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German Pages [240] Year 2015
Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg
Herausgegeben von Robert Kriechbaumer · Franz Schausberger · Hubert Weinberger Band 51/ Regionale Identitäten 1
Christian Dirninger · Thomas Hellmuth Anton Thuswaldner
Salzkammergut schauen Ein Blick ins Ungewisse
2015 Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar
Gedruckt mit der Unterstützung des Amts der Salzburger Landesregierung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: © Anton Kiefer, St. Johann/Tirol
© 2015 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A–1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Jörg Eipper-Kaiser, Graz Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung: Theiss, St. Stefan im Lavanttal Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-79643-5
Inhaltsverzeichnis
I. Regionale Identität(en): Von der Möglichkeit eines unmöglichen Begriffs.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 II. Zur wirtschaftshistorischen Tiefenstruktur der S alzkammergut-Identität(en) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Homogenität versus Differenziertheit in wirtschaftshistorischer Perspektive .. Strukturelle Hierarchien in der »alten Salzregion« bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das »Salzkammergut« als spezifische Verwaltungsinstitution. . . . . . . . . . . . Das »Salzkammergut« als integriertes Wertschöpfungssystem. . . . . . . . . . . . Das Salzkammergut beginnt sich zu wandeln – Anfänge eines »Salzkammergut-Tourismus«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Aufbrechen« der »alten Salzregion« im Zeichen der »Modernisierung« bis zum Ende der Monarchie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dreifache Transformation des Salzkammergutes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflösung der administrativen Struktur der Salzregion. . . . . . . . . . . . . . . Effekte von Eisenbahn und Industrialisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Etablierung der Tourismusregion Salzkammergut. . . . . . . . . . . . . . . . . . Konstanten in der regionalen Identitätsstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prägungen der Salzkammergut-Identitäten im Verlauf des 20. Jahrhunderts.. . Zwischenkriegszeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die nationalsozialistische Zeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ab Mitte des 20. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vielfalt in der Einheit ? Soziale und kulturelle Aspekte regionaler Identität(en).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Weißes Gold« und soziale Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Welten – Identitätskrisen und Identitätsarbeit in der Industriegesellschaft.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Radikal oder gemäßigt ? – Der Mythos der widerständigen Region. . . . Harmonische Natur – das bürgerliche Salzkammergut . . . . . . . . . . Spiegelbild der Republik – das österreichische Salzkammergut . . . . . . Landschaft und Kultur – das Salzkammergut als globales Erbe . . . . . .
19 19 34 35 42 51 56 56 57 61 67 74 76 76 82 85
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IV. Modell Salzkammergut – Wie eine Region zur Literatur wird .. 143 Eine Region wie keine andere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
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Inhaltsverzeichnis
Das Beispiel Nikolaus Lenau. . . . . . . . . . . . . . . . . Endlich Ferien : Das Salzkammergut ist schön . . . . . . . Verfluchte Zeitgeschichte : Das Salzkammergut als Hölle . Natur und Alltag : Berge, Seen und dazwischen Land . . . Im Inneren der Gesellschaft : Politische Realitäten. . . . . Draußen bleiben : Geschlossene Gesellschaft . . . . . . . . Ein Ort für Verbrechen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Salzkammergut mythisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Salzkammergut global.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Region ohne Identität.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. »Dynamische Heimat« – Verstörung, Ungewissheit und Reflexion.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Sach- und Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Thomas Hellmuth
I. Regionale Identität(en): Von der Möglichkeit eines unmöglichen Begriffs
Als Ende des 18. Jahrhunderts Wissenschaftler, Reiseschriftsteller und Maler ins Salzkammergut reisten und ihnen im 19. Jahrhundert die Sommerfrischler folgten, schien das Salzkammergut wie eine Leinwand, auf der sich die Projektionen der aufgeklärten Gesellschaft widerspiegelten. Die Natur wurde wissenschaftlich erforscht, zugleich wurden aber auch die Wünsche und Sehnsüchte, die aus der Zivilisationsflucht resultierten, in einer unbekannten »Wildnis« zu stillen versucht. Daher sind letztlich die einander gegenseitig beeinflussenden inneren und äußeren Zuschreibungen auf das Salzkammergut, das, was oftmals mit »regionaler Identität« umschrieben wird, das Ergebnis eines vielschichtigen Konstruktionsprozesses. Die regionale Einheit, die zunächst angenommen werden könnte, löst sich daher bei genauerer Betrachtung auf, die Konturen verschwimmen und wir blicken gleichsam ins Ungewisse. Das vorliegende Buch versucht, dieses Ungewisse zu ergründen und die Frage zu beantworten, ob tatsächlich von einer Salzkammergut-Identität gesprochen werden kann und wenn ja, wie diese denn zu definieren ist. »Identität« ist ein viel benutzter, zumeist aber kaum fassbarer Begriff : Von natio naler Identität wird gesprochen, von europäischer Identität, damit im Zusammenhang auch von regionalen und lokalen Identitäten. Die beiden letzteren Begriffe werden im vorwissenschaftlichen Sinn zumeist als Gegenpol zu einem Größeren verstanden, das bedrohlich erscheint, also Vertrautes zerstörend und die Sicherheit gefährdend. Der Begriff hat daher meist statische Bedeutung und ist auf die Erhaltung scheinbar ewig vorhandener, die Region prägender Elemente ausgerichtet. Mit der Bewahrung der Identität und – damit im Zusammenhang – mit dem Schutz der »Heimat« scheint die kleine Welt, der überschaubare Lebensraum, wieder ins rechte Lot gerückt. Angeblich typische Baustile werden erhalten, die nicht selten auch in der gegenwärtigen, mehr oder weniger »modernen« Architektur ihre Spuren hinterlassen ; auf eine vermeintlich authentische Volkskultur wird gepocht, die sich etwa in der Volksmusik oder den Trachten widerspiegle. Blättern wir etwa die im Salzkammergut wöchentlich erscheinende Zeitung »Ischler Woche« durch, dann offenbart sich die Bedeutung der Volksmusikpflege im Salzkammergut : Alljährlich heißen etwa die Ischler Salinenmusik, die Goiserer Bürgermusikkapelle und die Ortsmusik Obertraun den Frühling willkommen, der Gesangsverein Bergheimat oder die Trachten-Musikkapelle Jainzen beleben die
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Regionale Identität(en): Von der Möglichkeit eines unmöglichen Begriffs
Kulturlandschaft, die Schützenmusik der noch jungen Ebenseer Brauchtumsgruppe »Stahelschützen vom Tiroler Häusl« sorgen bei unterschiedlichen Festlichkeiten für musikalische Unterhaltung.1 Die Liste der Gesangsgruppen, Musikvereine und Anlässe, an denen die musikalische Tradition des Salzkammerguts aufblüht, ließe sich noch weiterführen, etwa mit dem – von dem »Zuagroasten«2 Volkskundler Raimund Zoder gegründeten3 – »Pfeifertag«. Dieser wird seit 1925 jedes Jahr auf einer anderen Alm abgehalten und ist nach der »Seitelpfeife«, einer aus Holz geschnitzten Querflöte ohne Klappen, benannt. Ob dieser musikalischen Vielfalt bzw. zahlreichen musikalischen Angebote waren die Einheimischen im Salzkammergut bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts von ihrer gleichsam angeborenen musikalischen Neigung überzeugt. Zum 75. Geburtstag der Altausseer Bergmusik wurde ihre Gründung im Jahr 1852 etwa mit einem »den Aelplern und im besonderen den Bergleuten angeborenen Sinn für Musik und Gesang« erklärt.4 Traditionen wie etwa das vermeintliche musikalische »Gen« der im Salzkammergut lebenden Einheimischen gelten als unverrückbar, als konstituierende Elemente der Salzkammergut-Identität. Die große Welt mag sich wandeln, die »Heimat« scheint jedoch wie ein Fels in der Brandung zu stehen : von wilden Wassern umspült und doch so unbeweglich. Tatsächlich wird der Fels aber beständig und unaufhaltsam ausgehöhlt : »Ja wohl, mit der Volkstracht geht es im allgemeinen leider zu Ende«, war bereits 1891 in der in Salzburg erscheinenden »Fremden-Zeitung« zu lesen, wobei damit auch der Verlust regionaler Identität beklagt wurde.5 Die Volkstrachten, die sich etwa im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert in vielen Schriften über regionale Volkskultur abgebildet finden, um an das verlorene oder zumindest bedrohte, aber angeblich »gute Alte« zu erinnern,6 waren allerdings weniger alt als angenommen und selbst bereits einem beständigen, von modischen Trends geprägten Wandel unterworfen worden. Dennoch folgte eine Auseinandersetzung um »echte« und »unechte« Trachten, die sich bereits in der Zwischenkriegszeit anbahnte und sich nach 1945 im Zusammenhang mit der Errichtung der Zweiten Republik und somit der österreichischen Identitätsfindung fortsetzte. In Benimmratgebern, die sich auch mit Kleidungsgewohnheiten be1 Ischler Woche, 8. Mai 2013 ; 22. Mai 2013 ; 24. April 2013, 17 April 2013. 2 Als »Zuagroaste«, »Zugereiste«, werden jene Bewohner des Salzkammerguts bezeichnet, die nicht über mehrere Generationen aus dem Salzkammergut stammen, zum Teil auch nur einen Teil des Jahres im Salzkammergut verbringen. Auch der Begriff »Zweiheimische« ist gebräuchlich. 3 Savel, Alexander : Raimund Zoder : der Gründer des Pfeifertages, in : Traunspiegel, 18/194 (Mai 2013), S. 22f. 4 Werkszeitung der Oesterreichischen Salinen, 1/1 (1928), S. 9. 5 Platter, J. C.: Ueber die Volkstracht, in : Fremden-Zeitung, 8. September 1891. 6 Solche Abbildungen finden sich u. a. in : Gesellschaft von Freunden des Stubeithales (Hg.) : Stubei. Thal und Gebirge. Land und Leute, Leipzig 1891 ; Volksthum und Volkstracht, in : Fremden-Zeitung, 24. Oktober 1891.
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schäftigten, wurde etwa der angebliche Unterschied zwischen »Tracht« und »Trachtenmode« problematisiert, wobei Letztere beinahe einstimmig auf Ablehnung stieß.7 Ähnlich verhielt es sich mit der Volksmusik, bei der im landläufigen Verständnis bis heute zwischen volkstümlicher und »echter« Volksmusik unterschieden wird. Selbst die gegenwärtige wissenschaftliche Forschung hält dieses Schwarz-Weiß-Bild der »echten« und »unechten« Volkskultur zum Teil aufrecht und unterscheidet zum Beispiel zwischen »Volkskultur I«, den »kulturellen Praktiken der Unterschichten«, und »Volkskultur II«, die Bestandteil des Fremdenverkehrs und damit der Warenästhetik verpflichtet sei.8 Eine solche Dichotomie wird ebenfalls konstruiert, wenn von einer zur Show verkommenen »Pseudovolkskultur« gesprochen wird.9 Das Wechselverhältnis von Land und Stadt sowie Tradition und Moderne, damit verbunden die ständigen kulturellen Wandlungsprozesse, sind mit einer solchen Unterscheidung aber nur unzureichend erfasst : Tatsächlich ist etwa die Tracht vor allem eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, als sich die Sommerfrischler aus der meist recht einfachen Kleidung der Einheimischen diverse Versatzstücke wählten und mit modernen Accessoires wie Seidentüchern, Brokat, Spitzen und Silberschmuck verbanden. Die Einheimischen übernahmen diese Trachten, vor allem die finanziell erschwinglichen Bestandteile, zumal sie sowohl die Annäherung an die letztlich hegemoniale bürgerliche Lebensform als auch die Rückbindung an ihre Lebenswelt ermöglichten.10 Ähnlich verhält es sich auch beim sogenannten »Heimatstil« in der Architektur, der sich aus einer Verbindung des »Schweizerhauses« mit regionalen Bauweisen entwickelte und keineswegs als »authentisch« – ein Begriff, der mit Bewegungslosigkeit assoziiert wird und daher ohnehin problematisch ist oder zumindest neu definiert (S. 140) werden müsste – bezeichnet werden kann : Ein einfacher symmetrischer Grund- und Aufriss wurde bevorzugt, Holz und Bruchstein dienten als Baumaterial, auf Zwerchgiebel und unverputzten Steinbau wurde zurückgegrif 7 Breuss, Susanne/Liebhart, Karin/Pribersky, Andreas : Inszenierungen. Stichwörter zu Österreich, Wien 1995, S. 214–216, 326–328. 8 Hanisch, Ernst : Salzburger Volkskultur : Pflege – Traum – Kommerz, in : Hanisch, Ernst/Kriechbaumer, Robert (Hg.) : Salzburg. Zwischen Globalisierung und Goldhaube, Wien/Köln/Weimar 1997, S 418–420 (Schriftenreihe des Forschungsinstituts für Politisch-Historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, 6/1). 9 Prasch, Hartmut/Antesberger, Günther : Kärntner Volkskultur und Kärntner Lied, in : Rumpler, Helmut/ Burz, Ulfried (Hg.) : Kärnten. Von der deutschen Grenzmark zum österreichischen Bundesland, Wien/ Köln/Weimar 1998, S. 637f (Schriftenreihe des Forschungsinstituts für Politisch-Historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, 6/2). 10 Kaschuba, Wolfgang, Lebenswelt und Kultur unterbürgerlicher Schichten im 19. und 20. Jahrhundert, München 1990, S. 10 ; Bausinger, Hermann : Bürgerlichkeit und Kultur, in : Kocka, Jürgen (Hg.) : Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 138 (Sammlung Vandenhoeck) ; Schmidt, Leopold : Trachtenforschung und Gegenwartsvolkskunde, in : Mitteilungen des Instituts für Gegenwartsvolkskunde, 3 (1974), S. 405.
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fen, ein Satteldach aufgesetzt und Dekorationen in Laubsägearbeiten an Veranden, Balkonen und im Giebelbereich angebracht. Der »Heimatstil« führte letztlich in vielen Regionen zu einer gewissen Nivellierung des Baustils.11 Die Sehnsucht nach Stabilität, die regionale Gesellschaften prägt und in den oben genannten Beispielen deutlich wird, schafft ein gravierendes Problem : Die Wandlungsprozesse, die – wenn auch manchmal in kaum spürbarer Form – ständig stattfinden, werden ausgeblendet, bleiben unreflektiert und verursachen als solche individuelle und kollektive Krisen, gleichsam »Identitätskrisen«. Das vorwissenschaftliche Verständnis von »Identität«, das letztlich den Beigeschmack des Antimodernismus besitzt, ist somit für die Untersuchungen »regionaler Identitäten«, etwa jener des Salzkammerguts, ungeeignet. Der Begriff muss daher anders definiert werden : im Sinne einer wissenschaftlich fundierten Definition, die den unmöglichen Begriff gleichsam möglich macht, indem sie ihm Dynamik und Beweglichkeit verschafft.12 Zum einen eignet er sich dadurch als wissenschaftliches Instrument, um gesellschaftliche Wandlungsprozesse zu analysieren. Zum anderen ermöglicht er der regionalen Bevölkerung selbst, diese Wandlungsprozesse zu verarbeiten – indem sie nämlich über diese zu reflektieren lernt und sie als gegeben, als unaufhaltsam, aber dennoch als beeinflussbar akzeptiert. Nur auf diese Weise kann ein rückwärtsgewandtes Bedrohungsszenarium durch ein Verhalten und Handeln abgelöst werden, das die Gegenwart akzeptiert und die Zukunft gestaltet. Nicht ein wie auch immer gestaltetes »Schicksal« bestimmt über die Zukunft von Menschen, sondern diese selbst sind dafür verantwortlich. Und um diese Verantwortung zu übernehmen, dürfen Wandlungsprozesse nicht verdrängt, sondern müssen akzeptiert und nicht nur verarbeitet, sondern in menschenwürdiger und demokratischer Form auch mitgestaltet werden. Für eine dynamische Definition von Identität ist es Voraussetzung, dass der Einzelne immer in Verbindung mit der ihm umgebenden Umwelt oder besser : im Sinne von Alfred Schütz als eingebunden in eine »Lebenswelt« betrachtet wird. Einerseits agiert er in dieser Lebenswelt, indem er sie alleine oder mit anderen gestaltet, andererseits beschränkt diese ihn auch, setzt ihm Schranken, beeinflusst ihn durch die Interaktion mit den anderen Menschen, die ebenfalls in dieser Lebenswelt handeln.13 Der Einzelne ist folglich keineswegs völlig autonom, sondern von den Mitmenschen (soziale Umwelt), »Nebenmenschen« (soziale Mitwelt) und Vorfahren (soziale Vorwelt) abhängig.14 Die »soziale Umwelt« ist durch eine »face-to-face«-Situation ge11 Pinezits, Heidi : Ein Haus in »lieblichster Lage«, in : Stehrer, Johann (Hg.) : Strobl am Wolfgangsee. Naturraum, Geschichte und Kultur einer Gemeinde im Salzkammergut, Strobl 1998, S. 334 ; Haas, Hanns : Die Sommerfrische – Ort der Bürgerlichkeit, in : Stekl, Hannes u.a. (Hg.) : »Durch Arbeit, Besitz, Wissen und Gerechtigkeit«, Wien/Köln/Weimar 1992, S. 368 (Bürgertum in der Habsburgermonarchie, 2). 12 Hellmuth, Thomas : Das Heimathirschen-Syndrom, in : Xing. Ein Kulturmagazin, 4 (2006), S. 16f. 13 Schütz, Alfred/Luckmann, Thomas : Strukturen der Lebenswelt, Konstanz 2003, S. 29 (UTB 2412). 14 Schütz, Alfred : Symbol, Wirklichkeit und Gesellschaft, in : Ders.: Theorien der Lebenswelt, Bd. 2. Die
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Abb. 1 : Der »Heimatstil« verband den Typus des »Schweizerhauses« mit regionalen Traditionen – die Villa Henny in Strobl.
kennzeichnet, d. h. zu ihr gehören alle Menschen, die für ein Subjekt, für »Ego«, wie Schütz es bezeichnet, unmittelbar erreichbar sind. Die »soziale Mitwelt« ist für den Menschen dagegen nicht unmittelbar erreichbar, beeinflusst ihn aber in bestimmten Situationen durch unterschiedliche Formen der Kommunikation, unter anderem auch durch Einwegkommunikation in Form von Fernsehen oder Zeitungen. Die »soziale Vorwelt« wirkt sich schließlich zum einen durch Hinterlassenschaften auf den Einzelnen aus, zum anderen ist sie auch verknüpft mit der sozialen Umwelt und der sozialen Mitwelt, zumal Geschichte bzw. die Vorfahren sowohl in der »face-toface«-Situation als auch über andere Formen der Kommunikation – insbesondere auf der Ebene der Symbole – präsent sind.15 kommunikative Ordnung der Lebenswelt, Konstanz 2003, S. 141 ; Schützeichel, Rainer : Soziologische Kommunikationstheorien, Konstanz 2004, S. 142. 15 Hellmuth, Thomas : Historisch-politische Sinnbildung. Geschichte – Geschichtsdidaktik – politische Bildung, Schwalbach/Ts 2014, S. 249f.
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Die Bestandteile der Lebenswelt, d. h. die sozialen Beziehungen und Räume, die vermittelten Normen und Werte sowie die materielle Umwelt, die nicht selten auch symbolische Bedeutung besitzt, werden als bedeutsam für die eigene Existenz empfunden und sind somit sinnstiftend : »Sinn ist Produkt einer reflexiven Zuwendung, in welcher ein unmittelbares Bewusstseinsleben oder ein ursprüngliches Verhalten zu bestimmten Sinn-Einheiten verdichtet und in bestimmte Erfahrungs-schemata eingeordnet wird, und zwar im Nachhinein. Reflexion setzt voraus, dass ein Subjekt sich auf sein eigenes Erleben und Verhalten rückbezieht. […] Erlebnisse [werden] in einen vorgegebenen Erfahrungszusammenhang eingeordnet, der dem Subjekt als ein Deutungsschema zur Verfügung steht.«16 In diesem Deutungsschema sind auch sogenannte »Sinnprovinzen« zu berücksichtigen, die sich um spezielle Interessen organisieren und ein kodiertes Sonderwissen aufweisen können,17 etwa das Wissen um spezifische handwerkliche Verrichtungen, Gebräuche und Brauchtümer, eine bestimmte Sprache sowie diverse Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten, die in spezifischen Situationen zur Disposition stehen. Diese »Sinnprovinzen« sind nicht jedem zugänglich, sondern nur Eingeweihten, womit Exklusivität und damit auch Zugehörigkeit entsteht. Als Beispiel seien hier die Arbeiter im Bergbau genannt, die – auch nachdem sie infolge ökonomischer Wandlungsprozesse zunehmend proletarisiert wurden – weiterhin alte Bräuche beibehielten und in ihrer Sprache ein spezifisches Vokabular verwendeten oder zumindest tradierten, beispielsweise »Pehrstatt«18, »Pehrkufen«19 und »Pfannhauser«20 sowie »Laugwerk«21, »Häuer«22 und »Püttenrüster«23. Die Kenntnis und die Ausübung von Bräuchen, ebenso die Verwendung einer bestimmten Sprache und der mit Begriffen verbundenen Inhalte vermitteln Zugehörigkeit, sozialen Zusammenhalt und das Gefühl von Stabilität. 16 Schützeichel, Soziologische Kommunikationstheorien, S. 122. 17 Schütz, Alfred : Über die mannigfaltigen Wirklichkeiten, in : Ders.: Theorien der Lebenswelt, Bd. 1. Die pragmatische Schichtung der Lebenswelt, Konstanz 2003, S. 181f. 18 Platz an der Sudpfanne, auf dem Salz ausgezogen (»ausgepehrt«) und lange Zeit in »Pehrkufen«, später in Jutesäcke gefüllt wurde. 19 Holzgefäß, das unten geöffnet war und die Form eines Kegelstumpfes besaß. Das auf der »Pehrstatt« ausgezogene Salz wurde darin verpackt. 20 Sudarbeiter bzw. Arbeiter im Pfann- oder Sudhaus, insbesondere an der Sudpfanne, in der Salz gesotten und aus der dieses schließlich »ausgezogen« wird. 21 Grubenraum, auch »Sinkwerk« genannt, in dem durch eingeleitetes Süßwasser das mit Gips, Ton und Mergel vermengte Salz (»Haselgebirge«) aus dem Felsen gelöst wird. Es entsteht eine konzentrierte Salzlösung, die »Sole«. 22 Der Häuer schlägt mit dem »Häuereisen« (»Bergeisen«) den »Vortrieb«, erweitert also die Stollen und Strecken (Grubenbaus, der nicht »ober Tag« endet). 23 Zimmerarbeiter, der den zu einem Laugwerk führenden Schacht (»Pütte«) baut, durch den Süßwasser eingeleitet wird. Der »Püttenrüster« besorgt auch den Ausbau der Strecke, nachdem der »Häuer« seine Arbeit geleistet hat.
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Abb. 2 : »Sinnprovinzen« als zentraler Bestandteil von Identitätsbildung – »Häuer« schlagen den »Vortrieb« und »Püttenrüster« sichern mit Holzbauten die »Strecke«. Die Kenntnis und Verfügbarkeit von Sprache schaffen soziale Zugehörigkeit und gemeinsame Identität. (Salzbergbau im Salzkammergut, 1929)
Die Bestandteile des Deutungsschemas können auch als »Identitätsbausteine« bezeichnet werden, die zum Teil über Generationen überliefert sind, in spezifischen Situationen unterschiedlich zum Einsatz kommen und auch individuell unterschiedlich kombiniert werden. In der Psychologie wird auch von »individuellen Rahmenkonzepten« gesprochen, innerhalb derer Erfahrungen interpretiert und die in ständiger »Identitätsarbeit« zusammengefügt und durch neue Bausteine ergänzt werden.24 Zudem geben diese individuellen Rahmenkonzepte nicht nur Wahrnehmungsstrategien vor, sondern stellen auch eine bestimmte Auswahl an Handlungsalternativen zur Wahl. Letztlich dienen die individuellen Rahmenkonzepte zur Existenzbewältigung, indem das »Außen« mit dem »Inneren« abgestimmt und dem eigenen Denken und Handeln »Sinn« verliehen wird.25 Folglich ist »Identität« im dynamischen Sinn als Konstruktionsprozess zu verstehen, in dem versucht wird, innere Kohärenz zu schaffen und somit den Überblick zu wahren und das Gefühl von Sicherheit zu gewährleisten. Dieser Prozess kommt allerdings zu keinem Ende, sondern findet ständig statt, so wie sich auch die Umwelt des Menschen, das »Äußere«, ständig wandelt. Kohärenz ist somit nicht als innere 24 Keupp, Heiner u.a.: Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbek b. Hamburg 1999, S. 60. 25 Ebenda, S. 7.
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Harmonie zu verstehen, sondern weist eine offene Struktur auf, indem über Generationen vermittelte Verhaltens- und Handlungsressourcen – infolge des Wandels des »Außen« – durch neue ergänzt oder ersetzt werden : »Kohärenz kann für Subjekte auch eine offene Struktur haben […]. Entscheidend bleibt allein, daß die individuell hergestellte Verknüpfung für das Subjekt selbst eine authentische Gestalt hat, jedenfalls in der gelebten Gegenwart, und einen Kontext von Anerkennung, also in einem Beziehungsnetz von Menschen Wertschätzung und Unterstützung gefunden hat. Es kommt weniger darauf an, auf Dauer angelegte Fundamente zu zementieren, sondern eine reflexive Achtsamkeit für die Erarbeitung immer wieder neuer Passungsmöglichkeiten zu entwickeln.«26 Daher lässt sich »Kohärenz« als Prozess begreifen, in dem ständig versucht wird, neue Erfahrungen mittels der eigenen kognitiven Struktur zu verarbeiten bzw. diese wiederum an die neuen Erfahrungen anzupassen und dadurch zu transformieren. Laut Richard Rorty wird dabei »ein Netz aus kontingenten Beziehungen« geknüpft, »ein Gewebe, das sich rückwärts in die Vergangenheit und vorwärts in die Zukunft erstreckt« und »an die Stelle einer geformten, einheitlichen, gegenwärtigen, unabhängigen Substanz« tritt, »die die Möglichkeit bot, stetig und als Ganzes gesehen zu werden«. Das menschliche Leben sei daher »als das immer unvollständige […] Neuweben eines solchen Netzes zu denken«.27 Durch die Eingebundenheit und Interaktion in unterschiedliche Beziehungsnetze bzw. soziale Räume unterscheiden sich diese Netze individuell, d. h. dass Varianten des Weltverständnisses existieren, die mehrere Formen der Kontingenz zulassen : »Was kontingent ist, könnte (in einem bestimmten Rahmen !) auch anders sein. Es kann sich nicht irgendwie verhalten, ist nicht einfach beliebig, aber es könnte auch anders sein. […] Das Unbewusste lehrt uns, dass wir nicht Herr im eigenen Haus sind und auch unsere Selbstinterpretation stets unabgeschlossen bleiben [sic !].«28 Wie die obigen Ausführungen zeigen, ist der Begriff der »Identität« auf das Subjekt bezogen. Eine »kollektive Identität«, wie sie der Begriff der »regionalen Identität« suggeriert, ist daher nicht existent und somit – streng genommen – als wissenschaftlicher Begriff unmöglich. Dennoch soll hier, gerade auch wegen seiner großen Popularität, am Begriff der »regionalen Identität« festgehalten und dieser somit einer Reflexion zugänglich gemacht werden. Dazu ist der Begriff freilich unter Anführungszeichen zu setzen, zumal es sich bei »regionaler Identität« um die Summe regionaler Identifikationsangebote handelt, die dem Einzelnen als Bestandteile des individuellen Deutungsschemas zur Verfügung stehen und die sich in Verbindung 26 Ebenda, S. 57. 27 Rorty, Richard : Kontingenz, Ironie, Solidarität. Frankfurt a. M. 1989, S. 80f. 28 Schaal, Gary S./Heidenreich, Felix : Einführung in die politischen Theorien der Moderne, Opladen/Farmington Hills 2006, S. 245.
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mit den anderen Elementen des »Äußeren« – etwa der ökonomischen Struktur und den sozialen Räumen – immer wieder wandeln : bestimmte Werte und Normen sowie Verhaltens- und Handlungsideale, die den individuellen Handlungsspielraum einschränken und beeinflussen ; die vertraute materielle Umwelt, die symbolische Bedeutung besitzt ; die Landschaft, die mit bestimmten Vorstellungen belegt und gleichsam »erzählt« wird.29 Drei Formen von Identifikation, die in einem engen Wechselverhältnis zueinander stehen, lassen sich unterscheiden : 1. »Identification of« : Ein Lebensraum und darin lebende Individuen werden »von außen« identifiziert und kategorisiert, d. h., dass ihnen bestimmte Rollen zugeschrieben werden. 2. »Beeing identified« : Das Individuum erkennt, dass es Gegenstand von Identifikationsprozessen geworden ist. 3. »Identification with« : Das Individuum setzt sich aktiv mit seiner Umwelt auseinander, formt damit die eigene Persönlichkeit und gestaltet damit seine Identität.30 Hier erfolgt ein »(selbst-)reflexiver Prozess der Verortung von Individuen und Gruppen in einem sozialen Umfeld unter Bezugnahme auf räumliche Identifikatoren«.31 Aus dieser Kategorisierung lassen sich zwei zentrale Untersuchungsbereiche ableiten, die für eine Analyse »regionaler Identitäten« von Bedeutung sind : Zunächst ist der ökonomische Strukturwandel der Region in den Blick zu nehmen. Dazu sind die ökonomischen Wandlungsprozesse zu analysieren, ebenso die Frage der räumlichen Ausdehnung und die innere Differenzierung von Regionen sowie regionalpolitische Interessen und zentralpolitische Zielsetzungen. Schließlich müssen die soziokulturellen Prozesse erfasst werden, die wiederum vom ökonomischen Strukturwandel abhängen : Wie verändern sich soziale Beziehungen und Netze ? Welche sozialen Gruppen gewinnen und verlieren in der Region an Bedeutung ? Auf welche Weise widerspiegelt sich das Selbstverständnis als soziale Gruppe in kulturellen Manifestationen und wie wandeln sich diese ? Wie werden Einflüsse »von außen« wahrgenommen und eventuell auch aufgenommen ? Beeinflussen sich »Außen-« und »Innensicht« gegenseitig und entsteht dadurch ein »dritter Raum«32 (S. 105, 117), in dem gleichsam Kontaktzonen zweier oder mehrerer Kulturen existieren und auch neue Kulturen hervorgebracht werden ? Welche »dialektischen Narrationen«33, die sich aus der ge29 Hellmuth, Thomas/Hiebl, Ewald : Bilder vom Salzkammergut. Zur Identität einer Region, in : Österreich in Geschichte und Literatur, 56/1 (2012), S. 96–98 30 Stone, George Prentice : Appearance of the Self, in : Rose, Arnold Marshall (Ed.) : Human Behavior and Social Processes. An Interactionist Approach, London 1962, S. 89f. ; Graumann, Carl Friedrich : On Multiple Identities, in : International Social Science Journal, 36/96 (1983), S. 309–321 ; Weichhart, Peter : Raumbezogene Identität. Bausteine zu einer Theorie räumlich-sozialer Kognition und Identifikation, Stuttgart 1990, S. 16–19 31 Hellmuth/Hieb, Bilder vom Salzkammergut, S. 97. 32 Bhabha, Homi K.: Die Verortung der Kultur, Tübingen 2000. 33 Hellmuth, Bilder vom Salzkammergut, S. 44.
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genseitigen Beeinflussung von »Außen-» und »Innenperspektive« ergeben, prägen die Region als »dritter Raum« ? Für das Salzkammergut sind etwa drei Erzählungen zentral : eine bürgerliche, eine nationale bzw. österreichische und eine proletarische. Die Region stellte bzw. stellt dafür einerseits Ressourcen wie spezifische kulturelle Versatzstücke, etwa die bereits erwähnte Musik oder die Vergangenheit als Salzregion, zur Verfügung. Andererseits übernahmen die Einheimischen viele »Textbausteine«, die – wie etwa das Bild der harmonischen Natur und der davon geprägten Einheimischen – von außen auf die Region übertragen wurden.34 Damit verbunden ist schließlich die Frage der sich wandelnden Identifikationsmöglichkeiten, die in Summe die »regionale Identität« ergeben und sich für die Einwohner, »Zuagroasten« bzw. »Zweiheimischen«, wie Zuzügler im Salzkammergut genannt werden, und Gäste einer Region anbieten. Weitgehend ausgeklammert bleibt in der vorliegenden Studie die durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen beeinflusste individuelle Identitätsbildung. Eine Annäherung an dieses Themenfeld ist – nicht zuletzt aufgrund der lückenhaften Quellenlage gerade für weiter zurückliegende Epochen – nur auf hypothetischer Ebene möglich. Letztlich geht es um die konstituierenden Elemente des individuellen Deutungsschemas und nicht um den individuellen Umgang mit diesen Elementen. Zwar kann aus kollektiven, über Quellen zu erfassende Verhaltensweisen – zum Beispiel aus politischen Protestaktionen oder kulturellen Manifestationen – auch auf individuelle Identitäten und deren Wandel zum Teil rückgeschlossen bzw. können darüber Vermutungen angestellt werden. Im Zentrum steht allerdings der Wandel der regionalen Identifikatoren, die »regionale Identität«, die es dem Einzelnen ermöglicht, sich in einem sozialen Raum zu verorten und individuelle Identität(en) zu entwickeln. Die in diesem Zusammenhang konstruierten und in diesem Buch beschriebenen unterschiedlichen »Salzkammergüter«, etwa das »proletarische«, »bürgerliche« und »österreichische Salzkammergut« oder die durch die wirtschaftliche Strukturierung definierten »Salzkammergüter«, sind demnach bezüglich ihrer Funktion zu analysieren und zu hinterfragen. Die vermeintliche Gewissheit, die »Wahrheiten«, müssen in Ungewissheit umgewandelt werden, womit der Untertitel dieses Buches – »Ein Blick ins Ungewisse« – seine auf dem ersten Blick mythenbildende Funktion verliert. Das Ungewisse tritt uns beim »Salzkammergut schauen« nicht als undurchdringbar entgegen. Vielmehr schafft der analytische und kritische Blick, der sowohl der Kunst als auch der Wissenschaft eigen sein kann, eine gewisse Ungewissheit bei jenen, die etwa dem Begriff des »Authentischen« einen ewig währenden Nimbus verleihen, ihn geradezu als Kampfbegriff gegen wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen ins Feld führen und damit eine offene, in die Zukunft blickende Verarbeitung 34 Ebenda.
Regionale Identität(en): Von der Möglichkeit eines unmöglichen Begriffs
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von Wandlungsprozessen verunmöglichen. Das vorliegende Buch beabsichtigt beim Leser daher eine gewisse Verstörung und Verunsicherung, damit aber auch die Möglichkeit, über die eigenen Vorstellungen über das Salzkammergut zu reflektieren und diese neu zu entwerfen.
Abb. 3 : Eine Blick ins Ungewisse, eine Verstörung : Trachtige Naturverbundenheit oder Transgender ? (Gmunden, um 1940)
Christian Dirninger
II. Zur wirtschaftshistorischen Tiefenstruktur der Salzkammergut-Identität(en)
Homogenität versus Differenziertheit in wirtschaftshistorischer Perspektive Wenn vom Salzkammergut die Rede ist, dann ist die Assoziation bzw. Kategorisierung als Tourismusregion nicht weit, und zwar in einem weitgehend homogenisierenden Verständnis als Begriffsregion. Wenn man sich aber dem Salzkammergut räumlich nähert oder es gar von innen heraus betrachtet, dann werden immer mehr Ambivalenz und Differenziertheit bis hin zu gewissen Spannungen sichtbar. Die persönliche Erfahrung mit »Salzkammergut-Identität«, so auch jene des Autors, ist durch eine Ambivalenz gekennzeichnet, die im Verhältnis von Ferne und Nähe zur Region zum Ausdruck kommt. Und zwar dahingehend, dass man doch eine sehr starke Verbindung zu dieser Region hat und daraus auch eine spezifische Identität erwächst, eine »Salzkammergut-Identität«, die einem zwar selber nicht so ganz klar ist, die aber durchaus wirksam wird, je weiter man von der Region entfernt ist. Und da verschwinden auch diese Differenzierungen immer mehr. Es gibt durchaus eine sehr intensive Kommunikation zwischen »Salzkammergütlern« außerhalb der Region. Innerhalb der Region aber schaut das ganz anders aus. Hier spielen Unterschiede und Rivalitäten eine wesentlich größere Rolle, sogar in sehr kleinräumigen Dimensionen.35 Auf den ersten Blick ergibt sich somit eine komplexe Ambivalenz. Einerseits erscheinen in einer Außenperspektive die Differenzen und Rivalitäten zwischen und innerhalb der Teilregionen in eine über diese hinweg gespannte »SalzkammergutIdentität« gleichsam unter dem Motto »Vielfalt in der Einheit« eingebunden.36 In Bezug darauf erscheinen andererseits in einer Innenperspektive die Differenzen und Rivalitäten zwischen Teilregionen bzw. zwischen deren Zentralorten um führende,
35 Hiebl, Ewald : Auf der Suche nach einer regionalen Identität. Das Beispiel Salzkammergut, in : SALZ. Zeitschrift für Literatur, 30/IV120/4 (2005), S. 48–52 ; Pauli, Angelika : Das Salzkammergut. Ein Begriff im Wandel der Zeit. Raumbezogene Urteilsstereotype und Mental Maps, Diplomarbeit, Salzburg 1992, S. 127f. 36 Hellmuth, Thomas : Das Salzkammergut, in : Brix, Emil u.a (Hg.) : Memoria Austriae II. Bauten, Orte, Regionen, Wien 2005, S. 337.
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bestimmende Positionen in der Gesamtregion als konstitutiv für die real gelebte Salzkammergut-Identität.37 Dazu gehört auch die – immer wieder heftig diskutierte – Frage betreffend die Grenzen des »Salzkammergutes« bzw. die »Zugehörigkeit« zum Salzkammergut sowie hinsichtlich eines »Zentrums« des Salzkammergutes.38 Dass die Regionsbezeichnung »Salzkammergut« bis heute ein umstrittenes Thema sein kann, zeigt ein jüngst vom Obersten Gerichtshof entschiedener Rechtsstreit im oberösterreichischen Sparkassensektor. Ausgelöst wurde dieser dadurch, dass die Sparkasse Bad Ischl im Jahr 2011 ihren Firmennamen mit der Begründung der »inneren Verbundenheit« mit der Region in »Sparkasse Salzkammergut« änderte. Dies veranlasste die in Linz ansässige »Allgemeine Sparkasse Oberösterreich« zu einer gerichtlichen Klage, da sie mit ihren Zweigstellen die größte Sparkasse im Salzkammergut sei. Nach einem mehrjährigen Rechtsstreit entschied der Oberste Gerichtshof im Februar 2014 zugunsten der Bad Ischler Sparkasse mit der Begründung, dass für das Salzkammergut »keine exakte geografische Gebietsabgrenzung« bestehe.39 Die grundsätzliche Ambivalenz des Salzkammergut-Bewusstseins (Salzkammergut-Identität) bzw. der Salzkammergut-Regionalität zwischen Homogenität aus der »Ferne« und Differenziertheit aus der »Nähe« ist – so die Ausgangsthese dieses Beitrages – zu einem wesentlichen Teil auch aus seiner wirtschaftlichen Entwicklung seit der frühen Neuzeit, mit anderen Worten : aus seiner wirtschaftshistorischen Tiefenstruktur heraus erklärbar.40 Zugrunde gelegt wird dabei die Hypothese, dass regionale Identitäten wesentlich durch die regionalen soziökonomischen Verhältnisse bzw. deren Veränderung im langfristigen Modernisierungsprozess seit der Frühen Neuzeit geprägt sind.41 Dabei wurden und werden sozioökonomische Identitätsbausteine ge37 Ebenda. S. 337 ; Weichhart, Peter : Raumbezogene Identität. Bausteine einer Theorie räumlich-sozialer Kognition und Identifikation, Stuttgart 1990. 38 Lipp, Franz : Die Einheit des Salzkammergutes, in : Pilz, Karl (Hg.) : 100 Jahre Salzkammergut-Verkehrsverband 1891–1991, Bad Ischl 1991, S. 33–35. 39 Graber, Renate : Wenn Sparkassen Sparkassen klagen, in : Der Standard, 8. April 2014, S. 15. 40 Eine umfassende Wirtschaftsgeschichte des Salzkammergutes ist noch zu schreiben. Zwar liegt eine Anzahl von älteren und auch einigen jüngeren Forschungsarbeiten zu verschiedenen Teilaspekten und Teilgebieten vor, es fehlen aber systematische, die verschiedenen Entwicklungsbereiche integrierende und von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart gespannte Gesamtbetrachtungen. Allerdings liegen einige Diplomarbeiten und Dissertationen vor, auf die sich die folgende Darstellung wesentlich stützen kann. Insbesondere : Kurz, Michael : Kammergut – Jammergut ? Die demographischen Strukturen des Salzkammergutes von 1600 bis 2000 mit besonderer Berücksichtigung von Bad Goisern, Diss. Salzburg 2002 ; Pauli, Das Salzkammergut ; Feichtinger, Manuela : Vom »Lackernpascher« bis zum »Schwanenbussi« – Der See und seine Eigenheiten. Die wirtschaftliche Entwicklung der Traunseeregion von 1848 bis in die Gegenwart. Diplomarbeit, Salzburg 2013 ; Hufnagl, Franz : Die Kammergutsverwaltung im Bezirk Gmunden in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Diplomarbeit, Salzburg 1996. 41 Exemplarisch dazu : Idam, Friedrich : Das Verschwinden der Salzindustrie aus Hallstatt, in : Industriekultur und regionale Identität, Linz 2010, S. 103–114.
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neriert und über Generationen hinweg tradiert sowie letztendlich in die Gegenwart hereinreichende Identifikationsangebote konstruiert und auch internalisiert. Im Zuge des langfristigen sozioökonomischen Strukturwandels der Region kommt es zu Überlagerungen von Identitäten bzw. Identitätsbezügen. Dabei sind spezielle teilregionale Entwicklungsdynamiken maßgeblich. Grundsätzlich kommt dem wirtschaftlichen Wachstum und vor allem dessen struktureller Ausprägung und Verteilung im regionalen Zusammenhang vorrangige Bedeutung zu.42 Und zwar insofern, als daraus langfristige Prägungen von strukturellen Hierarchien der Teilregionen und der damit verbundenen materiellen und kulturellen Lebenssituationen (Lebenswelten) und Lebenschancen der regionalen Bevölkerung resultierten, womit wiederum wesentliche Basis-Komponenten der Herausbildung regionaler Identität(en) verknüpft sind. Somit kann also von einer bis in die Gegenwart wirksamen, durchaus komplexen regionalen Gemengelage von »Salzkammergut-Identitäten« ausgegangen werden, die unterschiedlich akzentuiert sind und zueinander in einem Spannungsverhältnis stehen, historisch begründet werden können, auf dem wirtschaftlichen Wandel im säkularen Modernisierungsprozess basieren und miteinander konkurrieren. Darin, dass sich dabei primär auf Teilregionen bezogene Überlagerungen von Identitätsbausteinen und Identifikationsangeboten im langfristigen sozioökonomischen Entwicklungsprozess ergeben, liegt ein wesentliches Kriterium für die Komplexität einer »SalzkammergutIdentität«. Insofern kann von einem »Zweiebenensystem« historisch bedingter Regio nalitätskonstruktionen ausgegangen werden. Dabei liegt die »obere« Konstruktionsebene einer gemeinsamen Salzkammergut-Regionalität bzw. Salzkammergut-Identität in mehrfacher Hinsicht quer zur »unteren« Konstruktionsebene von Teil-Regionalitäten bzw. teilregionalen Salzkammergut-Identitäten, die sich aus den innerwirtschaftlichen Verhältnissen seit der »alten Salzregion« tradierten haben. Konflikte zwischen der »unteren« und der »oberen« Konstruktionsebene werden dann virulent, wenn die regionalwirtschaftliche Entwicklungsdynamik spürbar nachlässt bzw. in Krisenlagen, wo sich innerregionale »Verteilungskämpfe« zwischen Teilregionen verstärken. Das war etwa im Zuge des Nachlassens der vorrangigen Stellung der Salzwirtschaft im Verlauf des 19. Jahrhunderts, in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, in den schwierigen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall und ist es seit dem Offensichtlichwerden der Wachstumsgrenzen der Tourismuswirtschaft in den letzten Jahrzehnten.43 42 Zum Folgenden Dirninger, Christian : Ambivalenzen in der Konstruktion von Regionalität und regionaler Identität im industriellen Modernisierungsprozess am Beispiel des Salzkammergutes, in : Beutner, Eduard/ Rossbacher, Karlheinz (Hg.) : Ferne Heimat – Nahe Fremde. Bei Dichtern und Nachdenkern, Würzburg 2008, S. 217f. 43 Pauli, Das Salzkammergut ; Eine sehr differenzierte Darstellung dieses Prozesses findet sich in : Heberts-
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Aus der Betrachtung der wirtschaftshistorischen Tiefenstruktur wird deutlich, dass die wirtschaftliche Regionalität des »Salzkammergutes« eine sehr lange Tradition und Entwicklung aufweist, sich im Zuge dieser aber nachhaltig und grundlegend gewandelt hat. Dies hat wiederum tiefe Spuren in der Bewusstseinshaltung der regionalen Bevölkerung und damit in der regionalen Identitätsstruktur hinterlassen. Lässt man sich in der Region auf eine Diskussion darüber ein, was das Salzkammergut eigentlich zu einer Region macht und wie diese Region denn räumlich abzugrenzen wäre, wird man feststellen, dass ein allgemeines Einverständnis über eindeutige Definitionen nicht möglich ist und der Entwicklung bzw. Veränderung der regionalen Wirtschaftsstruktur eine maßgebliche Bedeutung zukommt. Vier Punkte erscheinen dabei in besonderem Maße relevant : Erstens die Sonderstellung in der landesfürstlichen Verwaltung und die damit verbundenen strukturellen Hierarchien und Abhängigkeiten von Teilregionen sowie örtliche Zentralitätsverhältnisse in der »alten Salzregion«. Zweitens die Loslösung der wachsenden Tourismusregion »Salzkammergut« von der frühneuzeitlichen kameralen Verwaltungsregion »Salzkammergut« ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Drittens die räumlich unterschiedliche Verteilung von Vorteilen und Nachteilen des ab dieser Zeit einsetzenden säkularen, primär von Tourismus und Industrialisierung getragenen Modernisierungsprozesses. Und viertens die Tatsache, dass sich das Salzkammergut über drei Ländergrenzen – zunächst jene der Kronländer und danach der Bundesländer Oberösterreich, Steiermark und Salzburg – hinweg erstreckt und damit in seinen jeweiligen Teilgebieten wesentlich von deren Positionierung in der Wirtschaftsstruktur und der wirtschaftlichen Entwicklung des jeweiligen Landes sowie den Prioritäten und Strategien der jeweiligen Landes-Wirtschaftspolitik bestimmt ist.44 Aus all dem resultieren Bruchstellen und Spannungspotenziale sowie teilweise miteinander konkurrierende spezifische TeilRegionalismen, die den Charakter der Salzkammergut-Regionalität bis in die Gegenwart bzw. wohl auch in weiterer Zukunft in spezifischer Weise prägen. Aber auch die Definition und Bezeichnung der Teilregionen ist keineswegs eindeutig festgelegt bzw. in irgendeiner Form kodifiziert. Auch das gibt immer wieder Anlass zu Diskussionen innerhalb des Salzkammergutes, aber auch über dieses. Dabei spielen wirtschaftshistorische Bezüge insofern immer wieder eine vorrangige Rolle, als Abgrenzungen und Bezeichnungen von Teilregionen sehr wesentlich aus der Entwicklung der Wirtschaftsstruktur und deren Veränderung abgeleitet werden. Das bezieht sich zum einen auf die Raumstruktur des »alten« Salzkammergutes und huber, Martin/Marchner, Günther : Raum und Ökonomie. Projektbereich Leitbilder und Nutzungskonflikte, Wien 1997, S. 86–106. 44 Dirninger, Christian : Historische Standortanalyse. Der Wandel regionaler Wirtschaftsstandorte am Beispiel des Salzkammergutes. Regionalgeschichte unter neuen Aspekten, in : Bericht über den 23. Österreichischen Historikertag in Salzburg, Salzburg 2003, S. 222–239.
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Abb. 4 : Region Salzkammergut (Übersichtskarte von A. Hoffmann und C. Lipp, 1981)
zum anderen auf die räumliche Dimension von dessen Wandel und Erweiterung zur Tourismusregion ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diesbezüglich gibt es eine inzwischen auch im Sprachgebrauch verfestigte Differenzierung zwischen einem »äußeren« und einem »inneren oberösterreichischen« Salzkammergut, einem das Ausseerland umfassenden »steirischen« Salzkammergut und einem das Gebiet von Strobl über St. Gilgen bis Fuschl und Thalgau umfassenden »salzburgischen Teil« des Salzkammergutes. Einen anschaulichen Einblick in die differente innere Zusammensetzung der heute existenten »Begriffsregion« durch ihre Teilregionen, gewissermaßen als Ergebnis eines historischen räumlichen Wachstums- und strukturellen Differenzierungsprozesses, bietet die nach A. Hoffmann und Franz C. Lipp zu Beginn der 1980er-Jahre erstellte Übersichtskarte der »Region Salzkammergut«.45 Dort wird zwischen einem 45 Lipp, Franz C.: Region Salzkammergut, in : Kulturzeitschrift Oberösterreich, 1 (1981), S. 2–16.
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»östlichen« und einem »westlichen« Salzkammergut unterschieden. Dabei besteht das »östliche« Salzkammergut im Wesentlichen aus Gebieten, die in direkter oder indirekter Weise aus der frühneuzeitlichen »alten Salzregion« her stammen, wobei wiederum folgende Teilregionen unterschieden werden : Erstens das »innere« Salzkammergut, das hauptsächlich das Gebiet des historischen »Ischllandes« bzw. des vormaligen Pfleggerichtes Wildenstein umfasst und das historische Kerngebiet des oberösterreichischen Salzkammergutes darstellt. Zweitens das Gosautal, das seit der frühen Neuzeit vielfältige Beziehungen zum erzstiftisch salzburgischen Territorium hatte. Drittens das steirische Salzkammergut, also das auf die alten Pfleggerichte Pflindsberg und Hinterberg zurückgehende Ausseerland. Und schließlich das »äußere« Salzkammergut, das das Traunseegebiet sowie das Almtal und das alte Landgericht Scharnstein, also die sogenannten »Widmungsgebiete« umfasst, die vor allem der Holz- und Nahrungsmittelversorgung des inneren Salzkammergutes dienten. Das »westliche« Salzkammergut besteht aus Gebieten, die erst später zum Salzkammergut gekommen sind, und zwar im Wege von dessen Wandel von der »alten Salzregion« zur »Tourismusregion« im Verlauf des 19. Jahrhunderts und deren Weiterentwicklung im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Es umfasst das Mondseeland, den Attergau, das oberösterreichische Wolfgangseegebiet sowie das Gebiet von Strobl über St. Gilgen bis Fuschl bzw. Thalgau, also den salzburgischen Teil des heutigen Salzkammergutes. Ebenso wie die Teilregionen sind auch innerhalb dieser lokale Abgrenzungen und Rivalitäten zu einem wesentlichen Teil aus wirtschaftshistorischen Strukturzusammenhängen abgeleitet. Dabei können diese lokalen Abgrenzungen und Rivalitäten teilweise den Charakter von »Ortspatriotismus« annehmen.46 Auf der kulturellen Ebene kommt dies insbesondere in der Beharrung auf Eigenständigkeiten und Unterschieden bei Traditionspflege und Brauchtum zum Ausdruck, spielt aber des Öfteren auch bei regionalen bzw. interkommunalen Entwicklungs- und Infrastrukturprojekten eine nicht unbedeutende Rolle. Dafür gibt es mehrere Beispiele. Eines davon ist die Leaderregion Traunstein, zu der sich 13 Gemeinden, darunter die Traunseegemeinden Gmunden, Altmünster und Traunkirchen, zusammengeschlossen haben, an der sich aber die am Südufer des Traunsees gelegene Gemeinde Ebensee nicht beteiligt hat. In Interviews, die im Rahmen einer 2013 abgeschlossenen Diplomarbeit durchgeführt wurden, äußerte der Bürgermeister von Altmünster die Vermutung, dass dies darin begründet sei, dass sich Ebensee zum inneren Salzkammergut zugehörig fühle und daher einer hauptsächlich aus Gemeinden des äußeren Salzkammergutes bestehenden Kooperationsgemeinschaft nicht beitreten wollte. Aus Sicht des Gmundner Bürgermeisters spielte dies wohl auch für die Nichtteilnahme Ebensees
46 Feichtinger, Lackernpascher, S. 25.
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an der Kläranlage Traunsee Nord eine Rolle.47 Die Bedeutung der Zurechnung zum Äußeren Salzkammergut mit Gmunden als Zentralort und zum Inneren Salzkammergut mit Bad Ischl als Zentralort kommt auch in der Einschätzung des Gmundner Bürgermeisters zum Ausdruck, »dass man Ebensee von der Bevölkerung schon eher zu Bad Ischl geben kann, weil sie doch ein wenig eine andere Sprache haben, einen anderen Dialekt haben als wir«. Daraus leitet er seine Skepsis ab, »ob sich der Gmundner mit dem Ebenseer oder der Ebenseer mit dem Gmundner« zu einer gemeinsamen Regionalität bekennen würde.48 Als eine noch heute wirksame symbolische Grenze zwischen dem Gmundner bzw. dem Traunkirchner und dem Ebenseer Regionalbewusstsein gilt das Löwendenkmal, das sich zwischen Traunkirchen und Ebensee befindet. Dieses wurde 1861, anlässlich der Fertigstellung der Straßenverbindung zwischen Gmunden und Ebensee, zu Ehren Kaiser Franz Josephs errichtet. Bezeichnend ist, dass in den Interviews historische – im engeren Sinn wirtschaftshistorische – Begründungen angesprochen werden, in deren Zentrum die Positionen Gmundens als Handels- und Verwaltungszentrum und Ebensees als Produktions standort stehen. So meinte der Bürgermeister von Ebensee : »In Ebensee ist immer Salz produziert worden, und in Gmunden ist gehandelt worden. Wo der Handel vollzogen wurde, war auch die Finanz flüssig. Hier [in Ebensee] hat man hart arbeiten müssen. Dadurch hat es Ressentiments gegeben.« Und der Bürgermeister von Altmünster ergänzte : »Es gibt die Stadt, die Stodara, die Gmundner, die dich spüren lassen, dass sie aus der Stadt sind. Ebensee war lange abgeschnitten. Hier gab es lange keinen Kontakt.«49 Dass derartige Rivalitäten mit wirtschaftshistorischem Hintergrund im Salzkammergut kein Einzelfall sind, zeigt beispielsweise eine Auseinandersetzung im steirischen Salzkammergut zwischen Bad Mitterndorf und Bad Aussee, die sich im Zuge der Debatten über die Errichtung eines Fremdenverkehrsverbandes im steirischen Salzkammergut zu Beginn des neuen Jahrtausends ergeben hat. Hinsichtlich einer offensichtlich befürchteten Dominanz des ehemaligen Salinenstandortes Bad Aussee gegenüber der ehemaligen Zulieferregion »Hinterberg« sah sich der Bürgermeister von Bad Mitterndorf zu einer emotionsgeladenen Feststellung veranlasst, die recht deutlich langfristige mentale Folgen alter struktureller Hierarchien durchscheinen lässt : »Bad Mitterndorf war eine Arbeiterregion und in Bad Aussee blühte der Handel mit Salz […]. Bei uns verunglückten die Leute bei der Waldarbeit oder bei der Holzbringung und in Bad Aussee nach zu viel Alkohol bei Festen und Feiern.«50 47 Ebenda, S. 23. 48 Ebenda, S. 26. 49 Feichtinger, Lackernpascher, S. 27. 50 Kleine Zeitung, 10. September 2002
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Aber auch die Unterschiede in den örtlichen wirtschaftshistorischen Entwicklungspfaden nach der endgültigen Auflösung des alten Salzkammergutes in der Mitte des 19. Jahrhunderts wirkten und wirken in der regionalen Bewusstseinshaltung weiter. So entwickelte sich Ebensee zu einem Industriestandort mit einer ausgeprägten Abhängigkeit von der überregionalen Industriekonjunktur und damit auch von immer wiederkehrenden Krisen. Demgegenüber entfaltete Gmunden neben und in Verbindung mit seiner Position als Bezirkshauptstadt und regionales Verwaltungszentrum eine deutlich diversifiziertere Wirtschaftsstruktur in den Bereichen Handel, Gewerbe, Industrie und Fremdenverkehr.51 Ein Blick auf das Ausseerland – also das »steirische« Salzkammergut – zeigt, dass dort ebenfalls Unterschiede in den örtlichen wirtschaftshistorischen Entwicklungspfaden nach dem Ende der »alten« Salzregion im Zuge der Entfaltung der Tourismusregion gegeben waren. Und so wie bei den Traunseegemeinden liegen auch hier wesentliche Anlässe bzw. Gründe für teilregionale sowie interkommunale Abgrenzungen, Differenzen und Rivalitäten vor. Aussee blieb, vereinfacht dargestellt, weiterhin sehr stark von der ärarischen Wirtschaft und Verwaltung (Saline, Salzberg, Eisenbahn, Post etc.) in Verbindung mit kleinstrukturierter Nebenerwerbslandwirtschaft bestimmt. In »Hinterberg« setzte im Anschluss an die »Bauernbefreiung« sowie in Folge des Auslaufens der Zulieferfunktion bei Holz und landwirtschaftlichen Produkten in die Ausseer »Salzmetropole« eine gegenüber dieser eigenständigere Entwicklung, gewissermaßen eine wirtschaftliche »Emanzipation« ein. Getragen wurde diese von der Dominanz des privaten Unternehmertums in der vergleichsweise großteiligen Landwirtschaft (Großbauerntum) sowie in weiterer Folge im gewerblichen Sektor, verbunden mit einer stärkeren Orientierung in Richtung Ennstal, sowie von einer eigenständigen Entwicklung im Fremdenverkehr. Während im Ausseer Becken der Sommerfrischentourismus expandierte und dominierte, war es in »Hinterberg« vor allem der Winterfremdenverkehr.52 Zugleich blieb das Ende der »alten Salzstraße« in Pichl/ Kainisch eine symbolische Grenzmarke zwischen diesen beiden Teilgebieten des steirischen Salzkammergutes. Im ambivalenten Verhältnis der heute unbestritten als wichtige Salzkammergutorte geltenden Gemeinden Gmunden und Ebensee und deren Zurechnung zum äußeren und inneren Salzkammergut kommt auch die Frage der Zentralität, die die inner- und interregionalen Rivalitäten im Salzkammergut-Bewusstsein immer wieder bestimmt, in exemplarischer Weise zum Tragen. So gab es etwa im Zuge des Wahlkampfes 2009 (Gemeinderats- und Landtagswahlen) helle Empörung in Ebensee, als die Gmundner nach der Ortsgrenze von Ebensee plakatierten : »Hier verlassen Sie Ebensee. Wenn Sie ins Herz des Salzkammergutes wollen, fahren Sie weiter. Gmun51 Feichtinger, Lackernpascher, S. 125. 52 Lamer, Reinhold : Das Ausseer Land. Geschichte und Kultur einer Landschaft, Graz 1998, S. 191f.
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den. Noch 15 km bis daheim«. Der Ebenseer Vizebürgermeister richtete seinem Gmundner Kollegen aus : »Der Kollege Köppl kann sich seine Wand im Ebenseer Altstoffsammelzentrum abholen, Transportrechnung inklusive !« Aus Ebenseer Sicht war klar, dass das »Herz des Salzkammergutes« natürlich Bad Ischl als Zentralort des inneren Salzkammergutes sei, dem man sich historisch zurechnet.53 Mit dem Begriff »Herz des Salzkammergutes« wurde übrigens eine Bezeichnung aufgegriffen, die im Zuge der Formierung des Salzkammergutes als Tourismusregion in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgekommen war und um den bereits damals bald konkurriert worden ist. Dass die mit der Bezeichnung »Herz des Salzkammergutes« insinuierte Frage nach dem Zentrum der Tourismusregion Salzkammergut offen blieb, speziell in Form einer latenten Konkurrenz zwischen Bad Ischl und Gmunden, kommt beispielsweise in einem Reiseführer aus den frühen 1980er-Jahren zum Ausdruck : »Wenn ein Ort neben Bad Ischl als heimliche Hauptstadt des Salzkammergutes gelten kann, dann Gmunden am Nordufer des Traunsees, der alte Hauptort des Kammergutes und heute als Bezirkshauptstadt administrativer Mittelpunkt der Region.«54 Darüber hinaus kam und kommt gerade im Bereich des Salzkammergut-Tourismus und dessen institutioneller Organisation das Bestreben der Teilregionen nach zumindest relativer Eigenständigkeit bzw. eigenständigem Auftreten immer wieder zur Geltung. So gab es beispielsweise im Vorfeld des im Jahr 1991 erlassenen neuen oberösterreichischen Tourismusgesetzes heiße Debatten darüber, wie es mit dem zu diesem Zeitpunkt bereits seit 100 Jahren bestehenden »Salzkammergut-Verkehrsverband« weitergehen sollte. Diesem gehörten seit der Gründung auch die Gemeinden des Ausseerlandes, also des steirischen Salzkammergutes sowie die salzburgischen Salzkammergutorte an. Im Hinblick auf ein in Diskussion stehendes Ausscheiden des Ausseerlandes aus dem Verband warnte dessen Präsident in einer Festschrift zum 100-jährigem Bestehen eindringlich vor einer »Zerreißprobe im ›zehnten Bundesland‹ Salzkammergut«, die durch das neue Gesetz drohen würde.55 Auch der Direktor des steirischen Tourismusverbandes sprach sich für einen Verbleib des Ausseerlandes beim Salzkammergut-Verkehrsverband aus und bezeichnete es als »Wahnsinn«, sollte das steirische Salzkammergut aus dem Verband ausscheiden.56 Und der Vizepräsident des Verbandes, der Rösslwirt in St. Wolfgang, blies in dasselbe Horn, wenn er meinte : »Wie die steirischen sollten auch die salzburgi-
53 Feichtinger, Lackernpascher, S. 27f. 54 Treffer, Günter.: Salzkammergut, in : ÖAMTC-Betriebe Ges.m.b.H. (Hg.) : Österreich. Touring Revue. Bilder und Berichte von bleibendem Wert, Wien 1981, S. 32–39, zit. nach : Pauli, Das Salzkammergut, S. 106. 55 Pilz, Karl (Hg.) : 100 Jahre Salzkammergut-Verkehrsverband 1891–1991, Bad Ischl 1991. 56 Ebenda, S. 61.
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schen Salzkammergutorte vom Verkehrsverband-Salzkammergut nicht aufgegeben werden, Strobl wie schon bisher, aber auch St. Gilgen und Fuschl sollten wieder dem Salzkammergut-Verkehrsverband angehören. Wenn das Salzkammergut eine touristische Einheit bilden soll, dann müsste sich für dieses Ziel auch eine Lösung finden lassen.«57 Diese Lösung wurde auch gefunden, und das Ausseerland sowie die Salzburger Salzkammergutgemeinden blieben beim Verband. Kamen also in diesem Zusammenhang auch die für die Bestimmung der Salzkammergut-Regionalität maßgeblichen Bundesländerinteressen zum Tragen, so war das auch im Hinblick auf eine deutliche Erweiterung des Verbandsgebietes der Fall. So wurden der nunmehr in Oberösterreich gebildeten »Tourismusregion Salzkammergut« von behördlicher Seite weitere Tourismusorte zugeordnet, ein Faktum, das innerhalb des bisherigen Verbandes alles andere als unbestritten war, da damit die bisherige Begriffsregion in Gebiete ausgedehnt wurde, die in keiner engeren funktionalen Verbindung mit dem historischen Salzkammergut gestanden sind. Das betraf Berg im Attergau, Gschwandt, Laakirchen, Oberhofen am Irrsee, Oberwang, Pinsdorf, Vöcklamarkt, Bad Wimsbach-Neydharting und Vöcklabruck. Angelika Pauli, die das Salzkammergut unter dem Aspekt »raumbezogene Urteilsstereotype und Mental Maps« untersucht hat, konstatiert : »Von einer Ähnlichkeit mit dem Gebiete des einstigen Salzkammergutes kann schon längst nicht mehr die Rede sein […]. Letzten Endes stellt sich die Frage, ob auch die Bevölkerung in ihrer Einstellung und Auffassung diesen Wandel mitgemacht hat.«58 Ungeachtet dessen wurde das nun deutlich vergrößerte Salzkammergut mehr denn je gleichsam offiziell als Tourismusregion identifiziert bzw. etikettiert. Damit erfolgte die Verstärkung eines das gesamte Gebiet umspannenden Markennamens, mit dem Bilder und Vorstellungen bestimmter räumlicher sowie ökonomischer und kultureller Befindlichkeiten und damit auch bestimmte Erwartungshaltungen verbunden wurden.59 Im Zusammenhang mit dem Tourismus lässt sich aber auch, wiederum exemplarisch im Traunseegebiet, ein weiteres, letztlich für alle Teilregionen bzw. das heutige Salzkammergut in seiner Gesamtheit kennzeichnendes Regionalitäts-Charakteristikum in exemplarischer Weise erkennen. Dabei handelt es sich um einen gewissen Zwang zur Kooperation und gemeinsamen Vermarktung im Tourismus und damit in Zusammenhang um eine mehr oder weniger notdürftige Überlagerung inner- bzw. interregionaler Differenzen. Gehen Letztere zu einem wesentlichen Teil auf die historische Tiefenstruktur der alten Salzregion und deren Veränderung zurück, so hat 57 Ebenda, S. 31. 58 Pauli, Das Salzkammergut, S. 61. 59 Ebenda, S. 61 ; Mayr, Manfred : Das Salzkammergut als Fremdenverkehrs-Landschaft : Geschichte und ihre Vermarktung Diplomarbeit, Linz 1991 ; Altmanninger, Sigrid : Urlaubsregion Salzkammergut : Image und Akzeptanz aus der Sicht des Gastes. Diplomarbeit, Linz 1997.
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auch der Zwang, aber auch der Wille zur Kooperation und gemeinsamen Vermarktung im Tourismus eine bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Tradition. Wurde doch im Jahr 1891 der bereits erwähnte »Salzkammergut-Verkehrsverband«, damals unter der Bezeichnung »Verband der Curorte und Sommerfrischen im Salzkammergute«, mit Sitz in Gmunden gegründet.60 Mit dieser ersten Institutionalisierung der Tourismusregion Salzkammergut konstituierte sich die Region als fremdenverkehrswirtschaftliche Zweckgemeinschaft, unter der bzw. neben der aber ältere Spannungen weiter bestanden und im Regionalbewusstsein vorhanden und wirksam geblieben sind. Zugleich prägte die Konkurrenz zwischen den Fremdenverkehrsorten ebenso wie die Diskrepanzen zwischen den touristischen Ansprüchen und insbesondere dem industriell-gewerblichen Sektor, der zunehmend regionalwirtschaftliche Bedeutsamkeit erlangte, die regionale Entwicklung und Bewusstseinslage. Und das ist im Grunde bis heute so geblieben, wie sich wiederum beispielhaft im Traunseegebiet zeigt. Dort wurde im Jahr 2000 der gemeindeübergreifende Regionalverband »Ferienregion Traunsee-Salzkammergut« mit dem Ziel einer touristischen Vermarktung der Region unter der Dachmarke »Salzkammergut« gegründet. Im Zuge der Bildung dieses gemeinsamen Verbandes wurden sämtliche Ortsverbände aufgelöst, die bis dahin in dem im Jahr 1968 geschaffenen »Traunseering« kooperierten, aber auch konkurrierten. Dabei stellte sich bei manchen die Frage, ob man mit der Beibehaltung eines eigenen Ortsverbandes nicht besser gefahren wäre.61 Hinter der gemeinsamen Verbandslösung stand aber ebenso die Ansicht, dass mit dieser ein gemeinsamer Nenner der Regionalentwicklung geschaffen werde, der auch für die einzelnen Orte von Bedeutung sei. In diesem Sinne kam die Verbandgründung, an der sich auch Ebensee beteiligte, letztendlich zustande. Dies jedoch nicht ohne vorausgehende intensive Diskussionen, in denen einmal mehr tiefer liegende, im Grunde historisch begründete Gegensätze und Rivalitäten zum Tragen kamen. Diese blieben in der Folge auch unterhalb bzw. innerhalb der tourismuswirtschaftlichen Zweckgemeinschaft erhalten. Demgegenüber steht das Faktum, dass der Tourismus in der regionalen Wirtschaftsstruktur und Wertschöpfung mit einem Anteil des Beherbergungs- und Gaststättenwesens von rund acht Prozent der Arbeitsstätten in den Traunseegemeinden (Gmunden, Altmünster, Traunkirchen und Ebensee) quantitativ nur eine nachrangige Stellung einnimmt. Die Wirtschaftskammer Gmunden sieht die Traunseeregion wirtschaftlich vorrangig von Gewerbe und Industrie geprägt, misst aber dem Tourismus eine Schlüsselfunktion zu.62 Indem diese Zuschreibung einer Schlüsselfunk60 Pilz, 100 Jahre Salzkammergut-Verkehrsverband. 61 Feichtinger, Lackernpascher, S. 33f. 62 Ebenda, S. 33f.
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tion eine Abhängigkeit der regionalen Wirtschaft vom Tourismus suggeriert bzw. postuliert, provoziert sie zugleich in der Bewusstseinshaltung der regionalen Bevölkerung eine gewisse Distanzierung von dieser Zuschreibung und der Abhängigkeit vom Tourismus, ein Phänomen, das vielfach im Salzkammergut anzutreffen ist. So meinte der Tourismusdirektor der Ferienregion Traunsee im Interview : »Gmunden ist eine klassische Bezirksverwaltungsstadt mit einem sehr starken Handel […]. Es ist diese Gesinnung gegenüber dem Tourismus nicht wirklich da. Das gleiche in Altmünster. Altmünster ist eine klassische Wohngemeinde, wo die Einwohner gerne ihre Ruhe hätten und nicht so viel mit dem Tourismus [zu tun haben wollen]. Okay, das muss man akzeptieren.«63 Analoges ließe sich wohl auch für Ebensee als »klassischem« Industriestandort sagen. Das gilt aber auch für andere historische Salzwirtschaftsstandorte im Salzkammergut. Hier kann wieder das Ausseerland bzw. steirische Salzkammergut angeführt werden, wo der Tourismus von der Salzarbeiterschaft bzw. überhaupt den im Salz Beschäftigten zunächst als Zusatz und bald als Ersatz für den Rückgang der Bedeutung der Salzwirtschaft erlebt und empfunden wurde. Das gilt aber auch für die Beschäftigten im Ärar ebenso wie für das landwirtschaftliche und gewerbliche Unternehmertum in »Hinterberg«. Ungeachtet dessen kann aber generell davon ausgegangen werden, dass ansatzweise in der Zwischenkriegszeit und dann in zunehmendem Maße ab den 1950erJahren die Bedeutung der Fremdenverkehrswirtschaft als regionaler »leading sector« allgemein anerkannt und auch entsprechend betrieben und gefördert wurde. Zugleich aber sind mentale Reserven gegenüber den »Fremden« bzw. den »Touristen« entwickelt und tendenziell verstärkt worden, aber auch gegenüber den »Zugereisten« und damit gegen eine mögliche touristische Überlagerung und Bedrohung von Lebenswelten, die als autochthon empfunden oder als bäuerlich, salzwirtschaftlich oder gewerblich-industriell stilisiert werden. Inwieweit diese in der aktuellen neuen Heimatkultur der jüngeren Generationen eine Rolle spielt bzw. spielen wird, muss an dieser Stelle offen bleiben, ist aber eine interessante Frage hinsichtlich der weiteren Entwicklung der regionalen Identitätsstrukturen im Salzkammergut. Jedenfalls ergibt sich für das Traunseegebiet, wiederum in exemplarischer Weise für das Salzkammergut an sich, der Eindruck einer ambivalenten Gemengelage des Regionalbewusstseins, die aus einem zweckrationalen Einverständnis mit der Eigen schaft als Tourismusregion einerseits, aber einer darüber hinaus vergleichsweise nur gering gelebten gemeinsamen Regionalität andererseits resultiert. Manuela Feichtinger kommt zu der Schlussfolgerung, dass die vier Traunseegemeinden zwar unter der Dachmarke »Ferienregion Traunsee« firmieren, »selbst jedoch oft dürftig miteinander kooperieren und somit auch nicht das Gefühl vermitteln, als Region 63 Feichtinger, Lackernpascher, S. 36.
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aufzutreten. Der Grundgedanke der Zusammengehörigkeit, den der Tourismusverband vermitteln möchte, scheint noch wenig bei den direkt Beteiligten angekommen zu sein. Deshalb fällt es auch Teilen der Bevölkerung noch schwer, sich mit der Ferienregion Traunsee identifizieren zu können bzw. den Traunsee in diesem Zusammenhang als Region zu sehen.«64 Neben eigener Anschauung und Erfahrung stützt sie sich dabei auf die Ergebnisse einer im Rahmen ihrer Diplomarbeit durchgeführten Umfrage.65 Dabei waren nur 47 Prozent der Befragten der Meinung, dass die Gemeinden Gmunden, Altmünster, Traunkirchen und Ebensee als gemeinsame Region auftreten, während 42 Prozent dies verneinten und 11 Prozent indifferent blieben. Immerhin 64 Prozent sahen ein »gewisses Konkurrenzdenken« zwischen den Gemeinden und nur 8 Prozent nicht. 28 Prozent hatten dazu keine Meinung. Zugleich waren 92 Prozent der Ansicht, dass sich eine intensivere Zusammenarbeit der Orte positiv auf die Traunseeregion auswirken würde und nur zwei Prozent nicht, sechs Prozent blieben unentschieden. Interessant ist die Einschätzung der Bedeutung von Wirtschaftssektoren für die Region insofern, als dabei Tourismus und Freizeitwirtschaft in weitaus überwiegendem Ausmaß an die erste Stelle und Gewerbe, Industrie und Handel mit deutlichem Abstand dahinter gereiht wurden. In gewisser Weise spiegelt sich darin die Zuschreibung als Tourismusregion und daran geknüpfte Erwartungen hinsichtlich der weiteren Regionalentwicklung. In der Beantwortung der Frage, worin sich die Traunseegemeinden unterscheiden, treten langfristig wirksame und damit in der historischen Tiefenstruktur begründete Faktoren zutage. So wurden am häufigsten Traditionen und Brauchtum genannt, an zweiter Stelle Sprache bzw. Dialekt, an dritter Stelle die wirtschaftliche Entwicklung und dahinter Geschichte und Landschaft. Gerade im Bereich des Brauchtums kommen unterhalb einer quasi oberflächlichen Tourismus-Regionalität wirksame innerregionale Spannungen und Differenzen auf der kulturellen Ebene zum Ausdruck : »Zwar wird die Marke Ferienregion Traunsee als regionale Organisation anerkannt, außerhalb dieser Institution kann man sich jedoch, obwohl auch in der Politik Ansätze des regionalen Denkens gefunden werden können, relativ wenig mit dem Gedanken anfreunden, als Gesamtes aufzutreten. Grabenkämpfe zwischen den Gemeinden, welche etwa den Ursprung eines Brauchs zum Thema haben, unterstreichen den Widerwillen der Gemeinden, sich als Ganzes zu sehen.«66 Kann man aufgrund zahlreicher Forschung auf diesem Gebiet67 davon 64 Ebenda, S. 38. 65 Feichtinger, Lackernpascher, S. 47f. 66 Ebenda, S. 125. 67 Hellmuth, Thomas : »Die alte Zeit mit ihrer poetischen Beschaulichkeit …«. Kulturelle Traditionen und Identitäten in europäischen Salzregionen (1800–2000), in : Ders./Hiebl, Ewald (Hg.) : Kulturgeschichte des Salzes. 18. bis 20. Jahrhundert, Wien/München 2001, S. 241–266 ; Hellmuth, Das Salzkammergut, S. 340f.
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ausgehen, dass Traditionen und Brauchtum wesentlich aus den wirtschaftlichen Verhältnissen und damit verbundenen Lebensbedingungen, Lebensweisen und Lebenswelten heraus resultieren, dann ist man einmal mehr auf die wirtschaftshistorischen Tiefenstrukturen verwiesen. Diese erklärt letztendlich auch zum Teil die Ambivalenzen zwischen dem Homogenitätsanspruch der Tourismusregion Salzkammergut einerseits und der inneren Differenziertheit der Salzkammergut-Regionalität bzw. der Salzkammergut-Identität(en) andererseits. Die für die Traunseeregion und den dortigen Tourismusverband »Ferienregion Traunsee – Salzkammergut« gemachten Beobachtungen können durchaus als exemplarisch für die Tourismusregion Salzkammergut in ihrer Gesamtheit gesehen werden, die sich aktuell in der »Ferienregion Salzkammergut« organisiert hat und vom Dachsteingebiet im Süden bis Vöcklabruck im Norden und von Bad Mitterndorf im Osten bis Thalgau bzw. bis an die Grenzen der Stadt Salzburg im Westen erstreckt.68 Neben innerregionalen Spannungen und Differenzen, die unter anderem bei Bemühungen um gemeinsame Projekte, beispielsweise bei den lea der-Projekten69, wirksam wurden und werden, ist dabei die Abgrenzung nach außen bzw. die »Noch-Zugehörigkeit« zum Salzkammergut eine immer wieder heiß diskutierte Frage, ebenso wie auch jene des Stellenwertes von Teilregionen und Zentralorten. Wenn man nun daran geht, die hinter all dem stehende wirtschaftshistorische Tiefenstruktur näher zu betrachten, so kann man im Hinblick auf die letzten 300 Jahre von mehreren Spannungsfeldern ausgehen, die die Entwicklung und Veränderung der Salzkammergut-Regionalität bestimmt haben und deren Charakteristik auch heute bestimmen. Diese Spannungsfelder sind damit bei näherer Betrachtung auch wesentliche Elemente in der aktuellen Wahrnehmung der Region als Kulturlandschaft und deren »politischer Grammatik«. Deren Erforschung ist in jüngster Zeit ein Teilgebiet der Regionalforschung, das sich in interdisziplinärer Weise der Rekonstruktion und Interpretation der politischen Bedeutung von Landschaft als Lebensraum widmet, wobei gerade den langfristig wirksamen historischen Spannungspotenzialen wesentliche Bedeutung beigemessen wird.70 So lassen sich im langfristigen Wachstums- und Modernisierungsprozess des Salzkammergutes zumindest sieben derartige Spannungsfelder mit nachhaltiger Prägewirkung auf die Salzkammergut-Regionalität identifizieren.71 Erstens die instituti68 www.salzkammergut.at, abgerufen : 3. Oktober 2014. 69 Bei le a der (Liaison entre actions de développement de l’économie rurale) handelt es sich um Förderprogramm der Europäischen Union, das seit 1991 innovative Projekte bzw. Entwicklungskonzepte im ländlichen Raum finanziert. 70 Kittel, Günter u. a.: Projektbereich Politische Grammatik (WKW – Institut für interdisziplinäre Forschung und Beratung. Raum und Ökonomie. Forschungsschwerpunkt Kulturlandschaft : Kulturlandschaft im Kopf). Forschungsbericht, Wien 1997. 71 Dirninger, Historische Standortanalyse, S. 228f.
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onell-räumlichen Abgrenzungen und Zentralörtlichkeiten der »Salzkammergüter« im Rahmen des feudalrechtlichen bzw. landesfürstlichen Verwaltungssystems sowie die strukturellen Hierarchien und Abhängigkeiten in der salzwirtschaftlichen Wertschöpfungskette bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, also in der »alten« Salzregion bzw. dem »klassischen« Salzkammergut. Zweitens die Transformation der »alten Salzregion« mit ihren spezifischen strukturellen Prägungen, Traditionen und regionalen Hierarchien in eine Tourismusregion ab der Mitte des 19. Jahrhunderts sowie die im Grunde bis heute erkennbaren Nachwirkungen dieser strukturellen Prägungen, Traditionen und Hierarchien. Damit sind etwa Prozesse wie die Verschiebung wirtschaftlicher Schwerpunktzonen sowie räumlicher Zentralitäten in der Region verbunden, d. h. von den Standorten der Salzproduktion hin zu den landschaftlich attraktiven Gebieten, speziell den Seenlandschaften. Parallel dazu bildeten sich in den alten Zulieferregionen bzw. Widmungsgebieten der Salzwirtschaft schrittweise industrielle Produktionsstrukturen heraus, so zum Beispiel im sogenannten »äußeren Salzkammergut« im heutigen Bezirk Gmunden. Von spezifischer Bedeutung ist dabei auch, dass im Zuge dieser Prozesse in etlichen Teilregionen außerhalb der Salzwirtschaft gelegene bzw. nur peripher damit verbunden gewesene proto- und frühindustrielle Produktionsstrukturen überlagert und verdrängt worden sind. Dies ist etwa mit der Spitzenklöpplerei und der Glasproduktion im Raum St. Gilgen-Abersee der Fall.72 Ein drittes Spanungsfeld liegt in der »Modernisierung« des Tourismus im Verlauf des 20. Jahrhunderts und dem dabei gegebenen Verhältnis von Tradition und Innovation in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht. Hier kommen die Möglichkeiten und Grenzen des regionalen Innovationstransfers in spezifischer Weise zum Tragen. Das reicht beispielsweise von der »Motorisierung« des Tourismus bis hin zum »ETourismus«.73 Ein viertes Spannungsfeld stellen die Differenzen zwischen »Außensicht« und »Innensicht«, also zwischen der Zuschreibung des Charakters der Tourismus region einerseits und den regionalen Lebenswelten andererseits dar. Hier setzen in besondere Weise die für Tourismusregionen durchaus typischen regionalen Identitäts- und Identifikationsprobleme an. Das betrifft beispielsweise die Frage nach der Motivation der regionalen Bevölkerung, ihren Lebensraum sowie ihre tradierten wirtschaftskulturellen Lebenswelten und Lebensweisen den Ansprüchen und Anforderungen des Tourismus bzw. des Tourismusmarketing anzupassen.74 Ebenso aber 72 Ziller, Leopold : Vom Fischerdorf zum Fremdenverkehrsort. Geschichte St. Gilgens und des Aberseelandes, St. Gilgen 1988. 73 Haas, Hanns u.a. (Hg.) : Weltbühne und Naturkulisse. Zwei Jahrhunderte Salzburg-Tourismus, Salzburg 1994. 74 Hellmuth, Thomas/Hiebl, Ewald : Kulturgeschichten des Salzes (18. bis 20. Jahrhundert). Einführung in neue Forschungsperspektiven, in : Dies. (Hg.), Kulturgeschichte des Salzes, S. 19f, 36–38.
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betrifft dies die Frage nach dem Stellenwert wirtschaftlicher Alternativen, etwa im Bereich der gewerblich industriellen Produktion oder im Bereich der Informationstechnologie. Das fünfte Spannungsfeld ist das Verhältnis der Teilregionen des »Salzkammergutes« zueinander sowie jeweils zur Gesamtregion, wobei der Anteil der jeweiligen Teilregion an Wachstum und Wertschöpfung des Tourismus eine besondere Rolle spielt. Vor allem zwei Verhältnisse scheinen hier von wesentlicher Bedeutung : Erstens das Verhältnis von »Gewinner- und Verliererregionen«. Zweitens das Verhältnis des nördlichen Salzkammergutes, das in seiner Wirtschaftsstruktur und damit seinem Wachstumspotenzial wesentlich vom gewerblich-industriellen Sektor geprägt ist, zum südlichen Salzkammergut, dessen wirtschaftliche Entwicklung vorrangig vom Tourismus getragen wird. Ein sechstes Spannungsfeld ergibt sich aus der räumlichen Ausdehnung der Tourismusregion Salzkammergut, insbesondere in westlicher und östlicher Richtung. Daraus ergab sich im Rahmen der langfristigen Entwicklung tendenziell eine Veränderung der Gravitations- und Zentralitätsverhältnisse. Dies wird beispielsweise im Verhältnis zur Stadt Salzburg bzw. dem östlichen Teil des Salzburger Zentralraumes deutlich, wobei die Zugehörigkeit der Stadt Salzburg zur Tourismusregion Salzkammergut eigentlich nur noch als eine Frage der Zeit erscheint. Ähnliches scheint sich im Hinblick auf den Raum Wels-Steyr abzuzeichnen. Das siebente Spannungsfeld betrifft das Verhältnis zwischen differenten regionalen Interessenlagen in den Teilregionen und »zentralen« regionalpolitischen Zielsetzungen, Initiativen und Maßnahmen. Geht es dabei primär um das ambivalente Verhältnis zwischen den lokalen Interessen einerseits und der regionalen Strukturpolitik auf Landesebene andererseits, so ist im Salzkammergut die Situation zusätzlich in spezifischer Weise komplex, als sich diese Region zunächst über drei Landesherrschaften, sodann über drei Kronländer und schließlich über drei Bundesländer (Salzburg, Oberösterreich, Steiermark) erstreckte bzw. erstreckt.
Strukturelle Hierarchien in der »alten Salzregion« bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts Für die langfristige Prägung der Gesellschaftsstruktur, der Lebenswelt(en) und des Regionalitätsbewusstseins im Salzkammergut durch regionale strukturelle Hierarchien erscheinen zwei eng miteinander verbundene Wirkungsfaktoren maßgeblich. Das ist erstens die Konstitution und Entwicklung des »Salzkammergutes« als Verwaltungsregion der besonderen Art (»Staat im Staat«) ab dem 16. Jahrhundert, wobei es ab Mitte des 18. Jahrhunderts im Zuge des Reformabsolutismus zu einem Abbau wesentlicher Elemente dieser Sonderstellung gekommen ist. Und das ist
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zweitens die Entwicklung des »Salzkammergutes« als integriertes wirtschaftliches Wertschöpfungssystem bzw. spezifisch strukturierte Wertschöpfungskette, die von der Urproduktion bis hin zur Vermarktung im Bereich der landesfürstlichen bzw. staatlichen Wirtschaft reicht. Generell verbunden mit beiden Wirkungsfaktoren besitzt das staatswirtschaftliche Element in der Entwicklung des Regionalbewusstseins große Bedeutung. Und zwar in ambivalenter Weise : Einerseits im Sinne eines besonderen Stellenwertes der eigenen Region durch die unmittelbare Zugehörigkeit zum landesfürstlichen (staatlichen) System sowie hinsichtlich damit verbundenen Privilegierungen. Andererseits im Sinne des Beharrens auf Eigenständigkeit gegenüber Zentralitäts- bzw. Zentralisierungsansprüchen der überregionalen »Obrigkeit« und dem damit verbundenen drohenden bzw. realen Verlust von Privilegierungen. Das »Salzkammergut« als spezifische Verwaltungsinstitution Die Konstitution als Verwaltungsregion der besonderen Art, als »Salzwirtschafts staat«75, basiert im Wesentlichen auf der Herausbildung des landesfürstlichen Kammergutes in Verbindung mit der Durchsetzung des landesfürstlichen Monopols der Salzproduktion und im Salzhandel. Dabei erfolgte bereits eine wesentliche Grundlegung der späteren Differenzierung in ein »oberösterreichisches« und ein »steirisches« Salzkammergut. Das Ischlland, das vom Südufer des Traunsees bis zum Südende des Hallstätter Sees einschließlich des Gosautales reicht, wurde im frühen 16. Jahrhundert im Zuge der Einrichtung der Hofkammer verwaltungsmäßig aus dem »Lande ob der Enns« herausgelöst und der niederösterreichischen Kammer unterstellt. Damit bekam es innerhalb des landesfürstlichen Verwaltungssystems eine Sonderstellung. Analoges gilt für das Ausseerland, das der innerösterreichischen Kammer unterstellt wurde.76 Für das oberösterreichische Salzkammergut fand diese Sonderstellung in der Folge aufgrund der überragenden Bedeutung des Salzes bzw. der Salzwirtschaft für den landesfürstlichen bzw. kaiserlichen Etat in einem eigenen Organisationsstatut, den sogenannten »Reformationslibellen« von 1524, 1563 und 1656, formalrechtlichen Ausdruck.77 Diese »Reformationslibelle« waren umfangreiche Erlässe, in denen die 75 Pauli, Das Salzkammergut, S. 29 ; Palme, Rudolf : Rechts-, Wirtschafts-, und Sozialgeschichte der inneralpinen Salzwerke bis zu deren Monopolisierung, Frankfurt a. M./Bern 1983. 76 Pauli, Das Salzkammergut, S. 29f ; Kurz, Michael. Kammergut – Jammergut. Die demographischen Strukturen des Salzkammergutes von 1600 bis 2000 mit besonderer Berücksichtigung von Bad Goisern. Dissertation, Salzburg 2002, S. 43 ; Idam, Fritz : Pfannhaus Hallstatt. Unter der Idylle liegt die Fabrik, in : Blätter für Technikgeschichte, 63 (2001), S. 168. 77 Zur Entwicklung der Verwaltungsstrukturen des Salzkammergutes ausführlich : Hufnagl, Franz : Die Maut zu Gmunden. Entwicklungsgeschichte des Salzkammergutes, Wien/Köln/Weimar 2008, S. 229f.
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verwaltungsmäßige und wirtschaftliche Organisation des nunmehr auch explizit als »Salzkammergut« bezeichneten Gebietes im Detail festgelegt wurde.78 Die institutionelle Sonderstellung, die sich mit einer derartigen speziellen rechtlichen Rahmensetzung faktisch konstituierte und im regionalen Bewusstsein tradierte, spiegelt sich in der historiografischen Forschungsliteratur mit Bezeichnungen wie »politisches Gebilde von ganz spezifischem Charakter«, »Staat im Staat«, »etwas Besonderes, für sich Bestehendes«, »Salzwirtschaftsstaat«, »eigener, für sich abgesonderter kleiner Wirtschaftsstaat«, »Land im Lande« oder auch »Salzkammergutverfassung«.79 Für die räumliche Differenzierung des Salzkammerguts von Bedeutung ist, dass diese Reformationslibelle aber nur für den oberösterreichischen Teil des heutigen Salzkammergutes gültig waren. Dabei wurde Gmunden mit dem Sitz des Salzoberamtes, dem ein Salzamtmann vorstand und das der Hofkammer unterstellt war, Sitz der Verwaltung dieses Salzkammergutes. Darüber hinaus entwickelte sich Gmunden mit der Umladestelle vom See- auf den Flussverkehr zu einem zentralen Umschlagsund Handelsplatz. Ebenso wurde dort die Salzmaut eingehoben. Dem Gmundner Salzoberamt unterstanden die Verwesämter Ischl und Ebensee, das Hofschreiberamt Hallstatt, die Herrschaft Wildenstein und die Märkte Lauffen, Ischl und Hallstatt. Der Salzamtmann kontrollierte das Salzwesen in seiner Gesamtheit, vom Bergbau über die Sudhäuser bis hin zum Salztransport und Salzhandel sowie das Forstwesen.80 Die exemte Position des Salzkammergutes wurde auch dadurch unterstrichen, dass die Einreise in dieses Gebiet nur mit einem vom Salzoberamt ausgestellten Pass möglich war.81 Interessant und bedeutend für die innere Regionalstruktur ist, dass Gmunden – trotz seiner zentralen Positionierung als Verwaltungs- und Handelsplatz – per definitionem nicht direkter Teil des Salzkammergutes in dessen damaliger feudalrechtlicher Bedeutung als »Kammergut« war. Für die historische Wahrnehmung einer Salzkammergut-Identität, die über diese enge, spezifische Begriffsbestimmung hinausgeht, ist die Frage der Zugehörigkeit von Gmunden zum Salzkammergut bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts eine mit Interpretationsspielraum geblieben. Das be78 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 32, 34 ; 79 In der Reihenfolge der Zitate nach : Ebenda, S. 32f ; Kraus, Victor Felix : Die Wirtschafts- und Verwaltungspolitik des aufgeklärten Absolutismus im Gmundner Salzkammergut, Freiburg i. B./Wien 1899, S. 8, 11 ; Hoffmann, Alfred : Geschichte des Salzkammergutes, in : Der Heimatgau, 42/3 (1941), S. 37 ; Gleissner, Heinrich : Das Salzkammergut, Salzburg 1961, S. 1 ; Hoffmann, Alfred : Studien und Essays, ausgew. u. hg. von Alois Mosser, 2 Bände, Wien 1979, S. 167 u. 1981, S. 205 ; Zauner, Alois : Tausend Jahre Oberösterreich, in : Land Oberösterreich (Hg.) : Tausend Jahre Oberösterreich. Das Werden eines Landes, Wels 1983, S. 15 ; Gleissner, Das Salzkammergut, S. 5. 80 Pauli, Das Salzkammergut, S. 31, 35 ; Gleissner, Das Salzkammergut, S. 5 ; Treffer, Günter : Weißes Gold. 3000 Jahre Salz in Österreich, Wien/München 1981, S. 106. 81 Pauli, Das Salzkammergut, S. 41.
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Abb. 5 : Salzoberamt in Gmunden (Zeichnung von J. A. Wenzel). 1850 wurde das Salzoberamt – im Zuge der neu organisierten Staatswirtschaftsverwaltung – aufgelöst und das Salzwesen sowie das Forstwesen unter Aufsicht des Ministeriums für Landeskultur und Bergewesen gestellt.
trifft sowohl zentralörtliche Konkurrenzbeziehungen zwischen Ischl, das unmittelbarer Teil des »Kammergutes« war, und Gmunden ebenso wie die formal gar nicht existente, aber im Sprachgebrauch üblich gewordene teilregionale Gliederung in ein »inneres« und ein »äußeres« Salzkammergut. Bezeichnend dafür sind interpretative Definitionen und Zuordnungen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, also aus jener Zeit, in der das Salzwesen und das Forstwesen, das bislang dem feudalrechtlich begründeten »Kammergut« untergeordnet war, in die neu gebildete ministerielle Staatswirtschaftsverwaltung überführt wurde. In einem von Matthias Koch im Jahr 1846 herausgegebenen Reiseführer, heißt es : »Es gibt nur ein Salzkammergut […]. Die Einteilung in ein ›inneres‹ und ›äußeres‹ Salzkammergut ist unrichtig und eingebildet, denn Gmunden, der Traunsee und Ort, welche man zum äußeren zählt, gehören nicht mehr zum Pfleggericht Wilden-
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stein, folglich auch nicht zum Salzkammergut.«82 Und im Reiseführer von Schröckinger-Neudenberg wurde 1851 über das Salzkammergut festgestellt : »Es besteht eigentlich nur aus den drei Distrikten von Ebensee, Ischl und Hallstatt, doch wird gewöhnlich die Stadt Gmunden mit ihrer Umgebung unter der uneigentlichen Benennung des äußeren Kammergutes dazu gerechnet.«83 Als sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts Gmunden längst als prominenter touristischer Salzkammergutort etabliert hatte, war es für den legendären Gmundner Bürgermeister Ferdinand Krackowizer offenbar ein vorrangiges Bedürfnis, die Zugehörigkeit seiner Stadt zum alten Salzkammergut nachdrücklich zu unterstreichen und Ausgrenzungen heftig zu widersprechen. Zugleich begründete er die sich inzwischen eingebürgerte Gliederung in »inneres« und »äußeres« Salzkammergut : »Obwohl von der Herrschaft Wildenstein durch die Gebiete der Herrschaft Orth und des Klosters Traunkirchen räumlich getrennt, war sie [die Stadt Gmunden] doch mit dem landesfürstlichen Salzwesen seit alter Zeit auf das Innigste verknüpft und galt daher […] stets als ein höchst wichtiger Theil des Salzkammergutes.«84 In derartigen Aussagen wird auch erkennbar, wie angesichts des Endes des feudalrechtlich tradierten Salzkammergut-Begriffes um eine Weiterführung und inhaltliche bzw. räumliche Definition dieser Regionsbezeichnung gerungen wurde. Bemerkenswert für die innere Differenziertheit eines heutigen Salzkammergut-Bewusstseins ist, dass auf solche Argumentationen gelegentlich in innerregionalen Diskursen und Auseinandersetzungen Bezug genommen wird. Für das Ausseerland und damit für das nachmals so bezeichnete steirische Salzkammergut gab es mit den sogenannten Hallamtsordnungen ab dem frühen 16. Jahrhundert analog zu den für das oberösterreichische Salzkammergut geltenden Reformationslibellen ein eigenes Organisationsstatut.85 Die Eigenständigkeit gegenüber dem oberösterreichischen Salzkammergut fand auch darin Ausdruck, dass das Ausseerland bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts nicht dem Gmundner Salzoberamt und damit der Wiener bzw. niederösterreichischen Hofkammer, sondern der Grazer bzw. innerösterreichischen Hofkammer unterstand.86 82 Koch, Matthias : Reise durch Oberösterreich und Salzburg auf der Route von Linz nach Salzburg, Fuschl, Gastein und Ischl, Wien 1846, zit. nach : Pauli, Das Salzkammergut, S. 67. 83 Schröckinger-Neudenberg, Julius : Reisegefährte durch Oberösterreichs Gebirgsland. Ein Wegweiser in Linz und seiner Umgebung, durch das Salzkammergut nach Ischl und Salzburg. Nebst Ausflügen nach Gastein, Aussee, Spital am Pyhrn und einem großen Theile des Traunkreises, Linz 1851, zit. nach : Pauli, Das Salzkammergut, S. 67. 84 Krackowizer, Ferdinand : Geschichte der Stadt Gmunden in Oberösterreich, Gmunden 1898, zit. nach : Pauli : Das Salzkammergut, S. 67f. Zu Krackowizer siehe : Schießer, Heinrich : Die Ära Krackowizer in Gmunden. Politik – Geschichtsschreibung – Wirtschaft. Diplomarbeit, Salzburg 2011. 85 Lipp, Region Salzkammergut, S. 34. 86 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 49.
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Die institutionelle Trennung zwischen dem oberösterreichischen und dem steirischen Salzkammergut blieb mit Unterbrechungen letztendlich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts bestehen. Verbunden mit der institutionell-administrativen Eigenständigkeit des oberösterreichischen und des steirischen Salzkammergutes war auch eine unterschiedliche räumliche Ausrichtung der Salzwirtschaft bzw. des Salzhandels. Maßgeblich dafür waren vor allem auch die naturräumlichen bzw. verkehrswegebedingten Verhältnisse. »Das Gmundner Salz richtete sich nach Norden aus, das Ausseer nach Süden.«87 Allerdings kam es im Zuge des Reformabsolutismus unter Maria Theresia und Joseph II. und des dabei angestrebten »Universalkommerz« sowie im Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Maßnahmen, die darauf abzielten, die Salzkammergutverwaltung in einen staatlichen Verwaltungs- und Wirtschaftskomplex zu vereinen und damit die Sonderstellungen abzubauen.88 1741 wurde das steirische so wie bereits seit 1724 das oberösterreichische Salzkammergut dem Wiener Stadtbanco unterstellt. Wie auch andere Kammergüter dienten die beiden Salzkammergüter als Haftungskapital für die vom Stadtbanco ausgegebenen Anleihen. Von 1750 bis 1762 kam die Ausseer Saline unter die Aufsicht des Salzoberamtes Gmunden. Danach wurde sie wieder separat verwaltet, bis sie 1825/26 wieder unter die Zuständigkeit des Gmundner Salzoberamtes fiel (dem von 1831 bis 1834 und dann wieder von 1844 bis 1849 auch die Salzburger Saline Hallein unterstellt wurde).89 Die im Zuge der staatlichen Verwaltungsreformen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfolgte Einrichtung von Distriktskommissariaten und diesen übergeordneten Kreisämtern, die als regionale Außenstellen der staatlichen bzw. landesfürstlichen Zentralgewalt fungierte, war unmittelbar mit dem Abbau von Sonderrechten und Sonderstellungen der beiden Salzkammergüter verbunden. Im Zuge der Josephinischen Reformen verloren die Reformationslibelle und Hallamtsordnungen endgültig ihre Rechtskraft und die Salzkammergüter wurden 1783 direkt als Abteilungen in die Hofkammerverwaltung bzw. die kamerale Finanzverwaltung integriert. Diese »Inkamerierung« war ein wesentlicher Teil der Etablierung einer staatlichen Verwaltung im modernen Sinn, die im sogenannten »aufgeklärten Absolutismus« in vielen Bereichen vollzogenen wurde. Die regionalen Sonderstellungen wurden damit eingeebnet. Das bedeutete auch, dass das oberösterreichische und das steirische Salzkammergut den jeweiligen neu gebildeten Landesregierungen 87 Ebenda, S. 43. 88 Dazu ausführlich : Hufnagl, Die Maut zu Gmunden, S. 445f. 89 Lamer, Das Ausseer Land, S. 145f ; Hellmuth, Thomas : Kontinuität und Transformation. Der Raum Hallein 1850 bis 1890. Dissertation, Salzburg 1996, S. 43f. 1834 bis 1844 war die Halleiner Saline der Bergund Salinendirektion in Hall in Tirol unterstellt.
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unterstellt wurden und keine Sonderrechte mehr gegenüber anderen Landesteilen besaßen.90 In derartigen Vorgängen könnten durchaus auch Gründe für die im Salzkammergut-Bewusstsein langfristig tradierte und als Identitätsbaustein dienende Widerständigkeit (S. 108–114) gegen zentralstaatliche Eingriffe zu suchen sein. Dies auch dahingehend, dass mit den Zentralisierungstendenzen in der Verwaltung auch Maßnahmen zur Verbesserung der ökonomischen Effizienz der Salzwirtschaft einhergegangen waren. Das betraf die Einführung von Leistungskomponenten in der Entlohnung ebenso wie die Reduzierung einer über die betriebswirtschaftlich vertretbare Maß hinaus angewachsenen Beschäftigtenzahl. So wurde neben Entlassungen und Pensionierungen auch die Befreiung der jungen ledigen Männer vom Militärdienst aufgehoben. Derartige Maßnahmen riefen in der regionalen Bevölkerung Unruhen und Proteste hervor, die den Abbau der bisher als unantastbar empfundenen Sonderstellung der Salzkammergüter und deren Bewohner aber nicht aufhalten konnten.91 Eine andere, weiter zurück liegende Komponente der Tradition der Widerständigkeit gegen zentralstaatliche Gewalt im Salzkammergut geht auf die Zeit der Gegenreformation zurück. Dies betraf sowohl das oberösterreichische wie das steirische Salzkammergut. Dabei ergab sich für die staatlich-katholische Obrigkeit insofern ein gewisses Dilemma, als das Salzwesen eine vorrangige staatswirtschaftliche Bedeutung hatte. So waren Goisern und Hallstatt seit der Mitte des 16. Jahrhunderts Zentren des evangelischen Glaubens geworden. Aber auch im Gebiet von Ischl bis Gmunden verbreitete sich die Reformation spürbar. Ebenso fasste der Protestantismus in Aussee in nennenswertem Ausmaß Fuß.92 Während dort die Gegenreformation im 17. Jahrhundert mit der Niederschlagung von Aufstandsbewegungen nachhaltig erfolgreich gewesen ist, war dies auf der oberösterreichischen Seite trotz Vertreibungsund Aussiedlungsaktionen, etwa nach Siebenbürgen, viel weniger der Fall. Noch heute spielt dort die Erinnerung an die protestantische Untergrundbewegung eine gewisse Rolle im Regionalbewusstsein. Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang auch die vielfachen Verbindungen zu den Protestanten im benachbarten Erzstift Salzburg : einerseits durch die Flucht von Salzburger Protestanten über den Pass Gschütt ins innere Salzkammergut und andererseits durch gemeinsame Auswande90 Pauli, Das Salzkammergut, S. 32f, 46f ; Haider, Siegfried : Geschichte Oberösterreichs, Wien 1987, S. 223, 267 ; Hoffmann, Alfred : Werden, wachsen, reifen. Von der Frühzeit bis zum Jahre 1848, Salzburg 1952, S. 304 ; Gleissner, Das Salzkammergut, S. 5f ; Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 43, 45f ; Kraus, Die Wirtschafts- und Verwaltungspolitik ; Schraml, Carl.: Das oberösterreichische Salinenwesen von 1750 bis nach den Franzosenkriegen, Wien 1934, S. 29f ; Hufnagl, Franz : Die landesfürstliche Stadt Gmunden als Sitz der Kammergutsverwaltung : die Stadt im Spannungsfeld mit den Habsburgern und deren Salzamtmännern. Dissertation, Salzburg 1999. 91 Pauli, Das Salzkammergut, S. 47. 92 Lamer, Das Ausseer Land, S. 115f.
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rung nach Amerika und nach Siebenbürgen.93 Während Goisern und Hallstatt nach der Verkündigung des Toleranzpatents 1781 wieder zu einer Schwerpunktregion des Luthertums wurden, blieb dieses im Ausseerland nur noch eine Splittergruppe. Das ist letztendlich bis heute so geblieben. Die Trennung in ein oberösterreichisches und ein steirisches Salzkammergut blieb auch nach der Josephinischen Inkamerierung über die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert hinweg bestehen. In den »Reisen durch Oberösterreich« von J. Schultes aus dem Jahr 1809 heißt es beispielsweise : »Sie wussten noch nicht, als Sie nach Aussee kamen, daß Sie hier wieder in einem Salzkammergute sind. Aussee ist mit einigen Kammerherrschaften in Obersteyermark für Innerösterreich das, was Hallstatt und Ischel für Oberösterreich sind.« Unter dem damaligen Reisepublikum lag das Ausseerland offenbar noch weitgehend außerhalb einer Salzkammergut-Wahrnehmung. Denn Schultes schreibt weiter : »Aussee ist ein sehr wenig bekannter Ort […] sie müssen jedes Mal, wenn Sie Briefe dahin adressieren wollen, […] Aussee in Steyer mark schreiben, sonst gehen die Briefe nach Aussee in Mähren, einem weniger interessanten, aber mehr bekannten Ort.«94 Zu einer formellen, administrativen Vereinigung der beiden Salzkammergüter ist es, wie bereits erwähnt, 1826 unter der gemeinsamen Leitung des Salzoberamtes Gmunden gekommen, dem ab 1831 auch die Saline Hallein temporär zugeordnet wurde.95 Endgültig beendet wurde die institutionelle Differenzierung in ein oberösterreichisches und ein steirisches Salzkammergut mit der Aufhebung des Gmundner Salzoberamtes 1850 und der Eingliederung des Salzwesens sowie des Forstwesens in die zu dieser Zeit neu gestaltete Staatswirtschaftsverwaltung.96 Obwohl ab Mitte des 19. Jahrhunderts somit formal nicht mehr bestehend, blieb die Differenzierung zwischen einem oberösterreichischen und einem steirischen Salzkammergut aber in den Köpfen hüben wie drüben in gewisser Weise erhalten. So sagen beispielsweise ältere Menschen im Ausseerland heute noch des Öfteren, wenn sie über den Pötschenpass Richtung Hallstatt, Bad Goisern oder Bad Ischl fahren, sie fahren »ins Österreich«. Sie sagen aber auch, sie fahren in die »Steiermark«, wenn ihr Ziel Richtung Graz geht. Ein anderes Beispiel sind die Landesausstellungen in der Steiermark 2005 und in Oberösterreich 2008, die beide das Salzkammergut zum Thema hatten, dieses aber jeweils aus der steirischen oder der oberösterreichischen Perspektive betrachteten.97 93 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 6, 16f, 23f. 94 Zit. nach : Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 41. 95 Pauli, Das Salzkammergut, S. 304. 96 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 43. 97 Im Ausseerland im Jahr 2005 unter dem Titel «Narren und Visionäre«. Im Zusammenhang damit : Hellmuth, Thomas u. a. (Hg.) : Visionäre bewegen die Welt. Ein Lesebuch durch das Salzkammergut, Salzburg/München 2005 ; In Oberösterreich 2008 : Sandgruber, Roman : Salzkammergut. Oberösterreichische Landesausstellung 2008, Linz 2008, S. 113f.
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Die Aufhebung des Gmundner Salzoberamtes und die Eingliederung des Salzund des dazugehörigen Forstwesens in die neue Staatswirtschaftsverwaltung war auch das Ende des »Salzkammergutes« als administrativ-institutionell definierte und abgegrenzte Region, also der »alten« Salzregion. Zugleich war dies der Anfang der Herausbildung der alsbald über die »alte« Salzregion hinaus wachsenden Begriffsregion, die zunehmend über die Landschaft und den Tourismus beschrieben und wahrgenommen wurde. Dabei sollten auch Effekte des allgemeinen Industrialisierungsprozesses und modernen Verkehrstechnologie (Eisenbahn) eine wesentliche Rolle spielen. Zugleich aber blieben innerhalb bzw. unterhalb dieser regionalen Transformation die strukturellen und teilregionalen Hierarchien, die in der weitgehend geschlossenen wirtschaftlichen Wertschöpfungskette der »alten« Salzregion ausgebildet worden waren, für die Charakteristik der Salzkammergut-Regionalität wirksam. Das »Salzkammergut« als integriertes Wertschöpfungssystem Ziel der frühneuzeitlichen landesfürstlichen Wirtschaftspolitik war, wie dies Herbert Knittler bezeichnete, die Gestaltung »eines räumlich geschlossenen Wirtschaftskreislaufes« in den Salzkammergütern. Mit moderner Begrifflichkeit ausgedrückt bedeutete dies, dass eine geschlossenen salzwirtschaftlichen Wertschöpfungskette gleichsam geschmiedet wurde, in die auch zahlreiche vor- und nachgelagerte Bereiche des regionalen bzw. lokalen Gewerbes eingebunden waren, womit so etwas wie eine frühneuzeitliche Cluster-Struktur gegeben war.98 Deren innere Struktur hatte auch entsprechende Auswirkungen auf die Lebens- und Arbeitswelten der regionalen Bevölkerung, die deren Bewusstsein und Selbstverständnis, also langfristig gesehen, deren Identitätsmuster in den Teilregionen nachhaltig prägten. So gab es innerhalb der clusterähnlichen Strukturen der frühneuzeitlichen Salzwirtschaft regionale Wachstumspole mit zentralörtlicher Position, wovon Kapitalaufbringung, -verwertung und -akkumulation ebenso betroffen waren wie Beschäftigungseffekte. Daneben gab es das mit ihrer wirtschaftlichen Struktur zum wesentlichen Teil auf diese Wachstumspole ausgerichtete Umland. Diese Konzentration der innerregionalen wirtschaftlichen Ströme auf bestimmte Kernzonen entspricht dem in der Regionalforschung gängigen »Gravitationsmodell« bzw. im Hinblick auf die damit verbundenen soziokulturellen Prägungen einer spezifischen »räumlichen Sozialphysik«.99 98 Pauli, Das Salzkammergut, S. 33, 41 ; Knittler, Herbert : Die Wirtschaft als Faktor der Landesentwicklung, in : Land Oberösterreich (Hg.) : Tausend Jahre Oberösterreich. Das Werden eines Landes, Wels 1983, S. 168 ; Beer, Otto : Am Salz hängt doch alles …, in : MERIAN Salzkammergut, 31/1 (1978), S. 13f. Für das steirische Salzkammergut : Stadler, Franz : Salzwesen im Bezirk Liezen, in : Preßlinger, Hubert/Köstler, Hans J. (Hg.) : Bergbau und Hüttenwesen im Bezirk Liezen (Steiermark), Trautenfels 1993, S. 93–112. 99 Böventer, Edwin u. a.: Theoretische Ansätze zum Verständnis räumlicher Prozesse, in : Grundriß der Raumordnung, Hannover 1983, S. 64–94.
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Abb. 6 : Die Soleleitung (»Sulzstrehn«) von Hallstatt nach Ebensee. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das Gosautal, an dessen Hängen bislang die Leitung geführt wurde, mit einem 30 Meter hohen Aquädukt überbrückt.
Abb. 7 : Salzschifffahrt auf der Traun. Bereits Anfang des 14. Jahrhunderts war der Traunfall schiffbar, im 15. Jahrhundert wurde dafür – auf dem damals modernsten Stand der Technik – eine Fahrrinne errichtet. (Zeichnung von G. Imlauer, um 1840)
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Dabei waren vier Standortfaktoren in hierarchischer Weise miteinander verknüpft und voneinander abhängig. Über die Situierung der jeweiligen Standorte ist dies zugleich für die räumliche Binnenstruktur sowohl des oberösterreichischen wie des steirischen Salzkammergutes relevant, damit verbunden auch für die langfristige historische Prägung des späteren Salzkammergutes in seiner Gesamtheit bis in die heutige Zeit. Als erster Faktor ist zunächst die Salzgewinnung und -produktion an den Bergbau- und Salinenstandorten zu nennen, die durch einen Komplex von eng miteinander verflochtenen Arbeitsbereichen gekennzeichnet waren, begonnen vom Bergbau über die Sudhütten bis hin zur sogenannten »Salzfertigung«, also der Zurichtung des Salzes für den Transport. Derartige Standorte waren im oberösterreichischen Salzkammergut Hallstatt (Bergbau und Saline), Ischl (Saline), Ebensee (Saline) und Gmunden sowie im steirischen Salzkammergut Altaussee (Bergbau) und Aussee (Saline). Dabei gab es gelegentlich auch Verschiebungen in der Bedeutung dieser Standorte. So kam es im Übergang vom 16. ins 17. Jahrhundert durch die Errichtung einer Soleleitung von Hallstatt nach Ebensee zu einem nachhaltigen Bedeutungszuwachs von Ebensee. Dort gab es für die Saline einige relevante Standortvorteile. Zum einen den Waldreichtum und zum anderen die verkehrsmäßig günstige Lage am Traunsee für die Verschiffung des Salzes nach Gmunden, womit auch dieser Standort aufgewertet wurde.100 Der Salztransport zu Wasser, aber auch über Land ist der zweite relevante Standortfaktor in der räumlichen Sozialphysik des Salzkammergutes. Dies auch deshalb, weil damit die Herstellung der Transportmittel, etwa der Salzschiffe, sowie deren Bedienung, also das Transportgewerbe an sich, verbunden waren. Das wesentliche Verbindungsglied mit dem Bereich der Salzgewinnung und -produktion war die Salzfertigung. Daraus hat sich auch ein eigner Sub-Unternehmertyp, die sogenannten »Salzfertiger«, entwickelt. Diese erlangten etwa in Ischl und in Gmunden auch in der lokalen Gesellschaft große Bedeutung.101 Im Ausseerland bzw. im steirischen Salzkammergut, wo das Salz am Landweg über die heute so genannte »alte Salzstraße« Richtung Ennstal transportiert wurde, kam den Salzfuhrleuten eine analoge Position zu. Die wesentliche Verknüpfung des Salztransportes mit dem Salzhandel als drittem Standortfaktor in der Wertschöpfungskette lag in der Organisation und Umsetzung 100 Pauli, Das Salzkammergut, S. 40f ; Stein, Erwin (Hg.) : Die Städte Deutschösterreichs. Eine Sammlung von Darstellungen der deutschösterreichischen Städte und ihrer Arbeit in Wirtschaft, Finanzwesen, Hygiene, Sozialpolitik und Technik, Bd. V. Gmunden und Traunsee, Berlin 1929, S. 154. 101 Feichtinger, Franz Josef : Salzfertiger – Unternehmer des Salzes und Salzadel im Land ob der Enns vom 15. bis ins 19. Jahrhundert. Diplomarbeit, Salzburg 2009.
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des landesfürstlichen Salzhandelsmonopols. Da dieses wiederum eng in die Verwaltungsinstitutionen der Salzkammergüter eingebunden war, hatten hier in raumstruktureller Hinsicht die Verwaltungsstandorte als Handelsstandorte vorrangige Bedeutung. In besonderem Maße gilt dies für Ischl und Gmunden im oberösterreichischen und Aussee im steirischen Salzkammergut. Können die drei bisher genannten Bereiche hinsichtlich ihrer Funktion und ihrer Standortqualität in der salzwirtschaftlichen Wertschöpfungskette als Wertschöpfungszentralen gelten, so gab es zur Deckung des dortigen Bedarfes an Lebensmittel und Holz jeweils entsprechende Zuliefergebiete. Eine zeitgenössische Darstellung einer derartigen Wertschöpfungskette im Rahmen der frühneuzeitlichen Salzwirtschaft findet sich im so genannten »Waldbuch« des Salzamtes Gmunden, in dem die Abb. 8 : Waldbuch 1630/34 : Das »Saltzwesen ob der Enns« mit »Saltzberg zu Haalstatt«, »Vier Hauptstukk des ganzen Salzwee»Waldweesen«, »Pfannhaußweesen« und sens in Oesterreich ob der Enns«, also »Salzverschleiß zu Wasser und Lande« des oberösterreichischen Teiles der »alten Salzregion«, für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts dargestellt werden (Abb. 6).102 Vier im Raum verteilte Bereiche werden angeführt : der »Saltzberg zu Haalstatt«, also der Salzbergbau in Hallstatt, das »Waldweesen«, also die für die Salzerzeugung in vielfältiger Weise nötige Holzbringung in Gosau bzw. Gosaumühle, das »Pfannhaußweesen«, also Salzproduktion in der Saline in Langbath-Ebensee und schließlich der »Saltzverschleuß zu Wasser und Landt«, also der Salzhandel und Salztransport auf dem Wasser- und dem Landweg sowie die Salzverwaltung in Gmunden. Auf diese Weise wurde eine funktionale regionale Arbeitsteilung von der Salzgewinnung bis hin zur Vermarktung des ferti102 Hufnagl, Franz/Marchetti, Heinrich (Hg.) : Der Bezirk Gmunden und seine Gemeinden. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Linz 1991 ; Schraml, Carl : Das oberösterreichische Salinenwesen vom Beginn des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, Wien 1932 ; Schraml, Carl : Das oberösterreichische Salinenwesen von 1750 bis zur Zeit nach den Franzosenkriegen.
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gen Produktes mit jeweils spezifischen wirtschaftsstrukturellen und davon wiederum bestimmten soziokulturellen Prägungen beschrieben. Eine entscheidende Rolle spielte die bis ins 19. Jahrhundert hinein bestandene große Bedeutung des Holzes bzw. der Holzwirtschaft im Wirtschaftssystem des Salzkammergutes. Holz wurde im Stollenbau verwendet, als Brennstoff im Sudwesen, beim Salztransport in Holzfässern mit aus Holz gefertigten Salzschiffen oder bei Holzbauten, die der Verbesserung der Wasserstraßen dienten. Auch bei den für die Holzbringung erforderlichen Holzrechen und Klausen kam Holz als Baumaterial zur Anwendung.103 Eine ebenso große Bedeutung spielte die Landwirtschaft und die damit verbundene Lebensmittelversorgung der salzwirtschaftlichen Produktions-, Transport- und Handelsstandorte. Da dort für größere landwirtschaftliche Betriebe nicht genügend Platz war, waren diese auf eine entsprechende Zulieferung aus den umliegenden Agrarzonen angewiesen. Das galt neben Feldfrüchten und Getreide sowie Fleisch auch für den Fischfang, womit die Seenlandschaften in spezieller Weise in den regionalen Wirtschaftszusammenhang des Salzkammergutes eingebunden waren. In den salzwirtschaftlichen Zentralorten selbst gab es in der Regel nur kleinstrukturierte Landwirtschaft, was bis heute ein Charakteristikum der dortigen Wirtschaftsstruktur im Gegensatz zu den ehemaligen Zuliefergebieten, wo landwirtschaftliche Großbetriebe häufig zu finden sind, geblieben ist. Ein auf diese langfristigen Strukturprägungen zurückzuführendes Element sind die in den alten Salzorten häufig anzutreffenden Hausgärten (»Krautgärten«).104 Über diese Zulieferfunktion im holz- und landwirtschaftlichen Bereich ergab sich eine enge wirtschaftliche Verflechtung der salzwirtschaftlichen Standorte mit ihrem näheren und weiteren Umland. Im oberösterreichischen Salzkammergut waren dies unter anderem das Gebiet zwischen Bad Goisern und Bad Ischl (insbesondere Lauffen), das Mondsee- und das Atterseegebiet sowie die Viechtau. Gmunden und das dortige Salzoberamt war dabei der wichtigste Marktplatz. Vom Salzoberamt wurde auch Getreide und Schmalz aufgekauft und als Anteil der Entlohnung bzw. zu günstigen Preisen an die Salzarbeiter abgegeben.105 Zuliefergebiet war auch die Wolfgangseeregion, wo sich zudem eine Verbindung mit salzburgischen Gebieten um Strobl, St. Gilgen bis hin nach Thalgau ergab. So gab es etwa Vereinbarungen mit dem Erzbistum Salzburg über die Nutzung der Wälder im Wolfgangseegebiet und westlich des Pass Gschütt, deren wirtschaftliche Ausrichtung damit vorwiegend auf
103 Pauli, Das Salzkammergut, S. 36 ; Koller, Engelbert : Die Holztrift im Salzkammergut, Linz 1954, S. 6. 104 Koller, Die Holztrift, S. 5f ; Pauli, Das Salzkammergut, S. 45. 105 Ebenda, S. 38f ; Hoffmann, Geschichte des Salzkammergutes, S. 37f ; Haider, Geschichte Oberösterreichs, S. 196.
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Hallstatt und Ischl gelenkt war.106 Im steirischen Salzkammergut waren Grundlsee und das als »Hinterberg« bezeichnete Gebiet zwischen Pichl/Kainisch und Tauplitz mit Mitterndorf als Zentralort Zuliefergebiete für Salzbergbau und Saline in Altaussee und Aussee. Aus der Bedeutung und Positionierung des Holzes bzw. der Forst- und Holzwirtschaft sowie der Landwirtschaft in der Wertschöpfungskette der Salzwirtschaft erwuchsen zwei für die langfristige Konsistenz der Salzkammergut-Regionalität relevante Effekte. Zum einen wurden die Forst- und Holzwirtschaft und die damit verbundenen Arbeitsbereiche und Lebenswelten, ebenso die Landwirtschaft und der Fischfang zu einem nachhaltig prägenden Element des Regionalbewusstseins. Zum anderen erweiterte sich dadurch das regionale Einzugsgebiet des Salzkammergutes über die Bergbau-, Salinen- und Handelsstandorte hinaus auf die jeweiligen Zuliefergebiete. Deren in der langfristigen Wahrnehmung verankerte Zugehörigkeit zur Region Salzkammergut basierte, jedenfalls für die der landesfürstlichen Grundherrschaft unterstehenden Gebiete, auch auf einem formalen Status als sogenannte »Widmungsgebiete«. Deren holz- und landwirtschaftliche Produktion war demnach, den feudalrechtlichen Verhältnissen entsprechend, explizit der Versorgung der Salzwirtschaftsstandorte gewidmet.107 Als indirekter Teil der Wertschöpfungskette im Salzkammergut kann, sowohl für die Wertschöpfungszentralen wie in noch größerem Maße für die Zuliefergebiete, das »hausindustrielle« Nebengewerbe gelten. Ein solches gab es insbesondere im oberösterreichischen Salzkammergut und dort wiederum vor allem im äußeren Salzkammergut, beispielsweise mit der Holzwarenerzeugung im Traunseegebiet und der Keramikproduktion im Bereich von Gmunden.108 Nimmt man Wertschöpfungszentralen und Zuliefergebiete zusammen, so stellt sich die Region Salzkammergut als funktional integrierter Wirtschaftsraum dar. Hinsichtlich der institutionellen Trennung in ein oberösterreichisches und ein steirisches Salzkammergut handelte es sich aber eigentlich um zwei derartige integrierte Wirtschaftsräume, zwischen denen es nur geringe Verbindung gab. Was nun die strukturellen Hierarchien innerhalb der salzwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten bzw. »Cluster« betrifft, damit verbunden auch die lokalen bzw. teilregionalen Bewusstseinshaltungen und langfristigen Prägungen unterschiedlicher Salzkammergut-Identitäten, kann zwischen vier Ausprägungen von Rivalitäten unterschieden werden : 106 Pauli, Das Salzkammergut, S. 31f, 38f ; Koller, Engelbert : Forstgeschichte des Salzkammergutes, Wien 1970, S. 9. 107 Pauli, Das Salzkammergut, S. 38f ; Hoffmann, Geschichte des Salzkammergutes, S. 37. 108 Gollner, Irmgard : Gmundner Keramik. Töpfertradition einst und jetzt, Linz 1991 ; Schießer, Die Ära Krackowizer, S. 95f.
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Erstens jene zwischen Wertschöpfungszentralen und Zuliefergebieten. Hierbei verfestigte sich insbesondere die Abhängigkeit der Bevölkerung in den Zuliefergebieten in ihrer Lebensgrundlage von den salzwirtschaftlichen Kernzonen. So lässt sich beispielsweise die in vielerlei Hinsicht erkennbare »Rivalität« zwischen dem Gebiet von Mitterndorf-Hinterberg und dem Ausseerland wohl auch als eine langfristige Nachwirkung der Rivalität zwischen einem alten »Zuliefergebiet« und einer alten »Kernzone« im steirischen Salzkammergut interpretieren. Von Bedeutung für tradierte Unterschiede im Selbstverständnis der Salzkammergut-Bevölkerung sind auch die in der alten Salzregion vorhandenen Unterschiede in der sozialen Position. In den Kernzonen ergab sich generell schon allein aus der institutionellen Eigenschaft des Salzkammergutes als »staatlicher Betrieb« eine – im dritten Kapitel detailliert beschriebene (S. 97) – privilegierte Position der dort Beschäftigten. In spezieller Weise kam dies im Bereich der sozialen Sicherheit und der Daseinsvorsorge zum Ausdruck. Mit Heiratsprämien, Baugrundzuweisungen und Baukostenzuschüssen als Anreiz für Familiengründungen, der Zuteilung von Hofkorn und Hofschmalz zur Nahrungssicherung, mit Maßnahmen zur Alters- und Krankheitsvorsorge, der Befreiung vom Militärdienst und von Einquartierungen und etlichem mehr gab es in den Kernzonen Begünstigungen, die für die Menschen in den Zuliefergebieten als Privilegierung erscheinen mussten, von der sie ausgeschlossen waren.109 Erwuchs aus all dem in den Kernzonen letztendlich das Selbstbewusstsein einer höheren gesellschaftlichen Stellung, in der Folge aber auch ein Gewöhnungseffekt und eine Anspruchshaltung gegenüber »erworbenen« Ansprüchen gegen den Staat, so entstand bei der Bevölkerung in den Zuliefergebieten das Gefühl der Benachteiligung gegenüber den »Privilegierten« dort »drinnen«. Damit verbunden war allerdings auch das Selbstverständnis bzw. Selbstbewusstsein als eigenständig bzw. selbstständig Wirtschaftende. Diesem Selbstverständnis bzw. Selbstbewusstsein stand jedoch die oben angeführte Abhängigkeit von den Wertschöpfungszentralen gegenüber. Nach dem Ende der »alten Salzregion« sollte diese Abhängigkeit allerdings abnehmen, zumal nun Landwirtschaft und Holzwirtschaft bis zu einem gewissen Grad die Basis einer tatsächlich eigenständigen Wirtschaftsentwicklung in den ehemaligen Zuliefergebieten darstellten und man sich damit aus der ehemaligen Abhängigkeit emanzipieren konnte. All dies ist in weiterer Folge prägend für das mentale Verhältnis zwischen den entsprechenden Teilregionen im späteren Salzkammergut geworden bzw. im Grunde bis heute geblieben. Eine zweite Ausprägung der das Salzkammergut-Bewusstsein langfristig prägenden teilregionalen Rivalitäten, die aus der Struktur der salzwirtschaftlichen Wert109 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 4 ; Pauli, Das Salzkammergut, S. 44f ; Treffer, Weißes Gold, S. 108 ; Koller, Die Holztrift, S. 3, 7.
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schöpfungskette heraus begründet sind, waren jene der damaligen Kernzonen untereinander. Das betrifft speziell das Verhältnis von Gmunden, Ischl und Aussee als salzwirtschaftliche Zentralorte, die letztendlich bis in unsere Tage um die Position eines regionalen Zentrums im Salzkammergut konkurrieren. Für das teilweise bis heute spürbare Rivalitätsverhältnis des Ausseerlandes und des Gebietes Hallstatt/ Bad Goisern, also von alten salzwirtschaftlichen Kernzonen im steirischen und im oberösterreichischen Salzkammergut diesseits und jenseits des Pötschen- und Koppenpasses, lassen sich vergleichsweise weit zurück liegende Gründe benennen. Als es im 16. Jahrhundert etwa darum ging, dass in Hallstatt im Hinblick auf die Belieferung des böhmischen und ungarischen Marktes eine zweite Sudpfanne errichtet werden sollte, versuchte der Ausseer Salzverweser Praunfalckh dies mit aller Macht zu verhindern um den Absatzmarkt für das Ausseer Salz langfristig zu sichern. Praunfalckh erreichte durch massive Interventionen zwar kurzfristig, dass die baulichen Vorarbeiten für eine zweite Pfanne in Hallstatt eingestellt wurden, konnte deren Bau letztlich aber nicht verhindern.110 Die dritte Ausprägung teilregionaler Rivalitäten, die aus der alten Salzregion heraus tradiert wurde, ist innerhalb der Kernzonen bzw. Wertschöpfungszentralen zwischen Bergbau, Saline und Salzhandel angesiedelt. Sie spielt insbesondere in der historischen Tiefenstruktur des oberösterreichischen Salzkammergutes eine Rolle. Zum einen findet sie sich im Verhältnis zwischen den beiden Salinenstandorten Hallstatt und Ebensee. Als im Jahr 1750 in Hallstatt der zentrale Marktbereich durch eine Brandkatastrophe derart verwüstet wurde, dass eine Neubebauung anstand, forderte der Salzamtmann Baron Sternbach die generelle Einstellung des Sudbetriebes in Hallstatt und dessen Verlegung nach Ebensee. Allerdings entschied die HofBanco-Deputation, dass der Sudbetrieb in Hallstatt wieder zu errichten war.111 Zum anderen sind die bereits mehrfach angesprochenen Spannungen und Rivalitäten im Verhältnis zwischen Ebensee als Produktions- und Gmunden als Handels- und Verwaltungsstandort im alten Salzkammergut geradezu legendär geworden.112 Die vierte Ausprägung von Rivalitäten in der räumlichen Sozialphysik des Salzkammergutes ist jene zwischen den ehemaligen Zuliefergebieten. Jene des inneren Salzkammergutes postulieren unter Berufung auf die räumliche Nähe eine engere Verbundenheit mit den salzwirtschaftlichen Produktions-, Handels- und Verwaltungsstandorten und somit eine unmittelbare Zugehörigkeit zum »ursprünglichen« Salzkammergut. Für die ehemaligen Zuliefergebiete im äußeren Salzkammergut, speziell jener im Mondsee- und Atterseegebiet, wird eine solche zumindest infrage gestellt. 110 Idam, Pfannhaus Hallstatt, S. 162f. 111 Ebenda, S. 164f. 112 Dies wird in einem von Susanne Rolinek und Christian Dirninger am 26. Juli 2001 mit dem ehemaligen Bezirkshauptmann von Gmunden Dr. Franz Hufnagl durchgeführten Interview mehrfach bestätigt.
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Ein im inneren Salzkammergut ausgeprägter spezifischer Aspekt in der Tradition des Regionalbewusstseins ist ein gewisser Stolz auf die technische Innovationskraft in der »alten Salzregion«.113 Ein dafür häufig angeführtes Beispiel ist die 1595 bis 1599 von Hallstatt nach Ebensee verlegte Soleleitung. Deren 40 Kilometer langer Bau aus 13.000 ausgehöhlten Baumstämmen gilt bis heute als technische Höchstleistung. Geradezu als »Wahrzeichen für die Baukunst des Salzkammergutes«114 gilt die zu deren Verbesserung im späten 18. Jahrhundert bei der Mündung des Gosautales aus fünf bis zu 40 Meter hohen Pfeilern mit Spannweiten von 25 Meter und einem Tragwerk aus Baumstämmen errichtete Gosauzwangbrücke. Weitere Beispiele sind die für die Holzbringung errichteten Anlagen, wie die zu Beginn des 19. Jahrhunderts errichtete Chorinsky-Klause bei Bad Goisern und die Nadasdyklause in Neukirchen bei Altmünster, ebenso der Holzaufzug im Mitterweißenbachtal.115 Im späten 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert begann die Auflösung des alten Salzkammergutes und damit der tradierten salzwirtschaftlichen Regionalität. Dabei kam es zu nachhaltig wirksamen Verschiebungen in der räumlichen Sozialphysik des Salzkammergutes. Dies war zunächst im Zusammenhang mit der im Zuge der schon oben erwähnten Inkamerierung der Salzwirtschaft unter Joseph II. im Jahr 1782 erfolgten Auflösung der »Widmungsgebiete« der Fall. Diese verloren damit ihre Sonderstellung, zugleich aber auch ihre Abhängigkeit von der Abnahme ihrer Produkte in den salzwirtschaftlichen Kernzonen. Das wiederum hatte aber auch zur Folge, dass sich die ehemaligen »Widmungsgebiete« verstärkter Konkurrenz gegenüber den Getreide- und Viehlieferungen aus den großen Agrarzonen der Monarchie, speziell aus Ungarn ausgesetzt sahen. Wurde damit ein bis dahin geschützter Bereich der Wertschöpfungskette des alten Salzkammergutes in größere kompetitive Marktstrukturen einbezogen, so geschah dies mit der 1824 für Nieder- und Oberösterreich und 1829 für die gesamten Erblande erfolgten Freigabe des Salzhandels auch für deren Kernzonen.116 Dieser Prozess der Auflösung der alten Salzregion in verwaltungsmäßiger und wirtschaftlicher Hinsicht war begleitet von einer sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts verstärkenden latenten Krisenlage. Es war bereits davon die Rede, dass es im Zuge der kameralwirtschaftlichen Reformmaßnahmen zum Abbau einer zu groß gewordenen Beschäftigtenzahl kam. Infolge dessen war, zumindest für Teile der re113 Stummer, Rupert : Wirtschaftsbauten für das Großunternehmen Salzkammergut. Diplomarbeit, Salzburg 2004. 114 Pauli, Das Salzkammergut, S. 43. 115 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 17, 25 ; Pauli, Das Salzkammergut, S. 41, 43f ; Aubell, Winfried : Die Soleleitung von Hallstatt nach Ebensee, in : Oberösterreich, 31/1 (1981), S. 17 ; Hoffmann, Werden, Wachsen, Reifen, S. 295f ; Feichtinger, Lackernpascher, S. 66. 116 Pauli, Das Salzkammergut, S. 47 ; Hoffmann, Werden, Wachsen, Reifen, S. 422f ; Hoffmann, Studien und Essays, S. 84 ; Haider, Geschichte Oberösterreichs, S. 261.
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gionalen Bevölkerung in den salzwirtschaftlichen Kernzonen, die früher gewohnte Sicherheit des Arbeitsplatzes ebenso gefährdet wie auch die damit verbundenen sozialen Absicherungen und Privilegierungen (S. 97 f., 101 f.). Arbeitsmigration aus dem Salzkammergut in andere Teile der Monarchie war ebenso Folge dieser Entwicklung wie das Bestreben, möglichst im Staatsdienst unterzukommen.117 Jedenfalls machte sich ein Empfinden der latenten Bedrohung der wirtschaftlichen Lebensgrundlage breit, das sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfestigte und in der Folge tradierte. Damit in Verbindung stand eine verstärkte Heimat-Bindung in der Salzkammergut-Bevölkerung. Diese Entwicklung fand in gewisser Weise auch in den Reisebeschreibungen ihren Niederschlag. So hieß es beispielsweise in einem »Taschenbuch für Reisende« zu Beginn der 1840er-Jahre : »Die Bewohner des Salzkammergutes sind ein redlicher, arbeitsamer Menschenschlag, hängen mit aller Liebe des Gebirgsländers an dem heimatlichen Boden, ob er gleich oft nur mühevoll sich den Lebensunterhalt für sie abgewinnen lässt.«118 Langfristig gesehen bildete sich im Regionalbewusstsein eine Mischung bzw. Überlagerung von Stolz auf die einstige Sonderstellung bzw. besondere Bedeutung des Salzwirtschaftssystems einerseits und einem aus deren Verlust resultierenden Gefühl der Benachteiligung gegenüber anderen, im Zuge der Industrialisierung begünstigten Regionen heraus. In kultureller Hinsicht fand und findet dies in jenen Bereichen der Brauchtums- und Traditionspflege, die sich auf Elemente der alten Salzwirtschaft beziehen, Ausdruck (S. 103–107). Das Salzkammergut beginnt sich zu wandeln – Anfänge eines »Salzkammergut-Tourismus« Wesentlich für die weitere Formierung des Salzkammergutbewusstseins und der Salzkammergut-Identitäten ist, dass in der Zeit der latenten Krisen der tradierten Salzwirtschaft die Ansatzpunkte für jenen Wirtschaftssektor lagen, der in der Folge immer dominanter das Bild des Salzkammergutes als Region sowohl in der Außensicht wie auch in den Lebenswelten der Bevölkerung und damit deren Selbstverständnis, wenn auch meist in ambivalenter Weise, prägen sollte. Gemeint sind die Anfänge des Salzkammergut-Tourismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.119 Angelika Pauli stellt in ihrer Diplomarbeit treffend fest : »Das Salzkammergut be-
117 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 22f ; Pauli : Das Salzkammergut, S. 45f ; Hoffmann, Geschichte des Salzkammergutes, S. 38. 118 Hartwig, Theodor : Taschenbuch für Reisende durch Südbayern, Tyrol und das Salzburgische, München 1842, zit. nach : Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 41. 119 Schumacher, Martin/Sandgruber, Roman : Eine kleine Tourismusgeschichte des Salzkammergutes, in : Sandgruber, Salzkammergut, S. 171f.
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ginnt sich zu wandeln. Vom Salzwirtschaftsstaat wird es immer mehr zu einer vor allem durch den Fremdenverkehr bestimmten Region.«120 Die damit verbundene sukzessive Veränderung in der »räumlichen Sozialphysik« ergibt sich aus der Herausbildung von Tourismusstandorten, zunächst vor allem in den alten salzwirtschaftlichen Wertschöpfungszentralen, aber auch ansatzweise in den diese umgebenden Zuliefergebieten. Das betraf vor allem Ischl, Aussee und Gmunden und zu einem gewissen Grad auch Hallstatt und seine Umgebung, die als Ausflugsziele beliebt wurden. Für das Regionalbewusstsein scheinen jedenfalls fünf Faktoren relevant. Erstens die »Entdeckung« des Salzkammergutes als »schöne Landschaft« in der Reiseliteratur und damit die externe Beschreibung der Region unter dem touristischen Aspekt. Dabei spielten neben einer gewissen Romantisierung der Salzwirtschaft und der dortigen Arbeits- und Lebenswelten vor allem die Seenlandschaften eine vorrangige Rolle.121 Ein wichtiger Aspekt für die Wahrnehmung des Salzkammergutes in diesem Zusammenhang war die innere Regionalsierung des Salzkammergutes, die auf dem Wege der topografischen Darstellungen und Beschreibungen der Lebenswelten und kulturellen Verhältnissen vorgenommen wurde. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der landschaftlichen und soziokulturellen Charakterisierung der Teilregionen, sondern auch hinsichtlich der räumlichen Ausdehnung des Salzkammerguts über die alte Salzregion hinaus.122 Die damit verbundenen Vorstellungen des Salzkammergutes wurden auch von der einheimischen Bevölkerung als Faktor der Reflexion der eigenen Existenz und Identität aufgenommen und künstlerisch verarbeitet. Dies zeigt sich beispielsweise bei den sogenannten »Salinenzeichnern«, den im Salzbergbau und in der Saline beschäftigten Einheimischen, die Motive ihrer Heimat und ihrer Arbeitswelt in Kupferstichen und Zeichnungen festhielten. In gewisser Weise wurden diese damit zu einem Medium der Tradierung salzwirtschaftlicher Identitätsmuster.123 Ein zweiter für die Prägung des Regionalbewusstseins des Salzkammergutes in jener Zeit relevanter Faktor war die Gründung von Heilbädern und der beginnende »Kur-Tourismus«, die von der Entdeckung der Heilkraft der Sole ausgingen. Gewissermaßen der Prototyp dafür war die Gründung und Eröffnung des Ischler Heilbades
120 Pauli, Das Salzkammergut, S. 49. 121 Beispiele dafür sind : Schultes, Joseph : Reisen durch Oberösterreich in den Jahren 1794, 1795, 1802, 1803, 1804 und 1808, Tübingen 1809 ; Sartori, Franz : Die österreichische Schweiz oder malerische Schilderung des Salzkammergutes in Österreich ob der Enns, Wien 1813 ; Steiner, Johann : Der Reisegefährte durch die österreichische Schweiz oder das oberennsische Salzkammergut, Linz 1820 ; Schmidl, Adolf : Reisehandbuch durch das Erzherzogtum Oberösterreich, Wien 1834. 122 Pauli, Das Salzkammergut, S. 50. Dort werden viele Beispiele dargestellt. 123 Pauli, Das Salzkammergut, S. 51.
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durch den Wiener Arzt Franz Wirer im Jahr 1823.124 Der »Kurort« wurde in der Folge zu einem spezifischen Standort-Typus in der Topografie des Salzkammergutes, so wie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Gmunden, Aussee und Goisern.125 Teilweise in Zusammenhang damit stand der dritte Faktor, der das Regionalbewusstsein des Salzkammergutes bzw. die Salzkammergut-Identität aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts heraus prägte. Dabei handelt es sich um die Anwesenheit von Mitgliedern des Herrscherhauses, der Adelsgesellschaft, der militärischen Führungselite, der hohen Bürokratie und des in seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung zunehmenden Bürgertums, vorwiegend aus der Haupt- und Residenzstadt Wien. Dazu kamen Angehörige des künstlerischen Establishments, Maler, Dichter, Komponisten und Schauspieler.126 Langfristig gesehen ergaben sich damit in Zusammenhang in Bezug auf die Zentralorte und deren Umland spezifische teilregionale Identifikationsbausteine. Diese stehen mit bestimmten Mythen in Verbindung, die sich an bestimmte Gruppen und Personen knüpfen und bis in die heutige Zeit herauf tradiert wurden. Das war für Ischl die Anwesenheit des kaiserlichen Hofes, die in den späten 1820er-Jahren mit der Inanspruchnahme der Wirer’schen Solebäder durch Erzherzog Rudolf und 1828 durch Erzherzog Karl mit seiner Gattin Sophie ihren Anfang nahm. Mit Kaiser Franz Joseph, Sisi und der Kaiservilla erreichte die Mythenbildung ihren Höhepunkt. Bad Ischl stieg zur »Kaiserstadt« bzw. zu einem »Klein-Wien« auf. Für das benachbarte Ausseerland wurde wiederum der Erzherzog-Johann-Mythos in besonderer Weise identitätsstiftend und für das regionale Selbstverständnis des Ausseerlandes geradezu sprichwörtlich (S. 26 f.). Neben der romantisierenden Verklärung der Heirat des Erzherzogs mit der bürgerlichen Postmeisterstochter Anna Plochl gewann dabei dessen Nimbus als Volksfreund an Bedeutung, der zudem gegen den habsburgischen Traditionalismus und seinen als konservativ und restaurativ geltenden Bruder Kaiser Franz I. rebellierte sowie wirtschaftlich innovativ agierte. Von besonderem Interesse für die Tradierung teilregionaler Rivalitäten im Salzkammergut erscheint dabei, dass hier gleichsam ein »politisches« Gegenmodell zur »Kaiserstadt« Ischl gepflegt wurde und wird, das in gewisser Weise als Facette der weiter oben angesprochenen älteren Rivalität der beiden salzwirtschaftlichen Kernzonen diesseits und jenseits des Pötschenpasses gesehen werden kann. Für Gmunden als frühen Tourismusstand124 Wirer, Franz : Ischl und seine Solebäder, Wien 1826 ; Prohaska, Heinrich : Geschichte des Badeortes Ischl 1823–1923. Sonderabdruck aus »Heimatgau«, in : Zeitschrift für oberösterreichische Geschichte, Landes- und Volkskunde 3 (1924). 125 Pohl, Eduard : Der Curort Aussee in der Steiermark. Eine Historisch-Physikalisch-Medicinische Skizze, Wien 1871. 126 Pauli, Das Salzkammergut, S. 52 ; Gleissner, Das Salzkammergut, S. 16f ; Leibenfrost, Albert : Wirtschaftsraum Salzkammergut, in : Oberösterreich, 34/2 (1984), S. 66 ; Danesch, Edeltraud/Danesch, Othmar : Österreich ein Land der Seen, Zürich/München 1979, S. 62.
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ort prägend wurde wiederum die Anwesenheit einer Adels- und Bürgergesellschaft, die in gewisser Weise an die Bedeutung des Handelsbürgertums und hohen Verwaltungspersonals im alten »Salzstaat« anschloss. Insofern setzte sich damit auch die mentale und damit teilregionale Rivalität zwischen dem Salinen- und Industriestandort Ebensee und der Bürger-, Handels- und Verwaltungsstadt Gmunden als Charakteristikum des am Traunsee gelegenen Teiles des Salzkammergutes unter neuen Vorzeichen fort. Verbunden mit dem beginnenden Kur-Tourismus und der Anwesenheit wesentlicher Repräsentanten der Adels- und städtischen Gesellschaft können als vierter für das Salzkammergut-Bewusstsein relevanter Faktor neue Elemente im Landschaftsbild gelten. Dazu gehörte der Bau von Hotels, aber auch die Errichtung von Sommervillen wohlhabender Salzkammergutbesucher sowie Spazierwege, Esplanaden und Jausenstationen im Umland der entstehenden Fremdenverkehrsorte (S. 116).127 Diese Veränderungen im Ortsbild sowie der Status als Kurort für die gehobene Gesellschaft bewirkten sicherlich ein gewisses Selbstbewusstsein und damit Identifikationsangebote für die regionale Bevölkerung. In Zusammenhang damit steht der fünfte Faktor, der in der Entstehung neuer bzw. zusätzlicher Beschäftigungsmöglichkeiten für die regionale Bevölkerung zu suchen ist. Dabei haben die vielfach abgebildeten Sesselträger in gewissem Sinne eine symbolische Bedeutung. Deren Geschäft bestand darin, die betuchten Gäste auf bequeme Art und Weise auf die umliegenden Berge zu befördern.128 In dieser Dienstleistungsfunktion der heimischen Bevölkerung sowie in der »Überlassung« der Heimat an die Gäste könnte man eine Ursache für die deutlich zunehmende Ambivalenz des Verhältnisses von »Einheimischen« und »Fremden« bzw. »Zugereisten« vermuten. Diese Ambivalenz lag darin, dass einerseits derartige Einnahmequellen oft dringend benötigt wurden, andererseits aber die Inanspruchnahme des eigenen Lebensraumes durch die »Fremden« bzw. »Zugereisten« und die ökonomische Angewiesenheit darauf eine gewisse Abwehrhaltung bei den »Einheimischen« hervorriefen. Dies vor allem dort, wo der tradierte Stolz auf die besondere Stellung der Salzwirtschaft stark ausgeprägt war, also vor allem in den salzwirtschaftlichen Kernzonen. In Verbindung mit dem Aufkommen eines touristischen Wirtschaftssektors, zugleich aber auch im Zuge von Maßnahmen zur technischen Modernisierung der 127 Pauli, Das Salzkammergut, S. 55 ; Heller, Wilfried : Der Fremdenverkehr im Salzkammergut. Studie aus geographischer Sicht, Heidelberg 1970, S. 64f ; Schießer, Die Ära Krackowizer, S. 123f ; Schießer, Heinrich : Gmundner Villen. Reminiszenzen an die Belle Époque in der Traunseestadt, Gmunden 2013 ; Heilingbrunner, Susanne/Weiss, Petra : Sommerfrische-Architektur am Traunsee, in : Sandgruber, Salzkammergut, S. 113f. 128 Kreuzer, Bernd : Ins Salzkammergut fahren – eine kleine Verkehrsgeschichte des Salzkammergutes, in : Sandgruber, Salzkammergut, S. 62.
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Salzwirtschaft standen bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Veränderungen im regionalen Verkehrssystem. Für die »räumliche Sozialphysik« des Salzkammergutes maßgeblich erscheint dabei eine gewisse Verschiebung im Stellenwert der Teilregionen. Dabei kam es vor allem zu einer räumlichen Öffnung des »äußeren Salzkammerguts« in nördlicher Richtung. Eng verbunden mit dieser räumlichen Ausweitung war eine deutliche Stärkung der Standortqualitäten von Gmunden, zumal im Jahr 1836 die vier Jahre zuvor eröffnete Pferdeeisenbahn zwischen Linz und Budweis verlängert wurde. Die Pferdeeisenbahnstation in Gmunden diente nun zum einen als Ausgangspunkt des Salztransportes nach Böhmen, zum anderen aber auch als eine den touristischen Zulauf stärkende effiziente Verkehrsanbindung an den Donauraum. Immerhin verkürzte sich die Reisezeit von Linz nach Gmunden mit der Pferdeeisenbahn von bis dahin rund einem Tag auf fünf bis sechs Stunden. Allerdings bedeutete das neue Verkehrsmittel auch das absehbare Ende traditioneller Verkehrsträger, so der bis dahin so bedeutenden Salzschifffahrt auf der Traun von Gmunden Richtung Enns und Donau sowie auch des überregionalen Fuhrwesens.129 Zum anderen wurde die Standortqualität Gmundens als »zentraler Verkehrsknotenpunkt des Traunsees«130 durch die Einführung der Dampfschifffahrt am Traunsee in den 1830er-Jahren gestärkt. 1839 verkehrte der erste Raddampfer »Sophie« zwischen Ebensee und Gmunden. Auch hier ergab sich in der Folge ein Umstieg im Salztransport über den Traunsee, der einerseits das Ende der traditionellen Holzzillenschiffahrt und damit zusammenhängender Gewerbe bedeutete, andererseits aber eine Attraktion im beginnenden Salzkammergut-Tourismus wurde. Dieser räumlichen Öffnung des »äußeren Salzkammergutes« und den damit verbundenen regionalwirtschaftlichen Impulsen gegenüber musste die nach wie vor verkehrsmäßig schwierige Zugänglichkeit des »inneren« sowie des steirischen Salzkammergutes in verstärktem Maße als räumliche Abgeschiedenheit erscheinen und wurde von der Bevölkerung vom Ausseerland bis nach Ebensee auch als solche empfunden. Auch darin scheinen manche heute noch wirksame teilregionale Rivalitäten und Identitätsbausteine im Salzkammergut-Bewusstsein ihre Gründe zu haben. Insgesamt betrachtet hatten sich also zur Mitte des 19. Jahrhunderts schon deutliche Veränderungen in der räumlichen Sozialphysik des Salzkammergutes und damit auch dessen Wahrnehmung von außen und von innen ergeben. Davon ausgehend 129 Kreuzer, Bernd : A landscape reshaped by transport : the Austrian Salzkammergut from salt economy to national leisure region, in : National Identities, 16/3 (2014), S. 239–252, S. 242. 130 Feichtinger, Lackernpascher, S. 70, 72f ; Pauli, Das Salzkammergut, S. 55f ; Pilz, Karl : Gmunden – allezeit wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Wasserwege – Straßen – Bahnen, in : Stadtgemeinde Gmunden (Hg.) : 700 Jahre Stadt 1278–1978. Festbuch der Stadtgemeinde Gmunden anläßlich des Jubiläumsjahres 1978, Gmunden 1978, S. 151 ; Danesch/Danesch, Österreich ein Land der Seen, S. 62 ; Leibenfrost, Wirtschaftsraum Salzkammergut, S. 62 ; Schießer, Die Ära Krackowizer, S. 101f ; Kreuzer, Ins Salzkammergut fahren, S. 59f.
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ergaben sich sodann mehrere einschneidende, tiefgreifende Veränderungen in den Rahmenbedingungen, die für die wirtschaftliche Entwicklung des Salzkammergutes maßgeblich waren und die nachhaltige Auswirkung auf die Wahrnehmung der Region von außen sowie auf die innere Befindlichkeit der Teilregionen hatten. Alles in allem handelte es sich um das endgültige Aufbrechen der »alten Salzregion« und deren Wandel und Erweiterung im Zeichen von administrativer Veränderung, Industrialisierung und Modernisierung sowie der Etablierung der Fremdenverkehrsregion Salzkammergut. In all diesen Punkten wurden bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorhandene Ansätze nachhaltig verstärkt und damit die aus der alten Salzregion tradierten Identitätsbausteine überlagert.
»Aufbrechen« der »alten Salzregion« im Zeichen der »Modernisierung« bis zum Ende der Monarchie Dreifache Transformation des Salzkammergutes Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts vollzogen sich für die Regionalität des Salzkammergutes und für das daran geknüpfte Regionalbewusstsein entscheidende Veränderungen. Dabei erscheinen drei Vorgänge maßgeblich. Erstens das endgültige Ende der administrativen Sonderstellung und Abgrenzung des »Salzkammergutes«. Im Grunde wurde dabei ein Vorgang finalisiert, der – wie bereits erwähnt – im späten 18. Jahrhundert unter Joseph II. eingeleitet worden war.131 Damit wurde die Regionalität des Salzkammergutes vom Status einer formell institutionalisierten Region hin zu einer informellen und in administrativer Hinsicht nicht institutionalisierten Region verändert. Deren Charakteristik und Abgrenzung sollte nun primär aus der Außenwahrnehmung definiert werden und sich bald über die »alte Salzregion« hinaus in das nördlich und westlich gelegene Seengebiet ausdehnen. Zweitens ist die Öffnung bzw. das »Aufbrechen« der »alten Salzregion« durch die Eisenbahn und über diese das Eindringen industrieller Modernität in die Region zu nennen.132 In Verbindung damit standen Verschiebungen in der Raumstruktur sowie ein Bedeutungsverlust und eine sektorale Überlagerung des tradierten Salzwirtschaftssystems, woraus sich auch neue Akzente im Verhältnis der Teilregionen ergaben. Der nun einsetzende wirtschaftliche Strukturwandel und damit die Veränderung der ökonomischen Lebensgrundlagen der Salzkammergutbevölkerung hinterließen auch ihre Effekte und Spuren im Regionalbewusstsein. Dabei wirkten die Betroffenheit durch die Auflösung der tradierten Organisationsstrukturen des alten Salzwirtschaftssystems und die Zugehörigkeiten in dessen Wertschöpfungskette 131 Kraus, Die Wirtschafts- und Verwaltungspolitik ; Hufnagl, Die landesfürstliche Stadt Gmunden. 132 Kreuzer, A landscape reshaped by transport, S. 245–247.
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nach und blieben bis zu einem gewissen Grad dauerhaft Teil der SalzkammergutIdentitäten. Drittens war die Etablierung der Tourismusregion Salzkammergut für die Entwicklung des Regionalbewusstseins von Bedeutung. In Verbindung damit stand der Wandel des Begriffes »Salzkammergut« von einer administrativen Kategorie hin zu einer landschaftlichen Bezeichnung. Das Salzkammergut wurde zu einer Begriffsregion, deren zentrale Bestimmungskategorien die Berg- und Seenlandschaften, die Kurorte und der Fremdenverkehr in seiner spezifischen Ausformung als »Sommerfrische« waren.133 Diese entwickelte sich als regionalwirtschaftlicher Wachstumssektor mit Sekundär- und Multiplikatoreffekten und bestimmte als solcher in zunehmendem Maße die ökonomische Lebensgrundlage und damit die Lebenswelten der regionalen Bevölkerung – und dies wiederum in unterschiedlicher Weise und unterschiedlichem Ausmaß in den Teilregionen des Salzkammergutes. In der räumlichen Sozialphysik und in der inneren Identitätsstruktur des auf diese dreifache Weise transformierten Salzkammergutes scheint im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine spezifische, dauerhaft erhalten gebliebene Ambivalenz bestimmend geworden zu sein. Einerseits verloren die in der alten salzwirtschaftlichen Wertschöpfungskette bestandenen strukturellen Hierarchien zwischen Kern- und Peripheriezonen an Bedeutung. Andererseits wirkten aber Bewusstseinshaltungen weiter, die in den alten strukturellen Hierarchien verfestigt waren. So ist beispielsweise der Status einer alten salzwirtschaftlichen Kernzone in Orten wie Aussee, Hallstatt, Ischl, Ebensee oder Gmunden ein wesentliches Element des jeweiligen lokalen Selbstverständnisses und der lokalen Selbstdarstellung, speziell im kulturellen Bereich, geblieben. Ebenso wurde in den ehemaligen Zuliefergebieten nunmehr die Eigenständigkeit der dortigen Salzkammergutorte zum Ausdruck gebracht, indem sich gegenüber den alten salzwirtschaftlichen Kernzonen ein gestärktes Selbstbewusstsein und eine autochthone Regionalkultur entwickelten.134 Auflösung der administrativen Struktur der Salzregion Der entscheidende Schritt zur Auflösung der Konstitution des Salzkammergutes als gesonderte administrative Region war die Liquidierung des Salzoberamtes in Gmunden und die Überführung von dessen Agenden in die staatlich-ministerielle Verwaltungsstruktur ab 1849/50.135 Dies brachte auch eine spürbare Relativierung der in der »alten Salzregion« gewachsenen zentralörtlichen Stellung der Stadt Gmunden mit sich. Bisher war von dort aus das Berg-, Hütten-, Wald-, Ökonomie-, Transport-, 133 Pauli, Das Salzkammergut, S. 48f, 77 ; Gleissner, Das Salzkammergut, S. 2. 134 Dirninger, Ambivalenzen, S. 220. 135 Dazu ausführlich : Hufnagl, Die Maut zu Gmunden, S. 571f.
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Bau-, Sanitäts- und Kassenwesen für das gesamte Salzkammergut, inklusive des Ausseerlandes und der salzburgischen Gebiete, geleitet worden. Nunmehr wurde das Gmundner Salzoberamt per kaiserlicher Entschließung vom 25. April 1849 in eine auf der mittleren Ebene der Staatsverwaltung angesiedelte »k. k. Salinen- und Forstdirection für Österreich ob der Enns« umgewandelt. Diese Relativierung der tradierten zentralörtlichen Stellung wurde durch die 1850 vorgenommene Erhebung Gmundens zur Bezirkshauptstadt mit einem Bezirksgericht sowie der Einrichtung eines Bezirksgendarmeriekommandos und eines »Steueramts 1. Classe« zwar kompensiert, allerdings bezog sich diese neue Zentralörtlichkeit nun nicht mehr explizit auf das Gebiet der »alten Salzregion«, sondern auf den über dieses hinaus reichenden Bezirk. Darin liegt wohl auch ein historischer Ansatzpunkt dafür, dass sich in weiterer Folge Orte wie Laakirchen, Lindach oder Vorchdorf zum oberösterreichischen Salzkammergut zählen konnten. Die auf die salzburgischen Gebiete bezogenen Forst- und Montanämter waren bereits 1849 ausgegliedert und der Salzburgischen Landesverwaltung unterstellt worden. Als Nächstes kam es im Jahr 1851 zu einer Trennung von Salz- und Forstverwaltung. So verloren im Wege einer Dienstinstruktion vom 11. Oktober 1851 sämtliche k. k. Salinenverwaltungen (Ebensee, Ischl, Hallstatt und Aussee) ihre Einflussnahme auf die lokale Leitung der Forstverwaltungen ; die Waldämter Gmunden, Attergau und Mondsee wurden aufgelöst. Damit in Verbindung stand die Aufhebung der ausschließlichen Widmung der Wälder als Salinenforste. 1859 wurde das Forstwesen direkt dem Finanzministerium unterstellt. Bis 1873 gab es noch ein »k. k. Oberforst amt« in Ebensee, danach wurden dessen Agenden im Zuge der Neuordnung der Staatsforste der in Gmunden eingerichteten »Forst- und Domänen-Direktion für Oberösterreich und das Salzkammergut« übertragen. Als 1868 auch die »k. k. Salinen ämter« in Ebensee, Ischl und Hallstatt sowie auch jenes in Aussee direkt dem Finanzministerium unterstellt wurden, bedeutete dies das Ende der Salinen- und Forstdirektion in Gmunden, die nun mit kaiserlicher Entschließung geschlossen wurde.136 Diese Maßnahme war der finale Schritt zur Auflösung der administrativen Regionalität des Salzkammergutes als gesonderte Verwaltungs- und Wirtschaftsregion, bedeutete aber zugleich auch das Ende der bisherigen verwaltungsmäßigen Trennung des steirischen und des oberösterreichischen Salzkammergutes. Ab nun hatte das Salzkammergut keine eigene administrative Struktur mehr, sondern mutierte zu einer Begriffsregion, die sich auf drei Kronländer, Österreich ob der Enns, Steiermark und Salzburg, über die jeweiligen Landesgrenzen hinweg erstreckte. Eine zweite wesentliche Änderung in der Verwaltungsstruktur des Salzkammergutes mit nachhaltiger Wirkung auf das Regionalbewusstsein bzw. die regionale 136 Hufnagl, Die landesfürstliche Stadt Gmunden ; Feichtinger, Lackernpascher, S. 58, 61f ; Kurz, Kammergut –Jammergut, S. 48 ; Pauli, Das Salzkammergut, S. 48.
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Identitätsstruktur war die Einführung der Gemeindeautonomie.137 Ausgehend von der »Reichsverfassung für das gesamte Kaiserthum Österreichs« vom 4. März 1849 – der sogenannten »Märzverfassung« – und der darin vorgenommenen Aufhebung des Grundherrschaftssystems und Übertragung der feudalen Rechtssprechung und Verwaltung auf den Staat, kam es in der Folge zur Konstituierung der Gemeinden als unterste Ebene der politischen und damit auch der wirtschaftlichen Verwaltung. Als Basis dienten dabei die (katholischen) Pfarrsprengel, »die schon immer Integrationsfaktor und Identitätsbildner waren«.138 Diese grundlegenden Veränderungen in der Verwaltungsstruktur können als Ausgangspunkt für drei Charakteristika gelten, die in weiterer Folge das Regionalbewusstsein bzw. die regionalen Identitätsverhältnisse im Salzkammergut prägten. Alle drei erscheinen dabei zugleich auch als Fortsetzung älterer Charakteristika der regionalen Identitätsstruktur unter neuen Vorzeichen. Da ist zunächst die den Bewohnern des Salzkammergutes immer wieder geradezu sprichwörtlich attestierte Widerständigkeit gegen die staatliche Obrigkeit zu nennen. War diese früher vor allem mit dem Protestantismus und der Gegenreformation verbunden gewesen, so hängte sie sich nunmehr insbesondere an den Verlust der verwaltungsmäßigen Eigenständigkeit, aber auch an der Nivellierung des Salzwesens und der damit verbundenen Beseitigung von Sonderrechten und Begünstigungen im staatlichen Wirtschaftssystem auf.139 Dass diese Widerständigkeit immer wieder die Aufmerksamkeit der Staatsorgane auf sich zog, geht beispielsweise aus einem behördlichen Bericht hervor, in dem es unter anderem heißt : »Dass die Bewohner des Salzkammergutes insbesondere in der Gegend von Goisern und Hallstatt von jeher zu religiösen Umtrieben, die sich besonders unter den protestantischen Theilen der Bevölkerung bemerkbar machten, geneigt waren, und die Aufmerksamkeit der Regierung veranlassten, ist zu wohl bekannt und ebenso sicher gestellt, dass bereits von dem Jahre 1830 angefangen, die schlechte Presse des Auslandes ungeachtet unter den kaiserlichen Berg- und Holzarbeitern allgemeine Verbreitung fand. Die Zeitverhältnisse des Jahres 1848 äußerten im Salzkammergute eine weit schädlichere Folge als in anderen Gegenden und fachten den zu Neuerungen immer geneigten Protestanten den Oppositionsgeist in hohem Grade an, der unter dem Vorwand einer von der Staatsverwaltung verfügten Verschlechterung der materiellen Zustände der Arbeiter von einigen Koriphäen der Umsturzpartheien gehörig genützt und rege gehalten wurden.«140
137 Hufnagl Franz : Die Gemeinden des Bezirkes und ihre Entstehung, in : Hufnagl/Marchetti, Der Bezirk Gmunden, S. 723–736. 138 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 27, 47, 49 ; Feichtinger, Lackernpascher, S. 57f, basierend auf : Hufnagl/Marchetti, Der Bezirk Gmunden und seine Gemeinden. 139 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 26, 28. 140 Zit. nach : Ebenda, S. 28.
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Hier zieht die Behörde eine Kontinuitätslinie von den religiösen Unruhen der Frühen Neuzeit bis zu den Protesten infolge der spezifischen strukturellen Veränderungen des 19. Jahrhunderts. Sie unterstellt gleichsam eine mentale Disposition, die allerdings als Konstruktion zu betrachten ist. Tatsächlich war der gesellschaftliche Kontext des Widerstands im Vormärz ein anderer als jener der protestantischen Bewegungen. Nichtsdestotrotz bildet der Mythos der Widerständigkeit, der wohl auch aus der behördlichen und letztlich das Selbstverständnis der Einheimischen prägenden Einschätzung resultiert, einen zentralen Identitätsbaustein im Salzkammergut (S. 108–114). Es lässt sich freilich fragen, ob der Mythos der Widerständigkeit dadurch nicht tatsächlich zu einer mentalen Disposition geworden ist. Das zweite Charakteristikum für das Regionalbewusstsein, das einen Ausgangspunkt in den veränderten Verwaltungsstruktur findet, kann in der Betonung der relativen Eigenständigkeit der oberösterreichischen, steirischen und salzburgischen Teilgebiete des Salzkammergutes gesehen werden. Diese Abgrenzungstendenzen sind auch im Zusammenhang mit der Formierung der Tourismusregion Salzkammergut zu sehen. Innerhalb der oberösterreichischen, steirischen und salzburgischen Teilgebiete findet sich als drittes Charakteristikum ein von der Gemeindeautonomie ausgehender und sich auf die kommunalen Lebenswelten beziehender Lokalpatriotismus, der in wirtschaftlicher Hinsicht auch den Charakter von Konkurrenzverhältnissen annahm.141 Bis zu einem gewissen Grad kam und kommt derartiges auch bei Fragen der Gemeindegrenzen bzw. bei Gemeindezusammenlegungen zum Tragen. Die Gemeinden erfuhren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch eine Reihe von Institutionen eine nachdrückliche Aufwertung in ihrer Bedeutung und Standortqualität als lokale Lebensräume. Dazu gehörten unter anderem nach dem Reichsvolksschulgesetz von 1869 errichtete öffentliche Schulen, weiters Gendarmerieposten, kommunale Sparkassen, genossenschaftliche Spar- und Darlehenskassen (Raiffeisenkassen) sowie – ab den späten 1870er-Jahren – die Feuerwehren.142 Dass all diese Einrichtungen zu wesentlichen institutionellen Elementen regionaler bzw. lokaler Identität geworden sind, zeigt sich nicht zuletzt im Widerstand gegen die in jüngster Zeit in diesen Bereichen platzgreifenden Schließungen und überörtlichen Zusammenlegungen. Zwar ist dies kein salzkammergutspezifisches Phänomen, aber eben auch für die Identitätsstruktur des Salzkammergutes bzw. seiner Gemeinden und Teilregionen prägend. Parallel und in Verbindung mit der Gemeindeautonomie und den sich damit ergebenden Ansatzpunkten für Lokalpatriotismus spielten auch die Einbindung der Gemeinden in die Gliederung der als regionale Repräsentanzen der staatlichen Zen141 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 27 ; Feichtinger, Lackernpascher, S. 68. 142 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 27, 31.
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tralverwaltung errichteten Bezirke eine Rolle für das Verhältnis von Salzkammergutorten zueinander. So hat beispielsweise das schon mehrfach erwähnte Rivalitätsverhältnis von Ebensee und Gmunden einen Bezugspunkt auch darin, dass Ebensee im Rahmen der Einrichtung der Bezirke als regionale Verwaltungsebene zunächst dem damaligen Bezirk Ischl angehörte. Dies entsprach durchaus den wirtschaftlichen Zusammenhängen im »alten« Salzkammergut. Nach der Auflösung des Bezirks Ischl im Jahr 1868 wurden allerdings Ebensees und Ischl dem Bezirksamt Gmunden unterstellt.143 Effekte von Eisenbahn und Industrialisierung Der Bau bzw. die 1877 erfolgte Inbetriebnahme der Kronprinz-Rudolf-Bahn von Attnang-Puchheim nach Stainach-Irdning stellte ohne Zweifel einen einschneidenden und weitreichenden Wendepunkt in der wirtschaftlichen Struktur des Salzkammergutes in seiner Gesamtheit sowie im Verhältnis seiner Teilregionen dar. Während die Pferdeeisenbahn, die 1855 auf Lokomotivbetrieb umgestellt worden war, von Gmunden nach Linz reichte, durchzog diese »Salzkammergut-Bahn« nunmehr das Salzkammergut in seiner Gesamtheit in nord-südlicher Richtung. Entstand damit einerseits eine verkehrsmäßige Verbindung der Teilregionen, so bedeutete diese zugleich eine Öffnung der Region nach beiden Seiten. Diese verkehrsmäßige Aufschließung und Öffnung des Salzkammergutes wurde im Jahr 1893 durch die Eröffnung der Salzkammergutlokalbahn zwischen Salzburg und Bad Ischl mit Anbindung an Mondsee und Thalgau in westlicher Richtung ergänzt.144 Bereits vor dem Eisenbahnbau waren in Teilgebieten des Salzkammergutes die Verkehrswege auf der Straße ausgebaut und damit die Verbindung zwischen Salzkammergutorten intensiviert worden. Ein Beispiel dafür ist die ab 1856 neu gebaute und am 3. August 1861 eröffnete Straße zwischen Gmunden und Ebensee entlang des Traunsees, die die bereits seit 1840 bestandene Straßenverbindung zwischen Gmunden und Traunkirchen bis Ebensee fortsetzte. Ebensee war bis dahin von Norden aus nur über den See erreichbar gewesen.145 Dies ist aber auch ein Beispiel dafür, dass dadurch die Rivalitäten und Spannungen im Lokalbewusstsein nicht eingeebnet wurden. Die Gründe dafür liegen einerseits im Weiterwirken der aus 143 Feichtinger, Lackernpascher, S. 60. 144 Hager, Christian : Die Eisenbahnen im Salzkammergut, Steyr 1992 ; Reingruber, Manfred : Pferdeeisenbahn in Gmunden. 175 Jahre Pferdeeisenbahn, Gmunden o. J ; Selzer, Erika (Hg.). 125 Jahre Salzkammergutbahn. Katalog zur Sonderausstellung im Kammerhofmuseum Bad Aussee, Bad Aussee 2003 ; Pauli, Das Salzkammergut, S. 56f ; Pilz, Gmunden, S. 151 ; Danesch/Danesch, Österreich ein Land der Seen, S. 62 ; Leibenfrost, Wirtschaftsraum Salzkammergut, S. 62 ; Müller, Guido : Die Landschaft des Wolfgangsees, in : Oberösterreich in Geschichte und Literatur, 18/2 (1974), S. 108. 145 Feichtinger, Lackernpascher, S. 73.
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den strukturellen Hierarchien der »alten« Salzregion heraus entstandenen Identitätsmuster, zum anderen in den unterschiedlichen Entwicklungsmöglichkeiten im Industrialisierungs- und Modernisierungsprozess im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Für die regionalen Befindlichkeiten waren mehrere Effekte relevant. So ergaben sich für die an der Bahnstrecke gelegenen und mit Bahnhöfen ausgestatteten Orte zweifelsohne eine Reihe von Standortvorteilen und wirtschaftlichen Impulsen, denen gegenüber abseits der Bahnstrecke liegende Ort sich in gewisser Weise benachteiligt sehen konnten. Durch die Eisenbahn wurden auch Zentralörtlichkeiten verändert und die Beziehungen zwischen Salzkammergutorten beeinflusst. Ein Beispiel dafür ist wieder das Verhältnis von Gmunden und Ebensee. So wurde die Position Gmundens als Verkehrsknotenpunkt am nördlichen Eingang in das »alte« Salzkammergut nun durch die durch das Salzkammergut hindurch führende Eisenbahn relativiert. Zugleich aber war die Einbindung Gmundens an das in Richtung Norden liegende großräumige Verkehrssystem, an die 1860 eröffnete Kaiserin-ElisabethWestbahn, ein wesentlicher lokaler Standortfaktor. Dabei wurde eine bereits mit der auf Dampfbetrieb umgestellten seinerzeitigen Pferdeeisenbahn mit Bahnhöfen in Steyrermühl oder Laakirchen begonnene Entwicklung fortgesetzt. Mit dem durch die Eisenbahn bedingten Ende der Salzschifffahrt verlor Gmunden aber seine Position als zentraler Standort im System des Salztransports und Salzhandels. Das Salzwesen im Traunseegebiet konzentrierte sich nun auf den Standort Ebensee, womit eine jahrhundertelang bestandene Verbindung der beiden Salzkammergutorte abgebrochen wurde. Manuela Feichtinger konstatiert : »Das Ende der Zusammenarbeit im Salzwesen bedeutete somit auch eine gewisse Abkehr der Orte voneinander.«146 Das kann auch als ein wesentlicher Teil des Aufbrechens des tradierten salzwirtschaftlichen regionalen Wertschöpfungssystems sowie für die nun einsetzende Tendenz einer standortbedingt stärker »individuellen« wirtschaftlichen Entwicklung der Salzkammergutorte gesehen werden.147 Den durch die Eisenbahn zustande kommenden neuen Beschäftigungsmöglichkeiten, die im Übrigen auch das aus der Salzwirtschaft tradierte Staatlichkeitselement in der regionalen Beschäftigtenstruktur verstärkten, standen teilweise bis zur Existenzaufgabe reichende Beeinträchtigungen alter Erwerbszeige in der regionalen Transportwirtschaft gegenüber. In besonderer Weise betraf dies die Salzschifffahrt und die damit verbundenen Gewerbezweige, etwa die Salzfertiger und »Küfler«, aber auch den Schiffsbau. Der Salzhandel stieg rasch auf das neue Transportmittel um, das gegenüber der bisher aufwendigen Verschiffung des Salzes vom Hallstätter See auf die Traun und von Ebensee auf den Traunsee nach Gmundnen und von dort 146 Ebenda, S. 68f. 147 Ebenda, S. 70f.
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wieder auf den Flussweg Richtung Norden beträchtliche Kostenvorteile und Kapazitätserweiterungen bot. Analoges gilt für die Salzfuhren über Land.148 Die Schifffahrt auf den Salzkammergutseen verlegte sich nach dem Übergang des Salz- und Holztransports auf die Eisenbahn zusehends auf den Personenverkehr, wobei dem touristischen Angebot immer mehr Bedeutung zukam.149 Eine tiefgreifende Auswirkung in der regionalen Wirtschaftsstruktur hatte die – infolge der neuen Transportmöglichkeiten sich nun endgültig durchsetzende – Kohlefeuerung bei der Salzproduktion. Begonnen hatte diese schon vor der Eröffnung der Kronprinz-Rudolf-Bahn, indem bereits 1871 die obrigkeitliche Anordnung ergangen war, die Sudpfannen der Saline Ebensee auf Kohlebefeuerung umzustellen.150 Die von Ampfelwang und Wolfsegg über die Bahn antransportierte Trauntaler Kohle ersetzte weitestgehend das Holz als Brennstoff bei der Salzgewinnung in den Salinen. Der verbliebene Holzbedarf beim Salzbergbau reichte nicht aus, den wirtschaftlichen Rückschlag in der regionalen Forst- und Holzwirtschaft zu verhindern. Entfielen bis zur Durchsetzung der Kohlefeuerung in der salzwirtschaftlichen Wertschöpfungskette rund zwei Drittel der Beschäftigten auf die Forst- und Holzwirtschaft, so nahm dieser Anteil nun drastisch ab. Der damit verbundene Wegfall der Einkommens- und Lebensgrundlagen hinterließ bei der Bevölkerung in den Zuliefergebieten das Gefühl der ökonomischen Benachteiligung. Viele, deren materielle Lebensgrundlagen nun gefährdet waren oder völlig wegfielen, mussten sich im Vergleich mit den Bewohnern der Salzgewinnungs- und Salzproduktionsstandorte als Modernisierungsverlierer sehen.151 Diese soziale Problematik war es auch, die mancherorts Grund für eine gewisse Verzögerung der Umstellung von Holz- auf Kohlefeuerung war. So erfolgte diese beispielsweise in Hallstatt erst 1887, also zehn Jahre nach der Eröffnung der Kronprinz-Rudolf-Bahn. Fritz Idam, der die Verhältnisse in Hallstatt untersucht hat, meint dazu : »Der Grund für diese Verzögerung ist darin zu suchen, dass die zahlreichen im Holzwesen beschäftigten Arbeiter nicht schlagartig entlassen werden sollten.«152 Auf mittlere Sicht ergaben sich im Forst- und Holzwesen aber infolge der erforderlich gewordenen Neuausrichtung strukturelle Veränderungen. So verlor einerseits das beschäftigungsintensive Triftwesen seinen früheren großen Stellenwert. Andererseits ergaben sich im gewerblichen und industriellen Sektor neue Absatzmöglichkeiten. Die damit steigende Nachfrage nach hochwertigem Nutz148 Pauli, Das Salzkammergut, S. 48 ; Pilz, Gmunden, S. 159f ; Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 32. 149 Feichtinger, Lackernpascher, S. 72f. 150 Ebenda, S. 64. 151 Ebenda, S. 66 ; Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 32. 152 Idam, Pfannhaus Hallstatt, S. 166.
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holz machte aber auch eine qualitative Verbesserung bei der Holzbringung erforderlich. Infolge dessen wurden unter anderem Holzwege und Forststraßen gebaut, über die das Holz unbeschädigt zu Tal gebracht werden konnte.153 Der Strukturwandel in der Forst- und Holzwirtschaft fand auch im Entstehen eines neuen Unternehmertums im Holzhandel, der Holzzurichtung (Sägewerke) sowie der Holzverarbeitung Ausdruck. Dass mit der Eisenbahn nunmehr die Möglichkeit bestand, in Märkte außerhalb der alten Zulieferdestinationen, zunehmend auch außerhalb des Salzkammergutes zu reüssieren, verbesserte deren Entwicklungschancen nachhaltig. Derartige forst- und holzwirtschaftliche Betriebe sowie auch landwirtschaftliche Betriebe, für die sich durch die Eisenbahn neue Märkte erschlossen, wurden bald zu einem tragenden Element in der regionalen Wirtschaftsstruktur der ehemaligen Zuliefergebiete. Damit waren sie auch ein entscheidender Faktor für die ökonomische Emanzipation dieser Regionen, aber auch für die dortige Bewusstseinshaltung gegenüber den ehemaligen salzwirtschaftlichen Zentralorten. Ein Beispiel von vielen ist im steirischen Salzkammergut die ökonomische Emanzipation von Mitterndorf vom Salzbergbau und der Saline des Ausseerlandes, die auf einen derartigen Strukturwandel in der Forst- und Holzwirtschaft, aber auch in der Landwirtschaft zurückgeht. Die wirtschaftliche Entwicklung und damit das Selbstbewusstsein der Bevölkerung in dem, heute oft noch mit dem aus der vorindustriellen Zeit stammenden Begriff »Hinterberg« bezeichneten Gebiet zwischen Aussee und Tauplitz wurde denn auch ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wesentlich von einer prosperierenden Forst-, Holz- und Landwirtschaft bestimmt. Ähnliches ließe sich auch für die ehemaligen Holzliefergebiete rund um den Traunsee anführen, wobei dort – neben dem Umstieg auf die Kohlefeuerung in der Saline Ebensee – auch der durch die Eisenbahn verursachte Wegfall des Holzbedarfes für den Bau der Salzschiffe maßgeblich war. Auch hier etablierte sich im Laufe der Zeit eine vom Salzwesen unabhängige und auf neue Märkte ausgerichtete Holz- und Landwirtschaft.154 Ein spezieller Bereich in diesem Zusammenhang war in der Traunseeregion der Wandel der Holzwarenerzeugung, die sich von einem Nebenerwerbszweig nun vielfach zu einem Haupterwerbszweig wandelte und bis heute, etwa in Altmünster, Traunkirchen, Pinsdorf oder in der Viechtau, ein regionales Charakteristikum dar-
153 Pauli, Das Salzkammergut, S. 48 ; Schönwiese, Heinrich : Gmunden und die Forstwirtschaft im Salzkammergut, in : Stein, Erwin (Hg.) : Die Städte Deutschösterreichs. Eine Sammlung von Darstellungen der deutschösterreichischen Städte und ihrer Arbeit in Wirtschaft, Finanzwesen, Hygiene, Sozialpolitik und Technik, Bd. V. Gmunden und der Traunsee, Berlin 1929, S. 108 ; Koller, Die Holztrift, S. 99. 154 Feichtinger, Lackernpascher, S. 64.
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stellt.155 In Neukirchen (Gemeinde Altmünster) bestand zwischen 1870 und 1894 sogar eine Schnitzerschule.156 Auf diese Weise blieb die »Hausindustrie« in Teilgebieten des Salzkammergutes ein Traditionselement, konnte sich aber nicht zu einer dauerhaften und ausreichenden Lebensgrundlage für die örtliche Bevölkerung entwickeln. Die – nicht zuletzt durch die Eisenbahn – in die Regionen eindringenden industriellen Produkte stellten eine auf Dauer übermächtige Konkurrenz dar. Analog zur Holzwarenerzeugung gilt dies auch für die in den salzburgischen Teilen des Salzkammergutes bis ins 19. Jahrhundert hinein stark verbreiteten und im Verlagssystem organisierte Textilproduktion, speziell die Spitzenklöpplerei im Raum St. Gilgen, sowie für die manufakturielle Glaserzeugung im Wolfgangseegebiet.157 Die Eisenbahn war auch insofern maßgeblich für den nachhaltigen Wandel der Wirtschaftsstruktur im Salzkammergut verantwortlich, als sie der entscheidende Faktor sowohl für die Etablierung von industriellen Elementen als auch für die Ausbreitung und den Aufschwung des Tourismus wurde. Damit in Verbindung bildete sich eine gewisse Zweiteilung des Salzkammergutes heraus : ein vor allem das »äußere Salzkammergut« betreffender, neben dem sich etablierenden Tourismus stärker industriell durchsetzter Teil und ein vor allem das »innere«, das steirische Salzkammergut und die dem Salzkammergut zugerechneten salzburgischen Gebiete betreffender Teil, der hauptsächlich touristisch und vergleichsweise weniger durch industrielle Elemente geprägt war. Beispiele für die Etablierung von industriellen Betrieben, die teilweise den Verlust von Arbeitsplätzen in der Salzwirtschaft kompensierte, zum Teil aber auch für Zuzug von Arbeitskräften sorgte, lassen sich für den Bezirk Gmunden etliche anführen. In Gmunden, wo es seit 1832 mit der Kammgarnspinnerei Theresienthal in Orth (ab 1861 zum Gemeindegebiet Altmünster gehörend) bereits einen namhaften Industriebetrieb gab, der nun expandierte, siedelten sich 1874 die Kalkwerke Staininger in unmittelbarer Nähe zum Seebahnhof, das Gaswerk in Weyer und 1875 die Sodawasserfabrik Reymann in Kranabeth an. Aus dem 1883 eröffneten Ingenieurbüro Stern & Hafferl gingen in den Folgejahren die Elektrizitätswerke Stern & Hafferl bzw. die 155 Traunspiegel, 204/19 (2014) S. 8f ; Feichtinger, Lackernpascher, S. 67f ; Dimt, Gunter : Vom Hausrat zur Volkskunst – 450 Jahre Viechtauer Hausindustrie, in : Sandgruber, Salzkammergut, S. 173–177. 156 Offensichtlich wurden in wirtschaftlichen Krisenzonen bzw. Regionen, in denen ökonomische Transformationsprozesse stattfanden, traditionelle Nebenerwerbszweige gerne wiederbelebt und zum Teil auch Schulen zur deren Förderung errichtet. In Hallein erfolgte etwa 1870 ebenfalls die Gründung einer Holzschnitzereischule, die dazu beitragen sollte, die soziale Notlage in der Salinenstadt zu bewältigen. Siehe dazu : Hellmuth, Kontinuität und Transformation, S. 87f. 157 Thonhauser, Monika : Das salzburgische flache Land – eine textile Landschaft. Klöppelei, ein protoindustrieller Erwerbszweig der Frühen Neuzeit und im Konnex von Frauenerwerb und Heimatschutz nach 1900. Dissertation, Salzburg 2006.
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Gmundner Elektrizitäts AG samt Dampfkraftwerk (1894) hervor. 1895 entstand eine Aktienbrauerei, 1903 die Gmundner Tonwarenfabrik, aus der die heutige Gmundner Keramik hervorging. 1907 nahm die Zementfabrik Hatschek ihren Betrieb in Verbindung mit einem 1909 in Ebensee-Roith errichteten Steinbruch auf.158 In Ebensee entstanden durch die 1875 eröffnete Uhrenfabrik Resch neue industrielle Arbeitsplätze, ebenso durch die 1883/85 erbaute Sodafabrik Solvay & Cie mit einem 1892 in Karbach neu errichteten Kalksteinbruch sowie durch eine 1908 gegründete Spinnfabrik und Weberei. Dazu kam 1909 der bereits erwähnte Steinbruch der Zementfabrik Hatschek. Aber auch die Saline expandierte und verlegte ab 1897 Erweiterungsbauten auf das rechte Traunufer. Der industrielle Aufschwung schlug sich in einem beträchtlichen Bevölkerungswachstum nieder. So konnte für Ebensee im Jahr 1890 ein Zuwachs von fast 900 auf 5.928 Einwohner festgestellt werden, deren Zahl bis 1900 auf 7.659 anstieg.159 Mit der dergestalt voranschreitenden Etablierung neuer industrieller Betriebe wandelte sich auch die regionale Gesellschaftsstruktur durch die Entstehung einer gegenüber der Salzarbeiterschaft neuen industriellen Arbeiterschaft einerseits und die Ansiedlung einer industriell orientierten Unternehmerschaft andererseits, die das regionale Bürgertum zunehmend bestimmte.160 Die spezifische Formierung der – allerdings relativ gemäßigten (S. 113) – Arbeiterbewegung fand in der Folge auch Ausdruck in der Einrichtung genossenschaftlicher Selbsthilfevereine. Diese wurden insbesondere im inneren und im steirischen Salzkammergut zu einem langfristig wirksamen Identitätsbaustein. Ein Beispiel dafür ist der 1868 gegründete Arbeiterkonsumverein, der ab 1874 die erste genossenschaftliche Mühle Österreichs betrieb. Der daraus hervorgegangene Salzkammergut-Konsumverein bestand bis vor wenigen Jahren als selbstständige Organisation.161 Im Hinblick auf das Salzkammergut in seiner Gesamtheit bedeutete der teilregionale Industrialisierungsschub aber auch die Herausbildung von Gewinner- und Verlierer-Regionen und damit auch entsprechender Rivalitätselemente im innerregionalen Bewusstsein. Als ein Charakteristikum der teilregionalen Differenziertheit des Salzkammergut-Bewusstseins kann dabei auch eine gewisse »relative Rückständigkeit« des »inneren Salzkammergutes« und des steirischen Salzkammergutes im allgemeinen Industrialisierungsprozess gesehen werden.162 Diese relative Rückstän158 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 55 ; Feichtinger, Lackenpascher, S 74, 81 ; Schießer, Die Ära Krackowizer, S. 96f, 105f, 110f. 159 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 58 ; Feichtinger, Lackernpascher, S. 74f, 82 ; Bittermann, Gunter : Unternehme(ns)rlustiges Salzkammergut, in : Sandgruber, Das Salzkammergut, S. 84f. 160 Schießer, Die Ära Krackowizer, S. 70f. 161 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 31. 162 Gerschenkron, Alexander : Economis backwardness in historical perspective. A book of essays, Cambridge 1962.
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digkeit wurde zu einem gewissen Grad auch Teil der Bewusstseinshaltung in den betroffenen Teilregionen – einerseits in einem Gefühl der Benachteiligung und andererseits in einem besonders zur Schau getragenen Stolz auf die salzwirtschaftliche Tradition. Dem stand aber gegenüber, dass sich im Vergleich zu neuen industriellen Sektoren die Bedeutung des Salzes in der Wirtschaft der Monarchie und auch Europas relativiert hatte und dass damit zugleich auch eine gewisse Relativierung der Vorrangstellung der Salzwirtschaft in der Staatswirtschaft verbunden gewesen war. Konkret wirkte sich das in einer spürbaren Reduktion des Beschäftigtenstandes im Salzwesen aus.163 Die Selbsteinschätzung als Krisenregion, in der keine ausreichenden ökonomischen Lebensgrundlagen mehr gewährleistet waren, gepaart mit dem Eindruck, von den staatlichen Zentralstellen nicht entsprechend gestützt und gefördert zu werden, war wesentlicher Grund für eine in der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende Auswanderung aus dem inneren Salzkammergut, großteils nach Nordamerika. Verstärkt wurde die Krisenlage in jener Zeit noch durch eine Reihe von witterungsbedingten Missernten und dadurch ausgelöste Hungersnöte.164 Besaßen also der Industrialisierungsprozess und seine sozioökonomischen Folgen für die teilregionale Struktur des Salzkammergutes und dessen inneren Zusammenhang desintegrative Effekte, so gab es aber auch regional integrative Effekte. Einer davon war die verkehrsmäßige Erschließung und Verbindung der Teilregionen durch Eisenbahn und Straßenbau. Ein anderer war jener, der von dem im späten 19. Jahrhundert durch die Firma Stern & Hafferl schrittweise geschaffenen Elektrizitätsverbund im Salzkammergut ausging, der im Endausbau dessen oberösterreichische, steirische und salzburgische Gebiete umfasste. Ausgehend von Gmunden wurden viele der dort bestehenden lokalen Einzelkraftwerke in einen regionalen Verbund einbezogen. In diesem Sinne kann das Salzkammergut, das aufgrund der Wasserkraft spezifische Standortvoraussetzungen aufwies, geradezu als ein Prototyp einer Energieregion gesehen werden. 1914 betrieb Stern & Hafferl sieben Kraftwerke, 247 Trafostationen und 577 Hochspannungsleitungen und versorgte Stromabnehmer in 82 Orten in Oberösterreich, Salzburg und der Steiermark. Das Ausseerland wurde 1912 über eine 10-KV-Leitung vom Kraftwerk in Steeg aus an diesen Verbund angeschlossen. Etablierung der Tourismusregion Salzkammergut Als vorrangiger Integrationsfaktor des Salzkammergutes in seiner Gesamtheit ist aber zweifelsohne der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sukzessive über die ganze Region verbreitende Tourismus und damit die Etablierung der Tourismus163 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 30. 164 Ebenda, S. 27, 30.
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region Salzkammergut zu sehen.165 Die regionsbildende und damit auch die identitätsstifte Wirkung (S. 51–54, 107) des Fremdenverkehrs ist zu einem wesentlichen Teil auf seine Rolle als zunehmend tragender wirtschaftlicher Wachstumsfaktor zurückzuführen. Dies zunächst vielerorts wohl auch als Hoffnungssektor, mit dem die wirtschaftliche Abschwächung im Bereich der Salzwirtschaft ausgeglichen und in der Folge auch eine Besserung des eigenen Lebensstandards erwartet werden konnte. Wieder war es die Eisenbahn, die die entscheidenden Weichen stellte. Denn durch sie verstärkte sich der touristische Zulauf nachhaltig, woraus der wesentliche Impuls für die Entwicklung des Salzkammergutes als Tourismusregion resultierte. Auf die spezifische Bedeutung der Salzkammergut-Lokalbahn durch die Verbindung mit der Stadt Salzburg sowie mit Teilen des Voralpengebietes (Mondseeland) und des salzburgischen Flachgaus (Thalgau, Fuschl) wurde bereits verwiesen (S. 61). Für die innere Regionalstruktur des in dieser Weise erweiterten Salzkammergutes gingen von der sich rasch etablierenden Fremdenverkehrswirtschaft im Grunde zwei Effekte aus. Zum einen bestand für die Teilregionen, die von relativer Rückständigkeit im industriellen Bereich betroffen waren, die wirtschaftliche Möglichkeit, diese zu kompensieren. Zum anderen bildeten sich aber auch in der Tourismusregion Zentralörtlichkeiten und Peripherien heraus, die für die teilregionalen Identitätsstrukturen im Salzkammergut langfristig prägend geworden sind. Die wesentlichen Entwicklungsschritte der Etablierung des Tourismus als wirtschaftlicher Wachstumsbereich sind bekannt und wurden mehrfach beschrieben : Der Weg führte von den Bildungsreisen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts über die Ausbreitung des Kurtourismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hin zu der in der Zeit des »Fin de Siècle« dominierenden »Sommerfrische«. In der historischen Tiefenstruktur, die der Entwicklung der Fremdenverkehrsregion Salzkammergut zugrunde liegt, lässt sich ein spezifisches Diffusionsmuster dieses zukunftsträchtigen Wirtschaftszweiges erkennen, das in langfristiger Hinsicht auch für die regionalen Identitätsstrukturen prägend geworden ist. Dabei handelt es sich im Grunde darum, dass sich der Salzkammergut-Tourismus zunächst an alten Salinenstandorten mit den dort errichteten Sole- und Heilbädern als Kur- und Bädertourismus etablierte und dann sukzessive in das nähere und weitere Umland ausgegriffen hat. Damit drang der Fremdenverkehr, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, in nahezu alle Teile des Salzkammergutes vor, erfasste dieses also in seiner Gesamtheit.166 Im Zuge der quantitativen Zunahme und der gesellschaftlichen Verbreiterung des Fremdenverkehrs wurden die bisherigen Hauptstandorte des Kur- und Bädertourismus zu regionalen Fremdenverkehrszentren, von denen das jeweilige 165 Schumacher/Sandgruber, Eine kleine Tourismusgeschichte, S. 90f. 166 Kreuzer, Ins Salzkammergut fahren, S. 64f ; Schumacher/Sandgruber, Eine kleine Tourismusgeschichte, S. 92f.
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Umland bis zu einem gewissen Grad wirtschaftlich abhängig war. Zwischen diesen Zentren hat sich ein latentes Konkurrenzverhältnis ergeben, im Zuge dessen spezifische Charakteristika und Klischees in den jeweiligen Salzkammergut-Identitäten, insbesondere in der Volkskultur, besonders betont wurden. Ab dem späteren 19. Jahrhundert erfuhr die fremdenverkehrswirtschaftliche Durchdringung des Salzkammergutes mit der sich sukzessive vom Kur- und Bädertourismus emanzipierenden »Sommerfrische« eine deutliche Intensivierung und räumliche Ausdehnung über die alten Salzstandorte hinaus. Denn ihre wesentlichen Standortvoraussetzungen waren nicht an die Heilkraft des Salzes gebunden, sondern leiteten sich primär von der Schönheit und dem Erholungswert der Landschaft, insbesondere der Seenlandschaft ab. Dieses im 19. Jahrhundert etablierte und entfaltete Diffusionsmuster fand im 20. Jahrhundert, wenn auch mit einigen Akzentverschiebungen, seine Fortsetzung und behielt im Grunde seine Prägekraft für die regionale Identitätsstruktur im Salzkammergut. Gewissermaßen der Prototyp des Bade- und Kurortes im Salzkammergut war Bad Ischl, wo, wie bereits erwähnt, der Wiener Arzt Franz Wirer im Jahr 1823 das Kurbad gegründet hatte. Davon ausgehend und in Verbindung mit der Anziehungskraft, die von der kaiserlichen Sommerresidenz ausging, wurde rasch wirtschaftliche Prosperität spürbar, die nicht zuletzt in einer deutlich steigenden Bevölkerungszahl ihren Ausdruck fand. Diese hatte sich zwischen 1840 und 1910 von ca. 5.500 auf über 10.000 praktisch verdoppelt.167 Im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde dieses Erfolgsmodell auch an anderen Salzkammergutorten mit ähnlichen Standortvoraussetzungen umgesetzt. Ein wichtiges Beispiel dafür ist das 1870 eröffnete Kurhaus in Aussee, dem Zentralort des steirischen Salzkammergutes. Auch dort kam es in der Folge zu einem bis über die Jahrhundertwende andauernden analogen wirtschaftlichen Aufschwung und Bevölkerungszuwachs.168 Gleiches gilt für Gmunden im Norden des Salzkammergutes. Die ehemalige Salzhandelsstadt wandelte sich nach der Errichtung einer Kuranstalt 1861 und der Zuerkennung des Kurstatuts im folgenden Jahr zu einem der zentralen Standorte des Bäder- und Kurtourismus im Salzkammergut.169 So wie das auch bei Bad Ischl und Bad Aussee der Fall war, wirkte der Aufstieg Gmundens als Kurstadt auf die umliegenden Gemeinden, was die jeweilige Zentralörtlichkeit verstärkte. So war etwa die wirtschaftliche Entwicklung von Altmünster und Traunsee stark von ihrer Ausrichtung auf Gmunden bestimmt, wobei hier neben dem Fremdenverkehr auch, wie oben erwähnt, die industrielle Entwicklung eine Rolle spielte.170 Dafür, dass der 167 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 66f. 168 Ebenda, S.74. 169 Schießer, Die Ära Krackowizer, S. 124f ; Feichtinger, Lackernpascher, S. 77. 170 Feichtinger, Lackernpascher, S. 75, 79f.
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Auf- und Ausbau des Kur- und Bädertourismus nicht nur in den Zentralorten des Salzkammergutes, sondern auch an weiteren dafür geeigneten Standorten erfolgte, ist Bad Goisern ein Beispiel. Dort wurde auf Basis der um 1880 entdeckten Schwefelquellen im Jahr 1884 das Marie-Valerie-Jodschwefelbad errichtet, das für einen entsprechenden Gästezustrom sorgte.171 In Verbindung mit dem Ausbau des Kurtourismus kam es im späteren 19. Jahrhundert mit der »Sommerfrische« zu einem weiteren wichtigen Entwicklungsschritt im Salzkammergut-Tourismus.172 Im Zusammenhang damit entstand im späten 19. Jahrhundert bzw. zur Jahrhundertwende eine Beschreibung des Salzkammergutes als touristische Seen- und Gebirgslandschaft. Diese wurde auch bald zu einem Identifikationsmuster der »Einheimischen«.173 Verantwortlich dafür war nicht zuletzt auch die ökonomische Bedeutung der Sommerfrische, mit der sich der Tourismus als Wachstumssektor in der Region verbreitete. Dabei kamen neben den Kur-Standorten und deren Umland nunmehr auch jene Salzkammergutorte und Teilregionen ins Spiel, denen die Standortvoraussetzungen für den Kur-Tourismus gefehlt hatten, wo solche für die Sommerfrische aber in reichlichem Maße vorhanden waren. Auf diese Weise wurden ehemalige Peripherien der alten Salzwirtschaft wie die Gebiete um den Wolfgangsee, den Mondsee und den Attersee als Seenlandschaften nunmehr zu integralen Teilen der Tourismusregion Salzkammergut.174 Teil dieser Entwicklung war aber auch das Aufkommen einer innerregionalen Konkurrenz, sowohl zwischen den Kurorten als auch zwischen den außerhalb dieser liegenden Sommerfrischen. Derartiges lässt sich vielfach im Salzkammergut beobachten. Dazu gehört etwa die dominante Position Gmundens gegenüber den anderen Orten am Traunsee, ebenso die Konkurrenz zwischen den Kurorten Gmunden, Bad Ischl und Bad Aussee, aber auch die Konkurrenz zwischen den Seenlandschaften.175 171 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 6, 11, 32f. 172 Pichler, Barbara : Das Ausseerland. Der Wandel einer touristischen Region. Diplomarbeit, Salzburg 1999 ; Burkert, Günther : Der Beginn des modernen Fremdenverkehrs in den österreichischen Kronländern, Graz 1981. 173 Lehr, Rudolf : Vergnügliche Ausflüge ins k. k. Salzkammergut in Oesterreich ob der Enns und der Steiermark, Wien o. J ; Kegele, Leo : Das Salzkammergut nebst angrenzenden Gebieten in Wort und Bild, Wien 1898 ; Hellmuth, Thomas : Der Glanz der Provinz. Visionen einer heilen Welt, in : Hellmuth, Thomas u. a. (Hg.) : Visionäre bewegen die Welt. Ein Lesebuch durch das Salzkammergut, Salzburg/München 2005, S. 16–25. 174 Pauli, Das Salzkammergut, S. 56 ; Heller, Der Fremdenverkehr im Salzkammergut, S. 67 ; Lendl, Egon : Der Fremdenverkehr als Gestalter der Salzburger Kulturlandschaft, in : Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde. 100 Jahre. Festschrift, Vereinsjahr 1960, S. 681 ; Tremel, Ferdinand : Der Binnenhandel und seine Organisation, in : Wandruska, Adam/Urbanitsch, Peter (Hg.) : Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Wien 1973, S. 398. 175 Feichtinger, Lackernpascher, S. 80, 85 ; Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 69f.
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Diese Konkurrenz fand auch Ausdruck in der Herausbildung von speziellen teilregionalen Klischees, die die Zeitläufe überdauerten und zu einem Element der jeweiligen Salzkammergut-Identitäten geworden sind. Die wesentlichen Bezugspunkte dieser teilregionalen Klischees lagen bei der Anwesenheit prominenter Persönlichkeiten und deren personellem Umfeld. Diesbezüglich kann von einer Dreiteilung des Salzkammergutes gesprochen werden. Im Ausseerland verband sich der Erzherzog-Johann-Mythos mit der Etablierung einer Literaten- und Künstlergesellschaft, für die Hugo von Hofmannsthal stellvertretend steht. In und um Bad Ischl wurde die Sommerresidenz des Kaisers und des dazugehörenden Hofstaates sowie einer dem Abb. 9 : »Hotelpaläste« entstanden infolge des Wandels Habsburgermythos (S. 133 f.) affinen des Salzkammerguts zur Tourismusregion : Werbung Beamten- und Künstlerschaft prägend. für das Hotel Bellevue in Gmunden. Für das »äußere Salzkammergut«, also das Traunseegebiet mit Gmunden als Zentrum, sowie für das Wolfgangsee- und Mondseegebiet erfolgte eine derartige Prägung vor allem durch das gehobene Bürgertum aus Hochbürokratie und Wirtschaft. Der endgültige Wandel des Salzkammergutes in eine Fremdenverkehrsregion hinterließ auch seine Spuren in der sich verstärkt fortsetzenden Veränderung in den Ortsbildern. Die Zahl der als Sommerresidenzen dienenden Villen nahm weiter zu, ebenso die Verbauung und Umgestaltung der Seeufer.176 In den Kurorten entstanden neben Hotels etliche repräsentative Bauten. So etwa in Gmunden anstelle des ehemaligen Salzamtes 1868 ein »Cur-Casino« und 1871 ein Theater. Auf diese Weise veränderten sich auch die Ortbilder in Bad Ischl und Bad Aussee.177 Vielerorts wurde eine fremdenverkehrswirtschaftliche Infrastruktur errichtet ; ein Beispiel dafür ist die 1893 erbaute Schafbergbahn in St. Wolfgang.178 Zur Jahrhundertwende gab es auch schon erste An176 Pauli, Das Salzkammergut, S. 56 ; Danesch/Danesch, Österreich ein Land der Seen, S. 62. 177 Feichtinger, Lackernpascher, S. 77, 79f. 178 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 71.
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sätze für eine Wintersaison, indem, neben Schlittenfahrten und dergleichen, bereits erste Versuche mit dem Skisport begannen, etwa in Goisern und Mitterndorf.179 Grundsätzlich wurde auch in den kleineren Salzkammergutorten viel für die Hebung der fremdenverkehrswirtschaftlichen Attraktivität unternommen. Maßgeblichen Anteil daran hatten die im späten 19. Jahrhundert vielfach gegründeten örtlichen Verschönerungsvereine. Gerade mit diesen kommt eine verstärkte Einbindung und Identifizierung der Bevölkerung mit dem Wandel ihrer Heimat in eine Fremdenverkehrsregion zum Ausdruck. Allenthalben vorhandene Vorbehalte gegen das Eindringen der »Fremden« in den eigenen Lebensraum wurden dadurch relativiert, dass die touristische Entwicklung auch durch einen Ausbau und eine Verbesserung der kommunalen Infrastruktur, zum Beispiel im Straßen- und Wegebau, bei der Ortsbeleuchtung, bei der Wasserversorgung oder im zwischenörtlichen Nahverkehr, begleitet war und sich damit die alltäglichen Lebensumstände besserten.180 Maßgeblich für die letztendliche Akzeptanz des Wandels von der Salz- in eine Tourismusregion und dessen Integration in die regionale Identitätsstruktur waren aber zu einem wesentlichen Teil auch die Sekundär- und Multiplikatorwirkungen, die der Fremdenverkehr in der regionalen Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur bedingte. Dazu gehörten neben den vielen neuen Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten in spezieller Weise auch die neuen Entwicklungschancen für das lokale gewerbliche Unternehmertum. Im Zusammenhang mit dem neuen bzw. zusätzlichen Nachfragepotenzial, das mit dem Tourismus einherging, entstanden auch regionalspezifische »Marken-Artikel«, die mit der Zeit mit der jeweiligen Teilregion identifiziert und Teil der regionalen Identität wurden. Ein Beispiel von vielen sind die aus der regionalen Schuherstellung hervorgegangenen und bei den »Fremden« sehr beliebt gewordenen grob genähte »Goiserer« (Abb. 16) im Raum HallstattGoisern.181 »Eine große Zahl von neuen Geschäften entstand, die sich bemühte, den Ansprüchen der Gäste gerecht zu werden. Eine richtige ›Andenkenindustrie‹ mit Glaswaren, Silberarbeiten, Holzschnitzereien, Bildwerken und Karten entwickelte sich«, charakterisiert Angelika Pauli diese Entwicklung.182 Und sie verweist dabei auch darauf, dass diese im Fremdenverkehrsbereich reüssierenden Geschäftsleute, Wirte und Hoteliers zu einer »neuen Oberschicht« in der regionalen Gesellschaft geworden sind, die als solche nunmehr die alte Salz-Elite ablöste. Der Strukturwandel und die Modernisierungseffekte des Tourismus in den Teilregionen des Salzkammergutes sowie die Wahrnehmung des Salzkammergutes in seiner Gesamtheit als Tourismusregion fanden auch in den Beschreibungen der 179 Ebenda, S. 33 ; Lamer, Das Ausseer Land, S. 191f. 180 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 32f. 181 Kurz, Michael : Geigen, Gwand und Goiserer, in : Sandgruber, Salzkammergut, S. 179f. 182 Pauli, Das Salzkammergut, S. 55.
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Region Ausdruck. Zugleich waren es derartige Beschreibungen, die die Salzkammergut-Identität nachdrücklich bestimmten. So liest man beispielsweise im Vorwort des 1898 erschienenen Buches »Das Salzkammergut nebst angrenzenden Gebieten in Wort und Bild« von Leo Kegele : »Wer vor etwas mehr als einem halben Jahrhundert das Salzkammergut mit seinen herrlichen Seespiegeln durchwanderte, dem ist im Gegensatz zu unserem heutigen frischen, fröhlichen Leben gewiß noch das einförmige, lediglich im Dienste des Salzwesens stehende Thun und Treiben in Erinnerung. Überall fehlte damals noch das vollendete Werk der schmückenden Menschenhand, die Cultur des Geschmackes, die verständige Ausnützung der natürlichen Anlagen, um eine Landschaft zu schaffen, wie sie das Kammergut in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung zeigt. […] Nachdem einmal der Finger des Zeitgeistes dem Kammergutbewohner den Pfad gewiesen, nachdem einmal das Kammergut vom Zeichen des Salzes in jenes des Fremdenverkehrs getreten war, und dies war vom Augenblicke des Bestandes verbesserter Verkehrsmittel der Fall, da hieß es den Fortschritt auf die Fahne schreiben, und dies ist auch ausnahmslos von sämtlichen Salzkammergutorten geschehen.«183 Angesichts der Zunahme des Fremdenverkehrs als dominierender regionalwirtschaftlicher Wachstumssektor war es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, bis die daran geknüpften gemeinsamen Interessen, aber auch der Wille zum Abbau von Konkurrenzverhältnissen zu Anstrengungen führten, im Salzkammerguttourismus innerregional zu kooperieren. Deren Ergebnis war die Gründung des »Verbandes der Curorte und Sommerfrischen im Salzkammergute« im Jahr 1891. Mitglieder waren damals die Gemeinden Aussee, Ischl, Gmunden, Altmünster, Traunkirchen, Ebensee, Goisern, Hallstatt und St. Wolfgang.184 Eine gemeinsame Fremdenverkehrswerbung wurde inszeniert und statistische Erhebungen über die Gästeentwicklung im Vereinsgebiet wurden durchgeführt. Bereits 1892 traten neue Mitglieder bei, und zwar die Gemeinden Gosau, Mondsee und Vöcklabruck sowie die Dr.-WirerStiftung in Bad Ischl und der Verschönerungsverein Unterach, womit die institutionelle Ausdehnung der Tourismusregion über das alte Salzkammergut hinausging.185 Gegen eine derartige räumliche Ausdehnung des Begriffes »Salzkammergut« gab es aber auch Vorbehalte. Darin wird eine gewisse mentale Distanz zu den neu hinzukommenden Salzkammergut-Orten spürbar, ein Phänomen, das sich in der regionalen Identitätsstruktur im Grunde erhalten hat. So stellte beispielsweise Ferdinand Krackowizer in seiner im Jahr 1898 erschienenen Geschichte der Stadt Gmunden fest : »In neuer Zeit begann man den Namen ›Salzkammergut‹ auch auf das westliche 183 Kegele, Das Salzkammergut, zit. nach : Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 32. 184 Pilz, 100 Jahre Salzkammergut-Verkehrsverband, S. 6 ; Pauli, Das Salzkammergut, S. 57 ; Feichtinger, Lackernpascher, S. 87f. 185 Pauli, Das Salzkammergut, S. 58.
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Nachbargebiet desselben auszudehnen. So spricht man gegenwärtig von ›Salzkammergutseen‹ und zählt hiezu auch den Mond- und Attersee samt Umgebung, also Gegenden, die niemals ein landesfürstliches Kammergut gewesen sind. Wir können […] diese Bezeichnung lediglich als einen touristischen Begriff gelten lassen, der den Bedürfnissen des steigenden Fremdenverkehrs zuliebe ohne genaue geographische Abgrenzungen geschaffen worden ist, mit dem eigentlichen Wesen des alten oberösterreichischen Salzkammergutes aber Nichts gemein hat.«186 Als im Jahr 1901 in Oberösterreich ein Landesfremdenverkehrsverband konstituiert wurde, blieb der die Landesgrenzen überschreitende »Verband der Curorte und Sommerfrischen des Salzkammergutes« mit Sitz in Gmunden weiter bestehen, womit die Sonderstellung des Salzkammergutes auf institutioneller Ebene weiterhin gesichert war. Zugleich wurde das Salzkammergut aber als besondere Attraktion, als »Paradestück« und »Sonntagsstube des Landes« in den Werbekampagnen des Landesverbandes positioniert.187 Konstanten in der regionalen Identitätsstruktur Betrachtet man die im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte Transformation des Salzkammergutes im Rückblick, dann lassen sich – bezogen auf die Veränderung des Regionalbewusstseins und der regionalen SalzkammergutIdentitäten – einige bis heute wirksame Effekte benennen. Diese können in zwei Bereiche zusammengefasst werden : erstens die unterschiedlichen Effekte auf die Teilregionen des Salzkammergutes und damit auf deren Selbstverständnis und deren Verhältnis zueinander. Zweitens die Auswirkungen auf das Verhältnis von »Einheimischen« und »Fremden« bzw. »Zugereisten«. In den ersten Bereich gehören die Unterschiede zwischen jenen Teilregionen im »äußeren Salzkammergut«, in denen es in vergleichsweise stärkerem Ausmaß zur Ausbildung industrieller Strukturen gekommen ist, und jenen Teilregionen im »inneren Salzkammergut«, die vom Bedeutungsrückgang der Salzwirtschaft verhältnismäßig stärker betroffen gewesen sind, also die Unterschiede zwischen Gewinnerund Verliererregionen. Des Weiteren gehört in diesen Bereich die Veränderung des Verhältnisses der ehemaligen Zulieferregionen zu den Kernzonen des seinerzeitigen salzwirtschaftlichen Wertschöpfungssystems, wobei die ökonomische Emanzipation der alten Zuliefergebiete einen spezifischen Akzent darstellt. Aber auch die Herausbildung von Zentralitäten und Peripherien im Zuge der Etablierung der Tourismusregion Salzkammergut wurde zu einem Faktor, der das Verhältnis der Teilregionen untereinander bestimmt : einerseits hinsichtlich einer gewissen Konkurrenz zwischen 186 Krackowizer, Geschichte der Stadt Gmunden, S. 8, zit. nach : Pauli, Das Salzkammergut, S. 74. 187 Pilz, 100 Jahre Salzkammergut-Verkehrsverband, S. 8 ; Pauli, Das Salzkammergut, S. 58f.
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Kurorten und Sommerfrischen, andererseits aber auch hinsichtlich der Organisation gemeinsamer Interessen in einem Verband. Bei den Auswirkungen der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor sich gegangenen Transformation des Salzkammergutes auf das Verhältnis von »Einheimischen« und »Fremden« bzw. »Zugereisten« erscheinen vor allem zwei Komponenten in der regionalen Identitätsstruktur bemerkenswert, die sich als dauerhaft wirksame Konstanten erweisen. Das ist erstens eine gewisse Spannung zwischen »Außenwahrnehmung« und »Binnenwahrnehmung« der Region Salzkammergut. Die in zahlreichen Beschreibungen des Salzkammergutes verfestigte Außenwahrnehmung, mit der die »Fremden« bzw. »Zugereisten« in die Region kommen und diese sehen, läuft im Grunde tendenziell auf eine Homogenität der Region hinaus. Dieser gegenüber steht eine im Wesentlichen aus den Pfadabhängigkeiten der Wirtschaftsstruktur heraus bestimmte teilregionale und schichten- bzw. gruppenspezifisch differenzierte Binnenwahrnehmung aufseiten der Bevölkerung.188 Das für die regionale Identitätsstruktur maßgebliche Spannungspotenzial ergibt sich generell zwischen der externen Zuschreibung als schöne Landschaft und Erholungsraum, letztendlich als eine »heile Welt« (S.♣124– 127, 134–136) einerseits und den in den Teilregionen vor Ort gegebenen bestimmten realen Lebenswelten und Lebenschancen andererseits. In besonderer Weise wird dieses Spannungspotenzial, speziell in den touristischen Schwerpunktgebieten, wirksam, indem sich die regionale Bevölkerung ihrer Abhängigkeit von dieser Außenwahrnehmung und zugleich der schwindenden Bedeutung der traditionellen, von der Salzwirtschaft getragenen Wirtschaftsbereiche bewusst wird. Das betrifft beispielsweise die Anforderung an die regionale Bevölkerung, ihren Lebensraum sowie ihre tradierten kulturellen Lebenswelten und Lebensweisen den Ansprüchen und Anforderungen des Tourismus bzw. des Tourismusmarketing anzupassen. Das betrifft weiters die Möglichkeit zur Entwicklung wirtschaftlicher Alternativen, etwa im Bereich der gewerblich-industriellen Produktion, die durch die Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse des Tourismus vielfach begrenzt ist. Das betrifft aber auch die Klage über die Überformung der alten tradierten Siedlungsstrukturen durch Hotelbauten und Villen, die sich in gewisser Weise als Stereotyp im regionalen Bewusstsein erhalten hat. »Viele alte Häuser verschwanden und machten villenartigen Residenzen Platz, die allerdings oft überhaupt nicht zum überkommenen Ensemble passten«, meint dazu Michael Kurz in seiner Untersuchung über das innere Salzkammergut.189 Die zweite Komponente, die hinsichtlich des Verhältnisses von »Einheimischen« und »Fremden« bzw. »Zugereisten« als dauerhaft erscheint, lässt sich im Bereich des regionalen Innovationssystems finden. Das diesbezüglich relevante Spannungs188 Dirninger, Ambivalenzen, S. 218f. 189 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 33.
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potenzial scheint im Verhältnis zwischen dem autochthonem regionalem und dem von außen in die Region kommendem Innovationspotenzial zu liegen. Ersteres steht zum einen in Zusammenhang mit der Salzwirtschaft und der dort abgelaufenen technischen Innovation, zum anderen mit einem im Salzkammergut anzutreffenden Erfindergeist, der sich wohl nicht zuletzt aus dem Bestreben ergibt, schwierige naturräumliche Gegebenheiten zu bewältigen.190 Dass Beispiele dafür heutzutage immer wieder in lokalen Medien, so etwa im »Traunspiegel«, dargestellt werden, ist ein Indiz dafür, dass die regionale Innovationskraft und Innovationskultur als Teil der regionalen Identität verstanden und vermittelt wird. Für die von außen in die Region dringende Innovation sind die Gründungen von Heilbädern und Kureinrichtungen insofern repräsentativ, als dabei eine spezifische Kombination von Gründerinitiative, Kapitalinvestition und rechtlich-administrativer Regulierung deutlich wird, die von in das Salzkammergut »zugereisten« Eliten getragen wurde.191 In gleicher Weise repräsentativ für die Außendimension des regionalen Innovationssystems sind die industriellen Betriebsansiedlungen. Gerade in diesem Bereich kam ein wesentlicher Aspekt der »Ambivalenz« des »Fortschritts« im Regionalbewusstsein in besonderer Weise zum Tragen. Und zwar insofern, als damit einerseits wirtschaftliche Modernisierung und neue Beschäftigung in die Region kamen, andererseits aber alte, traditionelle Wirtschaftszweige zum Teil existenziell bedrängt wurden und auch die gewohnte Beschaulichkeit der kleinräumigen Wirtschaftsstruktur verloren ging. Darin findet der in jüngster Zeit sich allgemein verstärkende Trend zur Wiederentdeckung alter Wirtschaftsweisen und »alten Wissens« sowie zur Neubelebung kleinräumiger, regionaler Wirtschaftskreisläufe gerade auch im Salzkammergut spezifische Anknüpfungspunkte.192
Prägungen der Salzkammergut-Identitäten im Verlauf des 20. Jahrhunderts Zwischenkriegszeit Nach dem Abklingen der wirtschaftlichen Notlage der ersten Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und der relativen Stabilisierung der ökonomischen Verhältnisse zur Mitte der 1920er-Jahre verlief die wirtschaftliche Entwicklung 190 Zu beidem viele Beispiele in : Hellmuth, Thomas u.a. (Hg.) : Visionäre bewegen die Welt. Ein Lesebuch durch das Salzkammergut, Salzburg/München 2005. 191 Dirninger, Ambivalenzen, S. 222f. 192 Marchner, Günther : Regional- und Tourismusgeschichte sowie Erfahrungswissen als Innovationspotenzial, in : Luger, Kurt/Wöhler, Heinrich (Hg.) : Kulturelles Erbe und Tourismus. Rituale, Traditionen, Inszenierungen, Wien 2010, S. 261–272 ; Eigner, Christian u.a. (Hg.) : Zukunft : Regionalwirtschaft – Ein Plädoyer, Innsbruck/Wien 2009.
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des Salzkammergutes in Pfaden, die im Wesentlichen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angebahnt worden waren. Insofern kann das Salzkammergut damit als Beispiel für die Wirksamkeit regionalwirtschaftlicher Pfadabhängigkeiten gelten.193 In diese Pfadabhängigkeit inkludiert war auch eine gewisse Verstetigung der teilregionalen Strukturdifferenzierung in eine stärkere industrielle Durchmischung des äußeren Salzkammergutes und eine tourismuswirtschaftliche Dominanz im inneren Salzkammergut, ebenso die damit verbundene Prägung der teilregionalen Identitäten. Wesentlich für die Tradierung und teilweise Verstärkung der Spannungsfelder in der regionalen Identitätsstruktur ist aber, dass dies im Rahmen der ebenfalls in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angebahnten, primär von der Außenwahrnehmung bestimmten Gesamtsicht des Salzkammergutes als Tourismusregion geschah. Sucht man innerhalb dieser Pfadabhängigkeiten nach Faktoren, die in der Zwischenkriegszeit in spezifischer Weise für das Salzkammergutbewusstsein und die Salzkammergutidentitäten wirksam wurden, so lassen sich solche durchaus finden. Zu den nach dem Kriegsende unterschiedlichen strukturellen Ausgangsbedingungen, die in den Teilregionen bestanden, kam, dass das Salzkammergut wie zuvor auf drei Kronländer, nunmehr auf drei Bundesländer verteilt war. Daher war es in seiner wirtschaftlichen Befindlichkeit jeweils primär in die dortigen Entwicklungszusammenhänge eingebunden. Eine das Salzkammergut in seiner Gesamtheit umfassende wirtschaftspolitische Strategie kam nicht zustande, ebenso keine gemeinsame administrative Struktur. Allerdings klingt in der oft scherzhaft verwendeten Bezeichnung des Salzkammergutes als »zehntes Bundesland« das Bewusstsein über die Existenz von Faktoren durch, die in spezieller Weise verbindend wirken. Neben Gemeinsamkeiten, die im Brauchtum und in der Volkskultur zum Ausdruck gebracht wurden und explizit an alte Traditionen anknüpften, bestanden zwei aus dem späten 19. Jahrhundert stammende institutionelle Verbindungen weiter. Das war zum einen der »Verband der Curorte und Sommerfrischen im Salzkammergute«, nunmehr unter der Bezeichnung »Salzkammergut-Verband«, und das war zum anderen der von der Firma Stern & Hafferl geschaffene und weiter ausgebaute, über die Bundesländergrenzen reichende Elektrizitätsverbund im Salzkammergut.194 In beiden Bereichen wurde die Einbindung des Salzkammergutes in überregionale bzw. auf die jeweiligen Bundesländer bezogene wirtschaftliche Entwicklungszusammenhänge und damit in gewissem Maße auch desintegratives Potenzial wirksam. So wurde die von Stern & Hafferl entwickelte Konzeption einer »Energieregion« Salzkammergut Teil der großräumigen Elektrifizierung. Ein wesentlicher Faktor dieser 193 Ackermann, Rolf : Pfadabhängigkeit, Institutionen und Regelform, Tübingen 2001. 194 1914 betrieb Stern & Haferl 7 Kraftwerke 247 Trafostationen und 577 Hochspannungsleitungen und versorgte Stromabnehmer in 82 Orten in Oberösterreich, Salzburg und Steiermark.
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Entwicklung war die schrittweise Elektrifizierung der Bundesbahnstrecken, beginnend 1923 mit der das Salzkammergut durchquerenden Strecke zwischen Stainach und Attnang.195 Ein weiterer wichtiger Faktor war die Gründung von Landes-Elektrizitätsgesellschaften in den Bundesländern. In der 1929 erfolgten Fusionierung von Stern & Hafferl mit der »Österreichischen Wasserkraft- und Elektrizitäts-AG« (oweag) zur »Oberösterreichischen Kraftwerk AG« (OKA)196 blieb insofern eine grenzüberschreitende Dimension bestehen, als diese auch das steirische Salzkammergut mit versorgte. Im Bereich des Fremdenverkehrs kam es sowohl zu einer schichtenspezifischen wie auch zu einer regionalen Verbreiterung des Salzkammergut-Tourismus.197 Neben dem traditionellen Aufenthalt städtischer Eliten wurde dieser zunehmend auch durch den Zulauf von Angehörigen der »breiteren« Bevölkerung geprägt. Im Zusammenhang damit drang der Salzkammergut-Tourismus stärker als früher auch in periphere Gegenden vor. Ende der 1920er-Jahre erreichte die Fremdenverkehrsentwicklung einen ersten Höhepunkt, wobei ein kleiner Teil auch schon auf den beginnenden Wintersport entfiel.198 Die damit erforderlichen Investitionen in die Infrastruktur führten auch zu einer Konkurrenz der Teilregionen und Orte um öffentliche Fördermittel, etwa für den Straßenbau oder für die Errichtung fremdenverkehrswirtschaftlich bedeutender Anlagen. Ein Beispiel dafür ist der Bau von Seilbahnen. So gab es etwa in den 1920er-Jahren ein Seilbahnprojekt in Ebensee auf den Feuerkogel und ein solches in Gmunden auf den Traunstein.199 Dass letztlich Ebensee den Zuschlag bekam, trug sicher nicht zum Abbau der zwischen den beiden Traunseegemeinden bestandenen Rivalitäten und Spannungen bei. Unter den Vorzeichen von ersten Ansätzen eines »Massentourismus« wurde die Sommerfrische zum Markenzeichen des Salzkammergutes schlechthin. Dabei kam es, in Fortsetzung der im späten 19. Jahrhundert ausgebildeten Verhältnisse, zu einer Verstärkung von spezifischen Akzenten in den teilregionalen Images, verbunden mit teilregionaler Konkurrenz. Die dabei geprägten Salzkammergutbilder fanden auch in Slogans, die sich auf Teilregionen bezogen, mit nachhaltiger Wirksamkeit Niederschlag, etwa in der im Zusammenhang mit der Salzkammergut-Lokalbahn entstandenen Liedzeile »zwischen Salzburg und Bad Ischl« oder in dem aus dem Singspiel »Im weißen Rößl« stammenden Schlager »Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein«. 195 A.E.G.-Union (Hg.) : Elektrisierung der Salzkammergutlinie, Wien 1924 196 1999 wurde die OKA in »Energie AG Oberösterreich« unbenannt. 197 Kreuzer, Bernd : Tourismus ohne Kaiser : Das Salzkammergut und die oberösterreichischen Kurorte zwischen den Weltkriegen, in : Oberösterreichisches Landesarchiv (Hg.) : Oberösterreich 1918–1938, Bd. II, Linz 2015 (in Druck). 198 Heller, Der Fremdenverkehr im Salzkammergut ; Pauli, Das Salzkammergut, S. 59. 199 Feichtinger, Lackernpascher, S. 97 ; Pauli, Das Salzkammergut, S. 58.
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Abb. 10 : Das Berghotel am Feuerkogel
Verstärkende Wirkung auf die latenten Rivalitäten der Teilregionen im Salzkammergut und die damit verbundenen differenten Identitätsstrukturen hatten sicherlich auch die Unterschiede in den wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven. Während im äußeren Salzkammergut neben dem Tourismus der gewerblich-industrielle Sektor eine vergleichsweise tragende Rolle in den regionalwirtschaftlichen Verhältnissen spielte, waren die wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven im inneren Salzkammergut durch die Einschränkungen in der Salzwirtschaft, die nunmehr in Bundesverwaltung stand, spürbar beeinträchtigt. Im Grunde fand dabei die für das 19. Jahrhunderte festgestellte relative Rückständigkeit ihre Fortsetzung. Maßgeblich für die Einschränkungen in der Salzwirtschaft waren zum einen der Wegfall bzw. die sehr erschwerte Zugänglichkeit großräumiger Absatzmärkte, die sich aus dem Auseinanderbrechen des großen integrierten Wirtschaftsraums der Monarchie ergab. Zum anderen spielten auch die drastischen Budgetkürzungen eine Rolle, die infolge der Währungsreform, speziell der Genfer Anleihe und der damit verbundenen restriktiven geld- und finanzwirtschaftlichen Auflagen erfolgten.200 Die damit verbundenen Abstriche im Bereich der staatlichen Wirtschaftsbetriebe trafen 200 Bachinger, Karl : Eine stabile Währung in einer instabilen Zeit – Der Schilling in der Ersten Republik, in : Bachinger, Karl u.a.: Abschied vom Schilling. Eine österreichische Wirtschaftsgeschichte, Graz 2001, S. 11–134.
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natürlich auch die Salzwirtschaft und damit in besonderem Maße deren Standorte im inneren Salzkammergut. Konkret bedeutete dies neben der Produktionseinschränkung vor allem den Abbau der Beschäftigung und damit auch Arbeitslosigkeit. So verloren im Zuge des im Volksmund nach dem damaligen Bundeskanzler Ignaz Seipel so benannten »Seipel-Abbaues« etwa in Hallstatt über hundert Berg- und Sudarbeiter ihren Arbeitsplatz. Darüber hinaus »schwebte die drohende Auflösung der Saline Hallstatt wie ein Damoklesschwert über der Region«.201 Das betraf auch die 1920 von Hallstatt getrennte und nunmehr eigenständige Gemeinde Obertraun sowie die Gemeinde Goisern.202 Ähnlich war die Lage im Ausseerland. Ein Großteil der Bevölkerung war nicht nur in ihrer wirtschaftlichen Existenz, sondern auch in ihrem tradierten Stolz schwer getroffen. Die Notwendigkeit, sich im Bereich des Fremdenverkehrs eine neue Lebensgrundlage zu schaffen und dabei im Grunde eine dienende Rolle gegenüber »Fremden« und »Zugereisten« zu übernehmen, konnte hier keinen wirklichen Ausgleich schaffen. Versuche der Ansiedlung alternativer industrieller Produktionsstätten blieben solche, etwa das gescheiterte Projekt, im Ortsteil Steeg der Gemeinde Goisern in den 1920er-Jahren eine Chlorfabrik zu errichten. Interessant ist, dass dabei offensichtlich der Interessengegensatz zwischen industriewirtschaftlichen und fremdenverkehrswirtschaftlichen Interessen zum Tragen kam. Michael Kurz berichtet über eine lokale Protestaktion, »die auf die Nachteile für den Tourismus durch die Luftverschmutzung hinwies«.203 Pars pro toto kann man darin erkennen, dass damals, zumindest in Teilen der regionalen Bevölkerung, die Hinwendung zur Etablierung ihrer Heimat als Tourismusregion, wohl auch mit Blick auf die diesbezügliche Entwicklung im äußeren Salzkammergut, eine realistische Option, auch hinsichtlich eines Wandels des regionalen Selbstverständnisses, war. Zu Beginn der 1930er-Jahre zeigte die Weltwirtschaftkrise in allen Teilen des Salzkammergutes Wirkung. Das Ausmaß variierte aber, wobei wiederum eine relative Schlechterstellung des inneren Salzkammergutes auch für das teilregionale Identitätsverständnis prägend war. Einmal mehr wurde dabei die vergleichsweise hohe Abhängigkeit von der staatlichen Wirtschaft, die in früheren Zeiten einen Vorteil und damit auch ein Faktor eines gehobenen regionalen Selbstbewusstseins darstellte, in besonderem Maße schlagend. So kam es in den Staatsbetrieben Forst, Saline und Eisenbahn, in denen nach wie vor ein Großteil der regionalen Bevölkerung seine Einkommensgrundlage hatte, zu einem weiteren Arbeitskräfteabbau. Eine wirtschaftlich begründete Folge war unter anderem eine deutliche Zunahme des Wildererwesens, das im Selbstverständnis der Einheimischen – auch wenn hier unterschiedliche Pro201 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 34f. 202 Ebenda, S. 34f, 64f. 203 Ebenda, S. 34.
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teste unzulässig als mentale Disposition verstanden werden (S. 109 f.) – als Auswirkung der langen Tradition des Widerstands verstanden wird.204 In gewisser Hinsicht kommt dabei wieder die ambivalente Haltung der Einheimischen zur Obrigkeit zum Vorschein, die die regionale Identität seit der Frühen Neuzeit kennzeichnet. Einerseits stellte die Staatswirtschaft, somit auch die Obrigkeit, die Einkommensgrundlage zur Verfügung und gewährte Vorteile, andererseits wurde aber von den staatlich Beschäftigten auf Eigenständigkeit beharrt, wie es schon in der Reformationszeit zum Ausdruck gekommen war. Teilregionale Unterschiede fanden auch in den Bevölkerungsrückgängen ihren Niederschlag, die als Folge der Wirtschaftskrise im Verlauf der 1930er-Jahre eintraten. So verloren die salzwirtschaftlichen Kernzonen im inneren Salzkammergut deutlich stärker an Bevölkerung, als dies außerhalb dieser der Fall gewesen ist. Dass Orte wie Gmunden, Ischl, Altmünster, Traunkirchen und St. Wolfgang sogar eine Zunahme verzeichneten, steht wohl vor allem mit dem Sommerfrische-Fremdenverkehr in Zusammenhang, der nach dem Ende der akuten Krisenlage wieder zunahm. Die »Tausend-Mark-Sperre«, die im Jahr 1933 von der nationalsozialistischen Regierung in Deutschland als wirtschaftliches Druckmittel gegenüber Österreich erlassen worden war, zeigte vergleichsweise wenig Wirkung, da der Großteil der Gäste aus Österreich und den Nachfolgestaaten der Monarchie kam.205 In ehemaligen Zuliefergebieten der alten Salzwirtschaft war die Bevölkerungsentwicklung ebenfalls vergleichsweise besser, wofür das an das Ausseerland angrenzende Mitterndorf als Beispiel dienen kann. Dort war in der Landwirtschaft und der Holzwirtschaft, aber auch bereits im Winterfremdenverkehr eine tragfähige, eigenständige wirtschaftliche Basis entwickelt worden war. Ungeachtet dessen hatte die große Wirtschaftskrise überall im Salzkammergut ihre Spuren hinterlassen, natürlich auch in den industriellen Standorten.206 So war etwa Ebensee aufgrund des großen Anteils der Industriebeschäftigten besonders stark betroffen. Infolge der sich im salzwirtschaftlichen und industriellen Bereich deutlich abzeichnenden Verarmungstendenz gewann die Arbeiterbewegung, die sich im Salzkammergut unter anderem stark auf die Selbsthilfe konzentrierte (S. 113), im regionalen Identitätsmuster an Bedeutung. Zugleich kam es vor dem Hintergrund der latenten wirtschaftlichen Krisenlage zu einer Verstärkung der politischen Fragmentierung der regionalen Bevölkerung. Einerseits erfuhr der damals noch illegale 204 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 36. 205 Otruba, Gustav : A. Hitlers Tausend-Mark-Sperre und die Folgen für Österreichs Fremdenverkehr (1933–1938), Linz 1983. 206 Dankl, Kay-Michael u. a.: Das Ausseerland in der Zwischenkriegszeit. Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur in den Jahren 1929–1934, Fischamend 2010 ; Stadler, Franz : Die Saline Bad Aussee von 1918 bis 1960, in : Roithner, Hanns Michael (Hg.) : Ausseer Beiträge zur Zeit- und Kulturgeschichte, Bad Aussee 1985, S. 39f ; Lamer, Das Ausseer Land, S. 199f.
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Nationalsozialismus spürbaren Zulauf, andererseits kam es, wie Michael Kurz feststellt, zur »Umwandlung vieler Sozialdemokraten in Kommunisten«.207 Demgegenüber war in den größeren Kur- und Fremdenverkehrsorten wie Gmunden, Bad Ischl und Bad Aussee das ständestaatlich-christlichsoziale Bürgertum stark verankert. Die nationalsozialistische Zeit Nach dem im März 1938 erfolgten »Anschluss« Österreichs an Hitler-Deutschland wurde deutlich, dass der Nationalsozialismus und mit ihm der Antisemitismus im Salzkammergut schon große Verbreitung und Akzeptanz gefunden hatten. Hinsichtlich der für die regionalen Identitätsstrukturen maßgeblichen institutionellen und regionalwirtschaftlichen Auswirkungen der nationalsozialistischen Zeit scheinen vor allem drei Bereiche relevant. Der erste Bereich betrifft die administrativen Strukturen. Dazu gehört zum einen, dass das Ausseerland und damit das steirische Salzkammergut zum nunmehrigen Gau Oberdonau kam und in der Folge noch bis 1948 Teil des nach dem Kriegsende wieder errichteten Bundeslandes Oberösterreich geblieben ist.208 Zum anderen gehören dazu die unter dem NS-Regime vorgenommenen bzw. geplanten Eingemeindungen. Dass diese nicht in jedem Fall gelungen sind, lässt sich wohl auch auf die Beharrlichkeit und die Tradition von kommunalen Lokalpatriotismen und damit auf langfristige, historische Komponenten in der regionalen Identitätsstruktur zurückführen, deren Wurzeln letztendlich auch im alten salzwirtschaftlichen System zu suchen sind. So wurden beispielsweise zwar die seit 1849/50 bestandenen Gemeinden Strassen und Reitern sowie die zu Grundlsee gehörende Ortschaft Obertressen 1939 nach Bad Aussee eingemeindet, wohingegen sich eine das gesamte Ausseerland umfassende Großgemeinde nicht realisieren ließ.209 Nachdem Gmunden nach dem »Anschluss« zur »Kreisstadt« ernannt worden war, vergrößerte sich deren Gemeindegebiet durch die Eingemeindung der bis dahin zum Gemeindegebiet Altmünster gehörenden Ortschaften Traunleiten und Kleinreith sowie des Großteils der Ortschaften Eck und Ort. Dabei reichte der politische Druck sowie eine Ablösesumme von 500.000 Reichsmark aus, um den Widerstand gegen diese bereits seit Kriegsende bestandenen Begehrlichkeiten Gmundens zu überwinden.210 207 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 35. 208 Slapnicka, Harry : Ausseerland – durch fast zehn Jahre beim Land Oberösterreich und beim Landkreis bzw. politischen Bezirk Gmunden, in : Hufnagl/Marchetti, Der Bezirk Gmunden, S. 451–453 ; Strobl, Anton : Die Jahre im Heimatgau des Führers. Eine regionalhistorische Dokumentation zur NS-Zeit im Ausseerland, Bad Aussee 2013. 209 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 74. 210 Feichtinger, Lackernpascher, S. 100f.
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Als zweiter Bereich, der für die Akzentuierung der regionalen Identitätsstrukturen in der NS-Zeit relevant war, lassen sich Unterschiede in den Auswirkungen der nationalsozialistischen Ankurbelungspolitik und Kriegswirtschaft in den industriellen Strukturen anführen. Diesbezüglich berichtet Manuela Feichtinger in ihrer Diplomarbeit über das Traunseegebiet über »eklatante Unterschiede zwischen Nordund Südufer«, speziell im Hinblick auf das traditionellerweise gespannte Verhältnis von Ebensee und Gmunden. »Während der von den Nationalsozialisten zu Beginn propagierte wirtschaftliche Aufschwung in Gmunden stattfand, blieb er in Ebensee aus«.211 So ist es in Gmunden zu etlichen Betriebsneugründungen gekommen, wogegen in Ebensee bestehende Betriebe in ihrer Existenz gefährdet waren. Die dortige Saline verdankte ihren Fortbestand hauptsächlich den kriegswichtigen Solvay-Werken. Einen Rückschlag für die Salzwirtschaft im inneren Salzkammergut bedeutete auch die im Zuge anderer kriegswirtschaftlicher Prioritäten erfolgte Stilllegung des Sudhauses in Hallstatt/Lahn.212 Ende 1943 wurde in Ebensee ein Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen errichtet. Mehr als 27.000 KZ-Häftlinge mussten unter unmenschlichsten und für einen Großteil den Tod bedeutenden Bedingungen zwei Stollenanlagen mit einer Gesamtlänge von 7,6 km für ein geplantes unterirdisches Raketenzentrum graben. Nach dem Krieg wurde an diesem Ort eine Gedenkstätte eingerichtet (S. 205).213 Ab 1940 wurde der bereits 1938 begonnene Ausbau der Straße zwischen Gmunden und Ebensee mit dem Einsatz von jüdischen und sowjetischen Zwangsarbeitern fortgesetzt. Im Kriegsverlauf ergab sich insofern auch eine funktionelle regionale »Rollenverteilung«, als Ebensee und auch Traunkirchen mit dem dortigen Arbeitslager zu Standorten der Zwangsarbeit und Vernichtung wurden, während Gmunden und Altmünster vor allem Lazarettstandorte waren.214 Ein dritter für die Akzentuierung der regionalen Identitätsstrukturen in der NSZeit relevanter Bereich war die spezifische Funktionsbestimmung des Salzkammergutes als Erholungs- und Kulturraum. So hieß es etwa in einem mit »Wirtschafts- und Kulturplanung im Salzkammergut« betitelten Artikel in der Zeitschrift »Heimatgau« unter anderem : »Es ist eine Erholungslandschaft des Reiches und wird den in Zukunft gewaltig anschwellenden Reiseverkehr auf sich lenken, ob wir es wollen oder nicht. Diese natürliche Bestimmung ist nicht etwa von einem findigen Geschäftemacher so gewollt ; es liegt vielmehr in der Natur der Sache, dass schließlich jeder Reisende zu seiner Erholung ein Gebiet aufsucht, das ihn auf engstem Raum alle Na211 Ebenda, S. 105. 212 Idam, Pfannhaus Hallstatt, S. 167. 213 Hufnagl, Franz : Die Konzentrationslager im allgemeinen und das KZ Ebensee im besonderen, in : Hufnagl/Marchetti, Der Bezirk Gmunden, S. 297f ; Feichtinger, Lackenpascher, S. 109f. 214 Ebenda, S. 110.
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turschönheiten erleben lässt.«215 Diese Funktionsbestimmung im Rahmen der räumlichen Aufteilung des nationalsozialistischen Wirtschaftssystems beinhaltete auch eine von oben verordnete institutionell-administrative Um- und Neugliederung der Tourismusregion Salzkammergut. Diese stand einerseits dem für das Salzkammergut in seiner Geschichte durchaus kennzeichnenden Willen zur örtlichen und überörtlichen Selbstorganisation eigentlich entgegen, andererseits entsprach sie aber auch der ebenfalls historisch gegebenen Einbindung in staatliche Organisationsstrukturen. Die Um- und Neugliederung der Tourismusregion erfolgte aufgrund des im Juni 1938 in Kraft getretenen Reichsfremdenverkehrsgesetzes, dem zufolge in der »Ostmark« sechs Landesfremdenverkehrsverbände gebildet wurden. Im Zuge dessen wurde der interkommunale Salzkammergut-Verband, der bis dahin als Organisationsrahmen der Fremdenverkehrswirtschaft bestand, aufgelöst und das Salzkammergut in einem die Gaue Oberdonau und Salzburg umfassenden Fremdenverkehrsverband Oberdonau-Salzburg zusammengefasst.216 Inhaltlich und in der Außendarstellung wurde der Fremdenverkehr in den traditionellen Bahnen des Kurtourismus, der Sommerfrische und auch des Wintersports weiter entwickelt, allerdings unter Ausschluss der insbesondere in den fremdenverkehrswirtschaftlichen Schwerpunktgebieten stark vertreten gewesenen jüdischen Gästeschichten. Dass dies von der Bevölkerung in der Regel hingenommen und oft auch goutiert wurde (S. 1247 f.), hängt nicht nur mit einer einschlägigen politischen Disposition zusammen, sondern auch damit, dass die damit verbundene potenzielle Schwächung der wirtschaftlichen Grundlage durch einen vermehrten Gästezulauf aus dem »Altreich« kompensiert wurde. Verstärkend wirkte dabei die häufige Anwesenheit von politischer NS-Prominenz in den Salzkammergutorten, die sich nicht selten in den Sommervillen niederließ, die zuvor in jüdischem Besitz gewesen waren.217 Im Zusammenhang mit dieser »Arisierung« des Fremdenverkehrs stand auch eine dem nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsprinzip entsprechende Instrumentalisierung der salzkammergutspezifischen Brauchtums- und Trachtenkulturpflege, wobei die teilregionalen Unterschiede Berücksichtigung fanden. Gerade Letzteres war durchaus geeignet, bei einem guten Teil der regionalen Bevölkerung identitätsstärkende Wirkung zu erzeugen. Für das innere Salzkammergut bekam die Funktion als Rückzugsraum bei Kriegsende einen speziellen Akzent durch seine Bestimmung als »Alpenfestung« und als solche als letzter Zufluchtsort für NS-Führungsfiguren wie Adolf Eichmann oder Ernst Kaltenbrunner, aber auch durch die Kunstschätze im Salzberg Altaussee oder 215 Bäuerl, Karl : Wirtschafts- und Kulturplanung im Salzkammergut, in : Der Heimatgau 42/3 (1941) S. 2, zit. nach : Pauli, Das Salzkammergut, S. 101. 216 Pilz, 100 Jahre Salzkammergut-Verkehrsverband, S. 18 ; Pauli, Das Salzkammergut, S. 59. 217 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 38.
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die angeblichen Goldschätze im Toplitzsee.218 Die sich um all das rankenden Mythen und Legenden spielen letztendlich bis heute eine gewisse Rolle im Identitätsspektrum dieser Teilregion des Salzkammergutes. Dass daneben aber auch der hauptsächlich im inneren Salzkammergut organisierte Widerstand gegen das NS-Regime ebenso Teil des regionalen Identitätsspektrums geworden ist, kann als kennzeichnend für eine spezifische Gemengelage im politischen Unterbewusstsein der Region betrachtet werden, das gelegentlich durchaus auch an die Oberfläche kommt.219 Ab Mitte des 20. Jahrhunderts Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bzw. in der Zeit des Wiederaufbaus und im Zuge des daraus hervorgegangenen wirtschaftlichen Wachstumstrends wurden insbesondere drei die Salzkammergut-Regionalität in ihrer wirtschaftshistorischen Tiefenstruktur langfristig bestimmende Kriterien in spezieller Weise akzentuiert. Erstens sind hier innerregionale Hierarchien zu nennen, verbunden mit der Konkurrenz um die Zentralörtlichkeit und der Betonung teilregionaler Eigenständigkeit. Zweitens zählt dazu die Abgrenzung der Gesamtregion nach außen bzw. die Frage der Zugehörigkeit zum Salzkammergut und – im Zusammenhang damit – dessen Verteilung auf drei Bundesländer. Und drittens lässt sich das Verhältnis von Fremdenverkehrswirtschaft und gewerblich-industrieller Produktion als langfristiges Kriterium anführen, wobei dieses in Verbindung mit teilregionalen Unterschieden in der wirtschaftlichen Entwicklungsdynamik steht. Ein Beispiel für die Betonung teilregionaler Eigenständigkeit findet sich etwa darin, dass es im Rahmen der Bewirtschaftungsmaßnahmen in den ersten Nachkriegsjahren im Ausseerland, also im steirischen Salzkammergut, das bis 1948 noch zu Oberösterreich gehört hat, Widerstand gegen die von Gmunden ausgehenden Direktiven und damit gegen eine »Bevormundung« aus Oberösterreich gab. Der damals mit der Organisation der Bewirtschaftung im Transportwesen beauftragte nachmalige Bezirkshauptmann von Gmunden, Franz Hufnagl, berichtet im Rückblick darüber, wie er mit seinen Bemühungen, entsprechende Maßnahmen im Ausseerland durchzusetzen, gescheitert ist und letztendlich resignierend die Organisation den dortigen lokalen Instanzen überlassen hat.220 218 Köberl, Markus : Der Toplitzsee. Wo Geschichte und Sage zusammentreffen, Wien 1993 ; Komarek, Alfred : Ausseerland. Die Bühne hinter den Kulissen, Wien 1992, S. 189f ; Hofer, Veronika (Hg.) : Berg der Schätze. Die dramatische Rettung europäischer Kunst im Altausseer Salzbergwerk, Gmunden 2006. 219 Quatember, Wolfgang u. a.: Das Salzkammergut. Seine politische Kultur in der Ersten und Zweiten Republik, Grünbach 1999. 220 Interview mit Franz Hufnagl 26. Juli 2001 ; Zur unmittelbaren Nachkriegszeit auch : Strobl, Anton : Ein Wort zum Aufbau. Der politisch-soziale und ökonomische Wiederaufbau im Ausseer Land 1945 bis 1952/53, Fischamend 2011.
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Für die wirtschaftliche Entwicklung des Salzkammergutes und die daran geknüpften Akzentuierungen der regionalen Identitätsstrukturen stellte die im Zuge des Wiederaufbaus gezielte Positionierung des Salzkammergutes als eine der ParadeRegionen des österreichischen Fremdenverkehrs, analog zur Wachau oder zu Tirol, eine entscheidende Rahmenbedingung dar. Dabei wurde das Salzkammergut geradezu zu einem integralen Bestandteil der Österreich-Identität (S. 132 f.) und in dieser Weise auf seine volkswirtschaftliche Rolle als Tourismusregion festgelegt. In seinem Vorwort zu einem 1947 im Auftrag des österreichischen Verkehrsbüros aufgelegten Führer durch das Salzkammergut221 führte der damalige Bundeskanzler Leopold Figl unter anderem aus : »Neben seinen Kulturschätzen und den hohen Leistungen der Wissenschaft und Wirtschaft sind es die landschaftlichen Schönheiten, die Österreich interessant und anziehend machen. Das Salzkammergut kann in dieser Beziehung ein Herzstück genannt werden. Die Natur hat es nicht nur durch Schönheit ausgezeichnet und schon dadurch zu einem Fremdenverkehrsplatz von alter Tradition gemacht, sondern ihm auch den reichen Segen der Salzlager verliehen.« Und Handelsminister Heinl bediente das tradierte Klischee : »›Im Salzkammergut kann man gut lustig sein‹ ist nicht nur ein weltbekanntes Schlagerlied, sondern gleichzeitig eine Feststellung, in der eine tiefe Wahrheit liegt […]. Wir hoffen, daß […] das Salzkammergut rasch wieder Mittelpunkt derjenigen, ob sie sie nun aus nah oder fern kommen, sein wird, die ›lustig sein‹ wollen. Unser Bestreben wird es sein, daß sie es auch wirklich sein können.« Im Text wird die Fremdenverkehrswirtschaft als der »prädominierende Faktor« bezeichnet, »der viele neue Erwerbsquellen geschaffen hat und mustergültig betrieben wird, so daß man mit Recht das Salzkammergut als das hervorragendste Verkehrszentrum Österreichs bezeichnen kann.«222 In dieser Weise wurde die tourismuswirtschaftliche Charakterisierung des Salzkammergutes in den 1950er- und 1960er-Jahren fortgesetzt und verstärkt. Infolge der vorrangigen Bedeutung des Fremdenverkehrs in der Wahrnehmung und Kennzeichnung des Salzkammergutes spielte die organisatorische und innerhalb dieser die teilregionale Strukturierung des Salzkammergutes als Tourismusregion noch mehr als früher eine entscheidende Rolle für die Konstituierung der regionalen Identitäten. Konkret betraf dies die im Frühjahr 1946 erfolgte Wiedererrichtung des 1938 aufgelösten Fremdenverkehrsverbandes, nunmehr als »Verband der Kurorte, Alpenbäder und Sommerfrischen des Salzkammergutes«. 1955 wurde die Bezeichnung auf »Salzkammergut-Verband« und 1965 auf »Salzkammergut-Verkehrsverband« abgeändert.223 221 Schröfl, Othmar : Das Salzkammergut. Verfaßt im Auftrag des österreichischen Verkehrsbureaus, Wien 1947. 222 Alle Zitate nach : Pauli, Das Salzkammergut, S. 101f. 223 Pilz, 100 Jahre Salzkammergut-Verkehrsverband, S. 18f.
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Deutlich zeigt sich dabei, dass die Abgrenzung des Verbandsgebietes einer Definition der räumlichen Ausdehnung des Salzkammergutes an sich und damit einer räumlichen Bestimmung der Salzkammergut-Identität für die weitere Zukunft gleich kam. In seinem 1991 veröffentlichten Rückblick auf die einhundertjährige Geschichte des Verbandes brachte Karl Pilz die Ablehnung einer mehr oder weniger beliebigen Ausdehnung der Begriffsregion damit zum Ausdruck, »dass das Salzkammergut mit keiner Ziehharmonika zu vergleichen ist, die man beliebig weit ausdehnen kann, wenn man einmal für Werbetöne ›mehr Luft brauchen‹ würde«.224 Im Sinne dessen beschloss man Mitte der 1950er-Jahre, dass nur jene Gebiete zum Verband und damit letztendlich zum Salzkammergut gehören sollten, »die direkt oder indirekt durch die Traun entwässert werden und die innerhalb einer gedachten Grenze liegen, die vom steirischen Grimming bis zum Gipfel des Dachsteins und längst der Bundesländergrenze zum Gamsfeld zieht, dann über den hohen Zinken zum Nordende des Fuschlsees reicht und von dort zur Landesgrenze und zum Schobersberg, weiters über St. Georgen, Seewalchen, Kammer-Schörfling und Vorchdorf, das Almtal und aufwärts bis zum großen Priel und zurück zum Grimming zieht«.225 In der Folge kam es dann auch immer wieder zur Ablehnung von Beitrittsansuchen von außerhalb dieser Grenzen gelegener Fremdenverkehrsgemeinden. Jedoch konnten dem Salzkammergutverband ab Mitte der 1960er-Jahre neben Gemeinden auch Seilbahn- und Liftgesellschaften beitreten, sofern sie sich innerhalb der definierten Grenzen befanden. Das war eine Konsequenz der Bedeutungszunahme des Winterfremdenverkehrs und der entsprechenden Erweiterung der Tourismuswerbung im und für das Salzkammergut. Damit in Zusammenhang stand zu Beginn der 1970er-Jahre auch die Gründung einer Winterwerbegemeinschaft des Salzkammergut Verkehrsverbandes.226 Der Verteilung des Salzkammergutes auf drei Bundesländer, die bei den Abgrenzungsfragen im Hintergrund eine gewisse Rolle spielten, und der darin implizierten latenten föderalen Konkurrenz in der Fremdenverkehrspolitik versuchte der damalige Handelsminister Josef Staribacher anlässlich des 90-Jahr-Jubiläums des »Salzkammergut-Verkehrsverbandes« im Jahr 1981 mit einem Appell zur Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinweg gegenzusteuern, indem er deutlich machte : »[…] es ist dem Gast […] egal, ob er in Oberösterreich, der Steiermark oder in Salzburg seinen Urlaub verbringt – er fährt nämlich allererst ins Salzkammergut !«227 Dass er damit die Außensicht des Salzkammergutes gegenüber den innerregionalen Rivalitäten in den Vordergrund stellte, ist einmal mehr ein Hinweis auf die Ambivalenzen der Salzkammergut-Identität. 224 Ebenda, S. 20. 225 Pauli, Das Salzkammergut, S. 60. 226 Pauli, Das Salzkammergut, S. 60. 227 Zit. bei : Ebenda, S. 60.
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Ungeachtet dessen sind diese aber wirksam geblieben und wurden dabei in zunehmendem Maße von den wirtschaftspolitischen bzw. regionalpolitischen Interessen und Strategien der Bundesländer mitbestimmt. Das äußerte sich etwa darin, wie Franz Lipp am Beginn der 1980er-Jahre feststellte, dass in Teilbereichen die Organisationsebene des Salzkammergut-Verkehrsverbandes durch Verbandsstrukturen auf Landesebene überlagert, vielleicht sogar konterkariert wurde.228 Dahinter stand hinsichtlich des Regionalbewusstseins letztendlich wieder die Frage, ob die Zugehörigkeit des jeweiligen Teilgebietes zur Regionalstruktur des Bundeslandes oder jene zu einer gemeinsamen Wirtschaftsregion Salzkammergut Priorität besitzt. Ist in diesem Zusammenhang das Bonmot des Salzkammergutes als »zehntes Bundesland« wieder stärker bemüht worden, so stand dem das Faktum gegenüber, dass keine wirtschaftspolitische Initiative in nennenswertem Ausmaß zustande gekommen ist, die auf die Region in ihrer Gesamtheit, d. h. bundesländerübergreifend ausgerichtet war. Die Folge waren Verschiebungen der Gewichtung, aber auch Erweiterungstendenzen in der fremdenverkehrswirtschaftlichen Organisationsstruktur des Salzkammergutes, die ja nach wie vor im Grunde dessen einzige relevante institutionelle Form darstellte. Im Hinblick auf die wirtschaftshistorische Tiefenstruktur von speziellem Interesse erscheint, dass sich in diesen Veränderungen auch weit in die alte Salzregion zurückreichende Regionalitätsmuster widerspiegeln. Dies spielt nicht zuletzt für die teilregionalen Identitätsverhältnisse eine gewisse Rolle. So stellt Angelika Pauli zu Beginn der 1990er-Jahre unter Berufung auf Franz Lipp »beim Bezirk Gmunden und beim Gerichtsbezirk Bad Aussee ein Festhalten am Verkehrsverband« fest.229 In historischer Perspektive schimmert dabei im Grunde das bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts administrativ und wirtschaftspolitisch abgegrenzte »innere« und »äußere« Salzkammergut unter Einschluss des steirischen Salzkammergutes durch. Ebenso stellt Pauli fest, dass im salzburgischen Teil des Salzkammergutes »die Gemeinden von Strobl bis St. Gilgen und Fuschl zunehmend unter einen stärkeren Einfluss von Seiten der ›landeigenen‹ Institutionen« gerieten, was sich im Fall von St. Gilgen und Fuschl in »Doppelmitgliedschaften und Abbröckelungstendenzen« äußerte. Hierbei lässt sich im Hintergrund die ehemalige Zugehörigkeit dieser Teilregion des neuzeitlichen Salzkammergutes zum Wirtschaftsraum des seinerzeitigen Erzstiftes Salzburg erkennen. Das von Pauli ebenfalls registrierte »vermehrte Interesse der an das Mondseeland und den Attergau nördlich angrenzenden Gemeinden des Bezirkes Vöcklabruck an einer Mitgliedschaft« im Salzkammergut-Verkehrsverband setzt im Grunde die Erweiterungstendenzen im oberösterreichischen Salzkammergut fort, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestehen und sich aus der Transformation der alten Salzregion in eine Tourismusregion ergeben haben. 228 Lipp, Region Salzkammergut, S. 16. 229 Pauli, Das Salzkammergut, S. 60f.
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Diese Veränderungen in der regionalen Organisation der Fremdenverkehrsregion Salzkammergut standen auch in Zusammenhang mit einem in den 1980er-Jahren spürbaren Abflachen des Tourismusbooms. Eine wesentliche Rolle spielten dabei die Auswirkungen der Wirtschaftskrise 1974/75. Eine weitere Ursache war, dass sich die Präferenzen des touristischen Publikums für andere Destinationen in Südeuropa, aber auch in Übersee verstärkten und damit neue internationale Konkurrenzverhältnisse entwicklungsbestimmend wurden. Zu einem Teil konnten diese speziell die Sommersaison betreffenden Effekte aber durch einen Ausbau des Winterfremdenverkehrs kompensiert werden. Das Abflachen des Tourismusbooms hatte in den Teilregionen des Salzkammergutes graduell unterschiedliche Auswirkungen, wobei der Grad der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Fremdenverkehr und damit Unterschiede in der regionalen Wirtschaftsstruktur maßgeblich waren. Dabei kamen wieder einmal Differenzen zwischen dem inneren und dem äußeren Salzkammergut zum Tragen, was auch das Verhältnis der tradierten Salzkammergut-Identitäten beeinflusste. In den Untersuchungen von Manuela Feichtinger und Michael Kurz lassen sich dazu einige Hinweise finden. So berichtet Feichtinger, dass man zu Beginn der 1980er-Jahre »auch am Traunsee mit sinkenden Gästezahlen zu kämpfen« hatte, dass sich die Verhältnisse aber bald wieder besserten. Ungeachtet dessen stellt sie aber Unterschiede in der wirtschaftlichen Performance zwischen dem nördlichen und dem südlichen Teil der Traunseeregion fest, die vor allem auf den bis zum Beginn der 1970er-Jahre abgelaufenen Strukturwandel zurückzuführen sind. Dabei waren »besonders zwischen Gmunden und Ebensee starke Abweichungen zu verzeichnen«. Und zwar insofern, als »sich in Gmunden vermehrt Betriebe ansiedelten bzw. vorhandene Betriebe expandierten«, während »Ebensee mit Beschäftigungsrückgängen kämpfen« musste, was zu Folge hatte, dass Gmunden seine »Führungsrolle am Traunsee in jener Zeit festigte.«230 Neben der schlechten Entwicklung der industriellen Strukturen, einschließlich der Saline, drang auch der Tourismusboom – im Vergleich mit dem Gmundner Raum – nur in eingeschränktem Maß bis an das Südufer des Traunsees vor. »Dass nicht jede Gemeinde gleich vom Tourismus profitierte, zeigt Ebensee. Während sich Gmunden, Altmünster und Traunkirchen als Urlaubsziele einen Namen machten, blieb an der südlichsten Gemeinde das Image des Industriestandorts haften. Die Tourismusregion schien ›beim Löwen‹ zu enden.«231 Insgesamt blieb die Beschäftigungslage in Ebensee auch in der Folge relativ schlechter, woran die Ende der 1970er-Jahre erfolgte Standortverlagerung und technische Modernisierung der Saline nichts änderte. Denn die damit bewirkte deutliche Produktivitätssteigerung bedeutete zugleich einen vergleichsweise gerin230 Feichtinger, Lackernpascher, S. 113, 122f. 231 Ebenda, S. 116.
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geren Personalbedarf und damit Beschäftigungsabbau. Michael Kurz meint, dass der ab den 1960er-Jahren in Ebensee zu verzeichnende Bevölkerungsrückgang »auf die personalsparenden Innovationen in der Saline zurückzuführen ist.«232 Manuela Feichtinger stellt fest, »dass sich die Arbeitsplätze in der Marktgemeinde nach und nach reduzierten. Einsparungen und Rationalisierungen sowie die Schließung gewerblicher bzw. industrieller Unternehmen bescherten Ebensee von den 1970ern bis in die Gegenwart einen Rückgang der Arbeitsplätze.« Beispiele dafür sind die Schließung des Buchensperrholzwerkes Sachseneder, des Betonwerkes Maculan, der Solvay-Werke und der Firma Steiner-Möbel. Demgegenüber ist es in Gmunden, wo es zwar auch zu Betriebsschließungen gekommen ist, gelungen, »viele der verloren geglaubten Arbeitsplätze durch Firmenneugründungen zu erhalten«. Neben industriellen Betrieben war dabei vor allem auch ein expandierender Handelssektor und die Positionierung Gmundens als Handelsstadt, etwa mit einem »SalzkammergutEinkaufspark«, maßgeblich.233 Die relative wirtschaftliche Stärke der Bezirkshauptstadt Gmunden führte auch zu einem Anstieg der Einpendler aus dem Umland. Im Zuge dessen wurden die Salzkammergutgemeinden Altmünster und Traunkirchen zunehmend zu Wohnsitzgemeinden, in denen der Fremdenverkehr zusätzliche Einnahmequellen bietet. Insgesamt erkennt Feichtinger eine gewisse Tendenz der wirtschaftlichen Diskrepanz in der Traunseeregion. »Der wirtschaftliche Werdegang der vier Traunseegemeinden zeigt, dass man sich in verschiedene Richtungen entwickelte […]. Einerseits wird die Vorrangstellung Gmundens durch die vorhandenen Arbeitsplätze gefestigt, andererseits grenzen sich die Orte insofern voneinander ab, als sie sich wirtschaftlich in verschiedene Richtungen hin entwickel(te)n.«234 Hinsichtlich der teilregionalen Identitätsstrukturen kann davon ausgegangen werden, dass dies, insbesondere was die historisch tradierte Rivalität zwischen Ebensee und Gmunden betrifft, alte, langfristig angelegte Befindlichkeiten und Bewusstseinshaltungen weiter akzentuierte und festigte. Michael Kurz zeigt in seiner hauptsächlich auf das innere Salzkammergut konzentrierten Darstellung an einigen Beispielen die dortige sukzessive tourismuswirtschaftliche Schwerpunktsetzung auf. So stellt er etwa für Goisern fest, dass dort schon in den 1950er-Jahren mit der Renovierung des Kurhotels und der Errichtung eines Ski-Liftes »wesentliche Weichen für die erfreuliche Entwicklung des Tourismus gestellt« worden sind. Bereits 1955 wurde mit der Zuerkennung der Bezeichnung »Bad« der Status als Kurort etabliert. In den 1960er-Jahren setzte das nunmehrige Bad Goisern »voll auf den Fremdenverkehr«. Demgegenüber ging die Salzwirtschaft 232 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 59. 233 Feichtinger, Lackernpascher, S. 117f, 120 ; Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 59. 234 Feichtinger, Lackernpascher, S. 121.
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in ihrer regionalwirtschaftlichen Bedeutung weiter zurück. So wurde in der Folgezeit der Betrieb in den Salinen Hallstatt, Bad Ischl und Bad Aussee eingestellt.235 Besonders starke Auswirkungen zeigte diese Entwicklung in Hallstatt in Form eines sich in der Folge weiter fortsetzenden Bevölkerungsrückganges und von Abwanderung.236 Fritz Idam hat deutlich gemacht, wie sehr sich die Einstellung des nach dem Krieg wieder aufgenommenen Betriebes des Sudhauses Lahn im Jahr 1965 und dessen Abbruch in den folgenden Jahren auf das Ortsbild und damit auch das Bewusstsein der Bevölkerung, sich in einer Krise zu befinden, auswirkten. »Die ursprünglichen industriellen Produktionsstätten gibt es nicht mehr, das bauliche Gefüge des Ortes ordnet sich um zwei Phantome.«237 Der zunehmende Tagestourismus konnte die latente Krisenstimmung nicht wirklich aufhellen. »Besucht man heute Hallstatt, ist die industrielle Vergangenheit des Gebietes kaum mehr zu sehen. Dem Besucher präsentiert sich ein pittoresker Ort in einer Ideallandschaft. Doch unter der Idylle liegt eine industrielle Vergangenheit, die den ganzen Lebensraum geprägt hat«, beschreibt Idam die Verhältnisse am Beginn des neuen Jahrtausends.238 Auch im Ausseerland trugen die Auflassung der Saline und die Redimensionierung des Salzbergbaus zu einer vergleichsweise schwachen Bevölkerungsentwicklung bei. Der Fremdenverkehr wurde mehr denn je zu einem regionalwirtschaftlichen Leit- und Hoffnungssektor. Wie schon in früheren Entwicklungsphasen ist im steirischen Salzkammergut im Gebiet von Mitterndorf (Hinterberg) eine vom regionalen Trend abweichende vergleichsweise bessere, steigende Bevölkerungsentwicklung zu beobachten.239 Hier setzte sich offensichtlich die schon im späten 19. Jahrhundert begonnene ökonomische Eigenständigkeit des ehemaligen Zuliefergebietes in der alten Salzregion fort, die sich vor allem auf Land- und Holzwirtschaft, aber auch auf gewerbliche Wirtschaft und den Fremdenverkehr, speziell den Ausbau der Wintersaison, stützte. Demgegenüber kann die Entwicklung im Ausseerland und im angrenzenden Hallstätter Raum in der langfristigen historischen Perspektive als Fortsetzung der relativen Rückständigkeit im säkularen Industrialisierungsprozess gesehen werden, die sich im späten 19. Jahrhundert ergeben hat. Dazu gehört das in der regionalen Identität eine gewisse Rolle spielende Gefühl, von der Regionalpolitik des jeweiligen Bundeslandes, also der Steiermark und von Oberösterreich, vernachlässigt zu werden. In diesem Zusammenhang bezeichnete der Ausseer Bürgermeister zu Jahrtausendwende das Ausseerland einmal als »das Kurdistan der Steiermark«. Dass darin auch die Analogie zum Beharren auf Eigenständigkeit und damit auch ein 235 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 39 ; Lamer, Das Ausseer Land, S. 218f. 236 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 64. 237 Idam, Pfannhaus Hallstatt, S. 149f. 238 Ebenda, S. 172. 239 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 74f, 78 ; Lamer, Das Ausseer Land, S. 220f.
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Quantum Widerständigkeit gegen die staatliche Obrigkeit mitschwang, könnte auch als Traditionselement im regionalen Identitätsspektrum interpretiert werden – freilich unter den Vorbehalt, dass sich der Mythos des Widerstands tatsächlich zu einer mentalen Disposition gewandelt hat (S. 114). Mit der relativ besseren wirtschaftlichen und bevölkerungsmäßigen Entwicklung im Raum von Bad Mitterndorf scheint auch ein gewisses Selbstbewusstsein verbunden. Diese könnte – jedenfalls zum Teil – auch maßgeblich dafür zu sein, dass im Rahmen von Bemühungen der Hinterberger Gemeinden, Verbands- und Kooperationsstrukturen im steirischen Salzkammergut zu schaffen, immer wieder Vorbehalte gegenüber einer möglichen regionalen Hegemonie »der Ausseer« und damit der ehemaligen salzwirtschaftlichen Zentralörtlichkeit deutlich wurden bzw. diese bis heute noch wirksam sind. Dafür, dass im inneren Salzkammergut der Wintertourismus ab den 1950er-Jahren zu einem wichtigen Faktor wurde, sind der Ausbau der Dachsteinseilbahnen sowie der Sessellift auf die Tauplitzalm frühe Beispiele.240 Die zu Beginn der 1960er-Jahre gebaute neue Straße über den Pötschenpass, die die alte steile und vor allem im Winter schwer befahrbare Verbindung von Bad Goisern/Hallstatt ins benachbarte steirische Ausseerland ersetzte, rückte den steirischen und den oberösterreichischen Teil des inneren Salzkammergutes, auch im Zuge der zunehmenden Motorisierung der regionalen Bevölkerung, enger als bisher zusammen. Ungeachtet dessen blieben die in der räumlichen Differenzierung der alten Salzregion tradierten Identitäten zwischen »drüben« und »herüben« (»drent« und »herent«) erhalten bzw. wurden sogar noch stärker akzentuiert. Die Feststellung von Michael Kurz, dass der tourismuswirtschaftliche Aufschwung Bad Goiserns »bis in die 1970er Jahre andauerte«, dass dann aber angesichts der Abschwächung des Tourismusbooms zu Beginn der 1980er-Jahre »wichtige Weichenstellungen« nötig wurden,241 gilt im Grunde für das innere Salzkammergut in seiner Gesamtheit. Dass das Abflachen des Tourismusbooms im inneren Salzkammergut in der regionalen Wirtschaftsentwicklung relativ stärker durchschlug, als dies im nördlichen Traunseegebiet der Fall gewesen ist, hängt nicht zuletzt auch mit dessen Sekundär- und Multiplikatoreffekten zusammen, denen hier aufgrund der vergleichsweise stärkeren Abhängigkeit vom Fremdenverkehr eine höhere gesamtwirtschaftliche Bedeutung zukam. Das Schwergewicht dieser Sekundär- und Multiplikatoreffekte des Fremdenverkehrs lag in einer seit Mitte der 1950er-Jahre in zunehmendem Maße beschäftigungs- und einkommenswirksam gewordenen »Symbiose« von Fremdenverkehrswachstum und bauwirtschaftlichem Wachstum.242 Diese entfaltete sich ge240 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 65 ; Pauli, Das Salzkammergut, S. 58 ; Heller, Der Fremdenverkehr im Salzkammergut, S. 72f. 241 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 6. 242 Dirninger, Christian, Historische Standortanalyse.
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wissermaßen in mehreren Bereichen : Zunächst nahm der private Hausbau (»Häuslbauboom«) und damit auch die Anzahl der sogenannten »Fremdenzimmer« zu, aus deren Vermietung in der Regel ein wesentlicher Teil der Finanzierung des Hausbaus im Nachhinein resultierte. Dazu kamen zahlreiche Aus- und Neubauten von Hotels und Pensionen. Ein nächster Bereich war dann der forcierte Zweitwohnsitzbau, der mit einem entsprechenden Nachfrageschub für die heimische Bauwirtschaft, aber auch mit einer Verteuerung der Grundstückspreise verbunden war. Dies verstärkte die kritische Haltung der einheimischen Bevölkerung gegenüber den »Zugereisten« und »Zweitheimischen« zunehmend. Ein weiterer Bereich war schließlich der Ausbau der touristisch relevanten Infrastruktur, von den Verkehrswegen bis hin zu Wintersportanlagen, wofür unter anderem der Auf- und Ausbau des Winterskigebietes Dachstein-West (Gosau) ein wichtiges Beispiel ist.243 Michael Kurz spricht davon, dass in den 1970er-Jahren, in der »Blütezeit des Tourismus«, ein »nie dagewesener Bau-Boom« Platz gegriffen habe.244 Die große Anzahl von Baufirmen sowie die beträchtliche Expansion einiger davon wurden zu einem prägenden Faktor der regionalen Betriebs- und Beschäftigungsstruktur. Mit dieser »Wachstums-Symbiose« haben sowohl die Fremdenverkehrswirtschaft als auch die Bauwirtschaft hohe Multiplikator- und Beschäftigungseffekte in andere vor- und nachgelagerte Branchen hinein und damit eine wesentliche tragende Funktion für die gesamte Regionalwirtschaft entfaltet. Die daran geknüpften Erwartungen bzw. ein gewisser Gewohnheitseffekt hinsichtlich einer dauerhaften Tragfähigkeit dieser regionalwirtschaftlichen Basis haben einerseits dazu beigetragen, Überkapazitäten in diesen Bereichen aufzubauen. Andererseits wurde die Ansiedlung von industriellen Produktionsstätten verhindert, wobei der Schutz der Interessen des Fremdenverkehrs als Begründung diente. Kurzfristig konnte aber die wieder anziehende allgemeine Konjunktur der späten 1980er- und frühen 1990er-Jahre solche strukturellen Problematiken gleichsam »zudecken«. Umso stärker und nachhaltiger traten sie dann aber ab Mitte der 1990er, als es wiederum zu einer starken Abschwächung der allgemeinen Konjunktur kam, in Erscheinung. Die angesichts des Nachlassens der fremdenverkehrswirtschaftlichen Wachstumsdynamik vielerorts drängende Frage einer strukturpolitischen Weichenstellung wurde – von wenigen Ausnahmen etwa im Gebiet von Bad Goisern oder von Bad Mitterndorf abgesehen – gegen eine spürbare Stärkung des industriellen Elements und für die Beibehaltung des tourismuswirtschaftlichen Schwerpunktsetzung entschieden. Dies ist letztlich auch Ausdruck der nachhaltigen Festigung der auf dem Fremdenverkehr basierenden regionalwirtschaftlichen Identität und somit einer spezifischen teilregionalen Ausprägung innerhalb einer die gesamte Region umfas243 Kurz, Kammergut – Jammergut, S. 61. 244 Ebenda, S. 39.
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senden »Salzkammergut-Identität«. Jene Ambivalenzen werden darin deutlich, von denen dieser Beitrag ausgegangen ist und die daraus resultieren, dass einerseits die Notwendigkeit besteht, die einzelnen Teilregionen des Salzkammerguts unter einer gemeinsame »Dachmarke« zu vereinen, andererseits divergierende Interessenslagen der Teilregionen bestehen. Letzteres ist dabei nicht unwesentlich die Folge aus immer wieder vorgenommenen Abgrenzungen des inneren zum äußeren Salzkammergut und von – auf der Ebene der Regionalkultur gepflegten – Reminiszenzen, die im Erbe der alten Salzregion und deren hierarchischer Wirtschaftsstruktur zu suchen sind.
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III. Vielfalt in der Einheit ? Soziale und kulturelle Aspekte regionaler Identität(en)
Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert entwickelten sich unterschiedliche regionale Identifikatoren bzw. »regionale Identitätsbausteine«, die unterschiedlich kombiniert und zu unterschiedlichen Zeiten mehr oder weniger Dominanz besaßen. Dabei handelt es sich in erster Linie um Salz bzw. den Salzbergbau, die Salzproduktion und die Holzarbeit, die Natur und Landschaft sowie die regionale Volkskultur und Folklore. Weitere Identifikatoren sind die Habsburgermonarchie und Kaiser Franz Joseph, der bekanntlich das Salzkammergut als Sommerresidenz gewählt hatte. Schließlich sind als Identitätsbausteine auch Elemente der bürgerlich-aufgeklärten Gesellschaft sowie die Vorstellung des Salzkammerguts als widerständige Region zu erwähnen. Die jeweilige Bedeutung dieser Identitätsbausteine für die »Innen-« und »Außensicht« auf die Region hängt insbesondere von der – im zweiten Kapitel ausführlich dargestellten – wirtschaftlichen Entwicklung, d. h. der Entwicklung des Salzkammerguts von der Salz- zur Tourismusregion sowie den damit verbundenen strukturellen Wandlungsprozessen ab. Zugleich spielen aber auch äußere, überregionale Faktoren bei der jeweiligen Bedeutung und Transformation bestimmter regionaler »Identitätsbausteine« eine Rolle. Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert waren hier unter anderem die bürgerliche Zivilisationsflucht infolge der Industrialisierung, die damit verbundenen Klassenkonflikte und die politischen Lagerbildung entscheidend. Seit dem 20. Jahrhundert müssen auch Faktoren wie die europäische Integration, die zunehmende Globalisierung und die damit verbundenen allgemeinen sozialen und kulturellen Wandlungsprozesse berücksichtigt werden. »Außen-« und die »Innenperspektive« stehen demnach, wie bereits im ersten Kapitel (S. 7, 15 f.) angedeutet, in einem dialektischen Verhältnis zueinander ; sie beeinflussen sich gegenseitig und bewirken letztlich eine regionale Dynamik. Für die Region ist somit nicht Stillstand prägend, sondern ein beständiger, allerdings nicht immer wahrnehmbarer Wandel.
»Weißes Gold« und soziale Differenzierung Ursprünglich war das Salzkammergut, wie bereits aus dem Namen hervorgeht, von der Salzproduktion und der dazu gehörigen Holzwirtschaft geprägt. Im Mittelalter wiesen die Salinen eine nur beschränkte Auflösung des grundherrschaftlichen Ei-
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gentums auf. Einzelberechtigungen, die wie in Reichenhall oder Halle an der Saale zur Entstehung eines wohlhabenden Salzpatriziats beitrugen, wurden nur vorübergehend im 13. und 14. Jahrhundert gewährt. In der Folgezeit kam der finanzielle Ertrag der Saline dem Landesherrn, dem Haus Habsburg, zugute und wurde somit zur Gänze der Kammer zugeführt.245 Diese spezifischen Eigentumsverhältnisse, die bei allen inneralpinen Salinen zu finden sind, resultierten aus den Produktionsverhältnissen : Das Salz wurde nicht, wie in den bayerischen Salinen oder Halle an der Saale, aus natürlichen oder künstlich angelegten Solebrunnen gewonnen, sondern musste dem Berg unter enormen Aufwand durch Zuführung von Wasser abgerungen werden. Die auf diese Weise erzeugte Sole gelangte über hölzerne Röhren, sogenannte »Strennleitungen«, in das Tal zu den Sudhäusern.246 Dieser große Aufwand machte Betriebsstrukturen notwendig, die bereits an moderne Großbetriebe erinnerten. Arbeitsteilung und Lohnarbeit (die allerdings mit Naturallohn durchmischt war), rationalisierte Betriebsorganisation und überlokale Absatzmärkte waren daher im Salzwesen bereits lange Zeit vor der Industrialisierung zu finden. Eine Zersplitterung der Salinen – von der Aufteilung in ein oberösterreichisches und steirisches Salzkammergut (S. 38, 41, 47) einmal abgesehen – hätte letztlich dem wirtschaftlichen Erfolg des Betriebs geschadet.247 Infolge des landesherrlichen Eigenbetriebs entwickelte sich die Salzproduktion im Salzkammergut zu einer nach außen hin abgeschlossenen Welt. Der Blick »von außen« zeichnete daher ein relativ homogenes Bild der im Salzkammergut ansässigen Bevölkerung. Ein Wirtschaftsprodukt, das Salz, erschien als große Klammer, die die Bevölkerung zusammenhielt und kulturell prägte. Ohne Zweifel war das »Weiße Gold« auch tatsächlich ein regionaler »Identitätsbaustein«, der allerdings bei differenzierter Betrachtung weniger Gemeinsamkeiten als Unterschiede begründete : Nicht nur, dass sich das Salzkammergut, wie bereits im zweiten Kapitel mehrfach erwähnt, in ein oberösterreichisches und steirisches Salzkammergut gliederte. Auch die in der Salzproduktion Beschäftigten, die Beamten, »minderen Diener« bzw. »Meister«, die als Subbeamte bezeichnet werden können, sowie die Salz-, Berg- und Holzarbeiter grenzten sich voneinander ab, indem sie sich als berufsständische Gruppen verstanden. »Mindere Diener« und »Meister«, die in 245 Srbik, Heinrich Ritter von : Studien zur Geschichte des österreichischen Salzwesens, Innsbruck 1917, S. 81–86, 142. 246 Zu den unterschiedlichen Formen der Salzgewinnung siehe u. a.: Hocquet, Jean-Claude : Weißes Gold. Das Salz und die Macht in Europa von 800 bis 1800, Stuttgart 1993, S. 20–61 ; Bergier, Jean-François : Une histoire du sel. Avec une Annexe technique par Albert Hahling, Fribourg 1982, S. 35–40, 61–67, 99–120. 247 Hellmuth, Thomas : Traditionssuche und aufgeschobene Proletarisierung. Österreichs Salzstädte im 19. Jahrhundert, in : Freitag, Werner (Hg.) : Die Salzstadt. Alteuropäische Strukturen und frühmoderne Innovation, Bielefeld 2004, S. 213f.
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den zeitgenössischen Quellen bezüglich ihres sozialen Status zumeist gleichwertig behandelt werden, waren mit Mess-, Schreib- und Rechentätigkeit sowie mit der unmittelbaren Aufsicht diverser Arbeitsbereiche betraut. Die salinarische Rangordnung sonderte sie streng von der Arbeiterschaft ab und gestand ihnen in manchen Bereichen, etwa bei der Sicherung des Arbeitsplatzes, ähnliche Privilegien wie den Beamten zu.248 Aber auch die in der Salzproduktion beschäftigen Arbeiter waren keineswegs eine homogene Einheit und ähneln als solche auch nicht dem Bild des modernen Arbeiters, gleichsam dem »Arbeiter an sich«, der seine Arbeitskraft gegen Lohn verkauft. Vielmehr splitterte sich die Salzarbeiterschaft in mehrere Gruppen auf, die dem Bergamt und verschiedenen Salinenämtern untergeordnet waren. Sie bildeten eigene ständische Gruppen, die sich sowohl sozial als auch kulturell voneinander abgrenzten. Je nach dienstrechtlicher Stellung genossen sie bestimmte Privilegien, etwa eine von der Saline garantierte Kranken- und Altersversorgung. Diese wurde zwar erstmals für alle habsburgischen Salinen im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts systematisiert, die Bestimmungen ermöglichten aber weiterhin eine starke Binnendifferenzierung und blieben zudem recht willkürlich. Laut dem 1770 für das Salzkammergut erlassenen »Provisionsnormale« hatte etwa ein Arbeiter im Salzkammergut Anspruch auf eine Altersversorgung, wenn er »treu und fleißig gedient, in der Arbeit beschädigt worden, anbei sehr alt und arm« war.249 Damit war den zuständigen Beamten ein durchaus breiter Interpretationsspielraum gegeben. Im Grunde handelte es sich um ein »systematisiertes Gnadenrecht«250, ließ doch die »Normale« genügend Freiraum für subjektive Entscheidungen. Neben der gleichsam horizontalen Binnendifferenzierung existierte innerhalb der Arbeitergruppen aber auch eine vertikale, indem zwischen »ständigen« und »unständigen« bzw. »stabilen« und »unstabilen« Arbeitern unterschieden wurde.251 Letztere gliederten sich wiederum in Beschäftigte, die bei »erledigten« Stellen in den stabilen Status nachrückten, und Arbeiter, die nur bei Bedarf herangezogen wur-
248 Hellmuth, Thomas : »Stolz auf ihren Stand«. Salzbarbeiter in der Habsburgermonarchie zwischen berufsständischer Identität und Industrialisierung, in : Der Anschnitt. Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau, 51/2–3 (1999), S. 77. 249 Provisionsnormale 1770, zit. bei : Kraus, Die Wirtschafts- und Verwaltungspolitik des aufgeklärten Absolutismus im Gmundner Salzkammergut, S. 485. Siehe dazu auch : Gillesberger, Franz : Die Ortsgeschichte von Ebensee unter besonderer Berücksichtigung der Sozialgeschichte des 18. Jahrhunderts, Dissertation, Salzburg 1994, S. 70f. 250 Hellmuth, Stolz auf ihren Stand, S. 77. 251 Ähnliche Differenzierungen scheinen im Bergbau allgemein üblich gewesen zu sein : Kocka, Jürgen : Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen. Grundlagen der Klassenbildung im 19. Jahrhundert, Bonn 1990, S. 396f.
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den.252 Unständige Arbeiter waren im Übrigen, wie auch die in der Salzproduktion beschäftigten Frauen, von den Privilegien weitgehend ausgeschlossen. Aufgrund ihrer berufsständischen Exklusivität gehörten Teile der Salzarbeiter zur lokalen Elite.253 In Hallstatt finden sich in den 1870er-Jahren etwa Salzarbeiter als Mitglieder des Gemeinderats.254 Aufgrund des herrschenden Zensuswahlrechts ist davon auszugehen, dass die Salzarbeiter zum Teil Hausbesitzer waren, damit zur Grund- und Hausklassensteuer veranlagt waren und somit die Möglichkeit politischer Partizipation in einer »partiellen Demokratie« nutzen konnten. Auf kultureller Ebene spiegelte sich die Differenzierung der Salzarbeiter in der Pflege der spezifischen Bräuche ; diese lassen sich – worauf bereits im ersten Kapitel hingewiesen wurde (S. 12) – als »Sinnprovinzen« beschreiben, als kulturelle Praktiken, deren Sinn in erster Linie »Eingeweihten« zugänglich ist und die somit zur Festigung von Identitäten beitragen. Auf Festveranstaltungen präsentierten sie ihre Trachten, Werkzeuge und Fahnen als Symbole berufsständischer Exklusivität.255 Sie grenzten sich zudem durch die verschiedenen Bruderladen, die nicht nur der Versorgung, sondern auch als Existenz- und Wertgemeinschaften dienten, voneinander ab.256 Zwar wurden die zahlreichen Bruderladen im Zuge der Modernisierung des Salzwesens um die Mitte des 19. Jahrhunderts sukzessive zusammengelegt, aufgrund ihrer Bedeutung als »Identitätsbausteine« stieß diese Maßnahme aber auf zum Teil heftige Proteste. Die Hallstätter Salzarbeiterschaft verfügte etwa 1823 noch über 23 Bruderladen, 1847 bestanden nur noch vier. Besonders streng grenzten einander die Berg- und den Hüttenarbeitern ab, die in Hallstatt, Ischl und Aussee noch bis in die 1850er-Jahre eigene Bruderladen besaßen. Lediglich in Ebensee, wo nur Salz versotten wurde und keine Knappen ihren Separatismus pflegten, hatte sich eine 252 Hellmuth, Stolz auf ihren Stand, S. 76. 253 Untersuchungen für die Salinenstadt Hallein zeigen Mitte des 19. Jahrhunderts enge soziale Beziehungen, unter anderem Heiratsbeziehungen von Salzarbeitern zu bürgerlichen Gruppieren, d. h. dass Salzarbeiter zum Teil selbst als zum Bürgertum gehörigen verstanden werden müssen. Aufgrund der sich im 19. Jahrhundert nur allmählich wandelnden sozialen Stellung der Salzarbeiterschaft ist anzunehmen, dass diese Beziehungen auch vor dem 19. Jahrhundert existierten. Für das Salzkammergut stehen solche empirischen Untersuchungen noch aus. Die Halleiner Ergebnisse lassen aber aufgrund der ähnlichen sozialen Stellung auch Rückschlüsse auf die Salzarbeiterschaft im Salzkammergut zu. Zu Hallein siehe : Hellmuth, Traditionssuche und aufgeschobene Proletarisierung, S. 231f ; Hellmuth, Thomas : »Hallein hat noch eine Zukunft …«. Transformation stadtbürgerlicher Gruppen zwischen Tradition und Moderne. Die Kleinstadt Hallein 1850 bis 1890, in : Hoffmann, Robert (Hg.) : Bürger zwischen Tradition und Modernität, Wien/Köln/Weimar 1997, S. 348–351. 254 Baron, Gerhart : Der Beginn. Die Anfänge der Arbeiterbildungsvereine in Oberösterreich, Linz 1971, S. 68. 255 Hellmuth, Stolz auf ihren Stand, S. 81. 256 Zur berufsständischen Bedeutung der Bruderladen siehe : Tenfelde, Klaus : Bergarbeiterkultur in Deutschland. Ein Überblick, in : Geschichte und Gesellschaft, 5 (1979), S. 20–28.
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»Vereinte Salinenbruderlade« durchgesetzt. Eine für das gesamte Salzkammergut angestrebte »Centralbruderlade« scheiterte zwar, letztlich wurden jedoch im Jahr 1856, im Zuge einer monarchieweiten Modernisierung, die jeweiligen lokalen Organisationen zusammengelegt und gemeinsame Statuten entworfen.257 Die Bedeutung der Bruderladen wurde somit auf die Versorgungsfunktion reduziert und ging schließlich durch die Einführung der gesetzlichen Unfall- und Krankenversicherung weitgehend verloren.258
Neue Welten – Identitätskrisen und Identitätsarbeit in der Industriegesellschaft Seit dem 18. Jahrhundert lassen sich in der Salzproduktion des Salzkammerguts wirtschaftliche Transformationsprozesse und Rationalisierungsmaßnahmen feststellen, die zu einem Wandel des sozialen Status sowie der Arbeits- und Lebensverhältnisse führten und damit auch die Identitätsbildung der berufsständischen Gruppen im Salzwesen maßgeblich beeinflussten. Zudem wandelte sich das Salz vom »Weißen Gold« zu einem billigen Industrieprodukt, verlor also seine exklusive Bedeutung, womit auch eine Abwertung der Salzproduktion zur Industriearbeit verbunden war. In mehreren Teilen des Salzkammerguts wurde zudem die Salzproduktion in seiner wirtschaftlichen Bedeutung zunehmend vom Fremdenverkehr abgelöst.259 Die berufsständische Identität der Salzarbeiterschaft und somit ihr durchaus hoher sozialer Status gingen damit zunehmend verloren, womit – wie noch ausführlich dargestellt wird – verstärkte Traditionspflege und zum Teil auch Widerstand verbunden war. Bereits in den 1740er-Jahren reduzierte die Saline den überhöhten Mannschaftsstand. Aufgrund der wirtschaftlichen Monopolstellung der Salzproduktion in der Region gab es aber kaum Beschäftigungsalternativen. Daher beabsichtigte die Hofkammer, das Bevölkerungswachstum mit strengen, allerdings bald wieder aufgegebenen Heiratsregulierungen zu verringern und damit der Arbeitslosigkeit entgegenzutreten. Zwar war die Geburt unehelicher Kinder nicht zu verhindern, mit den Heiratsreglementierungen konnten allerdings die Zahl der zu unterstützenden lega257 Schnabel, Anton : Die Arbeiterverhältnisse der k. k. Salinen, Wien 1900, S. 106–111, 118–120 ; Mayer, Robert : Öffentliche Betriebe, in : Sociale Verwaltung in Österreich am Ende des 19. Jahrhunderts. Aus Anlass der Weltausstellung in Paris 1900 hg. vom Special-Comité für Socialökonomie, Hygiene und öffentliches Hilfswesen, Bd. 1. Socialökonomie, Wien/Leipzig 1900, S. 64. Lediglich die Dürrnberger Bergknappen behielten ihre eigene Organisation, womit die Halleiner Saline die einzige der gesamten Monarchie war, die weiterhin zwei getrennte Bruderladen besaß. 258 Allgemein dazu siehe : Tenfelde, Bergarbeiterkultur in Deutschland, S. 19f. 259 Kreuzer, A landscape reshaped by transport, S. 243–247.
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len Familienmitglieder, der Witwen und Waisen, vermindert werden. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ergriff der Staat erneut Maßnahmen, um Beschäftigte abzubauen : 1831 waren noch 4.090 Arbeiter in der Salzproduktion beschäftigt, 1848 nur noch rund 3.000.260 Zugleich führte auch die Modernisierung zu Personalabbau und zudem zum Bedeutungsverlust traditioneller Berufe : Die Erzeugung des sogenannten »losen« Salzes machte etwa die diversen Berufsgruppen entbehrlich, die das Salz bislang in »Pehrkufen« gefüllt, diese schließlich von den Salzstöcken abgeschlagen und die damit entstandenen »Fuder« auf Normgröße überprüften. Ebenso mussten die Salzstöcke nicht mehr zur »Stoßstatt« getragen werden, wo sie bislang zerkleinert und in Fässern abgefüllt worden waren. Um die immer wiederkehrende Holznot der Salinen zu mildern, wurde zudem die Fassverpackung aufgelassen und die Verpackung in Jutesäcke eingeführt. Dies bedeutete das Ende für die »Kleizler« und »Kufer« sowie die mit der Fassverpackung beschäftigten Arbeiter. Mit der Auflassung der Fassverpackung und der Einführung der Kohlenfeuerung verloren schließlich auch jene Arbeiter, die das Holz schlugen und die Stämme in eigens dafür errichteten »Rechen« auffingen, die Holz- und Rechenarbeiter, zunehmend an Bedeutung. Der Personalstand der Saline Ebensee war aus diesen Gründen sukzessive vermindert worden : 1848 beschäftigte der Betrieb noch 740 Arbeiter, bis 1900 war die deren Anzahl auf 578 gesunken.261 Zum Teil boten aber auch neue Arbeitsbereiche in der Salzproduktion die Möglichkeit zur Beschäftigung. So mussten etwa bei der Salzverpackung die Säcke gefüllt und verschlossen werden. Die Verwendung von Kohle als Brennstoff machte Kohlenarbeiter und Brikettierer notwendig, zahlreiche Arbeiter wurden auch bei der Erzeugung von Industrie- und Dungsalz eingesetzt. Neben unqualifizierten Tätigkeiten kamen auch qualifizierte Arbeiter, etwa Maschinenwärter und Elektriker, zum Einsatz.262 Modernisierung bedeutete daher nicht nur Entlassungen infolge von Rationalisierungsmaßnahmen, sondern auch eine Umstrukturierung der Arbeitsverhältnisse, die letztlich auch sichere Arbeitsplätze schaffen konnte. Allerdings war damit auch die berufsständische Identität der Salzarbeiter bedroht, nicht zuletzt, weil die neuen Arbeitergruppen in das traditionelle berufsständische System nicht eingeordnet werden konnten. 260 Schraml, Carl : Die Entwicklung des oberösterreichischen Salinenwesens vom Beginn des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, Wien 1932, S. 39–53 ; Ders.: Das oberösterreichische Salinenwesen von 1750 bis zur Zeit nach den Franzosenkriegen, Wien 1934, S. 1–21. 261 Schraml, Carl : Das oberösterreichische Salinenwesen von 1818 bis zum Ende des Salzamtes im Jahr 1850, Wien 1936, S. 108, Gillesberger, Die Ortsgeschichte von Ebensee, S. 158. 262 Pilz, Bernhard Reinhold : Die soziale und wirtschaftliche Lage des ärarischen Arbeiter-Personals bei den alpinen Salinen Österreichs, während deren Integration in die moderne Sozialgesetzgebung. Dissertation, Wien/Obertraum 1980, S. 30f, 42f ; Hiebl, Ewald : Soziale Orientierung und politische Partizipation. Bürger und Arbeiter im Hallein der Jahrhundertwende. Dissertation, Salzburg 1997, S. 203–205.
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Insgesamt sind allerdings eine allmähliche Homogenisierung der unterschiedlichen berufsständischen Gruppen im Salzwesen und damit einhergehend auch eine zunehmende Proletarisierung der Salzarbeiterschaft festzustellen. Deutlich zeigt sich dies auch in der Annäherung der unterschiedlichen Privilegien im Bereich der staatlichen Krankenfürsorge sowie in den Lohnregulierungen seit den 1870er-Jahren. Die habsburgische Zentralverwaltung drängte auf Vereinheitlichung, Präzisierung und Ratifizierung der unterschiedlichen Bestimmungen. 1872 wurde daher die salinarische Krankenfürsorge für alle Salinen in der Monarchie weitgehend einheitlich geregelt (Tabelle 1). Weiterhin blieb allerdings die Differenzierung zwischen »unständigen« und »ständigen« Arbeitern erhalten. 1893 erfolgte eine Überarbeitung der Bestimmungen, mit der – von wenigen Ausnahmen abgesehen – ständige und unständige Arbeiter gleichgestellt wurden (Tabelle 2). Tabelle 1 : Regelung der salinarischen Krankenfürsorge (1872) Mindere Diener Voller Lohn auf die Dauer von max. sechs Monaten
Freie Behandlung durch Salinenarzt und Anspruch auf Heilmittel
Ständige Arbeiter
Unständige Arbeiter
Krankenfürsorge für höchstens sechs Monate
Galizische und bukowinische Salinen : Krankengeld 15 Kreuzer täglich
Während der ersten drei Krankentage kein Krankengeld
Alpine Salinen : bei Arbeitsverletzung Behandlung wie bei den ständigen Arbeitern, ansonsten Unterstützung durch die Bruderlade
Ab dem vierten Krankentag : freier Medikamentenbezug, ärztliche Behandlung und Krankengeld (seit 1891 Zahlung der Krankengelder ab dem ersten Krankentag)
In Hallein besondere Regelung : Wenn bereits vor der Erkrankung ein viermonatliches Dienstverhältnis bestand, dann ab dem vierten Krankentag für vier Wochen Anspruch auf freien Medikamentenbezug, ärztliche Behandlung und Krankengeld (Hälfte des Schichten- bzw. Taglohnes)
Höhe des Krankengeldes im Salzkammergut zwei Drittel, in Hallein die Hälfte des Grundlohns Krankengeld bei schweren Arbeitsverletzungen ohne eigenes Verschulden : vom ersten Tag an voller Lohn
Quellen : Schnabel, Anton : Die Arbeiterverhältnisse der k. k. Salinen, Wien 1900 ; Hellmuth, Thomas : »Stolz auf ihren Stand«. Salzarbeiter in der Habsburgermonarchie zwischen berufsständischer Identität und Industrialisierung (1750–1900), in : Der Anschnitt, 2–3 (1999), S. 77.
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Tabelle 2 : Regelung der salinarischen Krankenfürsorge (1893) Mindere Diener
Ständige Arbeiter
Unständige Arbeiter
Gleichstellung mit den Beamten durch Einreihung in die Kategorie der Staatsdiener
Krankenfürsorge für die Dauer von 26 Wochen
Wie bei den ständigen Arbeitern, d. h. Anspruch auf Krankenfürsorge beginnt mit Diensteintritt
Voller Lohn im Krankheitsfall
Ab Krankheitsbeginn freie ärztliche Behandlung und freier Medikamentenbezug
Höhe des Krankengeldes in Oberösterreich : 60 % des zuletzt bezogenen Tag- bzw. Schichtenlohnes (ständige Arbeiter zwei Drittel)
Bei Krankheitsdauer über drei Tage rückwirkend Krankengeld vom ersten Tag an Höhe des Krankengeldes : 60 %, in Oberösterreich zwei Drittel des zuletzt bezogenen Tag- bzw. Schichtenlohnes Bei schweren Arbeitsverletzungen voller Lohn
Quellen : Schnabel, Anton : Die Arbeiterverhältnisse der k. k. Salinen, Wien 1900 ; Mayer, Robert : Öffentliche Betriebe, in : Sociale Verwaltung in Österreich am Ende des 19. Jahrhunderts., Bd. 1. Socialökonomie, Wien/ Leipzig 1900, S. 58–66 ; Hellmuth, Thomas : »Stolz auf ihren Stand«. Salzarbeiter in der Habsburgermonarchie zwischen berufsständischer Identität und Industrialisierung (1750–1900), in : Der Anschnitt, 2–3 (1999), S. 77.
Wie bei der salinarischen Krankenversorgung erfolgte auch bei der Entlohnung seit den 1870er-Jahren eine Vereinheitlichung des Systems. In vier Lohnklassen, die wiederum mehrere Unterklassen aufwiesen, wurden die Lohnsätze pro Schicht263 geregelt. Nach 1885 kam es zu einer schrittweisen Erhöhung der Löhne in den einzelnen Salinen. Dabei näherten sich die unteren Lohnklassen den oberen an, indem die Lohnerhöhungen der 1880er-Jahre nur in der dritten und vierten Lohnklasse erfolgten und schließlich sogar Ende des 19. Jahrhunderts die vierte Klasse aufgehoben wurde.264
263 Eine Schicht im Bergbau betrug acht Stunden, in den übrigen Arbeitsbereichen zwölf Stunden. Eine Ausnahme bildete der Dürrnberger Bergbau, für den lediglich eine sechsstündige Schicht vorgesehen war. Dahinter steckte eine regionalspezifische Besonderheit : Da sich der Dürrnberger Bergbau über die Grenze nach Bayern erstreckte und auch dort ansässige Bergknappen in den Berg einfuhren, mussten unter anderem die Rechte der bayerischen Knappen geregelt werden. In der »Salinenkonvention« von 1829, einem »Staatsvertrag« zwischen Österreich und Bayern, wurde daher das »Lehenschichtenwesen«, das sich im 18. Jahrhundert durchsetzte und das Recht zur Bergeinfahrt an landwirtschaftliche Güter band, für die bayerischen Bergarbeiter ratifiziert. Dieses Recht auf Arbeit wurde allerdings im Zuge der Lohnregulierungen seit den 1870er-Jahren mit einer geringeren Schichtenanzahl und damit verbunden mit einer niedrigeren Entlohnung ausgeglichen. Zur Salinenkonvention siehe : Schatteiner, Johann F.: Der Salzbergbau Dürrnberg und die Saline Hallein, in : Dopsch, Heinz/Spatzenegger, Hans (Hg.) : Geschichte Salzburgs. Bd. II/4, Salzburg 1991, S. 2631–2711. 264 Schnabel, Die Arbeitsverhältnisse der k. k. Salinen, S. 40–45.
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Abb. 11 : Betonung kultureller Traditionen infolge der Industrialisierung : Salzarbeiter präsentieren sich anlässlich einer Festveranstaltung mit »Salzfudern«, die im 19. Jahrhundert von der Erzeugung des losen Salzes abgelöst wurden, sowie in den alten Trachten der Sudarbeiter und Fuderträger (Gmunden, nach 1945).
Diese Bedrohung des sozialen Status der berufsständisch orientierten Salzarbeitergruppen wurde keineswegs widerstandslos hingenommen. Die Salzarbeiter versuchten vielmehr, auf den Wandel und die damit einhergehenden Identitätskrisen zu reagieren. Dabei entwickelten sich neue Identitätsstrukturen, nicht zuletzt infolge der Herausbildung einer gleichsam alt-neuen Salzarbeiterkultur. Zwar sind auch traditionale Sozialsysteme durchaus Veränderungsprozessen unterworfen und daher keines wegs statisch. Die Modernisierung im Salzwesen seit den ausgehenden 18. Jahrhundert bedeutete aber einen vielfach stärkeren Bruch mit herkömmlichen Arbeits- und Lebensverhältnissen, als er bisher von den Salzarbeitern erfahren worden war. Für die damit verbundene Identitätsarbeit bot sich die verstärkte Betonung bzw. die Transformation kultureller Traditionen an, die bis heute wenn nicht vermeintliche kulturelle Konstanz, in jedem Fall aber das Gefühl von Übersichtlichkeit und Sicherheit vermitteln. Die mit der Industrialisierung verbundenen Veränderungen konnten damit zum Teil kompensiert, wenn auch nicht aufgehoben werden. So wurde etwa zum 80-jährigen Jubiläumsfest der Salinenkapelle Ebensee im Jahr 1928 die angeblich angeborene musikalische Neigung der Bergknappen betont, weshalb der »Wert unserer Musik in der heutigen Zeit mit ihren zersplitternden und entfremdenden Kämpfen […] gar nicht hoch genug eingeschätzt werden« könne.
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Die Musik wird als »Sinnbild des uralten Bergmannsgeistes der Zusammengehörigkeit und Kameradschaft, des ehernen Zusammenhalts in Not und Gefahr« bezeichnet, »alles umfassend, vom ersten Leiter bis zum letzten Arbeiter«. Sowohl eine Differenzierung innerhalb des Personals als auch eine Abgrenzung nach außen, zu anderen Berufsgruppen, und somit eine Aufwertung der Salzarbeit wird hier vorgenommen, berufsständische Exklusivität also trotz Modernisierung und fortschreitender Proletarisierung betont. »Berg- und Hüttenwesen sind kraft ihrer alten Tradition der Uradel der Industrie«, heißt es zudem, »das verleiht uns Stolz und ein Standesbewußtsein, wie es kein anderer Zweig der Technik hat […]. Die alte Zeit mit ihrer poetischen Beschaulichkeit und gemütvollen Kultur ist verschwunden. Unerbittlich und unaufhaltsam dringt der neue amerikanische Geist der Rationalisierung und der damit verbundenen Modernisierung und Hast in der Gütererzeugung auch in unser Wirtschaftsleben […]. Damit muß manches Althergebrachte, das sich überlebt hat, fallen und die nüchterne Maschine dringt auch in unseren Betrieb immer mehr und mehr ein. Gegen diesen kalten, nüchternen Geist der Mechanisierung können wir uns nur schützen, indem wir alles pflegen, was unser Gemüt erhebt, damit unsere Seele nicht verdorre.«265 Dieser Widerstand gegen Technisierung und Modernisierung, ohne interessanterweise die veränderte Situation letztlich völlig abzulehnen, ist eine Folge sozialer, über Generationen überlieferter Wahrnehmungs- und Verhaltensdispositionen. Pierre Bourdieu spricht dabei vom sogenannten »Habitus«, der einerseits die Wahrnehmung und das Handeln des Einzelnen und von Mitgliedern sozialer Gruppen bestimmt, andererseits aber auch von außen strukturiert wird, d. h. als »strukturierte Struktur« verstanden werden muss.266 Meist wandelt sich der Habitus nicht gleichzeitig mit den Existenzbedingungen und kann auf diese Weise dazu beitragen, dass – wie im zitierten Fall – die Aufrechterhaltung nicht mehr zeitgemäßer Sozialsysteme angestrebt wird. Letztlich sind aber Gesellschaft und Kultur keine statischen Größen, sondern ständigen Wandlungsprozessen unterworfen. Notwendigerweise müssen daher neue Handlungsdispositionen übernommen werden, die dem traditionellen Habitus widersprechen. Folglich ist die »subjectivité socialisée«, die »sozialisierte Subjektivität«, wie Bourdieu den »Habitus« bezeichnet, zwar in ihrer Intensität unterschiedlich starken, aber dennoch ständigen Veränderungen und Modifikationen unterworfen. Im Fall der Salzarbeiterschaft ist daher die Bildung spezifischer industrieller Identitäten anzunehmen, zumal die kulturellen Traditionen zunehmend ihren 265 Werkzeitung der Oesterreichischen Salinen, 1/8 (1928), S. 117. 266 Bourdieu, Pierre : Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. 10. Auflage, Frankfurt a. M. 1998, S. 279. Siehe dazu auch : Reichhardt, Sven : Bourdieu für Historiker ? Ein kultursoziologisches Angebot an die Sozialgeschichte, in : Mergel, Thomas/Welskopp, Thomas (Hg.) : Geschichte zwischen Kultur und Gesellschaft. Beiträge zur Theoriedebatte, München 1997, S. 78f.
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Bezug zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realität verloren und Identitätsbildung, wie bereits im ersten Kapitel (S. 13 f.) dargestellt, immer in Interaktion mit der materiellen und sozialen Umwelt erfolgt. Dabei scheinen nicht unbedingt regionale und lokale Identitäten bzw. traditionelle Identitätsbausteine verloren gegangen zu sein. Vielmehr wurden diese gleichsam im Prozess der Identitätsbildung in neue Konstellationen gebracht, neu geordnet, anders miteinander verbunden und mit neuen Identitätsbausteinen ergänzt. Folglich okkupiert die Moderne nicht einfach einen kulturellen Raum, sondern ist Teil eines entstehenden »third space« (Homi K. Bhabha), eines »dritten Raumes«, in dem gleichsam Kontaktzonen zweier oder mehrerer Kulturen existieren und dadurch neue Kulturen hervorgebracht werden.267 Die Transformation der kulturellen Traditionen bzw. die Entwicklung einer gewissermaßen alt-neuen oder besser : berufsständisch-industriellen Kultur im »dritten Raum« wurde mit der Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert erleichtert. Diese hielt nicht nur der sozialen Differenzierung der ständisch-feudalen Welt, sondern auch der sich industrialisierenden Gesellschaft eine vermeintliche bürgerlich-liberale, durch gemeinsame Normen und Werte sowie das Fehlen von Klassenunterschieden geprägte Einheit (S. 126) entgegen. So musizierte etwa auf dem Parkfest in Ischl, ein Treffpunkt sowohl der bürgerlichen Sommerfrischler als auch der Einheimischen, neben der Kurmusik und der Bürgerkapelle auch die Salinenkapelle.268 Die bürgerliche Kultur sollte als Instrumentarium zur sozialen Integration unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen dienen, wobei allerdings eine Anpassung an das kleinräumliche Kolorit als Voraussetzung galt. So wurden auch die kulturellen Traditionen des Salzwesens in den bürgerlichen Normenund Wertekatalog eingeordnet und auf diese Weise – in Form einer »bürgerlichen Salzkultur«269 – transformiert. Unter anderem bot sich dabei das bürgerliche Vereinswesen an : Die berufsständische Exklusivität der Salzarbeiterschaft wurde in einer moderne Organisationsform erhalten und zugleich folklorisiert. Die Ursache dafür ist nicht zuletzt darin zu suchen, dass – wie bereits angesprochen – die traditionellen Bruderschaften in ihrer Bedeutung als Wertegemeinschaft bedroht waren und daher von einer anderen Organisationsform, die mit den Existenzverhältnissen in einer engeren Verbindung 267 Bhabha, Die Verortung der Kultur. Siehe dazu auch : Hoerder, Dirk : Transkulturelle Lebensformen. Menschen in lokalen – (post-)nationalen – globalen Welten, in : Sozial. Geschichte. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts, 1 (2003), S. 18, 25. Bezogen auf eine österreichische Mikrohistorie als Geschichte des »dritten Raumes« siehe : Hellmuth, Thomas : Transkulturelle Kontaktzonen. »Österreichische« Mikrohistorie als Geschichte des »dritten Raumes«, in : Scheutz, Martin/Strohmeyer, Arno (Hg.) : Was heißt und wozu »österreichische Geschichte« ? Probleme, Perspektiven und Räume der Neuzeitforschung, Innsbruck/Wien/Bozen 2008, S. 111–126. 268 Salzburger Fremden-Zeitung, 27. August 1889. 269 Hellmuth, Traditionssuche und aufgeschobene Proletarisierung, S. 248.
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stand, ergänzt bzw. auch abgelöst werden konnten. So erfolgte etwa die Gründung von Musikvereinen, um die angebliche Musikalität der im Salzkammergut lebenden Einheimischen, insbesondere der Salzarbeiter, zu betonen. Dabei wurde auch – ganz im Sinne einer »Invention of Tradition«270 – die Funktion von Kleidung bzw. Trachten sowohl bei der Integration lokaler Besonderheiten in die bürgerliche Kultur (S. 120–123) als auch bei der Kompensation veränderter Existenzverhältnisse durch die Salzarbeiter deutlich. Die Mitglieder der Salinenkapelle Ebensee trugen etwa seit dem Jahr 1880 eigens gestaltete »Bergmannsuniformen«, 271 obwohl in diesem Ort, der im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zu einem Industrieort heranwuchs, kein Bergbau betrieben wurde, sondern lediglich die Versiedung des Salzes in Sudhäusern. Auf lokalen und regionalen Festveranstaltungen wurde die gesamtgesellschaftliche, bürgerlich-liberale Einheit zelebriert. Sowohl Teilnehmer als auch Zuschauer unterlagen dem Eindruck einer heilen, weil anscheinend klar strukturierten und somit übersichtlichen Welt.272 Die einzelnen Elemente des Festes waren allseits bekannt : Lokale und regionale Spezifika wurden betont und damit dem gesellschaftlichen Wandel das Gefühl der Überschaubarkeit, Stabilität und Sicherheit entgegengehalten. Dazu trug die Teilnahme unterschiedlicher Organisationen bei, unter anderem der Bruderschaften und der Musikkapellen der unterschiedlichen, vom zum Teil längst bedeutungslos gewordenen bzw. »ausgestorbenen« Salzarbeitergruppen. Zum Musikfest der Salinenkapelle Ebensee im Jahr 1928 marschierten etwa neben zahllosen Kapellen aus dem Salzkammergut auch die Salinenarbeiter in Uniformen auf. Dazu gesellte sich ein buntes Gemisch von Vereinen, darunter der Deutsche Turnverein, der Veteranenverein sowie der sozialdemokratische und der katholische Arbeiterverein. In einer Festrede wies der Generaldirektor der österreichischen Salinen auf das Bindeglied hin, das diese so unterschiedlichen Organisationen angeblich vereinte : »Wir sind so glücklich, daß unsere Arbeitsstätten in herrlicher Gegend stehen. Unsere Heimat mit ihrer reichen Schönheit wird uns stets vor innerer Verelendung bewahren.«273 Das Salzwesen hatte seine einst dominierende Stellung als Identifikator verloren und war zu einem Bestandteil der »harmonischen Natur« geworden, die seit dem 19. Jahrhundert zunehmend die regionale Identität(en) des Salzkammerguts prägen 270 Hobsbawm, Eric : Das Erfinden von Traditionen, in : Conrad, Christoph/Kessel, Martina (Hg.) : Kultur & Geschichte. Neue Einblicke in eine alte Beziehung, Stuttgart 1998, S. 98–118. 271 Werkzeitung der Oesterreichischen Saline, 1/8 (1928), S. 116f. 272 Tenfelde, Klaus : Adventus. Zur historischen Ikonologie des Festzuges, in : Historische Zeitschrift, 235 (1982), S. 65f, 76 ; Hettling, Manfred/Nolte, Paul : Bürgerliche Feste als symbolische Politik im 19. Jahrhundert, in : Dies. (Hg.) : Bürgerliche Feste. Symbolische Formen politischen Handelns im 19. Jahrhundert, Göttingen 1993, S. 7–36. 273 Werkszeitung der Oesterreichischen Salinen, 1/8 (1928), S. 117.
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bzw. zum dominierenden Identifikator sowohl in der »Innen-« als auch »Außensicht« auf das Salzkammergut werden sollte (S. 114–130, 136). Die Salzarbeiterschaft galt aber immerhin als wichtiges Zubehör der »Heimat«, womit trotz der zunehmenden Industrialisierung des Salzwesens eine temporäre soziale Aufwertung, etwa bei Festlichkeiten, verbunden war.274 Dazu trug freilich auch der aufkommende Fremdenverkehr bei, zumal die bürgerlichen Sommerfrischler die »harmonische Natur« bzw. die »Ursprünglichkeit«, die sie im Zuge ihrer Zivilisationsflucht im Salzkammergut suchten, nicht nur bei Spaziergängen oder bei Wanderungen in den Bergen zu entdecken versuchten. Auch die – allerdings für Touristen erst seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zunehmend attraktive275 – Einfahrt in die Salzberge oder das Kurwesen mit seinen Solebädern (S. 69 f., 118) wurden als Naturerlebnis gewertet, das freilich ohne Salz und Salzarbeiterschaft nicht möglich gewesen wäre. In diesem Kontext dürfen daher Brauchtumspflege und Folklore nicht allein von ihrem »Warencharakter« aus bzw. als Ausverkauf von Traditionen bzw. der Region betrachtet werden, sondern als Chance, durch ihre Verbindung mit neuen Existenzverhältnissen eine traditionelle Identifikationsmöglichkeit, im vorliegenden Fall das »Weiße Gold«, unter neuen Voraussetzungen aufleben zu lassen. Als Beispiel sind die Ausseer »Trommelweiber« zu nennen, mit rüschenbesetzten weißen Unterröcken und Häubchen verkleidete Männer, die sich »bei ihren Auftritten schier in Trance« trommeln.276 Zwei Gruppen von »Trommelweibern« sind zu unterscheiden : zum einen die als »bürgerlich« zu charakterisierenden und vermutlich seit dem 18. Jahrhundert bestehenden »Markter Trommelweiber«, zum anderen die vor rund 80 Jahren, wohl nicht zuletzt infolge der Proletarisierung der Salzarbeiterschaft gegründeten »Salinentrommelweiber«.277 Obwohl touristisch vermarktet, ist dieses Faschingsspektakel für die aktiv Beteiligten und die Einheimischen weniger Ware als vielmehr konstituierender Bestandteil lokaler Identität. Aufgrund der existenziellen Bedeutung des Fremdenverkehrs werden transformierte kulturelle bzw. – im Sinne Eric Hobsbawms – erfundene Traditionen mit neuen Inhalten gefüllt, die durchaus Sinn vermitteln und die Anpassung an ökonomische und gesellschaftliche Wandlungsprozesse erlauben.
274 Hellmuth, »Die alte Zeit mit ihrer poetischen Beschaulichkeit«, S. 254. 275 Ebenda, S. 255f. 276 Strobl, Bernhard : Die »Heiligen drei Faschingtag«, in : Salzburger Nachrichten, 12. Februar 1999. 277 Bockhorn, Olaf : »Heunt is der Faschingtag, Heunt sauf i was i mag«. Fasching in Bad Aussee, in : Salzburger Volkskultur, 23 (1999), S. 18–21.
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Radikal oder gemäßigt ? – Der Mythos der widerständigen Region Aufgrund der beschriebenen jahrhundertelangen Unentbehrlichkeit sowie der damit verbundenen Privilegien entwickelte die Salzarbeiterschaft ein starkes Selbstbewusstsein. Ohne Zweifel entstand daraus auch die Bereitschaft, soziale Veränderungen nicht einfach hinzunehmen, sondern sich dagegen zur Wehr zu setzen. Bereits für 1584 ist etwa überliefert, dass die Arbeiter in Hallstatt und Gosau ihre Arbeit niederlegten und höhere Löhne forderten. Nicht zufällig fiel auch der Protestantismus, der im Gegensatz zum katholischen habsburgischen Herrscherhaus stand, bei der Salzarbeiterschaft des Salzkammerguts auf fruchtbaren Boden. In den 1590erJahren, als nach der Niederschlagung des oberösterreichischen Bauernkrieges die Gegenreformation eingeleitet wurde, drohten etwa die Salzarbeiter mit Streik, falls ihre religiöse Einstellung verboten werden sollte. Das Salzkammergut wird daher gerne pauschal als Region bezeichnet, die eine »Tradition der Revolution« aufweise und in der sich ein eigener, widerständiger »Menschentyp« entwickelt habe.278 Solche mentalen Zuschreibungen, die freilich als regionale Identitätsbausteine dienen können, sind allerdings mit Vorsicht zu genießen und durchaus zu hinterfragen. Tatsächlich blieb der Widerstand der Salzarbeiterschaft nämlich zumeist relativ gemäßigt. Ihre Forderungen waren nicht selten rückwärtsgewandt, an alten Rechten und am Status quo orientiert. Zumeist wurden sie auch nicht lautstark und auf dem Weg des Aufstands vorgebracht, sondern auf dem »sanften« Weg der Petition. Dies war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Privilegierung der Salzarbeiter immer auch mit ihrer Disziplinierung einherging : Die Gewährung von Privilegien, auch wenn Proteste zu verzeichnen waren, erforderte letztlich Gehorsam und Loyalität dem Staat gegenüber. Die »Disciplinar-Vorschriften für das k. k. Salz-Personal« im Salzkammergut aus dem Jahr 1855 wiesen darauf hin, dass bei »vorhabenden Verehelichungen […] die dienstherrliche Zustimmung nachgesucht werden« musste. Der »Dawiderhandelnde« hatte unter Umständen mit der Entlassung zu rechnen. Dem Vorgesetzten musste der Arbeiter »willigen und pünktlichen Gehorsam« leisten. Während der Arbeitstage war der Bergknappe verpflichtet, auf dem Salzberg zu wohnen. Auch in den Pausen durfte er nur mit Erlaubnis eines Beamten seinen Arbeitsplatz verlassen.279 Die Disziplinierung reichte bis weit in den privaten Bereich
278 Kurz, Michael : Die Tradition der Revolution. Der Bauer Franz Muß und der Widerstand im Salzkammergut, in : Hellmuth, Thomas u. a. (Hg.) : Visionäre bewegen die Welt. Ein Lesebuch durch das Salzkammergut, Salzburg/München 2005, S. 95f. 279 »Disciplinar-Vorschriften für das k. k. Salzberg-Personal«, zit. nach : Lehr, Rudolf : Vergnügliche Ausflüge ins k. k. Salzkammergut in Österreich ob der Enns und der Steiermark, o. O., o. J [Reprint : Linz 1980], S. 34.
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hinein. 1792 hatte etwa die Hofkammer den Salzarbeitern verboten, als Schauspieler auf Theaterbühnen mitzuwirken. Sie befürchtete die Vernachlässigung der Arbeit, Trinkgelage und andere Ausschweifungen.280 Verstöße gegen die Vorschriften wurden mit Disziplinarstrafen geahndet, die von einem Verweis über die Verhängung von Geldstrafen oder Lohnabzügen bis zur vorübergehenden oder endgültigen Entlassung reichen konnten. Zugleich zeigte aber der Staat immer wieder seine »väterliche« Seite, wohl nicht zuletzt auch, weil er vor allem die qualifizierten Arbeiter dringend benötigte : Nachdem zum Beispiel in den 1840er-Jahren ein Arbeiter wegen des »Versuchs der Abtreibung der Leibesfrucht« zu acht Monaten verschärften Kerkers verurteilt worden war, befürwortete die Salinenverwaltung Hallstatt sein Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens, da die »Heterogenität seines Verbrechens mit dem Dienstverbande […] als im Grunde zu milderer Behandlung desselben gnädig erkannt werden« dürfte. Das übergeordnete Salzoberamt in Gmunden wies zwar auf das »verderbliche Beyspiel« hin und lehnte eine »mildere Behandlung« ab,281 letztlich zeigt das Beispiel aber doch, dass »Vater Staat« um seine »Kinder« besorgt war. Dadurch konnte auch eine starke Bindung der Salzarbeiterschaft an die Saline und an den Kaiser erreicht werden. Festlichkeiten waren daher zugleich auch Kundgebungen der Kaisertreue : Zur Fahnenweihe der Ischler Bergknappen im Oktober 1849 feierten etwa die Ausseer Bergarbeiter den Erfolg der kaiserlichen Armee in Italien und Ungarn.282 Solche Loyalität der Obrigkeit gegenüber ließ Unruhen, Streiks und Aufstände eher zu Ausnahmefällen und nicht zur Normalität werden. Nur selten kam es zum Eklat wie etwa am Ende des 18. Jahrhunderts, nachdem mehrere Arbeiter im Salzkammergut den Kaiser in einer Petition um Lohnerhöhung gebeten hatten. Eine staatliche Untersuchungskommission wurde eingesetzt, eine endgültige Beurteilung der sozialen Lage im Salzkammergut blieb jedoch aus. In einer zweiten Petition fanden sich daher Anspielungen auf die Französische Revolution. Mit der Verhaftung eines der Rädelsführer statuierte die Behörde zwar ein Exempel, letztlich gewährte sie aber doch noch Lohnerhöhungen.283 Der Mythos der widerständigen Region muss folglich relativiert werden : Durch die Anwendung des Begriffs »Widerstand« auf Aufstände und Gegenbewegungen unterschiedlichster Prägung, ohne deren spezifischen gesellschaftlichen Zusammen280 Pollner, Martin Th.: Das Salzkammergut. Grundzüge einer allgemeinen Geschichte des Salzkammergutes und einiger angrenzender Landesteile mit besonderer Berücksichtigung des Ausseer Landes, Wien 1992/93, S. 156. 281 Oberösterreichisches Landesarchiv, Salzamtsarchiv Hallstatt, Entwendung von Ärarialgut, 2. Teil, 1840– 1850, Zirkular-Verordnungen 1806–1835, Nr. 1067/178, August 1841, Nr. 1259/249, September 1841. 282 Schraml, Das oberösterreichische Salinenwesen von 1818 bis zum Ende des Salzamtes im Jahr 1850, S. 165, 224. 283 Karny, Thomas : Lesebuch zur Geschichte der oberösterreichischen Arbeiter, Grünbach 1990, S. 10f.
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hänge ausreichend zu berücksichtigen, verliert er seine Konturen und wird damit beliebig.284 Wenn von einer »sozialen Vision« der im Salzkammergut lebenden Bevölkerung gesprochen wird, die »von der Gegenreformation über den Neoabsolutismus bis in den Ständestaat und das Dritte Reich« gereicht habe,285 dann werden unterschiedliche Formen des Widerstands unzulässig auf eine gemeinsame Wurzel reduziert. Auf diese Weise wird ein Mythos bedient, der sich zwar hervorragend für die Identifikation mit einer Region – im Sinne einer »identification with« (S. 15) – eignet, allerdings unberücksichtigt lässt, dass sich etwa die Protestanten im Salzkammergut nicht nur der Sozialdemokratie und dem Sozialismus, sondern auch dem Nationalsozialismus zugewandt haben. Gerade das Bild des Salzkammerguts als Ort des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, der sich letztlich aufgrund der »sozialen Vision« ergeben habe,286 ist in diesem Zusammenhang zu differenzieren. Denn bereits vor dem Anschluss Österreichs an Deutschland hatten viele protestantisch orientierte Arbeiter mit dem Nationalsozialismus sympathisiert,287 vor allem als sich der österreichische Ständestaat als besserer, weil auf katholischer Grundlage beruhender deutscher Staat proklamierte. Zwar begrüßte das bischöfliche Ordinariat nach der Ausschaltung des Parlaments im Jahr 1933 und dem Verbot des sozialdemokratischen Schutzbundes und der NSDAP das angebliche »Abschwenken der Bevölkerung im Salzkammergute (besonders in Hallstatt) von den sozialdemokratischen und nationalsozialistischen Grundsätzen«.288 Tatsächlich waren der sozialdemokratische Schutzbund und die Nationalsozialisten in der Illegalität aber weiterhin politisch aktiv, weshalb im Visitationsbericht der Pfarre Goisern 1934 darüber geklagt wurde, dass »die Protestanten zumeist rot oder braun« seien und es »vieler Klugheit« bedarf, »um schwere Konflikte zu vermeiden«.289 St. Wolfgang war laut Visitationsbericht von 1934 »ganz nationalsocialistisch«290 und in der Pfarre Gosau »die Bevölkerung […] fast durch284 Hellmuth, Thomas : Die Erzählungen des Salzkammerguts. Entschlüsselung einer Landschaft, in : Binder, Dieter A./Konrad, Helmut/Staudinger, Eduard G. (Hg.) : Die Erzählung der Landschaft, Wien/ Köln/Weimar 2011, S. 58–62 ; Hellmuth/Hiebl, Bilder vom Salzkammergut, S. 96–108. 285 Kurz, Die Tradition der Revolution, S. 95. 286 Rolinek, Susanne : Für die Republik Ausseerland. Die NS-Widerstandskämpfer im Salzkammergut, in : Hellmuth u. a. (Hg.), Visionäre bewegen die Welt, S. 105f. ; Botz, Gerhard, Regionale Gesellschaft und lange Traditionen des Widerstandes im Salzkammergut, in : Topf, Christian (Hg.) : Auf den Spuren der Partisanen. Zeitgeschichtliche Wanderungen im Salzkammergut, Grünbach 1996, S. 12–39. 287 Quatember/Felber/Rolinek, Das Salzkammergut. 288 Diözesanarchiv Linz, Visitationsberichte 1932–1934, M/I/II, Bischöfl. Ordinariat an das Dekanat in Bad Ischl, Linz, 13. April 1934, Zl. 633, in : Visitat. Erledigungen für 1933. 289 Ebenda, Visitations-Befund, Dekanat Bad Ischl, Pfarre Goisern, 14. Juni 1934, in : Visitationsberichte 1934. 290 Ebenda, Visitations-Befund, Dekanat Bad Ischl, Z. 2299, 13. März 1935, Bischöfliches Ordinariat an das Dekanatsamt Bad Ischl, Linz, 25. Mai 1935.
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wegs protestantisch und socialistisch o. nationalsocialistisch, der evangelische Pfarrer und die Forstbeamt. [sic !] zumeist voran«.291 Provokant ließe sich, wenn Widerstand letztlich als mentale Disposition der regionalen Bevölkerung beschrieben wird, auch der National sozialismus – im Kontext des österreichischen Ständestaates – als eine Art Widerstand definieren. Wie dieser allerdings in das Bild der offenbar positiv definierten »sozialen Vision« der Bevölkerung einzuordnen ist, bleibt dahingestellt. Werden die mehr oder weniger deutlichen politischen Nuancen berücksichtigt, lässt sich Widerstand letztlich nicht pauschal als mentale Disposition Abb. 12 : Hakenkreuzfahne auf dem Schlot der im Salzkammergut beheimateten der Saline Ebensee (4. Februar 1934). Passen Menschen verstehen. der Nationalsozialismus, der sich auch gegen Die Dekonstruktion des Mythos des den Ständestaat wandte, und der Mythos der Widerstands bedeutet freilich nicht, Widerständigkeit zusammen ? dass die sozialen und politischen Konflikte, die sich seit dem 19. Jahrhundert infolge der Industrialisierung ergaben, nicht auch im Salzkammergut zu finden waren. Dabei wird aber vielmehr die Gespaltenheit der Region und weniger eine die Bevölkerung angeblich verbindende mentale Disposition oder »soziale Vision« deutlich. Bereits in den 1840er-Jahren hatte sich etwa in Goisern um den »Bauernphilosophen« Konrad Deubler eine liberal-antiklerikale Gruppe gebildet, die zur Spaltung der regionalen Gesellschaft beitrug. Deubler unternahm mehrere Reisen, auf denen er mit fortschrittlichen Ideen und Denkern in Kontakt kam, verbreitete aufklärerische und religionskritische Schriften im Salzkammergut, geriet daher ins Visier der Polizeibehörde und wurde wegen Hochverrats und Religionsstörung zu einer Kerkerhaft verurteilt. Zudem war er Mitbegründer einer konfessionslosen Schule in Goisern.292 Aber nicht nur dort fanden sich die sozialen und politischen Konflikte des 19. Jahrhunderts wieder. Nach der bürgerlich-demokratischen Revolution von 291 Ebenda, Visitations-Befund, Dekanat Bad Ischl, Pfarre Gosau, 26. Juni 1934, in : Visitationsberichte 1934. 292 Baron, Der Beginn, S. 78–80. Zu Deubler siehe auch : Dodel-Port, Arnold : Konrad Deubler, 2 Bände, Leipzig 1886.
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1848 klagte unter anderem der Gmundner Pfarrer : »Die Osterbeichte haben manche Beichtfertige unterlassen, vorgeblich, bey der neuen Freyheit hört auch hier der Zwang auf. […] bey aller Anstrengung ist es unmöglich, den verderblichen Strom des Radikalismus einiger Köpfe, welche durch die schlechten Schriften verführt werden, wehren zu können.«293 Das Nebeneinander von Katholiken und Protestanten, die für revolutionäre Ideen (und später auch für den Nationalsozialismus) besonders aufgeschlossen waren, verschärfte die Situation im Salzkammergut. 1847 hatte sich der Ischler Pfarrer über »fremde Emissäre und insbesondere die Protestanten« echauffiert, die »unter falscher Interpretation der Denk-, Rede- und Glaubensfreyheit auf alle Weise aufzuregen suchen«.294 Auch in Gosau lebten laut dortigem Pfarrer die »Confessionen […] feindlich nebeneinander«.295 Nachdem der Neoabsolutismus den revolutionären Bestrebungen ein Ende bereitet hatte, klagten kirchliche Kreise über Beamte, die »die Larve der Zufriedenheit mit dem gegenwärtigen Gang der Dinge vor dem Gesichte haben, aber bey nächster Gelegenheit ihre innere Anhänglichkeit an Umwälzung, besonders die Verachtung der Religion wieder an den Tag legen«.296 Um 1870 wurden in Hallstatt und Goisern liberale Arbeiterbildungsvereine gegründet, denen in erster Linie die Berg- und Salinenarbeiter beitraten. Einige Jahre nach ihrer Gründung, als die Salzproduktion zunehmend rationalisiert und modernisiert wurde, wandelten sich diese Verein zu sozialdemokratischen Organisationen. Die Kirche zeigte sich beunruhigt und gründete in Goisern einen katholischen »Konsumtibilienverein«, der mit dem dortigen sozialdemokratischen Arbeiterkonsumverein konkurrieren sollte. Die Lager trifteten auch im Salzkammergut auseinander, und so widmete sich um 1900 ein Verein »Freie Schule« unter anderem der »Abwehr klerikaler Übergriffe« im Schulwesen.297 Immer wieder klagte die in Oberösterreich erscheinende sozialdemokratische Zeitung »Wahrheit« über soziale Missstände im Salzkammergut, etwa über schlechte Entlohnung. »Während im Winter offenbar die Kälte jede sozialpolitische Tätigkeit unserer Gemeindegewaltigen [in Bad Ischl, Anm. d. V.] verhindert«, schreibt diese Zeitung im Jahr 1911, »treibt man im Sommer Sozialpolitik in Gestalt von – Koriandolifeste298, Tombolas, Blumentagen und anderen Lustbarkeiten für die bessere Welt«. Armut könne damit freilich, so die »Wahrheit«, nicht bekämpft werden. Vielmehr käme dabei »nichts anderes heraus, als daß die Macher dieser Veranstaltungen in den bürgerlichen Zeitungen 293 Diözesanarchiv Linz, Kommunikantenberichte 1844–1857, M I/II, Communikantenbericht 1848, darin : Kommunikanten-Bericht der Pfarre Gmunden im Dekanat Gmunden pro Anno 1848, 18. Juli 1848. 294 Ebenda, darin : Communikanten-Bericht der Pfarre Ischl im Decanate Gmunden vom Jahre 1847. 295 Ebenda, darin : Kommunikantenbericht der Pfarre Gosau im Dekanate Gmunden pro 1848, 22. Mai 1848. 296 Ebenda, Kommunikantenberichte 1844–1857, M I/II, Kommunikantenbericht 1842, darin : Dekanat Gmunden an Bischöfliches Konsistorium, Praes. 1908, 23. Juni 1852. 297 Wahrheit, 12. Februar 1911, 24. Dezember 1911. 298 »Koriandoli« stammt aus dem Italienischen und bedeutet »Konfetti«.
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als weiß Gott welche Wohltäter gepriesen werden«.299 In den 1930er-Jahren klagte das Ischler Dekanat darüber, dass die Gemeinde Hallstatt »rot« sei und »der rote Bürgermeister gehässig und lügenhaft«.300 Nachdem die Christlichsozialen unter Kanzler Engelbert Dollfuß 1934 – mit Ausnahme der »Vaterländischen Front« – alle politischen Organisationen verboten hatten, zeigte sich die Kirche zwar zunächst zufrieden : »[…] die polit. u. social. Verhältnisse haben sich merklich gebessert, seit der rote Druck weg ist.«301 Im Untergrund brodelte es aber auch weiterhin : »[…] doch arbeiten […] die radikalen Elemente […] um so lebhafter, wenn auch verborgen.«302 Die Vorstellung einer modernen revolutionären Arbeiterschaft im Salzkammergut ist aber dennoch zu relativieren : Nicht zuletzt aufgrund der Stellung der Salzarbeiterschaft zwischen Privilegierung und Disziplinierung blieb die Tätigkeit der sozialdemokratischen Arbeitervereine weitgehend auf die Bildungsarbeit und die Gründung von Konsumvereinen ausgerichtet.303 Während in Oberösterreich die meisten um 1870 gegründete Arbeitervereine bereits nach wenigen Jahren behördlich verboten worden waren, bestanden die Vereine in Hallstatt und Goisern noch bis zum Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische »Dritte Reich« im Jahr 1938.304 Das Zentrum der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung hatte sich in Gmunden befunden, gleichsam am Eingang des »Inneren Salzkammerguts«. Dort war bezeichnenderweise erst 1882 ein Arbeiterbildungsverein gegründet worden, der sich allerdings von Anfang an als sozialdemokratisch verstand und in dem vor allem Handwerksgesellen, die in der frühen Arbeiterbewegung eine maßgebliche Rolle spielten, organisiert waren.305 Werden die Aufstände und Gegenbewegungen sowie die politische Entwicklung im Salzkammergut im jeweiligen historischen Kontext betrachtet und wird nicht eine allgemeine mentale Bereitschaft zum Widerstand unterstellt, so waren die Bewohner des Salzkammerguts wohl nicht revolutionärer oder widerständiger als manche andere Regionen. Nichtsdestotrotz bildet der Mythos des Widerstands einen regionalen Identifikator, der sowohl die Innen- als auch Außensicht auf das Salzkam299 Die Ischler Sozialpolitik, in : Wahrheit, 29. Juli 1911. 300 Diözesanarchiv Linz, Visitationsbericht 1930, M I/II, darin : Visitations-Befund, Dekanat Bad Ischl, Pfarre Hallstatt, 12. Juni 1930. 301 Ebenda, Visitationsberichte 1932–1934, M I/II, Visitationsbericht 1934, darin : Visitations-Bericht, Dekanat Bad Ischl, Pfarre Hallstatt, 11. Juni 1934. 302 Ebenda, darin : Visitations-Befund, Dekanat Bad Ischl, Pfarre Ebensee, 4. Juni 1934. 303 Konrad, Helmut : Das Entstehen der Arbeiterbewegung in Oberösterreich, Wien/München/Zürich 1981, S. 147, 267–270 ; Hiebl, Ewald : Auf halbem Weg in die Moderne. Soziale Absicherung und politische Partizipation der österreichischen Salzarbeiterschaft zur Jahrhundertwende, in : Hellmuth, Thomas/ Ders. (Hg.) : Kulturgeschichte des Salzes. 18. bis 20. Jahrhundert, Wien/München 2001, S. 234–236. 304 Baron, Der Beginn, S. 72, 100. 305 Konrad, Das Entstehen der Arbeiterbewegung, S. 267–269.
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mergut weiterhin prägt und zur regionalen Identitätsbildung beiträgt. Damit in Verbindung wird letztlich auch ein einheitliches Bild des Salzkammerguts vermittelt, das freilich bei genauerer Betrachtung nicht aufrecht zu erhalten ist. Interessant bleibt aber allemal, dass ein soziales Phänomen, das üblicherweise mit Konflikt und gesellschaftlicher Segregation konnotiert wird, im Falle des Salzkammerguts zu einer einheitlichen regionalen Identität beiträgt. Der Mythos des Widerstands dient den Einheimischen dazu, sich – als widerständiger »Menschenschlag«306 – im regionalen Raum zu verorten und sich, insbesondere bei der Abgrenzung »nach außen«, als Teil eines »Ganzen« zu betrachten. Damit wird dieser Mythos aber möglicherweise verinnerlicht und tatsächlich dann doch zur mentalen Disposition. Es ließe sich wohl auch, freilich etwas pointiert, von einem »Zwang zum Widerstand« sprechen, der sich letztlich zur vielbeschworenen und verniedlichten, aber doch wohl wieder nur vermeintlichen »Sturheit« der Salzkammergütler wandelt.
Harmonische Natur – das bürgerliche Salzkammergut Trotz der beschriebenen gesellschaftlichen Fragmentierung (S. 96–99, 111–113) beinhaltet das »Ganze«, wie sich die Region aus bestimmter Perspektive präsentiert, die Vorstellung einer gewissen gesellschaftlichen Harmonie, einer »Vielfalt in der Einheit«, die zunächst »von außen« in der Natur des Salzkammerguts begründet wurde. Um 1800 »entdeckten« Naturforscher, Landschaftsmaler und Reiseschriftsteller die Region, die aufgrund ihrer Naturschönheiten bald den Beinamen »österreichische Schweiz«307 erhielt. Die Naturwissenschaftler nahmen zunächst die Gegensätze und Vielfalt der Landschaft wahr, die Landschaftsmaler, sowohl von der Aufklärung als auch der Romantik beeinflusst, warfen wiederum einen realistischen Blick auf die Natur des Salzkammerguts, ohne jedoch den Gesamteindruck zu vernachlässigen. Die Gemälde, etwa jene von Ferdinand Georg Waldmüller, bilden Details in realistischer Weise ab, zugleich erwecken sie beim Betrachter aber den Eindruck von Harmonie. Damit entsprachen die Landschaftsmaler, die dem Salzkammergut in der Zeit seiner »Entdeckung« ein Denkmal setzten, durchaus dem damaligen Verständnis von Malerei, das die Bedeutung des Gesamteindrucks propagierte, ohne auf die Darstellung von Details zu verzichten.308
306 Kurz, Die Tradition der Revolution, S. 93. 307 Steiner, Johann : Der Reisegefährte durch die Österreichische Schweiz oder das obderennsische Salzkammergut. In historisch, geographisch, statistisch, kameralisch und pittoresker Ansicht. Ein Taschenbuch zur geseeligen Begleitung in diese Gegenden, zweite, vermehrte und verbesserte Auflage, Linz 1832. 308 Hellmuth, Die Erzählungen des Salzkammerguts, S. 46f. ; Pillement, George/Noisette de Crauzat, Claude : La Peinture, in : Claudon, Francis (Hg.) : Le Romantisme, Paris 1996, S. 44.
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Abb. 13 : Die »österreichische Riviera« : Traunseelandschaft mit Schloss Orth und dem Traunsee (Ferdinand Georg Waldmüller, um 1830)
Damit war der Weg zur ästhetischen Verklärung des Salzkammerguts bereits vorgegeben. Selbst naturkundliche Betrachtungen kamen vielfach ohne poetische und pathetische Verzückung kaum aus. Friedrich Simonys wissenschaftlichen Aufzeichnungen über die Erstbesteigung des Dachsteins gleiten geradezu in eine von Gefühlen dominierte Darstellung der Naturerscheinungen über. So taucht etwa »die Sonnenscheibe aus der Tiefe des Ostens« wie »ein feuriger Rubin von ungeheurer Größe« auf, ein »Lichtstrahl« zuckt »über die höchsten Spitzen der Alpen« und verdrängt »Minute um Minute die fliehenden Schatten der Nacht«.309 Durch die Berichte der Reisenden und Wissenschaftler sowie durch die Kunst wurde ein Bild des Salzkammerguts vermittelt, das sich als »Vielfalt in der Einheit« bezeichnen lässt und bis heute wirksam ist. Um 1900 berichtet etwa Ludwig Wörl von den »liebliche[n], lachende[n] Gegenden«, die sich auf »verhältnismäßig kleinen Raum« zusammendrängten, »durch freundliche Dörfer und elegante Kurorte 309 Simony, Friedrich : Drei Dezembertage auf dem Dachsteingebirge, in : Czernin, Hubertus (Hg.) : Salzkammergut, Klagenfurt/Cleovec 1998, S. 33.
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belebt, im Wechsel mit großartigen Gebirgskesseln, welche schimmernde Seen umschließen, in deren Fluten sich dunkel dräuende Felswände und schneeige Gletscher spiegeln, und zu denen aus schwindelnden Höhen silberne Bäche herabstürzen«.310 Diese »Vielfalt in der Einheit«, diese »Ursprünglichkeit«, die weniger mit unberechenbaren Naturgewalten als vielmehr mit harmonischen, wenn auch vielfältigen Parklandschaften, mit einer »kultivierten Wildnis«, etwas gemein hat, musste freilich konstruiert werden. Die Natur wurde gleichsam ihrer Wildheit beraubt und nach den Vorstellungen der Zivilisationsflüchtlinge »gezähmt«. Der Goiserer Verschönerungsverein sah beispielsweise seine Aufgabe darin, »das, was Mutter Natur versäumte, durch seine Wirksamkeit zu ersetzen«.311 Nicht zufällig verlegte die Gartenarchitektur ihren Schwerpunkt von der Gestaltung großer adeliger Güter hin zu öffentlichen Gärten, Plätzen und Straßen.312 Esplanaden, Promenaden und Wanderwege wurden angelegt, Ruhebänke aufgestellt und Aussichtsplätze geschaffen, um auch den unbeweglichsten Wanderer in den Genuss der »Ursprünglichkeit« zu bringen. In Ischl wurde bereits 1825 ein Volksgarten und 1830 die Esplanade errichtet. Das »Comité für Verschönerungen« in Ischl schloss 1852 einen Pachtvertrag mit dem Forstamt Goisern ab, um die Kaltenbach-Au in einen Park umzuwandeln. Der Entwurf des preußischen Gartendirektors Peter Joseph Lenné sah malerische Spazier- und Reitwege vor, konnte aber aufgrund fehlender finanzieller Mittel nur zu einem kleinen Teil verwirklicht werden.313 Dennoch zeigt er, ähnlich wie die sinnigen Verse, die auf die Außenwand des Badehotels »Elisabeth« in Aussee geschrieben standen, wozu der Aufenthalt im Salzkammergut dienen sollte : »Der Gebirge reine Luft, / Dieses Waldes Fichtenduft / Und der Soolebäder Schärfen / Gut für stadtverdorb’ne Nerven. / Singet Vöglein in dem Busch, / Springt Eichhörnchen, husch, husch, husch, / Ohne Kummer, ohne Sorgen, – / Musst von ihnen Frohsinn borgen.«314 In dieser »Ursprünglichkeit« wurde selbst das »Wolkengewimmel«, wie Nikolaus Lenau das für das Salzkammergut so typische Regenwetter bezeichnete,315 Teil einer paradiesischen Einheit aus zwei Himmeln, dem unfreundlichen und dem freundlichen. »So wie rasch der Gewittersturm gekommen, verläuft er auch meist wieder, und nicht selten bildet abends das herrlichste Alpenglühen den letzten Abschluß desselben«, ist im sogenannten »Kronprinzenwerk« 310 Wörl, Ludwig : Illustrierter Führer durch das Salzkammergut und die angrenzenden Gebiete mit Einschluß von Salzburg, Hallein und Golling, 4. Aufl., Leipzig 1907, S. 7. 311 Fremden-Zeitung, 21. August 1891. 312 Jeschke, Hans-Peter : Das Salzkammergut und die UNESCO-Kulturerbelandschaft, in : Österreich in Geschichte und Literatur, 56/1 (2012), S. 53. 313 Groß, Barbara : »Entwurf zur Ausschmückung der Kaltenbach-Au in Ischl« von Peter Joseph Lenné. Die unvollendet gebliebene Parkanlage für den Kaiser von Österreich. Diplomarbeit, Salzburg 2001. 314 Fremden-Zeitung, 16. April 1892. 315 Lenau, Nikolaus : An den Ischler Himmel im Sommer 1838, in : Czernin (Hg.) : Salzkammergut, S. 94.
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über den Traunsee zu lesen.316 Das Zusammenspiel dieser zwei Himmel rückt die Zivilisation, von der die Sommerfrischler flüchteten, zumindest zeitweise in weite Ferne. Ein »bürgerliches Paradies« wurde geschaffen, in dem der Mensch, der Bürger, sich wieder seiner vermeintlichen Ursprünge besinnen konnte, zugleich aber auf die Bequemlichkeiten der Zivilisation nicht verzichten musste. Diese »Ursprünglichkeit« lässt sich als eine neue Kultur beschreiben, die im so genannten »dritten Raum« (S. 105) entstand, eine gleichsam transkulturelle Kontaktzone, in der unterschiedliche kulturelle Praktiken aufeinanderprallen und einander beeinflussen.317 »Kontaktzonen«, schreibt Michael Pesek, »sind oft eine Montage aus verschiedenen kulturellen und sozialen Praktiken. Doch sie entwickeln in der Montage auch eigene Muster von Praxis […]«.318 Sie können auch als »Zwischenwelten« bezeichnet werden, in denen »kulturell konstitutive, ›neue‹ Konventionen herrschen müssen, die vom Regelsystem der Ausgangskulturen […] der Beteiligten nicht beschrieben werden können. […] Solchen situativ hergestellten ›Zwischenwelten‹ wird der Statuts einer third culture zugewiesen.«319 Diese »dritte Kultur«, die Kultur der »Ursprünglichkeit«, vermischte lokale bzw. regionale Traditionen und die von außen herangetragene Moderne. So durfte etwa das notwendige Ausmaß an Komfort in der »gezähmten Natur« nicht fehlen, wobei freilich die »Exotik« weiterhin erhalten bleiben musste. Das Kaffeehaus eroberte das Salzkammergut, komfortable Hotels und Villen wurden inmitten der Bergwelt errichtet, Theateraufführungen und Konzerte gestalteten den Aufenthalt abwechslungsreich und vermittelten gleichsam einen Hauch von Zivilisation in der »Wildnis«. Dem Schriftsteller Karl Kraus war es daher bei seinen Besuchen im Salzkammergut immer so, »als ob die Berge ringsum nur eine Dekoration wären, die man auf die Wiener Ringstraße gestellt hat«.320 Auch auf moderne Sportarten brauchte der bürgerliche »Zivilisationsflüchtling« nicht zu verzichten : In Bad Ischl standen etwa um 1900 mehrere Lawn-Tennisplätze und »schöne ebene Straßen« zur Verfügung, die auch dem modernen Radsport, der zugleich den Naturgenuss ermöglichte, dienten.321 Dennoch schien das Salzkam316 Die Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild. Oberösterreich und Salzburg, Wien 1889, S. 37. 317 Hellmuth, Transkulturelle Kontaktzonen, S. 112f. 318 Pesek, Michael : Die Kunst des Reisens. Die Begegnung von europäischen Forschungsreisenden und Ostafrikanern in den Kontaktzonen des 19. Jahrhunderts, in : Speitkamp, Winfried (Hg.) : Kommunikationsräume – Erinnerungsräume. Beiträge zur transkulturellen Begegnung in Afrika, München 2005, S. 99. 319 Müller-Jacquier, Bernd (1999), zit. nach : Lüsebrink, Hans-Jürgen : Kulturraumstudien und Interkulturelle Kommunikation, in : Nünning, Ansgar/Nünning, Vera (Hg.) : Konzepte der Kulturwissenschaften. Theoretische Grundlagen – Ansätze – Perspektiven, Stuttgart/Weimar 2003, S. 314. 320 Kraus, Karl (1892), zit. bei : Jeschke, Das Salzkammergut und die UNESCO-Kulturerbelandschaft, S. 53. 321 Bad Ischl im Salzkammergut. Ältestes Solebad in Österreich. Ein Führer für Kurgäste. Verfaßt von den Mitgliedern der Kurkommission, Ischl o. J. [1904], S. 75f, 82.
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mergut auch weiterhin »von jener Effecthascherei und Modesucht« befreit, »die unangenehm in den grösseren rheinischen und böhmischen Curorten zur Schau treten«. Wie »Nektar und Ambrosia« konnte dort der bürgerliche Sommerfrischler die »echte, von tausend Wohlgerüchen durchwürzte Gebirgsluft« genießen, »die Quintessenz dessen, was Millionen blühender Bäume, duftender Wiesen, wogender Felder im weiten Umkreis von berauschend süßen Düften von sich geben«.322 Die entstehenden Solebäder (S. 69 f.) verstärkten den Eindruck der Naturverbundenheit, die mit einer Reise in das Salzkammergut garantiert schien. In Ischl wurde bereits 1819 der Kurbetrieb eröffnet, der durch die Bemühungen von Franz Wirer, einen prominenten Wiener Arzt, einen beachtlichen Aufschwung verzeichnete und letztlich auch das Kaiserhaus samt Hofstaat in das Salzkammergut lockte.323 Ende der 1860er-Jahre wurde der Kurbetrieb in Aussee aufgenommen, 1870 das dortige Kurhaus errichtet. Die »Ursprünglichkeit« enthält auch eine Art anthropologische Komponente, zumal sie sich angeblich im Charakter und auch Aussehen der Einheimischen spiegelte. Dieses Bild des eng mit der Natur verbundenen Menschen geht bereits auf das 15. Jahrhundert zurück, als die »Wildnis« zunehmend als eine an das Paradies erinnernde Welt rezipiert wurde. Der »archaism«, der in der Natur eine animalische und brutale, weil den Gesetzen des Stärkeren unterworfenen Welt betrachtete, wurde vom »primitivism« verdrängt und damit einhergehend auch das Konzept des »edlen Wilden« entworfen.324 Mit der zunehmenden Erschließung der Natur und der damit verbundenen Befriedung der Wildnis schienen »Wälder, Wiesen und Berge allmählich« aufzuhören, »Gefahrenzonen erster Ordnung zu sein, aus denen beständig Unruhe und Furcht in das Leben des Einzelnen einbricht«. Nun wurde »den befriedeten Menschen die entsprechend befriedete Natur in einer neuen Weise sichtbar«.325 So entstand auch das Bild der in den Bergen lebenden, einfachen, aber freien Menschen. »Almer und Almerin«, schreibt etwa Leo Kegele, »fristen […] durch einige Monate hindurch ein einsames und bescheidenes, jedoch freies und zufriedenes Leben«. Der Mensch sei mit der Natur im Einklang, und dieser Harmonie verleiht Kegele im Gedicht »Almerin« auch pathetisch Ausdruck : »Schöne Sennin, noch einmal / Sing deinen Ruf ins Tal, / Daß die frohe Felsensprache / Deinem hellen Ruf erwache. / Horch’, o Mädchen, wie dein Sang / In die Brust dem Felsen drang. / Wie 322 Barber, Ida : Briefe aus dem Salzkammergut, in : Fremden-Zeitung, 19. August 1893. 323 Komarek, Alfred : Österreich mit einer Prise Salz. Ein Mineral macht Geschichte, Wien 1998, S. 152f. ; Jeschke, Das Salzkammergut und die UNESCO-Kulturerbelandschaft, S. 52. 324 Termeer, Marcus : Die Verkörperung der Welt. Eine Körper-, Geschlechter- und Herrschaftsgeschichte, Bielefeld 2005, S. 225 ; Groh, Dieter/Groh, Ruth : Weltbild und Naturaneignung. Zur Kulturgeschichte der Natur, Frankfurt a. M. 1991, S. 113. 325 Elias, Norbert : Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1997, S. 416.
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dein Wort die Felsenseelen / Freudig fort und fort erzählen !« Wenn aber der Tod die Sennerin der Welt entreißt, zerreißt auch das Band zwischen Natur und Mensch : »Und verlassen werden stehen, / Traurig, stumm herübersehen / Dort die grauen Felsenzinnen / Und auf deine Lieder sinnen.«326 Auch Bergführer wurden in der Folge als eng mit der Natur verbunden, als »Naturburschen« oder »edle Wilde«327, stilisiert, denen es durchaus nachzueifern galt. Wie in einem Reisehandbuch aus dem Jahr 1903 zu lesen ist, seien selbst beim weiblichen Geschlecht »die Vorzüge« des Bergsteigens »kaum hoch genug« anzuschlagen, würden doch dadurch angeblich »Körper und Geist […] abgehärtet«.328 Letztlich galt dies wohl sogar auch dann, Abb. 14 : Der Einheimische als »edler Wilder« – der wenn eine Sänfte für den abenteuerliStrobler Bergführer Alois Strubreiter (Foto : G. Sams) chen Ausflug in die Berge benutzt wurde. Bergführer, die als »gesunder« Gegenpol zur verweichlichten Zivilisation galten, wurden zunehmend nachgefragt. Strobl hatte beispielsweise ein Musterbeispiel eines solchen »Naturburschen« aufzuweisen : Mit wildem Bart, langem Haar und in Tracht gekleidet, personifizierte der Bergführer Alois Strubreiter geradezu die ersehnte »Ursprünglichkeit«.329 Zwar waren Franz Satori, der das Salzkammergut sowohl aus »wissenschaftlicher« als auch »pittoresker« Seite beschrieb, zu Beginn des 19. Jahrhunderts angeblich noch »Mitteldinger zwischen einem Orang-Outang und einem Menschen« begegnet. Diese hätten ihn mit »triefenden Augen und struppigen Haaren, drey bis vier Kröpfe am Halse, sprachlos und kreischend« über den Hallstätter See gerudert. 326 Kegele, Das Salzkammergut nebst angrenzenden, S. 39, 2. 327 Andreas Bürgi hat das Bild des »edlen Wilden« auf den Gemsjäger übertragen : Bürgi, Andreas : Höhenangst, Höhenlust. Zur Figur des Gemsjägers im 18. Jahrhundert, in : Busset, Thomas/Mathieu, Jon (Red.) : Mobilité spatial et frontières. Räumliche Mobilität und Grenzen, Zürich 1998, S. 272f. 328 Verschönerungs-Verein Strobl (Hg.) : Strobl am Aber- oder Wolfgangsee. Ein Begleiter für die Besucher des Luftkur- und Badeorts Strobl, o. O. 1903, S. 25. 329 Hellmuth, Thomas : Von der Sommerfrische zum Massentourismus, in : Stehrer (Hg.), Strobl am Wolfgangsee, S. 492f.
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»Man kann sich denken«, schreibt er, »dass ich hier, wo die Natur klassisch ist, […] nicht wenig über die ganz unvermuthete Erscheinung der drey weiblichen Paviane erstaunen musste«.330 Das Konzept des »edlen Wilden« sollte sich aber schließlich bei den »Entdeckungsreisenden« durchsetzen. Bereits Satori räumte ein, neben »mittelmäßig hübsche[n] Gesichter[n]« auch »schöne Physiognomien mit griechischen Umrisse[n]« gesehen zu haben.331 Deutlich wird hier im Übrigen ein Idealbild, das mit der Aufklärung und der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft, die in der Antike ihre Wurzeln suchte, seinen Durchbruch erlebte. Die nicht zuletzt von der Altertumswissenschaft, die Ende des 18. Jahrhunderts begründet wurde, propagierten und gleichsam »klassischen« Gesichtszüge wurden zum ästhetischen Maßstab332 (und sollten später auch in der sogenannten »Rassenlehre« als Idealbild verwendet werden333). Zunehmend wurden neben den »viele[n] krüppelhafte[n] Menschen und Cretins (Troddel)«334 auch »die von Gesundheit strotzenden Alpendirnen«335 entdeckt. Johann Steiner bewunderte 1832 den kräftigen und gesunden Körperbau der Salzkammergütler und wies darauf hin, dass »das männliche und weibliche Geschlecht […] in diesem rauen, gebirgigen Salzkammergut nicht so ganz stiefmütterlich von der Natur behandelt« worden seien.336 Mit diesen »ursprünglichen« und »gesunden« Menschen wurde von den bürgerlichen Sommerfrischlern auch deren Kleidung entdeckt bzw. im »dritten Raum« transformiert. Während Satori noch von der »weniger als geschmackvollen Kleidung« sprach, die im Gegensatz zu den »schönen Physiognomien mit griechischen Umrisse[n]« stünden,337 galten Trachten bald als »Symbole urwüchsigen Verbundenseins mit Land und Kultur«338. Trug ein Sommerfrischler eine solche Tracht, wähnte er sich in enger Verbindung mit der Natur. So sammelte etwa der in Wien geborene »Zweiheimische« und Großindustrielle Konrad Mautner neben Volkslie-
330 Sartori, Franz : Neueste Reisen durch Österreich ob und unter der Enns, Salzburg, Berchtesgaden, Kärnten und Steyermark in statistischer, geographischer, naturhistorischer, ökonomischer, geschichtlicher und pittoresker Hinsicht, Bd. 1, Wien 1811, S. 287, 303. 331 Ebenda, S. 302. 332 Fuhrmann, Manfred : Der europäische Bildungskanon des bürgerlichen Zeitalters, Frankfurt a. M./Leipzig 1999, S. 50–55. 333 Mosse, George : Die Geschichte des Rassismus in Europa, Frankfurt a. M. 1990, S. 29. 334 Moshamer, J.: Fremdenführer in das Salzkammergut, nach Salzburg und Gastein nebst kleinen Ausflügen nach Aussee, Reichenhall und Berchtesgaden, Wien 1867, S. 10. 335 Steiner, Der Reisegefährte, S. VI. 336 Ebenda. 337 Sartori, Franz : Neueste Reisen durch Österreich ob und unter der Enns, Salzburg, Berchtesgaden, Kärnten und Steyermark in statistischer, geographischer, naturhistorischer, ökonomischer, geschichtlicher und pittoresker Hinsicht, Bd. 1, Wien 1811, S. 287, 303. 338 Iller, Peter : Salzkammergut, Bad Ischl 1947, S. 13.
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dern auch eifrig Ausseer Trachten, mit denen er sich auch kleidete.339 Damit versuchte er, sich dem »urwüchsigen Verbundensein« mit dem Salzkammergut anzunähern. Ebenso betrachtete Erzherzog Johann die Kleidung der Ausseer als Ausdruck des einfachen und natürlichen Wesens der Einheimischen, das er auch für sich beanspruchte : »Als ich den grauen Rock in der Steyermark einführte, geschah es, um ein Beyspiel der Einfachheit und Sitte zu geben, so wie mein Rock so wurde auch mein Hauswesen, so mein Reden und mein Handeln. Das Beyspiel wirkte, und ich ziehe ihn nie mehr aus, ebenso wenig weich ich von meiner Einfachheit, lieber gebe ich mein Leben.«340 Trachten sind aber keineswegs »authentisch« und hatten nicht, wie auch noch heute oftmals angenommen wird, seit Jahrhunderten unverändert existiert. Vielmehr stellen sie – wie bereits im ersten Kapitel (S. 9) erwähnt – Erfindungen bzw. Konstruktionen dar, die regionale bzw. lokale Kleidungstraditionen mit »von außen« einwirkenden Modevorstellungen vermischen und somit Teil der bereits erwähnten »dritten Kultur« sind. Die Annahme, dass sich das matte »Grau der Felsberge, dunkles Grün der Wälder und leuchtendes Rot der Alpenrosen« in den »Farben von Hut und Anzug« spiegle, »in weicher bunter Anlehnung« auch in »jene[n] der Dirndlkleider«, transportiert lediglich den Mythos einer unveränderlichen, von äußeren Einflüssen abgeschirmten und daher »ursprünglichen« ländlichen Gesellschaft. Tatsächlich sind die ländlichen Gesellschaften und damit verbunden auch die Kleidung, die für bestimmte Regionen als typisch angenommen wird, in einem ständigen Wandel begriffen. So gestalteten sich die Trachten im Salzkammergut noch bis in das 18. Jahrhundert hinein als außerordentlich vielfältig. Bei den Männern waren etwa die Röcke und Joppen, »Leibln« bzw. Westen, Kniebundhosen (in denen sich die Mode der vom Adel getragenen »culotte« spiegelte), Strümpfe und Hüte in den unterschiedlichsten Farben gehalten. Im bürgerlichen 19. Jahrhundert kam es schließlich zur Normierung der Männertracht : Die Ende des 18. Jahrhunderts aufgekommenen grau-grünen Stoffe, die heute für die Tracht im Salzkammergut als typisch gelten, setzten sich zunehmend durch. Der Langrock rutschte nach oben und die Hosen wurden gemäß bürgerlicher Männermode, die auch als Abgrenzung vom Ancien Régime verstanden werden kann, länger. Allerdings blieb die Kniebundhose, die aus Leinen oder Loden gefertigt worden war, in abgewandelter Form – in der heute 339 Milchram, Gerhard : Konrad Mautner und Eugenie Goldstern : Identitätsstiftung in den Alpen oder universale Ethnologie ?, in : Loewy, Hanno/Ders. (Hg.) : »Hast du meine Alpen gesehen ?« Eine jüdische Beziehungsgeschichte, Hohenems 2009, S. 156–175. 340 Erzherzog Johann, in : Heindl, Gottfried : Das Salzkammergut und seine Gäste. Die Geschichte einer Sommerfrische, Wien 1993, S. 174. Siehe dazu auch : Holaubek-Lawatsch, Gundl : Das Kleid der Anna Plochl und des Erzherzogs grauer Rock, in : Klingenstein, Grete (Hg.) : Erzherzog Johann von Österreich. Katalog zur Landesausstellung 1982, Bd. 2. Beiträge zur Geschichte seiner Zeit, 2. Auflage, Graz 1982, S. 415–426.
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wieder modernen und von der Modeindustrie entdeckten Lederhose – weiterhin erhalten. Als Schuhwerk dienten bzw. dienen nun die sogenannten »Goiserer«, genagelte Bergschuhe mit einer Zwei- oder Doppelnaht. Die vielgestaltigen und vielfärbigen Hüte wurden vom stahlgrauen, fast schwarzen Filz- oder Hasenhaar-»Ausseer« abgelöst.341 Auch bei der Damentracht erfolgte eine Anpassung an die gängigen Modetrends, indem unter anderem Accessoires wie Seide, Brokat und Spitzen sowie Silberschmuck in die vermeintliche »Ursprünglichkeit« integriert wurden. Kaum bemerkbare Variationen, die bis heute zur regionalen Binnendifferenzierung beitragen, blieben aber auch weiterhin bestehen. »Daß die Tracht nach wie vor ohne Falsch davon erzählt, wo jemand hingehört […], wissen alle«, schreibt Alfred Komarek, der das Salzkammergut erforscht, erlebt und auch in seinen bekannten Kriminalromanen beschrieben hat. Selbst an den Hüten, an der Art, wie sie getragen werden, könne der Eingeweihte die Herkunft des Trägers erkennen : »Natürlich haben die Ischler ihre Ischlerhüte und den Kaiserhut, gibt es in Gmunden den Herzogshut, braun, mit breiter Krempe und dicker, einfacher Kordel, doch der Hutmacher Leith ner […] ist im ganzen Salzkammergut zu Hause, vielleicht weil er es fertigbringt, Hüte zu liefern, die einander zwar im Regal gleichen, nicht aber auf den Köpfen.«342 Schon so mancher Zeitgenosse betrachtete den Trachtenboom durchaus kritisch. »Die Modegecken haben sich nun in Lodengecken verwandelt«, heißt es etwa in den »Ischler Frühlingsgesprächen« (1910) von Oscar Blumenthal, der als gefürchteter Kritiker den Beinamen »der blutige Oscar« trug und Ende der 1890er-Jahre gemeinsam mit Gustav Kadelburg das bekannte Singspiel »Im weißen Rößl« verfasste. »Kratzen sie an diesen Naturmenschen, und sie werden das Alpengigerl finden. Untersuchen sie ihren Rucksack, und sie entdecken die Bartbinde.«343 Die soziale Differenzierung, die trotz der partiellen kulturellen Annäherung der bürgerlichen Sommerfrischler und Einheimischer im »dritten Raum« auch weiterhin bestand, findet sich zudem in einem Gemälde von Emanuel Stöckler (1819–1893) thematisiert (Abb. 18) : Einheimische Frauen in Dirndlkleidern, von der Arbeit und der Hitze schwitzend und auf einer Bank ausruhend, schauen einer Sommerfrischlerin, die mit Sonnenschirm an ihnen vorbeistolziert, wohl zum Teil neidisch, zum Teil aber auch verächtlich nach. Auch Jakob Wassermann hat diese beiden Welten, die im Salzkammergut aufeinanderprallten, in seiner Erzählung »Die Romana«, einem
341 Lipp, Franz : Oberösterreichische Trachten. Vorlage für die zeitgemäße und echte Tracht in Oberösterreich, Folge 5. Salzkammergut und Eisenwurzen, Linz 1960, S. 11–15. 342 Komarek, Alfred : Salzkammergut. Reise durch ein unbekanntes Land, Wien 1994, S. 12, 15. 343 Blumenthal, Oscar : Ischler Frühlingsgespräche [1910], in : Czernin (Hg.), Salzkammergut, S. 101. Zu Blumenthal siehe : Häusler, Wolfgang : Arbeitswelten, k. k. Sommerfrische, poetische Landschaft. Kulturgeographische Streifzüge durch das Salzkammergut, in : Österreich in Geschichte und Literatur, 56/1 (2012), S. 7f.
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Abb. 16 : Der Goiserer Bergschuh als Verkaufsschlager – Werbeeinschaltung im »Illustrierten Reiseführer durch das Salzkammergut« (1931)
Abb. 15 : Stilisierte Tracht als Fotomotiv und Möglichkeit der Identifikation mit der Region (Gmunden, um 1900)
satirischen Sozialporträt seiner Altauseer Hauswirtin, thematisiert :344 »Das größere Haus vermietet sie im Sommer an Stadtleute und bezieht während der Zeit mit dem Sohn und den Töchtern die dahinterliegende Hütte, wo sie zu viert in drei winzigen Kammern hausen. Aber so ist es allgemein üblich. Die Städter sind verwöhnt und wollen gut leben ; sie wollen unter sich sein und haben eine närrische Vorliebe für das, was sie Ruhe nennen.«345 Der Befreiung aus der ›degenerierten‹ fortschrittlichen Welt haftete ein Widerspruch an, der die Gesellschaft spaltete und die »Ursprünglichkeit« zur Ware machte. »Schon lange ist Ischl Modebad geworden«, schreibt etwa die in Salzburg erschienene »Fremden-Zeitung« im Jahr 1890. »In der Vorsaison sind es fast ausschließlich Geldleute, welche ihre Nerven stärken und ihre Damen mit kostbarer, geschmackvoller, oft auffallender Kleidung spazieren führen. […] Da gibt es Geld, und dementsprechend sind auch Gasthöfe, Wohnungen, Fuhrwerke und Alles, was man sieht und 344 Siehe dazu auch. Müller-Kampel, Beatrix : Landschaft als magisch-tellurische Bestimmung und als soziales Feld. Jakob Wassermann und Marta Karlweis im Ausseer Land, in : Binder/Konrad/Staudinger (Hg.), Die Erzählung der Landschaft, S. 70f. 345 Wassermann, Jakob : Die Romana, in : Ders.: Tagebuch aus dem Winkel, Frankfurt a. M. 1991, S. 19f.
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Abb. 17 : Trachten – Seen – Berge : eine Gmundner Ausflugsgesellschaft auf einem Traunseer Dampfschiff (1942)
kaufen möchte, für den Durchschnittssterblichen unerschwinglich.«346 Die sozial demokratische Zeitung »Wahrheit« kritisierte, dass im »Weltkurort« Bad Ischl die großen Hoteliers versuchen würden, den kleineren Besitzern per Gemeindebeschluss zu untersagen, Gäste vom Bahnhof abzuholen. Sie begründeten dies angeblich damit, dass die Reisenden »zudringlich« behandelt würden, wogegen die »Wahrheit« die Ausschaltung der Konkurrenz bzw. eine Monopolisierung im Übernachtungsgewerbe befürchtete. Zudem sei ein »Sicherheitswachmann«, den sich Ischl, »wo selbst die Luft schon hoch versteuert« sei »und wo man alljährlich Tausende zum Fenster« hinauswerfe, leiste, mit zwei Kronen Lohn als »wahre Spottgeburt« zu bezeichnen.347 Trotz mancher durchaus hellsichtigen Kritik glaubten aber auch die Einheimischen zunehmend an das von den bürgerlichen Sommerfrischlern propagierte Paradies. Die im »dritten Raum« entstandene spezifische Kultur der »Ursprünglichkeit« wurde zum Bestandteil ihrer Identitäten bzw. zum regionalen »Identitätsbaustein«. Die Einheimischen übernahmen beispielsweise die geschönten Trachten, 346 Fremden-Zeitung, 20. Juli 1890. 347 Liebenswürdiges aus Ischl, in : Wahrheit, 6. April 1911.
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vor allem die finanziell erschwinglichen Accessoires wie Seidentücher, Bänder und Gürtel.348 In einer Zeit des radikalen Umbruchs der Lebenswelten, wie sie das 19. Jahrhundert darstellte, gelang es ihnen auf diese Weise, sich zum einen an die bürgerliche Lebensform anzunähern und zum anderen auch weiterhin an ihren Herkunftsort zu binden. Zwar diente ihnen etwa die Tätigkeit als Musikant oder als Bergführer zunächst einmal zur Existenzsicherung. So wurde etwa ein »Ischler Bergsteigerbund« gegründet, der »die Unternehmung von Touren an Sonn- und Feiertagen unter Führung eines kundigen Mitglieds in sein Programm aufgenommen« hatte und »für bequeme Kurgäste« auch Tragsessel anbot.349 ZuAbb. 18 : Die Dekonstruktion des Mythos der gleich waren die Einheimischen aber bürgerlich-aufgeklärten Gesellschaft von gleichen Menschen – »Sommerfrische im Ausseerland« damit für die Sommerfrischler mit ih(Gemälde von Emanuel Stöckler, zweite Hälfte des rem Bedürfnis nach » Ursprünglichkeit« 19. Jahrhunderts) unentbehrlich geworden und erfuhren daher eine soziale Aufwertung. Der Berg sei den Einheimischen, so Adalbert Stifter schreibt in seiner Novelle »Bergkristall« (1853), nicht allein »ihre Merkwürdigkeit«, sondern bringe ihnen »auch wirklich Nutzen«, wobei er darunter nicht nur Einkommen aus dem Tourismus versteht, sondern auch die Möglichkeit der Identitätsfindung : »[…] denn wenn eine Gesellschaft von Gebirgsreisenden hereinkömmt, um von dem Tale aus den Berg zu besteigen, so dienen die Bewohner des Dorfes als Führer, und einmal Führer gewesen zu sein, dieses und jenes erlebt zu haben, diese und jene Stelle zu kennen, ist eine Auszeichnung, die jeder gerne von sich darlegt. Sie reden oft davon, wenn sie in der Wirtsstube beieinandersitzen, und erzählen ihre Wagnisse und ihre wunderbaren Erfahrungen […].«350 348 Siehe dazu allgemein : Kaschuba, Lebenswelten und Kultur unterbürgerlicher Schichten im 19. und 20. Jahrhundert, S. 104. 349 Bad Ischl im Salzkammergut, S. 75f 350 Stifter, Adalbert : Bergkristall, in : Ders.: Gesammelte Werke, Bd. 2. Novellen II, hg. von Dietmar Grieser, München 1982, S. 204f.
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Durch diese »Dialektik der Ursprünglichkeit«, die gegenseitige kulturelle Beeinflussung der Einheimischen und der bürgerlichen Sommerfrischler, entwickelte sich das Salzkammergut zu einem Modell einer harmonisch-utopischen oder besser : bürgerlich-aufgeklärten Gesellschaft. Es schien so, als ob in der Sommerfrische und der Harmonie der Natur der angestrebte gesellschaftliche Gleichklang, ein ersehntes harmonisches Ganzes, bereits verwirklicht sei. Die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft – die Klassengesellschaft, politische Konflikte und die negativen Folgen der Leistungsgesellschaft – wurden während der Sommerfrische verdrängt. Im Salzkammergut war der Bürger zuallererst »Mensch« und erst in zweiter Linie adelig, bürgerlich, bäuerlich oder proletarisch, und diese Menschlichkeit definierte sich mit der Verbundenheit zur Natur.351 Der Geologe und Anthropologe Ferdinand von Andrian beschrieb etwa Altaussee zu Beginn des 20. Jahrhunderts als »frei von Standesunterschiede[n] und Altersgrenzen […]. Der Verkehr vollzieht sich ohne Zwang, jedoch mit natürlichem Anstande.«352 Diese harmonische Gesellschaft spiegelt sich etwa auch in der verklärten ehelichen Verbindung von Erzherzog Johann, der seinen »Steirerjanker« unter keinen Umständen ausziehen wollte, und Anna Plochl, dem »einfachen« Mädchen aus dem Volk, das allerdings als Postmeisterstochter der lokalen Oberschicht zuzurechnen ist. Unter dem Himmel des Salzkammerguts, in der nur Naturverbundenheit und Menschlichkeit herrscht, gibt es aber keine sozialen Unterschiede. Und so steht die Liebesgeschichte letztlich für eine Gesellschaft, in der Politik keinen Platz hat und stattdessen ein gleichberechtigtes und harmonisches Miteinander regiert. Die politischen Ambitionen Erzherzog Johanns, seine Opposition zum Kaiserhaus und seine Rolle als gesamtdeutscher Reichsverweser, zu dem er 1848 von der deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche gewählt worden war,353 werden ausgeblendet. Ein von Matthäus Loder stammendes Aquarell aus dem Jahr 1816 zeigt daher die beiden Liebenden in einer Plätte am Toplitzsee, eingebettet in einer überwältigenden Naturkulissse und sich verzückt anblickend. Der im Jahr 1950 produzierte österreichische Spielfilm »Erzherzog Johanns große Liebe« (Regie : Hans Schott-Schöbinger), in dem O. W. Fischer und Marte Harell die Hauptrollen spielen, tradiert dieses verklärte Bild in die österreichische Zweite Republik und begründet Johanns Menschlichkeit letztlich in der Natur des Salzkammerguts. So siegt die Natürlich351 Hellmuth, Thomas : Die »Erfindung« des Salzkammerguts. Imaginationen alpiner Räume und ihre gesellschaftliche Funktion, in : Mathieu, Jon/Boscani Leoni, Simona (Hg.) : Die Alpen ! Les Alpes ! Zur europäischen Wahrnehmungsgeschichte seit der Renaissance – Pour une histoire de la perception européenne depuis la Renaissance, Bern u.a. 2005, S. 350f. 352 Andrian, Ferdinand von : Die Altausseer. Ein Beitrag zur Volkskunde des Salzkammerguts. Nachdruck der Originalausgabe, Altausse 1975 [Erstauflage : 1905]. 353 Hammer-Luzer, Elke : Zwischen Brandhof und Paulskirche. Die politischen Visionen von Erzherzog Johann, in : Hellmuth u.a. (Hg.), Visionäre bewegen die Welt, S. 70–81.
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Abb. 19 : Im Märchenreich des Salzkammerguts hat die Politik keinen Platz – Erzherzog Johann rudert die »einfache« Postwirtstochter Anna Plöchl über den Toplitzsee (Aquarell von Matthäus Loder, 1816)
keit seiner geliebten Anna Plöchl, die gleichsam die gesamte Ausseer Bevölkerung repräsentiert, über die Vorurteile des kaiserlichen Hauses : Vor versammelter Hofgesellschaft singt sie den Erzherzog-Johann-Jodler, eine Art Symbol der Naturverbundenheit und Menschlichkeit, und kann damit sogar das Herz des Kaisers erweichen.354 Dieser Schein der Harmonie bewirkte, dass für viele Überlebende des Holocaust die Sommerfrische im Salzkammergut zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Identität und zu einem Erinnerungsort, der für das »wahre« Österreich und für die eigentliche Heimat steht, geworden ist.355 Dies scheint erstaunlich, zumal der Antisemitismus im Salzkammergut spätestens seit den 1920er-Jahren durchaus radikale Züge annahm. In Schörfling am Attersee bekannte sich ein Großteil der Wirte zum Antisemitismus und in St. Georgen im Attergau inserierte ein Gasthof, dass nur christliche Sommergäste erwünscht seien.356 Der Yacht-Club Wolfgangsee, der Ebenseer Bergsteiger354 Steiner, Waltraud : Die Heimat-Macher. Kino in Österreich 1946–1966, Wien 1987, S. 134–138. 355 Hellmuth, Das Salzkammergut, S. 355–357. 356 Lichtblau, Albert : Die Chiffre Sommerfrische als Erinnerungstopos. Der retrospektiv-lebensgeschichtliche Blick, in : Hödl, Sabine/Lappin, Eleonore (Hg.) : Erinnerung als Gegenwart. Jüdische Gedenkkultu-
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bund und der Schwimmclub Gmunden diskriminierten sogenannte »Nicht-Arier« bzw. schlossen diese aus. Anfang der 1930er-Jahre häuften sich die offenen Angriffe gegen Juden. So veröffentlichte etwa die von der Bad Ischler NSDAP herausgegebene Zeitung »Ischler Beobachter« zwei Hetzartikel gegen jüdische Kurgäste, die unmittelbar zu Ausschreitungen führten. Im traditionellen Café Ramsauer in Ischl forderten Mitglieder der Mittelschulverbindung »Gamundia« jüdische Gäste zum Verlassen des Kaffeehauses auf.357 »Nicht erfreulich wirken […] im Sommer«, vermerkte 1930 das Dekanat in Bad Ischl, »die meisten jüdischen Fremden und besonders die Filmgesellschaften«.358 1938 beklagte ein Bewohner von Strobl, der Ort sei bisher »vom Wiener Publikum, […] leider meist vom nichtarischen«, bevorzugt worden.359 Kurz nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wies die Bad Ausseer Kurkommission das Gastgewerbe an, unter »keinen Umständen Wohnungen und Zimmer an Juden zu vermieten«. Bereits erfolgte Reservierungen waren »rückgängig zu machen«. Zugleich wurden »Schritte eingeleitet, um den jüdischen Hausbesitz im Bezirke Bad Aussee der freihändigen Vermietung an Volksgenossen zu erschließen«.360 Dennoch taucht in den Erinnerungen jüdischer Emigranten immer wieder die Sehnsucht nach dem Salzkammergut auf, eine Sehnsucht, die mit der Vorstellung erklärbar scheint, dass das Salzkammergut gleichsam ein Modell der bürgerlichaufgeklärten Gesellschaft und somit der bürgerlichen Vergesellschaftung darstelle. Die bürgerliche Sommerfrische und die »Ursprünglichkeit« werden von den jüdischen Vertriebenen zur »Heimat« und zu Symbolen für ganz Österreich stilisiert. Auf diese Weise transformiert sich die bürgerliche Identität in eine nationale bzw. österreichische Identität, die ihre Wurzeln in der Habsburgermonarchie bzw. im habsburgischen Mythos und hier wiederum in der bürgerlichen Kultur zu haben scheint. Die Schriftstellerin Gina Kaus betrachtet daher auch Aussee als ihre »wahre Heimat«. Zwar gebe es »Wiesen und Wälder und Ausblicke […] allenthalben im Salzkammergut. Aber nichts war mit Aussee zu vergleichen. Selbst der Waldboden war anders ren, Wien 2000, S. 119f. Zum Antisemitismus im Tourismus siehe auch : Kreuzer, Tourismus ohne Kaiser (in Druck). 357 Quatember/Felber/Rolinek, Das Salzkammergut, S. 64–66. 358 Diözesanarchiv Linz, Visitationsberichte 1930, M I/II, Visitations-Befund, Bad Ischl, 31. Dezember 1930. 359 Gemeindearchiv Strobl, Schreiben Georg Rudolfs an den Gaupropagandaleiter in Berlin, 8. Juli 1938, zit. bei : Wasmeier, Christian : Der Weg durch dunkle Zeiten. Strobl von den 30er Jahren bis nach Ende des Zweiten Weltkrieges, in : Stehrer, Johann (Hg.) : Strobl am Wolfgangsee. Natur, Geschichte und Kultur einer Gemeinde im Salzkammergut, Strobl 1998, S. 187. 360 Steirische Alpenpost, 20. Mai 1938, zit. bei : Palme, Johanna : Sommerfrische des Geistes. Wissenschaftler im Ausseerland, Bad Aussee 1999, S. 34.
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und schöner als irgendwo sonst.«361 Bleibt der ehemalige Wohnort mit den nationalsozialistischen Verbrechen verknüpft, lindert die Sommerfrische den Schmerz, den die Erinnerung und die Begegnung mit der alten Heimat verursachen. Voraussetzung ist die Reduzierung der Sommerfrische auf die Schönheiten der Natur und Landschaft, auf die konstruierte »Ursprünglichkeit«. »Österreich hat für mich wenig mit Fahne und Nationalität zu tun«, erklärt Leo Glückselig, der in New York eine neue Heimat gefunden hatte. »Es ist die Landschaft, es sind die Berge, wo ich wieder dieses tiefe Heimatgefühl verspürte, das mir als junger Mensch so selbstverständlich war.«362 In Verbindung mit der »Ursprünglichkeit« dienten auch die Trachten, die im 19. Jahrhundert gewissermaßen vom Bürgertum erfunden worden waren (S. 9, 120– 123), als Identitätsbausteine. So schreibt etwa George Clare in seiner Autobiografie, dass er und seine Freunde »durch und durch österreichisch« geworden seien, indem sie »die Tracht der Einheimischen« trugen.363 »Österreich« wird hier letztlich mit der vom Bürgertum gesuchten heilen Welt gleichgesetzt und steht für einen imaginären Ort, an dem die Gräuel des Holocaust nicht existieren. Und so sind die »schönen Erinnerungen« von Walter Spangler, die er von Österreich hatte, »hauptsächlich an das Land, nicht an die Leute« gebunden. »Die Wälder, die Berge, die Flüsse die Seen, die haben vor Hitler existiert, und wenn schon kaum jemand mehr von Hitler redet, da werden die immer noch da sein.«364 Diese Verklärung der Sommerfrische zur harmonischen und heilen Welt wird aber auch bisweilen reflektiert und damit infrage gestellt bzw. gar zerstört. Der Schriftsteller Robert Schindler, der in seinem Werk das Leben und die Ängste von Holocaust-Nachkommen thematisiert, lässt etwa den Ich-Erzähler in seinem Roman »Gebürtig« am Mythos der heilen Welt und der damit verbundenen, gleichsam heilenden Wirkung der Sommerfrische zweifeln. »Doch ich muß zugeben, nach Altaussee tät ich gern fahren. […] Gibt’s die Seevilla noch, […] die könnte ich mir doch heute leisten. Aber Wien. In Wien will ich nur einen Tag sein.« Er wandert zur Blaa-Alm, begegnet den »Hanseln«, die »Lederhosen bis über die Knie« tragen, aber doch norddeutsche Laute« ausstoßen. Der Ich-Erzähler befürchtet, gar einer »Alpenverklärung« zu unterliegen und fragt sich schließlich : »Warum tu ich mir das an ? Eigentlich finde ich nichts besonderes hier. Ich erinnere mich nicht einmal so genau. Das ist doch alles passé, was will ich denn noch ? […] Hierher kann ich nicht mehr. Ist nicht schad drum. Ich wußte es ohnehin : Altaussee ist over.«365 361 Kaus, Gina : Von Wien nach Hollywood, o. O. 1990, S. 148. 362 Glückselig, Leo : Gottlob, kein Held und Heiliger. Ein Wiener Jewboy in New York, hg. von Daniela Ellmauer und Albert Lichtblau, Wien 1999, S. 291. 363 Clare, George : Letzter Walzer in Wien. Spuren einer Familie, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1984, S. 182. 364 Interview mit Walter Spangler, in : Wimmer, Adi (Hg.) : Die Heimat wurde ihnen fremd, die Fremde nicht zur Heimat. Erinnerungen österreichischer Juden aus dem Exil, Wien 1993, S. 199f. 365 Schindler, Robert. Gebürtig. Roman, Frankfurt a. M. 1992, S. 222f.
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Julian Schuttings »alte Dame« dagegen, die der nationalsozialistischen Verfol gung entkommen ist und auf einem Ausseer Spazierweg »die Luft von Buenos Aires« beschwört, »die vermutlich gar nicht so gute Luft in einer Stadt, die sich laut Namensgebung auf ihre guten Lüfterln viel einbildet, […]« hält dagegen »fest an der Sommerfrische ihrer Kindheit, trägt unbefangen ein Ausseer Dirndl, lässt sich aber auch nicht von guter Almluft die jahrzehntelang bewährte neue Heimat verleiden.«366 Die Identität löst sich notgedrungen von regionaler Verbundenheit, von der Verwurzelung im Boden, die im Nationalsozialismus zur »Blut und Boden«Ideologie mutierte. Sie vereint vielmehr die guten Erinnerungen, vereint die vielen gute »Lüfterln« und wehrt jene »Lüfte« ab, »in denen man laut Paul Celan nicht eng liegt«.367 Sie ist diesen nicht nur entkommen, hat sie schon gar nicht nur verdrängt, sondern ist ihnen entgegengetreten, indem sie Buenos Aires und Aussee zu einem harmonischen Ganzen vereint – eine neue, individuelle gestaltete Harmonie, die das ambivalente bürgerliche Salzkammergut hinter sich gelassen hat.
Spiegelbild der Republik – das österreichische Salzkammergut Die landschaftliche und die damit verbundene vermeintliche gesellschaftliche Harmonie, die in der Zeit des »bürgerlichen Salzkammerguts« gleichsam »erfunden« worden war, erlebte nach 1945, mit der Gründung der österreichischen Zweiten Republik, seine Fortsetzung. Dabei wurde sie, wie bereits in der Zwischenkriegszeit, zunehmend mit Österreich in Verbindung gesetzt : Während des Nationalsozialismus war der Begriff »Österreich« zunächst durch den Begriff »Ostmark« ausgetauscht worden, 1942 wurde dieser wiederum durch die Bezeichnung als »Alpen- und Donaureichsgaue« abgelöst.368 Als die »Gaue« 1945 wieder zu »Österreich« unbenannt wurden, musste infolge der Katastrophe der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs auch eine neue österreichische Identität geschaffen werden. Gefördert durch den Staatsvertrag und die Neutralität wurde dabei auf der Vorstellung von Österreich als Opfer des Nationalsozialismus aufgebaut. Die Abgrenzung von der nationalsozialistischen Vergangenheit erwies sich dabei jedoch als schwierig, zumal Bewusstseins- und Identitätsbildung sozial bedingt sind und – wie Maurice Halbwachs schreibt – von einem komplexen Geflecht von »courants de mémoire«,
366 Schutting, Julian : »Also ich wird euch sagen : die Luft von Buenos Aires …«, in : Hellmuth u.a. (Hg.), Visionäre bewegen die Welt, S. 229. 367 Ebenda. 368 Urbanitsch, Peter : Die Entwicklung des Österreich-Begriffes, in : Bruckmüller, Ernst/Urbanitsch, Peter (Hg.) : 996–1996. ostarrîchi – österreich. Menschen – Mythen – Meilensteine. Katalog zur österreichischen Länderausstellung 1996, Horn 1996, S. 74.
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von »Gedächtnisfäden«, geprägt werden. Dabei ist auch eine »mémoire sociale« wirksam, eine »soziale Erinnerung«, die sich als kulturelle Spur alter Kollektivgedächtnisse definieren lässt.369 Tatsächlich existierten »sowohl deutschnationales wie auch rassistisches, anti-semitisches und antislawisches Gedankengut« auch weiterhin, nicht zuletzt weil es »über Schule, Verein, Studentenverbindungen, Turnerschaft und andere Organisationen schon vor der Herrschaft des Nationalsozialismus Generationen von jungen Österreichern eingeimpft worden« war.370 Eine kollektive Amnesie bzw. »Stunde Null« ließ sich bei der Bewusstseins- und Identitätsbildung selbstverständlich nicht verordnen, auch wenn etwa Schüler und Schülerinnen im Geschichtsunterricht oder in der Staatsbürgerkunde massiv im Zeichen einer konstruierten österreichischen Identität indoktriniert wurden.371 Diese österreichische Identität wies Identitätsbausteine auf, die nicht nur eine eindeutige Abgrenzung zum Nationalsozialismus ermöglichten, sondern auch als Beweis dienen sollten, dass Österreich mit diesem gar nichts gemein gehabt hätte : Wesensmerkmale wie Friedfertigkeit, Gutmütigkeit und Harmoniebedürfnis sowie Liebe zur (Hoch-)Kultur wurden propagiert, begleitet von einer strikten Abgrenzung von Deutschland. Dabei bot es sich geradezu an, die habsburgische Vergangenheit zu verklären und dabei auch Kaiserin Maria Theresia sowie später, interessanterweise infolge des Erfolgs der »Sissi«-Filme von Ernst Marischka, auch Kaiser Franz Joseph I. und Kaiserin Elisabeth als typische Österreicher bzw. Österreicherinnen zu präsentieren. Maria Theresia, Mutter vieler Kinder, galt als die »gute Mutter«, die zugleich ein ganzes Reich zu regieren wusste, Elisabeth und Franz Joseph wurden die Attribute friedliebend, modern und zugleich traditionsbewusst zugeschrieben. Zudem seien in der Habsburgermonarchie unterschiedliche Völker und Nationen friedlich miteinander verbunden gewesen, weshalb sich Österreich als »Herz Europas« betrachtete. Eingebettet zwischen Ost und West sollte Österreich im Wettstreit um die politische Macht im Nachkriegseuropa eine Vermittlerrolle einnehmen.372 Zugleich mit der Vermittlerrolle wurde Österreich bzw. der österreichischen Bevölkerung ein gleichsam demokratisches Wesen zugeschrieben, etwa wenn der Sozialdemokrat Karl Renner, der von 1945 bis 1950 das Amt des österreichischen Bundespräsidenten innehatte, in der Vergangenheit die Entwicklung einer »sehr beachtlichen und für die ganze Psychologie der Österreicher charakteristischen demokratischen Grundhaltung« ortete.373 369 Halbwachs, Maurice : Les cadres sociaux de la mémoire, Paris 1994 [Erstausgabe : 1925], S. 143–177. 370 Binder, Dieter A./Bruckmüller, Ernst : Essay über Österreich. Grundfragen von Identität und Geschichte 1919–2000, Wien/München 2005, S. 106f. 371 Hellmuth, Historisch-politische Sinnbildung, S. 90–100. 372 Rathkolb, Oliver : Die paradoxe Republik. Österreich 1945–2005, Wien 2005, S. 17–59 ; Breuss/Liebhart/Pribersky, Inszenierungen. 373 Renner, Karl : Denkschrift über die Geschichte der Unabhängigkeitserklärung Österreichs, Zürich 1946, S. 44.
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Die österreichische Landschaft galt bzw. gilt noch immer als Spiegelbild der skizzierten österreichischen Identität. Zum einen spiegelt sie das angeblich moderne, durch technische Meisterleistungen wie etwa die Großglockner Hochalpenstraße und das Staukraftwerk Kaprun374 geprägte Österreich, zum anderen wurde sie mit Harmonie und regionaler Vielfalt gleichgesetzt.375 So betonte Bundeskanzler Leopold Figl im Jahr 1948 in seinem Vorwort zu dem Band »Schatzkammer Österreich« die Fähigkeit der Österreicher, ihre Siedlungen »harmonisch« in eine Landschaft einzufügen, wodurch sie eine »wohlgelungene Komposition geschaffen« hätten, »deren Anblick jeden Besucher entzückt«.376 Ähnlich wie Figl äußerte sich in seinem Vorwort auch Unterrichtsminister Felix Hurdes, der auf dem »Gebiet […], das wir Österreich, unsere Heimat, nennen«, die »Lieblichkeit bis zum Erhabenen« vereint sah.377 Diese geradezu pathetische Huldigung der österreichischen Landschaft findet sich auch bei Wolfgang Madjera, der in seinem 1945 erschienenen Buch »Die österreichische Landschaft« den unerschöpflichen »Wechsel vielgestaltiger Bilder« in der österreichischen Landschaft lobt. In ihr sei »in unübertrefflicher Harmonie ausgebreitet, verwoben und zusammengefaßt«, was ansonsten nur auf langen Reisen in viele Länder genossen werden könne.378 Somit definiert sich die österreichische Identität durch die Vielfalt in der Einheit. Die Regionen bilden mit ihren – nicht selten stilisierten – Besonderheiten konstituierende Teile der Nation und begründen ihre Identitäten wiederum auch national bzw. österreichweit. Diese Vielfalt in der Einheit spiegelt sich auch im Selbstbild der Österreicher und Österreicherinnen, das regionale Differenzen betont, ohne jedoch die nationale Klammer aufzugeben.379 Das Salzkammergut übernimmt dabei die Aufgabe einer österreichischen Kernlandschaft : Selbst über Bundesländergrenzen reichend, oftmals auch als »zehntes Bundesland« bezeichnet (S. 77, 88), gilt es gleichsam als Miniaturausgabe bzw. Modell der österreichischen Landschaft und der sich darin angeblich spiegelnden Gesellschaft. Indem seine Identitätsbau-
374 Dass die Großglockner Hochalpenstraße im österreichischen Ständestaat fertiggestellt und die Errichtung des Tauernkraftwerks unter nationalsozialistischer Herrschaft, vor allem unter Einsatz von Zwangsarbeitern, begonnen worden war, blieb im offiziellen Geschichtsbild freilich ausgeklammert. Siehe dazu : Sandgruber, Roman : Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wien 1995, S. 399f, 410. 375 Kos, Wolfgang : »Landschaft«. Zwischen Verstaatlichung und Privatisierung, in : Brix, Emil/Bruckmüller, Ernst/Stekl, Hannes (Hg.), Memoria Austriae, Bd. 2. Bauten, Orte, Regionen, Wien/München 2005, S. 211–215. 376 Figl, Leopold : Das ewige Österreich, in : Schatzkammer Österreich. Wahrzeichen der Heimat in Wort und Bild, Wien 1948, S. 15. 377 Hurdes, Felix : Schatzkammer, in : Ebenda, S. 19. 378 Madjera, Wolfgang : Die österreichische Landschaft, Wien 1945, S. 19. 379 Breuss/Liebhart/Pribersky, Inszenierungen, S. 84, 86.
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steine die Kombinationsformel »Landschaft und Kultur« aufweisen, korrelieren sie mit den österreichischen. »Nicht so sehr das urtümliche Alpine, sondern eher ein Mix aus historischen Bauten (vorzugsweise aus dem Barock), Habsburg und Musik, also ›Kultur‹ im weitesten Sinn, gilt als Synonym für Österreich«, schreibt Wolfgang Kos und definiert damit die österreichischen Identitätsbausteine. »Die Attraktion erscheint allerdings eingebettet in Gottes schöne Natur […].«380 Alle diese österreichischen Identitätsbausteine, die unter den Überbegriff Kultur und Natur bzw. Landschaft subsumiert werden können, scheinen im Salzkammergut auf kleinem Raum großteils versammelt und gehen gleichsam in Harmonie auf. Selbst an den Ufern der Salzkammergutseen spiegle sich die harmonische Vielfalt. Dort finde sich, wie Helmut Seidel im 1948 herausgegebenen Heimatbuch »Schatzkammer Österreich« schreibt, »jede Art von Gestade, vom idyllischen, warmen Flachufer bis zum alpinen Steilstrand«.381 Die Vielfalt in der Einheit zeigt sich hier im Kleinen, aufbereitet von den bürgerlichen Sommerfrischlern im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Zur Kultur, die neben der Landschaft die Kombinationsformel österreichischer Identität prägt, sind die bereits ausführlich erwähnte Volkskultur und Folklore sowie die bürgerliche Kultur, die in enger Beziehung zueinander stehen, zu zählen (S. 105– 107, 120 f., 126). Aber auch der habsburgische Mythos, wie ihn Claudio Magris beschrieben hat,382 ist Teil dieser »österreichischen Salzkammergutkultur«. Die Welt erscheint bewegungslos und der Hedonismus, der »Mythos des Walzers und der Lebensfreude«383, wird zum glücklich machenden Lebenszweck erhoben. »Die Sommerfrische der Wiener Operette war Bad Ischl«, schreibt Gottfried Heindl.384 Und die Operettenfestspiele in Bad Ischl erinnern auch noch in der Gegenwart an Johann Strauß und Franz Lehár, die sich allsommerlich im Salzkammergut niederließen. Die gesamte Habsburgermonarchie verliert damit ihren martialischen Charakter und erscheint gewissermaßen als Operette. Durch eine solche Verklärung, die etwa die demokratischen, durchaus konfliktreichen und letztlich niedergeschlagenen Bewegungen in der Habsburgermonarchie, aber auch die Nationalitätenkonflikte und die blutige Niederschlagung der 1848er-Revolution oder auch den Ersten Weltkrieg ausklammert, wird die Monarchie als österreichischer Identitätsbaustein erst möglich. In ihrer gleichsam republikanischen und zugleich nationalen Instrumentalisierung spiegelt sich das Bedürfnis der Zweiten Republik nach 1945, im Sinne einer
380 Kos, Landschaft, S. 225. 381 Seidel, Heinrich : Oberösterreichische Landschaft, in : Schatzkammer Österreich, S. 81. 382 Magris, Claudio : Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur, 2. Auflage, Salzburg 1988, S. 15–19. 383 Ebenda, S. 18. 384 Heindl, Das Salzkammergut und seine Gäste, S. 81.
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Konkordanzdemokratie die für eine demokratische Gesellschaft notwendigen politischen Auseinandersetzungen zu vermeiden. Der Österreicher bzw. die Österreicherin sollte nicht als »Citoyen« agieren, als »Aktivbürger« bzw. »Aktivbürgerin«, sondern sich – wie im Prozess der Nationsbildung zumeist üblich – infolge »demokratischen Indoktrination«385 in erster Linie mit der Republik bzw. österreichischen Nation identifizieren, sich ihr ein- oder auch unterordnen sowie eine österreichische Identität entwickeln. Untrennbar mit dem Identitätsbaustein »Habsburgermonarchie« ist auch der Mythos des guten alten Kaisers verbunden. Franz Joseph I. war schon als Kind immer wieder in das Salzkammergut gereist, bevor er 1854 Bad Ischl zu seiner Sommerresidenz erwählte und damit den Badeort zu einem beachtlichen touristischen Aufschwung verhalf (S. 53). Bis zum heutigen Tag wird in Ischl am 18. August der Geburtstag des Kaisers gefeiert, auch wenn die habsburgische Geschichte für ein »habsburgisches Disneyland« instrumentalisiert und touristisch vermarktet wird. Nur im Salzkammergut, in der Natur bzw. »ursprünglichen« Landschaft, schien sich der Kaiser, der es nur schwer ertrug, als »konstitutioneller Kaiser« bezeichnet zu werden,386 von den Staatsgeschäften und der sich wandelnden Welt erholen zu können. Seine Jagdleidenschaft scheint geradezu zwanghaft gewesen zu sein : Mehr als 50.000 Stück geschossenes Wild sind in seinem Jagdbuch eingetragen. Für die Jagd kleidete sich Franz Joseph I. mit einer Ischler Lederhose, einem graubraunen Lodenjanker und grünen Wadenstutzen, als Schuhwerk bevorzugte er die legendären Goiserer, genagelte Bergschuhe mit einer Zwie- bzw. Doppelnaht. Für »ein Weilchen« wollte er wohl, wie Alfred Komarek schreibt, »ein ganz klein wenig so wie« die Einheimischen »sein […] : naturverbunden und echt«.387 Die »ursprüngliche« Landschaft des Salzkammerguts, die angeblich den einfachen und naturverbundenen Charakter der Einheimischen prägt, die bürgerlich-aufgeklärte Gesellschaft und das Kaiserhaus verschmelzen im Salzkammergut zu einem harmonischen Ganzen. »Auf eine Ursprünglichkeit, die hie und da noch archaische Züge trägt«, schreibt Gerhard Zeillinger über Bad Ischl, »trifft der matte Abglanz einer imperialen Epoche, treffen die Reste einer ›mondänen‹ Welt.«388 Wie bereits für die bürgerlich-aufgeklärte Gesellschaft beschrieben (S. 126 f.), erscheint das Salzkammergut auch in der Zweiten Republik als ein Paradies, in dem Politik keinen Platz hat und sozialen Unterschieden nur geringe Bedeutung
385 Hellmuth, Historisch-politische Sinnbildung, S. 87. 386 Hoffmann, Robert : Bürgerliche Kommunikationsstrategien zu Beginn der liberalen Ära : Das Beispiel Salzburg, in : Stekl, Hannes u.a. (Hg.) : »Durch Arbeit, Besitz, Wissen und Gerechtigkeit«. Bürgertum in der Habsburgermonarchie, Bd. 2, Wien/Köln/Weimar 1992, S. 326. 387 Komarek, Salzkammergut, S. 123. 388 Zeillinger, Gerhard : Ischl, in : Literatur und Kritik, 319–320 (1997), S. 5.
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beigemessen wird. Im Spielfilm »Der Obersteiger« (1952, Regie : Franz Antel) hält man Prinz Max von Bayern, dargestellt von Hans Holt, für einen Obersteiger, d. h. für eine Aufsichtsperson im Bergbau. Ein geldknapper Kavalier, den Wolf AlbachRetty verkörpert, wird dagegen durch sein Auftreten mit einem Prinzen verwechselt. Auf dem Kirtag in Hallstatt begegnen einander der vermeintliche Obersteiger und Prinzessin Luise (Josefin Kipper), die wie der Prinz inkognito reist. Obwohl beide meinen, der andere gehöre einem niederen Stand an, verlieben sie sich ineinander. Und auch der angebliche Prinz und eine Wirtshaustochter (Waltraud Haas) finden zueinander und durchbrechen – zumindest auf der Ebene der Illusion – die vom Standesunterschied eigentlich auferlegten sozialen Schranken. Am Schluss lösen sich freilich die Verwirrungen in Wohlgefallen auf, und die gesellschaftliche Ordnung wird wieder hergestellt : Der Kavalier und die Wirtstochter sind sozial ebenbürtig, Prinz Max von Bayern und Prinzessin Luise waren ohnehin schon von ihren Eltern füreinander bestimmt.389 Die Welt gerät letztlich nicht aus den Fugen, und obwohl soziale Unterschiede beibehalten werden, obsiegt die Menschlichkeit, die ein wesentliches Element bei der Konstruktion der österreichischen Identität nach 1945 darstellte. Nicht von Ungefähr erhielt etwa der 1956 erschienen Spielfilm »Sissi – die junge Kaiserin« von Ernst Marischka, der sich unter anderem mit Operettenfilmen einen Namen gemacht hatte, das Prädikat »künstlerisch wertvoll« verliehen. Die vom österreichischen Unterrichtsministerium beauftragte Jury begründete ihre Entscheidung mit der Vermeidung von »wesentlichen historischen Fehlern bzw. geschichtliche[n] Verzeichnungen« sowie der »positive[n] Aussage des Films, der die Werte des Herzens und der Menschlichkeit als charakteristische Merkmale österreichischer Wesensart überzeugend zur Darstellung bringt«.390 Die von Romy Schneider gespielte Sissi, die in der Natur aufgewachsen ist, leidet an den Zwängen des habsburgischen Hofes und zeichnet sich durch ihre Menschlichkeit aus. Diese erwächst geradezu aus ihrer Verbundenheit zur Natur, die im ersten Teil der »Sissi«-Trilogie mit dem Salzkammergut gleichgesetzt wird. Sissi und Franz Joseph kommen sich auf der Pirsch näher. »Wundervoll«, begeistert sich Sissi. »Schön, dass Majestät den Wald auch so lieben wie ich !« Nebenbei wird auch das Leben eines Hirsches gerettet, und im Liebesgeflüster von Kaiser und zukünftiger Kaiserin erscheint Österreich als Land der Traditionen und der kulinarischen Genüsse – beide tragen Tracht und lieben Apfelstrudel, Sissi jodelt und spielt auf einer Zither. Zudem erweist sich die Exekutive, allen voran Josef Meinrad als tollpatschiger Gendarm, der überall Attentate vermutet, im Salzkammergut als entbehrlich.
389 Steiner, Die Heimatmacher, S. 138–140. 390 Österreichische Film- und Kinozeitung, Nr. 556, 23. März 1957, zit. bei : Steiner, Die Heimat-Macher, S. 215.
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In einer Welt, die sich der Menschlichkeit verpflichtet fühlt, bedarf es auch gar keinen polizeilichen Schutzes.391 Die Vorstellung des harmonischen Ganzen, das keine Politik und sozialen Unterschiede kennt, hat seine Wurzeln im beschriebenen bürgerlichen Salzkammergut, in der bürgerlichen Landschaftserzählung. Bereits in der Zwischenkriegszeit war darauf als Merkmal der österreichischen Nation und Identität zurückgegriffen worden.392 »In diesem einzigartigen Wechsel von Lieblichkeit und Ernst erscheint das Salzkammergut als die österreichische Landschaft«, heißt es etwa in einem Reiseführer von 1934 schwärmerisch, »keiner seiner Berge, von deren Gipfel der Blick nicht auch in die Weite der Donauebene dränge, kein See und kein Ort, den nicht der nahe oder ferne Berg feierlich erhöhe. Jenseits des Salzkammerguts werden die Berge rauer, gnadenloser, schon weil das freundliche Gegenspiel der Seen fehlt ; oder die Grenze ist nah und türmt die Berge zu Wällen. Hier aber, drei österreichische Kronländer umfassend, im Bannkreis des renaissancen, des barocken Salzburgs, der derben Volksstadt Linz, des steirischen Oberlandes, schlägt das Herz Österreich, der österreichischen Berge und Landschaften vielleicht am stärksten und eigensten.«393 Wenn hier auch der Versuch unternommen wird, eine österreichische Identität in Abgrenzung zum nationalsozialistischen Deutschland zu entwerfen, finden sich doch bereits zahlreiche Topoi, die auch nach 1945 zur Beschreibung Österreichs dienten. Überhaupt wurden viele österreichische Identitätsbausteine der autoritären Zwischenkriegszeit, etwa die besondere Bezugnahme auf die Habsburgermonarchie, in der Zweiten Republik übernommen.394 Der Leser der Salzkammergut-Reiseführer, die seit den 1950er-Jahren herausgegeben wurden, fühlt sich bei der Beschreibung der Region in das 19. Jahrhundert und in die Zwischenkriegszeit versetzt. Anfang der 1950er-Jahre bezeichnete etwa Franz Lipp das Salzkammergut als »die Vereinigung des Kraftvollen mit dem Freundlichen und Gewinnenden«.395 In einem Salzkammergut-Führer von Peter Iller, der 1947 in der Reihe »Perlen aus Österreich« herausgegeben wurde, wird der Verbindung von Natur, Kultur und Mensch gehuldigt und die Einzigartigkeit des Salzkammerguts (und als »Perle« der Nation somit auch Österreichs) betont : »Und die Landschaft … Es gibt wenige Gebiete dieser Erde mit so harmonisch abgestimmten Landschaftsbildern, wo Berge, Täler, Wälder und Seen zu beglückendem Ganzen verschmelzen, Freude, Frieden und Entzücken verschwenderisch schenken. Bewohner und Bauten 391 Hellmuth, Thomas : Sissis Flucht. (De-)Konstruktion einer heilen Welt, in : XING. Ein Kulturmagazin, 2 (2005), S. 20f. 392 Hellmuth, Die Erzählungen des Salzkammerguts, S. 64. 393 Stifter, H.: Salzkammergut und Dachstein, München 1934, S. 13. 394 Suppanz, Werner : Österreichische Geschichtsbilder. Historische Legitimationen in Ständestaat und Zweiter Republik, Wien/Köln/Weimar 1998. 395 Lipp, Franz : Das Salzkammergut. Wesen einer Landschaft, Gmunden/Bad Ischl 1951, S. 7.
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sind mit diesem Landschaftsbild innig und malerisch verbunden, so kann es nicht wundernehmen, wenn das Salzkammergut immer wieder als Motiv oder Hintergrund in Literatur, Operette und Film erscheint.«396 Ebenso blieb die Vorstellung des mit der Natur eng verbundenen Einheimischen, die sich bereits im 19. Jahrhundert herausgebildet hatte, nach 1945 erhalten. Und so erscheint der Salzkammergütler als Prototyp des zufriedenen und glücklichen Menschen und somit als österreichischer Bürger schlechthin : »Gleichviel, weilt man im weltbekannten St. Wolfgang, Ischl, Aussee oder sonst einem der vielen herrlichen Orte, die aus dem Boden strömende Fröhlichkeit erfüllt jeden ; heißt es doch : Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein … Die Lebensart seiner Bewohner ist aus ihrer Umgebung gewachsen, es sind frohe Menschen mit weitem Blick und offenen Herzen.«397
Landschaft und Kultur – das Salzkammergut als globales Erbe Die erwähnte Kombinationsformel »Landschaft und Kultur«, die die österreichische Identität kennzeichnet und sich im Salzkammergut modellhaft realisiert findet, entspricht in ihren Grundzügen der Kategorie der Kulturlandschaften, die in der – von Österreich 1992 unterzeichneten – Welterbe-Konvention der unesco 398 verankert ist. Diese Kategorie umfasst erstens eine vom Menschen absichtlich geschaffene und gestaltete Landschaft, vor allem Garten- und Parklandschaften, die in einem engen Konnex mit Bauten und architektonischen Ensembles stehen. Zweitens sind dazu auch Landschaften zu zählen, die sich aus einer wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, verwaltungstechnischen und/oder religiösen Notwendigkeit sich gleichsam »organisch« entwickelt haben. Dazu gehören zum einen Landschaften, die in der Vergangenheit zum Stillstand gekommen, in ihrer materiellen Form aber noch immer sichtbar sind. Zum anderen kann es sich aber auch um eine fortbestehende Landschaft handeln, die immer noch eng mit der Lebenswelt der in ihr lebenden Menschen verbunden und sich somit auch weiterhin in Transformations396 Iller, Salzkammergut, S. 13f. 397 Ebenda, S. 14. 398 United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur). Tritt ein Staat der Welterbe-Konvention bei, kann er Naturund Kulturgüter innerhalb seiner Landesgrenzen für die Aufnahme in die »Liste des Erbes der Welt« vorschlagen. Ein Expertenkomitee prüft die Vorschläge und entscheidet über die Aufnahme. Ursprünglich waren nur zwei Kategorien von Welterbestätten, »Naturerbe« und »Kulturerbe«, vorgesehen ; einige Welterbestätten wurden aber als »gemischte Stätten« beiden Kategorien zugerechnet, weshalb 1992 auch die Kategorie der »Kulturlandschaft« eingeführt wurde. Siehe dazu : Schuhböck, Christian : Vom Erbe der Welt. Die Welterbe-Konvention, in : Ders. (Hg.) : Österreichs Welterbe. Kulturdenkmäler und Landschaften unter dem Schutz der UNESCO, Wien 2002, S. 8f.
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prozessen befindet. Ihre ständige Fortentwicklung spiegelt sich in bemerkenswerten materiellen Spuren. Drittes sind schließlich noch die sogenannten »assoziativen Kulturlandschaften« zu erwähnen, die insbesondere durch religiöse, künstlerische und kulturelle Bezüge zur Natur geprägt sind und nur geringe materielle kulturelle Spuren aufweisen.399 Es ist durchaus erwähnenswert, dass auch die Definition der Kulturlandschaft durch die unesco eine im 19. Jahrhundert entstandene, offenbar nicht nur auf Österreich und das Salzkammergut beschränkte400 Konstruktion fortschreibt : die vermeintliche harmonische Verbindung von Mensch, Natur und materieller Manifestation. Schützenwert ist in erster Linie das »Harmonische« bzw. »Ästhetische«, deren Definition und Identifikation aber vor allem Ergebnis von Sozialisationsprozessen ist, die bestimmte harmonische und ästhetische Vorstellungen im kollektiven Gedächtnis verankern. Die unesco-Welterbe-Konvention kann daher wohl in eine kulturelle Tradition eingeordnet werden, deren Wurzeln in die bürgerlicheaufgeklärte Gesellschaft reichen. Die zunehmende Differenzierung der Welt infolge der Industrialisierung, Technisierung und naturwissenschaftlichen Entdeckungen sowie der politischen Diversifikation, die sich in der Lagerbildung zeigt, erweckte die Sehnsucht nach einem »Ganzen«, nach Überschaubarkeit und Konsistenz. »Wie es mit dem Ganzen steht und wie mit dem Sinn, das gerät ins Ungewisse«, schreibt Thomas Nipperdey, »die religiöse Weltinterpretation hat ihre Kraft verloren, aber die sie beerbende Wissenschaft, die wir der Spezialisierung und der positivistischen Tatsachenerhebung erliegen sehen : sie bieten keinen Ausblick aufs Ganze und keinen auf den Sinn«.401 Die »Gnosis«, die Suche nach Ganzheit und den Ursprüngen des Seins, war daher seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem wichtigen Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft geworden.402
399 Schuhböck, Vom Erbe der Welt, S. 9. 400 Auch in Frankreich, um nur ein Beispiel zu nennen, trugen Reiseschriftsteller, Wissenschaftler, vor allem Geografen und Historiker, sowie Journalisten mit ihren Arbeiten dazu bei, dass die unterschiedlichen Regionen in der französischen Nation aufgehen konnten, sich in eine Landschaft einfügten, die in den Beschreibungen durch ihre Vielfalt – die anmutigen Berge, sanften Ebenen, stillen Seen, ruhig dahinfließenden Flüssen und dem unendlich erscheinenden Meer – wie ein pittoreskes Gemälde wirkt. In das »Frankreich der Landschaften« wurden zudem die kulturellen Traditionen wie regionale Festlichkeiten und das »patrimoine national«, das »nationale Vermögen«, eingebettet. Siehe dazu u.a.: Guiomar, JeanYves : Le »Tableau de la géographie de la France« de Vidal de La Blache, in : Nora, Pierre (Hg.) : Les Lieux de Mémoire, Bd. 1, Paris 1997, S. 1073–1098 ; Nordman, Daniel : Les Guides-Joanne. Ancêtres des Guides Bleus, in : Ebenda, S. 1035–1072 ; Chastel, André : La notion de patrimoine, in : Ebenda, S. 1433–1469. 401 Nipperdey, Thomas : Wie das Bürgertum die Moderne fand, Stuttgart 1988, S. 71. 402 Assmann, Aleida : Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999, S. 109–111.
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Angesichts der Definition von Kulturlandschaften durch die unesco verwundert es nicht, dass 1997 ein Teil des Salzkammerguts als eine solche in die Welterbe-Liste aufgenommen wurde. Die »Hochgebirgsregion Hallstatt-Dachstein/Salzkammergut« sei, so die Begründung für die Aufnahme, »ein herausragendes Beispiel einer Naturlandschaft von großer Schönheit und hohem wissenschaftlichen Interesse, die auch Zeugnisse wesentlicher menschlicher wirtschaftlicher Tätigkeiten aufweist. All das fügt sich zu einem harmonischen und wechselseitig befruchtenden Ganzen«. Der Salzbergbau, der seit prähistorischer Zeit betrieben wird, habe »einen Wohlstand« geschaffen, »der sich in der prächtigen Architektur des Marktes Hallstatt« widerspiegle.403 Die Werbetrommel, die die Tourismusindustrie infolge der Aufnahme in die Welterbe-Liste zu rühren begann, scheint freilich mitunter den Ansprüchen des Welterbe-Gedankens zu widersprechen. So ist es etwa fraglich, ob die originelle Geschäftsidee »Dirndl to go« in Hallstatt den Erwartungen der unesco entspricht : Sogenannte »originale« Dirndlkleider werden vermietet, um Hallstatt auch angemessen gekleidet, gleichsam »authentisch« entdecken und »Fotos an den schönsten Plätzen im Weltkulturerbe-Ort Hallstatt«404 schießen zu können. Schnell sind freilich Befürchtungen über den Ausverkauf der Region geschürt, auch wenn es fraglich bleibt, ob solche Ideen tatsächlich dem Geist des Weltkulturerbes widersprechen. Da Identitätsbildung immer auch in Verbindung mit der materiellen Existenzsicherung erfolgt, bieten der Tourismus und damit verbunden auch die Verwertung von kulturellen Traditionen – auch wenn dies den Einheimischen nicht bewusst ist bzw. Tourismus sogar abgelehnt wird – durchaus eine Chance, gleichsam »innere Kohärenz« (S. 13 f.) zu vermitteln. So können etwa Trachten (S. 120–126), auch wenn sie einer Kommerzialisierung unterliegen, auf diese Weise durchaus erinnert werden und identitätsstiftende Bedeutung erlangen, die über die Warenästhetik weit hinausgeht.405 Möglicherweise lässt daher auch die kommerzielle Anpassung an die neuen Existenzverhältnisse die Bildung alt-neuer Identitäten zu. Nichtsdestotrotz müssen aber unterschiedliche regionale und private Interessen, die von der touristischen Vermarktung des Welterbes bis zur Ablehnung von Baurechtsbestimmungen reichen, mit der Erhaltung der Kultur- und Naturgüter, die im Vertrag zwischen Staat und unesco festgelegt sind, abgestimmt werden. Es scheint nicht leicht, Weltkulturerbe-Denkmäler in die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Gemeinden zu integrieren, nicht zuletzt auch, weil das unesco-Welterbe immer wieder zwischen der Gefahr der Musealisierung und der Anpassung an die 403 Jeschke, Hans-Peter : Die Kulturlandschaft Hallstatt-Dachstein/Salzkammergut, in : Schuhböck (Hg.), Österreichs Welterbe, S. 84. 404 http://www.hallstatt.net/ueber-hallstatt/dirndl-to-go/, abgerufen : 14. September 2014. 405 Hellmuth, Die alte Zeit mit ihrer poetischen Beschaulichkeit, S. 258, 261.
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jeweiligen Lebensverhältnisse oszilliert. Zugleich ist freilich auch vonseiten der Gemeinde und Einheimischen darauf zu achten, einen – wie auch immer definierten – Eingriff in die Natur und materielle Struktur des Weltkulturerbes behutsam zu gestalten. Die Journalistin Romana Ring hat dieses schwierige Zusammenspiel zwischen regionalen Interessen und Welterbe in der Tageszeitung »Die Presse« auf den Punkt gebracht : »Was wir heute am Hallstättersee als Weltkulturerbe bewahren wollen, ist in Gebäuden und Anlagen festgeschriebener Alltag von Bergbauern und Bergleuten. Was wir in Form malerischer Ausblicke genießen, brachte für sie in hohem Maß Mühsal und Bedrohung mit sich.«406 Dieser Widerspruch, der gleichsam aus einer Harmonie erwächst, die als solche erstmals aus der Perspektive der bürgerlich-aufgeklärten Gesellschaft konstruiert wurde, zeigt sich zum Beispiel in diversen Bauvorhaben, die in der Welterberegion verwirklicht wurden : Während etwa die äußerliche Umgestaltung von nicht mehr genutzten Heustadeln auf Skepsis der unesco stößt, finden sich etwa mit dem »Resort Obertraun« mehrere »Chalets«, die das Weltkulturerbe weniger »authentisch« interpretieren, auch wenn von einem »authentischen Baustil des Salzkammerguts« gesprochen wird. Jemand habe hier, wie Ring schreibt, »Fassaden auf die Wiese geworfen«, die keine »Ambition zur Bildung nutzbarer Außenräume« auswiesen. »Auch so kann man Weltkulturerbe interpretieren«, schreibt sie weiter. »Für die Unesco jedenfalls scheint das kein Problem zu sein.«407 Trotz all dieser Probleme und Widersprüche bleibt es doch unbestritten, dass die Bildung alt-neuer Identitäten erleichtert wird, wenn jene Bausteine, die zur Konstruktion nicht nur der regionalen, sondern auch der österreichischen Identität beigetragen haben, von einer überregionalen Instanz wie der unesco sozusagen in ihrer Einmaligkeit bestätigt werden. Damit erfährt die Region im Zuge der Globalisierungsprozesse eine Aufwertung ; die Traditionen erhalten neue, letztlich auch zum Teil überregionale bzw. globale Bezugspunkte und Inhalte. Der Begriff der »Authentizität« muss allerdings unter dieser Voraussetzung neu definiert oder vielmehr hinterfragt werden : Wenn er schon bemüht werden soll, dann sind etwa volkskulturelle Manifestationen immer nur im jeweiligen gegenwärtigen Zeitkontext »authentisch«. Authentizität ist letztlich eine Momentaufnahme und keineswegs eine ewig währende Konstante, die es ohne Wenn und Aber zu schützen gilt. Vielmehr müssen Wandlungsprozesse, die sich auch kulturell auswirken, durch Reflexion zugänglich gemacht werden. Nur auf diese Weise ist der aktive Umgang mit ihnen möglich, womit ein nicht nur rückwärtsgewandtes, sondern auch die Gegenwart akzeptierendes und die Zukunft gestaltendes Verhalten und Handeln ermöglicht wird. 406 Ring, Romana : Ein Nachlass als Vorbild ?, in : Die Presse, 12. Juli 2014. 407 Ebenda.
Vielfalt in der Einheit ? Soziale und kulturelle Aspekte regionaler Identität(en)
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Regionale Identitäten sind daher nicht als statisch, sondern – wie bereits im ersten Kapitel erwähnt – als dynamisch zu definieren, als ein ständiges Kombinieren unterschiedlicher Identifikatoren, von denen zu bestimmten Zeiten manche mehr und andere weniger Bedeutung besitzen und die zudem auch inhaltlich einem Transformationsprozess unterliegen.
Anton Thuswaldner
IV. Modell Salzkammergut – Wie eine Region zur Literatur wird
17. August 2011, 10 Uhr, im Hotel Schwan in Gmunden. Zwei Einheimische sitzen beim ersten Bier. Der eine : Ist heute nicht der Geburtstag vom Kaiser ? Der andere : Ach was, der ist doch erst morgen. Lange hatte die Regionalliteratur keinen guten Stand in der zeitgenössischen Literatur. Sie galt als verstaubt und rückständig, ihr haftete gar der Ruch des Verdächtigen an. Die Stadt, die Großstadt zumal, war das Terrain, auf dem sich die Moderne bewegte, das Land galt als ein Gebiet, zu dem die Errungenschaften von Zivilisation und Kultur nur zögerlich vorgedrungen waren. Die Polarität hat sich verschärft unter den Vorgaben einer nationalsozialistischen Ästhetik herausgebildet, die alles Gesunde, Kräftige, Machtvolle auf dem Land angesiedelt sehen wollte, während die Stadt mit Zersetzung von Moral und Sitte, mit Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit gleichgesetzt wurde. Auf dem Land wirkten die tätigen Arbeitskräfte, um die Nation voranzubringen, in der Stadt lähmten die anämischen Geistmenschen und Kümmerlinge das Fortkommen. Natürlich war das konstruierter Kitsch, nicht mehr als eine einprägsame Fiktion, der jeder schlechte Geist mühelos zu folgen vermochte, aber sie war so prägend, dass sich mehrere Generationen später dieser Dichotomie nicht entziehen konnten. Um sich von den Nationalsozialisten und deren Weltbild abzusetzen, strebte man in der Literatur eben das Gegenteil dessen an, was im Dritten Reich propagiert wurde. Der Stadt galt die ganze Aufmerksamkeit, hier lebte der moderne Mensch mit seiner komplizierten Psyche, in der sich jene Dramen ereigneten, die der ausführlichen Darstellung harrten. All jene, die es ernst meinten und sich einer Literatur zuwandten, die nah an den gesellschaftlichen Verhältnissen blieb, die sich nicht der Idealisierung verschrieben und der Härte ihrer Zeit Ausdruck verliehen, wurden von einer konservativen Kritik mit dem Vorwurf, »Asphaltliteratur« zu verfassen, bedacht. Genau das aber wollte eine Generation, die nach dem Krieg mit Idyllen nichts zu schaffen haben wollte. Sie gab sich nicht zufrieden mit dem Wissen, wo der Hund begraben war, sie grub ihn aus und sorgte für den Protest. In solch einer Situation, in der ideologische Schemata die Literatur beherrschten, wagte es außer konservativen Literaten, die aus den Nazijahren in die Nachkriegszeit hineinragten und mühelos fortsetzten, was sie immer schon betrieben hatten, niemand die ländliche Region
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zum Thema zu machen. Der Bannfluch der Unbelehrbarkeit wäre über ihn ausgesprochen worden. Der hätte nicht verhindert, dass einen eine breite Leserschaft freundlich und dankbar aufgenommen hätte, von der ernsthaften Literatur jedoch wäre man ausgeschlossen worden. Es dauerte, bis die österreichische Provinz wieder Eingang fand in die Literatur. Das geschah durch eine heftige Generation, die krachend einbrach in die etwas flau gewordene Szene und die Heimat für sich entdeckte – als Ort, an dem sich Gewalt, Borniertheit und Langeweile ausbreiten. Sie kamen selbst vom Land, brachten ihre Erfahrungen mit, die sie beschädigt hatten, und jetzt nützen sie die Chance, zurückzuschlagen. Peter Handke, Barbara Frischmuth, Gernot Wolfgruber, Gert Jonke, Gerhard Roth, Michael Scharang, Elfriede Jelinek und andere gingen ans Werk, den klassischen Heimatroman in sein Gegenteil zu verkehren, um den AntiHeimatroman zu schaffen. Nach der Phase des Ignorierens begann die Zeit der Zerstörung. Das betraf die Vorstellung von den edlen Landmenschen ebenso wie das Festhalten an der klassischen Form. Die Vernichtung des Überkommenen ging mit einer Vernichtung der überkommenen Form einher. Zunehmend geriet die Vergangenheit in den Blick, und die Aufarbeitung der katastrophalen Zustände in der Gegenwart führte über die Beobachtung, dass der lange Arm der Geschichte ins Heute reichte. Im 21. Jahrhundert, die Wogen sind geglättet, die Verhältnisse haben sich verändert, darf man entspannt, wenn auch nicht kritiklos auf das Land und seine Bewohner schauen. Über Natur zu schreiben kommt fast einem revolutionären Akt gleich, gilt es doch im Zeitalter von deren Zerstörung diese vor dem Zugriff von Kapital und Tourismus zu retten. Das Salzkammergut bietet sich an, als Spiegel genommen zu werden für Verhältnisse, die übertragbar sind. Und doch kommt keiner, der sich dem Salzkammergut zuwendet, umhin, die Eigenart und die Exklusivität der Region zu unterstreichen.
Eine Region wie keine andere Je länger man ins Salzkammergut hineinschaut, desto unklarer wird die Sache, desto weniger einheitlich und leicht zu erfassen. (Julia Kospach : Auf ins Salzkammergut) Jede Region wird für sich in Anspruch nehmen, etwas ganz Besonderes, Einzigartiges, Unverwechselbares darzustellen im Wettbewerb der Provinzbezirke untereinander. Das steht außer Frage. Der Pinzgau ist nicht zu verwechseln mit dem Mühlviertel, ein Villacher wird nicht in Verdacht geraten, ein Bregenzer zu sein. Und doch gibt es diese zu einer inneren Notwendigkeit gewachsenen Leidenschaft, die anderen zu übertrumpfen. Jede Region führt dazu treffliche Argumente an.
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Im Fall des Salzkammerguts verhält sich die Sachlage schwierig, weil der Begriff weniger geografisch präzise umrissen als emotional eingefärbt ist. Welche Orte gehören dazu, wer fliegt raus ? »Die Grenzziehung im Salzkammergut ist jedenfalls eine komplizierte, teils historisch, teils fremdenverkehrsbedingte Angelegenheit.«408 Der Begriff ist zum Markennamen geworden, mit dem sich Geschäfte machen lassen. Dabei ist von einer widerspruchsfreien, eindeutigen Identität nicht zu reden. Es macht einen Unterschied, ob man von Bad Ischl redet, wo der Kaiser die Sommermonate zu verbringen gedachte oder von Ebensee, wo sich Häftlinge des NSRegimes zu Tode quälten. Kollaborateure und Widerständler bekannten sich gleichermaßen zu »ihrem« Salzkammergut, dem sie sich verbunden fühlten. Dass »Salz, Kaiser, Schnürlregen, Wetterfleck«409 den Kitt bildeten, der alle Gegensätze und Unvereinbarkeiten zusammenhält, ist als einfache Behelfskonstruktion aufzufassen, tourismustauglich und ausgesprochen sympathisch. Der Kult um die Schönheit sitzt jedenfalls tief. In unzähligen Veröffentlichungen, Bildbänden und Reiseführern wird auf die kühne Verbindung von alpiner Wildheit und ländlicher Sanftheit hingewiesen. In den Höhen der Berge, wo nur geübte Alpinisten hinkommen, und in den Tiefen der Seen, tiefer als anderswo und häufig steil abfallend, sind Geheimnisse zu erwarten, denen der Schockwert des Schaurigen zukommt. Dazwischen aber, in den Dörfern und an den beschaulichen Wegen entlang der Seen, kommt die Gemütlichkeit zu ihrem Recht. In diesem Spannungsfeld zwischen Erhabenheit, Schroffheit, Unergründlichkeit auf der einen Seite und der Friedfertigkeit, Ausgeglichenheit, Pracht auf der anderen müssen es die Menschen aushalten, die von freundlichen Beobachtern als Originale bezeichnet werden. Ein Wort als Freibrief für abweichendes Verhalten. In einem Buch wie jenem der Fotografin Eva Maria Griese und der Verfasserin Jessica Jarosch über das Ausseerland verfestigen sich all jene Fertigbilder über Land und Leute, die sich im Verlauf der Geschichte entwickelt haben. »Die Menschen des Ausseer Landes sind beseelt von vielfältigen Talenten, von Lebensfreude und selbstironischem Witz. Sie sind die Originale, aus denen Anekdoten geboren werden, originelle Künstler und wortgewandte Satiriker, ohne auf öffentliche Resonanz angewiesen zu sein.«410 Was Künstler und Satiriker ohne öffentliche Resonanz anfangen sollen ist ungewiss, die Fotografin jedenfalls liefert das Bildmaterial, das Seite für Seite der Überzeugung Beihilfe leistet, das Ausseerland als ein gewichtiger Teil des Salzkammergutes sei im überreichen Maße vom Glück begünstigt. So wollen es nicht nur eine Autorin und eine Fotografin, sie stärken das Selbstbild der Bewohner 408 Kospach, Julia : Auf ins Salzkammergut. Verborgenes, Skurriles, Kulinarisches, Wien 2011, S. 6. 409 Ebenda, S. 7. 410 Griese, Eva Maria/Jarosch, Jessica : Ausseer Land. Einsichten und Ausblicke in eine österreichische Seelenlandschaft, Salzburg 2011, S. 39
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einer Region, die sich nach außen gerne als Erwählte geben. Das leuchtet ein, wer will schon in einer Gegend leben, die von historischen Schrecken kontaminiert ist. Wer unternimmt es denn gern, öffentlich zu machen, dass sich in den Abgründen der Seele furchterregende Dramen abspielen, und wagt zu bekennen, dass die Macht hier ebenso gnadenlos zuschlägt wie an anderen Winkeln der Erde auch ? Was machen die Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die es ins Salzkammergut verschlägt ? Spielen sie mit und machen sich zum verlängerten Arm der Werbeabteilung in den Bürgermeisterbüros von Gmunden oder Altaussee ? Treiben sie quer und schreiben auf, was ihnen missfällt und wovor sie vielleicht sogar warnen müssen ? Was bemerken sie überhaupt von den inneren Vorgängen einer Gesellschaft, die sie, wenn sie von außen kommen, womöglich gar nicht recht durchschauen ? Was zieht sie ins Salzkammergut, woran fangen sie Feuer ? Machen sie die Region zu ihrem Thema oder weichen sie aus ? Das Salzkammergut und die Literatur – eine Geschichte voller Widersprüche.
Das Beispiel Nikolaus Lenau … es hat doch einen eigenen Zauber, dieses Gmunden, und wie vor einem Jahre fühl ich das Bittere des Scheidens auch jetzt. (Nikolaus Lenau an seinen Bruder, 9. Juli 1831) Nikolaus Lenau (1802–1850) war ein rastloser Mensch. Er begab sich häufig auf Reisen, es hielt ihn nirgends lange. Er war mit einem labilen Wesen geplagt, körperliche Missstimmungen setzten ihm heftig zu. Dazu kam eine Unrast in Herzensangelegenheiten, er war leicht entflammbar und verzehrte sich in unerfüllbaren Leidenschaften. »Das Unglück ist wohl die treueste Seele auf Erden«, schrieb er am 30. Oktober 1837 an Emilie von Reinbeck,411 und das ist keinesfalls als Koketterie zu nehmen. Von Verklärung ist seine Lyrik nie gezeichnet, aus ihr spricht der melancholische Geist eines Dichters, der mit der Welt nicht im Reinen ist. Er wird der Spätromantik und dem Biedermeier zugerechnet, exponiert sich aber auch politisch, sodass ihm die Literaten des Vormärz nahe stehen. Er kam nicht zur Ruhe, selbst von einem Versuch, sich in Amerika niederzulassen, kam er enttäuscht nach Deutschland zurück. Im Salzkammergut hielt er sich zwischen 1830 und 1841 regelmäßig in den Sommermonaten auf. Er besuchte Bad Ischl, Gmunden und Hallstatt, war einigen der Bewohner dort freundschaftlich zugetan. Mehrere Gedichte sind das Ergebnis seiner Besuche, von Schwärmerei, wie das bei so vielen seiner Dichterkollegen der Fall ist, ist wenig zu spüren. Er besingt nicht die Natur um ihrer selbst willen, gerät nicht in 411 Lenau, Nikolaus : Sämtliche Werke. Briefe, Stuttgart 1959, S. 895.
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Verzückung, wenn er Feld, Wald, Berg und See ins Auge fasst, um diese als Gegenentwurf zur städtischen Aufgewühltheit zu deuten, er benützt die Erscheinungen der Natur als Signale für das Innenleben eines verstörten Menschen. Damit steht er in der Tradition der Romantiker, denen es auch nicht genügt, Natur für sich zu nehmen, sondern sie als Symbol aufgreifen für menschliche Befindlichkeiten. Der Tod ist ein Dauergast in den Gedichten von Nikolaus Lenau. In den späten Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts sind mehrere lyrische Arbeiten erschienen, die ausgehend von der Landschaft des Salzkammerguts direkt in die Seele eines unglücklichen Ichs vorstoßen. »Der schwarze See« heißt eines dieser Gedichte und meint den Schwarzensee bei Strobl. Überwältigend bietet sich die Kulisse für den Dichter an, sie passt genau zu einer aussichtslosen Liebe, die hier, am See, begraben werden soll. »Die Tennenberge rings den tiefen See umklammen / Und schütten in den See die Schatten schwarz zusammen.«412 Wenn ein Gedicht in derart düsterem Moll-Ton beginnt, ist Erleichterung nicht in Sicht. Lenau ist der literarische Anti-Urlauber des 19. Jahrhunderts. Er sucht nicht Erholung, genießt nicht die Sonne, schätzt nicht die Pracht, die die Natur vor ihm ausbreitet, diese liefert ihm vielmehr die Bestätigung dafür, dass das Leben ein Trauerspiel ist. Der See ist tief ? Das bietet Anlass zu Sorge und Befürchtung, denn in der Tiefe lauert das Unheimliche, das nicht durch Zivilisation und Vernunft zu Bändigende. Der Unergründlichkeit des Sees entspricht die Unergründlichkeit der Seele, wo die düsteren Absichten und Neigungen des Menschen zu Hause sind. Fünfzehn Paarreime lässt Lenau aufeinander folgen, es wird immer noch aussichtloser, von Rettung ist nie die Rede. Spricht er vom Himmel, ist er verfinstert von »dunklen Wetterlasten«, und die Stille weist nichts Kontemplatives auf, sondern überfällt das Ich »wie ein Scheidegruß«, der »ein »düstrer letzter Wille«413 eingeschrieben ist. Woher kommt diese Weltausgrenzung, dieses Gefühl, verloren zu sein, diese Verbohrtheit in die eigene Trauer, die Hoffnung von vornherein ausschließt : »O Hoffnungen, hinab ! Zerrissne Traumgeflechte !«414 Eine Liebe, die nicht sein darf, die nicht sein kann, bildet den Untergrund für dieses Verlustempfinden. Eine Totenstille lastet über dem See, die Totenstille einer abgestorbenen Sehnsucht sucht den in der Liebe Enttäuschten heim. Und dann kommt Bewegung in die Szene, der Wind fährt ins Schilf und lässt die Bäume beben, ein Hauch von Versöhnung lässt das ins Unglück versenkte Ich noch einmal aufleben : »Ich höre kommen dich, Natur ! Dein Mantel rauscht, / Wie der Geliebten Kleid, wenn ich nach ihr gelauscht«.415 412 Ebenda, S. 289. 413 Ebenda. 414 Ebenda. 415 Ebenda.
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Kommt gar so etwas wie Zuversicht auf ? Nicht bei so jemandem wie Lenau. Der Wind baut sich zum Sturm auf, der Schrecken steigert sich nur umso mehr ins Unermessliche. Jetzt ist er da, der Gedanke an den Tod, auf den das Gedicht hinausläuft und wofür alle Merkmale der Verlassenheit vorher nur sanfte Andeutungen waren : »Doch willst in diesem See die Liebe du ertränken, / So musst du selber dich in seine Fluten senken !«416 Erinnerungen rufen ihm solch eine Botschaft zu, ihm, der ganz im Sinn der Romantiker an die Liebe ein ganzes Leben hängt.
Endlich Ferien : Das Salzkammergut ist schön Wolfgang am See (schönes und fremdes Land, aber weit und schlechtes Essen) (Franz Kafka: Briefe an Ottla und die Familie, Prag, 29. VIII. 1917) Sie kamen alle ins Salzkammergut. Wer auf sich hielt und zur besseren Gesellschaft gehören wollte, hielt sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert auch als Schriftsteller dort auf. Sie hielten Hof, suchten die Gemeinschaft von Gleichgesinnten und mischten sich unters Volk. Sie betrieben Sport, unternahmen ausgedehnte Wanderungen und bestiegen die Berge. Sie genossen die reine Luft und die kulinarischen Besonderheiten. Während des Sommers war das Salzkammergut eine Dependance der Wiener »Seitenblicke«-Gesellschaft zu einem Zeitpunkt, als es diesen Begriff noch gar nicht gab. Manche bezogen für kurze Zeit ein Quartier, andere suchten sich auf Dauer ein Haus. Alexander Lernet-Holenia ist mit St. Wolfgang verbunden ebenso wie Karl Kraus, Leo Perutz und Hilde Spiel. In Altaussee hielten sich Adalbert Stifter und Arthur Schnitzler, Theodor Herzl und Hermann Broch auf. Nach Altmünster zog es Franz Tumler, Hugo von Hofmannsthal nach Bad Aussee, in Grundlsee waren Arno Holz, Egon Friedell und Robert Musil anzutreffen, von Bad Ischl schwärmten Franz Werfel, Johann Nestroy und Richard Beer-Hofmann.417 Als Gäste waren sie mit einem eingeschränkten Blick geschlagen. Deshalb gerieten sie gerne ins Jubilieren, wenn sie im Rückblick an ihre Zeit im Salzkammergut dachten. Mit dem gemeinen Volk hatten sie gewöhnlich wenig zu schaffen. Das schlägt sich nicht nur auf das Bewusstsein, sondern auch in den Texten nieder. Im kalifornischen Exil schrieb Friedrich Torberg 1942 das Gedicht »Sehnsucht nach Alt-Aussee«418, ein Unterfangen zur Verklärung der Vergangenheit. Woran erinnert 416 Ebenda, S. 290. 417 Einen sehr genauen Überblick, welche Literaten sich in welchem Teil des Salzkammerguts aufgehalten haben, verschafft der nützliche Band von Straub, Wolfgang : Literarischer Führer Österreich, Frankfurt a. M. 2007. 418 zit. nach : Maurer, Lutz : Aussee bleibt mir das Schönste, Grundlsee 2003, S. 49.
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sich der Urlauber von früher, wenn er an den Ort denkt ? Die Wehmut zieht einen die Wirklichkeit verzaubernden Schleier vor die Vergangenheit. Deshalb kommen keine Menschen vor, die einen jüdischen Schriftsteller wie Torberg zur Flucht aus Österreich nötigten. »Gelten noch die alten Strecken ? / Streben Gipfel noch zur Höh ? / Ruht im bergumhegten Becken / noch der Altausseer See ?« Höh reimt sich auf See in diesem sehr nach Art der Klassik gedrechselten Gedicht, lassen wir es durchgehen als Kunsthandwerk. Dachsteingletscher, »Kulm und Kuppe«, »Mooosberg, Loser, Trisselwand«, alle Kühnheiten der Natur werden aufgeboten, um der Sehnsucht Nahrung zu geben und die Fantasie zu beflügeln. Bedeutende Literatur sieht anders aus, aber für die Fremdenverkehrswerbung taugt solche Lyrik allemal. Wenn fast am Ende des Gedichts doch noch zwei Figuren auftauchen, werden sie nicht als Menschen von Fleisch und Blut gesehen, sondern als Hüter der Gemütlichkeit und Träger einer kulinarischen Kultur, Synonyme für Wirtshäuser eben : »Wird´s beim Fischer eine Jause ? / Wird´s ein Gang zur Wasnerin ?« Bei Torberg ist nachzulesen, was Autorinnen und Autoren, die von außen kommen, gemeinsam ist : Sie bleiben Fremde in einer Welt, deren Gesetze ihnen verborgen bleiben und sich deshalb an Äußerlichkeiten festkrallen, die sie für das Ganze nehmen. Selbst Hilde Spiel, eine kritische Beobachterin ihrer Zeit, bleiben die Verhältnisse im Salzkammergut eigenartig fremd. Vor allem dürfen wir Torbergs Gedicht nicht als eine authentische Aussage über Land und Leute nehmen. Ohne dass es dieses vorhätte, erzählt es uns von der Gefühlslage eines Exilanten, der sich ein Stück Heimat imaginiert, von dem er ausgeschlossen ist. Weil er nicht annehmen darf, dass er noch jemals Gelegenheit haben wird, zurückzukehren, verwandelt sich die Normalität von ehedem in einen Sehnsuchtsbezirk. Mehr zuzutrauen ist einer kritischen Schriftstellerin wie Hilde Spiel. Im Jahr 1935 ist für sie die Welt noch in Ordnung. Sie ist 24 Jahre alt und ist drauf und dran, sich als Schriftstellerin zu profilieren. Gewiss, in Deutschland hat sich die politische Lage nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten dramatisch verdüstert, in Österreich knebelt ein autoritäres Regime alle Abweichler, gerade noch spalteten die bürgerkriegsähnlichen Unruhen vom Februar 34 das Land, als die junge Frau aus Wien, die in St. Wolfgang zahlreiche unbeschwerte Sommertage verbringen hat dürfen, das Salzkammergut als ideales Rückzugsgebiet auffasst. Als sie ein Jahr später nach London übersiedelt, weiß sie noch nicht, dass gerade ihre Exiljahre begonnen haben. 1955 unternimmt sie einen gewagten Schritt in eine neue Zukunft, als sie sich in St. Wolfgang ihren ersten österreichischen Wohnsitz anschafft. Hilde Spiel ist inzwischen eine andere geworden. Die begabte Jungautorin hat sich zur gesuchten Kulturjournalistin entwickelt. 1935 erscheint der zweite Roman Hilde Spiels, »Verwirrung am Wolfgangsee«, ein eigenartig der Zeit entrücktes, von allen politischen Zumutungen frei gespieltes Liebesgetändel junger Menschen, die immunisiert sind gegen den Ernst des Lebens.
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Gegen die Vernunftwelt der Erwachsenen, die es zu etwas gebracht haben, praktizieren sie ein Leben, für das die Bindungslosigkeit Programm ist. Zu den frühen Romanen äußert sich Marcel Reich-Ranicki wohlwollend kritisch. Nach Lektüre dieser Bücher verstehe man zweierlei : »Das freundliche Echo, das sie damals hatten, ebenso wie die Tatsache, dass sie den Zweiten Weltkrieg nun doch nicht überleben konnten.«419 So stellt man sich einen Roman zur Sommerfrische vor. Heitere, junge Menschen erproben ihre Gefühle, von denen sie nicht sicher sind, ob sie den großen Namen Liebe schon verdienen. Das ist mit leichter Hand geschrieben. Zwei Männer und zwei Frauen genießen den Schwebezustand ihrer Existenz, die Zukunft ist offen, die erotischen Möglichkeiten sind vielfältig und verheißungsvoll. Die beiden Belgier Vincent, der als Erzähler fungiert, und Pierre flüchten vor den Anforderungen des Lebens im Auto ziellos in Richtung Süden, und in St. Wolfgang, einem zufälligen Zwischenstopp, begegnen sie Therese und Gundel, und fortan ist es um alle vier geschehen. Sie spüren, dass sie zusammengehören, nur in welcher Konstellation, ist ihnen unklar. Das bringt Verwirrung mit sich. Nach außen treiben sie ein Spiel der Gelassenheit, Offenheit und Toleranz, in ihrem Inneren aber rumort es, weil alle auf eine Entscheidung drängen, die sie hinausschieben. Flapsigkeit schlägt Ernsthaftigkeit. Die Landschaft um St. Wolfgang und der Ort selbst liefern die Signale der Schwermut und der Melancholie. Der Sommer ist im Begriff, sich in Herbst zu verwandeln, Nebelschwaden ziehen auf. Regenschauer und ein orkanartiger Sturm stören die Idylle. Hilde Spiel streut deutlich Hinweise aus, dass diese vordergründige Leichtigkeit bedroht ist. Sie zeichnet eine Idylle mit heftigen Schrammen. »Wir brauchen diesen Sommer«, sagt Pierre einmal trotzig. »Verstehen Sie doch, wir brauchen ihn, wie er ist. Mit seinen vergänglichen, kleinen Gefühlen, mit seinen harmlosen Scherzen, mit seinen müßigen Freuden, mit seiner unsinnigen Ernsthaftigkeit.«420 So unbeschwert die Szenerie auch immer wirken mag, in den Dialogen, die stets als verdrehte, umständliche, Gemeinplätze ins Gegenteil verkehrende Koketterien in Erscheinung treten, dringt etwas von der Verunsicherung der jungen Männer durch. Und was hat das alles mit dem Salzkammergut zu tun ? Gewiss hat sich Spiel mit dem Schauplatz einen Kumulationspunkt von Schönheiten gesucht. Die Natur erweist sich als majestätisch, die Menschen in Urlaubsstimmung geben sich gelöst, die Freizeitmöglichkeiten bieten Gelegenheit, sich körperlich und geistig fordern zu lassen. Aber St. Wolfgang ist mehr als eine Kulisse, das zeigt sich dann, wenn andere Orte, Salzburg, Linz, Wien ins Spiel kommen. Diese 419 Reich-Ranicki, Marcel : Immer zwischen den Welten. In : Ders.: Reden auf Hilde Spiel, München 1991, S. 82. 420 Spiel, Hilde : Verwirrung am Wolfgangsee, Wien 2011, S. 104.
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Abb. 20 : Idylle im Salzkammergut – St. Wolfgang am Wolfgangsee (1931)
taugen nicht für mehr als allenfalls oberflächliche Durchgangsplätze, in denen es auf nichts ankommt. Erst in St. Wolfgang geraten Vincent und Pierre außer sich, und nur dort finden Therese und Gundel zu einer Form moralischer Leichtfertigkeit, die sie von Konventionen erlöst. Dabei müssen wir den Roman durchaus als Einübung in die Moral auffassen. St. Wolfgang bedeutet eine Auszeit von gesellschaftlichen Verpflichtungen und Konventionen. Am Ende löst sich das überaus keusche Kammerspiel der Emotionen traditionell auf. Die so ratlos Verliebten trennen sich, die Männer reisen zurück nach Belgien. Und wenn ihnen in einem flämischen Dorf zwei Mädchen zuwinken, sind sie für unverfängliche Liebeleien nicht mehr zu haben. »Wir schwiegen und schauten auf das belgische Land.«421 Einem älteren Begleiter der beiden, einer vorwiegend unscheinbaren Figur, kommt die Rolle einer moralischen Instanz zu. Nur für eine kleine Rede, in der er den Standpunkt der Vernunft einnimmt, wird er durch den ganzen Roman geschleppt. Er heiratete eine Frau, deren Schwester er eigentlich liebte, und findet sich damit ab. Sein Resümee : »Zuletzt kann man mit jeder Frau glücklich und unglücklich werden. Was liegt an ihr ! Wenn es nur in uns ist«.422 St. Wolfgang steht für eine Verheißung und eine Gefahr, für ein reizvolles Zwischen 421 Ebenda, S. 145. 422 Ebenda, S. 95.
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spiel der Gefühle. Der Roman ist ein Lob der Unfertigkeit, ein Plädoyer für die Unreife – zur rechten Zeit jedenfalls. Was sich so heiter und unverfänglich liest, hat einen biografischen Hintergrund, der keineswegs harmlos ist. Hilde Spiel ist 23 Jahre alt, als sie am 25. Juli 1934 »die ersten Nachrichten vom Naziputsch«423 erhält und von der Ermordung Dollfuß’ erfährt. »Ich hatte wenig Grund, seinen Tod zu beklagen, und nicht viel Zeit, über die Folgen dieses ersten Versuchs seiner Machtübernahme in Österreich nachzudenken, denn sogleich griff wieder die eigene in die politische Geschichte ein.«424 Spiel ist vollauf damit beschäftigt, mit sich ins Reine zu kommen und ihre Beziehung mit Peter de Mendelssohn, den sie zwei Jahre später heiraten wird, zu klären. Die junge Frau flieht aus Wien nach St. Wolfgang, »wo der Musiker Erich, die Juristin Susi und die Malerin Lisel sich in verschiedenen Pensionen eingemietet haben.«425 Die jungen Leute lernen zwei Belgier kennen, die in Begleitung eines älteren Mannes durch Europa reisen. »Es entwickelt sich in wenigen Tagen ein merkwürdiges Wechselspiel der Gefühle«.426 Hilde Spiel erfindet nicht viel, in ihrem Roman bleibt sie nahe an den Erfahrungen jenes Sommers, der die Stimmung einer Epoche im Umbruch wiedergibt. Für sie selbst ist er nicht mehr als »der kleine Sommerroman«.427 Und doch kündet er von einer Haltung, die von der Ambivalenz der Gefühle Zeugnis ablegt. Bevor die Welt untergeht, stürzen sich die jungen Leute noch einmal in eine kleine Form des Glücks, in der die Schwerkraft der Verhältnisse aufgehoben ist. Der Roman handelt vom Durchatmen in einer Zeit der Ungewissheit und Bedrohung. Kurzfristig schiebt die Autorin die Wolken der politischen Verdüsterung beiseite und stürzt sich in die Frivolität eines ungebunden-lockeren Daseins. Das Salzkammergut bietet sich als ideale Kulisse für solch eine Ausflucht in die Gegenwirklichkeit an. Von den Bedrängnissen, die einem die Großstadt täglich neu liefert, ist hier nichts zu verspüren. In Wien beobachtet Spiel mit Grausen, wie ein jüdischer Student an der Universität blutig geprügelt wird. »Nazikrawalle auch in der Alma Mater.«428 Dagegen nimmt sich das Salzkammergut wie eine Idylle aus, aber eine, der die Zeichen der Vergänglichkeit eingeschrieben sind. Deshalb die Flüchtigkeit der Begegnungen, die Atemlosigkeit des Erlebens, die rasche Erfüllbarkeit der Sehnsüchte. Hier wird dem Leben noch einmal ein Schnippchen geschlagen, bevor die junge Frau nicht mehr anders kann, als sich den politischen Zwängen unterzuordnen.
423 Spiel, Hilde : Die hellen und die finsteren Zeiten. Erinnerungen 1911–1946, München 1989, S. 110. 424 Ebenda. 425 Ebenda, S. 112. 426 Ebenda. 427 Ebenda, S. 122. 428 Ebenda, S. 121.
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Als Gegenstück bietet sich eine Passage aus Karl Kraus’ gewaltigem Drama »Die letzten Tage der Menschheit« nahezu an. Der Moralist meldet sich zu Wort. Hält man Spiels Roman und die Szene von der Ischler Esplanade bei Kraus gegeneinander, meint man direkt zu hören, wie der ältere Griesgram die junge lebenslustige Frau maßregelt. Auf ein paar Seiten unternimmt er nahezu das Gegenteil dessen, was Hilde Spiels leichtfertige Politikignoranz anrichtet. Bei Spiel ziehen die jungen Leute kraft ihrer reinen Lebenslust das Gegenprogramm zu einer sich unheimlich ins Martialische entwickelnden Welt durch. Natürlich haben sie Recht. Kraus weist einer solchen Haltung Fahrlässigkeit nach. Natürlich hat er Recht. Die beiden Standpunkte sind nicht unter einen Hut zu bringen. Um einen von beiden zu kritisieren, muss man ideologisch werden. Bei Kraus herrscht der Ernstfall, der nicht durchgedrungen ist zu den sehr beschränkten Personen, die sich nach Ischl auf Sommerfrische zurückgezogen haben. Was interessiert die Urlauber ? »Es hat aufgehört zu regnen !«, stellt Fräulein Löwenstamm fest, die davon abhängig macht, ob sie den Nachmittag am Nussensee verbringen will : »Wenn es so bleibt, ja, sonst selbstredend zu Zauner !«429 So vernichtet Kraus Fräulein Löwenstamm moralisch. Immerhin findet gerade irgendwo draußen, weit weg von Bad Ischl, das große Morden statt. Selbst dort könnte man etwas mitbekommen, immerhin wird gerade der verzweifelte alte Korngold, um den sich ein paar Leute kümmern, händeringend weggebracht, als er erfährt, dass sein Sohn zum Militär eingezogen worden ist. »Er ist doch nicht gesund ! Er ist doch nicht gesund !«, lauten seine Klagewörter, die ein tragisches Schicksal bedauern. Der alte Korngold ist eine ernsthafte Persönlichkeit, leider umgeben von Idioten. »Bob Schlesinger (Janker, nackte Knie)« und »Baby Fanto (Tenniskostüm)«430 werden schon äußerlich der Lächerlichkeit preisgegeben. Und wenn sie auch noch den Mund aufmachen, ist es um ihren geistigen Ruf vollends geschehen. Kraus bedient sich der Ischler Kulisse, um die Diskrepanz herauszustellen zwischen den katastrophalen Ereignissen einer vermeintlich großen Zeit, von der alle reden, die selbst im geschützten Bereich leben, und der Banalität der »Stützen der Gesellschaft«, denen schon Henrik Ibsen nicht über den Weg traute. In einer anderen Ischler Szene unterhalten sich der Abonnent und der Patriot, zwei Verblendete, die der Propaganda enthusiastisch und vorsätzlich, und komme sie in noch so dürftigem Gewand, auf den Leim gehen. Sie geben vor, die aktuelle Lage zu diskutieren und kommen über die ewige Wiederholung der gleichen Schlagwörter nicht hinaus. Sie geben sich informiert und treten in ihren rhetorischen Leerläufen auf der Stelle. Für sie bietet sich Bad Ischl deshalb als der ideale Ort der Selbstentblößung an, weil sie sich hier, wo sie auf Nachrichten aus der fernen 429 Kraus, Karl : Die letzten Tage der Menschheit. Bd. 2, 5. Auflage, München 1975. S. 104. 430 Ebenda.
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Welt angewiesen sind, außerordentlich geschäftig und wichtig inszenieren, ohne tatsächlich im Besitz besonderer Kenntnisse zu sein. Von »Ausbau und Vertiefung des Bündnisses«431 werden sie nicht müde zu fantasieren, Floskeln, in denen für sie die Großartigkeit der Monarchie geborgen ist. Die Szenen in der Sommerfrische bieten einen wüsten Kontrast zum Ersten Weltkrieg, von dem ständig die Rede ist, der aber unter den Urlaubern keine Realität annimmt. Er ist Motiv für Begeisterung für rhetorisches Außersich-Sein. Damit lässt sich patriotische Gesinnung dokumentieren, ohne sich selbst je der Gefahr aussetzen zu müssen. Ein Mann nimmt sich eine Auszeit. Gerade hat er seine Arbeit als Chefredakteur des Magazins »IQ« verloren, jetzt begibt er sich an den Ort, wo er als Kind mehrere sich in der Erinnerung so verheißungsvoll aufbauende Sommer verbracht hat. Die Natur, das Essen, die sympathischen Menschen, das ist die Kulisse, die er braucht, um zu sich selbst zu kommen. Daniel Käfer aus Alfred Komareks Roman »Die Villen der Frau Hürsch«, dem ersten einer Reihe von vier Bänden, passt nicht so recht in seine Zeit. Er widersetzt sich der Schnelllebigkeit, Flüchtigkeit, Oberflächlichkeit, er kultiviert seinen Begriff von Qualität und erweist sich überhaupt als ein Charakter von Geschmack und Eleganz. Geschwindigkeit und modische Attitüde bedeuten ihm gar nichts, deshalb kommt er mit einem uralten 2CV aus Studententagen gut zurecht. Wenn ihn Alfred Komarek nach Bad Aussee und Umgebung reisen lässt, kommt dem symbolische Bedeutung zu. Das Salzkammergut wird dadurch automatisch geadelt als eine Region für das Besondere. Und alles, was Komarek weiters unternimmt, um Bad Aussee zu charakterisieren, unterstreicht den Nimbus des Vorzüglichen, Außerordentlichen. Das erklärt auch, dass der Roman eine derart gewaltige Anlaufzeit braucht, um überhaupt im Ansatz zum Erzählen einer Geschichte zu gelangen. Bei Lichte besehen wirkt die eigentliche Geschichte dann auch etwas dürftig und gar auf die Gunst des Zufalls angewiesen, der immer dann eingreift, wenn die Geschichte vorzeitig abzubrechen droht. Denn wie Daniel Käfer plötzlich als Urlauber in seine eigene Familiengeschichte eintaucht, in der einer unter mysteriösen Umständen verschwundenen Großtante die Hauptrolle zukommt, ist schwer glaubhaft. Zugegeben, die Geschichte fungiert nur als Köder, um den Leser bei Laune zu halten, der eigentlich die Stimmung und die gesellschaftliche Atmosphäre geliefert bekommen soll. Die Leute sind liebenswürdig, sind mit Schrullen und Ticks ausgestattet, die sie eigenwillig erscheinen lassen. Weil der Roman in die Zeitgeschichte ausgreift, findet Komarek auch Anlass, historische Einschübe zur Erläuterung der Lage im Ort unterzubringen. Dafür ist Eustach Schiller zuständig, ein schrulliger Gast, der als Fremder keinen leichten Stand hat. Ihm kommt die Aufgabe zu, all jene Informationen einzustreuen, die 431 Ebenda, S.136f.
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der Leser braucht, um sich ein Bild von Bad Aussee zu machen. »Also, manchmal meine ich,« sagt er, »dass die alten Strukturen der Salzerzeugung und des Salzhandels für die Ausseer immer noch prägender sind als lächerliche eineinhalb Jahrhunderte Fremdenverkehr.«432 Eine Besichtigungstour mit Herrn Schiller kommt zum Ergebnis, dass die sozialen Strukturen von ehemals in der Gegenwart noch nicht verschwunden sind. »Auf halbem Wege, dort, wo die Beckbrücke die Traun überspannt, ist die Grenze zwischen dem Aussee der Bürger und dem Aussee der Arbeiter. Heute natürlich nicht mehr so streng, aber immer noch deutlich.«433 Deutlich, etwas gar aufdringlich, macht uns Komarek dann am Beispiel der Figuren auf ihren jeweiligen Hintergrund aufmerksam. Der Mann der Wirtin, bei der Daniel Käfer unterkommt, ist ein ungeschlachter, nahezu schweigsamer Kerl, ein in seine Arbeit verbohrter Mensch, an den man nicht herankommt – nicht einmal seine eigene Frau. Auf Verwöhnte trifft man im Milieu der Villenbewohner, und den Redakteur der Provinzzeitung lernen wir als eilfertigen, so engagierten wie informierten Tausendsassa kennen, wie wir uns einen Journalisten schon immer vorgestellt haben. Am besten schneiden die Frauen ab, die in ihrem Eigensinn und ihrer Zielgerichtetheit eine Gegenwelt zu den Männern bilden, die man häufig im Wirtshaus gemeinsam sieht, wo sie ihre Saufrunden absolvieren. Ein seltsamer Menschenschlag ist in Bad Aussee anzutreffen, Typen, die sich nicht scheren um die Welt draußen. Sie verkaufen sich nicht, bleiben unangreifbar in ihrer Eigenart, leben vom Tourismus, und die Gäste haben sich gefällig einzupassen. Nein, Differenzierung ist die Sache Komareks nicht. Er erfüllt Erwartungen und kommt den Ausseern entgegen, wenn er ihren Ort als einen verwunschenen Platz preist, an dem an jeder Ecke etwas Bemerkenswertes lauert. Als »ein wenig dünn« charakterisiert denn auch Evelyn Polt-Heinzl den Roman in ihrer Rezension.434
Verfluchte Zeitgeschichte : Das Salzkammergut als Hölle Wir liegen nicht falsch, wenn wir uns das durch die Literatur überlieferte Salzkammergut als eine Art Super-Österreich vorstellen. Hier tritt in reicherem Maße zutage, was das Land im Ganzen ausmacht, hier treten auch die Konflikte schroffer hervor. Die Landschaft zeigt sich erhabener, die Menschen, je nachdem, wie sie gerade in Szene gesetzt werden sollen, schrulliger, herzlicher, leidenschaftlicher, geheimnisvoller, uriger als die übrigen Österreicher. Das Salzkammergut ist eine literarische Musterregion, die, wenn sie in der Literatur zum Thema wird, Aussagen trifft über ganz Österreich. 432 Komarek, Alfred : Die Villen der Frau Hürsch, Innsbruck 2004, S. 58. 433 Ebenda, S. 59. 434 Polt-Heinzl, Evelyn : Mehr Drehbuch als Roman, in : Wiener Zeitung, 21. Mai 2004
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Franz Kain (1922–1997) war sein Leben lang ein skeptischer Beobachter der Vorgänge in Oberösterreich. 1922 in Bad Goisern in einfachsten Verhältnissen geboren, fiel ihm früh das soziale Ungleichgewicht in der Gesellschaft auf. Bei ihm haben wir es mit einem jener Fälle zu tun, dessen Schreiben aus einer inneren Notwendigkeit, Ungerechtigkeiten beim Namen zu nennen, entsteht. Seine Literatur bleibt nahe am eigenen Erleben und seiner eigenen Biografie. Als Jugendlicher hatte er seine Haltung gefunden, der er ein Leben lang treu blieb. Es gibt keine Brüche in seiner Entwicklung, was sich einmal in seinem Inneren herausgebildet hat, wird in Zukunft nur noch verfestigt und erweitert. »Kain schreibt nur über das, was er kennt, was er erlebt, erfahren oder durch genaues Studium und Recherche sich angeeignet hat. Er schreibt, woran er innerlichen Anteil nimmt.«435 Das Salzkammergut spielt eine zentrale Rolle in seinem Denken, kein Wunder, ist doch der Widerspruch zwischen der Schönheit von Landschaft und Natur und der von Menschen gemachten Geschichte gar zu groß. Auf Versöhnung dieses Konflikts ist Kain nie aus. 1936 trat er der KPÖ bei und arbeitete während der Nazijahre im Untergrund, was ihm eine längere Zuchthausstrafe einbrachte. Nach dem Krieg arbeitete er als Journalist und war als einziges KPÖ-Mitglied im Linzer Gemeinderat vertreten. Die Erzählung »Am Hallstätter See« bringt seine Haltung und sein Salzkammer gut-Bild ausgezeichnet zur Geltung. Der Erzähler tritt als Chronist auf, von sich selbst redet er auf Distanz gehend in der dritten Person. Er fasst den kleinen Lebensraum rund um den Hallstättersee in den Blick und holt weit aus. Die Anfänge der Besiedlung, die weitgehend im Dunkeln liegen, faszinieren ihn ebenso wie die jüngste Geschichte und die Gegenwart. »Wenn man das Vermögen, zwischen menschlich und unmenschlich zu unterscheiden, auch als politische Haltung ansehen will, dann ist Kain ein eminent politischer Autor, doch nie in dem Sinne, dass er seine politischen Meinungen über seine Figuren stülpt, sondern allein durch die Art seines Anteil nehmenden Hinschauens und seine Fähigkeit, eine überzeugende und gültige Geschichte aus den Eigenschaften und Verhaltensweisen von Menschen eines bestimmten Landstrichs und Milieus zu entwickeln.«436 Wenn Kain über die Jahrtausende nach seinen eigenen Vorstellungen verfügt, »liegt einiger Stolz in diesem Blick, … aber auch viel Ratlosigkeit und viele offene Fragen.«437 Aus der Spannung, die Rolle des Kritikers von Machtverhältnissen zu übernehmen und die gleichzeitige Bewunderung über den Menschenschlag, den diese Region hervorgebracht hat, 435 Amann, Klaus : Franz Kain, in : Dallinger, Petra-Maria (Hg.) : Stichwörter zur oö. Literaturgeschichte. Eine Auswahl, 2 (2012), S. 45. 436 Ebenda. 437 Kain, Franz : Am Hallstätter See, in : Ders.: Der Schnee war warm und sanft. Vom Wagnis, Geschichten zu schreiben, Weitra 1989, S. 25.
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erwächst der Eigensinn dieses Schriftstellers. Für den Tourismus ist er nicht vereinnahmbar, weil er, kaum setzt er an, eine Idylle zu verfassen, diese kippt, als unvermutet Konflikte dazwischen funken. Kain fallen Absonderlichkeiten und Ungeheuerlichkeiten auf, und immer bleiben Menschen auf der Strecke, weil sie gerade nicht ins herrschende System passen. Kain lässt sich als Dokumentarist wechselnder Herrschaftssysteme verstehen. Er macht sich stark für die Verlierer der Geschichte. Seine Sprache bleibt knapp, er malt Szenen nicht aus, er belässt es beim dürren Sachverhalt. Wenn er vom Jahr 1734 schreibt, lässt er gerade die nötigsten Informationen von »der Gegenreformation« raus, »die in der Gegend von Hallstatt grausame Nachwehen hatte.«438 Er erwähnt die »Deportation der Protestanten«439 : »Die genaue Zahl der Verbannten wurde nie ermittelt, sie muss in die Hunderte gegangen sein.«440 Wir lernen merkwürdig weltentrückte Menschen kennen, die mit anderen kaum etwas zu schaffen haben wollen, was Inzucht zur Folge hat. Ein evangelischer Pfarrer, der mit einer Jüdin verheiratet ist, lässt sich auf ein gut inszeniertes Schauspiel ein, um ihr Leben zu retten. Als sie abgeholt werden soll, bringt er sie in einem Diakonissenheim in Passau unter und erklärt der Gemeinde, dass sie sich im See ertränkt habe. Man möge für sie beten. »Nach dem Krieg waren ihm Gläubige böse über sein Vorgehen. Dass er einen Selbstmord seiner Frau vorgetäuscht hat, wurde ihm verziehen, nicht aber, dass er für sie hatte beten lassen.«441 Kain zu lesen, bedeutet einzutauchen in die Düsternis der Geschichte. Von Anfang an, als noch gar keine Menschen aufgetreten sind, zeichnet er schon eine Landschaft in Schatten und Finsternis. So beginnt er eine Gegen-Idylle, die nur ein Vorschein dessen ist, was kommt, wenn es Menschen miteinander zu tun bekommen. Warum fällt er auf den Zauber der Gegend nicht herein ? »Er weiß zuviel von ihr.«442 Als Einheimische hat sich Barbara Frischmuth nie von ihren Leuten vereinnahmen lassen. Sie redet den anderen nie nach dem Mund und sucht jene brisanten Geschichtsorte, über die sich Verschwiegenheit gebreitet hat. Frischmuth schreibt davon, dass aus der Idylle das Grauen wächst und dass Täter wie Opfer in unmittelbarer Nachbarschaft hausen. Im Jahr 2012 sind die meisten Illusionen bereits verflogen. Nicht einmal das Salzkammergut, Tourismusregion mit Besonderheitswert, geht noch durch als ein Stück Österreich, in dem die Welt noch in Ordnung ist. Barbara Frischmuth, Jahrgang 1941, lebt in Altaussee, wo sie auch geboren wurde, und hegt starke Zweifel an 438 Ebenda, S. 26. 439 Ebenda. 440 Ebenda, S. 27. 441 Ebenda, S. 41. 442 Ebenda.
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der Idylle, die dem Salzkammergut zugeschrieben wird. Für sie hat die Landschaft ihre Unschuld verloren, weil sie ihr die historischen Bezüge zurückgibt. Das Naturschöne, überzeitlich Reine hat ausgespielt. Gewiss, wenn sie ihre Figuren rausschickt in die Landschaft, ihnen die Berge und Seen, die Wiesen und Pflanzen vorsetzt, werden sie kurzfristig schwach, denn der Macht dieses Eindrucks können sie sich schwer entziehen. Selbst einer sonst so nüchternen Schriftstellerin wie Frischmuth gehen die Augen über, dass sie ins Schwelgen gerät, was sich in einer üppigen Wortwahl bemerkbar macht : »Die Bahn der Sonne setzte immer flacher an, und ihr schräg einfallendes Licht blendete sogar im Inneren des Hauses. Noch gingen Rosenknospen auf, die Gelb-, Ocker-, Bronze- und Kupfertöne der Laubbäume an den Berghängen setzten sich immer leuchtender vom ruhigen Grün der Tannen und Fichten und von der stumpfen Schwefelfarbe der bereits nadelnden Lärchen ab.«443 Einfach schön und durchaus konventionell, nicht weiter aufregend, so könnte man diese Szene mit Blick von der Terrasse des Restaurants »Seehaus« aus dem Roman »Woher wir kommen« abtun. Das stimmt aber deshalb nicht, weil Frischmuth solche Momente der Verzauberung als Kontrastmittel zum Toben der Geschichte braucht, die gnadenlos verfährt mit den Menschen und sich ihre Opfer sucht. Zudem wird die fantastische Kulisse des Salzkammerguts noch dadurch relativiert, dass ein Teil des Romans in Istanbul spielt, wo die Autorin, wenn sie Einzelheiten der Stadt ins Auge fasst, nicht weniger ins Schwärmen gerät. Das Salzkammergut mag als Perle der österreichischen Natur durchgehen, aber in der Türkei eröffnen sich dem Besucher Kostbarkeiten der Kunst, die ihresgleichen suchen. Keine Frage, dass Frischmuth auch dort die politischen Zustände mit Argwohn beobachtet. Das Problem ist der Mensch, der, wo immer er auftaucht, für Unfrieden und Unsicherheit sorgt. Im Roman ruft Frischmuth drei Generationen einer Familie auf, in der von Anfang an das Unglück Einzug gehalten hat. Dieses bricht nicht unvermutet über die Menschen, denn Frischmuth schiebt alle Familienmitglieder als Schachfiguren auf dem Spielbrett der Geschichte herum. Was heißt schon Familie. Eigentlich legt Frischmuth einen Familienroman ohne Familie vor. In allen Generationen brechen die Männer weg, die deshalb auf der Strecke bleiben, weil sie den jeweils aktuellen politischen Verhältnissen Widerstand entgegensetzen. Da mag die landschaftliche Pracht noch so überzeugend und herzerwärmend sein, die Seelen der Menschen vermag sie nicht zu verschönen. Inmitten der Idylle hausen Hinterhältigkeit, Neid und Gier, und wer nicht mitspielt, hat ausgespielt. So sieht die schärfste Antwort auf eine bevorzugt von den Nationalsozialisten in Dienst genommene Ästhetik aus, wonach auf dem Land die Reinheit der Herzen in unverfälschtem Zustand vorzufinden sei. Alles erlogen, befindet Frischmuth, auf dem Land – und sie macht das dingfest am Beispiel Salzkammergut – finden all jene Grausamkeiten statt, an denen die Geschichte so 443 Frischmuth, Barbara : Woher wir kommen, Berlin 2012, S. 328.
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reich ist. Gedeckt werden sie durch einen Konsens der Bevölkerung, für die es selbstverständlich ist, dass Abweichler und Außenseiter ans Messer geliefert werden. Frischmuth denkt in historischen Kategorien, deshalb kommt sie gut ohne besonderen emotionalen Aufwand aus. Ihr ist es daran gelegen aufzuklären und nicht dem schönen Schein auf den Leim zu gehen, der direkt ans Herz greift und einen gar nicht mehr zum Nachdenken kommen lässt. Es gibt keine unschuldigen Geschichtsräume, die unerzählten, weil unangenehmen Geschichten müssen erst aus der Tiefe der Vergangenheit ans Licht gehoben werden. Man denke nur an den Hofrat Emmerich. Als überzeugter Nazi hat er einen Verrat mit tödlichem Ausgang begangen. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs war seine Tochter Lilofee ein junges Mädchen, eine Schönheit, begehrt von den Männern. Sie versorgte heimlich einen flüchtigen Kriegsgefangenen, in dem sie ihre große Liebe sah. Täglich ruderte sie über den See, brachte ihm Lebensmittel, war ihm Gefährtin, Liebhaberin, Verbündete, erwartete gar ein Kind von ihm. Solch ein Verhalten war untragbar für einen wie den Hofrat Emmerich, den Mann der Ordnung. Er sorgte dafür, dass der junge Mann gefasst wurde und im KZ einen würdelosen Tod starb. Nach dem Krieg kam er unbeschadet in die neue, demokratische Zeit. »Dass er den Kerl von der Lilofee der SS übergeben hat, hat ihm weiter keiner übelgenommen.«444 Er stieg auf zum Direktor eines Wiener Museums. Ihm ist der Charakter des rundum angepassten Bürgers eigen, der es sich unter allen Verhältnissen richtet. Er steht für den Typus des Stehaufmännchens der Geschichte, für einen Täter, der keiner sein will, weil er als Befehlsempfänger nichts anderem als seiner heiligen Pflicht nachkommt. Frischmuth hält zu den Frauen. Hofrat Emmerich ist ein Schwein, es gibt nichts zu retten, nichts zu beschönigen. Er wird bestraft durch Lilofee, die ihn keines Wortes mehr für würdig hält. »Wenn er tatsächlich einmal zu Hause war, hat sie nicht mit ihm geredet, nie mehr.«445 Lilofee geht den aufrechten Gang, bleibt unerbittlich und unversöhnlich. Ihr gehören Frischmuths Sympathien, weil sie an ihren moralischen Kategorien nicht rütteln lässt. Damit steht sie gegen den Rest der Bevölkerung, die an alte Geschichten nicht rühren will und sich auf Stillschweigen geeinigt hat. »Seit man weiß, was sogar die Wehrmacht alles angestellt hat, will keiner mehr bei was dabei gewesen sein. Niemand will sich mehr fragen lassen, wie diese Millionen von Menschen zu Tode gekommen sind.«446 So reden Frauen bei Frischmuth im Abstand von vielen Jahrzehnten, um dem Kollektiv der Weißwäscher ihre Skepsis entgegenzuhalten und an ihrer Gegengeschichte festzuhalten. Zwei junge Frauen wandern gemeinsam entlang eines Sees im Salzkammergut und genießen die Reinheit der Natur und die friedliche Stimmung. Und dann fällt 444 Ebenda, S. 338. 445 Ebenda. 446 Ebenda, S. 340.
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dieser Satz : »Ist das der Ort, an dem die Amerikaner Kaltenbrunner festgenommen haben ?«447 Gleich darauf : »Zeigst du mir, wo Eichmann gewohnt hat ?«448 Die Idylle ist nicht zu haben, ohne dass die Katastrophengeschichte des Dritten Reiches mitgedacht wird. Im Roman »Woher wir kommen« wohnt jedem Glücksmoment ein bitterer Beigeschmack inne. Das Glück ist ein kleiner, berauschender Moment, das Unglück aber weist eine dauerhafte, nahezu unverwüstliche Konsistenz auf. Am Beispiel einer Familie im Verlauf dreier Generationen lässt sich das überprüfen. Aber was heißt schon Familie unter diesen zerrütteten Verhältnissen, die all diese Figuren so heftig durchbeuteln. Es häufen sich tragische Todesfälle, die die Frauen des Romans auf das Programm der Desillusionierung einschwören. Den Männern, mit denen sie ihr Leben teilen, ist nicht zu trauen. Das beginnt schon im Zweiten Weltkrieg, als die minderjährige Lilofee das Trauma ihres Lebens erfährt. Ihr V ater, Hofrat Emmerich, liefert den jungen, geflohenen Kriegsgefangenen Oleg ans Messer. Der Bruch zwischen Tochter und Vater ist endgültig. Der erweist sich als ein schmieriger Typ, der sich nach dem Krieg nie rechtfertigen muss und zielstrebig seine Karriere betreibt. Szenen des Verrats ziehen sich leitmotivisch durch den ganzen Roman. Was bedeutet dieser Schuldkomplex für die nächsten Generationen ? Das Erbe Salzkammergut, ein blutiges Erbe voller ungesühnter und ungerächter Geschichten, schlägt wie eine Blaupause durch. Martha zieht mit ihrem Freund Robin durch die Welt, bis sie in Istanbul hängen bleiben. Robin arbeitet als Journalist, die beiden ergänzen sich ausgezeichnet, wieder haben wir eine Idylle, an der dieses Buch so reich ist. Und wieder kippt diese, weil Menschen dafür einfach nicht reif sind und kaputt machen, was nach Harmonie aussieht. Martha und Robin sehen wie ein ideales Paar aus, und dann stirbt Robin beim Aufstieg auf den Berg Ararat. So lautet die offizielle Version. Wurde er Opfer eines politischen Anschlags, zumal er mit einem kurdischen Freund unterwegs war ? Arbeiteten beide als Agenten ? Haben wir es mit dem Fall eines Vertrauensverrats zu tun ? Es bleiben Fragen offen, und wieder weiß eine junge Frau nicht, ob sie ihrem Mann trauen darf und sie ungeteilt teilhaben ließ an seinem Leben. Dieser Beziehung entspringen jedenfalls die Zwillinge Ada und Olli, die sich schwer tun, in ihrem Erwachsenenleben Fuß zu fassen. Olli ist ein Hansdampf und Wichtigtuer, der eine Galerie leitet. Ada stagniert in ihrer künstlerischen Arbeit. Das ist nicht verwunderlich, hat sich doch ihr Lebensgefährte umgebracht, sodass Ada das Gefühl nicht loswird, im Stich gelassen worden zu sein. Es geht tragisch zu bei Barbara Frischmuth, und doch bricht sich immer wieder eine unvernünftig optimistische Grundstimmung Bahn. Das hängt mit dem Urvertrauen zusammen, das Menschen aneinander bindet. Wenn Ada ihrem früheren Ju447 Ebenda. S. 339. 448 Ebenda.
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gendfreund begegnet, liefert sie sich ihm mit Haut und Haaren aus. Die Liebe hält in diesem Buch alles zusammen, sie trägt den Einzelnen über die Jahre, sie leuchtet als Hoffnungsschimmer am Horizont auf. Zwei, die sich einmal gefunden haben, sind nicht zu trennen, nicht einmal durch den Tod. Deshalb wirken jene, die so einsam durch die Welt zu gehen scheinen, so unangreifbar, weil sie den Partner, der ihnen genommen worden ist, als seelisches Stärkungsmittel in sich aufgenommen haben. Zwei, die sich aufeinander eingelassen haben, lässt uns Frischmuth wissen, bilden die wahre Bastion gegen eine ansonsten reichlich unwirtliche Welt. Unverkrampft tritt uns Frischmuth diesmal entgegen, weil sie ihre sonst oft so pädagogisch wertvollen Unterweisungsbemühungen in eine schwer verständliche Gegenwart hintanstellt. Sie verlässt sich ganz auf das Erzählen und schafft Charaktere, die selbst dringend des Haltes bedürfen. Wo kommen bloß die Vorurteile gegen den alten, klapprigen historischen Roman her ? Er ist das naseweise Kind von überschaubarer Lokalgeschichte und einem überkommenen Erzählrealismus, eine auftrumpfend selbstbewusste Stimme spricht aus ihm. In jeder Zeile weiß er Bescheid über die verborgenen Gefühle der Menschen und das unerbittliche Walten des Schicksals, das sich Helden züchtet, Opfer sucht und Täter kürt. Der historische Roman ist die profane Variante des Heldenepos, reich an Handlung und dauerempört über die Intrigenbestimmtheit menschlichen Trachtens. Die große Geschichte tobt über weite Landstriche und ihre Bewohner hinweg, aber im Roman wird sie auf die Handlungs- und Leidensfähigkeit ausgewählter Figuren kleingerechnet. Der gemeine historische Roman ist eine Unterabteilung der Spannungsliteratur, es kommt ihm auf den Unterhaltungsfaktor an, der hehre und pathetische Duktus der Aufklärung ist ihm fremd. Er will etwas beweisen, dass Menschen in früheren Zeiten furchtbare Schicksale erdulden mussten etwa oder dass es einmal starke und mutige Persönlichkeiten gab, die den Mächtigen den Kampf ansagten und nie klein bei gaben. In beiden Fällen sieht unsere heldenlose Gegenwart recht mickrig im Vergleich aus, ist kaum der Aufmerksamkeit wert. Die Gestalten in historischen Romanen wirken wie ausgestopft, sie stehen artig auf Vergangenheit herausgeputzt im Raum und wirken leblos, geistlos gar. Sie führen kein Eigenleben, sondern leben im Auftrag einer höheren Instanz, des Autors, der ihnen dramatische Biografien zumutet. Bücher dieser Art werden verschämt weggeräumt in die Verliese der Literaturgeschichte, wo sie eines Seriositätsnachweises nicht bedürfen und mit dem Krimi und dem Abenteuerroman eine locker-verruchte Existenz führen. Der historische Roman, Schnee von gestern, möchte man meinen, mit ihm sind wir rasch fertig. Und jetzt kommt Benjamin Anastas, ein 1969 in Massachusetts geborener, in Brooklyn lebender Schriftsteller und unternimmt etwas, wozu kein österreichischer Autor heute Energien aufwenden würde. Er schreibt einen historischen Roman aus den Jahren 1931 bis 1938, siedelt ihn in Prag und dem steirischen Grundlsee an und
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rückt eine Gestalt in den Mittelpunkt, die so unscheinbar ist, dass ihr alle anderen, die um sie gruppiert sind, den Rang ablaufen. Ein uninteressanter, beschädigter, passiver Charakter wird zum Helden, der eigentlich ein Fall für die Lächerlichkeit ist. In das Konzept des klassischen historischen Romans passt dieses Buch nicht. Das ist das verwegen Eigenwillige bei Anastas, dass er nicht einfach Liebeskalamitäten in Zeiten der Hysterie abhandelt. Es geht nicht um den einzelnen Verrückten, wenn die ganze Gesellschaft drauf und dran ist, der Verrücktheit anheimzufallen. Sobald sich Anastas Figuren genauer anschaut, sind sie überreizt, ihre Nerven angespannt, die Reaktionen unangemessen. Diese Jahre sind nicht für die Liebe bestimmt. Sigmund Freud thront als Analytiker über der Epoche, in der lauter Menschen mit unaufgeräumtem Seelenleben auffällig werden. Die einen wollen es den anderen noch einmal zeigen, kosten das Leben in vollem Maße aus, die anderen sind geduckt, erwarten Prügel oder lauern auf ihren großen Auftritt in einer neuen, womöglich großen Zeit. Auf der Mauer, auf der Lauer liegen alle, der Argwohn steht zwischen den Menschen. Arno Singer hat nichts zu melden, er ist einer, der immer übersehen wird. Ungeliebt und unbeachtet hat er sich in Prag eingerichtet, wo er unter beengten Verhältnissen mit seiner Mutter und der Schwester zusammenlebt. Er verschmäht die Freundin der Schwester, findet kurzfristig Gefallen an einer jungen Frau, mit der ins Gespräch zu kommen ihm unendliche Schwierigkeiten bedeutet. »Mode ? Politik ? Filme ? Auf diesen drei Gebieten und überhaupt allen, die ihm einfielen – außer Faltern und Schmetterlingen, mit denen er in der Vergangenheit nie Glück gehabt hatte –, kam sich Arno herzlich unwissend vor.«449 Im Urlaub verreist er nach Grundlsee, wo tatsächlich Aufregung in sein karges Dasein kommt. Eine Amerikanerin tritt in sein Leben, die erste Frau, an der er leidenschaftlich Feuer fängt, und deren spärliche Vertrauensbeweise er bei Strafe des Selbstbetrugs für Liebe zu nehmen bereit ist. Im Vordergrund steht das Abenteuer eines unaufgeregten, verschlossenen Lebens, im Hintergrund ereignet sich Weltgeschichte. Die Jahre, die Europa von Grund auf verändern, sind angebrochen, kommen aber nur dürftig ins Blickfeld. Benjamin Anastas bleibt nahe am Erleben und Empfinden seines Helden. Arno weiß wenig von der Welt, der Erzähler schmückt diesen engen Erfahrungsraum nicht aus, füllt Wissenslücken nicht beflissen auf. So hat Benjamin Anastas einen historischen Roman geschrieben, in dem Geschichte mit somnambulem Gleichmut aufgenommen wird. Der Horizont verdüstert sich, in Deutschland haben die Nationalsozialisten die Herrschaft ergriffen, Österreich befindet sich in höchster Gefahr, aber dieser antriebslose kleine Mann hegt und pflegt seinen Mutterkomplex und lässt die Ereignisse der Zeit kaum jemals an sich herankommen. Er, verletzt im Innersten, ein 449 Anastas, Benjamin : Am Fuß des Gebirgs, Salzburg/Wien 2005, S. 178.
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Wrack, das sich die Neurosen von einer Psychotherapeutin im Sinne Freuds weganalysieren lässt, bleibt unberührbar gegenüber den historischen Umbrüchen. Das Drama im Inneren erweist sich als derart mächtig, dass ihm die Stürme seiner aufgewühlten Seele jede Aufmerksamkeit abverlangen. Geschichte ist bei Anastas nichts, was der Vernunft zugänglich wäre, Geschichte ergießt sich als Sturzbach über die Menschen. Fassungslosigkeit ist die Arno gemäße Art, auf die Veränderungen zu reagieren. Mit einem Mal ist Prag zu einer Stadt geworden, in der zahlreiche Deutsche, Flüchtlinge vor den Nazis offenbar, zum verstörenden Straßenbild gehören. Die Weltwirtschaftskrise hat Arnos »Generation die erste Gelegenheit genommen, ihren Weg in die Welt zu machen«.450 Studenten wandeln sich auffallend, schließen sich verschwörerhaft zu dubiosen Gruppierungen zusammen. Geschichte findet an Nebenschauplätzen statt, dort, wo weder Entscheidungen getroffen werden noch sich die Ereignisse überstürzen. Ein Stimmungsgemenge aus Aufgeregtheit, Sorge und Fatalismus deutet die Erwartung auf dramatische Veränderungen an. Es liegt etwas in der Luft, Politik wird zu einer Sache der Atmosphäre, handfeste Argumente für eine Umwertung der gesellschaftlichen Wirklichkeit liefert der Roman nicht. Alles, was geschieht, ist auf die enge Lebenswelt Arnos abgestimmt. Nachrichten verändern sein Bewusstsein nicht, aber Begegnungen, in denen eine neue Feindseligkeit aufblitzt. Ein Grundkonflikt zeichnet den Roman aus : Ein Einzelner entwickelt Aversionen gegen eine Gesellschaft, die sich zunehmend radikalisiert. Das besondere Kunststück, das Anastas gelingt, ist das Erzählen von Geschichte als Psychopathologie eines verstörten Charakters. Arno legt sich schon in jungen Jahren, da er »nur ein matter Abglanz des glücklichen, sorgenfreien Kindes« ist, »das seine Mutter mit dem Brahms’schen Wiegenlied ins Leben zu locken gehofft hatte«451, auf den Boden der Familienloge, um dem Ansturm der Oper gewappnet zu sein. Er steht unter Waschzwang, verträgt keine Menschen um sich. Er schottet sich ab in einer Zeit, die rundherum dem Kollektiv den Vorzug gibt. Feste bleiben Arno verhasst, deshalb entzieht er sich dem Gaudium und repariert lieber Radios. Mit dem Grundgefühl Angst ausgestattet, zieht er es vor, sich unsichtbar zu machen und sich in der Freizeit der Schmetterlingskunde zu widmen. Zeitgeschichte kommt im Gewand eines Entwicklungsromans, der am Ende jedoch nicht mit einer Lehre aufzuwarten vermag, wie der rechte Weg in die Gesellschaft vonstattengehen möge. Nie taugt Arno als Vorbild. Er darf als geheilt gelten im medizinischen Sinn, weil er sich nach einer Therapie halbwegs in die Gesellschaft zu integrieren vermag, aber den Status des Sonderlings wird er nicht los. Wenn es ihm gelingt, rechtzeitig in die USA zu fliehen, ist das nicht seiner Aufgewecktheit 450 Ebenda, S. 64. 451 Ebenda, S. 17.
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zu verdanken, sondern fremder Unterstützung. »Das Fortgehen lag ja, wie der Fliederduft, schon in der Luft, doch nach dem Anschluss im März hatte sich die Lage verschärft : Jetzt stank die Luft davon.«452 Man sieht : Mit diesem Buch liegt der Sonderfall eines enthistorisierten historischen Romans vor. Die Gemengelage der Stimmungen und Gefühle, der Widerpart der Vernunft, nebelt den gesamten Roman ein. Arno ist jener Durchschnittstyp, »der sich weder um Politik noch um studentischen Klatsch kümmerte«453 und zur Analyse der Verhältnisse nicht willens noch fähig ist. Nie kommt es ihm in den Sinn, seine jüdische Identität zu reflektieren. Er ist der tumbe Tor, auf den Wirklichkeit einstürzt und der er nichts entgegenzusetzen hat. Die Welt brennt, und Arno bekommt es nur am Rande mit. Minimale Ausschnitte des Weltgeschehens, und nicht einmal die wichtigen, gewährt Anastas seinen Lesern. 1933 wird auf den österreichischen Kanzler Engelbert Dollfuß ein Attentat verübt, das er mit Glück überlebt. »Ich möchte bekräftigen, dass ich heute durch Gottes Fügung einem schweren Unheil entronnen und dass ich körperlich frisch und munter bin«,454 lässt er bald darauf in einer Radioansprache verlauten. Vom tödlichen Attentat im Juli 1934 ist bei Anastas nichts zu lesen. Das entspricht ganz und gar der Wahrnehmung Arnos. Der Tod ist eine politische Realität geworden, doch Arno reduziert ihn auf eine existenzielle, allgemeingültige Größe. Die Angst geht um, auch in der Ferienidylle in Grundlsee. Die Gäste bannen ihre Sorge in einer Art Ritual, einem »Diktatorenball«. So werden Hitler, Mussolini, Franco als Popanze zumindest für den Augenblick dingfest gemacht und des Machtanspruchs entledigt. Alle spielen mit, einer schert aus. Das abweichende Verhalten ist das eigentlich plausible Auftreten einer Persönlichkeit, die mit Politik nichts am Hut hat. Das ist ein Roman der großen Gefühle, denen alles Gute und alles Schlimme zuzutrauen ist. Am Ende befindet sich Arno an der Reling des Schiffes, das ihn nach Amerika bringen soll. Grundlsee ist Vergangenheit, steht für eine Zeit, in der die Politik der Gefühle die miesesten Eigenschaften in den Menschen zum Vorschein brachte. Eine Spielart von Zeitgeschichte kommt mit Christoph Ransmayrs Roman »Morbus Kitahara« ins Gespräch. Manchmal ist vom Salzkammergut die Rede, ohne dass das Salzkammergut auch gemeint ist. Es werden hier Geschichten angesiedelt, die von universeller Gültigkeit sind, über die Region hinausweisen. Dann gibt die Landschaft die Kulisse ab für eine politische Konstellation, einen historischen Augenblick oder die Sicht einer Generation auf die Welt. Christoph Ransmayr und Hilde Spiel 452 Ebenda, S. 438. 453 Ebenda, S. 65. 454 Ebenda, 196.
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erzählen von brisanten Momenten, in denen etwas Altes aufgehört hat zu existieren und etwas Neues sich noch nicht hat durchsetzen können. Als Christoph Ransmayr im Jahr 1995 seinen Roman »Morbus Kitahara« veröffentlichte, tilgte er die Spuren, die ihn hätten allzu auffällig im Salzkammergut verankern können. Ein Junggermanist schreibt etwas ratlos über seine Leseerfahrungen, die er gemeinsam mit einer anderen Junggermanistin gemacht hat : »Christine hatte die Geschichte von Moor in einer deutschen Kleinstadt situiert, während ich sie in meiner Vorstellung eindeutig in den Alpen ansiedelte.«455 Von einer »imaginären Topographie des Romans«456 spricht auch Gustav Seibt in seiner Rezension, und macht dann doch konkret »ein Alpental mit hochsymbolischer Topographie«457 als Ort des Geschehens aus. In einem Essay aus dem Jahr 2011 bringt Karl Wagner die Landschaft unmissverständlich mit der Gegend um das ehemalige KZ Ebensee, einem Außenlager von Mauthausen, in Verbindung.458 Einigkeit herrscht darüber, dass es sich um einen Roman handelt, der vorwiegend die schrecklichen Seiten im Menschen hervorholt. Das zeigen schon die Überschriften der Titel in den Rezensionen, die jeden Optimismus abtöten : »Verfinsterung des Blicks« (Ulrich Baron)459, »Die Verdunkelung des Blicks« (Christoph Janacs)460, »Verfinsterung des Blicks« (Christoph Hirschmann)461, »Krieg, Finsternis« (Martin Halter)462, »Der blinde Fleck« (Irmtraud Gutschke)463, »Morbus Kitahara verfinstert den Blick« (Erna Lackner)464, »Lilith in der Finsternis« (Meinhard Michael)465, »Ein Monolith der Düsternis« (Brita Steinwendtner)466, »Lauter Blinde« (Kay Sokolowsky)467. Das Motiv der Schwärze und der Finsternis spielt auf den Titel »Morbus Kitahara« an, der eine Augenkrankheit meint, die zur allmählichen Erblindung führen kann. 455 Metamorphosen gelingen dort, wo die Vorstellungskraft groß und die Haut des Einzelnen dünn ist. Christine Abbt und Thomas Wild denken, sprechen und schreiben im Dialog mit dem Roman »Morbus Kitahara«, in : Wilke, Insa (Hg.) : Bericht am Feuer. Gespräche, E-Mails und Telefonate zum Werk von Christoph Ransmayr, Frankfurt a. M. 2014, S. 197 f. 456 Seibt, Gustav : Der Hundekönig. Christoph Ransmayrs Roman vom Totenreich, in : Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. September 1995. 457 Ebenda. 458 Neue Zürcher Zeitung, 6. August 2011. 459 Die Neue Gesellschaft, Frankfurter Hefte, 11 (1995), S. 1046. 460 Literatur und Kritik, 30/299–300 (1995), S. 99–101. 461 News, 37 (1995). 462 Tages-Anzeiger, 9. Oktober 1995. 463 Neues Deutschland. Literaturbeilage zur Frankfurter Buchmesse, 15./16. Oktober 1995. 464 Frankfurter Allgemeine Magazin, 13. Oktober 1995. 465 Dresdener Neueste Nachrichten, 10. Oktober 1995. 466 Literatur und Kritik, 30/299–300 (1995), S. 96–99. 467 konkret, 2 (1996), S. 48f.
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Damit ist der Grundton gelegt. Das Salzkammergut als Ort der radikalen Auslöschung des Menschen und seiner Ideale ist neu. Selbst die Natur, so mächtig und furchteinflößend sie sich bei anderen Autoren auch durchzusetzen vermag, bekommt bei Ransmayr etwas gänzlich dem Menschen feindlich Gesinntes. Man meint, dass sie die Kampfansage des Menschen angenommen hat und grauenhaft zurückschlägt. Warum also das Salzkammergut ? »Wenn ich mich etwa entscheide, für die Kulissen meines Romans Erinnerungen, Bilder aus der Realität meines Heimatortes mit den Stufen eines tatsächlich existierenden Steinbruchs heranzuziehen, dann sieht es in meiner Geschichte eben so oder so ähnlich wie in den Kulissen meiner persönlichen Geschichte aus, weil ich dort die meisten Erfahrungen gesammelt habe mit einer Landschaft, die ich für diese bestimmte Erzählung brauche.«468 Es geht nicht um den konkreten Ort und die Abbildung, »das ist ein Prozess der Verwandlung […]. Ich erzähle dann nicht von einem erfahrenen, sondern erschaffenen Ort«.469 Die Geschichte ist Fiktion auf der Basis historischer Geschehnisse, der Ort aber entspringt der Beobachtung : »Meine Absicht war, eine plausible Landschaft zu entwerfen, eine Bühne der Grausamkeit wie der Sühne. Die plausibelste Landschaft ist aber immer die, in der Dinge, wie sie sich in meinem fiktiven Moor zutragen, tatsächlich geschehen sind.«470 Das Salzkammergut wird zum Ransmayr-Land. Es speist sich aus der Geografie ebenso wie aus der Fiktion. Die Region wird nicht nur abgebildet, sondern umgedeutet und neu ausgestattet. Sie muss zu jener Stimmungslage passen, auf die sich der Roman eingeschworen hat. Für Spurensucher im Regionalen stellt sich eine Unschärfe ein, die nicht zu klären ist. Darauf weist Harald Gschwandtner hin, wenn er beobachtet, wie in der Sekundärliteratur der fiktive Ort Moor von den einen mit dem noblen Ort Gmunden ebenso gleichgesetzt wird wie von anderen mit dem wesentlich dürftiger ausgestatteten Ebensee.471 Die »Schlafende Griechin«, eine Felsformation östlich des Traunsees, wird im Buch zum Dampfer auf dem See bei Moor. Ransmayr betreibt mit dem Roman »Morbus Kitahara« Geschichtsschreibung der Fantasie. Er hält sich an Fakten, bezieht sich auf Dokumente und verlässt sich auf die Überlieferung, nur um diese hinter sich zu lassen mit einer Erzählung von der Unberechenbarkeit des Menschen, dessen Bereitwilligkeit zu Gewalt und Terror und dessen Suche nach Gemeinschaft. Großes Vertrauen wird man nach Lektüre des Romans in die Fähigkeit des Menschen, mit dem Erbe der Aufklärung ernst
468 Das Menschenmögliche zur Sprache bringen. Ein Gespräch mit Christoph Ransmayr über die Durchmusterung des Himmels und die äußersten Gegenden der Phantasie. In : Wilke (Hg.), Bericht am Feuer, S. 47. 469 Ebenda, S. 48. 470 Ebenda, S. 49. 471 http://www.stifter-haus.at/lib/publication_read.php ?articleID=259, abgerufen : 18. Dezember 2014.
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zu machen, nicht gewinnen. Ransmayr verkehrt die Idylle und Geschichtsseligkeit des Salzkammerguts in das Gegenteil einer apokalyptischen Untergangsvision. Eine paranoide Gesellschaft ist übrig geblieben, und alle sind damit beschäftigt, sich gegen die Übermacht der Geschichtsmacht zu behaupten. Die einen sind Opfer der Vergangenheit, die anderen Täter, gut geht es weder den einen noch den anderen.
Natur und Alltag : Berge, Seen und dazwischen Land Auf meinem Schreibtisch kriechen Ameisen. (Barbara Frischmuth : Tage und Jahre) Vorbei die Zeiten, als man in der Literatur die Natur noch ungestraft anhimmeln durfte. Sie hat längst ihre Unschuld eingebüßt, und wer in seinen Texten angesichts der Pracht der Natur in Jubel ausbricht, hat schon verloren. Er wird als hoffnungslos rückständig gebrandmarkt werden, weil Natur heute nicht mehr den reinen Gegensatz zu Zivilisation und Kultur darstellt, sondern selbst Spuren des Menschen aufweist, der diese seinen Zwecken dienstbar gemacht hat. Wer in die Natur blickt und darüber beschaulich wird, vergisst die Geschichte, in der Mensch und Natur ein Oppositionspaar sind, das es auf ein gegenseitiges Kräftemessen anlegt. »Ein Grundmotiv bei der Wahl regionaler Themen in der Literatur ist bis heute die vermeintlich größere Nähe der ländlichen Welt zur Natur, von der man sich schmerzlich entfremdet fühlt«, schreibt Norbert Mecklenburg, der ausführt, dass dem »schreibenden Bürger« schon im 18. Jahrhundert angekreidet wurde, wenn er das Land allenfalls von »Lustfahrten« kennen gelernt habe und »nicht als sozialen Raum«.472 Wenn Barbara Frischmuth im zweiten Teil des Bandes »Tage und Jahre« Momente einer Kindheit lebendig werden lässt, spielt die Natur eine Hauptrolle. Natur besteht nicht für sich, sie wird als ein Raum gedeutet, der aus den Menschen etwas macht und mit dem die Menschen etwas machen. Markante Erscheinungen bekommen Namen. Das »Massiv des Toten Gebirges«473 wird genannt, Loser und Trisselwand, der Oster-See, der Augst-See, der Ort, dessen Lage topografisch genau beschrieben wird, ist Altaussee. Um zu verhindern, dass sich der Leser allzu sehr einnistet in die Beschaulichkeit dieser so heimeligen Welt, baut Frischmuth Stolpersteine ein. Die Geschichte fordert ihren Tribut und formt aus der naturschönen Anlage gefährliches Gelände. »Während der Besatzungszeit gehörte der Ort
472 Mecklenburg, Norbert : Regionalismus und Literatur. Kritische Fragmente, in : Grimm, Reinhold/Hermand, Jost : Basis. Jahrbuch für deutsche Gegenwartsliteratur, Frankfurt a. M. 1979, S. 22. 473 Frischmuth, Barbara : Tage und Jahre. Sätze zur Situation, Salzburg 1971, S. 60.
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zur amerikanischen Zone.«474 Solch ein Satz unmittelbar nach der Beschwörung der mächtigen und prächtigen Bergwelt nimmt allem berauschend Schönen die Glaubwürdigkeit. Subkutan lauert Gefahr, sie ist allzeit vorhanden, nur im Augenblick nicht zu sehen. Die Nazigeschichte wird mitgedacht. »Die Sage, dass in der BlaaAlm ein Teil des Nazi-Goldschatzes vergraben wäre, hat sich lange gehalten.«475 Wenn einem Tag »eine Art von in sich geschlossener Vollkommenheit«476 zugestanden wird, dann nur um den Preis eines Kontrasts, der automatisch mitgedacht wird. Sobald Gefahr, die von den Menschen droht, ausgespart wird, dann lauert sie gewiss in Form eines Naturungemachs. »Meist zieht ein Gewitter auf, das in dieser Gegend sehr heftig auszufallen pflegt.«477 Der Naturraum als sozialer Raum, wie ihn Norbert Mecklenburg fordert, wird bei Frischmuth ernst genommen. »Und man hat diesen Ort am Hals«478, heißt es einmal, was einem Aufstöhnen gleichkommt, sich seiner Geschichte, die so eng mit der Natur verbunden ist, nicht entledigen zu können. Natur für die Einheimischen bedeutet etwas anderes als Natur für die Gäste oder »Sommerfrischler«, wie sie lange heißen. Diese schert tatsächlich der von Geschichte verseuchte Boden wenig. Sie suchen Erholung, das genügt. Und so sieht man sie bei Frischmuth als gelassene Personen, die froh sind, wenn sie ihre Ruhe haben, Ausflüge unternehmen und ihre Kinder unter fremder Obhut zurücklassen. Sie tun tatsächlich so, als dürfe man sich als von außen kommend sich seiner Unschuld gewiss sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg tun sich Autoren schwer, Natur zu loben. Es gibt keine ungebrochene Zuneigung mehr, auch wenn sich Autorinnen und Autoren von Landschaft betören lassen. Galt Naturlyrik nach dem Krieg als Eskapismus, wurde die Natur seit den späten Siebzigerjahren als vom Menschen bedrohter Raum gedeutet. Wendete man sich also Naturbeschreibungen zu, wurde gleichzeitig auf die Gefährdung der unbebauten Landschaft und der Wildnis aufmerksam gemacht. Wie nähert sich Julian Schutting dem Phänomen Salzkammergut ? Über sieben Seiten erstreckt sich das Gedicht »Oktobertage in Altaussee« aus dem Band »Das Eisherz sprengen«479, hat also mit Verknappung und Verdichtung, Eigenschaften, die der Lyrik zugesprochen werden, nichts im Sinn. Schutting ist ein ausschweifender Dichter, der, hat er sich einmal auf eine Spur gesetzt, dieser auch noch in ihren Verästelungen folgt. Er geht als großer Liebender vor, dem nicht nur rasch das Herz aufgeht, es geht ihm auch noch über bei all der Intensität der Erfahrung, die auf ihn
474 Ebenda, S. 62. 475 Ebenda, S. 63. 476 Ebenda, S. 89. 477 Ebenda, S. 63. 478 Ebenda, S. 108. 479 Schutting, Julian : Das Eisherz sprengen, Salzburg 1996.
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einströmt. Es geht ihm mit einer Geliebten so wie mit der Gegend um Altaussee, die er mit den Augen eines Liebenden betrachtet : »Welche von ferne Geliebte / könnte in ihren Bann ziehen so sehr deine Blicke / wie die seit langem geliebte, von dieser Seite / dir unbekannte Dachsteingruppe ?«480 Etwas Schwärmerisches spricht aus dem Gedicht, ein Überschwang an Glück und Zuneigung, ganz wie es den Gefühlen eines Liebenden entspricht, der im Bann seiner Leidenschaft nicht mehr Herr seiner Sinne ist. Doch Schutting – so tollkühn vermag er sich gar nicht zu stürzen ins Abenteuer der Liebe, als dass er nicht als Autor vorginge, der sich der sprachlichen und formalen Möglichkeiten sehr bewusst ist – verfügt auch über eine ironisch schulterzuckende Art, mit Traditionen umzugehen. Seine Vorgangsweise, das lässt sich an diesem Gedicht gut nachweisen, neigt zur ambivalenten Behandlung der Welt. In seinem Lebensgefühl finden die Bewunderung von Größe, Anmut und Schönheit ebenso Platz wie die heiter-saloppe Weise, der Erhabenheit die Banalität der Gewöhnlichkeit zur Seite zu stellen. Der Witz entsteht aus dem Paradoxon, einen Gebirgszug wie die Dachsteingruppe genauso zu lieben wie einen Menschen. Würden wir das Gedicht eins zu eins nehmen, so wie es uns die Worte nahelegen, wäre dies ein Beitrag zu »der Denkmalhaftigkeit der literarischen Werke«, die es für Dieter Wellershoff mit Blick auf die Lyrik Rolf Dieter Brinkmanns unbedingt zu vermeiden gilt.481 Dabei stehen Schuttings Herzensergießungen nach dem ersten Eindruck da als ehernes Monument einer Wahrheit, die einem heute jedoch niemand mehr abkauft. Deshalb diese Doppelbödigkeit, die Unverfrorenheit, die dem Gewicht einer übermächtigen Hingabe die Schwere nimmt. Schutting personalisiert das Gebirge, lädt es gar mit erotischen Attributen auf, wertet es zu einem weiblichen Wesen um : »und du siehst sie unter Wolkendecken nackt schlafen«. Es stellt sich sogar so etwas wie Eifersucht ein bei dem Gedanken, jemand anderer, ein Wanderer vielleicht, möge »der aus Stein und Eis Gemachten« ansichtig werden. Alles wahr, alles erlogen, das ist das Doppelspiel, das Schutting mit seinen Lesern treibt. Das Liebesphänomen, dem Wahn nicht unähnlich, ist heillos überzogen und outriert. Dennoch bedeutet das nicht, dass diesem lyrischen Ich in Verzückung kein Wort zu glauben ist. Die Darstellung der Natur trägt durchaus sachliche Züge. Alles, was gepriesen wird, lässt sich in der direkten Anschauung überprüfen, ist mit dem Gedicht als Führer durch die Gegend auf eigene Faust zu erkunden. Lärchenwald und Gletscher, die Spiegelung des Massivs im Gosausee und Felsbänder, alles ist vorhanden und die Pracht nicht zu bestreiten. Die Reaktion darauf macht das Gedicht erst zu einem zweifelhaften Unterfangen. Schutting liefert eine zeitgemäße Spielart der Skepsis, ohne die ein Naturgedicht heute schwer zu haben ist, indem er 480 Ebenda, S. 51. 481 Wellershoff, Dieter : Alltäglichkeit, in : Frankfurter Allgemeine Zeitung. Bilder und Zeiten, Mai 2007, S. Z4.
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das lyrische Ich zum Narren macht, ohne die Natur selbst zu diffamieren. Sie bleibt unangetastet mächtig. Ein ungeheurer Detailreichtum zeichnet das Gedicht aus, das den Dachstein in immer neuen Variationen ins Bild rückt. Das Besondere an diesem Objekt der Begierde ist seine Wandlungsfähigkeit. Es verändert sich unter verschiedenen Witterungsverhältnissen und nimmt einen anderen Charakter als Spiegelung im See oder im Fenster an. Die Faszination des Beobachters bleibt über den längeren Zeitraum, den wir ihm folgen dürfen, ungebrochen. Doch die Erhabenheit, die vordergründig inszeniert wird, steht auf tönernen Füßen. Julian Schutting kommt von außen. Er wurde in Niederösterreich geboren, lebt in Wien und reist allenfalls als Besucher ins Salzkammergut. Für ihn wird rasch zur Sensation, was einem Einheimischen selbstverständlich ist. Wenn Schuttings Puls in die Höhe schnellt, bleibt so jemand wie Hans Eichhorn gelassen. Eichhorn lebt als Fischer und Schriftsteller am Attersee, das Salzkammergut macht sein Leben aus. Für ihn gibt es keinen Grund zur Aufregung, gehört die Prachtkulisse doch zu seinem Alltag. Das heißt dennoch nicht, dass er der Gegend gleichgültig begegnet. Wenn Schutting unter Eindruck der mächtigen Naturphänomene steht, für ihn der Ausnahmezustand das Wesen des Salzkammerguts ausmacht, bleibt Eichhorn ganz bei sich und ist dem Alltag verhaftet. Er verkehrt das Besondere ins Gewöhnliche und nimmt seinen Tagesrhythmus als das Maß, dem er die Erscheinungen der Natur unterordnet. Er ist die Instanz, die ordnet und die Welt, in der er sich aufhält, definiert. Dann verschieben sich die Wertungen, und er lässt sich vom Imposanten nicht erdrücken. Die Schönheit seiner unmittelbaren Lebenswirklichkeit ist für ihn Teil einer Normalität, die ihn nicht in Verzückung zu bringen vermag. Das drückt sich schon durch die Sprache aus, die keiner Verzauberung Vorschub leistet. Die Gegend um den Attersee wird ihm zu einer Region, die von harmlosen Problemen und durchschnittlichem Kleinkram heimgesucht wird wie jeder andere Landstrich in Österreich auch. Das Salzkammergut nach Hans Eichhorn ist ein Teil österreichischer Normalität. In seinem ersten Gedichtband »Mein Zimmer als voller Bauch«482 von 1993 stoßen wir auf einen Autor, dem Aufregungen fremd sind. Wie denn auch, bleibt er im Gedicht »Dickhäuter, forsythiengelbe Flucht«483 auf dem Boden – im wörtlichen Sinn sogar. Er schreibt von den »asphaltierten Wegerln«, die sich durch einen »Gartenraum« schlängeln, Schüler gehen lachend durch »das lauernde Grün«, Wäsche flattert im Wind, ein Dreiradler scheppert irgendwo, banaler könnte sich eine Alltagsszene nicht präsentieren. Andere schauen weg ob des Nichtigkeitscharakters dieser Allerweltsereignisse, doch gerade hier hakt Eichhorn ein, weil sie ihm treffend erscheinen für die Gegend, die er so gut kennt. Er treibt seinem Gedicht jedes 482 Eichhorn, Hans : Mein Zimmer als voller Bauch, Salzburg 1993. 483 Ebenda, S. 30.
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Pathos, jeden Hang zur Größe oder Übersteigerung aus, hier findet Normalität statt und nichts anderes. Das Grün, das Prinzip Hoffnung eines jeden Naturgedichts, entpuppt sich als »das lauernde Grün« und geht nur noch als »hingetupftes Requisit« durch. Die Natur wurde deutlich in ihre Schranken verwiesen, sie darf sich keineswegs aufdrängen, hat gefälligst auf Abstand zu gehen von den Menschen, die die eigentlichen Herren sind, und seien es auch nur Schüler, die noch nicht viel zu sagen haben. Aber ihnen gehört immerhin eine »zähneblitzende Zukunft«. Da mag sich die Natur noch so anstrengen, im Areal, wo sie gezähmt wird, bekommt sie keine Chance, sich durchzusetzen. Sie hat einem Gefälligkeitsbegehren der Menschen zu gehorchen, mehr ist unerwünscht. Am Ende tilgt das Gedicht jede Hoffnung des Lesers, es könnte doch noch etwas Bedeutsames stattfinden, gnadenlos : »Genau in diesem / Moment schnäuzt sich das Kind und steckt / das Papiertaschentuch in den Hosensack.«484 Eichhorn tritt keineswegs als beinharter Kritiker der Verhältnisse in Erscheinung, der uns das Fürchten lehrt. Er benennt nur, was er sieht, und was ihm unangenehm ins Auge sticht, zeichnet er auf, ohne es einem Kommentar zu unterwerfen, der selbst die Interpretationshoheit über das Gedicht ergreift. Das ist das Vertrackte an der Poesie des Hans Eichhorn, dass er als sanftmütiger Zeitgenosse den Eindruck erweckt, als wäre alles in der besten Ordnung, und dann schaut man sich seine Lyrik etwas genauer an und verfällt in einen unerwarteten Schrecken. Nichts weist darauf hin, dass wir uns in einer besonderen Region befinden, hier wird der Kult der Gewöhnlichkeit gefeiert. Und warum muss ich wissen, was sich an Beiläufigem, durchaus Verwechselbarem ereignet ? Eichhorn betreibt lyrischen Gegenzauber zu einer hochgezüchteten Postkarten-Idylle, um Illusionen von einer idealen Wirklichkeit entgegen zu arbeiten. Mit Hans Eichhorn wird das Salzkammergut, insbesondere die Attersee-Region zu einem Gebiet, für welches die Exklusivitäts-Hysterie unangebracht ist. Schön ist das und ausgesprochen erfrischend zu lesen.
Im Inneren der Gesellschaft : Politische Realitäten Ich wühlte und grub in den alten Geschichten, in Beziehungen, Leben, die anderen gehörten, die mich nichts angingen und die ich nicht verstand. (Ulrike Kotzina : Staudamm) Adalbert Stifter kam von außen, wenn auch nicht von ganz so weit wie die großstadtgeprägten Wiener aus dem intellektuellen Milieu. Der Umgang mit der Natur war ihm vertraut, die Wildnis als Gegenstück zur handzahmen Zivilisation kannte er aus 484 Ebenda.
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eigener Anschauung des Böhmerwalds. Als 1852 seine Erzählung »Bergkristall« als Teil der Sammlung »Bunte Steine« erschien – eine frühere Fassung wurde in mehreren Teilen in einer Zeitung vorabgedruckt –, wurde er während eines Besuchs beim Alpinisten und Forscher Friedrich Simony in Hallstatt auf den Stoff aufmerksam gemacht. Zwei Kinder verirren sich am Heiligen Abend bei dichtem Schneetreiben im Gebirge und werden erst am nächsten Tag von einem Suchtrupp des Dorfes gerettet. Nicht dass Stifter für ausgesetzte Bergtouren zu haben gewesen wäre, er »verdankt Friedrich Simonys Schriften viel für die in höheren Lagen angesiedelten Naturschilderungen seiner Werke.«485 Ein rundum wildes, an die Dachsteingegend erinnerndes Land stellt Stifter seinen Lesern vor. Die Natur dominiert die Leute, die auf Gedeih und Verderben von ihr abhängig sind und ihrem sanften Wüten nichts entgegenzusetzen haben. Das Schneetreiben, so wie es in der Erzählung beschrieben wird, hat nichts Gewalttätiges an sich. Sanft und unnachgiebig schränkt es den Handlungsspielraum der Kinder ein. Die fügen sich in das Unvermeidliche, sie bleiben stark angesichts der lebensbedrohlichen Lage, in die sie geraten sind, weinen nicht, jammern nicht, führen einen stillen Kampf, um nicht unterzugehen. Unschuldige Kinder werden bei Stifter selbst wie ein Stück Natur behandelt. Stifter ist ein Spezialist für das Unheimliche in einschmeichelnd-sanftem Tonfall. Er kennt nicht nur die Gefahren der Natur, er tänzelt auch souverän über die Abgründe der Menschennatur. Die Abgeschiedenheit von Tälern im Dachsteingebiet eignet sich besonders, um die Engstirnigkeit ihrer Bewohner vor Augen zu führen. Ein zu einigem Wohlstand gekommener Schuster aus Gschaid heiratet die schöne Tochter des reichen Färbers aus dem Nachbarort Millsdorf und bringt sie in seinen kleinen Ort. Die beiden haben miteinander zwei Kinder, aber diese werden ebenso wie ihre Mutter von den Einheimischen nie als gleichwertige Dorfbewohner angenommen. Man geht auf Distanz zu ihnen, zumal ihnen der Ruch des Fremden anhaftet. Es bedarf des zu einem glücklichen Ende gekommenen Verderbens, um die Dorfgemeinschaft derart zusammenzuschließen, dass jetzt auch den Ausgegrenzten ein Platz zukommt. »Die Kinder waren von dem Tage an erst recht das Eigentum des Dorfes geworden, sie wurden von nun an nicht mehr als Auswärtige sondern als Eingeborene betrachtet, die man sich von dem Berge herab geholt hatte. Auch ihre Mutter Sanna war nun eine Eingeborene von Gschaid.«486 Ein engstirniger Menschenschlag wird bekehrt. Das passt gut zu Weihnachten und fügt sich in eine Tradition, die das Fest zum Anlass nimmt, an die Menschlichkeit zu appellieren. So moralisch kann Stifter werden, wenn er, wie im Salzkammergut, verbohrte Menschen den Weg zur Gerechtigkeit weisen will. 485 Kospach, Julia : Auf ins Salzkammergut. Verborgenes, Skurriles, Kulinarisches, Wien 2011, S. 112. 486 Stifter, Bergkristall, S. 189.
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Mit Natur hatte Peter Altenberg, der Wiener Kaffeehausliterat, nicht viel im Sinn. Er war geboren, um Innenräume nicht leer aussehen zu lassen und als Connaisseur, Beobachter, Zuhörer und aufmerksamer Gesprächspartner aufgeweckt-kultivierte Runden zu bereichern. Für einen intellektuellen Streuner jedenfalls, der sich nirgendwo gerne lange aufhält, ist das Salzkammergut das ideale Terrain. Altenberg kommt nach Bad Ischl, er hält sich auf in Gmunden, er reist in die Orte der Sommerfrische, wo er die Persönlichkeiten, die er in Wien trifft, auch vorfindet. Das zieht keine große Umstellung in der Art seiner Wahrnehmung und der Beschreibung mit sich. Dort macht er, was er in Wien auch macht, er schaut sich die Leute genau an und kommt über deren Verhalten ins Staunen. 1898, Altenberg war 39 Jahre alt, veröffentlicht er in der Zeitschrift »Jugend« das Feuilleton »Ischler Sommer«. Zwei unabhängig voneinander zu lesende Texte folgen aufeinander. Es handelt sich jeweils um die Begegnungen, die Gespräche eines Paares, für das Liebe nicht vorgesehen ist. Von Ischl ist nicht viel zu sehen. Es gibt die Kulisse ab für Menschen, die umgeben von Natur der menschlichen Natur nachspüren. Sie machen das, wie es Wienern, deren vertrautes Umfeld Kaffeehäuser sind, eben tun : Sie reden, werden ein bisschen ernst, ein bisschen sentimental, doch besonders sprechend ist das große Schweigen zwischen ihnen. Diese Menschen bedürfen der Auszeit in Ischl, um über sich und den anderen ins Klare zu kommen. Auf der Ischler Esplanade kommt eine Dame »mit einem Hute wie ein Strohkörbchen für Bonbons«487 zu einer Erkenntnis über den Mann, die sie zwingt, diesen aufzugeben. Dabei liebt sie ihn, irgendwie jedenfalls. Aber irgendwie ist die Gefühlswelt der Altenberg’schen Figuren nahezu immer. Dieser Giwril aber erweist sich als unfähig zur Treue und damit als Partner ungeeignet, weil er irgendwie bald einmal eine Frau für begehrenswert hält. Jetzt, da die traurige Dame die Natur vor sich ausgebreitet hat, wird sie der Natur von Giwrils Herzen gewahr und schwingt sich zu erstaunlichen Ansichten hoch, die erst durch die Formulierungskraft des Verfassers richtig wirken. Die Dame ist zur Vernunft gekommen »und betrachtete dieses Herz mit ziemlicher Rührung wie ein seltenes aber unbrauchbares Phänomen in dieser Welt voll Kleinlichkeiten.«488 Die zweite Begegnung findet zwischen zwei Menschen statt, von denen man annehmen darf, dass sie für eine gemeinsame Beziehung nicht infrage kommen. Das kommt inmitten der Ischler Landschaft erst richtig zum Vorschein. »Sie gingen einen Waldweg an einem Herbstabend.«489 Sie denkt voller Sehnsucht an die »Götterdämmerung«, die am Abend in Wien gegeben werden soll, ihm reicht 487 Altenberg, Peter : Ischler Sommer, in : Ders.: Extrakte des Lebens. Gesammelte Skizzen 1898–1919. Gesammelte Werke in fünf Bänden. Band II, hg. von Werner J. Schweiger, Wien/Frankfurt a. M. 1987, S. 36f. 488 Ebenda, S. 38. 489 Ebenda, S. 39.
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»die Musik der Natur«.490 Wenn sie schweigend vor sich hingehen, versinkt er in der Landschaft rund um ihn, sie »kümmerte sich einen Plunder um diese Herbststimmung am abendlichen Walde an der Seite des gereiften Menschen, welcher Dinge vernahm im Herbsteswalde, die sie nicht vernahm«.491 Und wenn sie sich nach Jahren wieder treffen, hat sie einen Entwicklungssprung gemacht. »Sie brauchte nicht den Künstler, den Vermittler«.492 Jetzt redet er von der »Götterdämmerung«. Und welche Rolle spielt Ischl ? Der Ort fungiert als Zulieferfirma für erhabene, und wer will das so genau sagen, für falsche Gefühle. So erzählt der Text unter der Oberfläche vom Wiener, der Erwartungen hegt an die Reinheit, Erhabenheit und Vollkommenheit der Natur und peinliche Figur abgibt. Gut zehn Jahre später meldet sich Altenberg aus Gmunden und legt davon Zeugnis ab in der Fackel : »Sommerabend in Gmunden«.493 Er hat es zu Gelassenheit gebracht, setzt sich als Beobachter in Szene, Verachtung, gar Hass will er nicht aufbringen beim Anblick der Aufgeregtheiten seiner Zeitgenossen. Eine kleine Poetik des Betrachtens steckt in dem kleinen Text, wenn Altenberg die »vom Satan Gejagten« bedauert : »ihre Seele bleibt ungenützt, verdirbt, schrumpft ein, stirbt ab !«494 Der Beobachter findet seine Freude an Schilf, Haselnussstauden und Nebel, eine Ruhe breitet sich aus in ihm, jetzt, da er die Natur von Gmunden entdeckt als einen Ruhepol für die bedrängte Seele. Aber fehlt nicht etwas bei aller Genauigkeit des Schauens und aller Nachdenklichkeit, sich ein Bild zu machen ? Wo bleiben die Einheimischen, die Ischler, Gmundener, die, die die Orte erst zu dem machen, was sie sind. In seinem Todesjahr 1919 erscheint der persönliche Band »Mein Lebensabend«, in dem der kleine Text »Mein Gmunden« zu finden ist. Der Verfasser trifft auf einen gepflegten Mann, der das Gespräch mit ihm sucht. Er wirkt vertrauenerweckend, ist intelligent und kultiviert, und dann stellt sich heraus, dass er von Wahnvorstellungen heimgesucht wird. Er bedroht den Verfasser mit einem Revolver. Und wie deutet er die Lage im Ort ? Die Meinung des Städtchens hingegen war, dass sich »Meschuggene gegenseitig anziehen !«495 Altenberg zieht sich auf die klassische Rolle des Außenseiters zurück. Hier die Kleinstädter, dort der Schriftsteller aus Wien, die beiden passen nicht zusammen. Mit Humor verbrämt nimmt er den Status der Überheblichkeit für sich in Anspruch.
490 Ebenda. 491 Ebenda. 492 Ebenda, S. 40. 493 Altenberg, Peter : Sommerabend in Gmunden, in : Ebenda, S. 202f. 494 Ebenda, S. 345f. 495 Ebenda, S. 346.
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Das Salzkammergut ist die Region der Barbara Frischmuth. Aufgewachsen im steirischen Altaussee, besuchte sie zwischen 1951 und 1959 das Internat der Kreuzschwestern im oberösterreichischen Gmunden. Ihre Erfahrungen sind eingegangen in ihr Prosadebüt von 1968, den Roman »Die Klosterschule«. Das Buch passte in eine Zeit, als eine aufstrebende junge Generation abrechnete mit den Autoritäten ihrer Kindheit und Jugend und das klassische Genre des Heimatromans in den kritischen Anti-Heimatroman umwandelte. Vor allem in Österreich, wo Heimat als Synonym für Geborgenheit und Sicherheit galt, arbeiteten Autorinnen und Autoren daran, den ideologischen Hintergrund der Idylle auszuleuchten. Die friedliche Heimat schien ihnen ein Täuschungsmanöver zur falschen Befriedung der Gesellschaft, die gar nicht erst auf die Idee kommen sollte, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, die der Heimat ein für alle Mal die Unschuld geraubt hatte. Ein Ich erzählt, das sich auch manchmal als kollektives Wir äußert. Eine Internatsschülerin ist das Sprachrohr ihrer Erzieherinnen und gibt wieder, was ihr an katholischem Ideologieinventar für die Zukunft mitgegeben wird. Von »scheinheiliger Mimikry«496 war in einer Rezension zu lesen, um das Verfahren der Decouvrierung zu beschreiben. Ein strenger Überwachungsapparat beobachtet die Heranwachsenden, und Abweichungen werden geahndet. Das Mädchen aber geht nicht in die Offensive, um gegen das Reglement zu verstoßen, es erweist sich vielmehr als ein indoktriniertes Wesen, welches den Mut zur eigenen Meinung nicht aufbringt. Es rekapituliert die Phrasen, mit denen es abgefüttert wird und nimmt sie für die ganze Wahrheit. Daraus ergibt sich ein ironischer Kontrast, weil für den aufgeklärten Leser sichtbar wird, wie sich jemand, der zum Ich nicht gefunden hat, sich leiten lässt von etwas Höherem, Mächtigem, etwas durchaus Einschüchterndem. Geschildert werden Szenen, in denen Minderjährige auf Linie gebracht werden. Das läuft über Gehorsam, Gebete und die Pflicht zur Unterordnung. »Versucht ein Mann sich euch zu nähern, in welcher Absicht es auch sein möge – in geschlossenem Raum oder im Freien –, senkt vorerst den Blick, ihr gewinnt dadurch Zeit, nachzudenken.«497 Es finden zahlreiche Disziplinierungsmaßnahmen statt, die alle mit der Begründung, den Kindern den Weg zu einem gottgefälligen Leben zu ebnen, durchgezogen werden. »Was mich im Kloster am meisten störte, war, dass es auf alles eine vorgefertigte Antwort gab. Diese Art Sprachregelung wollte ich mit dem Buch aufbrechen, und zwar mit Hilfe von Sprachmimikry. Ich war als Kind ziemlich wissbegierig, daher war die Klosterschule für mich zuerst einmal die Möglichkeit weiterzulernen«,498 bekannte Frischmuth in einem Interview 496 Anonym : »Wir, Zöglinge«, in : Der Spiegel, 8. April 1968. 497 Frischmuth, Barbara : Die Klosterschule. Roman, St. Pölten 2004, S, 35. 498 Wolkinger, Thomas : »Ich schrecke vor nichts zurück.« Barbara Frischmuth wird 70. Ein Gespräch über Erotik im Mädchenpensionat und eine Generation ohne Väter, in : Falter, 26 (2011).
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viele Jahrzehnte später. Ohne Häme, ohne Zorn blickt die Autorin zurück auf Verhältnisse, von denen sie sich nicht hat unterkriegen lassen : »So eine Klosterschule ist voll von Vorstellungen und Träumen, gerade weil Sexualität tabuisiert ist. Da wird alles zum erotischen Signal. »Aber ich hatte, am Land aufwachsend, eine robuste Grundausstattung. Uns blieb wenig verborgen. Und ich war insofern sehr aufgeklärt, als es in Aussee einen Arzt gab, der Hobbyethnologe war und sogar mit der Königin von Tonga korrespondierte. Er hat mir ethnologische Bücher geborgt, und da wird gnadenlos über Sexualität berichtet. Insofern war ich im Kloster nicht sehr gefährdet.«499 Sie hatte einen starken Rückhalt im Familienhotel, wo sie über den Sommer die Gegenwelt zur katholischen Enge ausleben durfte : »Den Sommer über war ich ja zu Hause im Hotel, da kamen die Gäste mit ihren Kindern. Aber man hat, wenn man ein Thema literarisch bearbeitet, nicht nur sich selbst, sondern auch die anderen im Blick, und da gab es völlig verschiedene Antworten. Nicht alle Mädchen waren so »aufgeklärt« wie ich. Wenn ich es recht erinnere, habe ich mich als Kind ziemlich souverän gefühlt.«500 Und welche Rolle spielt das Salzkammergut in diesem Kammerspiel der Auslöschung ? Es wird nicht genannt, es wird nicht durch Evozierung der Landschaft ins Bewusstsein geholt. Die meisten Szenen laufen in den Innenräumen des Internats ab, und wenn die Mädchen im Freien ihre Runden ziehen, dann bekommt die Natur keine Identität, weil sie nicht mehr als Hintergrund bleiben darf. Die Schülerinnen gehen »Hand in Hand, zwei und zwei, Schritt für Schritt, den Weg, der uns allen bekannt ist.«501 Gmunden wird zu einem Österreich im Kleinen, die Machtverhältnisse, die hier so transparent sind, erheben Anspruch auf eine Stimmung im Land überhaupt. Das Salzkammergut ist in der Darstellung nicht mehr als in Andeutungen sichtbar, weil sich vom Gefängnis im Grünen der Blick zwangsläufig als eingeschränkt erweisen muss. Das Salzkammergut, eine Anstalt für brave Mädchen, ein Ertüchtigungsinstitut zur Hervorbringung devoter Charaktere. Mit Ulrike Kotzina kommt die Daueridylle im Salzkammergut an ihr Ende. In ihrem Roman »Staudamm« liefert sie das Gegenstück zum Urlauberparadies, wo freundliche Menschen ihre Gäste umsorgen und sich auf das Feiern von Festen verstehen. Kammersee ist bei ihr nicht nur ein kleines Nest, umgeben von Bergen und gesäumt von Seen, es trägt alle unerfreulichen Eigenschaften eines Kaffs an sich. Die liebenswerte Version eines Salzkammergutromans weist die Gegend als einen von Schönheiten bevorzugten Flecken im Herzen Österreichs aus. Touristen bringen eine Aura der Großzügigkeit und Weltläufigkeit aufs Land, die große Welt hält Hof und der beschauliche Landstrich wird auf Zeit zum Mittelpunkt des sozialen Getümmels. 499 Ebenda. 500 Ebenda. 501 Frischmuth, Die Klosterschule, S. 12.
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Mit diesem »Seitenblicke«-Kitsch kann man Ulrike Kotzina jagen. Sie schaut in das kleine Kammersee und erschrickt ob des Duckmäusertums der Bewohner. Dumpfe Menschen und archaische Machtverhältnisse halten das Land in einem traumatisierten Dämmerzustand. Man lässt mit sich geschehen, was der da oben anschafft, weil das seit jeher schon so war. Im Salzkammergut der Ulrike Kotzina herrschen vordemokratische Zustände. Wer das nicht aushält, geht weg, nach Graz zum Beispiel, um über ein Studium den Sprung zur eigentlichen Menschwerdung zu schaffen. Nur dort darf man zu den eigenen Gedanken stehen und man lässt sich nicht länger herumkommandieren. Erst wenn einer nicht mehr dazugehört, weil der Stallgeruch der Dorfgemeinschaft verweht ist, hat er sich befreit. Zu Hause gilt er fortan als Verräter. Nein, als eine besonders freundliche Autorin dürfen wir uns Frau Kotzina nicht vorstellen. Das hat seine Gründe nicht darin, dass sie uns als Misanthrop die Welt schlechtredet, sondern sie wünscht sich eine bessere. Um das zu erreichen, schreibt sie von den miserablen Zuständen, die Menschen kaputt machen. Sie erzählt ja nicht nur eine Schauergeschichte, sondern verhandelt österreichische Zustände. Sie vergröbert diese ins Plakative und arbeitet mit wirkungsvollen Effekten. Das lässt den Roman etwas grobschlächtig wirken, aber als Verfälschung unserer Welt dürfen wir ihn dennoch nicht abtun. In Kammersee ist von politischer Transparenz, von der wir die Verhinderung korrupter unlauterer Praktiken erwarten, noch gar nichts zu bemerken. Hier herrscht eine Ein-Mann-Regierung des Bürgermeisters, der das Verschweigen, Vertuschen und Verheimlichen verordnet, damit alle krummen Geschäfte unter Verschluss gehalten werden. Ulrike Kotzina hat einen Roman zur Zeit geschrieben, der zeigt, wie leicht man im österreichischen Klima ersticken kann. Dazu erzählt sie eine Geschichte, in der Korruption, Männerbündelei und autoritäres Poltern eine ganze Gesellschaft im Griff halten. Konflikte, die uns heutzutage empören, lagert sie in Figuren aus. Ohne schroffe Kontraste schafft sie das nicht. Da ihre Figuren nicht für sich allein stehen dürfen, sondern eine Haltung repräsentieren müssen, stehen sie etwas gar unbeweglich im Raum. Als Erzählerin tritt eine junge Frau auf, die Kammersee verlassen hat, um gegen den Widerstand ihrer Familie in Graz Psychologie zu studieren. Damit stellt sie sich ins Abseits, wird als verlorenes Schaf abgeschrieben. »Ich war fortgegangen und gehörte nicht länger dazu, ich verstand die geheimen Gebräuche nicht mehr, die Sitten und Rituale, die seit jeher bestanden und mit denen sie ihre Geheimnisse hüteten«.502 Die Bräuche gehören zum Gemeingut, machen das geistige Kapital im wörtlichen Sinn aus. Krampusläufe, Narzissenfest, das sind schöne Jahresfeste und dienen der wirtschaftlichen Aufrüstung einer Region, die ihre Tradition hoch hält. Gebräuche aber sind Rituale für Eingeweihte, unsichtbare Marksteine dörflichen 502 Kotzina, Ulrike : Staudamm. Roman, Wien 2012, S. 153.
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Sinnens und Trachtens, ein Verhaltenskodex für alle, die dazugehören. Weh dem, der aus der Reihe tanzt. Zu den Gebräuchen gehört das System der Abhängigkeit, auf das sich ein Mächtiger im Dorf verlassen darf. Nach außen wird Demokratie gespielt, und jeder spielt die Rolle, die von ihm erwartet wird. Eine Opposition gibt es nicht, aber Feindschaften. Man muss schon über Besitz und Wohlstand verfügen, um Widerspruch anzumelden. Der alte Besitzer einer Autowerkstatt macht das, aber da er unter Demenzerscheinungen leidet, nimmt man ihn nicht für voll. Die Erzählerin Hannah ist die Tochter des Bürgermeisters, dem sie erst jetzt, das sie auf Abstand zur Dorfgemeinde gegangen ist, auf die Schliche kommt. Er zieht die Fäden, agiert nach Gutdünken und Willkür, er ist Kopf und wirtschaftliches Herz der Gemeinschaft. Er sagt, was zu geschehen hat, auf Widerstand reagiert er unbarmherzig. Er lässt einen Staudamm errichten, dessen Nutzen fragwürdig ist und der gegen Auflagen verstößt. Jetzt formiert sich draußen, in der Stadt, der Widerstand gegen ein riskantes, ökologisch fahrlässiges Projekt. Im Dorf gibt es Nutznießer, die mitmachen und andere, die still halten. Aber jetzt, da die Tochter zurückkommt, weil sie wissen will, was es mit einer verschwundenen Tante auf sich hat, erfährt sie auch gleich noch eine Geschichte von ihrem Vater als Wüstling. Das ist etwas gar dick aufgetragen und lenkt auch noch ab von der eigentlich so wichtigen Enthüllungsgeschichte über die unselige Verbindung von Wirtschaft, Macht und Denkverbot. Verbindlich für alle ist, was der Bürgermeister als Wirklichkeit ausgibt. Die Tochter vermag sich nur zu wundern über »Vaters Vehemenz, Vaters Unverfrorenheit, mit der er ein Bild, eine Wahrheit ignorierte«.503 Deshalb diese Angst über alles, was von außen kommt, dass womöglich so aberwitzige Ideen wie Demokratie und Kontrolle eingeführt werden könnten. Der Stausee ist ein Symbol für die Provinzsturheit und die Krankheit des Obrigkeitsdenkens. »Ich hätte die Talsperre wohl mögen müssen, um die ich mich niemals gekümmert habe«, grübelt die Erzählerin, »die aber Systeme, Verbindungen staute, blockierte wie Krankheiten Meridiane in Körpern, indem sie versuchte, die Natur zu bezwingen, den Fluss in seiner Unbändigkeit zu hemmen.«504 Hans aus Andreas Tiefenbachers Roman »Der Möchtler« passt nicht so recht in seine Zeit. Das hat er gemeinsam mit Daniel Käfer, und doch treiben Tiefenbacher und Komarek unterschiedliche Motive an. Hans ist ein Jugendlicher, der nicht mithalten kann mit der Gesellschaft im Salzkammergut. Er ist schmächtig und leidet unter einer extremen Pollenallergie. Im Sommer ist er nahezu paralysiert, zu nichts zu gebrauchen. Das klingt nicht gut für einen, der sich in einem Umfeld bewähren soll, wo es auf Lebenstüchtigkeit ankommt. So etwas wie Feinfühligkeit und feinere Regungen der Seele zählen nicht. Daniel Käfer taucht ab in die Geschichte, aber 503 Ebenda, S. 63. 504 Ebenda, S. 99.
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er bewegt sich so frei und souverän in der Gegenwart, knüpft Bekanntschaften, die durchaus das Zeug dazu haben, sich zu Freundschaften zu vertiefen, nichts davon sieht man Andreas Tiefenbacher, der einen Roman vorlegt, der mit dem Anti-Heimatroman kokettiert und das harmonisierende Salzkammergut-Bild infrage stellt. Menschen, denen sich Hans anvertrauen könnte, bei denen er auf Verständnis stoßen könnte, suchen wir in seinem Roman vergeblich. Tiefenbacher sieht man in jeder Zeile an, dass er bedeutsame Literatur abliefern will, so angestrengt gibt er sich auf jeder Seite. Auch das unterscheidet ihn von Komarek, der wesentlich entspannter ans Werk geht und nie verhehlt, dass er das Publikum unterhalten will und wie nebenbei das Porträt einer Gesellschaft abliefert, die auf Harmonie gestimmt ist, auch wenn vieles davon Bluff ist. Wenn Komarek genießerisch von den Freuden des Sommers erzählt, weil sich die Natur von einer Prächtigkeit zeigt, die nirgendwo anders zu finden ist, verkehrt Tiefenbacher den Komarek’schen Lustgewinn ins Gegenteil. Er lässt Hans leiden, weil ihm der Sommer körperlich so zusetzt. »Je wärmer es wurde draußen und schöner, umso weiter zog er sich ins Hausinnere zurück. Alle schwärmten vom Sommer, er nicht. Von überall her strömten die Leute, um ihn hier zu genießen in dieser wunderschönen Landschaft. Der Hans genoss nichts.«505 Tiefenbacher belässt es nicht beim Drama des gequälten Kindes, er muss es unbedingt abheben von den anderen, die nicht leiden und deshalb einen Malus bekommen. Die Menschen, denen Komarek Charme und Aufrichtigkeit zugesteht, denunziert Tiefenbacher als Wesen, die sich des Geldes wegen krümmen und beugen. Die Großeltern von Hans vermieten Zimmer an Gäste aus Deutschland und Österreich, »zu denen die Eltern, wenn sie sie erkannten, sofort hinmarschierten, was für den Hans dann schön brav grüßen und die Hand hergeben hieß, die vor lauter Scham ein wenig schwitzte und ganz kalt war«.506 So disqualifizieren sich die Eltern als unglaubwürdige Akteure der Verlogenheit. Von solch eher einfältiger Art verläuft die Kritik bei Tiefenbacher. Wenn die Leute »ausnahmslos an fichtennadelgrünen Tischen saßen«507, soll das von des Verfassers scharfsinniger Gnadenlosigkeit zeugen. Was bei Tiefenbacher Zeichen einer uniformierten Gesellschaft ist, ist bei Komarek der Hinweis auf eine regionale Identität. Bei Tiefenbacher wird der Blickwinkel von Hans zum Maß aller Dinge, was, der verengten Perspektive wegen, zu Albernheiten führt. Natürlich liebt Hans den Regen, für einen Pollenallergiker verständlich. Der Autor aber nützt diese subjektive Eigenheit, um die Leute im Ort dazu in Kontrast zu setzen und anzuschwärzen. »Jedem zog er die Falten auf das Gesicht«508, so deutet der Erzähler die Wirkung 505 Tiefenbacher, Andreas : Der Möchtler, Graz 1995, S. 139. 506 Ebenda, S. 22. 507 Ebenda, S. 85. 508 Ebenda.
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des Regens auf die Bewohner. Den Bauern »machte der Regen Angst, sie könnten die Heuernte nicht rechtzeitig einbringen.«509 Wie blicken sie deshalb ? Richtig, »angespannt«, und »die Gastwirte schnitten besorgte Mienen«510. Und weil es Tiefenbacher ein bisschen wie Thomas Bernhard treiben will, beobachtet er, wie »alle Urlauber und Freizeitmenschen in die Gasthäuser« flüchten, »welche allesamt ungemütlich und geschmacklos und kitschig eingerichtet waren«511. Über den Roman, zu Recht vergessen, müsste man nicht reden, wenn er nicht Salzkammergut-Klischees verwenden würde, um sie ins Negative zu drehen. Hans wird zum sensiblen Burschen stilisiert, der in starkem Gegensatz zur dortigen Gesellschaft steht. Denn »in der näheren und unmittelbaren Umgebung vom Hans war leider alles zu grob : der Mensch, das Mehl, die Stutzen.«512 Unangenehm peinlich berührt der Roman, wenn sich der Verfasser in einer biografischen Notiz mit der literarischen Figur gleichsetzt und sich selbst mit den gleichen Eigenschaften ausstattet wie die literarische Figur : »Tiefenbacher kam im zehn Kilometer von Bad Goisern am Hallstättersee entfernten Landeskrankenhaus mit einem langen Fingernagel am kleinen Finger der linken Hand zur Welt, was der diensthabenden Hebamme den Satz : ›Der Bub wird einmal ein Künstler‹ entlockte.«513 Jetzt gehen Autobiografie und Sozialkitsch problemlos zusammen. Barbara Frischmuth ist ein Kind des steirischen Salzkammerguts. Die Region begleitet sie in ihrem Schreiben und liefert ihr Stoff. Als im Jahr 1971 der schmale Band »Tage und Jahre« erschien, war das nicht eine der damals üblichen Abrechnungen mit dem Land der Herkunft. Erwartet wurde von einem kritischen Schriftsteller, der sich auf der Höhe der Zeit befand, dass er die Enge beklagte, das repressive Klima auf dem Land anprangerte und mit all seiner ihm zu Gebote stehenden Vehemenz gegen die Rückständigkeit dörflicher Gemeinschaften anschrieb. Frischmuth erfüllte diese Erwartungen mit diesem Buch nicht und entsprach dennoch nicht dem konservativen Wertekanon, der im Ländlichen schon immer das Heil der Welt sah. »Tage und Jahre«, das lässt anklingen, dass sich Menschen in einem zeitlichen Kontinuum bewegen. Es ist nicht gleichgültig, wann sich etwas ereignet, alles Handeln, alle Ereignisse sind eingebunden in den chronologischen Zeitlauf des Jahres. Die Menschen begeben sich in Abhängigkeit von den Jahreszeiten. Was es bedeutet, sich von Tag zu Tag auf die Zumutungen der Natur einzustellen und was es heißt, im überschaubaren dörflichen Gefüge seine Haltung zu bewahren, hat Frischmuth im ersten Teil, »Tage«, festgehalten. Dass der Ereignisort tatsächlich das steirische Salz509 Ebenda. 510 Ebenda. 511 Ebenda. 512 Ebenda, S. 92f. 513 http://www.literaturport.de/Andreas.Tiefenbacher/, abgerufen : 18. Dezember 2014.
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kammergut ist, lässt sich eindeutig am Text nicht bestimmen, weil er Festlegungen von Namen sowohl der Orte wie auch der Menschen scheut. Aber es handelt sich um eine ländliche Region, in der die Ich-Erzählerin fest verankert ist, in der sie familiäre Beziehungen pflegt, die Bewohner von Grund auf kennt und mit den Gepflogenheiten durch und durch vertraut ist. Es handelt sich um keinen imaginären Ort, der sich als Denkraum gut eignen würde, hier wird ernst gemacht mit der Beschreibung einer dörflichen Gesellschaft, in der gegenseitige Kontrolle stattfindet und in der sich ebenso das Gefühl der Geborgenheit einstellt. Von einer Idylle ist wenig zu sehen, aber der Wechsel von gesuchtem Schutzraum und widerwillig angenommener Gefängniszelle wird in Variationen durchgespielt. Ein sympathisch unideologischer Text ist Frischmuth gelungen, die weder dem Lobpreisen des Dorfes verfällt noch dessen verbale Vernichtung betreibt. Ihr geht es um die Herstellung von Normalität im Buch. Was die Erzählerin erlebt, ist nie besonderer Berichterstattung wert, etwas Außerordentliches kommt nicht vor und ist nicht zu erwarten. »Ja, sage ich, hier geschieht nichts Wesentliches, es ist nur die Lage der Dinge, an der man sich stoßen kann.«514 Das steirische Salzkammergut wird zum Allerweltsland, die einzelnen Szenen, sehr kurz gehalten, ein paar wenige Sätze reichen jeweils dafür, sind unmittelbar aus dem Leben gegriffen. Frischmuth unternimmt die Entzauberung der Region, wie es nun einmal der Fall ist, wenn sich jemand Tag für Tag dort aufhält und wenn einem die Naturschönheit, von der andere schwärmen, nicht mehr ins Auge sticht. Im Gegenteil, das Salzkammergut, von einem Einheimischen betrachtet, kann ungemütlich sein. Der Winter nimmt kein Ende, die Natur scheint auf ihren Auftrag, Wärme über das Land zu bringen, vergessen haben. Die Leute werden unwirsch, die Stimmung sinkt, die Kälte sitzt jedem in den Knochen. Die Normalität ist abhandengekommen, auf einmal darf man sich auf jahrhundertelange Gewissheiten nicht mehr verlassen. »Es soll noch einmal Schnee kommen auf die Kälte, sagt die Wirtin, könnt ihr euch das einteilen ? Die Männer, die an den Tischen sitzen und Karten spielen, lassen ihre Röcke an und die Fellmützen auf.«515 Der Trick dieser Prosa besteht darin, dem Salzkammergut einen Normalwert zuzuschreiben. Etwas Besonderes wächst der Region erst durch die Detailgenauigkeit der Beschreibungen zu. Der aufmerksame Blick hält sich an unspektakulären Einzelheiten und findet solche Szenen der Beschreibung wert, die dem Einheimischen gleichgültig, weil allgegenwärtig sind. Mit diesem Buch leistet Frischmuth etwas, was ihr zur Zeit der Abfassung gar nicht bewusst gewesen sein mag. Im Abstand von Jahrzehnten liest es sich anders als in den frühen Siebzigerjahren, da vieles von dem, was festgehalten wird, gängige Erfahrungen eines großen Teils der Leser waren. Wenn von der Anschaffung eines 514 Frischmuth, Tage und Jahre, S. 16. 515 Ebenda, S. 39.
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Viertelanschlusses für ein Telefon berichtet wird, wirkt das für heutige Leser wie eine Nachricht aus einer fernen Welt. Und in einer Zeit der Handykultur wirkt eine Szene, in der sich eine Familie um ein Telefon schart, wenn ein Gespräch geführt wird, vollkommen anachronistisch : »Einer von uns redet, die anderen sehen zu, wie sein Gesicht sich verändert, wie er mit dem Bleistift an den Rand des Telefonbuchs kritzelt, wie er sich die Schnur um den Finger wickelt. Wenn er lacht, lachen wir mit.«516 Der Text nimmt den Charakter eines Zeitdokuments an, in dem die Stimmung und Atmosphäre des Salzkammerguts in den frühen Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts aufgehoben sind. Und doch handelt es sich hier nicht um einen Erlebnisbericht, sondern um eine Fiktion. Die Leute vom Bauernhof haben vor, etwas zu gestalten im Dorf. Sie sind angewiesen auf die Zustimmung durch die Politik. Es ist fraglich, ob die Genehmigung erteilt werden wird. »Man sei geneigt, unser Vorhaben bis zu einem gewissen Grad zu unterstützen, nur sei nicht sicher, inwieweit uns das wirklich hilft. Man würde es versuchen, soweit es im Bereich des Möglichen steht. Nur, wir müssten uns auf alles gefasst machen.«517 Worum es sich handelt, womöglich um ein Gestüt, bleibt im Vagen. Konkret wird Frischmuth nur, wenn sie sich an die Fakten hält, die ihr die reine Wahrnehmung zuspielen.
Draußen bleiben : Geschlossene Gesellschaft Agnes möchte sich am liebsten gleich umfallen lassen. Aber wer würde sie aufheben und forttragen ? (Evelyn Grill : Wilma) Hallstatt zum Beispiel. Der Ort eignet sich gut als Symbol für eine geschlossene Gesellschaft. Er ist nicht ohne Mühen zu erreichen, die Häuser stehen den Hang hinauf gestaffelt, unter ihnen der See. Im Sommer ein Anziehungspunkt für Touristen, im Winter bleiben die Einheimischen unter sich. Das bildet die ideale Kulisse für eine Literatur, die das Verwurzelte, seit ewig hier Ansässige gegen das neu Hinzugekommene stellt. Wer auf Jahrzehnte und Jahrhunderte Familiengeschichte hier im Ort zurückblicken kann, hat Recht. Die anderen müssen sich erst beweisen durch Einordnung, Unterordnung, Erlernen der Spielregeln, die sich über lange Zeit ausgebildet haben Wer dazugehört, stellt keine Fragen, akzeptiert, was hier die Norm ist. Bei Evelyn Grill wird der Ort zur Kulisse für Schauriges. Den Namen Hallstatt erwähnt sie nicht, aber die topografischen Beschreibungen stimmen in den Romanen »Wilma« (1994) und »Der Sohn des Knochenzählers« (2013) mit den Örtlichkei516 Ebenda, S. 38. 517 Ebenda, S. 51.
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ten überein. Um die Region geht es Grill aber nicht. Sie porträtiert Menschen als Bestien und dazu braucht sie einen Hintergrund, vor dem sich ihre Figuren ausleben dürfen oder zum Leiden verdammt sind. Denn Grill’sche Romane sind Abstiege in die Finsternis, wo die schrecklichen Neigungen des Menschen verborgen sind. Nicht, dass sie psychologisch besonders feinsinnig vorgehen würde, ihr geht es um den Schock, den inneren Aufruhr, die Erschütterung des Lesers. Deshalb erzählt sie Geschichten, in denen die Grausamkeit zum selbstverständlichen Inventar der menschlichen Ausstattung gehört. Menschen, die Grill herauspickt aus der Masse, um sie genauer in Augenschein zu nehmen, sind allesamt Ausnahmeerscheinungen. Das ist aber nur ihrem Blick zu verdanken, der eine Figur auf genau jene Merkmale festlegt, die sie unterscheidet von den anderen. Für Grill existiert der Einzelne nur als jemand mit ausgeprägt individuell finsteren Seiten. Bei ihr lernen wir Gesellschaft als eine Ansammlung von Persönlichkeiten kennen, die nicht viel miteinander zu tun haben. Jeder lebt in seinem Wahn, die Menschen um ihn herum bedeuten ihm eine Zwangsgemeinschaft. Deshalb fällt auch die Pflicht weg, sich um den anderen zu sorgen, weil er stets als möglicher Feind wahrgenommen wird. Diese Autorin hält nichts von Schonung, sie reduziert jeden, der ihr unterkommt, auf seine Mängel. Das ist eine eigenwillige Interpretation vom Menschen als Mängelwesen, wie er uns in der anthropologischen Forschung unterkommt. Das Verbrechen gilt Grill nicht als der Sonderfall der Gesellschaft, sondern als die Regel. Bei ihr ist der Einzelne, der sich absetzt von allen anderen, repräsentativ für einen Menschenschlag, dem Gesellschaft nichts bedeutet. Jedes Gegenüber tritt nur als Störfaktor oder als Mittel zum Zweck der Befriedigung eigener Bedürfnisse in Erscheinung. Grill setzt Gegenbilder zu einer sanften Salzkammergut-Idylle in die Welt. Bei Evelyn Grill gibt es kein Verbrechen, weil die Gesellschaft an sich verbrecherisch ist. Der Einzelne imitiert die Gesellschaft, macht das kollektive Verbrechen der Übertölpelung des Schwächeren durch den Stärkeren zur privaten Angelegenheit. Wo sind all die edlen Eigenschaften geblieben, die den Menschen eigentlich erst zum Menschen machen ? Ein Mensch bei Grill ist einer, der allzeit bereit ist, seinem Gegenüber, wie nahe es ihm auch immer stehen mag, eins auszuwischen. Der individuelle Vorteil zählt, das ist alles. Wie sieht das Grill’sche Gesellschaftskonzept im Einzelnen aus ? Ihre Gesellschaft setzt sich aus lauter Tätern zusammen, die auch Opfer sein können. Jeder beißt um sich, ist auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Gäbe es einen Kläger, könnte er willkürlich jeden Beliebigen auf die Anklagebank setzen. Die Konvention, die das öffentliche Zusammenleben definiert, besteht nur als Tarnung, um den Schein der Wohlanständigkeit nach außen abstrahlen zu lassen. Jeder versucht sich als kleiner Meister der Heimlichkeit, wenn er unter Ausschluss der Öffentlichkeit seinen menschenfeindlichen Obsessionen frönt. In Gesellschaft wirken die Figuren wie kleine Maschinchen,
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die einen Auftrag erfüllen, dem sie keine wahre Neigung entgegenbringen. Aber kaum sind sie allein mit sich und einem Opfer, schlagen sie über alle Stränge und erfahren ihren Genuss aus der Erniedrigung von jemand anderem. Der Triumph über die Seele eines Kontrahenten ist das Energiereservoir, das einen am Leben erhält. In der österreichischen Provinz, einem Ort im Salzkammergut, wohnt Agnes, die sich rührend um das behinderte Mädchen Wilma kümmert. Die Geschichte der beiden ist nachzulesen im schmalen Roman »Wilma«. Die Titelfigur ist unfähig, für sich allein Sorge zu tragen, und wäre nicht Agnes, die sich ihrer angenommen hat, sie müsste an ihrem eigenen Elend zugrunde gehen. Sie ist ein passives Wesen, reduziert auf animalische Bedürfnisse, isst, schläft und unternimmt ihre schwerfälligen Streifzüge durch den Ort. Sie spricht nicht, niemals gibt sie ein Zeichen der Zuneigung weiter, sie ruht in sich, stur und beständig. »Eine Physiognomie, hässlich und monströs.«518 So stellt sich das Mädchen einem Dorfbewohner dar. Sie ist Objekt des Spottes ebenso wie der schauerlichen Abwendung durch die Bewohner, nur Agnes überhäuft sie mit all ihrer Liebe. Rührend ? Ist diese Art der Umsorgung einer schwachen Person ernsthaft rührend zu nennen ? Gewiss, Agnes setzt alles, was in ihrer Macht steht, daran, dem Mädchen Komfort zu bieten. Sätze der Besorgtheit dokumentieren diese Fürsorge : »Agnes bewacht Wilmas Schlaf.«519 Oder : »Agnes verzichtet heute auf ihren Mittagsschlaf und geht mit Wilma über den Marktplatz.«520 Agnes rackert sich ab, ihr Lebenszweck ist es, Wilma ein angenehmes Dasein zu sichern. Alles dreht sich um Wilma in dieser erdrückenden Form von Liebe. Doch Agnes ist dringend auf dieses willfährige Geschöpf, das jede Form der Zuneigung über sich ergehen lässt, angewiesen. Die eine ist einsam, die andere hilfsbedürftig, so ergeben sie zusammen das ideale Paar. Die sanfte Agnes genießt es, ein Wesen in Abhängigkeit zu halten. Diese Art der Liebe wird gerne mit Selbstaufgabe verwechselt, in Wahrheit ist sie nur eine subtile Spielform der Macht. Entsetzlich die Dorfgemeinschaft, widerlich all diese ehrenwerten Leute. Der Stumpfsinn hat dauerhaft Einzug gehalten ins Volk, und Evelyn Grill ist die Chronistin des Unheils. Als eine »sehr österreichische Provinzgeschichte, so trostlos und beklemmend«521 bezeichnet Peter Urban-Halle den Roman in seiner Rezension im Deutschlandfunk und stellt eine Nähe zu Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek und Anna Mitgutsch her. Gleichzeitig erinnert ihn »der lapidare, sachliche Tonfall […] manchmal an die alten isländischen Sagas«.522 518 Grill, Evelyn : Wilma, Salzburg 2007, S. 62. 519 Ebenda, S. 134. 520 Ebenda, S. 20. 521 http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/706017/, abgerufen : 17. Dezember 2014. 522 Ebenda.
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Der Roman »Wilma« reiht ein kurzes Kapitel ans andere, jedes steht für eine besondere Nuance der Niedertracht. Die Sätze bleiben kurz und gedrängt, nie schwingen sie sich dazu auf, die Enge der Verhältnisse zu überblicken. Sie bleiben nah am Erfahrungshorizont der kleinen, beschränkten Leute, unternehmen keine Anstalten, den Sprung in die Reflexion zu schaffen. Dafür Sätze der Selbsterniedrigung, des Sich-Klein-machens : »Nur wenn sie leise und angepasst blieben, würde man sie beide in Ruhe leben lassen.«523 Dabei ist von Ruhe keine Spur. Wilma, die in die Sprachlosigkeit Verschwundene, gibt das perfekte Opfer ab. Sie wird gedemütigt, verspottet, vergewaltigt, sie bleibt ewig Objekt, dem es versagt wird, auch einmal Subjekt sein zu dürfen. Bei Grill ist die Dorfgemeinschaft der Durchtriebenen, Rohen und Ungeschlachten das Verhängnis. Im Nachfolgeband »Der Sohn des Knochenzählers« hat sich die düstere Atmosphäre keineswegs besänftigt. Als »die dramatische Geschichte einer Familie und ihrer Abgründe«524 bezeichnet ihn Julia Reuter in ihrer Kritik im Öster reichischen Rundfunk. Hallstatt bildet für Evelyn Grill ein Muster-Österreich im Kleinen ab. Wo Provinz ist, herrschen Engstirnigkeit und Gewalt. Um das besonders eindringlich zu gestalten, greift sie auf das schaurig-schöne Salzkammergut zurück, wo sich Brutalität und Schönheit besonders schrill voneinander absetzen lassen. Das Modell Hallstatt steht für eine Mentalität des Schreckens. So hartnäckig auf der Grausamkeit des Österreichers insistierend zieht das niemand sonst durch wie Grill, deren Werk konsequent abstreitet, dass es in Österreich jemals friedlich zugehen könnte.
Ein Ort für Verbrechen Auch wenn die Menschen, die hier lebten, manchmal ganz schön eigensinnig waren (Beate Maxian : Tod mit Seeblick) Im Jahr 2012 erschütterte ein Mordfall Gmunden. Eine Tanzlehrerin wurde vergewaltigt und erst Tage später in ihrem Garten tot aufgefunden. Sie war den Folgen der brutalen Attacke erlegen. Ein Schuldiger wurde ausgeforscht, die Schwierigkeiten, den Täter auszuforschen, waren gering. Was sich in der Region ereignet hatte, war die Ausnahme. Nicht, dass wir es mit lauter friedfertigen Menschen zu tun hätten, doch das Aggressionspotenzial hält sich in Grenzen. Der Fall machte Schlagzeilen, ging durch alle Medien, für kurze Zeit rückten die Menschen enger zusammen, um sich gegenseitig zu stärken. 523 Grill, Wilma, S. 14. 524 http://oel.orf.at/344439, abgerufen : 17. Dezember 2014.
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Warum aber blüht und gedeiht das Genre Kriminalroman, der im Salzkammergut angesiedelt ist ? Das hängt mit der Vorstellungswelt der Leser zusammen. Die assoziieren automatisch eine Gegend, wo die Uhren anders laufen, wo Gemütlichkeit angesagt ist, wo man seine Freizeit entspannt genießen und damit rechnen darf, dass man erstklassig betreut wird. Das Salzkammergut von außen betrachtet ist ein Ferienland, das Salzkammergut von innen betrachtet ist ein Land, das nicht auf jeden neumodischen Zug aufspringt. Hier lässt es sich gut lustig sein, und wer es beschaulich haben will, kommt gewiss auf seine Rechnung. Ein Mord passt nicht in diese Gegend, er steht für das vollkommen Andere. Er zerstört nicht nur Leben, er ruiniert auch die Gesellschaft, die sich ihrer Sicherheit beraubt sieht. Der klassische literarische Mord ist ein Phänomen der Großstadt. In den Siebzigerjahren kam in der deutschen Literatur der Soziokrimi auf, der sich vornahm, das gesellschaftliche Gefüge in der Provinz zu begutachten und den Landbewohnern kaltblütig ihre Unschuld zu nehmen. Wo man hinsah, in der Eifel, in den Dolomiten oder an der Elbe, herrschten plötzlich mörderische Zustände. Das Phänomen lebte nicht lange, von einzelnen Ausreißern abgesehen zog sich der Krimi wieder in die Großstadt in den Schutz der Anonymität zurück. Inzwischen aber erlebt der Provinzkrimi eine Konjunktur, und eine Region, die noch keinen Krimiautor hervorgebracht hat, gerät in ein schiefes Licht. Provinzkrimis weisen die Eigenschaft auf, als Serie zu erscheinen, was den Gepflogenheiten des Marktes zuzuschreiben ist. Der verlangt Helden, mit denen man sich identifizieren kann oder über deren Eigenarten und Verschrobenheiten man sich mokieren darf. Auch das gehört nämlich zur Besonderheit des Provinzkrimis, dass wir es mit Typen und schrägen Charakteren zu tun bekommen. Die Botschaft, dass es auf dem Land uriger zugeht, weil hier die Haudegen zu Hause sind, bekommt man als Leser mit auf den Weg. Warum hat sich Bernhard Barta, einer der erfolgreichen Krimi-Autoren, das Salzkammergut als Hintergrund für seine Geschichten gewählt ? Er hat Gefallen an den Leuten gefunden : »Weil sie grade Michl sind und dir nicht das Hackl ins Kreuz hauen, wie in der Stadt«,525 sagt er und definiert damit schon den Unterschied zwischen Provinz und Stadt, wie er ihn sieht. Andere stimmen dieser Meinung gewiss zu, denn das Salzkammergut, aus dem Blickwinkel der Krimis betrachtet, ist eine Region, in der sich ein Widerstandsnest gegen die Normen der sonst recht einheitlich tickenden bürgerlichen Kultur herausgebildet hat. Die Menschen sind etwas schroffer, sperriger, rüder, weniger verbogen als anderswo, kümmern sich nicht um Etikette und machen ihr eigenes Ding. Um einen Salzkammergut-Krimi als einen solchen gelten zu lassen, muss er mehr bieten als die Region zur aparten Kulisse eines Falles zu missbrauchen, der sich überall sonst auch ereignen könnte. Es herrscht kein Mangel an Büchern, die das Salzkammer525 Schaur-Wünsch, Teresa : Bernhard Barta : »Ich wär selbst gern Erzherzog«, in : Die Presse, 16. September 2014.
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gut als Gefahrenraum ausweisen. Es handelt sich dabei nicht immer um Literatur der höchsten Güte, aber sie arbeiten alle mit Salzkammergut-Bildern, um der Region das Diplom der Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit auszustellen. Das lässt sich fest machen an der Beschreibung von Landschaft, Leuten und der Vergangenheit. Beate Maxian hat ihre Salzkammergut-Krimis am Attersee angesiedelt. Sie begnügt sich nicht mit Andeutungen, sie besteht darauf, ihre Geschichten »in der ganz realen Umgebung des Attersees«526 spielen zu lassen. Ein Krimi arbeitet nach anderen Regeln als ein Gesellschaftsroman oder ein Text, der nach den politischen oder seelischen Bedingungen von Menschen zu einer bestimmten Zeit fragt. Ein Krimi setzt etwas voraus, was ein Roman von höherem literarischen Anspruch erst beweisen muss, nämlich dass die Menschen schlecht und durchtrieben sind. Das ist auch bei Beate Maxian so, die ein Grundmisstrauen mitbringt und es automatisch auf die Leute der besseren Gesellschaft anlegt. Ein hoher Jurist in Linz hat bei ihr die schlechteren Karten als eine beliebig unscheinbare Person im Salzkammergut. Allerdings stellt sie uns die Region als eine Gegend vor, in der der Reichtum zu Hause ist. Die, die es sich leisten können und aus Wien oder irgendwo in Deutschland stammen, kaufen sich eine Villa am Attersee, nehmen den Einheimischen den Platz zum Baden weg und halten sich Einheimische, die dafür sorgen sollen, dass in ihrer Abwesenheit das Haus instand gehalten wird. Die einen schaffen, die anderen schaffen an, so sieht die Lebenswirklichkeit für Beate Maxian im Salzkammergut aus. Das führt sie nicht aus, ihr geht es ja um zwei Morde, die geklärt werden sollen, das erfährt man beiläufig aus den Recherchen der Kommissarin Sandra Anders. Die wundert sich über solche Verhältnisse nicht, regt sich nicht einmal auf darüber, zu selbstverständlich ist ihr dieses System von gegenseitiger Abhängigkeit. Immerhin kommt sie selber von einem Bauernhof, den ihre Eltern nach wie vor betreiben. Den Lebensunterhalt bessern sie auf, indem sie Zimmer vermieten und Gäste verwöhnen. Die Gegend, die Maxian uns vorstellt, zeichnet sich durch ein ausgesprochen hohes Maß an Gastfreundschaft aus, die allerdings unterlaufen wird durch den Willen einer Minderheit zum Vergewaltigen und Töten. Beides findet Platz in dieser Gesellschaft, mit diesem Widerspruch muss sie leben. Doch allgemein lässt sich wenig sagen gegen die Bewohner, die patente Kerle sind und sich durchmogeln durch die Dürre der Zeit. Der Mittelstand hat es schwer, aber das betrifft ganz Österreich, nicht nur das Salzkammergut. Maxian bringt einem Malermeister viel Verständnis entgegen, wenn er Schwarzarbeiter beschäftigt, denn, um mit ihrer Kommissarin zu sprechen, ist dies der vernünftige Ausweg, um von der Steuerlast nicht erdrückt zu werden. Herr Thalmann ist ein sympathischer kleiner Betrüger, einer, der nur seine eigene Haut rettet, wenn er den Behörden nicht alles offenlegt, was in seinem Betrieb vorgeht. Dass er Probleme mit dem Arbeitsinspektorat bekommen könnte, interessiert Kom526 Maxian, Beate : Tod mit Seeblick. Attersee Krimi, Kassel 2008, S. 4.
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missarin Anders nicht, sie braucht nur dringend Informationen über einen Schwarzarbeiter, der unter Mordverdacht steht. Und so redet sich Thalmann, angesprochen auf die Ungereimtheit des illegalen Arbeitsverhältnisses, heraus : »Er arbeitet ja nur ab und zu …wenn mir einfach nimmer zsammkömen mit da Arbeit. Als Gelegenheitsarbeiter halt. Ich kann mir net immer soviel Leut’ leisten, wie ich brauchen tät. Sie wissen ja, wie das is. Heut hast du viel Arbeit und morgen koane.«527 Wo man hinschaut, Schwarzarbeit. Teure Villen werden auf diese Geld sparende Weise renoviert, Putzfrauen brauchen prinzipiell mit einer Anstellung nicht rechnen. Zum Lokalkolorit gehört, dass diese eingeschliffenen Verkehrsformen im ökonomischen Bereich mitgedacht werden. Es gehört zu den Spielregeln, dass vom Staat verordnete Spielregeln missachtet werden – von den Einheimischen und den Zugereisten, den Wohlhabenden und den eher karg Lebenden. Darüber herrscht stillschweigendes Einverständnis, es bildet sich eine Koalition der eigennützigen Minimundus-RobinHoods gegen die Zumutungen des Staates. Der gewöhnliche Bewohner der Attersee-Region zeichnet sich nach Maxian als Sturschädel aus, resistent gegen alles Neue. Deshalb steht Tradition hoch im Kurs. »Wir sind hier nicht bei CSI Miami, sondern in der Provinz. Hier geht es nicht um Drogenkartelle oder Geldwäsche. Hier sind die Gründe zumeist viel boden ständiger.«528 So empört sich ein Beamter des Kommissariats einmal und beweist damit, dass er die Attersee-Gegend für recht idyllisch einschätzt. »Herzlich willkommen in der Urlaubsregion Attersee. Sie wandte sich ab. Die Idylle trog.«529 Hier ist von Kommissarin Anders die Rede, als die zweite Leiche aus dem See gezogen wird. Man sieht, es geht recht handfest zu bei Beate Maxian. Ein Mord ist der Störfall in der Idylle, der Täter ein Psychopath, der sich außerhalb der Gesellschaft stellt. Die Ordnung ist wieder hergestellt, wenn der Mörder seiner Strafe zugeführt wird. Die Gesellschaft bleibt unberührt und heil, das Leben geht weiter.
Salzkammergut mythisch Christoph Ransmayr, Franz Kain und Barbara Frischmuth haben nachgewiesen, dass es keine unschuldigen Landschaften gibt. Die Natur, so reizvoll sie sich dem Betrachter auch immer darstellen mag, weist Spuren von Gewalt und Zerstörung auf. Solche Autoren gelten als Spielverderber, weil sie das, worüber gnädig Gras gewachsen ist, ausgraben. Heraus kommen verbogene, schreckliche Lebensweisen und grausame Todesarten. 527 Ebenda, S. 206. 528 Ebenda, S. 159. 529 Ebenda, S. 191.
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Manche aber schauen in die Landschaft und nehmen sie als beseelt und von unsichtbaren Wesen bewohnt, die seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden das Land bevölkern und eine Gesellschaft abseits der menschlichen bilden. Geister, Feen, Elfen und wie die Zwischenträger aus dem Reich des Unsichtbaren sonst noch heißen, stehen für eine Wirklichkeit, zu der Menschen keinen Zutritt haben und die einen Gegensatz zu der von Vernunft, Fortschritt und Ökonomie durchdrungenen Welt darstellt. Wenige, auserwählte Menschen weisen überhaupt die Fähigkeit auf, dieser anderen, geheimen Wirklichkeit eine Existenzberechtigung zuzugestehen. Die meisten tun das ab als Humbug und Firlefanz, als Reste eines überkommenen Aberglaubens. Die Mythen und Sagen, aus den Tiefen der Vergangenheit in die Gegenwart weitergetragen, sind die literarischen Territorien, auf denen solche schwer fassbaren Wesen ihre Lager aufschlagen. Sie beziehen ihr luftiges, an der Grenze zum Verschwinden angesiedeltes Dasein aus der Tradition, die so weit zurückreicht, dass selbst schriftliche Quellen nur mangelhaft darüber Auskunft geben. Aber weil Tradition ohnehin nicht als abgeschlossenes Paket für alle Ewigkeit unwandelbar weitergereicht wird, verändern sich diese Gestalten nach der jeweiligen Zeit. Ausgestorben sind sie nicht, dafür sind sie allzu gut verwendbar als Kundschafter aus dem Seelenkeller der Menschen. Das Salzkammergut eignet sich deshalb so ausgezeichnet, an die alten Mythen anzuknüpfen, sie weiterzudenken und umzumodeln, weil sich auch die Landschaft als derart wandlungsfähig und vielfältig erweist. Ihr scheint ein Geheimnis eingeschrieben zu sein, das nur darauf wartet, gelüftet zu werden. Die Berge hoch, die Seen tief, der Nebel wabernd, es geschieht jeden Augenblick, dass sich feste Konturen auflösen, der klare Blick schwindet und die Fantasie, schlummert sie nur je in einem willigen Beobachter, in eine andere Dimension eintritt. Natürlich bewegt man sich als Schriftsteller auf gefährlichem Gelände, wenn man die Fantasiewesen aus dem unaufgeklärten Zeitalter in die Gegenwart hievt, um sie hier ihre Späße treiben oder an der Gegenwart verzweifeln zu lassen. Der Ruch des Reaktionären oder Hinterwäldlerischen haftet solchen Wiederbelebungsversuchen an, wenn nicht der verfremdende Blick des Zeitgenossen diese Wesen einer kritischen Revision unterzieht. Auch drohen solche Adaptierungen von Gestalten aus der Welt von Vorgestern in die Banalitätsfalle zu stürzen oder sich vor lauter falscher Anmut und Lieblichkeit der Lächerlichkeit preiszugeben. Gerade in einer Zeit, da Fantasy einen derart hohen Stellenwert in der Jugendliteratur aufweist, kann es passieren, dass andere literarische Unterfangen, die mit diesen Hervorbringungen der reinen Unvernunft nichts zu tun haben, in ein schiefes Licht geraten. Barbara Frischmuths »Sternwieser Trilogie«530 täte man schweres Unrecht an, würde man sie 530 Die »Sternwieser-Trilogie« besteht aus den drei Bänden »Die Mystifikationen der Sophie Silber« (1976), »Amy oder Die Metamorphose« (1978) und »Kai oder die Liebe zu den Modellen« (1979), alle im Residenz Verlag in Salzburg erschienen.
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der weitgehend infantilisierten und banalisierten Massenware Fantasy gleichstellen. Diese Bücher erschienen, als von einem Boom der Fantasy-Literatur noch nicht zu reden war. Besser, man misst Frischmuth an den klassischen Vorläufern Sage, Märchen und Mythos, die die Wendung in eine kritische Zeitbestimmung nehmen. Wie also stellt man es in einem nachromantischen Zeitalter an, der der Glaube an eine wunderlich durchwirkte Natur abhandengekommen ist, trotzdem diese Luftwesen zu Trägern einer plausiblen Handlung zu machen ? Es bedarf eines formalen Kunstgriffes und der Ironie, sie so glaubhaft agieren zu lassen, dass wir sie akzeptieren als Personal, dem wir unsere Aufmerksamkeit schenken und ihnen sogar als glaubwürdige Partner im Geiste auf ihren Wegen und ihren Gedanken folgen. Als Motivkonstanten in Frischmuths Schreiben bezeichnet Ingrid Spoerk »die Vermischung von Traum und Wirklichkeit und die Verquickung mythischer und märchenhafter Stoffe mit der Zeitgeschichte«.531 Das ist gut beobachtet, hat die Allgemeingültigkeit des Werks im Blick. Dagegen ist nichts zu sagen ; ist es doch ein Qualitätsmerkmal von Literatur, wenn sie über die Enge des Regionalen hinaus sich auch in anderen Sprach- und Kulturräumen zu behaupten vermag. Angesiedelt ist das Werk aber nicht in einem mythischen Irgendwo, einer Variation des fiktiven Utopia, sondern im Salzkammergut, genauer : im »steirischen Salzkammergut«532, wie die Verfasserin nicht müde wird zu betonen. Um den Nachweis zu erbringen, wie tief sie eingetaucht ist in die Gebräuche der Bevölkerung, lässt sie ihr Romanpersonal typische Szenen des Altausseer Alltags und der Festkultur durchleben. Zwei Gruppen von Figuren lässt sie auftreten. Alpinox, der Alpenkönig als Menschenfreund, umgibt sich mit einer Schar von Elfen, Feen, Zwergen, Waldfrauen, und alle sind ausgestattet mit wunderbaren Kräften, die mit wissenschaftlichen Methoden nicht zu erklären sind. Selbst bezeichnen sie sich als »die lang Existierenden« und heben sich damit ab von den »Enterischen«,533 den gewöhnlichen Menschen also, denen es nicht vergönnt ist, die Grenzen der Physik mit ihrem Körper zu überschreiten. Diese bleiben in ihrer doch recht eingeschränkten Welt, während sich die anderen souverän zwischen den verschiedenen Wirklichkeiten zu bewegen vermögen. Glücklich ist das Sagenvolk nicht, weil es sich zunehmend von den Menschen verraten fühlt. Die neue Zeit saust über sie hinweg, der Glaube an sie ist marginal geworden und kaum jemand erinnert sich noch an sie, um sie um Beistand zu bitten, wie das zu der Zeit, als den Sagen der Region noch Echtheitswert zukam, gang und gäbe war. »Wir haben uns überlebt, Verehrteste, das ist die traurige
531 Spoerk, Ingrid : Barbara Frischmuth, in : Kraft, Thomas (Hg.) : Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, Bd. 1, München 2003, S. 362. 532 Frischmuth, Barbara : Die Mystifikationen der Sophie Silber. 4. Auflage, München 1985, S. 141. 533 Ebenda, S. 186.
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Wahrheit. Wir sind für die Enterischen unnütz geworden, glauben Sie mir«,534 führt der Alpenkönig beredt Klage bei Amaryllis Sternwieser, die zugeben muss, dass »die Enterischen uns bereits in so vielem voraus sind.«535 Aus dieser Konstellation, auf der einen Seite die modernen Menschen, die den Glauben an die Wirkkraft höherer Mächte aufgegeben haben, und den Zauberwesen auf der anderen Seite, die sich nicht damit abfinden wollen, dass sie in der Geschichte der Menschen keine Rolle mehr zu spielen haben, bezieht der Roman »Die Mystifikationen der Sophie Silber« seine Energien. Das steirische Salzkammergut eignet sich deshalb als Ort der Handlung gut, weil auf einem überschaubaren Raum nachgewiesen werden kann, wie der Tourismus die Struktur der Gesellschaft verändert. Amaryllis Sternwieser mischt sich zur Tarnung unter die Menschen, als wäre sie eine von ihnen und bekommt auf diese Weise mit, was vorgeht im Ort. Sie erschrickt, dass regelmäßig Leute bei ihr vorbeikommen, »und ich wohne gewiss in einer abgeschiedenen Gegend, um zu fragen, ob ich nicht ein Zimmer frei hätte.«536 Mit dem verfremdenden Blick der Geisterwesen nimmt Frischmuth Altausseer Gegebenheiten wahr, um den Ausverkauf von Landschaft, Kultur und Leuten einer kritischen und distanzierten Analyse zu unterziehen. »Die Enterischen werden einem immer enterischer und die Orte, an denen man sich ungeniert bewegen kann, gibt es schon kam mehr«,537 das ist die Erfahrung, die Rosalia, die Salige, eine Waldfrau, machen muss. Dabei ist sie nicht anders als der Alpenkönig oder die Fee Amaryllis Sternwieser gleichsam von der Kultur der Region imprägniert, dass sie wie alle anderen auch den Jargon der Einheimischen pflegen. Sie sind ein Teil dieser Kultur, der aber in seiner Rückständigkeit auf eine Verlängerung des Aufenthalts hier nicht rechnen darf. Sie haben sich derart artig assimiliert, um nicht aufzufallen, dass sie sich in ihrer konservativen Art am liebsten in Tracht und Dirndl zeigen. Überhaupt geht es recht steif zu bei ihnen, gespreizter, höflicher als unter Menschen üblich, vollkommen auf Einhaltung der Etikette bedacht, die sie den Altausseern abgeschaut und überspitzt übernommen haben. Sophie Silber kommt nach langer Zeit zurück an den Ort ihrer Kindheit und mietet sich im besten Hotel ein. Als Gäste finden sich dort »die lang Existierenden« ein, »und all diese Damen […] trugen Steirergewänder. Dirndlkleider in den seltsamsten Farbzusammenstellungen, doch waren keine lauten Farben darunter. Auch waren keine modischen Einflüsse feststellbar, eher eine gewisse Patina, die an die verschlissene Eleganz erinnerte, auf die früher die Adeligen bei ihren Land-
534 Ebenda, S. 10. 535 Ebenda, S. 9. 536 Ebenda, S. 9f. 537 Ebenda, S. 13.
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aufenthalten so großen Wert gelegt hatten.«538 Sie sind die wahren Hüter der Tradition, stellen durch ihr bloßes Dasein die Kritik des herrschenden Bewusstseins dar. Wenn Amaryllis Sternwieser »das einfache Leben, die frische Milch und das würzige Brot«539 preist, erweist sie sich als hoffnungslos rückständig, weil der Zeitgeist dem Fortschritt verpflichtet ist. Die Wesen aus der Gegenwelt streben eine Art konservative Revolution an, die nicht durch eine Theorie gestärkt wird, sondern ihre Berechtigung aus einem Lebensgefühl gewinnt. Frischmuth hängt Detail an Detail, um Salzkammergut-Identität sichtbar zu machen und zugleich deren prekäre Lage vorzuführen. Aus der Eigenart der Fee Amaryllis Sternwieser, Generationen von Menschen zu überleben ohne sich sichtbar zu verändern, schlägt Frischmuth ästhetisches Kapital. Sie ist es, die den Überblick in der Geschichte bewahrt, die die Umbrüche im 20. Jahrhundert mitbekommt, aber selbst nicht unmittelbar ins Geschehen involviert ist. Sie vermag aus dem Abstand zu verstehen, wie sich Menschen unter dem Einfluss der aktuellen Verhältnisse verändern. Zeitgeschichte aus der Elfen-Perspektive wirkt deshalb reichlich verschroben, weil Elfen Geschichte nicht nach Art der Menschen deuten. Sie kommt mehr als Verhängnis über sie, als dass sie selbst sie gestalten würden. Das ist die Folge der Wahrnehmung, die nur sieht, wie Menschen handeln und reagieren, ohne sich über Motive und Anlässe Gedanken zu machen. Der Erste und der Zweite Weltkrieg werden in ihrer wahren Bedeutung deshalb nicht erfasst. Große Ereignisse stehen als Wegmarken im Raum, aus denen der Leser selbst etwas zu machen angehalten ist, weil es den Gestalten aus der Parallelwelt, so gern sie auch verstehen würden, wie Menschen ticken, an Bewusstsein mangelt. Wenn in Amaryllis »eine Ahnung«540 auftaucht, entspricht das ihrem Wesen, dem Reflexion nicht liegt. Die Situation im steirischen Salzkammergut verschärft sich langsam, aber unausweichlich. Die Region ist auf die Sommerfrischler angewiesen, aber dass für Juden, wenn die Nazis an die Macht kommen, kein Platz mehr ist, stellt sich als stiller Konsens in der Bevölkerung ein. »Noch saßen die zukünftigen Opfer und die zukünftigen Schuldigen in denselben Gastgärten, wen auch schon kaum mehr an denselben Tischen. Noch wirkten die Bande des jahrzehntelangen sommerlichen Sichkennens aufschiebend, zumindest, was die Einheimischen und ihre Sommergäste betraf.«541 Und wenn der Krieg vorbei ist, vergraben die für den Krieg Verantwortlichen, »die ihre eigene Zukunft sichern wollten«, Kisten mit Gold. Andere Kisten werden im See versenkt. So knapp handelt Frischmuth die Legende vom Toplitzsee ab. 538 Ebenda, S. 25. 539 Ebenda, S. 33. 540 Ebenda, S. 103. 541 Ebenda, S. 187.
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Mit großer Detailfreude widmet sich Frischmuth den Gebräuchen in Altaussee, »den heiligen drei Faschingstagen«542, »dem berühmten Weibereisschießen«543, dem »Treiben der Eisschützen«544 Am Lokalkolorit macht sie eine Art Über-Normalität dingfest, von der sich die Wirklichkeit der »lang Existierenden« abhebt. Die Genauigkeit, mit der Eigenheiten des Salzkammerguts beschrieben werden, hat bei Frischmuth eine Vorgeschichte. Im Band »Tage und Jahre« versammelt sie Bruchstücke eines Lebens in kleinen Texteinheiten als Beobachtungen, Reflexionen und Momentaufnahmen, die kein Ganzes ergeben, aber ein loses Gebilde aus Einfällen und Erinnerungen, die ein Menschenleben ausmachen. »Der See ist zugefroren und von einer dünnen Schneeschicht bedeckt« 545, so beginnt eine kleine Alltagsszene aus Altaussee. Manche dieser Notizen lesen sich so, als seien sie vorbereitendes Material für den späteren Roman, in dem gerade solche Ansichten aus dem wahren Leben einen Authentizitätsanschein erwecken. Die Erinnerungen an die Kindheit in Altaussee bergen auch den selbstverständlichen Umgang des Mädchens mit Märchenwesen und mythischen Gestalten. Sie gehören zum Salzkammergut, die »Sternwieser-Trilogie« ist nur eine kräftig und erfindungsreich ausgebaute Variation dessen, was ohnehin zum festen Bestand des überlieferten Geschichtenstoffes der Region zählt. Die Kinder unternehmen eine Wanderung auf den Loser, und für sie ist es das wundersam belebte Reich von Wunschwesen und Angstgestalten, aus dem Inneren der Seele in die Natur ausgelagerte Figuren, mit denen man, obwohl man sie noch nicht anders als in der Einbildung gesehen hat, selbstverständlich lebt. Sie gehören dazu zum Leben, bevölkern den Wald, der den Kindern schon »immer sonderbar«546 und unheimlich vorkam. »Ein jeder von uns hat einen bestimmten Zwerg, der einen bestimmten Namen hat und genauso aussieht, wie wir ihn uns gegenseitig beschreiben.«547 Frischmuth tischt uns Mythen auf, um hintenherum von der Gegenwart zu erzählen. Kinder suchen das Mythische, um sich aus der Gegenwart davonzustehlen. Michaela Holzinger hilft ihnen dabei, indem sie sich für sie den Roman »Laurenz und der Stein der Wahrheit« ausgedacht hat, in dem das keltische Erbe, das auch bei Frischmuth gegenwärtig ist, unmittelbar ins Hier und Jetzt durchschlägt.548 Der Ort der Handlung ist Gmunden, mit der opulenten Kulisse von Traunsee und Traunstein ideal für eine Geschichte, in der es geheimnisvoll und ein bisschen unheimlich zugehen soll. Logik ist nicht die Stärke der Autorin, aber das stecken Kinder weg, wenn 542 Ebenda, S. 150. 543 Ebenda, S. 141. 544 Ebenda. 545 Frischmuth, Tage und Jahre, S. 94. 546 Ebenda, S. 99. 547 Ebenda. 548 Holzinger, Michaela : Laurenz und der Stein der Wahrheit, Innsbruck 2012.
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sie sich festlesen dürfen an einer Geschichte, in der nach dem Prinzip der Fantasy finstere Mächte die hellen bedrängen. Alles hängt an Kindern, um eine Katastrophe, die über die Menschen zu kommen droht, im rechten Augenblick zu verhindern. Laurenz, ein Bub aus Wien und Internatszögling, ist mit den Mächten aus einer anderen Welt, heißen sie nun Elfen, Zwerge oder Hexen, nicht vertraut. Er muss sich erst einmal an den Gedanken gewöhnen, dass es an ihm und seinen Freunden liegt, den Kampf gegen die Feinde, die aus einer anderen Zeit kommen, aufzunehmen. Im Inneren des Brunnens am Stadtplatz von Gmunden findet der große Showdown statt, unbemerkt von den Erwachsenen, die nicht viel kapieren von dem, was vorgeht. Holzinger bleibt nah an der topografischen Wirklichkeit von Gmunden. Die Wege der Menschen im Buch könnte man abgehen, die Gebäude lassen sich genau verorten. So simuliert die Verfasserin Glaubwürdigkeit. Das Unheimliche entspringt direkt aus dem Alltag, der nur so unschuldigen Wesen wie Kindern seinen Doppelcharakter verrät. Holzinger spielt zwar mit Elementen aus der Fantasy-Literatur, um den Anschluss an Mode und Zeitgeist nicht zu verpassen, aber eigentlich bleibt sie in der Tradition eines über Generationen von Abenteuerbüchern hinweg geretteten und nur unwesentlich modifizierten Motivs. Ein paar Kinder tun sich zusammen, geraten gegen ihren Willen in ein dramatisches Geschehen, und nun hängt es an ihnen, den Kampf gegen das Böse aufzunehmen, um die Welt ein bisschen besser zu machen. Holzinger nimmt in Kauf, um mit ihrer Geschichte an ein Ende zu kommen, der Vernunft nicht allzu viel Mitspracherecht zu gewähren, anders kommt sie nicht raus aus dem Wirbel, den sie schreibend verursacht hat. Die Geschichte ist das eine, gleichzeitig geht es ihr um etwas anderes. Solch eine Geschichte spielt nicht zufällig in Gmunden. Die Autorin besinnt sich auf keltisches Gedankengut, um dem Salzkammergut seine mythische Vergangenheit zurückzugeben. Diese bedeutet ihr nicht Schnee von gestern, sondern an jeder Ecke lauert ein Geheimnis, das in die Tiefe der Geschichte führt, als die Christianisierung der Region noch fern war. Bei Holzinger geht von Plätzen eine magische Wirkung aus. Laurenz Vater, der aus Gmunden stammt, ahnt das, was für die Kinder selbstverständlich ist. »Für mich war er immer unheimlich, dieser Berg«, gesteht er mit Blick auf den Traunstein. »Keine Ahnung warum. Aber ich habe mich hier nie richtig wohlgefühlt. Es kam mir vor, als ob von ihm eine Gefahr ausgehen würde. So, als ob dort oben etwas lauern würde.«549 Die Kinder haben eine Ahnung, warum. Sie haben die Gefahr besiegt und Gmunden zu einem sicheren Ort gemacht. Das passiert, wenn Sagen und Mythen in den Alltag aushebeln. 549 Ebenda, S. 155.
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Im Jahr 1938 erschien eine Erzählung von Alexander Lernet-Holenia, die sich auf den ersten Blick wie eine locker-leichte, unbeschwerte Sommergeschichte ausnimmt : »Strahlenheim«.550 Der Autor hielt sich seit Kindheitstagen viel in St. Wolfgang auf, lebte ab 1926 zeitweise überhaupt dort im Haus seiner Mutter. Das schmale Buch lässt sich gut an die Seite von Hilde Spiels Roman »Verwirrung am Wolfgangsee« stellen, wo der jugendliche Charme von Urlaubern den bedenklichen zeithistorischen Umständen ihr Gewicht nimmt. Der neunzehnjährige Strahlenheim nimmt sich im Jahr 1917 eine Urlaub von der Front, um ein paar unbeschwerte Tage am Wolfgangsee zu verbringen. Er trifft auf eine illustre Gesellschaft, die ihn sofort freundschaftlich empfängt, gar umschmeichelt. Der junge Mann, ein eitler Tropf, keine Frage, verliebt sich in eine Siebzehnjährige, alles verläuft so, wie man es von einem kleinen Landabenteuer eines verwöhnten Burschen erwarten mag. Sommer, Sonne, Leidenschaft, recht banal das Ganze, würde nicht doch noch etwas anderes arbeiten in diesem Buch, das sich der Vordergründigkeit der Geschichte widersetzt. Die Ahnung einer Gegenwelt, einer mythischen, unberechenbaren Wirklichkeit, die aus einer fernen, heidnischen Vergangenheit in die Gegenwart reicht, schlägt durch. So etwas muss Barbara Frischmuth, die mit Feen und Geistern ein guter Draht verbindet, einleuchten. Strahlenheim, der Ich-Erzähler der Geschichte, erweist sich von allem Anfang an von der Natur überwältigt. Er charakterisiert sie mit Attributen, die nicht nur der Pracht und der Herrlichkeit ihren Tribut zollen, sondern Natur steht für etwas Höheres, das zu erfassen die Vernunft allein nicht ausreicht. »Die Berge glänzten wie Träume«,551 heißt es am Anfang. Ein kühnes Bild, das die Natur kurzschließt mit den psychischen Vorgängen des Menschen. Außen und Innen gehören zusammen, das eine bildet einen Spiegel des Äußeren, überhaupt besteht eine Verbindung von Bergen, Seen, Pflanzen und den Menschen. Zwei ältere Männer, beide Invaliden, unternehmen eine Exkursion zu einer Höhle. Der eine trägt nach einem Kriegsleiden eine Silberplatte in seinem Kopf, dem anderen wurde ein Bein weggeschossen, seitdem muss er mit einer Holzprothese Vorlieb nehmen. Sie suchen eine Naturstätte, die von Mythen umrankt ist. Ein Mönch soll sich in heidnischen Zeiten dort aufgehalten haben, von einem »Heiligtum«552 spricht der Erzähler noch im Abstand von Jahrhunderten. Das Gelände ist zerklüftet und unzugänglich, zu viel für die beiden, durch ihre körperlichen Gebrechen ohnehin benachteiligt. Strahlenheim schenkt den beiden Gehör und gerät selbst in den Bann der Grotte, die zu schildern er sich einer Ästhetik des Wunderbaren bedient. Kurz darauf macht 550 Lernet-Holenia, Alexander : Strahlenheim, Wien/Graz/Klagenfurt 2014. 551 Ebenda, S. 7. 552 Ebenda, S. 24.
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er sich mit seiner jungen Liebe Lola selbst auf den Weg, um das Geheimnis des Naturdenkmals zu ergründen. Die Höhlenerforschung im Zeichen der Versenkung in einen vorchristlichen Kult bildet den eigentlichen Erzählanlass. Nicht, dass irgendjemand etwas Genaues zu sagen wüsste über Gebräuche und Rituale aus der fernen Zeit, sie alle aber, die sich dort im Lauf der Zeit einfinden, stehen im Bann von etwas Großem, das sie nicht zu definieren vermögen. Um die Kraft der Natur besonders deutlich herauszustellen, muss auch noch ein Gewitter über den See hereinbrechen, das an den Weltuntergang gemahnt. Die Menschen in den Booten werden zum Spielball der ungeheuren Kräfte, die sich kurz einmal zeigen, ein Todesopfer fordern und dann wieder Frieden geben. Der Mensch, sagt uns Lernet-Holenia, ist ein gar dürftiges Wesen, das jederzeit von Naturgewalten weggeräumt werden kann. Die Natur ist groß, gnädig allerdings nicht. So, wie der Sturm beschrieben wird, meint man nicht, dass er den Wolfgangsee heimsucht, es sieht mehr nach einem Drama auf offener See aus : »… inmitten einer weißen Hölle von weißem Schaum und unter einem Winddruck, der uns den Atem völlig benahm, kenterten nun auch wir, und die ›Paloma‹, weil die Segel … gestrichen waren, blieb nicht auf dem Wasser liegen, sondern ward weiter herumgedreht, richtete sich wieder auf, kenterte von neuem und fuhr fort, sich unter einem Schwall heranstürzender, mannshoher Wogen immer wieder seitwärts zu überkollern und zu überschlagen.«553 »… ward herumgedreht« – auch die altertümelnde Sprache spielt mit, um uns zu beglaubigen, dass wir unversehens aus der Gegenwart gestürzt sind in eine Wirklichkeit, die von Zeit unbeeinflusst ist. Frischmuth lässt ein reiches Personal an Zwergen, Elfen und anderen Waldgestalten auffahren, um Natur zu beleben, bei Lernet-Holenia übernimmt die Natur selbst die Regie. Sie ist die letzte Instanz, die über Leben und Tod bestimmt. Um das zu bestätigen, bedarf es für Lernet-Holenia einer Kulisse, für die ihm St. Wolfgang und Umgebung gerade recht sind : Der Naturmystiker findet sein Salzkammergut.
Salzkammergut global Im 21. Jahrhundert bekommt die Regionalliteratur einen neuen Anstrich verpasst. Die Provinz ist nicht mehr länger der Gegen-Ort zur Metropole, sie hat sich zu deren Dependance gewandelt. Die politische und künstlerische Avantgarde des 20. Jahrhunderts vermied es, in Verbindung mit Regionalismus gebracht zu werden. »Deren Internationalismus verstand sich zugleich als Anti-Provinzialismus.«554 Spätestens seit den Erfolgen von Donna Leon verlegen Krimiautoren Handlungsorte des Schreckens in die Idylle oder in die Rückständigkeit und rehabilitieren 553 Ebenda, S. 95. 554 Mecklenburg, Regionalismus und Literatur, S. 9.
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damit die Provinz als Schauplatz der Verbrechen. Und so wie Donna Leon im beschaulichen, außerhalb der Urlaubszeit verschlafenen Venedigs nicht nur die persönlichen Dramen von Eifersucht, Gier und Hass abspult, sondern die mächtigen Global Player ihren gar grässlichen Absichten nachgehen lässt, überrollt jetzt auch das Salzkammergut, literarisch jedenfalls, die Internationale des wirklich dreckigen Verbrechens. Die Bevölkerung bekommt davon aber sowieso nichts mit, weil das große Geld die Eigenschaft besitzt, sich wie Täter in dunklen Kanälen zu verlaufen. Das verhält sich jedenfalls bei Stephan Dorfmeister und seinem Roman »Transit mordroute«555 so. Dorfmeister fährt schwere Geschütze auf. Menschenhandel, Zwangs prostitution, Mord, all diese unfeinen Methoden menschlicher Vorteilsnahme werden im Umfeld der Firma Europtrans erledigt. Und der Chef selbst, ein Opfer seiner Gutgläubigkeit, der selbst nicht so recht weiß, wie ihm geschieht, sieht in seiner Biederkeit aus wie ein Unschuldstäter. Paul Karasic, der eigentlich im Auftrag einer Bank die finanzielle Lage von Europtrans klären soll, gerät durch Zufall in einen Fall, den er nur löst, weil immer, wenn es eng wird, Vertrauenspersonen auftauchen, die Entscheidendes mitzuteilen haben. Auf den ersten Blick ist alles wie immer. Peter Markus, der Wirt vom Hotel »Weiße Gans« am Wolfgangsee, tritt in Ausseer Trachtenjoppe auf und erinnert in seinem Aussehen stark an Kaiser Franz Joseph. So beschwört er eine alte Zeit, die nie gut war, aber weit genug weg ist, um sie zu verklären. Er ist ein patenter Kerl, mischt überall mit, wo sich etwas bewegen lässt, in Politik, Wirtschaft und Tourismus. Ein Tausendsassa und recht sympathischer Kerl, von regem Verstand obendrein. So jemand hat in der zeitgenössischen Literatur einen schweren Stand, zumal er dem Generalverdacht ausgesetzt wird, dass der Tüchtige, der sich über andere erhebt, ein perfider Machtmensch sein muss. Immerhin haben seine Entscheidungen weitreichende Auswirkungen auf Menschen, die die Folgen zu tragen haben, aber an Entscheidungsfindungen nicht beteiligt werden. Nicht so bei Stephan Dorfmeister, der sich in der Wirtschaft auskennt und genau solche Typen schätzt, die etwas weiterbringen, ausgesprochen erfolgreiche Arbeit leisten und dabei das Gemeinwohl nie aus dem Auge verlieren. So jemand von rechtem Schrot und Korn, solch eine gutmütige Führungskraft, wirkt wie eine Unternehmergestalt aus einem früheren Zeitalter, als man den kleinen Leuten deutlich machte, dass alle Segnungen von oben kommen und Aufstände jeder Notwendigkeit entbehren. Tatsächlich lernen wir Peter Markus als jemanden kennen, der sofort zur Stelle ist, wenn Hilfe benötigt wird. Er wurde Zeuge, wie St. Wolfgang und damit das gesamte Salzkammergut ökonomisch in Bedrängnis geriet. »In den achtziger und neunziger Jahren war der Ansturm schließlich vorbei und heute muss man sich gegen Billig
555 Dorfmeister, Stephan : Transitmordroute. Der zweite Fall des Paul Karasic, Wien 2014.
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reiseangebote der Charterflieger zur Wehr setzen.«556 Den Niedergang, verschärft durch die jüngste Wirtschaftskrise, bekommen alle Branchen zu spüren. Manche weichen in kriminelle und halbseidene Geschäfte aus. Ein Transportunternehmer aus Eugendorf bei Salzburg schlittert tief in den Sumpf des Verbrechens. Er begeht nämlich einen Fehler, den der gewiefte Hotelier vermeidet, er holt sich potente Geldgeber aus dem Osten ins Boot. »Kaum nimmt der Eigentümer das Angebot an, wird schrittweise das Unternehmen verwendet, um Schwarzgeld mit Scheingeschäften oder Leistungen, die im eigenen Besitz befindliche Firmen erbringen, weißzuwaschen.«557 Der Unternehmer, der eben noch gehofft hatte, seinen maroden Betrieb zu retten, wird langsam und unaufhaltsam entmündigt und seines Vermögens beraubt. So läuft das, wenn man sich mit der Ostmafia einlässt. Der Wirt von der Weißen Gans in St. Wolfgang verhält sich viel zu gewieft, als dass er den wilden Geschäftemachern aus dem Osten auf den Leim gehen würde. Und wilde Kerle sind diese tatsächlich. Sie morden, wenn sie sich in Gefahr befinden, sie machen Geschäfte mit Schlepperei und Prostitution, und Dorfmeister setzt alles daran, uns zu zeigen, wie brutal es zugeht in dieser Welt. In dieser Welt, nicht im Salzkammergut ! Da wachen Gestalten wie Peter Markus über die Unversehrtheit der Region. Von so miesen Typen lässt er sich sein Salzkammergut nicht vermiesen. Dafür sehen wir ihn als großherzigen Gastgeber, der sich rührend um die Opfer der Mafia besorgt zeigt. Er bildet in einem Wirtschaftskrimi die seriöse und erfolgreiche Alternative zum organisierten kriminellen Wirtschaften, das buchstäblich über Leichen geht. Das erkennt man schon daran, dass Vorteile für das Salzkammergut gleichsam von fürstlicher Gnade vergeben werden. Der gute Wirt als guter Hirte einer Gesellschaft, der er sich liebevoll verbunden fühlt. Ganz unkitschig geht es dabei nicht ab, auch wenn Sachlichkeit im Tonfall angestrebt wird : »Eine erste Analyse hat ergeben, dass sich aus den Beteiligungsstrukturen eine richtige Regionsgesellschaft für das Salzkammergut entwickeln lassen könnte, vergleichbar mit den in den USA üblichen Gesamtregion-Gesellschaften. Dies hätte zur Folge, dass man erhebliche Nachteile, die durch das nicht koordinierte Vorgehen von Einzelbetrieben in der Vermarktung, Verwaltung und Infrastrukturnutzung entstehen, optimieren könnte.«558 Gemeinsam sind sie stark und nicht länger anfällig, sich falschen Freunden aus dem Osten auszuliefern. Das ist die Lehre, die gezogen wird nach einem Kriminalfall, der eine für das Salzkammergut zu gewaltige Dimension annimmt. Aber Stephan Dorfmeister nimmt den Krimi ja nur zum Anlass, etwas über die Mechanismen der heutigen Wirtschaft und deren Fallstricke zu erzählen. Zuerst gibt es etwas zum 556 Ebenda, S. 77. 557 Ebenda, S. 96f. 558 Ebenda, S. 331.
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Fürchten und dann tauchen Lösungen auf, die Modellcharakter für die Zukunft annehmen. Etwas gar einfach konstruiert wirken sie schon angesichts der Schreckensszenarien von weltwirtschaftlicher Dimension. Das hat etwas trotzig Putziges – auch das ein Attribut, mit dem das Salzkammergut bezeichnet wird. Beate Maxian, eigentlich auf Mordgeschichten spezialisiert, kommt nicht umhin, auf den Wandel der Landregionen zu sprechen zu kommen, wenn sie die AtterseeGegend genauer in den Blick fasst. Von Globalisierung ist bei ihr nicht die Rede. Konflikte, unter denen die Einheimischen leiden, erwachsen aber aus dem tiefgreifenden Wandel der Wirtschaft, auf den die Menschen vom Attersee nur reagieren können. Bauern werden kaum noch gebraucht. »Es wurden leider, wie überall, von Jahr zu Jahr weniger.«559 Höfe werden zweckentfremdet von wohlhabenden und schlecht gesinnten Leuten, die von außen kommen und ganze Verdrängungsarbeit leisten, wenn sie sich auf dem Land einkaufen und für sich unerhörte Rechte in Anspruch nehmen. »Manche Höfe waren verkauft worden, manchmal an Leute, die sich daraus ein Refugium der Ruhe geschaffen hatten und sich dann über das Krähen der Hähne morgens aufregten.«560 Das Gleichgewicht ist abhandengekommen, aus dieser Diagnose bezieht Maxians Roman seine Spannung. Menschen, die über Jahrhunderte als Bauern ihr Auslangen gefunden haben, müssen sich unter den veränderten Bedingungen neu orientieren. Manche funktionieren ihre Häuser zu »kleine(n) Frühstückspensionen für Touristen«561 um, andere ziehen weg »in die größeren Städte nach Wien, Linz oder Salzburg«562. Ein Jungbauer gerät als Mörder unter Verdacht, da ihn seine Lebensverhältnisse zu einer Tätigkeit als Nebenerwerbs-Callboy getrieben haben. So verrucht geht es auf dem Land zu, wenn globalisierte Zustände aus den Städten ausgelagert werden. Maxian erweist sich zu gleichen Teilen aufgeschlossen wie konservativ. Sie findet nichts am Gewerbe des Burschen, der aus der Not heraus seinen Körper verkauft, sie findet allerdings den Ausverkauf des Salzkammerguts an fremde Interessen verwerflich. Für sie bedeutet es keinen Fortschritt, wenn aus dem stillen Land der mit sich im Einklang lebenden Bürger eine Region der seelisch Zerstörten wird. Sie will sich nicht damit abfinden, dass das eben der Preis für eine um sich greifende Zivilisierung sein soll. In ihrer Kommissarin findet sie ein Sprachrohr für ihren verbalen Aufstand gegen die Anpassung des Landes an die Kultur der Städter. Für Peter Rosei, der sich intensiv mit der Wirtschaft beschäftigt hat und dem Raubtierkapitalismus mit Ironie begegnet, ist die Globalisierung überhaupt das Kennzeichen unserer Gegenwart. Lokale Identitäten werden dafür geopfert. Sein 559 Maxian, Tod mit Seeblick, S. 145. 560 Ebenda. 561 Ebenda. 562 Ebenda.
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Roman »Die Globalisten«563 spielt, wie es das Thema verlangt, nicht an einem einzigen überschaubaren Ort, an dem sich eine übersichtliche Anzahl von Figuren ihre Kämpfe liefern, er springt durch die Räume und zeichnet das Unterwegssein in der Form nach. Orte der Handlung sind Zürich, Wien, Kosice, Berlin, München und Zugabteile, wir befinden uns unter Geschäftemachern und gelangen in das Diplomatenviertel – und das Salzkammergut bekommt im globalisierten Zeitalter die Rolle des Rückzugsgebietes für müde Kapitalisten und Geldtriebtäter zugeschoben. Kein angenehmes Los für eine Region. Moralisch hat sie an Fragwürdigkeit zugelegt, denn die Menschen, die sich dort eingefunden haben, sind durchwegs von zweifelhaftem Charakter. Sie bleiben unter sich, die Einheimischen kommen bei Rosei gar nicht mehr vor. Jetzt machen die Reichen in der geschützten, abgelegenen Atmosphäre untereinander aus, wo es lang geht. Das Land hat den Vorteil, als Juwel zu gelten, das passt zu Geschäftemachern und windigen Kriminellen, die alles, also auch Landschaft, nach Wert beurteilen : »Salzkammergut ! Maßgenau in die grünen Matten eingefügt diese Häuser, passend über die Ränge der ansteigenden Bergmassive verteilt, bedacht dazu mit weiten Ausblicken, zum Himmel hinauf, der rein über den Gipfeln sich spannt, wie auch hinab in Tiefen und Täler, wo Seen glitzernd und verträumt sich runden, umrahmt das alles von dunkel ragendem Hochwald : Wer wollte da nicht sein ?«564 Und hier, inmitten dieses verführerischen Panoramas eine Villa, der Jachthafen befindet sich in Sichtweite, in der sich ein Mann und eine Frau aufhalten. Es muss wüst zugegangen sein, denn überall stößt man auf Spuren einer ausschweifenden Genusskultur, auf eine Unordnung, die darauf schließen lässt, dass hier Leute hausen, die gewohnt sind, dass hinter ihnen nachgeräumt wird. »Es lässt sich nicht leugnen : Das Ganze hat irgendwie Stil, hat Lebensart.« Die beiden haben sich im heftigen Streit aneinander abreagiert, man merkt dem ironischen Erzähler von Weitem an, dass er diese Glückssäcke für üble Wichte hält, Großkopfgestalten inmitten einer Naturkulisse, die ihnen in ihrer Erhabenheit vollkommen unangemessen ist. Saufköpfe und Streithanseln, eingeschnappte Eiteltröpfe, kein Auge für die Schönheiten, von denen sie umgeben sind – so richtet der Erzähler über feine Leute, die doch nur grobschlächtige Wichtigtuer sind. Rosei ist der Ehrenretter des Salzkammerguts, dem hier eine Opferrolle zukommt. Wie Eindringlinge, gar Kolonisatoren, die ihre beschränkten Vorstellungen dem Land aufzwingen, fallen diese Neureichen ein in die Region, die gut ohne solche Widerlinge auskommen könnte. In seinen Anfängen (»Landstriche«) begann Rosei mit Erzählungen, in denen Menschen ausgespart blieben, die reine, von Menschen unbehelligte Natur, hatte es ihm angetan. Und jetzt, da die Menschen unwiederbringlich die Regie übernommen haben, ist es vorbei mit der Größe der Landschaft. 563 Rosei, Peter : Die Globalisten, St. Pölten 2014. 564 Ebenda, S. 26.
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Region ohne Identität Thomas Bernhard kannte das Salzkammergut, die Region war ihm vertraut. In Ohlsdorf nahe Gmunden kaufte er sich 1965 einen baufälligen Vierkanthof, den er sich nach seinen Vorstellungen renovieren ließ. Er dachte daran, sich einen Schreib- und Wohnort zu schaffen, an dem er ungestört seinen inneren Verpflichtungen Gefolge leisten konnte. Dieses Gebäude wird heute als Bernhard-Haus für Veranstaltungen genutzt und ist für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Zwei weitere Anwesen hat er sich im Lauf der Jahre im oberösterreichischen Salzkammergut angeschafft, eines auf dem Grasberg bei Altmünster, ein anderes in Niederpuchheim bei Ottnang. Sein Leben gestaltet hat er in keinem von ihnen. In seine Literatur hat er die Orte aufgenommen. Man darf nicht erwarten, dass er sie so abbildet, dass sie der Überprüfung standhalten. Er macht etwas anderes daraus, modelt sie zur ThomasBernhard-Welt um, die mehr eine Wirklichkeit der Vorstellungskraft, der Obsession und der Imagination – und wenn nicht der eigenen, dann jedenfalls die seiner Figuren – ist als eine der reinen Beobachtung und detaillierten Wahrnehmung. Ein frühes Beispiel für die Verwandlung einer Region in eine Fantasie bildet die Erzählung »Die Mütze«. Der Erzähler, beständig von seiner Krankheit, »die Krankheit meines Kopfes«565 nennt er sie, schwadronierend, zieht sich in das Haus seines Bruders in Unterach am Attersee zurück, wo er zur Ruhe zu kommen hofft. Davon kann keine Rede sein, weil eine richtige Bernhardfigur sich als Antikünstler des Lebens in Szene setzt. Nichts passt, nichts geht auf, allüberall nur Hindernisse und Störfaktoren, die ein gedeihliches Entwickeln einer Persönlichkeit hintertreiben. Die Dämmerung und kurz darauf die Finsternis setzen dem Geplagten heftig zu, dazu kommt »diese grauenhafte Gebirgsatmosphäre«566, sodass er Reißaus nehmen und aus seinem »Zimmer hinaus und aus dem Haus hinaus auf die Straße«567 laufen muss. Er hat sich zu entscheiden, ob er die Richtung nach Parschallen oder nach Burgau einschlägt, von beiden Orten hält er nichts. Die Orte findet man auf der Landkarte, die Beschreibungen entspringen dem Kopf eines geplagten Individuums. Im »hässlichen Ort Parschallen«568 gibt es acht Fleischhauer, »obwohl keine hundert Leute in dem Ort leben«.569 Das ist witzig und gut erfunden, wie alles in dieser Geschichte, die nicht eine Region und deren Bewohner charakterisieren soll. Die Figuren bekommen ihre Individualität über die Region, in der sie leben, und weil
565 Bernhard, Thomas : Die Mütze, in : Höller, Hans/Huber, Martin/Mittermayer, Manfred (Hg.) : Werke, Bd. 14, Frankfurt a. M. 2003, S. 21. 566 Ebenda. 567 Ebenda. 568 Ebenda. 569 Ebenda.
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diese nun einmal finster, abweisend und menschenfeindlich ist, erweisen sich auch die Leute dort als finster, abweisend und menschenfeindlich. So einer wie dieser Erzähler hat nichts verloren an solch einem düsteren Ort, und doch harrt er aus – weil es für ihn keinen Ort geben kann, an dem er es aushalten könnte. Unterach, Burgau, Parschallen, das sind klingende Namen, die Bernhard in seine Prosa einbaut, um dieser weniger Authentizität denn Musik einzuhauchen. Thomas Bernhard dürfen wir uns nicht als Fremdenführer durch entlegene Landstriche vorstellen, sondern als einen Fremdenführer durch verwüstete Seelenlandschaften. Alles weist darauf hin, dass wir es beim Erzähler mit einem von Grund auf verstörten Charakter zu tun haben. Er findet eine Mütze im Schnee, ein ausnehmend hässliches Stück obendrein, und geht von Tür zu Tür, um den Besitzer ausfindig zu machen. Wo er auch hinkommt, blitzt er ab, wird scheel angesehen, von oben herab behandelt. Das alles liefert neue Nahrung, das Gefühl der Verlassenheit und der Durchtriebenheit der Menschen noch zu verstärken. So sind sie, die Salzkammergut-Bewohner, allergisch gegen Fremde – ein Befund, den Thomas Bernhard für österreichspezifisch nimmt. Mit seinem Roman »Grundlsee« geht es auch Gustav Ernst nicht darum, Lokalkolorit ins Buch zu bringen.570 Er hielt sich mit seiner Familie während der Dauer eines Schreibstipendiums dort auf und genoss die Atmosphäre dort. Das hinderte ihn nicht daran, eine Geschichte der Tristesse und des Schreckens sich dort ereignen zu lassen. Der Klang des Namens »Grundlsee« brachte ihn dazu, den Roman an diesen Ort zu verlegen. Die Wortmusik verheißt Bedrohliches, Unangenehmes, die Gefühle Runterziehendes.571
570 Ernst, Gustav : Grundlsee, Innsbruck 2013. 571 Die Informationen entstammen einem Gespräch des Verfassers mit dem Autor.
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V. »Dynamische Heimat« – Verstörung, Ungewissheit und Reflexion
Identitätsbildung ist nicht als ein nach rückwärts und auf den Erhalt eines Status quo ausgerichteter Prozess zu verstehen. Vielmehr ist Identitätsbildung, wie in der Einleitung bereits erwähnt (S. 10, 13 f.), ein dynamischer Vorgang : Da sich die soziale und materielle Umwelt des Einzelnen ständig wandelt, verändern sich auch Identitäten laufend, zumal diese durch die Schaffung innerer Kohärenz, d. h. die Vereinigung von Umwelt und eigenem Ich definiert wird. Voraussetzung dafür ist die Reflexion über die lokalen und regionalen Identifikatoren bzw. die regionale Identitätsbildung, das Hinterfragen sozialer, kultureller und politischer Praktiken und Manifestatio-
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nen. Und dazu braucht es wiederum jene, die Fragen stellen, ungewöhnliche Perspektiven bieten und vielfach auch provozieren sowie verstören. Damit wird Ungewissheit geschaffen, zugleich aber auch zur Reflexion über vermeintlich Wahres und Unverrückbares angeregt. Wie im vierten Kapitel deutlich wird, gehört die Literatur zu diesen Fragestellern. Seit den 1960er-Jahren kratzt die »Antiheimatliteratur« oder, wie sie auch genannt wird, »kritische Heimatliteratur« zunehmend an der Oberfläche der vermeintlich ländlichen Idylle und wagte einen Blick auf die tatsächlichen Arbeits- und Lebensverhältnisse sowie auf die Strukturen, die die »Provinz« zum einen für den Faschismus attraktiv gemacht und zum anderen die Aufarbeitung dieses schweren Erbes verhindert haben (S. 143 f.). Barbara Frischmuth, selbst in Aussee aufgewachsen, ist zum Beispiel eine solche kritische Stimme. Sie lässt die Erinnerung an die angeblich schöne alte Zeit, an die »Ursprünglichkeit«, die soziale Unterschiede in Harmonie auflöse, nicht gelten. »Im Sommer«, schreibt sie über den Fremdenverkehrsort Aussee, »wenn alles voller fremder Leute war, die sozusagen die Welt an ihn heranbrachten, gab er sich offen, zugänglich und hatte etwas von der verschlissenen Eleganz Adeliger, deren Steireranzüge einen ganz bestimmten Schnitt hatten. […] Im Winter hingegen verkörperte der Ort ein nach außen hin fast völlig abgeschlossenes Dorf, das im Schnee fast erstickte und außer den paar Gasthäusern kaum einen Lichtblick bot. Dann waren die Einheimischen wieder aufeinander angewiesen, und dazwischen blitzten die Räusche auf wie Grablichter zu Allerseelen.«572 Die nur auf Zeit gepachtete Harmonie zerbricht, die Selbstverortung der einheimischen Bevölkerung wird unbestimmt und ungewiss, je mehr die Bedeutung des Fremdenverkehrs abnimmt. Die regionalen und lokalen Identitätsbausteine wechseln somit situativ, im von Frischmuth beschriebenen Fall »je nachdem, ob die Kommunikation gegenüber den ›Fremden‹ nach außen geöffnet oder im Dorf binnenorientiert verläuft«.573 Frischmuth legt die wechselnde Bedeutung regionaler Identifikatoren (S. 14 f., 95) offen, in ihrem Fall die Rolle des Fremdenverkehrs und die damit verbundene Anbiederung an die Touristen. Sie thematisiert den Schein der Eleganz, den der Tourismus in den Sommermonaten vermittelt, der aber letztlich die dörflichen Abgründe nur durch eine dünne glänzende Schicht verdeckt. In Thomas Bernhards Drama »Elisabeth II.« wird dieser Aspekt regionaler Identität – aus der Sicht des Gastes – noch radikaler als bei Frischmuth thematisiert : »Glauben Sie wirklich / daß mir Altaussee gut tut«, fragt der greise Großindustrielle Herrenstein, »ich habe Altaussee immer gehaßt / diese alten Leute / alles muffig und vermodert / alles feucht / wenn wir ins Bett steigen steigen wir in ein feuchtes / es hat mir immer den Hals zugeschnürt in Altaussee / ich verstehe gar 572 Frischmuth, Tage und Jahre, S. 108. 573 Hellmuth/Hiebl, Bilder vom Salzkammergut, S. 100.
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nicht daß es Leute gegeben hat / die sich freiwillig in Altaussee angesiedelt haben
/ Schriftsteller Komponisten Komödianten / dieses ganze Gesindel hat sich dort angekauft / vor der Jahrhundertwende und danach / Kaum haben diese Leute Geld / kaufen sie sich diese alten scheußlichen Häuser / gehen in Dirndlkleidern herum und in Lederhosen / und machen sich mit Fleischhauern und Holzhackern gemein / In den Bergen bekomme ich keine Luft«.574 Frischmuth und Bernhard stellen die imaginäre soziale Einheit infrage, Bernhard kratz zudem an dem Bild der »schöne Landschaft« bzw. der künstlichen »Ursprünglichkeit«, das seit dem 19. Jahrhundert sowohl dem bürgerlichen als auch dem österreichischen und selbst dem proletarischen Salzkammergut (S. 108, 112 f.) immer wieder als Identifikator gedient hat. Eine solche Verstörung findet sich auch im Roman »Morbus Kitahara«575, in dem Christoph Ransmayer eine im Absterben liegende Bergbauregion, die nicht unschwer als Anspielung auf das Salzkammergut zu erkennen ist (S. 164 f.), beschreibt. Eisenbahnen und Industrieanlagen werden abgebaut, zugleich wirkt eine Vergangenheit nach, die allzu gerne verdrängt wird. 574 Bernhard, Thomas : Elisabeth II, Frankfurt a. M. 1987, S. 13f. 575 Ransmayr, Christoph : Morbus Kitahara. Roman, 3. Auflage, Frankfurt a. M. 1997.
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So hinterlässt ein Konzentrationslager seine Spuren in der Gegenwart. Nicht die positiv besetzte widerständige Region mit ihrer vermeintlichen »sozialen Vision« (S. 110 f.), sondern der Nationalsozialismus werden erinnert. Von Harmonie und Schönheit findet sich kaum noch eine Spur. Und so leidet einer der Protagonisten im Buch, Bering, an der Augenkrankheit »Morbus Kitahara«, die den Blick allmählich verfinstert, auch wenn dieser im Laufe der Zeit – wie er erfährt – angeblich »wieder heller« werde und »schließlich […] nicht mehr als zwei, drei hauchzarte Spuren« der »Angst auf der Netzhaut« zurückblieben.576 Und dennoch ist das vermeintlich Schöne belastet : »Diese japanische Krankheit würde ihn nicht blind machen. Nicht blind ! […] Bering rannte. Erst als ihn die Atemnot zum Langsamwerden und schließlich zum Innehalten zwang, erkannte er, daß er in die falsche Richtung gelaufen war.«577 Orientierung scheint nicht mehr möglich, die bleibenden Spuren der »Krankheit« führen in die Irre. Damit zerbrechen auch das Bild des schönen harmonischen Salzkammerguts und die »österreichische Salzkammergut-Identität«, die sich – aufgebaut zum Teil aus Versatzstücken des »bürgerlichen Salzkammerguts« – nach 1945 herausgebildet hat. Im Zeitgeschichtemuseum Ebensee und der Gedenkstätte Ebensee578 manifestiert sich die damit verbundene Verunsicherung gleichsam materiell : in den Ausstellungen im Museumsgebäude und in einem begehbaren Stollen eines Steinbruchs, der Teil einer großen Stollenanlage des Konzentrationslager Ebensee war, die in den letzten Kriegsjahren der nationalsozialistischen Rüstungsindustrie diente. »Abseits der Tradierung idealisierter Heimatbilder«, wird das Museum auf seiner Homepage beschrieben, »zeigt es die politischen Konflikte der Lagerkultur der Ersten Republik, die Geschichte der Verfolgung im Nationalsozialismus, Formen des Widerstands und Grundzüge des Umgangs mit der NS-Vergangenheit«.579 Die »Angst auf der Netzhaut« und die »hauchzarte[n] Spuren« der Vergangenheit werden sichtbar gemacht, somit wird der Verdrängung der ebenfalls zum Salzkammergut gehörenden »dunklen« Vergangenheit entgegengetreten. Dem lange Unaussprechlichen wird eine Stimme gegeben, ohne letztlich Gräben in der regionalen Gesellschaft aufreißen zu wollen. Vielmehr soll der Dialog mit den Bewohnern des Salzkammerguts geführt werden. Damit verbunden ist auch die Reflexion über einen statischen Identitätsbegriff, über Geschichtsmythen, nicht zuletzt auch über das Bild der jeglichen 576 Ebenda, S. 350. 577 Ebenda, S. 352f. 578 Quatember, Wolfgang : Die KZ-Gedenkstätte und das Zeitgeschichte-Museum Ebensee, in : Kaindl, Heimo (Hg.) : Museen schaffen Identität(en). 20. Österreichischer Museumstag Linz 2009, Wien 2011, S. 108–112 ; Felber, Ulrike/Quatember, Wolfgang (Hg.) : Zeitgeschichte-Museum Ebensee. Republik, Ständestaat, Nationalsozialismus, Widerstand, Verfolgung. Katalog zur Dauerausstellung, Ebensee 2005. 579 www.memorial-ebensee.at/de/index.php ?option=com.content&view=article&id=1&Itemid=2, abgerufen : 3. Oktober 2014.
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Konflikt überdeckenden »schönen Landschaft« und der damit verbundenen angeblich harmonischen Gesellschaft des Salzkammerguts. Heimat muss somit dynamisch verstanden werden,580 ebenso der Begriff der regionalen Identität. Zu einem dynamischen Heimatbegriff trägt auch der aus dem Salzkammergut stammende Musiker Hubert von Goisern bei. Sein Künstlername ist zum einen als Herkunftsbezeichnung interpretierbar, zum anderen lässt er aber auch eine ironische Anspielung auf den Habsburgermythos im Salzkammergut vermuten. Zudem lässt sich das adelige »von« als Ausdruck des selbstbewussten Einheimischen interpretieren, der sich in der »Ursprünglichkeit« weder von Kaiser, Adel und Bürger unterscheidet. Er vergleicht sich letztlich mit jenen, die der Region mit der Entstehung der Sommerfrische sozusagen ihren »Stempel« aufgedrückt haben, ironisiert dabei aber zugleich die Verklärung der habsburgischen Vergangenheit. Der Titel verliert damit letztlich seinen prätentiösen Beigeschmack, indem er gleichsam egalisiert wird bzw. auf die Einheimischen ausgedehnt wird. Ferner überzeichnet Hubert von Goisern, unter anderem in seinem Song »Koa Hiatamadl« von »dicken Wadeln« singend, die »Ursprünglichkeit« und trägt damit zu ihrer Dekonstruktion bei.581 Schließlich thematisiert Hubert von Goisern auch die Transformation von regionalen Identitäten. Mit seinem Lied »da dåsige«582, der Einheimische, verwirrt er durch einen unverständlichen, unzusammenhängenden Text sowie der Vermischung moderner und traditioneller Musikelemente.583 Da sich die Sprache und auch die Musik verändern, scheint das Altbekannte plötzlich nicht mehr erkennbar. Es besteht die Gefahr, dass der Sänger, ein »dåsiger«, als Fremder identifiziert wird : »versteht eigentlich irgendwer, wås i då sing / kimmt überhaupt no’ oana mit ? / ebbert is går a so, dass si’ wer denkt / i wa’ koan dåsiger nit«.584 Die Ursache dafür scheint im Zusammenwachsen der lokalen und regionalen Welten zu liegen : »ob entn, ob herentn[585] ist a wohl wurscht / weil sei’ kånns überall g’schmå / enhö is herenhö wannst enhö bist / und menscha gibt’s docht oder då«.586 Dennoch bleiben aber auch weiterhin Relikte kultureller Traditionen erhalten und bilden einen Teil der transformierten Identität. So drängt sich plötzlich ein altbekanntes »Gstanzl« auf, durch580 Hellmuth, Das »Heimathirschen-Syndrom«, S. 16f. 581 Hellmuth/Hiebl, Bilder vom Salzkammergut, S. 102. 582 Hubert von Goisern : Fön (2000, CD). 583 Hellmuth, Das Salzkammergut, S. 345f. 584 »Versteht eigentlich irgendwer den Text / kann überhaupt noch jemand folgen / bald ist es gar so, dass sich wer denkt / dass ich kein Einheimischer bin.« 585 Hier spielt Hubert von Goisern auf die räumliche Differenzierung in das oberösterreichische und steiermärkische Salzkammergut (S. 92) an, die durchaus als identitätsbildend betrachtet werden kann, und überschreitet damit gleichsam sowohl räumliche als auch mentale Grenzen. 586 »Ob drüben, ob herüben, das ist gleichgültig / weil überall kann es gemütlich sein / drüben ist herüben, wenn du drüben bist / und Mädchen gibt es dort und hier.«
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dringt den eigentümlichen Sound, der durch eine Melange aus modernen und traditionellen Musikinstrumenten erzeugt wird : »buama stehts z’samm im kroas / i såg enk was i woass / zinnts enk a pfeifferl ån / de’s raucha kånn«.587 Und auch die den Sänger umgebende Natur und seine Mitmenschen lassen keinen Zweifel daran, dass sich der Sänger in seiner Heimat, im Salzkammergut befindet : »i moan hiatzt is’s ge wieder soweit / i hålt’s scho’ går neama aus / umatum suderns und regna tuat’s a so vül / dass da sau sogår graust«.588 Selbst das sprichwörtliche »Sauwetter«, von dem das Salzkammergut – zumindest laut allgemeiner Meinung – so oft heimgesucht wird, hat dem Ruf des Salzkammerguts als »Paradies« nicht geschadet (S. 116 f.). Ganz im Gegenteil bildet der Regen einen notwendigen Gegenpol zum freundlichen Himmel, der dazu beitrug, dass die Region in der Zeit des »bürgerlichen Salzkammerguts« gleichsam zum »Himmel auf Erden« werden konnte.589 »[…] wenn die echte, rechte Reiselust im Herzen wohnt, die nach den saftigen grünen Himmel Wäldern, Bergriesen, den blaugrünen Abb.Sehnsucht 22 : Ein notwendiger Gegenpol zum freundlichen ? Bad der Ischl im Regen (Ansichtskarte, um 1900). Alpenseen das Blut schneller fließen macht, achtet man der Medardi-Tage590 nicht«, schreibt die Sommerfrischlerin Ida Barber, »,hinaus‹ ist das Losungswort und mit jeder Meile Entfernung von der Großstadt steigert sich die Lust am Naturgenuss, freut man sich des närrischen Einfalls trotz Sturm und Regen die Reise angetreten zu haben.«591 Tatsächlich lassen aber beide Himmel, der regnerische und der sonnige, bei genauerem Hinsehen durchaus Nuancen und Übergänge erkennen. Das scheinbar Eindeutige verliert seine Konturen, wird ungewiss und verunsichert dadurch : So verzichten etwa die vor der Zivilisation flüchtenden Sommerfrischler in der paradiesischen »Wildnis« des Salzkammerguts keineswegs auf die Annehmlichkeiten der modernen Welt, sondern lustwandelten letztlich in einer geschönten, »gezähmten« Natur. Und wohl nicht nur die vom Salzkammergut so begeisterte Ida Barber verlor gelegentlich die Contenance, wenn sie »in ›deutschen‹ Bergen« wanderte und dabei gar Fremdsprachen vernehmen musste : »Hier rief eine französische, dort eine englische Gouvernante die Kleinen zur Ordnung, Bonne rechts, Bonne links […]. Es 587 Burschen, vereint euch im Kreis / ich sag euch, was ich weiß / zündet euch ein Pfeifchen an / das rauchen kann.« 588 »Ich glaub’, jetzt ist es gar wieder soweit / ich kann es schon nicht mehr ertragen / rundherum klagen sie und es regnet auch so viel / dass sogar einer Sau graust.« 589 Hellmuth, Thomas u.a.: Himmel und Hölle, in : Ders. u.a. (Hg.), Visionäre bewegen die Welt, S. 12f. 590 Medardus (456–545) war Bischof von Vermandois, später von Noyon und schließlich von Tournai, von wo aus er Flandern missionierte. Eine Sage erzählt, dass ihn ein Adler vor einem Unwetter schützte, indem er über ihn aufstieg. Medardus gilt daher in der Landwirtschaft als Wetterheiliger und ist zudem als Patron der Schirmmacher bekannt. Sein katholischer Festtag ist der 8. Juni. Wenn es an diesem Tag regnet, folgen laut Bauernregel vierzig weitere Regentage. 591 Barber, Ida : Briefe aus dem Salzkammergut, in : Fremden-Zeitung, 19. August 1893.
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Abb. 23 : Konfliktdemokratie im Salzkammergut : Verhaftete Schutzbündler vor dem Turnsaal der Bürgerschule Ebensee. Einige Heimwehrler forderten die Erschießung eines Teils der Verhafteten, letztlich wurde aber eine mahnende Ansprache gehalten, die Anführer des Aufstands vor Gericht gestellt und zu Haftstrafen verurteilt.
wäre so schön in den Bergen, in unseren deutschen Alpen, wenn man sie durch fremdländischen Tand und fremdartiges Wortgeklingel nicht entweihen wollte.«592 Schnell war die angeblich mit der Natur verbundene gesellschaftliche Harmonie im Salzkammergut gestört. Nicht nur bei den Sommerfrischlern, sondern auch bei den Einheimischen ließ sie etwa der Deutschnationalismus brüchig werden. Beispielsweise gründete 1934 der deutschnationale Verein »Südmark« in St. Gilgen eine »Ortsgruppe Abersee«.593 Die seit 1925 mit dem »Deutschen Schulverein« vereinigte Südmark beabsichtigte, die deutschen Sprachgrenzen gegen eine vermeintliche Romanisierung und Slawisierung zu schützen. Ihre Zweigvereine dienten im Übrigen nicht selten als Sammelbecken der Nationalsozialisten.594 Die politischen Lager stießen aufeinander, auch im Salzkammergut lassen sich daher unter anderem die Konfliktfigurationen der Zwischenkriegszeit feststellen. So standen sich etwa Heimwehr und Sozialdemokratie feindlich gegenüber. In Ebensee kam es – freilich nicht aufgrund eines »widerständigen Gens« der Salzkammergutler, sondern infolge einer spezifischen politischen Situation (S. 109 f.) – in den Tagen des Februar 1934 zu einem Generalstreik sämtlicher Arbeiter der Ebenseer Großbetriebe. Zudem wurden die Straße nach Traunkirchen und der Ebenseer Gendar-
592 Ebenda. 593 Hellmuth, Thomas : Strobl zwischen Tradition und Modernität (1816–1938), in : Stehrer, Johann (Hg.) : Strobl am Wolfgangsee. Naturraum, Geschichte und Kultur einer Gemeinde im Salzkammergut, Strobl 1998, S 180. 594 Haas, Hanns : Vom Liberalismus zum Deutschnationalismus, in : Dopsch, Heinz/Spatzenegger, Hans (Hg.) : Geschichte Salzburgs. Stadt und Land, Bd. II/2, Salzburg 1988, S. 857.
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merieposten besetzt. Ein massives Militäraufgebot und der Einsatz der Heimwehr führten aber schließlich dazu, dass der Widerstand aufgegeben wurde. Verhaftungen, Gerichtsverhandlungen und Haftstrafen bis zu einem Jahr sowie die Plünderung der Arbeiterbibliothek und die Vernichtung zahlreicher als gefährlich geltender Bücher waren die Folge.595 Aber nicht nur unterschiedliche politische Positionen störten die beschworene und doch so brüchige Harmonie, auch die – im zweiten Kapitel detailliert beschriebene – ökonomische Binnendifferenzierung und damit verbunden unterschiedlich verteilte Lebenschancen sowie unterschiedliche lokalen Kulturen bedingten bzw. bedingen Ab- und Ausgrenzungstendenzen innerhalb der Einheimischen. Mit dem oberösterreichischen und dem steirischen Salzkammergut finden sich etwa institutionell-räumliche Abgrenzungen, die Transformation der alten Salzregion in eine Tourismusregion verschob wirtschaftliche Schwerpunkte und Zentralörtlichkeiten, womit »Gewinner-« und »Verliererräume« entstanden. Schließlich erstreckte sich das Salzkammergut auch noch über drei Landesherrschaften, später über drei Kronländer und heute verteilt sich die Region auf Gebiete dreier Bundesländer, auf Oberösterreich, Steiermark und Salzburg. Die Identifikatoren, die dem Salzkammergut zugeschrieben werden, vermischen sich mit jenen der Bundesländer bzw. konkurrieren mit diesen. Folglich zeigt sich die »Vielfalt in der Einheit« im Salzkammergut mehr als eine Vielfalt, die Räume isoliert und dabei nicht selten auch Konflikte und Rivalitäten, ebenso die Verdrängung der Vergangenheit offenbart. Die Salzkammergut-Identität spaltet sich somit in viele Identitäten, und die regionalen Identitätsbausteine, unter anderem die schöne Natur und Landschaft, die salinarische und habsburgische Vergangenheit sowie die Widerständigkeit, aber auch die volkskulturellen Identifikatoren, erweisen sich als brüchig. Die Tourismuswerbung mag, aus ökonomischen Gründen wohl begründbar, auch weiterhin die Harmonie beschwören : Das »Bier zum Salzkammergut« wird vor wunderbarer Naturkulisse genossen, die Werbebroschüren vermitteln »Natur pur« und preisen die regionalen »Schmankerln«, die kulinarischen Angebote der »Salzkammergut-Küche«, die freilich nichts mit den fetten, kalorienreichen »Schmalznudeln« zu tun hat, die etwa von den Holzarbeitern zubereitet wurden, wenn sie die Woche, abgeschieden von der Familie und dem Heimatort, in den Wäldern verbrachten. Bildbände zum Salzkammergut geben den Klischees, die mit der Region verbunden sind, etwa der landschaftlichen Schönheit oder den angeblichen besonderen Charakterzügen der Bevölkerung, weiterhin Beständigkeit (S. 145 f.). Wohlfühlen ist angesagt, weit weg vom Stress des Alltags und 595 Quatember, Wolfgang : Generalstreik im Dorf. Der Aufstand des Republikanischen Schutzbundes im Februar 1934 in Ebensee, in : Greussing, Kurt (Hg.) : Die Roten am Land. Arbeitsleben und Arbeiterbewegung im westlichen Österreich, Steyr 1989, S. 145–147.
»Dynamische Heimat« – Verstörung, Ungewissheit und Reflexion
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eingebettet in landschaftlicher Harmonie. Bei genauerem Hinsehen blicken wir aber tiefer, kratzen dabei an der vergoldeten Oberfläche, blicken hinter die Kulissen des großen Theaters, in dem Einheimische und Gäste gerne mitspielen, und … entdecken das Ungewisse oder besser : die Vielschichtigkeit, die die Region ausmacht. Die Erkenntnisse, die durch das Studium im durchaus notwendigen »Elfenbeinturm« (Augustin de Sainte-Beuve) gewonnen werden, bieten die Chance, das Salzkammergut für die Zukunft vorzubereiten. Somit kann die Beschäftigung mit regionalen Identitäten, der kulturwissenschaftliche bzw. kulturhistorische Blick, der dieser implizit ist, auch als Voraussetzung für politisches Handeln gesehen werden. Eine moderne Kulturgeschichte dient nicht dazu, Traditionen zu bewahren und Regionen von äußeren Einflüssen zu schützen, sondern erhält ganz im Gegenteil ihre Berechtigung dadurch, dass sie die Vergangenheit mit der Gegenwart und Zukunft verbindet, damit Transformationsprozesse plausibel macht und als gestaltbar erkennen lässt. Sie löst den statischen »Heimatbegriff« durch den der »dynamischen Heimat« ab, schafft Identitäten, die sowohl die Bereitschaft als auch die Fähigkeit zur Reflexion als wichtigen Identitätsbaustein beinhalten und daher wandelbar sind. Folglich bedeutet »Salzkammergut schauen« keineswegs, sich dem Klischee der landschaftlichen Schönheit einfach hinzugeben oder Traditionen, die ohnehin als Ergebnis sozialen Wandels und somit als Konstruktion zu betrachten sind, als etwas Unverrückbares und Ewiges zu betrachten. Vielmehr lässt sich der »Blick ins Ungewisse« als ein analytischer und interpretierender verstehen, der scheinbare »Wahrheiten« in »Ungewissheit« transformiert, indem er – wie der vorliegende Band – kulturellen Wandel mit ökonomischen, sozialen und politischen Aspekten in Verbindung setzt und damit zur Reflexion anregt.
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Abbildungsverzeichnis Abb. 1 : Der Bautechniker, XVII/27, 1897 Abb. 2 : Museum Arbeitswelt Steyr/K. Lugmayr, Linz Abb. 3 : T. Hellmuth, Wels/Salzburg Abb. 4 : Lipp, Franz C.: Region Salzkammergut, in : Kulturzeitschrift Oberösterreich, 1 (1981), S. 2–16. Abb. 5 : Kammerhofmuseum Gmunden Abb. 6 : Kammerhofmuseum Gmunden Abb. 7 : Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien Abb. 8 : Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien Abb. 9 : Illustrierter Führer durch das Salzkammergut, 1. Teil, Salzburg 1929, S. 99. Abb. 10 : Illustrierter Führer durch das Salzkammergut, 1. Teil, Salzburg 1929, S. 51. Abb. 11 : T. Hellmuth, Wels/Salzburg Abb. 12 : Zeitgeschichtemuseum Ebensee Abb. 13 : C. Bednarczyk, Wien, Bild entnommen aus : Schuhböck, Christian (Hg.) : Österreichs Welterbe. Kulturdenkmäler und Landschaften unter dem Schutz der UNESCO, Wien : 2002, S. 82. Abb. 14 : Stehrer, Josef (Hg.) : Strobl am Wolfgangsee. Naturraum, Geschichte und Kultur einer Gemeinde, Strobl am Wolfgangsee 1998, S. 492. Abb. 15 : T. Hellmuth, Wels/Salzburg Abb. 16 : Illustrierter Führer durch das Salzkammergut, 2. Teil, Salzburg 1931, S. 92. Abb. 17 : T. Hellmuth, Wels/Salzburg Abb. 18 : Kammerhofmuseum Bad Aussee Abb. 19 : Brix, Emil u. a. (Hg.) : Memoria Ausriae, Bd. II. Bauten – Orte – Regionen, Wien/ München 2005, S. 362, Abb. 20 : Illustrierter Führer durch das Salzkammergut, 2. Teil, Salzburg 1931, S. 41. Abb. 21 : Zeitgeschichtemuseum Ebensee Abb. 22 : T. Hellmuth, Wels/Salzburg Abb. 23 : Zeitgeschichtemuseum Ebensee
Sach- und Ortsregister Adel 53, 54, 104, 121, 191, 203, 206, 215 Altmünster 24, 25, 29 – 31, 50, 64, 65, 69, 73, 81 – 83, 89, 90, 148, 201 Antisemitismus 82, 127 Arbeiterbewegung 66, 81, 113 Arbeiterbildungsvereine 112, 113 Architektur 7, 9, 116, 139 Attersee 46, 49, 70, 74, 127, 170, 171, 187, 188, 199, 201 Attergau 24, 28, 58, 88, 127 Attnang 61, 78 äußeres Salzkammergut 37, 38 Aufklärung 114, 120, 161, 166 Austrofaschismus (siehe Ständestaat) Auswanderung 40, 41 Avantgarde 196 Bad Goisern 41, 46, 49, 50, 53, 70, 73, 90, 92, 93, 110 – 113, 116, 156, 180 Bad Ischl 20, 35, 49, 52, 53, 61, 69, 71, 73, 81, 82, 91, 107, 110 – 113, 120, 123 – 125, 128, 133, 134, 136, 145, 148, 153, 173, 213, 219 – 221, 223, 227 Bad Mitterndorf 25, 32, 81, 91 – 93 Bauernkrieg 108 Bäderwesen 52, 68, 70, 76 Bergarbeiter 102, 109 Bewusstsein 20, 26, 36, 38, 40, 42, 48, 54, 55, 64, 66, 75, 77, 91, 130, 131, 148, 163, 176, 192 Brauchtum 12, 24, 31, 32, 51, 77, 84, 107, 177, 178, 190, 193, 196 Bruderladen 98, 99, 101, Bürgertum 7, 53, 54, 66, 82, 126, 129, 137, 155, 159, 167, 199, 206 Christlichsoziale 82, 113 Dachstein 32, 87, 92, 93, 115, 124, 138, 149, 169, 170, 172, 177 Demokratie 10, 98, 106, 110, 111, 113, 131, 133, 134, 159, 178, 210 Deutschland 81, 82, 110, 131, 136, 146, 149, 162, 179, 184
Deutschnationalismus 131, 209 Dirndlkleid 204, 121, 122, 130, 139, 191; Disziplinierung 108, 113, 175 dritte Kultur 117, 121 dritter Raum 15, 16, 105, 117, 120, 122, 124 Ebensee 8, 24 – 27, 29 – 31, 36, 38, 43 – 45, 49, 50, 54, 55, 57, 58, 61 – 64, 66, 73, 78, 81, 83, 89, 90, 98, 100, 103, 106, 207, 111, 128, 145, 165, 166, 205, 209, 210 Eisenbahn 26, 42, 55, 56, 61 – 65, 67, 68, 80, 204 Erinnerung 40, 73, 127, 128 – 131, 148, 154, 166, 193, 203 Erste Republik 205 Erster Weltkrieg 76, 133, 192 Europäische Integration 95 Festveranstaltungen 25, 98, 103, 105 – 107, 109, 138, 163, 176, 177, 19; Folklore 95, 107, 133 Forstwirtschaft 46 – 48, 63, 64, 81, 91, 95 Fremdenverkehr (siehe Tourismus) Fuschl 23, 24, 28, 68, 88 Gedächtnis 131, 138 Gegenreformation 40, 59, 108, 110, 157 Genossenschaft 60, 66 Gmunden 17, 24 – 27, 29 – 31, 33, 36 – 41, 44 – 47, 49, 52 – 58, 61 – 65, 67, 69 – 71, 73, 74, 78, 81 – 83, 85, 88 – 90, 103, 109 – 113, 115, 122, 128, 143, 146, 166, 173 – 176, 185, 193, 194, 201, 229 Goisern (siehe Bad Goisern) Gosau 24, 35, 43, 45, 50, 73, 93, 108, 110, 112, 196 Gravitationsmodell 42 Graz 38, 41, 177 Grundlsee 47, 82, 148, 161, 162, 164, 202 Habitus 104 Habsburgermonarchie 95, 102, 128, 131, 133, 134, 136 Habsburgermythos 71, 206 Hallein 39, 41, 101 Hallstatt 36, 38, 40, 41, 43 – 45, 47, 49, 50, 52,
232
Sach- und Ortsregister
57 – 59, 63, 72, 73, 80, 83, 91, 92, 98, 108 – 110, 112, 113, 135, 138 – 140, 146, 157, 172, 182, 185 Hausindustrie 47, 65 Heimat 6 – 10, 21, 36, 51, 53, 65, 72, 82, 84, 106, 111, 127 – 130, 132, 135, 144, 149, 160, 175, 203, 205, 207, 209 Heimatliteratur 47, 65, 144, 175, 203 Heilbäder (siehe Bäderwesen) 52, 68, 70, 76 Heimwehr 209- 210 Hinterberg 24 – 26, 30, 47, 48, 64, 91, 92 Hofkammer 35, 36, 38, 39, 109 Holocaust 129 Holzarbeiter 96 Holzwirtschaft 46 – 48, 63, 64, 81, 91, 95 Idylle 91, 143, 150 – 152, 157, 158, 160, 164, 167, 171, 175, 176, 181, 183, 188, 196, 203 Identifikatoren (siehe Identitätsbausteine) Identitätsbausteine 13, 15, 16, 20, 21, 40, 55, 56, 60, 66, 95, 96, 98, 105, 108, 129, 131 – 134, 136, 141, 203 – 205, , 210, 211; Industrialisierung 42, 51, 61, 62, 66, 67, 91, 95, 96, 102, 111, 138, 217 Industrie 26, 29 – 31,33, 34, 47, 56, 63 – 69, 72 – 91, 93,99, 100, 104 – 106, 120, 122, 139, 204, 205 Inneres Salzkammergut 37, 38 Ischlland 24, 35 Jagd 80, 134 Kohle 63, 64, 100 Kohärenz 13, 14, 139, 203 Konflikt 21, 95, 110, 111, 114, 126, 133, 155 – 157, 163, 177,199, 205, 209, 210 Konfliktdemokratie 209, 210 Konsumvereine 66, 112, 113 Konzentrationslager 83, 159, 165, 204, 205 Kommunismus 82, 156 Krankenfürsorge 101, 102; 48 Kulturgeschichte 211 Kurtourismus 52 – 54, 57 (Kurort), 68 – 70, 71 (Kurort), 75 (Kurort), 84, 86 (Kurort), 90 (Kurort), 115 (Kurort), 118 (Kurbetrieb, Kurhaus), 124 (Weltkurort), 125 – 126 (Kurgäste) KZ (siehe Konzentrationslager) Landesfremdenverkehrsverband 74, 84
Landschaft 8, 15, 31 – 33, 42, 46, 52, 54 , 57, 69, 70, 73, 75, 83, 86, 91, 95, 114, 116, 129, 130, 132 – 134, 136 – 137, 138, 139, 147, 150, 155 – 158, 164 – 166, 168, 173 – 174, 176, 179, 187 – 189, 191, 200, 202, 204, 205, 210, 211 Landschaftsmaler 114 Lauffen 36, 46 Lebenswelt 9, 10, 12, 21, 30, 32 – 34, 47, 51, 52, 57, 60, 75, 125, 137, 163, Lederhose 122, 129, 134, 204 Linz 20, 55, 61, 136, 150, 156, 187, 199 Märchen 127, 190, 193 Migration 51, 67, 128 Monarchie 50, 51, 56, 67, 79, 81, 96, 99, 101, 128, 131, 133, 134, 136, 154 Mondsee 24, 46, 49, 58, 61, 68, 70, 71, 73, 88 Musik 7 – 9, 16, 103 – 106, 125, 133, 152, 174, 202, 205, 206 Mythos 16, 53, 60, 71, 85, 92, 108 – 111, 113, 114, 121, 125, 128, 129, 133, 134, 189, 190, 193 – 195, 205, 206 Nationalsozialismus 82 – 83, 110 – 112, 128, 130, 131, 143, 152, 156, 159, 163, 168, 192, 204, 205 Natur 7, 16, 17, 39, 73, 76, 83 – 84, 86, 95, 106, 107, 114, 115 – 120, 122, 126, 127, 129, 133, 134 – 140, 144, 146, 147, 149, 150, 154, 156, 158, 159, 166 – 174, 176, 178 – 181, 188, 190, 193, 195, 196, 200, 206, 208 – 210 Neoabsolutismus 110, 112 Obertraun 7, 80, 140 Oberösterreich 20, 22 – 24, 27, 28, 34 – 36, 38 – 41, 44 – 47, 49, 50, 58, 60, 67, 74, 78, 82, 85, 87, 88, 91, 92, 96, 102, 108, 112, 113, 156, 175, 201, 210 Ohlsdorf 201 Österreich 8, 16, 36 (innerösterreichisch), 38 (innerösterreichisch) 41 (Innerösterreich), 58, 59, 66, 81, 82, 86, 102, 106, 110, 111, 113 – 115, 126 – 138, 140, 144, 149, 152, 155, 157, 158, 161, 162, 164, 170, 175 – 177, 179, 184, 185, 187, 202, 204, 205 Operette 133, 135, 137 Opferthese 130, 157, 161, 167, 183 – 185, 192, 196 – 198, 200
Sach- und Ortsregister Pass Gschütt 40, 46 Pfadabhängigkeit, regionalwirtschaftliche 75, 77 Pfleggericht Wildenstein 24, 37 Post 26, 53, 126, 127 Protestantismus 40, 59, 108 Reformation 40, 81 Reformationslibelle 35, 36, 38, 39 Reiseschriftsteller 7, 114 Romantik 114, 146 – 148 Sagen 189, 190, 194 Saline 7 (Salinenmusik), 25, 26, 39, 41, 44, 45, 47, 49, 52, 54, 58, 63, 64, 66, 68, 80, 83, 89 – 91, 95 – 97, 99 – 103, 105 – 107, 109, 111, 112 Salzarbeiter 30, 46, 66, 97 – 109, 113 Salzburg 8, 22 – 24, 27, 28, 32, 34, 39, 40, 46, 58, 60, 61, 65, 67, 68, 78, 79, 84, 87, 88, 115, 123, 136, 150, 198, 199, 210, Salzgewinnung 44, 45, 63 Salzhandel 35, 36, 39, 44, 45, 49, 50, 62, 69, 155 Salzkammergut-Verkehrsverband 27 – 29, 86 – 88 Salzoberamt 36 – 39, 41, 42, 46, 57, 58, 109 Salztransport 36, 44 – 46, 55, 62 Salzwesen 36 – 38, 40, 41, 59, 62, 64, 67, 73, 96, 98, 99, 101, 103, 105 – 107 Salzwirtschaft 21, 30, 33, 35, 36, 39, 40, 42, 45 – 57, 62 – 65, 67, 68, 70, 74 – 76, 79, 80 – 83, 90, 92 Schifffahrt 43, 55, 62, 63 Selbsthilfe 66, 81, 113 Siebenbürgen 40, 41 Sinnprovinzen 12, 13, 98 Sommerfrische 7, 9, 26, 29, 57, 68 – 70, 73 – 75, 77, 78, 81, 84, 86, 105, 107, 117, 118, 120, 122, 124 – 130, 133, 150, 153, 154, 168, 173, 192, 206, 208, 209 Sozialphysik, räumliche 42, 44, 49, 50, 52, 55, 57 Sport 72, 78, 84, 93, 117, 148, St. Gilgen 23, 24, 28, 33, 46, 65, 88, 209 St. Wolfgang 27, 71, 73, 81, 110, 137, 148 – 152, 195 – 198 Ständestaat, österreichischer 82, 110 – 111, 113, 152 Steiermark 22, 34, 41, 58, 67, 87, 91, 210 steirisches Salzkammergut 41, 47, 96 Strobl 23, 24, 28, 46, 88, 119, 128, 147 Sudwesen 46
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Thalgau 23, 24, 32, 46, 61, 68 , 192 Toplitzsee 85, 126, 127 Tourismus 9, 19, 21, 22 – 34, 42, 51 – 57, 60, 65, 67 – 75, 77 – 93, 95, 99, 107, 125, 139, 144, 145, 149, 155, 157, 176, 182, 191, 197, 199, 203, 204, 210 Tradition 8, 9, 11, 22, 24, 29, 31 – 33, 40, 50, 51, 53, 55, 65, 67, 75 – 78, 81 – 84, 86, 92, 99, 100, 103 – 108, 117, 121, 131, 135, 138 – 140, 147, 151, 169, 172, 177, 188, 189, 192, 194, 206, 211 Tracht 7 – 9, 17, 84, 98, 103, 106, 119 – 124, 129, 135, 139, 191, 197 Traun 43, 55, 62, 66, 87, 155 Traunkirchen 24, 25, 29, 31, 38, 61, 64, 73, 81, 83, 89, 90, 210 Traunsee 24 – 32, 35, 37, 44, 47, 54, 55, 61, 62, 64, 69 – 71, 78, 83, 89, 90, 92, 115, 117, 124, 166, 193 Traunstein 24, 78, 193, 194 UNESCO 115, 137 – 140 Unterach 73, 201, 202 Vaterländische Front 113 Vereinswesen 7, 8, 66, 72, 73, 105, 106, 112, 113, 116, 131, 209 Verkehrswesen 42, 55, 61 – 63, 67, 73, 84, 86, 93, 188 Verwaltung 22, 25, 26, 30, 33 – 37, 39 – 42, 45, 49, 50, 54, 57 – 61, 79, 101, 102, 109, 137, 198 Vöcklabruck 28, 32, 73, 88 Volkskultur 7 – 9 , 69, 77, 95, 133, 140, 210 Volksmusik 7, 9 Weltkulturerbe 115, 137 – 140 Weltwirtschaftskrise 21, 163 Wertschöpfungszentrale 45 – 49, 52 Wien 38, 39, 53, 115, 117, 118, 120, 128, 129, 133, 148 – 150, 152, 159, 170, 171, 173, 174, 187, 194, 199, 200 Widerstand 40, 59, 60, 81, 82, 85, 92, 95, 99, 103, 104, 108 – 111, 113, 114, 145, 158, 177, 178, 186, 204, 205, 210 Wildenstein (siehe Pfleggericht Wildenstein) 36, 38 Wilderer 80 Wildnis 7, 116 – 118, 168, 171, 208 Wolfgangsee 24, 46, 65, 70, 71, 127, 149, 151, 195 – 197
234
Sach- und Ortsregister
Zeitgeschichte 154, 155, 163, 164, 192, 205, 207 Zeitgeschichtemuseum Ebensee 205, 207, 116, 117, 167, 171 Zivilisation 95, 107, 208
Zuliefergebiete 45 – 49, 52, 57, 64, 74 Zweiter Weltkrieg 21, 85, 130, 150, 159, 160, 168, 192
Personenregister Albach-Retty, Wolf 135 Altenberg, Peter 173, 174, Anastas, Benjamin 161 – 164 Andrian, Ferdinand von 126 Antel, Franz 134 Beer-Hofmann, Richard 148 Bernhard, Thomas 180, 184, 201, 202, 204 Bhabha, Homi K. 105 Blumenthal, Oscar 122 Bourdieu, Pierre 104 Brinkmann, Rolf Dieter 169 Broch, Hermann 62, 148 Clare, George 129 Deubler, Konrad 111 Dollfuß, Engelbert 113, 152, 164 Dorfmeister, Stephan 197, 198 Eichhorn, Hans 170, 171 Eichmann, Adolf 84, 160 Elisabeth (siehe Kaiserin Elisabeth) Ernst, Gustav 202 Erzherzog Johann 53, 71, 101, 126, 127 Figl, Leopold 86, 132 Fischer, O. W. 126, Franco, Francisco 164 Franz I. 53 Franz Joseph I. 53, 95, 131, 134, 135, 197 Freud, Sigmund 162, 163 Friedell, Egon 148 Frischmuth, Barbara 144, 157–161, 167, 168, 175, 180–182, 188–193, 195, 196, 202, 204 Glückselig, Leo 129 Griese, Eva Maria 145, 207 Grill, Evelyn 182 – 185 Haas, Waltraud 135 Halbwachs, Maurice 130, 131 Handke, Peter 144
Harell, Marte 126 Heindl, Gottfried 121, 133 Herzl, Theodor 148 Hitler, Adolf 81, 82, 129, 164 Holt, Hans 135 Holz, Arno 148 Hobsbawm, Eric 107 Hofmannsthal, Hugo von 71, 184 Hubert von Goisern 205, 206 Hurdes, Felix 132 Iller, Peter 136 Jarosch, Jessica 145 Jelinek, Elfriede 144, 184 Jonke, Gert 144 Joseph II. 39, 50, 56 Kain, Franz 156, 157, 188 Kadelburg, Gustav 122 Kafka, Franz 148 Kaiserin Elisabeth 53, 62, 131, 135 Kaiserin Maria Theresia 39, 131 Kaltenbrunner, Ernst 83, 160 Kaus, Gina 128 Kegele, Leo 73, 118 Kipper, Josefine 135 Knittler, Herbert 42 Koch, Matthias 37 Komarek, Alfred 134, 154, 155, 178, 179 Kos, Wolfgang 133 Kospach, Julia 144 Kotzina, Ulrike 171, 176, 177 Krackowizer, Ferdinand 117 Kraus, Karl 38, 73, 148, 153 Lehár, Franz 133 Lenau, Nikolaus 146, 147 Leon, Donna Lenné, Peter Joseph 116 Lernet-Holenia, Alexander 148, 195, 196 Lipp, Franz 23, 88, 136 Loder, Matthäus 126, 127
236 Madjera, Wolfgang 132 Magris, Claudio 133 Maria Theresia 39, 131 Marischka, Ernst 131, 135 Mautner, Konrad 120 Musil, Robert 148 Mussolini, Benito 164 Nestroy, Johann 148 Nipperdey, Thomas 138 Perutz, Leo 148 Pesek, Michael 117 Plochl, Anna 53, 126, 127 Polt-Heinzl, Evelyn 155 Ransmayr, Christoph 164–167, 188 Reich-Ranicki, Marcel 150 Renner, Karl 131 Rosei, Peter 199, 200 Roth, Gerhard 144 Satori, Franz 119, 120 Scharang, Michael 144 Schindler, Robert 129 Schneider, Romy 135 Schnitzler, Arthur 148 Schott-Schöbinger, Hans 126
Personenregister Schutting, Julian 130, 168 –170 Schütz, Alfred 10 Seidel, Helmut 133 Seipel, Ignaz 80 Simony, Friedrich 115, 172 Sisi (siehe Kaiserin Elisabeth) 53 Sissi (siehe Kaiserin Elisabeth) 135 Spangler, Walter 129 Spiel, Hilde 148–150, 152, 153, 164, 195 Steiner, Johann 120 Staribacher, Josef 87 Stifter, Adalbert 125, 148, 171, 172 Tiefenbacher, Andreas 178–180 Torberg, Friedrich 148, 149 Tumler, Franz 148 Waldmüller, Ferdinand Georg 114–115 Wassermann, Jakob 122 Wellershoff, Dieter 169 Werfel, Franz 148 Wirer, Franz 53, 69, 118 Wolfgruber, Gernot 144 Wörl, Ludwig 115 Zeillinger, Gerhard 134 Zoder, Raimund 8
SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTES FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR.-WILFRIED -HASLAUER-BIBLIOTHEK HERAUSGEGEBEN VON ROBERT KRIECHBAUMER, HUBERT WEINBERGER UND FRANZ SCHAUSBERGER EINE AUSWAHL
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SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTES FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR.-WILFRIED -HASLAUER-BIBLIOTHEK BD. 22 | ROBERT KRIECHBAUMER
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SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTES FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR.-WILFRIED -HASLAUER-BIBLIOTHEK BD. 38 | ERNST BEZEMEK, BD. 33 | ROBERT KRIECHBAUMER
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BD. 40 | RICHARD VOITHOFER
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FRANZ SCHAUSBERGER (HG.)
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