertem Urkundenmaterial m u ß t e in weitgehendem Maße das Hauptbeweisstück, der Bau selbst, befragt werden. Bei der Menge u n d der schweren Zugänglichkeit der an ihm beobachteten baugeschichtlichen Merkmale war eine genaue Vermessung des Baues unvermeidliches Erfordernis. Diese Vermessungsaufnahmen sowie die zeichnerischen Auftragungen u n d Rekonstruktionen wurden in der Zeit v o m Oktober 1931 bis J u n i 1932 erledigt. Die Zeichnungen sind in sämtlichen Maßen urkundlich genau, jedoch sind bauliche Verunglimpfungen in den Details, die die Ausbesserungen des vorigen J a h r h u n d e r t s dem Bauwerke zufügten, nicht mit zur Darstellung gebracht worden. Dr.-Ing. Dr. phil. Witt.

VIII

DIE

STADT

LANDSCHAFT UND GESCHICHTE I n gleichem Maße dem Dienst am Kreuz wie dem Dienst am Schwert geweiht, ragt seit der Blütezeit des deutschen Ritterordens die Wehrkirche Sankt Georg in Rastenburg h a r t an abschüssiger Böschung mit der stolzen Steilheit ihrer Linien u n d der abweisenden Herbheit ihrer verwitterten Flächen in die hügelbewegte Landschaft Natangens. Sechs J a h r h u n d e r t e haben an dem heutigen Bilde gearbeitet. Ebenso rastlos, wie der Mensch seine Schöpfung weiterentwickelte, h a t die Natur das sie umgebende Gelände verändert. I n den typischen Endmoränenzug, der hier vorbeiläuft, h a t sich das Bett der Guber tief eingenagt. Sie selbst ist heute nicht mehr als ein lebhaft fließender Bach. Ihre Wasserführung m u ß jedoch bei dem ehemals gewaltigen Holzreichtum des Landes weit stärker gewesen sein. Wie die heutigen Hänge zeigen, war sie in früheren J a h r h u n d e r t e n weit wilder im Schwung ihrer Schleifen u n d nach Ausweis der noch vorhandenen Terrassen wesentlich breiter und höher gelegen. I h r Lauf ist f r ü h in vorgeschichtlicher Zeit besiedelt worden. Das gilt vor allem für die Gegend u m Rastenburg, wo in der Nähe die alten Bartener Lande, in denen die Stadt liegt, mit ihren Grenzen an die von Gallinden treffen. Rastenburg steht also auf altem Kulturboden, in dem f r ü h e baltische Stämme ihre zahlreichen Spuren hinterlassen haben. Besonders reich ist naturgemäß die Gegend an dem E r b e der Preußen, die als letzte in vorgeschichtlicher Zeit die Landschaft bevölkerten. Reste von altpreußischen Siedlungen und Befestigungswerken schon in nächster Nähe Rastenburgs 1 legen beredtes Zeugnis hierfür ab. Spät erst in der Kolonisation des Landes durch den deutschen Orden t r a t die Stadt in das Licht der Geschichte. Die Besitzergreifung Pommerellens u m 1309 brachte dem Ordensland so ziemlich die größte Ausdehnung, die es je besessen h a t . Sie gab Anlaß zur Verlegung des Hochmeistersitzes nach Marienburg u n d leitete damit die eigentliche Blütezeit der Ordensherrschaft in Preußen ein. E r s t jetzt begann die kolonisatorische Tätigkeit des Ordens das gesamte eroberte Gebiet zu erfassen. Damit wurde aber auch ein verstärkter Schutz gegen die ewig unruhigen Nachbarn, besonders die Litauer, notwendig. Eine natürliche Grenze bestand hier bereits in einer vorhandenen und künstlich verstärkten Wildnis, die nur unter kundiger Führung durchquert werden konnte. Sie lief ungefähr auf der Linie, die die heutigen Städte Ragnit, Insterburg, Rastenburg, Allenstein, Osterode und Orteisburg verbindet. Diesen natürlichen Schutz vermehrte der Orden durch die Anlage einer K e t t e von Wildhäusern, zu denen Seehesten, Bäslack, Rhein, Lotzen und Lyck gehörten und in die sich auch das wohl kurz 1

1

voi der Stadtgründung angelegte H a u s Rastenburg eingliederte. Bald darauf, wahrscheinlich im J a h r e 1329, vervollständigte der Orden diesen Stützpunkt durch Anlage der befestigten Siedlung 2 . Wie notwendig der Schutz der Siedlungsarbeit gegen die Raubzüge der Nachbarn war, h a t t e schon 1311 der Einfall der Litauer u n t e r ihrem Fürsten Witen bewiesen. Rastenburg selbst h a t t e noch keine zwei Jahrzehnte seinen A u f b a u durchführen können, als 1345 die Litauerfürsten Olgerd und K y n s t u t über Stadt und Schloß herfielen. Die Verteidigungsanlagen, deren Ausbau noch nicht beendet war, boten keinen hinreichenden Schutz, und so konnte der wilde Haufe mit leichter Mühe Einlaß finden, die Stadt in Brand stecken und den größten Teil der Einwohner niedermetzeln. „die stat vorherten u n d branten auch gevangen von dannen santen vip, kint u n d die m a n v u r t e n si von d a n " klagt die Reimchronik des Wigand von Marburg. Dieses grauenhafte Schauspiel wiederholte sich nach bereits zwei J a h r e n . I m Februar 1347 überrannten die Litauer abermals die eben aus den Ruinen sich erhebende Stadt u n d verwüsteten sie aufs neue 3 . Spätere Einfälle versetzten noch häufig die Einwohner Rastenburgs in Schrecken, wenn wilde Scharen plündernd u n d mordend vorbeizogen. Die Stadt selbst hatte jedoch nichts mehr zu leiden, denn inzwischen war ihre massive Befestigung sowie der Backsteinbau des Ordensschlosses so weit vorgeschritten, daß sie eine wirksame Verteidigung ermöglichten. Noch 1353 war das in der Nähe liegende Rössel das Ziel eines feindlichen Einfalls, und 1402 verwüsteten die Litauer die Gegend von Lotzen u n d Rastenburg und schleppten 900 Menschen als Gefangene mit sich fort. Es h a t t e also selbst die Schlacht bei R u d a u im J a h r e 1370, in der die Litauer gründlich geschlagen wurden, dem Lande nach dieser Seite hin keine Ruhe verschaffen können. Trotz dieser kriegerischen Nöte wuchs aber der Wohlstand des Landes. Denn in einer Zeit, wo in Westdeutschland bereits Ritter, Bürger und Bauern in unfruchtbarer Fehde miteinander lagen, war der Orden klug genug, seine bürgerlichen und bäuerlichen Siedler in jeder Weise zu fördern, da allein die Kolonisation ihm den Besitz des Landes auf die Dauer sichern konnte. So gedieh auch Rastenburg zusehends. Aber auch in der Zeit der höchsten Machtentfaltung des Ordens hat es keine Muße f ü r einen sorgfältigen Ausbau finden können. Seine mittelalterlichen Bauten und damit auch das hervorstechendste Denkmal, die Wehrkirche Sankt Georg, spiegeln in ihrer baukünstlerischen Fassung die durch die Not der Zeit bedingte sparsame Strenge in ihren künstlerischen Ausdrucksmitteln deutlich wieder. 2

Nach dem vernichtenden Schlage bei Tannenberg, den der Orden 1410 empfing, wurde das geschichtliche Bild bald ein anderes. Die Keime des Verfalls t r a t e n offen zutage, und die Schließung des preußischen Bundes, der 1440 in Elbing die Städte unter Beteiligung des Adels gegen den Orden vereinigte, brachte auch Rastenburg in eine Konfliktstellung zu diesem. Schon 1410 h a t t e sich einmal der Bürgermeister in Gemeinschaft mit anderen des Schlosses Rastenburg bemächtigt u n d die Ordensbesatzung vertrieben. Dieser vereinzelten Verräterei war zwar der Orden noch Herr geworden. Gegen den Umsturz im geheimen, den der preußische Bund vorbereitete, war er jedoch machtlos. Als die Stadt daher im J a h r e 1454 wiederum in plötzlichem Aufruhr das Schloß besetzte und den Pfleger ertränkte, war der im nächsten J a h r e vor die Stadt ziehende Ordensspittler nicht mehr fähig, sie niederzuzwingen. Erst 1461 hielten es die Rastenburger Bürger für ratsam, mit dem Hochmeister in Unterhandlungen zu t r e t e n und sich schließlich zu ergeben. Sie kamen angesichts der Notlage, in der sich der Orden befand, glimpflich davon u n d erhielten sogar eine neue Bestätigung ihrer Privilegien. Der Krieg mit dem preußischen Bunde währte noch bis 1466, brachte jedoch f ü r Rastenburg keine weiteren Verwicklungen mehr. Dem zweiten Frieden von Thorn folgten einige Jahrzehnte frei von kriegerischen Verwüstungen, die auch Rastenburg einem weiteren wirtschaftlichen Aufstieg entgegenführten. Die Baugeschichte der Wehrkirche weiß hierfür ein beweiskräftiges Beispiel zu bieten. Erst mit dem im J a h r e 1520 hereinbrechenden Kriege des letzten Hochmeisters gegen Polen zog eine neue Welle des Elends über die Rastenburger Gegend. Aus Mangel an Besoldung hielten sich die polnischen Truppen durch Plündern schadlos und besorgten dieses mit äußerster Gründlichkeit. Vier Wochen ihres Aufenthalts in Rastenburg vernichteten den keimenden Wohlstand wieder gänzlich. Das Ende der Ordensherrschaft war gekommen. Der Waffenstillstand zu Thorn machte im April 1521 den Feindseligkeiten ein Ende. Der endgültige Friede k a m jedoch erst 1525 zustande und brachte tiefe Einschnitte in den politischen Bestand des Staates. Schon ein J a h r vorher h a t t e die Reformation in Preußen ihren Einzug gehalten und wandelte es in ein weltliches Herzogtum um. Eine der glänzendsten Leistungen mittelalterlichen Rittert u m s h a t t e damit ihren Abschluß gefunden. BURG- UND STADTSIEDLUNG Rastenburg bietet in seiner mittelalterlichen Baugeschichte ein typisches Bild f ü r die Entwicklung der zahlreichen, unter überwiegend militärischen Gesichtspunkten gegründeten Stützpunkte des Ordens. Den Kristallisa1*

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tionskern der Siedlung bildete die Burg, die von der Komturei Balga aus gegründet wurde u n d deren Grfindungsdatum kurz vor 1329 liegen mag. Bei der geringen Selbständigkeit dieses Hauses innerhalb der großen östlichen Befestigungskette wird sich die Anlage der Rastenburg k a u m von der primitiven Art der Ausführung anderer fester Plätze gleichen Ranges unterschieden u n d aus Holzbauten u n d Erdwerken bestanden haben. Die strenge Regelmäßigkeit des Burgumrisses mag dabei von vornherein vorhanden gewesen sein. Die Wahl des Bauplatzes fiel nicht auf die oberhalb der Burg gelegene, die Umgegend beherrschende Landzunge, die bei der Kleinheit der Befestigung nicht voll bebaut und deren fortifikatorisch günstige Lage daher nicht ausgenutzt werden konnte, sondern auf eine tiefer gelegene Stelle an den Ufern der Guber, die eine Wasserstauung u n d damit die Anlage einer Mühle im Schutz des Verteidigungswerkes ermöglichte. Die Ungunst dieses Bauplatzes ist von dem Orden zweifellos nur in Kauf genommen worden, weil die Ausnutzung der beherrschenden Landzunge im Rahmen eines größeren Befestigungssystems von Anfang an geplant war. Es nimmt daher nicht Wunder, wenn schon kurze Zeit darauf die Stadtsiedlung gegründet wurde, die, dem Kern der Wehranlage vorgelagert, diese nach der am meisten gefährdeten Seite hin zu schützen h a t t e u n d mit ihren Bewohnern die notwendige Ergänzung der Burgbesatzung abgab. Die Verbindung zwischenStadt undBurgbildetediealsWirtschaftshofeingeschobeneVorburg. Damit waren der Gesamtanlage alle Vorteile einer Abschnittsbefestigung gesichert. I m Osten war sie durch den in beachtlichen Ausmaßen angestauten Mühlenteich sowie durch sumpfiges Vorgelände geschützt, und im Süden verhinderte das stattliche Bett der Guber u n d der Steilabhang der Landzunge eine unliebsame Annäherung. I m Westen schnitt eine breite Schlucht am Fuße der Stadtmauer weit in das Gelände hinein, während im Norden ein breiter Abschnittsgraben die Anlage von der Umgebung trennte. Dieser Graben setzte sich auch durch die westliche Schlucht und östlich an der Stadtmauer entlang bis zur Guber fort und wurde aus einem mehrere Meter höher gelegenen, wahrscheinlich zu diesem Zwecke angelegten Wasserbecken, dem Oberteich 4 , gespeist. Erst mit der Anlage der Stadt war also der militärische Stützpunkt voll verteidigungsfähig, denn erst jetzt h a t t e er sich die Geländelage im erforderlichen Ausmaß zunutze gemacht, konnte den wichtigen Mühlenbetrieb im Tal der Guber schützen u n d beherrschte doch gleichzeitig den höchsten P u n k t der Umgegend. Damit fielen die militärischen Aufgaben in großem Umfange der Stadt zu, während die Burg f ü r Verwaltungszwecke frei wurde. Aus der Gesamtlage heraus erhellt, welche große militärische Bedeutung einem Bauwerk auf dem höchsten Geländepunkt beigemessen werden mußte und weshalb die hier später errichtete Sankt Georgskirche betont den Charakter eines Wehrbaus erhielt.

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Ob die Verteidigungslinien der Burg vor ihrem Zusammenschluß mit denen der Stadt und vor ihrem massiven Ausbau einen größeren Umfang als später gehabt haben, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Es ist aber wenig wahrscheinlich, denn sie werden nur so weit aufgeworfen worden sein, als es der notwendigste Schutz gegen ins Land fallende Horden verlangte. Bald nach der Brandschatzung der Jahre 1345 und 1347 ist dann der Ausbau in dem widerstandsfähigeren Backsteinmaterial in Angriff genommen worden6. Das vermittelnde Glied zwischen Burg und Stadt bildete die Vorburg des Ordens, die wohl in der Hauptsache Wirtschaftszwecken diente. Sie besaß, wie aus einer Urkunde nachweisbar ist 6 , eine Abgrenzung nach der Stadt zu, die vielleicht in der Anfangszeit ebenfalls aus massivem Mauerwerk bestanden haben mag, Mitte des 17. Jahrhunderts aber als Dielenzaun genannt wird. Der der Stadtsiedlung verbleibende Rest des Areals bildet, wenn auch mit leicht geknickten Seiten, ein Quadrat, dessen Nordwestecke mit Rücksicht auf den Verlauf der Schlucht um einige Meter eingezogen ist 7 . Die Seiten des Quadrates haben das mittelalterliche Maß von 4 Seilen8. Diese Umrißlinie, die allerdings nicht mit derselben Sorgfalt abgesteckt ist wie bei anderen Ordens Städten, kennzeichnet Rastenburg als eine typische Ackerbürgerstadt. In das große Quadrat des Mauerzuges ist als Mittelpunkt das Quadrat des Marktes eingelagert, der, eingefaßt von einem Straßendoppelkreuz, je 3 Hausbreiten als Seitenmaß besitzt. Da dieser Platz für die übliche Aufstellung des Kauf- und Rathauses in seiner Mitte keinen Raum bot, unterblieb die Bebauung der Nordseite. Anstelle der Ackerbürgerhäuser wurde hier in der Flucht der Platzwand das Rathaus errichtet. Auch auf die Herumführung eines Laubenganges um die gesamte Marktanlage mußte mit Rücksicht auf ihre Kleinheit verzichtet werden. Er wurde nur auf der Südseite dem Rathause gegenüber durchgeführt®. Die Lauben scheinen hier nicht nachträglich angebaut zu sein, sondern zum ursprünglichen Plan der Platzanlage zu gehören, denn die Parzellenlänge der ehemaligen Laubenhäuser stimmt mit den übrigen überein und ist nicht um Laubenbreite verlängert. Noch hundert Jahre nach ihrer Gründung besaß die Stadt, abgesehen von einigen Buden, nicht mehr als 26 Vollerben und 20 halbe Häuser, von denen 19 in einer sogenannten Neustadt zusammengefaßt waren 10 . Diese Bezeichnung für einen abseits liegenden Baublock schon kurz nach der Gründung11 läßt einen interessanten Schluß auf die städtebaulichen Ideen des Mittelalters zu. Als Stadt im baukünstlerischen Sinne scheinen danach in der Kolonisationszeit nur die konzentrisch um den Markt und achsial zum Haupteingang der Stadt gelegenen Baublöcke aufgefaßt worden zu sein, während jede weitere Bebauung als Fremdkörper empfunden worden ist. Obwohl durch Rastenburg bis weit in die herzogliche Zeit hinein die 5

Hauptverkehrsstraße von Königsberg nach Warschau f ü h r t e , erfolgte der Ausbau der Stadt über die städtebaulichen Absichten des Ordens hinaus erst im 16. J a h r h u n d e r t . Bis dahin konnte sie sich die klare Weiträumigkeit der Ordensanlage im wesentlichen bewahren. U m das J a h r 1374 m u ß das Burg, Vorburg und Stadt nach einem einheitlichen Plan umschließende Befestigungssystem in den Grundzügen fertig gewesen sein 12 . Der ganze massive Ausbau des mittelalterlichen Rastenburg drängte sich demnach in ungefähr 25 J a h r e n zusammen. Natürlich konnte diese gewaltige Aufgabe nicht von der kleinen Siedlungsgemeinde gelöst werden. Der Orden h a t t e ein starkes Interesse daran, diesen Stützpunkt mit allen Vorteilen einer Abschnittsbefestigung so rasch wie möglich auszubauen. Die gesamte Befestigung wird daher nicht nur vom Orden einheitlich entworfen, sondern auch von ihm mit seinen reichen Machtmitteln zur Ausführung gebracht worden sein. I n diese Befestigungsanlage gliederte sich der im J a h r e 1359 begonnene Bau der Sankt Georgskirche organisch ein. Daß sich ihre Mauern auf die Stadtmauern aufsetzten, mag zum Teil durch den beschränkten R a u m innerhalb des kleinen Stadtgebildes zu erklären sein. Überwiegend werden aber wehrtechnische Überlegungen den Ausschlag gegeben haben, denn nur durch diese Stellung befand sie sich im engsten Zusammenhang mit den übrigen Befestigungswerken. Ihre Verteidigungsfähigkeit war notwendig, weil bei einem Einbruch das Schloß infolge seiner beschränkten Abmessungen als Zufluchtsort f ü r die Bürger nicht in Frage kam. F ü r sie mußte daher das Kirchengebäude in Lage und Ausbau so eingerichtet werden, daß es ihnen einen letzten widerstandsfähigen Schutz bieten konnte. So wurde es als Baumasse zum beherrschenden Akzent des mittelalterlichen Stadtbildes, als Gotteshaus Mittelpunkt des geistigen Lebens der Stadtgemeinde und als Kastell Rückgrat f ü r ihre Selbstbehauptung in Zeiten kriegerischer Not.

DIE SANKT

GEORGSKIRCHE

QUELLEN ZUR BAUGESCHICHTE Ein Bauwerk wie die Sankt Georgskirche in Rastenburg, das durch seine Lage im Stadtgrundriß, die Eigenart seines Aufbaus und die strenge Knappheit seiner architektonischen Ausdrucksmittel eine besondere Stellung in der Sakralbaukunst des Ordensgebietes beansprucht, hat naturgemäß seit dem Wachwerden des Verständnisses f ü r die Sonderheit der Ordensbaukunst wachsende Anteilnahme gefunden. Die Beschäftigung mit ihm mußte dabei im wesentlichen von dem Studium des Gebäudes selbst ausgehen, denn Quellenmaterial, das Aufschluß über die Geschichte des Bauwerkes geben könnte, hat sich wenig erhalten. Schriftliche Nachrichten aus der Zeit, in der die Kirche entstand, und über die Bauperioden, in denen sie durch dauernde Um- und Anbauten ihre heutige Gestalt erhielt, sind nicht vorhanden. Eine Nachricht erwähnt lediglich im Anfang des 16. Jahrhunderts das Vorhandensein einer „ S a n t Jorgens Kapelle", die offenbar den Kernbau der heutigen Kleinen Kirche darstellt 1 3 . Frühere Nachrichten des 15. J a h r h u n d e r t s beziehen sich nur auf die Geistlichen der Kirche. Die erste Erwähnung findet 1407 ein Pfarrer Conrad. Längere Zeit stand dann die Gemeinde unter der Seelsorge des Caspar Baedtke, der von 1466—1481 amtierte. Sein Nachfolger wurde Nikolaus Kreuder, ein Priesterbruder des deutschen Ordens u n d Domherr zu Königsberg. Er scheint seine Stellung am hochmeisterlichen Hofe jedoch nicht aufgegeben zu haben u n d ließ sein Amt in Rastenburg durch Vizeplebane verwalten, bis er 1497 zum Bischof von Samland gewählt wurde. Aus seiner Amtszeit ist die Investierung einer Reihe von Vikaren an der Sankt Georgskirche bekannt. Sie drängt sich auffälligerweise in dem Zeitraum von 1479 bis 1486 zusammen; Erwähnung finden hierbei die Vikarien zum Heiligen Leichnam, des Heiligen Laurentius, der Schmerzensreichen Mutter Gottes, der Heiligen Nicasius, Sebastian, Rocher und Sylvester und die Vikarie Unserer Lieben Frauen 1 4 . Einen Anhalt f ü r die Baugeschichte bietet ferner das der Sankt JakobsBrüderschaft im J a h r e 1480 erteilte u n d 1485 bestätigte Privileg, denn es spricht von der beabsichtigten Errichtung der Sankt Jakobskapelle 1 5 . Bedeutung besitzt auch eine zeitgenössische Inschrifttafel an der Ostwand des Langhauses, die als Zeit der Fertigstellung der Gewölbe und damit des Baues in seiner jetzigen Gestalt das J a h r 1515 angibt. E s heißt d o r t : 7

„Ein Meurermeister, Matz genannt, Schloß dies Geweih mit seiner Hand. Fünfhundert fünffzig Mark dafür Empfing er, das war sein Gebühr, Tausend fünfhundert 15 Jahr Man zehlte, da es fertig war. Bhüt Gott für Schaden, daß es mag Fest stehn biß an den Jüngsten Tag." Damit sind bereits die zeitgenössischen Quellen erschöpft. Spätere allgemein gehaltene Beschreibungen erwähnen gelegentlich die Rastenburger Kirche. Hinweise enthalten Lilienthals „Erläutertes Preußen", Hartknochs „Altes und Neues Preußen", Hennebergers „Erklärung der Landtafel", Beckers „Kirchenregistratur". Außerdem sind einigen Manuskripten noch Hinweise auf spätere Um- und Einbauten zu entnehmen. In erster Linie wäre hierunter die Chronik von Rastenburg um das Jahr 1700 zu erwähnen, die einem dortigen Rektor der Lateinschule namens Schaffer zugewiesen wird. Ahnliche Anhaltspunkte sind in dem „Roten Hausbuch" der Stadt Rastenburg zu finden. Das Aktenmaterial der Sankt Georgskirche, das noch Ende des vorigen Jahrhunderts mit Erfolg für baugeschichtliche Untersuchungen nutzbar gemacht werden konnte, gibt heute keinen Aufschluß mehr darüber. Endlich mögen noch die Feuerschäden Erwähnung finden, die bauliche Veränderungen bewirkt haben könnten. Im Jahre 1500 wird ein Brand erwähnt16, dem aber nur das Kircheninventar zum Opfer gefallen zu sein scheint, denn er hat am Gebäude selbst keine Spuren hinterlassen. Zahlreich sind die Unwetterschäden, denen die Kirche bei ihrer exponierten Lage ausgesetzt war. 1581 zerstörte ein Sturm die Kreuzendigung des Wehrturmes, 1592 setzte ein Blitz diesen Turm in Brand und 1608 traf ein kalter Schlag das Langhaus der Kirche, ohne es jedoch erheblich zu beschädigen. 1638 zerstörte ein Blitzschlag abermals Dach und Dachreiter des Wehrturmes. Eine letzte größere Beschädigung erlitt die Kirche dann im Jahre 1700, als ebenfalls durch Blitzschlag Glockenturm und Langhaus getroffen und die Orgel zerstört wurde. Bildliche Darstellungen geben im wesentlichen den heute noch vorhandenen Baubestand wieder. Eine genaue und zugleich die früheste Darstellung hat die Kirche auf einem in ihr befindlichen Epitaph des Bürgermeisters Spiller gefunden, der 1625 an der Pest starb. Abgesehen von der verzeichneten Perspektive enthält die Abbildung alle Bauteile der Karchenanlage, die um diese Zeit vorhanden waren. Sämtliche Türme des Parchams und ebenso der ehemalige Renaissancegiebel der Kleinen Kirche sind hierauf zu finden. 8

Eine weitere Abbildung findet sich in Hartknochs „Altes und Neues Preußen" aus dem Jahre 1684. Einen quellenmäßigen Wert besitzt sie für die Kirche nicht, da diese in rein schematischer Zeichnung wiedergegeben ist. Dasselbe gilt von der Wiedergabe einer Stadtansicht in Adlerholds „Höchstgepriesenes Preußen" aus dem Jahre 1704, die in starker Anlehnung an die Hartknochsche Zeichnung entstanden ist. Im Stadtarchiv von Elhing befindet sich ferner eine Handzeichnung der Stadtansicht von Dewitz aus der Zeit um 1750, die wohl die Hauptbaukörper der Kirche richtig darstellt, in Einzelheiten aber ungenau bleibt. Die späteste Darstellung der Kirche ist zugleich die künstlerisch wertvollste und genaueste und dürfte um die Zeit von 1815 gesetzt werden17. Sie gibt als Lithographie ein lebendiges Bild der Kirche mit ihrer Umgebung um diese Zeit, ohne jedoch irgendwelche baugeschichtlichen Merkmale entdecken zu lassen. Ein Versuch, die Sankt Georgskirche in ihrem kunstgeschichtlichen Gehalt auszuschöpfen und. in ihr die baukünstlerischen Komponenten ihrer Zeit zu erkennen, muß sich also bei dem Mangel an urkundlichem Material hauptsächlich an eine Untersuchung des Bauwerks selbst halten, das j a mit seinen Fugen und Nähten die einwandfreiste Quelle abgibt. Ein erster Ansatz hierzu ist bereits 1885 von Beckherrn gemacht worden, der als Bürger von Rastenburg sich eingehend mit dem Baubestand befaßte. Er erwähnt bereits, daß die heutige Anlage als Pseudo-Basilika nicht den ursprünglichen Baugedanken darstelle, sondern daß eine spätere Erweiterung zu erkennen wäre, der auch der Glockenturm und der Chor angehöre. Eine Beweisführung im einzelnen konnte Beckherrn nicht beibringen, da diese die genaue Erforschung aller baugeschichtlichen Merkmale und damit das Aufmaß des Baubestandes zur Voraussetzung hat. Es ist selbstverständlich, daß die monumentale Baugesinnung von Sankt Georg auch den eigentlichen Erwecker preußischer Ordensbaukunst, Steinbrecht, zu einer Beschäftigung mit der Kirche veranlaßte. Als Architekt versuchte er, in die Baugeschichte der Kirche erstmalig durch eine Vermessung einzudringen, die allerdings nur die Hauptmaße festlegte und im übrigen Skizze blieb. Die Veröffentlichung dieses Skizzenblattes in „Preußen zur Zeit der Hochmeister" läßt in der reizvollen Art der Darstellung wohl die treffsichere Erfassung des in dem Bauwerk wirksamen Gestaltungswillens des Ordens erkennen, gibt aber über die Feststellung Beckherrns hinaus keine neuen Aufschlüsse zur Baugeschichte. Diese fehlenden Grundlagen sind in den vorliegenden Untersuchungen geschaffen worden. Die Menge der dabei zutage getretenen Bauspuren, die damit ermöglichte genaue Feststellung der reichen Baugeschichte der Wehrkirche und ihres hohen kunstgeschichtlichen Gehalts bieten voll Entschädigung für die technischen Schwierigkeiten bei dem Zusammentragen dieses Materials. 9

HEUTIGE GESTALT Zwiefachem Zweck, der Pflege des seelischen Menschen und dem Schutz seines vielfach bedrohten Lebens hatte die Sankt Georgskirche zu dienen. Diese Doppelaufgabe bestimmt auch heute noch ihre architektonische Haltung. Die Wehrkirche erhebt sich auf der höchsten Stelle einer in das Gubertal vorspringenden Landzunge. In weitem Umkreise war so das Kreuz des Westturms dem einheimischen Bauern sichtbar, und weithin konnten die Glocken ihren Ruf in das Land tragen. Wenig einladend zeigte sie sich jedoch landfremd hereinbrechendem Volk. Der Bauplatz fällt an den dem Gegner zugewandten Seiten in schroffen Steilhängen ab. Nach diesen, durch die natürlichen Gegebenheiten des Geländes wenig nahbaren Fronten zeigt der Kirchenbau in seinen Mauerringen hart abweisende Flächigkeit. So mischt sich in ihm stolze Glaubensfreudigkeit des Mittelalters mit der Härte praktischer Lebensbejahung zu einem Bild von selten eigenartigem Reiz. Die stärkste Betonung erhält die Wehrhaftigkeit des Gebäudes durch den in die Stadtbefestigung eingespannten Westturm. Auf lagenweise errichtetem Feldsteinsockel18 von ungefähr 2 m Höhe erhebt sich großformatiges Backsteinwerk. Der Mauerverband ist hier wie bei dem gesamten übrigen Mauerwerk gotisch: es wechseln sich in jeder Schicht Läufer und Binder ab. Ein Versuch, an diesem Turm ein Rautenmuster durch gesinterte Steine zu bilden, ist über die Anfänge nicht hinausgekommen. In den beiden untersten Geschossen ist nach der Süd- und Westseite durch je 3 halbkreisförmig abgeschlossene Blenden eine Gliederung der Wandfläche vorgenommen. Vermauerte Fensterschlitze lassen hier auf spätere Umbauten des Turminnern schließen. Das nächste Turmgeschoß wird nach außen hin durch Spitzbogenblenden hervorgehoben, die zum Teil früher offen gewesen sein müssen, wie ihr ohne Verband eingefügter Versatz zeigt. Das darüber aufgehende Mauerwerk ist nur durch schmale Lichtöfinungen unterbrochen und stößt erst in einer Höhe, die bereits weit über der Firsthöhe des Langhauses liegt, auf ein vertieftes Putzband. Einige Schichten unter diesem befindet sich eine um sämtliche Seiten des Turmes herumlaufende Rollschicht. Das oberste Turmgeschoß öffnet sich mit je 3 stichbogig geschlossenen Öffnungen nach allen vier Seiten und weist nachträglich zugesetzte Schlitze auf. Es wird durch ein auskragendes Putzband abgeschlossen, auf dem ein schräges Brettgesims aufsitzt. Den Turmhelm bildet ein kurzfirstiges Walmdach. Abgesehen von zahlreichen Rüstlöchern zeigt der Turm zwei Reihen größerer, zum Teil durch das ganze Mauerwerk gehender Öffnungen, die in früherer Zeit konstruktive Bedeutung gehabt haben müssen. 10

Die anschließende Südfront r u h t auf einem über 4 m hohen Feldsteinsockel in derselben Ausführung wie die des Turmsockels. So weit das Mauerwerk noch ursprünglich ist, zeigt es eine Musterung dadurch, daß als Bindersteine hauptsächlich gesintertes Material verwandt worden ist. Nach Süden springt der Anbau der jetzigen Taufkapelle vor, deren Dach von dem Satteldach des Langhauses abgeschleppt ist. Unterhalb der Aufschieblinge zeigen sowohl Langhaus wie Kapelle ein vertieftes Putzgesims. Vier spitzbogige Fensteröffnungen unterbrechen die Südseite des Langhauses. Die Fensterflächen liegen nur zwei Steinbreiten hinter der Mauerfläche, die Leibungen sind einfach abgetreppt. Ein Mittelpfosten unterteilt die Fenster, die heute in ihrem oberen Teil von einem unschönen, neuzeitlichen Maßwerk ausgefüllt werden. Spuren deuten auf ehemals andere Maße und eine andere Verteilung der Fenster in früherer Zeit hin. Die Fensteröffnungen der Kapelle sind im Gegensatz zu denen des Langhauses kreisbogenförmig abgeschlossen und besitzen ungegliederte Schrägleibungen. Der Kapellengiebel ist im Westen aus einer Pfeilerreihe gebildet, deren zurücktretende Zwischenräume durch Viertelkreise ihren Abschluß finden. Der Ostgiebel zeigt einfaches Fachwerk. Reste von Mauerwerk zwischen Langhaus u n d Glockenturm lassen hier einen teilweise abgetragenen und überbauten Pfeilergiebel erkennen. Der an das Langhaus stoßende Glockenturm verleugnet nach Süden in seinen unteren Geschossen nicht seine ursprüngliche Wehrbestimmung. Neben einem kleinen Fenster h a t er darüber n u r eine am Anschlag als T ü r kenntliche Öffnung, die von zahlreichen Balkenlöchern mit Holzresten umgeben ist. E r s t darüber wird die Mauerfläche durch zwei große Blenden aufgelockert, die in ihrer oberen Hälfte eine weitere spitzbogige Vertiefung mit je einer Lichtöffnung erhalten haben. Hierüber liegen zwei kleinere Fensteröffnungen, die einem ehemaligen Wehrgeschoß anzugehören scheinen. Die heutige Glockenstube wird nach außen kenntlich durch zwei große Spitzbogenöffnungen, die offenbar in späterer Zeit ihre Unterstützung durch eine mittlere Pfeileraufmauerung erfahren haben. Auch dieser T u r m schließt mit einem Putzband ab, über dem eine besondere Gesimsbildung nicht mehr vorgenommen ist. Die Abdeckung erfolgt durch ein Walmdach mit kurzem First. Eine etwas einladendere Ausbildung hat dieser T u r m nach der Ostseite aufzuweisen, die dem Schloß zugewandt ist. Hier öffnet er sich im Erdgeschoß in einem weiten, dreimal abgetreppten Spitzbogen, der den Osteingang ins Langhaus freigibt, u n d zeigt in Höhe des ehemaligen Mauerwehrganges einen Ausgang. Darüber folgt eine Gliederung durch vier verp u t z t e , halbkreisförmig abgeschlossene Blenden mit Spuren einstiger Malerei. Die übrige Turmausbildung entspricht der der Südseite. Eine kleine Schlupfpforte in der S t a d t m a u e r dicht am Glockenturm vermittelt den Zugang zum Parcham. 11

An den Glockenturm stößt der polygonal geschlossene Chor, dessen Feldsteinsockel in der Höhe nicht wesentlich über 1 m hinausgeht. In der Nordostseite ist unterhalb des Fensters, offenbar aus Gründen der Materialersparnis, eine flachbogig geschlossene Nische eingelassen. Die Flächigkeit des Baukörpers ist durch den Umbruch der Wände zum Mehreck und durch Vorlagerung von zweimal abgetreppten Strebepfeilern gemildert. Der Abschluß durch ein Putzband fehlt. Anstelle dessen ist das Gesims durch Auskragen zweier Ziegelschichten angedeutet. Je zwei Balkenanker sind auf jeder Seite zu einem einfachen Flächenschmuck verwandt worden. Die Fenster zeigen dieselben Gewände wie die des Langhauses. Ihre Breite nimmt fast den ganzen verfügbaren Raum zwischen den Strebepfeilern ein und mußte durch je zwei Pfosten unterteilt werden. Die Höhe der Fenster ist nach der Mitte zu leicht gesteigert, ihre Brüstungen sind durch ein den ganzen Bauteil umziehendes Kaffgesims aus unprofilierten Steinen verbunden. Daß Dach ist wiederum allseitig abgewalmt und stößt im Osten an den Giebel des Langhauses. Dieser ist durch eine Reihe übereck gestellter Pfeiler vertikal gegliedert, zwischen denen sich geputzte Blenden stufenförmig hochziehen. Sie sind zum Teil mit einfachen oder gekuppelten Spitzbögen geschlossen oder durch kreisrunde Öffnungen zum Abschwächen des Winddrucks unterbrochen, so daß das Gesamtbild des Giebels wenig einheitlich ist. Nach Osten gerichtet ist auch die Schmalseite der Sakristei und der Chorempore. Sie krönt über einem Putzband der Giebel des Schleppdaches, der zwischen seinen Pfeilern kielbogig geschlossene und geputzte Nischen zeigt. Das Emporenfenster ähnelt den Fenstern des Langhauses. Das Sakristeifenster ist von wesentlich geringerer Breite und in einfacher Weise mit einem schmiedeeisernen Gitter gesichert. Die Nordseite der Sakristei liegt in gleicher Fläche mit der des Langhauses und unterscheidet sich von ihr nur dadurch, daß sie ebenso wie der Chor durch einfach abgetreppte Strebepfeiler gegliedert ist. Auf dieser Seite befindet sich auch der Straßeneingang zur Sakristei. Ein Hauptgesims ist nicht ausgebildet. Die daran stoßende Nordwand des Langhauses zeigt dafür wieder den Abschluß durch ein vertieftes Putzband. Fünf Fenster unterteilen die Fläche in gleichmäßigen Abständen, denen sich ein kleineres im Westen anschließt. Das dritte wird teilweise von der Vorhalle des heutigen Haupteingangs überschnitten, die der Stadt einen schönen Pfeilergiebel zuwendet. Sechs übereck gestellte Pfeilerchen fassen Spitzbogenblenden ein, die horizontal miteinander durch drei Putzbänder zusammengebunden sind. Westlich von dieser Vorhalle zeigt die Nordwand einen starken Mangel an Einheitlichkeit der Durchbildung. An die Vorhalle stößt zunächst ein nur unvollkommen in das andere eingebundenes Mauerwerk mit derselben Musterung, wie sie die Südwand der Kirche zeigt. Es folgt darauf eine 12

Spitzbogenblende, die die Vermauerung eines ehemaligen Einganges vermuten läßt. Der letzte Teil ist bis zu einer Höhe von 4 Metern abgeschrägt, so daß das darüber in alter Front weitergeführte Mauerwerk auf ausgekragten Stichbögen auflagern muß. Unmittelbar neben dieser Abschrägung liegt der Eingang durch die S t a d t m a u e r zum Parcham, von dem sich ein Blick über die Westansicht des Langhauses gewinnen läßt. Auch hier wird eine Ausgewogenheit der architektonischen Einzelheiten vermißt. Uber dem Feldsteinsockel läuft zunächst das Backsteinmauerwerk ohne jede Unterbrechung hoch, bis es in einer Höhe von ungefähr 6 Metern mit einem Absatz zurückspringt. Auf ihm sitzen vor der Wandfläche 4 vorgemauerte Lisenen, die in einer Höhe von weiteren 6 Metern plötzlich abbrechen. Gegen die nördlichste läuft das von der Nordwand her verkröpfte Putzgesims, unter dem sich ein schmales, spitzbogiges Fenster, ähnlich dem letzten der Nordseite, befindet. Die beiden anderen sind rechteckige Zargenfenster, von denen eins in einer zwischen den mittelsten Lisenen befindlichen Blende eingefügt ist. Die Ausführung des Giebels läßt deutlich einen schmaleren Treppengiebel erkennen, dessen völlig glattes und mit kleinen R a u t e n gemustertes Mauerwerk nur durch zwei Reihen Wehröffnungen unterbrochen wird. Auf die Treppen dieser Mauerfläche sowie auf das Mauerwerk über dem Putzbande setzt eine weitere Aufmauerung auf, die durch übereck gestellte Pfeilerchen unterteilt u n d bis zur Dachlinie hochgeführt ist. Betritt man d e n der Kirchenburg vorgelegten Parcham durch den Westeingang, so fällt zunächst der gut erhaltene Josephsturm ins Auge. Sein unteres, mit einer einfachen Kappe eingewölhtes Geschoß ist in Erdbodenhöhe zugänglich, während das obere seinen Zugang ursprünglich direkt von der Wehrmauer erhielt. Als Gesimsabschluß läuft u m den T u r m ein Spitzbogenfries, der auf abgeschrägten Backsteinkonsolen r u h t . Der Turmhelm war ursprünglich massiv gemauert u n d geputzt 1 9 . Die weitaus stärkste Befestigung des Parchams bildete der Bahrenturm an der Südwestecke, der heute nur noch als Ruine erhalten ist. Sein Grundriß ist eine dem Kreis angenäherte Birnenform. Die Turmmauer ist nach dem Parcham zu geöffnet u n d zeigt in einem Rücksprung f ü r ein Balkenlager die ehemalige Unterteilung. Ein u n t e r Erdoberkante liegender R a u m ist heute nicht mehr zugänglich. Die Parchammauer selbst ist in ihrem Feldsteinsockel vollständig erhalten u n d besitzt im Süden sogar noch einen großen Teil der alten Backsteinaufmauerung, die in der Südostecke in Höhe des Wehrganges ein Putzband zu erkennen gibt. Ein mächtiger Kragstein in der ungefähren Mitte der Parchammauer läßt auf einen f r ü h e r e n Ausbau an dieser Stelle schließen. Auf der Südostecke selbst h a t sich das untere Geschoß eines kleinen vorgekragten Türmchens erhalten, das j e t z t von der Kleinen Kirche überbaut ist.

Diese selbst ist heute ein einfacher Putzbau, der als einzigen Schmuck Reste eines f r ü h e r u m das Gebäude laufenden Spruchbandes aufweist. I n seiner Ausbildung deutet nichts mehr auf mittelalterliche Formgebung. Lediglich der Dachstuhl zeigt in seinen frühsten Teilen noch die Konstruktion jener Zeit. Die Giebelseiten haben noch zwei Fensterreihen, die eine ehemalige Zweigeschossigkeit andeuten. Auf den Längsseiten liegen die oberen Fenster mit abgetragenem Sturz direkt unter den Aufschiebungen und sind vermauert. Das Innere der Kleinen Kirche ist jetzt einräumig u n d besitzt eine späte hölzerne Voutendecke. Der Innenraum der Sankt Georgskirche ist durch den Anstrich und den ungeschickten Einbau von Emporen heute stark entstellt. Abgesehen davon erscheint die Raumwirkung nicht so harmonisch geschlossen, wie m a n es von einheitlich entstandenen und in voller Unabhängigkeit geschaffenen Bauwerken des Mittelalters gewohnt ist. I m Langhaus wird ein fünfjochiges Mittelschiff von zwei wesentlich niedrigeren Seitenschiffen begleitet, bildet also mit ihnen zusammen eine Pseudobasilika. Die Pfeiler setzen auf achteckigen Sockeln auf, die gleichzeitig als Rückwand f ü r die früheren Nebenaltäre ausgebildet sind, und laufen in derselben Form unprofiliert bis zum Kämpfer der Bögen in die Höhe. Die Scheidebögen selbst sind einfach abgetreppt u n d ihr Ansatz architektonisch nicht betont. Über sie hinaus erheben sich Blendbögen, deren Spitzen von den Gewölben überschnitten werden. I m Westen befindet sich als Untermauerung f ü r die Orgel ein massiver Emporeneinbau, der mit zwei Rundbogenöffnungen nach dem Mittelschiff Verbindung erhält u n d mit einer Tonne eingewölbt ist. Nach dem nördlichen Seitenschiff zu ist dieser heute u m mehrere Stufen erhöhte R a u m durch einen Spitzbogen geöffnet, der zum Teil wieder vermauert ist u n d dessen Leibung einen Türanschlag nach innen und eine reichere Profilierung nach außen erkennen läßt. Über dieser Öffnung enthält das aufgehende Mauerwerk beiderseits Blendnischen. Drei Nischen mit flachbogiger Endigung liegen ferner westlich des Haupteinganges an der Stelle, an der bei der nördlichen Außenwand sich das Mauerwerk von dem übrigen abhebt. Die Südwand ist nach der Taufkapelle durch einen breiten Rundbogen aufgelöst. Das Gewölbe über ihr ist eine über die Längsseite gespannte Tonne, die an den Schmalseiten mit Kappen hochgezogen ist. Wenig befriedigend verlängert der Chor das Mittelschiff. E r setzt nicht die Achse des Langhauses fort, sondern weicht von ihr nach Norden ab. Infolgedessen dreht sich in die Hauptblickrichtung der Gesamtanlage die an dem Glockenturm entlanglaufende ungegliederte Wand. Die gegenüber liegende Nordwand des Chores ist dagegen stark aufgelöst. Zwei außerordentlich schlanke Spitzbögen gewähren Einblick in die Chorempore. Unter ihnen liegt der Eingang zur Sakristei. Daneben befindet sich eine 14

Nische mit drei gekuppelten Spitzbögen. Diese wieder liegt in einer hohen, flachbogig endigenden, größeren Wandblende. Eingewölbt sind Schiffe und Chor mit überaus reichen Zellengewölben. Sie bilden in jedem Joch einen achteckigen Stern, durch den die diagonalen Grate sowie die Längs- u n d Quergrate durchlaufen. U m den Mittelstern legt sich ein enger Kranz dreieckiger Zellen, zu dem die langgestreckten Grate der das Sterngebilde mit dem Gewände verbindenden Zellen von kleinen Konsolen aus hinaufsteigen. Die Gewölbe des Mittelschiffes sind von denen des Chores nur schwach durch einen Gurtbogen getrennt. Auch die Sakristei ist mit Sterngewölben überwölbt, bei denen aber im Gegensatz zu den Hauptgewölben die durchlaufenden Achsen von Kehlen gebildet werden. Die Vorhalle zeigt eine einfache Einwölbung mit rippenlosem Kreuzgewölbe. Der westliche W e h r t u r m enthält in seinem Untergeschoß zwei kleine Verließe, die beide ein gemauertes Wandschränkchen besitzen. Über diesen befindet sich ein heute über die Orgelempore zugänglicher Raum, der mit einer spitzbogigen Tonne eingewölbt ist. Sein früherer Eingang ist in der Westwand des südlichen Seitenschiffes noch als Nische sichtbar. Der Aufgang zum T u r m f ü h r t e ehemals über eine in seiner Nordwand eingelassene Treppe, deren Ausgang zur Kirche heute vermauert ist. Weitere Geschoßeinteilungen sind nicht mehr vorhanden. Das Turminnere zeigt nur eine Reihe von Balkenauflagern, die zu den Wandöffnungen in Beziehung stehen. Zwei dieser Öffnungen in Höhe der Balkenlagen der Seitenschiffe liegen nach dem Dachboden des Langhauses zu u n d verdienen deshalb besondere Beachtung, weil sie die Höhe von Türöffnungen besitzen. Heute sind auch sie zugemauert. Eine besondere Balkenlage h a t nur noch die obere Turmstube. Außerdem zeigt sie, herumlaufend u m sämtliche vier Wände, eine Auskragung des Innenmauerwerks von etwa 1 Meter Breite, die auf eine ehemals andere Endigung des Turmabschlusses schließenläßt. Zu ihr liegen die Maueröffnungen in Brüstungshöhe. Irgendwelche Einrichtungen, die auf eine Bewohnbarkeit dieses Turmes hindeuten, sind nicht zu finden. Eine Turmstube mit einem Kamin befindet sich nur im Glockenturm. Sie liegt in Höhe des ursprünglichen Mauerwehrganges und war mit diesem auch durch eine Tür verbunden. Eine große Nische durchbricht in diesem R a u m das Mauerwerk nach der Westseite. Der Putzgrund dieser Nische läßt die in ihn eingeritzte Zeichnung eines monumentalen Kreuzes sowie zweier Radkreuze und zweier Heptameter erkennen. Die Einteilung in Geschosse durch Balkenlagen ist noch vorhanden. Zugänglich ist dieser T u r m nicht wie der westliche vom Kircheninneren, sondern von der offenen Vorhalle seines Erdgeschosses. Das Mauerwerk der Kirche ist mit Ausnahme der Türme in 3 bis 5 Stein Stärke durchgemauert. Bei den Türmen bestehen die unteren Teile aus 15

zwei Schalmauern von geringerer Stärke, zwischen die Feldsteine, Bauschutt u n d Mörtel gefüllt ist. Das Dachwerk der Sankt Georgskirche weist eine Eigentümlichkeit auf. Der eigentliche Sparrenfuß setzt nicht auf dem hochgehenden Mauerwerk der Außenwand auf. Die Hauptsparren greifen vielmehr in eine über das Mittelschiff gelegte Balkenlage, deren Auskragung nicht weiter unterstützt ist. Die von diesen Balken u n d den Sparren gebildeten Dreiecksverbände weisen das übliche Zimmerwerk ostdeutscher Kirchendächer auf. Es ist eine binderlose Konstruktion lauter gleicher Gesperre, von denen jedes einzelne mit einer mittleren starken Hängesäule ausgestattet ist. Diese ist mit einem Blatt an der Balkenlage befestigt u n d schützt sie vor Durchhängen. Die Säule ist ihrerseits durch Hängestreben mit den Sparren verbunden u n d wird durch drei Kehlbalken überblattet. Die Weiterführung der Dachlinie geschieht durch lange Aufschieblinge, die durch eine Anzahl von Querstreben mit dem eigentlichen Dachgesperre in Verbindung stehen. Der Längsverband wird durch Querriegel und Streben in der Mitte des Gesperres hergestellt, die hier eine feste Fachwerkwand ergeben 20 . BAUGESCHICHTLICHE MERKMALE Will m a n eine kunstgeschichtliche Wertung des interessanten Rastenburger Kirchenkomplexes u n d seine Einordnung in die formbildenden Geistesströmungen seiner Entstehungszeit vornehmen, so wird m a n nicht ausschließlich von der heutigen Gestalt ausgehen dürfen, sondern wird die Untersuchung auch auf die einzelnen Bauphasen auszudehnen haben. Jedes Jahrzehnt, das an dem heutigen Bilde gearbeitet h a t , h a t das ihm charakteristisch Eigene an dem Bauwerk zu verwirklichen versucht, u n d erst das Auffinden aller Komponenten, die die Anlage beeinflußten, wird zu einer gerechten Würdigung führen können. An H a n d der überaus zahlreichen baugeschichtlichen Merkmale, die an der Wehrkirche zu finden sind, läßt sich ihr Werdegang in voller Deutlichkeit verfolgen. Erster

Bauabschnitt

Die ältesten Bauteile des Kirchengebäudes sind die, die vor Errichtung des eigentlichen Kirchenraumes zur Befestigung der Stadt gehörten. Hierzu rechnen die West- u n d Südmauer bis zur Höhe des ursprünglichen Wehrganges sowie der W e h r t u r m i m Zusammenschnitt dieser beiden Mauern. Manche noch heute erkennbare Spur scheidet diese ältesten Bauteile von den späteren. An der äußeren Westwand zeigt ein Absatz die ursprüngliche Höhe des vorhanden gewesenen Wehrganges. Der höher gelegene Absatz unterhalb des Spitzbogenfensters bedeutet sogar die teilweise Erhaltung der ehe16

maligen Brüstungsmauer. Dieser untere Mauerteil ist bis zu dieser Absatzhöhe mit dem Wehrturm im Verbände gemauert. Dasselbe ist für die Südwand festzustellen. An ihr fällt zwischen Wehrturm und dem nächstgelegenen Kirchenfenster ein Mauerrücksprung auf, der genau die Höhe der Brüstungsmauer des ursprünglichen Wehrganges angibt. Diese Höhe entspricht den übermauerten Wehrgangspuren, die sich im untersten Teil des Glockenturmes erhalten haben. Die Fenstergewände sind dort, wo sie heute wieder vermauert sind, in ihrem unteren Teil als in die ursprüngliche Stadtmauer eingestemmt zu erkennen. In gleicher Weise gibt das Kircheninnere Aufschluß über das älteste Mauerwerk. An der Westwand der Kirche zeigt sich im Mittelschiff ein Absatz, der dem bereits außen festgestellten entspricht. An der östlichen Wand des Wehrturms befindet sich im Kircheninneren ferner eine Nische, die den ursprünglichen Ausgang des Turmes auf die Wehrmauer darstellt und damit nochmals deren ursprüngliche Höhe festlegt. Der Wehrturm selbst hat über dem erwähnten Rücksprung der Südwand keinen Mauerverband mehr mit ihr. Ebenso unterbricht er ihn an der Westwand und nimmt ihn erst mehrere Schichten über seinen Spitzbogenblenden wieder auf. Bis hierher reicht also der erste Bauabschnitt des alten Stadtbefestigungsturmes. Selbstverständlich scheiden sich die Bauteile auch in ihrem Ziegelmaß weitgehend voneinander21. Das Mauerwerk in Höhe der Spitzbogenblenden ist wesentlich heller gefärbt als das übrige. Man gewinnt den Eindruck, als wäre es zeitweilig den Witterungseinflüssen nicht so stark ausgesetzt gewesen wie die übrigen Teile des Turmes. Diese Vermutung trifft zu. Eine Reihe von größeren Balkenlöchern unterhalb der Blenden gibt die Stellen an, in denen früher die Schrägstreben eines hölzernen Wehrganges gesessen haben, der um das Wehrgeschoß hurdenartig herumführte 22 . Betrachtet man die Blenden näher, so wird deutlich, daß jeweils die beiden mittelsten nachträglich zugesetzt sind, also ursprünglich die offene Verbindung von Turmstube und Wehrgang bildeten. Steigt man zu den im Turm befindlichen Verließen hinunter, so fällt zunächst auf, daß die jetzige Ostwand des Turmes im Inneren der Kirche der früheren Außenwand in einem halben Stein Stärke vorgeblendet ist. Weiter wird eine Baufuge zwischen der äußeren Ummauerung des Turmes und dem Mauerkern sichtbar, der die Verließe umschließt. Diese Fuge zusammen mit der Verschiedenheit der Ziegelmaße läßt die innere Ausmauerung deutlich als spätere Zutat erkennen. Dieselbe Fuge wird in dem darüber liegenden Archivgeschoß am Eingang und an den Fenstergewänden erkennbar. Auch in dem dritten und ursprünglich letzten Wehrgeschoß tritt diese Baufuge zutage. Sie zeigt, daß die Verstärkung der unteren Hälfte des Turmes durch eine innere Mauerschale nicht zum ursprünglichsten Bau2

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bestände gehört. Der Zugang zum Turm erfolgte über die in seiner Nordwand eingebaute steinerne Treppe, deren ursprünglicher Antritt in dem Kirchenraum sich noch heute unter dem Putz abzeichnet, in einiger Höhe über dem Fußboden liegt und früher durch eine einziehbare Leiter erreichbar gewesen sein mag. Der die Kirchenanlage umschließende Parcham gehört nicht der frühesten Stadtbefestigung an. Einmal stimmt sein Ziegelmaß mit dem der Stadtmauer nicht überein und überdies ist er nicht im Verband mit dieser hochgeführt. Damit wäre der noch vor Errichtung des eigentlichen Kirchengebäudes vorhanden gewesene Baubestand umrissen. Es bestanden nur die Stadtmauern mit hölzernem Wehrgang und einer Brüstungsmauer, deren Schießscharten ungefähr 4 Meter voneinander entfernt waren und zwischen denen sich kleine Sehschlitze befanden. Der Westturm reichte bis zu einer Höhe von ungefähr 17 Metern, war in drei Geschosse geteilt, wie die heute vermauerten ursprünglichen Fenster zeigen, besaß aber noch nicht die heutige Mauerstärke und ebenso keine Gewölbe. Seine Wehrhaftigkeit war durch einen vorgehängten Wehrgang verstärkt, über den das Zeltdach des Turmes wahrscheinlich herübergezogen war. Zweiter Bauabschnitt Dieses bereits vorhandene Mauerwerk der Stadtbefestigung wurde zur Einsparung von Raum, Zeit und Kosten bei der Errichtung des ersten Kirchengebäudes mitbenutzt. Da die Stadtmauern am Wehrturm im stumpfen Winkel aneinander stießen und die Kirchenwände parallel zu ihnen abgesteckt wurden, entstand als Kirchengrundriß nicht ein Rechteck, sondern ein Parallelogramm. Der Umfang und das Aussehen dieser ersten Anlage lassen sich genau festlegen. Die Länge der ersten Kirche markiert sich an der südlichen Außenwand deutlich durch die Baufuge zwischen Glockenturm und Kirchenwand. Die frühere Breite wird am Äußeren der Westwand ebenfalls durch eine Baufuge gekennzeichnet, die an der Nordkante der letzten Lisene entlangläuft. Eine weitere Baufuge trennt auch die heutige Taufkapelle von diesem ersten Kirchengebäude. Die anstoßenden Bauteile unterscheiden sich wieder durch andere Ziegelabmessungen von dem dadurch begrenzten Baukörper. Als hierzu gehörig erweist sich ferner ein Mauerstück der Nordwand westlich der Eingangshalle, denn es besitzt dieselben Ziegelmaße und das gleiche primitive Muster wie die zum ersten Kirchenraum gehörende Südwand und befindet sich zudem nur schlecht im Verbände mit der übrigen aufgehenden Wand. In diesem Mauerwerk ist also ein Anbau der ersten Anlage erkennbar. Da überall dort, wo in Ostpreußen Sakristeien zur ersten Bauanlage gehören, diese an der Nordseite angebaut sind, kann dieser Wandteil ebenfalls als 18

der Rest des ehemaligen Sakristeianbaues angesprochen werden23. Für diese Deutung spricht ferner, daß die Widdern sich in seiner unmittelbaren Nähe befand, der von den Geistlichen benutzte Zugang zur Kirche dicht neben der Sakristei lag und sie dadurch besonders bequem erreichbar war. Die ehemalige Außenarchitektur der Wehrkirche läßt sich aus den vorhandenen Spuren genau feststellen. Die Südwand wies eine andere Verteilung der Fenster auf. Aus der außen noch kenntlichen Vermauerung dieser ehemaligen Fenster und aus deren erhaltenen Leibungen über dem heutigen Gewölbe kann das Vorhandensein von 5 alten Fenstern festgestellt werden, die ursprünglich tiefer hinunterreichten und deren Scheitel dicht unter dem Gesimsband lag. Nur die beiden links und rechts von der Jakobskapelle befindlichen Fenster haben noch ihre ursprüngliche Lage. Das später von der jetzigen Taufkapelle überbaute Fenster besaß eine größere Breite als die übrigen. Die Entfernung der westlichen vier Fenster voneinander war fast gleich, das fünfte lag in einem größeren Abstände von ihnen. Diese Abtrennung dürfte aus dem Wunsch nach einer besonderen Betonung des Altarraumes entstanden sein. Die Verglasung lag in der Mitte der Mauerbreite und steckte in einem zugehauenen Schlitz des Fenstergewändes. Die Leibungen wurden durch einfache, im Spitzbogen geputzte Schrägen gebildet. Eine Unterteilung durch Fensterpfosten war nicht vorhanden. Mit der gleichen Deutlichkeit kann die ursprüngliche Nordansicht der ersten Kirche verbildlicht werden. Der Eingang der ehemaligen Nordwand ist auch heute noch erhalten und befindet sich in der Flucht der nördlichen Pfeilerreihe, die auf den Fundamenten der alten Nordmauer steht. Er zeigt außen eine Profilierung durch Abtreppungen, die abgefast sind. Über diesem Portal wird eine Blende sichtbar, deren Spitzbogen über dem Gewölbe zum Vorschein kommt. Diese dürfte die letzte einer Blendenreihe sein, die sich über die ganze äußere Nordwand hinzog. Fenster werden in dieser Wand nicht gelegen haben, denn die ostpreußischen Kirchenbauten vermeiden diese an der Nordseite 24 . Ein Putzband unterhalb des Dachansatzes hat diese Seite nicht besessen, wie die noch erhaltenen Teile dieser Wand über den Gewölben ausweisen. Das um Süd- und Ostansicht herumlaufende Band war hier lediglich herumgekröpft. Besonders reich war die nach dem Schlosse zu gelegene Ostseite ausgebildet. Hier befand sich der Haupteingang zur Kirche, der, wenn auch verkleinert, heute noch besteht. Seine äußeren Leibungen sind heute schräg abgeputzt, werden aber früher auch die kleinstufige Profilierung aufgewiesen haben, wie sie der ehemalige Nordeingang zeigt. Zwei Fenster in derselben Ausbildung wie die der Südseite warfen ihr Licht auf den Altar. Sie sind dadurch rekonstruierbar, daß das südliche über den Gewölben noch vorhanden ist und in seiner Nische die Aufmauerung der südlichen Pfeiler2*

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Stellung aufnimmt. Seitlich dieser Fenster befanden sich Blenden, deren Lage durch einen besonderen Umstand ebenfalls erhalten ist. Im Putzgrund der über dem Haupteingang befindlichen Blende ist nämlich eine Weihezeichnung eingeritzt, die man sich beim späteren Anbau des Glockenturmes zu überbauen scheute und in einer mächtigen Öffnung aussparte. Der früher über dieser Wand aufgehende Giebel steht in seinen wesentlichen Teilen auch heute noch zwischen Langhaus und Chor. Seine alten Umrisse sind vom Dachboden des Langhauses und an der Westseite des Glockenturmes deutlich sichtbar. Seine Ausbildung zeigt eine im DeutschOrdensgebiet nicht bekannte Eigenart. Er vermeidet zunächst genau wie die unter ihm liegende Wand die Betonung der Mittelachse und deutet diese nur leicht durch das Herausrücken eines Spitzbogens aus dem unteren Friese an. Der Giebel ist durch die übereck gestellten Pfeiler nicht gleichmäßig aufgeteilt, denn es sind an seinen Enden zwei hohe, breite Schultern angelegt, die durch besondere Blenden geschmückt sind. Erst der zwischen diesen Schultern liegende Teil ist durch sechs Pfeiler in gleichen Abständen gegliedert, die jedoch nicht alle durchlaufen. J e zwei sind bei ihrem Austritt über die Giebellinie nach innen versetzt, offenbar in der Absicht, die Gesamtkontur des Giebels möglichst schmal und steil zu gestalten. Diese Stellen sind außerdem als kleine Schultern ausgebildet, zwischen denen die Giebellinie hervortritt. Ausgekragte Spitzbogen auf Konsolen unterteilen die Felder, die nicht geputzt, sondern nur weiß geschlemmt waren. Diese von den übrigen ostpreußischen Kirchengiebeln völlig abweichende Ausbildung muß einen besonderen Grund gehabt haben, denn ohne technische Notwendigkeit dürfte eine so weitgehende Abweichung vom Üblichen, wie sie die hohen seitlichen Schultern darstellen, kaum vorgenommen worden sein. Eine Erklärung hierfür findet sich bei der Betrachtung des Dachstuhles. Seine Konstruktion ist insofern merkwürdig, als der Sparrenfuß weit über seine letzte Unterstützung durch Mauerwerk hinausragt. Es hat den Anschein, als wenn hier ein Dach ohne Rücksicht auf den zu überspannenden Raum konstruiert worden wäre und die fehlenden Stücke zum Eindecken der Seitenschiffe beiderseitig angeflickt worden wären. So verhält es sich in der Tat. Das jetzt über dem Mittelschiff liegende Sparrendreieck ist der alte Dachstuhl des ursprünglich schmaleren Kirchenraumes. Legt man ihn jedoch über die ehemalige Breite der Kirche, so liegt der Sparrenfuß nicht, wie allgemein üblich, auf der Außenkante des Mauerwerks, sondern lastet auf dessen Innenkante. Der Deckenbalken muß demnach ursprünglich noch ein Stück über den Sparrenfuß hinausgelaufen sein. Diese merkwürdige Konstruktion wird nur dann verständlich, wenn man für sie einen bestimmten Zweck findet. Dieser ist derselbe, der zur Errichtung der hohen Giebelschultern führte. Das Zurückrücken des Sparrenfußes ermöglichte in 20

Mauerbreite die Anlage eines hölzernen Wehrganges, der auf den Balkenenden zwischen Sparrenfuß u n d einer Fachwerkbrüstung entlangführte u n d sich an der hohen Giebelschulter totlief. Daraus, daß der Dachstuhl in dieser Weise f ü r Wehrzwecke nutzbar gemacht war, erklärt sich auch die Form des späteren Ausbaus des alten Turmwehrgeschosses. Hier wurden nämlich nach dem Höherlegen des Hauptverteidigungsgeschosses und Beseitigung des unteren Wehrganges durch eine nachträgliche innere Aufmauerung sämtliche ehemals offenen Spitzbogenausgänge in Schießscharten verwandelt bis auf die beiden, die den Zutritt zu den Wehrgängen des Dachgeschosses vermittelten. Dieses wurde dabei zu einem abriegelbaren Verteidigungsraum dadurch ausgestaltet, daß einer der Zugänge ein Fallgatter erhielt, während der zweite später vermauert wurde. Ist auch heute von den Wehrgängen selbst nichts mehr erhalten, so genügen doch die Konstruktionsspuren, die auf sie Bezug nehmen, vollauf, u m sie nachweisen und rekonstruieren zu können. Dieser Ausbildung der Wehrarchitektur in Holz paßte sich auch der Westgiebel an. Hier ist die auffällige Tatsache festzustellen, daß der Giebel mit Steinen anderen Formats aufgeführt worden ist, als es bei dem gesamten übrigen Mauerwerk der ersten Kirche verwandt wurde. E r zeigt vielmehr das Ziegelmaß der späteren Turmerhöhung u n d ist mit dieser auch im Verbände gemauert. Es darf also mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß der Wehrgang auf dieser Seite ebenfalls aus Holzfachwerk bestand und daß der darüber aufgehende Giebel durch eine einfache Verschalung des Sparrendreiecks gebildet wurde .Wollte man hier einen ursprünglich-massiven Giebel annehmen, so müßte dieser 6chon wenige Jahrzehnte später wieder abgetragen worden sein, wozu ein Anlaß nicht zu finden ist. Der erhaltene alte Dachstuhl gibt auch an, daß der erste Kirchenraum einschiffig gewesen ist, denn das Gesperre ist so ausgebildet, daß die Deckenbalken freitragend den ganzen R a u m überspannen konnten 2 5 . Die Abdeckung des Raumes besorgte nach den vorhandenen Löchern f ü r die Holznägel eine Bohlenlage. Der I n n e n r a u m war architektonisch belebt durch die Anordnung einer hohen, dicht gestellten Blendenreihe, die sich an der Westu n d Nordseite entlangzog. Diese Auflösung der Innenfläche durch Blenden war auch in der Sakristei vorhanden, wie deren Reste an der erhalten gebliebenen Nordmauer dieses Raumes zeigen. Eine hohe Nische u m den Haupteingang im Osten diente mehr zur Aufnahme der hohen Torflügel als zur raumkünstlerischen Bereicherung. Der Innenraum war ungeputzt u n d zeigte das rote, sauber ausgefugte Mauerwerk. Eine malerische Ausschmückung wird er aus diesem Grunde kaum gehabt haben. Der W e h r t u r m h a t t e zugleich mit der Anlage der Kirche den Ausbau seiner Innenräume erfahren, was die Gleichartigkeit der Ziegelmaße andeutet. Dieser erstreckte sich zunächst nur auf den Einbau der Verließe und 21

des darüber befindlichen Arcbives, während das Wehrgeschoß unverändert blieb ixnd nur an die Wehrgänge des Kirchendaches angeschlossen wurde. Die fortifikatorische Verstärkung der Wehranlage durch den Ausbau des Parchams mit seinen verschiedenartigen T ü r m e n ist nach den übereinstimmenden Ziegelabmessungen u n d der auffallenden Ähnlichkeit der Spitzbogenfriese am Ostgiebel der Kirche und am Josephsturm gleichzeitig mit der Errichtung des Kirchenbaus oder zum Schutze des Bauplatzes kurz vorher erfolgt. Damit liegen Umfang und Ausbau der ersten Wehrkirche fest. Es war ein einschiffiger Bau von der Länge des heutigen Langhauses, der Breite des heutigen Süd- und Mittelschiffes und der Höhe der Seitenschiffe, an den im Norden die Sakristei angehängt war. Der W e h r t u r m h a t t e seine ursprünglichen Formen behalten und war nur durch Einbau von gewölbten Räumen verstärkt worden. Die Verteidigung dieser wichtigen Stadtecke übernahmen anstelle des Mauerwehrganges die neu hinzugekommenen Wehrgänge der Kirche u n d der vorgelegte Parcham. Dritter

Bauabschnitt

Die Rücksicht auf die Verteidigungsfähigkeit des Westturmes verbot das Unterbringen von Glocken in ihm. Es mußte also zur Aufnahme eines Geläutes ein weiterer T u r m zur Ausführung gebracht werden, der seinen Platz am Südende des Ostgiebels erhielt. Sein Grundriß scheint so aufgerissen worden zu sein, daß auf die Ostmauer der Kirche die Nordmauer des Turmes im rechten Winkel u n d hierauf abermals rechtwinklig seine Ostmauer abgesteckt wurde, wobei übersehen wurde, daß Kirche und Stadtmauer keinen rechten Winkel miteinander bildeten. Diese Gleichgültigkeit bei der Anwendung technischer Hilfsmittel erklärt am ehesten die Unregelmäßigkeit des Turmgrundrisses. Seine ursprüngliche Höhe war nicht die heutige, sondern reichte nur bis zur Unterkante der obersten Schallöffnungen. Ein Absatz im Inneren sowie die Verschiedenheit der Ziegelmaße lassen dieses deutlich erkennen. Ebenso zeigt der Glockenstuhl zwei Bauabschnitte, u n d zwar einen älteren Teil, der f ü r zwei Glocken eingerichtet war, u n d einen späteren, darüber eirichteten f ü r weitere drei Glocken. Der ursprüngliche Glockenturm endigte, der Bedeutung der ganzen Anlage als Kirchenburg entsprechend, mit einem Wehrgang, dessen Schießscharten noch vorhanden sind. Die ursprünglichen Schallöffnungen lagen in den unteren großen Blenden, die erst bei späterer Aufstockung zugesetzt wurden. Eine erhöhte Wehrbarkeit wurde diesem T u r m noch dadurch verliehen, daß ihm in dem Geschoß unterhalb der Glockenstube ein Wehrgang vorgehängt wurde, dessen Spuren das Außenmauerwerk noch heute erkennen läßt. Das darunter liegende Geschoß war die heizbare Stube des Glockenwärters. Von hier f ü h r t e ein Ausgang auf den 22

Wehrgang der Stadtmauer, der gleichzeitig mit der Errichtung des Glockenturmes höher gelegt war. Der heute noch erhaltene Absatz für den Wehrgang liegt um ungefähr 2 Meter höher als der ursprüngliche, dessen Zinnen bei Aufführung des Glockenturmes übermauert wurden. Eine spätere Vervollständigung der Bauanlage geschah nach der ersten Befriedigung kultischer Bedürfnisse als abermalige Verstärkung ihrer Verteidigungsfähigkeit. Wieder ist es eine Übereinstimmung im Ziegelmaß, die den Schluß zuläßt, daß die Höherführung des Westturmes und die bereits erwähnte Hintermauerung des alten Wehrgeschosses in ihm gleichzeitig mit der Aufführung des massiven Westgiebels erfolgte. Daß der Westgiebel nicht zugleich mit den Kirchenmauern und dem Ostgiebel entstanden ist, deutet auch eine auffallende Abweichung in der Ornamentierung seines Mauerwerkes an. Während im unteren Teil des Westturmes das an Ordensbauten übliche Rautenmuster stückweise sichtbar wird, und an der Südwand der Kirehe sowie an der alten Sakristei an den von Ausbesserungen verschont gebliebenen Stellen ebenfalls ein maurermäßig primitives Muster auftritt, die beide sich völlig dem Ziegelverbande einfügen, zeigt der Westgiebel ein Muster, das ein besonderes Zuschlagen der Steine erforderlich machte. Es sind zwar wiederum Rauten, die aber kleinlicher als die übrigen gleichartigen Ornamente wirken, einzeln in der Fläche stehen und ohne Verbindung untereinander bleiben. Sie verraten damit technisch und stilistisch eine spätere Entstehungszeit. Wie hoch der Westturm innerhalb dieses Bauabschnittes geführt wurde, deutet eine Rollschicht an, unter der sich wieder Löcher für die Konsolen eines hölzernen Wehrganges befinden. Dieser ist also nur um 17 Meter gehoben und in seiner alten Form dem Wehrturm als Bekrönung wieder aufgesetzt worden. Bei der Vergänglichkeit des hölzernen Baumaterials blieb dieses jedoch nicht die endgültige Ausbildung der Turmendigung. Die noch heute erhaltene innere Auskragung des später abermals höher geführten Mauerwerkes sowie die Baufugen an den Fensteröffnungen des obersten Geschosses zeigen, daß nach der Zerstörung des hölzernen Turmkopfes der Abschluß des Turmes mit einem offenen Zinnenkranz versehen worden ist. Diese Zinnen hatten dieselbe Ausbildung mit Sehschlitzen wie die Stadtmauer. Auch die Offnungen der ehemaligen Wasserspeier sind noch, wenn auch vermauert, erhalten. Anbau des Glockenturmes sowie Ausbau des Wehrturmes und Aufführung des Westgiebels bilden also eine weitere Entwicklungsphase in der Geschichte der Rastenburger Wehrkirche. Vierter Bauabschnitt Untersucht man die Aufmauerung über der nördlichen Pfeilerreihe der heutigen Kirche, so entdeckt man, daß diese gegen ältere Mauerreste in der23

selben Flucht ohne Verband anläuft. Es wird deutlich sichtbar, daß hier die ursprüngliche Nordwand abgebrochen wurde, um die Erweiterung der einschiffigen Anlage zu ihrem jetzigen Querschnitt zu ermöglichen. Die vorhandenen Bauspuren lassen auch diesen Bauabschnitt genau umgrenzen. Als Maß für die Erweiterung diente der Vorbau der Sakristei, deren Nordwand erhalten und überbaut werden sollte. Dabei mußte die Verlängerung der neuen Nordwand nach Westen auf den vorhandenen Parchameingang stoßen. Um diesen freizulassen, wurde der untere Teil energisch abgeknickt und erst oberhalb der Parchampforte durch Auskragungen wieder in die alte Flucht zurückgeleitet. Nach Osten lief diese Nordmauer bis auf ein Drittel des ersten Sakristeipfeilers, wo eine senkrechte Mörtelnaht ihr Ende angibt. Daß hier der ehemalige Abschluß des nördlichen Seitenschiffes lag, zeigen im Schiff selber die noch heute deutlich sichtbaren Spuren einer nachträglichen Abspitzung der Ostwand und ein über den Gewölben liegender, nachträglich eingebauter Unterstützungsbogen zum Abfangen des Giebels. Das neue Nordportal lag dort, wo heute zwischen Vorhalle und Stadtmauer eine zugesetzte Spitzbogennische den ehemaligen Eingang noch ausweist. Die hinzukommenden Giebelverbreiterungen wurden mit ihrer Architektur einfach auf die vorhandenen Giebel aufgesetzt. Die in den erweiterten Kirchenraum hineingestellten beiden Pfeilerstellungen haben nichts mit der ursprünglichen Anlage der Kirche zu tun, denn ihr Anschluß an die älteren Mauerstücke zeigt, daß sie stumpf und ohne den Versuch eines Einbindens dagegen laufen. Ein Unterschied in der Fundamentierung der Pfeilerreihen — die nördliche wurde auf den Fundamenten der alten Nordmauer errichtet, während die Pfeiler der südlichen Einzelfundamentierung erhielten — läßt sich schon äußerlich daran erkennen, daß die Südpfeiler offenbar bald nach ihrer Ausführung sich nach innen neigten. Diese Neigung kann nur vor dem Aufbringen des Dachstuhles entstanden sein, denn er hätte sonst als Querverstrebung diese Bewegung verhindert. Die Fenster der neuen Nordwand nahmen selbstverständlich Rücksicht auf die durch die Scheidebögen gegebene neue Achseneinteilung. Eine Änderung der Fenster in der Südwand war nicht erforderlich, da der neu entstandene dreischiffige Raum nicht auf Einwölbung angelegt war. Es waren keine Schildbögen gemauert und die jetzigen Gewölbe laufen daher zum Teil stumpf gegen das Mauerwerk, zum Teil greifen sie in nachträglich eingestemmte Schlitze. Die hohen Blenden über den Scheidebögen führten so dicht unter die Balkendecke, daß die nachträglich eingebauten Gewölbe ihre Spitzen wegschneiden mußten. Die Balkendecke des Mittelschiffes erhielt eine besondere raumkünstlerische Akzentuierung. Hier wurden an die wieder benutzte alte Balkendecke paarweise Konsolen mit architektoni24

scher Formgebung zwischen den aufsteigenden Blendbögen angeordnet, die heute noch über dem Gewölbe erhalten sind. Zum Verdecken der unschönen neuen Maueranschlüsse war der Innenraum weiß gekalkt worden. Einen Beweis hierfür bildet die Tatsache, daß dieser Anstrich noch über den Gewölben auf dem Mauerwerk erhalten ist, so weit dieses unterhalb der Balkendecken sichtbar war, während die übrigen Mauerteile diese Weißung nicht zeigen. Der Westturm erhielt auf seiner in der Hauptblickrichtung liegenden Seite des Innenraumes eine Mauerschale vorgeblendet, in der die vorhandenen Öffnungen ausgespart wurden. Seiner Nordseite wurde bis in die Flucht des Mittelschiffes ebenfalls Mauerwerk mit einer großen Spitzbogennische vorgelegt. Zu gleicher Zeit mag die Erhöhung des Glockenturmes durchgeführt worden sein, wobei die unteren Schallöffnungen vermauert und verputzt wurden und eine schablonenmäßige Malerei erhielten, die an der Stelle, wo sie durch das später angebaute Chordach besonders geschützt war, noch heute zu erkennen ist. Dieser dreischiffigen, noch chorlosen Anlage wurde bald die Sankt Jakobskapelle im Süden angefügt, die jedoch nach den unter dem jetzigen Schleppdach erhaltenen Kalkleisten ursprünglich einen Giebel besaß. Ebenso zeigen die Fenster deutlich eine spätere Umänderung, denn ihr Gewände läßt später vorgenommene Stemmarbeiten erkennen. Der Anbau muß vor der Einwölbung der Gesamtanlage vorgenommen worden sein, da die Gratführung des Seitenschiffgewölbes auf die Kapellenöffnung Rücksicht nimmt. Die Anlage erfolgte nicht in der Achse eines Joches, sondern auf der Mittellinie des Ganges, der sich zwischen Pfeilerrücken und dem Altar des Nachbarpfeilers ergab. Auch diese Kapelle war ursprünglich flach gedeckt, worauf vorhandene Balkenreste und die heutige späte Gewölbeform hindeuten. Zum Ende dieses Bauabschnittes war also die Erweiterung des Kirchenraumes zur flach gedeckten Pseudo-Basilika und die Aufführung des Glockenturmes bis zu seiner jetzigen Höhe sowie der Anbau der St. Jakobskapelle fertiggestellt. Fünfter Bauabschnitt Die letzte großzügige Erweiterung erhielt die Kirche mit der Errichtung des Chores, der Sakristei und der Chorempore, die in einem Guß im Mauerverbande miteinander aufgeführt wurden. Eine Ausnahme bilden lediglich die Strebepfeiler der Sakristei und deren Giebel, die, wie der Verband zeigt, nachträglich errichtet worden sind. Da der Chor die vorhandene Nordwand des Glockenturmes als Innenwand mitbenutzte, mußte er ihrer Richtung folgen und aus der Achse des Langhauses nach Norden abbiegen. Die Ein25

Wölbung des Chors und der Sakristei war von Anfang an geplant und ist im Anschluß an die Fertigstellung der Außenmauern vorgenommen worden, denn diese Gewölbe ruhen auf gemauerten Schildbögen. Der Entschluß, anschließend auch das Langhaus einzuwölben, muß erst spät gefaßt worden sein, da die Empore über der Sakristei ursprünglich in Verlängerung der Balkendecke des nördlichen Seitenschiffes ebenfalls eine Holzdecke getragen hat. Diese ist beim Einziehen des Gewölbes in wenig sachlicher Weise herausgeschnitten worden, um Raum für die Gewölbe in derselben Höhe wie im Seitenschiff zu gewinnen. Das Herausstemmen der Wand zwischen Chor und Mittelschiff sowie zwischen Seitenschiff und Chorempore geschah nach Einziehen von Entlastungsbögen. Der fehlende Verband zwischen Chor und Langhaus wurde dadurch erzielt, daß durch das Einbringen von Andreaskreuzen die Balkenlagen der beiden Räume miteinander verankert wurden. Der Ausbau des Langhauses zu seiner heutigen Gestalt erfolgte nach Fertigstellung des Chores durch Einziehen der Gewölbe. Hierzu waren weitgehende Änderungen der Südfenster erforderlich, von denen zwei geschlossen und dafür zwei neu angelegt werden mußten. Die Fenstergewände wurden dabei denen auf der Nordseite angeglichen. Der Pfarreingang der neuen Nordwand ist nachträglich wieder vermauert worden, da vor ihm der geplante Vorbau eines Windfanges die Parchampforte verstellt hätte. Der als Ersatz angelegte Eingang wurde daher nach Osten herübergeschoben und mit der heutigen Vorhalle versehen. Damit hatte die Wehrkirche im wesentlichen die Gestalt erhalten, die sie noch heute trägt. Spätere Umbauten haben diese nicht mehr entscheidend beeinflussen können. In der äußeren Erscheinung ist in nachmittelalterlicher Zeit nur der Wehrturm durch Schließung des offenen Zinnenkranzes und der Glockenturm durch Aufsetzen eines Uhrgehäuses verändert worden. Im Kircheninneren hat später noch die Taufkapelle einen Umbau erfahren, der sich auf Verbreiterung der Fenster und auf das Einziehen eines Gewölbes bezog. Ferner wurde eine Orgelempore eingebaut, die die gleiche Formsprache wie die Umbauten der Taufkapelle zeigt. Mit diesen Arbeiten war die bauliche Entwicklung der Sankt Georgs-Kirche abgeschlossen, soweit sie kunstgeschichtliches Interesse zu beanspruchen hat. Was später an Änderungen hinzukam, bedeutet ein Vergehen an diesem Denkmal größter preußischer Baugeschichte. DATIERUNG DER BAUTEILE Die einzigen überlieferten Daten, die sich auf Sankt Georg in Rastenburg beziehen, sind die des Baubeginns der Kirche und der Fertigstellung der 26

Gewölbe. I n welchem Zeitraum sich die verschiedenen Entwicklungsphasen der Kirche abgespielt haben, darüber schweigen die ohnehin schon spärlichen Quellen. Lilienthals „Erläutertes P r e u ß e n " nennt f ü r die E n t stehung des Gebäudes das J a h r 1359. Die Gründung soll also 2 J a h r e nach der Verleihung der Handfeste an die Stadtgemeinde vorgenommen worden sein. Dieses D a t u m d ü r f t e richtig sein, denn die von der ursprünglichen Anlage erhalten gebliebenen Stilformen stehen nicht im Gegensatz zu ihm u n d auch die Überlieferung von Kirchengründungen in anderen Städten spricht dafür, daß der massive Ausbau des Gotteshauses in unmittelbarem Anschluß an die Übergabe der Handfeste vorgenommen wurde 2 6 . Die Stadtgemeinde selbst bestand in dem Gründungsjahr wohl schon 30 J a h r e . I n dieser Zeit konnten die lebensnotwendigen Befestigungsbauten sehr wohl so weit gefördert worden sein, daß sie zum Bau der Kirche mit Verwendung finden konnten. Die Stilistik des Baues, die bei seiner weitgehenden Beschränkung auf das rein Zweckmäßige zeitlich wenig ausgeprägt ist, bietet f ü r eine genauere Datierung wenig Anhalt. Die auftretenden Bauformen sind schon aus früherer Zeit bekannt, widersprechen also wenigstens nicht dem gen a n n t e n Gründungsdatum. Die Schmalheit der Fenster und ihre Gewändeausbildung sowie das primitive Ziegelmuster der Kirchensüdwand u n d der Nordwand der ehemaligen Sakristei, das sich auch an der Marienburg und an der benachbarten Pfarrkirche zu Rössel f i n d e t , deuten auf eine Entstehungszeit u m die Mitte des 14. Jahrhunderts. Dieser Zeit eigentümlich ist ferner die flächenhafte Ornamentierung der Wände mit flachen Nischen sowie das Fehlen straffer Horizontalen in der Gliederung des Ostgiebels. Ob vor der Errichtung des massiven Gebäudes eine Notkirche bestanden h a t , entzieht sich der genauen Kenntnis. Man wird eine solche wohl annehmen können, denn die Handfeste aus dem J a h r e 1357 nimmt auf sie Bezug. Die Aufführung derartiger Holzkapellen vor dem Ausbau der Kirche in Stein war üblich u n d ist aus einer Reihe anderer Städte überliefert 2 7 . Vielleicht h a t die Rücksicht auf ihre Erhaltung bis zur Fertigstellung der Backsteinkirche und der dadurch entstehende Platzmangel mit dazu beigetragen, den Neubau in die Befestigungsanlagen der Stadt hineinzuschieben. Wenn auch bei dem Bau der Kirche durch die Mitverwendung des Mauerwerks der Stadtmauer große Einsparungen an Zeit u n d Kosten erzielt wurden, so wird man doch bei der offenbaren Knappheit der zur Verfügung stehenden Mittel und Arbeitskräfte u n d bei Berücksichtigung der außerordentlich sorgfältigen technischen Ausführung k a u m eine wesentlich kürzere Bauzeit annehmen dürfen, als sie bei anderen ostpreußischen Kirchen festgestellt werden kann 2 8 . Man wird daher die Fertigstellung der ersten einschiffigen, saalartigen Anlage k a u m vor 1375 anzusetzen haben. 27

Wie knapp das Bauprogramm bemessen war u n d wie sehr der Wehrzweck im Vordergrund stand, zeigt der ungewöhnliche Verzicht auf einen Glockent u r m . Sein Fehlen wird die kleine Gemeinde bei dem Vergleich mit den Gotteshäusern der Nachbarstädte bald schmerzlich empfunden haben. Seine Errichtung ist daher f ü r die Gemeinde die dringendste Ergänzung gewesen. Das besonders große Ziegelformat an ihm sowie das Auftreten des gleichen halbkreisförmigen Blendenabschlusses wie beim westlichen Wehrt u r m setzen diese beiden Türme in ihren Untergeschossen dem Material und der Formsprache nach in enge Beziehung. Man wird daher die Errichtung des Glockenturmes bald nach Fertigstellung des Kirchenschiffes f ü r die Zeit u m 1400 annehmen dürfen. Hierfür spricht auch die Art der weitgehenden Flächenauflockerung, die noch viel Verwandtes mit der Wandbehandlung der ersten einschiffigen Kirche zeigt, sowie die starke Betonung des Wehrcharakters, in der noch die aus der Stadtbefestigung lebendige Tradition mitschwingt. Der weitere Ausbau der Kirche wird zunächst Schäden betroffen haben, die sich im Laufe der Zeit dort zeigten, wo aus Sparsamkeit u n d Überlieferung wenig wetterbeständiges Material zum B a u verwandt worden war. Das war an dem hölzernen Wehrgang des Wehrturmes der Fall, der bei seiner exponierten Lage wenig länger als eine Generation von Bestand gewesen sein dürfte. Die wenigen Architekturformen des Turmes sind f ü r eine nähere Zeitbestimmung bedeutungslos. Während die unteren Maueröffnungen nur Sehschlitze waren, erhielten die aufgestockten Mauerteile bereits Schießscharten f ü r Feuerwaffen u n d zwar in der Weiterentwicklung der u m 1400 zuerst an den Burgen Alienstein u n d Bütow eingebauten. Zur gleichen Zeit wird die nach der Wetterseite liegende Verbreiterung des Westgiebels erneuerungsbedürftig geworden sein. Setzt m a n also das Höherlegen des Wehrganges u n d die damit zugleich vorgenommene Errichtung des massiven Westgiebels in die Wende des ersten Jahrzehnts nach 1400, so d ü r f t e diese Zeitbestimmung, obwohl nähere Anhaltspunkte nicht vorhanden sind, doch im wesentlichen das Richtige treffen. Eine Generation später wird auch der zweite hölzerne Wehrgang des Westturmes den zermürbenden Einflüssen des ostpreußischen Klimas zum Opfer gefallen sein u n d seinen U m b a u in einen gemauerten offenen Zinnengang mit steilem Turmbelm erfahren haben. Man wird demnach die Vollendung des Turmes zu der eindrucksvollen Erscheinung, die er im ausgehenden Mittelalter zeigte, mit einiger Wahrscheinlichkeit u m das J a h r 1440 annehmen dürfen. Diese endgültige Formgebung des Turmkopfes besaß zahlreiche Vorgänger schon aus dem vorhergegangenen J a h r h u n d e r t , von denen die Türme der Burg Rheden, der der Pfarrkirche in Friedland u n d die von Sankt Jakobi in Thorn genannt seien. 28

Der entscheidende Umbau zur Gestaltung der Kirche in ihrer heutigen Form als Pseudo-Basilika ist ebenfalls aus Urkunden nicht näher datierbar. Die Erweiterung zur dreischiffigen Anlage brachte keineswegs eine Vergrößerung der Aufnahmefähigkeit und eine Vermehrung der Sitzgelegenheit mit sich, denn die Pfeilerstellungen machten eine Verbreiterung der Gangfläche erforderlich, die den Zuwachs an Raum aufwog. Der Umbau läßt sich daher nur aus einem Bedürfnis nach geeigneten Plätzen zur Anordnung von Nebenaltären erklären, für die nach ermländischem Vorbild die Pfeilei einer dreischiffigen Anlage die altgewohnte Anordnung gestatteten. Dieser Einfluß des rein klerikal geleiteten Ermlandes auf die Ausgestaltung der Rastenburger Pfarrkirche kann aber erst zu einer Zeit spürbar geworden sein, als die geistige Führung des Ordens in den ihm unterstellten Gebieten zu erschlaffen begann. Sie entglitt ihm zugleich mit seiner politischen Machtstellung durch den zweiten Thorner Frieden im Jahre 1466, der dem Lande gleichzeitig einige Jahre wirtschaftlicher Erholung brachte. Die Vermutung, daß die Erweiterung von Sankt Georg in die Zeit nach diesen Ereignissen zu setzen und auf veränderte Kultformen zurückzuführen ist, erhält eine gewisse Bestätigung aus dem Urkundenmaterial dieser Zeit. Es fällt auf, daß Vikarien, abgesehen von der Erwähnung eines Vikars Tiburtius Grabow im Jahre 1402, vor der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht genannt werden, eine Präsentierung von Vikaren aber für fast alle an der Sankt Georgskirche vorhandenen Altäre in der Zeit von 1479—86 erfolgt. Dieses legt den Schluß nahe, daß die Einrichtung der Vikariate mit der Ernennung der Hilfsgeistlichen hierfür zusammenfällt. Man wird ferner nicht fehlgehen in der Annahme, daß diese beiden miteinander verknüpften Ereignisse in Zusammenhang mit dem Umbau der Kirche zu bringen sind. Aus diesen Gründen, die die Stilformen der Erweiterung noch bestätigen, wird man den Beginn des Umbaues ungefähr für das Jahr 1470 annehmen und seine Fertigstellung für die Zeit um 1485 datieren müssen. Die Architektur der erweiterten Anlage zeigt weitgehend Merkmale der reduzierten Spätgotik dieser Zeit. Die neue Nordwand bringt die Rückkehr zur betonten Flächigkeit. Jede Gliederung des Mauerwerks fehlt. Die schattenwerfenden, akzentartig wirkenden, tiefen Fensternischen verschwinden und machen Fenstern Platz, die ihre Scheiben fast bündig an die Außenfläche rücken. Diese Ausbildung war bei dem bis zum Jahre 1446 durchgeführten Chorbau von Sankt Marien in Danzig angewandt worden und wird von dort aus ihren Weg nach Altpreußen gefunden haben. Wenn der Kirchenraum selbst sich nicht dem im Lande überall vollzogenen Übergang zum reinen Hallentypus anschloß, so lag dieses an den Bindungen, die für ihn aus seinem alten Baubestande vorlagen. Trotz des dadurch bedingten altertümlichen Eindrucks liegen aber genügend Merk29

male der spätgotischen Stilphase vor. Zwar besitzen die Scheidebögen noch eine recht schlanke Führung, noch herrscht in der Fülle linearer Vertikalen ein starker Bewegungseindruck vor, aber der Verzicht auf jede Tektonik, das Fehlen jeder Bauplastik und das Verschleifen der Bauglieder miteinander zeigt deutlich genug Reduktionsmomente, die der Baukunst des ausgehenden 15. Jahrhunderts eigen sind. Der Glockenturm hatte durch das ständige Wachsen des Wehrturmes an Bedeutung innerhalb der Kirchenanlage verloren. Nichts war daher natürlicher, als daß Geistlichkeit und Gemeinde dieses Mißverhältnis zu beseitigen und ihrer wachsenden Machtstellung dem Orden gegenüber durch eine Erhöhung des Glockenturmes Rechnung zu tragen versuchten. Seine Aufstockung wird deshalb um die Zeit der Fertigstellung der Kirchenerweiterung, also um das Jahr 1485 anzunehmen sein. Hierfür sprechen auch die wenigen stilistischen Merkmale der Erhöhung, einmal die außerordentliche Größe der neuen Schallöffnungen und zweitens die Malereien, die bei Schließung der unteren Schallöffnungen auf deren Verputz angebracht wurden. Sie enthalten nichts mehr von mittelalterlichem Erfindungsreichtum, sondern tragen in ihrer schablonenmäßigen Steifheit schon alle Züge einer erstarrenden Stilepoche. Ihre Verfallssprache zusammen mit der Tatsache, daß sie jedoch vor Errichtung des Chors gemalt sein müssen, weil das spätere Chordach sie verdeckt und überschneidet, lassen die angegebene Datierung für die Turmaufstockung an Wahrscheinlichkeit gewinnen. Während in dem neugeschaffenen Kirchenraume die Altäre der Vikarien allmählich zur Aufstellung kamen, fand sich eine Reihe Rastenburger Bürger in der neu gegründeten Sankt Jakobs-Brüderschaft zusammen, die in ihrer Stiftungsurkunde ihre Absicht zum Bau einer besonderen Kapelle zum Ausdruck brachte. Damit wird der Anbau der Sankt Jakobskapelle hinreichend genau zu datieren sein, denn seine Inangriffnahme wird zeitlich mit der 1485 erfolgten Bestätigung der Brüderschaft durch den Bischof von Ermland zusammenfallen. Für den letzten großen Bauabschnitt, in dem Chor, Sakristei und Chorempore errichtet wurden, gibt die im Kirchenraum eingelassene Tafel einen Anhalt. Sie meldet die Schließung der Gewölbe im Jahre 1515. Bei dem Umfang der Arbeiten wird man ihren Beginn nicht später als für das Jahr 1500 annehmen dürfen. Die Aufführung des Chors muß verhältnismäßig rasch vonstatten gegangen sein, denn 1504 konnte bereits der neue Altar errichtet werden29. Daß diesen Chorbau der Zeitraum einer Generation von dem Erweiterungsbau des Langhauses trennt, zeigt schon ein flüchtiger Vergleich der Innenraumausbildung. Im Langhaus herrscht trotz der unverkennbaren Aufwärtsentwicklung noch die Ruhe eines rhythmischen Gleichmaßes. Im Chor ist bereits der Zusammenhang der Wandglieder gelöst und zu gegenseitiger Übersteigerung gebracht. Raumelemente, Raum30

gedanken und die in ihnen wirksamen K r ä f t e sind also bei beiden Bauteilen weitgehend von einander verschieden. Vielleicht hat das im J a h r e 1500 erwähnte Schadenfeuer in der Kirche den Anstoß dazu gegeben, zum Schutze des Dachstuhls auch das Langhaus einzuwölben. Die letzten Spuren dieser Umänderung wurden 1517 durch eine neue Weißung des Innenraumes beseitigt. Als Folge dieses Einbaus wurden der Sakristei die Strebepfeiler angefügt, deren Ostgiebel errichtet und die Fenster der Südwand den Gewölbejochen angepaßt. Wahrscheinlich hat in diesen Jahren auch der heute in die Kleine Kirche verbannte monumentale Krucifixus im Triumphbogen zwischen Langhaus u n d Chor seine Aufstellung gefunden. In diese Bauperiode gehört ferner die Verlegung des Nordeinganges u n d die Errichtung der Vorhalle vor ihm. Eine Bestätigung dafür, daß dieser Anbau zeitlich unmittelbar der Kircheneinwölbung vorangeht, bildet das Kreuzgewölbe der Vorhalle. Es ist ebenso wie die Kirchengewölbe rippenlos zur Ausführung gekommen. Der Giebel des Anbaus zeigt zwar noch nicht die Kielbogen des Sakristeigiebels, dafür aber bereits die energische Horizontalteilung, die zum Ausgang des Mittelalters gebräuchlich gewesen ist. Die später an der Kirche vorgenommenen Bauarbeiten sind untergeordneter N a t u r . Nach einer im Mauerwerk der Glockenstube eingeritzten Inschrift ist hier ein Maurer Johannes Guprau im J a h r e 1566 tätig gewesen. Wahrscheinlich sind zu dieser Zeit die Unterstützungspfeiler in die Schallöffnungen eingebaut worden. 1545 wurden die Nebenaltäre beseitigt und der H a u p t a l t a r unter Verwendung des Triumphkreuzes neu errichtet. Die heute noch benutzte Kanzel k a m im Jahre 1594 hinzu. Aus dem J a h r e 1584 wird zudem die Errichtung eines Schülerchors in der Kirche gemeldet. Zweifellos ist dieses der unter der Orgel befindliche massive Teil der Orgelempore, dessen Bogenöffnungen u n d dessen Gewölbe der Formgebung nach nur in dieser Zeit errichtet sein können. E r mag vielleicht schon damals als Unterbau f ü r die Orgel gedacht worden sein, die 1591 abgebrochen u n d in fünf J a h r e n neu errichtet wurde. Von 1599 ab wurde die Sankt Jakobskapelle als Taufkapelle benutzt. Mit der Änderung ihrer Bestimmung dürfte auch ihr Umbau vorgenommen worden sein. Genau so wie der halbkreisförmige Abschluß der Fenster u n d vielleicht auch der Verbindungsöffnung k a n n auch ihr völlig ungotisches Gewölbe nur in nachmittelalterlicher Zeit entstanden sein. Der Anschluß des über der Kapelle früher vorhanden gewesenen Satteldaches an das Hauptdach mag infolge des nachträglichen Anbaus zu häufigen Reparaturen Anlaß gegeben haben. Diese Dachform wird daher gleichzeitig mit dem Einbau des Gewölbes beseitigt u n d in das heutige Schleppdach abgeändert worden sein. Der Westgiebel der Kapelle entspricht in seiner Form jedenfalls der Zeit u m 1600.

Eine weitere Umänderung, die wohl auch zur Ersparung von Reparaturen getroffen wurde, ist die der Beseitigung des offenen Zinnenkranzes am Westturin, der zweifellos stark unter Witterungseinflüssen zu leiden hatte. I m J a h r e 1592 erhielt der T u r m nach einer Feuersbrunst eine neue Bedachung über dem gleichzeitig geschlossenen Wehrgang sowie den Dachreiter, mit dem ihn das Spillersche Epitaph in der Kirche zeigt. Die Zeitsetzung f ü r die Beseitigung der Turmzinnen erhält einen Beleg in der Ausbildung des Turmgesimses. Die Auskragung des unter der Gesimsverbretterung herumlaufenden Putzbandes ist bereits völlig ungotisch. 1638 wurde der Dachreiter durch Blitzschlag vernichtet und nicht wieder errichtet. Eine neue Ausweißung des Innenraumes wird aus dem J a h r e 1692 gemeldet. Ferner wurde die Uhr des Rathausturmes 1779 auf den Glockent u r m der Kirche überführt. Weitere Daten aus historischer Zeit betreffen nur bedeutungslose Änderungen am Kircheninventar 2 0 . Bauliche Eingriffe, die den mittelalterlichen Gehalt des Bauwerks in Mitleidenschaft zogen, brachte erst die zweite Hälfte des vorigen J a h r h u n d e r t s . 1862 wurden die Fenster ausgebessert und erhielten die den Bau entstellenden Maßwerke aus Zement. 1884 wurde eine Gesamterneuerung der Kirche vorgenommen, die dazu f ü h r t e , daß manches von der kraftvollen Ursprünglichkeit mittelalterlicher Raumgestaltung in der Sankt Georgskirche verloren ging.

PROPORTION S GE SETZ Von besonderem Interesse ist es, den mittelalterlichen Maßen nachzugehen, die den Abmessungen der Sankt Georgskirche zu Grunde liegen, und die Gesetze aufzuspüren, die f ü r die Bestimmung ihrer Verhältnisse maßgebend waren. Man findet dabei, daß die Hauptabmessungen in einer Dimension stets nach dem Mehrfachen oder Teilen des Rutenmaßes festgelegt sind, das auch schon f ü r die Parzellenabmessungen, Straßenbreiten u n d den Umfang der Stadt als bestimmend erkannt ist. So mißt die Nordseite des Wehrturmes u n d die Südseite des Glockenturmes genau 2 Ruten. Die Breite des alten einschiffigen Innenraumes ergibt sich aus dem Antrag von 2 R u t e n an die nördliche Turmwand. Die Chorbreite beträgt 2 R u t e n , die dortige Jochbreite 1 Rute. Das Maß der Erweiterung zur dreischiffigen Anlage, das gleichzeitig die Breite des nördlichen Seitenschiffes wurde u n d die Breite der ehemaligen Sakristei darstellte, ist 1 R u t e lang. Ebenso ist die Sankt Jakobskapelle u n d die nördliche Vorhalle 1 R u t e tief. Der Achsenabstand der Innenblenden auf der ehemaligen Nordwand mißt 1 / 2 Rute. Das alte wie das neue Nordportal sind Rute, der östliche H a u p t eingang im alten Zustande 3 / 4 Ruten breit. Die Mauerstärke des Westturmes beträgt ferner x / 2 , die der Stadtmauer 1 / 3 , die der Vorhalle 1 / g Rute. 32

Es ist auffällig, daß mit diesen einfachen Längenmaßen stets nur eine Raumabmessung bestimmt wurde, u n d es dürfte von W e r t sein, nachzuprüfen, ob sich diese Tatsache vielleicht aus dem Vorliegen einer Gesetzmäßigkeit f ü r die Bestimmung des Verhältnisses der Raummaße zueinander erklären ließe. Daß in der Blütezeit der deutschen Bauhütten festliegende, oft geheim gehaltene Regeln den Abmessungen der Sakralbauten zugrunde lagen, ist bekannt. F ü r eine Reihe von gotischen Kirchenbauten ist der Nachweis erbracht, daß die Baumeister besonders in der klassisch-französischen Schule bei der Proportionierung des Quer- und Längsschnittes das Verhältnis von Höhe u n d Breite so eingerichtet haben, daß eine zwar verschiedener Wandlung fähige, aber genau eingehaltene Norm nach dem Verhältnis von Basis u n d Höhe im gleichseitigen Dreieck maßgebend war 30 . E s sind Regeln, die sich bereits an vielen romanischen Basiliken bis zum J a h r e 1000 zurück erkennen lassen, j a sich schon im altchristlichen Sakralbau vorfinden. Handelt es sich doch u m Proportionsgesetze, die schon die Antike k a n n t e u n d die an ionischen u n d korinthischen Bauwerken nachzuweisen sind. Wenn dabei das ältere u n d früher entwickelte dorische System diese nicht anwandte, so ist das ein Zeichen dafür, daß bei der Übernahme des ionischen Stiles der dorische zu weit entwickelt war, u m sich diesen Regeln unterwerfen zu können. Damit weist aber das Aufkommen dieser Verhältnisgesetze in der Antike auf den R a u m hin, dessen Formsprache das ionische Kapitell entlehnt ist, nämlich nach Assyrien. Ist auch von hier aus noch keine ununterbrochen fortlaufende Überlieferung festzustellen, so darf doch als sicher angenommen werden, daß die Triangulation über die byzantinische Architektur, vielleicht auch aus dem altchristlichen Zentralb a u im Mittelalter eine Btarke Belebung erfuhr. W ä h r e n d in der Frühzeit der Gotik nur die Hauptabmessungen der Kathedralen auf diesem Wege ermittelt wurden, ging das 13. J a h r h u n d e r t dazu über, auch kleinere Unterteilungen auf diese Weise festzulegen, u m dadurch eine Gewähr f ü r deren harmonischen Zusammenklang zu finden. A m kräftigsten ausgeprägt erscheint der Gedanke, wenn f ü r Raumteile von ungleicher Größe die gleiche strenge geometrische Teilung benutzt wurde. Bei der ungeheuren Wertschätzung, die dieses Verfahren in der Blüte mittelalterlicher Baukunst besaß, überrascht es u m so mehr, wenn diese klaren Regeln vom Ende des 13. J a h r h u n d e r t s ab ihre Geltung verlieren und schwierigeren Verhältnisbestimmungen den Platz räumen. I m m e r h i n waren sie noch in Brauch, als der Orden in seinen neu gewonnenen Gebieten mit seiner Bautätigkeit begann. Mitglieder der Bauh ü t t e n Altdeutschlands waren an seinen Bauten vielfach beschäftigt® 1 . Dadurch wird eine Übertragung dieser Maßgesetze auf preußische Bauwerke wahrscheinlich. Der Nachweis aber, wie weit diese alten Hüttenregeln im Deutsch-Ordensgebiet Anwendung gefunden haben, steht noch aus. 3

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Die Errichtung der Rastenburger Sankt Georgskirche fiel in die Zeit, wo diese Proportionsgesetze in den westlichen Kulturkreisen fast völlig in Vergessenheit geraten waren. Sie müßten sich also in eigener Tradition weiterentwickelt haben, wären sie hier noch aufzuspüren. Ein solcher Nachweis würde dann von der handwerklichen Seite zeigen, wie die Entwicklung der Baukunst in Preußen sich nach der ersten Befruchtung durch eingewanderte Meister selbständig vollzogen hat, was die kunstgeschichtliche Forschung im wesentlichen bestätigt. Die Untersuchung mag sich zunächst auf die erste Anlage, den einschiffigen Raum, erstrecken. Als Maß für ein der Proportionierung des Grundrisses zugrunde gelegtes gleichseitiges Dreieck käme das Breitenmaß in Frage, das sich aus der in den Grundriß hineinragenden Turmseite des Wehrturms und dem Maß von 2 Ruten zusammensetzt. Konstruiert man hierüber das gleichseitige Dreieck und reiht seine Vervielfältigungen übereinander, so ergibt sich, daß das Längenmaß der Kirche genau dreimal die Höhe des Grunddreiecks beträgt. Die Dimensionierung vernachlässigt dabei den kleinen, von Turm, Westwand und Nordwand gebildeten Raum und bestimmt nur die Maße für das räumliche klare Rechteck. Bei der großen Einfachheit dieses frühen, saalartigen Kirchenraumes blieb wenig Gelegenheit zu einer weitergehenden Verhältnisbestimmung architektonischer Einzelheiten. Wohl aber ist die Höhe des Innenraumes wiederum bestimmt durch die Höhe des über seiner lichten Breite errichteten gleichseitigen Dreiecks. Sie wurde damit gleich einem Drittel der lichten Länge der Kirche. Wie weit der Einfluß dieser Bauhüttengesetze auf die Maßbildung bei der Sankt Georgskirche geht, zeigt die Tatsache, daß selbst der erweiterte Grundriß trotz seiner Abhängigkeit von dem älteren ebenfalls auf der Grundlage der Triangulation gestaltet wurde. In den Raum des Langhauses lassen sich mit absoluter Genauigkeit zwei gleichseitige Dreiecke mit der lichten Breite als Seite hineinkonstruieren. Als der Chor später dem Langhause angefügt wurde, wurden dessen Abmessungen genau proportional denen des Langhauses gewählt. Da seine Breite gegeben war, richtete sich seine Länge ebenfalls nach der doppelten Höhe des in den Grundriß mit der Chorbreite als Seite eingezeichneten gleichseitigen Dreiecks32. Die Breite des südlichen Seitenschiffes, die im Gegensatz zu dem nördlichen frei bestimmt werden konnte, ergab sich aus der vorhandenen Höhe durch Übereinandersetzen von drei gleichseitigen Dreiecken. Die Innenarchitektur wurde nach der Erweiterung zur dreischiffigen Anlage immerhin so vielgestaltig, daß bei ihrer Festlegung zur Erzielung harmonischer Proportionen das gleiche Maßsystem angewandt werden konnte. Legt man als Seite des hier verwandten gleichseitigen Dreiecks die Achsenbreite eines Joches fest, so liegt der Kämpfer der Scheidebögen auf der ein34

fachen Höhe, der Kämpfer der Blendbögen auf der anderthalbfachen Höhe und der Abschluß des Mittelschiffes auf der zweieinhalbfachen Höhe eines solchen Dreiecks. Nimmt man die lichte Öffnung des Scheidebogens als Maß für die Seite eines gleichseitigen Dreiecks und setzt dieses in die Kämpferhöhe des Scheidebogens, so trifft die Spitze dessen Scheitel. E s zeigt sich also, daß die Proportionen der Kirche in jedem Baustadium in weitgehende Abhängigkeit zu einem einfachen Schlüsselsystem traten, das sämtliche Hauptabmessungen des Raumes festlegte. Damit dürfte innerhalb der Baukunst des Deutsch-Ordensgebietes ein Nachweis für das lebendige Wirken dieser alten Hüttenregeln und für eine Gesetzmäßigkeit gotischer Bauformen erbracht sein, die sich hier selbständig weiterentwickelt und länger erhalten hat als in den westlichen Kulturgebieten Altdeutschlands, wo diese strenge Form der Triangulation scbon 2 Jahrhunderte früher aufgegeben worden war.

DIE KLEINE KIRCHE Zu dem gesamten Baukomplex der Sankt Georgskirche mit ihren Türmen, Mauern und Befestigungswerken gehört auch ein kleiner Bau, der wohl zu einer Zeit, in der der Parcham bereits als Begräbnisstätte zum Friedhof mit hinzugezogen wurde, als Friedhofskapelle entstanden war. Er wird zum Anfang des; 16. Jahrhunderts als Sankt Georgskapelle erwähnt und hat im Laufe der Jahrhunderte sich einen so vielseitigen Umbau gefallen lassen müssen, daß sein ursprüngliches Aussehen heute mit absoluter Sicherheit kaum noch festzustellen ist. Die Kapelle umschloß ursprünglich einen wesentlich kleineren und niedrigeren Baum als ihre heutige Gestalt. Sie war genau wie ihre große Namensschwester zur Ersparung von Baumaterial unter Verwendung der Stadtmauer errichtet worden und zwar in der nordöstlichen Ecke des Parchams, denn an der Südostecke hätte das hier stehende Spähertürmchen gleich zu Baubeginn beseitigt werden müssen. Die Breite der ältesten Kapelle entsprach der heutigen Breite. Für die Länge gibt der Dachstuhl einen Anhalt. Er besteht trotz seiner Umänderung zum Walmdach und trotz der Auswechselung einer Anzahl Balken auch heute noch aus Teilen sämtlicher Bauperioden und zeigt eine Baufuge, die zwischen dem alten Eingangsportal und dem nach Süden folgenden Fenster liegt. Man wird nicht fehlgehen, wenn man an dieser Stelle die ursprüngliche Begrenzung der Kapelle nach Süden annimmt. Zugänglich war sie durch das heute vermauerte Portal direkt vom Parcham aus, denn man wird nicht ohne Not das breite Feldsteinwerk der Stadtmauer durchbrochen haben. Ebenso wird man Fenster nur an den beiden neuerrichteten West- und Südwänden annehmen können. 3*

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Im Jahre 1546 erhielt sie eine Aufstockung, in der die neugegründete Lateinschule zum Teil untergebracht wurde. Sowohl die Schule wie auch der darunter liegende Kirchenraum, der im Jahre 1560 für das polnische Gesinde eingerichtet wurde, entsprachen bald nicht mehr dem Bedarf, so daß bei einer Kirchenvisitation 1565 beschlossen wurde, die Kirche „bis an die Stadtmauer" — gemeint war die Parchammauer — zu verlängern. Dieser Erweiterung ist der obere Teil des südöstlichen Parchamtürmchens zum Opfer gefallen. Verwüstungen bei der Überrumpelung der Stadt durch die Polen im Jahre 1628 richteten das Gebäude arg her, wurden aber schon zwei Jahre später aus Staatsmitteln wieder beseitigt. Den Zustand der Kirche nach dieser Instandsetzung zeigt das Spillersche Epitaph, auf dem die Kleine Kirche mit einem stattlichen Renaissancegiebel geschmückt ist. Eine dritte Erweiterung erfuhr die Kirche im Jahre 1691. Mit den Wiederherstellungsarbeiten dieses Jahres wurden offenbar die Stadtmauern in Breite der Kirche eingerissen und der Kirchenraum nach Norden über diese hinaus verlängert. Ein Schriftband, dessen Reste auf zwei Fassaden noch in Bruchstücken sichtbar sind, gehört dem Schriftduktus nach zu diesem Umbau. Der Innenraum besaß nach erhaltenen Balkenstücken eine ähnlich reich mit Rankenwerk und Sprüchen bemalte Balkendecke, wie sie im Großen Hospital noch vorhanden ist. Die Mittel für den Bau stellte der Amtshauptmann Alexander v. Rauschke zur Verfügung, dem auch der Neubau des Hospitals zu danken ist. Schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts war die Baufälligkeit bereits wieder so groß, daß die Unbilden der Witterung Schüler und Lehrer in Mitleidenschaft zogen. Baugelder zur Beseitigung dieser Schäden wurden anderweitig verwandt. Erst 1817 konnte an eine gründliche Überholung des Gebäudes gegangen werden. Die Schule wurde herausgenommen und erhielt in einem eigenen, auf der Stelle der alten Erzpriesterwohnung errichteten Gebäude eine geräumige Unterkunft. Die verwitterten Mauerstücke unterhalb der Hauptbalkenlage wurden abgetragen und diese selbst tiefer gelegt. Die Balkenlage zwischen dem ehemaligen Schulraum und der Kirche wurde entfernt und zur Ausbesserung des Dachstuhles verwandt. Der Kirchenraum erhöhte sich hierdurch und erhielt durch Einbau einer hölzernen Voutendecke sein heutiges Aussehen. Wenn die Kleine Kirche auch in sämtlichen Abschnitten ihrer Baugeschichte kaum mehr als ein nüchterner Zweckbau gewesen ist, so hat sie doch bei der Gestaltung der Außenräume um das Hauptbauwerk der Sankt Georgskirche ihre Bedeutung und bildet in dem auch heute noch reizvollen Parcham einen willkommenen Abschluß dieses Raumes nach Osten und ein ästhetisch notwendiges Gegenstück zu der behäbigen Masse des Bahrenturmes. 36

E N T W I C K L U N G DER G E S A M T A N L A G E IN IHRER B A U K Ü N S T L E R I S C H E N GESTALTUNG Selten zeigt eine preußische Kirche des Mittelalters eine so herbe Zweckgebundenheit, ein so ausschließliches Vermeiden von architektonischen Einzelformen wie Sankt Georg zu Rastenburg. Eine großartige Verlassenheit von allen mildernden Bedingungen des Westens liegt über diesem Gebäude. Hervorstechendes Merkmal bleibt in allen Abschnitten seiner baulichen Entwicklung die knappe Sparsamkeit der künstlerischen Mittel, mit denen der Ausdruck selbstsicherer, klarer Größe erreicht wurde. Diese Strenge, die trotz allem keine Nüchternheit aufkommen läßt, bildet die Haupteigentümlichkeit der Kirchenveste. Um das J a h r

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E s lag bereits in der Doppelaufgabe der ältesten Anlage als Kult- u n d Wehrbau, daß in der Außenarchitektur der feindwärts gelegenen Seiten die i m W e h r b a u üblichen Ausdrucksmittel überwogen. Der W e s t t u r m als der älteste Bestandteil des Baus zeigte zwar noch eine Auflockerung seiner Sockelflächen durch Blendenbildung. Die später aufgeführte Südwand ließ diese bereits vermissen. Nur wenige schmale Fensternischen versuchten eine Gliederung. Ein primitives Flächenmuster u n d ein abschließendes P u t z b a n d bildeten die einzige Belebung. An der Westseite deuteten schmale aufsteigende Lisenen eine Unterstützjjng des darüber geführten Wehrganges an, dessen Ausbau eine mit sparsamsten Mitteln errichtete Zweckkonstruktion blieb. Eine liebevollere Ausgestaltung zeigte nach diesen beiden Seiten hin nur der Parcham. Die drei Beobachtungstürmchen, die außer dem gut abgewogenen B a h r e n t u r m die Mauer schmückten, waren von lebendiger Zierlichkeit. Ihre praktische Bedeutung f ü r die Verteidigung t r a t zweifellos hinter dem Wunsch nach repräsentativer Betonung des Kirchenkastells zurück. Anders war die Behandlung der der Stadt u n d dem Schlosse zugekehrten Schauseiten. Die Nordseite war durch eine hohe Nischenreihe wirkungsvoll aufgelöst. Der Schwerpunkt der architektonischen Gestaltung r u h t e aber auf dem Ostgiebel, dessen Durchbildung mit Rücksicht auf den Wehrgang der Kirche eine besonders interessante u n d f ü r das deutsche Ordensgebiet ungewöhnliche F o r m erhalten hatte. Es bleibt nicht ohne Reiz, wie die durch die hohen Wehrgangschultern notwendige Verbreiterung der unteren Giebelzone i m Aufsteigen der Vertikalen durch Knicken und Versetzen eingeschränkt u n d damit die gewohnte Neigung des Giebelumrisses wieder annähernd erreicht wurde. Trotz aller Behelfsmäßigkeit war diese Lösung zwanglos u n d selbstverständlich. Der Gegensatz der großflächigen Wehrgangsschultern zu der zarten Unterteilung der verbleibenden Giebelfläche, 37

die Bewegtheit der horizontal teilenden Spitzbogenbänder mit dem Aufund Absteigen der Linienführung in ihnen, die jedoch den starken vertikalen Zug der Pfeiler nicht unterbrach, die mildernde Überschneidung der Giebelkanten durch die kleineren Schulterpaare und die als Fialen wirkenden Pfeilerendigungen müssen diesem Giebel zu einer ungemein interessanten Wirkung verholfen haben. Und doch war an ihm genau wie an dem ganzen Kirchengebäude nicht ein einziger Formstein zur Verwendung gekommen. Neuartig war auch an Ostwand und Giebel das Ausweichen vor der Mittelachse. Die Architekturglieder ordneten sich um sie, ohne sie jedoch wie üblich zu unterstreichen. Blenden und Fenster waren in die Wand paarweise eingelassen; paarweise legten sich auch Pfeiler und Schultern um die Achse des Giebels. Der Innenraum dieser einschiffigen Anlage war in seiner klaren, saalmäßigen Weite und seiner gemessenen Abgewogenheit trotz der Bescheidenheit in seiner architektonischen Durchbildung seiner kultischen Bestimmung durchaus würdig. Die in der Hauptsache einseitige Lichtführung sicherte ihm eine Erscheinungsform von hoher Plastik. Die Auflockerung der West- und Nordseite durch die dichte Folge der Blenden wird zusammen mit dem schattenreichen, rhythmisch gestrafften Abschluß der Balkendecke den Eindruck einfacher Sachlichkeit gemildert haben. Hinzu kam die gedämpfte Farbigkeit des in verschiedenen Tönen spielenden Backsteinmauerwerks, das an dem ganzen IJau mit vorbildlicher Sorgfalt zur Ausführung gekommen war und dessen farbige Wärme auch ihm die herbe Feierlichkeit norddeutscher Kirchenräume gegeben haben wird. Gewiß ist dieser Raum nicht im Schwünge eines im Irrationalen lebenden Gefühls geschaffen worden, sondern aus der Überlegung eines kühl rechnenden Geistes entstanden. Seine Begrenzungen waren wie die schlichten, zweckentsprechenden Massen des ganzen Bauwerks den einfachen Daseinszwecken jener Zeit angepaßt. In ihr war der Mensch Mittelpunkt seiner Welt der Erscheinungen, die er allein durch seine Willenskräfte formte. Seine Beziehungen zu ihr waren durch die Forderungen der Praxis gebunden. Sie bildeten auch diesen Bau in der eindrucksvollen Zweckmäßigkeit, die in sich den Grund zu seiner harmonisch vollendeten Gestaltung trug. Der fast klassische Ausdruck schwebender Ausgeglichenheit wurde durch die Zurückhaltung der dekorativen Elemente noch verstärkt. Sie füllten nur die Flächen, ohne die klare Kubik der Massen und des Raumes zu stören. Fast unabhängig von den äußeren Gegebenheiten konnte der Entwurf dieses frühen Kirchenbaues künstlerisch frei konzipiert werden und fand dabei eine Ausdrucksform, deren Gesamtgehalt an baukünstlerischen Werten bei der weiteren Ausgestaltung der Bauanlage nicht wieder erreicht worden ist. 38

Um d a s J a h r 1435 Ein um 50 Jahre später gelegter Querschnitt durch den Baubestand zeigt -wenig Änderungen von kunsthistorischer Bedeutung. Auch die Ansichten des neu eingefügten Glockenturmes spiegelten zwei Verwendungszwecke wieder. Die Feindseite blieb nüchtern, und auch das verstärkte Hervorheben des Glockengeschosses konnte über die durch Wehrgang und Hürde betonten Wehraufgaben des Turmes nicht hinwegtäuschen. Wenn seine Durchbildung auf der dem Kirchgänger zugewandten Seite durch eine weitere Nischenreihe und die einladend wuchtige Durchgangshalle gefälliger war, so folgte sie darin dem Beispiel des Langhauses. Nur kurze Zeit mag der Glockenturm seine größere Höhe seinem älteren Bruder gegenüber behauptet haben. Der Wettstreit zwischen kirchlichem und weltlichem Turm wurde bald zugunsten des letzteren entschieden. Klar wie sein Zweck blieb seine Ausführung. Auch an dem gleichzeitig errichteten Westgiebel wurden fast keine Zierformen verwandt. Kleine, auf seine Treppen gesetzte Fialen lockerten lediglich die Umrißlinie. Die glatte Mauerhaftigkeit von Wehrturm und Westgiebel blieb im Ausdruck von starrer, abweisender Härte. Die Anlage hatte damit zwei bedeutsame Akzente erhalten, die das architektonische Bild entscheidend veränderten. Die breite Lagerung war durch die Bewegungsrichtung der Türme der Baumasse genommen. Ihre klare Übersichtlichkeit und ihre ruhige Ausgewogenheit war verloren gegangen. Eingeklemmt zwischen die neuen Pfeiler der Türme hatte das Langhaus seine ausschlaggebende Bedeutung im Gesamtbilde aufgegeben, und die Baugruppe war von einer befestigten Kirche zu einer kirchlichen Festung geworden. Die Erweiterungsbauten brachten ihr dabei wohl eine malerische Belebung, nicht aber eine künstlerische Steigerung. Sie vernichteten vielmehr das architektonisch Wertvollste der ersten Anlage, ihren prachtvollen Ostgiebel. Um d a s J a h r 1485 Während der erste Baugedanke noch eine besondere Wertschätzung für das Abwägen der Baumassen und für die Behandlung der Außenflächen verriet und damit der plastischen Gestaltung des Baukörpers gegenüber der Durchbildung des Innenraumes gleiche Bedeutung einräumte, verlegte sich das Schwergewicht mit fortschreitendem Ausbau der Anlage. Ihr Aussehen nach weiteren 50 Jahren läßt dieses klar werden. Bei der Erweiterung zur Dreischiffigkeit war auf die Verschmelzung der alten Bauformen mit den hinzukommenden wenig Wert mehr gelegt worden. Die Giebelwände des nördlichen Seitenschiffes wurden in außerordentlich sorgloser Weise angeflickt. Die neuen Giebelteile hatte man in anderer Formsprache den alten Giebeln aufgepfropft und nur ein leichtes Zusammen39

binden durch Weiterführen der vorhandenen Vertikalgliederungen versucht. Die gleiche Vernachlässigung des dekorativen Elementes zeigte die neu aufgeführte Nordwand. Ihre flächige Glätte war durch kein Muster, keine in den Backstein dringende plastische Unterteilung bereichert worden. Nicht allein Begrenzung der wirtschaftlichen Mittel war die Ursache hierfür. Der innere Grund lag bei den immanenten Entwicklungstendenzen der Zeit, in denen der Wille zu ideenreicher architektonischer Durchbildung bereits erlahmt war. Inzwischen h a t t e der W e h r t u r m seine massive Bekrönung durch einen Zinnenkranz erhalten. Mögen auch hierfür die bestimmenden Überlegungen rein praktischer N a t u r gewesen sein, hier war trotz der Sparsamkeit der neuen Form dem Wahrzeichen der Stadt die reine Zweckform genommen u n d i h m derAusdruck allgemeingültigen Selbstbewußtseins gemehrt worden. Die folgende Höherführung des Glockenturmes h a t t e noch einmal versucht, das verloren gegangene Gleichgewicht zwischen den beiden H a u p t akzenten der Anlage wiederherzustellen. Die damit beabsichtigte Verstärkung des sakralen Baugedankens f a n d zugleich Unterstützung durch den Fortfall des Kirchenwehrganges. Nach dem U m b a u des Dachstuhles ist er nicht wieder aufgestellt worden, da seine Verteidigungsfähigkeit gegen Feuerwaffen längst illusorisch geworden war. Der Minderung der Wehrbedeutung des Parchams war dadurch Rechnung getragen worden, daß er einer neuen Bestimmung als Friedhof zugeführt wurde u n d sich die Einb a u t e n der Sankt Georgs- und Sankt Jakobs-Kapelle gefallen lassen mußte. So h a t t e also die Baugruppe in ihrer äußeren Erscheinung trotz des Massenzuwachses an architektonischem W e r t nicht gewonnen. Die tiefe E r m ü d u n g der gestaltenden K r ä f t e zum Ausgang des 15. J a h r h u n d e r t s und der in der Doppelaufgabe liegende Widerstreit h a t t e n zur Folge, daß die mit den Erweiterungen gestellten Baufragen nicht mit der künstlerischen Intensität ihre Beantwortung fanden wie bei der ersten Bauanlage. Das Kirchenkastell war über seine ursprünglichen Wehraufgaben hinausgewachsen, die Strenge seiner Wehrformen war innerlich unterhöhlt und h a t t e ihre Berechtigung verloren. Inmerhin war die Prägung der Anlage durch sie so tief, daß die neue, ausschließlich kultische Bestimmung in den baulichen Veränderungen noch keine hinreichende Verkörperung finden konnte. Die ganze Gestaltungskraft h a t t e sich daher dem neuen Innenraum zugewandt, in dem sie sich künstlerisch mehr auswirken konnte. Zwar war sie auch hier in ihrem Schaffen nicht unabhängig. Sie band die Zweckbestimmung des Raumes u n d die Rücksicht auf den vorhandenen Baubestand. Beide konnten aber befriedigt werden, ohne daß die K r a f t der neuen Ausdrucksformen dadurch geschmälert wurde. Anstelle der klug ausgewogenen statischen Ruhe des ersten Saalschiffes t r a t der neue Kirchenraum voll

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dynamischer Spannung u n d einem Bewegungsdrange, der bereits außerhalb der damaligen Entwicklungsziele lag. Ihnen folgte auch sein Querschnitt nicht ganz. E r war zwischen dem im 14. J a h r h u n d e r t wieder aufgenommenen Baugedanken der Basilika und dem der Hallenkirche stehengeblieben. Die Seitenschiffe behielten die alte Höhe des Einraumes und nur das Mittelschiff wurde höher geführt. Der wirtschaftliche Zwang zu weitgehender Verwendung des alten Mauerwerks mag seine H a n d hierbei hindernd im Spiel gehabt haben. Die Vernachlässigung der Höhenentwicklung bei den Seitenschiffen fand aber ihre Berechtigung in der Ausbildung des Mittelschiffes. Sie verhinderte einen Zusammenklang der drei Schiffe und verlegte auf das Mittelschiff das ganze Gewicht raumkünstlerischer Gestaltung. Seine Enge gestattete bei den wuchtigen Abmessungen der Pfeiler nur geringe Einblicke in die seitlich gelegenen Räume und gab ihm die Richtungsbetontheit basilikaler Anlagen. Die Höhenwirkung war zudem eine wesentlich größere als heute, denn das Mauerwerk stieg ungebrochen bis zur horizontalen Balkendecke empor. Die starkenVerkürzungen brachten dem Raumeindruck eine H ä u f u n g von Vertikalen, die in den Blendbögen bis an den Raumabschluß stießen. Erst in der Durchbildung der einzelnen Raumglieder zeigte sich die Pseudo-Basilika wieder als Kind ihrer Zeit. Nirgends machte sich eine Unterteilung bemerkbar, keine Profilierung mit Formsteinen t r a t auf, ein Verschleifen der Architekturteile miteinander formte die Wände zu einer großlinigen Einfachheit. Auch die Balkendecke wurde unter demselben Einfluß mit Konsolen an die Wände gebunden, u m die H ä r t e ihres Abschlusses zu mildern. D a ß diese hier paarweise auftreten, ist eine interessante Parallele zu der den alten Ostgiebel beherrschende Zweiheit der Ausdrucks mittel. Während beim ersten Innenraum die Wände selbst Träger der raumgestaltenden Farbigkeit waren, wurde der neue R a u m mit dem Weiß eines Kalkanstriches überzogen. Durch dieses Zurücktreten des Raummantels wurde die Farbigkeit der neuen Altäre bedeutsam unterstrichen. K r ä f t e und Mittel, die den neuen dreischiffigen R a u m formten, waren also grundsätzlich von denen verschieden, die die einschiffige Anlage gestaltet hatten. Volle Gleichwertigkeit aber bestand in ihrer Auswirkung. Beide Räume zeigten gleichen Hochstand künstlerischen Raumgefühls u n d gleich starke Gestaltungskraft, wenn auch ihre Schöpfer verschiedenen Phasen einer Stilentwicklung angehörten. War der R a u m des 14. Jahrhunderts von Leuten geschaffen, die mit hellem Bück in einer wirklichkeitsh a r t e n Zeit standen u n d ihn oft in Koller und Panzerhemd betreten haben mögen, so wurde der R a u m des ausgehenden 15. J a h r h u n d e r t s von Bürgern benutzt, die bereits f ü r den Hauch dogmatischer Mystik Verständnis empfanden u n d besser mit der Elle als mit dem Schwert umzugehen wußten.

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U m das J a h r 1535 Das Bild der Gesamtanlage nach weiteren 50 Jahren ist äußerlich im wesentlichen durch den Anbau von Chor, Sakristei und Vorhalle beherrscht. Wohl wurde damit in die kubisch wehrhaften Massen eine Schwingung gebracht, die den Bau seinen Kultzwecken angepaßter erscheinen ließ. Eine Steigerung des architektonischen Wertes war damit nicht verbunden. I m Gegensatz zu der letzten Erweiterung fehlt dem Choranbau jede flächige Geschlossenheit. Seine Mauern öffnen sich weit dem Einfall des Lichtes. Eine neue Baugesinnung knickt die geringen Mauerflächen, faltet und teilt sie durch das Anfügen von Strebepfeilern. Die starken Vertikalen werden durch Abtreppungen wieder gebrochen u n d durch ein Kaffgesims lose verbunden. Eine gewisse Großzügigkeit der Auffassung m u ß dem Chorb a u zugestanden werden. E r läßt aber viel von einer Feinheit im Abwägen architektonischer Gestaltungsmittel und der Sorgfalt technischer Ausführung vermissen. Dasselbe gilt von der neu entstandenen Vorhalle, deren Giebel fast zu schwer f ü r den kleinen Unterbau wirkt. Die Pfeiler sind eng gestellt, und die Horizontalgliederung durch Putzbänder h a t nichts mehr von der leichten Musikalität, die die Querverbindung des alten Ostgiebels auszeichnete. Auch der I n n e n r a u m des Chorea läßt den stilistischen Abstand vom Langhausbau leicht erkennen. Jede Gebundenheit der Architekturglieder und ihre gegenseitige Bedingtheit fehlt. An ihre Stelle t r i t t eine treibende Steigerung, die die in der Wandgliederung aufkommende Bewegung dem Chorschluß entgegen in die Höhe reißt. Wirkte das Kräftespiel im Raummantel des Langhauses additiv und in einseitiger Richtung, so ist die Raumdynamik des Chores zweidimensional. Der u m den Chor erweiterte Gesamtraum verlor dadurch stark an innerer Geschlossenheit. Der gleichmäßige R h y t h m u s der Pfeiler war nicht mehr von Wänden eingespannt, sondern stieß jetzt in die Leere des überlichteten Chores. Zwar wurden Chor u n d Mittelschiff durch das Einziehen gleichartiger Gewölbe aneinandergebunden. Während diese jedoch dem Chor eine aufstrebende Beschwingtheit gaben, drückten sie im Langhaus die ehemals freiere Höhe mit ihren breiten Jochen herab u n d vernichteten durch ihre Überschneidungen das feine Linienspiel der Wandgliederung. Gewiß bedeuteten die Gewölbe f ü r den äußeren Eindruck eine hohe Bereicherung, die künstlerische Konzeption des Raumes war aber damit gestört. Trotz allem m u ß auch der Innenraum des 16. J a h r h u n d e r t s bei dem vereinheitlichenden Weiß der Flächen u n d der dekorativen Farbigkeit des Inventars noch hohe malerische u n d raumkünstlerische Werte besessen haben, die ihm erst die wenig verständnisvolle Behandlung seit der vorigen J a h r h u n d e r t m i t t e schmälern konnte. 42

DIE K U N S T G E S C H I C H T L I C H E S T E L L U N G DER W E H R K I R C H E Will man die Zugehörigkeit der Rastenburger Wehrkirche zu den Einflußgebieten der allgemeinen kunstgeschichtlichen Entwicklung innerhalb der Gotik klären, so muß die Untersuchung in zwei Richtungen verlaufen, die sich wieder aus der Doppelaufgabe der Anlage ergeben. Die Kirche ist einmal Gestaltung eines Innenraumes, der in allen seinen Funktionen durch die Erfordernisse kirchlichen Kultes bestimmt wird. Zum anderen ist sie Wehrbau, der seinen Aufgaben ohne Veränderung des für den Sakralbau geltenden Typus gerecht zu werden versucht. Die Wehrarchitektur ist somit nur hürnene Haut, die den Baukern bekleidet, ohne ihn im Innern anzutasten. Damit mündet eine Entwicklungslinie für die Sankt Georgskirche in den breiten Strom gotischer Kirchenbaukunst, während eine andere zu dem Sondergebiet mittelalterlichen Wehrbaus hinüberführt. Die Gründung der Sankt Georgskirche fiel in eine Zeit, in der über die westliche Kulturwelt bereits die zweite große Entwicklungswelle der Spätgotik zu fluten begann. Die neuen Entwicklungstendenzen brachten einschneidende Änderungen der Gestaltungsprinzipien mit sich. Als denkwürdigste : die Basilika hörte auf, europäisches Ideal zu sein. Sie hatte zwar immer neben sich andere Grundformen wie die Halle, den Saal und den Zentralbau, gesehen. Mit der Mitte des 14. Jahrhunderts verlor sie jedoch das Vorrecht klassischer Gültigkeit. Ein neuer Zug nach Vereinheitlichung des Raumes verhalf der Hallenkirche zu einem vollen Sieg. Zugleich wurde ein Nachlassen der dynamischen Energie fühlbar. Der Bewegungsstrom, der in der Häufung linearer Eindrücke unwiderstehlich nach oben trieb, verebbte langsam. Die volle Klarheit der Erscheinung wurde aufgegeben und die ruhige Mathematik des Grundrisses verschwand, um willkürlich gewählten AbmessungenPlatz zu machen. AlleRaumteile wurden miteinander verschliffen und Wände und Öffnungen von dekorativen Elementen übersponnen. Von diesen Strömungen wurde jedoch der früheste Kirchenbau von Sankt Georg wenig berührt, denn das Kulturgebiet des Deutsch-Ordensstaates entwickelte schon früh seine eigene Gesetzlichkeit. Sie ließ die Zäsur zwischen Früh- und Spätgotik wie in dem ganzen Kolonialgebiet längs der Ostsee kaum spürbar werden. Bedeutsam war, daß die vornehmste, wenn auch seltene Form der Architektur in diesem Raum weiterhin die Basilika mit ihrem Vorbild, der Lübecker Marienkirche, blieb. Für Preußen gaben drei Komponenten der Ordensbaukunst ihre Form. Es waren die Einflüsse aus den politischen und kaufmännischen Beziehun43

gen des Staates, aus den Bautraditionen der einwandernden Siedler und aus den Beispielen, die nachbarliche Bautätigkeit bot. Ihre Verschmelzung gab auf dem Boden völliger Überlieferungsfreiheit unter der aristokratischen Initiative des Ordens den Bauten jene Haltung, die sie zwar nicht zu der glänzendsten, sicher aber zu der eigenartigsten Spielart der deutschen Gotik machte. Erste Anregungen mußte der auf sich selbst gestellte Orden für seine kirchliche Baukunst naturgemäß aus seiner Heimat mitbringen. So stand nicht die Basilika, sondern die Hallenkirche seines südwestlichen Stammlandes am Anfang seiner Bautätigkeit. Dem ersten Bau von Sankt Johann in Thorn folgten bald weitere Hallenkirchen in Kulm, Graudenz und Dirschau. Bis zur monumentalen Kathedrale wuchs sich dieser Bautypus im Dom zu Kulmsee aus. Mit dem Zustrom der ersten Kolonisatoren aus Niederdeutschland kamen aber Kräfte ins Land, deren eigenwillige architektonische Begabung sich in früheren Epochen schon glänzend bewährt hatte. Sie brachten den basilikalen Raumgedanken mit, der vielleicht schon dem Dom zu Kulmsee zugrunde gelegen hatte, ohne hier jedoch wie in der frühen Jakobskirche in Thorn zur Durchführung zu gelangen. Für die großen Pfarrkirchen wurde er aber bis in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts neben der Halle zum sorglich gepflegten Wunschbild. Die Stärkung der Verbindung mit der Hanse und ihrem Vorort Lübeck ließ daher in den Küstenstädten Danzig, Elbing und Königsberg sehr bald Kirchen mit basilikalem Querschnitt erstehen. Im Hinterlande schlössen sich später Bartenstein, Wormditt und Mohrungen dieser Entwicklung an. Basiliken wurden ebenfalls die Zisterzienserkirchen in Oliva und Pelplin. Allerdings konnte sich diese aristokratische Raumform besonders in den Hansestädten nicht durchsetzen und wurde hier bald durchweg zur Halle erweitert. In großen Abmessungen erschien diese aber als Neubau erst wieder beim Dome zu Frauenburg, um von nun an die großen preußischen Sakralbauten völlig zu beherrschen. In den größeren Landstädten waren ebenfalls inzwischen Hallenkirchen von oft vollendeter Ausdrucksform entstanden. Die in Pr. Holland, Heilsberg und Friedland gehören zu den frühesten, denen besonders in dem unter dem Krummstab lebenden Ermland bald weitere folgten. In dieser reichen bäuerlichen Landschaft blieb nur die kleine Stadtkirche in Passenheim einschiffige Anlage. Sparsamer blieben die Kirchenräume in Natangen, zu dem Rastenburg gehörte. Hier standen zum Ausgange des 14. Jahrhunderts vier Hallenkirchen und eine Basilika neun einschiffigen Kirchen gegenüber. Diese kleinen Pfarrkirchen der Ackerbürgerstädte führten ihr eigenes Leben. Fast unberührt von den entwicklungstreibenden Kräften der Zeit schuf sie der rationelle Geist sparsamer Ordensverwaltung und lebensharten Landbürgertums. Sachlich ohne Nüchternheit, ernst ohne Kälte, kühn im 44

Großen und haushälterisch im Kleinen zeigten sie mit einem Ausdruck Dehios „mehr Verwandtschaft mit der römischen Jurisprudenz als mit der Bergpredigt". Das beste Beispiel hierfür ist die erste Fassung der Sankt Georgskirche in Rastenburg. Waren die Bindungen der mittelalterlichen Baukunst in Preußen zum Mutterlande ohnehin nicht stark, so ist in diesem zweckgebundenen Bau erst recht wenig von den dort wirksamen Tendenzen zu spüren. Nicht unwahrscheinlich ist es, daß die lichte Weite des Kirchenschiffes auf Erinnerungen zurückgeht, die die ersten aus Oberdeutschland stammenden Einwohner aus ihrer Heimat mitbrachten. Im Zuge der Zeit lag ferner die schlanke Streckung des Grundrisses. Im übrigen bestehen kunstgeschichtliche Bindungen nur zu den Bauten des engeren Ordensgebietes. Der Typus der ersten Sankt Georgskirche tritt als Pfarrkirche von Landstädten in Preußen so häufig auf, daß man von einer schematischen Verwendung sprechen könnte. Die einfachere Rastenburger Form mit flacher Balkendecke findet sich besonders von der Mitte des 14. Jahrhunderts ab in Kreuzburg, Domnau und Passenheim, in Christburg, Liebemühl und Liebstadt, in Neidenburg und anderen Städten. Fast überall beträgt die lichte Weite des Raumes wie in Rastenburg ungefähr 3 Ruten. Etwas schmäler sind in der Regel die gewölbten Einräume, die sich dafür in der Länge von ungefähr 7 Ruten auffallend gleichen. Aus ihrer großen Zahl seien die stattlichsten in Landsberg, Gerdauen, Barten und Allenburg genannt. Bis auf die Kirchen in Passenheim und Hohenstein ist allen der kubische chorlose Aufbau gemeinsam. Ist wie in Rastenburg eine Sakristei vorhanden, so ist ihr Anbau auf der Nordseite starres Schema. Sie findet sich hier beispielsweise in Hohenstein, Schippenbeil und Fischhausen. Der räumlichen Gestaltung nach unterscheiden sich diese Kirchen also nur durch die Größe ihrer Abmessungen von dörflichen Anlagen. Die wenigen Architekturformen von Sankt Georg finden ebenfalls ihre Vorbilder im engeren Kreis seiner Heimat. Die hochgerückte Blendenreihe des Innenraumes tritt bereits an der Basilika des Königsberger Domes auf und die dekorative Nischenbildung der Außenwände zeigt fast jeder Sakralbau des 14. Jahrhunderts in Preußen. Zwei Dekorationsmotive heben aber den ersten Bau der Rastenburger Kirche aus der Masse gleichartiger. Einmal ist es der ungewöhnlich zarte und phantasievolle Ostgiebel, zu dessen Ausbildung Erfordernisse der Wehrarchitektur den Anlaß gegeben haben, und ferner die seltene Doppelanordnung von Fenstern an der Ostwand des Baues. Eine ähnliche Lichtführung findet sich vorher nur in der wahrscheinlich zwei Jahrzehnte früher entstandenen Burgkapelle zu Rheden. Die Form der Erweiterung zur Dreischiffigkeit in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entsprach dem Grundriß nach völlig den richtungweisen45

den Beispielen des bischöflichen Ermlandes. Daß ein Chor zunächst nicht in der Planung mit einbegriffen war, erscheint selbstverständlich, denn nur ungefähr ein Drittel der heute noch erhaltenen Hallenkirchen besitzt einen solchen. Sein nachträglicher Anbau scheint auf Anregungen aus dem engsten landschaftlichen Kreise, vielleicht auf einen Wettstreit mit benachbarten Städten, zurückzugehen. Von den vier natangischen Hallenkirchen waren die von Schippenbeil und Wehlau mit einem Chor ausgestattet, während keine der Nachbarkirchen des Ermlandes einen solchen besaß. Die übliche Höhengleichheit der Schiffe ist in Rastenburg zwar nicht erreicht worden, den ursprünglich flachen Deckenabschluß hatte sie aber mit einer Reihe anderer Hallenkirchen gemeinsam. Aus engster Nachbarschaft seien hierfür Friedland und Rößel genannt. Das Endstadium in der Entwicklung des Innenraumes bot der Auswirkung zeitgemäßer Gestaltungsprinzipien genügend Raum. Die Spätphase allgemeiner gotischer Stilentwicklung konnte sich jetzt bei dem Absterben eines Eigenlebens preußischer Baukunst mit deutlichen Spuren dem Rastenburger Kirchenbau eingraben. Was hier als Raumgebilde und Baumasse erwuchs, verkörperte im großen durchaus den Stil des gesamten deutschen Kirchenbaues der gotischen Ausgangsepoche. Die flächenhafte Formung und glatte Schlichtheit des Außenmantels, die Durchsetzung des Innenraumes mit Pfeilermassen, die ein freies Fluten nicht mehr aufkommen ließen, kamen aus dem Ablauf der allgemeinen Stiltendenzen. Charakteristisch ist vor allem die Yerunklärung des Überganges von den Pfeilern zu den Bögen, die den Bewegungsfluß ungehindert vom Fußboden zur Decke strömen läßt, die kubische Form der Pfeiler, die Profillosigkeit der Architekturglieder und auch der unorganische Ansatz von Gewölbegraten an den Pfeilerflächen. Die Gewölbe selbst gehören zu den reichsten des Ordenslandes. Herübergenommen aus mitteldeutschen Einflußgebieten findet sich ihre Zellenform im Osten zunächst in den 1484—98 errichteten Seitenschiffen der Danziger Marienkirche. Zum Ende des 15. Jahrhunderts tritt sie ferner in der Marienburger Pfarrkirche und in den Seitenschiffen von Labiau und Friedland auf. Ganze Räume sind aber bei Kirchenbauten nur in der Rastenburger Sankt Georgskirche und im Profanbau nur an der Aliensteiner Burg mit Zellengewölben geschlossen worden. Gewiß besitzt diese Gewölbeform nichts mehr von beschwingter, befreiender Gespanntheit. Ihre Ausführung wirkt auch in Rastenburg mit ihrem reichen Schattenspiel eher als Last dämmrig mystischer Geistigkeit, die hier, überholt von den Strömungen einer neuen Zeit, ihren letzten Ausdruck fand. Weitreichender als die kunstgeschichtlichen Bindungen des Sakralbaus sind an der Sankt Georgskirche die ihrer Wehrarchitektur. Sie war weniger von den durch Raum und Individualität gebundenen Absichten einer Stil46

entwicklung abhängig, denn für sie waren nur die technischen Errungenschaften maßgebend, die die Wehrbaukunst des Abendlandes ausgebildet hatte und die in einer den Aufgaben entsprechenden Umformung übernommen wurden. Der Gedanke der Kirchenbefestigung war dem Orden aus den Gebieten seines früheren Wirkens her geläufig. Nichts lag näher, als durch ihn die Verteidigungsfähigkeit seines heiß umstrittenen preußischen Besitzes zu verstärken. Zwei Wege waren hierfür gangbar. Der Kirche konnte innerhalb eines Befestigungswerkes die mehr passive Rolle einer Fliehburg, dem Turm die eines Bergfrieds zugewiesen werden, beide konnten aber auch durch Einbinden in das Befestigungssystem zur aktiven Abwehr herangezogen werden. Eine dritte Art, den Sakralbau mit selbständigen Befestigungswerken zu versehen, ist in Preußen nur einmal bei dem Dom zu Frauenburg versucht worden. Dem letzten Schutz der Bevölkerung dienten bereits die festen Dorfkirchen. Dieselbe Nebenaufgabe gab man nun auch den Pfarrkirchen in den städtischen Mauerringen. In unzähligen Städten — Rastenburgs natangisehe Nachbarn Friedland, Alienburg und Schippenbeil und die nahen Ermlands Rößel, Seeburg und Heilsberg seien hier herausgegriffen — wurden Schiff und Turm an der höchsten und am wenigsten gefährdeten Stelle der Gesamtaplage in einer Ecke des Mauerzuges errichtet. Mehrfach teilten sich wie in Passenheim Kirche und Burg in die Aufgaben einer letzten Verteidigung. Natürlich erhielt diese Gruppe von Kirchen nur die notwendigsten Abwehrmittel. Die Eingänge wurden durch Balken geschützt, der Aufstieg zu den Türmen durch schmale Wendeltreppen für schnelle Sperrung eingerichtet, die Turmfenster als Schießscharten klein gehalten und zuweilen der Turmhelm mit einem Zinnenkranz versehen. Wehrhafter wurde die andere Gruppe von Kirchen, die unmittelbar in die Verteidigung mit eingriffen. Ein mit einer Burganlage zusammengeschlossener verteidigungsfähiger Kirchenbau, der Dom zu Marienwerder, ergab im Rahmen der gesamten Wehranlagen eine besonders stolze Baugruppe. Wurden die Kirchen in die Stadtbefestigungen eingereiht, so geschah es in derselben Weise, wie sie der Orden bei seinen festen Häusern anwandte. Er setzte diese wie in Lauenburg, Neuenburg, Leunenburg und Neidenburg direkt auf die Stadtmauern. Pfarrkirchen mit gleicher Stellung finden sich außer in Rastenburg in Liebemühl, Gerdauen und Neidenburg. Selbstverständlich war auch in der Architektur der Wehrcharakter dieser Bauten stärker betont. Wie weit der Ausbau ihrer Verteidigungsanlagen ging, zeigt weitgehend das Beispiel der Rastenburger Wehrkirche. Die einzelnen Elemente des Wehrsystems an ihnen waren naturgemäß ihrer Stärke nach dem wenig geübten Gegner und in ihrer Konstruktion dem einheimischen Material angepaßt. Ausgebildet waren sie jedoch in der 47

jahrhundertelangen Entwicklung der abendländischen Wehrkirche, die •wiederum aus der Zeit des frühen Christentums Anregungen aus dem Orient aufgenommen hatte. Als der Orden nach der ersten Besitznahme Preußen mit dem Netz seiner Befestigungswerke zu überziehen begann, war der Gedanke der Kirchenbefestigung bereits Allgemeingut geworden und besonders in Frankreich in monumentalen Wehrkirchen verwirklicht. Schon im 12. Jahrhundert fing hier der Wehrcharakter von Kirchen an, Formen zu zeigen, deren Zweck unverkennbar war. So waren stattliche Wehrkirchen in Agde, Royat, Chruas, Maguelonne, Saintes Maries de la Mer und anderen Orten zur Errichtung gekommen. Um 1200 war der Mont Saint Michel befestigt worden, 1203 wurde den Kapitelherren von Saint Pierre du Bois in Beziers die Erlaubnis zur Befestigung ihrer Kirche gegeben und 1282 entstand in Albi die neue Kathedrale als mächtige Kirchenburg. I m 14. Jahrhundert folgten eine Unzahl weiterer Kirchen diesem Beispiel, so die von Saint-Pons de Thomieres, Saint Savin, Saint Claudes, Panniers, Esnandes und Beaumont. In der Regel griff man hier zu dem bequemsten Mittel der Wehrbarmachung, indem man das Gebäude um ein Wehr ge schoß erhöhte. Die Kirchtürme versah man gern mit vor gekragten Wehrgängen, hölzernen Hürden oder Überzimmern. Wenn nicht allzuviel von diesen Befestigungsformen überliefert wurde, so lag die Schuld an der Unbeständigkeit des Baustoffes. Türme des 15. Jahrhunderts wie bei Saint Chamant und Saint Silvain zeigen aber noch heute diese der gleichzeitigen Wehrbekrönung des Rastenburger Wehrturmes ähnliche Ausbildung. B e i hohen Kirchenschiffen, die einer weiteren Überhöhung nicht bedurften, verzichtete man wie bei Le Puy und Saint Sernin auf ein besonderes Wehrgeschoß. Auch hierzu bildet die Rastenburger Wehrkirche eine preußische Parallele. Ein zweites Zentrum kirchlichen Wehrbaus war Siebenbürgen. Hier ist das Bestehen von Kirchenburgen schon für das 13. Jahrhundert bezeugt, in dem sie als selbständige bäuerliche Wehrbezirke angelegt wurden 83 . Als dann in allen übrigen Ländern die kirchliche Befestigungsarchitektur im 15. Jahrhundert einen ersten Stillstand erfuhr, blühte sie hier in den Türkenkriegen noch einmal mächtig empor. Die stärksten Kirchenbauten dieser Zeit stehen in Mergeln, Wurmloch, Hundertbücheln, Hamruden und anderen Orten. Die Übereinstimmung ihrer Wehrtürme mit dem Rastenburger ist außerordentlich stark. Auf dem Schiff der Kirche von Schweicher findet sich auch heute noch ein Wehrgang in Fachwerk, wie ihn ehemals die Sankt Georgskirche besessen hat. Aber auch das Mutterland der Deutsch-Ordensherren wußte seine Kirchen für Verteidigungszwecke nutzbar zu machen. Was hier an Konsequenz der Entwicklung fehlte, wurde durch Reichtum in der Abwandlung des Ge-

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dankens ersetzt. Schon im 12. Jahrhundert wurde der Dom von Mainz befestigt. Aus gleicher Zeit stammten die Wehrkirchen von Katzwang und Flörsheim. Reich waren ebenfalls Mitteldeutschland und Niederösterreich an ähnlichen Anlagen. Verhältnismäßig spät, erklärbar aus der späten Christianisierung, nahm der Norden Deutschlands den Baugedanken auf. Provisorische Befestigungen werden hier aus dem 13. Jahrhundert an den Kirchen von Golzwarden und Rodenkirchen genannt, und im 14. Jahrhundert tobten Kämpfe um die Wehrkirchen von Blexen und Langwarden. Bis ins 13. Jahrhundert reicht ferner in Deutschland eine Reihe von befestigten Kirchtürmen mit Zinnen, Schießscharten und ähnlichen Merkmalen zurück. In Ampleben, Gerach, Mating, Raulin, Reisbach und Zeuzleben haben sich diese Zeugen wehrhaften Kirchenbaues bis heute erhalten. Besonders ausgedehnt sind aber verteidigungsfähige Friedhöfe vertreten. Anlagen wie in Gochsheim, Herresheim und Bullenheim geben ein klares Bild solcher Befestigungen. Ihre Wehrarchitektur zeigte mitunter eine ähnliche Ausbildung mit Türmen und Wehrgängen wie der Rastenburger Kirchenparcham, der ja vom 15. Jahrhundert ab ebenfalls als Friedhof verwandt wurde. Eine weitere Abwandlung kirchlicher Wehrarchitektur läßt sich in Ostfriesland und Schleswig-Holstein feststellen, wo die Wehrkirchen wie in Bornhövel, Warder, Süsel und Kosel auf Erdaufschüttungen errichtet und mit Wall und Graben umgeben wurden. Eine spätere Zeit fügte diesen Kirchen meist noch einen Wehrturm an. Die reiche Fülle kirchlicher Wehrbauten in Deutschland zeigt, wie lebendig hier dieser Baugedanke war. Die zahlreichen Variationen hierfür lassen aber auch erkennen, daß bei der damit verbundenen Zersplitterung ein namhafter Einfluß auf die Ausbildung preußischer Wehrkirchen von Deutschland nicht ausgegangen sein kann. Auch die Wehrarchitektur der Rastenburger Sankt Georgskirche folgt also in der Hauptsache der Entwicklung, die die kirchliche Wehrbaukunst in ihren Hauptgebieten Frankreich und Siebenbürgen vorgezeichnet hatte. Sie bekleidete einen Teil der Anlage mit Zweckformen, die auf den dort gesammelten, allgemeingültigen, praktischen Erfahrungen fußten. Der Körper des Bauwerks blieb jedoch unter diesem Kleid Ausdruck und Träger heimatgebundener Geistigkeit. Jeder Wechsel des Stromes gestaltender Kräfte prägte sich ihm ein. Für das klare Licht eines aristokratisch strengen Weltbildes war er ebenso Spiegel wie für das versponnene Dunkel einer bürgerlich emsigen Mystik. Das Auf und Ab geistesgeschichtlichen Lebens wie die Wellen eines wechselvollen politischen Geschicks haben ihre Spuren in ihn eingegraben. Schicksalverflochten mit seinem Heimatboden steht das Kirchenkastell heute vor den Nachfahren derer, 4

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die ihm Leben gaben. Es der Heimat in seinem ganzen Gehalt noch einmal zu verlebendigen, ist ihm und ihnen gegenüber Dankespflicht. Es gilt, der Klage die Berechtigung zu nehmen, die Hölderlin schon 1799 im „Gesang des Deutschen" dichterisch faßte: Du Land des hohen ernsteren Genius! Du Land der Liebe! Bin ich der Deine schon, Oft zürnt ich weinend, daß Du immer Blöde die eigene Seele leugnest.

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BEMERKUNGEN 1

Vorgeschichtliche Funde sind auf dem der Wehrkirche gegenüberliegenden Galgenberge gemacht worden. 2 Simon Granau, Preuß. Chronik, Bd. I S. 38: „Rastenburg ein Stadt g e b a u t t i . J . 1329." Ihre Handfeste erhielt die Stadtgemeinde jedoch erst i. J . 1357. 3 Script, rer. Pruss. (Wigand v. Marburg) I I S. 50: „Anno 1347 war Rastenburg noch einmal verbrannt und verstoret. Gerdauen, Fridlandt und Bennenburg alles verbrannt und weggeführt. Das taten die Litauer am sontag invocavit." 1 Die östlich und westlich der Stadt auf der ehemaligen Grabensohle entlangführenden Ablässe aus dem Oberteich sind heute noch, wenn auch kanalisiert, vorhanden. 5 Vermessungszeichnungen der Burg sind veröffentlicht bei Steinbrecht: Die Ordensburgen der Hochmeisterzeit in Preußen. Berlin 1920. 6 St. A. Kgbg. Ostpr. Fol. 968 Bl. 305. Verschreibung Churfl. Durchlt. zu Brandenburg pp und Hertzogen in Preußen p p : „Demnach in der von Sr. Churfl. anno 1647 angeordneten Visitation dieses Ambtes, die dahmaligen anwesenden Commissarien befunden, daß der Diehlenzaun u m b den vorder Plaz vor dem Hause von Thor an biß an die Mauer der Stadt Badtstuben hin, nicht alleine mit großer Unkostung h a t t unterhalten müßen werden " 7 Ein Verzeichnis alter Rastenburger Stadtpläne findet sich bei Keyser: Verzeichnis der ost- u n d westpreußischen Stadtpläne, Königsberg Pr. 1929. Der aufschlußreiche Plan 48 X 43 gehört aber nicht der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, sondern noch dem 18. J a h r hundert an. 8 eine kulmische Meile = 180 Seile = 7776 m. 1 Seil = 10 Ruten = 43,2 m. 1 R u t e = 15 F u ß = 4,32 m. 1 F u ß = 2,88 m. 9 Die letzten Lauben sind erst Mitte des 19. J a h r h u n d e r t s entfernt worden. (Mitteilung von Herrn Studienrat Luckenbach, Rastenburg, dessenim Manuskript vorliegender Stadtgeschichte von Rastenburg auch eine Reihe archivalischer Angaben entnommen sind.) 10 St. A. Kgbg. Ostpr. Fol. 131 S. 101. Rastenburg czins vff Martini (1422). Rastenburg die Stad h a t 26 gancz houe und % l>off, jclicher hoff czinset l f f . it. vff der Nuwen Stadt sien 19 halbe houe und 14 R u t t e n obirmaße. it. do sien Buden die czinsen 3 ff. it. 8 scot von 1 Buden hinter dem Rathhuwse it. l ' / 2 M von 9 fleischbencken it. 20 scot von Brodbencken it. von Schubenken l f f . it. von der Badestobe 1 M. 11 Die Neustadt wird schon in der Handfeste von 1357 genannt. I n derselben Weise ist ein Baublock außerhalb der Marktbebauung in dem benachbarten Rössel bezeichnet. 12 In einer Urkunde aus dem J a h r e 1374 erlaubt Gottfried v . d . Linde, K o m t u r zuBalga, den Bürgern zu Rastenburg, an der Stadtmauer innerhalb der Stadt Häuser zu köllmischen Rechten zu bauen. Abschrift: Rotes Hausbuch der Stadt Rastenburg S. 23. Ferner Altpr. Monatsschr. X X , 299. 13 Sie wird 1518 erstmalig im Testament des B. M. Jacusch Kynast erwähnt (St. A. Kgbg. O. Br. A. 1518, 5). 4*

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1479 wird Andreas Schonewaldt bei der Vikarie zum Heiligen Leichnam, 1482 Marcus Eckard bei der Vikarie des Heiligen Laurentius, 1484 Nicolans J a w e r bei der Vikarie der Schmerzensreichen Mutter Gottes, im gleichen J a h r e Alexander Wilke bei der Vikarie der Heiligen Nicasius, Sebastian, Rochus und Sylvester investiert, 1486 übernimmt Andreas Schonewaldt die Vikarie Unserer Lieben Frauen und Antonius Milgedien dessen Vikarie zum heiligen Leichnam (s. Beckherrn: Die Sankt Georgenkirche zu Rastenburg, Königsberg 1883). Urkundlich nachweisbar sind an der St. Georgskirche ferner die Vikarien der Heiligen drei Könige und des Heiligen Kreuzes sowie 1502 ein Frühmessenlehen.

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Original im Staatsarchiv zu Königsberg. Abschriften im Roten Hausbuch der Stadt Rastenburg, ferner Altpr. Monatsschr. X X , 294. St. A. Kgbg. Qrd. Fol. 21 Bl. 156. 1500, 6. August schreibt der Hochmeister an den Prokurator des Ordens zu R o m : „Nachdem die Kirche zw Rastenburg fewers halben vorterbet, auch aller wnd genczlicher sambt des merer teil der cleinodien wnd andern gerethe vorbrant ist, haben sie gegenwertigen briwes zeiger, auch etlichen ablas zu Rom zu erwerben abgefertiget m i t gutlichem b e g e r . . . . , auf das sie ablas erlangen mochten, damit die seihte Kirche durch den selbten ablas widerumb zu baulich wesen wnd zcirliehen gebew, Gottes dinst dorm zu vben, aufgericht wnd erhaben mocht werden."

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St. A. Kgbg. O. Br. A. 1500, 20. X I . A m 20. November desselben J a h r e s berichtet der Pfleger Hans v. Breitenstein dem Hochmeister, daß ein Priester Franziscus i m Namen des Bischofs von Heilsberg die Gnade in den Städten und Dörfern seines Gebietes verkündet habe. Der Ablaß sei nach Rastenburg so vollkommen gelegt, wie er in R o m bestehe. Jeder sei von seinen Sünden entbunden, wenn er in Rastenburg beichte und etwas in den Kasten lege. Für die Finanzierung der Bauarbeiten durch einen Ablaß scheint das Beispiel des benachbarten Rössel maßgebend gewesen zu sein, das sich f ü r die gleichen Zwecke 25 J a h r e früher ebenfalls einen Ablaß aus Rom besorgt hatte (s. Matern: Die Pfarrkirche SS. Petri und Pauli in Rössel). Die Erfindung der Lithographie fällt in die Zeit u m 1810. Die Darstellung zeigt aber noch die Wasserpforte, die 1819 abgerissen wurde. Die Zeichnung muß demnach zwischen diesen beiden Jahren entstanden sein. Das Original befindet sich in der Redaktion der „Rastenburger Zeitung". Die einzelnen Schichten sind 60—70 cm hoch, die Feldsteine stets ungespalten. Abbildung bei Boetticher: Die Bau- u n d Kunstdenkmäler der Provinz Ostpreußen Bd. 2. Eine Beschreibung des Kircheninventars erübrigt sich an dieser Stelle. Es f i n d e t sich bei Beckherrn: Die Sankt Georgenkirche zu Rastenburg. Die Schichten- u n d Ziegelmaße deT Kirche sind durchschnittlich folgende: Stadtmauer und W e s t t u r m im ersten Bauabschnitt: auf 10 Schichten 1,14 m bei 9 X15 X 30 cm Steinmaß. Einschiffige Anlage bis zur Balkenlage, Ostgiebel und Parcham: auf 10 Schichten 0,98 m bei 8 X 13,5 x 28 cm Steinmaß. Glockenturm i m ersten Bauabschnitt: auf 10 Schichten 1,04 m bei 8 , 5 x 1 4 x 3 1 cm Steinmaß. Zweiter Bauabschnitt des W e s t t u r m s und Westgiebel: auf 10 Schichten 1,04 m bei 8,5 X14 X 28 cm Steinmaß. Erweiterung zur dreischiffigen Anlage, Aufstockung des Glockenturmes, dritter Bauabschnitt des Westturmes und Jakobskapelle: auf 10 Schichten 1,01 m bei 8,5 X 14 X 28 cm Steinmaß. Chor und Sakristei: auf 10 Schichten 1,03 m bei 8X 1 3 x 2 9 cm Steinmaß. Die Konstruktion muß ähnlich der gewesen sein, die an dem im 16. Jahrhundert er-

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richteten hölzernen Wehrgang auf der Sfidmauer des Allenateiner Schlosses zur Ausfährung kam und noch heute erhalten ist. 23 Außer den Pfarrkirchen in Hohenstein, P r . Holland, Schippenbeil, Rössel, Seeburg und anderen zeigen f a s t sämtliche Dorfkirchen des Samlandes den Anbau der Sakristei im Norden. 94 Beispiele dafür sind die noch in ursprünglichem Zustande befindlichen Kirchen in Christburg und Medenau. Bei vielen anderen Kirchen sind Nordfenster erst nachträglich eingebrochen. 26 Die lichte Breite der ersten Kirche mit rund 3 R u t e n ist das in Ostpreußen während des Mittelalters gebräuchliche Höchstmaß f ü r stützenlose Raumüberspannung. 28 Die Errichtung der Pfarrkirche in unmittelbarem Anschluß an die Verleihung der Stadtrechte ist überliefert aus Christburg, Pr. Holland, Liebemühl, Mohrungen, Neidenburg, Passenheim, Nordenburg, Friedland, Alienburg, Hartenstein und anderen Städten. 27 Selbst größere Anlagen wie die Kathedrale von Frauenburg h a t t e n Vorläufer in kleinen Fachwerkkirchen. Nach der Friedensurkunde von 1259 sollten 22 Kirchen in Pomesanien, Ermland und Natangen i m Laufe von 4 Monaten errichtet werden. Diese kurze Bauzeit ist nur bei einer Ausführung als Notkirchen in Holz denkbar. 28 An Kirchen ähnlichen Umfanges wurde in Mohrungen von 1305—12, in Fischhausen von 1300—15, i n Guttstadt von 1373—96, in Schippenbeil von 1365—1400 gebaut. Bei großen Kirchen steigerte sich die Bauzeit entsprechend. So wurde a m Dom von Frauenburg von 1329—88 und an der Pfarrkirche von Braunsberg von 1346—1442 gebaut. 22 S. Beckherrn: Schaffers Chronik von Rastenburg S. 5. 30 S. Dehio: Untersuchungen über das gleichseitige Dreieck als Norm gotischer Bauproportionen, Stuttgart 1894, u n d : Ein Proportionsgesetz der antiken Baukunst und sein Nachleben im Mittelalter und in der Renaissance, Straßburg 1895. 31 S. Dewischeit: Der Deutsche Orden in Preußen als Bauherr. Altpr. Monatsschrift, Königsberg Pr. 1899. 32 D a ß das Abknicken der Chorachse nach Norden in Kauf genommen wurde, mag neben technischen Gründen auch auf einer mittelalterlichen Bausymbolik beruhen. Die Neigung des Chors sollte an den Gekreuzigten erinnern, der im Sterben sein H a u p t zur Seite neigte. Die Häufigkeit dieser Chorabbiegung nach Norden läßt jedenfalls den Schluß auf eine bestimmte Bautradition zu. Sie f i n d e t sich besonders charakteristisch a m Dom zu Frauenburg und an zahlreichen Dorfkirchen des Danziger Werders. 33 Die Ansicht, daß alle dortigen Wehrkirchen erst in den Türkenkriegen entstanden seien, widerlegt das Inauguraldiplom König Andreas I I I . aus dem J a h r e 1291. Art. 24.

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DIE

BILDER

l. G E S A M T A N S I C H T D E R

KIRCHENANLAGE

2. G E S A M T A N S I C H T D E R K I R C H E N A N L A G E AM A N F A N G D E S 19. J A H R H U N D E R T S

3. L A G E P LAN

Maflstab 1:1000

•.REKONSTRUKTION DER NORDOST ANSICHT AM ENDE DES U. JAHRHUNDERTS

5. R E K O N S T R U K T I O N DES I N N E N R A U M E S AM E N D E D E S 14. JAHRHUNDERTS

6. R E K O N S T R U K T I O N UM DAS J A H R 1385

-1435 7. R E K O N S T R U K T I O N UM DAS J A H R 1435

9. R E K O N S T R U K T I O N UM DAS JAHR 1535

lfc S T A D T G R U N D R I S S V O N R A S T E N B U R G U M 1+50 Mafiatob 1:5000

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I I . NACHZEICHNUNG D E R S T A D T A N S I C H T AUF DEM SPILLERSCHEN E P I T A P H UM 1625

15. I N N E N A N S I C H T M I T B L I C K G E G E N D E N C H O R

16. E H E M A L S O F F E N E B A L K E N D E C K E MITTELSCHIFFES

DES

18. A L T E S F E N S T E R G E W Ä N D E D E R S U D W A N D V O N A U S S E N UND KALKLEISTEN DES U R S P R U N G L I C H E N SATTELDACHES UBER DER JAKOBSKAPELLE

19. A L T E S F E N S T E R G E W Ä N D E S Ü D W A N D VON I N N E N

DER

21. N O R D P O R T A L DER E I N S C H I F F I G E N ANLAGE

20. A L T E S F E N S T E R G E W Ä N D E D E R U R S P R Ü N G L I C H E N O S T W A N D VON INNEN

22. E I N G A N G ZU D E N V E R L I E S S E N DES WEHRTURMES

nach 1 3 2 0

1559-1355

nach 1 4 0 0

1470-1465

Darunter ehemalige Fensteranordnung und des ehemaligen Kirch

ERHÖHE MIT DEN GEWÖLBEN ng und G r u n d r i ß des W e h r t u r m e s in Höhe n Kirchenwehrganges

28. G R U N D R I S S I N

fi 1 4 0 0

1 4 - 7 0 - 1 4 ¿35

SS IN TÜRHÖHE

nodi 1 4 - 8 5

1500-1515

nach

1515

29. N O R D A N S

DANSICHT

30. S Ü D AN

1

1 — =

DDANSICHT

31. W E S T A N S I C H T

32. OSTANSICHT

33. Q U E R S C H N I T T DURCH SAKRISTEI, CHOR U N D G L O C K E N T U R M

34. S C H N I T T DURCH D E N A

DEN WEHRTURM

35. Q U E R S C H N I T T DURCH DAS LANGHAUS

R C H LANGHAUS U N D C H O R

38. REKONSTRUKTION DER OSTANSICHT A M ENDE DES 14. J A H R H U N D E R T S

39. BAULICHE E I N Z E L H E I T E N a, c. Reste spätgotischer Malerei am Glockenturm (schwarz, grau, rot). b. Putzzeichnung in der Blende über dem Eingang der ehemaligen Ostwand, d. Ziegelmuster am Wehrturm. e. Ziegelmuster am Westgiebel, f. Ziegelmuster der Südwand, g. Ehemaliges Fenstergewände der Südwand.

40. D I E K L E I N E K

I N E KIRCHE