Räume des Möglichen: Germanistik und Politik in Leipzig, Berlin und Jena (1918–1961) 3515109021, 9783515109024

Zäsurübergreifend untersucht diese Arbeit das spannungsreiche Verhältnis von Wissenschaft und Politik am Beispiel der Ge

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German Pages 506 [512] Year 2014

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Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
EINLEITUNG
A DIE KRAFT DER BEHARRUNG.
INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNGEN
I DIE WEIMARER REPUBLIK
1 Die Studierenden und die kurze, heftige Phase von 1927 bis 1930
2 Ausbau, Umbau, Ausdifferenzierung
II DAS DRITTE REICH
1 Die Studierendenfrequenz – massive Einbrüche
und die Rolle der Studentinnen
2 Personal, Etat, Gehälter und politisch motivierter Ausbau
III DIE SBZ UND FRÜHE DDR
1 Die Entwicklung der Studierendenzahlen
2 Neuanfänge auf unterschiedlichen Wegen
B GERMANISTENLEBEN.
AKADEMISCHE PRAXIS UND WIRKLICHKEIT
I DAS PRINZIP BERUFUNG.
AKADEMISCHE ZUGANGSPROZESSE
1 Zwischen Tradition und Innovation. Berufungsverhandlungen im Kontext der „geistesgeschichtlichen Wende“
in Kaiserreich und Weimarer Republik
2 Berufungen unter politischen Vorzeichen. Die Etablierung einer „neuen Berufungsnormalität“
im Dritten Reich
3 Von der Normalität des Diskontinuierlichen
zur neuen Homogenität. Berufungspraxis nach 1945
II DER VERORDNETE BRUCH.
ENTLASSUNGEN UND ABGÄNGE
1 Die Weimarer Republik
2 Das Dritte Reich
3 Das Jahr 1945
4 Die 1950er Jahre
III VON DENEN, DIE BLEIBEN.
KONTINUITÄT ALS HISTORISCHER PROZESS
1 Der Wechsel in die Systemopposition. Kontinuität nach 1918 / 19
2 Vom Krisengefühl zum Hochgefühl.Kontinuität nach 1933
3 Diese Welt ist meine Welt. Kontinuität nach 1945
4 Doppelte Kontinuität I:„Der letzten Könige einer“. Theodor Frings
5 Doppelte Kontinuität II:Mehr Geist als Materie? Hermann August Korff
C VOM WANDEL IN DER KONTINUITÄT. DIE WISSENSCHAFTLICHEN ARBEITEN VON THEODOR
FRINGS UND HERMANN AUGUST KORFF
I SEHNSUCHT NACH DER „ÜBERWÖLBENDENWISSENSCHAFT“
. DIE KULTURMORPHOLOGIE VONTHEODOR FRINGS
1 Das Konzept Kulturmorphologie und die Bedeutung
der Begriffe Raum, Kultur und Volk
2 Methodische Neuerungen: Kartographie und Kooperation
3 Anschlussfähigkeiten. Die politische Bedeutung der Kulturmorphologie
während Nationalsozialismus und DDR
II ENTRÜCKT ODER AMBITIONIERT? HERMANN AUGUST KORFFS GEIST
DER GOETHEZEIT
1 Korffs „deutsche Sendung"
2 Anschlussfähigkeiten. Die politische Bedeutung der Werke Korffs
in drei politischen Systemen
STABILITÄT UND WANDEL.
SCHLUSSBETRACHTUNG
ANHANG
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
QUELLEN-
UND LITERATURVERZEICHNIS
NAMENSREGISTER
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Räume des Möglichen: Germanistik und Politik in Leipzig, Berlin und Jena (1918–1961)
 3515109021, 9783515109024

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Anna Lux Räume des Möglichen

PALLAS A T H E N E Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte Herausgegeben von Rüdiger vom Bruch und Gabriele Metzler Band 50

Anna Lux

Räume des Möglichen Germanistik und Politik in Leipzig, Berlin und Jena (1918–1961)

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Bildnachweis: Veröffentlicht wurde das Bild in: Emil Friedberg, Die Universität Leipzig in Vergangenheit und Gegenwart, Leipzig 1898, S. 85. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Druck: Laupp & Göbel, Nehren Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10902-4 (Print) ISBN 978-3-515-10903-1 (E-Book)

Für Nina Marie

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort .............................................................................................................................. 13 Einleitung ........................................................................................................................ 15 A

Die Kraft der Beharrung. Institutionelle Entwicklungen

I

Die Weimarer Republik

1

Die Studierenden und die kurze, heftige Phase von 1927 bis 1930 ......... 27

2 2.1 2.2 2. 3

Ausbau, Umbau, Ausdifferenzierung ................................................................... 32 Ausbau in Grenzen. Das Deutsche Seminar in Jena ...................................... 32 Dynamischer Ausbau auf hohem Niveau. Das Germanistische Institut in Leipzig .......................................................................................................... 36 Das Maß aller Dinge? Die Germanistik in Berlin ........................................... 41

II

Das Dritte Reich

1

Die Studierendenfrequenz – massive Einbrüche und die Rolle der Studentinnen ............................................................................................................ 48

2 2.1 2.2 2. 3

Personal, Etat, Gehälter und politisch motivierter Ausbau .......................... 52 Mehr, aber nicht genug. Die Germanistik in Jena ........................................... 52 Nationalsozialistische Neuordnungsbestrebungen sowie Aus- und Umbau in Leipzig ........................................................................ 55 Personeller Ausbau in der Kerngermanistik. Die Situation in Berlin ..... 63

III

Die SBZ und frühe DDR ......................................................................................... 68

1

Die Entwicklung der Studierendenzahlen

2 2.1

Neuanfänge auf unterschiedlichen Wegen ......................................................... 69 „Die ganze Breite des Fachs repräsentieren“? Die Entwicklungen in Jena ....................................................................................... 69 Starke Kontinuitäten und der Ausbau der Neugermanistik in Leipzig ......................................................................................................................... 73

2.2

.............................................................................. 25

.......................................................................................... 27

.......................................................................................................... 48

.......................................................... 68

8 2.3

Inhaltsverzeichnis

Tief greifende Zäsuren und die besondere Rolle des akademischen Nachwuchses in Berlin ................................................................. 76 Zusammenfassung

........................................................................................................ 81

B

Germanistenleben. Akademische Praxis und Wirklichkeit

I

Das Prinzip Berufung. Akademische Zugangsprozesse ........................................................................... 84

1

Zwischen Tradition und Innovation. Berufungsverhandlungen im Kontext der „geistesgeschichtlichen Wende“ in Kaiserreich und Weimarer Republik .............................................. 87 Kleiner Methodenstreit. Die Berufung von Albert Köster nach Leipzig .................................................................................................................... 90 Kampf der Methoden. Die Auseinandersetzungen um die Nachfolge von Erich Schmidt in Berlin .............................................................. 93 Sieg der Geistesgeschichte? Die Berufung von Hermann August Korff nach Leipzig .............................. 98

1.1 1.2 1.3 2 2.1 2.2 2.3

3 3.1

3.2

........................................................... 83

Berufungen unter politischen Vorzeichen. Die Etablierung einer „neuen Berufungsnormalität“ im Dritten Reich ................................................................................................................ 101 Ständiger Wechsel. 13 Berufungsverfahren in zwölf Jahren ................... 104 Die „neue Berufungsnormalität“ ......................................................................... 118 Folgen der „neuen Berufungsnormalität“. Die Politisierung der Wissenschaftspraxis am Beispiel von Alfred Hübner und Bruno Schier in Leipzig .................................................. 124 a) Akademische Lehrer ......................................................................................... 125 b) Forschende Wissenschaftler ........................................................................... 127 c) Politisch motivierte Wissenschaftsakteure ............................................... 129 Von der Normalität des Diskontinuierlichen zur neuen Homogenität. Berufungspraxis nach 1945 ...................................................... 139 Kontinuitäten und Irritationen. Die Leipziger Germanistik ..................... 143 a) Netzwerke, Lehrerbindungen und Milieukontinuitäten ..................... 143 b) Die Berufung von Hans Mayer und interne Querelen in den 1950er Jahren .............................................................................................. 149 c) Der verzögerte Generationswechsel ........................................................... 158 „… und was hat es für Kämpfe gegeben“ . Die Germanistik in Jena .......................................................................................... 164 a) Der akademische Außenseiter Albert Malte Wagner ........................... 165 b) Versuche einer Stabilisierung. Die Berufung von Henrik Becker und Joachim Müller ........................................................................... 167 c) Der allmähliche Generationswechsel ......................................................... 170

Inhaltsverzeichnis

3.3

9

Personelle „Stunde Null“ und ihre Folgen. Die Berliner Germanistik........................................................................................... 173 a) Die „Stunde Null“ .............................................................................................. 173 b) Versuche einer Stabilisierung. Die Berufung von Alfred Kantorowicz und Leopold Magon ............................................................... 175 c) Der frühe Generationswechsel ...................................................................... 177 Zusammenfassung

.....................................................................................................

185

II

Der verordnete Bruch. Entlassungen und Abgänge

1 1.1 1.2

Die Weimarer Republik ........................................................................................... 187 Die Ordinarien ............................................................................................................. 188 Die Extraordinarien ................................................................................................... 191

2 2.1 2.2

Das Dritte Reich ......................................................................................................... 193 Entlassungsvorgänge nach 1933 .......................................................................... 194 „Doppelverdienerin“. Die Entlassung von Elisabeth Karg-Gasterstädt .................................................................................... 205 „Nichtarisch“. Die Entlassung jüdischer Germanisten .............................. 211 a) „Ruchlose Optimisten“? Georg Witkowski und Max Herrmann .................................................................................................... 212 b) Ein Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Politik. Werner Richter ..................................................................................................... 225 „Freiwillig“ ausgeschieden. Der Weggang von Konstantin Reichardt .......................................................... 230

2.3

2. 4 3 3.1 3.2

4 4.1 4.2

................................................................................

187

Das Jahr 1945 .............................................................................................................. 235 Ein Drittel, zwei Drittel, hundert Prozent. Abgänge nach Kriegsende ..................................................................................... 238 „ … wenn einen schon die eigenen Kollegen ans Messer liefern“. Sofortentlassungen 1945 ......................................................................................... 248 a) Bernhard Kummer. Der Griff nach der Führung in der Nordistik ................................................................................................................ 259 b) Franz Koch. Im Kampf gegen die herrschende Weltsicht ................. 266 c) André Jolles. Ein „origineller Geist“ probt den Aufstand ................ 273 Die 1950er Jahre ........................................................................................................ 279 Fortgeführte Normalitäten. Die natürlichen Abgänge ................................ 280 Zwischen akademischen Ambitionen und politischem Druck. Die nicht-natürlichen Abgänge ............................................................................ 282 Zusammenfassung

.....................................................................................................

288

10

Inhaltsverzeichnis

III

Von denen, die bleiben. Kontinuität als historischer Prozess

1

Der Wechsel in die Systemopposition. Kontinuität nach 1918 / 19 .............................................................................................................. 290

2

Vom Krisengefühl zum Hochgefühl. Kontinuität nach 1933 .............................................................................................. 302

3

Diese Welt ist meine Welt. Kontinuität nach 1945

4

Doppelte Kontinuität I: „Der letzten Könige einer“. Theodor Frings ................................................... 319 Innovativ, vernetzt und erfolgreich. Frings’ akademischer Aufstieg während der Weimarer Republik ......................................................................................................................... 326 Distanz und Nähe. Frings im Dritten Reich .................................................... 337 In „fast legendärer Machtposition“. Frings und die DDR ........................ 352

4.1 4.2 4.3 5 5.1 5.2 5.3

..............................................................

......................................

289

316

Doppelte Kontinuität II: Mehr Geist als Materie? Hermann August Korff ......................................... 373 Jahre der akademischen Etablierung. Korff in der Weimarer Zeit .............................................................................................................. 377 Drinnen und Draußen. Korff im Dritten Reich ............................................. 387 „Das Schiff fährt weiter“. Korff und die DDR .............................................. 394 Zusammenfassung

.....................................................................................................

402

C

Vom Wandel in der Kontinuität. Die wissenschaftlichen Arbeiten von Theodor Frings und Hermann August Korff ........................................................................................ 403

I

Sehnsucht nach der „überwölbenden Wissenschaft“ . Die Kulturmorphologie von Theodor Frings ......... 403

1

Das Konzept Kulturmorphologie und die Bedeutung der Begriffe Raum, Kultur und Volk .................................................................. 405

2

Methodische Neuerungen: Kartographie und Kooperation

3

Anschlussfähigkeiten. Die politische Bedeutung der Kulturmorphologie während Nationalsozialismus und DDR ............................... 415

II

Entrückt oder ambitioniert? Hermann August Korffs Geist der Goethezeit ................................................................................................. 419

.....................

412

11

Inhaltsverzeichnis

1

Korffs „deutsche Sendung“

2

Anschlussfähigkeiten. Die politische Bedeutung der Werke Korffs in drei politischen Systemen ................................................................................. 423 Zusammenfassung

...................................................................................

.....................................................................................................

Stabilität und Wandel. Schlussbetrachtung Anhang

420

432

..............................................

435

...........................................................................................................................

441

Abkürzungsverzeichnis

...........................................................................................

Quellen- und Literaturverzeichnis Namensregister

463

......................................................................

465

...........................................................................................................

499

VORWORT Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im Juni 2011 an der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig verteidigt habe. Mit der Publikation dieses Buchs endete eine Phase intensiven Arbeitens, in der ich viel gelernt habe – möglicherweise mehr als mir ursprünglich bewusst war. Ich möchte mich hier bei all jenen bedanken, die mich während der Arbeit und auf meinem Weg begleitet haben. Dank gebührt zunächst meinem Doktorvater Ulrich von Hehl, der die Promotion mit viel Interesse und Geduld begleitet hat – einem der Hauptprotagonisten meiner Arbeit nicht unähnlich, der bei der Betreuung seiner Doktoranden für eine Mischung aus „Gewährenlassen und gelegentlichem Drängeln“ bekannt war. Danken möchte ich auch Manfred Rudersdorf, dem Zweitgutachter, der nach Abschluss der Arbeit meine weiteren Entwicklungen mit viel Interesse verfolgt und mich unterstützt hat. Bedanken möchte ich mich weiterhin bei Detlef Döring, dem dritten Mitglied der Promotionskomission, sowie bei Werner Bramke und Ludwig Stockinger, die aus ganz unterschiedlichen Perspektiven Fragen an das Projekt herangetragen und die Arbeit befruchtet haben. Die Dissertation entstand im Umfeld des Leipziger Universitätsjubiläums 2009 und in engem Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls zu wissenschafts- und universitätshistorischen Fragen gearbeitet haben. Für regen Austausch danke ich besonders Beatrix Dietel, Ulf Morgenstern, Ronald Lambrecht und Christina Leibfried, der ich zudem einen kulinarischen Höhepunkt in dieser Zeit verdanke, sowie Saskia Paul. Mit ihr verbindet mich vor allem die goldgräbergleiche Suche nach „verlorenem“ Archivgut. Sehr gerne denke ich zudem an die Gespräche mit Michael Parak, die mich wesentlich dazu ermutigt haben, diesen Weg einzuschlagen. Auf Tagungen und Workshops lernte ich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kennen, die zu ähnlichen Themen arbeiten. Der Austausch mit ihnen war für mich besonders fruchtbar, und ich danke vor allem Petra Boden und KlaasHinrich Ehlers für ihre Offenheit und ihr Interesse an meinen Forschungen. Weiterhin danke ich Mirjam Richter und Dirk Werle für manch perspektiverweiterndes Gespräch. Manchmal ist es gerade der Blick von Außen, der das eigene Denken voranbringt, und so möchte ich Nicolas Berg und David Jünger danken, die an Knackpunkten der Arbeit auf meine Fragen genau die richtigen Antworten hatten. Während meiner Archivrecherchen erhielt ich viel professionelle Unterstützung. Besonders gern reiste ich in das Deutsche Literaturarchiv in Marbach mit seinen hervorragenden Bedingungen in Archiv und Bibliothek. Wichtige Teile der Arbeit sind auf der Schillerhöhe entstanden. Für die Unterstützung vor Ort danke ich besonders Marcel Lepper. Mein Dank geht weiterhin an die Zeitzeugen, mit

14

Vorwort

denen ich während meiner Recherchen gesprochen habe. und die mir (trotz manchem Zögern) mit viel Offenheit begegnet sind. Auch möchte ich mich bei der Friedrich-Ebert-Stiftung bedanken, mit deren finanzieller Unterstützung ich die Arbeit schreiben konnte. Um ein Buch druckfertig zu machen, braucht es bekanntlich einen langen Atem. In dieser Phase geht mein besonderer Dank an Dana Krätzsch, Kirsten Witte und Thomas Klemm, die mir mit viel Geduld und Sinn fürs Detail geholfen haben, dem Buch seine Form zu geben. Obwohl die Dissertation ein wichtiger, teilweise bestimmender Bereich in meinem Leben war, so war sie doch immer nur ein Teil unter anderen. Freunden wie Maria Sainz Rueda und Jurit Kärtner, Anja und Axel Mönig danke ich sehr dafür, dass sie mich immer wieder daran erinnert haben, dass es auch noch andere wichtige Dinge im Leben gibt. Meiner Familie, Petra und Maximilian Lux, Lutz und Christel Schmidt sowie Alwine Rössler, danke ich dafür, dass sie mich und uns immer tatkräftig unterstützt haben, vor allem dann, wenn Zeit knapp war. Thomas war immer für mich da, ihm danke ich für alles. Unserer Tochter Nina, die nie so dicke Bücher schreiben möchte wie ihre Eltern, danke ich für jedes Lächeln.

EINLEITUNG Das vorliegende Buch untersucht das komplexe Wechselverhältnis von Wissen­ schaft und Politik am Beispiel der Germanistik. Im Mittelpunkt stehen die Germa­ nistischen Institute in Leipzig, Berlin und Jena in der spannungsreichen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die vergleichende Analyse dieser „kleinen Grafschaf­ ten“1 in drei aufeinanderfolgenden politischen Systemen macht es möglich, in nuce die Hintergründe und Folgen von institutioneller Zählebigkeit und strukturellem Wandel, von personellen Kontinuitäten und biographischen Brüchen, von der Kon­ stanz und Veränderlichkeit wissenschaftlicher Konzeptionen zu diskutieren und die wechselvolle Beziehung zu dem jeweiligen gesellschaftspolitischen Kontext zu un­ tersuchen. Die akademische Germanistik bildete sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts her­ aus und hatte sich bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts an allen deutschsprachigen Universitäten etabliert. In der Folgezeit erfuhr das Fach eine institutionelle wie in­ haltliche Ausdifferenzierung und gehört heute zu den meistfrequentierten Diszipli­ nen. Neben der Ausbildung von Deutschlehrerinnen und Deutschlehrern und der sprach­ und literaturwissenschaftlichen Forschung kommt der Germanistik traditio­ nell eine weitere Funktion zu: Als Nationalphilologie mit starkem Bezug zur Nati­ onalstaatsbewegung des beginnenden 19. Jahrhunderts ist sie von Anfang an auch auf nationalkulturelle Sinnstiftung angelegt. Aus diesem disziplinären Selbstver­ ständnis leitete die Germanistik den Anspruch ab, geisteswissenschaftliche Leitdis­ ziplin zu sein. Im Zuge des Aufstiegs der Naturwissenschaften Ende des 19. Jahr­ hunderts geriet das Fach allerdings unter Legitimationsdruck.2 Verknüpft mit den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs hatte dies eine verstärkte Hinwendung zu Begriffen wie „Volk“, „Leben“, „Kultur“ und „Raum“ sowie eine Orientierung an wissenschaftlichen Konzeptionen wie Deutschkunde, Volkskunde oder Kulturraum­ forschung zur Folge. Vom Dritten Reich erhofften sich viele Germanistinnen und Germanisten die politische Anerkennung ihres Engagements als nationalpädagogi­ sche Vorläufer, und viele von ihnen begrüßten den Machtwechsel. Die Konsequenz war eine vielschichtige und vielgestaltige Verflechtung des Fachs und seiner Vertre­ ter mit den politischen Intentionen und Institutionen des Nationalsozialismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt die akademische Germanistik wiederum als Sachwal­ terin des nationalen Literaturerbes und fand beim Entwurf eines „humanistischen Geschichtsbildes“ sowie durch die Förderung sozialistischer Literatur auch in der 1 2

So Ralph Jessen über die Institute als Orte relativer institutioneller und personeller Stabilität in den Jahren der frühen DDR. Vgl. R. Jessen, Akademische Elite, S. 193. Vgl. G. Kaiser, Zwischen Eigensinn und Resonanz, S. 9–10.

16

Einleitung

DDR ihren „Weg in der bewussten Wahrnehmung einer kollektiven identitätsbil­ dende Funktion“3. Ausgehend von diesem kontinuierlichen und vielgestaltigen Wechselverhältnis zwischen Wissenschaft und Politik4 erscheint die Germanistik als eine politische Wissenschaft,5 die nicht zuletzt aufgrund der Konkurrenz im wissenschaftlichen Feld „permanent […] ihre gesellschaftliche Relevanz unter Beweis stellen und ‚Leistungsangebote‘ an fachexterne Felder wie Politik, Wirtschaft, Kultur oder Er­ ziehung unterbreiten [musste].“6 Interessanter als diese Tatsache der politischen „Selbstmobilisierung“7 an sich ist allerdings die Frage, wie sich diese Verflechtung unter den sich verändernden politischen Bedingungen konkret gestaltete. In jünge­ ren Arbeiten erfolgte die Beantwortung dieser Frage durch die Untersuchung der strukturellen Zusammenhänge der Disziplin mit außerfachlichen Institutionen8 so­ wie durch die Analyse der argumentativen „Redeweisen“ der wissenschaftlichen Akteure im Zuge politischer Systemwechsel.9 Anders als diese Forschungen, wel­ che die Disziplin „als solche“ in den Blick rückten und vornehmlich einzelne Ak­ teure, deren Publikationen und der Fachdiskurse untersuchten, geht die vorliegende Arbeit zur Beantwortung der Frage nach dem Wechselverhältnis von Germanistik und Politik von den Instituten aus. Erst die Untersuchung dieser kleinen Einheiten macht es möglich, die von Wolfgang Höppner geforderte „Mehrfachperspekti­ vierung“10 anzuwenden, denn auf der Mesoebene können institutionelle Strukturen, wissenschaftliche Diskurse und die soziale und wissenschaftliche Praxis der Akteure systematisch untersucht werden. In einer solchen Strukturgeschichte der Germanistik werden die durch dieses Zusammenspiel entstandenen „Räume des Möglichen“ erkennbar. Diese verweisen auf den institutionellen, strukturellen Rah­ men, innerhalb dessen sich wissenschaftliche Akteure bewegten und der gleichzei­ tig durch sie mit hervorgebracht, gestaltet oder auch infrage gestellt wurde. So er­ öffneten diese Räume auch immer Möglichkeiten individuellen Handelns. Im Ge­ gensatz zu Arbeiten, die sich auf strukturelle, ideen­ oder diskursgeschichtliche Entwicklungen konzentrieren und in denen Fachgeschichte eher abstrakt und ano­ nym erscheint, gelingt es, durch die Untersuchung des Zusammenspiels von insti­ tutionellen und konzeptionellen Prozessen sowie Akteuren historische Prozesse in ihrem Ablauf, ihren Ursachen und Wirkungen zu konkretisieren und die möglichen Handlungsräume auszuloten. Es wird zu zeigen sein, dass wissenschaftliche und soziale Praxis nie völlig frei von institutionellen Strukturen, gesellschaftlichen Be­ 3 4 5

6 7 8 9 10

R. Rosenberg, Literaturwissenschaftliche Germanistik in der DDR, S. 41. Vgl. M. G. Ash, Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, S. 83–86 und 108–114. Vgl. zur Debatte N. Oellers, Germanistik als politische Wissenschaft, sowie die Diskussionen um die Frage im Rahmen einer Tagung der Internationalen Vereinigung für Germanische Sprach­ und Literaturwissenschaft in Wien im September 2000. Vgl. Geschichte der Germanistik. Mitteilungen 21 / 22 (2002). J. Saadhoff, Germanistik in der DDR, S. 15. B. Weisbrod, Dem wandelbaren Geist, S. 18. Vgl. K.­H. Ehlers, Staatlich geförderte Sprachwissenschaft 1920–1970, sowie L. Jäger, Disziplinen-Erinnerung. Vgl. J. Saadhoff, Germanistik in der DDR, sowie G. Kaiser, Grenzverwirrungen. Vgl. W. Höppner, Mehrfachperspektivierung.

Einleitung

17

dingungen und politischen Kontexten stattfand. Doch war individuelles Handeln in der Regel auch nicht alternativlos. Diese Grundmechanismen treten umso deutli­ cher zutage, wenn sie in größere zeitliche Zusammenhänge eingebettet und zäsurü­ bergreifend analysiert werden. Die „Räume des Möglichen“ mussten in Weimarer Republik, Drittem Reich und SBZ / DDR immer wieder neu verhandelt, bespielt und gestaltet werden. Doch in keinem Fall war die Wissenschaft dabei nur „Spiel­ ball“ politischer Interessen oder allein „willfährige Magd“ der Politik. Vielmehr muss auch für die Germanistik ein spannungsreiches Wechselverhältnis konstatiert werden, in dem Wissenschaft und Politik als „Ressourcen füreinander“ (Mitchell G. Ash) fungierten. Im Zentrum der Untersuchung steht eine Gruppe von Germanisten, die durch ähnliche soziale Merkmale gekennzeichnet ist. Es handelt sich in der Mehrzahl um Männer aus deutschen, bürgerlich­christlichen (meist protestantischen) Elternhäu­ sern mit national­konservativem Selbstverständnis, mithin um jene Gruppe, für die Fritz K. Ringer den Begriff der „deutschen Mandarine“ geprägt hat.11 Diese Sozial­ struktur blieb bis in die 1950er Jahre im Grunde konstant. Gleichwohl gab es natür­ lich auch Ausnahmen, und die Reaktion des Fachs auf diese akademischen „Außen­ seiter“ wird ausführlich zu diskutieren sein. Dreh­ und Angelpunkt der Untersuchung ist die Germanistik in Leipzig, die gerade im Untersuchungszeitraum eine der wichtigsten Einrichtungen ihrer Art war. Der Vergleich mit der kleineren, benachbarten Germanistik in Jena sowie mit dem Institut in der Metropole Berlin akzentuiert die Spezifika der Leipziger Ver­ hältnisse und die Bedeutung der räumlichen Dimension für universitätshistorische Fragen. Die Entscheidung für Jena und Berlin als Referenzpunkte hat zwei Gründe: Erstens machte es die Fragestellung notwendig, Universitäten zu wählen, deren politisch­gesellschaftlicher Kontext sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts glich. Zweitens liegen zur Germanistik in Jena und Berlin bereits fundierte For­ schungsarbeiten vor, auf die sich die vergleichende Analyse stützen konnte; die notwendigen Quellen sind gut erschlossen und problemlos zugänglich. Der Untersuchungszeitraum der Arbeit (1918 / 19 bis 1961) resultiert zunächst aus dem Untersuchungsgegenstand selbst: Mit Hermann August Korff (1882– 1963) und Theodor Frings (1886–1968) lehrten in Leipzig zeitgleich zwei interna­ tional renommierte Germanisten über einen bemerkenswert langen Zeitraum und über drei politische Systeme hinweg. Korff wurde 1925 nach Leipzig berufen und blieb bis 1956 im Amt; Frings folgte dem Literaturhistoriker zwei Jahre später an die Alma Mater Lipsiensis und prägte die Geschicke des Instituts bis zu seinem Tod 1968. Die Erforschung der Gründe, Hintergründe und Folgen dieser „doppel­ ten Kontinuität“ gehört daher zu den zentralen Aufgaben dieser Arbeit. Der Beginn des Untersuchungszeitraums mit dem Ende des Ersten Weltkrieges als „Urkata­ strophe Deutschlands“ und der Novemberrevolution markiert eine auch für viele Germanisten prägende Zäsur. Für den Endpunkt der Untersuchung ist mit dem Mauerbau ebenfalls ein politisches Ereignis gewählt, welches auch für die scientific community weitreichende Folgen hatte: Der Bau der Berliner Mauer 1961 bedeu­ tete das endgültige Ende einer bis dahin noch möglichen Akademikerbewegung 11

Vgl. F. K. Ringer, Die Gelehrten.

18

Einleitung

von Ost nach West – einen Weg, den auch viele Germanisten gegangen sind. In den folgenden Jahren erfolgte zudem die endgültige Umwandlung des Wissen­ schaftssystems der DDR unter dem Signum des Marxismus­Leninismus. Die Phase des Übergangs war spätestens mit der III. Hochschulreform 1968 vorbei. Und auch mit Blick auf die Leipziger Germanistik bedeuteten die 1960er Jahre eine Zäsur: Korff starb im Jahr 1963, Frings fünf Jahre später. Hans Mayer (die dritte prominente Gestalt des Instituts) verließ 1963 die DDR. Zuletzt erklärt sich der Untersuchungszeitraum auch aus der generellen Einsicht, dass sich Fragen nach Veränderung oder Konstanz nur in längere Zeiträume eingebettet und zäsur­ übergreifend beantworten lassen. Forschungsstand und Quellenlage Wissenschafts­ wie Universitätsgeschichte gehören heute zu den etablierten Fel­ dern der Historiographie.12 Davon zeugen die in den letzten Jahren meist anlässlich von Jubiläen erschienenen quellengesättigten Universitätsgeschichten (bspw. zu Leipzig, Berlin oder Jena)13 ebenso wie die Diskussion wissenschaftshistorischer Fragen auf den letzten Historikertagen. Auch die Ausdifferenzierung des Fachge­ biets in den letzten 20 Jahren zeigt die dynamische Entwicklung dieses Wissen­ schaftszweigs.14 In der Bundesrepublik entsprach die Disziplingeschichtsschreibung der Germa­ nistik bis in die 1960er Jahre in der Regel der traditionellen, hagiographischen Fest­ schrift- und Würdigungsliteratur. Eine kritische Selbstreflexion setzte erst in Ausein­ andersetzung mit der Germanistik im Dritten Reich ein, wobei der Germanistentag von 1966 als Initialzündung gilt.15 Infolgedessen entstanden in den 1960er und 1970er Jahren eine Reihe ideologiekritischer Arbeiten, die es (trotz des zum Teil polemischen Tons und einer starken Fokussierung auf weltanschauliche Fragen und „Täter“)16

12

Vgl. den Forschungsüberblick von S. Paletschek, Stand und Perspektiven der neueren Universitätsgeschichte. 13 Geschichte der Universität Leipzig 1409–2009; R. vom Bruch / H. E. Tenorth (Hrsg.), Geschichte der Universität zu Berlin 1810–2010; Traditionen – Brüche – Wandlungen: Die Universität Jena 1850–1995. 14 Das breite Spektrum gegenwärtiger Zugänge bei der Untersuchung der Geschichte der Ge­ schichtswissenschaft spiegelt sich in J. Eckel / T. Etzemüller, Neue Zugänge. Zu den Arbeiten zur Universitäts­ und Wissenschaftsgeschichte während des Dritten Reichs bis zum Jahr 2000 vgl. M. Ruck, Bibliographie, S. 895–955. Zur Universitäts­ und Wissenschaftsgeschichte in der SBZ / DDR bis zum Jahr 2005 vgl. P. Pasternack, Wissenschafts- und Hochschulgeschichte. Zu aktuellen Publikationen der Wissenschaftsgeschichte im deutschen Forschungskontext vgl. etwa die Zeitschriften N.T.M. Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin sowie die Berichte zur Wissenschaftsgeschichte. Wichtige wissenschaftshistorische Arbei­ ten werden an entsprechender Stelle im Laufe der Arbeit referiert. 15 Vgl. E. Lämmert / K. O. Conrady u. a. (Hrsg.), Germanistik. 16 Einen kritischen Überblick über die ältere Forschung leistet K. Weimar, Zur Geschichte der Literaturwissenschaft, sowie H. Gaul­Ferenschild, National-völkisch-konservative Germanistik, S. 8–91.

Einleitung

19

möglich machten, „fachgeschichtliche Phänomene im Kontext gesellschaftlicher Interessen zu begreifen“17. Ein abermaliges Umdenken setzte in den 1980er Jahren ein: Weniger die han­ delnden Personen als vielmehr Strukturen und Zusammenhänge, weniger eindeu­ tige Fälle als „die Grautöne zwischen den Extremen, […] die kleinen Übergänge, die aus normalen Professoren Stützen eines verbrecherischen Regimes und danach einer parlamentarischen Demokratie bzw. einer anderen Diktatur machten“18, rück­ ten ins Blickfeld. Darüber hinaus erweiterte die Forschung ihren Blick auf die An­ fänge der Nationalphilologie im 19. Jahrhundert – infolge dessen neben dem Drit­ ten Reich die zweite gut erforschte Epoche der Fachgeschichte.19 In diesem Zuge öffnete sich die Fachgeschichtsschreibung auch gegenüber sozialwissenschaftli­ chen Ansätzen und wissenschaftssoziologischen Konzeptionen wie denen von Pierre Bourdieu zum wissenschaftlichen Feld, zu Kapital und Habitus, von Niklas Luhmann oder Ludwik Fleck.20 Zusätzlich gewann die Erschließung archivalischer Quellen an Bedeutung. Bildeten bislang vor allem Publikationen die Basis der Un­ tersuchungen, so entstanden nun auf Grundlage von Archivquellen Studien zu ein­ zelnen Instituten, Personen oder Publikationsorganen.21 In der DDR war die Wissenschaftsgeschichtsforschung stärker als in der Bun­ desrepublik an Hochschulen und Akademien institutionalisiert.22 In den 1980er Jahren setzte auch hier eine zunehmend differenzierte Auseinandersetzung mit dem Gegenstand ein, die über die Gelehrtenwürdigung im Rahmen von Festschriften, Universitätsgeschichten oder Professorenportraits23 hinausging. In den Fokus rückte nun auch hier die Erforschung der Geschichte des Fachs während des Dritten Reichs sowie im 19. Jahrhundert.24 Auch die Geschichte des Fachs nach 1945 wurde vereinzelt thematisiert, wie die Reihe Materialien zur Geschichte der Germanistik zeigt, in der zwischen 1982 und 1985 namhafte DDR­Germanistinnen und DDR­Germanisten interviewt wurden. Dass diese Ergebnisse dennoch erst den An­ fang markierten, zeigt die Äußerung von Petra Boden, die nach 1989 von einer „überfällige[n] disziplinäre[n] Selbstreflexion“25 der Germanistik in der DDR sprach. Diese begann Anfang der 1990er Jahre in wissenschaftlichen Kolloquien und Symposien, die sich zunächst im Rahmen eines Ost­West­Vergleichs den unter­ 17 18 19 20 21

22 23 24 25

J. Fohrmann, Organisation, Wissen, Leistung, S. 112. H. Dainat, Erinnerungsarbeit, S. 8. Vgl. J. Fohrmann / W. Voßkamp (Hrsg.), Wissenschaftsgeschichte. Vgl. exemplarisch J. Fohrmann, Einleitung; A. Pilger, Germanistik in Münster, v. a. S. 15–24; G. Kaiser, Zwischen Eigensinn und Resonanz, S. 3–10. Die Diskussion zusammenfassend vgl. W. Höppner, Mehrfachperspektivierung. Vgl. exemplarisch P. Sturm, Literaturwissenschaft im Dritten Reich; W. Bachofer / W. Beck, Deutsche und niederdeutsche Philologie; U. Hunger, Germanistik zwischen Geistesgeschichte und „völkischer Wissenschaft“; H. Gaul­Ferenschild, National-völkisch-konservative Germanistik; C. Hempel­Küter, Germanistik; B. Almgren, Germanistik und Nationalsozialismus; H. Adam, Einhundert Jahre „Euphorion“, sowie G. Simon (Hrsg.), Germanistik in den Planspielen des SD. Vgl. B. vom Brocke, Wissenschaftsgeschichte in der DDR. Für Leipzig vgl. exemplarisch die Reihe Namhafte Hochschullehrer der Karl-Marx-Universität. G. Hartung / H. Orlowski (Hrsg.), Traditionen und Traditionssuche; R. Rosenberg, Zehn Kapitel. P. Boden, „Es geht ums Ganze“, S. 769.

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schiedlichen Entwicklungen der Fachgeschichte seit der Nachkriegszeit annah­ men.26 Weiterhin erschienen fundierte Arbeiten über die Geschichte der DDR­Ger­ manistik.27 Arbeiten allerdings, die sich systematisch vergleichend mit Drittem Reich und der DDR auseinandersetzen oder gar längere Kontinuitätslinien ziehen, stehen erst am Anfang.28 Der zeitliche Schwerpunkt der Arbeiten, die sich mit dem 20. Jahrhundert be­ schäftigen, liegt nach wie vor auf dem Dritten Reich. Eine weitere Begrenzung der Perspektive auf den Gegenstand ist die Fokussierung auf die Neugermanistik. Die Altgermanistik sowie die Teilbereiche Nordistik, Niederlandistik oder Volkskunde wurden bislang nur vereinzelt behandelt.29 Angesichts dieser doppelten Engfüh­ rung der bisherigen Fachgeschichte zum 20. Jahrhundert auf Nationalsozialismus und Neugermanistik war die Arbeit von Andreas Pilger über die Germanistik in Münster wegweisend: Sie spannte den zeitlichen Bogen von den Anfängen des Fachs um 1800 bis in die 1960er Jahre der Bundesrepublik und bezog sämtliche Fachbereiche der Germanistik ein, die in diesem Zeitraum in Münster gelehrt wur­ den.30 Zudem konzentrierte sich Pilger nicht nur auf die Professorenschaft, sondern untersuchte auch die nicht­etablierten Nachwuchswissenschaftler – bis dahin eben­ falls ein Desiderat der Fachgeschichtsforschung. Eine weitere maßgebliche Publi­ kation ist das 2003 erschienene, dreibändige Internationale Germanistenlexikon. Sein Wert liegt weniger darin, dass es die politischen Verstrickungen bekannter westdeutscher Germanisten im Dritten Reich offenbarte.31 Vielmehr erweiterten die Herausgeber nachhaltig die Perspektive auf den Gegenstand, indem sie die üblich gewordenen Grenzen großzügig überschritten: Sie stellten nationale neben interna­ tionale, akademisch etablierte neben nicht­etablierte, renommierte neben weniger bekannte, männliche neben weibliche Germanisten unterschiedlicher Konfessionen und sozialer Herkunft und zeichneten so ein weit vielschichtigeres Bild der interna­ tionalen wie nationalen Germanistik als bisher. Die konkrete Forschungslage zur Germanistik in Leipzig, Berlin und Jena fällt unterschiedlich aus. Für Berlin liegt für den gesamten Untersuchungszeitraum um­ fangreiche Forschungsliteratur vor.32 Im Besonderen sind die Arbeiten des Berliner Wissenschaftshistorikers Wolfgang Höppner hervorzuheben, der sowohl zum 19. Jahrhundert als auch zur Geschichte des Instituts im Dritten Reich wesentliche 26 27 28 29 30 31 32

Vgl. die Dokumentation über die Arbeit des Marbacher Arbeitskreises für Geschichte der Ger­ manistik seit 1991, in: Geschichte der Germanistik. Mitteilungen. Vgl. v. a. P. Boden / R. Rosenberg (Hrsg.), Deutsche Literaturwissenschaft, sowie J. Saadhoff, Germanistik in der DDR. Vgl. G. Schandera, Diktaturenvergleich. Vgl. v. a. C. Knobloch, Volkhafte Sprachforschung; C. M. Hutton, Linguistics; K.­H. Ehlers, Staatlich geförderte Dialektforschung, sowie W. Kühlmann, Germanistik und Deutsche Volkskunde. Vgl. A. Pilger, Germanistik in Münster. Bei Veröffentlichung des Germanistenlexikons war die Mitgliedschaft von Walter Jens, Walter Höllerer und Peter Wapnewski in der NSDAP bekannt geworden, was intensive Debatten in den Feuilletons nach sich zog. Vgl. die Arbeiten von P. Boden über Julius Petersen sowie J. Judersleben, Philologie. Vgl. weiterhin 100 Jahre Germanisches Seminar in Berlin sowie die Beiträge in der Zeitschrift für Germanistik XX, H. 1 und 2 (2010).

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Arbeiten vorgelegt und als Leiter der 1994 gegründeten „Arbeitsstelle für Fachge­ schichte der Germanistik“ weitere Forschungen angeregt hat.33 Aufbauend auf er­ sten Ergebnissen aus den 1950er Jahren34 erfuhr die Erforschung der Germanistik in Jena vor allem im Zusammenhang mit dem Universitätsjubiläum von 2008 eine weiterreichende Beachtung. Diese spiegelt sich in einer Reihe von Publikationen,35 von denen besonders die Arbeiten von Angelika Pöthe hervorgehoben werden müs­ sen, die unter Einbeziehung von Nachlässen und Akten aus dem Jenaer Universi­ tätsarchiv die strukturellen, personellen und inhaltlichen Entwicklungen in der Jenaer Germanistik von der Weimarer Republik bis zum Mauerfall nachvollzogen hat.36 Der überwiegende Teil der Arbeiten zur Germanistik in Berlin und Jena be­ zieht sich auf bedeutende Persönlichkeiten oder „politisch relevante“ Akteure. Die Beschäftigung mit institutionellen Strukturen, Studierendenzahlen, mit Nach­ wuchswissenschaftlerinnen und ­wissenschaftlern oder Fachaußenseitern erfolgte hingegen nur am Rande. Auch fehlt diesen Arbeiten vielfach die diachron sowie synchron vergleichende Perspektive. Die Forschungslage zur Geschichte der Leipziger Germanistik ist disparat und lückenhaft. Über die Geschichte des Fachs von seiner Gründung bis in die 1920er Jahre kann auf die gut recherchierte (allerdings nicht publizierte) Dissertation von Katrin Krüger aus dem Jahr 1991, die informationsreiche Autobiographie des lang­ jährigen Leipziger Germanistikprofessors Georg Witkowski sowie einige Aufsätze verwiesen werden.37 Für die Zeit des Dritten Reichs gab es bislang nur wenige Ar­ beiten, von einzelnen Aussagen von Zeitzeugen38 und Verweisen in Überblicksar­ beiten wie Universität unterm Hakenkreuz von Helmut Heiber, Germanistik in den Planspielen des SD von Gerd Simon und Joachim Lerchenmüller oder Gerhard Kaisers Grenzverwirrungen abgesehen. Erst in jüngerer Zeit wurden Aspekte der Leipziger Germanistik während des Nationalsozialismus durch die Arbeiten der Autorin verstärkt behandelt.39 Für die Zeit nach 1945 waren es ebenfalls die Erin­ nerungen von Zeitzeugen40 sowie die Aussagen in umfassenderen Gesamtdarstel­ lungen wie Ralph Jessens Akademische Elite, Jens Saadhoffs Germanistik in der DDR oder Petra Bodens Universitätsgermanistik in der SBZ / DDR, die das Bild der Leipziger Germanistik prägten. Neue Ergebnisse zur Leipziger Germanistik ent­ standen im Zusammenhang mit dem Universitätsjubiläum im Jahr 2009: Günther Öhlschläger und Ludwig Stockinger verfassten einen zwar knappen, aber fundier­ 33 34 35 36 37 38 39 40

Vgl. u. a. W. Höppner, Das Berliner Germanische Seminar; Ders., Literaturmittler; Ders., Kontinuität und Diskontinuität in der Berliner Germanistik. Vgl. D. Germann, Germanistik in Jena. Vgl. R. Hahn /A. Pöthe (Hrsg.), „… und was hat es für Kämpfe gegeben“. A. Pöthe, Konservatives Kulturideal; A. Pöthe / R. Hahn, Germanistik zwischen 1945 und 1989. K. Krüger, Die germanistische Literaturwissenschaft; G. Witkowski, Von Menschen und Büchern. Vgl. W. Müller­Seidel, Freiräume. A. Lux, Kontinuitäten und Diskontinuitäten; Dies., Eine Frage der Haltung?, Dies., „fachlich tüchtig“, sowie Dies., Das Germanistische Seminar. Vgl. etwa A. Klein (Hrsg.), Hans Mayers Leipziger Jahre; G. Kluge, Hans Mayer; M. Jäger, Mein Schillerjahr; P. von Polenz / H. H. Munske, Ludwig Erich Schmitt; H. Mayer, Ein Deutscher auf Widerruf.

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ten Überblick über die Geschichte des Fachs von seinen Anfängen bis in die 1990er Jahre.41 Weiterhin gibt ein Sammelband über die Entwicklungen des Instituts an­ hand der bekanntesten Fachvertreter Auskunft.42 Wissenschaftshistorisch relevante Fragen wie das Verhältnis von Politik und Wissenschaft, struktur­ und institutions­ geschichtliche Fragen, die Bedeutung von überregionale Netzwerken etc. wurden bedauerlicherweise jedoch nur am Rande diskutiert. Eingebettet in eine solch disparate Forschungslandschaft beruht die vorlie­ gende Arbeit zu wesentlichen Teilen auf der Auswertung und Interpretation eines bisher nicht systematisch erschlossenen Korpus gedruckter und ungedruckter Quel­ len. Um das Funktionieren der wissenschaftlichen Institutionen zu erfassen, waren vor allem die Bestände in den Universitätsarchiven in Leipzig, Jena und Berlin. Eröffneten diese Bestände vor allem Einblicke in die internen Zusammenhänge, so war für die Untersuchung des Wechselverhältnisses von Wissenschaft und Politik die Kommunikation mit den politischen Instanzen bedeutsam. Daher wurden wei­ terhin die entsprechenden Bestände im Sächsischen Hauptstaatsarchiv in Dresden, im Bundesarchiv in Berlin, im Leipziger Stadtarchiv, im Archiv der Sächsischen Akademie der Wissenschaften sowie die Akten des Bundesbeauftragen für die Un­ terlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR eingesehen. Um die Motivatio­ nen und Handlungsspielräume der Akteure zu erfassen, wurden zudem Egodoku­ mente (Korrespondenzen, private Aufzeichnungen, Tagebücher) ausgewertet. Da­ bei konnten zum einen gedruckte Quellen,43 zum anderen erschlossene Nachlässe in der Berlin­Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, im Universitätsar­ chiv in Jena, im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, in der Handschriftenabtei­ lung der Leipziger Universitätsbibliothek sowie in den Beständen der Harvard Uni­ versity und der Columbia University (USA) nutzen. Andere Bestände, die sich in privater Hand befinden oder aus anderen Gründen bislang unzugänglich waren, konnten erstmals eingesehen werden, so etwa Teile des Nachlasses von Hermann August Korff sowie den aufschlussreichen Nachlass der langjährigen Sekretärin von Theodor Frings.44 Neben den archivalischen Quellen waren die wissenschaftlichen Publikationen der Akteure eine weitere Grundlage der Untersuchung. Aus diesen lassen sich zum einen inhaltliche und methodische Prämissen ablesen. Zum anderen sind sie Aus­ druck ihres Selbstverständnisses, wobei sich vor allem kleinere Beiträge (Aufsätze, Reden, Vorworte, Zeitungsartikel) für die Frage nach dem Wechselverhältnis von Wissenschaft und Politik als relevant erwiesen. Nicht zuletzt wurden zur Informa­ tionsergänzung Zeitzeugengespräche geführt.

41

Vgl. G. Öhlschläger / L. Stockinger, Germanistik. Weiterhin entstanden im Rahmen des Jubilä­ ums eine Reihe gut recherchierter Abschlussarbeiten. Vgl. I. Richter, Die Entwicklung; R. Grolms, Hans Mayer. 42 Vgl. G. Öhlschläger / H. U. Schmid u. a. (Hrsg.), Leipziger Germanistik. 43 Vgl. v. a. M. Lehmstedt (Hrsg.), Hans Mayer; M. Lehmstedt (Hrsg.), Der Fall Hans Mayer; G. Witkowski, Von Menschen und Büchern; W. Thys, André Jolles; D. Ruprecht / K. Stack­ mann, Briefwechsel. 44 Vgl. Kap. B III 4 sowie B III 5.

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Methodik Methodisch geht die Arbeit klassische Wege. Beeinflusst von neueren wissen­ schaftshistorischen Arbeiten, die ihrerseits mit den gesellschaftstheoretischen und wissenschaftssoziologischen Konzepten von Luhmann, Bourdieu oder Fleck arbei­ ten, sieht sich die vorliegende Arbeit in erster Linie einem kritischen Quellen­ studium sowie dem historischen Vergleich verpflichtet. Durch die systematische Erfassung von Ähnlichkeiten und Unterschieden gibt der historische Vergleich die Möglichkeit „zu weitreichenden Aussagen über geschichtliche Handlungen, Erfah­ rungen, Prozesse und Strukturen“45. Neben der genannten heuristischen Funktion der vergleichenden Methode ist sie vor allem aus analytischer Sicht von Wert. An­ genommene „Normalitäten“ können durch den Vergleich infrage gestellt, Systema­ tiken und Typologien erfasst werden. Nicht zuletzt eröffnet der Vergleich „den Blick für andere Konstellationen, er schärft das Möglichkeitsbewusstsein des His­ torikers und lässt den jeweils interessierenden Fall als eine von mehreren Möglich­ keiten erkennbar werden.“46 Die Untersuchung von Übereinstimmungen und Unterschieden erfolgt dabei auf zwei, miteinander verschränkten Ebenen: Auf dia­ chroner Ebene geht es um die Entwicklung der untersuchten Institute in drei politi­ schen Systemen, und zwar sowohl an den historischen Bruchstellen wie in den Phasen politischer Stabilität. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Vergleich der Ent­ wicklungen im Dritten Reich und in der SBZ / DDR, da das Verhältnis von Wissen­ schaft und Staat in beiden Systemen eine besondere Rolle spielte. Mit dieser Ebene verknüpft ist der synchrone Vergleich, der die Entwicklungen an den drei Germa­ nistischen Instituten, die zum Teil sehr unterschiedlichen lokalen und universitären Bedingungen unterlagen, untersucht. Ziel der Arbeit und Gliederung Unter Einnahme verschiedener Perspektiven und auf Grundlage einer Vielzahl von Quellen zielt die Arbeit auf die Untersuchung der Germanistik als Institution sowie auf die Analyse von Wissensproduktion und Wissenschaftspraxis in ihren Wechsel­ beziehungen mit Politik und Gesellschaft. Die Untersuchung der Geschichte der Germanistik in Leipzig im Zeitraum von 1918 / 19 bis 1961 schließt eine markante Forschungslücke. Diese ist umso bemerkenswerter als das Institut im Untersu­ chungszeitraum nicht nur zu den wichtigsten Einrichtungen seiner Art gehörte, son­ dern auch für das Selbstverständnis der Universität Leipzig eine hohe Bedeutung hatte. Doch nicht nur aufgrund seiner Reputation, sondern auch mit Blick auf das Verhältnis des Fachs zu Politik und Gesellschaft war die differenzierte Beschäfti­ gung mit der Leipziger Germanistik überfällig. Pointiert lassen sich an diesem Bei­ spiel Probleme, Fragen und Ambivalenzen der Fachgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufzeigen. Eingebettet in historische und überregionale Kon­ texte und mittels des historischen Vergleichs können diese Ergebnisse genutzt wer­ 45 46

H.­G. Haupt / J. Kocka, Historischer Vergleich, S. 9. Ebd., S. 14.

24

Einleitung

den, um generalisierbare wissenschaftshistorische Prozesse im „Zeitalter der Ex­ treme“ (Eric Hobsbawm) sichtbar zu machen. Der erste Teil der Arbeit (A) analysiert den institutionellen Rahmen der Germa­ nistik in Leipzig, Berlin und Jena. Aufbau, personelle und materielle Ausstattung, Räumlichkeiten, der Grad der institutionellen Ausdifferenzierung sowie die Studie­ rendenzahlen werden dabei zum Teil erstmals erfasst und als Indikator nicht nur für die Reputation des Fachs und den Grad seiner Stabilität interpretiert, sondern auch als Beispiel für das Wechselverhältnis von Universität und Gesellschaft. Der zweite Teil der Arbeit (B) untersucht die Akteure und die konkrete Wissenschaftspraxis. In drei Kapiteln wird das Phänomen Elitenwechsel ausführlich analysiert. Im Mittel­ punkt stehen die Voraussetzungen und Folgen von personellem Wechsel sowie per­ soneller Konstanz. Kollektivbiographische Übersichten wechseln sich dabei mit konkreten Beispielen ab, wodurch generelle wissenschaftshistorische Prozesse am konkreten Fall aufgezeigt und spezifiziert werden können. Der dritte Teil (C) disku­ tiert die Produktion von Wissen am Beispiel der Arbeiten von Theodor Frings und Hermann August Korff sowie die inner­ und außerfachliche Anschlussfähigkeit ih­ rer wissenschaftlichen Konzeptionen im Zuge politischer Systemwechsel. Auf Grundlage der Kombination verschiedener Zugänge versteht sich die Arbeit als eine Strukturgeschichte der Germanistik, die von politik­, sozial­, kultur­, wissen­ schafts- und universitätshistorischen Ansätzen beeinflusst ist. Die Arbeit zielt dar­ auf, wissenschafts­ und universitätsgeschichtlichen Fragestellungen integral mit­ einander zu verknüpfen, um so einen Beitrag zur systematischen Wissenschaftsge­ schichte der Geisteswissenschaften zu leisten.

A DIE KRAFT DER BEHARRUNG. INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNGEN

Der erste Hauptteil dieser Arbeit widmet sich den institutionellen Strukturen der Germanistischen Institute in Leipzig, Berlin und Jena.1 Dies ist mehr als nur Re­ konstruktion formaler Strukturen, denn Institute sind die zentralen Schnittstellen des täglichen wissenschaftlichen Miteinanders und Orte sozialer Aushandlungspro­ zesse – und sollen als solche in den Blick kommen.2 Über diesen Interaktionsaspekt hinaus geht es bei institutionellen Fragen auch immer um Ressourcen, also um Stellen, Gelder (in Form von Etats und Gehältern), um Bibliotheksbestände und Räumlichkeiten. Deren Erfassung und adäquate Bewertung wird erst durch eine vergleichende Perspektive möglich. Denn erst wenn man einzelne Institute zu ei­ nem bestimmten Zeitpunkt miteinander in Beziehung setzt, kann man erfassen, was das „Normale“ und was das „Besondere“ war. War ein Jahresetat von 1.000 RM, waren drei Planstellen oder neun Räume viel oder wenig? Dies zeigt sich erst im Vergleich. Und so eröffnet der vergleichende Blick auf die Institution die Sicht für die alltäglichen Bedingungen vor Ort, unter denen die Professoren, Dozenten (in der Regel Männer) und Studierenden gearbeitet und gewirkt haben. Über die bloße Erfassung der institutionellen Gegebenheiten hinaus ist die Klä­ rung ihrer Entstehung, Veränderung oder Beständigkeit von Belang. Hier gerät das Verhältnis des Instituts bzw. der Akteure zu den jeweiligen Volksbildungsministe­ rien, die für die Finanzierung zuständig waren, in den Blick. Dabei trifft man auf Aushandlungsprozesse und Akteure mit unterschiedlichen materiellen, statusbe­ dingten und auch politischen Interessen. Bedeutsam ist bei alldem der Blick auf Veränderungsprozesse und Stabilitäten. Denn gerade die institutionell­strukturellen Gegebenheiten waren in der Regel in einem hohen Maß von Langlebigkeit, Voraussehbarkeit und Planbarkeit gekenn­ zeichnet, nicht zuletzt, da dies ein funktionierendes Arbeiten erst ermöglichte.3 Diese Gegebenheiten sind von anderen wissenschaftshistorisch relevanten Prozes­ sen zu unterscheiden. So etwa von jenen auf der personell­individuellen Ebene, die gerade in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von personeller Diskontinuität ge­ 1 2 3

Vgl. grundsätzlich G. Lingelbach, Institutionelle Rahmenbedingungen. Ausgeblendet werden an dieser Stelle andere institutionelle Zusammenhänge wie wissen­ schaftliche Zeitschriften, Tagungen und Konferenzen sowie wissenschaftliche Akademien und Gesellschaften. Denn „ihnen wohnt ein konservatives Element inne […], so dass sie von den individuellen Vertretern des Faches unabhängig werden und damit übergenerationelle Dauer ermöglichen.“ G. Lingelbach, Institutionelle Rahmenbedingungen, S. 116.

26

Die Kraft der Beharrung

prägt war. Fragt man nach institutionellen Entwicklungen, muss daher das Span­ nungsfeld von Stabilität, mittel­ bis langfristigem Wandel sowie kurzfristigen Ein­ griffsversuchen in den Fokus gerückt werden. Um dieser Prozesshaftigkeit gerecht zu werden, liegt dem folgenden Teil der Arbeit eine chronologische Gliederung zugrunde. Sie ist orientiert an den histori­ schen Epochen Weimarer Republik, Drittes Reich sowie SBZ / frühe DDR. Inner­ halb dieser Dreiteilung geben die Kapitel zunächst einen Überblick über die Ent­ wicklung der Studierendenzahlen als wichtigem Einflussfaktor.4 Dem folgt eine Analyse der institutionellen Prozesse an den drei Germanistischen Instituten, wobei die Ähnlichkeiten ebenso wie die zahlreichen Unterschiede aufzuzeigen sind.

4

Den Zusammenhang von institutionellem Ausbau und Studierendenfrequenz hat bereits Hart­ mut Titze betont. Vgl. H. Titze, Datenhandbuch, I, 1, S. 11.

I DIE WEIMARER REPUBLIK 1 Die Studierenden und die kurze, heftige Phase von 1927 bis 1930 Bekanntermaßen war die Entwicklung der Gesamtstudierendenzahlen während der Weimarer Zeit von einem immensen Wachstum gekennzeichnet: Innerhalb der 20 Jahre zwischen 1910 und 1930 verdoppelte sich die Zahl der Studierenden im Reich von 50 000 auf knapp 100 000 und die Hochschulen wurden endgültig zu „Großbetrieben der Wissenschaft“ (Adolf von Harnack).5 Diese Entwicklung stellte die Universitäten vor gänzlich neue Aufgaben und Probleme – auch das Fach Ger­ manistik. Vergleicht man die Studierendenzahlen an den drei Germanistischen Ins­ tituten, fallen zunächst die starken zahlenmäßigen Unterschiede ins Auge. Diese hängen primär mit der Gesamtstudierendenzahl an der jeweiligen Universität zu­ sammen. Die Universität Berlin überschritt im Wintersemester 1927 / 28 als erste und einzige Hochschule während der Weimarer Zeit die 10 000er Grenze und galt fortan als Massenuniversität. Entsprechend hoch war auch die Zahl der Studieren­ den im Fach Germanistik, die zu diesem Zeitpunkt 673 Immatrikulierte betrug. Auch Leipzig gehörte mit etwa 5000 Studierenden zu den drei großen Universitäten (neben Berlin noch München). Mit 403 Germanistikstudierenden im Wintersemes­ ter 1927 / 28 kam Leipzig zahlenmäßig sogar noch näher an die Verhältnisse in Ber­ lin heran. Ganz anders war es am Deutschen Seminar der kleinen Thüringischen Landesuniversität Jena. Die Zahl der eingeschriebenen Germanistikstudierenden dort lag im gleichen Jahr bei 120. Dies entsprach nur etwa einem Drittel bzw. einem Fünftel der Zahlen in Leipzig bzw. Berlin. Betrachtet man die Entwicklung der Studierendenzahlen in der Germanistik als Prozess, so müssen sie in die generellen Wachstums­ und Rücklaufprozesse des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts eingebettet werden. Für die Universitäten allge­ mein beschreibt die einschlägige Literatur einen spezifischen Zyklus.6 Dieser reichte vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs. Währenddessen stieg die Zahl der Studierenden zunächst allmählich, seit Mitte der 1920er Jahre sprunghaft an. Anfang der 1930er Jahre setzte dann ein Umschwung ein; danach sank die Zahl rapide ab. 1939 erreichte sie ihren Tiefpunkt und stabili­ sierte sich danach nur langsam wieder. Diese allgemeine Tendenz stimmt – nach bisherigen Erkenntnissen – in der Regel auch mit den Germanistischen Instituten im Reich insgesamt überein.7 Gleichwohl zeigen sich bei genauerem Hinsehen auch Abweichungen. 5 6

7

Vgl. ebd., S. 42– 43. Wenn ich mich im Folgenden mit der Entwicklung der Studierendenzahlen befasse, folge ich der Zyklentheorie, die von der Göttinger Arbeitsgruppe „Qualifikationskrisen“ 1981 entwickelt und in einer Reihe von Arbeiten bestätigt wurde. Sie konzentriert sich auf die Wellen von Über­ füllung und Mangel und betont darin die längerfristigen und eigendynamischen Prozesse. Kurzfristigen politischen Maßnahmen, wie etwa den Zugangsbeschränkungen von 1933, misst dieser Ansatz geringere Bedeutung bei. Vgl. A. Nath, Studienratskarriere, S. 15–18, sowie M. Grüttner, Studenten, S. 105. Vgl. die Ergebnisse von Andreas Pilger zur Germanistik in Münster sowie H. Titze, Daten­ handbuch, I, 2, S. 124.

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Die Kraft der Beharrung

900

Jena

Leipzig

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675

450

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6

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4

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19

3

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1

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0

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7

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6

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/2

19

25 19

19

24

/2

5

0

Grafik 1: Übersicht über die Studierendenzahlen im Fach Germanistik in Leipzig, Berlin und Jena vom Wintersemester 1924 / 25 bis zum 1. Trimester 1941 8

So fällt für Berlin und Leipzig ins Auge, dass die Phase des sprunghaften Anstiegs der Studierendenzahlen Anfang / Mitte der 1920er Jahre im Fach Germanistik inten­ siver und kürzer war als die des Zuwachses an den beiden Universitäten insgesamt. Innerhalb nur weniger Semester hatte sich die Zahl der Studierenden im Fach Ger­ manistik um die Hälfte erhöht – in Berlin von 579 im Wintersemester 1926 / 27 auf 876 drei Jahre später. Mit einem Zugewinn von knapp 300 Studierenden in dieser kurzen Zeit verzeichnete die Berliner Germanistik den höchsten Zulauf aller Ger­ manistischen Institute. Doch auch in Leipzig stieg die Zahl im gleichen Zeitraum um immerhin 113 an. Beide Germanistischen Institute gehörten damit zu den meist­ frequentierten des Reichs in dieser Zeit.9

8 9

Zu den Daten vgl. H. Titze, Datenhandbuch. Auch alle weiteren Zahlen und Berechnungen basieren auf den Erhebungen von Titze, soweit nicht anders ausgewiesen. Bereits die absoluten Zahlen sind beeindruckend. Sie gewinnen zudem an Aussagekraft, wenn man sieht, dass die Zahl der Studierenden in der Germanistik auch noch schneller wuchs als in anderen Fächern. Dies wird deutlich, wenn man ihren Anteil an der Gesamtstudentenschaft betrachtet: In Berlin etwa stieg der Anteil der Germanisten an der Gesamtstudentenschaft von 4 Prozent im Wintersemester 1924 / 25 auf 6,2 Prozent im Wintersemester 1929 / 30; vergleich­ bar waren auch die Entwicklungen in Leipzig (vgl. Grafik 2). Die Ergebnisse korrelieren im Übrigen mit dem Status der jeweiligen Universität insgesamt. Leipzig, Berlin und München waren die Universitäten, die die höchste Zahl an Studierenden in dieser Zeit zu verzeichnen hatten. Vgl. H. Titze, Datenhandbuch, I, 2, S. 31–33.

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Die Weimarer Republik 9

Jena

Leipzig

Berlin

6,75

4,5

2,25

/1 41

/2

19

0 /4

40 19

9

39

/3

19

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38 19

7

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/3

19

6

36

/3

19

5 /3

35 19

4 /3

34 19

3

33

/3

19

2

32 19

1

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31 19

0

30

/3

19

9

29

/2

19

8 /2

28 19

7

27

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19

6

26

/2

19

25 19

19

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/2

5

0

Grafik 2: Anteil der Studierenden im Fach Germanistik an der Gesamtstudentenschaft vom Wintersemester 1924 / 25 bis zum 1. Trimester 1941 (Angaben in Prozent)

Der Höhepunkt dieses zügigen Anstiegs in Leipzig und Berlin war im Sommerse­ mester 1929 bzw. 1930 erreicht. Von nun an sanken die Zahlen wieder – zunächst allmählich, dann sprunghaft. Bereits im Wintersemester 1932 / 33 war die Zahl der Germanistikstudierenden in Berlin im Vergleich zum Wintersemester 1929 / 30 um fast 40 Prozent gesunken! Auffällig ist, dass die Zäsur, mit welcher der Rückgang der Studierendenzahl begann,10 bei den Germanisten früher zu verzeichnen war als an der Gesamtuniversität.11 In Leipzig setzte der Rückgang bei den Germanisten im Sommersemester 1930 ein, während reichsweit die Zahl noch bis zum Winterse­ mester 1932 / 33 stieg. In Berlin erfolgte der Umschwung sogar bereits im Winter­ 10

11

Die Ursachen hierfür waren zum einen die demografischen Entwicklungen, hier vor allem der Geburtenrückgang der Weltkriegsgeneration. Die „angeschlagene Bevölkerungspyramide“ (Detlev Peuckert) hatte 20 Jahre später Auswirkungen auf die Immatrikulationen. Die zweite wesentliche Ursache war die schlechte Konjunkturlage. Immer weniger Eltern konnten es sich leisten, ihren Kindern ein Studium zu finanzieren. Zudem waren die Aussichten auf einen aka­ demischen Beruf sehr gering. Universitäten galten nicht mehr als elitäre Ausbildungsstätten; ein Studium garantierte keine gesicherte soziale Stellung mehr. Damit einher ging die verrin­ gerte Studienbereitschaft unter den Abiturienten, hervorgerufen durch die öffentlich diskutierte Rede von überfüllten Hochschulen und „Bildungsproletariat“. Und nicht zuletzt sank die Be­ deutung des Hochschulstudiums zugunsten anderer Berufsfelder wie der Wirtschaft oder des Militärs. Vgl. M. Grüttner, Studenten, S. 105. Parallel dazu sank auch der Anteil der Germanistikstudierenden an der Gesamtstudentenschaft wieder auf die vormaligen 4 bis 4,5 Prozent.

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semester 1929 / 30 – und damit zwei Semester vor dem Umschwung an der Univer­ sität insgesamt. Worin lagen nun die Gründe für diese kurze und intensive Phase des massiven Zustroms zum Fach Germanistik in Leipzig und Berlin zwischen 1926 / 27 und 1929 / 30? Er hing zunächst mit der kulturellen und wissenschaftlichen Attraktivität beider Studienorte zusammen.12 Auf einen zweiten Aspekt hat bereits Peter Chroust hingewiesen, nach dem in dieser Phase der Zulauf zu den schulwissenschaftlichen Fächern generell sehr hoch war.13 Dies verweist auf die fachbedingte Dynamik die­ ser Entwicklung: Germanistik studierten Abiturienten in der Regel, um Lehrer zu werden.14 Wie Axel Nath nachgewiesen hat, spielten für potentielle Lehrerinnen und Lehrer die Berufsaussichten eine herausragende Rolle für die Wahl ihres Studi­ ums. Waren der Bedarf an Lehrern groß und die Aussichten auf eine Anstellung erfolgversprechend, stieg die Zahl der Lehramtsstudierenden; war er gering, sank sie ab.15 Mitte der 1920er Jahre nun zeichnete sich ein Lehrermangel im Reich ab, der offenbar eine große Zahl von Abiturienten dazu bewog, ein schulwissenschaft­ liches Fach zu studieren. Das Problem war allerdings, dass es sich bei dieser Ent­ wicklung nur um eine „Scheinkonjunktur“ handelte. Die Überfüllungskrise wurde bald offensichtlich und führte bereits um 1929 / 30 zum raschen Rückgang der Zahl der Lehramtskandidaten.16 Diese Prozesse galten für alle schulwissenschaftlichen Fächer, also für die sprach­ und kulturwissenschaftlichen wie für die mathematisch­naturwissenschaft­ lichen gleichermaßen. Doch innerhalb dieses Fächerspektrums erlebte die Germa­ nistik einen zusätzlichen Profilierungsschub. Dieser lässt sich daran ablesen, dass die Zahl der Studierenden im Fach Germanistik – im Vergleich zu den anderen schulwissenschaftlichen Fächern – überdurchschnittlich stark stieg. Wesentlicher Grund dafür war, dass die Klassische Philologie in den 1920er Jahren ihren domi­ nierenden Einfluss im Schulwesen endgültig an die Germanistik verloren hatte.17 12 13 14

Zu Berlin vgl. S. Rückl, Studentischer Alltag, S. 116 und 132–133. Vgl. P. Chroust, Gießener Universität, S. 106. Die Mehrzahl der Germanistikstudenten und ­studentinnen wollte Lehrer bzw. Lehrerin an ei­ nem Gymnasium werden und reagierte entsprechend sensibel auf die Arbeitsmarktverhältnisse. Dieses Berufsziel verfolgten 70 Prozent der männlichen und 90 Prozent der weiblichen Studie­ renden im Fach Germanistik. Nur eine Minderheit strebte eine akademische Karriere an oder wollte Schriftsteller, Politiker, Redakteur oder Verleger werden. Aufgrund besagter Berufsori­ entierung studierte die Mehrzahl der Germanistikstudierenden neben deutscher Sprache und Literatur andere schulwissenschaftliche Fächer wie Geschichte oder neuere Sprachen. Der re­ guläre Abschluss eines Germanistikstudiums war das Staatsexamen, ein großer Teil der Studie­ renden ließ dem noch die Promotion folgen. Zu den Daten vgl. Daten der Preußischen Statistik vom Wintersemester 1924 / 25, zitiert nach A. Pilger, Germanistik in Münster, S. 113. 15 Vgl. A. Nath, Studienratskarriere, v. a. S. 69 und 75. 16 Vgl. ebd., S. 23–25 sowie 61. 17 Dem war ein langfristiger Prozess vorausgegangen, der im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eingesetzt hatte und Mitte der 1920er Jahre endgültig festgeschrieben worden war. Vgl. zu den Prozessen ausführlich H. J. Frank, Geschichte des Deutschunterrichts, S. 571–752. 1924 erließ das Preußische Kultusministerium neue Richtlinien für die Lehrpläne der höheren Schulen, die ab 1925 von anderen Ländern übernommen wurden und nach denen der Deutschunterricht zum Mittelpunkt auch der gymnasialen Schulausbildung aufgewertet wurde. Diese basierten auf den

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Dies spiegelte sich dann auch in der Studierendenfrequenz: In der Germanistik stieg die Zahl an, in der Klassischen Philologie sank sie ab.18 Zusammenfassend lassen sich fachbedingte wie lokale Besonderheiten in der Entwicklung der Studierendenzahlen im Fach Germanistik in Leipzig und Berlin während der Weimarer Republik aufzeigen. Dabei entsprechen diese Prozesse ins­ gesamt jedoch den allgemeinen Trends. Nicht so in Jena. Dort sank die Zahl der Germanistikstudierenden bereits seit 1927. Zu diesem Zeitpunkt studierten in Jena 141 Germanisten. Dies entsprach 6,2 Prozent der Gesamtstudentenschaft, was ver­ hältnismäßig viel war. Im Sommersemester 1931 waren es noch 101 Studierende; der Anteil an der Gesamtstudentenschaft hatte sich zu diesem Zeitpunkt jedoch be­ reits fast halbiert (auf 3,2 Prozent). Diese Prozesse stehen weder in Zusammenhang mit den Entwicklungen an der Universität Jena insgesamt (dort stieg die Zahl der Studierenden nämlich bis zum Sommersemester 1932) noch damit, dass es sich bei der Germanistik in Jena um ein kleines Institut handelte.19 Vielmehr müssen spezi­ fische Gründe, die sich aus der konkreten Situation ergaben, für diesen Trend ver­ antwortlich gemacht werden. Dazu zählte zum einen die unbefriedigende Lehr­ und Personalsituation am Institut. Der Ordinarius Victor Michels war seit Mitte der 1920er Jahre häufig krank; sein Nachfolger Albert Leitzmann stand zum Zeitpunkt seiner Berufung bereits kurz vor der Emeritierung. Zum anderen verfügte die Je­ naer Germanistik über keine eigene Stelle für Neugermanistik, diesem gerade für die Lehramtskandidaten zentralen Fachbereich. Diese doppelt unbefriedigende Si­ tuation führte offenbar zu einer „Abstimmung mit den Füßen“ und dazu, dass sich die Studienanfänger in Jena für ein anderes Fach entschieden oder Germanistik an einer anderen Universität studierten. Dem skizzierten Boom im Fach Germanistik Mitte / Ende der 1920er Jahre be­ gegnete die Professorenschaft mit viel Widerwillen. Lang vorbei war die Zeit, in der Seminarmitglieder „Auserkorene“ 20 gewesen waren und nicht Teil einer Mas­ seneinrichtung. Von mancher Verklärung in dieser Angelegenheit abgesehen, war die erhöhte Belastung durch den Frequenzzuwachs für Lehrende und Studierende tatsächlich problematisch – im Übrigen (aufgrund der schlechten Personalsitua­

Ausarbeitungen des Lehrers und DDP­Abgeordneten Hans Richert, der 1920 schrieb: „Die deutsche Schule des neuen Deutschland hat ein gemeinsames Bildungsideal und ein allen ge­ meinsames Bildungsmittel: das Ideal heißt Deutschheit, […] es liegt in dem gemeinsamen Mittelpunkt, dem deutschen Unterricht.“ Hans Richert, Die deutsche Bildungseinheit und die höhere Schule. Ein Buch von deutscher Nationalerziehung, Tübingen 1920, zitiert nach ebd., S. 605. Überlegungen dieser Art prägten die Debatten um das Schulwesen seit spätestens Ende des 19. Jahrhunderts. Hinlänglich bekannt ist die Äußerung Kaiser Wilhelms II., dass „als Grundlage für das Gymnasium das Deutsche“ zu nehmen sei. Denn: „wir sollen nationale junge Deutsche erziehen und nicht junge Griechen und Römer.“ Zitiert nach ebd., S. 512. 18 Vgl. die entsprechenden Daten bei H. Titze, Datenhandbuch, I, 1. 19 Vielmehr stieg sie auch in dem vergleichbar kleinen Germanistischen Seminar in Münster noch bis zum Wintersemester 1931 / 32 an. Vgl. A. Pilger, Germanistik in Münster, S. 113. 20 So Gustav Roethe in den Erinnerungen an seine Studienzeit in Leipzig. Vgl. G. Roethe, Leip­ ziger Seminarerinnerungen, S. 6.

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tion) auch in Jena.21 Im Folgenden geht es daher um die Frage, wie die Akteure versuchten, auf den Studierendenzustrom auf institutioneller Ebene zu reagieren. 2 Ausbau, Umbau, Ausdifferenzierung Der starke Zulauf von Studierenden war ein allgegenwärtiges Problem der deut­ schen Universitäten seit der Jahrhundertwende. Die dargestellte heftige Phase Mitte / Ende der 1920er Jahre bildete hierbei nur einen Höhepunkt. Insofern war die Frage von Aus­ und Umbau ein längerfristiges Problem, dem sich die Institute zu stellen hatten. Wie erfolgreich sie dabei waren, hing zum einen von ihren eigenen Ressourcen ab, also von der materiellen und personellen Grundlage, auf der sie aufbauen konnten. Zum anderen waren sie auf das Wohlwollen der Universität und der Ministerien angewiesen, um das sie im Konkurrenzkampf mit anderen Institu­ ten ringen mussten. Vergleicht man die Prozesse während der Weimarer Zeit in Jena, Leipzig und Berlin, so zeigen sich eine Reihe von Parallelen: An allen drei Instituten erfolgte ein gewisser materieller und personeller Ausbau; alle drei Insti­ tute erhielten neue Räumlichkeiten und Unterstützung beim Aufbau und der Kata­ logisierung ihrer Institutsbibliotheken. In welcher Weise und in welchem Umfang dies geschah, war jedoch lokal sehr verschieden. 2.1 Ausbau in Grenzen. Das Deutsche Seminar in Jena Die Germanistik in Jena wurde 1881 gegründet und gehörte zu den relativ späten Institutsgründungen im Reich. In seiner frühen Phase verfügte das Institut über hohes Entwicklungspotential. Der junge, bereits angesehene Eduard Sievers und sein Kollege, der vergleichende Sprachwissenschaftler Berthold Delbrück, gaben der Philologie wichtige Impulse, zu der nicht zuletzt die Gründung des Instituts selbst gehörte.22 Seit Ende des 19. Jahrhunderts jedoch setzte das Thüringische Volksbildungsministerium in Jena zunehmend auf die Förderung der naturwissen­ 21

Für die Lehrseite sei der Leipziger Literaturhistoriker Georg Witkowski zitiert, der die wachsende Zahl von Promotionen so kommentierte: „Die Dissertationen kosteten mich einen nicht geringen Bruchteil meiner Zeit. Es war ja mit der Hingabe des Themas nicht getan. Oft stellte es sich heraus, dass es eingeschränkt oder sonst wie geändert werden musste, immer wieder kamen Fragen in Bezug auf Disposition oder Einzelheiten, Knoten waren zu lösen und Wege der Materialbeschaffung zu suchen.“ G. Witkowski, Von Menschen und Büchern, S. 418. Von Seiten der Studierenden komme Hildegard Emmel zu Wort, die in der Weimarer Zeit Ger­ manistik studiert hatte: „Ich entschied mich für Germanistik aus Neigung. Es gab keinen an­ deren Grund. […] Von der Germanistik wurde allgemein abgeraten. ‚Was, Germanistik? Sie können die Straße von Wien nach Frankfurt mit Germanisten pflastern‘, oder ‚Eher einen Strick kaufen als Philologie studieren!‘. Es war die Zeit der großen Arbeitslosigkeit (6 Millionen!) am Ende der Weimarer Republik. Berufsaussichten bestanden für uns nirgends. Raten konnte da niemand. Kein Weg versprach mehr als ein anderer. Am besten ging man seinen Wünschen nach.“ H. Emmel, Die Freiheit, S. 9. 22 Vgl. Geschichte der Universität Jena, Bd. I, v. a. S. 471– 473, sowie E. Meineke, Der Sprach­ wissenschaftler Eduard Sievers.

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schaftlich­technischen Fächer, was dazu führte, dass der Ausbau in der Germanistik immer wieder an seine Grenzen kam, erschwert, verhindert oder verzögert wurde.23 Gleichwohl erlebte die Germanistik in Jena während der Weimarer Jahre einige strukturelle Verbesserungen: Der Jahresetat wurde leicht angehoben,24 eine Reihe von Sonderzuschüssen wurde genehmigt, um die miserablen Zustände in der Insti­ tutsbibliothek zu beseitigen.25 Zudem konnten die Germanisten in größere, hellere und repräsentativere Räume umziehen.26 Nicht zuletzt erfolgte auch ein gewisser personeller Ausbau: 1918 wurde, nach 25 Jahren, wieder eine zweite Professur ein­ gerichtet; ein Jahr später überdies eine besoldete wissenschaftliche Assistenten­ stelle. Die Einrichtung beider Stellen war eine Reaktion auf die seit der Jahrhundert­ wende gewachsene Zahl der Studierenden und sollte den Lehrbetrieb entlasten.27 Um die angespannte personelle Situation zu verbessern, hatte die Philosophische Fakultät ursprünglich drei Professuren oder zumindest ein zweites Ordinariat gefor­ dert, mit dem man potentielle Kandidaten locken konnte. Doch diese Forderungen wurden vom Ministerium eindeutig abgelehnt.28 Die Assistentenstelle sollte die fehlende Professur kompensieren – eine Festlegung, die zur Folge hatte, dass der Assistent in der Jenaer Germanistik über mehr Kompetenzen und Pflichten als üb­ lich verfügte und – auch das eine Besonderheit – habilitiert sein musste.29 Ein wirklicher Ersatz war diese Stelle jedoch auch bei ihrer ausgeweiteten Zuständig­ keit nicht, vor allem, da eine langfristige Planung mit einem Assistenten nicht mög­ lich war. Vielmehr wurde die Stelle zum Karrieresprungbrett auf eine Professur an anderen Universitäten.30 Mit dieser knappen Skizze zur Personallage ist das Hauptproblem der Jenaer Germanistik benannt. Zweieinhalb Planstellen galten dem Ministerium als ausrei­ chend. Angesichts von 100 bis 140 Studierenden in den 1920er Jahren war diese 23 24 25

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Vgl. zur Frühphase des Instituts die Beiträge in R. Hahn / A. Pöthe (Hg.), „… und was hat es für Kämpfe gegeben“, sowie D. Germann, Germanistik in Jena. Im Jahr 1919 stieg der Institutsetat von 400 auf 500 RM, bis 1929 auf 600 RM. Vgl. ebd., S. 307. An anderen Instituten lag der Etat noch unter diesen Beträgen, etwa in Münster, wo er 1924 / 25 bei 200 bzw. 300 RM lag. Vgl. A. Pilger, Germanistik in Münster, S. 116. Nun konnten nicht nur die laufenden Zeitschriften und Lieferungswerke bezahlt, sondern auch einige dringende Neuanschaffungen realisiert werden. Anders als andere Institutsbibliotheken basierte die Jenaer Bibliothek nicht auf einer großen Schenkung, sondern musste von Grund auf zusammengetragen werden. Vgl. D. Germann, Germanistik in Jena, S. 307 und 292–293. Vgl. ebd., S. 304. Vgl. ebd., S. 296–299. Ein zweites Ordinariat, also eine dritte Planstelle, würde „weit über das Bedürfnis [des Insti­ tuts; AL] hinausgehen“, so die Ansicht des Universitätskurators 1921. Vgl. Schreiben des Kurators der Universität Jena an das Thüringische Volksbildungsministerium vom 31. Okto­ ber 1921, in: UAJ, Bestand C, Nr. 862, Bl. 125. Er übernahm einen wesentlichen Teil der Verwaltung, hielt selbständig grammatische und sprachwissenschaftliche Vorlesungen und Proseminare, nahm die Zulassungsprüfung für die Seminare ab, korrigierte Seminararbeiten und konnte den Ordinarius in seinen Seminaren ver­ treten. Vgl. D. Germann, Germanistik in Jena, S. 300. Hans Naumann, von 1920 bis 1922 Assistent, folgte einem Ruf nach Frankfurt; sein Nachfolger Carl Wesle blieb fünf Jahre in Jena und folgte 1929 einem Ruf nach Kiel.

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Einschätzung nicht unberechtigt. Allerdings waren mit dieser Konstellation auch Probleme verbunden, denn nicht nur die Assistenten waren potentiell auf dem Ab­ sprung. Schwerwiegender wirkte sich aus, dass keine der Stellen ausdrücklich der neueren Literaturgeschichte gewidmet war, jenem für die Lehrerausbildung sowie für paradigmatische Fragen des Fachs maßgeblichen Teilbereich. Dass die Neuger­ manistik in Jena von den Vertretern der Altgermanistik nur behelfsweise mitgelehrt wurde, hatte schließlich zur Folge, dass sie von aktuellen Diskursen abgeschnitten blieb und zum Teil verkümmerte.31 Zu dieser unbefriedigenden Konstellation kam hinzu, dass sich das Ministe­ rium in anstehenden Berufungsfragen wiederholt zu Ungunsten des Seminars ent­ schied: Im Jahr 1929 war der Ordinarius Victor Michels verstorben und gleichzeitig verließ der Assistent Carl Wesle das Institut, um einem Ruf nach Kiel zu folgen. Die Entscheidung des Ministeriums sah nun so aus, dass es – anders als von der Fakul­ tät gefordert – keinen renommierten und auch die Neugermanistik vertretenden Dozenten von außen berief. Vielmehr entschied es sich für die kostengünstigste Variante und berief den bereits in Jena lehrenden Extraordinarius Albert Leitzmann. Auch die Assistentenstelle wurde intern vergeben – an den bis dato als Privatdozent und Lehrbeauftragter wirkenden Hennig Brinkmann.32 Das frei werdende Extraor­ dinariat (vorher Leitzmann) wurde nicht wieder besetzt.33 Diese Entscheidungen des Ministeriums basierten auf rein finanziellen Erwä­ gungen.34 Explizit wies es darauf hin, dass es sich die vorgeschlagenen Dozenten sowie ihre finanziellen Forderungen nicht leisten konnte (und wollte).35 Die intern berufenen Dozenten rückten hingegen nur in eine andere Status­ und Besoldungs­ gruppe auf; die Verhandlungen über zum Teil kostenintensive Kolleggeldgarantien mussten mit ihnen nicht geführt werden. An dieser Entscheidung zeigt sich exemp­ larisch die von Stefan Gerber und Matthias Steinbach für die Gesamtuniversität diagnostizierte Benachteiligung von kultur­ und geisteswissenschaftlichen Fächern 31

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Auf inhaltlich­konzeptioneller Ebene verpasste die Jenaer Germanistik in dieser Zeit den An­ schluss an die Neugermanistik, die gerade Anfang der 1920er Jahre Ausgangspunkt wichtiger konzeptioneller und paradigmatischer Veränderungen geworden war. Erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden explizit Neugermanisten berufen. Gleichwohl hatte es in der Frühzeit des Fachs eine entsprechende Stelle gegeben, doch wurde diese 1893 gestrichen. Vgl. hierzu ausführlich D. Germann, Germanistik in Jena, S. 233–276. Fachlich war diese Entscheidung durchaus gerechtfertigt. Brinkmann und Leitzmann waren angesehene Kenner ihres Fachs, Frings bezeichnete Brinkmann gar als den „Bedeutendsten der Jüngeren“, und Leitzmann wurde gerade aufgrund seiner Verdienste für das Fach von einigen Fakultätsmitgliedern auf die Berufungsliste gesetzt (auf der er zunächst gefehlt hatte). Jedoch war die Entscheidung für die beiden Dozenten ungünstig, die doch ihrerseits eine Wegberufung anstrebten und für die die Ernennung in erster Linie ein Mehr an Arbeit bedeutete. Und auch für die strukturelle Entwicklung des Instituts war sie ungünstig. Vgl. zu Leitzmann U. Joost, Rastlos, sowie J. Haustein, Albert Leitzmann in Jena. Zur Äußerung von Frings vgl. sein Sch­ reiben an Hermann Martin Flasdieck vom 20. Dezember 1957, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 549, unpag. Erst 1933 wurde wieder ein Dozent auf diese Stelle berufen (siehe unten). Zur finanziell günstigen Hausberufung generell vgl. C. Jansen, Vom Gelehrten, S. 43. Vgl. Schreiben des Thüringischen Volksbildungsministeriums an die Phil. Fak. der UJ vom 23. Oktober 1930, in: UAJ, Bestand BA, Nr. 931, Bl. 170.

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zugunsten der Natur­ und Technikwissenschaften in Jena durch das Thüringische Volksbildungsministerium.36 Die Folge dieser Personalpolitik war eine institutionelle Schwächung des Deut­ schen Seminars. Diese schlug sich in mangelnder Attraktivität und Zugkraft des Instituts nieder – Anzeichen dafür waren die sinkende Studierendenzahl, eine ge­ ringe Zahl an Dissertationen sowie die Entstehung von nur einer Habilitation wäh­ rend der Weimarer Zeit.37 Gleichwohl eröffnete diese Konstellation auch Raum für Nischen. So entstand aus Eigeninitiative und mit viel persönlichem Engagement in Jena das erste neu­ nordische Lektorat im Reich.38 Schon seit 1913 unterrichtete Wolrad Eigenbrodt unbezahlt Schwedisch und hielt gut besuchte Einführungen in schwedische Kultur und Literatur.39 Dies konnte auf Dauer gestellt werden, da Eigenbrodt kurz vor seinem Tod beim Reichsverein zur Bewahrung des Schwedentums im Ausland die Finanzierung von schwedischen Lektoren für die Jenaer Germanistik erwirkt hat­ te.40 An diesem Beispiel zeigt sich, wie durch individuelles Engagement Innova­ tives entstehen konnte. Möglicherweise bot gerade die Jenaer Germanistik auf­ grund der unbefriedigenden Verhältnisse den Rahmen für solche Angebote von außen.41 Auch die Volkskunde wurde von außen an die Jenaer Germanistik herangetra­ gen.42 Der Verlagsbuchhändler Eugen Diederichs, Herausgeber eines Großteils 36 37

Vgl. S. Gerber / M. Steinbach, Angst vor der Moderne, S. 10–14. Von 1919 bis 1945 promovierten in Jena nur 94 Germanisten, das sind knapp vier pro Jahr. Vgl. D. Germann, Germanistik in Jena, S. 311. Auch gab es während der Weimarer Zeit nur eine Habilitation – die von Hennig Brinkmann im Jahr 1924. 38 Erst einige Jahre später folgten die norddeutschen Städte mit ähnlichen Einrichtungen nach: 1917 Kiel, 1918 Rostock und 1919 Greifswald. Das Jenaer Lektorat war verwaltungstechnisch dem Deutschen Seminar angegliedert. Nach der Gründung der Nordischen Abteilung 1939 ging es an diese als deren neusprachlicher Teil über. Die Nordistik­Bibliothek basierte auf dem Grundstock der Eigenbrodt’schen Bibliothek, die er nach seinem Tod dem Institut vermacht hatte. Vgl. ebd., S. 317–328. 39 Die Zahl seiner Seminarteilnehmer stieg kontinuierlich: 1925 besuchten seine Veranstaltungen bereits 35 Studierende, was immerhin ein Drittel der Jenaer Germanisten war. Eigenbrodt musste seine Lehrveranstaltungen aus Krankheitsgründen zu Hause abhalten. Er lehrte pro Se­ mester drei bis fünf Wochenstunden. Vgl. ebd., S. 323. 40 Um diesen Schritt vollziehen zu können, musste das neunordische Lektorat in ein Lektorat für Schwedische Sprache umgewandelt werden, was am 28. Januar 1920 geschah. Der erste schwedische Lektor war Ivar Lundahl. Ihm folgten bis 1937 vier weitere Schweden, allesamt junge, engagierte Männer (1922–1923 Ragnar Irlow, 1923–1926 Gunnar Drugge, 1926–1932 August Lorenz Engberg, 1932–1937 Nils Kjellman). Von 1937 bis 1939 war das Lektorat un­ besetzt. Von 1939 bis 1943 hatte es zum ersten Mal ein Deutscher, Erich Günther, inne. Von 1943 bis 1947 war das Lektorat wiederum unbesetzt. Vgl. ebd., S. 320. 41 Das Potential hatte aber auch eine Kehrseite, die sich etwa darin zeigt, dass auch der antisemi­ tische Publizist Adolf Bartels in Jena literaturwissenschaftliche Vorlesungen halten konnte. Als 1930 die Nachfolgefrage noch ungeklärt war, erhielt Bartels, der Mann, „über dessen Persön­ lichkeit und Wirken wohl nichts weiteres gesagt zu werden braucht“, einen Lehrauftrag und hielt im Sommersemester 1930 eine Vorlesung über Neuere deutsche Literatur. Vgl. Schreiben des Thüringischen Volksbildungsministeriums an die Phil. Fak. der UJ vom 5. Mai 1930, in: UAJ, Bestand BA, Nr. 931, Bl. 139. 42 Vgl. D. Germann, Germanistik in Jena, S. 329–333.

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deutschsprachiger volkskundlicher Literatur, erklärte sich Ende 1919 bereit, einen Lehrauftrag für Deutsche und thüringische Landeskunde in Jena zu finanzieren. Dieser erging im Januar 1920 an den Institutsassistenten Hans Naumann. Im Ge­ gensatz zur Nordistik jedoch war diese Lehroption nur von kurzer Dauer. Nach dem Weggang von Naumann zwei Jahre später wurde der Lehrauftrag nicht verlängert. Die offizielle Weiterführung der Volkskunde in Jena kam somit bereits 1922 zum Erliegen. Trotzdem wurde sie in der Lehre von den Assistenten Wesle und Brink­ mann fortgeführt und mündete 1933 / 34 in der Einrichtung einer volkskundlichen Abteilung (vgl. unten). Insgesamt waren die Arbeitsbedingungen am Deutschen Seminar in Jena wäh­ rend der Weimarer Jahre eher ungünstig. Zwar hatte es zu Beginn dieser Zeit einige Verbesserungen gegeben, jedoch konnten diese nicht zu einer wirklichen Stabilisie­ rung des Instituts beitragen. Die Gründe hierfür sind zum einen in den konkreten Umständen am Institut zu suchen, zum anderen in den ministeriellen Entscheidun­ gen, die vielfach zu Ungunsten der Geisteswissenschaften ausfielen. Für die Ger­ manistik bedeutete dies einen Verlust an Attraktivität und Anziehungskraft, der bis in die 1930er und 1940er Jahre anhalten sollte und sich am augenfälligsten in der sinkenden Studierendenzahl manifestierte. Zugleich boten diese Bedingungen aber Anknüpfungsmöglichkeiten für externe Kräfte, denen es zum Teil nachhaltig ge­ lang, in der Jenaer Germanistik Fuß zu fassen.43 2. 2 Dynamischer Ausbau auf hohem Niveau. Das Germanistische Institut in Leipzig Generell war die Situation vor dem starken Zustrom von Studierenden zur Germa­ nistik in Leipzig durchaus günstig. Das Institut war 1873 unter der Bezeichnung „Deutsches Seminar“ gegründet worden und hatte in den folgenden Jahrzehnten einen sukzessiven Ausbau erlebt.44 Die Bibliothek des Instituts gehörte zu den be­ 43 44

Zum institutionellen Aufbau des Deutschen Seminars in Jena von 1919 bis zum Wintersemester 1932 / 33 vgl. Grafik I im Anhang. Bei der Gründung der Germanistik lautete die Bezeichnung „Deutsches Seminar“. Seit Mitte der 1920er Jahre bestanden parallel die Bezeichnungen „Germanisches Seminar“ und „Ger­ manistisches Institut“. Ersteres bezeichnete die Institution, in der die Studierenden durch Im­ matrikulation und Teilnahme an Pro­ und Hauptseminaren Mitglied wurden. Als Germanistisches Institut hingegen wurde ursprünglich die Lokalität, d. h. die Veranstaltungsräume, Büros sowie die Bibliothek, bezeichnet. Diskussionen um die Vereinheitlichung dieser Einteilungen gab es spätestens seit 1935. Der Dekan der Fakultät bat die Germanistikprofessoren, sich auf eine Bezeichnung zu einigen. Offenbar kam es in diesem Zuge jedoch zu Kompetenzstreitigkeiten innerhalb des Instituts, weshalb keine Lösung gefunden werden konnte. So wurden die Be­ reiche per Erlass im Jahr 1938 als Germanistisches Institut zusammengefasst: „In Zukunft sind das Germanische Seminar und Proseminar und das Germanistische Institut unter dem Namen ‚Germanistisches Institut‘ zusammenzufassen und zu benennen.“ Im Folgenden werde ich aus vereinfachenden Gründen immer vom Germanistischen Institut sprechen. Vgl. zur Bezeich­ nung und den Diskussionen um die Vereinheitlichung die Korrespondenz in: UAL, Phil. Fak. B1 / 14:01, Bl. 40– 42, sowie SächsHStA Dresden, MfV 10225 / 1, Bl. 103. Zur Geschichte des

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deutendsten des Reiches,45 und auch personell war die Leipziger Germanistik gut aufgestellt. Anfang des 20. Jahrhunderts verfügte sie bereits über fünf Planstel­ len – in den beiden anderen großen Instituten in München und Berlin waren es zu diesem Zeitpunkt nur vier bzw. ebenfalls fünf. Neben zwei Ordinariaten und zwei Extraordinariaten für Deutsche Sprache und Literatur gab es seit 1901 eine planmä­ ßige außerordentliche Professur für Nordistik, was die bereits fortgeschrittene Aus­ differenzierung innerhalb des Fachs anzeigt.46 Das Angebot des Instituts wirkte auf die Studierenden anziehend und produktiv, was sich in ihrer großen Zahl zeigte sowie darin, dass unter ihnen eine Reihe später prominenter Professoren, Autoren und Verleger war.47 Der sukzessive Zulauf von Studierenden seit der Jahrhundertwende machte ei­ nen Umzug in größere und repräsentative Räume notwendig: 1908 erhielten die Germanisten daher zwei zusätzliche Räume in dem 1896 neu errichteten Paulinum am Augustusplatz. Damit standen ihnen 130 Arbeitsplätze, ein eigener Bibliotheks­ raum und ausreichend Zimmer für die Professoren zur Verfügung.48 Der Jahresetat des Instituts lag in den 1890er Jahren bei 1.600 bis 1.700 RM, ein Großteil dieser Mittel floss in den Kauf von Büchern. Im Vergleich zu den anderen Fächern der Philosophischen Fakultät der Universität lag er in den 1910er Jahren im unteren Mittelfeld.49 Verglichen mit anderen Germanistischen Instituten war er jedoch sehr hoch; in München etwa betrug er zur gleichen Zeit gerade einmal 300 bis 500 RM.50 Das zeigt, dass sowohl in der Fakultät als auch im Vergleich mit anderen germanis­ tischen Einrichtungen des Kaiserreichs die Situation der Leipziger Germanistik in verschiedener Hinsicht komfortabel war. Instituts von seinen Anfängen 1873 bis Anfang der 1920er Jahre vgl. K. Krüger, Die germanis­ tische Literaturwissenschaft, sowie G. Öhlschläger / L. Stockinger, Germanistik. 45 Bereits 1894 beschloss das Königliche Ministerium auf Antrag des Institutsdirektors Sievers, den gesamten Etat in die Anschaffung von Büchern zu investieren, statt wie zuvor zu großen Teilen in die Vergabe von Stipendien an begabte Studierende. Bis 1908 standen dem Institut jährlich etwa 2.800 RM zur Verfügung, zusammengesetzt aus dem Etat von 1.600 RM und den Studien­ und Verleihgebühren des Seminars selbst. So konnte das erwünschte Niveau der Bib­ liothek zügig erreicht werden, jährlich wurden etwa 500 Bücher angeschafft, sodass die Biblio­ thek im Jahr 1908 6.780 Werke umfasste. 20 Jahre später verfügte die Bibliothek über drei Mal so viele Bände und gehörte zu den umfangreichsten der geisteswissenschaftlichen Institute der Universität. Vgl. Festschrift zur Feier des 500jährigen Bestehens der Universität Leipzig, S. 101–104. 46 1918 wurde der von Eugen Mogk geleitete Bereich zur selbständigen Abteilung für Nordistik mit eigenem Etat. 47 So hatten in Leipzig in den 1880 / 90er Jahren u. a. die späteren Germanistikprofessoren Gustav Roethe, Konrad Burdach, Victor Michels und Julius Petersen studiert, des Weiteren die Ver­ leger Anton Kippenberg und Ernst Reclam sowie die Autoren Kurt Pinthus und Erich Kästner. 48 Vgl. Festschrift zur Feier des 500jährigen Bestehens der Universität Leipzig, S. 100–105. 49 Der Jahresetat der einzelnen geisteswissenschaftlichen Institute innerhalb der Philosophi­ schen Fakultät lag im Rechnungsjahr 1912 / 13 zwischen 200 RM (Musikwissenschaften) und 5.536 RM (Kulturgeschichte). Innerhalb der sprachwissenschaftlichen Fächer waren die Ger­ manisten ebenfalls im Mittelfeld. Den niedrigsten Etat erhielten die Romanisten (350 RM), den höchsten die Klassische Philologie mit 4.120 RM. Vgl. J. Cholet, Finanzen, S. 218–219. 50 Vgl. M. Bonk, Deutsche Philologie in München, S. 361.

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Auch nach dem Krieg erfuhr das Fach das Wohlwollen des Ministeriums. Der Etat stieg in der ersten Hälfte der 1920er Jahre stetig an. Bereits 1920 hatte sich der Vorkriegsetat nahezu verdoppelt und umfasste nun 3.100 RM.51 Dies war, vergli­ chen mit den Nachbardisziplinen in Leipzig52, aber auch im Vergleich zur Germa­ nistik in München überdurchschnittlich hoch.53 Nicht zuletzt gegenüber anderen philologischen Schulwissenschaften wie den neueren Philologien Englisch und Ro­ manistik sowie der Klassischen Philologie konnte die Germanistik in Leipzig in den 1920er Jahren einen deutlichen Aufschwung verzeichnen.54 Anhand dieser finanziellen Relationen lässt sich auch eine Aufwertung und der besondere Status der Leipziger Germanistik in den 1920er Jahren erfassen: Im Ranking der Germa­ nistischen Institute stand es vor München. Innerhalb der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig hatte es einen hohen Stellenwert, und unter den Philologien behauptete es sich gegenüber den Fremdsprachen und hängte die Klassische Philo­ logie endgültig ab. Ende der 1920er Jahre sank der Etat, was mit der angespannten Finanzlage im Freistaat Sachsen zusammenhing. Bis 1932 war er auf 1.200 RM gesunken.55 Den­ noch: Auch diese Zahl lag noch deutlich über dem Etat anderer Germanistischer Institute; so verfügte die Münchner Germanistik im gleichen Zeitraum nur über 770 RM, die Jenaer über etwa 600 RM.56 Diese finanziell günstige Lage lässt sich auch anhand der überdurchschnittlich hohen Gehälter der Leipziger Germanisten zeigen.57 Der Literaturhistoriker Albert Köster erhielt zwischenzeitlich das absolute Spitzengehalt der Philosophischen Fa­

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Vgl. J. Cholet, Finanzen, S. 218. Bereits 1920 lag der Etat der Germanisten nicht mehr, wie noch vor dem Krieg, im unteren Mittelfeld. Der Durchschnitt lag bei gut 2.400 RM. 1925 war der Etat der Germanisten bereits doppelt so hoch wie der Durchschnittssatz. Vgl. ebd. 53 Vgl. M. Bonk, Deutsche Philologie in München, S. 361. 54 Die beiden neueren Sprachen Anglistik und Romanistik erfuhren nach dem Krieg zwar eben­ falls finanzielle Förderung, jedoch in geringerem Maße. Der Etat der Anglisten stieg von 1.000 RM (1912 / 13) auf 1.250 RM (1916 / 17) bis auf 1.350 RM im Jahr 1920. 1924 betrug er jedoch nur noch 800 RM. Die Romanisten verfügten hingegen nur über zunächst 350 RM (1912 / 13) bzw. 600 RM im Jahr 1920. 1924 belief sich der Etat auf 600 RM. Vergleichen wir den der Germanisten mit dem der Klassischen Philologie, so zeigt sich, dass dieser zwar nach dem Krieg noch höher war, allerdings keine Erhöhung erfahren hatte, sondern vielmehr weiter­ hin bei 4.120 RM lag. Bis Mitte der 1920er Jahre war der Etat der Germanistik dann fast dop­ pelt so hoch wie der der Klassischen Philologie. 1925 lag der Etat der Germanisten bei 2.100 M, der Klassischen Philologie bei 1.200 M. Vgl. J. Cholet, Finanzen, S. 218–219. 55 Dies führte dazu, dass gerade angesichts der steigenden Studierendenzahlen wiederholt eine Etaterhöhung gefordert wurde. Vgl. hierzu Bericht über die Situation am Germanistischen In­ stitut vom 19. Januar 1933, in: SächsHStA Dresden, MfV 10225 / 1, Bl. 71 ff. 56 Vgl. M. Bonk, Deutsche Philologie in München, S. 361, sowie D. Germann, Germanistik in Jena, S. 307. 57 Zwar lässt sich von einem einzelnen Ordinariengehalt nicht per se auf den Wert der von ihm vertretenen Fachrichtung schließen, den das Ministerium ihm beimaß. Nimmt man jedoch eine Gruppe von Ordinarien und betrachtet über einen längeren Zeitraum die Bereitschaft des Min­ isteriums, in sie zu investieren, so lassen sich durchaus Aussagen über die Wertschätzung des Faches ableiten. Vgl. C. Jansen, Vom Gelehrten, S. 42.

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kultät, nachdem er 1913 Rufe nach Wien, Berlin und Hamburg abgelehnt hatte.58 Auch das Gehalt seines Kollegen Eduard Sievers sowie das der beiden Nachfolger Theodor Frings und Hermann August Korff lag (inklusive aller Bezüge) im oberen Drittel der Gehaltsliste.59 Die Germanistengehälter zeigen somit an, dass das Säch­ sische Volksbildungsministerium dazu bereit – und zugleich in der Lage – war, in die Berufung und den Erhalt von renommierten Germanisten zu investieren. Dies unterschied die Situation grundlegend von der in Jena, wo die finanziellen Grenzen sehr eng gesteckt waren und man sich für die kostengünstige Hausberufung anstatt für einen angesehenen Gelehrten von außen entschieden hatte. Was sich auf finanzieller Ebene zeigt, lässt sich auch auf der Personalebene nachweisen. Hier fand zu Beginn der Weimarer Republik ein weiterer Ausbau statt. 1919 wurde eine neue Professur (für Niederlandistik) eingerichtet. Damit verfügte die Leipziger Germanistik nun über sechs Planstellen, die, von kurzen Unterbre­ chungen abgesehen, bis 1932 / 33 durchgängig besetzt waren.60 Mit der Einrichtung dieser Professur ging zudem eine weitere Ausdifferenzierung des Fachs einher, die sich in der Einrichtung einer Flämisch­nordniederländischen Abteilung nieder­ schlug. Eine weitere Erweiterung bedeutete die schrittweise Etablierung der Volks­ kunde, die 1929 in einer Volkskundlichen Abteilung institutionalisiert wurde und 1934 eine eigene Professur erhielt. Neben der traditionellen Kerngermanistik (äl­ tere deutsche Sprache und Literatur sowie neuere deutsche Literaturgeschichte) waren in Leipzig Ende der 1920er Jahre die Nordistik, die Niederlandistik und die Volkskunde vertreten; zudem übernahmen einzelne Professoren theaterwissen­ schaftliche Lehrveranstaltungen.61 Zu den planmäßigen Professoren trat eine Reihe außerplanmäßiger Lehrkräfte. Dies waren während der Weimarer Zeit ein bis zwei Privatdozenten, einige Fremd­ sprachenlektoren sowie Assistenten. 1922 wurde eine planmäßige Institutsassisten­ tenstelle eingerichtet. Anders als in Jena war der Inhaber oder die Inhaberin dieser Stelle vor allem mit administrativen und organisatorischen Aufgaben betraut; die Stelle wurde dementsprechend auch nur an nichthabilitierte Absolventen verge­

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Von knapp 10.000 RM 1912 / 13 war es auf 16.505 RM im Rechnungsjahr 1914 / 15 gestiegen und übertraf damit den Gehaltsdurchschnitt an der Philosophischen Fakultät bei weitem, der bei knapp 11.000 RM lag. Vgl. J. Cholet, Finanzen, S. 203. Zum Gehalt von Sievers vgl. ebd. Korff und Frings, beide Mitte der 1920er Jahre berufen, er­ hielten ein Grundgehalt von 17.000 bis 18.000 RM. Vgl. SächsHStA Dresden, MfV 10095 / 13. Sonderkonditionen wurden nun allerdings verstärkt auf der Ebene der Kolleggeldgarantien ausgehandelt. Das bedeutete, dass zu den zum Teil schon sehr hohen Professorengehältern noch „wandelbare Bezüge“ hinzukamen. Dies waren Lehrauftragshonorare, Prüfungsgebühren und Aufwandsentschädigungen für Selbstverwaltungsämter, v. a. aber Kolleggeldeinnahmen. Vgl. C. Jansen, Vom Gelehrten, S. 46. Im Fall von Frings betrug die im Rahmen seiner Beru­ fung ausgehandelte Garantie 8.000 RM. Vgl. SächsHStA Dresden, MfV 10144 / 42, Bl. 72. Vgl. zur Frage von Gehalt und Kolleggeldern die Ausführungen von B. Kuchta, Probleme sächsischer Wissenschaftspolitik, S. 182–184. Zum institutionellen Aufbau des Germanistischen Instituts in Leipzig zwischen 1919 und dem Wintersemester 1932 / 33 vgl. Grafik II im Anhang. Vgl. Vorlesungsverzeichnisse der Universität Leipzig.

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ben.62 Aufgrund des starken Zulaufs der Studierenden war die Abteilung für Neuere deutsche Philologie besonders stark beansprucht.63 Deswegen erhielt sie 1927 eine eigene Assistentenstelle, die mit Absolventen oder Doktoranden besetzt wurde. Auch diese Assistenten waren nur für Verwaltungsaufgaben zuständig und hielten keine Lehrveranstaltungen ab.64 Neben der Einstellung von Assistenten, um dem erhöhten Verwaltungsaufwand Herr zu werden, begegneten die Leipziger Germanisten der steigenden Studieren­ denzahl mit erhöhter Lehrfrequenz: So gab es im Jahr 1930 (dem zahlenmäßigen Höhepunkt mit 429 Studierenden) gut 30 Veranstaltungen – im Wintersemester 1921 / 22 waren es nur 19 gewesen. Diese Zahl wurde möglich, da auch die Profes­ soren für Niederlandistik und Volkskunde Veranstaltungen zu sprach­ und literatur­ geschichtlichen Themen hielten.65 Die Lehre blieb aber – im Gegensatz zu Jena und vor allem, wie zu zeigen sein wird, zu Berlin – vollständig in den Händen der planmäßigen Professoren. Eine weitere Reaktion auf den Zuwachs der Studierenden war eine Umstruktu­ rierung der Lehre, die 1928 erfolgte. Die bis dahin geltende, 1892 eingerichtete Unterscheidung in Seminar und Proseminar wurde nun erweitert. Jetzt unterschied man in Oberseminar, Hauptseminar, Mittelseminar und Proseminar und ermög­ lichte damit eine bessere und niveaugerechte Gliederung der Lehre.66 Insgesamt wird erkennbar, dass nicht nur die finanzielle, sondern auch die per­ sonelle Situation in Leipzig ausgesprochen stabil war. Auf die steigende Zahl von Studierenden im Fach Germanistik reagierte man mit der Einrichtung von Assisten­ tenstellen, mit einem Mehr an Lehre sowie mit Umstrukturierung. Darüber hinaus wurde auch die weitere Ausdifferenzierung des Fachs gewährleistet. Neue Stellen

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Seit ihrer Einrichtung 1918 hatte die Stelle als unbezahlte Bibliothekarin Elisabeth Karg­Gas­ terstädt inne. Sie wäre wohl auch noch länger in dieser Position verblieben, wenn sie nicht in­ folge des „Gesetzes über die Rechtsstellung der weiblichen Beamten“ im Herbst 1933 entlassen worden wäre. Vgl. Kap. B II 2.2. Auf das zudem geringe Sozialprestige langjähriger Assisten­ ten im wissenschaftlichen Feld hat Christian Jansen hingewiesen. Vgl. C. Jansen, Vom Gelehr­ ten, S. 59. Dafür spricht auch die hohe Zahl von Dissertationen (81 von 115), die in der Neueren Abtei­ lung bei Köster, Korff und Witkowski zwischen 1919 und 1933 entstanden. Vgl. UAL, Promo­ tionsprotokolle der Phil. Fak. 1920–1945. Die Assistenten der Neueren Abteilung waren, anders als der Institutsassistent, nur für ein bis zwei Semester am Institut tätig. Dies entsprach der Regel, sollte diese Stelle doch Einblicke in die akademische Praxis ermöglichen und von vielen genutzt werden. Vgl. C. Jansen, Vom Ge­ lehrten, S. 59. Vgl. Vorlesungsverzeichnisse der Universität Leipzig. Die Proseminare wurden im Kernbereich der Deutschen Philologie durch die Privatdozenten und außerordentlichen Professoren betreut, in den einzelnen Abteilungen durch die jeweiligen Fachvertreter. Die Hauptseminare leiteten die Ordinarien. Die Teilnahme daran setzte den erfol­ greichen Abschluss eines Proseminars voraus. Die Oberseminare hingegen, die ebenfalls von den Ordinarien betreut wurden, waren den Promovenden vorbehalten. Im Germanistischen Seminar der Universität Göttingen erfolgte 1931 eine ähnliche Unterteilung in Haupt­, Mittel­ und Proseminar. Vgl. U. Hunger, Germanistik zwischen Geistesgeschichte und „völkischer Wissenschaft“, S. 376. Ähnliche Umstrukturierungen gab es auch in Berlin (siehe unten).

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wurden eingerichtet, andere umgewidmet.67 In jedem Fall war man darum bemüht, frei gewordene Lehrstellen rasch wieder zu besetzen. Dies lag an der traditionellen Reputation des Instituts, dem kulturellen Kapital seiner Vertreter und ihrem hohen Ansehen in der Fakultät sowie in entscheidendem Maße auch an dem gewachsenen und guten Verhältnis zwischen Philosophischer Fakultät und Volksbildungsministe­ rium.68 Dies zeigt sich nicht zuletzt in der großen Bereitschaft des Ministeriums, notwendige finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, den Wunschkandidaten der Fakultät zu berufen69 oder auch die einmal berufenen Germanistikordinarien in Leipzig zu halten. Und dies mit Erfolg: Seit der Gründung des Seminars bis Mitte der 1950er Jahre nahm bis auf eine Ausnahme keiner von ihnen einen Ruf an eine andere Universität an. 2. 3 Das Maß aller Dinge? Die Germanistik in Berlin Bekanntermaßen erfolgte die Ausdifferenzierung der Germanistik an der Berliner Universität verzögert.70 Das Germanische Seminar wurde erst 1887 unter Erich Schmidt gegründet und damit 14 Jahre nach Leipzig und sogar sechs Jahre nach der schon recht späten Gründung in Jena. Die Gründe für diese Verzögerung liegen zum einen in der „pietätvollen Rücksicht“ Wilhelm Scherers auf seinen verstorbenen Kollegen Karl Müllenhoff71, der, ganz der klassischen Philologentradition verbun­ den, die Einrichtung einer eigenen Institution für Germanische Philologie grund­ sätzlich abgelehnt hatte.72 Zum anderen sind die Gründe für die Verspätung aber auch auf ministerieller Seite zu suchen, die nur verzögert finanzielle und materielle Mittel für den Aufbau der Germanistik zur Verfügung stellte. Zum Dritten bestand in Berlin offenbar eine grundsätzliche Benachteiligung der Philologien zugunsten der Naturwissenschaften. So stellte der preußische Finanzminister Ende der 1880er Jahre fest: „Eine seltsame Eigenthümlichkeit der hiesigen Universität besteht darin, 67

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Dies hing nicht zuletzt damit zusammen, dass an der Leipziger Universität in den Jahren der Weimarer Republik in der Medizinischen und der Philosophischen Fakultät per se ein per­ soneller Ausbau stattfand. Zwischen 1919 und 1932 war die Zahl der Lehrkräfte im Vergleich zum Vorkriegsstand um ein Drittel gestiegen, und davon profitierte auch die Germanistik. Für diesen Hinweis danke ich Beatrix Dietel / Berlin. Zum einen wurden die Germanistikprofessoren Eduard Sievers und Albert Köster als Dekane und Rektoren gewählt, was ihren guten Stand in der Fakultät illustriert. Sievers war 1899 / 1900 Dekan der Philosophischen Fakultät und 1901 / 02 Rektor, Köster war 1911 / 12 Dekan und 1914 / 15 Rektor der Universität Leipzig. So bei Frings, dem 1927 zusätzlich zu seinem Gehalt die Höchstsumme als Kolleggeldgarantie angeboten wurde, ebenso bei Julius Petersen, der als Nachfolger für Köster 1924 im Gespräch war und dem ein Spitzengehalt von 15.000 RM angeboten wurde. Vgl. Schreiben von Petersen an das Sächsische Volksbildungsministerium vom 24. November 1924, in: DLA Marbach, D: Petersen, D62.145. Vgl. W. Höppner, Germanistik als Universitätswissenschaft. Scherer hatte in Straßburg, dessen Universität als Vorbild in Institutionalisierungsvorgängen galt, den Aufbau des dortigen Germanistischen Instituts betrieben. Vgl. B. vom Brocke, Preußische Hochschulpolitik, S. 38. Vgl. W. Höppner, Germanistik als Universitätswissenschaft, S. 772.

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dass sie nur zwei Ordinariate für klassische Philologie besitzt […]. Diese stiefmüt­ terliche Behandlung der Philologie an der ersten Hochschule der Welt lässt sich nur so erklären, dass sie mehr noch als andere humanistische Fächer hat zurücktreten müssen hinter dem siegreichen Ansturm, welchen in den letzten Jahrzehnten die Naturwissenschaften genommen haben. Die Folge aber davon ist, dass Berlin ge­ genwärtig, was die philologische Schulung betrifft, unter den deutschen Universi­ täten erst die 4. oder 5. Stelle einnimmt.“73 Gut 30 Jahre später gewannen die Aussagen des Ministers an Aktualität. Ohne Frage galt die Germanistik in Berlin aufgrund ihrer Tradition und der Reputation ihrer Vertreter, vor allem von Wilhelm Scherer und Erich Schmidt, als erste Adresse für Germanistikstudierende mit Ambitionen. In Berlin Deutsche Philologie studiert zu haben, galt etwas. So konnte Julius Petersen stolz berichten, dass zehn Prozent der Absolventen, die zwischen 1900 und 1937 in Berlin promoviert worden waren, eine akademische Karriere im In­ oder Ausland eingeschlagen hatten und viele andere in leitenden Positionen in Ministerien, Archiven, Verlagen oder in der Presse arbeite­ ten.74 Für den guten Ruf des Instituts sprach auch die hohe Studierendenzahl, die, wie oben dargestellt, die Zahl an allen anderen Instituten bei weitem übertraf: Innerhalb der wenigen Semester zwischen 1924 / 25 und 1929 / 30 hatte sie sich auf knapp 900 verdreifacht. Aber, und hier sei an obiges Zitat erinnert: Reputation, Erfolg und Stu­ dierendenzuwachs hatten keine adäquaten Folgen auf der institutionellen Ebene ge­ habt. Es fehlte vielmehr an ausreichenden Räumlichkeiten und Personal. Die räumliche Situation der Berliner Germanisten war in den 1920er Jahren al­ les andere als befriedigend und beschnitt die Entwicklungsmöglichkeiten des Fachs drastisch. Die Direktoren des Instituts behaupteten gar, die Studierenden würden das Germanische Seminar meiden, „soweit sie es nicht unbedingt brauchen, weil es als das schlechteste der Universität gilt.“75 Noch einige Jahre zuvor war dies anders gewesen: 1916 / 17 waren die Germanisten in große und repräsentative Räume gezo­ gen, wo sie insgesamt neun Zimmer belegten, die ausreichend Platz für die Studie­ renden und die Bibliothek boten.76 Diese reichten jedoch fünf bis zehn Jahre später nicht mehr aus, sodass sich die Germanisten nun deutlich im Nachteil sahen: „Es muss nachdrücklich betont werden, dass die räumlichen Verhältnisse des Germanischen Seminars […] wesentlich ungünstiger sind als die anderer neusprachiger Seminare der Berliner

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Vgl. ebd., S. 774 –775. Vgl. J. Petersen, Ausbau, S. 34 –35. Schreiben der drei Direktoren des Germanischen Seminars an das Preußische Volksbildungs­ ministerium vom 5. November 1934, in: UA der HUB, Phil. Fak. nach 1945, Nr. 41, Bl. 9. Um Irritationen zu vermeiden: Zu diesem Zeitpunkt wurde Seminar synonym für den Ort (also die Räumlichkeiten) sowie die administrative Einrichtung verwendet. Schon vorher war das Raumproblem ein Thema gewesen, galten die vorherigen Räume doch als dunkel und „allenfalls gemütlich“. Vgl. H. Schneider, Blütezeit, S. 26. Der Umzug galt als eine „gesteigerte Wertschätzung“ von offizieller Seite, die der Germanistik zuteil wurde. Vgl. H.­J. Hube, Räume, S. 790.

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Universität (garnicht [sic] zureden [sic] vom Klassisch­Philologischen, vom Historischen, vom Kunsthistorischen Seminar) […].“77

Vorschläge, wie dem Mangel abzuhelfen sei, fanden sich schnell: „Es gibt für unser Seminar nur eine, und zwar sehr naheliegende und günstige Lösung der Raumfrage, für die wir seit vielen Jahren kämpfen: Das dem Germanischen Seminar vorge­ lagerte Ausländerinstitut muss ihm weichen. Diesem Institut […] müssen Räume außerhalb der Universität zugewiesen werden […]. Eine Lösung derart, dass das Germanische Seminar der Berliner Universität dem Ausländerinstitut wiche und außerhalb der Universität eine neue Heimstatt suchte, erscheint nicht vorstellbar.“78

Die Fronten in dieser Frage waren verhärtet, die Forderungen der Germanisten hoch: Anfang der 1930er Jahre beanspruchten sie mindestens neun weitere Räume, um angemessen arbeiten zu können.79 Ob das Ministerium wirklich anderen Fä­ chern den Vorrang gab, ob es einfach keine Ausweichmöglichkeiten gab oder ob man auf den zyklisch bedingten Rückgang der Zahl der Germanistikstudierenden hoffte – in jedem Fall fand eine räumliche Vergrößerung des Germanischen Semi­ nars während der 1920er und 1930er Jahre nicht statt. Wie reagierten die Germanisten? Sie wussten sich keinen anderen Rat, als die Zahl der Seminarnutzer durch eigene Maßnahmen zu reduzieren: „Wir haben seit vielen Jahren einen erträglichen Seminarbetrieb nur dadurch aufrecht erhal­ ten können, dass wir die Zahl der Seminarmitglieder künstlich verringerten, indem wir das Seminar den Anfangssemestern sperrten und grundsätzlich erst solchen Studierenden die Se­ minarkarte gaben, die bereits die Befähigung für die Mittelstufe der Seminarübungen dargetan hatten. Das war eine aus naheliegenden Gründen sehr bedenkliche Massnahme [sic], die uns durch unsere Raumnot indessen aufgezwungen wurde.“80

Die räumlichen Beschränkungen machten einen Ausbau des Fachs während der Weimarer Zeit unmöglich. Ansätze und Überlegungen, Bereiche wie Rhetorik, Volkskunde oder Theaterwissenschaft institutionell zu integrieren, scheiterten an den fehlenden räumlichen Möglichkeiten.81 Im Zusammenhang mit den hohen Studierendenzahlen war Raumnot das eine, Personalmangel das andere Problem der Berliner Germanistik in den 1920er Jah­ ren. In Berlin gab es fünf Professuren. Diese umfassten (das war einmalig!) drei Ordinariate (Altdeutsche Philologie, Neudeutsche Philologie sowie seit 1914 Alt­ 77 78 79 80 81

Schreiben der drei Direktoren des Germanischen Seminars an das Preußische Volksbildungs­ ministerium vom 5. November 1934, in: UA der HUB, Phil. Fak. nach 1945, Nr. 41, Bl. 9. Ebd. Ebd. Ebd., Bl. 6–7. Dabei gab es eine Reihe von personellen Überschneidungen. So wurde das Theaterwissenschaft­ liche Institut 1923 durch die Germanisten Max Herrmann und Julius Petersen begründet. Das Volkskundliche Institut wurde 1936 gegründet. Der erste Privatdozent für Volkskunde, Richard Beitl, hatte sich jedoch in der Germanistik habilitiert. Bis zuletzt jedoch konnte aufgrund der „räumlichen Beengung“, so Petersen, „das große deutschkundliche Institut“, zu dem Theater­ wissenschaft wie Volkskunde gehört hätten, nicht zustande kommen. J. Petersen, Ausbau, S. 34.

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germanische und altnordische Philologie). Hinzu kamen zwei Extraordinariate, die je der Alt­ bzw. Neudeutschen Abteilung zugeordnet waren.82 Allerdings reichten diese Stellen – zumal nicht alle durchgängig besetzt waren – für die fast 900 Stu­ dierenden nicht aus. In Leipzig gab es bei deutlich weniger Studierenden sechs Professoren; in München bei noch geringerer Studierendenzahl immerhin vier. Er­ schwert wurde die Situation durch das angespannte Verhältnis der Fachvertreter zum Ministerium, sodass Gespräche, die Lehrsituation durch Einrichtung weiterer Stellen zu verbessern, wiederholt scheiterten.83 Erst im Wintersemester 1932 / 33 gelang die Einrichtung einer weiteren Professur.84 Die Reaktion der Fachvertreter auf diese angespannte Situation ging in drei Richtungen: Erstens wurde 1927 eine Neuordnung des Instituts durchgeführt. Im Zuge dessen wurde die Germanisch­nordische Professur aufgewertet und die bishe­ rige Zweiteilung des Instituts durch eine Dreiteilung abgelöst. Von nun an gab es neben der Altdeutschen sowie Neudeutschen Abteilung eine Abteilung für Altger­ manische und altnordische Philologie. Durch diese Umstrukturierung erhielt die Nordistik größere Eigenständigkeit, wurde zum Prüfungs­ und Promotionsfach und hatte gleichberechtigt teil am Lehr­, Organisations­ und Verwaltungsaufwand (und damit auch die gleichen Pflichten).85 Diese Dreiteilung war – ebenso wie die Exis­ tenz dreier Ordinarien – einmalig in der deutschsprachigen Germanistik dieser Zeit. Gleichwohl konnte die Umwandlung nicht darüber hinwegtäuschen, dass – bei aller verstärkten Lehr­ und Betreuungsbelastung der Professoren86 – mit vier bzw. fünf planmäßigen Lehrkräften der Unterricht nicht ausreichend absolviert werden konnte. Das bedeutete zweitens, dass nicht planmäßige Lehrkräfte intensiv in den Lehrbetrieb einbezogen wurden. Die Beteiligung der nicht planmäßigen Lehrkräfte ging damit weit über die in Leipzig oder Jena hinaus. In den Jahren der Weimarer Republik lehrten in Berlin insgesamt vier Privatdozenten, sechs Oberassistenten und zwölf ebenfalls als Assistenten bezeichnete wissenschaftliche Hilfskräfte am Institut.87 Sie waren mit der Abhaltung von Übungen auf Proseminar­ bzw. Mittel­ 82 83

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Zum institutionellen Aufbau des Germanischen Seminars in Berlin zwischen 1919 und dem Wintersemester 1932 / 33 vgl. Grafik III im Anhang. So gab es im Zusammenhang mit der Berufung eines Nachfolgers von Erich Schmidt die Idee, eine zweite Professur für Neugermanistik einzurichten, die jedoch an einen bestimmten Kandi­ daten gebunden war. Gustav Roehte lehnte diesen Vorschlag ab und verzichtete damit auch auf die zusätzliche Planstelle. Nach seinem Tod sollte wiederum eine zusätzliche Stelle – diesmal für Altgermanistik – eingerichtet werden. Als der Kandidat krankheitsbedingt ausfiel, forcierte das Ministerium die Besetzung der Stelle nicht weiter. Vgl. Vorschlag des Germanischen Sem­ inars für die Nachfolge Hübners [o. D.] vom Sommer 1937, in: UA der HUB, PA Hübner, Bd. II, Bl. 18–25, hier Bl. 20–21. Zur Diskussion um die Nachfolge Schmidts vgl. Kap. B I 1.2. Diese Stelle wurde mit dem ehemaligen Bildungspolitiker Werner Richter besetzt. Vgl. Kap. B II 2.3b. Vgl. S. Myrda, Nordistik, S. 65–66. Ein nicht zu unterschätzender Mehraufwand ergab sich für die Berliner Germanistikordinarien auch aus der wachsenden Zahl der Promovierenden. Hatten zwischen 1900 und 1910 etwa 46 Studierende promoviert, so stieg diese Zahl zwischen 1920 und 1930 auf 104. Das waren mehr als zehn pro Jahr bei drei Ordinarien, wobei das Gros auf die Neudeutsche Abteilung fiel. Vgl. J. Petersen, Ausbau, S. 34. Vgl. Das Germanische Seminar in Berlin / Festschrift, S. 60–61.

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stufenniveau beauftragt.88 Allein durch sie war es möglich, dem hohen Lehrauf­ wand beizukommen. Mit ihrer Unterstützung konnten mehrere Kurse mit gleichem Inhalt parallel stattfinden. Darüber hinaus hielten die Dozenten und Assistenten mehrstündige Sprechzeiten ab, in denen sie die Studierenden über Fragen zu Stu­ dium und Fach berieten.89 Diese Konstellation führte zu einer Umstrukturierung des Unterrichtsbetriebs, dessen Schwerpunkt nun auf Übungen lag.90 Dies machte drittens eine Anpassung der Lehrstruktur notwendig. Seit dem Wintersemester 1926 / 27 fanden die Veran­ staltungen der drei Abteilungen in einem dreistufigen System statt: In den Veran­ staltungen der Unterstufe wurde in wissenschaftliche Arbeitsmethoden eingeführt und auf die Mittelstufe vorbereitet. Dieser Bereich wurde vollständig von den As­ sistenten betreut. Die Mittelstufenseminare hielten die Professoren und Privatdo­ zenten ab. Sie dienten der Vorbereitung auf das Staatsexamen. Die Oberstufe wurde ausschließlich von den Ordinarien betreut und ihre Veranstaltungen waren den Doktoranden vorbehalten.91 Trotz dieser eklatanten Mängel verfügte das Berliner Institut über eine gute materielle Ausstattung. 1932 betrug der Etat des Instituts 2.660 RM und war damit mehr als doppelt so hoch wie der in Leipzig zur gleichen Zeit (1.200 RM).92 Das Geld wurde in erster Linie, wie üblich, in die Anschaffung von Arbeitsmaterial und Büchern investiert. Entsprechend gut war die Berliner Bibliothek ausgestattet.93 Zugleich war sie aber auch stärkerer Beanspruchung ausgesetzt, was dazu führte, dass sie 1925 teilweise in eine Ausleihbibliothek umgewandelt und 1926 erneut ausgebaut werden musste. Zudem wurden neben dem für die Bibliothek verant­ wortlichen Senior zwei weitere Bibliothekare für ihre Verwaltung notwendig.94 Es zeigt sich insgesamt, dass die Berliner Germanistik in der unmittelbaren Nachkriegszeit über günstige personelle, räumliche und materielle Grundlagen ver­ fügte. Doch angesichts der Explosion der Studierendenzahlen, von der sie wie kein anderes Institut betroffen war, kam sie rasch an ihre Grenzen, vor allem hinsichtlich der Räumlichkeiten und des Personals. Dem versuchten die Akteure durch künstli­

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Vgl. S. Myrda, Nordistik, S. 71, konkret zu den Nordistik­Assistenten vgl. S. 71–75. Vgl. Schreiben von J. Petersen an den Rektor der UB vom 19. November 1934, in: UA der HUB, Phil. Fak. nach 1945, Nr. 41, Bl. 2. 90 Vgl. Schreiben der drei Direktoren des Germanischen Seminars an das Preußische Volksbil­ dungsministerium vom 5. November 1934, in: Ebd., Bl. 8. 91 Vgl. J. Petersen, Ausbau, S. 33–34. 92 Vgl. H.­J. Hube, Räume, S. 791. Auch die Gehälter der Berliner Germanisten waren hoch. Petersen hatte 1924 Einnahmen von 17.000 bis 18.000 RM. Vgl. Schreiben von Petersen an das Sächsische Volksbildungsministerium vom 24. November 1924, in: DLA Marbach, D: Peter­ sen, D62.145. 93 Ähnlich wie in Leipzig basierte sie auf einem Gründungsstock (der Bibliothek Müllenhoffs) und hatte in den folgenden Jahren intensive Pflege und Ausbau erfahren. Früh wurden große Teile des Institutsetats in die Bibliothek investiert, Roethe hatte nach seiner Berufung beste­ hende Lücken aufgefüllt und Petersen eine neue Katalogisierung eingeführt. Vgl. J. Petersen, Ausbau, S. 29–32, sowie H.­J. Hube, Räume, S. 790–791. 94 Vgl. H.­J. Hube, Räume, S. 791.

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che Reduzierung der Seminarmitglieder bzw. durch intensive Hinzunahme von nicht planmäßigen Lehrkräften beizukommen.95 Für die institutionelle Weiterentwicklung bedeutete dies, dass die Berliner Ger­ manistik nicht in der Lage war, einen weiteren Ausbau zu forcieren; fachverwandte Bereiche wurden außerhalb des Instituts gegründet. Definitiv war die von Zeitge­ nossen zur „Blütezeit“ 96 stilisierte Phase der Berliner Germanistik nun vorbei. Sie war ein Massenfach an einer Massenuniversität, das sich vor allem um die aktuellen Aufgaben kümmern musste. Und das war vor allem die Lehre, denn „seit Kriegsbeginn war das Problem der Massenbewältigung auf den Universitäten immer auf­ dringlicher hervorgetreten, und es war nicht mehr zu verantworten, die vielen, die nicht gleich den rechten Weg fanden, ohne Anweisung und Leitung zu lassen.“ 97

Zwischenfazit Vergleicht man die institutionelle Entwicklung während der Weimarer Zeit an den Germanistischen Instituten in Leipzig, Berlin und Jena, so lassen sich in der Ten­ denz zunächst durchaus Ähnlichkeiten feststellen. An allen drei Instituten erfolgte ein Ausbau auf der materiellen Ebene. Die Etats wurden erhöht, es gab Sonderzu­ schüsse für die Bibliotheken und einige Lehraufträge. Doch angesichts der Anfor­ derungen, den der Zustrom von Studierenden seit Anfang des Jahrhunderts und verstärkt in den 1920er Jahren an die Institute stellte, reichten diese Maßnahmen vielfach nicht aus. Wie gut oder schlecht die Institute den Anforderungen gewach­ sen waren, hing von verschiedenen Faktoren ab. Zu diesen gehörte erstens, wie intensiv und schnell die Studierendenzahl stieg. Dies war in Berlin in einem solch extremen Maß der Fall, dass das Institut – trotz guter Voraussetzungen – nahezu überrannt wurde. Zugleich war die Intensität der Studierendenfrequenz nicht allein ausschlaggebend für die Entwicklung. Dass die institutionelle Situation auch dann problematisch sein konnte, wenn die Studieren­ denzahl nicht stieg, zeigt das Beispiel Jena. Damit kommt als zweiter Aspekt die Wertschätzung des jeweiligen Instituts bei dem für die Verteilung von Ressourcen zuständigen Ministerium für Volksbildung in den Blick. Es stellt sich hier die Frage nach dem Maß an Unterstützung und För­ derung, das den Instituten in der schwierigen Phase zuteil wurde. Hier zeigen sich deutliche Differenzen. An der Universität Jena wurde seit Anfang des Jahrhunderts auf eine intensive Kooperation mit der Wirtschaft Wert gelegt, was zu einer Förde­ rung der natur­ und technikwissenschaftlichen Fächer führte. Gleichwohl hatte die Jenaer Universität als einzige Landesuniversität in Thüringen den Anspruch, alle 95

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Dies hatte u. a. zur Folge, dass in Berlin die Entfremdungserscheinungen weit stärker zum Tragen kamen als an kleineren Instituten. Hier sahen die Studierenden die Professoren lange Zeit nur in den Vorlesungen. In der praktischen Arbeit, in den Seminaren, hatten sie hingegen zunächst und vor allem mit den Assistenten zu tun. Vgl. H. Schneider, Blütezeit, S. 24. J. Petersen, Ausbau, S. 33.

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Fächer anzubieten. In dieser Situation gehörten die Philologien, und so auch die Germanistik, zu den finanziell benachteiligten Bereichen. Anders die Situation in Leipzig, wo die Landesuniversität in ihrer Gesamtheit eine große Rolle im öffentlichen und politischen Bewusstsein spielte. Zugleich hat­ ten die Philologien, zumal die germanistische, in Leipzig eine bedeutende Tradi­ tion, die von dem sächsischen Bildungsministerium als erhaltens­ und fördernswert empfunden wurde. Entsprechend großzügig waren die Maßnahmen des Ministeri­ ums, wenn es darum ging, die Situation am Institut zu verbessern. Auch in Berlin gehörte die Germanistik durchaus zu den bedeutenden Institu­ ten der Universität. Jedoch zeigte sich, dass das preußische Ministerium auf den Ansturm, den die Germanistik Mitte der 1920er Jahre erlebte, nicht adäquat reagie­ ren konnte. Es unterstützte das Institut zwar, jedoch eher mit kurz­ bzw. mittelfris­ tigen finanziellen Maßnahmen. Die Realisierung einer – zu diesem Zeitpunkt drin­ gend notwendigen – weiteren Planstelle scheiterte jedoch. Die Unterschiedlichkeit dieser lokalen Prozesse verweist auf langfristige Strukturen. Diese treten zwar an­ gesichts der verschärften Situation Mitte der 1920er Jahre deutlich zu Tage. Sie stehen jedoch in einer Tradition des Verhältnisses der Institute zu den jeweilig zu­ ständigen Volksbildungsministerien.

II DAS DRITTE REICH 1 Die Studierendenfrequenz – massive Einbrüche und die Rolle der Studentinnen Gegensätzlich zur Weimarer Zeit verlief die Entwicklung der Studierendenzahlen im Dritten Reich. Waren die Zahlen in den 1920er Jahren in beachtliche Höhen gestiegen, setzte Anfang der 1930er Jahre eine Trendwende ein, in deren Folge die Zahl deutlich abnahm. Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen, ver­ stärkten ihre repressiven Maßnahmen diesen Trend, und der nun folgende Einbruch hielt bis 1939 / 40 an.98 In Zahlen: Im Sommersemester 1930 studierten insgesamt gut 95 000 Studierende im Reich. Sieben Jahre später hatte sich die Zahl bereits auf knapp 42 000 halbiert – als sie 1939 / 40 ihren Tiefpunkt erreichte, waren es nur noch 28 000 Studierende.99 Die Ursachen für diesen Prozess sind vielschichtig. Generell zu nennen sind die demografische Entwicklung (Anfang der 1930er Jahre machten die geburtenschwa­ chen Jahrgänge Abitur)100 sowie die verringerte Studienbereitschaft der Abiturien­ ten generell.101 Auch hatten die öffentlichen Diskussionen um den Niveauverlust der Universitäten, um „Vermassung“ und „Bildungsproletariat“, das keine Anstel­ lung findet, abschreckend gewirkt.102 Neben den arbeitsmarktstrategischen, wirt­ schaftlichen und demografischen Faktoren dürfen die politischen Aspekte nicht ausgespart werden.103 Die Nationalsozialisten erließen eine Reihe von Maßnah­ men, die bestimmte Studierendengruppen (vor allem linke, jüdische und weibliche Studierende) ausgrenzten. Sie reglementierten und quotierten den Zugang zum Stu­ dium und koppelten ihn an einen obligatorischen halbjährigen Arbeitsdienst, der zugleich der ideologischen Schulung der Studierenden dienen sollte.104 98 Vgl. grundlegend M. Grüttner, Studenten. Zu den Studenten in Berlin vgl. S. Rückl, Studen­ tischer Alltag; zu Leipzig vgl. R. Lambrecht, Studenten in Sachsen; zu Jena vgl. M. Bruhn, Jenaer Studentenschaft, sowie H. Böttner, Pflichterfüllung. 99 Vgl. H. Titze, Datenhandbuch, I, 1, S. 42– 43. 100 Vgl. zur „angeschlagenen Bevölkerungspyramide“ D. J. K. Peuckert, Weimarer Republik, S. 92. 101 Denn die Aufnahme eines Studiums war in den 1930er Jahren nicht mehr die einzige Möglich­ keit, beruflich Erfolg zu haben. Berufsfelder, die sich in Wirtschaft und Militär boten, waren zu diesem Zeitpunkt offensichtlich attraktiver. Vgl. M. Grüttner, Studenten, S. 105. 102 Vgl. ebd. 103 Zugleich haben Grüttner und andere darauf hingewiesen, dass die politischen Maßnahmen bei der Betrachtung der Studierendenfrequenz nicht überschätzt werden dürfen, da sie einen ohne­ hin bestehenden Trend nur verstärkten. Vgl. M. Grüttner, Studenten, S. 128, sowie R. Lam­ brecht, Studenten in Sachsen, S. 55–56. Auch Axel Nath hat darauf hingewiesen, dass die Wahl des Studiums im Wesentlichen von den Berufsaussichten abhängig war. Die politischen Ein­ griffe der NS­Hochschulpolitik wirkten hierbei nur verstärkend auf die zyklischen Prozesse: „Die begleitende Propaganda hat sicher verstärkend gewirkt, aber der Abschreckungseffekt der schlechten Anstellungsaussichten, speziell in der höheren Lehramtskarriere, erweist sich als ur­ sprüngliche und […] langfristig angelegte […] Bewegung.“ A. Nath, Studienratskarriere, S. 75. 104 Die Teilnahme am Reichsarbeitsdienst (RAD) wurde (als erzieherische und ideologische Maßnahme) für Abiturienten zur Voraussetzung für die Immatrikulation. Dies schränkte die Attraktivität des Studiums erheblich ein. 1939 wurde der RAD neu geregelt und konnte nun auch in den Semesterferien oder am Ende des Studiums absolviert werden.

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Die beschriebene Entwicklung und die ihr zugrunde liegenden Ursachen lassen sich auch bei der Germanistik beobachten. Als die Gesamtstudierendenzahl 1939 ihren Tiefpunkt erreichte, war ein solcher auch in der Germanistik zu verzeichnen. Gleichwohl ist auffällig, dass die Zahl der Germanisten stärker sank als die an der jeweiligen Gesamtuniversität.105 Eine weitere Besonderheit war, dass (wie oben dar­ gestellt) die Trendwende an den Germanistischen Instituten eher einsetzte als an der jeweiligen Universität insgesamt. So war die Zahl der Germanistikstudierenden in Leipzig, Berlin und Jena bereits vor der nationalsozialistischen Machtergreifung stark gesunken – von 1930 / 31 bis 1932 / 33 um durchschnittlich 28 Prozent.106 Zwei Jahre später waren die Zahlen sogar um durchschnittlich 39 Prozent gesunken – und damit war der Verlust doppelt so hoch wie der an den Universitäten insgesamt. Die Gründe für diesen frühen und starken Einbruch sind in der Arbeitsmarkt­ situation zu suchen.107 Anfang der 1930er Jahre war der Markt für angehende Leh­ rer gesättigt,108 und die Berufsaussichten für angehende Studienassessoren waren „ungewöhnlich schlecht, schlechter als in den meisten anderen akademischen Beru­ fen […].“109 Für den herben Attraktivitätsverlust der Germanistik war also neben den generellen Gründen die schwere Überfüllungskrise auf dem Arbeitsmarkt für höhere Lehrämter verantwortlich. Dies belegt auch ein Blick auf die schulwissen­ schaftlichen Fächer insgesamt. Mitte der 1920er Jahre hatte noch ein Fünftel der Abiturienten eines dieser Fächer gewählt, 1934 / 35 waren es nur noch 5 Prozent und bis 1940 nur noch 1 bis 3 Prozent.110

105 In Leipzig waren zu diesem Zeitpunkt nur noch 34 Studierende immatrikuliert, in Berlin 108, in Jena gerade einmal 18. Dies entsprach (im Vergleich zu 1932 / 33) einem Verlust von 77 Prozent. Diese Zahl war deutlich höher als die für die drei Universitäten insgesamt, wo der Verlust im Durchschnitt bei 61 Prozent lag. Vergleicht man den Rückgang der Studierenden­ zahlen vom Wintersemester 1932 / 33 bis zum Sommersemester 1939, ergibt sich folgendes Bild: Berlin: Rückgang an der Gesamtuniversität um 50 Prozent – bei den Germanisten um 72 Prozent; Leipzig: Gesamtuniversität um 75 Prozent – Germanisten um 86 Prozent; Jena: Gesa­ mtuniversität um 58 Prozent – Germanisten um 72 Prozent. Es ist auffällig, dass sich die rela­ tiven Zahlen von Jena und Berlin ähneln, trotz der großen Unterschiede bei den absoluten Zahlen. Auffällig ist auch, dass die Zahlen für Leipzig sowohl hinsichtlich der Gesamtstuden­ tenschaft als auch bei den Germanistikstudierenden deutlich über dem Durchschnitt liegen. Angesichts dessen überrascht es kaum, dass auch der Anteil der Studierenden im Fach German­ istik an der Gesamtstudentenschaft in Leipzig in dieser Zeit sehr stark abnahm: Anfang der 1930er Jahre war er von über 6 Prozent auf 4 bis 4,5 Prozent gesunken. Im Sommersemester 1939 betrug er im Durchschnitt nur noch 1,7 Prozent. 106 In Berlin sank die Zahl um 35 Prozent von 827 auf 536 Studierende. In Leipzig, wo der Abwärt­ strend auch bei den Germanisten etwas später eingesetzt hatte, sank die Zahl um 23 Prozent von 420 auf 323 Studierende. In Jena waren es nur 27 Prozent, da hier der Abwärtstrend bereits 1927 eingesetzt hatte. 107 Vgl. A. Nath, Studienratskarriere, S. 69. 108 In den 1930er Jahren war die Zahl der Anwärter auf eine Studienratsstelle dreimal so hoch wie die tatsächliche Zahl der Stellen. 1935 und 1936 hatten männliche Studienassessoren bereits eine zehnjährige Wartezeit hinter sich und waren im Durchschnitt 40 Jahre alt. Vgl. ebd., S. 61. 109 M. Grüttner, Studenten, S. 34. 110 Vgl. A. Nath, Studienratskarriere, S. 74 –75.

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Die Kraft der Beharrung

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5

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33

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0

Grafik 3: Übersicht über die Studierendenzahlen im Fach Germanistik in Leipzig, Berlin und Jena vom Wintersemester 1931 / 32 bis zum 1. Trimester 1941

Neben dem starken Absinken der Studierendenzahlen im Dritten Reich gehört der starke Zulauf von Studentinnen (vor allem nach Kriegsbeginn) zu den gesicherten Erkenntnissen der Wissenschaftsgeschichte.111 Wie verhielt es sich mit diesem As­ pekt nun in der Germanistik, die traditionell stark von Frauen frequentiert war?112 Prinzipiell gilt, dass die Trendwende, die Anfang der 1930er Jahre die Germa­ nistik erfasste, auch die Abiturientinnen betraf. Hinzu kam infolge der materiellen Unsicherheiten Ende der 1920er Jahre, dass Eltern verstärkt dazu tendierten, ihren

111 Vgl. M. Grüttner, Studenten, S. 488. 112 Traditionell gehörte die Germanistik zusammen mit philologischen, schulwissenschaftlichen und medizinischen Fachbereichen zu den von Frauen bevorzugten Studienfächern. Lehrerin zu werden oder eine medizinisch­pharmazeutische Tätigkeit auszuüben, galten als realistische Be­ rufsperspektiven. Die Studienwahl hing eng mit der beruflichen Perspektive, den Wünschen der Familie und dem herrschenden Frauenbild zusammen. 1911 waren 60 Prozent aller Studentinnen in philologische oder historische Fächer eingeschrieben, um Lehrerin zu werden. Anfang der 1920er Jahre hatte der Lehrerberuf aufgrund der Arbeitsmarktlage an Attraktivität eingebüßt, nur noch 26 Prozent der Studentinnen studierten ein Lehramtsfach, während über 60 Prozent ein medizinisches Studium aufnahmen und medizinisch­pharmazeutische Berufe anstrebten. Vgl. C. Huerkamp, Bildungsbürgerinnen, S. 92, sowie L. Harders, Studiert, promoviert: Arriviert?, S. 17–30. Zur Fächerwahl und der Verteilung von weiblichen Studierenden auf die einzelnen Fakultäten der Universität Leipzig im Dritten Reich vgl. S. Steffens, Frauenstudium, S. 480– 484.

Das Dritte Reich

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Töchtern kein Studium zu finanzieren.113 Für Leipzig, Berlin und Jena bedeutete dies, dass die Zahl der Germanistikstudentinnen bereits vor 1933 deutlich ab­ nahm.114 Dieser Trend setzte sich in den folgenden Jahren fort. Erst nach 1939 stieg die Zahl der studierenden Frauen wieder in stärkerem Maße. Bemerkenswert ist nun, dass die skizzierte Entwicklung geschlechtsspezifische Unterschiede aufweist und der Männeranteil stärker abnahm als der Frauenanteil. Dies führte dazu, dass sich das Geschlechterverhältnis an den Germanistischen In­ stituten bereits Mitte der 1930er Jahre deutlich verschoben hatte. Hatte noch 1928 der Frauenanteil beispielsweise in der Leipziger Germanistik bei knapp 20 Prozent gelegen, hatte er sich bis 1934 bereits verdoppelt.115 Auch der Vergleich zwischen Germanistischen Instituten und Universitäten zeigt, dass der Anteil der Frauen in der Germanistik während des Dritten Reichs immer überdurchschnittlich hoch war.116 Dies verdeutlicht, dass die Germanistik während des Dritten Reichs ihren Status als von Frauen favorisiertes Fach nicht verloren hatte, sondern ihn im Ge­ genteil ausbaute – und dies bemerkenswerterweise lange vor Kriegsbeginn.117 Deutlich wurde der Kontrast in der Studierendenentwicklung zwischen den 1930er bzw. frühen 1940er Jahren und den 1920ern. Waren die Zahlen in den 1920ern stark angestiegen, sanken sie seit Anfang der 1930er Jahre kontinuierlich und zum Teil rapide ab. Von einer in der Weimarer Republik nahezu hysterisch diskutierten „Überfüllungskrise“ konnte nun keine Rede mehr sein – im Gegenteil. Allerdings gab es, trotz zum Teil extrem niedriger Studierendenzahlen, zu keinem Zeitpunkt Diskus­ sionen darüber, ob man die Germanistik institutionell verkleinern, Stellen abbauen oder ob sie in kleinere Räume umziehen sollte. Im Gegenteil: Auch die Zeit des Drit­ ten Reichs war von einem sukzessiven institutionellen Ausbau und einer fortschrei­ tenden Ausdifferenzierung in den drei Germanistischen Instituten geprägt.118

113 Vgl. M. Grüttner, Studenten, S. 117. 114 Vgl. auch L. Mertens, Vernachlässigte Töchter, S. 103. 115 Ähnlich waren die Entwicklungen in Berlin; in Jena verschob sich der Frauenanteil in diesem Zeitraum hingegen nur um 10 Prozent. 116 Diese Ergebnisse stehen in scheinbarem Gegensatz zu Maßnahmen wie dem „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ vom April 1933, das den Anteil der Studi­ enanfängerinnen auf 10 Prozent festlegte und damit regulierend auf die Arbeitsmarktsituation einwirken sollte. Doch dieses Gesetz hatte keine langfristigen Konsequenzen und wurde – da es aufgrund der ohnehin stark rückläufigen Studierendenzahlen obsolet geworden war – im Februar 1935 wieder aufgehoben. Vgl. C. Huerkamp, Numerus, S. 325–327. Der hohe Anteil von Frauen unter den Studierenden im Fach Germanistik hatte – zumindest potentiell – zur Folge, dass Frauen in den folgenden Jahren bessere Chancen auf eine Anstellung hatten als während der Weimarer Zeit, was den ursprünglichen Intentionen der Nationalsozialisten, ihrem Weltbild und den akademischen Gepflogenheiten entgegenstand. Zur allmählichen Feminis­ ierung des akademischen Feldes, die allerdings auf bestimmte Teilbereiche begrenzt war, vgl. R. Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 946–963. 117 In Jena weicht die Entwicklung aufgrund der geringen Fallzahlen ab. Im Wintersemester 1936 / 37 studierten in Jena acht Germanistinnen, im Sommersemester vier. 118 Eine ähnliche Entwicklung, nämlich den Ausbau bei absinkender Studierendenzahl, konsta­ tierte Andreas Pilger auch für Münster. Vgl. A. Pilger, Germanistik in Münster, S. 290–304.

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Die Kraft der Beharrung

2 Personal, Etat, Gehälter und politisch motivierter Ausbau 2.1 Mehr, aber nicht genug. Die Germanistik in Jena Am Deutschen Seminar der Universität Jena (seit 1934 Friedrich­Schiller­Universi­ tät) herrschte im Dritten Reich eine ambivalente Lage. Auf der einen Seite stabili­ sierte sich die finanzielle, materielle und personelle Situation des Instituts. Auf der anderen Seite verbesserten sich die faktischen Arbeitsbedingungen jedoch nicht. Viel­ mehr litt das Institut nun unter den Auseinandersetzungen zwischen den 1933 bzw. 1935 berufenen Professoren Arthur Witte und Carl Wesle.119 Die Konflikte schwäch­ ten auch weiterhin Attraktivität und Einfluss des Instituts, wie zu zeigen sein wird. Dabei waren die Chancen auf einen Neuanfang Mitte der 1930er Jahre durch­ aus günstig gewesen. Der Jahresetat des Instituts war regelmäßig angehoben wor­ den; den Höhepunkt erreichte er im Rechnungsjahr 1939, als dem Institut 2.000 RM gewährt wurden.120 Räumlich gab es ebenso Verbesserungen (1936 zogen die Ger­ manisten in größere Räume) wie personell: 1933 wurde nach vier Jahren das va­ kante Extraordinariat wieder besetzt. Statt nur zwei standen dem Institut nun end­ lich drei planmäßige Lehrkräfte zur Verfügung. Mit der Berufung von Witte zum Professor für Deutsche Philologie und Volkskunde erfolgte zudem die Etablierung der Volkskunde auch in Jena. Mit seiner Berufung ging die Einrichtung einer Abtei­ lung für Volkskunde einher, die mit eigenem Etat, großzügigen Spenden der Gesell­ schaft der Freunde der Thüringer Landesuniversität und einem eigenen Assistenten versehen wurde.121 Die Aufwertung der Volkskunde zu diesem Zeitpunkt kam nicht von ungefähr, sondern entsprach den ideologischen Vorstellungen der Nationalso­ zialisten von der Aufwertung von Volk und Volksgemeinschaft, ihrer Erfassung und Erforschung.122 Konkret in Jena bedeutete ihre Institutionalisierung darüber hinaus eine stärkere Profilierung des Instituts und den Anschluss an fachliche Veränderun­ gen innerhalb der Germanistik, die seit Mitte der 1920er Jahre virulent waren. Allerdings bedeutete dieser Schritt für die Jenaer Germanistik auch Konflikte. Diese brachen auf, nachdem der Nachfolger von Leitzmann, Carl Wesle, berufen 119 Vgl. A. Pöthe, Konservatives Kulturideal, S. 857. 120 Ebenso wie in der Weimarer Republik stieg der Etat nach 1933 weiter an – nun allerdings in größeren Schritten. Stieg der Etat von 1918 bis 1932 von 400 auf 600 RM, so stieg er nun von 700 RM im Jahr 1937 auf 2.000 RM 1939. In den Kriegsjahren sank er wieder, allerdings nicht unter 1.000 RM. Dass die Verbindung zwischen Etat und Studierendenzahl hier offensichtlich eine untergeordnete Rolle spielte, zeigt sich darin, dass der Höhepunkt der staatlichen Zus­ chüsse 1939 zugleich der Tiefpunkt der Zahl der Germanistikstudierenden war, die bei 18 lag. Vgl. D. Germann, Germanistik in Jena, S. 307. 121 Die Volkskundliche Abteilung wurde zum 1. April 1934 eingerichtet. Der staatliche Zuschuss betrug zunächst 200 RM, was einem Drittel des Etats des Deutschen Seminars in dieser Zeit entsprach. In den folgenden Jahren blieb der Etat in dieser Größenordnung (200 bis 300 RM). Die Gesellschaft der Freunde der Thüringer Landesuniversität begann zudem früh mit der fi­ nanziellen Unterstützung des Instituts (jährlich 300 bis 400 RM). Die Stelle des außerordentli­ chen Assistenten hatte zunächst Georg Keferstein inne. 1936 folgte ihm Heinz Stolte. Nachdem er sich habilitiert und die ordentliche Assistenz übernommen hatte, blieb die Stelle bis 1945 unbesetzt. Vgl. ebd., S. 331–332 bzw. S. 302. 122 Vgl. zur Volkskunde am Beispiel von Bruno Schier Kap. B I 2.3.

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wurde. Wesle war in den 1920er Jahren Assistent in Jena gewesen und hatte wäh­ rend dieser Zeit auch volkskundliche Themen gelehrt. Aus diesem Grund fühlte er sich für die Vertretung der Volkskunde in Jena prädestiniert. Sein Lehrauftrag be­ grenzte sich jedoch auf das Gebiet der Deutschen Philologie. Daher kam es gleich zu Beginn seines Amtsantritts zu erbitterten Auseinandersetzungen zwischen ihm und Witte um Kompetenzen, finanzielle Mittel und Verantwortlichkeiten innerhalb des Instituts. Intern konnten diese Konflikte nicht geklärt werden, sodass das Volks­ bildungsministerium einen Kompromiss zwischen beiden Parteien aushandeln musste. Dieser ging dahin, dass sich beide Professoren in der volkskundlichen Lehre abwechseln sollten und Witte dafür alternierend als Direktor des Instituts fungieren durfte.123 Der Kompromiss konnte den Zwist zwischen den Professoren jedoch nicht beilegen. Vielmehr herrschte auch in den folgenden Jahren eine ange­ spannte Stimmung, die für eine produktive wissenschaftliche Arbeitsatmosphäre kaum förderlich war. Exemplarisch für die Folgen dieser Krise sei auf die verzö­ gerte Habilitation von Georg Keferstein verwiesen.124 Das Beispiel der Volkskunde zeigt die Ambivalenzen innerhalb der Jenaer Ent­ wicklungen. Mit fachlichen und ideologischen Argumenten konnten hier zwar nicht unerhebliche Ressourcen mobilisiert werden. Faktisch jedoch verharrte die Jenaer Germanistik in der Mittelmäßigkeit, die nun zwar nicht materiell begründet war, sondern aus der lähmenden personellen Konstellation resultierte. Die Folgen waren ein geringer wissenschaftlicher output des Instituts und seiner Vertreter. Wesle und Witte publizierten kaum; zudem entstanden in dieser Zeit nur wenige Dissertatio­ nen und wieder nur eine Habilitation.125 Nicht zuletzt zeigt sich die weiterhin sin­ kende Attraktivität des Instituts auch an den geringen Studierendenzahlen in Jena. Diese lagen mehrere Jahre unter 30, während es etwa an dem vergleichbar kleinen Institut in Münster dreimal so viele Studierende gab.126 Institutionelle Veränderungen gab es in Jena auch im Bereich der Nordistik. Diese betrafen zwar nicht die Neunordistik (das Lektorat für Schwedisch blieb un­ 123 Vgl. A. Pöthe, Konservatives Kulturideal, S. 857. 124 Georg Keferstein war zwischen 1934 und 1941 an der Universität Jena tätig. Er wurde 1933 bei Leitzmann promoviert, habilitierte sich jedoch erst 1941 bei Wesle über Das Volk in Goethes Dichten und Denken (die Arbeit blieb ungedruckt). Von 1936 bis 1941 war er Stipendiat der Nachwuchsförderung des Reichserziehungsministeriums. In dieser Phase kam es zu intensiven Spannungen, da Keferstein zuerst bei Witte Assistent gewesen war, aufgrund von Auseinander­ setzungen jedoch zu Wesle wechselte. Aus diesem Grund plante Keferstein, sich an einer anderen Universität zu habilitieren (vgl. Brief von G. Keferstein an J. Petersen vom 27. Februar 1936, in: DLA Marbach, D: Petersen, D62.251), was jedoch nicht zustande kam. Nach der Habili­ tation war seine Berufung an die Jenaer Universität geplant; sie wurde jedoch von der Philo­ sophischen Fakultät abgelehnt. Die Gründe hierfür wie auch für den Suizid Kefersteins 1942 können nicht ausgemacht werden. Vgl. A. Pöthe, Konservatives Kulturideal, S. 866; zu Ke­ ferstein allgemein H.­M. Maier, Georg Keferstein, sowie G. Kaiser, Grenzverwirrungen, S. 429– 433. 125 Zwischen 1919 und 1945 promovierten in Jena nur 94 Germanisten. Das sind knapp vier pro Jahr. Vgl. D. Germann, Germanistik in Jena, S. 311. In der Weimarer Republik habilitierte sich nur Hennig Brinkmann in Jena, im Dritten Reich nur Heinz Stolte. 126 Vom Sommersemester 1935 bis zum Sommersemester 1939 studierten im Durchschnitt 27 Studierende in Jena Germanistik. Zu Münster vgl. A. Pilger, Germanistik in Münster, S. 113.

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ter den 1920 eingeführten Bedingungen bestehen)127, jedoch den Bereich Altnor­ distik. Dies war ein Fachbereich, der in Jena bislang keine Rolle gespielt hatte. In der öffentlichen Diskussion der Weimarer Zeit jedoch hatte die Frage um das „rich­ tige“ Germanenbild für intensive Auseinandersetzungen gesorgt.128 Im Jahr 1936 wechselte einer der zentralen Akteure dieser Debatten nach Jena. Bernhard Kum­ mer war überzeugter Nationalsozialist, nicht habilitiert und in Berlin durch hartnä­ ckiges Auftreten gegen etablierte Professoren aufgefallen.129 In seiner Eigenschaft als „Mann des Kampfes“ holten ihn die nationalsozialistischen Kräfte in Jena an ihre Universität. Hier sollte er den Rahmen für die eigene fachliche Entfaltung, vor allem aber für die ideologische Schulung der Studierenden erhalten. Dafür bekam er zunächst einen Lehrauftrag für Altnordische Sprache und Kultur sowie germani­ sche Religionsgeschichte, der bereits mit Aussicht auf ein Ordinariat verbunden war. Zunächst jedoch war Kummer institutionell an das Deutsche Seminar gebun­ den. Innerhalb dessen baute er eine Nordische Abteilung auf, wofür er reichlich staatliche Sonderzuschüsse sowie Unterstützung durch die Gesellschaft der Freunde der Thüringer Landesuniversität erhielt.130 Im Mai 1942 erfolgte die Ernennung Kummers – nach wie vor ohne Habilitation – zum Ordinarius für Altnordische Sprache und Kultur. In dieser Position forcierte er die Ausgliederung der Nordistik aus dem Deutschen Seminar. Sie solle nicht mehr „Anhängsel“131 der Deutschen Philologie sein, sondern institutionell und finanziell unabhängig. Zwei Jahre später, am 30. März 1944, erfolgten dann auch Ausgliederung und Bildung eines eigenstän­ digen Nordischen Seminars.132 Die Geschichte dieser Einrichtung ist so kurz, wie ihre Vorgeschichte lang ist. Das einzig aktive Semester war das Sommersemester 1944. Danach wurde Kummer einberufen und nach Kriegsende aus dem Lehrbetrieb entlassen. Im September 1945 wurde das Seminar aufgrund seiner ideologischen An­ fälligkeit aufgelöst und wieder als Abteilung der Germanistik angegliedert.133 127 128 129 130

Vgl. Kap. A I 2.1. Vgl. J. Zernack, Gustav Neckel, S. 134 –141. Vgl. zu den Auseinandersetzungen Kummers in Berlin Kap. B II 3.2a. Beide Zuschüsse gingen 1939 an die „Nordische Abteilung unter Bernhard Kummer“, sodass der Beginn der Abteilung auf dieses Jahr zu datieren ist. 1939 erhielt Kummer für den Aufbau der Abteilung 200 RM. Im folgenden Wintersemester 1939 / 40 waren es bereits 300 RM, ein Jahr später 400 RM. Zum Wintersemester 1941 / 42 verdoppelte sich der Betrag auf 800 RM, sank in den folgenden Jahren jedoch wieder ab (1942 / 43: 600 RM; 1944 / 45: 400 RM). Den­ noch waren diese Beträge höher als die der Volkskundlichen Abteilung, sodass man eine be­ sondere Förderung der Nordistik feststellen kann. Vgl. zu den Daten D. Germann, Germanistik in Jena, S. 326. 131 Vgl. Schreiben des Rektors der FSU an das Thüringische Ministerium für Volksbildung vom 16. November 1943, in: UAJ, Bestand C, Nr. 876, Bl. 7. 132 Vgl. Schreiben des Rektors der FSU an B. Kummer vom 20. April 1944, in: UAJ, Bestand BA, Nr. 2055, Bl. 88. 133 Vgl. Schreiben des Thüringischen Landesamts für Volksbildung an den Rektor der FSU vom 27. September 1945, in: UAJ, Bestand C, Nr. 876, Bl. 24. In den unmittelbaren Nachkriegs­ jahren wurde in Jena keine Nordistik gelehrt. Zum Oktober 1947 erhielt dann Ruth Dzulko einen Lehrauftrag für Nordische Sprachen und Literaturen. Sie übernahm auch die Leitung der Nordischen Abteilung innerhalb des Germanistischen Instituts. Vgl. D. Germann, Germanistik in Jena, S. 328.

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Jenseits der Nordistik entstanden in den 1930er Jahren innerhalb der Philoso­ phischen Fakultät eine Reihe kleiner Seminare, die sich in Lehre und Forschung mit der Germanistik überschneiden konnten. Dies war das 1935 gegründete Seminar für Sprechkunde134 sowie das 1936 unter der Leitung von Otto zur Nedden gegrün­ dete Seminar für Musikwissenschaften und Dramaturgie.135 Zusammenfassend zeigt sich, dass trotz struktureller Verbesserungen die Ger­ manistik in Jena – wissenschaftlich gesehen – nicht aus der Mittelmäßigkeit her­ auskam. Zwar gab es im Bereich der Volkskunde einen Institutionalisierungsschub, doch führte dieser eher zu Konflikten als zu einer förderlichen Entwicklung. In der Nordistik herrschte zum einen Kontinuität, doch erfolgte zum anderen mit der ideo­ logisch motivierten Einrichtung der altnordischen Professur eine zielgerichtete Politisierung der Lehre.136 2.2 Nationalsozialistische Neuordnungsbestrebungen sowie Aus­ und Umbau in Leipzig Was die institutionelle Entwicklung der Germanistik in Leipzig im Dritten Reich betrifft, so ist auch hier keineswegs von einer Reduzierung der Ressourcen zu re­ den. Im Gegenteil: Der Etat des Instituts stieg stetig137, und der Personalbestand 134 Die Entwicklung der Sprechkunde begann in Jena Anfang des 20. Jahrhunderts mit Friedrich Buch, der seit 1911 (unbezahlt) lehrte. Erst 1926 wurden seine Lehraufträge dotiert. Buch leh­ rte bis 1945 und wurde seit 1934 durch Irmgard Weithase ergänzt, die als beamtete Lektorin für Sprecherziehung eingestellt worden war. 1935 wurde dem Antrag der Fakultät auf die Einrich­ tung eines Instituts für Sprechkunde stattgegeben, da Sprechkunde Prüfungsbestandteil aller Lehramtskandidaten für die höheren Schulen war und somit der studentische Andrang groß. Die Räume des Instituts waren von den Zerstörungen während des Zweiten Weltkrieges stark betroffen, doch konnte der Wiederaufbau des Fachs nach 1945 zügig erfolgen. Die Einglie­ derung der Sprechkunde nach dem Krieg in das Germanistische Institut war überraschend, so­ dass sie 1952 wieder als selbständiges Institut ausgegliedert wurde. Mit Unterbrechungen lehrte Weithase (bis zu ihrem Weggang 1958 in die Bundesrepublik) in Jena. Vgl. zur institu­ tionellen Entwicklung der Sprechkunde D. Germann, Germanistik in Jena, S. 371–385; zu Irmgard Weithase vgl. M. Bräunlich, Irmgard Weithase. 135 Theaterwissenschaft wurde in Jena seit Anfang des 20. Jahrhunderts gelehrt und ist vor allem mit dem Namen Hugo Dinger verbunden, der zwischen 1896 und 1937 in Jena lehrte. Im Jahr 1904 hatte er die programmatische Arbeit Dramaturgie als Wissenschaft vorgelegt, und seit 1922 be­ trieb er mit bescheidenen Mitteln die Institutionalisierung der Theaterwissenschaft in Jena. Die Etablierung des Fachs erfolgte erst unter dem einflussreichen Chefdramaturgen des Deutschen Nationaltheaters und Nationalsozialisten Otto zur Nedden, der die Theaterwissenschaft mit der Musikwissenschaft verband und ein entsprechendes Seminar einrichtete. Unter dem Einsatz zur Neddens gelang in den folgenden Jahren ein stetiger Ausbau des Seminars. Das Jahr 1945 traf auch diese Einrichtung schwer, da zur Nedden und der wissenschaftliche Assistent Lutz Besch entlassen worden waren. Die kommissarische Leitung übernahm Heinz Stolte und praktizierte damit die Anbindung des Seminars an die Germanistik. Ein regulärer Aufbau war jedoch erst nach 1949 wieder möglich. Vgl. D. Germann, Germanistik in Jena, S. 334 –367. 136 Zum institutionellen Aufbau des Deutschen Seminars in Jena zwischen 1933 und 1945 vgl. Grafik IV im Anhang. 137 Im Jahr 1933 wurden für den Kernbereich der Germanistik 1.200 RM angegeben. Vgl. Bericht über die Situation am Germanistischen Institut vom 19. Januar 1933, in: SächsHStA Dresden,

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blieb im Wesentlichen stabil. Die sechs Planstellen waren nahezu durchgängig besetzt.138 Sie wurden ergänzt durch Assistenten, ein bis zwei Lektoren in der Nor­ dischen und seit 1939 durch einen Assistenten in der Volkskundlichen Abteilung. Selbst in den Kriegsjahren hielten die Leipziger Germanisten ihr breites Angebot an Lehrveranstaltungen aufrecht, auch wenn nun verschiedene Professoren (infolge ihrer Einberufung an die Front) von Assistenten vertreten wurden. Gleichwohl war diese kontinuierliche Entwicklung keine Selbstverständlichkeit gewesen. Vielmehr war die institutionell­strukturelle Verfasstheit der Germanistik in Leipzig im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung offensiv in Frage gestellt worden. Die damit verbundenen Auseinandersetzungen, die Argumentationsweisen sowie die praktischen Konsequenzen sind im Folgenden eingehender zu analysieren, denn sie verdeutlichen schlaglichtartig das Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik in dieser Zeit. Ausgangspunkt der Diskussionen war eine achtseitige, detailliert ausgearbei­ tete und im Druck vorgelegte Neuordnung des Germanistischen Instituts, die am 4. Juli 1933 von den beiden Germanistikstudenten und Funktionären des National­ sozialistischen Deutschen Studentenbunds (NSDStB) Wolf Friedrich und Herbert

MfV 10225 / 1, Bl. 71 ff. Bis 1938 war der Etat auf 2.780 RM gestiegen. Hinzu kamen Sonder­ zuschüsse für Hilfskräfte, Forschungsvorhaben und für den Ausbau der Bibliothek, von der vor allem die Ältere Abteilung profitierte. Hatte Frings für die Bezahlung von Hilfskräften für die Durchführung kulturgeographischer Forschungen 1927 200 RM erhalten, bekam er 1938 für ähnliche Vorhaben bereits 1.200 RM zugesprochen. Wird hier eine finanzielle Bevorzugung der Älteren Abteilung deutlich, so zeigt sich diese auch in der Aufteilung des Etats. Von den 2.780 RM gingen nämlich 2.000 RM, also über zwei Drittel, an die Ältere Abteilung. Zu den Etatangaben von 1938 vgl. Unterlagen des Haushaltsplans der Universität Leipzig für 1939, Bd. 1, in: SächsHStA Dresden, MfV 10087 / 84, Bl 14 ff. Für das Wintersemester 1944 / 45 wurde der Gesamtetat des Instituts mit 4.416 RM angegeben, die für die Anschaffung von Büchern, für Telefon, Porto und Schreibmaterial zur Verfügung standen. Die Aufteilung dieser Gelder erfolgte nach einem bestimmten Schlüssel. So erhielt die Altdeutsche Abteilung 1.700 RM, die Neudeutsche 770 RM, die Nordistik bekam 440 RM, die Niederlandistik 220 RM und die Volkskunde 660 RM (Letztere zuzüglich 600 RM für wissenschaftliche Hilf­ skräfte seit 1933). Zum Vergleich seien die Etats anderer philologischer Institute genannt. So erhielt die Anglistik im Wintersemester 1944 / 45 mit 1.200 RM nur ein Viertel, die Romanistik mit 1.500 RM etwas mehr. Vgl. zu den Daten UAL, Phil. Fak. B1 / 11, Bd. 1, Bl. 27–28 bzw. 34. Auch die Volkskunde erfuhr eine starke finanzielle Förderung. Die Etats der Abteilungen für Nordistik und Niederlandistik stiegen hingegen nur in geringerem Maße. Der Nordistik standen 1928 200 RM zur Verfügung. Zehn Jahre später, im Zusammenhang mit dem Wechsel von Hans Kuhn nach Leipzig, wurde der Etat von mittlerweile 285 RM auf 500 RM erhöht. Vgl. Schreiben des Sächsischen Volksbildungsministeriums an H. Kuhn vom 19. Oktober 1938, in: UA der HUB, PA Kuhn, Bd. III, Bl. 17–18. Der Etat der Niederlandistik war für 1926 mit 350 RM angegeben, er sank bis 1938 auf 265 RM. Wiederholt stellten die Professoren Anträge auf Sonderzuschüsse zum Kauf von Büchern und Zeitschriften, die jedoch nur teil­ weise bewilligt wurden. Vgl. Unterlagen des Haushaltsplans der Universität Leipzig für 1939, Bd. 1, in: SächsHStA Dresden, MfV 10087 / 84, Bl. 14 ff. 138 Nur für den Nordistikprofessor Hans Kuhn, der 1941 nach Berlin berufen wurde, wurde kein Nachfolger berufen. Allerdings wurde die Stelle durch die Lektoren vertreten.

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Hahn139 dem Sächsischen Volksbildungsminister vorgelegt worden war.140 Dieser Plan sei „bis ins Kleinste mit den nationalsozialistischen Studenten der Germanistik besprochen“ und gelte auch nach dem „Urteil der Dozenten“ als „Muster des Studi­ enplans“, so die Autoren. Für eine umfassende Reform der Hochschulen insgesamt sei er daher beispielhaft.141 Diese „Neuordnung“ ist eine bemerkenswerte Quelle. Verfasst wenige Monate nach der Machtergreifung, bot sie aus Sicht der Verfasser eine detaillierte und durchdachte Übersicht zu notwendigen Veränderungen. Es handelte sich bei diesem Dokument nicht um ein wüstes politisches Pamphlet, wiewohl Angriffe gegen den „liberalistischen“ Charakter der bisherigen universitären Ordnung nicht fehlten. Doch im Vordergrund standen eine wohl überlegte Kritik an den herrschenden Um­ ständen sowie sehr konkrete Veränderungsvorschläge. Diese sprachen von einer Festlegung des Germanistikstudiums auf sechs Semester mit klaren Vorgaben dar­ über, was, durch wen und wie lange in welchem Semester gelehrt werden solle. Die Stringenz des Dokuments, die (gedruckte) Form seiner Präsentation sowie der be­ fehlende Tonfall („Der folgende Plan ist ein Dreijahresplan. Er hat mit dem nächs­ ten Semester in Kraft zu treten“142 ) zeigten drei Dinge: Einerseits spricht es in einer Selbstverständlichkeit Probleme an, die darauf schließen lässt, dass es sich hierbei um länger bestehende Konfliktlinien handelt, die Studienverlauf, Lehrplan und Lehrinhalte betreffen. Andererseits spricht aus diesem Dokument eine Selbstsicher­ heit der Autoren, die zum einen mit der selbst ernannten Funktion des NSDStB als Vorkämpfer der nationalsozialistischen Revolution zusammenhängt.143 Zum dritten verweist der autoritäre Ton auf den Rückhalt, den das Papier und der NSDStB of­ fenbar auch unter Germanistikdozenten hatte.144 Der Plan zielte im Kern auf die Veränderung von zwei zentralen institutionell­ strukturellen Gegebenheiten – des Lehrbetriebs und der Institutshierarchie. Kons­ tanz hingegen forderte er hinsichtlich der materiellen und personellen Ressourcen. So sei „grundsätzlicher Bestandteil“ der Neuordnung: „Mehrkosten dürfen dem

139 Wolf Friedrich war Kreisführer IV des NSDStB und Kreisführer der Deutschen Reichsschaft. Er hatte 1934 bei Theodor Frings und André Jolles promoviert. Vgl. M. Grüttner, Biogra­ phisches Lexikon, S. 53–54. Herbert Hahn war Führer der NS­Studentenschaft der Universität Leipzig. Zum hochschulpolitischen Engagement von Friedrich und Hahn in der Leipziger Uni­ versität vgl. R. Lambrecht, Studenten in Sachsen. 140 Vgl. Neuordnung des Germanistischen Instituts nach den Forderungen der nationalsozialis­ tischen Studentenschaft im Sinne der nationalsozialistischen Revolution dem Herrn Minister für Volksbildung in Sachsen vom 15. Juni 1933, in: UAL, Phil. Fak. C3 / 32:02. 141 Ebd., S. 1. 142 Ebd., S. 2. 143 Die NS­Studentenschaft verstehe sich als „Trägerin der nationalsozialistischen Revolution“ und sei sich darüber im Klaren, dass „die Hochschulen in Sachsen erst in allerersten Anfängen von der nationalsozialistischen Revolution erfasst sind.“ Ebd., S. 1. 144 Als Nachweis hierfür kann die Aussage des Niederlandistikprofessors André Jolles gelten, der in einem Brief vom Mai 1933 auf seine Zusammenarbeit mit der NS­Studentenschaft bei der „notwendigen Reorganisation des Studiums und des Unterrichts“ hinwies. Vgl. Brief von A. Jolles an Hendrika Jeltje Goldschmidt­Jolles vom 28. Mai 1933, in: W. Thys (Hg.), André Jolles, S. 842.

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Staate überhaupt nicht erwachsen“, weshalb „nur mit den augenblicklich vorhande­ nen Lehrkräften des Germanistischen Instituts gerechnet“ werde.145 Mit Blick auf Lehrinhalte und Lehrbetrieb kritisierten die Autoren zum einen das Fehlen eines „sinnvollen Plans“, der das Studium strukturiere. Im Gegensatz etwa zu den Medizinern habe der Germanistikstudent bisher nicht die Möglichkeit, „sein Fach in einem bestimmten Umfang durchzuarbeiten und wirklich zu bewälti­ gen. Die Folge [sei] eine maßlose Verschwendung von Zeit und Geld […].“146 Dies habe in den letzten Jahren verstärkt „‚Stimmungsstudenten‘ und Dilettanten im üb­ len Sinne“147 hervorgebracht. Damit verbunden war die Kritik an der „liberalisti­ schen Lehrfreiheit“, die beinhalte, „dass der einzelne las, was ihm beliebte – ohne Rücksicht auf den anderen, ohne Rücksicht auf das geordnete Ganze.“148 Der Plan sah daher eine strenge Strukturierung des Lehrplans und der Lehrgebiete vor. Ziel sollte es sein, dass der Germanistikstudent alles in möglichst kurzer Zeit erfahren könne, um dann für seine eigentlichen Aufgaben als Volksgenosse zur Verfügung zu stehen. Die vorgesehenen Eingriffe in die Institutsstruktur umfassten zunächst den Aufbau des Instituts. Demnach sollte es in Zukunft drei gleichberechtigte Hauptge­ biete geben: Sprachgeschichte, Literaturgeschichte und Volkskunde, hier benannt als „Volksleben der Vergangenheit und Gegenwart“.149 Diese Aufstellung war nicht revolutionär, umfassten die vorgesehenen Gebiete doch im Grunde die bisherigen Lehrbereiche. Entscheidend war jedoch, dass der Lehrstoff nun nach einem be­ stimmten Schlüssel auf die einzelnen Lehrkräfte verteilt und innerhalb eines bestimmten Zeitplanes gelehrt werden sollte. Das bedeutete auch, dass alle Profes­ soren Sprach­ und Literaturgeschichte lehren sollten. Dies war ein tiefer Einschnitt in die bisherige Struktur, lasen doch die Vertreter der Neueren deutschen Philologie bislang nur Literaturgeschichte. Die Forderung nach einem umfassenderen Lehr­ auftrag richtete sich damit vor allem an sie.150 Diese Kritik hatte eine gewisse Be­ rechtigung. Sie entsprach den Veränderungen in Zahl und Zusammensetzung der 145 Neuordnung, S. 3 bzw. 2. 146 Ebd., S. 2. Da die Studierenden nur auf „zeit­ und kraftraubenden Umwegen“ zu ihrem Wis­ sensstoff gelangen könnten, habe sich in den letzten Jahren die Studienzeit auf zehn bis 14 Semester verlängert. Vgl. ebd., S. 7. 147 Ebd. 148 Ebd., S. 2. 149 Die Bereiche umfassten „I. gotische Sprache und Grammatik; althochdeutsche und altsächsische Sprache und Grammatik; mittelhochdeutsche Sprache und Grammatik; neuhochdeutsche Sprache und Grammatik. Hinzu kommen alt­ und neunordische Sprache und Grammatik sowie niederlän­ dische Sprache und Grammatik (die letzten beiden wechselweise obligatorisch). II. allgemeine Literaturgeschichte; althochdeutsche und altsächsische Literaturgeschichte; mittelhochdeutsche Literaturgeschichte; neuhochdeutsche Literaturgeschichte (Luther bis Gottsched); neuhoch­ deutsche Literaturgeschichte (Klopstock bis Bismarck). Dazu nordische und niederländische Literaturgeschichte. Die Literaturgeschichte der neuesten Zeit bleibt privaten Veranstaltungen überlassen. III. allgemeine Volkskunde; spezielle Volkskunde der deutschen Stämme und Land­ schaften (einschließlich germanischer Vorgeschichte, Altertumskunde, Realien, Götterlehre, Sage und Kulturgeschichte).“ Ebd., S. 2. Hinzu sollte noch eine Reihe von Hilfswissenschaften kom­ men, wie Metrik und Poetik, Stilistik und Rhetorik. Vgl. ebd., S. 2–3. 150 Der Vorwurf lautete „liberalistisches Spezialistentum“. Vgl. ebd., S. 5.

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Studentenschaft und war am Bedürfnis einer Vielzahl von ihnen orientiert, die für ihre Arbeit als Lehrer eine umfassende Ausbildung benötigten.151 Der Vorwurf knüpfte zudem an Diskussionen aus der Weimarer Zeit an, die eine Anpassung des Studiums an die Bedürfnisse des Lehrerberufs wiederholt angemahnt hatten. Ähn­ lich verhielt es sich mit der Forderung nach einer Aufwertung der Volkskunde. Auch sie wurde seit Beginn der 1920er Jahre von breiten Kreisen der Germanisten­ und Deutschlehrerzunft diskutiert.152 So war der Plan hinsichtlich der Veränderun­ gen des Lehrplans nicht revolutionär, sondern führte eher Überlegungen und Forde­ rungen der vorangegangenen zehn bis zwanzig Jahre fort. Anders verhielt es sich mit den Vorstellungen, welche die Aufgabenverteilung auf das bestehende Personal betrafen. Das Ziel war wie gesagt eine gleichmäßigere Verteilung der Lehre auf alle Lehrkräfte. Das bedeutete zum einen eine Umvertei­ lung der Ressourcen. Denn von nun an sollte es nicht mehr den Ordinarien vorbe­ halten sein, Vorlesungen zu halten, die mit mehr Reputation, weniger Vor­ und Nachbereitung sowie mit hohen Kolleggeldsummen verbunden waren. Vielmehr sollten sich nun Ordinarien und Extraordinarien in der Abhaltung von Vorlesungen und Übungen abwechseln.153 Diese Gleichstellung sollte parallel eine Umvertei­ lung der Macht auf der Verwaltungsebene nach sich ziehen: „Aus der Gleichordnung der Arbeitsleistung der 5 Hauptkräfte (Frings, Jolles, Karg, Korff, Reichardt) erwächst die selbstverständliche Forderung, die bisherige Einteilung in Direktoren und Abteilungsleiter aufzugeben. Völlig gleichgeschaltet wechseln sich die fünf Hauptkräfte im Direktorium jährlich ab.“154

Diese geplante neue Konstellation, die einem Abbau der klassischen Hierarchien entsprochen hätte, hatte eine klare politische Stoßrichtung. Nicht nur habe jeder Hochschullehrer, so die Neuordnung, prinzipiell die Pflicht, Nationalsozialist zu sein.155 Durch die angestrebten hierarchischen Verschiebungen sollte zudem der Einfluss der traditionellen, politisch eher indifferenten Ordinarien zugunsten der nationalsozialistisch politisierten Extraordinarien geschwächt werden. Diese Neu­ verteilung der Zuständigkeiten sollte auch mit Blick auf den akademischen Nach­ wuchs dazu beitragen, die traditionell enge Bindung der Studierenden an die Ordi­ narien zu entkoppeln.156 Diese Forderungen waren – im Gegensatz zu denen zum Lehrplan – sehr wohl auf Konfrontation angelegt. Sie zielten auf eine grundlegende

151 „Die Studentenschaft erwartet, dass die Hauptkräfte des Instituts in der Lage sind, den gleichen Anforderungen zu genügen, die sie an ihre Studenten im Staatsexamen stellen.“ Ebd., S. 8. 152 Vgl. H. J. Frank, Geschichte des Deutschunterrichtes, S. 571–752. 153 Die Neuordnung sah auch eine Reduzierung der Seminarstufen vor, die bisher aus Pro­, Mittel­, Haupt­ und Oberseminar bestanden hatte. Nun sollte neben der Vorlesung nur noch die Übung bestehen. Vgl. Neuordnung, S. 3 und 7. 154 Außerdem sollten sie sich „vollkommen gleichgeordnet in die Geschäfte der Prüfungskommis­ sion für Germanisten teilen.“ Ebd., S. 8. 155 Vgl. ebd., S. 1. 156 „Der Student […] wird die die Entwicklung seiner Gesamtpersönlichkeit gefährdende Rück­ sicht auf ‚Prüfungsprofessoren‘ nicht länger zu pflegen haben.“ Ebd., S. 7.

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Veränderung der Verhältnisse und auf eine Entmachtung der an akademischen Kon­ ventionen und habituellen Normen festhaltenden Ordinarien. Gerade diese Forderungen trugen dazu bei, dass die Neuordnung nicht zustande kam, denn gegen ein solches Vorpreschen fanden sich rasch Gegenstimmen. So wandte sich Theodor Frings bereits wenige Tage, nachdem der Plan in Umlauf ge­ bracht worden war, an Georg Gerullis. Der Baltist war nicht nur ehemaliger Kollege von Frings in der Philosophischen Fakultät, sondern seit April 1933 auch Ministe­ rialdirektor im Preußischen Kultusministerium. Vorher jedoch hatte Gerullis zu­ sammen mit den besagten NSDStB­Funktionären Friedrich und Hahn den Nationa­ len Ausschuss für die Erneuerung der Universität gegründet, der die Verdrängung jüdischer Professoren und Studierender plante und organisierte.157 Gerullis kannte also alle beteiligten Akteure, war zugleich aber nun in staatspolitischer Funktion. An ihn wandte sich Frings in seinem Unmut über diesen bloßen „Entwurf“ einer Neuordnung, der inhaltlich absolut ungenügend sei.158 Zudem sei er, so Frings wei­ ter, aufgrund seiner lokalen Ausrichtung unbrauchbar: „Die Neuordnung [der Germanistik; AL] kann nicht von einem Institut, nicht von einer Uni­ versität, nicht von einem Staat, sondern, im Sinn des neuen Reiches, nur vom Reiche kommen. Sie kann auch nicht ohne Abgrenzung gegen und ohne Verbindung mit den Nachbarfächern, ohne Zusammenhang mit einer Neuordnung des gesamten philologischen Studiums, der Prü­ fungsordnung, der Ausbildung der höheren Lehrer und der Stellung des Deutschen […] im nationalen Bildungsplan getroffen werden.“159

Dies war nicht nur Kalkül, würde doch eine umfassende Neuordnung wesentlich länger dauern und würde man an professioneller Meinung nicht vorbeikommen. Vielmehr war Frings offenbar bereits mit Gerullis über strukturelle Veränderungen der Germanistik im Gespräch.160 Veränderungen waren auch aus seiner Sicht nötig, jedoch innerhalb der bestehenden hierarchischen Konstellationen und nicht auf der Basis studentischer Vorschläge. Für die politischen Akteure war für die Ablehnung der Neuordnung zuletzt das lokale Argument ausschlaggebend. So teilte Gerullis Frings nach einem Gespräch mit dem Reichsinnenminister Frick mit, dass ihn dieser darauf verwiesen habe, „dass Hochschulreformen auf jeden Fall für ganz Deutschland gemeinsam gemacht werden müssten.“161 Damit waren die Vorschläge vom Tisch.162 Ihr Scheitern hing neben der Intervention Frings’ und den differierenden Vorstellungen der Ministe­ 157 Vgl. R. Lambrecht, Studenten in Sachsen, S. 365. 158 In dieser Form würde die Universität zur reinen Lehranstalt degradiert, statt Forschung und Unterricht gleichermaßen zu berücksichtigen. Der Deutschlehrer werde dabei nur „ein Gerippe und nicht der Mann […], den der neue Staat braucht.“ So T. Frings in einem Schreiben an G. Gerullis vom 10. Juli 1933, in: UAL, Phil. Fak. C3 / 32:02, Bl. 3. 159 Ebd. 160 Vgl. Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL an den Ministerialrat Max von Seydewitz im Sächsischen Volksbildungsministerium vom 12. Juli 1933, in: Ebd., Bl. 5. Zu Gerullis vgl. M. Grüttner, Biographisches Lexikon, S. 59. 161 Schreiben von G. Gerullis an T. Frings vom 12. Juli 1933, in: UAL, Phil. Fak. C3 / 32:02, Bl. 6. 162 Eine zunächst angekündigte Besprechung über die Neuordnung wurde bereits Mitte Juli von den Verantwortlichen im Sächsischen Bildungsministerium nicht mehr „beabsichtigt“. Vgl.

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rien auch mit dem sinkenden Einfluss des NSDStB seit dem Frühsommer 1933 zusammen. Selbständige Aktionen wie diese waren vom Sächsischen Volksbil­ dungsminister Wilhelm Hartnacke wiederholt kritisiert worden, störten sie doch die wieder angestrebte Kooperation mit den traditionellen Kräften.163 Der Misserfolg verweist so auf die Einflussgrenzen der nationalsozialistischen Studentenschaft ge­ nerell: Auf personeller Ebene, bei der Verdrängung von jüdischen oder politisch unliebsamen Professoren, waren sie mit ihrem Radau­Aktionismus erfolgreich ge­ wesen – nicht jedoch, wenn es um institutionell­strukturelle Veränderungen ging. Hier dominierten traditionelle Kräfte und langfristige Konzepte. Das Scheitern der Neuordnung bedeutete jedoch nicht, dass es während des Nationalsozialismus keine institutionellen Veränderungen in der Leipziger Ger­ manistik gegeben hätte, im Gegenteil: Zentrale institutionelle Veränderungen wie die Institutionalisierung der Volkskunde entsprachen sogar den Forderungen des NSDStB. Bereits zum 1. November 1934 wurde die Stelle von Fritz Karg, bisher Professor für Deutsche Philologie und Volkskunde, in ein Extraordinariat aus­ schließlich für Volkskunde umgewandelt. Das bedeutete nicht nur eine Aufwertung seiner Stelle, sondern auch die Aufstockung des Etats der Volkskundlichen Abtei­ lung von 200 auf 500 RM, die Finanzierung einer eigenen wissenschaftlichen Hilfskraft und die Vergabe von genuin volkskundlichen Dissertationsthemen.164 Die Etablierung der Volkskunde in Leipzig führte eine Entwicklung fort, die in den 1910er Jahren begonnen hatte. Erste volkskundliche Veranstaltungen gab es in Leipzig seit 1916 / 17.165 Das wachsende Interesse an der Volkskunde nach Ende des Ersten Weltkrieges schlug sich in wiederholten Anträgen der Fakultät nieder, die Volkskunde in den festen Lehrbestand des Fachs aufzunehmen. Ein erster Ver­ such scheiterte 1926.166 Einen zweiten Vorstoß unternahm die Fakultät zwei Jahre später – nun mit Erfolg. Unter dem Einfluss von Frings gelang die Umwandlung der Stelle in ein Extraordinariat für Deutsche Philologie und Volkskunde.167 Im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde die Forderung nach ei­ nem weiteren Ausbau des Fachs erneut vorgetragen. In einem Schreiben der Fa­ kultät an das Volksbildungsministerium vom Juli 1933 hieß es, dass der Zustand,

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Schreiben des Sächsischen Volksbildungsministeriums [ohne Adressat, vermutlich an den Dekan der Phil. Fak. der UL Hans Freyer] vom 24. Juli 1933, in: Ebd., Bl. 14. In Übereinstimmung mit dem Reichserziehungsminister Wilhelm Frick wurde der Einfluss des NSDStB bis Ende 1933 in Leipzig zurückgedrängt. Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissen­ schaft, S. 125–126. Vgl. Mitteilung des Sächsischen Volksbildungsministeriums vom 26. Oktober 1934, in: UAL, PA 252, Bl. 24. Bis 1933 war nur eine volkskundliche Dissertation entstanden (Ernst Rawolle, Mundarten und Kolonien in der Sächsisch­Böhmischen Schweiz (1931)). Nach der Einrichtung einer Professur für Volkskunde nahm die Zahl der Promovenden zu. Von 1933 bis 1945 entstan­ den elf volkskundliche Promotionen. Vgl. UAL, Promotionsprotokolle der Phil. Fak. 1920– 1945. Vgl. Vorlesungsverzeichnis der Universität Leipzig. Im Wintersemester 1916 / 17 las Eugen Mogk einstündig und privatissime über Deutsche Volkskunde. Vgl. Berufungsverhandlungen mit J. Schwietering, in: UAL, PA 975, Bl. 9–14. Berufen wurde Fritz Karg, der im Anschluss daran eine Volkskundliche Abteilung aufbaute. Vgl. Ernennungsschreiben vom Ministerium für Volksbildung an F. Karg vom 30. Mai 1929, in: UAL, PA 619, Bl. 434.

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dass die Volkskunde nur eine halbe Stelle habe, „untragbar“ sei. Gerade jetzt, da diese „Wissenschaft mit eigener Fragestellung […] mit der Staatsidee der Gegen­ wart aufs engste verknüpft“ sei, müsse sie verstärkt gefördert werden.168 Im Zuge der reichsweiten Aufwertung der Volkskunde hatte auch die Philosophische Fakul­ tät in Leipzig Erfolg:169 1934 wurde die Stelle in ein Extraordinariat ausschließlich für Volkskunde umgewandelt, 1939 erfolgte ein weiterer Ausbau, indem der Etat von 600 auf 1.000 RM fast verdoppelt und die Mitarbeiterstelle in eine besoldete Assistentenstelle umgewandelt wurde.170 Der Höhepunkt in diesem Institutionali­ sierungsprozess erfolgte im März 1943, als die Stelle in ein Ordinariat umgewan­ delt wurde. Die Etablierung der Volkskunde zog weitere institutionelle Folgen nach sich. Da die Professur für Volkskunde nicht neu geschaffen, sondern umgewandelt wor­ den war, fehlte nun im Bereich der Deutschen Philologie eine Stelle. Dem wurde durch die Schaffung eines sogenannten Mittelseminars entgegengetreten, das eine Art Bindeglied zwischen der Älteren und der Neueren Abteilung bilden sollte. Der 1934 aufgrund seiner umfassenden Kenntnisse auf verschiedenen Gebieten auf diese Stelle berufene Alfred Hübner lehrte nun Literatur­ und Sprachgeschichte und übernahm auch den in der Neuordnung des NSDStB geforderten Bereich der Mit­ tel­ und neuhochdeutschen Philologie.171 Nicht nur durch die inhaltliche Breite sei­ ner Lehrveranstaltungen, sondern auch, indem er sie als Überblicksvorlesungen in chronologischer Abfolge und in Zyklen las,172 praktizierte Hübner im Grunde das, was die Neuordnung gefordert hatte: einen strukturierten, aufeinander aufbauenden Lehrplan. Damit übernahm er eine wichtige Funktion innerhalb des Instituts. Die von ihm daraus abgeleitete Gleichstellung seines Mittelseminars mit den beiden Abteilungen der Ordinarien lehnten diese jedoch kategorisch ab. In einem Schrei­ ben an den Dekan der Philosophischen Fakultät machte Frings deutlich, was er und Korff von solchen Bestrebungen hielten:

168 Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Volksbildungsministerium vom 28. Juli 1933, in: UAL, PA 619, Bl. 439. 169 Auch in Jena wurde 1934 eine Volkskundliche Abteilung eingerichtet. In Berlin gab es zeit­ gleich Diskussionen über die Volkskunde. Zum Institutionalisierungsprozess der Volkskunde vgl. A. Bagus, Volkskultur. 170 Vgl. Schreiben des Ministeriums für Volksbildung an das Universitätsrentamt vom 12. Juni 1938, in: SächsHStA Dresden, MfV 10087 / 85, Bl. 6. Weitere finanzielle Unterstützung erhielt die volkskundliche Abteilung für Arbeiten am Sächsischen Volkskundeatlas und für den Aus­ bau der Bibliothek. So etwa für das Rechnungsjahr 1938 einen jeweiligen Sonderzuschuss von 500 RM. Vgl. Vorschlag des Haushaltsplanes der UL für 1938, in: SächsHStA Dresden, MfV 10087 / 82, Bl. 61. 171 So umfassten seine Lehrveranstaltungen Einführungen ins Gotische, ins Alt­, Mittel­ und Früh­ neuhoch­ sowie Neuhochdeutsche und entsprechende Literaturseminare. Vgl. Vorlesungsver­ zeichnisse der Universität Leipzig. 172 Nach der Einführung in das Gotische folgte im darauf folgenden Semester Althochdeutsche, daraufhin Mittelhochdeutsche Grammatik. Diesen Turnus verfolgte Hübner vom Wintersemes­ ter 1936 / 37 bis zum Wintersemester 1937 / 38 und vom Wintersemester 1938 / 39 bis zum Win­ tersemester 1939 / 40. Vgl. ebd.

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„Die Direktoren des Instituts sprechen bei dieser Gelegenheit ihr Bedauern darüber aus, dass Herr Prof. Hübner gemeint hat, sich eine Stellung einzuräumen, die ihm nicht zusteht. Der Ein­ richtung einer besonderen mittleren Abteilung, in welcher Form auch, werden sie […] niemals zustimmen.“173

Vergleicht man zusammenfassend die in der Neuordnung geforderten mit den tat­ sächlich realisierten Veränderungen, so zeigen sich drei Dinge: Erstens gab es of­ fensichtlich Schnittpunkte zwischen den Forderungen der nationalsozialistischen Studentenschaft und denen der Ordinarien. Diese betrafen die Aufwertung der Volkskunde sowie Veränderungen im Lehrplan und wurden daher auch erfolgreich durchgeführt. Zweitens gab es ebenso offensichtlich eine Vielzahl von Differenzen in der Auffassung, wie die Lehre in der Germanistik organisiert und verwaltet wer­ den sollte. Hier setzten sich die traditionellen Kräfte durch. Zentrale Forderungen der Neuordnung (die Auflösung der Abteilungen, die Änderung der Seminargliede­ rung, Einführung von chronologischen Lehrveranstaltungen, ein umfassenden Lehrauftrag für alle Dozenten) wurden nicht bzw. nur in geringem Maße realisiert. Bei Lehrplan und Lehrangebot gab es zwischen 1932 und 1944 kaum Unterschiede. Drittens: Auch hinsichtlich der Machtverteilung gab es keine Veränderungen, die den Forderungen nach gleichberechtigter Stellung aller planmäßigen Dozenten ent­ sprochen hätten. Hier zeigt sich ein hohes Maß an Stabilität, Langfristigkeit oder auch das „konservative Element“174 innerhalb der institutionell­strukturellen Pro­ zesse, das kurzfristige, politisch motivierte Eingriffe verhindern konnte.175 2. 3 Personeller Ausbau in der Kerngermanistik. Die Situation in Berlin Die institutionell­strukturellen Entwicklungen in Berlin waren wesentlich durch zwei Aspekte geprägt. Zum einen war es aufgrund der nach wie vor akuten Raum­ not unmöglich, einen institutionellen Ausbau voranzutreiben. Zum anderen erfolgte jedoch innerhalb der bestehenden Strukturen ein Ausbau der Planstellen: Im Win­ tersemester 1944 / 45 verfügte die Berliner Germanistik so über zwei Ordinariate mehr als zehn Jahre zuvor! Die ungünstige Raumsituation wurde bereits ausführlich geschildert. An ihr änderte sich im Dritten Reich zunächst nichts. Sie verbesserte sich allerdings de facto aufgrund der sinkenden Studierendenzahl seit Mitte der 1930er Jahre. Bereits im Wintersemester 1934 / 35 waren es nur noch 312 Studierende, ein Drittel des Standes vom Wintersemester 1929 / 30 – die Tendenz weiter sinkend.176 Unter die­ sen Bedingungen konnten die Räume wieder in ihrer normalen Kapazität genutzt 173 Schreiben von T. Frings an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 27. Juni 1935, in: SächsHStA Dresden, MfV 10225 / 1, Bl. 126. 174 G. Lingelbach, Institutionelle Rahmenbedingungen, S. 116. 175 Zum institutionellen Aufbau des Germanistischen Instituts zwischen 1933 und 1945 vgl. Gra­ fik V im Anhang. 176 Da die Vorlesungen der Germanisten für alle Fakultäten offen waren, waren sie weiterhin gut besucht. Franz Koch etwa verzeichnete in seiner Vorlesung 1938 323 Hörende. Die Zahl der Germanisten hatte sich zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits stark reduziert und lag bei 124. Zur

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werden. „Der Rückgang der Frequenz“, so die Direktoren 1934, war für sie der Anlass, „jene unnatürlichen Drosselungsmaßnahmen aufzuheben und den Studie­ renden vom ersten Semester ab das Seminar zu öffnen, damit sie sofort mit dem Studienbeginn an die Hilfsmittel ihres Studiums herankönnen.“177 Dieserart ent­ spannte sich die Raumfrage im Dritten Reich zwar, gelöst werden konnte sie jedoch nicht178 – mit der Konsequenz, dass das Seminar für Volkskunde und das Institut für Theaterwissenschaft (trotz personeller Überschneidungen)179 bis zuletzt nicht in das Germanische Seminar integriert werden konnten. 1943 wurde das Institut erst­ mals von Bomben getroffen, woraufhin die Seminarbibliothek und weitere wert­ volle Bestände ausgelagert wurden. Nach starken Schäden durch die alliierten Luft­ angriffe zog das Seminar 1944 in den Marstall / Breitenstraße 36 in die Räume des 1936 gegründeten Volkskundlichen Seminars um. Doch auch diese Räume wurden während des Krieges so stark beschädigt, dass die Germanisten sie nach Kriegsende nicht wieder benutzen konnten.180 Besser sah es auf der Personalebene aus. Nicht nur die Zahl der Studierenden sank, es erhöhte sich auch der Personalbestand: 1935 wurde auf das Extraordinariat Franz Koch berufen, der während seiner zehnjährigen Wirkenszeit sukzessive den Ausbau seiner Stelle vorantrieb. Bereits in den Berufungsverhandlungen hatte er ein persönliches Ordinariat ausgehandelt, einen Status, der ursprünglich jenen Pro­ fessoren vorbehalten war, die (obgleich verdient und angesehen) nie einen Ruf er­ halten hatten. Ein solches persönliches Ordinariat stand in der Regel also am Ende einer Karriere, nicht an ihrem Anfang. Koch jedoch erhielt den Titel bereits 1935, und von dieser Basis aus forcierte er seinen weiteren Aufstieg: 1936 wurde er zum Ordinarius ernannt und damit Mitdirektor des Instituts.181 Dass die Aufwertung der Stellung Kochs zu diesem Zeitpunkt überhaupt möglich wurde, war eng verknüpft mit der Entlassung jüdischer Professoren und sogenannter politischer Gegner. Vor­ her hatten für solche Umwandlungen keine Ressourcen zur Verfügung gestanden,

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Zahl in Kochs Vorlesung vgl. Schreiben von F. Koch an den Rektor der UB vom 22. März 1938, in: UA der HUB, PA Koch, Bd. IV, Bl. 28. Schreiben der drei Direktoren des Germanischen Seminars an das Preußische Volksbildungs­ ministerium vom 5. November 1934, in: UA der HUB, Phil. Fak. nach 1945, Nr. 41, Bl. 7. Dafür spricht etwa, dass Julius Schwietering, als er 1938 nach Berlin berufen wurde, lange um einen eigenen Arbeitsraum kämpfen musste. Vgl. H.­J. Hube, Räume, S. 791. Nach wie vor gab es eine Reihe personeller Überschneidungen. Erste rein volkskundliche Ver­ anstaltungen wurden etwa durch den am Germanischen Seminar lehrenden Privatdozenten Richard Beitl abgehalten, der 1933 die erste Privatdozentur für Volkskunde in Berlin erhalten hatte. Zu Beitl und der Volkskunde vgl. UA der HUB, PA Beitl. Julius Petersen und sein Nach­ folger Hans Pyritz waren Leiter des Instituts für Theaterwissenschaften, das Petersen 1923 mit Max Herrmann gegründet hatte. Ab 1944 gab es einen eigenen Lehrstuhl für Theaterwissen­ schaft, und Hans Knudsen wurde nach seiner Ernennung zum außerordentlichen Professor für Theaterwissenschaft Direktor des Instituts. Vgl. UA der HUB, PA Knudsen. Vgl. H.­J. Hube, Räume, S. 791–792. Zudem setzte er zweimal eine Erhöhung seiner Kolleggeldgarantie durch. Auch wenn gerade der letzte Schritt mit Blick auf das hohe Arbeitspensum Kochs gerechtfertigt gewesen sein mag – der Regel entsprach auch dies nicht.

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nun aber war „durch die Emeritierung zahlreicher Nichtarier […] die Möglichkeit dazu gegeben“182, wie der Dekan in einem Schreiben erklärte. Mit Koch als Ordinarius verfügte die Berliner Germanistik zwar nicht über mehr Planstellen, jedoch über die bemerkenswerte Zahl von vier Ordinariaten – so viele gab es an keinem anderen Germanistischen Institut im Reich. Da es sich um eine Umwandlung und nicht um eine Neuschaffung der Stelle gehandelt hatte, wurde Koch keine eigene Abteilung zugesprochen; er gehörte vielmehr zur Neu­ deutschen Abteilung, der Julius Petersen vorstand. Auch nach dessen Tod 1941 hielt man an beiden Ordinariaten fest; sie bestanden bis 1945. In der Altdeutschen Abteilung gab es zunächst nach wie vor nur eine Professur, nachdem die zweite – ein Extraordinariat – seit 1924 vakant war. Nach dem Tod von Arthur Hübner im Jahr 1937 kam dieser Missstand erneut zur Sprache. Die Fakultät forderte, nicht zuletzt aufgrund des weiten Lehrgebiets der Älteren Abtei­ lung, zwei Ordinariate für den Bereich. Sie machte ausführliche Doppelvorschläge für Kandidaten, die sich fachlich ergänzen und in ihren Aufgaben unterstützen soll­ ten.183 Auch um die Finanzierbarkeit des Unternehmens machte sich die Fakultät Gedanken und schlug vor, dass Petersen eine Stelle in der Preußischen Akademie antreten sollte, womit seine Professur frei wäre.184 Allerdings hatte die Fakultät mit ihrem Antrag keinen Erfolg: Der angefragte Jost Trier lehnte das Angebot, als zwei­ ter Ordinarius für Deutsche Philologie nach Berlin zu kommen, ab.185 Und so wurde abermals nur ein Nachfolger (Julius Schwietering) berufen. Erst 1940 gerieten die Dinge wieder in Bewegung. Diesmal gingen sie vom Reichserziehungsministerium aus, das „bei der Durchsicht der germanistischen Lehrstühle“ festgestellt hatte, dass in Berlin „ein Ordinariat für historische germa­ nische Grammatik und Geschichte der deutschen Sprache“ fehle. Eine entspre­ chende Stelle sei umgehend einzurichten und Verhandlungen mit dem Königsber­ ger Professor Otto Mausser seien aufzunehmen.186 Anderthalb Jahre und einige Kommissionssitzungen später sowie nach Maussers Ablehnung wurde zum 1. No­ vember 1941 der junge Hamburger Privatdozent Gerhard Cordes auf die neuge­ schaffene Professur für Deutsche, insbesondere Niederdeutsche Philologie berufen. Damit verfügte die Berliner Germanistik nun über ein fünftes Ordinariat, mit dem zudem die Einrichtung einer vierten Abteilung, für Niederdeutsche Philologie ein­ herging. Unter diesen stark verbesserten personellen Bedingungen und infolge der sinkenden Studierendenzahl konnte die bisher umfangreiche Tätigkeit der Assisten­ ten in Lehre und Studierendenbetreuung auf ein normales Maß reduziert werden. Insgesamt kann für die Berliner Germanistik im Dritten Reich ein stärkerer Ausbau festgestellt werden, als er während der Weimarer Zeit möglich war. Seit 182 Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UB an das Preußische Volksbildungsministerium vom 9. April 1936, in: UA der HUB, PA Koch, Bd. I, Bl. 4. 183 Vgl. Vorschlag des Germanischen Seminars für die Nachfolge Hübners [o. D.; Sommer 1937], in: UA der HUB, PA Hübner, Bd. II, Bl. 18–25. 184 Vgl. Schreiben der Phil. Fak. der UB an das REM vom 19. Juni 1937, in: Ebd., Bl. 49–59, hier Bl. 59. 185 Vgl. Schreiben von J. Trier an den Dekan der Phil. Fak. der UB vom 27. März 1938, in: Ebd., Bl. 60. 186 Schreiben des REM an die Phil. Fak. der UB vom 18. April 1940, in: UA der HUB, PA Cordes, Bl. 1.

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Die Kraft der Beharrung

Mitte der 1930er Jahre entspannten sich Raum­ und Personalproblem merklich. Der Ausbau an Planstellen (durch Aufwertung bzw. Neuschaffung) erfolgte innerhalb der Kerngermanistik: In der Neueren Abteilung wurde durch Koch die Gegenwarts­ literatur gestärkt, in der Älteren die Mundartforschung respektive das Niederdeut­ sche.187 Ein wesentlicher Grund für den erfolgreichen Ausbau von Stellen muss in der Vertreibung von jüdischen und politisch unliebsamen Professoren gesehen wer­ den. Erst durch ihre Entlassung wurden Stellen und Ressourcen frei, von denen die Neuangestellten profitierten – indem sie frei gewordene Planstellen besetzten, Pro­ fessorenwohnungen bezogen oder Bibliotheken „erbten“.188 Zwischenfazit Die institutionellen Prozesse an den drei Instituten im Dritten Reich zusammen­ fassend, sind zwei Aspekte zu diskutieren. Erstens: Wie kam es, dass an allen drei Instituten ein spürbarer institutioneller Ausbau stattfand, obgleich die Zahl der Stu­ dierenden abnahm? Und Zweitens: Wer waren die Akteure in diesem Um­ und Ausbauprozess? Zum ersten Punkt: Der scheinbar verspätete Ausbau entsprach den normalen Verzögerungen verwaltungsbürokratischer Prozesse. Da der rasche Anstieg der Stu­ dierendenzahl Mitte der 1920er Jahre nur eine relativ kurze Phase umfasste, konn­ ten die strukturellen Maßnahmen erst greifen, als der Zenit bereits überschritten war. Zugleich basierten diese Prozesse auch auf den Erfahrungen der verantwortli­ chen Akteure, die um die zyklische Entwicklung gerade in den Schulwissenschaf­ ten wussten und sich mit ihren Ausbaumaßnahmen an dem erwarteten nächsten Frequenzzuwachs orientierten. Zudem muss die weltanschauliche Komponente beim Ausbau der Institute be­ rücksichtigt werden. Diese wird deutlich, wenn man sieht, welche Fachbereiche besonders gefördert und ausgebaut wurden. So lässt sich feststellen, dass bei der Einrichtung der Stellen für Volkskunde (Leipzig, Jena), Nordistik (Jena) und bei der Berufung des vor allem in der Gegenwartsliteratur bewanderten Franz Koch (Ber­ lin) die politische Funktion des jeweiligen Bereichs besonders hervorgehoben wurde. Am deutlichsten profitierte die Volkskunde von der nationalsozialistischen Machtübernahme. Ihre Institutionalisierung, in deren Folge Planstellen eingerich­ tet, Räume zur Verfügung gestellt und umfangreiche finanzielle Mittel aufgeboten wurden, sollte ein Zeichen sein für die Ausrichtung der Schulen und Hochschulen auf Volk, Volkstum und Volksgemeinschaft. Gleichwohl darf dieser Institutionali­ 187 Zum institutionellen Aufbau des Germanischen Seminars in Berlin zwischen 1933 und 1945 vgl. Grafik VI im Anhang. 188 So profitierte etwa Schwietering 1939 auf der Suche nach einer Vier-Raum-Wohnung auf dem überfüllten Berliner Wohnungsmarkt von einer „freigewordenen Judenwohnung“. Vgl. UA der HUB, PA Schwietering, Bl. 75–114. Gerhard Cordes verfügte über Teile der Bibliothek seiner ehemaligen Hamburger Kollegin Agathe Lasch, die 1934 aus der Universität aufgrund ihrer jüdischen Herkunft vertrieben worden war. Vgl. Schreiben des REM an den Dekan der Phil. Fak. der UB bezüglich Sichtung der Buchbestände zur Wertschätzung vom 12. April 1943, in: UA der HUB, PA Cordes, Bl. 22.

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sierungsschub nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Ausbau gerade der Volks­ kunde bereits in der Weimarer Republik gefordert und vorbereitet worden war. Nach 1933 konnten nun auch die notwendigen Ressourcen mobilisiert werden. Ob arbeitsmarktorientiert­pragmatisch oder politisch motiviert – in jedem Fall setzte der Ausbau im Dritten Reich Entwicklungen fort, die von den Vertretern des Fachs lange vorher wiederholt gefordert worden waren. Dies führt zur zweiten Frage, der nach den Akteuren in diesen Veränderungsprozessen. Es zeigt sich, dass sich bei institutionellen Fragen die traditionellen Ordinarien sowie langfristige Vor­ schläge und Konzepte in der Regel durchsetzen konnten. Erfolgreich waren politi­ sche Vorstöße dann, wenn es Schnittmengen mit den traditionellen Kräften gab, etwa in Fragen der institutionellen Etablierung der Volkskunde, in Fragen der Um­ gestaltung des Lehrplans oder bei der Einrichtung weiterer Planstellen. An ihre Grenzen stießen politische Vorschläge jedoch, wenn sie die Institutsstruktur angrif­ fen oder die bestehende Verwaltungshierarchie in Frage stellten. Dies zeigt exemp­ larisch das Scheitern der von der NS­Studentenschaft vorgetragenen Neuordnung der Germanistik in Leipzig. Solange keine reichseinheitlichen Vorgaben existierten, blieben solch lokale Vorstöße wirkungslos. Anders war dies auf personeller Ebene, wo die alltäglichen Auseinandersetzungen vor Ort die Position der alten Ordinarien nachhaltig schwächen konnten.189 Auch an diesem Beispiel zeigt sich, dass die Strukturen auf institutioneller Ebene im Vergleich zur personellen zählebiger waren und dass sie so vor kurzfristigen Eingriffen letztlich bewahrt blieben.

189 Vgl. dazu Kap. B II 3.2.

III DIE SBZ UND FRÜHE DDR 1 Die Entwicklung der Studierendenzahlen Die Entwicklung der Studierendenzahlen im Fach Germanistik in der Nachkriegs­ zeit unterscheidet sich in einer Reihe von Aspekten von den vorherigen Prozessen. Zum einen zeigt sich in der Frequenz ein deutlicher Anstieg. Bereits während des Krieges war die Zahl wieder langsam, nach Kriegsende rapide angestiegen – auch in der Germanistik. Als die Universitäten ihre Pforten 1945 bzw. Anfang 1946 wie­ der öffneten, waren in Jena 176, in Leipzig etwa 200 und in Berlin 334 Germanisten eingeschrieben. Nach einigen Anfangsschwankungen stabilisierten sich die Zahlen und näherten sich sogar seit Mitte der 1950er Jahre (erstmals in der Geschichte der drei Institute) einander an.190 Dies hing mit der Einführung von Kontingenten zu­ sammen, die die Verteilung der Studierenden zentral regelten, um eine geordnete Ausbildung zu gewährleisten.191 1927

1933

1945 bzw. 1946

1957

Berlin

525

406

334

500

Leipzig

378

281

ca. 200

450

Jena

141

94

123

375

Halle

375

Greifswald

250

Rostock

200

Tabelle 1: Übersicht über die Zahl der Studierenden im Fach Germanistik im Studienjahr 1957 192 an den ostdeutschen Universitäten im Vergleich zu den Zahlen in den Stichjahren 1927, 1933 sowie 1945 / 46

190 Die Zahl der Studierenden im Fach Germanistik in Jena erhöhte sich auf drei Viertel der Zahlen von Leipzig und Berlin, während es in den 1920er Jahren nur etwa ein Viertel gewesen war (vgl. oben, Grafik 1). 191 Seit der ersten Verordnung vom September 1945 wurde die Immatrikulation der Studierenden zentral verwaltet und kontrolliert, sodass auf diesem Wege auch auf die Frequenz Einfluss ge­ nommen werden konnte. Vgl. I.­S. Kowalczuk, Geist im Dienste der Macht, S. 261–288. Kon­ kret für die Germanistik in Jena kam hinzu, dass die Akteure hier anstrebten, einen „Schwerpunkt der deutschen Sprach­ und Literaturwissenschaft“ zu schaffen. Dem entsprechend forderten die Institutsdirektoren Henrik Becker und Joachim Müller bereits 1952 eine Erhöhung der Kontin­ gente. Vgl. Schreiben der beiden Institutsdirektoren an das Staatssekretariat für Hochschul­ wesen vom 4. September 1952, in: UAJ, Bestand M, Nr. 876, unpag. 192 Zu den Zahlen von 1957 vgl. I. Richter, Die Entwicklung, S. 74.

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Dieser quantitative Zuwachs an allen Germanistischen Instituten der SBZ / DDR setzte sich in den 1950er Jahren in einem bisher nicht gekannten Maße fort193: In Leipzig beispielsweise waren im Studienjahr 1961 858 Germanisten eingeschrie­ ben, das Doppelte der Höchstzahlen aus der Weimarer Zeit.194 Die Gründe für die­ sen Wachstumsprozess waren eher allgemeiner Natur, etwa der Nachholbedarf an universitärer Bildung, die demografische Entwicklung, ein erleichterter Zugang zur höheren Schulbildung sowie Maßnahmen zur Studienförderung. Bleibt zu fragen, wie sich dieser Prozess auf Ebene der Institutsstruktur spiegelte und wie sich die neuen Anforderungen in der institutionellen Entwicklung niederschlugen. 2 Neuanfänge auf unterschiedlichen Wegen 2.1 „Die ganze Breite des Fachs repräsentieren“? Die Entwicklungen in Jena Die Friedrich­Schiller­Universität in Jena gehörte zu den ersten Hochschulen, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Tore wieder öffneten. Die Voraussetzungen für eine zügige Wiederaufnahme der Lehre waren in der Germanistik günstig: Die Räumlichkeiten waren nahezu unbeschädigt, die Institutsbibliothek war benutzbar, und zwei der drei Dozenten waren noch im Dienst. Rasch stieg die Zahl der Studie­ renden auf über 200, einem Mehrfachen der Zahlen aus den späten 1930er Jahren. Noch bemerkenswerter war jedoch die institutionelle Ausweitung des Fachs in den folgenden Jahren. Bereits am 8. August 1949 wurden per Ministerialbeschluss ver­ schiedene bis dato unabhängige Universitätsseminare und andere Einrichtungen verwaltungstechnisch unter dem Dach der Germanistik zusammengefasst sowie neu gegründete Fachbereiche eingegliedert.195 Die ursprünglich kleine Germanistik bestand in Jena nun aus einer Alt­ und einer Neudeutschen Abteilung, Abteilungen für Nordistik, Theaterwissenschaft, Volkskunde, Sprechkunde und Thüringische Mundartenforschung sowie für Filmwissenschaften und Buch­ und Verlagswesen, für Nationalliteraturen und Niederlandistik. Dem Rechnung tragend hieß die Ger­ manistik seit 1950 auch nicht mehr Deutsches Seminar, sondern Germanistisches Institut.196 193 Zugleich vergrößerte sich der Anteil der Studierenden im Fach Germanistik innerhalb der Phi­ losophischen Fakultät. Vgl. für Berlin Bericht an das Staatssekretariat für das Hoch­ und Fach­ schulwesen vom 15. Juni 1959, in: UA der HUB, Phil. Fak. nach 1945, Nr. 51, unpag. 1953 / 54 waren in Jena 250 Germanisten immatrikuliert, das Fach damit zur „zahlenmäßig größte[n] Fachrichtung“ der Philosophischen Fakultät angewachsen. Vgl. Schreiben von J. Müller an den Dekan der Phil. Fak. der FSU vom 18. Juni 1954, in: UAJ, Bestand M, Nr. 876, unpag. 194 Vergleichbar waren die Prozesse an westdeutschen Hochschulen. Vgl. exemplarisch A. Pilger, Germanistik in Münster, S. 439– 440. 195 Vgl. Ministerialbeschluss zur Gründung des Germanistischen Instituts vom 8. August 1949, zitiert nach D. Germann, Germanistik in Jena, S. 277. 196 Im August 1949 wurde das Deutsche Seminar in Deutsches Institut, im Juni 1950 in Germanis­ tisches Institut umbenannt. Vgl. die beiden Schreiben des Ministeriums für Volksbildung im Land Thüringen an die Phil. Fak. der UJ vom 8. August 1949 bzw. 13. Mai 1950, in: UAJ, Bestand M, Nr. 876, unpag. Zum institutionellen Aufbau des Germanistischen Instituts in Jena zwischen 1945 und Mitte der 1950er Jahre vgl. Grafik VII im Anhang.

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Zustande gekommen war diese Konstellation zunächst durch einen neuen Stu­ dienplan für das Fach. Dieser war 1946 ausgearbeitet worden und erhob Anspruch auf Vollständigkeit bei der fachlichen Ausbildung zukünftiger Lehrerinnen und Lehrer, aber auch späterer Mitarbeiter in Verlagen und Bibliotheken. Die neue Ord­ nung enthielt einen detaillierten Lehrplan, nach dem deutsche Sprache und Litera­ tur vom Althochdeutschen bis zum 20. Jahrhundert obligatorisch waren, der aber auch theaterwissenschaftliche und volkskundliche Themen beinhaltete. Des Wei­ teren zeichnete er sogenannte „freiwillige Fächer“ aus, zu denen Nordistik und Niederlandistik, Phonetik sowie Musikgeschichte gehörten.197 Generell erhob der Studienplan den Anspruch auf Verbindlichkeit, praktisch war er jedoch ein „Ideal­ plan“198, der selten mit den Gegebenheiten vor Ort übereinstimmte. Die Jenaer Ger­ manistik schien sich jedoch an diesem Idealplan orientiert zu haben.199 Eine andere Ursache für die unkontrollierte Aufblähung des Instituts war die konkrete Situation in der Jenaer Germanistik an sich, denn das Fach war zeitweise „durch ein längeres Interregnum und völligen Dozentenmangel ziemlich steuerlos“200 gewesen. Nach dem Tod von Wesle 1950 hatte der Oberstudienrat Richard Grüm­ mer die Leitung des Instituts kommissarisch übernommen, war von den anstehen­ den Aufgaben jedoch überfordert. In dieser Phase hatten Studierende sowie ange­ hende Assistenten und Dozenten wiederholt „zur Selbsthilfe gegriffen“, wobei die einzelnen Initiativen oft nebeneinander und „ziemlich wild“ und so zuletzt an einer gezielten Planung vorbei liefen. Das Ergebnis war eine zwar fachlich attraktive, zugleich aber kaum beherrschbare Aufblähung des bislang kleinen Instituts. Allein die Voraussetzungen und die institutionelle Struktur der einzelnen Abteilungen, die nun zu einem Ganzen zusammengefügt worden waren, unterschieden sich grundle­ gend. Nordistik, Theaterwissenschaft und Sprechkunde waren vor 1945 kleine, ei­ genständige Einrichtungen innerhalb der Philosophischen Fakultät gewesen.201 197 Vgl. zur Planung und Durchführung der Studienpläne für das Fach Germanistik ausführlich I. Richter, Die Entwicklung. 198 Vgl. Protokoll der Fachtagung in Leipzig aus dem Jahr 1947, zitiert nach ebd., S. 30. 199 Wenn Becker 1953 in diesem Zusammenhang von der Erfüllung eines „Mindestprogramms“ in Jena spricht, bezieht er sich im Grunde auf das Maximalprogramm der Anforderungen in den Studienplänen, die im Zuge der II. Hochschulreform nochmals konkretisiert wurden. „Es ist uns gelungen, das Mindestprogramm einer Germanistik zu erfüllen. Und bei diesem Mindest­ programm, das selbst größere Universitäten nur lückenhaft erfüllen, wird es einige Zeit bleiben müssen. Denn die Germanistik ist an sich ein sehr weites Feld und es dürfen keine empfindli­ chen Lücken offen stehen.“ Vgl. Bericht zur Übergabe der Fachrichtungsleitung Germanistik in Jena von H. Becker vom 26. März 1953, in: UAJ, Bestand M, Nr. 876, unpag., S. 5 [Hervor­ hebung im Original]. 200 Dieses Zitat und die folgenden des Absatzes stammen aus ebd., S. 1. 201 Nordistik: 1942 als Abteilung der Germanistik gegründet, 1944 als eigenständiges Institut aus­ gegliedert; 1945 wieder eingegliedert. Vgl. UAJ, Bestand C, Nr. 876. Theaterwissenschaft: seit 1936 selbständig als Seminar für Musikwissenschaften und Dramaturgie; nach Kriegsende übernahm Heinz Stolte die kommissarische Leitung, was zur Eingliederung des Seminars in das Germanistische Seminar 1949 / 50 führte. Vgl. UAJ, Bestand C, Nr. 811 und 812. Sprech­ kunde: seit 1935 eigenständiges Seminar innerhalb der Philosophischen Fakultät; Einglie­ derung 1949, Wiederausgliederung 1952. Das Fach vertrat zunächst als Lektorin, später als Professorin Irmgard Weithase. Vgl. D. Germann, Germanistik in Jena, S. 277–280.

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Anders die Mundarten­, Kulturraum­ und Volksliedforschung, die bis 1945 nicht einmal zur Universität gehörte hatte, sondern direkt vom Kulturetat aus Weimar finanziert worden war.202 Nur die Volkskunde war seit 1933 integraler Bestandteil der Germanistik gewesen. Gleichwohl verfügten diese Fachbereiche immerhin über Strukturen, vereinzelt gab es sogar Fachvertreter und kleine Bibliotheksbestände. Anders bei den Anfang der 1950er Jahre neu gegründeten Abteilungen für Natio­ nalliteraturen sowie Niederlandistik. Sie bestanden daher auch nur formal und wa­ ren personell nicht besetzt.203 Nochmals anders verhielt es sich mit der Filmwissen­ schaft. Sie entstand 1952 aus einer „kollektiven Initiative“ von Studierenden. Ihr wissenschaftliches Profil war vage, doch ging aus diesen Reihen der spätere Stamm der Filmhochschule in Potsdam­Babelsberg hervor.204 Ähnlich große Beliebtheit wie die Filmwissenschaft erlangte unter den Studierenden die Abteilung für Buch­ und Verlagswesen, die sie berufsorientiert begleiten sollte.205 Neben strukturellen und materiellen Schwierigkeiten206 brachte das breite An­ gebot der Germanistik in Jena vor allem personelle Probleme. Wäre jede Abteilung tatsächlich besetzt worden, hätten nicht weniger als elf planmäßige Dozenten an dem Institut lehren müssen. Das war – angesichts des herrschenden Nachwuchs­ mangels im akademischen Betrieb der Nachkriegszeit – utopisch. Bereits in der Kerngermanistik war die personelle Lage angespannt. Lehrstuhlinhaber Wesle war seit 1949 schwer krank. Heinz Stolte, erst Assistent, dann Professor, war im selben Jahr nach Berlin berufen worden, sodass im Sommersemester 1950 in Jena de facto nur noch die Lektorin Irmgard Weithase sowie die Institutsassistentin Anneliese Bach lehrten.207 Alarmiert schrieb der Dekan der Philosophischen Fakultät an das Thüringische Volksbildungsministerium vom „beklagenswerten Niedergang“ des Fachs und beantragte die zusätzliche Einstellung von Lehrkräften.208 202 Vgl. Schreiben von C. Wesle an das Thüringische Landesamt für Volksbildung vom 6. Feb­ ruar 1946, in: UAJ, Bestand M, Nr. 752, unpag. 203 Vgl. Bericht zur Übergabe der Fachrichtungsleitung Germanistik in Jena von H. Becker vom 26. März 1953, in: UAJ, Bestand M, Nr. 876, unpag., S. 5. 204 In diesem Bereich lehrten Heinz Baumer, Wenzel Renner und Werner Beck. Vgl. A. Pöthe / R. Hahn, Germanistik zwischen 1945 und 1989, S. 1774, sowie P. Boden, Universitätsgerman­ istik, S. 139, Anm. 98. Zum Innovationspotential von nach 1945 neu begründeten Fächern vgl. I.­S. Kowalczuk, Geist im Dienste der Macht, S. 200. 205 Die Stelle vertrat mehrere Jahre Martin Schiller. Vgl. A. Pöthe / R. Hahn, Germanistik zwischen 1945 und 1989, S. 1774. 206 Allein um die Lücken in der Bibliothek füllen zu können und Möbel für die Abteilungen zu besorgen, benötigte das Institut 10.500 Mark, wie der Institutsdirektor 1949 an das zuständige Volksbildungsministerium schrieb. Vgl. Schreiben von C. Wesle an des Thüringische Volksbil­ dungsministerium vom 30. September 1949, in: UAJ, Bestand C, Nr. 863, unpag., S. 4 –5. 207 Vgl. Vorlesungsverzeichnisse der FSU. Zu Irmgard Weithase siehe oben. Anneliese Bach hatte 1945 promoviert und lehrte seitdem als Assistentin sowie seit 1950 als Privatdozentin in Jena. 1951 übersiedelte sie nach Westberlin und lehrte an der FU. 208 Befürwortet wurden daraufhin eine Professur mit vollem Lehrauftrag, die Richard Hauschild innehatte, sowie ein Lehrauftrag, der an den Michels­Schüler und Oberstudienrat Richard Grümmer ging. Vgl. Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der FSU an das Ministerium für Volksbildung [über den Rektor der FSU] vom 24. Juli 1950, in: UAJ, Bestand D, Nr. 2177, unpag.

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In den folgenden Jahren stabilisierte sich die personelle Situation in der Kern­ germanistik zwar allmählich, doch einige der angebundenen Abteilungen waren weiterhin ungenügend besetzt. Nicht zuletzt dies führte den Institutsdirektor Henrik Becker in seinem Bericht zur Lage des Fachs 1953 zu der Erkenntnis, dass „ein wirklich vollständiger Betrieb […] die Verhältnisse der Universität übersteigen [würde]. Ich rate also, mit der Abrundung des Erreichten zufrieden zu sein und weiteren Ausbau etwas zu verschieben.“209 In der Tat wurde das anfänglich breite Programm im Laufe der 1950er und frühen 1960er Jahre zurückgefahren.210 1962 gab es nunmehr vier Abteilungen: Germanische und deutsche Philologie, Neuere deutsche Literatur, Neueste deutsche Literatur sowie Theatergeschichte.211 Der Schwerpunkt lag damit wieder auf der Kerngermanistik, in die nun aber die Neuere und Neueste Literaturgeschichte integriert worden waren. Der Bedeutungszuwachs dieses bislang vernachlässigten Teilgebiets hatte be­ reits unmittelbar nach Kriegsende begonnen. 1946 erhielt der ehemalige Assistent des Instituts, Heinz Stolte, eine Professur für Neuere deutsche Literaturgeschichte, was die erstmalige Einrichtung dieses Bereichs in Jena nach 50 Jahren bedeutete. Dieser Schritt entsprach der längst überfälligen Angleichung des Angebots an das anderer Germanistischer Institute. Er war zugleich Ausdruck der Förderung der Ge­ genwartsliteraturgeschichtsforschung durch die DDR­Führung.212 Spätestens Anfang der 1960er Jahre stabilisierte sich die materielle und perso­ nelle Lage in Jena. Gemessen an den Zeiten vor 1945 war die Zahl der Dissertatio­ nen, Habilitationen und auch die der Aspiranten deutlich gestiegen. Auch die Haus­ haltsmittel für den Ankauf von Büchern nahmen zu.213 209 Bericht zur Übergabe der Fachrichtungsleitung Germanistik in Jena von H. Becker vom 26. März 1953, in: UAJ, Bestand M, Nr. 876, unpag., S. 5. 210 1951 bzw. 1952 wurden die Mundartenkunde sowie die Sprechkunde wieder selbständig. Die Volkskunde war bis Anfang der 1960er Jahre eine Abteilung der Germanistik. Vgl. Stellung­ nahme zur Volkskunde von H. Becker vom 23. Mai 1954, in: Ebd. 211 Im Wintersemester 1964 / 65 wurde eine weitere Abteilung, für Deutsche Gegenwartssprache, begründet. Zudem entstand außerhalb des Instituts mit dem Institut für Sprachpflege und Wort­ forschung eine weitere germanistische Einrichtung. Ihr Leiter war der ehemalige Direktor des Germanistischen Instituts Becker, der das Institut jedoch 1956 aus diversen Gründen verlassen musste. Der Wechsel wurde unterschiedlich bewertet. An einer Stelle sprach Becker von einem „ehrenvollen Auftrag“, an anderer von einem „Abschieben“. Vgl. A. Pöthe / R. Hahn, German­ istik zwischen 1945 und 1989, S. 1770–1771 sowie S. 1791, Anm. 40. 212 Bereits 1947 wurde der Wert dieses Fachbereichs für die Ausbildung der zukünftigen Deutsch­ lehrer herausgestrichen, denn „die Kenntnis der neuen Literatur des 20. Jahrhunderts [sei] für eine demokratische Erziehung der Philologie­Studenten unerlässlich“ (Aussage der Zentralver­ waltung für Volksbildung von 1947, zitiert nach E. Stoye­Balk, Antifaschistisch­demokratische Umgestaltung, S. 852–853). Entsprechende Bedeutung wurde diesem Bereich in der DDR­Ger­ manistik generell beigemessen, und er gehörte nun zum Standard auch der Jenaer Germanistik. 213 Die Haushaltsmittel für den Ankauf von Büchern stiegen zwischen 1954 und 1959 von 4.000 auf 5.000 Mark. Der Personalbestand umfasste seit 1954 einen Professor mit vollem Lehrauf­ trag, einen mit Lehrauftrag, eine Dozentin, eine Wahrnehmungsdozentur, einen Oberassis­ tenten, sechs Assistenten, sieben Lehrbeauftragte, eine Bibliothekarin und eine Sekretärin. Es gab elf Aspiranten und vier Habilitanden. Zwischen 1950 und 1959 entstanden 44 Dissertatio­ nen. Vgl. Bericht über die Entwicklung des Germanistischen Instituts in den Jahren 1949–1959

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Die Entwicklung der Jenaer Germanistik in der Nachkriegszeit offenbart ver­ schiedene Aspekte: Da ihr Profil eher unscharf war, konnten ohne Probleme nach dem Krieg verschiedenste Teilbereiche integriert werden. Die angestrebte Breite des Angebots überforderte jedoch die verantwortlichen Akteure und war adminis­ trativ kaum zu leisten. Im Gegenzug konnte diese Offenheit (ähnlich den Dekaden zuvor) auch „Modernisierungseffekte“214 nach sich ziehen und bedeutete nicht zu­ letzt die endgültige Durchsetzung der lang vernachlässigten Neugermanistik in Jena. Mit dem Ausbau gingen auch tief greifende Personalprobleme einher; teil­ weise waren Abteilungen führungslos und in der Kerngermanistik gab es Engpässe. Dieser Zustand hing nicht zuletzt damit zusammen, dass man in Jena versäumt hatte, den eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern – im Gegensatz zu Leipzig, wie im Folgenden zu zeigen ist. 2.2 Starke Kontinuitäten und der Ausbau der Neugermanistik in Leipzig Auch wenn große Gebäudeteile des Leipziger Germanistischen Instituts zerstört waren,215 dominierten nach 1945 institutionell die Kontinuitäten. Wie in den 1920 / 30er und 1940er Jahren gab es eine Alt­ und eine Neudeutsche Abteilung, eine für Nordistik und eine für Niederlandistik. Neu war allein die Abteilung für Englische Philologie als Teil des Germanistischen Instituts – eine Konstellation, die zustande kam, weil sich die Germanisten mit den Anglisten Räume teilten.216 Der relativ stabile Zustand des Instituts ist – zuzüglich zur personellen Konti­ nuität – ein wichtiger Befund. Zugleich bedingten diese Aspekte einander: Um eine möglichst bruchlose Fortsetzung der universitären Lehre zu gewährleisten, setzten die alten Kräfte auf Bewährtes und Vertrautes. Der wesentliche Akteur in diesem Prozess war Theodor Frings. Er baute nicht nur das Germanistische Institut wieder auf, sondern war auch in diversen Gremien zur (Um­) Strukturierung der Universi­ tät; er war an der Ausarbeitung des Studienplans für Germanistik maßgeblich betei­ ligt und forcierte die Wiedereröffnung der Sächsischen Akademie der Wissenschaf­ ten. Wie kein anderer seiner (ostdeutschen) Germanistikkollegen engagierte er sich in dieser Zeit auf hochschulpolitischem Gebiet.217 Die personelle Kontinuität ging so weit, dass zwischenzeitlich alle Abteilungen mit Personen besetzt waren, die mit der Germanistik oder zumindest mit Leipzig in unmittelbarer Verbindung standen: Der Professor für Niederlandistik Ludwig Erich Schmitt war Schüler und Protegé von Frings, die Oberassistentin und spätere Pro­

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von J. Müller an das Dekanat der Phil. Fak. vom 25. September 1959, in: UAJ, Bestand M, Nr. 786, unpag. Vgl. P. Boden, Universitätsgermanistik, S. 139. Am 4. Dezember 1943 griffen 1500 britische Bomber Leipzig an, und große Teile der Universität wurden zerstört. Erneute Angriffe in den Jahren 1944 und 1945 führten zu ihrer fast vollständigen Zerstörung der Universität und zur Verbrennung von Bücherbeständen. Vgl. K. Krause, Alma Mater Lipsiensis, S. 306. Zum institutionellen Aufbau des Germanistischen Instituts in Leipzig zwischen 1945 und Mitte der 1950er Jahre vgl. Grafik VIII im Anhang. Vgl. v. a. Kap. B III 4.

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fessorin für Deutsche Philologie Elisabeth Karg­Gasterstädt war bereits früher As­ sistentin am Institut gewesen, der Professor für Deutsche Sprache und Literatur Martin Greiner hatte 1929 bei Hermann August Korff promoviert, der Professor für Nordistik Walter Baetke war in den 1930er Jahren Professor für Religionsge­ schichte in Leipzig gewesen. Ebenfalls für enge lokale Verbindungen sprach der Umstand, dass auch die Lehrbeauftragten und Assistenten, die das Lehrangebot Ende der 1940er Jahre unterstützten, ihre akademische Sozialisation in Leipzig er­ halten hatten.218 Die Leipziger klärten die anstehenden Personalfragen der unmit­ telbaren Nachkriegszeit also offensichtlich unter sich. Voraussetzung dafür waren eine intensive Nachwuchspolitik in den Vorjahren sowie gut funktionierende lokale und fachinterne Netzwerkstrukturen. Und nicht zuletzt stand hier offensichtlich ein Kontingent von Personen zur Verfügung, die als politisch unbelastet galten.219 Tiefer gehende institutionelle Veränderungen gab es in Leipzig erst im Zuge der II. Hochschulreform Anfang der 1950er Jahre.220 Die damit verknüpfte Neuor­ ganisation veränderte an den bereits bestehenden Bereichen zwar wenig,221 sie schuf jedoch neue Strukturen – mit zum Teil erheblichen Folgen. Konkret meint dies die Eingliederung der Abteilung für Geschichte der Nationalliteraturen in das Germanistische Institut im Jahr 1951, die mit der Berufung Hans Mayers an das Institut einherging.222 218 Lehrveranstaltungen hielten Gabriele Schieb, Elisabeth Linke, Wolfgang Becker und Edith Zenker, die jeweils in Leipzig studiert hatten. Vgl. Vorlesungsverzeichnisse der Universität Leipzig. 219 Vgl. Kap. B III 3. 220 Im Rahmen der II. Hochschulreform wurden feste Seminargruppen, das Zehn­Monate­Studium, ein fester Lehr­ und Studienplan, obligatorischer Russischunterricht sowie ein dreijähriges marxistisches Grundlagenstudium eingeführt. Mit Blick auf die Ausbildung der „neuen Intelli­ genz“ zielte die Hochschulpolitik auf eine „ideologische Offensive“, eine soziale und politische Umschichtung in der Studentenschaft vor allem in den geisteswissenschaftlichen Fächern. Vgl. C. Jordan, Kaderschmiede, S. 48. Mit Blick auf die Germanistik verfolgte die Neuordnung die längerfristig angelegte Angleichung aller ostdeutschen Germanistischen Institute: „Der erste Fünfjahrplan der DDR, der auch an die Studierenden der Universitäten erhöhte Anforderungen stellt, verlangt ein einheitlich geregeltes, nach klar umrissenen Zielen ausgerichtetes Studium. Im Zuge der damit notwendig gewordenen Neugestaltung des Hochschulwesens ist auch eine verbesserte Struktur des Germanistischen Instituts der Universität Leipzig erforderlich.” An­ weisung des Staatssekretariats für Hochschulwesen über die Neugestaltung des Germanis­ tischen Instituts an der Universität Leipzig vom 19. Mai 1951, in: UAL, Phil. Fak. B1 / 14:16, Bl. 214. 221 In Leipzig hatte die Neuordnung relativ unspektakuläre Folgen, etwa die Umbenennung von Abteilungen und ihre stärkere Untergliederung. Was die hierarchische Gliederung des Instituts anbelangte, sind keine Einschnitte erkennbar. Nach wie vor unterstanden die Abteilungsleiter dem Direktor des Instituts. Allerdings sollten sich nun nicht mehr die Abteilungsleiter der Äl­ teren und Neueren Abteilung paritätisch abwechseln. Vielmehr wurde Theodor Frings zum alleinigen Direktor des Instituts ernannt. Vgl. ebd., Bl. 215. 222 Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch vor Mayer entsprechende Lehrveranstal­ tungen gegeben hat, gehalten von Martin Greiner. Institutionell jedoch war die Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts zu diesem Zeitpunkt nicht eigenständig, sondern an die Neuere Abtei­ lung gebunden. Insofern ist es richtig, wenn man den Institutionalisierungsprozess mit Mayer verbindet. Vgl. I. Richter, Die Entwicklung, S. 66–70.

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Für die Struktur des Gesamtinstituts war dieser Schritt eine wesentliche Zäsur, denn die Berufung Mayers und die „Erweiterung des literaturhistorischen Unter­ richts nach der soziologischen Seite […] [würde] den Aufbau unseres Instituts nach außen und nach innen grundlegend verändern“223. Mit diesen Worten kritisierte Frings die Pläne des Ministeriums. Doch offensichtlich, wie die Entwicklungen zeigen, konnte er sich in dieser Frage nicht durchsetzen, sodass die neue Abteilung gegen seinen Willen eingerichtet wurde.224 Diese Entwicklungen waren Voraussetzung für eine weitere Umstrukturierung des Instituts, das 1956 in drei selbst verwaltete Einheiten aufgeteilt wurde: das Ins­ titut für Deutsche und Germanische Philologie (unter der Leitung von Frings), das Institut für Deutsche Literaturgeschichte (unter der Leitung von Mayer) sowie das – nun wieder selbständige – Institut für Anglistik und Amerikanistik (unter der Leitung von Walther Martin). Die Aufteilung in drei Institute hatte vor allem ver­ waltungstechnische und organisatorische Gründe. Räumlich und die Lehre betref­ fend hatte sie hingegen keine Konsequenzen.225 Wie war nun diese Dreiteilung zustande gekommen? In der bisherigen For­ schung wird sie vielfach mit den Spannungen zwischen Frings und Mayer erklärt. Frings habe, nachdem er die Eingliederung Mayers in die Germanistik nicht verhin­ dern konnte, die Trennung der Abteilungen forciert, um seinen Bereich vor marxis­ tischen Einflüssen zu sichern.226 Diese Sicht hat gewiss ihre Berechtigung. Zugleich legt sie jedoch den Fokus zu stark auf die Akteure, blendet strukturelle Zusammen­ hänge aus und kann diesen „institutionellen Sonderfall“227 nicht befriedigend erklä­ ren. Weitere Faktoren müssen einbezogen werden – vor allem die verschlechterten Arbeitsbedingungen am Institut Mitte der 1950er Jahre, die sich aus der steigenden Studierendenzahl und den neuen Studienabläufen ergab.228 Hinzu kamen die „völ­ 223 Schreiben von T. Frings an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 4. Mai 1950, in: UAL, PA 270, Bl. 459– 460. 224 Vgl. auch Kap. B I 3.1b. 225 Die Teilung, vor allem die Trennung der ersten beiden Abteilungen, zerstörte die oft beschworene Einheit des Fachs. Für Korff führte dieser Schritt dazu, dass er sich weigerte, diesem neuen Institut für Deutsche Literaturgeschichte (als Emeritus) weiter anzugehören. In einem Schreiben Korffs an den Dekan vom 10. November 1956 heißt es: „Wenn der Plan ver­ wirklicht werden sollte, wonach das Institut für neuere deutsche Literaturgeschichte mit dem Institut für Nationalliteraturen vereinigt werden und durch Abtrennung von der germanis­ tischen Abteilung unter Leitung von Herrn Mayer selbständig gemacht werden soll, möchte ich meinerseits erklären, dass ich alsdann von meinen Rechten als Emeritus Gebrauch zu machen gedenke. Ich werde dem neuen Institute für deutsche Literaturgeschichte nicht angehören und, wenn überhaupt, dann reine Privatvorlesungen ausserhalb der planmäßigen Vorlesungsreihe des Instituts halten.“ Schreiben, in: UAL, Phil. Fak. B2 / 22:38, Bl. 14. 226 Vgl. P. Boden, Universitätsgermanistik, S. 131–132. Zudem muss betont werden, dass das Ver­ hältnis zwischen Frings und Mayer nicht prinzipiell gespannt gewesen ist. Als sich Ludwig Erich Schmitt etwa Anfang der 1950er Jahre weigerte, mit Mayer zu prüfen, weil dieser kein ausgewiesener Germanist sei, distanzierte sich Frings von seinem Schüler. Vgl. Kap. B I 3.1b. Mayer selbst schrieb rückblickend über Frings: Bei ihm „blieb ich lange in Gunst und Gnade.“ H. Mayer, Deutscher auf Widerruf, Bd. 2, S. 108. 227 P. Boden, Universitätsgermanistik, S. 132. 228 „Mit Rücksicht auf das Wachsen des Germanistischen Instituts, auf die hohe Anzahl der Stud­ ierenden besonders nach der Einführung des Zweifachstudiums und die damit zusammenhän­

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lig ungenügende Besetzung des Instituts“ mit Lehrkräften, schlechte Vorkenntnisse der Studierenden, mäßige Zwischenprüfungsergebnisse und Probleme bei der Nachwuchsrekrutierung, da „der gesamte Lehrbetrieb des Instituts (einschließlich Vorlesungen) fast ganz von Angehörigen des wissenschaftlichen Nachwuchses ge­ tragen werden“ muss.229 So Frings, der auch im Zusammenhang mit der Teilung des Instituts auf die sehr hohen Arbeitsbelastungen für ihn als Direktor eines Ge­ samtinstituts hinwies. Eine Aufteilung der Führungsaufgaben innerhalb der Germa­ nistik sollte also auch der Entlastung Frings’ dienen, der immerhin kurz vor der Emeritierung stand. Nicht zuletzt trug diese Aufteilung der Vergrößerung des Instituts seit Ende der 1940er Jahre Rechnung. Bis dahin war die Neuere Abteilung eine zwar große, aber überschaubare Einheit gewesen. Nun hatte sie sich so weit ausdifferenziert, dass sie drei Unterabteilungen umfasste.230 Für die Veränderungen waren also arbeitsöko­ nomische Überlegungen mindestens ebenso mitverantwortlich wie die tatsächli­ chen Spannungen zwischen Frings und Mayer. Zusammenfassend zeigt sich (nach einer Phase bemerkenswerter Kontinuität), dass die entscheidende institutionelle Veränderung innerhalb der Leipziger Germa­ nistik der Auf­ und Ausbau der Neuesten Literaturgeschichte war. Diese wurde durch einzelne Lehrveranstaltungen Ende der 1940er Jahre vorbereitet, 1951 durch die Einrichtung einer eigenen Abteilung und Professur forciert und kann mit der Einrichtung eines eigenen Instituts innerhalb der Germanistik 1956 als vorläufig abgeschlossen gelten. Zwar war dieser Prozess stark an Hans Mayer gebunden, doch keineswegs allein von ihm abhängig. Der Sonderfall einer institutionellen Dreiteilung bestand bis zur III. Hochschulreform 1968, dann wurde sie in die Sek­ tion „Germanistik und Kulturwissenschaften“ überführt.231 2.3 Tief greifende Zäsuren und die besondere Rolle des akademischen Nachwuchses in Berlin Im Vergleich zu Leipzig und Jena war die Ausgangssituation der Germanistik in Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg bemerkenswert schlecht. Gab es dort teilweise oder gar nicht versehrte, in jedem Fall jedoch funktionierende Gebäude, Bibliothe­ ken und Strukturen, so gab es hier kaum etwas, auf dem man hätte aufbauen kön­ nen. Der Marstall, in den die Germanistik während des Krieges umgezogen war, genden Belastungen des Institutsdirektors beantragt der bisherige Direktor die Aufteilung des Instituts.“ Schreiben von T. Frings an den Dekan der Phil. Fak. der KMU vom 16. Dezember 1956, in: UAL, Phil. Fak. B2 / 22:38, Bl. 5. Vor diesem Hintergrund muss auch die Ausglie­ derung der Anglistik, ihre institutionelle Entkopplung, als Schritt zu einer Reduzierung des stark vergrößerten Germanistischen Instituts gesehen werden. 229 Jahresbericht 1960 / 61 der Abteilung für deutsche Philologie des Instituts für Deutsche und Germanische Philologie der KMU vom 22. September 1961, in: UAL, Phil. Fak. B 1 / 14:16a, Bl. 421– 431. 230 Das Institut vereinte die Abteilungen für Neuere deutsche Literatur, Neueste deutsche Literatur und Außerdeutsche Literaturen. 231 Vgl. G. Öhlschläger / L. Stockinger, Germanistik, S. 552–560.

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war zerstört, die Seminarbibliothek ausgelagert.232 Keiner der vormaligen Dozen­ ten war mehr vor Ort; sie waren alle entweder aus dem Kriegsdienst nicht nach Berlin zurückgekehrt oder aufgrund ihrer NSDAP­Mitgliedschaft entlassen wor­ den. Dieses spezifische Vakuum hatte Auswirkungen auf die Entwicklung der fol­ genden Jahre. Dabei spielten in Berlin Studierende und Nachwuchswissenschaftler von Anfang an eine wichtigere Rolle beim Wiederaufbau als in Jena oder Leipzig, wo die ersten Weichenstellungen in den Händen traditioneller Kräfte gelegen hat­ ten.233 Die treibende Kraft in der unmittelbaren Nachkriegszeit war die ehemalige Berliner Germanistikstudentin Sophie­Charlotte Enick.234 Sie arbeitete als Lehrerin an der deutschen Schule der Sowjetischen Militäradministration in Karlshorst und verfügte über notwendige Kontakte. Sie erhielt von der Interimsverwaltung der Universität die Vollmacht, sich um die Belange des Germanistischen Instituts zu bemühen. Angesichts der chaotischen Zustände in Berlin im Sommer 1945 ist es beachtlich, dass sie nicht nur Räume fand, in denen sich die verstreuten Germanis­ tikstudierenden treffen konnten, sondern auch den ehemaligen Lektor für Nieder­ ländisch ausfindig machte. Dieser hielt dann ab August 1945 – Monate vor der Wie­ dereröffnung des Instituts – wöchentlich eine einführende Lehrveranstaltung ab. Die offizielle Wiedereröffnung erfolgte im Februar 1946.235 Nun übernahmen wie­ der fachlich etablierte Kräfte die Verantwortung. Dennoch: Die tief greifende Zäsur hatte auch längerfristige Folgen und schlug sich nicht zuletzt in dem frühen Erfolg der sozialistisch geprägten Nachwuchswissenschaftler Ende der 1950er Jahre nie­ der, wie später zu zeigen sein wird. Zunächst aber setzte die Fakultät alles daran, die Germanistik als Lehr­ und Ausbildungsfach wiederherzustellen. Rufe auf Professuren für Deutsche Sprache und Literatur ergingen an Werner Simon und Hermann Kunisch. Die Besetzung der anderen Fachbereiche (Nordistik, Niederdeutsch und Theaterwissenschaft) konnte hingegen zunächst nicht gelingen. Doch selbst in der Kerngermanistik war die Sta­ bilität nur eine scheinbare. Vor allem die Gründung der Freien Universität im ame­ rikanischen Sektor 1948 hatte die Berliner Universität empfindlich getroffen; auch von den Germanisten verließen einige (Professoren wie Studierende) das Institut Richtung Westen.236 Um die personellen Verluste zu kompensieren, ging das Fach in den folgenden Jahren verschiedene Wege: Es suchte weiter nach geeigneten Pro­ fessoren und gewann 1950 Leopold Magon als Nachfolger von Kunisch. Magon erhielt einen umfassenden Lehrauftrag und wurde Professor für Neuere deutsche und nordische Philologie sowie Theaterwissenschaft. In seiner Person sollte so ein großer Teil des wissenschaftlichen Spektrums der Berliner Germanistik aus den 1920 / 30er Jahren zusammengefasst werden. Darüber hinaus bemühte sich die Ber­ 232 Sie musste aus dem weit entfernt gelegenen Altreetz / Oderbruch zurückgeholt werden. 233 Vgl. zur Situation der Germanistik in Berlin im Jahr 1945 H. Jacob, Brücken und Brüche. 234 Enick hatte von 1940 bis 1947 (unterbrochen durch Studienaufenthalte in Straßburg und Hel­ sinki) in Berlin Germanistik studiert; zwischen 1948 und 1951 war sie wissenschaftliche Assis­ tentin bei Werner Simon. Vgl. ebd., S. 843–844. 235 Seit Januar war die Germanistik in der Dorotheenstraße 85 untergebracht, wo sie zunächst über einen Übungsraum, zwei Seminarräume und drei Dozentenzimmer verfügte. Vgl. ebd., S. 843. 236 Vgl. E. Stoye­Balk, Antifaschistisch­demokratische Umgestaltung, S. 854.

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liner Germanistik um Gastprofessoren, etwa Hans Mayer oder Johannes Erben.237 Und nicht zuletzt band man (wie schon in den 1920er Jahren) verstärkt außerplan­ mäßige Lehrkräfte, also Assistenten bzw. Aspiranten, in die Lehre mit ein. Anfang der 1950er Jahre hatten sich die Strukturen gefestigt: Das Germanistische Institut untergliederte sich nun in die Bereiche Nordische Philologie,238 Deutsche Philolo­ gie und Sprechkunde.239 Die Etablierung der von der DDR­Führung geförderten Literatur des 20. Jahr­ hunderts und der Gegenwart erfolgte in Berlin im Jahr 1956. Die Leitung der Abtei­ lung für Neueste deutsche Literatur bzw. Gegenwartsliteratur übernahm Alfred Kantorowicz, der aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrt war und seit 1949 in Berlin lehrte.240 Die Einrichtung der Abteilung wurde von allen Beteiligten mit großer Intensität vorangetrieben. Bereits 1953 war sie vom zuständigen Referenten des Staatssekretariats als „dringlich an die Direktoren des Germanistischen Instituts […] herangetragen und von diesen gutgeheißen“241 worden. Die geforderten perso­ nellen Ressourcen (vier Assistenten, die für „die Forschungsaufgaben besonders dringlich sind“242) konnten zwar zunächst nicht finanziert werden,243 doch brachten die folgenden Jahre einen intensiven Ausbau. Im Studienjahr 1960 / 61, nur vier Jahre nach Gründung der Abteilung, banden die Forschungsschwerpunkte zur Ge­ genwartssprache bzw. zur Entwicklung sozialistischer Literatur mit knapp 20 Per­ sonen etwa die Hälfte der Kräfte des gesamten Instituts.244

237 Im Jahr 1951 kam Hans Mayer zu Vorlesungen nach Berlin. Johannes Erben, hauptamtlich an der Akademie der Wissenschaften zu Berlin tätig, erhielt 1953 und 1954 Lehraufträge für Äl­ tere deutsche Philologie. 238 Einen eigenen Lehrstuhl erhielt die Nordistik erst 1961 mit der Berufung von Gerhard Scholz. Bis dahin wurde sie vor allem durch Magon sowie Lektoren vertreten. Seit Kriegsende hatte in der Nordistik der SBZ und DDR eine Neuorientierung von der traditionellen Altnordistik zur Neueren Skandinavistik stattgefunden, die nun verstärkt kulturgeschichtliche, gegenwartsspra­ chliche und ­literarische Themen in den Vordergrund rückte. Institutionell wurde die Nordistik der DDR 1969 in Greifswald konzentriert. Zur kulturpolitischen Funktion der Nordistik in der DDR vgl. O. Reincke, Vorlesung, S. 863. 239 Die Theaterwissenschaft war durch die Berufung Magons 1950 wieder ins Leben gerufen worden. 1960 erfolgte ihr Umbau in ein eigenständiges Institut unter der Leitung des zu diesem Zeitpunkt bereits emeritierten Magon. Vgl. Jahresbericht 1960 / 61 des Instituts für Theaterwis­ senschaft an der Humboldt­Universität zu Berlin, in: UA der HUB, Phil. Fak. nach 1945, Nr. 51, unpag. Vgl. zur Entwicklung der Theaterwissenschaft in Berlin nach 1945 zudem L. Harders / N. Seltsam, Spurensuche, S. 318–323. 240 Bereits 1949 war Kantorowicz zum Professor mit Lehrauftrag im Germanistischen Institut er­ nannt worden, 1952 folgte die Ernennung zum Professor mit vollem Lehrauftrag für (nun ex­ plizit) Neueste deutsche Literatur. Vgl. K. Hermsdorf, Alfred Kantorowicz. 241 Schreiben von L. Magon an W. Harig / Staatssekretär für Hochschulwesen vom 20. Septem­ ber 1954, in: UA der HUB, Phil. Fak. nach 1945, Nr. 51, unpag. 242 Ebd. 243 Als die Abteilung dann 1956 gegründet wurde, wurden zwar vier Stellen genehmigt, jedoch nur eine finanziert und besetzt. 244 Vgl. Jahresbericht 1962 von H.­G. Thalheim vom 27. Mai 1963, in: UA der HUB, Phil. Fak. nach 1945, Nr. 51, unpag.

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Doch nicht nur der rasante personelle Ausbau dieses Forschungsbereichs ist bemerkenswert,245 sondern auch die Entwicklung der Personalstruktur insgesamt. Diese hing mit der Tatsache zusammen, dass die „bürgerlichen“ Kräfte die Germa­ nistik in Berlin eher verließen als in Jena oder Leipzig. Damit machten sie Platz für den (stark sozialistisch geprägten) Nachwuchs. Ein erster Einschnitt war die Grün­ dung der Freien Universität. Ebenfalls nachhaltig wirkte sich der personelle Ader­ lass Mitte der 1950er Jahre aus: 1955 wurde Magon emeritiert, Werner Simon ver­ ließ im gleichen Jahr die DDR. Damit waren beide Professuren auf einen Streich unbesetzt, die Kerngermanistik verwaist, das Institut führungslos. Daraufhin über­ nahm Kantorowicz zwar die Leitung des Instituts, doch verließ auch er das Land zwei Jahre später, womit auch seine Professur vakant war. Dieses personelle Va­ kuum machte einen scharfen Generationswechsel nicht nur möglich, sondern not­ wendig. In dieser Situation kamen die Nachwuchswissenschaftler zum Zuge, die seit Ende der 1940er Jahre in Berlin ausgebildet worden waren. Angesichts von Führungslosigkeit und Personalmangel übernahmen sie „in kollegialer Zusammen­ arbeit […] die Leitung des Instituts.“246 Fasst man die Entwicklungen in Berlin zusammen, so verlief die institutionelle Entwicklung zunächst in traditionellen Bahnen. Zugleich erfolgte jedoch der für diese Zeit typische Generationswechsel im Wissenschaftssystem in Berlin gerafft. Dies hing zum einen mit den besonderen Umständen am Institut in den 1940er und 1950er Jahre zusammen. Zugleich gab es dort allerdings auch die Tradition, nicht planmäßige Lehrkräfte in die Lehre maßgeblich einzubinden. In den 1920er und frühen 1930er Jahren konnte man auf diese Weise den Ansturm der Studierenden bewältigen. Und auch nach 1945 war die Einbeziehung des akademischen Nach­ wuchses eine wichtige Voraussetzung, um die Lehre aufrechtzuerhalten. Doch durch die besondere wissenschaftspolitische Situation der Nachkriegszeit (geprägt durch Personalmangel, Abwanderungsprozesse sowie der Aufweichung traditionel­ ler akademischer Hierarchien) unterschied sich die Situation von der in den vorhe­ rigen Dekaden. Vor diesem Hintergrund wurde es für den wissenschaftlichen Nach­ wuchs in dieser Phase erstmals möglich, aus seiner Tätigkeit im Wissenschaftssys­ tem auch Ansprüche abzuleiten und zu realisieren. Zwischenfazit Die institutionell­strukturellen Entwicklungen nach 1945 waren in Leipzig, Berlin und Jena abhängig von der jeweiligen Ausgangslage, den zur Verfügung stehenden Ressourcen und den am Wiederaufbau beteiligten Akteuren. In der Regel versuchte man, institutionell an den status quo ante anzuknüpfen, also an die Institutsstruktur von vor 1933. Dies bedeutete vor allem die Sicherung der Kerngermanistik, was 245 Zur institutionellen Entwicklung des Germanistischen Instituts in Berlin zwischen 1945 und Mitte der 1950er Jahre vgl. Grafik IX im Anhang. 246 Rechenschaftsbericht zur 150­Jahrfeier vom 15. September 1960, in: UA der HUB, Phil. Fak. nach 1945, Nr. 55, Bl. 21–26, hier Bl. 24. Vgl. zu den personellen Konsequenzen dieser Ent­ wicklung Kap. B I 3.3.

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allen drei Instituten auch gelang. Mit Blick auf die bis dato erlangte Ausdifferenzie­ rung der Institute gab es lokale Unterschiede. Knüpfte die Leipziger Germanistik fast nahtlos an die Institutsstruktur der 1920er Jahre an, mussten sich die Berliner Germanisten aufgrund von Personalmangel zunächst auch institutionell beschei­ den. Die Jenaer Germanistik hingegen setzte auf einen intensiven Ausbau und ver­ fügte zwischenzeitlich über elf Abteilungen. Ähnlichkeiten gab es an den drei Instituten auch hinsichtlich des Aus­ und Auf­ baus von Abteilungen für Neueste deutsche Literaturwissenschaft, die als Ausbil­ dung der „fortschrittlichen Germanisten“ besonders gefördert wurde. Dieser Pro­ zess setzte 1946 ein, wurde verschiedentlich forciert und führte zur Besetzung von Professuren und Lehrstühlen. Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre war er in Leipzig, Berlin und Jena durch Einrichtung entsprechender institutioneller Lehr­ und Forschungsstrukturen vorerst abgeschlossen. Zugleich verlief dieser Prozess an den drei Instituten unterschiedlich und war wiederum abhängig von den vorherr­ schenden Konstellationen. Die Einrichtung dieser Abteilungen wurde von den „bürgerlichen“ Kräften als institutioneller Bruch mit dem akademischen Selbstver­ ständnis und der Institutstradition empfunden. Dies führte besonders dann zu Kon­ flikten, wenn die bürgerlichen Kräfte dominierten. So in Leipzig, wo sich das Fach­ institut als kleinste Einheit des Hochschulwesens lange als beharrendes „Macht­ feld“ behaupten konnte, während es innerhalb der Universitäten, Fakultäten und in der Hochschulpolitik grundlegende Veränderungen gegeben hatte. Weniger kon­ fliktreich verlief die Besetzung entsprechender Stellen in Berlin und Jena, wo die Personalsituation sehr angespannt war und es keine entsprechenden „Gegner“ gab.

ZUSAMMENFASSUNG In diesem Kapitel ging es um die institutionell­strukturellen Bedingungen der Ger­ manistik, mithin um den Rahmen der alltäglichen Interaktion in der Wissenschafts­ praxis. Generell zeigt sich, durch den seit der Jahrhundertwende erhöhten Zustrom zum Studium, ein sukzessiver Ausbau der Germanistischen Institute. Im Detail ist es beachtlich, wie stringent dieser erfolgte – obwohl die Studierendenzahlen, die Zuwendungen der Volksbildungsministerien, die Situation auf dem Arbeitsmarkt, aber auch das Ansehen der akademischen Ausbildung starken Schwankungen aus­ gesetzt waren. Da es beim Ausbau auch immer um finanzielle und materielle Res­ sourcen, um Gelder, Stellen und Bibliotheksbestände geht, stellte sich auch in diesem Kontext die Frage nach der Verflechtung der Institute mit Politik. In der Weimarer Republik blieb das überkommene Balanceverhältnis zwischen Wissen­ schaft und Politik weitgehend bestehen. Die Volksbildungsminister der demo­ kratisch gewählten Landesregierungen machten keine institutionellen Vorgaben, sondern begnügten sich im Wesentlichen mit der Rolle des Geldgebers. Anders sah es im Dritten Reich aus, als die politischen Akteure eine Mitbestim­ mung in institutionellen Fragen anstrebten. Deutlich wurde dies am Beispiel der von Vertretern der NS­Studentenschaft geforderten Neuordnung der Leipziger Ger­ manistik. Diese scheiterte zwar, jedoch wurde eine Reihe von Vorschlägen (wie die akademische Etablierung der Volkskunde) durchaus in die Praxis überführt. Für das Dritte Reich lassen sich so konkrete Formen von Kooperation innerhalb des beste­ henden institutionellen Rahmens festhalten: Überschnitten sich politische Forde­ rungen mit den Überlegungen der traditionellen Professorenschaft, dann waren auch institutionelle Veränderungen möglich. Hier zeigt sich deutlich die Gleichzei­ tigkeit von institutioneller Stabilität, mittelfristigen Veränderungen und kurzfristi­ gen politischen Eingriffsversuchen. Das Jahr 1945 war auch mit Blick auf die Institutsstruktur ein tiefer Einschnitt. Die Räumlichkeiten waren vielfach zerstört, Bibliotheken ausgelagert, das Personal dezimiert. Abhängig von den lokalen Bedingungen führte die Zäsur zu bemerkens­ werten Entwicklungen. In Jena erfolgte eine bisher nicht gekannte Aufblähung des Instituts. In Leipzig dominierte das Moment der Restauration und in Berlin ver­ suchte man auf verschiedenen Wegen das personelle Vakuum zu überbrücken. Trotz der sehr unterschiedlichen Ausgangssituationen konnten sich mittelfristig die alten Strukturen wieder etablieren – mit entsprechenden Lehrgebieten, Abteilungen und Hierarchien. Doch auch die DDR erhob einen ideologisch motivierten Anspruch auf Wissenschaft, der sich allmählich und mit der III. Hochschulreform 1968 end­ gültig auch auf institutioneller Ebene durchsetzte. Mittelfristig bedeutete die Etab­ lierung der Gegenwartsliteratur als Lehr­ und Forschungsgegenstand den tiefsten institutionellen Einschnitt. Denn die Schaffung neuer Strukturen mit eigenen Abtei­ lungen, Lehrstühlen und Zuständigkeiten hieß vor allem, dass traditionelle Berei­ che beschnitten wurden, was zum Teil zu heftigen Auseinandersetzungen führte. Bei allen lokalen Differenzen zeigt der Blick auf die institutionelle Entwick­ lung einen Prozess, der von Trägheitsmomenten und Langfristigkeiten ebenso ge­ prägt gewesen ist wie von Einflussversuchen und tatsächlichen Veränderungen. Dabei zeigt sich über den gesamten Untersuchungszeitraum ein intensives Inter­

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agieren von wissenschaftlichen und (hochschul­) politischen Akteuren – ein Konti­ nuum von Verflechtung und gegenseitiger Inanspruchnahme. Gleichzeitig nahm der politische Einfluss auf das Beharrungsfeld Institution im Laufe der Zeit zu und führte im Zuge der III. Hochschulreform zu einem grundlegenden Wandel auch dieses Bereiches im Wissenschaftssystem.

B GERMANISTENLEBEN.1 AKADEMISCHE PRAXIS UND WIRKLICHKEIT

Im Zentrum des zweiten Teils stehen die Germanisten (und wenigen Germanistinnen), die in Leipzig, Berlin und in Jena in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelehrt und gewirkt haben. Der Fokus liegt auf den handelnden Akteuren im wissenschaftlichen Feld, auf ihren Handlungsbedingungen und -motiven vor dem Hintergrund politisch-gesellschaftlicher Veränderungen. Durch eine detaillierte und kritische Beobachtung der Germanisten in ihrem Umfeld sollen die wissenschaftshistorischen Prozesse und ihre Wechselbeziehung zur jeweiligen außeruniversitären Wirklichkeit erkennbar werden. Von besonderem Interesse sind dabei die personellen Entwicklungen sowie ihr Zusammenhang mit politischen Machtansprüchen einerseits und der „Selbstmobilisierung“ der Wissenschaft andererseits. Ausgangspunkt für die Untersuchung der Personalentwicklung ist das umfangreiche Personenensemble der drei Institute während knapp 40 Jahren. Auf diese Weise kommen drei personelle Grundbewegungen in den Blick. Dies sind Berufungen, Abgänge bzw. Entlassungen sowie personelle Kontinuitäten. Für ihre Untersuchung sind vier Faktoren zu berücksichtigen. Dabei handelt es sich um natürliche Faktoren (Alter, Tod, Krankheit), soziale Faktoren (Geschlecht, Konfession, soziale Herkunft), akademische Faktoren (Reputation, Anschlussfähigkeit an das herrschende wissenschaftliche Paradigma, Verinnerlichung des akademischen Habitus) sowie politische Faktoren (Bekenntnis zur politischen Ordnung bzw. Parteimitgliedschaft, zugeschriebene Rassezughörigkeit). Der Personalentwicklung als analytischem Ausgangspunkt entspricht die Gliederung von Teil B in drei große Kapitel, die in sich chronologisch untergliedert sind. Diesen Unterkapiteln geht ein Überblick über die jeweils generelle personelle Entwicklung voraus. Dem schließen sich – konzentriert auf je eigene Fragestellungen – ausführliche Einzelbeobachtungen an, die die jeweilige „Grundbewegung“ zum Ausgangspunkt nehmen, darüber hinaus aber auch die Vorgeschichten und Folgen, mithin die Biographien der Akteure beleuchten.

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Der Titel dieses Kapitels ist orientiert an dem Buchtitel Gelehrtenleben. Wissenschaftspraxis in der Neuzeit, einem Sammelband, der von Alf Lüdtke und Reiner Prass herausgegeben wurde.

I DAS PRINZIP BERUFUNG. AKADEMISCHE ZUGANGSPROZESSE Berufungen sind und waren wichtige Entscheidungen im akademischen Prozess. Sie stellen langfristig die Weichen für die weitere Entwicklung von Fach oder Institut. Ein Ordinariat bzw. ein Lehrstuhl gilt und galt als Höhepunkt einer akademischen Karriere – entsprechend heikel ist der Auswahlprozess. Das Verfahren selbst war im letzten Jahrhundert diversen Veränderungen unterworfen, zugleich gelten einige Paradigmen bis heute.2 Berufungsverfahren lassen zunächst immer Rückschlüsse auf die Kandidaten zu, über die in Sitzungen diskutiert wird und zu denen Fachgutachten eingeholt werden. Wie sieht es mit der fachlichen Leistung aus? Welche Publikationen kann der Kandidat vorweisen? Wie steht es mit seinen Lehrfähigkeiten, welche Wirkung hat er auf die Studierenden? Was ist er für eine Persönlichkeit, lässt sich mit ihm gut zusammenarbeiten, gilt er als kollegial oder egozentrisch? Der Kandidat selbst steht als Objekt der Verhandlungen also in deren Mittelpunkt, und das war auch in der Vergangenheit so.3 Der zweite wichtige Bestandteil in Berufungsverfahren sind die Auswahlakteure. Hier zeigen sich nicht nur im Vergleich zu heute einige Unterschiede, sondern auch im Laufe des Untersuchungszeitraums selbst. Traditionell, also seit dem 19. Jahrhundert, waren es ausschließlich die Ordinarien, die in Berufungskommissionen zusammenkamen. In der Weimarer Zeit wurden sie von der Fakultät ausgewählt, im Dritten Reich vom Dekan bestimmt. Auch in der DDR ging die Berufungskommission aus der Fakultät hervor. Allerdings hatte sich zu diesem Zeitpunkt deren Zusammensetzung so verändert, dass nun auch Nicht-Ordinarien am Entscheidungsprozess teilnahmen.4 Neben den Fakultäten waren an dem Verfahren zudem die zuständigen Volksbildungsministerien der Länder als Finanzträger beteiligt. Dies galt für die Weimarer Zeit, trotz Zentralisierungsbestrebungen im Wesentlichen auch für den Nationalsozialismus sowie (bis zur Auflösung der Länder 1952)

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Vgl. U. Felt / H. Nowotny / K. Taschwer, Wissenschaftsforschung. Idealerweise (und dies lässt sich gut an Gutachten als Quelle studieren) suchte die Fakultät einen renommierten Forscher, der zugleich hervorragender und anregender Lehrer und zudem ein guter Kollege sein sollte. Hinter diesen Ansprüchen standen weitergehende Intentionen: Als Forscher sollte der Berufene die Reputation des Instituts und der Universität mehren; als Lehrer auf die Studierenden anziehend wirken und dazu beitragen, die Studierendenzahl zu erhöhen, die vielfach als wichtiger Maßstab für das Ansehen der Universität galt. Als Kollege sollte er sich in die bestehenden Instituts- und Fakultätsstrukturen und -hierarchien einbinden lassen, sie bereichern, aber nicht in Frage stellen. De facto kamen die drei Ansprüche wahrscheinlich nie in einer Person überein, denn „es kann jemand ein ganz hervorragender Gelehrter und ein geradezu entsetzlich schlechter Lehrer sein. […] Nun liegen aber die Dinge so, dass unsere Universitäten, zumal die kleinen Universitäten, untereinander in einer Frequenzkonkurrenz lächerlichster Art sich befinden. […] die Hörerzahl [wird] ein ziffernmäßig greifbares Bewährungsmerkmal, während die Gelehrtenqualität unwägbar und gerade bei kühnen Neuerungen (und ganz natürlicherweise) umstritten ist.“ M. Weber, Wissenschaft als Beruf, S. 587. Vgl. R. Jessen, Akademische Elite, S. 77–78.

Das Prinzip Berufung

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für die SBZ / DDR.5 Die Ministerien überprüften die Kandidaten und leiteten die Berufungsverhandlungen. Als dritter am Auswahlprozess beteiligter Akteur sind die zentralen bildungs- und hochschulpolitischen Instanzen zu nennen, die nach 1933 bzw. 1945 gegründet worden waren, sprich das 1934 geschaffene Reichserziehungsministerium (REM) und die 1945 durch die Sowjetische Militäradminis­ tration in Deutschland (SMAD) eingerichtete Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung (DVV). Beide Instanzen hatten eine umfassende Kontrollfunktion inne; eine Berufung ohne ihre Bestätigung war nicht möglich.6 Wissenschaftshistorisch gesehen, sind Berufungsverhandlungen ein hervorragendes Untersuchungsfeld, um die Interessenlagen der Auswahlakteure, bestehende Hierarchien, das Verhältnis der Fakultäten zu den zuständigen Ministerien sowie den Status des Fachs und seiner Vertreter nachzuzeichnen. Fragt man aus Sicht der Fakultäten, könnte es beispielsweise darum gehen, ob man einen innovativen Geist an Institut und Fakultät holen möchte oder eher jemanden, der Altbewährtes fortsetzt? Wird ein einflussreicher Wissenschaftsorganisator favorisiert, der seine Macht auch institutionell einsetzt? Oder eher jemand, der vor allem inhaltlich hervorgetreten ist, von dem man jedoch wenig Machtanspruch erwarten kann? Oder – geht man von allen Auswahlakteuren aus – gab es soziale, konfessionelle, politische oder persönliche Vorbehalte bzw. Fürsprachen, die Einfluss auf ein Verfahren hatten? Neben der Frage, wer wen warum auswählte, ist das Berufungsverfahren selbst von Interesse. Traditionell verlief es nach folgendem Muster: Sollte eine Stelle neu besetzt werden, wurden durch die Fakultät Kandidaten vorgeschlagen. Diese wurden in einer Kommission, die ausschließlich aus Ordinarien bestand, auf der Grundlage von (meist externen) Gutachten diskutiert. Aus der Diskussion ging in der Regel eine Dreierliste hervor. Diese wurde im akademischen Senat vorgestellt, gegebenenfalls diskutiert, um Sondervoten mit zusätzlichen Kandidaten erweitert und danach an das zuständige Kultusministerium weitergeleitet. Dies prüfte, ob die Vorschläge realisierbar waren. Es konnte zudem eigene Kandidaten vorschlagen und von der Fakultät eine Stellungnahme zu diesen einfordern. Auf Grundlage der so zustande gekommenen Liste nahm das Ministerium Kontakt zu den Kandidaten auf, verhandelte mit ihnen und vollzog – so man sich über Gehalt, Kolleggeldgarantie, Wohnung, Aufstiegsoptionen, Freisemester für wissenschaftliche Forschungstätigkeit usw. geeinigt hatte – die Berufung.7 Dieses Berufungsprozedere blieb im Wesentlichen trotz der wachsenden Einflussnahme politischer Instanzen bis in die 1950er Jahre bestehen.8 Danach wurde 5 6

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Vgl. zum Kulturföderalismus zusammenfassend M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 54 –62. Zum REM vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 89–94, sowie A. C. Nagel, Hitlers Bildungsreformer. Die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung (DVV) war das deutsche Pendant und Vollzugsorgan der Abteilung Volksbildung der SMAD. Sie wurde am 27. Juli 1945 auf Befehl der SMAD gegründet und im Oktober 1949 aufgelöst. Vgl. H. A. Welsh, Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung. Vgl. S. Paletschek, Die permanente Erfindung einer Tradition, S. 320–321. Versuche, auf diesen sensiblen Bereich politisch Einfluss zu nehmen, gab es seit dem 19. Jahrhundert, als unter dem „System Althoff“ ein staatlicher Gestaltungswille in hochschulpoliti-

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es durch ein zentralisiertes, politisch kontrolliertes Kaderauswahlverfahren abgelöst. Bis dahin jedoch lief die Vorauswahl der Kandidaten meist über die traditionellen Rekrutierungsmechanismen und lag in der Hand der Ordinarien bzw. Fakultäten. Dies resultierte aus den gewachsenen Strukturen des Wissenschaftssystems seit dem 19. Jahrhundert, die als Garanten für eine funktionierende Wissenschaft galten. Bereits an dieser Stelle ist festzuhalten, dass das Funktionieren der Wissenschaft ein zentrales Bestreben aller beteiligten Kräfte war, nicht nur der wissenschaftlichen, sondern auch der politischen. Eine zügige Neubesetzung einer vakanten Stelle war im Interesse aller, denn nur so konnte die Fortführung der Lehre und Forschung, die Betreuung der Studierenden und die Bewältigung anstehender Verwaltungsaufgaben garantiert werden. Ein weitgehend unkomplizierter Verlauf wurde dann möglich, wenn es weder Vorbehalte von politischer Seite noch grundlegende Meinungsverschiedenheiten zwischen Fachvertretern und Fakultät, Fakultät und Volksbildungsministerium oder zwischen Ministerium und Kandidat gab. Möchte man die konkrete Berufungspraxis der Germanistik, Veränderungen und Kontinuitäten bis in die frühen 1960er Jahre beobachten, ist es notwendig, einen Bezugspunkt festzulegen. Ein solcher kann auf Grundlage der Berufungsverfahren während der Weimarer Republik konstruiert werden, da diese noch weitgehend in der Tradition des 19. Jahrhunderts verliefen und kaum von politischen und sozialen Veränderungen betroffen waren. Ausweis einer solchen Berufungsnormalität ist zunächst eine Reihe normaltypischer Parameter: So musste die Vakanz regulär zustande gekommen, der Vorgänger planmäßig emeritiert, wegberufen oder aus natürlichen Gründen ausgeschieden sein. Ein auf diesem Wege reguläres Zustandekommen der Vakanz war unmittelbare Voraussetzung dafür, dass das Nachfolgerverfahren geplant und berechenbar erfolgen konnte. Darüber hinaus musste der Nachfolgekandidat über bestimmte fachliche Voraussetzungen und Insignien verfügen. Er musste habilitiert sein, sich fachlich ausgewiesen und erfolgreich gelehrt haben. Nicht zuletzt erfolgte die Auswahl der Kandidaten nach bestimmten sozialen Kriterien: Sie waren ausschließlich männlich, stammten aus bürgerlichen Familien und waren christlicher Religion. Das Durchschnittsalter zum Zeitpunkt ihrer Berufung lag bei 42 Jahren. Politisch zeichneten sie sich durch ein nationalkonservatives, seltener ein national-liberales Weltbild aus9 (vgl. Tabelle II im Anhang). Normalerweise kam ein Kandidat nur auf die Berufungsliste, wenn er diese Merkmale auf sich vereinen konnte. Die Fakultät setzte ihren Favoriten dann an die erste Stelle der Liste, und idealerweise wurde der Favorit auch berufen. Verliefen die nachfolgenden Verhandlungen mit dem Ministerium problemlos, dauerte das Verfahren von der Vakanz bis zur Neuberufung etwa sechs Monate. Das heißt zusammenfassend, dass eine reguläre Vakanz, die Planbarkeit des Verfahrens, die wis-

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schen Fragen deutlich wurde. Fortan herrschte ein „labiles Gleichgewicht“ im Verhältnis beider Akteure. Dabei war es im Wesentlichen vom Formungswillen des jeweiligen Ministers abhängig, wie stark die Rolle der Politik sein sollte. Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 54 –62. In den Weimarer Jahren gab es klare Vorbehalte gegenüber sozialdemokratischen, linksliberalen sowie katholischen Dozenten, sodass es (zumindest in der Germanistik) unüblich war, sie zu berufen. Zur politischen Position der Professoren in der Weimarer Republik vgl. Kap. B III 1.

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senschaftliche Ausgewiesenheit und soziale Kompatibilität der Kandidaten, relativ konfliktfreie Verhandlungen innerhalb der Fakultät und mit dem Ministerium sowie eine überschaubare und angemessene Dauer des Verfahrens die wesentlichen Merkmale eines normaltypischen Berufungsverfahrens waren.10 Die tatsächliche Berufungspraxis während des Untersuchungszeitraums konnte sich aufgrund einer Reihe möglicher Abweichungen von diesem Ablauf unterscheiden. Ein wichtiger Indikator, um solche Abweichungen zu erkennen, ist die Zeit, welche die Berufungsverhandlungen dauerten, um Gespräche zu führen, Gutachten einzuholen und mit dem Ministerium sowie dem Kandidaten zu verhandeln. Verfahren, die länger oder kürzer als die üblichen sechs Monate dauerten, verweisen auf Probleme und Spannungen. Die Gründe für Abweichungen vom normaltypischen Verlauf konnten sehr verschieden sein und mit institutionell-strukturellen Zwängen, mit fachlich-methodischen Differenzen sowie mit politischen Aspekten zusammenhängen. 1 Zwischen Tradition und Innovation. Berufungsverhandlungen im Kontext der „geistesgeschichtlichen Wende“ in Kaiserreich und Weimarer Republik Im folgenden Kapitel, das sich mit der Berufungspraxis in der Weimarer Republik beschäftigt, liegt der Schwerpunkt auf den fachlichen Auseinandersetzungen. Diese hängen unmittelbar mit dem zentralen Paradigmenwechsel in der Germanistik im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zusammen, der sogenannten geistesgeschichtlichen Wende. Fachliche Differenzen in dieser Intensität waren eine Besonderheit der 1910er und 1920er Jahre. Um dies deutlich zu machen, wird im Folgenden zunächst die Berufungsnormalität in der Weimarer Zeit an den drei Germanistischen Instituten skizziert. An diesen fanden zwischen 1919 und 1933 18 Berufungen statt, die überwiegend weitgehend konfliktfrei und relativ zügig verliefen. Die Vakanzen waren meist regulär zustande gekommen, die Verfahren verliefen spannungsfrei. Die Berufenen waren männlich, bis auf eine Ausnahme habilitiert und stammten in der Mehrzahl aus bürgerlichen, evangelischen Elternhäusern.11 Die wenigen Abweichungen vom normaltypischen Berufungsverlauf hatten unterschiedliche Gründe. Neben methodischen Auseinandersetzungen, auf die noch einzugehen ist, waren sie vor allem pragmatischer Natur und damit situations- und ortsgebunden. Ein wesentlicher Faktor in diesen Jahren war die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage auf dem akademischen Arbeitsmarkt. So führte etwa der Nachwuchsmangel in der Nordistik dazu, dass die Kandidatenlisten mager ausfielen und auch junge Wissenschaftler wie der nicht habilitierte, 27­jährige Konstantin Reichardt berücksichtigt wurden.12 10 11 12

Ein Beispiel für ein solch modellhaftes Verfahren ist die Berufung von Theodor Frings nach Leipzig im Jahr 1927. Einen Überblick über die Berufungen und ihren Ablauf sowie über die soziale und akademische Herkunft der Berufenen bietet Tabelle I im Anhang. Vgl. U. Maas, Verfolgung und Auswanderung, Bd. 1, S. 618.

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Auch strukturell­institutionelle Gegebenheiten konnten Einfluss auf die Wahl der Kandidaten haben. So hatte der Ausbau der Volkskunde in Leipzig Mitte der 1920er Jahre zur Folge, dass man Kandidaten suchte, die sowohl Deutsche Philologie als auch Volkskunde lehren konnten. Dies gewährleistete am besten der bereits vor Ort lehrende Fritz Karg.13 Auch die Notwendigkeit, eine Stelle möglichst schnell wieder zu besetzen, um den Fortgang der Lehre zu gewährleisten, konnte die Berufungsverhandlungen bestimmen – gerade Mitte der 1920er Jahre, als die Zahl der Studierenden in Leipzig und Berlin sprunghaft anstieg. Vor diesem Hintergrund wurde 1921 daher der „ungewöhnliche Entschluss“ gefasst, den erst kurz zuvor habilitierten Friedrich Neumann zum Extraordinarius in Leipzig zu ernennen. Die Leipziger Philosophische Fakultät sah sich zur Eile gezwungen, da eine Reihe der Amtsinhaber kurzfristig ausgefallen war.14 Infolge dauerte das Verfahren nur drei Monate. Nicht zuletzt konnten finanzielle Beschränkungen des Ministeriums den Ausschlag für die Wahl der Kandidaten geben. So in Jena. Dort hatte die Fakultät nach dem Tod von Victor Michels hochtrabende Pläne gehabt. Sie wollte mit einer „ausgeprägten Persönlichkeit“ und „hervorragenden Kraft“ einen Motivations- und Reputationsschub innerhalb des Fachs erwirken, wo – gegen den Trend – die Studierendenzahl stagnierte.15 Die Verhandlungen des Ministeriums mit den Kandidaten zogen sich unüblich lange, ein dreiviertel Jahr, hin. Sie endeten damit, dass das Ministerium nicht bereit war, die finanziellen Lasten, die mit der Berufung der Wunschkandidaten verbunden waren, zu tragen.16 Als Konsequenz wählte das Ministerium in Thüringen die kostengünstigste Variante und ernannte Albert Leitzmann zum Ordinarius, der bereits als Extraordinarius im Beamtenverhältnis stand.17 Selten waren politische Faktoren für Abweichungen vom normaltypischen Berufungsverlauf auszumachen.18 Holger Dainat zählte für die Germanistik in der 13 14 15

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Vgl. zu den Berufungsverhandlungen UAL, PA 619, Bl. 408– 434. Vgl. zu den Berufungsverhandlungen UAL, PA 827, Bl. 5–16. Aufgrund der „außerordentlichen Bedeutung“ des Fachs Germanistik sollte eine entsprechende Lehrpersönlichkeit gewonnen werden – ob sie eher sprachwissenschaftlich oder literaturwissenschaftlich orientiert sei, die Ältere oder die Neuere deutsche Philologie vertrete, war dabei sekundär. Vgl. Vorschlagsbericht der Phil. Fak. der UJ vom 16. Januar 1930, in: UAJ, Bestand BA, Nr. 931, Bl. 80–84, hier Bl. 80. So seien die „Opfer“, die das Ministerium bei der Berufung von Hans Naumann tragen müsste, zu hoch. Auch Karl Viëtor, den seine Universität in Gießen zudem halten wollte, konnte das Thüringische Ministerium kein „ernsthaftes“ Angebot machen. Paul Kluckhohn war das Ministerium im Laufe der Verhandlungen weit entgegengekommen, doch lehnte dieser zuletzt aus „ideellen Gründen“ ab. Vgl. Schreiben des Thüringischen Volksbildungsministeriums an die Phil. Fak. der UJ vom 23. Oktober 1930, in: Ebd., Bl. 170. Vgl. hierzu ausführlich J. Haustein, Albert Leitzmann und Jena. Für fachspezifische Differenzen spricht, dass der Befund zur Germanistik, nach dem die Einflussversuche der politischen Akteure auf die Berufungsentscheidungen gering war, im Gegensatz zu den Ergebnissen von Christian Tilitzki steht, der sich (als einer von wenigen) mit Berufungsfragen in der Weimarer Republik beschäftigt hat. Tilitzki hat für die Personalpolitik im Fach Philosophie während der Weimarer Zeit festgestellt, dass „weltanschaulich-politische Kriterien eine wichtige, häufig ausschlaggebende Rolle“ spielten. Davon ist in der Berufungspraxis in der Germanistik wenig zu spüren. Sie war vielmehr von spezifischen Erwartungen an

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Weimarer Republik insgesamt nur zwei politisch forcierte Oktroyierungen, so die (allerdings gescheiterte) Berufung von Friedrich Gundolf nach Berlin 1920 sowie die von Günther Müller 1930 nach Münster.19 Beide Vorstöße erfolgten unter dem Einfluss des preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker, „der personalpolitischen Schlüsselfigur der Weimarer Zeit“20. Neben diesen Fällen lassen sich für Leipzig und Berlin drei weitere, allerdings weichere Versuche politischer Einflussnahme aufzeigen, nämlich im Rahmen der Berufung der beiden jüdischen Germanisten Georg Witkowski und Max Herrmann nach Leipzig bzw. Berlin 1919 sowie bei der Ernennung Werner Richters zum Ordinarius in Berlin 1932, auf die an anderer Stelle einzugehen ist.21 Nach diesem generellen Überblick über die Berufungspraxis während der Weimarer Republik liegt der Fokus im Folgenden auf der Neugermanistik, der treibenden Kraft des Fachs während dieser Zeit.22 Mit der Neugermanistik kamen methodische Innovationen, die auch auf andere Fachbereiche ausstrahlten. Zentral waren die geistesgeschichtlichen Variationen, die das positivistisch-philologische Paradigma in der Neugermanistik ablösten und so die „geistesgeschichtliche Wende“ einläuteten.23 Die Mehrzahl der etablierten Ordinarien stand diesen Neuerungen skeptisch gegenüber, lehnte sie als unwissenschaftlich ab und versuchte, die aufstrebende Generation von Geistesgeschichtlern von den Lehrstühlen fernzuhalten.

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die Kandidaten und pragmatisch-situativen Bedingungen und somit eher traditionell geprägt. Vgl. C. Tilitzki, Die deutsche Universitätsphilosophie, Bd. 1, S. 348. Vgl. H. Dainat, Zur Berufungspolitik, S. 63. C. Tilitzki, Die deutsche Universitätsphilosophie, Bd. 1, S. 79. Carl Heinrich Becker war von Haus aus Orientalist. Er hatte sich 1902 in Heidelberg habilitiert und lehrte seit 1908 in Hamburg, seit 1913 in Bonn. Seit 1916 war er im Preußischen Kultusministerium tätig, zunächst als Personalreferent, später als Staatssekretär und Kultusminister. Er gehörte keiner Partei an, fühlte sich jedoch der DDP verbunden. Vgl. W. Speitkamp, Erziehung zur Nation, v. a. S. 548– 551. Becker trat mit konkreten Ideen zu einer umfassenden Hochschulreform auf. Er betrieb eine „bewusste Kulturpolitik“, die den nationalen Bedeutungsverlust des Landes nach dem Ersten Weltkrieg kompensieren sollte. Darüber hinaus zielte Becker auf eine Demokratisierung des Bildungssektors. Zudem förderte er „synthetische“ Konzepte in der Wissenschaft, also Fachrichtungen, die universal und fachübergreifend angelegt waren und weltanschauliche Deutungsangebote machten. Um diese Konzepte zu unterstützen, griff er auch in Berufungsverhandlungen ein. Vgl. B. vom Brocke, Preußische Hochschulpolitik, S. 44. Bei Witkowski und Hermann waren frühere Versuche, sie zu Extraordinarien zu ernennen, an Widerständen der Fakultät oder im Ministerium gescheitert. Dass 1918 / 19 in Leipzig und Berlin Stellen für sie frei wurden und sich zugleich die politischen Bedingungen dahingehend verbessert hatten, dass mit der Weimarer Verfassung die konfessionelle Benachteiligung aufgehoben worden war, war für sie ein glücklicher Umstand. Aus dieser Grundlage konnten die Ministerien ihre Ernennung nun auch gegen Widerstände in der Fakultät veranlassen. Vgl. Kap. B II 2.3a. Werner Richter war Ende der 1920er Jahre Honorarprofessor in Berlin und Mitarbeiter im Preußischen Kultusministerium gewesen. Als er aus dieser Stellung ausschied, sollte er auf Wunsch des Ministeriums vollständig in den Universitätsbetrieb wechseln. Die Berufung Richters erfolgte nun allerdings nahezu zeitgleich zu der Entscheidung der Fakultät, was den Verdacht nahe legt, dass der ministerielle Entschluss bereits vor der Entscheidung der Fakultät feststand. Vgl. Kap. B II 2.3b. Vgl. A. Pilger, Germanistik in Münster, S. 119. Vgl. C. König / E. Lämmert (Hg.), Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte.

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Umso mehr die Geistesgeschichte jedoch in der Germanistik und in angrenzenden Disziplinen positiv rezipiert wurde, wuchs die Akzeptanz auch bei ihnen. Dieser Prozess lässt sich anhand von Berufungsentscheidungen nachvollziehen: Noch 1898 lehnte es Eduard Sievers in Leipzig kategorisch ab, einen Vertreter geistesgeschichtlicher Variation überhaupt auf die Berufungsliste zu setzen. Im Jahr 1925 jedoch, eine Gelehrtengeneration später, wurde an derselben Universität mit Hermann August Korff einer der Hauptvertreter der geistesgeschichtlichen Perspektive berufen. Zwischen den beiden Ereignissen liegen intensive Kämpfe um die „richtige Methode“, die mit Vehemenz und Unnachgiebigkeit ausgefochten wurden. Sie sind am Beispiel von Leipzig und Berlin Inhalt der folgenden Ausführungen.24 1. 1 Kleiner Methodenstreit. Die Berufung von Albert Köster nach Leipzig Am 28. Oktober 1894 starb der Leipziger Professor für Neuere deutsche Sprache und Literatur Rudolf Hildebrand.25 Sein Nachfolger wurde Albert Köster, doch dauerte es bis zu dessen Berufung fünf Jahre. In diesen wurden verschiedene Optionen diskutiert und verworfen. Die Suche nach einem geeigneten Nachfolger wurde mit großer Aufmerksamkeit betrieben, gehörte doch die Germanistik seit ihrer Gründung in Leipzig zu den wichtigsten Einrichtungen der Fakultät. Die Neubesetzung sollte mit einer grundsätzlichen Neuprofilierung der Stelle einhergehen. Ihr Inhaber sollte sich in Zukunft ausschließlich auf die Neuere deutsche Literaturgeschichte konzentrieren, eine entsprechende Abteilung würde einge24

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In Jena waren die methodischen Differenzen weit weniger ausgeprägt. Hier hatte man vor allem mit einer dünnen personellen und finanziellen Ausstattung zu kämpfen. Vgl. Kap. A I 2.1. Traditionell gehörte die Neuere Literaturgeschichte nicht zum Kernbereich der Jenaer Germanistik, sondern war nur Lehrbestandteil der altgermanistischen Ordinarien. Gleichwohl hatte auch die Jenaer Fakultät Interesse an geistesgeschichtlichen Literaturhistorikern, wie die Nachfolgediskussion nach dem Tod von Victor Michels 1929 / 30 zeigt, bei der Karl Viëtor und Paul Kluckhohn zu den favorisierten Kandidaten gehörten. Vgl. zu den Verhandlungen UAJ, Bestand BA, Nr. 931, Bl. 34 –171. Rudolf Hildebrand hatte in Leipzig studiert und promoviert und arbeitete nach dem Studium als Oberlehrer an der Leipziger Thomasschule. Zudem war er zuständig für die Herausgabe des Deutschen Wörterbuchs. Seine Berufung nach Leipzig erfolgte weniger aus fachlichen Gründen als vielmehr aufgrund dieser doppelten Arbeitsbelastung. Mit dem Ziel, ihm mehr Zeit für seine Arbeit am großen „nationalen Unternehmen“ zu verschaffen, berief ihn das Sächsische Ministerium 1869 zum Ordinarius für Neuere deutsche Philologie – für das Institut eine eher ungünstige Entscheidung. Denn weder war Hildebrand fachlich hinreichend ausgewiesen noch konnte er aufgrund der hohen Arbeitsbelastung seine Aufgaben als akademischer Lehrer zufriedenstellend erledigen. Dies führte Karl Lamprecht zu der Forderung, Hildebrand einen zweiten Germanisten zur Seite zu stellen, denn er „sehe den Betrieb der germanistischen Philologie für dauernd geschädigt, wenn nicht jetzt vorgebaut wird. Es bedarf eines wirklichen Litteraturhistorikers [sic] und der Vertretung einer anderen Schule, als der bisher allein berufenen.“ Brief von K. Lamprecht an R. Hildebrand vom 25. Januar 1891, zitiert nach K. Krüger, Die germanistische Literaturwissenschaft, S. 131. Zur Rolle Hildebrands in der Leipziger Germanistik insgesamt vgl. ebd., v. a. S. 55–104.

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richtet werden. Der einzige Germanist, der für die Philosophische Fakultät 1894 / 95 in Frage kam, war der Züricher Literaturhistoriker Jakob Baechtold, der auch als „vortrefflicher Dozent“ galt. Als Baechtold krankheitsbedingt absagte, entschied sich die Fakultät nach längeren Diskussionen dafür, keine „Verlegenheitsentscheidung“ zu treffen und die Stelle stattdessen zunächst unbesetzt zu lassen.26 Die Vertretung der vakanten Professur übernahm indessen der Leipziger außerplanmäßige Extraordinarius Ernst Elster.27 Nach fünf Jahren Vakanz kam 1898 erneut Bewegung in die Nachfolgediskussion. Die Fakultät erstellte eine neue Kandidatenliste, auf der Albert Köster vor Wilhelm Creizenach und Richard Weisenfels stand. Elster als bisheriger Vertreter der Stelle fehlte bei der Aufstellung. Dafür sind zunächst formale Gründe auszumachen: So waren in Leipzig Hausberufungen nicht üblich und Elster zudem bisher nur außerplanmäßiger Professor gewesen. Ungeachtet dessen wurde innerhalb der Fakultät jedoch Kritik an der Liste und der Nichtnennung Elsters laut: Eine Reihe Nichtgermanisten (darunter der Kulturhistoriker Karl Lamprecht, der Philosophieprofessor Johannes Volkelt und der Anglist Richard Paul Wülker) forderten, dass Elster als Kandidat ebenfalls berücksichtigt werden sollte. Im Für und Wider in dieser Frage wurde deutlich, dass es hier weniger um formale Aspekte, sondern um den „Kampf um die beste Methode“28 ging. Die Befürworter Elsters betonten den herausragenden Beitrag, den er zur aktuellen Methodendiskussion geleistet habe: „Es scheint uns wünschenswert, dass die neuere deutsche Litteraturgeschichte […] [auch] in enger Berührung mit Kulturgeschichte und Geschichte der Philosophie, sowie mit psychologischen und aesthetischen Gesichtspunkten behandelt“ wird. Elster gehöre eben „zu den Vertretern […], die […] den Zusammenhang ihrer Wissenschaft mit den philosophischen und allgemeingeschichtlichen Grundlagen in erfreulicher Weise pflegen.“29 Interdisziplinarität war in Leipzig Ende des 19. Jahrhunderts ein als innovativ viel diskutierter Ansatz. Gerade die Genannten gehörten zu einem Kreis von Gelehrten, die sich regelmäßig über Möglichkeiten kooperativer Arbeit austauschten.30 Gegen Neuerungen dieser Art traten die Vertreter des traditionellen Paradigmas, der positivistischen, historisch-philologischen Arbeit in der Tradition Wilhelm Scherers auf. So sprach sich der renommierte Altgermanist und Junggrammatiker Eduard Sievers gegen das Sondervotum aus. In seinem Gutachten erkannte er zwar die Leistungen Elsters an; für ein Ordinariat würden sie jedoch nicht reichen. Als Grund führte er an, dass die philologischen Teile von Elsters jüngstem Buch „kaum 26 27

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Vgl. zu diesen Vorgängen vgl. ebd., S. 131–133. Ernst Elster war der erste, der sich in Leipzig 1888 im Bereich Neuere Literaturgeschichte habilitiert hatte. Seine Arbeit diskutierte die Entstehungsgeschichte des Don Carlos’. Dabei verknüpfte er die philologische Arbeit an den verschiedenen Textfassungen des Don Carlos mit ästhetischen Wertungen und ergänzte sie mit Ansätzen aus benachbarten Disziplinen wie der Kulturgeschichte, der Philosophie und Psychologie. Vgl. ebd., S. 113–117. E. Elster, Betrieb, S. 73. Einspruch einiger Mitglieder der Phil. Fak. der UL gegen die Kandidatenliste vom 10. Juli 1898, in: UAL, PA 650, Bl. 19–20 [Hervorhebung im Original]. Vgl. R. Chickering, Das Leipziger „Positivisten-Kränzchen“.

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über den Charakter des Elementaren“31 hinausgingen. Auch sonst habe er kaum philologische Arbeiten von „prinzipieller Bedeutung oder erheblicher Originalität“ vorgelegt. Diese Kritik sollte ins Mark treffen, galt doch die philologische Ausbildung der Studierenden als zentrale Aufgabe eines Ordinarius. Darüber hinaus sei Elster, so Sievers, auch als Persönlichkeit für die Stelle ungeeignet, da er „für [die] erfolgreiche Erfüllung [der] Pflichten […] [das] unbedingt notwendige Mass persönlicher Kraft und Eigenart“ nicht besitze. Das Gesamturteil fiel entsprechend negativ aus: Eine Berufung Elsters zum Ordinarius wäre nach Sievers „einer dauernden Schädigung des germanistischen Faches gleichbedeutend“ gewesen. Dass Sievers den methodischen Überlegungen an sich, wohl auch der Person Elster im Übrigen nicht prinzipiell abgeneigt war, zeigt sich daran, dass er sich ihn für „die mehr ergänzende als führende Tätigkeit eines Extraordinarius neben einem Ordinarius“ durchaus vorstellen konnte.32 Die Mehrheit der Fakultät unterstützte die Position Sievers’, sodass die ursprüngliche Kandidatenliste letztendlich an das Ministerium ging. Ein Jahr später wurde Köster als Vertreter der traditionellen Methodik als Ordinarius ernannt. Mit seiner Berufung waren die Weichen in der Neugermanistik für die nächsten Jahre in Leipzig gestellt. Er lehrte und praktizierte die klassische Methode von Textkritik und Edition.33 Parallel dazu befasste sich mit methodischen Neuerungen sein Kollege Georg Witkowski, der 1913 zur Öffnung des Fachs aufrief: „Unter vollem Festhalten an den philologischen Anforderungen muss jetzt der Schüler mit gleicher strenger Wissenschaftlichkeit an die kulturhistorischen, ästhetischen und allgemein philosophischen Probleme als ebenso unentbehrliche Faktoren fruchtbarer literaturhistorischer Arbeit herangeleitet werden.“34

Doch auch Witkowski hatte zu diesem Zeitpunkt nur ein Extraordinariat inne und damit eine ergänzende, nicht eine führende Stellung. In diesem kleinen Methodenstreit an der Leipziger Universität Ende des 19. Jahrhunderts zeigen sich Konfliktlinien, die sich zugespitzt einige Jahre später in Berlin wiederfinden. Die letztendliche Entscheidung der Fakultät für Sievers’ Position hing mit seinem hohen Maß an wissenschaftlichem Kapital zusammen. Außerdem waren die methodischen Irritationen in der Literaturwissenschaft zu diesem Zeitpunkt zwar bereits gegenwärtig, jedoch weit davon entfernt, sich innerhalb der Universitäten zu institutionalisieren. Die alte Generation von Germanisten saß noch fest im Sattel und das klassische Paradigma dominierte.35

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Dieses Zitat und die folgenden dieses Absatzes stammen aus dem Gutachten von E. Sievers [o. D.], in: UAL, PA 650, Bl. 21–22 [Hervorhebungen im Original]. Zu Elsters weiterem Werdegang vgl. den Artikel im Internationalen Germanistenlexikon. Albert Köster war Mitarbeiter an der Cottaschen Goetheausgabe und der Schiller-SäkularAusgabe. Zudem gab er eine textkritische Ausgabe der Werke Theodor Storms heraus. Zur Arbeitsweise und Methodik Kösters vgl. J. Müller, Albert Köster. G. Witkowski, Methodik, S. 4. Vgl. K. Gebuhr, Schulenbildung.

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1.2 Kampf der Methoden. Die Auseinandersetzungen um die Nachfolge von Erich Schmidt in Berlin Zwanzig Jahre später hatten sich die Bedingungen grundlegend geändert. Ein deutliches Indiz dafür, dass das traditionelle Paradigma an Integrationskraft verloren hatte, war die Tatsache, dass Köster 1913 als einer der letzten Philologen in Wien, Berlin und Hamburg an erster Stelle auf den Berufungslisten stand. Für seine Wahl verantwortlich waren vor allem jene „Reinphilologen“36, denen die methodischen Neuerungen nach wie vor suspekt waren. Sie hielten sie für unwissenschaftlich und betrachteten sie als „Tummelplatz des Dilettantismus“37, so Gustav Roethe, einer der schärfsten Verfechter der rein philologischen Arbeitsweise. Aufgrund dieser Vorbehalte versuchten die Reinphilologen alles, um die Lehrstühle in ihrer Hand zu halten. Relativ unproblematisch war dies noch Ende des 19. Jahrhunderts gewesen, als, so die Erinnerung eines Zeitgenossen, noch „ein Geist“ im Fach herrschte und „im Seminar […] der ‚Stoff‘ obenan“38 stand. Nach der Jahrhundertwende hatte sich die Situation jedoch geändert. Eine neue Generation von Neugermanisten strebte auf den Akademikermarkt. Sie hatten zwar noch die alte Methode gelernt. Beeinflusst und geprägt wurden sie jedoch durch die geistesgeschichtlichen Arbeiten von Wilhelm Dilthey, die psychologischen Überlegungen von Wilhelm Wundt und die kulturgeschichtlichen Ansätze von Karl Lamprecht. Innerhalb des Fachs wurde Rudolf Ungers Buch Philosophische Probleme in der neueren Literaturwissenschaft von 1908 zur „intellektuellen Initialzündung“39. Dabei waren es gerade die jungen, noch nicht etablierten Literaturwissenschaftler, die sich den geistesgeschichtlichen Ansätzen öffneten. Sie interessierte die innere und geistige Welt der dichterischen Erfahrungen und nicht mehr die äußeren Lebensbedingungen der Dichter, nach denen die Positivisten gefragt hatten. Dieser wissenschaftsinterne Wandlungsprozess war zugleich zeitbedingt. Das Bedürfnis nach Verstehen spiegelte auch die gesellschaftlichen Veränderungen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, das von gesellschaftlicher Differenzierung, sprunghafter Industrialisierung und erreichter Nationalstaatsbildung geprägt war. Es zeigte mithin die Suche nach neuen Vorstellungen von Weltdeutung und Weltverstehen.40 Die Auseinandersetzungen in Berlin um die Nachfolge Erich Schmidts zeigen, wie tief die Gräben zwischen Traditionalisten und Neuerern, zwischen Philologen und Geistesgeschichtlern sein konnten. Am 13. April 1913 war Schmidt verstorben und es dauerte sieben Jahre, bis Julius Petersen als sein Nachfolger berufen wurde. Dabei war es zunächst zügig vorangegangen: Im Mai 1913 war die Berufungskommission zusammengetreten und hatte zwei Kandidaten genannt: den SchmidtSchüler Albert Köster aus Leipzig und den Scherer-Schüler Bernhard Seuffert aus 36 37 38 39 40

So die Einschätzung von Richard M. Meyer 1913, zitiert nach W. Höppner, Institution, S. 364. Schreiben von G. Roethe an das Preußische Kultusministerium vom 4. Juli 1913, zitiert nach ebd., S. 367. F. Schultz, Berliner germanistische Schulung, S. 19–20 [Hervorhebung im Original]. P. Boden, Über Julius Petersens, S. 382. Vgl. A. Pilger, Germanistik in Münster, v. a. S. 119–133.

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Graz. Diese Wahl betonte jene Kontinuitäten, die der Fakultät am Herzen lagen und die sie in methodischer Hinsicht auch explizit benannte: „Der zu berufende Gelehrte [müsse] vor allem Philologe sein.“ 41 Der Berliner Germanistikordinarius Gustav Roethe trat in diesem Verfahren als Wortführer auf und reichte dem Ministerium eine Erklärung für die unübliche Zweier-Liste nach. Darin hieß es: „[…] die neure [sic] deutsche Literaturgeschichte entbehrt, wenn sie nicht fest im Boden der deutschen Philologie verankert [ist,] […] der sicheren Grundlagen, und es liegt die dringende Gefahr vor, dass sie abgesondert nicht nur die Studenten, sondern die Docenten selbst auf die Lehren eines unsicheren, ästhetisch oder sonst abirrenden Dilettantismus lockt. [Es ist] […] eine zwingende Notwendigkeit, dass dies Gebiet in die Hand eines sicheren und bewährten Vollphilologen gelegt wird. […] Unter diesem Gesichtspunkt scheidet die große Mehrzahl der besonderen Vertreter der neueren deutschen Literaturgeschichte von vornherein […] aus.“42

Damit waren sowohl die Anforderungen der Berliner Fakultät und Roethes umrissen als auch das Dilemma benannt. Es fehlten geeignete Kandidaten. Dieser Umstand verschärfte sich noch, als Köster den Ruf ablehnte und Seuffert aufgrund seines fortgeschrittenen Alters (er war bereits 60) vom Ministerium abgelehnt wurde. Für die Fakultät war es jedoch keine Option, neue Kandidaten zu benennen und damit von den formulierten Ansprüchen abzurücken. Vielmehr zielte Roethe auf eine Interimslösung, die so lange währen sollte, bis sein Wunschkandidat, der Schmidt-Schüler Julius Petersen (zu diesem Zeitpunkt Professor in Basel und 35­jährig), reif für die Berliner Professur sei.43 Roethe schätzte Petersens „philologische Akribie und volle Beherrschung des Materials“44 und schrieb ihm daher im September 1913: „Ich habe sehr den Wunsch, dass gerade die neuere Literatur in wirklich jüngere Hände kommt, nur zu Ihnen habe ich volles Vertrauen.“45 Bis zuletzt hielt Roethe die Stelle für Petersen frei und erreichte schließlich 1920 dessen Berufung.46 Damit schwang er sich zum „Königsmacher“47 auf und dominierte in unüblicher Weise den Berufungsprozess – was auch scharfe Kritik in der Öffentlichkeit provozierte.48 Die Interimslösung beinhaltete, dass Roethe die Professur Schmidts vertretungsweise selbst übernahm und zur Unterstützung in der Lehre seinen Schüler Hermann Schneider nach Berlin holte. Dies bedeutete für die folgenden Jahre nicht 41 42 43 44 45 46

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So G. Roethe in einer Kommissionssitzung der Fakultät, zitiert nach W. Höppner, Institution, S. 364. Schreiben von G. Roethe an das Preußische Kultusministerium vom 24. Mai 1913, zitiert nach ebd., S. 365. Vgl. W. Höppner, Institution, S. 367. Schreiben von G. Roethe an das Kultusministerium vom 4. Juli 1913, zitiert nach ebd. Schreiben von G. Roethe an J. Petersen vom 26. September 1913, zitiert nach ebd. In dieser Zeit hielt Roethe Petersen kontinuierlich bei der Stange. Als dieser 1914 nach Frankfurt berufen wurde, schrieb er ihm: „Zunächst meine herzlichen Glückwünsche zu Frankfurt! Das ist ja sehr schön, es war mir eine besondere Freude, dass Sie uns auf diese Weise näher rücken.“ Schreiben von G. Roethe an J. Petersen vom 6. Juli 1914, zitiert nach ebd., S. 368. U. Joost, Rastlos, S. 20. Vgl. etwa Max Osborn, Zur Nachfolge Erich Schmidts, in: Das literarische Echo 6 (1913), zitiert nach W. Höppner, Institution, S. 363.

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nur eine herausragende Machtstellung Roethes innerhalb des Instituts, sondern auch den „absoluten Sieg der Textphilologie“49 über die Geistesgeschichte. Auswirkungen hatte dies zum einen auf die Lehre, denn es gab nun keinen neugermanistischen Ordinarius in Berlin, obwohl die Zweiteilung in Alt- und Neugermanistik seit der Jahrhundertwende an allen größeren Instituten Usus geworden war. Zum anderen hatte diese Entscheidung Konsequenzen für die Studierenden, vor allem für die Studentinnen. Da Roethe Frauen die Teilnahme an seinen Veranstaltungen untersagte, war es für diese zeitweise nahezu unmöglich, in Berlin Germanistik zu studieren.50 Es ist der zentralen Rolle Roethes in der Germanistik und innerhalb der Fakultät zuzuschreiben, dass er diese Zwischenlösung nicht nur durchsetzen, sondern auch sieben Jahre lang aufrechterhalten konnte. Erst 1919 kam wieder Bewegung in die Angelegenheit. Zu diesem Zeitpunkt wandte sich die Philosophische Fakultät an das neu zusammengesetzte Preußische Kultusministerium unter Konrad Haenisch (SPD), um auf die unbesetzte Professur hinzuweisen und eine endgültige Lösung zu erbitten. An erster Stelle der Vorschlagsliste stand wiederum Köster. Ihm folgte der eigentliche Wunschkandidat Petersen und an dritter Stelle Walther Brecht aus Wien. Das Kultusministerium favorisierte den zweiten Kandidaten und leitete die Berufungsverhandlungen ein. Damit schien das Ziel Roethes und der Fakultät erreicht; der gewünschte Nachfolger würde gekürt und die philologische Tradition in der Neugermanistik fortgesetzt werden. Allerdings hatte der für die Personalfragen im Ministerium zuständige Unterstaatssekretär Carl Heinrich Becker für die Berliner Germanistik noch andere Pläne. So hieß es in seinem Schreiben, das über die Berufung von Petersen informierte, weiter: „[…] im Hinblick auf die bei der jetzigen Lage Deutschlands noch wesentlich höhere Wichtigkeit dieses Lehrstuhls [für Neugermanistik] [ist es erwünscht], an der ersten Universität Deutschlands auch einer Richtung der deutschen Literaturwissenschaft Raum zu geben, deren Eigenart und Bedeutung im Zusammenhang der Geisteswissenschaften ihren besonderen Ausdruck gefunden hat. Es ist deshalb meine Absicht, zugleich [zur Berufung Petersens; AL] den Professor Gundolf in Heidelberg nach Berlin zu berufen […] .“ 51

Becker meinte mit der besonderen Richtung der Literaturwissenschaft die geistesgeschichtliche, die unter Berücksichtigung philosophischer, kulturhistorischer, ästhetischer und psychologischer Fragen seiner Vorstellung von wissenschaftlicher „Synthese“ nahekam.52 Sein konkreter Vorschlag lautete daher, den umstrittenen Stefan-George-Anhänger Friedrich Gundolf („von Freunden und Gegnern als ‚ech49

So die Einschätzung von Ernst Heilbronn, einem Schüler von Erich Schmidt, aus dem Jahr 1914, zitiert nach W. Höppner, Institution, S. 368. 50 Nach einer Eingabe von 117 Studentinnen und einer Anordnung des Ministeriums musste Roethe seine Vorlesung über Neuere deutsche Literatur auch für Frauen öffnen. Seine Seminare blieben diesen hingegen weiterhin verschlossen. Vgl. L. Harders, Studiert, promovert: Arriviert?, S. 39. 51 Schreiben des Preußischen Kultusministeriums an die Phil. Fak. der UB vom 16. Januar 1920, zitiert nach W. Höppner, Institution, S. 372. 52 Vgl. B. vom Brocke, Preußische Hochschulpolitik, S. 44.

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ter Künstler der Wissenschaft‘ entweder gerühmt oder verworfen“53) als zweiten Ordinarius neben Petersen zu berufen. Dieser Vorschlag brachte erneut Roethe und die Fakultät auf den Plan, die nun das „Damoklesschwert“54 der Geistesgeschichte so bedrohlich wie nie zuvor über sich schweben sahen. Deutlich wandten sie sich deshalb gegen das Vorhaben. In einem Schreiben an das Ministerium diskreditierten sie Gundolf als Wissenschaftler: „Er strebt nicht nach objectiver Erkenntnis und denkt von ihr sogar niedrig. […] Die Aufgabe wissenschaftlicher Erziehung, die Studierenden zu der strengen Selbstzucht objectiven Erkennens zu bilden, kann Gundelfinger nicht erfüllen; sie widerspricht durchaus seiner geistigen Anlage. […] Zur methodischen und objectiven wissenschaftlichen Erkenntnis hat er […] nicht nur ein skeptisches, sondern geradezu ein negatives Verhältnis.“55

Auch als Lehrer sei Gundolf ungeeignet: „Die Nachrichten, die wir über seine Heidelberger Lehrtätigkeit erhalten, bestätigen die für uns entscheidenden Bedenken. Er liest wöchentlich nur je zwei Stunden und zwar trägt er ein sorgfältig ausgearbeitetes Manuscript im Wesentlichen wörtlich ablesend vor; es fehlt die Unmittelbarkeit frischen Schaffens und Nachschaffens, die dem mündlichen Vortrag seine belebende und erziehende Kraft giebt.“

In seinen Seminaren und Übungen versage Gundolf vollständig, weshalb er für ein Ordinariat, „das mit Seminarleitung und Examenstätigkeit verbunden wäre […] in keiner Weise in Frage“ käme. Er könne insgesamt auf die Studierenden nicht günstig wirken: „Aus seinen Büchern mögen sie manche Belebung schöpfen; als wissenschaftlicher Lehrer wird er nur Dilettanten ziehn.“ Nicht zuletzt diskreditierte das Schreiben Gundolf auch hinsichtlich seiner Herkunft, indem von ihm durchgängig als „Gundelfinger“ die Rede war, was ihn als Juden markieren sollte.56 Mit dieser fundamentalen Kritik an Gundolf als Forscher, Lehrer und Person werteten die Fakultät und Roethe auch die Geistesgeschichte an sich als unwissenschaftlichen Dilettantismus und Schriftstellerei ab. Dabei ähneln die Argumente denen von Sievers 20 Jahre zuvor. Auch Sievers hatte die Validität der Ergebnisse Elsters in Frage gestellt, hatte den Wert dieser Erkenntnisse für die Ausbildung der Studierenden bestritten und Elster die Befähigung für die verantwortungsvolle Position eines Ordinarius abgesprochen. Ähnlich war in beiden Fällen auch, dass der Vorschlag von außen an das Fach herangetragen worden war. Im Fall von Elster waren es Nichtgermanisten, wobei die Diskussion jedoch in der Fakultät geblieben war. Gundolf hingegen wurde vom Ministerium vorgeschlagen, was der Auseinan53 54 55 56

E. Osterkamp, Friedrich Gundolf, S. 177. W. Höppner, Institution, S. 372. Dieses und die folgenden Zitate dieses Absatzes stammen aus dem Schreiben von G. Roethe an das Preußische Kultusministerium vom 5. März 1920, zitiert nach ebd., S. 373–374 [Hervorhebung im Original]. Namensänderungen waren Anfang des 20. Jahrhunderts unter assimilierten Juden üblich. Gundolfs ursprünglicher Name war Gundelfinger. 1911 beantragte er eine Änderung, die 1927 legitimiert wurde. Allerdings veröffentlichte er bereits seit 1911 unter dem neuen Namen. Das Ziel Roethes war es, durch die Verwendung des jüdischen Namens, Gundolf für jeden deutlich als Juden zu markieren.

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dersetzung eine weitere Ebene hinzufügte, bei der es ganz grundsätzlich um die Frage der politischen Einflussnahme auf Berufungsfragen ging. Diese lehnte die Fakultät als Kompetenzüberschreitung kategorisch ab; sie könne „nicht anerkennen, dass eine Professur für Literaturwissenschaft, wie das Ministerium sie zu errichten gedenkt, sich durch den Stand der Wissenschaft […] rechtfertigen lässt“ 57. Zudem betonte sie ihren gewohnheitsmäßigen Anspruch auf Selbstverwaltung und -ergänzung: „Wir waren es bisher nicht gewöhnt, dass unsern im vollen Gefühl unserer Verantwortung abgegebenen Berichten in dieser Weise andre, zumal namenlose Autoritäten entgegen gehalten werden.“58 Zuletzt deutete die Fakultät in ihrem Schreiben die Konsequenzen an, die eine Berufung gegen ihren Willen haben würde. Gundolf würde als „hochbegabter Schriftsteller […] seiner ganzen Art nach wesensfremd in ihrer Mitte“ stehen und die „innere Einheit der engeren Fakultät verhängnisvoll“59 stören. Trotz der offensiven Einwände berief das Ministerium den umstrittenen Literaturhistoriker. Diesem waren die Konsequenzen seiner Oktroyierung, die „Scheusslichkeit und Schädlichkeit des dortigen Daseins“60, die ihn erwarten würden, durchaus bewusst – weshalb er den Ruf ablehnte. In einem Schreiben an Stefan George fasste Gundolf die Ambivalenz der ganzen Situation zusammen. Auch aus seiner Sicht müsse man „die Autonomie des Lehrkörpers gegenüber den Machtansprüchen des Staates“ wahren, und zwar selbst dann, wenn „die Vernunft auf Seiten der Behörden“ sei und sich die Fakultät von antisemitischen Vorurteilen leiten lasse.61 Nachdem auch ein zweiter Versuch des Ministeriums scheiterte, Petersen einen ergänzenden Professor zur Seite zu stellen, wurde Petersen zum Oktober 1920 allein berufen. Er setzte in erhoffter Weise die philologischen Traditionen in der Neugermanistik fort, versuchte jedoch zugleich, zwischen Philologie und Geistesgeschichte zu vermitteln.62 57

Schreiben von G. Roethe an das Preußische Kultusministerium vom 5. März 1920, zitiert nach W. Höppner, Institution, S. 373. 58 Schreiben der Phil. Fak. der UB an das Preußische Kultusministerium vom 19. März 1920, zitiert nach ebd., S. 374 –375. 59 Ebd. 60 Dieses und alle folgenden Zitate dieses Absatzes stammen aus dem Brief von F. Gundolf an S. George vom 17. März 1920, in: R. Boehringer / G. P. Landmann (Hg.), Briefwechsel, S. 341– 343, hier S. 343. 61 „Als Neue fakta sind inzwischen eingetreten die Berliner Wirren und die mir bisher unbekannte Mitteilung Wolters’ dass die Fakultät einstimmig gegen meine Berufung ist: das ist nun ein sehr gewichtiger grundsätzlicher Einwand gegen die Annahme (abgesehn von den persönlichen Schikanen die daraus für mich erfolgen können und werden). Meine Stellung in Berlin hängt dann lediglich von einem Akt einer noch dazu sehr prekären Regierung ab. Erkenne ich die Universität überhaupt als Institution an […] so muss ich auch ihren obersten Grundsatz anerkennen […], und der ist die Autonomie des Lehrkörpers gegenüber den Machtansprüchen des Staates, wie sie in dem Respekt vor den Fakultätsbeschlüssen gewährleistet ist. Dabei kann natürlich im einzelnen Fall […] die Vernunft auf Seiten der Behörden sein. Bedenklich bleibt es immer […], denn es würde bei den bevorstehenden Parteikämpfen zur völligen Verwahrlosung des Lehrkörpers führen, während die ehrwürdige Verknöcherung die jetzt waltet, wenigstens den Kern rettet.“ Ebd., S. 341–342 [Hervorhebung im Original]. 62 Vgl. P. Boden, Über Julius Petersen, S. 382.

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1. 3 Sieg der Geistesgeschichte? Die Berufung von Hermann August Korff nach Leipzig Im Jahr 1919 beschrieb Max Weber in seinem viel beachteten Aufsatz Wissenschaft als Beruf die Situation des Akademikers seiner Zeit, die sich durch einen hohen Grad von Ungewissheit auszeichne: „Ob es einem […] Privatdozenten, vollends einem Assistenten, jemals gelingt, in die Stelle eines vollen Ordinarius und gar eines Institutsvorstandes einzurücken, ist eine Angelegenheit, die einfach Hasard ist. Gewiss: nicht nur der Zufall herrscht, aber er herrscht doch in ungewöhnlich hohem Grade. Ich kenne kaum eine Laufbahn auf Erden, wo er eine solche Rolle spielt.“63

Dabei konnte der Hasard ganz unterschiedliche Formen annehmen. So war die Berufung von Petersen nach Berlin eine langfristig geplante, zuletzt erfolgreiche Inthronisierung gewesen, bei der er extrem von Wohlwollen und Fürsprache des „Königmachers“ Roethe abhängig war. Korff hingegen begegneten auf seinem Weg zum Ordinarius in Leipzig eine Vielzahl von Unwägbarkeiten und Zufällen, die zunächst wenig Erfolg versprechend schienen. Ausgangspunkt war der plötzliche Tod von Albert Köster. Fünf Jahre nachdem er das letzte Mal in Berlin an erster Stelle auf der Kandidatenliste gestanden hatte, starb er überraschend am 29. Mai 1924.64 Verunsichert durch die plötzliche Vakanz und beeinflusst von den methodischen Debatten der Zeit wurden die Nachfolge in der Fakultät intensiv diskutiert, Theodor Litt als Vertreter der Philosophie hinzugezogen und mehr als 20 potentielle Kandidaten65 ins Feld geführt.66 Der Wunschkandidat der Fakultät war im Übrigen Petersen, obwohl sein Name an erster Stelle wohl nur „dekorativen Wert“67 hatte.

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M. Weber, Wissenschaft als Beruf, S. 585. Köster hatte sich das Leben genommen, wofür sein langjähriger Kollege Witkowski familiäre Probleme, Schulden und eine nicht ausgelebte Homosexualität verantwortlich machte. Vgl. G. Witkowski, Von Menschen und Büchern, S. 137–138. Die Nennung von 21 Kandidaten erfolgte durch Witkowski, der durch eine Neuverordnung auch als Extraordinarius dazu berechtigt war, Vorschläge einzubringen. Vgl. Protokoll der Kommissionssitzung zur Frage der Nachfolge für A. Köster vom 28. Juni 1924, in: UAL, PA 92, Bl. 243. Die Liste umfasste folgende Namen: Walther Brecht, Herbert Cysarz, Willi Flemming, Friedrich Gundolf, Christian Janentzky, Eugen Kühnemann, Friedrich von der Leyen, Harry Maync, Paul Merker, Julius Petersen, Hermann August Korff, Robert Petsch, Hermann Schneider, Josef Schneider, Franz Schultz, Georg Stefansky, Franz Zinkernagel, Rudolf Unger, Fritz Strich, Emil Ermatinger sowie Georg Witkowski selbst. Vgl. Schreiben von G. Witkowski an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 4. Juli 1924, in: Ebd., Bl. 245–249. Vgl. Kommissionssitzung vom 28. Juli 1924, in: UAL, PA 92, Bl. 243. So die Äußerung des Historikers Erich Brandenburg über Petersen in der Kommissionssitzung vom 28. Juli 1924, in: Ebd., Bl. 243. Ganz so ausweglos, wie behauptet, waren die Verhandlungen mit Petersen im Übrigen nicht. Das Sächsische Volksbildungsministerium kam in ihrem Angebot dem Berliner Ordinarius (vor allem in materiellen Fragen) weit entgegen und Petersen reizte die umfangreiche theaterwissenschaftliche Sammlung von Köster. Vgl. Schreiben von J. Petersen an das Sächsische Volksbildungsministerium vom 19. November 1924, in: DLA Marbach, D: Petersen, D62.145.

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Bemerkenswert ist die Fokusverschiebung im Rahmen der Diskussionen. Es scheint, als wären die noch einige Jahre zuvor hart umkämpften methodischen Fragen in der Leipziger Berufungsdiskussion 1924 / 25 sekundär geworden. Auch bei Petersen würdigte man zwar dessen vermittelnde Rolle im Methodenstreit und seine philologisch-textkritische Arbeit als Herausgeber. Seinen Wert als Kösters Nachfolger sah die Fakultät jedoch vor allem, weil er ein „vorzüglicher Lehrer [und] warmer, weit wirkender Redner“68 sei, sowie in seiner Eigenschaft als Theaterwissenschaftler. Generell gliederte sich die Frage um die „richtige Methode“ so in andere Erwartungen der Fakultät an ihre Kandidaten ein. So hieß es zwar, dass der zu Berufende die „Werke der Wortkunst und ihre Schöpfer für die Gegenwart lebendig machen, aber auch dem Vergangenen sein Eigengewicht lassen [und] […] durch sachliche Interpretation fassen“69 solle. Welche Methode er dabei zu wählen habe, wurde allerdings (im Gegensatz zu 1913 in Berlin) nicht formuliert. Zudem sollte der Kandidat „mit der vollen wissenschaftlichen Eignung die Fähigkeit verbinden […] ein gewisses Maß von Fernwirkung“ 70 zu erzielen – auch dies keine methodische, sondern eine auf Resonanz zielende Anforderung. In den gewandelten Ansprüchen der Fakultät zeigt sich die gewandelte Situation der Geistesgeschichte selbst. Sie hatte in den letzten Jahren nicht nur in der Germanistik, sondern auch in anderen geisteswissenschaftlichen Fächern wachsende Akzeptanz und Anerkennung erfahren. Und gerade auch auf die Studierenden und die gesellschaftliche Öffentlichkeit wirkte sie anziehend. Zudem hatte es einen Generationswechsel gegeben – zunächst bei den Auswahlakteuren: So war in Leipzig die „Autorität ersten Ranges“71, Eduard Sievers, 1923 emeritiert worden. Sein Nachfolger war der erst 34-jährige Friedrich Neumann aus Göttingen. Er war ein Schüler Edward Schröders und hatte am Deutschen Wörterbuch gearbeitet. Dies war zwar eine hochgradig formalphilologische Arbeit mit Text und Sprache. Dennoch stand er als Vertreter der jüngeren Generation geistesgeschichtlichen Ideen offener gegenüber als die traditionellen Ordinarien. Vor allem aber war Neumann zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlungen erst seit ei68

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Vgl. Schreiben der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 21. Juli 1924, in: Ebd., Bl. 254 –259, hier Bl. 255. In den Erinnerungen von Friedrich Michael an Köster nimmt er auf dessen rhetorisches Talent Bezug und erinnert sich, wie Köster, „der kaum mittelgroße Mann, mit raschem Schritt durch die Tür des Hörsaals kam, elastisch aufs Podium sprang, sein Manuskript aufs Pult legte, mit einem kleinen Lächeln um den ausdrucksvollen Mund den Begrüßungsbeifall quittierte, sich gleichsam zum Ernst der großen Aufgabe sammelte, während er den Blick der sehr hellen Augen über das verstummende Auditorium schweifen ließ und dann begann, Verse frei sprechend, den Kopf ein wenig aufgehoben, wie ein Rhapsode, mit vollen tönenden Worten, nicht pathetisch, aber doch getragen von der Leidenschaft und Würde der dichterischen Sprache. Noch nach dreißig Jahren klingen jene Gedichte des jungen Goethe im Ohr, als hätte man sie gestern von Albert Köster gehört.“ Friedrich Michael, Erinnerung und Dank. Zur Erstaufführung von Friedrich Michaels „Große Welt“, in: Leipziger Neueste Nachrichten vom 29. Juli 1944. Schreiben der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 21. Juli 1924, in: UAL, PA 92, Bl. 254 –259, hier Bl. 254. Ebd. Schreiben der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 7. Februar 1922, in: UAL, PA 827, Bl. 22–34, hier Bl. 22.

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nem Jahr Institutsdirektor und Mitglied der engeren Fakultät. Das heißt, selbst wenn er methodische Bedenken gehabt hätte, hätte er sie kaum adäquat in der Fakultät vorbringen können. In den Diskussionen jedenfalls ergriff er kaum das Wort. Im Gegensatz dazu waren in den Debatten von 1898 bzw. von 1913 bis 1920 Sievers und Roethe die entscheidenden Wortführer gewesen, beide gestandene Autoritäten innerhalb ihres Fachs und in der Fakultät. Auch bei den potentiellen Kandiaten gab eine neue, geistesgeschichtlich arbeitende Generation den Ton an. Unter diesen Umständen auf einen Reinphilologen zu warten, war wenig Erfolg versprechend – in Berlin hatte dies immerhin sieben Jahre gedauert. Gleichwohl hätte es auch in Leipzig Alternativen gegeben: Auch Witkowski galt als Vermittler zwischen den Methoden. Zudem war er durch seine langjährige Tätigkeit in Leipzig mit den dortigen Verhältnissen gut vertraut und er hatte sich (ebenso wie Köster und Petersen) auch mit theaterwissenschaftlichen Themen befasst. Witkowski hätte also durchaus das Erbe Kösters fortsetzen können. Doch aufgrund seines fortgeschrittenen Alters, seiner jüdischen Herkunft und weil in Leipzig Hausberufungen nicht üblich waren, wurde diese Option ausgeschlagen.72 Der veränderten Situation auf dem Akademikermarkt entsprechend sah die Kandidatenliste aus, welche die Fakultät im Juli 1924 bei dem Sächsischen Volksbildungsministerium einreichte. An erster Stelle stand – trotz aller Unwahrscheinlichkeit einer Zusage – Petersen, an zweiter der Hofmannsthal-Kenner Walther Brecht, an dritter Stelle stand Rudolf Unger, dessen geistesgeschichtliches Werk eine ganze Generation von Germanisten geprägt hatte. Erst an vierter Stelle stand Hermann August Korff, auch er ein wichtiger Vertreter der Geistes- und Ideengeschichte. Über Korff hieß es in dem Schreiben der Fakultät: „In Tiefe und Selbständigkeit der Forschung [sei er] Unger nicht vergleichbar“73, zudem „vorwiegend geistesgeschichtlich gerichtet“, sodass das „Philologische im engeren Sinne“ ihm fernliege. Zugleich sei er ein „strenger Lehrer“ und „eindrucksvoller Redner. Gerade seinem äußeren Auftreten nach würde er den Stil Albert Kösters fortsetzen können.“ Das Ministerium übernahm die Liste und bemühte sich zunächst intensiv um Petersen, allerdings wie vorauszusehen umsonst. Gegenüber Brecht und Unger hatte das Ministerium „erhebliche Bedenken“, die es jedoch nicht spezifizierte. Vor diesem Hintergrund bot es im Februar 1925 der Fakultät an, Verhandlungen mit Korff aufzunehmen. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit (die Verhandlungen liefen bereits ein dreiviertel Jahr) entschied die Fakultät pragmatisch: Sie brauchte jetzt einen neuen Professor, nicht zuletzt weil Witkowski ein Urlaubssemester beantragt hatte und die Studierendenzahl kontinuierlich stieg. Auch hatten die langwierigen Überlegungen gezeigt, dass offensichtlich kein gleichwertiger Ersatz für Köster verfügbar war. So führte zuletzt eine Reihe von Unwägbarkeiten dazu, dass Korff als vierter Kandidat zum Mai 1925 als Ordinarius für Neuere deutsche Sprache und Literatur berufen wurde. Eine Herzensentscheidung der Fakultät war dieser 72 73

Vgl. Protokoll über die Kommissionssitzung vom 28. Juni 1924, in: UAL, PA 92, Bl. 242. Dieses Zitat und die folgenden dieses Absatzes stammen aus einem Schreiben der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 21. Juli 1924, in: Ebd., Bl. 254 –259, hier Bl. 258–259.

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Schritt nicht gewesen – im Übrigen auch nicht für Korff, dem die Stadt und ihre Universität zu groß waren.74 Doch trotz beidseitiger Vorbehalte sollte die Berufung von Korff eine neue Ära in der Leipziger Germanistik begründen. Zwischenfazit Anhand der drei Berufungsverfahren lässt sich der allmähliche Vormarsch der Geistesgeschichte in der Germanistik innerhalb einer Generation aufzeigen. Vorausgegangen waren teilweise erbitterte Auseinandersetzungen innerhalb der Fakultäten und mit den Ministerien, die zu Sondervoten und starken Verzögerungen bei der Neubesetzung geführt hatten. Der Ausgang dieser Auseinandersetzungen war von der Situation auf dem akademischen Arbeitsmarkt ebenso abhängig wie von einflussreichen Wortführern. Ausgestattet mit institutioneller Autorität und wissenschaftlichem Kapital konnten Sievers und Roethe ihre Positionen durchsetzen. Dabei bemühten sie Stereotype wie das unwissenschaftliche Arbeiten der Geistesgeschichtler und ihre mangelnde Führungs- und Lehrkompetenz. Mit zunehmender Akzeptanz des neuen Paradigmas innerhalb der scientific community in den 1920er Jahren nahmen die pauschalen Zuweisungen in den Berufungsdiskussionen ab und verloren zuletzt an Bedeutung zugunsten anderer Anforderungen. Politische Faktoren spielten in diesen Auseinandersetzungen eine untergeordnete Rolle. Zwar versuchte Becker, in die Berufungsprozesse in Berlin einzugreifen, doch blieb er damit zuletzt erfolglos. Die Auseinandersetzungen zwischen Philologen und Geistesgeschichtlern sind eine Besonderheit innerhalb der Berufungspraxis der Weimarer Republik, die insgesamt von der überkommenen Normalität in diesen Fragen geprägt gewesen ist. 2 Berufungen unter politischen Vorzeichen. Die Etablierung einer „neuen Berufungsnormalität“ im Dritten Reich Anders als die politischen Instanzen der Weimarer Republik erhoben die Nationalsozialisten einen dezidierten Mitbestimmungsanspruch in akademischen Personalfragen.75 Dabei waren sie bei der Ausgrenzung und Vertreibung von Dozenten und Professoren, die sie als „jüdisch“ bzw. als „politische Gegner“ markiert hatten, gründlich und brutal. In einem zweiten Schritt mussten die frei gewordenen Stellen neu besetzt werden, und zwar im Idealfall mit jungen Akademikern, die „fachlich tüchtig, aktiv und politisch einwandfrei“76 waren. Die neue Generation sollte jung 74 75 76

Vgl. Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 14. April 1925, in: DLA, NL Petersen, D: Petersen, D26.275, sowie Kap. B III 4. Vgl. A. F. Kleinberger, Nationalsozialistische Hochschulpolitik, v. a. S. 10–17. So die Bewertung von Hans Kuhn durch den Rektor der Universität Leipzig in einem Schreiben an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 27. Januar 1938, in: SächsHStA Dresden, MfV 19230 / 72, Bl. 9.

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sein, um einen „neuen Geist“ in die Hochschulen zu tragen. Sie sollte fachlich ausgewiesen sein, um die Funktionsfähigkeit der Universitäten zu garantieren. Und sie sollte selbstverständlich „rückhaltlos“ hinter dem neuen Staat stehen.77 Die Studenten- und akademische Nachwuchspolitik, die politische Erziehung der Dozentenschaft sowie die Kopplung der Dozentur an politische Einsatzbereitschaft waren daher wichtige Aktionsfelder der NS-Hochschulpolitik.78 Gleichzeitig war vielen Nationalsozialisten bewusst, dass es mindestens zehn Jahre dauern würde, bis die Generation, die seit ihrer Studentenzeit nationalsozialistisch geprägt worden war, die Lehrstühle würde übernehmen können.79 Aus diesem Grunde war es eine pragmatische Entscheidung, auf die akademischen Eliten der Weimarer Republik zurückzugreifen. Die Verwirklichung einer „politischen Hochschule“ erwartete man von dieser, in Kaiserreich und Weimarer Republik sozial und akademisch sozialisierten, Gruppe nicht. Denn der „überkommene Menschenbestand fachlich ausreichender und rassisch und politisch nicht belasteter Wissenschaftler […] [enthält] so gut wie gar keine […] nationalsozialistisch brauchbaren Elemente“80, so der Leiter des Rassepolitischen Amtes Walter Groß. Durchaus jedoch verlangte man auch von dieser Gruppe politische Loyalität zum herrschenden System. Und so wurde die Kontrolle der politischen Zuverlässigkeit zu einem wesentlichen Bestandteil der NS-Personalpolitik. Der Aufbau politischer Kontrolle war auch ein wichtiger Bestandteil der Neuordnung des Berufungsverfahrens im November 1935 durch das Reichserziehungsministerium. Der oben skizzierte traditionelle Instanzenweg blieb im Wesentlichen erhalten, doch wurden in den verschiedenen Phasen politische Kontroll- und Einflussinstanzen zugeschaltet. Das Verfahren begann damit, dass die Fakultät vom Reichserziehungsministerium aufgefordert wurde, eine Kandidatenliste zu erstellen. Zudem konnte das Ministerium selbst Kandidaten vorschlagen, die von der Fakultät gesondert berücksichtigt werden mussten. Dies war keine Neuerung gegenüber der Weimarer Zeit, jedoch kamen solche Vorschläge nun häufiger und wurden zum Teil intensiver verfolgt. Oktroyierungen waren jedoch (zumindest in der Germanistik) nach wie vor selten.81 Im Folgenden beriet die Berufungskommission über die Kandidaten. Hier konnten politische Aspekte eine Rolle spielen, denn die 77 78 79

80 81

Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 235. Vgl. V. Losemann, NS-Dozentenlager. In einer Schrift von 1934 heißt es: „Wenn die Hochschule nationalsozialistischen Nachwuchs haben will, braucht sie eine nationalsozialistische Schule; wenn die Schule nationalsozialistisch erziehen will, braucht sie nationalsozialistische Lehrer; die wiederum können nur von einer nationalsozialistischen Hochschule kommen. Es schließt sich also der Kreis.“ A. Feickert, Studenten greifen an. Nationalsozialistische Hochschulrevolution, Hamburg 1934, zitiert nach M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 235. Vgl. zudem A. F. Kleinberger, Nationalsozialistische Hochschulpolitik, S. 11. Mit diesen Worten fasste Groß die personelle Situation in einer Denkschrift für die Hochschulpolitiker der Partei im Oktober 1936 zusammen, zitiert nach ebd. Holger Dainat gibt für die Neuere Literaturwissenschaft zwei Fälle an: die Berufung des „Langweilers in SS­Uniform“ Karl Justus Obenauer 1935 nach Bonn sowie die Berufung von Heinz Kindermann 1936 nach Münster. Vgl. H. Dainat, Zur Berufungspolitik, S. 69; zu Obenauer vgl. J. Lerchenmüller / G. Simon, Im Vorfeld des Massenmords, S. 33– 46, sowie zu Heinz Kindermann A. Pilger, Germanistik in Münster, v. a. S. 367– 414.

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Kommission wurde vom Dekan ernannt, der seinerseits vom Rektor, dem „Führer der Universität“, eingesetzt worden war.82 Die Berufungsbeispiele für die Germanistik in Leipzig, Berlin und Jena zeigen jedoch, dass es in dieser Beratungsphase primär um die fachliche Eignung der Kandidaten ging. Was dies allerdings unter politisierten Bedingungen bedeuten konnte, wird noch zu zeigen sein. Die Kandidatenliste wurde von der Fakultät dem Rektor überreicht, der sie an das Volksbildungsministerium der Landesregierung weiterleitete. Beide Institutionen konnten zu den Vorschlägen Stellung nehmen. Auch dies war nicht neu, allerdings wurde auch hier die Möglichkeit der politischen Einflussnahme nach 1933 stärker genutzt. Im nächsten Schritt wurde die Liste an das Reichserziehungsministerium weitergeleitet. Dieses forderte nun ein politisches Gutachten des NS-Dozentenbundes von der Universität an, an der der Kandidat bisher gelehrt hatte. Parallel dazu wurde eine Stellungnahme des Stellvertreters des Führers angefordert, der seinerseits politische Gutachten einholte. Waren die Ergebnisse des gesamten Verfahrens für das Reichserziehungsministerium zufriedenstellend, wurde die Ernennungsurkunde dem Reichspräsidenten (seit 1934 Adolf Hitler) zur Unterschrift vorgelegt und die Berufung vollzogen.83 Neben den Kontinuitäten im Verfahren zeigen sich deutliche Veränderungen. Diese verweisen auf den gegenüber den Vorjahren deutlich gesteigerten Mitbestimmungs- und Kontrollanspruch der politischen Instanzen. Angesichts des sensiblen Verhältnisses zwischen Universitäten und Ministerien wäre in dieser Frage eine Vielzahl von Konflikten für das Dritte Reich zu erwarten gewesen. Doch das Gegenteil war der Fall. Wie die Berufungspraxis in der Germanistik zeigt, etablierte sich keineswegs ein dauerhafter Konfliktzustand zwischen wissenschaftlichen und politischen Akteuren. Dies aufzuzeigen und die Gründe zu diskutieren, ist Inhalt dieses Kapitels. Dabei geht es hier weniger um die (insgesamt ja seltenen) Konfliktfälle84, sondern darum, die Berufungsnormalität im Dritten Reich am Beispiel der Germanistik aufzuzeigen. Dafür sind zunächst alle 13 Berufungsverfahren an den drei Germanistischen Instituten einzeln und in chronologischer Reihenfolge zu skizzieren. Auf dieser Grundlage wird die These diskutiert, dass im Dritten Reich eine Berufungspraxis dominierte, die sich – bei aller Kontinuität – in wesentlichen Punkten von der der Weimarer Zeit unterschied, weshalb man von einer gewandelten, neuen Berufungsnormalität sprechen kann. Das Kapitel abschließend sind die Folgen die-

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Dabei konnten auch NS-Dozentenschaftsvertreter in den Fakultätsberatungen mitwirken, wie das etwa in München häufig der Fall gewesen war. Vgl. H. Böhm, Selbstverwaltung, S. 434. Vgl. zum Verfahren H. Dainat, Zur Berufungspolitik, S. 64 –65. Die Untersuchung politisch motivierter Spannungen nimmt in der Forschung zur Berufungspraxis einen breiten Raum ein. So benennen etwa Böhm oder Dainat die „Normalität“, ohne sie allerdings eingehend zu analysieren, während sie die Konfliktfälle ausführlich behandeln. Vgl. H. Böhm, Selbstverwaltung, sowie H. Dainat, Zur Berufungspolitik. Dies hat seine methodische Berechtigung, denn in der spannungsgeladenen Kommunikation der Kontrahenten werden die unterschiedlichen Positionen, existierenden Machtverhältnisse und Interessenlagen besser erkennbar als in spannungsfreien Verfahren. Jedoch waren die politisch motivierten Spannungen in den Berufungsverfahren insgesamt selten.

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ser Veränderungen für die Wissenschaftspraxis am Beispiel der Leipziger Germanistik zu analysieren. 2.1 Ständiger Wechsel. 13 Berufungsverfahren in zwölf Jahren An den drei Germanistischen Instituten gab es im Dritten Reich insgesamt 13 Berufungen, davon jeweils drei in Jena und Leipzig sowie sieben in Berlin. Sechs fanden in der „revolutionären Phase“ bis 1935, zwei bis zu Kriegsbeginn und fünf bis Kriegsende statt. Insgesamt wurden sechs Ordinarien und sieben Extraordinarien berufen. Zu welchem Zeitpunkt welche Stelle an welchem Institut vergeben wurde, war naturgemäß verschieden; und die unterschiedlichen lokalen Bedingungen hatten Auswirkungen auch auf die Berufungsverfahren. Jedoch gab es zugleich Parallelen und Regelmäßigkeiten in den Abläufen, die eine Berufungsnormalität unabhängig von den spezifischen Gegebenheiten zeigen. Wenn es im Folgenden um die einzelnen Fälle geht, wird daher sowohl das „Normale“ explizit gemacht als auch auf Besonderheiten und etwaige Spannungen zwischen den Akteuren hingewiesen. Um vergleichen zu können, unterscheide ich bei den einzelnen Verfahren nach dem regulären bzw. irregulären Zustandekommen der Vakanz, nach der Dauer des Verfahrens (unüblich schnell, zügig, langwierig) sowie nach dessen Konfliktpotential (spannungsarm oder spannungsreich). Weitere Vergleichskriterien sind die sozialen, fachlichen und politischen Faktoren sowie ihre jeweilige Bedeutung innerhalb der Berufungsverfahren.85 Quellengrundlage der Ausführungen sind im Wesentlichen die Berufungsakten der drei Institute. 1) Die Berufung von Gerhard Fricke nach Berlin 1933 Das erste Berufungsverfahren nach der „nationalsozialistischen Machtergreifung“ an einem der drei Germanistischen Institute fand im Juli 1933 in Berlin statt. Hier ging es um die Nachfolge von Max Herrmann. Bemerkenswerterweise verlief das Verfahren zu diesem Zeitpunkt noch in regulären Bahnen, sogar Herrmann war noch an den Beratungen beteiligt.86 Er teilte die Entscheidung der Fakultät, nach der Ernst Beutler an erster Stelle der Liste stand, gefolgt von Gerhard Fricke und Richard Alewyn. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Liste an das Ministerium weitergereicht wurde, verlief das Verfahren in zügigen und regulären Bahnen. Politische Stellungnahmen fehlten vollständig – und offenbar, wie die Nennung von Alewyn auf der Liste zeigt, auch die arischen Abstammungsnachweise. Als Beutler den Ruf ablehnte und das Verfahren im September in die nächste (Beratungs-) Runde hätte gehen sollen, hatten sich die hochschulpolitischen Rahmenbedingungen geändert. Herrmann war wegen seiner jüdischen Herkunft entlassen worden, die Vakanz dadurch akut. Zudem war die Neubesetzung der Stelle 85 86

Vgl. Tabelle II im Anhang. Später wurde die Beteiligung von „nichtarischen“ Emeriti ausdrücklich untersagt. Vgl. H. Dainat, Zur Berufungspolitik, S. 67, Anm. 49.

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aufgrund des begonnenen Semesters dringlich geworden. Alewyn stand nicht mehr zur Disposition, da er als „Vierteljude“ von seiner Stelle in Heidelberg entlassen worden war. In dieser Situation entschied sich die Fakultät für die naheliegendste Lösung und übergab den Lehrstuhl zunächst vertretungsweise, ab September regulär an den Heidelberger Privatdozenten Gerhard Fricke. Fricke hatte auf Platz zwei der Liste gestanden und galt als gründlicher, vielseitiger und vielversprechender Nachwuchswissenschaftler, der auch als akademischer Lehrer überzeugte.87 Zudem war er ohnehin vor Ort, da er bereits Petersen während dessen USA-Aufenthalt vertreten hatte. Und nicht zuletzt entsprach Frickes politisches Engagement den hochschulpolitischen Forderungen der Nationalsozialisten. Er war seit April 1933 Mitglied der NSDAP und engagierter Aktivist.88 Insgesamt dauerte das Verfahren etwa ein halbes Jahr und verlief weitgehend spannungsfrei. Fricke blieb in der Stellung des Extraordinarius für Deutsche Literaturgeschichte in Berlin allerdings nur bis zum November 1934 und folgte dann einem Ruf als Ordinarius nach Kiel. 2) Die Berufung von Arthur Witte nach Jena 1933 Die zweite Berufung an einem der drei Institute erfolgte im Oktober 1933 in Jena, wo der Privatdozent Arthur Witte zum Extraordinarius für Deutsche Philologie und Volkskunde ernannt wurde und damit eine Stelle übernahm, die seit drei Jahren vakant war. Seine Berufung war relativ überraschend, denn die anfänglichen Diskussionen hatten vor allem den beiden Erstgenannten Hennig Brinkmann und Gustav Bebermeyer gegolten, da sich die Fakultät nicht auf die Reihenfolge der Kandidaten einigen konnte. Dafür waren inhaltlich-methodische Gründe, aber auch konfessionelle Vorbehalte verantwortlich.89 In jedem Fall wollte die Fakultät jedoch, so betonte es der Lehrstuhlinhaber Leitzmann, einen vielseitigen und zugleich philologisch geschulten Germanisten.90 Dass nun allerdings mit Witte der Drittgenannte, auf den diese Vielseitigkeit am wenigsten zutraf, berufen wurde, 87 88 89

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Vgl. Protokoll der Kommission zur Nachfolge M. Herrmanns vom 18. Juli 1933, in: UA der HUB, Phil. Fak. Nr.1477, Bl. 330–331. Nicht zuletzt war Fricke in Heidelberg während der Bücherverbrennung im Mai 1933 mit einer Rede öffentlich hervorgetreten. Vgl. G. Schnabel, Gerhard Fricke, S. 63. Fachlich unterschied sich Brinkmann von dem „fleißigen und sorgfältigen Philologen“ Bebermeyer durch ausgesprochen breite Kenntnisse auf allen Fachgebieten der Germanistik. Gegen ihn sprach, dass er Katholik war. Entsprechend ablehnend äußerte sich in den Verhandlungen der Philosophieprofessor Hans Leisegang. Erklärung von H. Leisegang vom 3. März 1933, in: UAJ, Bestand BA, Nr. 932, Bl. 88. Da sich die Fakultät nicht einigen konnte, reichte der Rektor im Juli 1933 beide Vorschläge ein – mit Brinkmann und Bebermeyer wechselseitig an erster bzw. zweiter Stelle der Kandidatenliste. Vgl. die Berufungsdiskussionen, in: Ebd., Bl. 78–104. „Entsprechend der guten alten Tradition, die für das Fach der deutschen Philologie an unserer Hochschule seit langer Zeit gegeben ist und sich bewährt hat, ist bei den neuen Vorschlägen […] vor allem der Blick auf Persönlichkeiten zu richten, die […] philologisch begründete Sprachkenntnis mit Begabung für Kritik und Interpretation und dem Sinn für das Wesen literaturgeschichtliche Vorgänge vereinigen. […] Denn nur, wer die verschiedenen Zweige der Wissenschaft vom deutschen Geistesleben zusammenzufassen versucht, kann wirklich fördernden Einfluss auf die akademische Jugend gewinnen, die in ihren besseren Elementen der Zerrissen-

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hing vor allem mit dessen Wirken als Volkskundler zusammen. Dies wurde spätestens deutlich, als kurz nach seiner Berufung auf ministerielle Verordnung hin sein Lehrauftrag um die Volkskunde erweitert wurde.91 Die Volkskunde gehörte in Jena zu den seit den 1920er Jahren geförderten Feldern des Fachs, auch wenn sie in den letzten Jahren nicht vertreten worden war. Nach 1933 erfreute sie sich einer expliziten Förderung, und so galt Witte der Fakultät gerade auf diesem Gebiet als einer der „vielversprechendsten unter der jüngsten akademischen Generation der Germanisten“92. Politisch bezeichnete er sich als Freund der „nationalsozialistischen Revolution“, selbst wenn er nicht in der NSDAP war.93 Insgesamt verlief das Verfahren trotz der Diskussionen zügig; Witte blieb in seinem Amt bis 1945. 3) Die Berufung von Bruno Schier nach Leipzig 1934 Im Jahr 1934 erfolgten am Germanistischen Institut in Leipzig zwei Berufungen. Die erste erging im Sommer des Jahres an den Prager Privatdozenten Bruno Schier. Bereits seit Mai 1934 hatte er das Extraordinariat für Deutsche Philologie und Volkskunde vertreten, nachdem der vormalige Inhaber der Stelle Fritz Karg aufgrund von Unterschlagung vom Amt suspendiert worden war.94 Während dieser Vertretungszeit zeichnete sich ab, dass die Stelle in eine Professur ausschließlich für Deutsche Volkskunde umgewandelt werden würde.95 Als das Verfahren für die reguläre Berufung dann im Juli begann, erschien Schier daher der Fakultät als einziger geeigneter Kandidat.96 Sie habe sich „pflichtgemäss […] umgesehen“97, doch könne sich keiner der ohnehin wenigen habilitierten Volkskundler fachlich „genügend ausweisen“, hieß es. Anders dagegen Schier, der sich „als Forscher und Persönlichkeit […] allgemeiner Anerkennung“ erfreue. Seine wissenschaftlichen Arbeiten befassten sich mit den Ausformungen des deutschen und slawischen Volkslebens, wobei er einen kulturmorphologischen Ansatz favorisierte, der sprachliche, historische und kulturelle Aspekte zusammenfügte.

91 92 93 94 95

96 97

heit der philologischen Studien mehr und mehr ablehnend gegenüber steht.“ Sondergutachten von Albert Leitzmann [o. D.; 1935], in: Ebd., Bl. 84 –87, hier Bl. 84. Vgl. Schreiben des Thüringischen Volksbildungsministeriums an den Rektor der UJ vom 14. März 1934, in: Ebd., Bl. 117. Vorschlagsbericht der Phil. Fak. der UJ vom 28. März 1933, in: Ebd., Bl. 78–83, hier Bl. 83. Vgl. Selbsteinschätzung zum akademischen Werdegang sowie zur persönlichen und politischen Entwicklung vom 16. Mai 1938, in: UAJ, Bestand D, PA Witte, unpag. Vgl. Kap. B II 2.1. Gerade nach der „nationalsozialistischen Machtergreifung“ habe dieses „Fach mit eigener Fragestellung“ die Aufwertung verdient, so der Antrag der Fakultät. Die Umwandlung erfolgte im November 1934. Vgl. Mitteilung über die Umwandlung der Stelle durch das Ministerium für Volksbildung vom 26. Oktober 1934, in: UAL, PA 252, unpag. Vgl. Schreiben der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 25. Juli 1934, in: UAL, PA 252, unpag. Zur Berufung im Kontext der Entwicklungen in Leipzig vgl. A. Lux, „fachlich tüchtig“, S. 67–72. Dies und die folgenden Zitate des Absatzes stammen aus einem Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 25. Juli 1934, in: UAL, Phil. Fak. B2 / 21:11, Bl. 61–65.

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Die politische Dimension seiner wissenschaftlichen Arbeit war expliziter Bestandteil der Bewertung der Fakultät. So lege seine letzte große Arbeit das „deutschslavische Kulturgefälle in dem weiten Raum zwischen Elbe und Dnjester“ offen und gehöre „zu den wertvollsten Fortschritten neuerer deutscher Volkstumsforschung“. Zudem sei Schier „volksverbunden im besten Sinne des Wortes“, was ihn besonders für die Zusammenarbeit mit Studenten, Kollegen, aber auch der Lehrerschaft, konkret dem NS-Lehrerbund, geeignet erscheinen lasse.98 Insgesamt zeigen sich in diesem Berufungsverfahren einige Abweichungen vom regulären Verfahrensmuster. Die relativ plötzlich zustande gekommene Vakanz und die Umwandlung bzw. Spezifizierung der Stelle engten den Kandidatenkreis stark ein. Dies hatte zur Folge, dass die Fakultät nur einen Kandidaten benannte. Zudem fällt bei der Bewertung Schiers durch die Fakultät die Verknüpfung von politischen und wissenschaftlichen Aspekten auf. Bemerkenswerterweise wurde dabei ausschließlich auf die eher vage politische Kategorie „Volk“ Bezug genommen. Schiers faktisches nationalsozialistisches Engagement im Sudetenland, wo er seit 1919 politisch hochgradig aktiv war,99 wurde hingegen nicht benannt. Die Abweichungen im Verfahren führten allerdings weder zu Verzögerungen noch zu Spannungen zwischen den einzelnen Auswahlakteuren.100 Angesichts des politischen Kapitals von Schier stand dessen weiterer akademischen Karriere in Leipzig nichts im Wege. 1942 wurde die Stelle in ein Ordinariat umgewandelt, das er bis 1945 innehatte. 4) Die Berufung von Alfred Hübner nach Leipzig 1934 Die geschilderten strukturellen Veränderungen, sprich die Fokussierung des einen Leipziger Extraordinariats auf die Volkskunde, hatten auch Auswirkungen auf das andere Extraordinariat. Auf diese Stelle wurde im November 1934 Alfred Hübner berufen. Die Diskussionen um die Stelle hatten jedoch bereits 1931 begonnen. Zu diesem Zeitpunkt war die planmäßige Emeritierung des bisherigen Stelleninhabers Georg Witkowski absehbar, und so traf sich die Kommission, um über einen möglichen Nachfolger zu diskutieren. Nach wie vor sollte der Fokus auf der Neueren Literaturgeschichte liegen, methodisch eher philologische Traditionen fortgesetzt werden. Als herausragender Kandidat galt der Fakultät 1931 Richard Alewyn als „Mann der Zukunft“ des Fachs.101 Die drei nachgenannten Kandidaten Gustav Be98 Schreiben von T. Frings an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 25. Juni 1934, in: Ebd., Bl. 45– 46. 99 Schier war unter anderem Mitglied und Mitbegründer des NS-Studentenbundes in Prag und Mitglied der Sudetendeutschen Partei. Vgl. Selbstaussage von B. Schier vom 9. September 1939, in: BArch, BDC, PK, Schier, Bruno, 17.12.02, unpag. Zu Schiers Zeit in Prag vgl. O. Konrád, „… nicht mehr schuldig“. 100 Vielmehr konnte sich Frings als treibende Kraft in diesem Verfahren präsentieren, mithin als guter Kenner der Situation unter den Nachwuchswissenschaftlern im Bereich Volkskunde. 101 Denn in Alewyn seien „Forschertum und Lehrbefähigung in besonders glücklicher Weise vereinigt“. Schreiben der Phil. Fak. der UL an das Ministerium für Volksbildung vom 20. Juli 1931, in: UAL, Phil. Fak., B2 / 20:24, Bl. 22–28, hier Bl. 23–24.

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bermeyer auf Platz zwei sowie Walter Rehm und Hermann Gumbel auf Platz drei waren weit hinter ihm abgeschlagen.102 Bis zum Juli 1931 verlief das Verfahren in regulären Bahnen: Als ausgesprochen begabt und wissenschaftlich angesehen stand Alewyn an erster Stelle auf der Liste in einem Verfahren, das eine reguläre Nachfolge diskutierte und dessen zügiger und erfolgreicher Verlauf absehbar schien. Allerdings sagte Alewyn ab, und so willigte Witkowski ein, seine Stelle auch als Emeritus weiter zu vertreten. Im April 1933 wurde er dann allerdings aufgrund seiner jüdischen Herkunft von der Lehre zunächst vorläufig, dann endgültig ausgeschlossen. Der außerplanmäßige Extraordinarius Karl Justus Obenauer übernahm vertretungsweise die Professur. Die nachfolgende Berufungsdiskussion im September erfolgte nun in Eile, um den bestehenden Zustand zu beenden. Zudem stand sie ganz im Zeichen der Forderungen des Sächsischen Volksbildungsministeriums, nach dessen Bekunden die Kandidaten fachlich und politisch für die Stelle geeignet sein müssten.103 Um seiner Position Nachdruck zu verleihen, schlug das Ministerium mit dem „Kämpfer gegen die Verfallserscheinungen der Vergangenheit und für die neue Anschauungsweise“ Gustav Steinbömer einen eigenen Kandidaten vor.104 Rasch einigte sich die Fakultät darauf, Steinbömer abzulehnen, der aus wissenschaftlicher Sicht für eine Professur gänzlich ungeeignet sei.105 Ihre Position unterstrich die Fakultät, indem sie dem Ministerium nicht weniger als sechs Kandidaten für die Stelle präsentierte, die den Anforderungen sowohl politisch als auch wissenschaftlich entsprachen. Die Liste umfasste an erster Stelle den Shootingstar Gerhard Fricke, den Anfang der 1930er Jahre meistgelisteten Neugermanisten.106 Fricke sei, so die Fakultät, ein „hochbegabter, gründlich gebildeter, schwungvoll energischer Geist“ und „ganz allgemein […] die stärkste jüngere Kraft auf dem Gebiete der neueren deutschen Literaturgeschichte“107. Auf Platz zwei stand der ebenfalls im Aufstieg be102 Die Fakultät sei „überzeugt, dass keiner der übrigen […] auch nur annähernd Alewyn vergleichbar“ sei. Ebd., Bl. 24 –25. 103 „Je wichtiger diese Lehrstühle für die Durchdringung unserer Studenten mit dem Geiste des neuen Staates sind, umso stärker muss darauf Gewicht gelegt werden, dass nicht nur ein wissenschaftliche hervorragender Fachmann, sondern darüber hinaus auch ein Kämpfer gegen die Verfallserscheinungen der Vergangenheit und für die neue Anschauungsweise gewonnen wird, dessen Persönlichkeit ein Programm verkörpert und dessen Berufung einen Bruch mit der Vergangenheit darstellt.“ Abschrift aus der Ministerialverordnung vom 5. September 1933, in: Ebd., Bl. 30. 104 Gustav Steinbömer war ein erfolgreicher Militär. Nach einem Unfall studierte er nach dem Ersten Weltkrieg zudem geisteswissenschaftliche Fächer und promovierte 1924 in Kunstgeschichte. In den folgenden Jahren trat er (bekannt auch unter dem Pseudonym Gustav Hillard) als konservativer Dichter und Dramaturg sowie als Verehrer von Ernst Jünger auf. 105 „Leute seiner Prägung dürfte es in der heutigen Schriftstellerwelt viele geben, aber es besteht keine Veranlassung, solche in ein Amt zu berufen, für welches Wissenschaftlichkeit zwar nur eine, aber doch eine unumgängliche Voraussetzung bilden sollte.“ Schreiben der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 30. Oktober 1933, in: UAL, Phil. Fak., B2 / 20:24, S. 63–78, hier Bl. 76. 106 Vgl. H. Dainat, Zur Berufungspolitik, S. 67. 107 Schreiben der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 30. Oktober 1933, in: UAL, Phil. Fak., B2 / 20:24, S. 63–78, hier Bl. 64.

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griffene Benno von Wiese und an dritter Stelle der Leipziger Dozent Obenauer, der die Stelle bisher vertreten hatte. Die weiteren Kandidaten der Fakultät waren Hermann Gumbel, Bruno Markwardt sowie der bereits in Leipzig lehrende Niederlandistikprofessor André Jolles. Gerade bei Obenauer zeigt sich, wie die Fakultät seine wissenschaftliche Arbeit und damit auch seine Position aufwertete, um ihn gegen Steinbömer ins Feld zu führen.108 Die politische Eignung der Kandidaten wurde von der Fakultät explizit in die fachliche Wertung eingefügt, wenn auch in etwas unbeholfener Weise. So schrieb sie, dass durch das, was von von Wieses „politische[r] Gesinnung bekannt geworden ist […] ein enger und lebendiger Kontakt mit den Studenten verbürgt erscheint.“109 Eindeutigeres wusste man von Fricke, der „seine politische Stellung“ in „einem programmatischen Aufsatze erhellt“ habe und „Nationalsozialist [sei]“.110 Damit stellte die Fakultät drei Kandidaten auf ihre Liste, die im Mai 1933 in die NSDAP eingetreten waren und sich aktiv in die Pflicht der „Bewegung“ gestellt hatten: Fricke als Redner bei der Bücherverbrennung, Obenauer als Blockwart, von Wiese im NS-Lehrerbund.111 Damit unterschied sich die Liste grundlegend von der von 1931. Dass die Fakultät mit der Nennung Obenauers und von Wieses taktisch argumentiert hatte, zeigte sich spätestens, als Fricke den Ruf ablehnte. Die Frage des Ministeriums, ob es mit den anderen beiden Kandidaten Verhandlungen aufnehmen solle, beantwortete die Fakultät nämlich damit, dass sie „auf die Berufung der Herren v. Wiese und Obenauer […] kein entscheidendes Gewicht“112 lege. Somit blieb die Stelle abermals vakant, die Verhandlungen wurden fortgesetzt. Angesichts der Spezialisierung der einen Professur (nun für Volkskunde) wurde auch die Umgestaltung der anderen Stelle (ehem. Witkowski) beschlossen. Sie sollte nun nicht mehr die Neuere Literaturgeschichte vertreten, sondern sowohl Ältere als auch Neuere deutsche Philologie. Unter diesen veränderten strukturellen Bedingungen erschien der Fakultät der Göttinger Privatdozent Alfred Hübner, ein „gewissenhafter und pflichttreuer Lehrer und Forscher“113, besonders geeignet. Politische Kriterien wurden in der Bewertung der Fakultät diesmal nicht genannt. Doch zeugten die eingeholten Erklärungen von der politischen Loyalität des Kan108 Obenauer war mit 45 Jahren der älteste der drei Kandidaten und sein akademischer Werdegang war nicht geradlinig verlaufen. Erst 1928 – 40­jährig – hatte er sich in Leipzig kumulativ habilitiert. Sein wissenschaftliches Kapital galt als begrenzt und er eher als ein „um das Höchste ringender Geist sowie als ein Schriftsteller von hohen Qualitäten“. Diese würden „nicht eigentlich wissenschaftliche[n] Ansprüche[n]“ genügen, jedoch würde bereits im Sommer ein „überaus gewichtiges Werk“ erscheinen, das „alle wissenschaftlichen Ansprüche befriedige“. Ebd., Bl. 74. Eine solche Aufwertung Obenauers kam ihm nach 1933 zu Gute. Doch nicht nur in dieser Einschätzung wurde auf die neue Arbeit abgehoben; er erhielt auch Stipendien und wurde zwei Jahre später nach Bonn berufen. 109 Ebd., Bl. 71. 110 Ebd., Bl. 66. 111 Vgl. zu den Berufungsverhandlungen A. Lux, „fachlich tüchtig“. 112 Schreiben der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 12. Februar 1934, in: UAL, Phil. Fak., B2 / 20:24, Bl. 81. 113 Schreiben der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 25. Juni 1934, in: Ebd., Bl. 105–110, hier Bl. 108.

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didaten, der seit November 1933 in der SA war und über den sich der Göttinger NS-Studentenbund nur positiv äußern konnte.114 So bevorzugten Fakultät und Ministerium Hübner gegenüber den anderen beiden Kandidaten (Josef Quint und Hermann Gumbel) und beriefen ihn zum November 1934. Damit hatte das Verfahren insgesamt drei Jahre gedauert und spiegelt in nuce die Wandlungen des Berufungsverfahrens beim Wechsel der politischen Systeme. Hübner blieb in seiner Position in Leipzig bis 1945. 5) Die Berufung von Carl Wesle nach Jena 1935 Dem Wechsel von Carl Wesle im April 1935 von Bonn nach Jena gingen keine regulären Berufungsverhandlungen voraus. Vielmehr wurde er vom Reichserziehungsministerium dorthin versetzt, nachdem der vormalige Lehrstuhlinhaber Leitzmann im März des Jahres emeritiert worden war. Diese Maßnahme kam zustande, nachdem Wesle bereits 1934 von Kiel nach Bonn zwangsversetzt worden war, da er sich für einen jüdischen Kollegen eingesetzt hatte und dabei mit dem Rektor in Konflikt geraten war.115 Die Berufung Wesles nach Jena war für die dortige Fakultät ein Glücksfall, gewann sie doch auf diese Weise einen angesehenen Germanisten, der nahtlos die Lehre fortsetzen konnte. Die politische Vorgeschichte sowie seine katholische Herkunft spielten keine nachweisbare Rolle in den Diskussionen. So ist die Versetzung von Wesle nach Jena und sein dortiges erfolgreiches Wirken ein Beispiel dafür, dass Angehörigen der „deutschen Volksgemeinschaft“ eine Art Bewährung zugestanden wurde, die es für ihre jüdischen Kollegen nicht gab.116 Wesle blieb bis zu seinem Tod 1950 im Amt. 6) Die Berufung von Franz Koch nach Berlin 1935 Der Wiener Extraordinarius Franz Koch wurde 1935 in einem zügigen Verfahren zum außerordentlichen Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte nach Berlin berufen. Er stand an erster Stelle der Kandidatenliste der Fakultät. Die weiteren Kandidaten waren Paul Böckmann und Benno von Wiese. Kochs wissenschaftliche Qualität lag vor allem in der Vielseitigkeit seiner Interessen und Arbeitsfelder. Er hatte sich mit den deutschen Klassikern ebenso befasst wie mit der Literatur des 19. Jahrhunderts, der österreichischen Gegenwartsliteratur sowie mit Theatergeschichte. Als Dozent verfüge er, so die Fakultät, über eine „starke Anzie114 Hübner stehe „mit der Studentenschaft und der Dozentenschaft der Universität Göttingen in sehr kameradschaftlichem Verhältnis. Er gehört zu einem Kreis junger Wissenschaftler, die gemeinsam mit Magnifizenz Neumann und dem Führer der Göttinger Studentenschaft Heinz Wolff der Göttinger Hochschularbeit eine besondere Note geben.“ Schreiben des Göttinger NSDStB an die Phil. Fak. der UL vom 23. Juli 1934, in: UAL, PA 595, Bl. 13. 115 Vgl. UAJ, Bestand D, PA Wesle, unpag., sowie die Ausführungen in Kap. B II 3.1. 116 Vgl. A. F. Kleinberger, Nationalsozialistische Hochschulpolitik, S. 14, sowie H. Dainat, Zur Berufungspolitik, S. 83.

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hungskraft“117; er sei „wirkungsvoll in Rede und Lehre“. Seine politische Einstellung wurde von der Fakultät explizit genannt: Koch sei „nach dem Kriege […] immer für nationale, grossdeutsche Politik eingetreten“. „Zweifellos“ gelte er als „nationalsozialistisch eingestellter Mann“. Koch übernahm die Professur im Frühjahr 1935 und blieb bis 1945 in Berlin. Das Verfahren dauerte etwa ein halbes Jahr. Es verlief weitgehend spannungsfrei und war absehbar in seinem Ausgang. Die Stelle war vakant geworden, nachdem der Lehrstuhlinhaber Fricke Ende 1934 nach Kiel berufen worden war. Die einzige Besonderheit in diesem Verfahren war der Vorschlag des Preußischen Kultusministeriums, den „alten Kämpfer“ Heinrich Kraeger auf die Kandidatenliste zu setzen.118 Erfolgreich argumentierte auch die Berliner Philosophische Fakultät (ähnlich der Leipziger) gegen diesen Eingriff: Kraeger sei weder als akademischer Lehrer noch als Forscher erfolgreich und stehe zudem kurz vor der Emeritierungsgrenze. Für das Amt eines Professors sei er so vollkommen ungeeignet.119 Mit Koch, Böckmann und von Wiese könne man zudem Kandidaten vorweisen, die relativ jung, fachlich ausgewiesen und politisch engagiert seien. 7) Die Berufung von Hans Kuhn nach Leipzig 1938 Der Kölner Privatdozent Hans Kuhn wurde 1938 als Extraordinarius für Nordische Philologie nach Leipzig berufen. Er kam im Mai zunächst als Vertretung für Konstantin Reichardt, der einige Monate zuvor aus dem Dienst geschieden war.120 Be117 Dies und die folgenden Zitate dieses Absatzes stammen aus einem Schreiben der Phil. Fak. der UB an den Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 10. Januar 1935, in: UA der HUB, Phil. Fak. Nr. 1480, Bl. 75–83, hier Bl. 79, 80 sowie 82. 118 Heinrich Kraeger hatte in Leipzig und Berlin studiert und 1892 bei Erich Schmidt in Berlin promoviert. Die Habilitation folgte fünf Jahre später in Zürich. An den Universitäten konnte er bis zuletzt nicht reüssieren und arbeitete stattdessen zwischen 1904 und 1921 als Professor für Kunstgeschichte und Literatur an der Kunstakademie in Düsseldorf. Bereits in dieser Zeit engagierte sich Kraeger in völkischen Kreisen und trat Anfang der 1920er Jahre der NSDAP bei. Er war Schriftleiter der Zeitschrift Deutscher Volkswart und nach seiner Übersiedlung nach Berlin Privatdozent für Deutsch und Weltliteratur an der TH Berlin-Charlottenburg. Im Zuge der „nationalsozialistischen Machtergreifung“ erhielt er einen Lehrauftrag an der Berliner Universität und lehrte dort (weiterhin unendgeldlich) deutsche Literatur „unter besonderer Berücksichtigung der völkischen Bewegung“. Nachdem die Berufung als Nachfolger Frickes gescheitert war, blieb Kraeger in dieser Stellung bis zur Versetzung in den Ruhestand 1937. Vgl. C. auf der Horst, Heinrich Kraeger. 119 Über Kraeger, der im Januar 1934 einen Lehrauftrag für Literaturgeschichte erhalten hatte, äußerte sich die Fakultät wie folgt: „Die damals [im Januar 1934; AL] vorgebrachten Bedenken gegen die Erteilung eines Lehrauftrages sind inzwischen durch die Tatsachen mehr bestätigt als entkräftet worden. Es lässt sich leider nicht leugnen, dass die […] Lehrtätigkeit Kraegers zu einer in stetigem Besucherrückgang sich ausdrückenden Enttäuschung der Studierenden und zu einem sowohl für die Person als für die Sache höchst bedauerlichen Misserfolg geführt hat.“ Die Fakultät bitte daher „dringend, von dieser Berufung abzusehen.“ Schreiben der Phil. Fak. der UB an den Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 10. Januar 1935, in: UA der HUB, Phil. Fak. Nr. 1480, Bl. 75–83, hier Bl. 75–77. 120 Vgl. Kap. B II 2.4.

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reits kurz nach Kuhns Wechsel nach Leipzig verhandelte das Sächsische Volksbildungsministerium mit ihm über eine reguläre Berufung. Ähnlich wie bei der Berufung von Schier war auch Kuhn der einzige Kandidat, den die Fakultät in diesem Verfahren vorschlug.121 Sie sei sich darüber einig, dass es sich bei ihm um eine „fachlich tüchtige, aktive und politisch einwandfreie Persönlichkeit“122 handle, wie der Rektor dem Ministerium mitteilte. Die Bewertung der Fakultät betonte die Qualität seiner wissenschaftlichen Arbeiten über sprachhistorische und volkskundliche Fragen vor allem Islands. Als Lehrer sei er „sachlich und sicher“, wenn auch „kein Liebhaber des flüssigen Wortes und der leichten Darstellung“.123 Kuhn habe sich in den letzten Jahren positiv entwickelt, wofür nicht zuletzt spreche, dass er seit 1936 die Professur für Nordistik in Berlin vertrete, sodass von ihm nur Gutes zu erwarten sei. Die politische Beurteilung Kuhns reduzierte sich in der Bewertung der Fakultät auf dessen Einsatz während und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg.124 Zügig und ohne nachweisbare Spannungen mit den politischen Instanzen wurde Kuhn nach Leipzig berufen und blieb bis zu seiner Wegberufung 1941 dort. Dabei hatte es durchaus politische Vorbehalte gegeben. Als es nämlich darum ging, Kuhn 1936 vertretungsweise nach Berlin zu holen, fielen die in Köln eingeholten Gut­ achten des NS-Dozentenbundes negativ aus. Er sei „eine etwas schüchterne und schwächliche Persönlichkeit“, politisch zu vorsichtig und unter dem Einfluss von Dozenten, „die vom Standpunkt des Nationalsozialismus abgelehnt werden müssen“.125 Für die Berufung nach Leipzig spielten diese Bewertungen allerdings keine erkennbare Rolle. Formal konnte Kuhn seine Loyalität zum NS-System durch seine Mitgliedschaft in der NSDAP nachweisen, der er 1937 beigetreten war.126 8) Die Berufung von Julius Schwietering nach Berlin 1938 Langwieriger gestaltete sich die Berufung des Frankfurter Professors Julius Schwietering zum Ordinarius für Deutsche Philologie 1938. Dies lag daran, dass die Nachfolgediskussion für die Stelle des überraschend verstorbenen Arthur Hübner von

121 Als Grund wurde die geringe Zahl von möglichen Kandidaten aufgeführt; „die Zahl des Nachwuchses auf dem Gebiet der Nordistik [sei] ganz ungewöhnlich klein“. Schreiben der Phil. Fak. der UB an das Sächsische Ministerium für Volksbildung, das REM und den Rektor der UL vom 19. Januar 1938, in: UA der HUB, PA Kuhn, Bd. III, Bl. 2–3, hier Bl. 2. 122 Schreiben des Rektors der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 27. Januar 1938, in: Ebd., Bl. 1. 123 Schreiben der Phil. Fak. an das Sächsische Ministerium für Volksbildung, das REM und den Rektor der UL vom 19. Januar 1938, in: UA der HUB, PA Kuhn, Bd. III, Bl. 2–3, hier Bl. 3. 124 Als Gymnasiast hatte sich Kuhn 1917 freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet und an der Westfront gekämpft. 125 Schreiben des Kölner NSDB an die UB vom 6. April 1938, in: UA der HUB, NSDB Kuhn, Bl. 18. Gemeint ist hier Friedrich von der Leyen, über den der SD befand, dass er „seiner Gesamthaltung nach abzulehnen und alles andere als Nationalsozialist“ sei. G. Simon, Germanisten-Dossiers, S. 46. 126 Vgl. E.-M. Siegel, Hans Kuhn.

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der Fakultät zur Schicksalsfrage des Fachs hochstilisiert wurde.127 Mit der Stelle sei nicht nur Ansehen, sondern zugleich eine Vielzahl von Aufgaben, Zuständigkeiten und Verantwortung in der Universität und der Akademie der Wissenschaften verbunden.128 Aus diesem Grund schlug die Fakultät dem Reichserziehungsministerium vor, ein zweites Ordinariat zu schaffen und beide zeitgleich zu besetzen. Beide Professoren sollten sich dann – der eine zuständig für ältere deutsche Sprache, der andere für Literatur – ergänzen und unterstützen. Die Liste umfasste drei Kandidatenpaare: Hermann Schneider und Theodor Frings standen an erster Stelle der Kandidatenliste. An zweiter standen Julius Schwietering und Erich Gierach, an dritter Stelle Hans Naumann und Jost Trier. Die Darstellung der Kandidaten bewertete vor allem ihre fachlichen Leistungen. Bei den ersten vier Kandidaten handelte es sich um ausgewiesene, erfahrene Germanisten – durchweg in den 1880er Jahren geboren, im Kaiserreich ausgebildet und sozialisiert und bereits auf Ordinariate berufen. Die Entwicklung von Naumann und Trier hingegen galt als noch nicht abgeschlossen. Die politische Bewertung der Kandidaten erfolgte durch den Berliner NS-Dozentenbund, wobei Gierach und Schneider positiv, Frings und Schwietering hingegen negativ beurteilt wurden.129 Die Verhandlungen zogen sich über Monate hin – insgesamt dauerten sie fast anderthalb Jahre – und zuletzt kam die angestrebte Zweierbesetzung nicht zustande. Innerhalb des Reichserziehungsministeriums favorisierte man offensichtlich Trier und Schwietering. Nachdem der Erste aus familiären Gründen abgesagt hatte, wurde im Oktober 1938 ausschließlich Schwietering berufen.130 Er blieb in dieser Stellung bis 1945.

127 Die „Vertretung der Germanistik an der Universität Berlin […] [sei] der Gradmesser für den Stand und die Höhe der Wissenschaft um unsere Literatur und Sprache“. Schreiben der Phil. Fak. der UB an das REM vom 19. Juni 1937, in: UA der HUB, PA Hübner, Bd. II, Bl. 49–59, hier Bl. 49–50. 128 Hübner war (neben seiner Tätigkeit als Ordinarius) bei der Akademie der Wissenschaften u. a. für die Herausgabe der Texte des Mittelalters, die Zentralstelle des Deutschen Wörterbuchs sowie die Bearbeitung eines mittelhochdeutschen Wörterbuchs verantwortlich. Nicht zuletzt (so die Meinung der Zeitgenossen) sei Hübner dieser starken Arbeitsbelastung erlegen. Vgl. Entwurf eines Schreibens an das REM von Vertretern des Germanistischen Institut [o. D.], in: UAB, PA 444, Bl. 18–25, hier Bl. 18. 129 Gierach sei eine „aktive kämpferische Natur von grosser Energie und Einsatzbereitschaft“. Schneider galt „trotz seiner etwas blass-ästhetischen Art charakterlich als einwandfrei“. Frings galt aufgrund seiner katholischen Herkunft und da er sich 1933 gegen die Entlassung von Kollegen eingesetzt hatte, als „belastet“. Schwietering sei konservativ und „gegen den Nationalsozialismus eingestellt“. Schreiben des NSDB an den Rektor der UB vom 14. Juli 1937, in: UA der HUB, NS-Doz, 136, Bl. 9–11. 130 Schwietering war ein Kandidat, der auch fachlich für die Stelle geeignet war und zudem vom REM unterstützt wurde. Die politischen Vorbehalte des NSDB waren angesichts dieser Konstellation sekundär. Schwietering selbst gab auf seinem Personalblatt nach der Berufung Auskunft über seine politischen Aktivitäten. So sei er seit 1933 aktiv im NS-Lehrerbund, Vorsitzender der Ortsgruppe Frankfurt der Gesellschaft für Deutsche Bildung, Förderndes Mitglied der SS, Mitglied des Reichskolonialbundes, des Reichsluftschutzbundes sowie der NSV. Vgl. Personalblatt, in: UA der HUB, PA Schwietering, Bl. 1.

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9) Die Berufung von Hans Kuhn nach Berlin 1941 Die für 1938 konstatierte angespannte Personalsituation in der Nordistik prägte auch die Berufungsverhandlungen 1940 / 41 nach dem Tod von Gustav Neckel in Berlin. Zwar nannte die Berliner Fakultät drei Kandidaten (neben Hans Kuhn an erster Stelle standen Wolfgang Mohr und Heinrich Hempel), doch wies sie explizit darauf hin, dass Kuhn fachlich die beiden Nachgenannten weit überrage.131 Kuhns wissenschaftliche Arbeiten wurden von der Fakultät als hervorragende Leistungen beurteilt, die zudem über das rein Philologische hinausgehend kulturhistorische Fragen diskutieren.132 Und politisch? Da der in Berlin hinterlassene Eindruck von Kuhn Ende der 1930er Jahre „uneinheitlich“ gewesen war, fragte man beim NSDozentenbund in Leipzig nach, ob sich Kuhn „inzwischen im nationalsozialistischen Sinne entwickelt“133 habe. Das Gutachten fiel nicht positiv, aber wohlwollend aus: Kuhn sei ein „grundanständiger Charakter […] freundlich, hilfsbereit und durchaus kameradschaftlich“134. Er komme aus der Bündischen Jugend, habe im Ersten Weltkrieg seine Pflicht getan, sei seit 1934 im NSV und seit 1937 in der NSDAP. Aktiv beteiligt habe er sich allerdings weder in der Partei noch in einer der angegliederten Organisationen, sodass der NSDB-Führer die „innere Einstellung zur Weltanschauung […] mit bestem Willen nicht beurteilen“135 könne. Das hieß aber auch: nicht negativ. Im Ergebnis wurde Kuhn – obgleich er offensichtlich nicht dem favorisierten Typ des nationalsozialistischen Dozenten entsprach – auf das Ordinariat nach Berlin berufen. Die fachliche Hochschätzung Kuhns seitens der wissenschaftlichen Akteure, seine Stellung als einziger in Frage kommender Kandidat und der Rückhalt, den er im Reichserziehungsministerium genoss,136 wogen schwerer als die politischen Vorbehalte. Dies hatte zur Folge, dass das Verfahren insgesamt zügig und weitgehend spannungsfrei verlief. Kuhn blieb ebenfalls bis 1945 in Berlin. 10) Die Berufung von Gerhard Cordes nach Berlin 1941 Der erst 34-jährige Hamburger Privatdozent Gerhard Cordes wurde 1941 auf das neugeschaffene Ordinariat für Deutsche, insbesondere niederdeutsche Philologie nach Berlin berufen. Der vorausgegangene Berufungsprozess war recht langwierig. 131 Vgl. Schreiben der Phil. Fak. der UB an das REM vom 10. November 1941, in: UA der HUB, NSDB, Kuhn II, Bl. 15. 132 Als fachliche Referenz wurde dabei auf die ausgesprochen wohlwollenden Rezensionen der Arbeiten Kuhns durch den renommierten ehemaligen Berliner Ordinarius Andreas Heusler verwiesen. Schreiben der Phil. Fak. der UB an das REM vom 10. November 1941, in: Ebd., Bl. 12–15. 133 Schreiben des NSDB / Berlin an den NSDB / Leipzig vom 19. Dezember 1940, in: Ebd., Bl. 25. 134 Gutachten des NSDB / Leipzig über H. Kuhn vom 15. Januar 1941, in: Ebd., Bl. 18. 135 Ebd. 136 Harmjanz, Leiter des Amtes W 6 im REM, hatte Kuhn für die Berliner Stelle selbst vorgeschlagen und ihn „ohne Vorbehalte von seiner Seite“ unterstützt. Vgl. Schreiben von H. Kuhn an den Rektor der UL vom 23. April 1941, in: UAL, PA 669, Bl. 12.

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Im April 1940 hatte das Reichserziehungsministerium der Berliner Fakultät mitgeteilt, man habe festgestellt, dass in Berlin ein Ordinariat für Altgermanistik fehle. Eine entsprechende Stelle sei einzurichten und mit dem Königsberger Professor Otto Mausser über eine Berufung zu verhandeln.137 Die Fakultät setzte daraufhin eine Kommission ein, in der diese Vorgaben diskutiert wurden. Früh betonte Schwietering, dass Berlin keine zweite Professur für historische Grammatik brauche, sondern vielmehr die Mundarten, mithin das Niederdeutsche gefördert werden müssten. Diesen Anforderungen würde Mausser nicht entsprechen, so die Fakultät. Doch auch Mausser wollte (inoffiziell angefragt) seine Stellung in Königsberg nicht aufgeben. In einer Kommissionssitzung im Dezember 1940 fiel dann erstmals der Name Cordes, vorgebracht wiederum von Schwietering. Cordes’ bisherige Arbeiten hatten niederdeutsche Besonderheiten mit der allgemeinen Sprachgeschichte verbunden und galten als vielversprechend. Politisch war Cordes auf Linie: In der SA hatte er die Funktion eines Rottenführers, zuständig für die politische und weltanschauliche Schulung, innegehabt; er war Mitglied im NS­Dozentenbund und seit 1937 Anwärter, seit 1939 Mitglied der NSDAP.138 Unter diesen Bedingungen konnte er einer der jüngsten Germanistikordinarien im Dritten Reich werden. Er blieb in dieser Stellung bis 1945. 11) Die Berufung von Hans Pyritz nach Berlin 1942 Bei der Diskussion um die Nachfolge des im August 1941 verstorbenen Julius Petersen gab es innerhalb der Fakultät grundlegende Meinungsverschiedenheiten. Schwietering als Ordinarius für Ältere deutsche Philologie sowie der überwiegende Teil der Fakultät legten Wert auf einen philologisch arbeitenden Germanisten als Nachfolger.139 Ihr Favorit war Hans Pyritz, der nach ihrer Ansicht unter den Philologen der jüngeren Generation der Beste sei.140 Gegen diese Position trat Franz Koch auf, der sich in dieser Frage als der „nächst interessierte und zuständige Fachmann“ verstand. Für ihn war die philologische Methodik zweitrangig. Ihm ging es vielmehr um die fortgeführte Verknüpfung des Lehrstuhls mit der Theaterwissen137 Vgl. Schreiben des REM an die Phil. Fak. der UB vom 18. April 1940, in: UA der HUB, PA Cordes, Bl. 1. 138 Vgl. H. Menke, Gerhard Cordes. 139 So müsse „der philologische Stützpunkt deutscher Literaturwissenschaft an dieser sichtbaren Stelle erhalten“ bleiben. Vorschläge von J. Schwietering für die Neubesetzung des Lehrstuhls Petersen [o. D], in: UA der HUB, PA Petersen, Bl. 80–89, hier Bl. 89. Denn „was der studierenden Jugend neben der Literaturkunde als Geisteswissenschaft nottut, [sei] die Technik der Edition, solide wissenschaftlich philologische Arbeitsmethoden gebrauchen zu lernen.“ Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UB an den Rektor der UB vom 26. Februar 1942, in: Ebd., Bl. 90–92, hier Bl. 91. 140 Würde die Fakultät Pyritz nicht gewinnen können, würde sie auf den philologischen Schwerpunkt verzichten, da in diesem Feld sonst nur Zweitrangige in Betracht kämen. Als Kandidaten benannte die Fakultät weiterhin Ernst Bertram von der Universität Köln sowie an dritter Stelle Josef Nadler von der Universität Wien. Vgl. Vorschläge von J. Schwietering für die Neubesetzung des Lehrstuhls von J. Petersen [o. D.], in: Ebd., Bl. 80–89, hier Bl. 86–89.

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schaft. Die von ihm favorisierten Kandidaten waren daher Willi Flemming, Karl Justus Obenauer und Paul Böckmann.141 Trotz mehrerer Kommissionssitzungen und intensiver Diskussionen konnte innerhalb der Fakultät keine Einigung erzielt werden. Der Großteil war für Pyritz, der daher im Februar 1942 dem Rektor als einziger Kandidat vorgeschlagen wurde. Koch reichte daraufhin ein Separatvotum direkt an das Reichserziehungsministerium ein und stellte darin seine Ansicht zur Nachfolgefrage sowie seine Kandidaten vor.142 Koch lehnte Pyritz, dem er kurz vorher noch ein sehr gutes Habilitationsgutachten geschrieben hatte,143 nicht nur aus fachlichen Gründen ab, sondern auch aus politischen. Zum einen war Pyritz „nur“ Parteianwärter. Schwerer wog jedoch, dass Pyritz Petersen-Schüler war und Koch annahm, dass er fachlich, methodisch und habituell versuchen würde, in die Fußstapfen seines Lehrers zu treten. Gerade dieses traditionelle Wissenschaftsverständnis hatte Koch jedoch in direkter Auseinandersetzung mit Petersen bekämpft.144 Das Reichserziehungsministerium entschied sich dennoch für Pyritz, der von Mai 1942 bis zum Kriegsende das Ordinariat für Deutsche Sprache und Literatur innehatte. 12) Die Berufung von Bernhard Kummer nach Jena 1942 Die Berufung von Bernhard Kummer zum Ordinarius für Altnordische Sprache und Kultur im Mai 1942 in Jena verlief zwar ohne erkennbare Probleme, jedoch jenseits aller regulären Kriterien, die für Berufungsverfahren üblich waren. Kummer war nicht habilitiert, konnte sich auch sonst kaum durch fachliche Leistungen ausweisen und galt zudem als unberechenbarer und egozentrischer Charakter.145 Dass Kummer unter diesen Voraussetzungen dennoch im wissenschaftlichen Feld reüssieren konnte, lag zum einen daran, dass er sich erfolgreich als „Kämpfer gegen die Verfallserscheinungen“ hatte inszenieren können, und zum anderen an den einflussreichen Fürsprechern, die er in Jena hatte. Dazu gehörte neben dem Professor für Rassekunde Hans F. K. Günther der Rektor der Universität Karl Astel. Dieser hatte Kummer 1936 nach Jena geholt, ihn mit einem Lehrauftrag für Altnordische Sprache und Kultur sowie Germanische Religionsgeschichte versorgt und ihm ein Ordi141 Vorschlag von F. Koch an das REM [o. D.], in: Ebd., Bl. 85. 142 Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UB an den Rektor der UB vom 26. Februar 1942, in: Ebd., Bl. 90–92. 143 In diesem Gutachten hieß es anerkennend, dass Pyritz die „philologische Methode mit ausgezeichnetem Sinn für Dichterisches und mit seelischem Verständnis“ verbinde. Gutachten von F. Koch zur Habilitation von H. Pyritz vom 10. April 1940, in: UA der HUB, PA Pyritz, unpag. 144 Vgl. Kap. B II 3.2b. Wolfgang Höppner hat zudem auf das Motiv der persönlichen Enttäuschung als Grund für die ablehnende Haltung Kochs gegenüber Pyritz hingewiesen. Pyritz hatte sich zur Fertigstellung seiner Habilitation nämlich vom Kriegsdienst befreien lassen, was Koch als persönliche Schwäche und mangelndes nationales Engagement bewertete. Vgl. W. Höppner, Das Berliner Germanische Seminar, S. 97. 145 In Berlin hatte sich Kummer Anfang der 1930er Jahre mit seinem Mentor Gustav Neckel überworfen und (unter Missachtung aller akademisch-habitueller Normen) eine Lawine an Missdeutungen, Denunziationen und Missgunst losgetreten. Gutachten, die Kummers Eignung für eine Lehrstelle in Berlin bewerten sollten, fielen entsprechend negativ aus. Vgl. Kap. B II 3. 2a.

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nariat in Aussicht gestellt. Die Einrichtung der Stelle dauerte aus strukturellen und finanziellen Gründen einige Jahre 146 und wurde extra für Kummer geschaffen (bzw. umgewidmet). Aus diesem Grund gab es kein reguläres Berufungsverfahren, in dem er sich gegen andere Kandidaten hätte behaupten müssen. Das Ignorieren fachwissenschaftlicher Kriterien machte die Ernennung Kummers zum Ordinarius zu einer politisch motivierten Inthronisierung. Im Gegensatz zu den Oktroyierungen von Obenauer in Bonn oder Kindermann in Münster gab es in seinem Fall jedoch keinen Widerspruch.147 Vielmehr hieß es in einem Gutachten Wesles über Kummer: „Ich habe mich schon zu seiner ersten Berufung nach Jena [als Lehrbeauftragter; AL] mit aufrichtiger Zustimmung ausgesprochen. Meine Meinung, dass er, wenn seine Stellung hier gefestigt und gesichert wird, zum Nutzen der germanischen Altertumswissenschaft und im Sinn der völkischen Erziehung unserer akademischen Jugend segensreich wirken wird, hat sich seitdem nur verstärkt. […] Ich würde es sehr bedauern, wenn die Friedrich-Schiller-Universität die Möglichkeit, ihren Lehrkörper durch Kummer zu ergänzen, wieder verlieren würde.“148

Auch Kummer blieb bis 1945 im Amt. 13) Die Berufung von Hans Knudsen nach Berlin 1943 Hans Knudsen hatte das im Frühjahr 1943 neu geschaffene Extraordinariat für Theaterwissenschaft in Berlin zunächst vertretungsweise, seit September 1944 regulär inne.149 Das Theaterwissenschaftliche Institut war strukturell zwar unabhängig von der Germanistik, doch hatte es seit seiner Gründung 1923 immer wieder enge räumliche und personelle Verknüpfungen gegeben.150 Der Berufung von Knudsen waren (ähnlich wie bei Kummer) keine Berufungsverhandlungen voraus146 Kummer sollte das Ordinariat des deutschnationalen Philosophieprofessors Hans Leisegang erhalten, der 1934 aufgrund abfälliger Äußerungen über den „Gefreiten“ Hitler mit den Nationalsozialisten in Konflikt geraten war. Leisegang wurde verhaftet, verurteilt und entlassen. Vgl. U. Hoßfeld / J. John u. a. (Hg.), „Im Dienst an Volk und Vaterland“, S. 61. Bereits 1937 war die Umwidmung der Stelle Leisegangs in ein Ordinariat für Nordistik im Gespräch; 1939 wurde sie einstimmig von der Fakultät beschlossen. Realisiert wurde sie allerdings erst 1942. Vgl. Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der FSU an den Rektor der FSU vom 5. April 1937, in: UAJ, Bestand BA, Nr. 933, Bd. XXVII 1935–38, Bl. 154; Schreiben des Rektors der FSU an das Thüringische Ministerium für Volksbildung vom 14. Juli 1939, in: UAJ, Bestand C, Nr. 876, Bl. 1. 147 Vgl. zu den Prozessen in Bonn H.-P. Höpfner, Die Universität Bonn im Dritten Reich, S. 362– 369 und zu jenen in Münster A. Pilger, Germanistik in Münster, v. a. S. 367– 414. 148 So das Fazit des vom NSDB angeforderten 12-seitigen Gutachtens von C. Wesle vom 10. Juni 1938, in: UAJ, Bestand U, Abt. IV, Nr. 20, Bl. 358–369, hier Bl. 365. 149 Vgl. Schreiben des REM an H. Knudsen vom 9. September 1944, in: UA der HUB, PA Knudsen, Bd. I, Bl. 149. 150 Max Herrmann und Julius Petersen hatten das Institut 1923 gegründet. Seitdem war die Lehre theaterwissenschaftlicher Themen immer in der Hand von Germanisten gewesen. Zunächst von Herrmann, dann Petersen, später dessen Nachfolger Pyritz. Vgl. hierzu generell S. Corssen, Max Herrmann, S. 85–92.

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gegangen. Vielmehr wurde er vom Reichserziehungsministerium per Erlass eingesetzt. Auch Knudsen war nicht habilitiert, sondern hatte bislang als Lehrer an einem Berliner Gymnasium gearbeitet. Gleichwohl hatte er sich seit Mitte der 1920er Jahre immer wieder intensiv mit theaterwissenschaftlichen Fragen befasst.151 Nach 1933 stellte er seine Kenntnisse in den Dienst des Nationalsozialismus, indem er zwischen 1935 und 1938 für die kulturpolitische Theaterzeitschrift Die Bühne verantwortlich war, das Organ der Fachschaft Bühne, die dem Reichspropagandaministerium unterstellt war.152 Ohne Habilitation und reguläres Berufungsprozedere war Knudsen der Zweite, der auf diese Weise eine Professur erhielt.153 Auch er blieb bis 1945 im Amt. 2.2 Die „neue Berufungsnormalität“ Die dargestellten 13 Berufungsfälle unterscheiden sich in ihren konkreten Ausformungen teilweise voneinander – abhängig von den spezifischen Anforderungen an die Stelle oder aufgrund besonderer Gegebenheiten vor Ort. Misst man sie jedoch an dem normaltypischen Verfahren, wie es einleitend skizziert wurde, so lassen sich auch für die Zeit des Nationalsozialismus generalisierbare Aussagen treffen. Zunächst zeigen die Beispiele, dass das Bewahren von wissenschaftlichen Standards weiterhin eine zentrale Rolle spielte. Elf der 13 Berufenen hatten reguläre akademische Werdegänge absolviert und waren habilitiert; sie konnten sich durch Publikationen ausweisen und hatten in ihrer Zeit als Privatdozenten und Extraordinarien Lehrerfahrungen gesammelt. In zehn regulären Verfahren wurden die Kandidaten in den Kommissionssitzungen hinsichtlich ihrer fachlichen Leistung und Eignung für die Stelle eingehend diskutiert; es wurden Gutachten eingeholt und die jeweilige Kommission einigte sich auf eine Kandidatenliste. In der Regel handelte es sich dabei weiterhin um Dreierlisten, und von diesen Listen wurde meist der Erstgenannte berufen. Das zeigt: Sowohl die wissenschaftlichen Akteure als auch die zuständigen Ministerien hielten an fachlichen Standards bei der Bewertung der zu Berufenden fest.

151 So unterstützten etwa Petersen und Herrmann als Direktoren des Theaterwissenschaftlichen Instituts 1927 die Beurlaubung Knudsens, um die Sammlungen der Gesellschaft für Theatergeschichte zu sortieren und zu katalogisieren. Vgl. Schreiben von J. Petersen und M. Herrmann vom Oktober 1927, in: UA der HUB, PA Knudsen, Bd. I, Bl. 109–110. 152 Vgl. Korrespondenz des stellvertretenden Präsidenten der Reichstheaterkammer [angesiedelt beim Propagandaministerium] mit dem Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg im Zeitraum zwischen 1935 und 1938, in: Ebd., Bl. 122–139. 153 Die Entscheidung, den politisch loyalen Praktiker Knudsen zu berufen, spiegelt die hochschulpolitischen Interessen. Der Schritt entsprach zum einen der Entscheidung von Fakultät und REM, die Eigenständigkeit der Theaterwissenschaft zu fördern. Zum anderen war er eine politische Entscheidung. Denn die Theaterwissenschaftliche Abteilung, die bisher Petersen unterstanden hatte, galt als „keine erfreuliche Erscheinung“ und der Institutsassistent Rolf Badenhausen als „Gegner des Nationalsozialismus“. Vgl. Schreiben des NSDB der UB an den Gaudozentenbundsführer vom 15. Juli 1941, in: UA der HUB, NS­Doz, 14, Bl. 8.

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Dominierten hier Kontinuitäten, so lassen sich beim Zustandekommen der Vakanzen deutliche Brüche konstatieren. Bis 1933 waren die Professoren infolge von Wegberufung, Emeritierung oder aus natürlichen Gründen ausgeschieden. Die Vakanz war in der Regel absehbar und die Nachfolge konnte längerfristig geplant und vorbereitet werden. In den seltenen Fällen von unvorhersehbaren Ausfällen (etwa durch plötzlichen Tod) war es bis Anfang der 1930er Jahre üblich gewesen, eine Vertretung zu bestimmen, um dann in Ruhe das eigentliche Berufungsverfahren vorzubereiten und durchzuführen. In der Regel standen die Dozenten, die die Stelle vertraten (meist Privatdozenten oder außerplanmäßige Extraordinarien), später nicht auf der Kandidatenliste. Nach 1933 hatte sich die Verteilung der Abgangsmuster deutlich verändert. Nur fünf der 13 Berufungen folgten auf Vakanzen, die regulär zustande gekommen waren. Die anderen acht Berufungen erfolgten hingegen auf Stellen, die neu geschaffen worden waren oder nach Entlassungen, Kündigungen oder mehrjähriger Vakanz besetzt werden sollten. Auf diese Weise wurden etwaige Traditionslinien und Verbindlichkeiten ebenso wie ideelle Verpflichtungen gegenüber dem vorherigen Stelleninhaber radikal unterbrochen. Hinsichtlich des Zeitraums, den die Berufungsverfahren während des Dritten Reichs dauerten, lässt sich eine leichte Tendenz zur Verzögerung feststellen. Unüblich rasch verliefen die Ernennungen von Knudsen und Wesle, also in Fällen, in denen es kein reguläres Verfahren gegeben hatte. In anderen Fällen hingegen gab es Verzögerungen. Diese waren vielfach strukturell bedingt, an die Absage des Favoriten oder an langwierige Verhandlungen über die Gestalt der Stelle gebunden. Dass politisch motivierte Einsprüche die Verfahren deutlich verzögert hätten, konnte hingegen nicht festgestellt werden. Zu den Merkmalen über den Verfahrensverlauf kommen soziale Kriterien, die sich für die Verfahren im Dritten Reich als typisch erwiesen haben. So waren die Neuberufenen nach wie vor ausschließlich männlich. Leichte Verschiebungen (im Vergleich zur Weimarer Zeit) gab es hinsichtlich sozialer Herkunft und Konfession. So stammte ein großer Teil der während des Dritten Reichs berufenen Professoren aus klein- und mittelständischen Familien, während in der Weimarer Republik noch die großbürgerliche Herkunft dominiert hatte. Auch eine Verschiebung der Religionszugehörigkeit ist festzustellen. In der Weimarer Republik waren 16 der 18 Neuzugänge evangelisch getauft, im Dritten Reich nur 9 von 13; hingegen stammten vier der Berufenen aus katholischen Familien, auch wenn sie sich zum Teil später vom Katholizismus distanzierten (wie etwa Franz Koch). Das Berufungsalter sank im Vergleich zur Weimarer Republik marginal von durchschnittlich 42 auf 41 Jahre. Jedoch waren vier der Berufenen zum Zeitpunkt ihrer Ernennung erst Anfang 30, weitere drei unter 40. Mit dem geringen Alter von über der Hälfte der Berufenen ging einher, dass sieben der Berufenen zum Zeitpunkt ihrer Ernennung noch Privatdozenten waren. Zudem ging eine Reihe der Berufungen aus Vertretungssituationen hervor. Dies stützt die These von Thomas Laugstien, der in der Vertretung ein Karrieresprungbrett für Privatdozenten im Dritten Reich sieht.154 Beides, Erstberufungen und Vertretungsberufungen, waren in der Weimarer Zeit nicht üblich gewesen. Während des Dritten Reichs hingegen waren mit Pyritz 154 T. Laugstien, Philosophieverhältnisse, S. 100.

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und Cordes sogar zwei der berufenen Ordinarien vorher nur Privatdozenten gewesen. Eine solche Verjüngung war zum einen Bestandteil der nationalsozialistischen Personalpolitik, die sich als junge Bewegung verstand und sich vom akademischen Nachwuchs eine stärkere ideologische Durchdringung der Wissenschaft erhoffte. Zugleich verweist sie auf die zunehmend angespannte Lage auf dem akademischen Arbeitsmarkt. Die Zahl der zur Verfügung stehenden Dozenten und Professoren hatte sich angesichts von Vertreibung und Emigration nach 1933 sowie infolge der Nachwuchskrise seit den 1920er Jahren dezimiert. Ein erhöhter Personalbedarf ergab sich zudem durch die Neugründung von Hochschulen und im Zuge der Besetzung von Gebieten. Nicht zuletzt standen gerade für relativ junge Fachbereiche wie Volkskunde oder Theaterwissenschaft kaum erfahrene Professoren zur Verfügung, sodass man hier gezielt auf junge Dozenten oder Praktiker zurückgriff. Die Kontinuitäten im Verfahren und die nur tendenziellen Verschiebungen bei den sozialen Merkmalen verweisen auf eine fortgesetzte Normalität in Berufungsfragen nach 1933. Dass dies jedoch eine neue Normalität war,155 deutet sich bereits mit Blick auf das häufig irreguläre Zustandekommen der Vakanzen an. Darüber hinaus wurde in stärkerem Maße als zuvor Rasse als soziale und politische Kategorie gleichermaßen für die Berufungsverfahren bedeutsam. Rassismus und Antisemitismus bildeten, wie zuletzt Michael Wildt noch einmal betont hat, den Kern der nationalsozialistischen Konstruktion von Volksgemeinschaft.156 Und so war die „arische Abstammung“ auch für eine Berufung (ebenso wie für andere Karriereschritte) die unumgängliche Voraussetzung. Doch nicht nur das. Wie die Kandidatenlisten zeigen, machten bereits die akademischen Auswahlakteure die „arische Abstammung“ zur Voraussetzung dafür, dass ein Kandidat überhaupt benannt wurde.157 Dies scheint angesichts der generellen Ausgrenzungspolitik gegenüber Juden wenig verwunderlich. Allerdings gab es zwischen der „nationalsozialistischen Machtergreifung“ im Januar 1933 und den Nürnberger Rassegesetzen im September 1935158 einen Zeitraum, in dem die Nennung von jüdischen ehemaligen Frontkämpfern auf der Berufungsliste durchaus möglich gewesen wäre, da für sie das Berufsverbot noch nicht galt.159 Dies geschah jedoch in keinem der immerhin sechs Verfahren aus dieser Zeit, was einer Mischung aus vorauseilendem Gehorsam, der Fortführung antisemitischer Ressentiments sowie einer gehörigen Portion Pragmatismus geschuldet war. So konstatierte bereits Helmut Böhm, der sich mit Berufungsverfahren in München in den ersten Jahren des Dritten Reichs befasst hat: 155 Vgl. zur gewandelten Normalität im Dritten Reich auch die sozialpsychologischen Überlegungen von H. Welzer, Die Deutschen. 156 M. Wildt, Nationalsozialismus, S. 15. 157 Dies lässt sich (mit Ausnahme der Nennung von Alewyn im Sommer 1933) für alle Verfahren feststellen. 158 Für diesen Zusammenhang wesentlich war vor allem das Reichsbürgergesetz, das jedem jüdischen Beamten untersagte, ein öffentliches Amt auszuführen, was die Aufhebung des sogenannten Frontkämpferprivilegs bedeutete. 159 Dass es solche Fälle gab, zeigt das Beispiel der Leipziger Theologischen Fakultät, die den „nichtarischen“ Religionshistoriker Joachim Wach 1934 auf Platz drei ihrer Kandidatenliste setzte. Obgleich seine Berufung ausweglos sei, wollte sie auf diesem Weg seine fachliche Qualität betonen. Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 238.

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„Obwohl die Fakultäten ihre Vorschläge grundsätzlich nach streng wissenschaftlichen Kriterien erstellten, hielten sie es im Interesse der bestmöglichen Realisierung ihrer Vorschläge mitunter auch für unumgänglich, gewisse Konzessionen zu machen und, den realen politischen Verhältnissen Rechnung tragend, zumindest bei der Vorauswahl der Kandidaten auch die politische Akzeptanz mitzuberücksichtigen. Nur so waren vielfach […] eine vorprogrammierte Zurückweisung des Vorschlags, längere Vakanz oder politische Streitereien zu vermeiden.“160

Was Böhm für die „politische Akzeptanz“ feststellte, ist erst recht auf die „arische Abstammung“ der Kandidaten zu übertragen. Ein wichtiges Indiz dafür ist, dass antisemitische Kriterien in den Berufungsverfahren keine erkennbare Rolle spielten. Das bedeutet aber eben nicht, dass sie sekundär gewesen wären. Vielmehr war der „Ariernachweis“ integraler Bestandteil der neuen Berufungsnormalität im Dritten Reich geworden. Gerade dass es über diese Frage keine Diskussionen gab, zeigt den Erfolg der Integration dieses Kriteriums in die Berufungspraxis. Neben der „arischen Abstammung“ war das politische Bekenntnis zum Nationalsozialismus eine zentrale Voraussetzung dafür, berufen zu werden. Dies war zumindest der Anspruch der politischen Akteure, und für dessen Durchsetzung hatten sie auf den unterschiedlichen Entscheidungsebenen während des Berufungsverfahrens entsprechende Kontrollinstanzen eingerichtet. Dafür spricht der hohe Anteil an NSDAP-Mitgliedern unter den im Dritten Reich berufenen Germanisten. In der Bewertung der Berufungskommissionen selbst spielte die „politische Eignung“ der Kandidaten jedoch selten eine Rolle. Der ausdrückliche Verweis auf politisches Engagement erfolgte nur dann, wenn damit bestimmte Intentionen verbunden wurden. Das hatte zur Folge, dass die Verweise nicht nur selten, sondern auch immer positiv konnotiert waren. Exemplarisch zeigt dies die Diskussion um die Nachfolge von Witkowski im Herbst 1933. Hier handelte die Berufungskommission unter zeitlichem und politischem Druck, und ihre Vorschläge waren eine Reaktion auf die Eingriffsversuche. Um den Kandidaten des Ministeriums auszustechen, verwies die Berufungskommission auf ausreichend andere Kandidaten, die politisch und fachlich für die Stelle geeignet seien. Ein anderes Beispiel ist die Bewertung von Bruno Schier 1933 / 34, bei der explizit und wiederholt auf die politisch aufgeladene Vokabel „Volk“ Bezug genommen wurde. Die Intention der Fürsprecher war es, die Volkskunde zu fördern und eine Person zu gewinnen, die sie als besonders geeignet erachteten. Um dies zu erreichen, wurde über das normale Maß hinaus politisch argumentiert. In beiden Fällen wurde das politische Engagement der Kandidaten zusätzlich ins Feld geführt, um sie gegenüber anderen Kandidaten aufzuwerten oder ihre Berufung als absolut erstrebenswert darzustellen. Dabei wirkte die politische Einschätzung oft ungelenk, woraus sich auch stilistisch ableiten lässt, dass es die Berufungskommissionen eben nicht als ihre Aufgabe sahen, über die politische Einstellung der Kandidaten zu befinden. Doch kann dieses Ausblenden politischer Faktoren als Aus160 H. Böhm, Selbstverwaltung, S. 493. Böhm interpretiert diesen Befund allerdings nicht als Teil einer „neuen Normalität“, sondern beschreibt ihn – ausgehend von der Annahme, die Fakultäten seien per se eher resistent gewesen – als kleines, ab und an notwendiges Zugeständnis.

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druck wissenschaftlicher Autonomie bezeichnet werden?161 Nur zum Teil. Denn das Nichtbenennen der politischen Komponente bedeutet keineswegs, dass sie in der Vorauswahl der Kandidaten keine Rolle gespielt hätte. Vielmehr hatte sie ebenfalls ihren Weg in die Berufungsnormalität gefunden. Dafür spricht, dass es nur sehr selten Einspruch der politischen Kontrollinstanzen über mangelnde politische Zuverlässigkeit der Kandidaten gab. Interessant ist die Frage, wie die Fakultäten zu ihren Informationen kamen. Offenbar hatten sie durchaus ihre Quellen (eine inoffi­ zielle Anfrage bei Kollegen einer anderen Universität etwa); Details benötigten sie nicht, sondern nur eine Antwort auf die entscheidende Frage: Ist es – in jeder Hinsicht – Erfolg versprechend, diesen oder jenen Kandidaten auf die Liste zu setzen?162 Diese Vorauswahl wurde mit fortlaufender Dauer des Dritten Reichs dadurch erleichtert, dass der „negative“ Kandidatenkreis immer kleiner wurde und zugleich eine zunehmend berechenbare Politisierung der potentiellen Kandidaten stattfand. Dass es dennoch zu politisch motivierten Spannungen kommen konnte (etwa bei den Versuchen der Ministerien, „Kämpfer gegen die Verfallserscheinungen“ einzusetzen), spricht nicht gegen den Befund. Die ablehnende Argumentation der Berufungskommissionen als Ausdruck von Autonomie oder gar Widerstand zu interpretieren, greift zu kurz. Denn hier ging es nicht um ideologische Aspekte, sondern darum, sich keinen Dozenten vorsetzen zu lassen. Dies gilt vor allem dann, wenn man berücksichtigt, dass die vom Ministerium vorgeschlagenen Kandidaten akademische Außenseiter waren, wenig Wert auf akademisch-habituelle Normen legten und den Fakultäten deshalb als unwürdig oder fachlich ungeeignet erschienen.163 Ähnliche Fälle von Widerspruch gegen ministerielle Einflussversuche hatte es auch in der Weimarer Zeit gegeben. Dass es hier wie da zu Spannungen kommen musste und die Fakultät vehement an der Verteidigung der wissenschaftlichen Standards, der habituellen Normen, des prestigeträchtigen Selbstergänzungsrechts, des kollegialen Friedens sowie an einer Vereitlung der Einflussversuche interessiert war, kann daher kaum verwundern. Die ideologische Gesinnung der vorgeschlage161 So etwa die Argumentation von Sigrid Oehler-Klein, nach der (mit Blick auf die Medizinische Fakultät der Universität Gießen) „die Sicherung des eigenen beruflichen Selbstverständnisses […] [für die Fakultäten] offenbar wichtiger [war] als die Zugeständnisse an den Zeitgeist“. S. Oehler-Klein, „Aufbruchstimmung“, S. 140. Zur Kritik an dieser Position generell wie in der Forschung zur Germanistik im Speziellen vgl. L. Jäger, Disziplinen-Erinnerung. 162 Die Praxis der mündlichen Absprachen war auch während der Weimarer Zeit üblich. Vgl. H. Dainat, Zur Berufungspolitik, S. 62. 163 Wie schwer sich die Fakultät mit der Entscheidung trug, „Feldaußenseiter“ in ihre Reihen aufzunehmen, zeigt das Beispiel einer Berufungsdiskussion aus dem Jahr 1928 in Leipzig, bei der ein Lehrer zum ordentlichen Honorarprofessor ernannt werden sollte. Hierzu der Kommissionsbericht: Die Fakultät hat „die Frage ernstlich geprüft, ob es sich mit den Gepflogenheiten der Fakultät vertrage, eine lediglich als hervorragenden Schulmann bekannte Persönlichkeit in eine Stellung zu berufen, die mit der Mitgliedschaft in der Fakultät und sonstigen weitgehenden Rechten verbunden ist. Aber sie ist zu dem Ergebnis gekommen […], dass […] ernstliche Misshelligkeiten kaum zu befürchten“ sind und dass die „Berufung nicht an Bedenken scheitern [soll], die sich weniger auf ernste praktische, als auf Norm- und Prestigegründe beziehen.“ Bericht der Kommission über die Berufung eines Dozenten für deutschen Stil vom 23. Juli 1928, in: UAL, Phil. Fak. B2 / 21:20, Bl. 14 –15.

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nen Kandidaten war dabei zweitrangig. Es ging nicht um das Ob, sondern um das Wie: Dass der als brillant geltende Fricke in Heidelberg auch als Redner bei der Bücherverbrennung aufgetreten war, verhinderte seine Nennung auf einer Vielzahl von Berufungslisten ja gerade nicht. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Berufungen von Kummer und Knudsen. Auch sie waren akademische Außenseiter. Mindestens die Tatsache, dass sie nicht habilitiert waren, hätte Anlass zur Irritation geben können. Doch Kritik blieb aus. Vielmehr unterstützten die Fakultäten und Fachvertreter den Berufungsprozess, wie das positive Gutachten von Wesle illustriert. In den 1940er Jahren, mitten im Krieg und in einer zunehmend angespannten Personalsituation, war offensichtlich auch die Inthronisierung nicht habilitierter akademischer Außenseiter Bestandteil der neuen Normalität geworden. Eine solche Berufungspraxis konnte kaum einen Elitenwechsel nach sich ziehen, wie ihn sich etwa Alfred Rosenberg vorgestellt hatte.164 Und so spricht Reece C. Kelly auch von der „gescheiterten Personalpolitik“ der Nationalsozialisten.165 Die Gründe hierfür werden zu Recht in der relativ kurzen Dauer des Dritten Reichs sowie in dem Kompetenzgerangel der verschiedenen parteipolitischen sowie staatlichen Instanzen gesehen.166 In diesen Konflikten dominierte in Berufungsfragen zuletzt immer wieder das Reichserziehungsministerium gegenüber parteipolitischen Akteuren wie dem NSDB, dem Amt Rosenberg oder dem SD. Das Ministerium hatte „1934 die Berufungen an sich gezogen und 1935 fest in der Hand.“ Es „betrieb eine zunehmend planvolle und vorausschauende, von den Prinzipien der Zentralisierung, Rationalisierung und des optimalen Einsatzes getragene Berufungspolitik, die eine angemessene Verbindung von wissenschaftlichen und politischen Komponenten anstrebte und damit auch zu einer gewissen Versachlichung und Berechenbarkeit beitragen konnte.“167

Für Berufungsfragen bedeutete dies, dass „Auseinandersetzungen nicht die Regel waren und gemeinhin Einverständnis zwischen den Hochschulorganen und der staatlichen Verwaltung hergestellt werden konnte.“168 Auch Helmut Böhm konstatierte, dass die Berufungsverfahren meist „zur Zufriedenheit der Fakultät“ verliefen, „sachlich und korrekt“ waren sowie „ohne Streit und ohne Verstöße gegen angestammte Universitätsrechte“ erfolgten.169 Der entscheidende Hintergrund dieser Zusammenarbeit war, dass es beiden Auswahlakteuren (Fakultät und Ministerium) um die geregelte Funktionsfähigkeit der Universitäten ging. Hierin sahen sie ihre vorrangige Aufgabe und mit dieser Zielstellung hatten sie Erfolg. Obwohl es in nahezu allen Phasen des Berufungsverfahrens für die politischen Akteure die Option gab, Einfluss auf den Prozess auszuüben, führte dies in der Praxis – wie für die Germanistik gezeigt werden konnte – kaum zu Spannungen im Berufungsprozess. 164 Vgl. R. Bollmus, Projekt, S. 131–137. 165 R. C. Kelly, Gescheiterte Personalpolitik. 166 Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 235–245, sowie H. Böhm, Selbstverwaltung, S. 426– 437. 167 H. Böhm, Selbstverwaltung, S. 492. 168 M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 240. 169 H. Böhm, Selbstverwaltung, S. 442, 449, 473.

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Der überwiegende Teil der Berufungen verlief vielmehr zügig und weitgehend frei von direkter politischer Bevormundung. Berufen wurden in der Regel gut ausgebildete, qualifizierte Wissenschaftler. Dass sie zudem „arisch“ und politisch loyal sein mussten, war für die Beteiligten während des Berufungsprozesses zu keinem Zeitpunkt ein Widerspruch. Zusammenfassend zeigt sich, dass im Dritten Reich eine Modifikation der ursprünglichen Berufungsnormalität stattfand. Die Kategorien „arische Abstammung“ und „politische Zuverlässigkeit“ wurden integriert. Dass diese Faktoren in den Bewertungen der Fakultäten kaum auftauchten, bedeutet nicht, dass sie keine Rolle spielten. Vielmehr waren sie zum Bestandteil des Prozesses geworden. Auf dieser Grundlage konnten sich die Berufungskommissionen auf das konzentrieren, was sie für wesentlich hielten: die Arbeitsfähigkeit der Hochschulen zu garantieren, die Qualitätsstandards zu verteidigen und die Wissenschaft – vermeintlich – „sauber“ zu halten. Dass sie zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits unterminiert war, nahmen die wissenschaftlichen Akteure entweder nicht wahr oder billigend in Kauf. 2.3 Folgen der „neuen Berufungsnormalität“. Die Politisierung der Wissenschaftspraxis am Beispiel von Alfred Hübner und Bruno Schier in Leipzig Was waren die – auch politischen – Konsequenzen dieser neuen Berufungsnormalität? Dass sie eine tatsächliche Politisierung des Personals nach sich zog, zeigt bereits die hohe Zahl von NSDAP-Mitgliedern unter den Neuberufungen nach 1933.170 In welcher Weise und Intensität die Politisierung konkret erfolgte, wird im Folgenden am Beispiel der Leipziger Professoren Alfred Hübner und Bruno Schier untersucht, die 1934 berufen wurden und bis zum Ende des Dritten Reichs in Leipzig wirkten. Schier vertrat mit der Volkskunde ein eher randständiges Fachgebiet der akademischen Germanistik, das sich von einem populärwissenschaftlichen Fachbereich seit Mitte der 1920er Jahre an den Universitäten etabliert hatte, nach wie vor jedoch methodisch eher vage war und – gerade nach den Gebietsabtretungen infolge des Versailler Vertrages – starke ideologische Implikationen aufwies.171 Hübner hatte ein Extraordinariat für Deutsche Philologie inne, das sich ausschließlich der streng philologischen Anleitung vor allem der studentischen Anfänger widmete und somit zum traditionellen Kernbereich der Germanistik gehörte. Er hatte bei Gustav Roethe in Berlin studiert und verfügte über eine „ausgezeichnete philologische Schulung“172, wovon auch seine vorherige Position als Leiter der Zentralsammelstelle des Deutschen Wörterbuchs in Göttingen zeugte. 170 Von den 13 nach 1933 berufenen Professoren waren zehn bis 1945 Mitglied in der NSDAP. Vgl. Tabelle 7. 171 Vgl. zur Volkskunde, ihren Anfängen, ihrer Geschichte im Dritten Reich sowie in ihrem Verhältnis zu der (für Schier relevanten) deutschen Ostforschung A. Bagus, Volkskultur, W. Jacobeit, Völkische Wissenschaft, L. Scholze-Irrlitz, Universitätsvolkskunde, H. Bausinger, Volkskunde; H. Bausinger, Volksideologie, sowie W. Fielitz, Deutsche Ostforschung und Volkskunde. 172 Vgl. Schreiben der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 23. Juli 1934, in: UAL, PA 595, Bl. 3–11, hier Bl. 6 und 4.

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Wie oben beschrieben, verliefen die Berufungsverhandlungen, die zur Berufung von Schier und Hübner führten, weitgehend spannungsfrei. Sie waren aufgrund ihrer fachlichen und pädagogischen Fähigkeiten die favorisierten Kandidaten. Hübner kam aus Danzig, jedoch hatte er seine akademische Sozialisation in Berlin und Göttingen erfahren. Schier stammte aus Hohenelbe in Böhmen. Während seiner Prager Zeit als Student und Privatdozent war er fachlich von Erich Gierach und politisch durch die tschechisch­deutschen Konflikte geprägt worden. Als Schier und Hübner nach Leipzig kamen, hatten sie bereits politische Erfahrungen gesammelt – Hübner als Mitglied der SA, der er seit November 1933 angehörte,173 sowie als Reichshochschullehrer im NS-Lehrerbund und durch sein Engagement im NS-Dozentenbund;174 Schier als Mitglied beim Kampfbund „Böhmerland“, in der Freischar „Fichte“, als Mitbegründer und Mitglied im NS-Studentenbund, der sich 1926 / 27 in Prag gebildet hatte, sowie als Mitglied in der Sudetendeutschen Partei Konrad Henleins seit 1934.175 Mitglied der NSDAP waren beide zum Zeitpunkt ihrer Berufung nicht. In Leipzig traten Schier und Hübner nicht vordergründig als politische Kämpfer auf (anders als etwa Franz Koch in Berlin, der früh Ansprüche als politischer Führer am Institut geltend machte). Vielmehr ordneten sie sich (zumindest zunächst) in die bestehende Institutsstruktur ein, die zum Zeitpunkt ihrer Berufung von den beiden Ordinarien Frings und Korff geprägt war. Um die „Verwobenheit [der] intern[en] Wissenschaftspraxis“176 mit Politik aufzuzeigen, ist im Folgenden zu untersuchen, inwiefern in Lehre und Forschung sowie in wissenschaftsinternen Handlungsentscheidungen Ideologie und Politik eine Rolle spielten. a) Akademische Lehrer Hübner und Schier waren in Leipzig intensiv an der Lehre beteiligt.177 Im Sommersemester 1935 hielt Hübner acht Lehrveranstaltungen (so viele wie keiner seiner Kollegen) und betreute die meisten Studenten. Im Wintersemester 1943 / 44, kurz vor seiner Einberufung, hielt er sechs Veranstaltungen – mehr als die beiden Ordinarien.178 In der Regel waren seine Seminare Lektürekurse über mittelalterliche und frühneuzeitliche Autoren. Zudem hielt er jedes Semester einführende Vorlesun173 Vgl. selbstverfasster Lebenslauf, in: Ebd., Bl. 12. In einem Gutachten des SD wird Hübner folgendermaßen charakterisiert: „H. wird politisch als zuverlässig bezeichnet. Über seine charakterlichen und wissenschaftlichen Fähigkeiten gehen die Meinungen sehr auseinander. Seine bisherige wissenschaftliche Leistung wird teilweise negativ beurteilt, zumindest ist H. kein überragender Wissenschaftler.“ G. Simon, Germanisten-Dossiers, S. 34. 174 Vgl. BArch, NSDAP-Mitgliederkartei. 175 Vgl. Selbstaussage von B. Schier vom 9. September 1939, in: BArch, BDC, PK, Schier, Bruno, 17.12.02, unpag. 176 L. Jäger, Disziplinen-Erinnerung, S. 73. 177 Zu den folgenden Angaben über die Lehrveranstaltungen vgl. Vorlesungsverzeichnisse der Universität Leipzig. 178 Korff und Frings hielten zu diesem Zeitpunkt nur jeweils fünf Lehrveranstaltungen.

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gen über sprach- und literaturgeschichtliche Themen. Er las in Zyklen, wobei (in chronologischer Abfolge) pro Semester eine sprach- bzw. literaturhistorische Einheit behandelt wurde. Schier hielt durchschnittlich drei Lehrveranstaltungen pro Semester, die sich mit klassischen volkskundlichen Themen wie Namenskunde, Volkstanz, Volksschauspiel oder Trachtenkunde befassten. Seit dem Sommersemester 1935 bot Schier zudem „volkskundliche Lehrausflüge“ an, während derer er mit den Studierenden Feldforschung betrieb. Daneben veranstaltete er Seminare, die sich explizit mit Grenzlandfragen befassten, mit Grenzvolkskunde, Volkstumsgeographie oder Auslandsdeutscher Volkskunde. Grenzlandthemen waren traditionell Bestandteil der deutschen Volkskunde und hatten im Zuge der Gebietsabtretungen nach dem Ersten Weltkrieg erheblich an Bedeutung gewonnen. Nach 1933 gewannen sie (anknüpfend an die Expansionsparolen der Nationalsozialisten) zusätzlich an Dynamik und Aggressivität, aber auch – da nun wissenschaftlich etabliert – an Autorität. Die Bedeutung von Hübner und Schier als akademische Lehrer für die Studierenden lässt sich schwer bestimmen, da nur wenige, zum Teil widersprüchliche Zeitzeugenaussagen oder Dokumente vorliegen. Fest steht jedoch, dass bei Hübner alle Studenten Seminare besuchen mussten, da er die Grundlagen der Deutschen Philologie lehrte. Das Studienbuch einer Leipziger Studentin, die zwischen 1939 und 1944 unter anderem Germanistik studierte, zeigt, dass sie während ihres gesamten Studiums nicht weniger als sechs Kurse bei Hübner besucht hat.179 Spielte Hübner so bereits rein quantitativ eine wichtige Rolle im Lehralltag, gehörte die Volkskunde eher zum Randbereich des Fachs und wurde entsprechend weniger frequentiert: Die genannte Studentin besuchte beispielsweise im Bereich Volkskunde nur eine Veranstaltung während ihres gesamten Studiums.180 Von diesen Angaben lässt sich natürlich nur bedingt auf den tatsächlichen Einfluss der beiden Professoren als akademische Lehrer oder Mentoren schließen. Bemerkenswert ist jedoch, dass die genannte Studentin im Gespräch betonte, dass sich Hübner – im Gegensatz zu manch etabliertem Ordinarius – sehr um seine Studenten gekümmert habe.181 Bei anderen Zeitgenossen wiederum blieb Hübner als „hochfahrender“ und arroganter Dozent im Gedächtnis.182 Ambivalent ist auch die Tatsache, dass bei Hübner nur wenige promovierten,183 allerdings schlossen diese

179 Vgl. Studienbuch von Annelies Plätzsch / Leipzig, das sie mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. 180 Diese belegte sie zudem bei Adolf Helbok, der Schier während dessen Gastaufenthalt im slowakischen Pressburg vertrat. 181 Vgl. Gespräch mit Annelies Plätzsch im Dezember 2006 in Leipzig. 182 Vgl. Gespräch mit Walter Müller-Seidel im März 2003 in Weimar. Herbert Hupka, der ebenfalls in den 1930er Jahren in Leipzig studiert hat, erinnert sich an Hübner nur als „Parteigenossen, von mir und meinen Freunden schon deshalb gemieden“. Schriftliche Auskunft von H. Hupka vom Mai 2003. 183 Dies hing nicht zuletzt damit zusammen, dass Hübner vor allem einführende Veranstaltungen hielt, während die Hauptseminare (die letzte Phase des Studiums) den Ordinarien vorbehalten war.

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mit überdurchschnittlich guten Ergebnissen ab (sieben der neun Promotionen wurden mit „sehr gut“ bewertet).184 Auch Schier scheint einige Anziehungskraft auf die Studierenden ausgeübt zu haben. In einem Schreiben von Anfang 1935 heißt es, er habe in der kurzen Zeit seines Wirkens in Leipzig bereits „in erfreulicher Weise [die Studierenden; AL] zu gewinnen gewusst“185. Auch die Lehrausflüge werden zu seiner Beliebtheit beigetragen haben. Nicht zuletzt spricht für seinen Erfolg als akademischer Lehrer, dass bei ihm immerhin fünf Studierende promovierten, obgleich die Zahl volkskundlicher Veranstaltungen relativ klein war.186 Die Ausbildung eines engen Schülerkreises lässt sich für die Leipziger Zeit jedoch weder für Hübner noch für Schier ausmachen. Fragt man nach einer Politisierung der Lehrthemen, so lässt sich für Schier konstatieren, dass er die Volkskunde in Leipzig um die Grenzlandthemen erweiterte. Er widmete sich diesem Thema auch in seinen Publikationen, sodass hier wenigstens zu Teilen Rückschlüsse auch auf seine Lehrmeinung gezogen werden können. Inwieweit nationalsozialistische Ideologeme in den Lehrveranstaltungen Hübners eine Rolle spielten, lässt sich aufgrund der spezifischen Flüchtigkeit mündlicher Kommunikation nicht erschließen. b) Forschende Wissenschaftler Fachlich war Hübner eng mit der philologischen Tradition verbunden. Er hatte wie gesagt bei Roethe studiert und mehrere Jahre die Göttinger Stelle des Deutschen Wörterbuchs geleitet. Zum Zeitpunkt seiner Berufung nach Leipzig hatte er neben seiner Habilitation über das Buch der Könige eine Reihe von mittelalterlichen

184 Vgl. UAL, Promotionsprotokolle der Phil. Fak. 1920–1945. Bei Hübner promovierten (in alphabetischer Reihenfolge): Gerhard Ahnert, Räumliche und zeitliche Verbreitung einiger mittelhochdeutscher Wörter (1942); Johannes Brömmel, Rhythmus als Stilelement in Mörikes Prosa (1941); Günter Kertzscher, Der Cursus in der altdeutschen Prosa (1944); Karl Klemm, Paradoxon als Ausdrucksform der spekulativen Mystik Sebastian Francks (1937); Gertraud Müller, Studien zur Sprache Johannes Freiherrn zu Schwarzenberg aufgrund seiner dichterischen Werke (1944); Gabriele Schieb, Eine mittelhochdeutsche Übersetzung der „Summa Theologica“ des heiligen Thomas von Aquin (1943); Käthe Thielemann, Der Stil Hans Grimms (1943); Johannes Zeidler, Die deutsche Turnsprache bis 1819 (1942); Käthe Zeller, Die Interrogatio Anselmi in zwei deutschen Übersetzungen des frühen 14. Jahrhunderts (1943). 185 Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 15. Februar 1935, in: UAL, PA 252, unpag. 186 Bei Schier promovierten (in alphabetischer Reihenfolge): Gerhard Heilfurth, Das erzgebirgische Bergmannslied (1936); Waltraud Koenig, Vom Todaustragen und Sommereinholen. Kulturgeographische Betrachtungen eines alten Frühlingsbrauches, (1942); Siegfried Kube, Der Schlag mit der Lebensrute, das Ascheabkehren: Grundsätzliche Überlegungen und ein Beitrag zur Volkstumsgeographie Mitteldeutschlands (1941); Johann Miess, Die Entprovinzialisierung der Siebenbürger Sachsen (1945); Arnold Noiret, Die Volkstrachten des Scharischen Gaus (1944). Auch diese Promotionen wurden mit guten Noten versehen. Vier der Arbeiten waren „sehr gut“ bzw. „gut“. Vgl. UAL, Promotionsprotokolle der Phil. Fak. 1920–1945.

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Rechtstexten kommentiert und herausgegeben.187 Auch während seiner Leipziger Zeit publizierte Hübner: 1938 erschien eine von ihm herausgegebene 600 Seiten umfassende kritische Edition von Ulrich von Türkheims Rennewart, einer Arbeit, die der Germanist Hans­Friedrich Rosenfeld noch 1951 als „sorgfältig“ und „wohl­ bedacht“188 bezeichnete und die im Jahr 2000 als unveränderter Nachdruck neu aufgelegt wurde. Ulrich Hunger kam daher zu dem Schluss, dass Hübners „zumeist editorische und sprachwissenschaftliche Veröffentlichungen für die ideologie- und wissenschaftsgeschichtliche Analyse des Dritten Reiches unergiebig“189 seien. Dies trifft jedoch nur dann zu, wenn man die Arbeiten isoliert betrachtet. Eine generelle Ideologieresistenz philologischer und editorischer Arbeiten kann jedoch schwerlich behauptet werden.190 Diesbezüglich „ergiebiger“ waren die Arbeiten von Bruno Schier.191 Er war ein Vertreter der sogenannten Kulturträgertheorie. Diese interpretierte die mittelalterliche „Ostkolonisation“ als einen Prozess, bei dem die überlegene germanische Kultur durch deutsche Neusiedler in die wirtschaftlich, kulturell und politisch rückständigen Gebiete Osteuropas übertragen worden sei. Unter diesem Blickwinkel erscheint die slawische Bevölkerung als „kulturlose Masse“ und wird zum „impulslosen, kulturell impotenten, parasitären Nachbarn“.192 Die Kulturträgertheorie wurde von einer Reihe Prager Professoren (unter ihnen Schiers Lehrer Gierach) vertreten und politisch instrumentalisiert, indem sie zum Bestandteil des „sudetendeutschen Volkstumskampfs“ stilisiert wurde.193 In diesem Kontext verortete sich Schier mit seiner Habilitation, die 1932 erschien. Entsprechend legte er bei der Untersuchung von Form und Gestalt des bäuerlichen Hauses einen normativen Kulturbegriff an und konstatierte ein Ost-WestGefälle, das von dem „in ursprünglicher Primitivität verharrenden Osten“194 bis zur höheren Kultur im Westen reiche. Neben der Abwertung der osteuropäischen Kultur stellte er zudem fest, dass die „Verbreitungsgrenzen westlicher Baugewohnheiten […] die Ostgrenzen des deutschen Volksbodens bereits um mehr als 300 km überschritten“195 hätten – dies sei der Beweis, dass Böhmen deutsch sei. Die Ergebnisse seiner Habilitation wurden von der Fachwelt positiv rezipiert; sie waren auch für die Philosophische Fakultät in Leipzig ein wesentlicher Grund dafür, Schier zu berufen. 187 Deutschenspiegel und Augsburger Sachsenspiegel, hg. von Karl August Eckhardt und Alfred Hübner. Alfred Hübner, Vorstudien zur Ausgabe des Buches der Könige in der Deutschenspiegelfassung und sämtlichen Schwabenspiegelfassungen. 188 H.-F. Rosenfeld, Zur Überlieferung, S. 429. 189 U. Hunger, Germanistik zwischen Geistesgeschichte und „völkischer Wissenschaft“, S. 375. 190 Vgl. K.-H. Ehlers, Staatlich geförderte Dialektforschung, sowie K.-H. Ehlers, Wissenschaft im Volkstumskampf. 191 Vgl. hierzu ausführlich O. Konrád, „… nicht mehr schuldig“, v. a. S. 336–343. 192 Vgl. R. Jaworski, Historische Argumente, S. 342. 193 Vgl. R. Jaworski, Zur Kulturträgertheorie. 194 B. Schier, Hauslandschaften, S. 8. 195 „Böhmen ist durch Lage und Schicksal und die kulturelle Bedeutung seiner deutschen Bewohnerschaft am frühesten und innigsten in den Bereich des deutschen Kulturbodens einbezogen worden; seine westlichen und nördlichen Randgebiete unterscheiden sich in Bezug auf das Wohnwesen in keiner Weise von dem angrenzenden Reichsgebiet.“ Ebd.

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Während seiner Leipziger Zeit setzte Schier seine wissenschaftlichen Arbeiten fort und pflegte dabei eine intensive Zusammenarbeit mit den Deutschen in Tschechien. Gemeinsam mit der Deutschen Universität in Prag rief er den Kulturatlas der Sudetenländer ins Leben, der zeigen sollte, „in welchem Maße die deutsche Kultur am Aufbau der Sudetenländer beteiligt ist, die mit Recht als deutscher Kulturboden zu bezeichnen sind.“196 1940 ging Schier als Gastdozent für drei Jahre in das heutige Bratislava (damals Pressburg), wo er vor allem kulturpolitische Aufgaben übernahm.197 Die Fortsetzung wissenschaftlicher Projekte musste dabei hintanstehen: „Meine eigenen wissenschaftlichen Arbeiten erfahren durch die starke Belastung mit kulturpolitischen Aufträgen eine lange Unterbrechung, die sich nur durch die Gegenwartsbedeutung und außenpolitische Notwendigkeit meiner Pressburger Tätigkeit rechtfertigen lässt.“198 Gleichwohl entstanden auch in der Pressburger Zeit kleinere wissenschaftliche Arbeiten. In diesen befasst sich Schier mit der als höherwertig angenommenen slowakischen Volkskultur der Region. Sie gelte es, so Schier, von dem „künstlichen“ Konzept der „tschechoslowakischen Nation“ zu befreien und zugleich ihre enge Bindung an deutsche Volks- und Kulturtraditionen zu betonen.199 Auch nach seiner Rückkehr nach Leipzig gab es für Schier kaum Möglichkeiten, seine wissenschaftlichen Arbeiten konzentriert fortzuführen – nun allerdings auch, weil er seine Bibliothek und Manuskripte angesichts der näher rückenden Front in Sicherheit gebracht hatte und zudem große Teile der Universität durch alliierte Luftangriffe zerstört worden waren.200 Vergleicht man zusammenfassend Schiers und Hübners wissenschaftliche Arbeiten, so zeigen sich Differenzen: Hier der traditionelle Philologe mit wissenschaftlich angesehenen Ergebnissen; da der rührige, kulturpolitisch ambitionierte Volkskundler, der das kleine Format verstärkt schätzte. Eine Politisierung auf dieser Ebene der Wissenschaftspraxis lässt sich bei Schier konstatieren, der seine wissenschaftlichen Ideen der frühen 1930er Jahre während des Dritten Reichs fortsetzte und etablierte, damit erfolgreich war und an Einfluss gewann. c) Politisch motivierte Wissenschaftsakteure Das (kultur-)politische Engagement von Schier und Hübner außerhalb der Universität wurde bereits angesprochen. Schwerpunkt der folgenden Ausführungen sind die konkreten Einflussversuche beider Professoren auf die Entwicklungen innerhalb ihrer Arbeitsstätte. Der erste Teil beschreibt die Vereitelung einer Berufung, zu der Schier durch Denunziation wesentlich beigetragen hat. Diesem Ereignis hat sich die Forschung bereits verschiedenfach gewidmet, sodass der Fall selbst hier 196 Niederschrift über die Sitzung des Forschungsrates der Sudetendeutschen Anstalt für Landes- und Volksforschung anlässlich der Jahrestagung im Oktober 1941, zitiert nach O. Konrád, „… nicht mehr schuldig“, S. 345. 197 Vgl. ebd., S. 346–348. 198 Schreiben von B. Schier an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 22. April 1941, in: UAL, PA 252, unpag. 199 Vgl. B. Schier, Aufbau der slowakischen Volkskultur. 200 Vgl. O. Konrád, „…nicht mehr schuldig“, S. 348–349.

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nur relativ kurz beschrieben wird.201 Der zweite Teil widmet sich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an den antisemitischen Literaturhistoriker Adolf Bartels 1938, an der Hübner entscheidenden Anteil hatte. Da dieses Ereignis über die Fachgeschichte hinaus für die Universität Leipzig bedeutsam ist und da es (trotz erster Aufarbeitung)202 in neueren Publikationen unerwähnt bleibt,203 wird der „Fall Bartels“ hier ausführlicher betrachtet. Bruno Schier war, wie erwähnt, ein Schüler von Erich Gierach. Zwischen Gierach und dessen Prager Kollegen, dem Slawistikprofessor Gerhard Gesemann, gab es eine tiefe Feindschaft, die persönlich und konkurrenzbedingt sowie politisch motiviert war.204 Für Gesemanns Karriere sollte diese Feindschaft negative Auswirkungen haben, da Gierach und ihm Wohlgesonnene immer wieder gegen den akademischen Aufstieg des Slawisten intervenierten.205 Im Jahr 1936 hatte Gesemann die Chance, Professor in Leipzig zu werden und so von der Peripherie ins Reichsgebiet zu wechseln. In Leipzig war er der einzige Kandidat für die neu einzurichtende Professur für Geschichte und Kultur Südosteuropas; seine Berufung war also mehr als wahrscheinlich. Innerhalb der Fakultät wurden die Pläne zu seiner Ernennung weitgehend wohlwollend diskutiert; Schier äußerte sich in diesem Rahmen nicht. Jedoch suchte er nach der Fakultätssitzung den Althistoriker Helmut Berve in dessen Wohnung auf und erklärte ihm seine grundlegenden Bedenken gegen Gesemann. Berve verwies Schier daraufhin an den Dekan, der die Angelegenheit an den NS-Dozentenbund weiterreichte. In der Leipziger NS-Dozentenschaft fand wenig später ein vertrauliches Gespräch zwischen Schier und dem Dozentenschaftsführer Bruno Borowski statt. Nach Angaben des Protokolls zeigte sich Schier über die geplante Berufung Gesemanns „entsetzt“206, „weil ich der Meinung bin, dass für das Reich nur nationalsozialistisch gesinnte Männer in Betracht kommen und aufgrund meiner 10jährigen Anwesenheit in Prag war mir bekannt, dass G. nicht zu den Leuten gehört, die sich von Anfang an oder gar schon vor der Machtübernahme zum neuen Staat bekannt haben“. Zudem habe Gesemann in den 1920er Jahren „fast ausschließlich mit Juden verkehrt“, und seine 201 Vgl. O. Konrád, Eine lange Feindschaft; K.-H. Ehlers, Gerhard Gesemann; P. Lozoviuk, Bruno Schier. 202 Vgl. N. Berg / A. Engelhardt / A. Lux, Jüdische Teilhabe, S. 409– 420. 203 Eine kurze Erwähnung finden die Ereignisse bereits in den Ausführungen Hans von Hülsens Ende der 1960er Jahre. Die Bartels-Biographie des englischen Germanisten Steven Noyle Fuller sowie die Erinnerungen des Germanisten Walter Müller-Seidel nennen das Ereignis zwar, gehen aber nicht näher darauf ein. Helmut Heiber, der die Ehrenpromotionen im Dritten Reich auflistet, vergaß Bartels sogar ganz. Vgl. S. N. Fuller, The Nazi’s Literary Grandfather; H. von Hülsen, Neid als Gesinnung; W. Müller-Seidel, Freiräume; H. Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, Teil II, Bd. 1, S. 51–66. Ebenso fehlt das Ereignis in der Universitäts­ geschichte von Konrad Krause sowie in dem Beitrag der Germanisten zur Universitätsgeschichte. Vgl. K. Krause, Alma mater Lipsiensis, sowie G. Öhlschläger / L. Stockinger, Germanistik. 204 Vgl. hierzu allgemein O. Konrád, Eine lange Feindschaft. 205 Vgl. K.-H. Ehlers, Gerhard Gesemann. 206 Dieses sowie die folgenden Zitate dieses Absatzes stammen aus dem Protokoll über die Besprechung zwischen B. Schier und B. Borowski vom 1. Februar 1936, zitiert nach O. Konrád, Eine lange Feindschaft, S. 187–188.

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Rektorwahl in Prag 1933 habe er nur „mit Hilfe der jüdischen und liberal-demokratischen Professoren“ erreicht. Den Sudetendeutschen habe er hingegen „mit einer gewissen Verachtung“ gegenübergestanden, und seine Mitgliedschaft in der Sudetendeutschen Partei basiere auf reinem Opportunismus. Doch Gesemann sei nicht nur politisch untragbar, sondern auch moralisch. En détail berichtete Schier von „Schäferstündchen […] im Direktorenzimmer des Slawischen Seminars“ in Prag. Dort seien später „durch den Assistenten […] gewisse Gummiartikel und weibliche Wäscheartikel gefunden w[o]rden.“ Und auch hier schlug Schier wieder in die antisemitische Kerbe: Unter Gesemanns Affären seien auch jüdische Studentinnen und eine jüdische Polnischlektorin gewesen. In Reaktion auf diese Unterredung veranlasste der Leipziger NS-Dozentenbund eine Reihe weiterer Gutachten zu Gesemann. Diese bestätigten die Vorwürfe Schiers, vor allem Gesemanns positives Verhältnis zu den Prager Juden. Gesemann gehöre, so der sudetendeutsche Historiker Josef Pfitzner, der mit einem 15­seitigen Pamphlet das umfangreichste Gutachten in dieser Angelegenheit lieferte, „zu der gottlob nicht grossen Gruppe derer, die die naturgegebenen Grenzen nicht zu sehen vermögen, die Deutsche beim Verkehr mit anderen Völkern niemals überschreiten sollen.“207 Nach Ota Konrád, der sich mit diesen Prozessen ausführlich befasst hat, waren es die Denunziation Pfitzners sowie die Erklärung Schiers, die „am meisten zum Scheitern von Gesemanns Berufung“208 nach Leipzig beigetragen haben. Was sagt Schiers Handeln über seine Vorstellung von wissenschaftsinterner Entscheidungsfindung aus? Drei Dinge sind hier zu nennen: Zunächst zeugen die Aussagen Schiers von einem ausgeprägten Antisemitismus. Im konkreten Fall wurde dieser als Mittel eingesetzt, um den verhassten Gesemann zu diskreditieren und die Berufung zu vereiteln. Andere Argumente für oder gegen eine Berufung wurden angesichts von „Rassenschande“ und „Judenfreundschaft“ obsolet. Darüber hinaus ist bemerkenswert, welchen Instanzenweg Schier ging. Offensichtlich war er sich seiner eigentlich untergeordneten Position (ein Extraordinarius, der gerade ein, zwei Jahre in Leipzig war) durchaus bewusst. Aus diesem Grund scheute er die Auseinandersetzung innerhalb der Fakultätssitzung. Stattdessen wählte er den klandestinen Weg über persönliche Gespräche zunächst mit einem Kollegen, dann durch Denunziation beim NS-Dozentenbund. Erst auf diesem Umweg konnte er erfolgreich sein und die Berufung vereiteln. Durch den Umweg wurde der akademische Status sekundär; entscheidend war das politische Wissen Schiers. Zuletzt verweist der Erfolg einer Denunziation auf deren Funktionswandel während des Nationalsozialismus. Üble Nachrede und Gerüchte hatte es zu jeder Zeit auch an Universitäten gegeben. Dass Schier damit im Dritten Reich Erfolg hatte, zeigt die neue Bedeutung und Macht von Denunziationen. Offenbar waren sie zum probaten Mittel geworden, um Meinungen und Positionen durchzusetzen.209 Betrachtet man mit Armin Nolzen die Anwendung von Gewalt im Nationalsozialis-

207 Gutachten von J. Pfitzner vom 10. Februar 1936, zitiert nach ebd., S. 188. 208 O. Konrád, Eine lange Feindschaft, S. 188. 209 Einen Überblick über die bisherige Forschungsarbeit zur Denunziationspraxis im Dritten Reich bietet B. Dörner, NS-Herrschaft und Denunziation.

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mus als Möglichkeit der Bewährung für höhere politische Aufgaben,210 so lässt sich dies auch auf Schiers Handeln übertragen. Denn Denunziation ist eine Form von Gewalt gegen andere, und Schiers Handeln trug auch dazu bei, die eigene Position in der Universität zu festigen. Antisemitisch motiviert, die traditionellen hierarchischen Grenzen umgehend und sich durch eine spezifische Form von Gewaltanwendung zum Dritten Reich bekennend, erlebte Schier in den folgenden Jahren einen geradlinigen akademischen Aufstieg. Damit verkörperte er einen Dozententyp, den es in dieser Form vor 1933 nicht gegeben hatte oder dessen Handlungsmöglichkeiten vor 1933 stärker beschnitten waren. Weiterreichend noch war die Bedeutung der Verleihung des Ehrendoktortitels der Universität Leipzig an den radikal antisemitischen Publizisten Adolf Bartels. Sie ist eines der wichtigen wissenschaftspolitischen Ereignisse in der Leipziger Germanistik, mithin der Fakultät und Universität im Dritten Reich.211 In der Forschung erlangte dieses Ereignis bislang nur begrenzte Aufmerksamkeit, weshalb an dieser Stelle zunächst das Ereignis an sich beschrieben wird, bevor ich mich der Rolle Hübners in diesem Prozess widme. Der 1862 in Wesselburen in Dithmarschen geborene Bartels verstand sich als Dichter, Literaturkritiker und Literaturhistoriker. Er hatte Mitte der 1880er Jahre in Leipzig und Berlin Germanistik, Geschichte, Philosophie und Kulturgeschichte studiert, das Studium jedoch bereits nach drei Jahren abgebrochen. Stattdessen arbeitete er als Schriftsteller und Literaturkritiker in Frankfurt am Main unter anderem für das Frankfurter Journal. Mit dieser Arbeit erklärte Bartels retrospektiv seine „Erziehung zum Antisemitismus“ 212. Denn gerade beim „Konkurrenzblatt“, der Frankfurter Zeitung, habe er den „jüdischen Geschäftssinn“, die „jüdische Sensationslust“ und die „jüdische Solidarität“ sehen müssen und erfahren, wie die Juden „gegen alles ausgesprochen Deutsche“ 213 aufgetreten seien. Bartels begann seinen Widerwillen gegen alles Jüdische öffentlich zu machen und hatte damit Erfolg. Seine Polemiken fielen auf fruchtbaren Boden, erlebte doch die Verknüpfung von Antikapitalismus und Antisemitismus im ausgehenden 19. Jahrhundert erneut eine Reaktualisierung.214 Zunehmend sah sich Bartels nicht mehr nur als Literaturkritiker und Publizist, sondern auch als Literaturhistoriker. 1897 erschien seine erfolgreiche, mehrfach wiederaufgelegte Darstellung zur Deutschen Dichtung der Gegenwart. Hier lag sein Schwerpunkt noch auf der Heimatkunst 215, die er seit der Jahrhundertwende 210 Vgl. A. Nolzen, NSDAP, S. 25. 211 Bei der Thematik Ehrenpromotion müssen neben den Ernennungen auch die „Säuberungen“ und Aberkennungen berücksichtigt werden. Die bekannteste war wohl die Aberkennung der Ehrendoktorwürde von Thomas Mann durch die Universität Bonn, an welcher der ehemalige Leipziger Germanist Karl Justus Obenauer maßgeblich beteiligt war. Vgl. zur Ehrenpromotion im Dritten Reich generell I. Bach, Verleihung. 212 A. Bartels, Jüdische Herkunft, S. 24. 213 Ebd., S. 24 –25. 214 Vgl. R. Rürup, Emanzipation und Antisemitismus, S. 93–119. 215 Mit Rückgriff auf das Konzept der Heimatkunst griff Bartels den in Literatur und Wissenschaft virulenten antimodernen und antiurbanen Affekt auf. Zeitgenossen bezeichneten das Buch als „bahnbrechend für die Würdigung des sog[enannten] Silbernen Zeitalters der deutschen Dich-

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durch „Stammestum“ und „Rasse“ ergänzte. In der 1901 / 02 erschienenen, ebenfalls vielfach wiederaufgelegten zweibändigen Geschichte der deutschen Literatur entwickelte er ein Raster, nach dem er die „Rasse“ eines Autors als den grundlegenden Maßstab für dessen literarische Leistung anlegte. Ziel dieser „Methode“ sei es, so Bartels, „jeden jüdischen Dichter ausdrücklich als Juden zu bezeichnen, weiter, seine Werke aus seinem jüdischen Wesen zu erklären und, umgekehrt, aus den Werken auf jüdisches Wesen zu schließen, endlich, die durch die jüdischen Dichter und Schriftsteller, die Juden überhaupt auf das deutsche Schrifttum und damit auf das deutsche Volkstum geübten Einflüsse festzulegen und zu beurteilen.“216

Bartels machte es sich zur persönlichen Mission, jeglichen jüdischen Einfluss aus der deutschen Literatur und Kultur zu tilgen.217 Mit diesem Anliegen und seinem populären Auftreten (etwa durch das skandalträchtige Eingreifen in die Diskussion um das Heinrich-Heine-Denkmal in Hamburg 1906) 218 wurde Bartels zum berühmtberüchtigten Vertreter des deutschen Kulturantisemitismus im Kaiserreich. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er in dieser Rolle zum entscheidenden Mittler zwischen der völkischen Bewegung und der sich etablierenden NSDAP.219 Für die Deutschvölkischen war er ein „Führer“ und die „eigentliche Seele deutschvölkischen Wollens“220. Und auch weitere Teile des deutschen Bildungsbürgertums fühlten sich seinem „innigen Patriotismus“ verbunden.221 Gering war jedoch der Einfluss Bartels’ im wissenschaftlichen Feld. Mit einem abgebrochenen Studium, ohne Promotion, als Publizist und Autor populärwissenschaftlicher Literaturgeschichten galt er als ein wissenschaftlicher Laie, der in akademischen Kreisen kaum auf fachwissenschaftliche Anerkennung hoffen konnte. Zwar gab es immer wieder einflussreiche Fürsprecher, die Bartels den Weg ins wissenschaftliche Feld zu ebnen suchten.222 Insgesamt jedoch blieb er der Fachwelt als akademischer Außenseiter suspekt, sodass er an keiner Universität reüssieren konnte. Dieses zur versagten wissenschaftlichen Anerkennung stilisierte Außensei-

216 217 218 219 220 221

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tung, bes[onders] Hebbels.“ Vgl. Brockhaus Enzyklopädie, 20 Bde., 15. Aufl., Leipzig 1928 bis 1935, Bd. 2, S. 333. A. Bartels, Jüdische Herkunft, S. 7. Vgl. A. Bartels, Rasse und Volkstum, v. a. S. 1–8. Vgl. A. Bartels, Heinrich Heine. Vgl. T. Rösner, Adolf Bartels, S. 887. Alfred Roth, Ein völkischer Vorkämpfer, in: Festgabe zum 60. Geburtstag von Adolf Bartels, hg. vom Bartels­Bund durch Walter Loose, Leipzig 1922, zitiert nach ebd., S. 886. Vgl. T. Rösner, Adolf Bartels, S. 883. Dies hatte nicht zuletzt zur Folge, dass Bartels’ Bücher Bestandteil der Schullektüre wurden. So erinnerte sich Heinrich Junker: „Uns Primaner machte unser Deutschlehrer auf seine [Bartels; AL] literarischen Schriften aufmerksam. Sie gehörten seitdem zu [meinem] eisernen Bücherbestand […] ich weiss, dass sie auf uns jüngere Germanisten damals einen grösseren Einfluss ausübten, als so manche ‚geistvolle‘ Vorlesung. Sie haben an uns eine Mission erfüllt.“ Gutachten von H. Junker, in: UAL, Ehrenpromotion Nr. 105, Bl. 16. So ernannte der Großherzog von Weimar Bartels 1905 zum Professor ‚honoris causa’, und das Thüringische Volksbildungsministerium vermittelte ihm 1930 eine einsemestrige Gastprofessur am Deutschen Seminar in Jena.

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tertum spielte für Bartels und seine Anhänger eine wichtige Rolle. Letztere gründeten deshalb Institutionen, die Bartels dafür entschädigen sollten, dass er „zeit seines Lebens von jeder deutschen Universität verschmäht wurde und ihm die Einflußmöglichkeiten als Lehrer einer akademischen Schülerschaft verwehrt“223 geblieben seien. So wurde 1920 in Leipzig der „Bartels-Bund“ gegründet, der (entsprechend akademischer Tradition) Festschriften zu seinen runden Geburtstagen sowie Bibliographien seiner Werke herausgab. Darüber hinaus richtete der Bund einen Pressedienst ein, veranstaltete „völkische Unterhaltungsabende“ und setzte sich als Ziel, Einfluss auf die Hochschulgermanistik zu erlangen, um dort die Anerkennung der „völkischen Fragestellung“ zu erwirken.224 Es war der Mitbegründer und Vorsitzende eben dieses Bartels-Bundes, der Volksschullehrer Walter Loose aus Naunhof bei Leipzig, der in Bartels einen „Gottgesandten“ sah und der Universität im Sommer 1937 vorschlug, ihn an dessen 75. Geburtstag zum Ehrendoktor zu machen.225 Mit seinem Vorschlag wandte sich Loose zuerst an den Professor für Rassenkunde Otto Reche. Dieser schien ihm besonders für sein Anliegen geeignet, hatte er sich doch bereits seit seiner Berufung auf den Lehrstuhl für Ethnographie 1927 für die deutsche „Rassenpflege“ engagiert. Reche betrachtete sich allerdings als nicht zuständig und gab die Angelegenheit an die Philosophische Fakultät weiter.226 Hier stellte sich heraus, dass das Anliegen bereits aus formalen Gründen problematisch war, denn eine 1933 verordnete Bestimmung untersagte es Reichsdeutschen, den Ehrendoktortitel anzunehmen.227 Dass die Ehrung zuletzt doch stattfinden konnte, hing zum einen mit einer allmählichen Lockerung dieser Bestimmung, zum anderen mit dem Engagement einiger Leipziger Professoren zusammen. Nachdem das Reichserziehungsministerium 1937 signalisiert hatte, dass eine Änderung der Bestimmung bevorstand, bat es die Philosophische Fakultät in Leipzig um eine Stellungnahme zu Bartels. Der Dekan veranlasste daraufhin, dass sich vier Vertreter der Germanistik sowie der Professor für Indogermanistik Heinrich Junker zu dieser Angelegenheit äußerten. Die beiden Ordinarien Frings und Korff 223 So die Aussagen der Bartels-Schüler Walter Loose und Woldemar Bartmuß anlässlich der Gründung des Bartels-Bundes am 1. April 1920 in Leipzig, zitiert nach T. Rösner, Adolf Bartels, S. 886. 224 Vgl. ebd., S. 886–887. 225 Die Glorifizierung Bartels’ durch Loose wird auch deutlich in dessen Vorstellung von einer angemessenen Feier für Bartels’ 60. Geburtstag: „Auf keinen Fall bei Bier und Qualm, nur im historischen Saale (einer stolzen Burg, eines alten Rathauses), am würdigsten in einer altehrwürdigen Kirche kann der 60. Geburtstag von Adolf Bartels […] gefeiert werden.“ W. Loose (Hg.), Deutsche Abende, S. 15. 226 Vgl. Schreiben von O. Reche an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 15. März 1937, in: UAL, Ehrenpromotion Nr. 105, Bl. 4. 227 Am 5. Mai 1933 wurde durch Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß verfügt, dass führende Vertreter aus Partei und Staat keine akademischen Ehrungen annehmen dürfen. Daraufhin untersagte das Reichserziehungsministerium die Verleihung für alle „Reichsdeutschen“. Im Oktober 1937 war eine Änderung dieser Verordnung absehbar, die dann allerdings erst am 22. März 1938 zum Erlass über die „Verleihung des Grades und der Würde eines Ehrendoktors sowie der akademischen Würde eines Ehrensenators, Ehrenbürgers oder Ehrenmitglieds“ führte. Vgl. H. Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, T. II, Bd. 1, S. 51–57.

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lehnten die Ehrung Bartels’ ab. Korffs Gutachten, dem sich Frings mit einem lakonischen „Ebenso“ anschloss, zielte zunächst auf die formalen Beschränkungen.228 Zudem hielt Korff die Ehrung Bartels’ generell für „verzichtbar“. Er führte diesen Punkt jedoch nicht weiter aus und versäumte so, Arbeit und „Methode“ von Bartels fachlich und inhaltlich zu kritisieren. Sein Widerspruch beschränkte sich vielmehr auf den Ort, also auf die Universität Leipzig. Denn „dass Adolf Bartels einmal in Leipzig hat promovieren wollen, aus formalen Gründen aber nicht hat zugelassen werden können, erscheint mir […] als keine Nötigung, ihn jetzt zum Leipziger Ehrendoktor zu machen.“229 Auf diese Aussage beschränkte sich also die Argumentation der Ordinarien. Sie lehnten die Verleihung zwar ab, jedoch unterließen sie eine überzeugende Darlegung ihrer Kritik an der Sache. In der Fakultätssitzung, in der zuletzt über die Verleihung abgestimmt wurde, fehlten sie, was dazu führte, dass die Fakultät den Antrag „einstimmig“ annehmen konnte.230 Engagierte Fürsprecher der Ehrung Bartels’ waren neben Alfred Hübner der Niederlandist André Jolles sowie der Indogermanist Heinrich Junker. Ihre wohlwollenden Gutachten unterscheiden sich inhaltlich kaum, jedoch durchaus in Argumentationsstruktur und Tonfall. Das erste Gutachten, das auf die Aussage der Ordinarien reagierte, stammte von Jolles. Grundtenor war, dass die Ehrung des „sturen Vaterländer[s]“ und „verdienstvollen Gelehrten“ – entgegen der Sicht von Frings und Korff – durchaus und „unter allen Umständen angebracht“231 sei. Dafür führte Jolles verschiedene Argumente ins Feld, betonte die fachlichen Leistungen Bartels’, dessen Bedeutung für die Ausbildung der nachfolgenden Generationen sowie seine persönliche Integrität. Auch der Antisemitismus von Bartels war Teil der Argumentationskette von Jolles. Insgesamt jedoch hielt er sich in seinem Gutachten an die traditionellen akademischen Regeln zur Bewertung von wissenschaftlichen Leistungen. Auf diesem Weg wertete er Bartels und dessen umstrittene Arbeiten als Teil der Wissenschaft auf und enthob ihn der rein publizistischen Sphäre.232 Die Gutachten von Hübner und Junker schlossen sich Jolles an. Beide betonten die Wissenschaftlichkeit Bartels’. Seine Arbeiten seien „eine von wissenschaftlicher Verantwortung und wissenschaftlicher Gründlichkeit getragene völkisch wertvolle Leistung“233, schrieb etwa Junker. In der Argumentationsstruktur waren diese beiden Gutachten weniger stringent als das von Jolles – sie ergänzten es eher und 228 „Eine Ehrenpromotion von Adolf Bartels stehen m. E. keine anderen grundsätzlichen Bedenken entgegen als die, auf welche der Herr Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung selber hingewiesen hat. Daß ‚eine Ehrung unter allen Umständen angebracht‘ erscheinen müßte, davon kann freilich kaum die Rede sein.“ Erklärung von H. A. Korff vom 14. August 1937 und Bestätigung durch T. Frings vom 21. August 1937, in: UAL, Ehrenpromotion Nr. 105, Bl. 10. 229 Erklärung von H. A. Korff vom 14. August 1937, in: Ebd. 230 „Die zwei entscheidenden Fakultätssitzungen scheinen übrigens erfreulicherweise schlecht besucht gewesen zu sein“, eine Aussage, die im Nachhinein auf die vermeintlich geringe Beteiligung und damit Involviertheit abhob. Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL an Walther Vontin / Hamburg vom 29. Dezember 1958, in: Ebd., Bl. 45. 231 Gutachten von A. Jolles, in: UAL, Ehrenpromotion Nr. 105, Bl. 13. 232 Vgl. zur Argumentation von A. Jolles ausführlich Kap. B II 3.2c. 233 Gutachten von H. Junker, in: UAL, Ehrenpromotion Nr. 105, Bl. 16.

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betonten einzelne Punkte. Dabei war der Tonfall Junkers offensiver als der von Hübner, was im Status der beiden Akteure begründet lag. Junker war wie Korff und Frings Ordinarius und ordentliches Mitglied der Fakultät, Hübner nur Extraordinarius.234 Hübners Gutachten war kürzer als das der beiden Kollegen und hatte weder den akademischen Duktus von Jolles noch den provokanten Ton von Junker. Hübner sah es vielmehr als seine Aufgabe, die Ausführungen Jolles’ zu ergänzen und zu konkretisieren. So wog er die „größere Wissenschaftlichkeit“235 der Arbeiten Bartels’ gegen die auflagenstarken, aus seiner Sicht jedoch nur „phrasenhaften Literaturgeschichten“ von Alfred Biese und Eduard Engel ab und verglich Bartels mit Josef Nadler, den er jedoch „durch größere Gewissenhaftigkeit der Arbeitsweise, Sauberkeit des Stiles und straffere Einheitlichkeit der Weltanschauung auf rassischgermanischer Grundlage“ überträfe. Durch die Nennung der weitläufig bekannten Namen der Literaturhistoriker Biese, Engel und Nadler personalisierte Hübner die Argumentation Jolles’ und zeigte auf diesem Weg die Stoßrichtung der Arbeiten von Bartels auf.236 Abschließend wandte sich Hübner dem Argument Korffs und Frings’ zu, nachdem es nicht notwendig sei, Bartels unbedingt in Leipzig zu ehren. Dazu Hübner: „Da Bartels selbst die Anfänge seiner wissenschaftlichen Ausbildung in Leipzig erhalten haben will, sehe ich keinen Grund, einer anderen Universität das Vorrecht, ihn ehrenhalber zu promovieren, einzuräumen. Ich möchte jetzt, wo von Außenseite die Leipziger Ehrenpromotion angeregt ist, sogar aufmerksam machen, dass es auf unsere Fakultät ein schlechtes Licht werfen würde, wenn wir diese Ehrung einer anderen Universität überlassen.“237

Hier argumentierte Hübner offen gegen Korff und Frings, wobei er auf die Folgen der Ehrung Bartels’ für die Universität hinwies. Diese Würdigung sei für Leipzig eine Ehre, und sie solle an diesem Vorrecht festhalten. Täte sie dies nicht, wäre es im Umkehrschluss eine Blamage – und zwar wissenschaftlich gegenüber dem „bekannten Literaturhistoriker“ sowie politisch angesichts des „aufrechten Bekenner[s]“238. Hübner unterstützte also die Verbindung von Wissenschaft und Politik und setzte sich auf diese Weise von der Position der Ordinarien ab – mit Erfolg. Denn die Diskussion um die Ehrung Bartels’ ging zugunsten der Befürworter aus. Im Januar 1938 verlieh die Universität Bartels „wegen seiner Verdienste um das Deutsche Schrifttum“ den Ehrendoktor. Sie ehre damit, so der Urkundentext, „den Mann und den Gelehrten, der in Zeiten des Niedergangs die Würde der deutschen 234 Zu Junkers Argumentation im Vergleich zu der von Jolles vgl. ebenfalls Kap. B II 3.2c. 235 Dieses und die folgenden Zitate dieses Absatzes stammen aus dem Gutachten von A. Hübner, in: UAL, Ehrenpromotion Nr. 105, Bl. 14. 236 Gegen Eduard Engel hatte auch Bartels polemisiert. In einer als „Wissenschaftskontroverse“ inszenierten Auseinandersetzung hatte er einmal mehr die unüberwindbare Grenze zwischen Deutschen und Juden betont: „Für viel gefährlicher [gemeint ist, „gefährlicher“ als der jüdische Germanist Richard M. Meyer; AL] halte ich Eduard Engel, der, weil er auch die Fremdwörter bekämpft und allerlei Weisheit über deutschen Stil von sich gegeben hat, vielen Deutschen als Deutscher erscheint, aber ein geradezu typischer Jude ist.“ A. Bartels, Jüdische Herkunft, S. 26. 237 Gutachten von A. Hübner, in: UAL, Ehrenpromotion Nr. 105, Bl. 14. 238 Ebd.

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Literatur verteidigte, dem heranwachsenden Geschlecht ein Vorbild war und der vaterländischen Dichtung den Weg der Zukunft wies.“239 Damit war die Verleihung zunächst ein symbolischer Akt. Die Würdigung eines dezidierten und weithin bekannten Antisemiten, dessen wissenschaftliches Niveau mehr als umstritten war, bedeutete den offiziellen Einzug des Antisemitismus in das Herz der Universität Leipzig, einer Hochschule, deren Philosophische Fakultät noch 1939 unter Zeitgenossen als „wesentlich unpolitisch-konservativ“240 galt. Die Ehrung Bartels’ durch eine der ältesten und wichtigsten deutschen Universitäten und die diesbezügliche Mitverantwortung renommierter Vertreter der Germanistik können nicht ignoriert werden. Denn selbst wenn es sich vornehmlich um ein politisches Szenario handelt, so fand dies doch als Akt der Anerkennung im Bedeutungsfeld Wissenschaft statt – die Wirkung, die dies auf die Zeitgenossen hatte, wäre eine gesonderte Untersuchung wert. Zum anderen war die Verleihung die lang ersehnte akademische Aufwertung Bartels’, denn die Universität ehrte explizit, wie es im Urkundentext heißt, „den Mann“ und „den Gelehrten“. Wie viel bzw. wenig die arrivierten Ordinarien davon hielten, hatten sie dadurch gezeigt, dass sie den (fach-)wissenschaftlichen Aspekt in ihrer Äußerung ignoriert hatten. Die Befürworter schätzten die Arbeiten Bartels’ jedoch auch fachlich. Das zeigt, dass der Rassediskurs, selbst wenn sie ihn nicht explizit in ihre eigenen fachlichen Arbeiten und wissenschaftlichen Konzeptionen einfließen ließen (wie Hübner in seinen textphilologischen Editionen), zu ihrem Weltbild gehörte. Die strenge Scheidung in „jüdische“ und „deutsche“ Literatur und Dichter hatten sie entweder bereits übernommen oder hielten sie zumindest für erstrebenswert (und sei es nur aus Opportunismus). Mit Blick auf die Wissenschaftspraxis zeigen die Verleihung und die vorangegangenen Auseinandersetzungen noch einen weiteren Punkt. Betrachtet man nämlich die drei Gutachten von Jolles, Hübner und Junker, so zeigt sich ihre demonstrative Einigkeit. Jeder der Befürworter auf seine Weise, aber in der Intention gleich, vollzog den Schulterschluss gegen die konservativen Ordinarien Korff und Frings. Solcher Zusammenhalt in konkreten Streitfragen war in der Fakultät nicht unüblich, jedoch ging mit dieser Demonstration auch eine Infragestellung des herrschenden Kräfteverhältnisses einher. Üblicherweise setzten sich in Diskussionen in der Fakultät diejenigen Professoren mit einem hohen Maß an wissenschaftlichem symbolischen Kapital durch. In jedem Fall oblag den Ordinarien als Vertretern der engeren Fakultät eine besondere, bislang unbezweifelte Entscheidungskompetenz. 239 Urkunde zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an A. Bartels am 30. Januar 1938, in: Ebd., Bl. 26. 240 So die Einschätzung von Hans-Georg Gadamer in einem Brief an Karl Löwith von Anfang Januar 1939: „Mir selbst ist der Eintritt in eine so wohlerhaltene […] Fakultät, in der man die Philosophie noch immer als das führende Fach der Geisteswissenschaften schätzt, natürlich sehr willkommen. […] Sie ist wesentlich unpolitisch-konservativ und sieht allerdings, wenngleich ohne jede ‚Christlichkeit‘, im Christentum den Träger und Former der eigenen geistigen Möglichkeiten. […] In der Leipziger Fakultät sind nur 3 Mitglieder der Partei, auch jetzt noch! Im Ganzen wirkt sich die große Politik so alle Kräfte bindend aus, daß die Kulturpolitik der Hochschulen in der Vergessenheit ein wenig gedeiht.“ Brief von H.-G. Gadamer an K. Löwith, zitiert nach J. Grondin, Hans-Georg Gadamer, S. 234.

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Dass nun die Ordinarien Frings und Korff Hübner (dem Extraordinarius mit relativ wenig wissenschaftlichem und symbolischem Kapital), Jolles (dem Extraordinarius und Fachaußenseiter) sowie dem fachfremden Ordinarius Junker unterlagen, zeigt die Schwäche ihrer Position zu diesem Zeitpunkt innerhalb der Fakultät. Die Machtverhältnisse hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits zugunsten der politisierten Professoren verschoben; die akademische Stellung (ein bisher wesentliches Machtkriterium) war sekundär geworden. Noch 1935 hatte Hübner bei dem Versuch, innerhalb des Instituts eine Machtumverteilung herbeizuführen, verloren. Er hatte zu diesem Zeitpunkt aufgrund seiner starken Lehrbelastung die Aufwertung „seines“ Mittelseminars zu einer den beiden Abteilungen der Ordinarien gleichberechtigten Einheit gefordert. Dies wurde von Frings und Korff rigoros abgelehnt.241 Generell sind Machtverschiebungen komplexe Prozesse, die keineswegs linear verlaufen müssen. Aus diesem Grund lassen sich die zum Teil nur dünnen Risse in hierarchischen Konstellationen nur schwerlich fassen und werden erst in konkreten Konfliktsituationen greifbar. Nicht zuletzt darin liegt die Bedeutung des „Falls Bartels“ für die Leipziger Fachgeschichte. Denn sowohl der Verlauf der Diskussion als auch das Ergebnis zeigen, dass sich das Kräfteverhältnis Ende der 1930er Jahre verschoben hatte. Die selbstverständliche Dominanz der Ordinarien war nicht nur in Frage gestellt, sondern – wenn auch nur in diesem Fall – gebrochen worden. Und daran hatte der nach 1933 berufene Hübner wesentlichen Anteil.242 Zwischenfazit Beide Beispiele zeigen Verschiebungen in den bestehenden wissenschaftsinternen Konstellationen, die Infragestellung von Hierarchien und Zuständigkeiten, von Einflussmacht und geltenden akademisch­habituellen Normen. Es sind keine Brüche, jedoch deutlich erkennbare Risse. Diese werden in den Handlungsweisen von Schier und Hübner dann offenbar, wenn es um politische Ambitionen geht. Dann gewannen ihre politische Haltung und ihr außerfachliches Wissen an Bedeutung und Macht. Auch die Art ihres Handelns war dabei relevant. Sie gingen offensiv vor, ignorierten bewusst traditionelle akademische Aushandlungsräume oder bildeten Koalitionen. Darauf reagierten die traditionellen Kräfte mit Rückzug, statt sich (ihrer akademischen Machtstellung bewusst) offensiv dagegenzustellen. In der Konsequenz zog dies Machtverschiebungen nach sich, die in Abweichungen von standardisierten akademischen Prozessen deutlich werden. Zugleich schloss dies nicht aus, dass es sich bei Schier und Hübner um angesehene Dozenten und Lehrer handelte, deren Arbeiten in der Fachwelt anerkannt waren – zum Teil über 1945 hinaus. Für die Ausgangsfrage nach der Berufungspraxis im Dritten Reich bedeutet dies, dass die konstatierte, eher unterschwellige Politisierung des Berufungsverfah241 Vgl. Schreiben von T. Frings und H. A. Korff an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 27. Juni 1935, in: SächsHStA Dresden, MfV 10225 / 1, Bl. 126, sowie Kap. A II 2.2. 242 Zum weiteren Lebenslauf von Schier und Hübner vgl. die Artikel im Inernationalen Germanistenlexikon.

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rens weitreichende Folgen für die Wissenschaftspraxis hatte. Fokussiert auf das Funktionieren von Wissenschaft war den zeitgenössischen Akteuren (und ist auch vielen Wissenschaftshistorikern) die politische Dimension der „neuen Berufungsnormalität“ kaum bewusst. Umso wichtiger ist es, nach den konkreten Auswirkungen dieser neuen Normalität zu fragen, werden auf diese Weise doch die Konsequenzen deutlich sichtbar. 3 Von der Normalität des Diskontinuierlichen zur neuen Homogenität. Berufungspraxis nach 1945 Als die Universitäten nach dem Krieg wieder öffneten, sahen sie sich mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert. Eines der drängendsten resultierte aus „einem historisch beispiellosen Eliteverlust“243 infolge von Entlassungen und Abwanderung. Dieser hatte zur Folge, dass Hochschulpolitik bis weit in die 1950er Jahre vor allem Personalpolitik war.244 Von einer gelenkten Berufungspolitik erhofften sich die politischen Akteure, bestehende Kontinuitätslinien zu durchbrechen und den Umbau des Wissenschaftssystems im Sinne des Marxismus-Leninismus durchzuführen. Dieses Ziel hatte bereits die sowjetische Besatzungsmacht formuliert und wurde von den deutschen Kommunisten übernommen. Es ging ihnen um den „Sturm auf die Festung Wissenschaft“245, um die Brechung des bürgerlichen Bildungsprivilegs, die Ausrichtung der Hochschulen an der Idee des Sozialismus, die Ausbildung einer politisch loyalen Funktionselite und die Erlangung von wissenschaftlichen Kenntnissen zum Nutzen von Wirtschaft und Industrie. Dabei orientierte sich die SED an dem wissenschaftspolitischen Umbruch, wie er nach der Oktoberrevolution in der Sowjetunion stattgefunden hatte. Entsprechende Veränderungen wurden auch in der SBZ / DDR eingeführt, etwa die Gründung von Arbeiterund-Bauern-Fakultäten, der Aufbau von Parteihochschulen, die obligatorische Einführung des Studiums des Marxismus-Leninismus für alle Studierenden, die Fokussierung der Universitäten auf die Lehre sowie die Ansiedlung der Forschung in externen Einrichtungen.246 243 R. Jessen, Akademische Elite, S. 285 [Hervorhebung im Original]. 244 Zur Hochschulpolitik der SBZ und DDR vgl. u. a. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft; R. Jessen, Akademische Elite; I.-S. Kowalczuk, Geist im Dienste der Macht; A. Malycha, Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik; A. Malycha, Einführung; H. Laitko, Wissenschaftspolitik und Wissenschaftsverständnis in der DDR; M. Müller / E. E. Müller, „… stürmt die Festung Wissenschaft”, sowie für die germanistische Literaturwissenschaft J. Saadhoff, Germanistik in der DDR und P. Boden, Universitätsgermanistik in der SBZ / DDR. 245 In den Jahren 1950 / 51 führte die FDJ eine Kampagne unter dem Slogan „Entfaltet den Feldzug der Jugend für Wissenschaft und Kultur – erstürmt die Festung Wissenschaft!“ Damit bezog sie sich auf ein Stalin-Zitat, in dem es hieß: „Vor uns steht die Festung. Der Name dieser Festung ist die Wissenschaft mit ihren unzähligen Wissenszweigen. Diese Festung müssen wir um jeden Preis nehmen. Diese Festung muss die Jugend nehmen, wenn sie den Wunsch hat, der Erbauer des neuen Lebens zu sein, wenn sie den Wunsch hat, in der Tat die Ablösung der alten Garde zu sein.“ Vgl. C. Jordan, Kaderschmiede, S. 46. 246 Vgl. R. Jessen, Zwischen diktatorischer Kontrolle und Kollaboration, S. 243.

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Doch anders als geplant, ließ sich die Wissenschaft nicht „im Sturme“ nehmen. Denn es fehlte nicht nur an einer wissenschaftspolitischen Konzeption, die auf die deutschen Bedingungen ausgerichtet und zugleich ausgereift war, sondern auch am geeigneten Personal, das die hochschulpolitischen Überlegungen vor Ort hätte durchsetzen können. Für solche Aufgaben benötigte man Personen, die politisch „fortschrittlich“ und zugleich fachlich anerkannt waren; Personen mit wissenschaftlichem Kapital, politischem Wissen und Charisma. Doch gerade solche fehlten in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Der überwiegende Teil der alten akademischen Elite galt als „bürgerlich-reaktionär“. Der Großteil der politisch in Frage kommenden Personen hingegen war nicht ausreichend wissenschaftlich qualifiziert. Um das Funktionieren des Wissenschaftsbetriebs in der Nachkriegszeit aufrechtzuerhalten, wurden daher in der Praxis vielfach politische Ansprüche hintangestellt und Berufungsentscheidungen weiterhin von den Fakultäten getroffen. Dies zeigt exemplarisch ein Bericht aus Leipzig von 1946. Dieser konstatierte, dass alle von den Ministerien vorgeschlagenen Kandidaten „mit der Begründung wissenschaftlichen Unvermögens“ von den Fakultäten abgelehnt wurden. Die wissenschaftlichen Akteure würden Kandidaten bevorzugen, die sie für politisch „ungefährlich“ hielten.247 Dies führte dazu, dass zunächst alte Netzwerke fortwirkten und die nach 1945 Berufenen vielfach die akademischen Traditionen der Vorkriegszeit fortsetzten. Nur sehr selten waren „bürgerliche“ Professoren auch politisch engagiert. Eine dieser Ausnahmen war der renommierte Romanist Werner Krauss, überzeugter Kommunist und Mitglied der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“, der 1947 von einem Ordinariat in Marburg nach Leipzig wechselte.248 Krauss konnte aufgrund seiner Stellung in Leipzig eine Schlüsselrolle in personalpolitischen Entscheidungen einnehmen. Angesichts der auf Kontinuität setzenden Berufungspraxis forderte er grundlegende Einschnitte in das herkömmliche Berufungsprozedere: Ein „annehmbares Ensemble positiv gerichteter Kräfte“ erhalte man nur „durch den systematischen Rückgriff auf die noch verfügbaren Emigranten […], durch die zeitweilige Bemühung ausländischer Gastgelehrter“ sowie „durch ein kühnes Überspringen der zähen Berufungstradition“.249 Ähnliche Vorschläge wurden bald in die Praxis umgesetzt. Die II. Hochschulreform und der durch die SED verkündete „Aufbau des Sozialismus“ 1951 / 52 leiteten eine Phase ein, die verstärkt von politischer Einflussnahme auch in Berufungsfragen geprägt war. Ein offizielles Dokument von 1958 zeigt den vollzogenen Wandel in Berufungsangelegenheiten im Vergleich zur unmittelbaren Nachkriegszeit an. Zwar lag das Vorschlagsrecht weiterhin bei den Fakultäten, aber: „Kann keiner der Vorschläge der Fakultäten […] angenommen werden, oder verzögert die Fakultät eine Berufung länger als 3 Monate nach Freiwerden der Stelle, so kann der Staatssekretär nach Beratung mit Fachvertretern einen von ihm ausgewählten Kandidaten berufen und ernen247 Bericht über einige Fragen des Aufbaus an der Leipziger Universität von der Abteilung Kultur und Erziehung der SED, Bezirk Westsachsen vom 4. Juni 1946, zitiert nach G. Seidel, Vom Leben und Überleben, S. 48, Anm. 113. 248 Vgl. zu Krauss ausführlich G. Seidel, Vom Leben und Überleben. 249 So Werner Krauss zitiert nach ebd., S. 41.

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nen. Damit wird gewährleistet, dass in Ausnahmefällen auch gegen den Willen einer politisch zurückgebliebenen Mehrheit im Rat der Fakultät der für die sozialistische Erziehung geeignete Kandidat berufen und ernannt werden kann.“ 250

Gleichwohl gab es auch in dieser Phase (Anfang der 1950er bis Anfang der 1960er Jahre) Verzögerungsmomente, die einen politisch motivierten Elitenwechsel noch nicht bzw. nicht auf allen Ebenen ermöglichte. Dies lag nach wie vor am fehlenden Personal – ein Mangel, der kontinuierlich durch die Abwanderung von Akademikern in die Bundesrepublik vergrößert wurde. Dieser Zustand schuf in den 1950er Jahren eine Situation, in der es noch erhebliche Spielräume gab und pragmatische Überlegungen über politischen Interessen stehen konnten. Erst Anfang der 1960er Jahre entspannte sich die Lage auf dem akademischen Arbeitsmarkt. Durch den Bau der Berliner Mauer war der einseitige deutsch­deutsche Akademikerfluss unterbrochen worden. Zudem stand nun eine neue Generation qualifizierter Nachwuchswissenschaftler zur Verfügung, die akademisch und politisch in der DDR sozialisiert worden war. Doch selbst zu diesem Zeitpunkt gab es durchaus noch Beharrungskräfte, die ihre Position durchzusetzen vermochten, wie im Besonderen das Beispiel von Theodor Frings zeigt. Das Spannungsfeld, das sich aus den jeweiligen Konstellationen und ihren widersprüchlichen Prozessen in der Nachkriegszeit ergab, ist Thema der folgenden Ausführungen. Am Beispiel der „kleinen Grafschaften“251, der Germanistischen Institute in Leipzig, Berlin und Jena, wird die Berufungspraxis vom Kriegsende bis in die 1960er Jahre dargestellt. Es handelt sich dabei – soviel vorweg – keineswegs um eine Berufungsnormalität, wie sie sich für die Weimarer Zeit und das Dritte Reich feststellen ließ. Vielmehr war die Berufungspraxis der Nachkriegszeit von Widersprüchen, teils auch Willkür geprägt. Fast jeder Entscheidung gingen Konflikte voraus und oft blieben die Berufenen nicht lange an den Universitäten. Auch die soziale Herkunft der nach 1945 wirkenden Professoren war heterogen. Diese Gruppe umfasste Persönlichkeiten mit teilweise sehr unterschiedlichen sozialen Hintergründen und Biographien. Es gab die etablierten Gelehrten, die in den 1880er Jahren geboren, christlich geprägt und bildungsbürgerlich sozialisiert worden waren. Eine zweite Gruppe umfasste verschiedene Jahrgänge, Männer und Frauen, verschiedene soziale Hintergründe und Erfahrungshorizonte. Bei allen Differenzen einte sie, dass sie innerhalb des traditionellen Universitätssystems akademisch sozialisiert worden waren und sich diesem auch verpflichtet fühlten. Die dritte Gruppe war relativ klein, doch gehörten ihre Vertreter zu den berühmten, zugleich umstrittenen Persönlichkeiten der Nachkriegsgermanistik. Es waren männliche Linksintellektuelle, oft jüdischer Herkunft und bildungsbürgerlich sozialisiert. Sie waren aus dem westlichen Exil bewusst in die DDR zurückgekehrt, um am Aufbau einer besseren Gesellschaft teilzuhaben. Vielfach verfügten sie in hohem Maße über politisch-moralische Integrität, gleichzeitig waren sie jedoch keine 250 Schreiben aus dem Jahr 1958, zitiert nach I.­S. Kowalczuk, Geist im Dienste der Macht, S. 86 [Hervorhebung; AL]. 251 R. Jessen, Akademische Elite, S. 193.

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Fachgelehrten und ihre Berufung musste oft mit politischem Druck durchgesetzt werden. Auf sozialer Ebene gab es zwischen diesen drei Gruppen Überschneidungen hinsichtlich ihrer bürgerlichen Herkunft, der akademischen Sozialisation in den 1920er Jahren und der Prägung durch das traditionelle Universitätssystem. Folgerichtig ordnet Ralph Jessen sie daher (trotz aller Differenzen) einer gemeinsamen „Gründergeneration“ zu. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Vertreter akademisch und sozial vor 1945 geprägt wurden und dass sie für die Entwicklung der Universitäten in der Nachkriegszeit maßgeblich mitverantwortlich waren.252 Von der Gründergeneration unterscheidet Jessen die „zweite Generation“ 253, die zwar hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft und ihrer politischen Erstprägung relativ inhomogen war.254 Nachhaltig politisch sowie akademisch wurde sie jedoch in der Nachkriegszeit geprägt. Vertreter dieser Generation nahmen das moralischpolitische Angebot von FDJ und SED an und waren als „Genossen Nachwuchswissenschaftler“255 intensiv am Aufbau einer neuen Gesellschaft interessiert. Diese Gruppe einte eine starke Loyalität zur DDR256 sowie die Bereitschaft, die Germanistik zu einer marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaft umzugestalten.257 Wenn ich mich im Folgenden mit der Berufungspraxis der frühen DDR beschäftige, stehen die Akteure als Individuen, aber auch als soziale Gruppen im Mittelpunkt. Anhand ihrer Entwicklung gilt es, den differenzierten, teils widersprüchlichen Prozess des Elitenwechsels (der im Wesentlichen auch ein Generationswechsel war) nachzuvollziehen. Dieser durchlief verschiedene Phasen und war von internen Bedingungen ebenso geprägt wie von hochschulpolitischen Entscheidungen bzw. der politischen Großwetterlage. Spätestens mit Durchführung der III. Hochschulreform 1968 war der Prozess abgeschlossen. Seit Anfang der 1970er Jahre dominierten SED-loyale Germanisten der zweiten Generation die Lehrstühle an den ostdeutschen Hochschulen. Um die zum Teil erheblichen lokalen Unterschiede innerhalb dieses Prozesses herausarbeiten zu können, werden im Folgenden die drei Institute einzeln untersucht.

252 Unter dem Begriff „Gründergeneration“ fasst Jessen noch weitere Gruppen, die allerdings für den vorliegenden Untersuchungskontext nicht relevant sind. Vgl. ebd., S. 294 –335. 253 Ebd., S. 336. 254 Ihre Vertreter wurden in der Regel in den 1910er / 1920er Jahren geboren, unter ihnen waren Männer und Frauen. Ihre Primärsozialisation hatten sie im Dritten Reich erfahren. Einige waren bei der HJ oder beim BDM gewesen, meist aber zu jung, um „wirkliche“ Schuld auf sich zu laden. Andere waren aufgrund ihrer jüdischen Herkunft oder als Kommunisten verfolgt worden. 255 J. Saadhoff, Germanistik in der DDR, S. 141. 256 Die Universitätsangehörigen gehörten generell zu den politisch loyalsten Gruppen der DDR. Vgl. I.-S. Kowalczuk, Von der Volkserhebung zum Mauerbau, S. 30. 257 Vgl. J. Saadhoff, Germanistik in der DDR, S. 141.

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3.1 Kontinuitäten und Irritationen. Die Leipziger Germanistik a) Netzwerke, Lehrerbindungen und Milieukontinuitäten Trotz vieler Entlassungen dominierten in der Leipziger Germanistik nach 1945 Kontinuitäten. Betrachtet man die Personalsituation Ende der 1940er Jahre, so sieht man am Institut ausschließlich Leipziger. Im Stichjahr 1949 lehrten neben den beiden Ordinarien Frings und Korff der Frings-Schüler Ludwig Erich Schmitt, der Korff-Schüler Martin Greiner, Frings’ langjährige Mitarbeiterin Elisabeth KargGasterstädt sowie der von der Theologischen Fakultät kommende Walter Baetke.258 Mit sechs planmäßig besetzten Professuren war Leipzig im Vergleich zu anderen germanistischen Instituten der SBZ ausgesprochen gut ausgestattet.259 Diese günstige Situation resultierte aus der starken Standortbindung von Frings und Korff, die sich früh dafür entschieden hatten, in der DDR zu bleiben, und so auch die gewachsenen Bindungen zu ehemaligen Schülern und Kollegen nutzen konnten.260 Neben der Bindung an die Stadt bzw. an die Mentoren hatten die in den 1880er Jahren geborenen Baetke und Karg-Gasterstädt mit den Ordinarien zudem eine ähnliche akademische Sozialisation und die traditionelle Milieubildung in Kaiserzeit und Weimarer Republik gemein. Baetke war im Oktober 1946 auf die seit Jahren vakante Professur für Nordische Philologie und Religionsgeschichte berufen worden. Zuvor hatte er an der Theologischen Fakultät gelehrt und war dort wiederholt mit den Nationalsozialisten in Konflikt geraten.261 Nach dem Krieg trat er in die SED ein und galt aufgrund seiner „fortschrittliche[n] politische[n] Gesinnung“ als einer der „hervorragendsten Lehrer“ der Universität.262 Als Mittler zwischen traditionellen und sozialistischen Positionen spielte er eine wichtige Rolle, zumal er zwischen 1947 und 1949 Dekan der Philosophischen Fakultät war.263 Auf Karg-Gasterstädt werde ich an späterer Stelle näher eingehen. Im Folgenden konzentriere ich mich auf Schmitt und Greiner, deren Zeit als Leipziger Professoren von einer Vielzahl an Konflikten geprägt war, die darin mündeten, dass beide die DDR verließen. Um ihre Position innerhalb der Nachkriegsgermanistik deutlich zu machen, werden zunächst ihre Werdegänge, ihre Rolle im Wissenschaftsbetrieb bis 1945 sowie ihr jeweiliges Verhältnis zu den beiden Leipziger Ordinarien skizziert. 258 Einen Überblick über die Berufungen und ihren Ablauf sowie über die soziale und akademische Herkunft der Berufenen bietet Tabelle III im Anhang. 259 Vgl. P. Boden, Universitätsgermanistik in der SBZ / DDR, S. 120–127. 260 Vgl. Kap. B III 3. 261 Bereits 1933 war Baetke aufgrund seiner Gegnerschaft zur Deutschen Christen-Bewegung als Mitglied der Kreissynode und des Gemeindekirchenrats in Bergen ausgeschieden. Vgl. Fragebogen der Landesverwaltung Sachsen vom 4. November 1948, in: UAL, PA 2925, Bl. 75. Später wurde versucht, seine Berufung nach Leipzig und seine Wahl zum ordentlichen Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften in Leipzig zu verhindern. Vgl. Persönlicher Fragebogen für Lehrkräfte, in: Ebd., Bl. 176–177, hier Bl. 177. 262 Erklärung von Eduard Erkes, der als SPD-Mitglied im Dritten Reich von der Universität vertrieben worden war, vom 14. Februar 1950, in: Ebd., Bl. 83. 263 Vgl. zu Baetke weiterhin K. Rudolph, Walter Baetke.

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Ludwig Erich Schmitt wurde in Remscheid-Lennep bei Düsseldorf in einfachen Verhältnissen als eins von elf Kindern geboren.264 Auf dem Umweg über eine Aufbauschule nach der Volksschule erhielt er die Hochschulzugangsberechtigung und begann, unter anderem Germanistik, Sprachwissenschaft und Geschichte in Gießen, Berlin und Leipzig zu studieren. Wie viele seiner Kommilitonen musste auch er als Werkstudent sein Studium lange selbst finanzieren, erst in den letzten Semestern wurde er Stipendiat der Notgemeinschaft. Im Jahr 1934 promovierte er bei Frings über mittelalterliche Urkundensprache.265 Frings, fachlich und menschlich von Schmitt angetan, förderte dessen weiteren Werdegang.266 Seit Abschluss des Studiums war Schmitt Assistent am Institut und rechte Hand von Frings. Im Jahr 1937 habilitierte er sich in Leipzig über die Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache.267 Zu diesem Zeitpunkt war Schmitt Mitglied im NS-Dozentenbund und Anwärter für die Parteimitgliedschaft in der NSDAP. Trotzdem erhielt er nur den von der Fakultät vergebenen Titel Dr. phil. habil., nicht jedoch die vom Reichserziehungsministerium verliehene Lehrbefugnis für eine der deutschen Universitäten.268 Als Grund dafür nennt Schmitt später einen Vortrag über August Bebel und die sozialdemokratischen Arbeitervereine, den er 1930 vor Stipendiaten der Notgemeinschaft gehalten hatte und der ihm das Misstrauen einiger „alter Kämpfer“ an der Leipziger Universität eingebracht habe.269 Der Einfluss solcher Kräfte erscheint hier überschätzt; auch findet sich in den Akten hierfür kein Beleg. Ein anderer Grund für die nicht erteilte Dozentur mag die Behinderung Schmitts gewesen sein, die nach einer frühen Kinderlähmung geblieben war. Dass körperliche Faktoren bei der Vergabe von Dozenturen eine Rolle spielten, zeigt nicht zuletzt die Bedeutung von körperlicher Kräftigung im – für angehende Dozenten obligatorischen – Dozentenlager. Nachdem Schmitt die Dozentur 1937 nicht bekommen hatte, mag bei seinem Mentor Frings die Idee gereift sein, Schmitts wissenschaftliches Profil weiter zu schärfen und ihn als Nachfolger für den Leipziger Niederlandistikprofessor André Jolles aufzubauen. Jolles sollte 1941 emeritiert werden, und es hätte schwer werden 264 Vgl. zur Biographie Schmitts, wenn nicht anders angegeben, E. Feldbusch / S. Grundke, Ludwig Erich Schmitt. 265 Vgl. L. E. Schmitt, Zum Stil der Urkundensprache. 266 Nach Einschätzung von Frings gehörte Schmitt zu den „menschlich Wertvollsten“ und „wissenschaftlich und allgemein Gebildetsten“. Vgl. Gutachten von T. Frings über L. E. Schmitt vom 28. April 1941, in: BArch, BDC, REM, Schmitt, Bl. 2705. 267 Vgl. L. E. Schmitt, Untersuchungen zur Entstehung und Struktur der „Neuhochdeutschen Schriftsprache“. Der Druck der Arbeit verzögerte sich, da ein großer Teil der fertigen Druckbögen und sprachgeographischen Karten beim Brand des Germanistischen Instituts in Leipzig am 4. Dezember 1943 vernichtet worden war; der Stehsatz der Arbeit wurde später durch die Demontage des Niemeyer-Verlags in Halle 1946 zerstört. Vgl. P. von Polenz / H. H. Munske, Ludwig Erich Schmitt, S. XII. 268 Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 261–266. Zur Diskussionen um die Ernennung von Schmitt zum Dozenten vgl. die entsprechende Korrespondenz in: UAL, PA 940. 269 Vgl. U. Maas, Verfolgung und Auswanderung, Bd. 1, S. 716. Auch in einer Erklärung von 1945 machte Schmitt für die Verzögerungen bei der Vergabe der Dozentur sowie für seinen Wechsel nach Groningen politische Gründe verantwortlich. Vgl. Lebenslauf und Tätigkeitsbericht von L. E. Schmitt [o. D., 1945 / 46], in: UAL, PA 940, Bl. 94.

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können, für dessen Fachgebiet einen Nachfolger zu finden. Das war eine Chance für Schmitt. Durch die Vermittlung von Frings, der mit dem „deutschfreundlichen“ Altgermanisten Johannes M. N. Kapteyn gut bekannt war, wechselte Schmitt 1938 nach Holland. In seine Zeit als Institutsassistent in Groningen fiel der Beginn des Krieges, weshalb Schmitt nach einem Aufenthalt in Leipzig eigentlich nicht wieder dorthin zurückkehren wollte.270 Doch die deutsche Besetzung der Niederlande änderte die Situation – nun gab es ein zusätzliches, offenkundig kulturpolitisches Interesse an Schmitt. Er galt, nach Informationen des SD in Groningen, als „geeigneter Vertreter des Deutschtums und des neuen Deutschlands“ 271. Auch der Leipziger NS-Dozentenbund hatte sich positiv über den Germanisten geäußert.272 Im Jahr 1941 erfolgte vor diesem Hintergrund nun doch die Ernennung zum Dozenten sowie – auf Weisung des Reichserziehungsministeriums – Schmitts Berufung zum Professor für Germanische und deutsche Philologie nach Groningen. Schmitt profitierte damit von der Fürsprache politisch einflussreicher Akteure sowie vom akuten Personalmangel in den besetzten Gebieten gleichermaßen.273 Politische Bedenken gab es gegen ihn nicht,274 und auch Vorbehalte gegen die Behinderung waren nun sekundär. Allerdings konnte Schmitt die verschiedenen Anforderungen in Groningen nicht erfüllen. Bereits Anfang 1942 gab es Spannungen. Die Fakultät warf ihm Unzuverlässigkeit und anmaßendes Verhalten gegenüber den Kollegen vor.275 Zugleich weigerte sich Schmitt, dem SD Informationen zu liefern. Dies hatte politische Folgen. Schmitt galt als in seiner Rolle als Kulturvermittler gescheitert, da er „der deutschen Sache keinen Dienst […] und nur den deutschfeindlichen Holländern Vorschub“276 leisten würde. Innerhalb der Groninger Philosophischen Fakultät wurde Schmitt daher bereits Anfang 1942 „fast völlig kaltgestellt“, später stand er 270 Angesichts der angespannten politischen Lage fühlte sich Schmitt in Holland unwohl. Im Juni 1939 schrieb er daher an Frings: „Ich sitze die meiste Zeit über den Büchern. Schon weil die deutschfeindliche Stimmung hier immer mehr wächst. Die Presse schürt sie in einer sehr raffinierten und hinterhältigen Weise. Die Deutschen sind die ewigen Unruhestifter. Sie haben in ihrer ganzen Geschichte nie etwas anderes versucht als die übrigen europäischen Völker zu beherrschen. Solchen Unsinn reden die Universitätsprofessoren […]. Für mich ist das gerade kein Ansporn, holländische Art und Lebensweise kennen und verstehen zu lernen. Deshalb habe ich mich auf die Bücher und die Vergangenheit zurückgezogen.“ Brief von L. E. Schmitt an T. Frings vom 13. Juni 1939, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 549, unpag. [Hervorhebungen im Original]. 271 Scheiben des Dekans der Phil. Fak. der Universität Groningen an den Oberregierungsrat und SS-Obersturmbannführer Dr. Schwarz vom 22. Mai 1942, in: BArch, BDC, REM, Schmitt, Bl. 2588. Vgl. zu den Absprachen zwischen dem SD und den „deutschfreundlichen“ Kräften an der Universität Groningen die Ausführungen bei Ludwig Jäger, der pointiert von der „SS-Inthronisierung“ Schmitts spricht. Vgl. L. Jäger, Seitenwechsel, S. 169–180. 272 Vgl. U. Maas, Verfolgung und Auswanderung, Bd. 1, S. 717. 273 Auf den Nachwuchsmangel für die besetzten Gebiete wies das REM in einem Schreiben vom 21. Oktober 1942 hin, in: BArch, BDC, REM, Schmitt, Bl. 2549–2550. 274 Davon zeugt eine positive Erklärung des NSDB der UL vom 15. Juli 1941, in: UAL, PA 940, Bl. 27, sowie die Mitgliedschaft Schmitts in der NSDAP. 275 Vgl. zu den Vorwürfen L. Jäger, Seitenwechsel, S. 178–179. 276 Einschätzung von H. Harmjanz vom 20. August 1942, in: BArch, BDC, REM, Schmitt, Bl. 2554.

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unter Hausarrest und musste seinen Pass abgeben. Im Sommer 1943 wurde er endgültig von der Universität Groningen entlassen. Die Verquickung von internen Auseinandersetzungen mit politischen Konsequenzen wird hier exemplarisch sichtbar. Auch wenn Schmitts Verhalten nicht politisch motiviert gewesen sein mag, hatte es politische Folgen – und diese mündeten zudem in einem politischen Akt: dem Austritt Schmitts aus der NSDAP. 277 Schmitt kehrte daraufhin nach Leipzig zurück, wo er als Oberassistent am Germanistischen Institut arbeitete. Sein politischer Status galt infolge der Groninger Angelegenheit als „bedenklich“278. Dennoch stellten sich Frings und der Dozentenbundführer Erich Maschke hinter ihn,279 sodass Schmitt im April 1944 als Vertreter der Professur von Erich Gierach nach München gehen konnte. Von dort kehrte Schmitt zum Kriegsende nach Leipzig zurück und übernahm (durch Frings forciert und wie ursprünglich geplant) die Professur für Niederlandistik. Im Zuge der systematischen Entnazifizierung wurde Schmitt allerdings aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft nicht in diesem Amt bestätigt.280 Auch in dieser Situation setzte sich Frings für ihn ein. Offensiv forderte er die baldmöglichste Wiedereinstellung seines Schülers und drohte, sonst die Leipziger Universität und die SBZ zu verlassen.281 Auf diese Weise erwirkte er, dass Schmitt Anfang 1947 wieder eingestellt und zum Extraordinarius für Deutsche und Niederländische Philologie ernannt wurde. Dass Frings dies gelang, zeigt seine Machtstellung im Wissenschaftssystem der Nachkriegszeit, denn die Reintegration ehemaliger NSDAPMitglieder war zu diesem Zeitpunkt noch ein Einzelfall. Dem Neuanfang von 277 Diese Erlebnisse haben Schmitt stark geprägt. Vgl. U. Maas, Verfolgung und Auswanderung, Bd. 1, S. 715. Besonders hat Schmitt nach seiner Entlassung aus dem Lehrdienst 1945 die Auseinandersetzungen in Groningen hervorgehoben. So habe er sich dort „dauernd gegen das Einbeziehen in das Spionagenetz der Wehrmacht, der Gestapo und des SD wehren müssen“. Er habe drei Jahre auf eine „Abführung ins KZ“ gewartet, „die auch geplant war, und nur durch die wachsende Desorganisation und das Kriegsende nicht zur Ausführung kam.“ Zudem sei der Austritt aus der Partei ein Schritt gewesen, den „bei der damaligen Lage nicht viele Männer gewagt haben.“ Schreiben von L. E. Schmitt an den Rektor der UL vom 3. Januar 1946, in: UAL, PA 940, Bl. 90–91. Das tatsächliche Ausmaß der Angriffe gegen Schmitt lässt sich kaum rekonstruieren. Aus seinen eigenen Erinnerungen und nachträglichen Erklärungen ergibt sich ein emotional aufgeladenes Bild, das den Opfer- und auch Widerstandsstatus (über-)betont, die eigene Verstrickung jedoch ausblendet. Demgegenüber steht das vielschichtige, auch widersprüchliche Bild, das sich aus den Akten ergibt. Hier ist genau abzuwägen. 278 Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL an den Dekan der Phil. Fak. der Universität München vom 7. März 1944, in: UAL, PA 940, Bl. 72. 279 „Schon heute habe ich den Eindruck, dass Dr. Schmitt zwar von Fehlern in seinem Auftreten in Groningen nicht freizusprechen ist. Diese sind aber nur auf Ungeschicklichkeiten und nicht auf bösen Willen zurückzuführen. Sie berühren in keiner Weise die politische Grundhaltung, die ich […] als einwandfrei bezeichnen muss, so wie Dr. Schmitt auch vorher in Leipzig seitens seiner Ortsgruppe als einwandfrei und einsatzfreudig gekennzeichnet worden ist.“ Schreiben von Erich Maschke / NSDB an T. Frings vom 3. Februar 1944, zitiert nach L. Jäger, Seitenwechsel, S. 179, Anm. 145. 280 Vgl. Schreiben der Landesverwaltung an den Rektor der UL vom 8. November 1945, in: UAL, PA 940, Bl. 88. 281 Vgl. Schreiben von T. Frings an den Staatssekretär für Hochschulwesen vom 21. Januar 1946, in: BArch, DR3 / B 15997, Bl. 15.

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Schmitt 1947 in Leipzig ging also eine wechselhafte Vorgeschichte voraus, in der Frings eine wichtige Rolle als Mentor, Wegbereiter und einflussreicher Fürsprecher spielte, was eine enge Verbindung der beiden Biographien nach sich zog. Im Bereich Neuere Literaturgeschichte wurde im April 1948 Martin Greiner zum Professor mit vollem Lehrauftrag berufen. Korff zählte ihn zu seinen „begabtesten Schülern“, nachdem er bei ihm 1929 über Tieck und Novalis promoviert hatte.282 Greiner war wenig älter als Schmitt. Er wurde in Leipzig geboren und wuchs ebenfalls in kleinbürgerlichen, einfachen Verhältnissen auf. Auch er hatte nach dem Studium weiterführende akademische Pläne gehabt und war kurz davor, seine Habilitation in München einzureichen. Doch dieses Anliegen sollte an der Rassepolitik der Nationalsozialisten scheitern – Greiner war mit einer Jüdin verlobt, die er 1934 heiratete. Die akademische Laufbahn blieb ihm damit versperrt und er wechselte stattdessen ins Verlagswesen. Er machte eine buchhändlerische Ausbildung und arbeitete später als Verlagsleiter bei dem Leipziger L. Staackmann Verlag. Als „jüdisch versippt“ erfuhr Greiner immer wieder politische Repression und Willkür. Er sollte aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen werden, was seine Verlagsarbeit unmöglich gemacht hätte; seine Frau und die Kinder mussten sich im Mecklenburgischen bei Freunden verstecken; im November 1944 wurde Greiner von der Gestapo verhaftet und in das Zwangsarbeitslager Osterode im Harz verschleppt.283 Nach dem Krieg kehrte Greiner mit seiner Familie nach Leipzig zurück. Er baute den L. Staackmann Verlag wieder auf und war literarischer Berater für den Insel-Verlag. Doch eigentlich wollte er wieder an die Universität. Deshalb arbeitete er bereits seit Oktober 1946 als Assistent bei Korff. Im Juli 1947 habilitierte er sich mit seiner ursprünglichen Arbeit, die er um ein Kapitel über Heinrich Heine ergänzt hatte.284 Darüber hinaus engagierte sich Greiner politisch. Er war Gründungsmitglied der örtlichen CDU, Mitglied im Kulturbund und in der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft; zudem war er anerkanntes „Opfer des Faschismus“.285 In dieser Kombination – als „wissenschaftlich wie pädagogisch ungemein befähigte Kraft“ und als „zeitnahe und fortschrittlich gesonnene Persönlichkeit“286 – war Greiner ein begehrter Nachwuchsgermanist. Noch bevor er seine Probevorlesung abgehalten hatte, erhielt er ein Angebot der Rostocker Universität. Da ihn Leipzig halten wollte, drängte die Universität die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung (DVV) auf eine rasche Entscheidung und erlangte seine Berufung zum Professor mit vollem Lehrauftrag für Deutsche Literatur bereits zum April 1948. 282 Vgl. M. Greiner, Das frühromantische Naturgefühl. Die Arbeit erschien in der von Korff herausgegebenen Reihe Von deutscher Poeterey als Band 7. Die Zitate stammen aus Korffs Gutachten zu Greiners Habilitation vom 8. Juli 1947, zitiert nach G. Wiemers, Martin Greiner, S. 71. 283 Vgl. ebd., S. 70–71. 284 Vgl. M. Greiner, Das Naturgefühl in der Lyrik des neunzehnten Jahrhunderts. 285 Vgl. G. Wiemers, Martin Greiner, S. 71. 286 Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL W. Baetke an die Landesregierung Sachsen / Ministerium für Volksbildung, Abt. Hochschulen und Wissenschaften vom 10. Januar 1948, in: BStU, MfS, BV Leipzig, AS 1392 / 67, Bl. 34.

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Doch die Berufung von Greiner – und hier zeigen sich erste Konfliktlinien – fand nicht nur Fürsprecher. Gegen diese Entscheidung votierte etwa der marxistische Historiker Walter Markov. Er hatte sie nicht verhindern können und schrieb daher im Mai 1948 enerviert an die DVV angesichts ihrer inkonsequenten Personalpolitik: „Einer schlafmützigen Zentralverwaltung teile ich ergebenst mit, dass Herr Martin Greiner […] längst und zwar angeblich mit Zustimmung der Zentralverwaltung Professor ist. Womit die Zukunft der Germanistik in festen Händen ruht.“287 Das Zitat belegt zum einen einmal mehr die anfänglich unsichere Position der DVV.288 Bei personellen Entscheidungen war sie noch wesentlich von den Vorschlägen der Fakultäten abhängig. Sie verließ sich auf diese und verlor dabei offenbar auch ab und zu den Überblick. In diesem Fall war es der Nordistikprofessor Walter Baetke, der in seiner Funktion als Dekan auf die Ernennung von Greiner gedrängt hatte: „Die Fakultät ist der Ansicht, dass alles getan werden muss, der Universität die wenigen wertvollen jüngeren Kräfte, über die sie zurzeit verfügt, zu erhalten.“289 Der Weggang Greiners nach Rostock würde „die ordnungsgemäße Ausbildung der Deutschlehrer […] aufs äußerste gefährden.“290 Zum anderen zeigt Markovs Äußerung dessen Unwillen über das hohe Maß an Milieukontinuität in der Leipziger Germanistik: „Die beiden german[istischen] Lehrstühle in Leipzig sind gut, aber mit Bürgerlichen besetzt. Niemand wird die Kollegen Frings und Korff missen wollen. Ist es aber richtig, sich den Zugang zum sozialistischen Nachwuchs dadurch zu verbauen, dass man ohne Notwendigkeit auch noch die ao. Professur weggibt? An eine vierte Professur ist wohl kaum zu denken und was da ist, ist – wie es scheint – vorerst endgültig besetzt. Normalerweise wird Greiner die Nachfolge eines der beiden Lehrstühle übernehmen.“291

Hier wird die zeitgenössische Sicht auf die Phase des Übergangs deutlich: Auf die alte Generation war man angewiesen; doch bei der Einsetzung neuer Dozenten sollte der politische Standpunkt unbedingt berücksichtigt werden. Interessant ist dabei Markovs Einschätzung der Lage, wonach mit der Berufung Greiners die Zukunft des Fachs entschieden sei. Denn es wäre „natürlich […] jetzt nur noch durch Affront gegen den Kollegen Greiner etwas zu machen, was nicht nur unfair, sondern auch unvernünftig wäre. Aber es empfiehlt sich, bei jeder neuen Professur schärfer aufzupassen, zumal jetzt die Wiederzulassung der Pgs [NSDAP-Mitglieder; AL] mit Hochdruck betrieben wird.“292

Auch die Furcht vor einer Renazifizierung wird in diesem Zitat deutlich. Mit der Berufung von Schmitt, Greiner, Karg-Gasterstädt und Baetke herrschte in Leipzig Anfang der 1950er Jahre ein hohes Maß an Kontinuität, was durchaus 287 Schreiben von W. Markov an die DVV vom 3. Mai 1948, in: Ebd., Bl. 54. 288 Vgl. A. Malycha, Einführung, S. 30. 289 Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL, W. Baetke, an die Landesregierung Sachsen / Ministerium für Volksbildung, Abt. Hochschulen und Wissenschaften vom 10. Januar 1948, in: BStU, MfS, BV Leipzig, AS 1392 / 67, Bl. 34. 290 Ebd. 291 Schreiben von W. Markov an Prof. Böhme vom 2. September 1948, in: Ebd., Bl. 69–70. 292 Ebd. [Hervorhebung; AL].

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Anlass zur Kritik war – auch seitens Vertretern der „zweiten Generation“, die abwertend von den „überkommenen Traditionen und Verhältnissen“293 in der Leipziger Germanistik sprachen. b) Die Berufung von Hans Mayer und interne Querelen in den 1950er Jahren Ein tiefer Einschnitt in die geschilderte Konstellation war die Berufung von Hans Mayer 1950.294 Unvorhersehbar prägte sie die personellen Entwicklungen, was sich in der Irritation der Ordinarien ebenso zeigte wie an den Auseinandersetzungen Mayers mit Greiner und Schmitt. Doch zunächst zu Mayer selbst: Er ist der bekannteste akademische Außenseiter in der Germanistik; seine intellektuelle Bedeutung für Leipzig ist unbestritten. Mayer beeindruckte als Redner und hervorragender Kenner von Literatur und Literaturgeschichte. Zudem war er mit vielen zeitgenössischen Autoren aus Ost und West persönlich bekannt, die er auch seinen Studenten in Lesungen und Diskussionsrunden vorstellte. Mayers geistige Lebendigkeit, sein grundanderer Habitus, aber auch seine Biographie als verfolgter Jude und Marxist, als Emigrant und Remigrant sowie die Nähe seiner Lehren zur gegenwärtigen Situation beeindruckten viele seiner Studierenden nachhaltig.295 In der spezifischen Leipziger Konstellation aus lokalen Netzwerken und persönlichen Beziehungen musste der bekennende Marxist und promovierte Jurist zunächst wie ein Fremdkörper wirken. Anfang 1948 war Mayer auf Veranlassung von Werner Krauss zum Ordinarius für Kultursoziologie zugleich an die Gesellschaftswissenschaftliche und die Philosophische Fakultät der Universität Leipzig berufen worden.296 Wenig später habilitierte er sich mit einer im Schweizer Exil entstandenen Arbeit über Georg Büchner, die in literaturwissenschaftlichen Fachkreisen große Anerkennung fand. Als die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät 1950 geschlossen wurde, wurde sein Ordinariat in eine Stelle innerhalb der Philosophischen Fakultät umgewandelt.297 Dabei stand die Übernahme des Lehrstuhls für 293 Materialien, Gespräch mit H.-G. Thalheim, S. 262. 294 Die Berufung Mayers machte die personelle Situation in der Leipziger Germanistik für die Studierenden der 1950er Jahre zu einer Besonderheit. Denn durch die Trias Frings – Korff – Mayer hatten sie die Möglichkeit, ganz unterschiedliche Persönlichkeiten und Positionen kennenzulernen. Der spätere Gymnasiallehrer Helmut Soldner, der zwischen 1955 und 1957 in Leipzig studierte hatte, beschrieb das zeitgleiche Wirken der drei Professoren als einmalige „Glückskonstellation“. Vgl. Interview mit H. Soldner, in: R. Grolms, Hans Mayer, S. 128–132, hier S. 129. 295 Vgl. v. a. die Beiträge in: A. Klein (Hg.), Hans Mayers Leipziger Jahre, sowie die Interviews, die Robert Grolms mit ehemaligen Studenten von Hans Mayer geführt hat. R. Grolms, Hans Mayer. 296 Mayer legte viel Wert darauf, dass er von Anfang an in beide Fakultäten berufen worden war, und dass er sich an der traditionellen Philosophischen Fakultät habilitiert hatte, was die fachliche Qualität seiner Habilitation unterstreichen sollte. Vgl. Brief von H. Mayer an J. Müller vom 20. Februar 1957, in: UAJ, Bestand V, Abt. XXVII, NL Müller, unpag. 297 Die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät war im Dezember 1946 gegründet worden. Ihre Aufgabe war die Ausbildung der kommunistischen Eliten; zugleich sollte sie wesentliche Impulse für die Umgestaltung der Universität geben. Nach ihrer Schließung wechselten auch an-

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Kultur- und Universalgeschichte oder die Gründung eines selbständigen Instituts für Weltliteratur und vergleichende Literaturwissenschaft zur Diskussion.298 Beide Pläne scheiterten jedoch und Mayer übernahm innerhalb des Germanistischen Instituts den neu eingerichteten Lehrstuhl für Nationalliteraturen. Der Wechsel von Mayer an das Germanistische Institut war auch bedeutsam hinsichtlich der Diskussionen um die Nachfolge Korffs. Diese stand für 1952 an, wurde jedoch erst 1956 endgültig beschlossen: Mayer erhielt den Lehrstuhl, der im hohen Maß wissenschaftliche Anerkennung bedeutete. Aber auch für die hochschulpolitischen Akteure war diese Entscheidung ideal, bedeutete sie doch die Ersetzung Korffs, der Autorität mit „goethesche[r] Altersweisheit“ 299, durch den marxistischen „Star-Germanisten“300 Mayer. Zugleich stand diese Entwicklung im Gegensatz zu den internen Plänen des Instituts, nach denen Greiner gehandelt wurde, womit der Schüler auf den Lehrer gefolgt wäre.301 Generell war Korff der Fachaußenseiter Mayer politisch und fachlich suspekt.302 Mayer jedoch schätzte (bei aller inhaltlichen Differenz) Korff und dessen Arbeiten, was sich in einem Festschriftbeitrag Mayers für den Kollegen ebenso widerspiegelt303 wie in einem überraschend verbindlichen Brief anlässlich Korffs 75. Geburtstag.304 Für Verbundenheit

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dere Professoren an die Philosophische Fakultät, darunter Ernst Bloch, Fritz Behrens und Walter Markov – vielfach „gegen starken Widerstand der etablierten Professoren“. H. Mayer, Deutscher auf Widerruf, Bd. 2, S. 98. Zu den Diskussionen über die Übernahme des Lamprechtschen Lehrstuhls für Kultur- und Universalgeschichte vgl. UAL, PA 726, BL. 97–98; über die Diskussionen zu Gründung eines Instituts für Weltliteratur vgl. ebd., Bl. 127–130. G. Kluge, Hans Mayer, S. 198. J. Saadhoff, Germanistik in der DDR, S. 94. Nicht zuletzt auf diesen Konflikt zielte ein Brief von Frings aus dem Jahr 1950, den er – angesichts der Überlegungen, dass Mayer zur Germanistik wechseln sollte – an den Dekan schrieb: „Für die Entwicklung neuer Methoden scheint mir das selbständige Institut für Kulturgeschichte besonders geeignet, und es wäre dann nur zu fragen wie der Unterricht der beiden Institute aufeinander abgestimmt und verbunden werden kann. Zu einer solchen sinnvollen Regelung, die allen dient, alle persönlichen und sachlichen Reibungen und Schwierigkeiten von vornherein ausschließt, erhoffe ich Ihr Verstehen“. Schreiben von T. Frings an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 4. Mai 1950, in: UAL, PA 270, Bl. 459– 460. Über das Ausmaß der „persönlichen und sachlichen Reibungen“ zwischen Frings und Korff einerseits sowie Mayer andererseits gibt es differierende Ansichten. Vgl. Kap. A III 2.2. Vgl. Gespräch mit Malte Korff im Juli 2005 in Leipzig. Vgl. H. Mayer, Das „Märchen“. Der Brief an Korff lautete: „Lieber Herr Korff, Zwar werde ich im Hörsaal noch Gelegenheit haben, Ihnen die Grüsse und Glückwünsche des Instituts zu übermitteln, aber es sei mir doch gestattet, auch noch im eigenen Namen und aus sehr herzlicher Gesinnung diesen Gruß zu senden. Bitte erlauben Sie mir, zur Abwechslung mal keine Blumen zu senden, sondern etwas ‚Selbstgebackenes‘ […]. Was soll man zu den Gedanken Ihres Geburtstagsbriefes zum 19. März [an Mayer; AL] sagen? Sie wünschen mir, dass für mich die nächsten fünfundzwanzig Jahre ohne jene Erschütterungen ablaufen mögen, die Sie offenbar vor Augen haben, wenn im Jahre 1957 auf das Jahr 1932 zurückgeblickt wird. Ob die Zeichen der Zeit im Augenblick günstig sind, wage ich nicht zu behaupten, aber dass wir beide – mit den fünfundzwanzig Lebensjahren, die zwischen uns liegen – keinen neuen Weltkrieg erleben mögen, das ist mein erster Wunsch auch für Sie zum 3. April 1957. Mit den herzlichsten Wünschen für Ihre Gesundheit und Ihr Werk in aufrichtiger Verbundenheit Ihr Hans Mayer.“ Brief von H. Mayer an

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trotz aller Differenzen plädiert auch der Publizist Manfred Jäger, der Anfang der 1950er Jahre in Leipzig studierte. Nach ihm waren Mayer und Korff zwar „gegensätzliche Naturen“, jedoch „keine Kontrahenten“305. Doch es gibt auch andere Erinnerungen, so etwa die des Sprachwissenschaftlers Manfred Bierwisch, nach dem zwischen der ersten Etage, in der Mayer residierte, und der zweiten, in der Korff saß, „Krieg“306 herrschte. Frings war zunächst misstrauisch gegenüber dem neuen Kollegen, doch bald – so jedenfalls Mayers Eindruck – schien er sich gesagt zu haben: „Mit dem jungen Kollegen würde man arbeiten können. Es kam bloß darauf an, ihn in Schranken zu halten.“307 Wissenschaftlich anerkannt hat Frings Mayer jedoch nie und hintertrieb aus diesem Grund dessen Aufnahme in die wissenschaftlichen Akademien in Leipzig und Berlin.308 Doch bei allen Differenzen: Eine konkrete (Verdrängungs-)Gefahr ging für Korff und Frings zu keiner Zeit aus. Vielmehr war ihre Position im Wissenschaftssystem der DDR unangefochten. Anders verhielt es sich mit den jüngeren Germanisten Greiner und Schmitt. Als „bürgerliche“ Wissenschaftler gerieten sie im Zuge der II. Hochschulreform 1951 / 52 zunehmend unter politischen Druck. In der akademischen Ausbildung, so ein Beschluss des ZK der SED, gehe es nun verstärkt um die „systematische Verbreitung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung“, um die „Durchsetzung der fortgeschrittenen Wissenschaft“ und die „Entwicklung, Erziehung und Förderung der wissenschaftlichen Kader“.309 Von den Dozenten und Professoren wurde verlangt, sich zur SED und ihren Zielen zu bekennen.310 Ende der 1940er Jahre sah es für Schmitt und Greiner noch so aus, als könnten sie in der DDR wissenschaftlich Erfolg haben. Bald zeigte sich jedoch, dass sich diese Erwartungen nicht erfüllen würden. Für Greiner bedeutete der Wechsel von

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H. A. Korff vom 2. April 1957, in: NL Korff, Glückwunschschreiben zum 75. Geburtstag 1957, unpag. Mayer, so Manfred Jäger, habe Korff nicht bekämpft; zu keiner Zeit habe er in dessen Lehrbereich eingegriffen: „Vor Korffs Emeritierung hielt er [Mayer; AL] keine Vorlesungen über die deutsche Klassik. Mayers Position im Streit über diese wichtige Epoche ließ er sich von seiner Leipziger Berufung an bis in die fünfziger Jahre nur aus Reden und Gelegenheitsarbeiten entnehmen.“ M. Jäger, Mein Schillerjahr, S. 35–36. Vgl. Gespräch mit Manfred Bierwisch im Juli 2008 in Berlin. So die Erinnerung von Hans Mayer, in: H. Mayer, Deutscher auf Widerruf, Bd. 2, S. 101. Vgl. zur Sächsischen Akademie der Wissenschaften S. Paul, „stark sein im Geiste“. Zum Scheitern der Wahl in die Berliner Akademie vgl. den Bericht von Walter Dietze vom 16. Juni 1961 sowie die Anmerkungen von Mark Lehmstedt, in: M. Lehmstedt (Hg.), Der Fall Hans Mayer, S. 355–356. So der Beschluss des Sekretariats des ZK vom 1. Dezember 1952, zitiert nach A. Malycha, Einführung, S. 27. Denn, so das Politbüro-Mitglied Fred Oelßner, „der dialektische Materialismus, der von Marx und Engels begründet, von Lenin und Stalin weiterentwickelt wurde, ist die erste und einzige wissenschaftlich begründete Weltanschauung. […] Darum kann wirkliche Wissenschaft nur auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus gedeihen. Je gründlicher die Wissenschaftler dies verstehen, um so besser werden sie die Wissenschaft vorwärts bringen.“ Rede von F. Oelßner, im Rahmen einer theoretischen Konferenz der SED vom Juni 1951, in der es um die Bedeutung der Arbeiten Stalins für die Sprachwissenschaft ging, zitiert nach A. Malycha, Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik, S. 18.

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Mayer zur Germanistik und die Umgestaltung des Instituts zunächst eine Beschneidung seines Lehrbereichs.311 Dies sorgte für Unzufriedenheit, die noch zunahm, als Greiner bemerkte, dass es auch mit einer Wegberufung schwierig werden würde. Zwar gab es einen hohen Bedarf an qualifizierten Dozenten, doch Greiner schien nicht der geeignete Kandidat zu sein. Dies wurde bereits 1949 deutlich, als er in Jena auf Platz eins der Berufungsliste stand und von der Fachwissenschaft „sehr günstig“312 beurteilt wurde.313 Doch Greiner wurde vom Ministerium für Volksbildung – aus politischen Gründen – abgelehnt: Die Germanistik in Jena galt als „reaktionäres“ Institut in einer „reaktionären“ Fakultät. Hier erschien es nötig, politische Zeichen zu setzen, und man berief daher den marxistischen Literaturhistoriker Albert Malte Wagner, der 1949 aus dem englischen Exil nach Jena gekommen war. Im Gegensatz zu Wagner erschien dem Ministerium das CDU-Mitglied Greiner mit christlichem Hintergrund suspekt und opportunistisch. In einer politischen Charakterisierung des Kandidaten hieß es: In seinen Vorlesungen trete er als „Idealist auf christlicher Basis“ auf und er verstehe „es vortrefflich, verdeckte Spitzen gegen die neue gesellschaftliche Ordnung unter dem Mäntelchen historischer Gegebenheiten vorzutragen. Nach außen hin ist er zu Verhandlungen geneigt. Dies erscheint zwar tolerant, ist aber nur letztlich Zweckpolitik.“314 Greiners Aussichten auf einen akademischen Werdegang in der DDR wurden abermals enttäuscht, als er ein Jahr später wieder auf der Jenaer Liste stand und aus ähnlichen Gründen erneut abgelehnt und statt seiner Joachim Müller berufen wurde. Auch in Leipzig spitzte sich die Situation zu. Die Konkurrenz zwischen Greiner und Mayer wurde abermals offensichtlich, als Greiner ein Seminar über Thomas Mann anbieten wollte – ein Thema, das Mayer für sich beanspruchte.315 Nochmals 311 Sein Schwerpunkt sollte ab jetzt auf der Neueren Literatur bis 1818 liegen. Die Vorlesung zur Deutschen Literaturgeschichte zwischen 1818 und 1870 teilte er sich nun mit Mayer. Vgl. H. Poser, Mein Leipzig, S. 244. 312 Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der FSU an das Thüringische Ministerium für Volksbildung vom 25. Oktober 1949, in: BStU, MfS, BV Leipzig, AS 1392 / 67, Bl. 71–73, hier Bl. 71. 313 Im Berufungsverfahren wurde gesondert auf eine Stellungnahme von Hans Mayer hingewiesen, der sowohl fachlich als auch politisch besonders gut zu einem Urteil über Greiner in der Lage sei. Mayers Gutachten war wohlwollend: Zwar kenne er Greiner noch nicht lange, jedoch habe er feststellen können, dass er „sehr stark bestrebt ist, die Gefahren eines rein germanistischen Spezialistentums zugunsten einer umfassenderen Weise der Literaturbetrachtung zu vermeiden. Er ist gerade auch durch seine ehemalige Lektoratstätigkeit mit den Problemen der modernen deutschen Literatur sehr gut vertraut.“ Zwar gäbe es bei ihrer Art der Literaturbetrachtung „gewisse Gegensätzlichkeiten“, jedoch sei Greiner um eine Auseinandersetzung mit marxistischen Positionen ernsthaft bemüht. Insgesamt sei er für die Übernahme der in Aussicht stehenden Professur geeignet, zumal er in Leipzig zur Entlastung von Korff bereits weitgehend mit den Aufgaben eines Ordinarius betraut gewesen sei. Alle Zitate des Absatzes stammen aus dem Gutachten von H. Mayer über M. Greiner, in: Ebd., Bl. 72. 314 Einschätzung der Personalabteilung der Verwaltungsabteilung der FSU in einem Schreiben an das Thüringische Ministerium für Volksbildung vom 28. Januar 1950, in: BStU, MfS, BV Leipzig, AS 1392 / 67, Bl. 81. 315 Nach Hans Poser, der damals in Leipzig studierte, war dieses Ereignis für Greiner der Anlass, die DDR zu verlassen. Vgl. H. Poser, Mein Leipzig, S. 244. Unterstützung erhielt Mayer in dieser Angelegenheit offenbar auch von Frings, der, so Ralph Jessen, „im Zusammenspiel mit dem Staatssekretariat sein [Greiners; AL] Lehrangebot reglementierte.“ In einem Abschieds-

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wollte sich Greiner nicht abdrängen lassen und verließ deshalb, als sich die Chance bot, die DDR im November 1952. Greiners Werdegang im Leipzig der Nachkriegszeit spiegelt die Phase des Übergangs. Zunächst dominierten noch die traditionellen Kräfte und deren akademische Standards. Vor diesem Hintergrund war es sehr wahrscheinlich, dass Greiner einen Lehrstuhl erhalten würde. Die hochschulpolitischen Instanzen waren noch nicht effizient genug, um dieser Entwicklung etwas entgegenzuhalten. Dies änderte sich mit der II. Hochschulreform, als nicht nur die Strukturen besser griffen, sondern auch die Politisierung der Hochschulen verstärkt in Angriff genommen wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich auch die Personalsituation an den Instituten geändert. Mayer, Wagner, Müller galten als die Männer der Stunde, den „bürgerlichen“ Professoren blieb da nur der Weggang.316 Die Beziehung zwischen Schmitt und Mayer war anders; eine konkrete, fachliche Konkurrenz gab es nicht. Hier waren die Vorbehalte grundsätzlicher und führten dazu, dass sich Schmitt im Sommer 1952 weigerte, mit Mayer gemeinsam Prüfungen abzunehmen. Dies führte zu einem Eklat am Institut, der verschiedene Fronten offenbarte. So brachte Schmitt zwar die Vorbehalte vieler traditionell sozialisierter Professoren und Germanisten gegen Mayer auf den Punkt, indem er ihm vorwarf, weder Germanist noch Philologe, sondern eben „nur“ Journalist und Publizist zu sein – und als solcher gar nicht in der Lage, wissenschaftlich-akademische Aufgaben und Positionen zu übernehmen. Die offene Provokation gegen den Kollegen allerdings wurde von vielen abgelehnt. So kritisierte etwa Frings das Vorgehen seines ehemaligen Schülers und jetzigen Kollegen und verlangte von ihm eine Entschuldigung. Für Mayer war dieser Angriff eine hochgradig politische Angelegenheit, hinter der er antisemitische und antikommunistische Ressentiments sah. Er wandte sich daher an das Staatssekretariat, das sich hinter ihn stellte und ebenfalls eine Entschuldigung von Schmitt verlangte. Der genaue Ausgang der Auseinandersetzung ist nicht bekannt.317 Fakt ist jedoch, dass Schmitt in diesem Zusammenhang eine Mahnung der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung erhielt und dass es auch weiterhin zu Konflikten mit den hochschulpolitischen Akteuren kam. Generell zeigt diese Auseinandersetzung das teilweise tiefe wechselseitige Misstrauen zwischen Traditionalisten und akademischen Außenseitern. Zudem verweist die Tatsache, dass die Ereignisse zum Eklat wurden, darauf, dass die verschiedenen Akteure in der Regel offenbar doch beachtlich gut nebeneinander funktionierten.

brief an den Rektor kritisierte Greiner daher, „dass weder die Philosophische Fakultät, noch der Senat, noch das Staatssekretariat gewillt oder in der Lage sind, die sehr eigenmächtige Politik des Leiters des Germanistischen Instituts in irgendeiner Weise zu beschränken.“ Schreiben von M. Greiner an den Rektor der UL vom 29. Oktober 1952, zitiert nach R. Jessen, Akademischer Elitenwechsel, S. 365–366, Anm. 339. 316 Greiners „Republikflucht“ fiel in eine Phase massenhafter Fluchtbewegung im Zeitraum von Ende 1952 bis Anfang 1953 in Reaktion auf die im Sommer eingeleitete „Verschärfung des Klassenkampfes“ auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Vgl. U. Mählert, Kleine Geschichte der DDR, S. 65–69. 317 Vgl. zur Auseinandersetzung zwischen L. E. Schmitt und H. Mayer die Korrespondenz in UAL, PA 726, Bl. 148–154.

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Die zweite Front, die sich in dieser Auseinandersetzung offenbarte, verlief zwischen Schmitt und Frings. Dass sich Frings gegen seinen ehemaligen Schüler stellte (er hätte sich auch neutral verhalten können), verweist auf intensive Spannungen zwischen ihnen. Der Weggang Schmitts aus der DDR im März 1953 muss vor diesem Hintergrund gesehen werden, ebenso die Tabuisierung des Themas bis heute. Die Hintergründe des Zerwürfnisses, wohl auch die Frage nach der Schuld, beschäftigten sowohl die Akteure selbst, als auch ihre Schüler. Der Streit zerstörte nicht nur die ursprünglich enge Bindung zwischen Frings und Schmitt, sondern riss auch Freundschaften zwischen Assistenten und Studenten auseinander; einige folgten Schmitt in die Bundesrepublik.318 Aus den Quellen wird deutlich, dass sich das Verhältnis zwischen Frings und Schmitt seit Ende der 1940er Jahre abgekühlt hatte.319 Frings kritisierte an Schmitt, dass er unzuverlässig arbeite und Termine nicht einhalte. Auch nahm er ihm übel, dass er mit dem Gedanken gespielt hatte, als Leiter des Deutschen Sprachatlas nach Marburg zu wechseln320 und damit Leipzig und ihn im Stich zu lassen. Schmitt seinerseits war dem Schülerstatus längst entwachsen. Er war selbst Professor, leitete eine Abteilung, hatte selbst Schüler, Promovierende, Pläne. Doch offensichtlich kam er aus dem Einflusskreis des dominanten Frings – Schmitt schrieb vom „Bannkreis“321 – nicht heraus, wohl auch weil sie sich fachlich auf ähnlichem Gebiet bewegten. Die Fronten verhärteten sich, zogen weitere Kreise und entsprechende Konsequenzen nach sich. Im Herbst 1952 beschwerte sich Frings beim Rektor über Schmitt. Er könne nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten, nachdem er seine Autorität als Fachrichtungsleiter und Lehrstuhlinhaber in Frage gestellt habe. Vorangegangen war, dass Schmitt ohne Absprache mit Frings Veränderungen im Lehrangebot für das Wintersemester 1952 / 53 vorgenommen hatte und eine neue Sekretärin einstellen wollte. Zu beidem war er nicht befugt.322 Der Rektor leitete diese Angelegenheit mit der Bitte um Dispensierung Schmitts an das Staatssekretariat weiter: „Als Anlage überreiche ich Ihnen 3 Schreiben des Herrn Präsidenten der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Prof. Dr. Dr. Frings. Aufgrund der dort geschilderten Vorkommnisse erklärt Herr Prof. Frings eine weitere Zusammenarbeit mit Herrn Prof. L. Erich Schmitt – in welcher Form auch immer – ablehnen zu müssen, da das zu einem früheren

318 So waren der spätere Lehrstuhlnachfolger von Frings, Rudolf Große, und der Schmitt-Schüler Peter von Polenz miteinander befreundet und ursprünglich beide Hilfsassistenten bei Schmitt gewesen. Von Polenz folgte Schmitt später nach Marburg. Vgl. H. H. Munske / P. von Polenz, Ludwig Erich Schmitt, S. XIV. 319 Nach Aussagen von Schmitt versuchte Frings ihn bereits 1950 an eine andere Universität zu versetzen. Vgl. Bericht über die Besprechung mit L. E. Schmitt im Staatssekretariat für Hochschulwesen vom 17. Oktober 1952, in: BStU, MfS, BV Leipzig, AS 2048 / 67, Bl. 72. 320 Vgl. Peter von Polenz, L. E. Schmitts Weggang aus Leipzig, in: UAL, PA­SG 724, S. 1–3, hier S. 1–2. 321 Niederschrift der Unterredung zwischen L. E. Schmitt und Franz Wohlgemuth / Staatssekretariat vom 24. November 1952, in: BStU, MfS, BV Leipzig, AS 2048 / 67, Bl. 101. 322 Vgl. Peter von Polenz, L. E. Schmitts Weggang aus Leipzig, in: UAL, PA­SG 724, S. 1–3, hier S. 2.

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Zeitpunkt zwischen ihm und Prof. Schmitt bestehende Vertrauensverhältnis in der Wurzel zerstört ist.“323

Daraufhin wurde Schmitt am 15. Oktober 1952 von seiner Lehrtätigkeit beurlaubt, was ihn wiederum dazu veranlasste, seine Stellung zu kündigen.324 Nach Gesprächen zwischen Schmitt und dem Staatssekretariat, in der einige Alternativen diskutiert wurden, erklärte sich Schmitt bereit, seine Kündigung zurückzuziehen. Von Seite des Staatssekretariats wurde daraufhin die Dispensierung als gegenstandslos erklärt. Wiederholt machte das Staatssekretariat deutlich, dass es daran interessiert war, Schmitt in der DDR zu halten.325 In einem Schreiben an Frings schrieb der Hauptabteilungsleiter im Staatssekretariat Franz Wohlgemuth diesbezüglich: „Bei allen Vorbehalten, die Sie persönlich gegen Herrn Prof. Schmitt haben mögen, werden Sie mit uns darin übereinstimmen, dass Herr Prof. Schmitt für Lehre, Forschung und Ausbildung unserer Studierenden an einer Universität große Qualitäten besitzt. Da Ihnen sicherlich […] bekannt ist, in welcher katastrophalen Situation sich die Wissenschaftler in Westdeutschland z. Zt. befinden, halten wir es für unverantwortlich, einen unserer Professoren in eine fachlich und politisch ungewisse Lage zu bringen. Einem evtl. Wunsch von Herrn Prof. Schmitt, die DDR zu verlassen, könnten und dürften wir daher grundsätzlich nicht zustimmen.“326

Doch für Schmitt war Leipzig passé. Eine mögliche Alternative war eine Gastprofessur in Jena.327 Zuletzt jedoch entschied er sich auch gegen diese Option und 323 Schreiben des Rektors der UL an das Staatssekretariat für Hochschulwesen vom 25. September 1952, in: BStU, MfS, BV Leipzig, AS 2048 / 67, Bl. 122. Weiter heißt es in dem Schreiben: Die „eigenmächtige Abänderung“ des verbindlichen Studienplans gefährdete die Ausbildung der Studierenden „aufs Schwerste“; die Besetzung der Sekretärinnenstelle sei aufgrund seines Einzelvertrages allein Frings vorbehalten. „Bei dieser Sachlage halte ich es für geboten Prof. Schmitt bis zur endgültigen Klärung seiner anderweitigen Verwendung vom Lehramt an der Universität Leipzig zu dispensieren.“ 324 Vgl. Schreiben von L. E. Schmitt an das Staatssekretariat für Hochschulwesen vom 19. November 1952, in: Ebd., Bl. 103–104, hier Bl. 104. 325 Auf die späteren Vorwürfe von Schmitt, nach denen er aus der DDR vertrieben worden sei und aufgrund derer er die „Wiedergutmachung der Schäden“ fordert (vgl. Schreiben von L. E. Schmitt an das Staatssekretariat für Hochschulwesen vom 4. April 1957, in: Ebd., Bl. 80.), reagierte das Staatssekretariat ungehalten: „Sobald in der DDR ein ‚Nationalpreis für Frechheit‘ geschaffen ist, werde ich mich dafür einsetzen, dass die Forderungen von Herrn Prof. Schmitt auch wohlwollend Beachtung finden.“ Äußerung von W. Girnus, wiedergegeben in einem Brief des Staatssekretariats für Hochschulwesen an L. E. Schmitt vom 11. Juni 1957, in: Ebd., Bl. 77. 326 Schreiben von F. Wohlgemuth an T. Frings vom 24. November 1952, in: Ebd., Bl. 102. 327 Vgl. Schreiben von F. Wohlgemuth an den Rektor der UL vom 8. Januar 1953, in: Ebd., Bl. 89–90. Gerade über die Idee, dass Schmitt als Professor nach Jena ging, gab es längere Diskussionen. In Gesprächen hatte Schmitt zugesagt, dann den Wechsel durch seinen Weggang jedoch nicht vollzogen, womit er den Unwillen der Zuständigen auf sich zog: „Man hätte annehmen müssen, dass Herr Prof. Dr. Schmitt Ehrenmann genug sei und sich an Zusagen halten würde, die er den Universitätsbehörden und den Regierungsstellen gemacht hat.“ Schreiben von F. Wohlgemuth an T. Frings vom 30. Oktober 1953, in: Ebd., Bl. 83. Schmitt hingegen betonte, dass die Angebote nur mündlich gemacht wurden und für ihn daher keine Verbindlichkeit hatten. Schmitt schlug zudem vor, zum Historischen Institut der UL zu wechseln und dort

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verließ die DDR. Der Anlass für diesen Schritt ist nicht genau auszumachen, jedoch erfolgte die Flucht auch nicht ungeplant. Durch seine Schüler ließ Schmitt Teile seiner Bibliothek, aber auch Geschirr und Teppiche im Frühjahr 1953 über Westberlin in seine hessische Heimat nach Dillenburg schicken.328 Mit dem Weggang Schmitts waren die Auseinandersetzungen zwischen ihm und Frings jedoch nicht beendet, sondern sie zogen sich noch Jahre hin. Schmitt warf Frings vor, in der DDR eine „germanistische Diktatur“ aufgebaut zu haben, und machte ihn für die Entbehrungen seiner Familie verantwortlich.329 Frings seinerseits warf Schmitt Urkundenfälschung und Betrug vor, da dieser den ihm 1947 versehentlich verliehenen Titel des Ordinarius bei seiner Tätigkeit in Köln angegeben hatte.330 Die Auseinandersetzungen basierten gleichermaßen auf fachlicher Konkurrenz und auf einem Abhängigkeitsverhältnis, aus dem Schmitt sich offenbar nicht lösen konnte. Frings verlangte generell von seinen Schülern und Mitarbeitern absolute Loyalität und innerhalb des Instituts die Anerkennung seiner Person als primus inter pares. Doch die Beziehung zu Schmitt hatte noch eine tiefer gehende Dimension. Als „der letzten Könige einer“, wie sich Frings selbst bezeichnet haben soll, war er auch auf der Suche nach einem Thronfolger. Zu diesem hatte er (aufgrund der langjährigen und engen wissenschaftlichen Zusammenarbeit) relativ früh Schmitt auserkoren und reagierte ausgesprochen ungehalten auf alles, was sein anvisiertes Ziel gefährden könnte. Und nicht zuletzt war Schmitt, den Frings seit seiner frühen Studienzeit gefördert hatte, wohl auch in gewisser Weise ein Ersatz für die Kinder, die Frings verloren hatte. Explizit wird die Komplexität dieser weit über ein Schüler-Lehrer-Verhältnis hinausgehenden Beziehung in einem Brief von Elisabeth Karg-Gasterstädt, die seit Jahrzehnten mit dem Institut verbunden war und die Entwicklungen dort genauestens kannte. Sie schrieb 1956 an Schmitt, der mittlerweile Professor in Marburg geworden war: „Ich habe durch Jahre hindurch unmittelbar miterlebt, wie der Kummer über die Entfremdung von Ihnen in Frings genagt hat, ihn innerlich zermürbt hat […] Er hat sie lieb gehabt wie kaum eine Abteilung für sprachwissenschaftliche Landesforschung zu übernehmen, in der er seine wissenschaftliche Forschung fortsetzen könnte. Vgl. Aktenvermerk betr. Unterredung zwischen F. Wohlgemuth und L. E. Schmitt vom 13. Dezember 1952, in: Ebd., Bl. 92–93. 328 So die Erinnerung von Rudolf Große, der mit drei, vier anderen Schülern Schmitts an dieser Aktion beteiligt war. Vgl. Gespräch mit Rudolf Große im Mai 2008 in Leipzig. 329 Vgl. Schreiben von L. E. Schmitt an den Rektor der UL vom 29. Dezember 1954, in: UAL, PA 940, Bl. 122. 330 Als Schmitt 1947 auf die Professur für Niederländische Philologie berufen wurde, gab es ein Kanzleiversehen. Auf der Ernennungsurkunde stand „ordentlicher Professor“, obwohl es „außerordentlicher Professor“ hätte heißen müssen, denn die Stelle war auch vor seiner Berufung nur ein Extraordinariat gewesen. Der Fehler wurde rasch erkannt und eine neue Urkunde ausgestellt. Schmitt machte sich von der ursprünglichen Urkunde jedoch eine Kopie, denn seine vorherige Stellung war ja ebenfalls ein Ordinariat gewesen und in der (vermeintlichen) Rückstufung sah er bereits zu diesem Zeitpunkt eine gegen ihn gerichtete Maßnahme. Diese Kopie legte er dann nach seinem Wechsel in Köln vor und lief im dortigen Vorlesungsverzeichnis als „früher ordentlicher Professor in Leipzig“. Frings und der Rektor der Universität Leipzig verlangten von der Kölner Universität vehement, allerdings erfolglos, die Änderung dieser Angabe. Vgl. hierzu die Korrespondenz in: Ebd., Bl. 122–147.

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einen anderen, nicht nur weil er in Ihnen den einzigen vollwertigen Schüler besaß, von dem er hoffen durfte, dass er seine Arbeit fortsetzen und einst sein Nachfolger werden würde, sondern vor allem auch weil Sie ihm ein Stück Ersatz für seinen [Sohn]331 waren. Es war die größte Enttäuschung seines Lebens, dass Sie ihm beides schuldig geblieben sind.“332

Auf diese Weise emotional befrachtet, war die Beziehung zwischen Schmitt und Frings nicht nur konfliktanfällig, sondern auch der wesentliche Grund dafür, dass die Auseinandersetzungen so unnachgiebig geführt wurden und bis heute nachwirken. Über seine individuelle Bedeutung hinaus ist der Konflikt auch Ausdruck seiner Zeit. Abgrenzungs- und Emanzipationsschwierigkeiten zwischen Schülern und Lehrern hatte es zu jeder Zeit gegeben, auch persönliche Enttäuschung. Doch durch die besondere Konstellation der Nachkriegszeit waren die herkömmlichen Beziehungsmuster und Lösungsoptionen aus dem Lot geraten. Schmitt hätte in Leipzig wohl nie aus dem Schatten des strengen Lehrers heraustreten können, obwohl er bereits ein eigenes wissenschaftliches Profil entwickelt hatte. Seine Berufung nach Leipzig 1947 war für ihn zunächst ein Segen gewesen, da er so wieder wissenschaftlich arbeiten konnte. Längerfristig jedoch war diese Entscheidung problematisch, weil sie für den 39-jährigen einen Rückschritt bedeutete, zurück in die Rolle des Schülers und in die Abhängigkeit. Darüber hinaus war auch die Machtstellung, die Frings in der Nachkriegszeit innehatte, zeitspezifisch. Die Möglichkeit, aufgrund von internen Differenzen (so tief diese gewesen sein mögen) über den Rektor eine Dispensierung durch das Staatssekretariat zu erlangen, muss Schmitt – zu Recht – als Ausdruck einer nahezu imperialen Machtfülle erschienen sein. Eine dritte Besonderheit in diesem Konflikt ist die deutsch­deutsche Teilung. Mit dem vollständig funktionierenden Universitätssystem in der Bundesrepublik gab es einen drastischen, aber möglichen Ausweg, ohne dass die Kontrahenten wieder aufeinander zugehen mussten. In diesem Sinne schrieb Frings an das Staatssekretariat: Wenn Schmitt die DDR verlassen wolle, „so sollte man ihm kein Hindernis in den Weg legen und vor allem für eine ungestörte Ausführung seiner Bibliothek Sorge tragen.“333 Die Möglichkeit der Auswanderung schwächte so in den 1950er Jahren nicht nur das Oppositionspotential in der DDR,334 sondern war offenbar auch eine zeitspezifische Möglichkeit der Konfliktlösung mit allen positiven und negativen Folgen.335

331 Gemeint ist Frings’ Sohn Dietmar, der 1941 im Krieg gefallen war. 332 Abschrift eines Briefs von E. Karg­Gasterstädt an L. E. Schmitt vom 11. Juli 1956, enthalten in einem Brief von L. E. Schmitt an das Staatssekretariat für Hochschulwesen vom 4. April 1957, in: BStU, MfS, BV Leipzig, AS 2048 / 67, Bl. 81. 333 Schreiben von T. Frings an F. Wohlgemuth vom 17. November 1952, in: Ebd., Bl. 105. 334 R. Jessen, Zwischen diktatorischer Kontrolle und Kollaboration, S. 262 335 1956 übernahm Schmitt in Marburg den Lehrstuhl für Germanische und Deutsche Philologie und wurde Leiter des Deutschen Sprachatlas. Einige Schüler und Assistenten folgten ihm; der Sprachatlas wurde für sie zur „ersten Rettungsinsel und Kontaktstelle“. P. von Polenz / H. H. Munske, Ludwig Erich Schmitt, S. XIV.

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c) Der verzögerte Generationswechsel Durch den Weggang von Greiner und Schmitt änderte sich nicht nur die personelle Situation am Institut, es änderten sich auch die zukünftigen Optionen. Die Emeritierung von Korff, Frings, Baetke und Karg-Gasterstädt war absehbar. Was würde folgen? Bezeichnenderweise fand in Leipzig der faktische Generationswechsel zur „zweiten“, nach 1945 akademisch sozialisierten Generation erst in den 1960er Jahren statt. Denn bis dahin hielt die Gründergeneration die Zügel straff in der Hand: Korff lehrte bis 1956; ihm folgte Mayer, der die Professur bis 1963 innehatte. Baetke wurde 1955 emeritiert, doch hatte er die Leitung der Nordischen Abteilung bis 1960 inne.336 Danach übernahm sie Frings kommissarisch, der bereits die Leitung der Niederländischen Abteilung nach dem Weggang von Schmitt übernommen hatte. Bei Frings liefen die Fäden des Instituts bis zu seinem Tod 1968 zusammen. Sein Verbleib ist damit ein extremes Beispiel für verzögerten Elitenwechsel. Regulär sollt er 1957 emeritiert werden. Doch da er nach dem Zerwürfnis mit Schmitt keinen eigenen Schüler als Nachfolger bestimmen konnte, forderte er Fakultät und Staatssekretariat auf, die Nachfolgediskussion zu verschieben. Dies wurde immer wieder genehmigt – bis zuletzt. Dieser Zustand war hochproblematisch, denn es war so „seit Jahren […] nicht mehr möglich […], ein Promotions- oder gar Habilitationsverfahren in der legitimen Weise zum Abschluss zu bringen, die vorsieht, dass sich vor allem die beiden Fachvertreter der älteren und neueren Germanistik in übereinstimmenden Gutachten zusammenfinden.“ Mayer, der dies kritisierte, fuhr fort: „Ich bin aber nicht mehr in der Lage, diese Illegitimität weiter hinzunehmen und muss daher den Rat der Fakultät bitten, die Frage der Neubesetzung des Lehrstuhls in der üblichen Weise zu behandeln und eine Kommission zu bilden, der ich, wenn das gewünscht wird, natürlich gern angehören würde.“337 Doch auch diese Intervention bleib folgenlos – erst 1964 wurde Frings’ späterer Lehrstuhlnachfolger Rudolf Große zum stellvertretenden Direktor des Instituts für Deutsche und Germanische Philologie ernannt.338 Doch nicht nur Frings’ langwährender Verbleib im Amt ist bemerkenswert. Vielmehr gab er auch die Rekrutierung, Ausbildung und Formung des wissenschaftlichen Nachwuchses bis zuletzt nicht aus der Hand. Dies führte dazu, dass ein Großteil der späteren Leipziger Professoren bei ihm studiert, zum Teil promoviert und gearbeitet hatte.339 Auf diese Weise fand in der Altgermanistik und Sprachwis336 Einen Großteil der Lehre übernahm Baetkes langjähriger Assistent Ernst Walter. 337 Die Berufung eines Nachfolgers sei, so Mayer 1961, keineswegs so problematisch wie Frings es darstellte. „Es gibt Möglichkeiten der Berufung innerhalb unserer Republik, wie auch in Westdeutschland, wie auch in den Volksdemokratien. Es wäre durchaus möglich, in der zu bildenden Kommission die verschiedenen Möglichkeiten zu erörtern und die üblichen Verhandlungen zu führen.“ Das „Fortdauern des gegenwärtigen Zustands“ habe für den germanistischen Wissenschaftsbetrieb jedoch katastrophale Folgen. Schreiben von H. Mayer an den Dekan der Phil. Fak. der KMU vom 5. April 1961, in: UAL, Phil. Fak., B 1 / 14:16a, Bl. 415– 416. 338 Vgl. Schreiben des Rektors der KMU an R. Große vom 14. Mai 1964, in: UAL, R 89, Bd. 2, Bl. 165. 339 Rudolf Große hatte 1954 in Leipzig promoviert und als Dozent und Professor mit Lehrauftrag am Institut gearbeitet. Den Lehrstuhl als Nachfolger von Frings übernahm er 1969 und hatte

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senschaft in Leipzig der Generationswechsel nicht nur verzögert statt; er erfolgte auch in der traditionellen persönlichen wie fachlichen Abhängigkeit vom akademischen Lehrer. Das hatte Folgen für die Zusammensetzung der Schülerschaft. Keiner der von Frings Geförderten war Absolvent der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät; einige waren christlich gebunden.340 Ähnliche Freiräume in der Nachwuchsrekrutierung und ­ausbildung hatte es in den 1950er / 60er Jahren nur noch an der Medizinischen Fakultät gegeben.341 Sie waren in ihrer Konsequenz einmalig in der DDRGermanistik und Ausdruck der einflussreichen Position von Frings. Anders sah es im Bereich der Neueren Literaturgeschichte aus. Gerade die Weimarer Klassik hatte in der DDR „von Anfang an eine identitätsstiftende und legitimierende Funktion“342, weshalb es früh in diesem Feld auch ideologisch motivierte Auseinandersetzungen gab. In Leipzig lehrte Korff, seit 1957 Mayer. Trotz politischer und fachlicher Differenzen gehörten beide zur „Gründergeneration“ und sie einte mindestens so viel, wie sie trennte. Nicht zuletzt aus diesem Grund beobachteten die politischen Kreise Mayers Verhalten zunehmend kritisch: sein Agieren in der Tauwetterphase nach dem Tod von Stalin und dem XX. Parteitag der KPdSU, seine Solidarität mit Ungarn und Georg Lukács, mit Wolfgang Harich und Walter Janka, sein Eintreten für die literarische Moderne und seine Kritik an der DDRGegenwartsliteratur, die enge Freundschaft mit dem verfemten Ernst Bloch, die Beziehungen zu westdeutschen Autoren, generell Mayers undogmatische politische Haltung, seine westlich geprägte linksintellektuelle Gesinnung und sein bürgerlicher Habitus erweckten das Misstrauen der Parteifunktionäre. Davon zeugen die ausführlichen Berichte des Ministeriums für Staatssicherheit, die Spitzelberichte von Nachbarn und Schülern, die internen wie offiziellen Auseinandersetzungen mit seiner Person, seiner Haltung und seinem Verhalten. Das Misstrauen gegenüber dem „Revisionisten“ und Westemigranten, aber auch dem Juden und Homosexuellen blieb bis zu seinem Weggang konstant. Was sich änderte, war das Ausmaß der Anfeindungen.343 Irgendwann war Mayer mürbe und verließ die DDR, verließ „seinen Ort“, verließ Leipzig.344 Bestandteil der Auseinandersetzungen war auch der Konflikt der Schüler gegen die Lehrer. Im Zuge der „ideologischen Offensive“ erhielt die zweite Generation

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ihn bis 1989 inne. Auch Wolfgang Fleischer, der seit 1969 die Professur für Deutsche Sprache der Gegenwart (die erste ihrer Art in der DDR) innehatte, hatte 1958 bei Frings promoviert und danach in Leipzig gelehrt. Gerhard Worgt, der seit dem Weggang von Schmitt die Niederlandistik betreute und 1969 ordentlicher Professor für Niederlandistik und Nordistik wurde, hatte ebenfalls bei Frings studiert und promoviert. Gotthard Lerchner, der 1984 Präsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften wurde und so in diesem Bereich Frings nachfolgte, hatte ebenfalls bei ihm studiert, als Assistent gearbeitet und 1964 promoviert. Zur Personalsituation in der Germanistik seit den 1960er Jahren bis zum Ende der DDR vgl. G. Öhlschläger / L. Stockinger, Germanistik, S. 555–560. Gotthard Lerchners Vater etwa war Pfarrer. Vgl. Gespräch mit Gotthard Lerchner im Juni 2008 in Leipzig. Vgl. A.-S. Ernst, Ärzte in der DDR, S. 25. L. Ehrlich / G. Mai / I. Cleve, Weimarer Klassik, S. 8. Vgl. dazu die reichen Zeugnisse in: M. Lehmstedt (Hg.), Der Fall Hans Mayer. Als „seinen Ort“ bezeichnete Mayer vor allem den Hörsaal 40, in dem er gelehrt hatte. Vgl. H. Mayer, Deutscher auf Widerruf, Bd. 2, S. 94.

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ihre Chance: Manche berichteten als IMs über Mayer (wie seine Assistenten Siegfried Streller oder Werner Schubert) 345, andere suchten die direkte Konfrontation. So etwa Hans-Günther Thalheim in einer aggressiven Replik auf Mayers Vortrag Zur Gegenwartslage unserer Literatur, der Ende 1956 im Sonntag erschienen war. Der Vortrag hatte viel Aufsehen erregt. Mayer hatte die Gegenwartsliteratur der DDR scharf kritisiert: „Der Tisch unserer Literatur ist kärglich gedeckt. Wir durchleben magere Jahre.“ 346 Er verglich die Situation mit der ebenfalls unzureichenden Lage in der Bundesrepublik oder der Sowjetunion, aber auch mit der „imponierenden Vielfalt“347 der Weimarer Jahre. Eine Verbesserung der DDR-Literatur könne nur durch die Beschäftigung mit der literarischen Moderne der Weltliteratur, mit Kafka, Joyce und Faulkner erfolgen. Denn es verlangt „nach neuen Formen und Methoden der Erkenntnis und der Umsetzung solcher Erkenntnis in neue künstlerische Wirklichkeit“348; keiner brauche „rotangestrichene Gartenlauben“349. Die Vorwürfe und Vorschläge Mayers provozierten auch politisch, und die Kulturfunktionäre und Wissenschaftspolitiker Alfred Kurella, Alexander Abusch und Kurt Hager griffen ihn daher öffentlich an. Man dürfe es, so Hager, „im Interesse unserer sozialistischen Literatur [nicht] hinnehmen, wenn das ehrliche Bemühen vieler neuer Talente um die Darstellung der neuen gesellschaftlichen sozialistischen Verhältnisse nicht gefördert, sondern verächtlich gemacht wird.“350 Auf diese Vorlage reagierte nun Thalheim. In ausführlicher Polemik arbeitete er sich an Mayer ab, inszenierte sich als Vertreter der „wahren“ marxistischen Literaturwissenschaft und schrieb damit Mayer „gänzlich aus dem marxistisch-leninistischen Lager“351 heraus: „Hans Mayer ist trotz der materialistischen Elemente in seiner Literaturkonzeption, der Hinweise auf gesellschaftliche Verhältnisse, trotz seiner Beziehungen zu den Schriften von Marx und Engels, von Mehring und Lukács kein marxistischer Literaturhistoriker. Die wesentliche Grundlage von Mayers Literaturauffassung ist nicht der Materialismus, sondern der Idealismus, und zwar ein Nebeneinander von objektivem und subjektivem Idealismus.“352

In seinem Vortrag habe Mayer „antisozialistische ästhetische Prinzipien propagiert“, was der „antisozialistischen, proimperialistischen Kritik und ‚Aufweichung‘ des sozialistischen Realismus in Deutschland Vorschub“ geleistet habe und „den aggressiven Plänen der vom amerikanischen Monopolkapitalismus gelenkten Nordatlantikpakt-Organisation“353 dienen würde. Diese Positionierung sollte für die Karriere Thalheims förderlich sein. Bereits ein Jahr später übernahm er in Berlin die kommissarische Leitung des Germanistischen Instituts (vgl. unten). Mayer dagegen reagierte auf diese Angriffe mit der 345 346 347 348 349 350 351 352 353

Vgl. M. Lehmstedt (Hg.), Der Fall Hans Mayer. H. Mayer, Zur Gegenwartslage, S. 127. Ebd., S. 128. Ebd., S. 132. Ebd., S. 131. K. Hager, Aussprachen, S. 387. J. Saadhoff, Germanistik in der DDR, S. 153. H.-G. Thalheim, Kritische Bemerkungen, S. 155 [Hervorhebung; AL]. Ebd., S. 167 und 169.

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Drohung, aus dem Lehramt auszuscheiden und sich von allen offiziellen Funktionen zurückzuziehen.354 In dieser Situation hätte wohl sein Assistent Streller die Leitung des Instituts kommissarisch übernommen und der Generationswechsel wäre in Leipzig bereits zu diesem Zeitpunkt vollzogen worden.355 Doch das hohe Ansehen Mayers und seine guten Kontakte zu politischen Kreisen machten den Schritt hinfällig. Ende Juli traf er sich mit Kurt Hager, kurz zuvor hatte sich der sowjetische Kulturoffizier Alexander Dymschitz für Mayer eingesetzt.356 Hager sprach sich im Übrigen noch 1962 dafür aus, Mayer nicht aus der DDR zu vertreiben: „Alle unnötigen Härten und Beschimpfungen sind zu vermeiden. Auf der Linie der sachlichen, prinzipiellen Auseinandersetzung ist eine schrittweise Annäherung an uns anzustreben. Das wäre die beste Lösung. […] Meiner Ansicht nach ist Mayer nicht Bloch. Der Punkt aber, wo die Gemütlichkeit aufhört, ist der, wo er sich als Marxist drapiert.“357

Doch nachdem auch Bloch 1961 die DDR verlassen hatte, hielt Mayer kaum mehr etwas, und er folgte seinem Freund zwei Jahre später. Nun war der Weg frei für die neue Germanistengeneration, die schon mehrmals Versuche unternommen hatte, Mayer zu verdrängen. Wie erhofft, übernahm zunächst vertretungsweise sein Schüler Siegfried Streller den Lehrstuhl und die Institutsleitung. Er galt als begabter Literaturwissenschaftler und Marxist, der sich „gemeinsam mit den progressiven Kräften dafür ein[setze], das Institut entsprechend seiner Bedeutung bei der Entwicklung einer sozialistischen Nationalkultur vorwärts zu bringen.“358 Allerdings wurde Streller wenige Monate später nach Berlin berufen, um dort den Lehrstuhl für Deutsche Literaturgeschichte zu übernehmen, den er bis in die 1980er Jahre innehatte. Der reguläre Nachfolger Mayers wurde 1964 Horst Haase, der sich erst ein Jahr zuvor in Berlin habilitiert hatte – bezeichnenderweise bei Mayers Gegenspieler Thalheim. Bei der Entscheidung für Haase ging es „darum, das Leipziger Institut mit einer wirksamen Leitung zu versehen, die bisher gefehlt hat. Es liegt auf der Hand, dass von der zentralen staatlichen Leitung in erster Linie die wissenschaftlich-pädagogische und politische Führungstätigkeit dieses größten literaturwissenschaftlichen Instituts in der DDR gesichert werden muss.“359 354 Vgl. Bericht des GI „Lorenz“ [Werner Schubert] vom 2. Juni 1958, in: M. Lehmstedt (Hg.), Der Fall Hans Mayer, S. 215. 355 „Über den Nachfolger Mayers wurde noch nicht gesprochen. Wahrscheinlich wird der GI [Geheimer Informant; AL] zunächst als Institutsleiter eingesetzt.“ Treffbericht mit GI „Rengies“ [Siegried Streller] vom 5. Juni 1958, in: Ebd., S. 217. 356 Vgl. Bericht mit GI „Lorenz“ [Werner Schubert] vom 29. Juli 1958 sowie den Treffbericht mit GI „Jacob Maurer“ [Hans Maaßen] vom 17. Juli 1958, beide in: Ebd., S. 227–228 bzw. 222–223. 357 Beurteilung der Situation in der Germanistik durch Kurt Hager vom 5. Juni 1962, zitiert nach P. Boden, Lesen aus Leidenschaft, S. 210. 358 Stellungnahme der Kaderabteilung über Siegried Streller vom 19. Oktober 1963, in: UAL, R 089, Bd. 1, Bl. 144. 359 So die Antwort des Staatssekretariats für Hochschulwesen auf eine Anfrage von Hans-Günther Thalheim, ob der Weggang von Haase, der in Berlin Professor mit Lehrauftrag und Fachrichtungsleiter des Instituts war, unbedingt nötig sei. Als „Ersatz“ wurde in einem zügigen Verfah-

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Diese Anforderungen erfüllte Haase offenbar hinreichend, sodass ein Bericht über seine Leipziger Zeit feststellen konnte, dass ihm das „Verdienst zu[komme], das nach der Republikflucht von Prof. Hans Mayer kommissarisch geleitete Institut in kürzester Frist zu einem relativ leistungsfähigen, ideologisch-politisch sich schnell vorwärtsentwickelnden Kollektiv gestaltet zu haben. […] Zum persönlichen Vorbild für die Wissenschaftler unseres Fachbereiches wurde Professor Haase vor allem aber wegen seines Einsatzes für die entstehende sozialistische Literatur.“ 360

Unterstützt wurde Haase durch Edith Braemer, die 1965 von Rostock nach Leipzig berufen worden war, und durch Claus Träger, einem Schüler Mayers, der 1965 zum Professor mit Lehrauftrag für Neuere deutsche Literatur ernannt wurde und 1967 die Leitung des Instituts für Deutsche Literaturgeschichte übernahm.361 Damit war Mitte der 1960er Jahre in der Leipziger Neugermanistik der Generationswechsel vollzogen. Haase, Braemer und Träger gehörten zu derjenigen Generation, die nach 1945 akademisch ausgebildet worden war. Sie hatten ihre Hochschulzugangsberechtigung über die Arbeiter-und-Bauern-Fakultät erhalten, ihr weiterer Werdegang war von politischen Ausleseverfahren begleitet worden; Haase und Braemer hatten an dem politisch geförderten Nachwuchsseminar unter der Leitung von Gerhard Scholz teilgenommen, das nicht nur für sie karrierefördernd gewesen war – auf die Etablierung der zweiten Generation, die in Berlin deutlich eher stattfand, gehe ich unten näher ein. An dieser Stelle geht es zunächst noch um die Frage nach dem Werdegang der „bürgerlichen“ Konkurrenten. Als Korff 1956 die Universität verließ, übernahm Mayer dessen Assistenten – eine Gruppe junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich habilitieren wollten, deren Anstellung als Assistenten jedoch bereits Korff einige Mühen gekostet hatte. Schon 1951 urteilte die SED­Parteiorganisation der Philosophischen Fakultät über einen von ihnen, Lothar Scheithauer, dass er „als Kandidat für den wissenschaftlichen Nachwuchs eher abzulehnen, als zu befürworten“362 sei, da er zur liberalen Hochschulgruppe um den Germanistikstudenten Wolfgang Natonek gehört hatte, der 1949 aus politischen Gründen zu mehrjähriger Haft verurteilt worden war.363 Neben Scheithauer (Assistent 1951–1956) arbeiteten noch Eberhard

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ren Siegfried Streller von Leipzig nach Berlin berufen und dort zum Fachrichtungsleiter ernannt. Vgl. Schreiben des Staatssekretariats an H.-G. Thalheim [o. D., Anfang / Mitte Juni 1964], in: UA der HUB, Bestand: Phil. Fak. nach 1945, Nr. 51, unpag. Abschlussbeurteilung über Prof. H. Haase vom 14. April 1970, zitiert nach G. Öhlschläger / L. Stockinger, Germanistik, S. 556, Anm. 90. Haase selbst beschreibt in seinen Erinnerungen, wie schwierig es für ihn war, in Leipzig mit dem Erbe Mayers umzugehen, das bei den Studenten und beim akademischen Nachwuchs noch nachwirkte. Vgl. Materialien, Gespräch mit H. Haase, S. 6. Vgl. G. Öhlschläger / L. Stockinger, Germanistik, S. 556. Abschrift einer Beurteilung der SED-Parteiorganisation an die Personalabteilung der UL vom 20. Juni 1951, in: BStU, MfS, BV Leipzig, AP 430 / 59, Bl. 12. Scheithauer war wie Natonek Mitglied der LDPD. Die Gründung ihrer Hochschulgruppe erfolgte im Januar 1946. Natonek war über Leipzig hinaus bekannt geworden mit einer Rede, die er auf dem Dresdner Parteitag der LDPD gehalten hatte und in der er die Situation an den Hochschulen mit folgenden Worten auf den Punkt brachte: „Wenn es 1937 die nichtarische Großmutter war, die die Zulassung zum Studium unmöglich machte, dann ist es 1947 die feh-

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Haufe (Assistent 1955–1958), Christiane Agricola (Assistentin 1953 / 54 –1958 / 59) sowie der ehemalige Assistent Greiners Lothar Markschies (Assistent 1951–1956), als Assistenten bei Korff. Sie waren keine SED-Mitglieder, stammten aus bürgerlichen, zum Teil christlichen Elternhäusern (Haufes Bruder war Promovend an der Theologischen Fakultät) und galten politisch als „reaktionär“ oder zumindest „nicht fortschrittlich“.364 Im Zuge der „ideologischen Offensive“ seit Ende 1956 wurde es zum politischen Ziel, den akademischen Rekrutierungsprozess und den wissenschaftlichen Nachwuchs unter politische Kontrolle zu bringen. Im November 1957 wurde eine neue Assistentenordnung erlassen, nach der Nachwuchswissenschaftler nur eingestellt bzw. in ihrer Stellung bestätigt wurden, wenn sie die politischen Bedingungen erfüllten.365 „Ob ein junger Akademiker bei uns wirklich die Berufung zu diesem hohen Auftrag besitzt, den die Wissenschaft enthält“, so Wilhelm Girnus, „kann im letzten Grunde dabei nur die völlige Übereinstimmung seines wissenschaftlichen Ethos mit der entsprechenden Staatsgesinnung sein – nicht als ein mechanisches Nebeneinanderstehen beider, sondern als das Verständnis dessen, dass sie eine unlösbare innere Einheit bilden.“366 Parallel zur Formulierung dieser Prämissen startete eine Säuberungsaktion, die auf die „Entfernung aller offenen gegnerischen Elemente aus dem Lehrkörper“, vor allem die „vollständige Ausschaltung des bürgerlichen Einflusses“ in den Geistes­ und Sozialwissenschaften zielte.367 Von den Säuberungen waren auch die Korff-Schüler betroffen. Gegen Haufe wurde eine regelrechte Treibjagd durch die FDJ inszeniert.368 Im Ergebnis war 1959 keiner von

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lende proletarische.“ 1948 wurde die Hochschulgruppe verboten, Natonek verhaftet und verschleppt und zu 25 Jahren Haft verurteilt. Er kam nach Bautzen, wurde 1956 freigelassen und ging daraufhin nach Göttingen. Vgl. L. Scheithauer, Die Jahre in Leipzig, S. 21–22. Scheithauer erinnert sich an die Situation Anfang der 1950er Jahre im Assistentenzimmer der Neueren Abteilung, in dem auch Uwe Johnson, Manfred Bierwisch und Klaus Baumgärtner ein und aus gingen, so: „Es wurde da über mancherlei aktuelle Themen diskutiert, über das, was die FDJ so anstellte, und man hatte immer das Gefühl, dass man in seiner [Johnsons; AL] Gegenwart nicht besonders vorsichtig sein musste. Eigentlich war das nicht die Regel, weil man wusste, es wird hier jeder, besonders aus dem Korffschen Neudeutschen Seminar, sehr kritisch beobachtet.“ L. Scheithauer, Die Jahre in Leipzig, S. 20. Zu diesem Freundeskreis vgl. M. Bierwisch, Das Nibelungenlied. Als Universitätsassistent konnte nur noch arbeiten, wer „eine moralisch einwandfreie Haltung und eine sich in der gesellschaftlichen Arbeit sowie im gesamten Verhalten ausdrückende Verbundenheit mit unserem Arbeiter­und­Bauern­Staat“ zeigte. Gesetzblatt Nr. 76 über die Tätigkeit der wissenschaftlichen Assistenten und Oberassistenten an den Universitäten und Hochschulen vom 26. November 1957, zitiert nach A. Malycha, Einführung, S. 77. W. Girnus, Zur Idee, S. 305. Schreiben von W. Girnus an K. Schirdewan vom 9. November 1958, zitiert nach A. Malycha, Einführung, S. 78. Bereits bei Haufes Einstellung als Assistent hatte es Auseinandersetzungen mit der Parteiorganisation gegeben, doch hatten sich Frings und Korff erfolgreich für ihn einsetzen können. Als Dozent stand er jedoch immer wieder unter Beschuss. Laut einem MfS-Bericht habe er „einen sehr starken Einfluss unter den Studenten, der sehr schädlich ist, da er sich auf eine wissenschaftlich rückständige Methode stützt und stark christlich bezogen arbeitet.“ Zudem sei er bei einer FDJ-Veranstaltung gegen Maßnahmen der Regierung aufgetreten, habe trotz „WestreiseVerbots“ mit seiner Seminargruppe während eines Aufenthaltes in Berlin einen Ausflug nach

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ihnen mehr an der Universität; Scheithauer und Markschies hatten zudem die DDR verlassen, Haufe war für dreieinhalb Jahre ohne Stelle und Einkommen,369 Agricola blieb nur der Weg, als freiberufliche Volkskundlerin und Übersetzerin zu arbeiten.370 Zusammenfassend lässt sich für die Nachkriegsgermanistik in Leipzig eine starke Milieukontinuität festhalten. Diese hing unmittelbar mit den im Amt verbliebenen Ordinarien Frings und Korff zusammen, die es auf einmalige Weise vermochten, bestehende personelle und lokale Netzwerke zu nutzen. Dies barg sowohl Chancen als auch Konfliktpotential. Auch die folgenden personalpolitischen Prozesse waren von dieser Ausgangssituation geprägt und hatten zur Folge, dass der Wechsel zur „neuen Generation“ marxistischer Germanisten mehr oder minder stark, in jedem Fall jedoch verzögert stattfand. 3.2 „… und was hat es für Kämpfe gegeben“ 371. Die Germanistik in Jena Auch in Jena gab es nach Kriegsende Kontinuitäten. Carl Wesle, seit 1935 Ordinarius, blieb auch nach 1945 im Amt; ebenso der Institutsassistent Heinz Stolte, der seit 1944 Übungen am Institut abgehalten hatte und 1948 zum Extraordinarius ernannt worden war.372 Doch die Folgen dieser Kontinuität waren kurzlebiger und weit weniger intensiv als in Leipzig. Wesle konnte kaum auf lokale Netzwerke zurückgreifen und vermochte es nicht, die Jenaer Germanistik in einer Weise zu rekonstruieren, die einer stabilen Arbeitsgrundlage entsprochen hätte. Auch war er wiederholt krank, sodass ein Großteil der Lehre von Stolte übernommen werden musste. Im Sommer 1950 äußerte sich das Thüringische Volksbildungsministerium daher kritisch zu den Verhältnissen am Institut, die „mit dem guten Ruf der Universität […] nicht vereinbar“373 seien. Dies bezog sich auf die schlechte personelle Situation (1950 waren beide Stellen unbesetzt), auf die fehlende Profilierung von Lehre und Forschung, aber auch auf die „mangelhafte“ politisch-weltanschauliche

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Westberlin gemacht, um dort eine Ausstellung und eine Theater-Generalprobe zu besuchen. Vgl. den Bericht über diese Auseinandersetzung, verfasst von Dieter Strützel, in: M. Lehmstedt (Hg.), Der Fall Hans Mayer, S. 110–111. Vgl. Schreiben von E. Haufe an J. Müller vom 2. Januar 1961, in: UAJ, Bestand V, Abt. XXVII, Nr. 22, unpag. Haufe arbeitete später als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der SchillerNationalausgabe in Weimar und konnte 1964 bei Müller promovieren. Vgl. Gespräch mit Christiane Agricola im März 2007 in Leipzig­Markkleeberg. So bilanzierte Joachim Müller 1971 die Geschichte der Jenaer Germanistik in der Nachkriegszeit. Vgl. R. Hahn / A. Pöthe, Vorwort, S. VIII. Die Geschichte der Germanistik in Jena ist für die Zeit bis Ende der 1950er Jahre bereits gut recherchiert und quellenreich aufgearbeitet worden. Dies betrifft vor allem die Berufung von Albert Malte Wagner, Henrik Becker und Joachim Müller. In diesen Fällen referiere ich vor allem die Arbeiten von Petra Boden sowie Angelika Pöthe und Reinhard Hahn. Schreiben von A. M. Wagner an G. Harig vom 2. Februar 1951, in dem er auf eine solche Äußerung des Ministeriums Bezug nahm, zitiert nach A. Pöthe / R. Hahn, Germanistik zwischen 1945 und 1989, S. 1769.

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Ausrichtung des Instituts.374 Um diesen Zustand zu beheben, setzte das Ministerium auf die beiden akademischen Außenseiter Albert Malte Wagner und Gerhard Scholz. Wagner wurde 1950 zum Ordinarius berufen; Scholz, der in Weimar das Goethe­ Schiller-Archiv leitete, erhielt im gleichen Jahr einen Lehrauftrag für Deutsche Literatur und die Prüfungsberechtigung für das gesamte Fach.375 Beide Entscheidungen waren politisch motiviert und durch die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung forciert worden. Selbst wenn der Einfluss von Scholz und Wagner aufgrund ihrer kurzen Wirkungszeit als relativ gering eingeschätzt werden muss, ist ihre Einbeziehung in das Institut jedoch ein Beispiel für die erfolgreiche Einflussnahme der DVV auf personelle Angelegenheiten der Universität. Anders als in Leipzig waren hier die Kontinuitätslinien bereits 1950 weitgehend durchtrennt worden. a) Der akademische Außenseiter Albert Malte Wagner Albert Malte Wagner war nicht nur ein Beispiel für den erfolgreichen Einfluss politischer Akteure auf die Berufungsverfahren der Nachkriegszeit, sondern sein Fall verweist auch auf die Probleme, die sich für akademische Außenseiter im Wissenschaftsfeld dieser Zeit ergaben. Wagner war jüdischer Herkunft, hatte akademische Ambitionen auch deshalb bereits Mitte der 1920er Jahre aufgegeben und als Journalist in Berlin gearbeitet. Er war im April 1932 ausgewandert und lehrte seit März 1934 in London unter anderem am Bedford College. 1949 kehrte er, bereits 63 Jahre alt, in die DDR zurück, da ihm die DVV in Jena einen Lehrstuhl in Aussicht gestellt hatte.376 Die eingeholten Gutachten zeichneten ein widersprüchliches Bild von Wagner und seinen fachlichen Leistungen.377 Sie verstärkten damit die bestehenden Vorbehalte der Fakultät gegen den linken Publizisten, dessen wissenschaftlichpädagogische Erfahrungen in England ihnen keine ausreichende Referenz war. Da der geplante Lehrstuhl für Soziologie der Kultur- und Literaturgeschichte an der Philosophischen Fakultät aus strukturellen Gründen nicht eingerichtet werden konnte,378 erhielt Wagner im September 1949 den Lehrstuhl für Kultursoziologie an

374 Wagner bezeichnete das Institut als ein „Heerlager der Reaktion“. Vgl. Bericht von A. M. Wagner vom 2. Februar 1951, in: UAJ, Bestand S, Abt. II, Nr. 5, unpag. 375 Vgl. A. Pöthe / R. Hahn, Germanistik zwischen 1945 und 1989, S. 1789. 376 Vgl. Schreiben von A. M. Wagner an G. Harig vom 2. Februar 1951, zitiert nach ebd., S. 1769. 377 So schätzte etwa der Frankfurter Germanist Franz Schultz Wagner als „Forscher von ungemein ausgebreiteten Kenntnissen und bemerkenswerter Selbständigkeit des Denkens“ sowie als scharfen Kritiker der „rein philologisch-formalistischen Literaturbetrachtung“. Schreiben von F. Schultz, zitiert nach G. Pleßke, Weltbild, S. 78. Heinrich Deiters hingegen lobte Wagner gerade als geschulten Vertreter seines Fachs. Hans Mayer wiederum enthielt sich eines Urteils, und das von Richard Alewyn angeforderte Gutachten traf nie ein. Vgl. P. Boden, Universitätsgermanistik in der SBZ / DDR, S. 129. 378 Im Zuge der II. Hochschulreform zielte man auf eine Vereinheitlichung der Institute. Aus diesem Grund wurde ein weiterer Lehrstuhl für das ohnehin breit gefächerte Germanistische Institut in Jena abgelehnt.

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der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät und zugleich einen Lehrauftrag für Deutsche Literatur. Ein Jahr später, 1950, nach dem Tod von Wesle und der Wegberufung von Stolte, sollte zumindest der Lehrstuhl rasch neu besetzt werden. Die Fakultät schlug mit Martin Greiner / Leipzig und Walter Johannes Schröder / Rostock zwei Kandidaten vor, die traditionell akademisch sozialisiert, habilitiert und seit Jahren in den akademischen Lehrbetrieb eingebunden waren. Das Ministerium lehnte sie jedoch ab und präsentierte mit Wagner eine „belebende und fortschrittliche Kraft“379, die bei dem „derzeitigen Mangel an fortschrittlichen Kräften auf dem Gebiet der Germanistik“ unbedingt nötig sei. Trotz seiner „wissenschaftlichen Grenzen“ könne Wagner eine „wirklich wissenschaftliche Ausbildung“ leisten. Gegen die Vorbehalte der Fakultät setzte sich die DVV durch und berief Wagner zum Oktober 1950 zum Professor mit Lehrstuhl für Deutsche Philologie. In dieser Position zielte Wagner auf grundlegende Veränderungen am Institut. Noch im Monat seiner Berufung drängte er auf eine zügige Umgestaltung der Verhältnisse.380 Doch bald zeigte sich, dass Wagner mit seinen Plänen keinen Erfolg haben würde. Vielmehr sah er sich mit einer Vielzahl von wissenschaftspolitischen, materiellen und organisatorischen Problemen konfrontiert. Zunächst konnte er das Personalproblem am Institut nicht lösen, denn für die Besetzung der zweiten Stelle gab es keine geeigneten Kandidaten.381 Des Weiteren wuchs sich das ihm unterstellte Institut für Mundartenforschung zu einem organisatorischen Klotz am Bein aus, mit dem sich auch noch seine Nachfolger herumschlagen sollten. Auf Fakultäts- und Universitätsebene sah sich Wagner der Gegnerschaft des Rektors gegenüber, der wiederholt gegen ihn opponierte und Wagners ohnehin geringen Spielraum weiter einschränkte. Auch Wagners persönliche Lebenssituation war ungeklärt. Seit seiner Übersiedlung in die DDR hatte er keine angemessene Wohnung; der Umzug war noch nicht erledigt und seine Frau hatte bislang nicht einreisen können. Zu all dem verschärfte sich auch noch das politische Klima gegenüber jüdischen Westemigranten. Im Zuge einer antiwestlichen, antijüdischen und antititoistischen Kampagne geriet auch Wagner in den Verdacht, für zionistische oder trotzkistische Gruppen zu spionieren.382 Bei dieser Vielzahl zu bewältigender Probleme machte es das eher stoische, oft unkooperative Verhalten von Wagner nicht leichter. So geriet er als Querulant an

379 Dieses Zitat und die folgenden dieses Absatzes stammen aus einem Schreiben der DVV vom 26. September 1950, zitiert nach G. Pleßke, Weltbild, S. 82. 380 Vgl. Bericht von A. M. Wagner über die Situation des Germanistischen Instituts an G. Harig / Ministerium für Volksbildung, Abteilung Hochschulen und wissenschaftliche Einrichtungen vom 2. Februar 1951, in: UAJ, Bestand S, Abt. II, Nr. 5, unpag. 381 Die Berufung des ehemaligen NSDAP-Mitglieds Hans-Friedrich Rosenfeld lehnte Wagner nämlich kategorisch ab. Rosenfeld war seit 1937 Professor in Greifswald gewesen und aufgrund seines politischen Engagements im Dritten Reich (NSDAP­Mitglied seit 1937) nach Kriegsende entlassen worden. Er erlangte erst 1955 wieder eine Professur, geriet aber Ende der 1950er Jahre verstärkt unter politischen Druck. Er wurde 1958 entlassen und übersiedelte in die Bundesrepublik. Vgl. I. Hyvarinen / S. Prignitz, Hans-Friedrich Rosenfeld. 382 Vgl. G. Pleßke, Weltbild, S. 83–84.

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allen Fronten rasch in die Isolation.383 Bereits im Februar 1951 bat er um die Versetzung an eine andere Universität.384 Diese erfolgte jedoch nicht, da man auch im Staatssekretariat Wagner nun am liebsten gänzlich loswerden wollte.385 Nach einigen Querelen wurde er dann im Dezember 1951 nach nur einem Jahr Tätigkeit in Jena emeritiert. In den folgenden Jahren versuchte Wagner auf unterschiedlichen Wegen Einspruch einzulegen, doch brachte dies allein das Ergebnis, dass er weiter ausgegrenzt wurde. Seine Interventionen blieben bis zuletzt erfolglos, und so emigrierte er ein zweites Mal. 1955 ging er zurück nach England. Der Fall Wagner ist sowohl ein Beispiel für die erfolgreiche Inthronisierung eines akademischen Außenseiters gegen den Willen der Fakultät als auch für die Grenzen eines solchen Eingriffs. Dabei wirkte sich für ihn schwächend aus, dass es in Jena (anders als in Berlin oder Leipzig) keine anderen Remigranten gab, sodass er auch diesbezüglich isoliert blieb. b) Versuche einer Stabilisierung. Die Berufung von Henrik Becker und Joachim Müller Mit der kurzen Wirkdauer von Scholz und Wagner war der erste Versuch gescheitert, in Jena eine „fortschrittliche“ Germanistik zu etablieren. Der zweite Anlauf erfolgte im Wintersemester 1951 / 52 mit der Berufung von Henrik Becker und Joachim Müller, der eine Sprach-, der andere Literaturwissenschaftler. Becker und Müller waren in gewisser Weise ebenfalls Außenseiter, jedoch verfügten sie sowohl über akademischen Stallgeruch als auch über die politischen Voraussetzungen, wie sie im Zuge der II. Hochschulreform formuliert worden waren.386 Henrik Becker hatte in Leipzig bei Eduard Sievers und Wilhelm Streitberg studiert und 1923 bei Friedrich Neumann über Heldenepik promoviert.387 Er stand in philologischer Tradition und war zudem im Zusammenhang mit den Prager Strukturalisten aufgetreten.388 Nach dem Studium und einem gescheiterten Habilitations383 Eine Vorlesung zur „Geschichte der Sowjetunion“, die Wagner unaufgefordert gehalten hatte, musste er auf Weisung des Rektors einstellen. Von Seiten der Universitätsparteigruppe der SED gab es Vorwürfe, Wagner würde sich auf westdeutsche Sekundärtexte beziehen und für Unruhe sorgen, „indem er behauptet, dass die Philosophische Fakultät eine Ansammlung von reaktionären Kräften sei“. Vgl. P. Boden, Universitätsgermanistik in der SBZ / DDR, S. 130. 384 Vgl. Schreiben von A. M. Wagner an Paul Wandel vom 2. Februar 1951, in: UAJ, Bestand S, Abt. II / 5, unpag. 385 In einem Schreiben vom 29. September 1953 informierte das Staatssekretariat für Hochschulwesen das ZK der SED darüber, dass Wagner plant, wieder nach England zurückzukehren. „Zur Charakterisierung der Person brauche ich wohl nichts zu sagen. […] Auch haben wir nicht die Absicht, ihn zu halten. Solltet ihr, was wir nicht annehmen, anderer Meinung sein, bitten wir um Benachrichtigung.“ Schreiben zitiert nach P. Boden, Universitätsgermanistik in der SBZ / DDR, S. 130. 386 Vgl. A. Malycha, Einführung, S. 27. 387 Vgl. H. Becker, Vom Lesen des Mittelalters. 388 Vgl. K.-H. Ehlers, Henrik Becker. Zur Erinnerung an eine Randfigur des Prager LinguistikZirkels.

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versuch389 arbeitete Becker als Lektor, beim Radio und in Verlagen sowie als freier Schriftsteller und Lehrer an einer Wirtschaftsoberschule. Seit 1946 war er Dozent an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät in Leipzig. 1949 habilitierte er sich kumulativ und ebnete sich damit den Weg für einen akademischen Aufstieg in der DDR. Politisch war Becker überzeugter Sozialdemokrat, seit Mitte der 1920er Jahre Mitglied in der SPD und im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Nach dem Krieg trat er 1946 in die SED ein, aus der er jedoch nach wiederholten Auseinandersetzungen 1956 wieder austrat.390 1951 jedoch, angesichts der angespannten Lage, erschien Becker für die Professur ebenso geeignet wie Müller. Joachim Müller hatte in München, Heidelberg und Leipzig studiert und war ein Schüler von Korff, zu dem er später in freundschaftlicher Verbindung stand. Er hatte bei ihm 1930 über Gottfried Keller und Adalbert Stifter promoviert und danach als Lehrer gearbeitet. Ein von Korff angeregter Habilitationsversuch scheiterte 1936 an fachlichen Mängeln.391 Müller hatte seit 1933 der NSDAP angehört, weshalb er 1945 aus dem Schuldienst entlassen worden war und in der Nachkriegszeit bei seinem Stiefvater in der Kunstseidenfabrik sowie als freier Vortragender arbeitete. Seit 1950 war er Lehrer an den Volkshochschulen in Dresden und Annaberg.392 Politisch vollzog Müller eine Wende: Er wurde 1946 Mitglied im FDGB und brachte es im Kulturbund zum Vorsitzenden der Kreisleitung; 1950 trat er in die NDPD ein. Aufgrund dieser politischen Bekenntnisse sollte auch Müller – im Zuge der Reintegration ehemaliger NSDAP-Mitglieder – seine Chance im Wissenschaftssystem erhalten, hatte er doch „bewiesen, dass er den Marxismus studiert hat und in der Lage ist, ihn auf die Literaturwissenschaft anzuwenden.“ Müller böte somit „die Gewähr, sich zu einem qualifizierten marxistischen Literaturwissenschaftler zu entwickeln, wenn er die Möglichkeit hat, mit den entsprechenden Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten. Diese Möglichkeit wird vorhanden sein durch die von uns vorgesehene Ernennung des Herrn Dr. Henrik Becker in Jena.“393 In dieser Kombination also schlug das Staatssekretariat Müller zur Berufung nach Jena vor; eine Entscheidung, die nicht nur politisch, sondern auch fachlich gestützt wurde. In einem Eilbrief des Staatssekretariats vom 6. September 1951 an den Dekan der Philosophischen Fakultät in Jena heißt es: 389 Eine von Heinrich Junker angeregte Habilitationsschrift zur Sprachgeschichte des Tschechischen und Ungarischen wurde von diesem 1929 abgelehnt. Vgl. ebd. 390 Eine gesellschaftliche Beurteilung von 1949 kritisierte Becker bereits zu diesem Zeitpunkt: „Bei aller Bereitwilligkeit des Herrn Dr. Becker, am Leben der Partei teilzunehmen, fehlt ihm der Drang, sich systematisch [im Sinne des Marxismus; AL] fortzubilden.“ Gesellschaftliche Beurteilung der ABF in Leipzig vom 10. Januar 1949, in: UAJ, Bestand D, PA Becker, unpag. Gleichzeitig gab es auch positive Stellungnahmen zur politischen Haltung Beckers. Thalheim (zu diesem Zeitpunkt noch im Staatssekretariat) bezeichnete ihn so als „einzigen Germanisten (der sprachwissenschaftlichen Seite), der auf dem Boden des Marxismus-Leninismus steht und der SED angehört“. Stellungnahme des Staatssekretariats für Hochschulwesen / Abteilung Gesellschafts­ und Sprachwissenschaften vom 21. September 1951, in: Ebd., unpag. 391 Vgl. Kap. B III 5.2. 392 Vgl. U. Kaufmann, Joachim Müller. 393 Beide Zitate: Schreiben der Abteilung Gesellschafts- und Sprachwissenschaften beim Staatsekretariat für Hochschulwesen an die dortige Personalabteilung vom 6. Oktober 1951, in: UAJ, Bestand D, PA J. Müller, unpag.

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„In der Anlage übersenden wir die Unterlagen des Herrn Dr. Müller, Dresden, den wir der Philosophischen Fakultät […] auf Befürwortung der Herren Professoren Frings und Korff, Leipzig, als Nachfolger des beurlaubten Herrn Prof. Dr. Wagner vorschlagen. Herr Dr. Müller ist nach Aussagen von Herrn Professor Frings ein umfassend gebildeter Germanist, sein besonderes Arbeits- und Forschungsgebiet ist die gesamte neuere deutsche Literaturgeschichte. Aufgrund einer Reihe wissenschaftlicher Arbeiten […], die sich durch die Selbständigkeit des Denkens auszeichnen, hat er sich einen geachteten Namen in der Wissenschaft erworben. Besonders im Hinblick auf die von ihm genannten druckfertigen, bisher unveröffentlichten Manuskripte, erscheint uns eine Habilitation nicht mehr notwendig. Wir überlassen es der Fakultät, einen geeigneten Vorschlag für die Anstellung von Herrn Müller zu machen, halten aber die Ernennung zum Professor mit Lehrauftrag für das mindeste.“394

Zwar hatte die Fakultät abermals auf Martin Greiner gesetzt, jedoch wurde er auch diesmal (wie oben gezeigt) übergangen. Die Entscheidung für Müller konnte man jedoch leichter vor der Fakultät rechtfertigen. Denn anders als Wagner hatte dieser eine umfangreiche Publikationsliste, war Herausgeber der angesehenen Zeitschrift für Deutschkunde gewesen und hatte neben Korff und Frings weitere einflussreiche Fürsprecher, die zudem seine moralische Integrität während des Dritten Reichs betonten.395 Die Doppelberufung von Becker und Müller erfolgte zwar wieder gegen den Willen der Fakultät, jedoch ohne Verwerfungen wie im Falle Wagners. Vielmehr brachten die nächsten Jahre eine gewisse Stabilität ins Institut, das Müller und Becker gemeinsam leiteten. Doch auch wenn die Personalien geklärt waren, so gab es mit der Zersplitterung des Instituts und den hochschulpolitischen Anforderungen im Zuge der II. Hochschulreform weiterhin eine Reihe von Problemen. In dieser angespannten Situation zerbrach das anfänglich gute Verhältnis zwischen Becker und Müller bald. Bereits 1953 trat Becker von dem Amt des Fachrichtungsleiters zurück, da er in seiner Arbeit zu wenig Unterstützung erfahren habe.396 Weitere Differenzen mit Müller über Kompetenzüberschreitungen sowie mit dem Staatssekretariat in hochschulpolitischen Fragen führten dazu, dass Becker 1956 nicht nur aus der SED, sondern auch aus dem Germanistischen Institut ausschied und seine Tätigkeit in einem neu gegründeten Institut für Sprachpflege und Wortforschung an der Universität Jena fortsetzte, das er bis zu seiner Emeritierung 1968 leitete.397

394 Schreiben des Staatssekretariats an den Dekan der Phil. Fak. der FSU vom 6. September 1951, zitiert nach P. Boden, Lesen aus Leidenschaft, S. 196. 395 Nach Aussage von H. Becker habe Müller in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift für Deutschkunde „ohne Furcht mehreren Verfemten Beistand gewährt, ließ sie […] mitarbeiten oder trat öffentlich für sie ein.“ Ähnliches bestätigte auch Günther Müller. Nach ihm habe J. Müller dessen „wissenschaftliche Arbeiten anerkennend“ in der ZfDk hervorgehoben, „ohne eine weltanschauliche oder politische Warnung hinzuzufügen.“ Beide Gutachten zitiert nach ebd. 396 Vgl. Bericht zur Übergabe der Fachrichtungsleitung Germanistik in Jena von H. Becker vom 26. März 1953, in: UAJ, Bestand M, Nr. 876, unpag. 397 Zu den Auseinandersetzungen vgl. A. Pöthe / R. Hahn, Germanistik zwischen 1945 und 1989, S. 1771.

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c) Der allmähliche Generationswechsel Nach Beckers Rücktritt war auf seiner Stelle ein Wechsel nötig. Offensichtlich zögerte man zu diesem Zeitpunkt allerdings noch, einen Vertreter der neuen Generation zu berufen, obgleich mit Heinz Mettke, der sich 1955 habilitiert hatte und als Dozent für Ältere deutsche Sprache und Literatur am Institut lehrte, ein Kandidat zur Verfügung gestanden hätte. Zwei Jahre später sollte es zwar so weit sein; 1956 jedoch wurde mit Fritz Tschirch noch einmal ein vor 1945 akademisch sozialisierter Germanist auf den Lehrstuhl berufen. Tschirch hatte in Berlin studiert und bei Julius Petersen promoviert, danach als Lehrer sowie als Mitarbeiter beim Deutschen Wörterbuch gearbeitet. Nach dem Krieg war er zunächst Dozent an der Pädagogischen Fakultät der Universität Greifswald, wechselte dann an die Philosophische Fakultät, wo er seit 1951 Professor zunächst mit Lehrauftrag, seit 1953 mit Lehrstuhl war. Der Wechsel von Tschirch nach Jena hatte offensichtlich politische Hintergründe. Er war bekennender Christ und seit 1945 mehrere Jahre im Vorstand des gesamtdeutsch agierenden Bundes für Freies Christentum.398 In Greifswald hatte es deswegen immer wieder Auseinandersetzungen gegeben, und so war die Berufung Tschirchs nach Jena auch ein Mittel, um die „reaktionäre Gruppe von Wissenschaftlern“ 399 in der Greifswalder Germanistik zu schwächen. Vor diesem Hintergrund währte auch Tschirchs Zeit in Jena nicht lange. 1958, als sich der politische Druck auf die Hochschulen abermals erhöhte, reichte er ein Rücktrittsgesuch ein. Als Hauptgrund nannte er den Ausschluss seines Sohns von der Universität Halle. Dies habe ihm abermals gezeigt, dass er nicht mehr das Vertrauen des Staatssekretariats und der DDR genieße – weshalb er diese auch im gleichen Jahr verließ.400 Sein Nachfolger wurde wie gesagt Heinz Mettke als alleiniger Vertreter der Altgermanistik und Sprachwissenschaft – auf dem Lehrstuhl allerdings erst 1960 und als ordentlicher Professor 1965.401 Damit vollzog sich der Generationswechsel in der Jenaer Sprachgeschichte bzw. Sprachwissenschaft Ende der 1950er Jahre. Auf dem Gebiet der Neugermanistik erfolgte er erst in den 1960er Jahren; der Nachfolger von Joachim Müller kam sogar erst nach dessen Emeritierung 1971 ins Amt. Zunächst jedoch hatte sich Müller als marxistischer Literaturwissenschaftler bewährt. 1953 hatte er sich habilitiert, seit 1952 war er Professor mit vollem Lehrauftrag, seit 1955 Professor mit Lehrstuhl für Neuere und Neueste deutsche Literaturgeschichte. Die Vergabe des Lehrstuhls an ihn begründete das Staatssekretariat nicht zuletzt damit, dass er „den Marxismus-Leninismus auf seinem Fachgebiet“402 anwende, eine „gute Verbindung“ zu den Studenten und „fortschrittlichen Kräften“ 398 Später war Tschirch zudem Berater bei der Revision der Lutherbibel; 1974 erhielt er den Dr. theol. h. c. der Universität Bern. Vgl. M. Boeters, Fritz Tschirch. 399 Aktennotiz des MfS von 1960, zitiert nach ebd. 400 Vgl. A. Pöthe / R. Hahn, Germanistik zwischen 1945 und 1989, S. 1772. 401 Vgl. S. Weigelt, Heinz Mettke. 402 Dieses Zitat und die folgenden dieses Absatzes stammen aus einem vertraulichen Gutachten der FSU über J. Müller vom 23. August 1954, zitiert nach P. Boden, Lesen aus Leidenschaft, S. 199.

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der Universität unterhalte, sich gegenüber westdeutschen Kollegen „positiv über die DDR“ äußere und am 17. Juni 1953 nicht „negativ“ aufgefallen sei. Seit dem „politischen Tauwetter“ jedoch zog Müller mehr und mehr das Misstrauen der politischen Instanzen auf sich. In seiner Antrittsvorlesung als Lehrstuhlinhaber, die er 1955 über Schillers lyrische Kunst hielt, stellte er etwa in Fragen der Gattungspoetik „bemerkenswerte Übereinstimmungen“403 zwischen dem marxistischen Philosophen Georg Lukács und dem an Heidegger orientierten und die Werkimmanenz forcierenden Zürcher Literaturwissenschaftler Emil Staiger fest. Darauf reagierte die Abteilung Wissenschaften beim ZK der SED empfindlich: „Aus seinen ersten Vorlesungen war deutlich zu ersehen, dass er sich ernsthaft und nicht ohne Erfolg mit dem Marxismus-Leninismus auseinandersetzte. Je mehr er glauben konnte, dass seine Position an der Universität gesichert sei, desto mehr ließen diese Bemühungen nach, wie auch sein Bedürfnis nach kritischer Diskussion seiner Arbeiten und Tätigkeit wesentlich geschwunden ist.“404

Enge Kontakte zu westdeutschen Literaturwissenschaftlern wie eben Staiger oder auch Fritz Martini, Paul Kluckhohn oder Fritz Strich, Müllers positive Rezeption in der Bundesrepublik405 und sein Interesse an der verpönten literarischen Moderne forcierten das Misstrauen der SED gegen ihn noch. Solche Einschätzungen blieben Müller natürlich nicht verborgen, auch nicht der sukzessive Aufstieg der marxistischen Nachwuchswissenschaftler, den er mit Besorgnis beobachtete. „Ich habe mir […] viele Gedanken über die gegenwärtige Situation in der Germanistik gemacht, und ich muss gestehen, dass ich bei allem Selbstbewusstsein und bei aller Kampfentschlossenheit der Entwicklung des Scholzianischen Lagers [also der von Gerhard Scholz geförderten Germanisten; AL] besorgt gegenüberstehe“406,

so Müller in einem Brief an Hans Mayer. Der Briefwechsel zwischen den Professoren Mitte der 1950er Jahre offenbart im Übrigen eine interessante Beziehung der beiden unterschiedlichen Charaktere. Angesichts der angespannten politischen Lage verband sie offenbar mehr, als sie trennte.407 Müller solidarisierte sich zudem im Zuge der Kampagnen gegen Mayer Ende 1956 / Anfang 1957 öffentlich mit ihm und versuchte auf diese Weise, auch eine gewisse Geschlossenheit der Gründergeneration zu demonstrieren. Seinen Vortrag Zur Entwicklung der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert Ende 1956 widmete er explizit Mayers 50. Geburtstag. 403 So Müller in Schillers lyrische Kunst (1955), zitiert nach ebd. 404 Einschätzung der Abteilung Wissenschaft beim ZK der SED vom Juli 1955, zitiert nach ebd., S. 199–200. 405 In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde lobend das „ausgezeichnete Kolleg und Seminar des Jenaer Germanisten Professor J. Müller“ hervorgehoben. Müller stelle zudem eine „rühmliche Ausnahme“ im Wissenschaftsbetrieb der DDR dar. Vgl. A. Pöthe / R. Hahn, Germanistik zwischen 1945 und 1989, S. 1774. 406 Schreiben von J. Müller an H. Mayer vom 21. Mai 1956, in: UAJ, Bestand V, Abt. XXVII, Nr. 44, unpag. 407 Der Briefwechsel umfasst den Zeitraum von 1955 bis 1982, allerdings mit längeren Unterbrechungen in den 1960er Jahren. Vgl. UAJ, Bestand V, Abt. XXVII, Nr. 44, unpag.

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Darin wiederholte er dessen umstrittene Überlegungen aus dem Artikel im Sonntag. Er lobte die ästhetische Weite der literarischen Moderne, zitierte den verpönten Gottfried Benn und betonte die Unabhängigkeit der Dichtung von jeglicher Parteilichkeit: „Die moderne Menschheit steht in der Alternative von Selbstzerstörung und Selbstverwirklichung. Daraus ergibt sich die Situation für den Dichter: er muss in der Spannung von Chaos und Kosmos leben, von Untergang und Aufbruch, von radikalem Existenzverlust und absolutem Existenzgewinn. […] Freuen wir uns der Vielstimmigkeit in der Dichtung unseres Jahrhunderts!“408

Die Literatur, die in der DDR entstehe, sei hingegen oft „Gesinnungskunst“, was zu einem „erschreckenden Qualitätsverlust“ führe. Dieser „gängigen Literatur“ setzte Müller „die Maßstäbe großer Dichtung entgegen, die […] auch in der Problematik unseres vielgeprüften Jahrhunderts allgegenwärtig ist.“ Und so forderte er im Schlussteil seines Vortrages: „Im Reich der Dichtung als dem Reich höchster geistiger Verantwortung und intensivster seelischer Aufschließung soll die immer noch munter gerührte Gesinnungstrommel nicht mehr gehört werden, soll der deklarierende, deklamierende, doktrinär-dogmatische Literat, der die Dichtung zur Magd der Tagespolitik oder zur Dirne des Werbebüros erniedrigt, keinen Platz […] mehr haben.“

Entsprechend scharf war die Reaktion von politischer Seite, die Müller nun vorwarf, „die Kulturpolitik unseres Staates und unserer sozialistischen Literatur“409 zu verleumden und zu diskreditieren. Sowohl der Staatssekretär für Hochschulwesen Wilhelm Girnus als auch der Chefideologe der SED Kurt Hager ließen es sich nicht nehmen, in öffentlichen Ansprachen eine scharfe Auseinandersetzung mit Müller zu fordern. Dabei wurde abermals (wie bei Mayer) der akademische Nachwuchs aufgerufen, Stellung zu nehmen. Denn es sei ausgesprochen „erstaunlich“, so Girnus, dass es bisher „kein Literaturwissenschaftler in der Deutschen Demokratischen Republik reizvoll findet, mit dem Verfechter solcher Auffassungen die Klinge zu kreuzen.“410 Dieses Angebot zur Positionierung und Profilierung nahm Hans Kaufmann an, der sich ausführlich mit Müllers letzten Publikationen auseinandersetzte, die „als Ganzes eine Streitschrift gegen die Prinzipien der sozialistischen Literatur und Literaturkritik“411 seien. 408 Dieses Zitat und die folgenden dieses Absatzes stammen aus: J. Müller, Zur Entwicklung, S. 291. 409 Stellungnahme über „die Rolle der Gesellschaftswissenschaften bei der Schaffung sozialistischer Universitäten“ [o. D.; o.V.], zitiert nach P. Boden, Lesen aus Leidenschaft, S. 202. 410 W. Girnus, Zur Idee, S. 298. 411 H. Kaufmann, Über aktuelle Probleme, H. 22, S. 3– 4. Dies habe Folgen, so Kaufmann weiter: „Merkt Prof. Müller wirklich nicht, dass er damit der Gesinnungslosigkeit höchst willkommene Stichworte liefert? Die Gesinnungslosigkeit, genauer die Gesinnung der Indifferenz gegenüber der ‚Tagespolitik‘ und den tatsächlich die Menschheit bewegenden Fragen nach Krieg und Frieden, Demokratie oder Militarismus, Kapitalismus oder Sozialismus […]. Was der deutschen Literatur der Gegenwart noch fehlt, wird dort erreicht werden, wo eng mit der Sache des Sozialismus verbundene Dichter am Werk sind“. Müllers Thesen seien der „demokratischen und sozialistischen Entwicklung nicht förderlich, sondern hinderlich […]. Man kann sie daher

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Trotz solcher Angriffe konnte sich Müller in Jena halten und blieb dort bis zu seiner Emeritierung. Gerade unter Studierenden war er beliebt, doch er geriet immer stärker in die fachliche Isolation und konnte kaum noch in der DDR publizieren oder vortragen.412 Nochmals unter Druck geriet er nach der Berufung seines Gegenspielers Kaufmann 1962 nach Jena, der vom Staatssekretär als „Weißwäscher“ dorthin geschickt worden war und nun vor Ort den Positionierungs- und Verdrängungskampf gegen Müller führen konnte.413 Mit der Berufung von Kaufmann vollzog sich in Jena in gewisser Weise ein Generationswechsel, ohne dass Müller ausgeschieden wäre. So gab es vielmehr in der Neueren Literaturwissenschaft in Jena die alte und die neue Position nebeneinander, wobei die neue dominierte. Auch in Jena gab es, fasst man die personalpolitischen Prozesse im Vergleich zu Leipzig zusammen, Momente von Kontinuität. Jedoch waren diese weit weniger intensiv, sodass es in Jena relativ früh erfolgreiche Versuche politischer Einflussnahme auf die personelle Entwicklung gab. Bereits Anfang der 1950er Jahre konnten so politisch opportune Professoren berufen werden. Aufgrund ihrer Herkunft und Sozialisation wirkten jedoch auch bei ihnen Beharrungskräfte, die zum einen zu Auseinandersetzungen mit den Vertretern der aufstrebenden „neuen Generation“ führte, zum anderen den tatsächlichen Generationswechsel auch hier verzögerte. 3. 3 Personelle „Stunde Null“ und ihre Folgen. Die Berliner Germanistik a) Die „Stunde Null“ Am Germanistischen Institut in Berlin gab es im Vergleich zu Jena und Leipzig einige Besonderheiten. Zunächst unterschied sich die Rolle der Berliner Universität an sich. Sie war als „Zonenuniversität“ von Anfang an der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung direkt unterstellt, während für die anderen Universitäten nach wie vor die regionalen Volksbildungsministerien zuständig waren. Als Universität der Hauptstadt war sie zudem akademisches Aushängeschild, weshalb man auf die Reputation der Professoren besonderen Wert legte. Schließlich stand die Berliner Universität im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen zwischen den Machtblöcken. Spätestens seit der Gründung der Freien Universität Ende 1948 galt es, das Profil der Ostberliner Universität zu schärfen und sie zu einer sozialistischen Vorzeigeeinrichtung auf- und auszubauen.414 nicht auf sich beruhen lassen. Man muss widersprechen“. Ebd., S. 4. Kaufmann füllte mit seiner Replik auf Müller drei je vierseitige Ausgaben der Wissenschaftlichen Beilage des viel gelesenen Forums, während Müller zur Verteidigung seiner Position nur die lokal erscheinende Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena blieb. Dies bezeichnet Petra Boden als „besonders perfide Form der Zensur“. P. Boden, Lesen aus Leidenschaft, S. 202. Zur Auseinandersetzung zwischen Kaufmann und Müller vgl. auch G. Schmidt, „Es genügt nicht die halbe Wahrheit“. 412 Vgl. P. Boden, Lesen aus Leidenschaft, S. 206–217. 413 Vgl. J. Saadhoff, Germanistik in der DDR, S. 149–154. 414 Vgl. C. Jordan, Kaderschmiede.

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Zudem war konkret in der Germanistik die personelle Ausgangssituation nach dem Zweiten Weltkrieg eine vollständig andere als in Leipzig oder Jena – keiner der ehemaligen Professoren und Dozenten war noch im Amt. Sie waren entweder aus Krieg oder Gefangenschaft nicht nach Berlin zurückgekehrt oder aufgrund ihrer NSDAP-Mitgliedschaft entlassen worden. Das hatte zur Folge, dass Studenten und Nachwuchswissenschaftler von Anfang an eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau des Instituts spielten – im Gegensatz zu Leipzig und Jena, wo die ersten Weichenstellungen in den Händen der traditionellen Kräfte lagen. Trotzdem konnte sich auch in Berlin das restaurative Moment zunächst behaupten. Denn das Traditionsmuster „Berliner Schule“ stand für wissenschaftliche Qualität durch philologische Genauigkeit und (davon abgeleitet) auch von vermeintlich politischer Unvoreingenommenheit.415 Diese Referenz lag auch den Berufungen von Werner Simon und Hermann Kunisch 1946 als Ordinarien für Ältere bzw. Neuere deutsche Philologie zugrunde. Beide stammten aus der „Berliner Schule“, hatten bei Gustav Roethe bzw. Arthur Hübner studiert und als wissenschaftliche Mitarbeiter beim Deutschen Wörterbuch an der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gearbeitet. Gerade das Wörterbuch hatte seit Jahrzehnten als Karrieresprungbrett gedient und galt als Ausweis philologischer Leistung per se – sodass es auch keine Rolle spielte, dass Simon und Kunisch noch nicht bzw. gerade erst habilitiert worden waren und über keine Lehrerfahrungen verfügten.416 Der Rückgriff auf die „Berliner Schule“ als Mittel zur Traditionswahrung wird umso deutlicher, wenn man berücksichtigt, dass auch die anderen am Institut lehrenden Dozenten und Professoren in dieser Tradition standen: Der Indogermanist Wilhelm Wissmann, der 1945 aus Königsberg nach Berlin gekommen war, hatte in den 1920er Jahren bei Roethe, Hübner und Petersen studiert.417 Ebenso der am Institut lehrende emeritierte Studienrat Maximilian Schochow, der seinem Lehrer Roethe 1926 gar einen Nachruf geschrieben hatte.418 Und auch der am Institut lehrende Altphilologe Wolfgang Schadewaldt stand in enger Bindung zu dieser philologischen Tradition der Vorkriegszeit. Durchaus also bestand das „philologische Denkkollektiv“419 in Berlin trotz personeller „Stunde Null“ weiter fort. Politische Aspekte hatten in den frühen Personalentscheidungen kaum eine Rolle gespielt. Keiner der genannten Professoren und Dozenten galt als sonderlich „fortschrittlich“. Im Gegenteil: Kunisch geriet bereits kurz nach seiner Berufung mit den hochschulpolitischen Akteuren in Konflikt und wechselte als einer der ersten Professoren an die Freie Universität im amerikanischen Sektor der Stadt. In seinem Kündigungsschreiben erklärte er diesen Schritt mit einer grundsätzlichen 415 Vgl. zur Kontinuität der „Berliner Schule“, die vor allem im Hamburg der Nachkriegszeit zum Tragen kam, C. Hempel-Küter, Die Wissenschaft, v. a. S. 25–32. 416 Vgl. zu H. Kunisch den von den Herausgebern verfassten Beitrag im Internationalen Germanistenlexikon, sowie zu W. Simon M. Boeters, Werner Simon. 417 Vgl. zu W. Wissmann den von den Herausgebern verfassten Beitrag im Internationalen Germanistenlexikon. 418 M. Schochow, Gustav Roethe zum Gedächtnis. 419 J. Judersleben, Philologie, S. 130.

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Kritik an der bisherigen Hochschulpolitik der SBZ.420 Die Gründung der FU war für die Berliner Universität wie für die Germanistik ein großes Problem, denn neben Kunisch verließen auch Schochow und eine Reihe von Studierenden die Ostzone.421 Als Nachfolger für Kunisch konnte zeitnah Heinz Stolte aus Jena berufen werden. Auch mit dieser Entscheidung waren alle Seiten einverstanden. Er war fachlich ausgewiesen, hatte sich 1939 habilitiert, seitdem als Dozent in Jena gearbeitet und war nicht in der NSDAP gewesen. Dass Stolte nach Berlin kam, obgleich man ihn in Jena dringend benötigt hätte, illustriert abermals den Status der Humboldt-Universität als Repräsentationsort. Stolte jedoch nutzte die Nähe zu Westberlin und verließ die DDR bereits einige Monate nach seiner Berufung.422 b) Versuche einer Stabilisierung. Die Berufung von Alfred Kantorowicz und Leopold Magon Die unerwartet schnell wieder aktuell gewordene Personalfrage beantwortete die DVV nun mit der Berufung des linken Publizisten Alfred Kantorowicz und versuchte auf diese Weise, ihren politischen Einfluss am Institut zu stärken.423 Außerdem sollte Kantorowicz wohl auch für die Einstellung seiner Zeitschrift Ost und West entschädigt werden, für die es infolge der „Frontverschärfung“ keinen Bedarf mehr gab.424 Kantorowicz, der eigentlich wenig Interesse daran hatte, „mit den akademischen Kreisen in engere Verbindung zu treten“425, nahm den Ruf an, da er hier die Möglichkeit sah, weiter erzieherisch wirken zu können. Er sah es als seine Aufgabe, so schrieb er 1947, „die entsetzliche Misere, in die uns Ungeistige und Antigeistige hineingezerrt haben, zu liquidieren oder doch jedenfalls zu lindern. Es ist das geistige Deutschland, das noch Kredit in der Welt genießt, und auf ihm ruht unsere Hoffnung […]. Es muss uns gelingen, die junge Gene420 Die bisherigen Maßnahmen hätten gezeigt, so Kunisch, „dass es sich bei den neuen Plänen nicht um formale oder verwaltungsmäßige Änderungen handelt, sondern um Bestrebungen, den Charakter der Philosophischen Fakultät und die bisherige, auf alter und tief gegründeter Tradition beruhende Wissenschaftshaltung, die in der Wissenschaft eines der Grundanliegen des Menschen sieht, in ihrem Wesen aufzuheben.“ Kündigungsschreiben von H. Kunisch vom 1. November 1946, zitiert nach P. Boden, Universitätsgermanistik in der SBZ / DDR, S. 137. 421 Vgl. E. Stoye-Balk, Antifaschistisch-demokratische Umgestaltung, S. 854. 422 Zum Wechsel von H. Stolte nach Berlin und seiner Zeit dort vgl. R. Stolte-Batta, Heinz Stolte, S. 207–229. 423 Aus diesem Grund war auch Hans Mayer für den Lehrstuhl im Gespräch. Vgl. Schreiben des Hauptabteilungsleiters des Staatssekretariats für Hochschulwesen an den Dekan der Phil. Fak. der KMU vom 21. Februar 1956, in: UAL, Phil Fak., B 2 / 22: 38, Bl. 1. 424 Im Juli 1947 erschien unter der Federführung von Kantorowicz das erste Heft dieser gesamtdeutschen Zeitschrift, die mit der Betonung auf dem und eine geistige Brücke der Verständigung zwischen den Bewohnern aller Zonen schaffen wollte. Dabei ging es vor allem um den „Import geistiger Güter, die uns seit 1933 vorenthalten worden sind.“ So erschienen Aufsätze von deutschsprachigen Schriftstellern wie Heinrich Mann sowie von verschiedenen Autoren aus Tschechien, Frankreich, England oder den USA. Vgl. A. Kantorowicz, Einführung. 425 Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der Universität Rostock an die DVV über A. Kantorowicz vom 30. Mai 1948, zitiert nach P. Boden, Universitätsgermanistik in der SBZ / DDR, S. 134.

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Germanistenleben ration mit dem Bewusstsein der Nobilität der geistigen Freiheit zu durchdringen; sie hinzuweisen auf die unermesslichen Schätze, die es friedlich zu erobern gilt; sie zu überzeugen, dass der Geist zu größeren und kühneren Erwerbungen auszuziehen vermag als die gewaltigsten Panzerheere; ihr zu zeigen, dass das schöpferische Deutschland einstmals die Welt für sich gewonnen hat mit seiner Musik, Dichtung, Philosophie und Wissenschaft. Und dass wir diese Chance heute wieder haben!“426

Doch sowohl die fehlende akademische Erfahrung als auch das geringe Interesse Kantorowiczs am universitären Tagesgeschäft ließen den Literaturkritiker bald ins Abseits geraten.427 Ein interner Bericht von 1952 spiegelt seinen geringen Einfluss auf die Entwicklungen am Institut: „Interessant ist das Verhältnis [Werner Simons; AL] zum Genossen Professor Kantorowicz […]. Prof. S. ist in der Fakultät für die Beförderung von Kantorowicz zum Professor mit vollem Lehrauftrag aufgetreten und hat sich sehr dafür eingesetzt. Einer der Gründe war, dass dadurch das Renommé [sic] des Instituts steigen würde […] aber […] Prof. Simon versteht es, Prof. Kantorowicz aus allen wichtigen Angelegenheiten herauszuhalten und ihn sogar von den Prüfungen in der neuesten Literatur, für die K. Fachprofessor ist, auszuschließen!“428

Zu diesen Faktoren kamen wachsende Zweifel Kantorowicz’ an der politischen Situation in der DDR infolge des 17. Juni 1953 und des Ungarnaufstands. Eine Resolution, die das gewaltsame Vorgehen der sowjetischen Truppen gegen die demokratischen Kräfte Ungarns 1956 rechtfertigen sollte, unterschrieb Kantorowicz nicht und nahm dies zudem zum Anlass, die DDR zu verlassen.429 Im gleichen Jahr wie Kantorowicz, 1950, war mit Leopold Magon ein Vertreter der alten Gelehrtengeneration von Greifswald nach Berlin berufen worden. Magon erhielt einen umfassenden Lehrauftrag und wurde Professor für Neuere Deutsche und Nordische Philologie sowie für Theaterwissenschaft. In seiner Person sollte offenbar ein großer Teil des wissenschaftlichen Spektrums der Berliner Germanistik aus den 1920er / 30er Jahren zusammengefasst werden. Doch – wie angedeutet – währte die versuchte Stabilisierung der Berliner Verhältnisse nicht lang. Bereits Mitte der 1950er Jahre erlebten sie eine tief greifende Zäsur. 1955 verließ Werner Simon die DDR, im gleichen Jahr wurde Magon emeritiert. Wissmann hatte die DDR bereits 1953 verlassen, Kantorowicz ging 1956. Damit waren alle Professuren unbesetzt, das Institut führungslos.

426 A. Kantorowicz, Deutsche Schriftsteller im Exil, S. 50–51. 427 Kantorowicz war nach dem Einstellen von Ost und West an die Universität weggelobt worden, doch lagen die bestehenden Konflikte zwischen ihm und der SED damit „nur zeitweilig auf Eis“, denn „die Berufung an die Humboldt Universität, die [s]einen langgehegten Wunsch nach akademischer Lehrtätigkeit endlich erfüllte, war nur ein Gewicht auf der Waage [s]einer inneren Entscheidung; es gab Gegengewichte von gleicher Schwerkraft: die Atemnot, die mir die Willkür des Parteiapparates machte.“ A. Kantorowicz, Deutsches Tagebuch, T. 2, S. 10 bzw. S. 17–18. 428 Bericht über W. Simon, gerichtet an das ZK der SED vom 10. Dezember 1952, zitiert nach P. Boden, Universitätsgermanistik in der SBZ / DDR, S. 135. 429 Vgl. K. Hermsdorf, Alfred Kantorowicz.

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c) Der frühe Generationswechsel Das personelle Vakuum machte einen harten Bruch und konsequenten Generationswechsel in Berlin nicht nur früh möglich, sondern auch notwendig, um den Wissenschaftsbetrieb aufrechterzuhalten. Nun kamen die Nachwuchswissenschaftler zum Zuge, die seit Ende der 1940er Jahre an den ostdeutschen Universitäten ausgebildet worden waren. Angesichts von Führungslosigkeit und Personalmangel übernahmen sie als Kollektiv die Leitung des Instituts.430 Kommissarischer Leiter wurde 1957 Hans-Günther Thalheim, der in Leipzig studiert und zugleich als Dozent an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät gearbeitet hatte. Nach einer kurzen Tätigkeit als Referent im Staatssekretariat ging er nach Weimar, arbeitete dort mit Gerhard Scholz zusammen und promovierte 1954 in Jena. An der Humboldt­Universität blieb er bis 1964. Danach wechselte er an die Akademie der Wissenschaften zu Berlin, zunächst als Direktor des Instituts für deutsche Sprache und Literatur (als Nachfolger von Frings und im Übrigen gegen dessen Willen), später als stellvertretender Direktor bzw. Bereichsdirektor des Zentralinstituts für Literaturgeschichte.431 Unter seiner Führung entwickelte sich die Berliner Germanistik zu einer sozialistischen Kaderschmiede. In den darauffolgenden Jahren wurden alle Stellen mit Assistenten und Lehrbeauftragten besetzt, die bereits vor Ort gewirkt hatten. Als Wahrnehmungsprofessoren verfügten sie über die notwendigen Rechte, um leitende Positionen am Institut einzunehmen. In diese Positionen gelangt, qualifizierten sie sich weiter, habilitierten sich und übernahmen dann, mit den notwendigen Insignien versehen, die Lehrstühle in der DDR. Neben ihren fachlichen Leistungen war die unumgängliche Voraussetzung für ihre wissenschaftliche Karriere das Bekenntnis zur SED. Drei Beispiele: Wilhelm Bondzio übernahm schon als Doktoraspirant, also noch vor der Promotion, „voll die Arbeit eines Hochschullehrers“ und musste „eigenverantwortlich Lehrveranstaltungen“ abhalten.432 Später wurde er leitender Funktionär in der Ost-CDU433 und übernahm wahrnehmungsweise den Lehrstuhl für Deutsche Philologie. 1967 habilitierte er sich und übernahm daraufhin regulär die Professur für Deutsche Sprache an der Humboldt-Universität, die er bis 1991 innehatte.434 Horst Haase war SED­Mitglied und seit 1957 Oberassistent am Berliner Germanistischen Institut, 1959 erhielt er dort eine Wahrnehmungsdozentur für Neuere deutsche Literatur. Ein Jahr später übernahm er als „unentbehrlicher, zuver430 Vgl. Rechenschaftsbericht zur 150­Jahrfeier vom 15. September, in: UA der HUB, Phil. Fak. nach 1945, Nr. 55, Bl. 21–26, hier Bl. 24. 431 Vgl. Materialien, Gespräch mit H.-G. Thalheim, S. 277. 432 Schreiben von I. Diersen an den Rat der Fakultät der HUB vom 11. Oktober 1967, betr.: Leistungszulage für W. Bondzio, in: UA der HUB, Phil. Fak., Dekanat, Nr. 486, unpag. 433 Vgl. Schreiben des Germanistischen Instituts an der HUB an den Rat der Fakultät der HUB vom 11. Oktober 1967, in: UA der HUB, Phil. Fak. 48b, unpag. In den Jahren 1957 und 1958 gab W. Bondzio Reden und Aufsätze des CDU-Vorsitzenden und stellvertretenden Ministerpräsidenten Otto Nuschke heraus. Vgl. Reden und Aufsätze: 1919–1950 / Otto Nuschke (zusammengestellt von Max Hartwig und Wilhelm Bondzio), Berlin 1957, sowie Mahnung und Beispiel. Reden und Aufsätze aus den Jahren 1951–1957 / Otto Nuschke, hg. von der Parteileitung der CDU (zusammengestellt von Wilhelm Bondzio), Berlin 1958. 434 Vgl. Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender, 1992.

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lässiger wissenschaftlicher Mitarbeiter“435 die (noch nicht regulär bestehende) Position des stellvertretenden Direktors des Instituts. Er habilitierte sich 1964 und wurde daraufhin an die Leipziger Universität berufen. Inge Diersen war seit 1956 Mitglied der SED. Sie wurde 1953 Assistentin am Germanistischen Institut in Berlin und übernahm nach ihrer Promotion 1954 Lehraufträge im Bereich Neueste Literatur. Im Jahr 1959 erhielt sie in Berlin eine Wahrnehmungsdozentur und wurde 1962 Leiterin der Abteilung für Neueste deutsche Literatur. Sie habilitierte sich 1963 und wurde ein Jahr später stellvertretende Direktorin des Instituts, 1969 ordentliche Professorin.436 Ähnliche Werdegänge lassen sich auch bei anderen der seit Ende der 1950er bzw. Anfang der 1960er Jahre in Berlin angestellten Dozentinnen und Dozenten feststellen, etwa bei den Literaturwissenschaftlern Hans Kaufmann, Silvia Schlenstedt437 und Hans-Dietrich Dahnke438 sowie bei den Sprachwissenschaftlern Erwin Arndt439 und Werner Neumann440. Die frühe und zugleich alle fachlichen Teilbereiche betreffende Etablierung der Nachwuchswissenschaftler und Nachwuchswissenschaftlerinnen, die eine beachtliche soziale Öffnung bedeutete, ist bemerkenswert und legt die Frage nach den Hintergründen dieser Entwicklung nahe. Zum ersten ist hier der offensichtliche Fakt 435 Schreiben von H.-G. Thalheim an den Dekan der Phil. Fak. der HUB vom 22. Juli 1960, in: UA der HUB, Phil. Fak. 48b, unpag. Seit Mitte der 1950er Jahre beschäftigte sich H. Haase mit der Literatur des deutschen sozialistischen Realismus, vor allem mit Johannes R. Becher. In der SED war er erster Sekretär der SED-Grundorganisation Germanisten / Romanisten. Vgl. ebd. 436 Vgl. zu Diersen D. Müller, Die Erzählforscherin. 437 Silvia Schlenstedt musste im Dritten Reich mit ihren Eltern im Exil leben, zunächst in Spanien und Frankreich, später in der Schweiz. Nach dem Krieg kehrten ihre Eltern in die DDR zurück. Sie wuchs dort auf, studierte Germanistik in Berlin, promovierte 1959 und wurde wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HUB. Seit 1968 arbeitete sie am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR und wurde 1982 Professorin für Neuere deutsche Literatur in Jena; 1991 wurde Schlenstedt emeritiert. Vgl. zu ihrer Zeit in der Emigration S. Schlenstedt, Kleiner Bericht, sowie zu den Daten die Angaben im Anhang des Buchs, S. 290. 438 Hans-Dietrich Dahnke übernahm im Herbst 1962 die Wahrnehmungsdozentur für Neuere und Neueste deutsche Literatur an der HUB und wurde zwei Jahre später Leiter der Abteilung. 439 Erwin Arndt machte 1949 Abitur, studierte von 1949 bis 1953 in Greifswald und Berlin, war danach wissenschaftlicher Aspirant und promovierte 1956. Danach arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent und Oberassistent am Germanistischen Institut in Berlin, 1960 bis 1974 als Wahrnehmungsdozent. Er habilitierte 1967 und übernahm 1974 die ordentliche Professur für Geschichte der Deutschen Sprache an der Humboldt-Universität. Vgl. W. Kürschner (Hg.), Linguisten-Handbuch, S. 19. 440 Werner Neumann übernahm bereits Ende 1960 die kommissarische Leitung der Abteilung für Deutsche Sprache und Ältere deutsche Literatur an der HUB. Dies sei notwendig, so H.-G. Thalheim in einem Antrag an das Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen, weil die Abteilung „im Hinblick auf ihre kommenden Aufgaben unbedingt einer straffen fachlichen und organisatorischen Leitung bedarf.“ Neumann, der seit 1957 Vorlesungen und Seminare über deutsche Sprache in Berlin hielt (allerdings erst im März 1959 promoviert wurde) sei für diese Aufgaben besonders geeignet. Vgl. Schreiben von H.-G. Thalheim an das Staatssekretariat für Hoch­ und Fachschulwesen vom 29. Juli 1960, in: UA der HUB, Phil. Fak. 48b, unpag. Die enge Zusammenarbeit Neumanns mit dem Institut wurde aus gesundheitlichen Gründen unterbrochen, in deren Folge er 1963 die Universitätskarriere aufgab und an das Zentralinstitut für Sprachwissenschaften an die Akademie der Wissenschaften wechselte. Vgl. Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender, 1992.

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einer personellen Diskontinuität in Berlin zu nennen. Diese bedingte, dass der wissenschaftliche Nachwuchs hier frühzeitig und intensiv an der Lehre sowie bei der Organisation der Institutsangelegenheiten beteiligt war. Allerdings gab es ähnliche Prozesse sicher auch an anderen Universitäten. Doch in Berlin sind darüber hinaus frühe Organisations- und Vernetzungsstrukturen zu erkennen, die für den zügigen und erfolgreichen Generationswechsel mitverantwortlich waren. Bereits im Jahr 1948 hatte Eva Remmlinger einen „Literatursoziologischen Arbeitskreis“ in Berlin begründet. Diesem gehörten hauptsächlich „fortschrittliche“ Studenten an; von den bereits genannten waren dies Inge Diersen und der spätere Jenaer Professor Hans Kaufmann. Hier diskutierten sie philosophische, politische, historische und literarische Probleme auf marxistischer Grundlage. Die Teilnehmer des Kreises waren vielfach SED-Mitglieder, einige von ihnen älter und von den Erfahrungen im Dritten Reich geprägt, viele waren Absolventen der Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten.441 Maßgeblich wurden sie durch Wilhelm Heise beeinflusst, einen älteren Kommunisten, der – zugleich Dekan an der Pädagogischen Fakultät – dort die Fachrichtung Deutsch-Methodik leitete und den Studenten den marxistisch orientierten Umgang mit Texten und Ideen vermittelte. Weiterhin prägend waren für den Arbeitskreis die Schriften von Georg Lukács sowie die Vorträge von Gerhard Scholz, zu diesem Zeitpunkt noch Referent von Paul Wandel in der DVV.442 In dieser Gruppe entwickelte sich ein spezifisches Sonder­ und Selbstbewusstsein gegenüber ihrem als reaktionär wahrgenommenen wissenschaftlichen Umfeld. Dies zeigt sich exemplarisch an der „Germanistischen Fachkonferenz für Fragen der literaturhistorischen Lehre und Forschung“, die am 19. und 20. November 1948 in Leipzig stattfand. Hier diskutierten die Germanistinnen und Germanisten der SBZ über Lage und Zukunft des Fachs.443 An der Veranstaltung hatten auch erst441 Der Arbeitskreis umfasste Anglisten, Philosophen, Historiker und Pädagogen; angesiedelt war er am Germanistischen Institut. Der Arbeitskreis basierte auf studentischen Diskussionsforen, wie dem „Studentischen Arbeitskreis“, der bereits 1946 auf Initiative des Zentralen Antifaschistischen Jugendausschusses gegründet worden war. Der Zirkel für Literatur befasste sich mit der Weltliteratur zwischen den beiden Weltkriegen sowie der deutschen Literatur der letzten 25 Jahre (v. a. der Emigrantenliteratur). Ihm gehörten außer den Genannten weiterhin u. a. an: Eva Remmlinger, Heinz Stolpe, Gerhart Hartwig, Lore Kaim, Manfred Jelenski, Edith Braemer, Horst Eckert, Heinz Nahke, Erich Kühne und Knut Borchard. Vgl. E. Stoye-Balk, Antifaschistisch-demokratische Umgestaltung, S. 853. 442 Vgl. ebd., S. 852–853, sowie Materialien, Gespräch mit I. Diersen, S. 290. 443 Ein Eindruck von der Konferenz, den Teilnehmern und Differenzen vermittelte Hans Mayer in seiner Autobiographie: „Allein man behielt, mit Brecht zu sprechen‚ ‚den Kopf oben und man blieb ganz allgemein‘. Mein Referat wurde freundlich aufgenommen, die Erörterung verzettelte sich in Einzelfragen“. Es gab „keine Grundsatzrede eines Antipoden. Mein eigener Leipziger Fachkollege, der Goetheforscher Hermann August Korff, meldet sich nicht zu Wort.“ Gerhard Scholz hingegen entwickelte während der Konferenz neue Ideen, die zum Disput hätten Anlass geben können, jedoch vermochte er es nicht, sie adäquat zu formulieren. Dazu nochmals Mayer: „Scholz improvisierte in endlos verschlungenen Satzgebilden, den Blick visionär nach oben gerichtet. Was er vortrug war durchaus hörenswert, wenn man auf diese Art eines Denkens und Formulierens mit seltenen und seltensten Fremdwörtern vorbereitet war. Das konnte man vom anwesenden Professorengremium kaum behaupten. Theodor Frings replizierte schneidend: ein Geheimrat wies einen ungebärdigen Studiker in die Schranken.“ H. Mayer, Deutscher auf Widerruf, Bd. 2, S. 99 bzw. 101.

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mals nichtetablierte Vertreter der Universität, also Studierende und Dozenten, teilgenommen – und auch einige Mitglieder des besagten Berliner Arbeitskreises. In einer öffentlichen Diskussion über die Ergebnisse der Konferenz in der von der FDJ herausgegebenen Studentenzeitschrift Forum meldeten sie sich dann kritisch zu Wort.444 Unter der Überschrift Man war sich durchaus nicht einig konstatierte Lore Kaim: „Bei jeder Diskussion wurde deutlich, wie grundsätzlich voneinander unterschieden die Standpunkte waren, von denen aus die Teilnehmer die Aufgaben der Germanistik betrachteten. So wurde zum Thema ‚Programm der Vorlesung über die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts‘ geäußert, man könne über Gegenwartsliteratur auf der Universität noch nicht sprechen, sie müsse erst, wie der Expressionismus, 20 Jahre vorbei sein. Hier wurden viele Gegenstimmen laut“445.

So auch die des Arbeitskreises. Spätestens seit der Konferenz war seinen Vertretern klar geworden, dass die Veränderungen im Fach und an den Universitäten nur durch Kampf möglich waren. Und so beschreibt auch Thalheim diese Zeit in seinen Erinnerungen als eine Phase, die „vom Charakter der antifaschistischen-demokratischen Umwälzung mit sozialistischer Orientierung, von den heftigen ideologischen Auseinandersetzungen und der Überwindung der faschistischen und antihumanistischen bürgerlichen Ideologie“446 an den Universitäten geprägt gewesen sei. In diesem Kampf sah die neue Generation ihre Aufgabe in der „Vermittlung eines antiimperialistischen Demokratismus und aktiven Humanismus sowie der Verlebendigung der marxistisch-leninistischen Ideen.“ Die Vertreter des Arbeitskreises traten mit bisher unbekannten Selbstbewusstsein auf. Sie übten nicht nur öffentlich Kritik, was etwa von Frings als Anmaßung empfunden wurde (immerhin waren sie „nur“ Studenten).447 Vielmehr formulierten sie auch Änderungsvorschläge und arbeiteten einen Studienplan zur „Reform der Germanistik“ aus, den sie im Forum präsentierten. Einige Grundgedanken des Entwurfs wurden in dem 1950 von der DVV beschlossenen Studienplan auch berücksichtigt.448 Doch nicht nur die Aktivitäten des Arbeitskreises wurden kanalisiert und politisch nutzbar gemacht, sondern auch seine personellen Ressourcen. Als im Zuge der II. Hochschulreform der Bedarf an politisch geschultem wissenschaftlichen Nachwuchs stieg – denn die marxistisch-leninistische Durchdringung sollte nun das ganze Studium in allen Fächern betreffen –, griff das Staatssekretariat dankbar auf diese Gruppe zurück. 1950 und 1951 gab es zwei mehrmonatige Intensivkurse, die in Weimar und Potsdam stattfanden und in denen außerhalb der Universität Nachwuchsdozenten für das Fach Germanistik ausgebildet werden soll444 445 446 447

Zur Rolle und Bedeutung der Zeitschrift in den 1950er Jahren vgl. C. Kühn, Forum. L. Kaim, Man war sich durchaus nicht einig, S. 29. Dieses Zitat und die folgenden aus: Materialien, Gespräch mit H.-G. Thalheim, S. 262. Vgl. Bericht eines Herrn Böhme an Paul Wandel vom 2. Juli 1949, in: BArch, DR3 / B 15997, Bl. 34. 448 Vgl. E. Stoye-Balk, Antifaschistisch-demokratische Umgestaltung, S. 854. Kernbereich der Ausbildung sollte nach diesem Entwurf die Neuere und Neueste Literatur werden. Das Studium sollte zudem stärker auf die Praxis orientiert werden, um den akademischen Nachwuchs gezielt auf die Arbeit in Schulen, Bibliotheken, Verlagen oder als Journalisten vorzubereiten. Vgl. Studienplanentwurf.

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ten.449 Durch die räumliche Auslagerung der Kurse, womit die Studierenden zudem aus dem Einflussbereich der Ordinarien gelöst wurden, umgingen die hochschulpolitischen Instanzen die klassischen Rekrutierungsmuster: „Isoliert vom Milieu der Universität, eingespannt in ein straffes Schulungs- und Arbeitsprogramm, dem stalinistischen brainwashing von Kritik und Selbstkritik ausgesetzt, gelockt von der Aussicht auf eine politisch protegierte Universitätskarriere und dem Identitätsangebot, den wahren historischen Fortschritt zu repräsentieren, [sollte] im Treibhausklima der Kurse innerhalb von Monaten die junge Dozentengarde der SED gedeihen.“450

Den ersten Kurs leitete Gerhard Scholz, den zweiten Hans-Günther Thalheim. An den Kursen nahmen jeweils etwa 40 ausgewählte Teilnehmerinnen und Teilnehmer teil, darunter Aspiranten und Assistenten, Deutschdozenten von den Arbeiter-undBauern-Fakultäten sowie Studenten und Studentinnen. Betrachtet man die Liste der Namen des Scholz­Kurses, so findet sich eine beachtliche Zahl aus dem Berliner Arbeitskreis darunter, so Inge Diersen, Edith Braemer, Lore Kaim, Eva Remmlinger und Hans Kaufmann.451 Man kannte sich also, hatte bereits zusammengearbeitet. Was im Berliner Arbeitskreis mühsam erarbeitet worden war, wurde nun weitergeführt. Aus dem politischen Sonderbewusstsein, der Wahrnehmung als Minderheit im akademischen Milieu, erwuchs in diesen Monaten ein gesteigertes Selbstbewusstsein dieser marxistisch-leninistisch geprägten Nachwuchswissenschaftler. Ungestört von den etablierten Professoren, ihrer Eloquenz, ihrem Wissen und ihrer Redegewandtheit hatten sie in Weimar auch die Idee einer elitären Gruppenidentität und den Wert kollektiver Arbeit erfahren. Tatsächlich geriet der Scholz-Kurs zum „Karrieremotor“452. Mindestens die Hälfte der Germanistinnen und Germanisten, die daran teilgenommen hatten, erhielt später eine Professur oder andere hohe Positionen im Wissenschafts- und Kulturbetrieb.453 Der Einfluss von Gerhard Scholz auf diesen Kreis kann dabei nicht hoch genug veranschlagt werden; in den

449 Die Kurse fanden zwischen Oktober 1950 und Oktober 1951 statt. Mit ihnen griff die SED auf ein Ausbildungsmodell zurück, das sich bereits bei der Ausbildung von „Neulehrern“ und „Volksrichtern“ bewährt hatte, um politisch und fachlich geeignete Kräfte auszubilden. Ähnlich Kurse gab es auch für Grundlagen des Marxismus-Leninismus, Politische Ökonomie, Slawistik und Ökonomie sowie für Pädagogik und Rechtswissenschaften. Vgl. zu Ablauf und Ergebnissen der Kurse R. Jessen, Akademische Elite, S. 336–346. 450 Ebd., S. 345. 451 Zum Kurs erwartet wurden u. a. weiterhin Rosemarie Barke (verh. Heise), Knut Borchardt, Edith Braemer, Werner Creuziger, Inge Diersen, Rudolf Dietze, Horst Eckert, Reinhard Eppe, Walter Epping, Viktoria Franze (verh. Schröder), Irene Grosser, Manfred Häckel, Reinhold Herrmann, Maximilian Jakobeit, Manfred Jelenski, Lore Kaim, Gerhard Kaiser, Kurt Kanzog, Dr. Erich Kühne, Hans Kaufmann, Siegfried Krahl, Werner Lenk, Heinz Nahke, Eva Remmlinger (verh. Nahke), Wenzel Renner, Hildegard Schacht, Christa Schenkel, Erhard Scherner, Ingrid Schieweck, Ottokar Schreyer, Dr. Paul Stapf, Siegfried Streller, Karl Heinz Stolpe, Manfred Tippkötter, Hans-Günther Thalheim, Hedwig Voegt, Frank Vogler, Dr. Günther Voigt, Elisabeth Völker, Ursula Wertheim, Klaus Wolfgang Zaske. Vgl. L. Krenzlin, Gerhard Scholz, S. 211–212. 452 R. Jessen, Akademische Elite, S. 341. 453 Vgl. L. Krenzlin, Gerhard Scholz, S. 211.

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Erinnerungen der Teilnehmer erscheint er als „Meister“.454 Die infolge als „Scholzianer“ auftretenden Absolventen des Kurses verströmten eine neu gewonnene Selbstsicherheit, die von „bürgerlichen“ Germanisten wie Joachim Müller durchaus als Bedrohung wahrgenommen wurde.455 Nach den Kursen kehrten sie an ihre Institute zurück und versuchten das Erlernte umzusetzen. Dabei wurde gerade das Kooperativ-Kollektive Grundlage ihrer Arbeit und ihres Selbstverständnisses. So antwortete etwa Horst Haase auf die Frage nach seinen Lehrern, dass es neben Gerhard Scholz und Wilhelm Heise eben das „Kollektiv [gewesen sei], das viel dazu beigetragen hat, die germanistische Literaturwissenschaft in der DDR auf ein marxistisches Fundament zu stellen.“456 Konkret findet sich diese Idee auch in den Erinnerungen von Thalheim, der die Arbeit in Berlin als kollektiven Akt beschreibt: Man diskutierte in der Gruppe über methodische Fragen, hospitierte beieinander und wertete das Gesehene und Gehörte aus. Auch stand man bei den Qualifikationsarbeiten in intensivem Austausch, da es üblich geworden war, extern, also weitgehend unabhängig vom Doktorvater, zu schreiben.457 Das Aufeinanderangewiesensein der Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler gewann natürlich vor allem dort an Bedeutung, wo es – wie in 454 Materialien, Gespräch mit H.-G. Thalheim, S. 266­268. Auch Krenzlin konstatierte, dass „die Produktivität der Lehrgangsmonate […] später zur Legende“ wurde. L. Krenzlin, Gerhard Scholz, S. 211. Doch auch für Scholz war der Kurs ein Höhepunkt seines akademischen Wirkens, zumal er in den folgenden Monaten in die Kritik geriet. Ihm wurden Kompetenzüberschreitungen vorgeworfen und nach einigen Auseinandersetzungen kündigte er zum Herbst 1953 seine Stelle in Weimar. Vgl. zu den Auseinandersetzungen ebd., S. 212–215. Eine Reintegration in den wissenschaftlichen Betrieb erfolgte erst 1959, als H.­G. Thalheim seinen Lehrer als Professor mit Lehrauftrag für Neuere deutsche und skandinavische Literatur nach Berlin holte. Vgl. zu Scholz auch R. Klausnitzer, Wissenstransfer und Gruppenbildung. 455 So schrieb J. Müller etwa an H. Mayer, dankbar darüber, dass dieser auf Tagungen „unsere Interessen so glänzend“ wahrnehme: „Mit unseren Interessen meine ich vor allem die Festigung der exaktischen wissenschaftlichen Tendenzen in der Germanistik gegenüber den einseitigen Fragwürdigeiten der Scholzianer und gegenüber den Vulgarismen der Hyperpädagogen und Hyperideologen.“ Müller habe sich während einer längeren Krankheit „viele Gedanken über die gegenwärtige Situation in der Germanistik gemacht, und ich muss gestehen, dass ich bei allem Selbstbewusstsein und bei aller Kampfentschlossenheit der Entwicklung des Scholzianischen Lagers besorgt gegenüberstehe.“ Konkret über einzelne Scholz-Schüler und -Schülerinnen schrieb er: „Mir ist jedenfalls jetzt klar, dass eine Habil. der B. [Edith Braemer; AL] ein Unglück für die Germanistik der DDR sein wird. Ist sie einmal im Sattel, so wird sie mit den schärfsten Waffen kämpfen, und vielleicht werden dann ihre beiden Weimarer Freunde, die sich z. Zt. von ihr etwas distanziert haben, mit ihr wieder ein Bündnis schließen. Die Habilitation Thalheims kann ich nicht verhindern. Er ist klug und wird nicht nur eine gute Arbeit vorlegen, sondern hat auch ein genügend ausgebreitetes Wissen, sodass er das Kolloquium bestehen wird […]. […] Ob die Wertheim nach ihrer Promotion, die noch dieses Jahr erfolgen wird, dann in die Habil. aufgenommen wird, steht noch dahin. Als Hochschullehrerin ist sie nicht geeignet. Dann wird sie in irgendeine Stelle in Weimar einziehen: sie in Weimar, Thalheim in Jena, Braemer und Kühn in Rostock, das wird dann langen, um erst einmal mich zurückzudrängen. Sehe ich zu schwarz? Kann ich mich nicht auf meine wissenschaftliche Lebensarbeit stützen? Ich weiß es nicht. Ich bin manchmal doch recht deprimiert.“ Brief von J. Müller an H. Mayer vom 21. Mai 1956, in: UAJ, Bestand V, Abt. XXVII, Nr. 44, unpag. 456 Materialien, Gespräch mit H. Haase, S. 6. 457 Vgl. Materialien, Gespräch mit H.-G. Thalheim, S. 269.

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Berlin – an Integrationsfiguren fehlte. Dass ein intensiver Lernbedarf bestand, stand außer Frage. Viele der damaligen Nachwuchswissenschaftler erinnern sich gut, wie groß ihre Wissenslücken waren, wie mäßig ihr pädagogisches Geschick. Sie waren, so Ursula Wertheim, akademische Neulehrer, keine souveränen Dozenten. Sie mussten sich ihre Kenntnisse, die Vorlesungen und auch die Hörerschaft hart erarbeiten, während die fachlich und rhetorisch routinierte Gründergeneration die Studierenden in Scharen anzog.458 Von diesen „Jahren des Suchens“459 und Lernens geprägt, war der akademische Nachwuchs Mitte der 1950er Jahre bereit, die Führung in der Germanistik zu übernehmen. Doch solange die SED-Führung auf Kooperation mit den alten Kräften setzte, musste er sich gedulden. Das ändert sich im Zuge der „ideologischen Offensive“ in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre. Dabei gerieten die intensiven Auseinandersetzungen zwischen Schülern und Lehrern, zwischen Gründergeneration und zweiter Generation zum „Wendepunkt“460. Die scharfen Polemiken von Kaufmann und Thalheim gegen Müller bzw. Mayer wurden bereits dargestellt.461 In Berlin nun verband sich der generelle Verdrängungsprozess mit dem personellen Vakuum. In dieser spezifischen Situation musste und konnte der akademische Nachwuchs in Berlin die Stellung nahezu konfliktfrei übernehmen. Er tat dies in einer Situation, in der er im Zuge von Verdrängungs- und Positionierungskämpfen politisch selbstbewusst und fachlich erfahren war. Davon ausgehend hieß es dann auch in einem personalpolitischen Planungsentwurf des ZK von 1958: „Durch verstärkte Konzentrierung des sozialistischen wissenschaftlichen Nachwuchses an einzelnen Instituten muss ein schnelles Wachstum der sozialistischen Nachwuchskader erreicht werden. Als erstes wird mit der Konzentrierung von sozialistischen wissenschaftlichen Nachwuchskadern in Berlin, vor allem am germanistischen Institut der Humboldt-Universität, bei enger fachlicher Zusammenarbeit mit den Genossen des Lehrstuhls für Theorie und Geschichte der Literatur am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED begonnen.“462

Der Aufstieg dieser „humanistisch-demokratischen und marxistischen Berliner Germanist[en]“ war politisch gewollt und fachwissenschaftlich vorbereitet worden. Die relative Stringenz und Zügigkeit dieser Entwicklung in Berlin hing mit der „faktische[n] Nichtexistenz eines ‚oberen Lehrkörpers‘“ 463 in allen Bereichen des Instituts zusammen, aber auch damit, dass die Etablierung von Strukturen für marxistische Studenten und Jungakademiker seit Ende der 1940er Jahre gezielt geför458 Vgl. Materialien, Gespräch mit I. Diersen, S. 292; Materialien, Gespräch mit H. Kaufmann, S. 159, sowie Materialien, Gespräch mit U. Wertheim, S. 15–16. 459 Materialien, Gespräch mit H. J. Geerdts, S. 44. 460 R. Jessen, Akademische Elite, S. 363. 461 Mit diesen vergleichbar ist der Verdrängungskonflikt zwischen dem marxistischen Nachwuchsgermanisten Hans Jürgen Geerdts und der 1956 nach Greifswald berufenen Professorin Hildegard Emmel, in deren Folge sie 1958 entlassen wurde. Vgl. H. Emmel, Die Freiheit, S. 125– 139, sowie J. Saadhoff, Germanistik in der DDR, S. 133–149. 462 Planungsvorlage, [o. Verfasser; o. D.; 1958], zitiert nach P. Boden, Universitätsgermanistik in der SBZ / DDR, S. 148. 463 Schreiben von I. Diersen an den Rat der Fakultät der HUB vom 11. Oktober 1967, in: UA der HUB, Phil. Fak., Dekanat, Nr. 486, unpag.

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dert und kanalisiert worden war. In einem intensiven Prozess, der individuelle Entscheidungen, wissenschaftliche Entwicklungen und politische Ambitionen einschloss, war eine Generation von Germanistinnen und Germanisten in Professuren gelangt, die von der Auf- und Umbruchsstimmung der Nachkriegszeit geprägt gewesen war. Sie hatte sich frühzeitig für das Identität stiftende Dogma des Marxismus-Leninismus entschieden, dafür, „durch bloßen Willensakt aus der Enttäuschung über HJ, Krieg und Niederlage auf die Seite der ‚Sieger der Geschichte‘ überzutreten, und gemäß dem opportunistischen Leitslogan ‚Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen‘ die Niederlage in einen Sieg zu verwandeln.“464 Die Aussicht auf den mit der Politisierung verbundenen sozialen Aufstieg hatte ihre Entwicklung ebenso begleitet wie die Erfahrungen von Kollegialität, gezielter Kaderschulung und politischer Auslese. Sie waren mit Amtseintritt bereits geschult in Verdrängungs- und Positionierungskämpfen, denn „Kampf und Sieg waren es ja, worauf diese Generation früh programmiert worden war.“465 So geschult und erfolgreich etabliert, zeichnete sich diese zweite Generation durch ein hohes Maß an Loyalität gegenüber der DDR aus.466 Sie war bereit, aktiv am Aufbau der sozialistischen Gesellschaft teilzuhaben, die Germanistik zu einer marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaft umzugestalten und wissenschaftliche Forschung auf der Grundlage der entsprechenden Weltanschauung zu betreiben467 – und dies bis 1989. Zwischenfazit Zusammenfassend zeigt sich, dass die Berufungspraxis in SBZ und DDR von unterschiedlichen Phasen und Aushandlungsprozessen sowie von einem anhaltenden Personalmangel geprägt war. Zugleich gab es bei den drei Germanistischen Instituten bemerkenswerte Unterschiede mit Auswirkungen auf Dauer und Intensität der Milieukontinuität, auf den Zeitpunkt des Elitenwechsels, auf das Ausmaß von Spielräumen und den Erfolg bzw. Misserfolg von akademischen Außenseitern. Faktoren, die dabei bedeutsam wurden, waren zum einen der Standort, also die Stadt bzw. Universität und die damit verbundenen Bedingungen. Dies wird vor allem mit Blick auf Berlin offensichtlich. Hier waren die personellen Entwicklungen in der Nachkriegszeit auch verknüpft mit dem Repräsentationscharakter der Universität, mit ihrer Rolle als politischem Aushängeschild sowie ihrer Nähe zu Westberlin. Im Vergleich zu Leipzig und Jena kann für die Berliner Germanisten jedoch eine schwächer ausgebildete Standortbindung ausgemacht werden, hier war die Zahl der „Republikfluchten“ unter den Professoren und Dozenten am höchsten. Neben dem Standort war für die personelle Entwicklung die jeweilige personelle Ausgangssituation bedeutsam. In Leipzig, wo die Ordinarien Frings und Korff bis in die 1950er bzw. 1960er Jahre aktiv waren, beeinflussten sie die personellen 464 465 466 467

L. Niethammer, Erfahrung und Strukturen, S. 105. Ebd. Vgl. R. Jessen, Zwischen diktatorischer Kontrolle und Kollaboration, S. 259–263. Vgl. J. Saadhoff, Germanistik in der DDR, S. 141.

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Entwicklungen durch persönliche und lokale Netzwerkbindungen maßgeblich. In den seit Mitte der 1950er Jahre einsetzenden Verdrängungskämpfen konnte vor allem Frings umfangreiche Spielräume geltend machen und sowohl die Diskussion um seinen Nachfolger als auch die Nachwuchsrekrutierung in der Hand behalten. Auch in Jena gab es Momente der Restauration, die jedoch weniger Einfluss auf die personellen Entwicklungen hatten als in Leipzig. Nicht zuletzt aus diesem Grund gelang es den politischen Akteuren dort früh, entscheidenden Einfluss auf die Berufungen auszuüben und die Professuren mit akademischen Außenseitern zu besetzen. Doch neben den Veränderungen wirkten auch Beharrungskräfte, sodass für Jena von einem Nebeneinander von alten und neuen Positionen gesprochen werden muss. Anders in Berlin: Hier erfolgte der Elitenwechsel zeitlich gerafft. Bereits Mitte der 1950er Jahre und auf allen Ebenen des Instituts lehrten marxistische Nachwuchswissenschaftler. Dieser Prozess hing mit der starken Fluktuation am Institut zusammen. 1945 war für Berlin eine personelle „Stunde Null“ gewesen; ein weiterer Einschnitt war die Gründung der Freien Universität, die den Weggang etlicher Professoren und Dozenten zur Folge gehabt hatte. Bis Mitte der 1950er Jahre hatten auch die anderen Professoren der „Gründergeneration“ Berlin in Richtung Westen verlassen. Es herrschte nun ein personelles Vakuum. Dieses wurde durch eine Gruppe von Germanisten der „neuen Generation“ gefüllt, die bereits als Assistenten, Doktoranden und Lehrbeauftragte am Institut gearbeitet hatten. Für die frühe Etablierung einer marxistischen Elite in der Berliner Germanistik war darüber hinaus bedeutsam, dass es hier früh gut organisierte Strukturen gab, die von der DDR-Führung für den gezielten Aufbau fachlicher Kaderkräfte genutzt werden konnten. Nicht zuletzt diese lokalen Differenzen innerhalb eines Fachs zeigen den Elitenwechsel in der SBZ / DDR als einen komplexen, widersprüchlichen und langwierigen Prozess. Dieser resultierte aus der tief greifenden Zäsur von 1945. Konnte für die Zeit nach 1933 noch von einer gewandelten, an die NS-Ideologie angepassten, aber deutlich an akademischen Traditionen anknüpfenden akademischen Normalität gesprochen werden, so war die Berufungspraxis bis Mitte der 1950er Jahre von wenig Systematik und Normalität geprägt. Vielmehr dominierten die Diskontinuitäten. Stellen mussten wiederholt neu besetzt werden, die Berufungsverfahren waren Veränderungen unterworfen und vielfach erfüllten die Berufenen nicht die herkömmlichen Kriterien für ein erfolgreiches Verfahren. Die fehlende Systematik wurde nur allmählich durch eine erneute Normalisierung in der Berufungspraxis abgelöst. Allerdings handelte es sich bei dieser Berufungspraxis 20 bis 25 Jahre später dann um eine zutiefst gewandelte Berufungsnormalität, die mit den traditionellen Berufungsverfahren kaum mehr etwas gemein hatte. ZUSAMMENFASSUNG Die Berufungspraxis erwies sich als ein überaus geeignetes Feld, um die Interessenlagen der wissenschaftlichen und (hochschul-)politischen Akteure zu beobachten und nach angestrebten und tatsächlichen Elitenwechseln zu fragen. Für die Weima-

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rer Republik zeigte sich, dass ein Elitenwechsel politisch nicht intendiert war. Es gab keine Entlassungen und es dominierten (in den 18 Fällen) reguläre Berufungsverfahren, die von den konkreten Bedingungen und Erfordernissen vor Ort geprägt waren. Angesichts der konzeptionellen Veränderungen in der Neueren Literaturwissenschaft wurden allein fachlich-methodische Differenzen kontrovers diskutiert. Dabei versuchten auch hochschulpolitische Akteure, Einfluss auszuüben, waren damit jedoch nicht erfolgreich. Normalität, nicht Konflikt dominierte auch die Berufungspraxis im Dritten Reich. Die Mehrzahl der 13 Verfahren verlief zügig und weitgehend spannungsfrei. Konkrete personalpolitische Einflussversuche der Ministerien wurden (wie auch in der Weimarer Zeit) von den Fachvertretern in der Regel abgelehnt. Gleichwohl erfolgte unter den veränderten politischen Bedingungen eine zwar unspektakuläre, aber konsequente Anpassung der personellen Auswahlkriterien an die ideologischen Erwartungen der Zeit. Dies musste (auch wenn das von den wissenschaftlichen Akteuren nicht intendiert war) unweigerlich eine Politisierung der Wissenschaftspraxis nach sich ziehen. Diese war zwar selten radikal, jedoch spürbar und wirksam und hatte nicht zuletzt Potential für eine weitere Politisierung der Wissenschaft, mithin einen endgültigen Elitenwechsel. Die weitgehend geregelte und erfolgreiche Berufungspraxis in der Weimarer Republik und im Dritten Reich steht im Gegensatz zu den Entwicklungen in den ersten 15 Jahren nach Kriegsende. Der von den Sozialisten anvisierte Elitenwechsel war spannungsgeladen, konfliktreich und verlief keineswegs geradlinig. Häufig erfolgten die Personalentscheidungen in dieser Phase ungeplant, auch willkürlich. Erst nach der Übergangsphase fand an den ostdeutschen Universitäten ein Elitenwechsel statt, der vielfach mit dem natürlichen Generationswechsel einherging. Dies war ein Prozess, der erst Ende der 1960er Jahre als abgeschlossen gelten kann.

II DER VERORDNETE BRUCH.1 ENTLASSUNGEN UND ABGÄNGE Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den Abgangsmustern. Zu diesen zählen natürlich bedingte Abgänge infolge von Tod, Krankheit oder Emeritierung, akademische Abgänge im Zuge einer Wegberufung sowie politische bzw. disziplinarisch bedingte Entlassungen. Der Schwerpunkt des Kapitels liegt auf den „Ressourcenverlusten“ (Mitchell G. Ash) und „Vertreibungen“ (Michael Grüttner / Sven Kinas) im Zuge der System­ wechsel von 1933 und 1945. Dabei gilt es nicht nur, die umfangreiche Forschung zu diesem Thema zu ergänzen und zu präzisieren.2 Vielmehr soll der Blick auch auf das Entlassungsereignis selbst gerichtet werden sowie auf die jeweiligen Vorge­ schichten und Konsequenzen. Zugleich müssen die politischen Abgänge mit der „normalen“ Fluktuation ins Verhältnis gesetzt werden. Denn erst auf diese Weise können über den gesamten Untersuchungszeitraum Verschiebungen, Veränderun­ gen, aber auch Überschneidungen in den Abgangsmustern erkannt werden. 1 Die Weimarer Republik Entgegen den Befürchtungen eines großen Teils der deutschen Hochschullehrer be­ deutete die Novemberrevolution und die Ausrufung der Republik für die Universi­ täten keine tief greifende Zäsur. Weder personalpolitisch noch strukturell wurden Maßnahmen ergriffen, die eine solche Einschätzung gerechtfertigt hätten. Vielmehr dominierte auch nach dem Krieg die traditionelle Professorenschaft.3 Auch der wei­ tere Fortgang der Weimarer Republik brachte keine auffälligen personalpolitischen Veränderungen. Eingriffe, die zu Entlassungen geführt hätten, gab es – zumindest in der Germanistik in Leipzig, Berlin und Jena – nicht.4 Vielmehr bestimmten die 1 2

3 4

Der Titel dieses Kapitels orientiert sich an dem Aufsatztitel Verordnete Umbrüche, Konstruierte Kontinuitäten von Mitchell G. Ash. Aus der umfangreichen Forschungsliteratur sei hier nur auf eine Auswahl an Autoren verwie­ sen: Die noch heute maßgebliche statistische Arbeit von Christian von Ferber aus dem Jahr 1956 legt den Fokus auf die politischen Entlassungen. Der von ihm errechnete „Emigrations­ verlust“ nach 1933 von 39 Prozent bildete lange die Datengrundlage bei der Beschäftigung mit den Entlassungen während des Dritten Reichs. Allerdings hatte er lediglich die Zahlen vom Wintersemester 1931 / 32 mit jenen des Wintersemesters 1938 / 39 verglichen und war dabei (ungeachtet der „normalen“ Personalfluktuation) zu diesem hohen Ergebnis gekommen. Vgl. C. von Ferber, Die Entwicklung des Lehrkörpers; kritisch dazu K. Fischer, Emigration, S. 535– 539. Die jüngste Auseinandersetzung mit den Entlassungen von Wissenschaftlern nach 1933 stammt von Michael Grüttner und Sven Kinas und kommt nicht nur zu anderen Zahlen als von Ferber, sondern auch zu einer differenzierten Analyse über die Gründe der politischen „Vertrei­ bungen“ nach 1933. Vgl. M. Grüttner / S. Kinas, Vertreibung. Der Wiener Wissenschaftshisto­ riker Mitchell G. Ash hat zudem auf anregende Weise Voraussetzungen und Folgen der Res­ sourcenverluste nach 1933, 1945 sowie 1989 diskutiert. Vgl. M. G. Ash, 1933, 1945, 1989. Vgl. Kap. B III 1. Zwar gab es Bestrebungen, Frauen aufgrund von „Doppelverdienertum“ zu entlassen oder das Emeritierungsalter zu senken, doch waren davon während der Weimarer Zeit die Germanisten

188

Germanistenleben

natürlichen und akademischen Abgänge die Fluktuation, setzten sich traditionelle Verlaufsprozesse fort. Konkret in der Germanistik in Leipzig, Berlin und Jena gab es auf den insge­ samt 14 bestehenden Planstellen zwischen dem Sommersemester 1919 und dem Wintersemester 1932 / 33 elf Abgänge. Diese waren relativ ausgewogen verteilt: sechs waren natürlich, fünf akademisch bedingt. Ausgewogen war auch die status­ bedingte Zuteilung: Bei den Ordinarien dominierte das natürliche, bei den Extraor­ dinarien das akademische Muster – eine Verteilung, die der geregelten akademi­ schen Fluktuation entsprach. 1. 1 Die Ordinarien In der Weimarer Republik gab es an den drei Instituten sieben Ordinariate, zwei in Leipzig, vier in Berlin und eins in Jena. Auf fünf dieser Stellen gab es zwischen 1919 und 1932 personelle Veränderungen. Insgesamt verließen die Institute sechs Ordinarien. Vier von ihnen schieden aus natürlichen Gründen aus: In Leipzig waren dies der Altgermanist Eduard Sievers, der sich 1922 endgültig aus der Lehre zu­ rückzog, sowie sein Kollege Albert Köster, der zwei Jahre später starb. Im Jahr 1926 starb in Berlin auch der renommierte Gustav Roethe sowie 1929 nach langer Krankheit sein Kollege und Schüler Victor Michels in Jena (vgl. Tabelle 2). Als Köster, Roethe und Michels starben, waren sie Anfang bis Mitte 60. Dies war zwar noch relativ jung, doch entsprach dieses Alter dem Durchschnittsalter der aus dem Amt scheidenden Ordinarien generell.5 Allein Sievers war bereits über 70, als er emeritiert wurde. Korrespondierte das Abgangsalter mit dem Durchschnitt, so war doch die über­ durchschnittlich lange Verweildauer dieser vier Ordinarien im Amt bemerkenswert. Zwischen 24 und 35 Jahre wirkten sie an ihrer Universität. Dies ist beachtlich, nimmt man etwa die ordentlichen Professoren der gesamten Philosophischen Fa­ kultät in Heidelberg zum Vergleich, die im Durchschnitt nur 17 bis 18 Jahre in ihren Ämtern blieben.6 Die längere Verweildauer der Germanisten zeigt an, dass man, war man einmal Ordinarius in Leipzig, Berlin oder Jena, offenbar dort blieb. Dies gilt im Übrigen nicht nur für die Weimarer Zeit. Vielmehr setzte sich der Trend in den folgenden Jahren fort – während des Dritten Reichs schieden sogar 80 Prozent der Ordinarien in Leipzig, Berlin und Jena erst am Ende ihrer akademischen Karri­ ere, also aus natürlichen Gründen aus. In Anlehnung an Marita Baumgartens „End­ stationsuniversitäten“ kann man daher hier von „Endstationsinstituten“ sprechen.7

5 6 7

(es handelte sich ausschließlich um Männer) in Leipzig, Berlin und Jena nicht betroffen. Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 180–185. So lag der reichsweite Durchschnitt für die Emeritierung bei 65 bis 68 Jahren. Vgl. ebd., S. 182. Vgl. C. Jansen, Vom Gelehrten, S. 13–14. Nach Baumgarten gelten kleine Universitäten als „Einstiegsuniversitäten“. Zu diesen zählt u. a. Jena. Mittelgroße Universitäten erwiesen sich häufig als Aufstiegs- und Durchgangsstation. Große Hochschulen galten in der Regel als „Endstationsuniversitäten“. Zu diesen zählt Baum­ garten Berlin und (allerdings mit Einschränkungen) auch Leipzig. Vgl. M. Baumgarten, Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 18 und 272.

Der verordnete Bruch

189

Baumgartens Prämissen gelten in jedem Fall für die renommierten Institute in Ber­ lin und Leipzig. Anders verhält es sich mit Jena – trotz des ähnlichen Befunds. Zwar setzte sich auch hier der Trend fort,8 jedoch ist dies nicht mit der Reputation (des kleinen Instituts im peripheren Jena) zu erklären. Vielmehr scheint die thürin­ gische Landesuniversität für Germanisten eine Art Sackgasse gewesen zu sein. Leitzmann etwa war durchaus um eine Wegberufung bemüht, doch scheiterte diese an den „Königsmachern der deutschen Germanistik“, Gustav Roethe und Edward Schröder, die ihn für wenig „professorabel“ hielten.9 Auch für Wesle wurde, aller­ dings unter anderen Bedingungen, Jena zu einem Bewährungsort, wohin er nach politischen Konflikten versetzt worden war.10 Insgesamt, auch wenn die Gründe für den Befund verschieden sind, kann fest­ gehalten werden, dass das natürliche Abgangsmuster bei den Ordinarien in der Wei­ marer Republik dominierte. Parallel verließen zudem zwei weitere der Lehrstuhl­ inhaber ihre Institute aus anderen Gründen. So legte Andreas Heusler 1919 in Ber­ lin seine Professur für Nordistik nieder und kehrte nach Basel zurück.11 Der ent­ scheidende Grund hierfür war, dass sich Heusler den anstehenden Aufgaben als Ordinarius in Berlin nicht gewachsen sah, wie er an seinen Jugendfreund Wilhelm Ranisch schrieb: „Für mich hat dieses Ausdauern in Fakultät und Akademie eine rein aushöhlende Wirkung. Ich habe in diesen beiden Körperschaften sonnenklar gesehen, dass ich nicht hineingehöre […] – man sollte dann auch die Folgerung draus ziehen können, d. h. gehn!“12 Während des Krieges hatte sich Heusler noch verpflichtet gefühlt, die Rolle auszufüllen – nach Kriegsende reichte er jedoch end­ gültig die Entlassung ein. Der zweite Fall betrifft Friedrich Neumann, der 1923 als Nachfolger von Sievers nach Leipzig berufen worden war. Bereits vier Jahre später

8 9 10 11

12

Der Nachfolger des verstorbenen Michels, Albert Leitzmann, wurde 1935 emeritiert. Sein Nachfolger Carl Wesle verstarb 1950 im Amt. Und auch der (allerdings mit Unterbrechung) nachfolgende Institutsdirektor, Joachim Müller, blieb bis zu seiner Emeritierung 1971 in Jena. Vgl. U. Joost, Rastlos, v. a. S. 20–21, sowie J. Haustein, Albert Leitzmann und Jena. Vgl. Kap. B I 2.1. Ursprünglich wollte Heusler nicht in die Schweiz zurückkehren, da sie ihm „zu verwelscht“ sei und nach Kriegsende „lakaienhaft im Fahrwasser der Sieger […] plätscher[e]“. Doch aus wirt­ schaftlichen Gründen entschied er sich dennoch für diesen Schritt. Vgl. Brief von A. Heusler an W. Ranisch vom 13. März 1919, in: K. Düwel / H. Beck (Hg.), Briefe, S. 453. In Basel erhielt Heusler 1920 wieder eine Professur. Und weiter: „Dass ich so Jahre lang [sic] die Komödie spielen muss, als sei ich aus dieser Zunft, als gehörte ich dazu […] das reißt meiner ganzen Existenz die Wurzel aus. […] Gewiss, ich besaß nie das normale Maß von Glauben an mich selbst; aber bis zum Jahr 1907 konnt ich doch halbwegs das vorstellen, was ich bin: dieses Extraordinariat in einem ‚Nebenfach‘, das konnt ich mit Anstand ausfüllen. Was dann eintrat, hat mich aus meinem Gleis geworfen. […] Und da kam der Krieg – und ich blieb … ich frage mich, ob ich da nicht aus lauter Anständig­ keit etwas ganz Unnützes getan habe“. Brief von A. Heusler an W. Ranisch vom 31. Juli 1917, zitiert nach ebd., S. 425. Andere, wiederholt vorgebrachte Motive für den Weggang, Auseinan­ dersetzungen mit Gustav Roethe oder Heuslers Kritik an den politischen Entwicklungen nach der Novemberrevolution, standen bei der Entscheidung für den Fortgang hintan. Vgl. die Briefe von A. Heusler an W. Ranisch vom 2. September 1917 bzw. vom 21. November 1918 sowie vom 13. März 1919, in: Ebd., S. 426– 429, 448– 451 sowie S. 452– 454.

190

Germanistenleben

erhielt er einen Ruf an seine Heimatuniversität Göttingen und entschied sich für die Rückkehr. Der Weggang von Heusler und Neumann entsprach zwar dem akademischen Abgangsmuster, denn sie wechselten von einer Hochschule zur anderen. Jedoch waren diese Entscheidungen weniger karriereorientiert, sondern unterlagen persön­ lichen Motiven – bei Heusler war es der Eindruck des Ungenügens, bei Neumann der „Zug zur Mutteruniversität“13. Insofern sind diese beiden Fälle zwar Ausnah­ men von dem für die Ordinarien konstatierten Befund, doch bestätigen sie (auf­ grund der individuellen Motivationen) eher die Regel des natürlichen Abgangsmus­ ters, als dass sie es widerlegen. Name, Status und Ort

Ordinarius seit …

Ausgeschieden … (Jahr und Grund)

… im Alter von

Andreas Heusler Ordinarius für Nordistik in Berlin

1914

1919 durch Rücktritt vom Lehramt und Rückkehr nach Basel, wo er 1920 wieder zum Ordinarius berufen wurde

54

Albert Köster Ordinarius für Deutsche Philologie in Leipzig

1899

1924 durch Tod

62

Victor Michels Ordinarius für Deutsche Philologie in Jena

1895

1929 durch Tod

63

Friedrich Neumann Ordinarius für Deutsche Philologie in Leipzig

1922

1927 durch Ruf nach Göttingen

38

Gustav Roethe Ordinarius für Deutsche Philologie in Berlin

1902

1926 durch Tod

67

Eduard Sievers Ordinarius für Deutsche Philologie in Leipzig

1892

1922 durch Emeritierung

72

Tabelle 2: Übersicht über die zwischen Sommersemester 1919 und Wintersemester 1932 / 33 ausgeschiedenen Ordinarien (in alphabetischer Reihenfolge) 14

13 14

Schreiben von F. Neumann an die Phil. Fak. der UL vom 16. Oktober 1926, in: UAL, PA 827, Bl. 50. Zu den Angaben vgl. die jeweiligen Artikel im Internationalen Germanistenlexikon.

Der verordnete Bruch

191

1. 2 Die Extraordinarien Anders als bei den Ordinarien überwog bei den Extraordinarien das akademische Abgangsmuster, sprich die Berufung auf eine besser dotierte und angesehenere Stelle, meist auf ein Ordinariat. Dieses Muster ist während der Weimarer Republik in drei von fünf Fällen auszumachen: Hermann Schneider ging 1921 von Berlin als Ordinarius nach Tübingen, Julius Schwietering wechselte 1928 als Ordinarius von Leipzig nach Münster, und Helmut de Boor wurde 1930 von Leipzig als Ordinarius nach Bern berufen. Bis zu ihrer Wegberufung hatten diese Professoren jeweils vier, fünf Jahre als Extraordinarien gelehrt, nachdem sie zuvor einige Jahre Privatdozen­ ten gewesen waren. Sie waren zum Zeitpunkt ihrer Wegberufung 35, 44 bzw. 39 Jahre alt, was in etwa dem Durchschnitt entsprach.15 Diese drei Fälle sind Beispiele für eine gelungene akademischer Karriere, wobei die Zwischenstationen in Berlin bzw. Leipzig wichtige Schritte auf dem Weg zur „Krönung“ waren. Doch war eine außerordentliche Professur keineswegs ein Garant für einen Ruf, auch nicht in Leipzig oder Berlin. Dies zeigen die Werdegänge der drei ande­ ren Extraordinarien innerhalb des Untersuchungsfeldes: Der Berliner Literaturhis­ toriker Ludwig Geiger verstarb im Alter von 71 Jahren in seiner Stellung, ebenso der Leipziger Germanist Georg Holz nach langjähriger Krankheit. Der Leipziger Nordist Eugen Mogk schied 1925 aus Altersgründen aus. Betrachtet man vor allem die Werdegänge von Geiger und Mogk, so überrascht dies nicht. Zwar hatten sie in ihrem Fach durchaus Erfolg, doch waren sie im Grunde akademische Außenseiter. Geiger war kein ausgebildeter Germanist, sondern Historiker, und 1880 vor allem durch das Wohlwollen von Wilhelm Scherer ins Amt gekommen.16 Mogk hatte nach Studium und Promotion zunächst als Lehrer gearbeitet und sich erst im Alter von 35 Jahren habilitiert. Danach hatte er zwar in Leipzig gelehrt und 1901 eine Planstelle erhalten. Den vollständigen Wechsel an die Universität konnte er sich finanziell jedoch erst leisten, nachdem er 1923 ein persönliches Ordinariat erhalten hatte.17 Diese langwierigen Entwicklungen hingen auch damit zusammen, dass Mogk ein Feld vertrat, das noch im Aufbau begriffen war. Angesichts ihres Außenseiterstatus überrascht es wenig, dass Geiger und Mogk nicht auf Lehrstühle gelangten. Betrachtet man neben den akademischen Kriterien noch soziale und konfessionelle Gegebenheiten, fällt allerdings etwas auf: Sowohl die drei wegberufenen Professoren als auch Mogk und Holz waren Protestanten, Geiger hingegen praktizierender Jude.18 Angesichts der Restriktionen gegen Juden im wissenschaftlichen Feld lässt dieser Zusammenhang aufhorchen.19 Lässt sich hier ein Zusammenhang zwischen jüdischer Herkunft und fehlender Wegberu­ fungschance aufzeigen? Geiger ist natürlich als Fachaußenseiter nur ein bedingt 15 16 17 18 19

Das Durchschnittsalter für die Berufung auf ein Ordinariat lag zu dieser Zeit bei 35 bis 38 Jahren. Vgl. S. Paletschek, Die permanente Erfindung einer Tradition, S. 325. Vgl. C. König, Aufklärungskulturgeschichte, S. 196. Vgl. zum akademischen Werdegang von Mogk Kap. B III 1. Geiger stammte aus einer Rabbinerfamilie und war in der Berliner jüdischen Gemeinde aktiv. Vgl. G. Lauer, Ludwig Geiger. Vgl. hierzu generell A. D. Ebert, Jüdische Hochschullehrer.

192

Germanistenleben

gutes Beispiel. Aber wie verhielt es sich mit den beiden anderen jüdischen Profes­ soren, die in den 1920er Jahren in Leipzig bzw. Berlin lehrten?20 Betrachtet man ihre Werdegänge (was später noch ausführlich geschieht), so zeigt sich bei Georg Witkowski und Max Herrmann, dass sie weder vor Ort noch an einer anderen Uni­ versität als Ordinarien berufen wurden und dadurch überdurchschnittlich lange Ex­ traordinarien an ihren Universitäten blieben – obwohl sie weder fachliche Außen­ seiter waren wie Geiger noch Randgebiete der Germanistik vertraten wie Mogk. Theoretisch wären sie in ihrer Stellung als Extraordinarien emeritiert worden (also aus natürlichen Gründen). Faktisch jedoch wurden beide 1933 aufgrund ihrer jüdi­ schen Herkunft entlassen. Hätte allerdings die planmäßige Emeritierung stattgefun­ den, dann hätte sich die Zahl der natürlichen Abgänge unter den Extraordinarien auf fünf erhöht – unter ihnen wären dann drei jüdischer Herkunft (also 60 Prozent) gewesen. Trotz der zugegeben kleinen Zahlen kann hier ein Muster ausgemacht werden, das den Zusammenhang von Konfession und Berufungschancen zeigt: Protestantische außerordentliche Professoren wurden berufen, die jüdischen blie­ ben zurück – ungeachtet der gleichen Qualifikation (vgl. Tabelle 3). Name

Konfession

Alter bei Habili­ tation

PD bzw. apl. ao. Prof.

plm. Extra­ ordinariat

Weg­ berufung

Helmut de Boor evangelisch

28

1919 / 20–1926 in Breslau und Greifswald

1926–1930 in Leipzig

1930 Ordinarius in Bern

Hermann Schneider

evangelisch

26

1912–1915 in Bonn

1915–1920 / 21 1921 in Berlin Ordinarius in Tübingen

Julius Schwietering

evangelisch

37

1921–1923 in Hamburg

1924 –1928 in Leipzig

1928 Ordinarius in Münster

Akademische Abgänge

Natürliche Abgänge Ludwig Geiger

jüdisch

25

1873–1880 in Berlin

1880–1919 in Berlin



Georg Holz

evangelisch

27

1890–1896 in Leipzig

1896–1921 in Leipzig



20

Werner Richter, der 1932 / 33 nach Berlin berufen wurde, bleibt hier außen vor. Es ist anzuneh­ men, dass seine jüdische Herkunft nicht bekannt war. Vgl. Kap. B II 2.3b.

193

Der verordnete Bruch Name

Konfession

Alter bei Habili­ tation

PD bzw. apl. ao. Prof.

plm. Extra­ ordinariat

Weg­ berufung

Eugen Mogk

evangelisch

35

1889–1901 in Leipzig

1901–1925 in Leipzig



26

1891–1919 in Berlin

1919–1933 in Berlin



26

1889–1919 in Leipzig

1919–1931 in Leipzig



Potentiell natürliche Abgänge Max Herrmann

jüdisch

Georg Witkowski jüdisch, später: evangelisch

Tabelle 3: Übersicht über die Werdegänge der aus akademischen, natürlichen und potentiell natürlichen Gründen abgegangenen Extraordinarien in Leipzig und Berlin zwischen dem Sommersemester 1919 und dem Wintersemester 1932 / 33 (in alphabetischer Reihenfolge) 21

Zwischenfazit Es ist festzuhalten, dass der überwiegende Teil der Ordinarien in seiner Stelle blieb. Dies gilt (trotz unterschiedlicher Gründe) für alle drei Institute. Bei den außeror­ dentlichen Professoren gab es sowohl natürliche als auch akademische Abgangs­ muster. Dabei ist auffällig, dass die Germanisten jüdischer Herkunft nicht aus der Universität wegkamen, an der sie sich habilitiert hatten. Für die nichtjüdischen Kol­ legen jedoch war ein Extraordinariat in Berlin oder Leipzig eine respektable Aus­ gangsbasis für den nächsten Karriereschritt. 2 Das Dritte Reich Die Forschung, die sich mit den Abgängen während des Nationalsozialismus be­ schäftigt, ist umfangreich. Einen Schwerpunkt bilden die politischen Entlassungen zwischen 1933 und 1935 infolge des „Berufsbeamtengesetzes“ (BBG). Von den Zeitgenossen wurde dieser Prozess sehr unterschiedlich wahrgenommen. So no­ tierte der vom BBG betroffene Victor Klemperer im April in seinem Tagebuch: „Die entsetzliche Stimmung des ‚Hurra, ich lebe‘. Das neue Beamten­‚Gesetz‘ lässt mich als Frontkämpfer im Amt – wahrscheinlich wenigstens und vorläufig […]. Aber ringsum Hetze, Elend, zitternde Angst.“ Und wenige Tage später: „Ich bin fast schon an den Zustand der Rechtlosigkeit gewöhnt. Ich bin schon nicht Deutscher und Arier, sondern Jude und muss dankbar sein, wenn man mich am Leben lässt.“ 22 21 22

Zu den Angaben vgl. die jeweiligen Artikel im Internationalen Germanistenlexikon. Tagebucheinträge vom 10. April 1933 sowie vom 20. April 1933, in: V. Klemperer, Tagebücher 1933–1945.

194

Germanistenleben

Anders etwa André Jolles, der im Frühjahr 1933 euphemistisch von der „Beurlau­ bung“ einiger Kollegen sprach.23 Dritte taten die Entlassungen als Übergangsphä­ nomen ab24 oder bedauerten den Ausschluss der Kollegen. Andere wiederum raun­ ten den Entlassenen ein „geschieht ihm Recht“ hinterher.25 So sehr die „politischen Säuberungen“ den Anfang der NS­Herrschaft präg­ ten – für den gesamten Zeitraum des Dritten Reichs waren sie nicht repräsentativ. Im Gegenteil: Bald kehrte wieder „Fluktuationsnormalität“ ein, bald wurde wieder regulär emeritiert und berufen. Doch auch wenn nach 1935 die natürlichen und akademischen Abgänge formal dominierten – auch sie waren nicht frei von politi­ schen Implikationen. Michael Parak hat auf Zwangsemeritierung und Diskussion um die Herabsetzung des Emeritierungsalters zur (politisch gewollten) Verjüngung des Lehrkörpers hingewiesen.26 Doch auch in anderer Weise spielten politische As­ pekte eine Rolle in der „normalen“ Fluktuation. Im Folgenden ist es daher notwen­ dig, sich zum einen mit den offensichtlich politischen Abgängen zu befassen. Zum anderen gilt es, auch nach der Politisierung der scheinbar unpolitischen Abgangs­ muster zu fragen. 2.1 Entlassungsvorgänge nach 1933 Wie dargestellt waren die Abgänge in der Weimarer Zeit von einem starken Regel­ maß geprägt. Wie verhielt es sich damit unter den Bedingungen des Dritten Reichs? Zunächst: Es gab insgesamt ähnlich viel Bewegung auf den Professuren – auf 14 Planstellen erfolgten zwischen dem Frühjahr 1933 und dem Frühjahr 1945 15 Ab­ gänge. Manche Stellen waren doppelt und dreifach betroffen, auf anderen gab es überhaupt keine Veränderung. Die natürlichen und akademischen Abgangsmuster waren (ähnlich der Weimarer Zeit) mit vier bzw. fünf Fällen relativ gleichmäßig verteilt. Auch schieden (ebenfalls ähnlich den Jahren zuvor) die Ordinarien vor allem aus natürlichen Gründen aus, die Extraordinarien aus akademischen Grün­ den. Hinzu kam ein Fall von disziplinarisch begründeter Entlassung sowie die be­ merkenswert hohe Zahl von fünf politisch motivierten Abgängen (vgl. folgende Grafik 4).27

23

Brief von A. Jolles an Hendrika Jeltje Goldschmidt­Jolles vom 28. Mai 1933, in: W. Thys (Hg.), André Jolles, S. 842. 24 Sie nahmen es, so erinnert sich Theodor Litt, „als ihr Schicksal hin: Ja, das ist jetzt eben so, Revolutionen sind höchst ungebärdig.“ T. Litt, Die Haltung der Hochschulen im Dritten Reich, S. 18, in: IfZ, ZS 1814, 3079 / 62. 25 So Karl Viëtor sinngemäß in Bezug auf den „einst allmächtigen W[erner] Richter“. Brief von K. Viëtor an J. Petersen vom 26. Juni 1933, in: DLA Marbach, D: Petersen, D62.503 / 24. 26 Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 196–201 sowie S. 225–234. 27 Gustav Neckel wurde in dieser Statistik doppelt gezählt. Zunächst wurde er 1935 an eine an­ dere Universität versetzt, was als politische Maßnahme zu interpretieren ist. Im Jahr 1937 kehrte Neckel jedoch wieder nach Berlin zurück, wo er einige Jahre später starb. Der „Fall Neckel“ gilt somit in der Statistik für das Jahr 1935 als politischer Abgang sowie 1940 als natürlicher Abgang.

Der verordnete Bruch

195

Abgänge 1933 bis 1945

Natürlich (4) Akademisch (5) Politisch (5) Disziplinarisch (1)

Grafik 4: Verteilung der Abgänge an den drei Instituten zwischen Frühjahr 1933 und Frühjahr 1945 (nur Planstellen)

Mehr noch als in der Weimarer Zeit betrafen die natürlichen Abgänge ausschließ­ lich die Ordinarien. Dies stützt die These, dass es sich bei allen drei Instituten um „Endstationsinstitute“ handelte. Dass es unter den Extraordinarien während des Dritten Reichs keinen gab, der bis zu seinem natürlichen Ausscheiden an der Uni­ versität blieb, liegt zum einen daran, dass relativ viele wegberufen wurden. Zum anderen war ihr Durchschnittsalter in dieser Zeit relativ niedrig. Die Ende der 1930er Jahre in Leipzig, Berlin und Jena lehrenden Extraordinarien stammten fast alle aus den Jahrgängen 1898 bis 1904. Damit waren sie zu diesem Zeitpunkt in den 40ern, was die Wahrscheinlichkeit von Tod, Krankheit oder Emeritierung deutlich reduzierte. Darüber hinaus wurden mit Witkowski und Herrmann diejenigen Extra­ ordinarien, die kurz vor der Emeritierung standen, aufgrund ihrer jüdischen Her­ kunft (also aus politischen Gründen) entlassen. Und schließlich war André Jolles der einzige Extraordinarius, der in den 1930er Jahren emeritiert werden sollte. Doch er blieb (aufgrund eines fehlenden Nachfolgers) bis 1945 in seiner Position.28 So war das natürliche Abgangsmuster während des Dritten Reichs allein den Ordinarien vorbehalten, was vor Ort sehr unterschiedlich aussehen konnte. In Leip­ zig und Jena waren die Entwicklungen diesbezüglich absehbar. Die Leipziger Ordi­ narien waren zu jung, um emeritiert zu werden. Der Jenaer Germanist Leitzmann hingegen war bereits bei seiner Berufung im fortgeschrittenen Alter und seine Eme­ ritierung absehbar. Anders in Berlin: Dort starben innerhalb weniger Jahre drei von vier Ordinarien. Julius Petersen und Gustav Neckel waren erst 62 Jahre alt gewe­ sen, Arthur Hübner sogar noch zehn Jahre jünger. Als Gründe für ihr relativ frühes 28

Als entscheidend für das natürliche Abgangsmuster gelten die Kriterien Emeritierung und die damit verbundene Einstellung der Lehrtätigkeit. Aus diesem Grund wird Jolles hier nicht in die Berechnung einbezogen, sondern statistisch bei den Abgängen von 1945 berücksichtigt. Vgl. zum natürlichen Elitenwechsel am Beispiel der sächsischen Hochschulen generell M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 187–201.

196

Germanistenleben

Ableben muss zum einen die starke Arbeitsbelastung gesehen werden, der die Berliner Germanisten aufgrund der Größe des Instituts, der Vielzahl der Studieren­ den sowie infolge ihrer zusätzlichen Arbeit an außeruniversitären Einrichtungen und Projekten täglich ausgesetzt waren.29 Zum anderen sind aber auch die politi­ schen Auseinandersetzungen am Institut möglicherweise mitverantwortlich.30 Ein direkter Zusammenhang von politischem Druck und frühem Tod kann wohl nur in seltenen Fällen rekonstruiert werden. Dass er jedoch eine Rolle gespielt haben kann, zeigt, wie genau man auch bei diesem scheinbar politisch unbeeinflussten Abgangsmuster hinsehen muss.31 Name, Status und Ort

Ausgeschieden infolge von …

im Jahr

… im Alter von

Arthur Hübner Ordinarius für Deutsche Philologie in Berlin

Tod

1937

52

Albert Leitzmann Ordinarius für Deutsche Philologie in Jena

Emeritierung

1935

68

Gustav Neckel Ordinarius für Nordistik in Berlin

Tod

1940

62

Julius Petersen Ordinarius für Neuere Deutsche Philologie in Berlin

Tod

1941

63

Tabelle 4: Übersicht über die zwischen 1933 und 1944 / 45 aus natürlichen Gründen ausgeschiedenen Ordinarien (in alphabetischer Reihenfolge) 32

29

30

31

32

Hübner sei wegen dauernder „Überarbeitung“ verstorben. Die großen Lasten, die sich aus den Aufgaben an der Universität und an der Preußischen Akademie der Wissenschaften ergaben, hätten ihn „dahingerafft“, so der Entwurf eines Schreibens an das REM von Vertretern des Germanistischen Institut der UB [o. D.], in: UA der HUB, PA Hübner, Bl. 18–25, hier Bl. 18. Auch Petersen und Neckel waren aufgrund ihrer Positionen intensiv in außeruniversitäre Pro­ jekte eingebunden. Die Weg­ bzw. Zurückversetzung Neckels 1935 bzw. 1937 war für ihn „offenkundig ein exi­ stenzbedrohender Schlag, von dem er sich niemals mehr erholte.“ J. Zernack, Gustav Neckel, S. 143. Für das frühe Ableben von Petersen macht sein Schüler Fritz Martini ebenfalls die (auch politisch motivierten) Auseinandersetzungen mit Koch in Berlin verantwortlich. Vgl. Schreiben von F. Martini an Gerhard Storz vom 24. und 28. Dezember 1959, in: DLA Marbach, A: Martini. Sensibel hat etwa Tobias Kaiser die Gründe, die für den Selbstmord des Jenaer Historikers Karl Griewank im Alter von 53 Jahren eine Rolle gespielt haben können, dargestellt. Vgl. T. Kaiser, Karl Griewank, S. 13–27. Michael Parak hat für das Dritte Reich den Zusammenhang von politisch motivierten Kampagnen und dem Tod eines Dozenten rekonstruiert. Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 190–191. Zu den Angaben vgl. die jeweiligen Artikel im Internationalen Germanistenlexikon.

Der verordnete Bruch

197

Das akademische Abgangsmuster war (ähnlich der Weimarer Zeit) typisch für die Extraordinarien und mehr noch als zuvor auf diese beschränkt. Zwischen 1933 und 1945 wurden fünf Extraordinarien an andere Universitäten berufen – je einer aus Berlin und Jena sowie drei von der Universität Leipzig. Betrachtet man ihre Werde­ gänge, so gibt es Ähnlichkeiten zu den wegberufenen, außerordentlichen Professo­ ren der Weimarer Republik. Die meisten Überschneidungen zeigen sich bei Hans Kuhn, der sich mit Anfang 30 habilitierte, dann einige Jahre an seiner Heimatuni­ versität lehrte, bevor er als Extraordinarius nach Köln, Berlin und Leipzig ging und als 42­Jähriger einen Ruf als Ordinarius erhielt. Die Werdegänge der anderen Wegberufenen unterschieden sich von dem „nor­ malen“ Weg. So hatte Wolfgang Kayser sich 1935 in Berlin habilitiert, erhielt dort allerdings aufgrund negativer politischer Gutachten keine Dozentur. Zur fachli­ chen, auch politischen Bewährung wechselte er daraufhin nach Leipzig, wo er als Privatdozent lehrte. 1941 erhielt er vom Auswärtigen Amt den Auftrag, als Gastpro­ fessor nach Portugal zu gehen. Hierfür wurde er zum planmäßigen Extraordinarius ernannt und vollzog dann (im Alter von 35 Jahren) den Wechsel nach Lissabon.33 Deutlich zügiger und ohne politische Konflikte verlief die akademische Karriere von Gerhard Fricke, die bereits dargestellt wurde.34 Fricke erhielt bereits drei Jahre nach seiner Habilitation im Alter von nur 33 Jahren ein Ordinariat in Kiel. Dabei profitierte er davon, dass sein Vorgänger Wolfgang Liepe aufgrund seiner Ehe mit einer Jüdin aus dem Amt gedrängt worden war.35 Auch Karl Justus Obenauer konnte Vorteile aus der Vertreibungspolitik der Nationalsozialisten ziehen. In seinem Fall ist vor allem bemerkenswert, dass er überhaupt ein Ordinariat erhalten konnte. Er gehörte nämlich zu den akademischen Quereinsteigern und hatte sich erst im Alter von 38 Jahren und gegen den Wider­ stand in der Leipziger Philosophischen Fakultät kumulativ habilitiert.36 Im Jahr 1933 war er bereits 45 Jahre alt, hatte aber nur ein nichtplanmäßiges Extraordinariat inne. Ein weiterer akademischer Aufstieg war angesichts dieser Konstellation un­ wahrscheinlich. Doch Obenauer profitierte von der Entlassungspolitik in doppelter Weise: Im Herbst 1933 wurde er nach der Entlassung von Witkowski mit dessen Vertretung beauftragt. Dies geschah aus pragmatischen Gründen, aber auch, weil Obenauer politisch dafür geeignet war. Die Vertretungsstelle wurde für ihn wenig später zur Ausgangsbasis für den Ruf als Ordinarius nach Bonn, wo er zum zweiten

33

Vgl. A. Lux, „fachlich tüchtig“, S. 64. In Lissabon baute Kayser die Germanistik neu auf. Gleichzeitig engagierte er sich kulturpolitisch. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Einrichtung des Deutschen Kulturinstituts, das 1943 seine Arbeit aufnahm. Zu dessen Einwei­ hung kamen Vertreter der portugiesischen Politik ebenso wie Alfred Six, Vertreter des Auswär­ tigen Amtes und zugleich als SS­Mann Leiter der Zentralstelle „Gegnerforschung“ im Reichs­ sicherheitshauptamt. Vgl. T. Seruya, Wolfgang Kayser in Portugal, sowie F.­R. Hausmann, „Auch im Krieg schweigen die Musen nicht“, S. 334 –348. 34 Vgl. Kap. B I 2.1. 35 Vgl. G. Schnabel, Gerhard Fricke. 36 Vgl. Kap. B III 5.1.

198

Germanistenleben

Mal von der nationalsozialistischen Säuberungspolitik profitierte und den 1935 ebenfalls aus dem Amt gedrängten Oskar Walzel „beerbte“.37 Viel (und zwar erheblich) länger dauerte es, bis der Jenaer Germanist Hennig Brinkmann auf eine Planstelle berufen wurde. Brinkmann hatte sich im Alter von 23 Jahren (also überdurchschnittlich früh) in Jena habilitiert und wirkte dort als Privatdozent und Assistent. Jedoch erst 14 Jahre später, Ende der 1930er Jahre, er­ hielt er die Möglichkeit, die thüringische Landesuniversität zu verlassen. 1937 ging er nach Berlin, um dort die durch den plötzlichen Tod Hübners vakant gewordene Professur vertretungsweise zu übernehmen. Ähnlich wie bei Obenauer wurde auch für Brinkmann die Vertretungsstelle zum Karrieresprungbrett38 und zur Vorausset­ zung für die Berufung auf ein Ordinariat, das er 1938 in Frankfurt am Main antrat. Die Verzögerungen in seinem Werdegang hingen vor allem mit seiner katholischen Konfession zusammen, die wiederholt Anlass zur Diskussion darüber gegeben hatte, ob er für eine Professur an einer protestantischen Universität geeignet sei.39 Damit zeigt sich auch hier der Zusammenhang von Konfession und verzögerter Berufung, auch wenn sie (im Gegensatz zu den jüdischen Germanisten) im Falle von Brinkmann zuletzt zustande kam.40 Bei den akademischen Abgängen spielten so sozial­konfessionelle, akademi­ sche, aber auch politische Faktoren eine Rolle, die oben auch im Zusammenhang mit den Berufungen aufgezeigt werden konnten. Zudem profitierten eine Reihe der Wegberufenen von den politischen Entwicklungen in Europa sowie von der rassis­ tisch oder politisch motivierten Entlassung anderer Germanisten, deren Lehrstühle sie vertreten oder besetzen konnten. Generell war mit fünf Wegberufungen in elf Jahren das akademische Abgangsmuster während des Nationalsozialismus stärker virulent als in der Weimarer Zeit, was (immer unter Berücksichtigung der kleinen Zahlen) von einer stärkeren Fluktuation auf dem akademischen Arbeitsmarkt zeugt.

37

38 39 40

Oskar Walzel war im Frühjahr 1933 emeritiert worden, lehrte aber auf Wunsch der Fakultät noch einige Semester weiter. Auf Druck der Bonner NS­Studentenschaft (Walzel war mit einer Jüdin verheiratet) wurde ihm 1936 die venia legendi entzogen. Zu Obenauer vgl. J. Lerchen­ müller / G. Simon, Im Vorfeld des Massenmords, S. 33– 46, sowie A. Lux, „fachlich tüchtig“, v. a. S. 64 –67. Vgl. T. Laugstien, Philosophieverhältnisse, S. 100. Vgl. zur Diskussion um die Berufung Brinkmanns nach Breslau Anfang 1938 die entspre­ chende Korrespondenz, in: UAJ, PA Brinkmann, unpag. Brinkmann (seit seinem Studium in Bonn stark durch Frings geprägt) wurde kurz nach seiner Berufung nach Frankfurt eingezogen. Er leistete bis 1941 Kriegsdienst und wurde dann für zwei Jahre nach Istanbul beurlaubt, wo er an der Universität eine Abteilung für Deutsche Phi­ lologie aufbaute. Nach Kriegseintritt der Türkei 1944 wechselte Brinkmann nach Zagreb und übernahm dort den Lehrstuhl für Deutsche Sprache und Literatur. Nach dem Krieg kehrte er nach Deutschland zurück, wurde jedoch aufgrund seines offensichtlichen politischen Engage­ ments von der Universität entlassen. Als Privatgelehrter und Gymnasiallehrer arbeitete Brink­ mann bis zu seiner Berufung als Extraordinarius nach Münster 1957. Dort wurde er zwei Jahre später Ordinarius und blieb in dieser Stellung bis zu seiner Emeritierung 1969. Vgl. U. Maas, Verfolgung und Auswanderung, Bd. 1, S. 126–131, sowie H. Rüter, Henning Brinkmann.

199

Der verordnete Bruch

Name

Konfession

Alter bei PD bzw. Habilita­ apl. ao. Prof. tion

plm. Extra­ ordinariat

Wegberufung

Hennig Brinkmann

katholisch

23

1924 –1937 / 38 in Jena

1937 Vertretung 1938 eines Ordinariats Ordinarius in Berlin in Frankfurt am Main

Gerhard Fricke

evangelisch

32

1931–1934 in Göttingen

Sept.–Nov. 1934 1934 in Berlin Ordinarius in Kiel

Wolfgang Kayser

evangelisch

29

1938–1941 in Leipzig

April 1941 Extraordinarius in Leipzig

1941 Gastprofessor in Lissabon

Hans Kuhn

evangelisch

32

1931–1937 in Marburg, Köln, Berlin

1938–1941 in Leipzig

1941 Ordinarius in Berlin

Karl Justus Obenauer

evangelisch

38

1926–1934 in Leipzig

1933–1935 Vertretung eines Extraordinariats in Leipzig

1935 Ordinarius in Bonn

Tabelle 5: Übersicht über die akademischen Abgänge der Extraordinarien zwischen 1933 und 1944 (in alphabetischer Reihenfolge) 41

Abgänge aus disziplinarischen Gründen sind insgesamt selten.42 Auch im Rahmen des vorliegenden Untersuchungsfeldes gibt es dafür nur ein Beispiel, das an dieser Stelle daher ausführlicher dargestellt werden soll. 1934 wurde der Leipziger Extra­ 41 42

Zu den Angaben vgl. die jeweiligen Artikel im Internationalen Germanistenlexikon. Bei Parak fallen die disziplinarisch motivierten Entlassungen unter die ohnehin kleine Katego­ rie „Sonstige“ (3,7 Prozent). Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, v. a. S. 231–232. Zu den disziplinarischen Maßnahmen zählen auch Entlassungen aufgrund von Homosexualität, die in vier Fällen aller Entlassungen ausgemacht werden konnten. Vgl. M. Grüttner / S. Kinas, Vertreibung, S. 147. In der Forschung werden die „sonstigen“ Entlassungen vielfach nicht the­ matisiert oder unzureichend kategorisiert. Dies hängt damit zusammen, dass in diesen Fällen wiederholt die Grenze zwischen Opfer und Täter verschwimmt. In den bekannten Fällen diszi­ plinarischer Ahndung handelte es sich nämlich um bekennende Nationalsozialisten. So im Fall von Karg, aber auch bei dem aufgrund von Homosexualität entlassenen Würzburger Germani­ sten Johannes Alt, der 1933 in die SA eingetreten war, dort Obertruppenführer wurde und 1937 in die NSDAP eintrat. Vgl. zu dieser Problematik H. Eberle, Martin-Luther-Universität im Nationalsozialismus, S. 110–113.

200

Germanistenleben

ordinarius Fritz Karg aus dem Lehrbetrieb entlassen, nachdem er sich, hoch ver­ schuldet, wiederholt aus der Institutskasse bedient und ihm anvertraute Gelder un­ terschlagen hatte.43 Nach internen Ermittlungen wurde der Fall an ein Gericht über­ geben und Karg zu neun Monaten Haft verurteilt. Er verzichtete daraufhin auf seine satzungsmäßigen Rechte an der Universität sowie auf die Amtsbezeichnung Profes­ sor. Im Jahr 1936 wurde ihm zudem der Doktortitel aberkannt.44 Wie war es dazu gekommen? 1892 als Sohn eines kleinen Beamten in Dresden geboren, hatte Karg 1913 begonnen, in Leipzig Germanistik, Neuere Sprachen und Geschichte zu studieren. Begeistert vom „Augusterlebnis“ meldete er sich 1914 im Alter von 22 Jahren frei­ willig zum Kriegsdienst. Als Feldwebel kämpfte er an der Ostfront in Russland und Rumänien. 1916 wurde er verwundet (er erlitt einen Kopfschuss) und verschüttet. Nach seiner Genesung arbeitete er in Bukarest beim Wirtschaftsstab.45 1918 kehrte er aus dem Krieg nach Leipzig zurück und versuchte, in der zivilen Welt wieder Fuß zu fassen. Er arbeitete kurzzeitig als Leiter der Leipziger Volkshochschule, wurde 1921 bei Sievers promoviert und habilitierte sich zwei Jahre später am Germanisti­ schen Institut der Universität Leipzig. 1922 heiratete er die Assistentin des Instituts, Elisabeth Gasterstädt. Sechs Jahre lang, zwischen 1923 und 1929, arbeitete er als Privatdozent, finanziert allein durch geringfügig bezahlte Lehraufträge. 1926 er­ hielt er einen Ruf nach Kaunas in Litauen, den er jedoch ablehnte, da eine Reihe von Fragen, nicht zuletzt finanzieller Art, ungeklärt waren.46 Seine Hoffnung, in Leipzig eine Stelle zu erhalten, erfüllte sich 1929 mit der Ernennung zum Extraor­ dinarius für Deutsche Sprache, Literatur und Volkskunde.47 In den folgenden Jah­ ren gelang es Karg, vor allem die Volkskunde innerhalb wie außerhalb der Univer­ sität zu fördern.48 43 44

Vgl. UAL, PA 619, Bl. 443–522. Vgl. Beschluss zur Aberkennung der Amtsbezeichnung „Professor“ vom 1. April 1935 sowie Beschluss zum Entzug der Doktorwürde vom 29. Mai 1936, in: Ebd., Bl. 519 bzw. 522. 45 Vgl. U. Meißner, Fritz Karg. 46 Vgl. Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL an das Auswärtige Amt vom 1. Juni 1926, in: UAL, PA 619, Bl. 405. 47 Bei den Berufungsdiskussionen gab es Fürsprecher und Gegner. Kritik zielte auf Kargs man­ gelnde fachliche Eigenständigkeit. So hieß es in einer Stellungnahme von Helmut de Boor, Karg habe „mit zweifellosem Glück und Geschick versucht, die neuartigen Methoden seines Lehrers Sievers anzuwenden“, aber man dürfe nicht übersehen, „wie sehr er auf diesem Gebiet nur übernimmt, was Sievers vorgedacht hat.“ Gutachten von H. de Boor, wiedergegeben in ei­ nem Schreiben an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 4. Dezember 1928, in: Ebd., Bl. 411– 412. Für Karg sprachen seine langjährigen Forschungen auf dem Gebiet der Dialekto­ logie sowie seine Erfolge als „tüchtiger Lehrer“. Schreiben von F. Neumann an die Phil. Fak. der UL vom 9. Dezember 1925, in: Ebd., Bl. 399. 48 So war Karg Initiator und bis 1934 Leiter des Sächsischen Verbandes für Volkskunde und be­ gründete den Sächsischen Volkskundeatlas als Teil des Atlas der Deutschen Volkskunde, der 1928 ins Leben gerufen worden war. Zudem wurde er 1930 Mitherausgeber der Mitteldeutschen Blätter für Volkskunde, in denen er selbst über sprachgeographische und mundartenkund­ liche Themen publizierte. Darüber hinaus gab Karg mit Frings die angesehenen Mitteldeutschen Studien und mit den bekannten Volkskundlern Walter Frenzel und Adolf Spamer den Grundriss der Sächsischen Volkskunde heraus. Vgl. B. Emmrich, Fritz Karg.

Der verordnete Bruch

201

Gemessen an den damaligen Bedingungen verlief Kargs Werdegang bis dahin relativ günstig. Sechs Jahre zwischen Habilitation und Planstelle waren nicht viel, und mit Frings hatte er einen einflussreichen Fürsprecher.49 Jedoch ließen Karg seine Kriegserfahrungen nicht los. In einem selbstverfassten Lebenslauf von 1921 machte er unüblich ausführliche Angaben über seinen militärischen Werdegang.50 Und noch im Rahmen der Berufungsdiskussion 1929 betonte der Dekan, dass Karg „an seinen schweren Erlebnissen als Frontsoldat […] bis heute“51 trage. Die damit verbundenen psychischen Probleme wurden durch die ungesicherte materielle Situ­ ation als Privatdozent möglicherweise noch verstärkt. Wann Karg begonnen hat, Geld zu unterschlagen, ist nicht zu rekonstruieren, ebenfalls nicht, wofür er es aus­ gab. Doch bis zu seiner Verurteilung Anfang 1935 hatten sich 40.000 RM Schulden angesammelt.52 Für offensichtlich psychische Probleme Kargs spricht auch sein öffentliches Auftreten, sodass die Leipziger Tageszeitung anlässlich der Gerichts­ verhandlung von der „großen seelischen Zerrüttung“53 des Professors berichtete. Der „Fall Karg“ ist ein Beispiel für mögliche Folgen traumatischer Kriegser­ fahrungen im wissenschaftlichen Milieu. Er ist aber auch ein Beispiel dafür, dass Entlassungen im Dritten Reich nicht immer tatsächliche oder vermeintliche politi­ sche Gegner betrafen. Karg war vielmehr mit den Nationalsozialisten im Wesentli­ chen konform.54 Sein Antrag auf Aufnahme in die NSDAP wurde allerdings auf­ grund der gerichtlichen Verhandlungen abgelehnt.55 Nach den vorderhand unpolitischen Abgangsmustern (bei denen allerdings be­ reits gezeigt werden konnte, dass auch politische Faktoren eine Rolle spielen konn­ ten) geht es im Folgenden ausführlich um die dezidiert politisch motivierten Ab­ gänge. Zunächst als Überblick und anschließend anhand von Fallbeispielen wird gezeigt, welche Entlassungsformen es während des Dritten Reichs gab und wie sie sich in den individuellen Biographien widerspiegelten. 49 50 51 52 53

54

55

Frings hatte sich 1929 für die Berufung von Karg eingesetzt und hielt mit ihm Lehrveranstal­ tungen über kulturgeographische Fragen ab, so im Wintersemester 1929 / 30 und im Sommer­ semester 1931. Vgl. Vorlesungsverzeichnisse der Universität Leipzig. Vgl. Lebenslauf von Fritz Karg, in: UAL, PA 619, Bl. 382. Gutachtenentwurf des Dekans der Phil. Fak. der UL [o. D.; Ende 1928], in: Ebd., Bl. 427. Vgl. den entsprechenden Artikel in der Leipziger Tageszeitung vom 27. Februar 1935, in: Ebd., Bl. 513. Ebd. In Kargs Personalakte findet sich zudem der Verweis, dass er 1953 in Berlin erneut wegen Betrugs vor Gericht stand und zu einer Haftstrafe von anderthalb Jahren verurteilt wurde. Vgl. Schreiben des Rektors der UL an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 27. Juli 1953, in: Ebd., Bl. 520. Die Arbeit Kargs beim Volkskundeatlas, dessen höchstes Ziel ein „echt nationalsozialistisches Wissenschaftsziel“ sei (vgl. Bericht des Dekans der Phil. Fak. der UL vom 7. April 1937, in: UAL, Phil. Fak. B1 / 14:21a, v. a. Bl. 42– 43), markiert bereits sein kulturpolitisches Engage­ ment. Zudem arbeitete er eng mit dem NS­Lehrerbund und dem Pädagogischen Institut zusam­ men, das „höchsten Wert“ darauf legte, „dass die künftigen Volksschullehrer in Bezug auf deutsches Volkstum und deutsche Volkskunde gut geschult“ sind. Vgl. Korrespondenz im Zu­ sammenhang mit der Einrichtung einer Professur für Volkskunde, in: UAL, B2 / 21:11, v. a. Bl. 41 und 45. Vgl. zur sächsischen Volkskunde­ und Heimatbewegung im Dritten Reich gene­ rell T. Schaarschmidt, Regionalkultur und Diktatur. Vgl. U. Meißner, Fritz Karg.

202

Germanistenleben

Insgesamt wurden während des Dritten Reiches aus politischen Gründen an den drei germanistischen Instituten fünf Professoren entlassen. Dies war bereits relativ viel.56 Nimmt man die nichtplanmäßigen Dozenten, Assistenten und Lekto­ ren noch hinzu, erhöht sich die Zahl auf neun. Besonders bemerkenswert ist dabei die lokale Verteilung, denn in Jena wurde keiner, in Leipzig drei, in Berlin hingegen sechs Lehrende entlassen – die Mehrzahl aufgrund ihrer „nichtarischen“ Abstam­ mung. Dies deckt sich mit der generellen Erkenntnis, nach welcher die jüdische Herkunft der Hauptentlassungsgrund nach 1933 war: 80 Prozent der im Reich ent­ lassenen Hochschullehrer und Dozenten waren aus rasseideologischen Gründen vertrieben worden.57 Bei den entlassenen Germanisten im Reich verhielt es sich insgesamt ähnlich: Von den 26 Germanisten und Germanistinnen, die während des Nationalsozialismus ihre Stellen verlassen mussten, galten 19 (also 73 Prozent) als „nichtarisch“ oder „jüdisch versippt“.58 Viele von ihnen emigrierten und nur eine Handvoll kehrte nach 1945 in den deutschen Universitätsbetrieb zurück.59 Daneben gab es weitere Gründe, die man als politisch motiviert bezeichnen muss.60 Bei den Germanisten reichten diese von disziplinarischen Maßregelungen und frauenfeind­ licher Arbeitsmarktpolitik über Entlassungen im Zuge des Kirchenkampfes oder aufgrund von Homosexualität bis hin zu „freiwilligen“ Abgängen als Reaktion auf die nationalsozialistische Politik. Klein hingegen war die Zahl der nach § 4 des BBG, also aus dezidiert politischen Gründen Entlassenen. Selbst Werner Richter, der bis 1932 im Kultusministerium gearbeitet hatte, wurde aufgrund seiner jüdi­ schen Herkunft entlassen.61 56

Dies entsprach einem Drittel und ist relativ viel, gemessen an der deutlich kleineren Zahl von nach 1933 entlassenen Germanisten insgesamt – im Vergleich zur Medizin oder den Naturwis­ senschaften. Vgl. G. Kaiser, Grenzverwirrungen, S. 94. Ein Drittel ist auch gemessen an den Entlassungszahlen an den Hochschulen insgesamt viel, die etwa in Sachsen bei knapp 15 Pro­ zent lagen. Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 186. 57 Vgl. M. Grüttner / S. Kinas, Vertreibung, S. 144. 58 Nach § 3 BBG, also aufgrund jüdischer Herkunft, wurden folgende Germanisten entlassen: Richard Alewyn (Heidelberg), Walter Berendsohn (Berlin), Melitta Gerhard (Kiel), Max Herr­ mann (Berlin), Agathe Lasch (Hamburg), Carl David Marcus (Berlin), Werner Milch (Breslau), Hans Neumann (Berlin), Werner Richter (Berlin), Richard Samuel (Berlin), Martin Sommer­ feld (Frankfurt am Main), Georg Stefansky (Münster), Georg Witkowski (Leipzig) und Max von Waldberg (Heidelberg). Als „jüdisch versippt“, da sie mit einer Jüdin verheiratet waren, galten: Wolfgang Liepe (Kiel), Walther Brecht (München), Friedrich Ranke (Breslau), Karl Viëtor (Gießen) und Oskar Walzel (Bonn). Vgl. G. Kaiser, Grenzverwirrungen, S. 92–98, so­ wie zu den einzelnen Personen die jeweiligen Artikel im Internationalen Germanistenlexikon. 59 Vgl. P. Boden, Grenzschritte. 60 Für eine Differenzierung der politischen Abgangsgründe haben zuletzt Grüttner und Kinas plä­ diert, „um ein genaueres Bild von den Auswirkungen der Vertreibung zu entwerfen“. Hierfür unterschieden sie Entlassungsgründe in 1) rasseideologisch motiviert und 2) andere: a) Ange­ hörige linker Parteien, b) Opfer des Kirchenkampfes, c) Liberale, d) Konservative, d) Homo­ sexuelle. Vgl. M. Grüttner / S. Kinas, Vertreibung, S. 124 bzw. 144. 61 Paul Hankamer (Königsberg) und Günther Müller (Münster) wurden Opfer des Kirchenkamp­ fes und 1936 bzw. 1943 entlassen. Carl Wesle (Kiel) weigerte sich als Dekan die geforderten Repressionen gegen jüdische Kollegen durchzuführen und wurde daraufhin zum Oktober 1934 nach Bonn zwangsversetzt. Ebenfalls zwangsversetzt wurde Gustav Neckel (Berlin) infolge einer politisch motivierten Kampagne. Johannes Alt (Würzburg) wurde aufgrund seiner Homo­

203

Der verordnete Bruch

Konkret über die in Leipzig und Berlin entlassenen Germanisten gibt folgende Tabelle Auskunft:62

Name, Status

Wir­ kungsort 1932 / 33

Konfes­ sion

Entlassungsjahr und Abgangsgrund

Weitere Entwicklung

Max Herrmann Außerordentlicher (persönlicher) Professor für Neuere deutsche Philologie

Berlin

jüdisch

1933 nach § 3 BBG (aufgrund jüdischer Herkunft)

1942 deportiert und in Theresien­ stadt verstorben

Elisabeth KargGasterstädt Institutsassistentin

Leipzig

evange­ lisch

1933 infolge des „Gesetzes über die Rechts­ stellung der weib­ lichen Beamten“

seit 1935 wieder wissenschaftliche Tätigkeit; nach 1945 Rückkehr an die Universität Leipzig

Carl David Marcus Lehrbeauftragter und Lektor62

Berlin

jüdisch

1933 floh vor der NS­Rassepolitik nach Schweden

in Schweden als Gymnasiallehrer tätig

Gustav Neckel Ordinarius für Nordistik

Berlin

evange­ lisch

1935 Zwangsversetzung nach Göttingen

1937 Rückverset­ zung nach Berlin

Hans Neumann Außerplanmäßiger Assistent63

Berlin

jüdischer Herkunft

1934 konnte sich aufgrund der NS­Rassepolitik nicht habilitieren

Ausreise nach Rumänien

Konstantin Reichardt Extraordinarius für Nordistik

Leipzig

evange­ lisch

1937 „freiwilliges“ Ausscheiden aus dem Lehrbetrieb

Emigration nach Schweden und in die USA

62

sexualität aus dem Lehrkörper gedrängt. Elisabeth Karg­Gasterstädt (Leipzig) wurde als soge­ nannte „Doppelverdienerin“ 1933 entlassen. Wolfgang Stammler (Greifswald) wurde nach § 6 BBG entlassen. Vgl. zu den einzelnen Personen die jeweiligen Artikel im Internationalen Germanistenlexikon. Vgl. W. Höppner, Kontinuität und Diskontinuität in der Berliner Germanistik, S. 260.

204

Germanistenleben

Name, Status

Wir­ kungsort 1932 / 33

Konfes­ sion

Entlassungsjahr und Abgangsgrund

Weitere Entwicklung

Werner Richter Ordinarius für Neuere deutsche Literaturgeschichte

Berlin

evange­ lisch getauft (jüdischer Herkunft)

1933 nach § 3 BBG (aufgrund jüdischer Herkunft)

Emigration in die USA

Richard Samuel Wissenschaftlicher Assistent von Julius Petersen

Berlin

jüdisch

1933 verließ die Universi­ tät infolge der NS­Rassepolitik

Emigration nach England

Georg Witkowski Außerordentlicher (persönlicher) Professor für Neuere deutsche Philologie

Leipzig

evange­ lisch getauft (jüdischer Herkunft)

1933 nach § 3 BBG (aufgrund jüdischer Herkunft)

Emigration nach Holland; 1939 verstorben

Tabelle 6: Übersicht über die nach 1933 entlassenen Germanisten in Leipzig und Berlin 63 (in alphabetischer Reihenfolge) 64

Die relativ hohe Zahl jüdischer Germanisten in Berlin verweist auf die liberale Personalpolitik der Berliner Universität während der Weimarer Republik.65 Eben­ falls als liberal galten die Germanistischen Institute in Heidelberg, wo Max von Waldberg und Richard Alewyn lehrten,66 sowie Hamburg mit Agathe Lasch und Walter Berendsohn.67 Neben diesen gab es weitere, an denen jeweils ein Germanist 63 64 65

66

67

Vgl. U. Maas, Verfolgung und Auswanderung, Bd. 1, S. 546–548. Zu den Angaben (falls nicht anders vermerkt) vgl. die jeweiligen Artikel im Internationalen Germanistenlexikon. Ebenfalls als liberal galten die Universitäten in Frankfurt, Heidelberg, Hamburg, Göttingen und Köln. Generell gelten die unterschiedlichen Entlassungszahlen als „Indikator für [ihre] sehr unterschiedliche Bereitschaft […], jüdische Wissenschaftler zu habilitieren oder zu berufen.“ M. Grüttner / S. Kinas, Vertreibung, S. 148. Max Freiherr von Waldberg studierte in Wien, Czernowitz und Berlin. Er promovierte 1881 und habilitierte sich drei Jahre später. Seit 1908 war er Honorarprofessor in Heidelberg. Um dem Entzug der Lehrbefugnis zuvorzukommen, verzichtete er auf eine Lehrtätigkeit nach 1933, was jedoch nicht verhinderte, dass ihm die venia legendi 1935 entzogen wurde. Alewyn war ein vielversprechender Literaturhistoriker, der sich 1931 in Berlin habilitiert hatte und seit 1932 als Extraordinarius in Heidelberg lehrte. Nach seiner Entlassung emigrierte er über ver­ schiedene Stationen in Europa in die USA, von wo er 1949 nach Deutschland zurückkehrte. Vgl. G. Sauder, Max Freiherr von Waldberg, sowie R. Weber, Richard Alewyn. Generell war an neu gegründeten Hochschulen wie Hamburg eine liberalere Personalpolitik anzutreffen. Vgl. P. Freimark, Juden, S. 125. So wurde Agathe Lasch, die 1919 als erste Frau

Der verordnete Bruch

205

oder eine Germanistin jüdischer Herkunft arbeiteten. In der Regel handelte es sich dabei um nichtplanmäßige Stellen. Reichsweit lehrten insgesamt 14 Germanisten jüdischer Herkunft an sieben Hochschulen. Das heißt im Umkehrschluss, dass es an 16 anderen Germanistischen Instituten keine jüdischen Germanisten gab; Jena ist hierfür nur ein Beispiel. Das bedeutet, dass auch an Hochschulen, die allgemein als liberal galten (wie etwa Göttingen und Köln) Juden in der Germanistik ausgegrenzt wurden. Diese Diskrepanz resultierte daraus, dass in den kleinen Machtfeldern die Entscheidung, wie man mit Feldaußenseitern (Juden, Frauen, Katholiken) umgeht, oft in der Hand von ein oder zwei Entscheidungsträgern lag. In größeren Organisa­ tionsformen wie einer Fakultät oder Universität konnten sich gegenteilige Erschei­ nungen ausgleichen. Die Bedeutung der Entscheidungsträger vor Ort spielt auch eine Rolle, wenn ich mich im Folgenden mit konkreten Beispielen politisch motivierter Entlassung beschäftige. Mit Elisabeth Karg­Gasterstädt, Georg Witkowski, Max Herrmann, Werner Richter und Konstantin Reichardt rücken Personen und ihre Geschichten in den Vordergrund. Dabei werden die Ereignisse nach 1933 in einen längerfristigen Erklärungszusammenhang eingebettet, um die Wirkmechanismen des Wissenschafts­ systems in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkennbar zu machen. 2.2 „Doppelverdienerin“. Die Entlassung von Elisabeth Karg-Gasterstädt Die Entlassung von Elisabeth Karg­Gasterstädt im Herbst 1933 steht exemplarisch für die Mechanismen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den akademi­ schen Werdegang von Frauen erschwerten. Bislang dominierte in der Forschung zur Entlassungspolitik der Blick auf politische, konfessionelle und rasseideologi­ sche Faktoren. Eine Analyse der Diskriminierung qua Geschlecht (die zahlenmäßig überwog) blieb bislang, außer in Arbeiten, die sich explizit mit Frauen in der Wis­ senschaft beschäftigen, aus.68 Dieses Kapitel hat daher auch die Funktion, die Aus­ grenzung von Frauen als Bestandteil der Wissenschaftsgeschichte stärker in das Bewusstsein zu rücken. Karg­Gasterstädt wurde im Herbst 1933 im Zuge des „Gesetzes über die Rechtsstellung der weiblichen Beamten“ entlassen. Das Gesetz wurde im Juni 1933

68

(und zudem Jüdin) die venia legendi für Sprachwissenschaft erhalten hatte, in Hamburg zur ersten Professorin ernannt. Sie lehrte seit 1926 als planmäßige Extraordinaria. Im Jahr 1934 wurde sie entlassen, blieb aber in Deutschland und wurde 1942 nach Riga deportiert, wo sie starb. Ihr Kollege Walter Berendsohn war ebenfalls jüdischer Herkunft und seit Mitte der 1920er Jahre in der SPD engagiert. Er hatte seit 1926 ein Extraordinariat für Schwedische Sprache sowie Deutsche und skandinavische Literaturgeschichte in Hamburg inne. Nach seiner Entlassung emigrierte er zunächst nach Dänemark, später nach Schweden, wo er eine Professur erlangte. U. Haß, Agathe Lasch, sowie G. Korlén, Walter Berendsohn. So benennen Grüttner und Kinas zwar den bemerkenswert hohen Anteil von entlassenen Dozentinnen nach 1933, jedoch legen sie keine eigene, geschlechtsspezifische Kategorie an. Vgl. M. Grüttner / S. Kinas, Vertreibung, S. 141–142.

206

Germanistenleben

verabschiedet69 und ging auf Diskussionen über die Rolle der Frau im Arbeitsleben zurück, die verstärkt nach Ende des Krieges 1918 einsetzten. Diese werden im Fol­ genden skizziert, bevor ich mich dem Werdegang der Germanistin zuwende. Nach Kriegsende gehörten die sozialen Probleme zu den drängendsten, denen sich die junge Republik zu stellen hatte. Eine Maßnahme zur Behebung vor allem der Arbeitslosigkeit war es, im Rahmen von Demobilisierungsverordnungen Frauen, die während des Krieges Stellen besetzt hatten, wieder vom Arbeitsmarkt zu verdrän­ gen.70 Man müsse, so der zuständige Referent im Reichsministerium für wirtschaftli­ che Demobilmachung, „für den alten Stamm von Angestellten und Arbeitern die durch den Krieg verlorene Arbeitsgelegenheit wieder […] beschaffen.“71 Frauen wur­ den im Zuge dessen als Personen markiert, die „solange auf Arbeit […] verzichten [sollten], als andere da sind, die ein moralisch stärkeres Recht auf Arbeit haben.“72 Die Betonung der moralischen Pflicht zum Verzicht prägte die Debatten wäh­ rend der gesamten Weimarer Republik. Vor allem verheiratete Frauen, die arbeite­ ten, galten als unsozial, da sie doch durch ihre Männer „versorgt“ seien. Seit dem Sommer 1919 tauchten Begriffe wie „Doppelexistenzen“, „Doppelerwerb“, „Dop­ pelverdienertum“ auf, die Bereicherung suggerierten.73 Auch wenn ab Frühjahr 1921 von den Maßnahmen gegen „Nichterwerbsbedürftige“ Abstand genommen wurde,74 blieb die Rede von den „Doppelverdienerinnen“ als „Strategie staatlicher Krisenbewältigung“75 bis in die 1930er Jahre in der Öffentlichkeit präsent. 1923 flammten die Debatten um die Erwerbstätigkeit von verheirateten Frauen erneut auf. In der Endphase der Inflation wurden entsprechende Bestimmungen gegen Arbeitnehmerinnen im öffentlichen Dienst erlassen. Zudem waren vom Personal­ abbau im öffentlichen Dienst Frauen überproportional stark betroffen.76 69

Absatz 1 legte fest, dass all jene Beamtinnen zu entlassen sind, deren „wirtschaftliche Versor­ gung […] nach der Höhe des Familieneinkommens dauernd gesichert erscheint. Diese Voraus­ setzung liegt stets dann vor, wenn der Ehemann unkündbar angestellter Beamter ist.“ Deut­ sches Reichsgesetzblatt Nr. 74 vom 1. Juli 1932, Kap. 3, § 7. 70 Vgl. S. Rouette, Sozialpolitik als Geschlechterpolitik, S. 105–126. 71 Bernhard Lehfeldt, Die Wirkung der Verordnung über die Freimachung von Arbeitsstellen, zi­ tiert nach ebd., S. 106. 72 Aufruf des Demobilisierungsausschusses Groß­Berlin und des Ausschusses der Gewerkschafts­ kommission Berlins und Umgebung vom 24. Februar 1919, zitiert nach ebd., S. 107–108. 73 Auch heute ist – im Zusammenhang mit Diskussionen um die disparate Wirtschaftslage, um Kindererziehung und die Rolle von Mann und Frau – von „Doppelkarrieren“ die Rede. So etwa in der Süddeutschen Zeitung, in der es unter dem Titel „Kinder, Küche, zwei Karrieren“ heißt: „Das Familienministerium stellt eine Studie über eine seltene Spezies vor: Eltern, die beide Vollzeit arbeiten. Die ‚Doppelkarriere­Paare‘ wissen, dass sie einen hohen Preis für ihr Lebens­ modell zahlen.“ Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 15. Mai 2008. 74 Hinsichtlich der Entlassung von „Nichterwerbsbedürftigen“ entschied man sich zunächst für einen Mittelweg. Von April 1921 bis April 1922 galt die Freimachungsverordnung nur noch in Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern, in denen die Zahl der Erwerbslosen mehr als 1,5 Prozent der Bevölkerung betrug. Danach konnten „auf Erwerb nicht angewiesene Personen“ wieder offiziell arbeiteten. Vgl. S. Rouette, Sozialpolitik als Geschlechterpolitik, S. 126. 75 Ebd., S. 257. 76 Vgl. R. Fattmann, Bildungsbürger, S. 96–97. Vor allem Beamtinnen waren im Rahmen der Personalabbauverordnung schlechter gestellt. Vgl. S. Rouette, Sozialpolitik als Geschlechterpolitik, S. 127–130.

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Während der Weltwirtschaftskrise verschärfte sich die Diskussion abermals. Eine seit 1929 vehement geführte Kampagne mündete im Mai 1932 in dem Geset­ zesentwurf der Zentrumspartei „über die Rechtsstellung der weiblichen Beamten“, der im Reichstag mit weit mehr als der notwendigen Zweidrittelmehrheit und über politische Lagergrenzen hinweg verabschiedet wurde.77 Diese Diskussionen ver­ weisen auf ein politisches Klima, das auch Auswirkungen für die Frauen im wissen­ schaftlichen Feld hatte: Während des Krieges hatten sie erstmals verantwortungs­ volle Aufgaben übernommen; nach dem Krieg wurden sie als lästige Konkurrentin­ nen gesehen. Auch der Werdegang von Karg­Gasterstädt war von diesen Prozessen geprägt. Dabei macht es allerdings wenig Sinn, sie (ausschließlich) als Opfer politischer Umstände darzustellen – kaum hätte sie sich selbst so gesehen.78 Vielmehr könnte man ihre Biographie auch als Erfolgsgeschichte lesen – denn sie wurde „erst“ 1933 entlassen, konnte bereits 1935 wieder in den wissenschaftlichen Betrieb zurückkeh­ ren und seit 1945 auch wieder am Germanistischen Institut in Leipzig lehren. Nicht zuletzt wurde sie 1952 dort zur ersten Professorin ernannt. Zugleich war ihr Leben äußerst entbehrungsreich und sie war bei all ihren beruflichen Entscheidungen von der Fürsprache einflussreicher männlicher Mentoren abhängig – eine Ambivalenz, die ihre gesamte Biographie bestimmte. Geboren wurde Karg­Gasterstädt als Elisabeth Gasterstädt am 9. Februar 1886 als Tochter eines Diplomingenieurs und späteren Fabrikbesitzers im sächsischen Gröditz. Wie andere Frauen ihrer Generation erfuhr auch sie ihre berufliche Ausbil­ dung zunächst in einem höheren Lehrerinnenseminar. Auf Umwegen (nach einigen Jahren Berufstätigkeit) begann sie danach zunächst in Tübingen Germanistik und Neuere Sprachen zu studieren. Als sie 1915 nach Leipzig wechselte, wo sie das volle Abitur nachholte und bis 1920 studierte, war sie bereits 29 Jahre alt und damit wesentlich älter als ihre Kommilitonen. Die Zahl der Studentinnen war zu diesem Zeitpunkt noch klein, erst wenige Jahre zuvor waren Frauen in allen deutschen Ländern zum Studium zugelassen worden. Als Karg­Gasterstädt das Studium in Leipzig begann, hatte die Zahl der Studentinnen gerade die 200er Marke erreicht, was weniger als fünf Prozent der Gesamtstudentenzahl entsprach.79 Dies änderte sich im Laufe des Ersten Weltkrieges – mit den Worten Karg­ Gasterstädts: „Zum erstenmal [sic] überwog das weibliche Element“ in der Germa­ nistik. „Wir hatten nicht nur einen weiblichen Institutsdiener, von den Studenten allgemein ‚der Kob­ lischneck‘ benannt – sie vertrat mit Grazie und Anmut, wenn auch nicht immer zur vollen Zu­ friedenheit ihrer Vorgesetzten, ihren Vater […], wir hatten auch einen weiblichen Bibliothekar, Lotte Barth, von Sievers als erstem [sic] in der Fakultät in solch ein Amt eingesetzt.“ 80

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Vgl. S. Rouette, Sozialpolitik als Geschlechterpolitik, S. 258. Die Diskriminierung qua Geschlecht war für viele Frauen jener Zeit oft kein Thema. Vgl. A. Dageförde, Frauen an der Hamburger Universität, S. 265. Vgl. S. Steffens, Studium, Anhang, S. 1–2. E. Karg­Gasterstädt, Das alte Germanistische Institut, S. 635.

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Eduard Sievers war es auch, der Karg­Gasterstädt in den letzten Wochen des Krie­ ges zur Institutsbibliothekarin ernannte und ihrem Leben damit, so noch einmal sie selbst, „endgültig die Richtung gegeben hat“81. In dieser Funktion war Karg­ Gasterstädt mit der Betreuung der umfangreichen Bibliothek des Instituts und ihrer regelmäßigen Revision betraut. Zudem übernahm sie die Einführung der Studenten in die germanistische Bücherkunde – privatissime und gratis. Sievers war nicht nur gegenüber dem Frauenstudium offen, sondern begrüßte auch den weiteren akademischen Werdegang begabter Frauen. Dies war zu dieser Zeit keineswegs selbstverständlich, wie das Beispiel seines Berliner Kollegen Roethe zeigt.82 Bei Sievers promovierte Karg­Gasterstädt 1920 über die Entste­ hungsgeschichte des Parzival.83 Zu den letzten Amtshandlungen ihres Lehrers vor seiner Emeritierung gehörte es, sie 1922 – als die Ausgrenzungsbestimmungen ge­ gen Frauen zwischenzeitlich aufgehoben wurden, durchaus aber männliche Kom­ militonen als Alternative zur Verfügung gestanden hätten – zur Institutsassistentin zu machen. Damit verfügte Karg­Gasterstädt über eine günstige Ausgangsposition für einen weiteren akademischen Werdegang. Günstig insofern, da die Anstellung als Assistentin eine gute Voraussetzung für die Habilitation war.84 Günstig auch, da die Weimarer Verfassung mit der 1919 festgeschriebenen Gleichberechtigung die Habilitation auch für Frauen ermöglichte.85 Warum Karg­Gasterstädt in den folgenden Jahren nicht habilitierte, ist nicht eindeutig auszumachen. Zum einen sind dafür sicherlich die generell schlechten Aussichten für Frauen auf dem akademischen Markt zu nennen; ihr Anteil lag 1929 bei weniger als 1 Prozent.86 Zum anderen hing der unterbliebene Versuch, sich zur 81 82

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Ebd. So schrieb Gustav Roethe, der als radikaler Gegner des Frauenstudiums galt, an seinen Schwa­ ger Edward Schröder: „Ich halte es für fast einen Frevel, Bestrebungen zu unterstützen, die unsern Frauen das rauben, was sie zur Blüte des Menschtums und zu der höchsten sittlichen Macht unseres Lebens macht: Schönheit, Scham, Unschuld. Und weiter: ich müsste als akadem[ischer] Lehrer mein Bestes, meine männliche Persönlichkeit, ihres Kernes berauben, wenn ich sie vor gemischten Publikum preisgäbe oder aber wenn ich sie aus Rücksicht auf die ‚Damen‘ zurückdrängte.“ Brief von G. Roethe an E. Schröder vom 29. Juni 1896, in: D. Rup­ recht / K. Stackmann (Hg.), Briefwechsel, Bd. I, Brief­Nr. 2023. Vgl. E. Karg­Gasterstädt, Die Entstehungsgeschichte des Parsival. Vgl. S. Paletschek, Die permanente Erfindung einer Tradition, S. 257–258. Paletschek wies jedoch auch darauf hin, dass gerade bei Frauen die Assistentur nur sehr selten die Habilitation nach sich zog. In Tübingen jedenfalls habilitierte sich keine der 71 Assistentinnen. Gleichwohl gab es wiederholt Versuche von Frauen, zum Teil auch erfolgreich, sich zu habilitieren. Vgl. H. Häntzschel, Geschichte. Auf der Grundlage der gesetzlichen Gleichstellung von Männern und Frauen durfte seit 1920 das bisher geltende Gewohnheitsrecht der Universitätsgremien, die Ablehnung eine Habilitati­ onsantrages mit dem Geschlecht zu begründen, nicht mehr angewendet werden. Vgl. ebd., S. 87. Vgl. S. Marggraf, Sonderkonditionen, S. 43. Exemplarisch sei die spöttische Bemerkung von Edward Schröder zitiert, der Petersen angesichts des Habilitationsgesuchs von Melitta Gerhard fragte: „auf welche Erfahrungen u[nd] Erwartungen sich denn die akademischen Aussichten des Frln G[erhard] gründeten: eine gewissenhafte Facultät könne doch keinen unheilbaren Stotterer, Blinden oder Stocktauben zur akadem[ischen] Karriere zulassen, u[nd] ebensowenig eine Person, deren geschlechtlicher Charakter nun einmal unveränderlich sei u[nd] sie vor­

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Habilitation anzumelden, wohl mit der Emeritierung ihres Mentors Sievers zusam­ men. Ihm folgte der junge Friedrich Neumann, der nur wenig Einfluss in der Fakul­ tät hatte, womöglich zu wenig, um eine Frau zur Habilitation zu führen.87 Es ist nicht auszuschließen, dass – hätte Sievers noch fünf, sechs Jahre weitergewirkt – Karg­Gasterstädt sich doch habilitiert hätte. Unter Neumann geschah dies jeden­ falls nicht, und auch nicht unter dessen Nachfolger Frings. Dies hing nun wiederum sicher auch mit Karg­Gasterstädts Alter zusammen. Mitte der 1920er Jahre war sie bereits 40 Jahre alt, ein Alter, in dem man als Mann bereits auf ein Ordinariat beru­ fen werden konnte. Ein weiterer Grund für den gehemmten Werdegang war die Tatsache, dass Karg­Gasterstädt 1922 den damaligen Leiter der Volkshochschule, Fritz Karg, heiratete, der sich seinerseits ein Jahr später bei Neumann habili­ tierte – ein finanziell nicht abgesicherter Privatdozent in der Familie reichte wahr­ scheinlich. Bereits vor 1933 gab es Überlegungen, Karg­Gasterstädt im Zuge der Maßnah­ men gegen Doppelverdienerinnen zu entlassen,88 doch gelang es Frings, diesen Schritt immer wieder hinauszuzögern. Im Herbst 1933 war er allerdings nicht mehr aufzuhalten. Als wenige Monate nach ihrer Entlassung auch ihr Mann gehen musste (vgl. oben), machte Frings erneut seinen Einfluss geltend und schlug dem Volksbil­ dungsministerium vor, dass Karg­Gasterstädt Kargs Lehrveranstaltungen teilweise übernimmt.89 Von Seiten des Ministeriums wurde die Idee zunächst unterstützt, be­ gründet mit dem großen Vertrauen, dass die ehemalige Institutsassistentin genie­ ße.90 Wenig später einigte sich die Fakultät jedoch darauf, Karg­Gasterstädt von der Lehre endgültig zu entbinden. Möglicherweise hatte es Beschwerden von Studie­ renden und Kollegen gegeben; jedenfalls sei es, so der Dekan, eine „Unmöglich­ keit“, Karg­Gasterstädt nach der Entlassung ihres Mannes (aufgrund von Unter­ schlagung) „bis auf weiteres zu Unterricht oder Prüfung heranzuziehen“.91 Frings’ Einsatz, die zunächst wohlwollende Haltung der Fakultät sowie die vorübergehende Entscheidung des Ministeriums verweisen interessanterweise jedoch auf Spiel­ räume, die es offensichtlich auch in dieser Frage immer wieder gab.

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läufig (u[nd] hoffentlich dauernd) vom Ordinariat ausschließe.“ Brief von E. Schröder an G. Roethe vom 12. März 1926, in: D. Ruprecht / K. Stackmann (Hg.), Briefwechsel, Bd. 2, Brief­Nr. 4942 [Hervorhebung im Original]. Die durch Professoren geschaffene „Möglichkeit, wissenschaftlich zu arbeiten und damit gleichzeitig Geld zu verdienen, war in der unsicheren Position von jungen Wissenschaftlerin­ nen“ von großer Bedeutung. Nur auf diesem Weg konnten sie als Mitglied der wissenschaftli­ chen Gemeinschaft wahrgenommen werden. Vgl. L. Harders, Studiert, promoviert: Arriviert?, S. 97–98. Aus einem Schreiben des Universitätsrentamtes geht hervor, dass Karg­Gasterstädt im Zuge der Verordnung gegen Doppelverdienertum vom 22. Dezember 1930 zu entlassen sei. Schrei­ ben des Universitätsrentamtes an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 13. Januar 1931, in: SächsHStA Dresden, MfV 10225 / 1, Bl. 59. Vgl. Schreiben von T. Frings an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 19. Februar 1934, in: UAL, PA 619, Bl. 462. Vgl. Schreiben des Sächsischen Ministeriums für Volksbildung an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 19. Februar 1934, in: Ebd., Bl. 465. Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 7. März 1934, in: Ebd., Bl. 487.

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Die Ereignisse 1933 bedeuteten für Karg­Gasterstädt in den folgenden Jahren eine Entfernung von der Universität, nicht jedoch von Frings: Nachdem sie sich noch 1934 von ihrem Mann hatte scheiden lassen und somit nicht mehr unter die Kategorie „Doppelverdienerin“ fiel, übernahm sie zum 1. Januar 1935 die Bearbei­ tung des unter der Leitung von Frings stehenden Althochdeutschen Wörterbuchs.92 Die Vorbereitung und Herausgabe der ersten Bände gelten als ihre wichtigste wis­ senschaftliche Leistung.93 Über das Wörterbuch bestand weiterhin ein regelmäßi­ ger Kontakt zu Frings. Dies zeigte sich nicht nur in der gemeinsamen Verantwor­ tung für das Wörterbuch, sondern auch darin, dass Frings sie in der angespannten politischen und personellen Situation 1945 an das Germanistische Institut zurück­ holte und sich dafür einsetzte, dass sie im Februar 1946 die wissenschaftliche Oberassistentenstelle am Institut erhielt – jene Stelle also, die sie vor 13 Jahren hatte aufgeben müssen. In den folgenden Jahren wurde Karg­Gasterstädt eine der tragenden Säulen in der Ausbildung der Studierenden im Bereich der Älteren deutschen Philologie in Leipzig. Die berufliche Bindung zu Frings blieb bestehen. Dabei schätzte er neben ihren fachlichen Leistungen gerade auch ihre „aufopferungsvolle“ Arbeit und ihr „bescheidenes überlegenes frauliches Wesen“94, denn sie habe „keinen anderen Ehrgeiz gehabt, als der Wissenschaft und der Jugend des Germanistischen Instituts der Universität Leipzig zu dienen. Sie war meine Helferin und Beraterin bei allen Neuordnungen des Germanistischen Studiums“95, so Frings 1950. Diese Charakte­ risierung verweist auf das Verhältnis zwischen Mentor und Mentee, aus dem sich die gleichaltrige Germanistin nie hatte befreien können. Ihre Ernennung zur Profes­ sorin mit vollem Lehrauftrag 1952, wenige Jahre vor ihrer Emeritierung und wie­ derum forciert durch Frings, war somit beides: Auszeichnung und Würdigung ihrer Arbeit sowie Zeichen ihrer strukturellen Abhängigkeit.96 Die Entlassung von Elisabeth Karg­Gasterstädt 1933 zählt zu den politisch mo­ tivierten Abgängen während des Dritten Reichs. Sie fällt ebenso wie die Entlassung von Witkowski in die revolutionäre Anfangsphase des Nationalsozialismus. Ein Wiedereinstieg in die Universität blieb auch ihr während dieser Zeit verwehrt; erst unter den spezifischen Bedingungen nach 1945 konnte er ihr gelingen. Insofern ist ihr Beispiel einerseits repräsentativ für politische Entlassungen im Nationalsozia­ lismus. Andererseits unterscheidet sich ihr Fall jedoch von anderen, denn ihre Ent­ 92

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1935, nach dem Tod von Elias Steinmeyer, kam der von ihm angelegte Zettelkatalog des Althochdeutschen Wörterbuchs von Erlangen nach Leipzig, und die 335 Zettelkästen wurden in der Leipziger Universitätsbibliothek aufgestellt. Ziel des Projektes war die Erfassung des ge­ samten überlieferten Wortschatzes vom 7. bis zum 11. Jahrhundert. Die Finanzierung erfolgte zunächst über die Deutsche Akademie in München, nach dem Krieg wurde sie von der Sächsi­ schen Akademie der Wissenschaften in Leipzig übernommen. Das Althochdeutsche Wörterbuch erscheint seit 1952 und gehört noch heute zu den wichtigen sprachhistorischen Projekten der Akademie. Vgl. R. Große, Elisabeth Karg-Gasterstädt, S. 82. Schreiben von T. Frings [o. Adressat] vom 2. November 1949, in: UAL, PA 1125, Bl. 13. Schreiben von T. Frings [o. Adressat] vom 18. Juli 1950, in: Ebd., Bl. 14. Zu den Arbeitsbedingungen von Akademikerinnen in der DDR vgl. G.­F. Budde, Frauen der Intelligenz.

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lassung schwebte (angesichts der jahrelangen Debatten) seit spätestens Anfang der 1930er Jahre wie ein Damoklesschwert über ihr. Mit anderen Germanistinnen teilte Karg­Gasterstädt die Erfahrung der akademischen Sozialisation auf Umwegen und die maßgebliche Abhängigkeit von einflussreichen Mentoren.97 2.3 „Nichtarisch“. Die Entlassung jüdischer Germanisten Die Entlassung „jüdischer“ und „jüdisch versippter“ Lehrkräfte infolge des „Geset­ zes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933 erfuhr in der Forschung eine ausführliche Darstellung.98 Auch verzichtet kaum eine Universi­ täts- oder Fachgeschichte zum Dritten Reich auf die Auflistung ihrer entlassenen Dozentinnen und Dozenten. Dennoch bestehen weiterhin Lücken in der Aufarbei­ tung. So veranlasste die Frage, wie viele Hochschullehrerinnen und Hochschulleh­ rer insgesamt tatsächlich entlassen wurden, Michael Grüttner und Sven Kinas zuletzt zu der Aussage, dass darüber „noch völlige Unklarheit“99 herrscht. Zudem unterbleibt häufig eine soziale und religiöse Differenzierung der aus rasseideologi­ schen Gründen Entlassenen. Doch bereits der Blick auf die vertriebenen Germanis­ ten und Germanistinnen offenbart eine Reihe von Unterschieden bzgl. sozialer Position, Generations­ und Religionszugehörigkeit, Werdegang oder politischer Einstellung. Eine Analyse dieser Differenzen für das gesamte sample kann hier nicht geleistet werden. Vielmehr werde ich mich exemplarisch mit den entlassenen Germanisten Georg Witkowski, Max Herrmann und Werner Richter beschäftigen, wobei ich auf Ähnlichkeiten und Unterschiede eingehen werde. Mein Blick richtet sich im Folgenden zum einen auf die Entlassungen und je­ weiligen Begleitumstände. Denn erst ihre Darstellung macht die neue Qualität von Diskriminierung deutlich und erklärt die dadurch verursachte tiefe Verunsicherung der Betroffenen. Zum anderen geht es um Biographie und akademischen Werde­ gang der drei Germanisten. Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede gab es? Wel­ che Parallelen oder Differenzen zu ihren nichtjüdischen Kollegen? In welcher Form erfuhren die drei Germanisten Ausgrenzung und Diskriminierung bereits vor ihrer Entlassung? Wie war ihre Selbstwahrnehmung als Bestandteil des wissenschaftli­ chen Systems? Diese Fragen gilt es aufgrund der biographischen Ähnlichkeiten zunächst am Beispiel von Witkowski und Herrmann zu beantworten; darauf folgt das Kapitel über Werner Richter. 97

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Vgl. L. Harders, Studiert, promoviert: Arriviert?, S. 20–23. Doch während Agathe Lasch in Hamburg oder Melitta Gerhard in Kiel 1933 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft nach ihrer Entlassung deportiert wurden oder emigrierten, blieb Karg­Gasterstädt in Deutschland. Zu Agathe Lasch vgl. Anm. 67 in diesem Kapitel. Melitta Gerhard war die erste Frau, die die venia legendi für deutsche Literaturgeschichte erhielt. Daraufhin arbeitete sie in Kiel als Dozentin, bis sie 1933 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft entlassen wurde. Später emigrierte sie in die USA, wo sie erfolgreich als Germanistin arbeitete. 1946 erhielt sie eine Professur am Witten­ berg College in Springfield / Ohio. Vgl. G. Dane, Melitta Gerhard. Vgl. neben den bereits Genannten auch S. Gerstengarbe, Die erste Entlassungswelle. Vgl. M. Grüttner / S. Kinas, Vertreibung, S. 124.

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Noch ein Wort bezüglich der Zuschreibung „jüdisch“. Hier gilt es zu differen­ zieren: Witkowski und Richter gehörten 1933 zur Gruppe der konvertierten Juden. Richter war als Kind getauft worden und weder religiös noch kulturell an das Judentum gebunden. Für Witkowski spielte Religion eine untergeordnete Rolle, sodass es für ihn unproblematisch war, im Laufe seiner Karriere dem aufkommen­ den „Taufdruck“ nachzugeben.100 Gleichwohl fühlte er sich kulturell und sozial dem Judentum verbunden. Herrmann schließlich war praktizierender Jude und lange Mitglied der Berliner jüdischen Gemeinde.101 Die Frage der Selbst­ bzw. Fremdzuschreibung des Jüdisch­Seins spielte für die Nationalsozialisten jedoch keine Rolle. Einem rassischen Antisemitismus folgend, waren für sie all jene Ju­ den, die jüdische Eltern hatten. „Jüdischer Mischling“ war, wer jüdische Groß­ eltern hatte, als „jüdisch versippt“ galt, wer mit einem Juden oder einer Jüdin ver­ heiratet war. Wenn ich im Folgenden von „jüdischen Germanisten“ spreche, so ist mir die Problematik dieser (Fremd­)Zuschreibung bewusst. Da es sich jedoch um die Betrachtung der Entlassungsmuster handelt – und gerade hier war das rasse­ ideologische Merkmal entscheidend – erscheint mir diese Zuschreibung gerecht­ fertigt.102 a) „Ruchlose Optimisten“? 103 Georg Witkowski und Max Herrmann Im April 1933 erging an die Philosophischen Fakultäten von Seiten der Volksbil­ dungsministerien die Aufforderung, jene Personen zu nennen, auf die das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ (BBG) vom 7. des Monats in An­ wendung käme.104 Die Fakultäten erstellten daraufhin Listen, auf denen die Beam­ 100 Witkowskis Eltern gehörten der Reformationsgemeinde an. Sie schickten ihren Sohn regelmä­ ßig zu einem Prediger zum Unterricht. Doch „was dort gelehrt wurde, weckte in meinem Inne­ ren keinen Widerhall“, wie Witkowski in seiner Autobiographie schrieb. Erst sehr viel später erwachte in ihm ein religiöses Bedürfnis: „ich habe mir meinen festen Glauben selbst erwor­ ben, fußend auf der Überzeugung des alles durchdringenden Waltens des Göttlichen, der durch keine äußere Hemmung zu besiegenden sittlichen Freiheit und der Fortdauer der Persönlichkeit nach dem Tode in irgendeiner uns nicht erkennbaren Form.“ G. Witkowski, Von Menschen und Büchern, S. 42. 101 1929 war Herrmann gemeinsam mit seiner Frau aus Protest über eine zionistische Aktion, die von seiner Gemeinde unterstützt wurde, aus ihr ausgetreten. Vgl. M. Hambrock, Die Etablierung der Außenseiter, S. 286. 102 Vgl. S. Held, Jüdische Hochschullehrer, S. 208. 103 Bei der Beschreibung seiner eigenen Haltung zum Leben rekurrierte Witkowski in seiner Auto­ biographie, die er 1937 schrieb, auf seinen Vater, von dem er „den beträchtlichsten Teil des Guten, was mir an Gaben und Schickungen zuteil wurde“ habe, aber auch „jene Neigung, die Dinge nicht ernst genug zu nehmen und schweren Entscheidungen solange wie möglich auszu­ weichen, den ‚ruchlosen‘ Optimismus, die schönfärbende Phantasie. […] auch jetzt noch, da an meinem Horizont kaum eine lichte Stelle mehr zu entdecken ist.“ G. Witkowski, Von Menschen und Büchern, S. 25. 104 Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ war die Voraussetzung dafür, dass jüdische Dozenten und Professoren sowie angebliche oder tatsächliche politische Gegner aus den Hochschulen vertrieben werden konnten. Zunächst im Amt blieben Professoren und Do­ zenten, die bereits 1914 Beamte gewesen waren oder im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten. Sie

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ten „nichtarischer Abstammung“ und „politischer Unzuverlässigkeit“ verzeichnet waren.105 Mit diesen mageren Informationen (Namen, Vorwurf) versehen, setzte innerhalb der Volksbildungsministerien eine bürokratische Maschinerie ein, die die genannten Beamten überprüfte.106 Dies nahm einige Zeit in Anspruch und führte dazu, dass die meisten von ihnen „erst“ im Spätsommer / Herbst 1933 endgültig und nach § 3 BBG – also aufgrund ihrer jüdischen Herkunft – entlassen wurden.107 Die­ ser bürokratische Prozess scheint den nationalsozialistischen Aktivisten vor Ort zu langsam gewesen zu sein. Deshalb waren die Betroffenen neben den offiziellen Maßnahmen mit aggressiven Angriffen, Verleumdungen und Denunziationen kon­ frontiert.108 So auch Witkowski: Unabhängig von den Maßnahmen im Zuge des BBG erhielt er am 29. April ein Schreiben des Sächsischen Volksbildungsministeriums. Darin wurde ihm vorgeworfen, antinational aufgetreten zu sein. Dies sei Anlass genug, um ihn von der Lehre bis „zur Klärung des Tatbestandes“109 zu entbinden. Für Witkowski waren diese Vorwürfe eine unangemessene persönliche Kränkung, bedeuteten sie doch eine grundlegende Infragestellung seiner patriotischen Gesinnung und einen Angriff auf seinen unbescholtenen Ruf als Professor. Ausführlich teilte er dies in ei­ nem Schreiben an das Ministerium mit und schloss mit den Worten: „Ich fühle mich durch den von unbekannter Seite erhobenen, meine Ehre aufs schwerste krän­ kenden Vorwurf tief verletzt und bitte, die in Aussicht gestellte Klärung des Tatbestandes so

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wurden spätestens im Zuge des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 entlassen. Nach § 3 des BBG hieß es: „Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand […] zu versetzen. […] Abs. 1 gilt nicht für Beamte, die bereits seit dem 1. August 1914 Beamte gewesen sind oder die im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbün­ deten gekämpft haben oder deren Väter oder Söhne im Weltkrieg gefallen sind.“ § 4 des BBG wandte sich gegen „politische Gegner“: „Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betäti­ gung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden.“ Auszüge aus dem BBG, zitiert nach S. Gerstengarbe, Die erste Entlassungswelle, S. 17–19. Dieses Dokument verweist auf die Unsicherheiten, die offensichtlich über die „rassische Her­ kunft“ der Benannten herrschte und die daher nur, wie es hieß, „möglicherweise“ von dem Gesetz betroffen waren – eine Klärung des Tatbestandes stehe noch aus. Im Fall von Witkow­ ski wurde im Schreiben zudem betont, dass es sich um einen „hervorragenden Vertreter“ seines Fachs handele, der „nie politisch hervorgetreten“ sei. Hier lässt sich eine gewisse Zurückhal­ tung der Fakultät gegenüber den Maßnahmen erkennen. Zugleich jedoch verweist der abschlie­ ßende Passus des Schreibens auf die prinzipielle Unterstützung des Gesetzes: „Wir begrüßen durchaus die auf die Zurückdrängung des jüdischen Einflusses an den deutschen Hochschulen gerichteten Bestrebungen der Regierung, dürfen aber hervorheben, dass die Philosophische Fakultät Leipzig zu den am wenigsten ‚verjudeten‘ Fakultäten gerechnet werden kann.“ Schrei­ ben der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 19. April 1933, in: UAL, PA 1074, Bl. 551. Denn weder politisches Engagement noch die jüdische Herkunft nach Konversion waren aus den Personalakten erkennbar. So wurde Witkowski am 19. September 1933 entlassen, Herrmann am 16. September 1933, Richter im November des Jahres. Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 203–207. Vgl. Schreiben des Sächsischen Ministeriums für Volksbildung an G. Witkowski vom 29. April 1933, in: UAL, PA 1074, Bl. 552.

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Germanistenleben bald als möglich herbeizuführen, damit ich von dieser Seelenlast befreit und die Beeinträchti­ gung des Lehrbetriebs […] eingeschränkt werde.“ 110

Auf das Schreiben erhielt Witkowski wochenlang keine Antwort, auch auf die bei­ den folgenden nicht, in denen er erfahren wollte, von wem die Vorwürfe eigentlich stammen, damit diesem „Gelegenheit gegeben werde, [s]ich zu verantworten.“111 Erst drei Monate nach dem ersten Schreiben erhielt Witkowski eine Reaktion des Ministeriums. In ihrem Schreiben legten sie ihre Sicht der Dinge dar. So hätten am 28. April „mehrere Vertreter verschiedener Leipziger Organisationen“ dem Mi­ nister mündlich (!) mitgeteilt, dass Witkowskis „bisherige geistige Gesamthaltung in wissenschaftlicher und politischer Beziehung […] in entschiedenem Gegensatze zu dem Geist [stehe], der bei der nationalen Revolution zum Durchbruch gelangt sei.“112 Ohne zu zögern oder die Gerüchte zu überprüfen, hatte das Ministerium daraufhin das Lehrverbot veranlasst.113 Doch diese politischen Vorwürfe waren offensichtlich nur ein Vorwand, um Witkowski, dem man die jüdische Herkunft erst nachweisen musste, auszuschalten. So berichtete das Ministerium weiter, dass es nach Prüfung der Vorwürfe zuletzt keinen Anlass gab, ein Verfahren auf Grundlage von § 4 BBG, also aus politischen Gründen, einzuleiten.114 Auf dieses Schreiben reagierte Witkowski nicht mehr. Am 19. September 1933 wurde er nach § 3 BBG endgültig in den Ruhestand versetzt. Wie tief ihn die Vorwürfe getroffen haben, deutet sich in den Briefen an, in denen er von der seelischen Last und der tiefen Verletzung seiner Ehre sprach. Da­ bei hob er seine nationale Gesinnung hervor, die sich im patriotischen Einsatz wäh­ rend des Ersten Weltkrieges spiegele,115 sowie seine Treue zur Universität und seine Leistungen als Professor: 110 Schreiben von G. Witkowski an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 30. April 1933, in: Ebd., Bl. 556. 111 Schreiben von G. Witkowski an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 4. Juni 1933, in: Ebd., Bl. 560. 112 Schreiben des Sächsischen Ministeriums für Volksbildung an G. Witkowski vom 25. Juli 1933, in: Ebd., Bl. 563. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde Witkowski von einem seiner ehemali­ gen Studenten, dem Kreisführer für Mitteldeutschland des NSDStB, Wolf Friedrich, denun­ ziert. Solche Denunziationen waren kein Einzelfall und zum Teil mit persönlichen Motiven verbunden. Friedrich etwa hatte 1932 bei Witkowski die Prüfung nicht bestanden. Zur politi­ schen Denunziation in der Phase der „wilden Entlassungen“ in Leipzig vgl. M. Parak, Politische Entlassungen, S. 244 –245. 113 Ähnliche Abläufe gab es auch in anderen Fällen. Insgesamt wurden allein in Leipzig acht Do­ zenten aufgrund politischen Anschuldigen vom Lehrbetrieb beurlaubt; Beweismaterial wurde in keinem der Fälle erbracht. Vgl. ebd., S. 245. 114 Vielmehr wurden die vagen Vorwürfe nur wiederholt: „Die Verhältnisse [liegen] nach wie vor so, dass im Hinblick auf Ihre Gesamthaltung in national­politischer Beziehung eine Wiederauf­ nahme ihrer […] Lehrtätigkeit nicht tunlich erscheint.“ Schreiben des Sächsischen Ministeri­ ums für Volksbildung an G. Witkowski vom 25. Juli 1933, in: UAL, PA 1074, Bl. 563. 115 Um seine zuverlässige Gesinnung zu untermauern, führte Witkowski aus: „Ich habe mich bei Kriegsausbruch sofort zum Kriegsdienst gemeldet, obwohl ich damals schon fast 51 Jahre zählte. Ich habe sodann eine große Zahl Vaterländischer Abende geleitet, um die Herzen der Leipziger Bürger zu stärken, und als Anerkennung dafür das Kriegsverdienstkreuz empfangen. Noch am 28. August 1932 ist mir die Goethe­Medaille des Reichspräsidenten verliehen wor­

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„Ich darf zugleich daran erinnern, dass ich gegenwärtig der am längsten […] im Dienste der Sächsischen Landesregierung stehende Dozent bin und dass in diesem langen Zeitraum nie­ mals der geringste Einwand gegen meine Lehrtätigkeit und die in ihr bekundete wissenschaft­ liche und menschliche Gesinnung erhoben worden ist.“ 116

Bereits diese wenigen Briefe zeigen die Kräfteverschiebungen im wissenschaftli­ chen Feld nach der Machtergreifung: Witkowski ging weiterhin davon aus, dass es etwas zu verhandeln gäbe und forderte die Klärung der Vorwürfe. Unter der geän­ derten personellen und politischen Konstellation im Ministerium jedoch war daran niemand mehr interessiert.117 So blieben seine Briefe monatelang unbeantwortet, und die in Aussicht gestellte Klärung der Angelegenheit kam nie zustande. Aus heutiger Sicht wird erkennbar, dass das BBG und die Angriffe der NS­ Aktivisten ähnliche Ziele verfolgten. Die ehrliche Empörung Witkowskis verweist jedoch darauf, dass viele Zeitgenossen die Verflechtung nicht erkannten. Dies galt gerade für jene, die wie er ihr Leben lang um Integration und Anerkennung als Deutsche gerungen hatten und die geglaubt hatten, dass ihre Integration erfolgreich gewesen war. Eine ähnliche Haltung findet sich 1933 bei Max Herrmann. Auch er hatte sich eine beachtete Stellung in der Berliner Universität erarbeitet, und aus dieser Posi­ tion heraus wandte er sich im Mai 1933 an das Preußische Volksbildungsministe­ rium. Aus Protest gegen Aktionen der NS­Studentenschaft beantragte er seine Be­ urlaubung vom Lehrbetrieb, und zwar solange, „wie in der Universität die von der deutschen Studentenschaft erlassene Erklärung ‚Wider den undeutschen Geist‘ aushängt. Meinem Ehrgefühl, dass in meiner allzeit gehegten und bekun­ deten nationaldeutschen Gesinnung tief verwurzelt ist, widerstrebt es auf das entschiedenste, meine akademische Tätigkeit in einem Hause auszuüben, in welchem über die Angehörigen meiner Gemeinschaft, zu der ich durch meine Geburt gehöre, öffentlich gesagt wird: ‚Der Jude kann nur jüdisch denken, schreibt er deutsch, dann lügt er‘ – [dies; AL] widerstrebt mir um so entschiedener, als ich ja gerade das Wesen deutschen Geistes den Studenten zu verkünden habe. Ich schreibe deutsch, ich denke deutsch, ich fühle deutsch, und ich lüge nicht.“ 118

Ähnlich Witkowski argumentierte auch Herrmann mit nationaler Überzeugung und seiner Position als Hochschullehrer und Ehrenmann. Und auch er forderte die Klä­ rung der Angelegenheit durch das Ministerium. Noch eindeutiger als Witkowski trennte Herrmann dabei die Aktionen der NS-Studenten von der offiziellen Politik. So hieß es in seinem Brief weiter: „Ausdrücklich darf ich hervorheben, dass meine Bitte durchaus keinen Widerstand gegen die nationale Regierung bedeutet, von ihr ist ja jene mir völlig untragbare Erklärung keineswegs den, mit ehrenden, von Hindenburg unterzeichneten Begleitworten.“ Schreiben von G. Wit­ kowski an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 30. April 1933, in: Ebd., Bl. 553. 116 Ebd., Bl. 555–556. 117 Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 84 –86. 118 Schreiben von M. Herrmann an das Preußische Volksbildungsministerium vom 1. Mai 1933, zitiert nach S. Corssen, Max Herrmann, S. 80–81. Die Verteilung der Plakate „Wider den un­ deutschen Geist“ hatte in der Berliner Universität zur Auseinandersetzung zwischen dem Rek­ tor Eduard Kohlrausch und der Studentenschaft geführt. Vgl. W. Treß, Bücherverbrennung, S. 73.

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Germanistenleben ausgegangen, sie verwehrt vielmehr immer wieder nicht autoritativen Stellen, eigenmächtig vorzugehen.“ 119

In beiden Fällen forderten die Professoren die Einhaltung der akademisch­rechtli­ chen Normen und die Wiederherstellung ihrer Ehre als Professor. In beiden Fällen hatten sie damit keinen Erfolg. Aus politischer und damit auch ministerieller Sicht galten sie fortan als „Juden“ und verloren damit nicht nur ihre Stelle, die Lehrbe­ fugnis, einen großen Teil ihres Einkommens und ihr Wirkungsfeld. Sie verloren auch den Status als Personen, die auf Augenhöhe mit den Volksbildungsministerien verhandeln konnten. In den folgenden Jahren erfuhren Herrmann und Witkowski fortschreitende Isolation und Diskriminierung. Nur einige Andeutungen finden sich darüber in Wit­ kowskis Autobiographie, die ansonsten das Kapitel 1933 ausblendet.120 Einige von Herrmanns Erfahrungen sind durch seine Schülerin Ruth Mövius überliefert.121 Witkowski und Herrmann versuchten unter den schlechten Bedingungen weiter wissenschaftlich zu arbeiten.122 Doch nach und nach verloren sie alles, was dafür notwendig war (den Zugang zu Bibliotheken durch die entsprechenden Gesetze, die eigene Bibliothek durch Flucht). Witkowski reiste mehrere Male ins Ausland und zog Ende der 1930er Jahre zu Verwandten nach Holland, wo er 1939 starb. Herr­ mann konnte sich lange nicht dazu durchringen, Deutschland zu verlassen. In sei­ nen Augen würde die Emigration „einen völligen Bruch mit den innersten Seiten meines Wesens, ein Aufgeben all meiner Lebensmöglichkeiten“123 bedeuten. Erst nach der Reichspogromnacht war er bereit zu emigrieren, nur hatten sich bis dahin 119 Schreiben von M. Herrmann an das Preußische Volksbildungsministerium vom 1. Mai 1933, zitiert nach S. Corssen, Max Herrmann, S. 81. 120 In einem Brief vom Mai 1934 an Richard Alewyn, der zu diesem Zeitpunkt bereits emigriert war, wurde Witkowski etwas konkreter: „Wir leben wie auf einer stillen Insel im stürmischen Weltmeer […]. Und die Zeitverhältnisse tragen dazu bei, uns zu isolieren, was im Grunde gar nicht übel ist, da man so auch vieles nicht sieht und hört, was die innere Ruhe stören kann.“ Brief von G. Witkowski an R. Alewyn vom 25. Mai 1934, in: DLA Marbach, A: Alewyn, 89.5.1784. 121 So war es Max Herrmann (wie allen jüdischen Bürgern) untersagt, die Universitätsbibliothek zu nutzen. Auch in der Staatsbibliothek war ihm der Zutritt zu den Lesesälen verwehrt, jedoch erhielt er für einige Zeit die Sondervergünstigung, Bücher in der Ausleihe einzusehen. Bei ei­ nem Besuch der Bibliothek 1940 begleitete ihn seine Schülerin Ruth Mövius und berichtete später über die entwürdigenden Details. So kam der 75­jährige Herrmann in der Bibliothek nach zweistündigem Fußmarsch an, da die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel und das Überqueren bestimmter Straßen und Plätze jüdischen Bürgern verboten war. Er setzte sich auf ein im Ausleihraum stehendes Sofa, um auszuruhen. Sofort wurde er von einem Beamten auf­ gefordert, aufzustehen, da Juden in der Bibliothek nicht sitzen dürften. Herrmann, der die Bü­ cher für seine Arbeit unbedingt einsehen musste, arbeitete daraufhin zwei Stunden an einem Stehpult, um dann wiederum zwei Stunden nach Hause zurückzulaufen. Vgl. R. Mövius, Das Vermächtnis, S. 37–38. An dieses Ereignis erinnernd verleiht die Staatsbibliothek heute einen Max­Herrmann­Preis, der an besonders hilfsbereite Bibliothekare verliehen wird. 122 So arbeitete Herrmann in den 1930er Jahren an seiner letzten großen Untersuchung über Die Entstehung der berufsmäßigen Schauspielkunst, die 1961 postum herausgegeben wurde. 123 Brief von M. Herrmann an die bereits in die USA emigrierte Vera Lachmann vom 18. Juli 1941, zitiert nach S. Corssen, Max Herrmann, S. 84. Das Bekenntnis zum Deutschtum war für viele

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die Bedingungen dafür so verschlechtert, dass ihm die Ausreise nicht mehr gelang. Am 8. September 1942 wurde das Ehepaar Herrmann nach Theresienstadt depor­ tiert, wo Max Herrmann in der Nacht vom 16. zum 17. November im Alter von 77 Jahren starb. Die Zerrissenheit sowie die Fehleinschätzung der Lage waren nicht untypisch für deutschnationale und auf Integration bedachte Juden.124 Das völkisch­antisemi­ tische Argument, dass „der Jude“ nicht deutsch denken, handeln und fühlen könne, sondern eben nur jüdisch, hatten Witkowski und Herrmann ihr Leben lang be­ kämpft. Sie gehörten zu den assimilierten Juden, die energisch ihre nationale Inte­ gration betrieben hatten. Für sie als Germanisten spielte das Bekenntnis zum Deutschtum und vor allem zur deutschen Literatur eine herausragende Rolle. Trotz Rückschlägen in der eigenen akademischen Biographie glaubten sie an die Kraft der Assimilation, die auf lange Sicht den dumpfen Antisemitismus beenden würde. Umso schmerzvoller muss die Erfahrung gewesen sein, mit der sie am eigenen Leib das letztendliche Scheitern dieses Prozesses erleben mussten. Witkowski und Herrmann, 1863 bzw. 1865 geboren, gehörten derselben Generation an und stammten aus jüdischen Berliner Bürgerfamilien. Max Herrmanns Vater war Buchhändler, Journalist bei der Täglichen Rundschau und Dramaturg. Die Mutter kam aus einer alten freiherrlichen Familie. Witkowski stammte aus dem Wirtschafts­ bürgertum. Der Vater war Kaufmann und gründete 1861 ein eigenes Bankgeschäft. Im Zuge des Börsenkrachs 1873 brach das Unternehmen zusammen, und die Fami­ lie zog verarmt nach Leipzig, wo dem Vater der berufliche Wiederaufstieg gelang. Witkowskis Lebensmittelpunkt war seitdem die Stadt an der Pleiße, wo er das Abitur machte und sein Studium begann. Da in München das Angebot für Neuere Literaturgeschichte besser war, wechselte er für einige Jahre dorthin, studierte und promovierte bei Michael Bernays zur Literaturgeschichte des 17. Jahrhunderts.125 Herrmann machte 1884 in Berlin Abitur und studierte Germanische Philologie und Geschichte in Freiburg, Göttingen und Berlin. In Berlin promovierte er bei Edward Schröder über Albrecht von Eyb.126

Juden ein gewichtiger, wenn nicht gar der wichtigste Grund, der gegen die Ausreise sprach. Vgl. W. Benz, Die jüdische Emigration, Sp. 6. 124 So gab auch Victor Klemperer in seinen Tagebüchern ein Gespräch über Emigration vom Juli 1935 wider: „Von irgend jemandem in Jerusalem sagte Kaufmann: er fühle sich wohl und sei doch vordem ‚so assimiliert gewesen, wie sie es waren, Herr Professor‘. Ich antwortete: ‚Wa­ ren? Ich bin für immer Deutscher, deutscher ‚Nationalist‘.“ Und noch im Mai 1942 schrieb Klemperer: „Ich muss daran festhalten: ich bin deutsch, die anderen sind undeutsch; ich muss daran festhalten: der Geist entscheidet, nicht das Blut. Ich muss daran festhalten: Komödie wäre von meiner Seite der Zionismus – die Taufe ist nicht Komödie gewesen.“ Tagebuch­ einträge vom 21. Juli 1935 [Hervorhebung im Original] bzw. vom 11. Mai 1942, in: V. Klem­ perer, Tagebücher 1933–1945. 125 Vgl. G. Witkowski, Diederich von dem Werder. Ein Beitrag zur deutschen Litteraturgeschichte des siebzehnten Jahrhunderts. 126 Vgl. M. Herrmann, Albrecht von Eyb. Ein Bild aus der deutschen Frührenaissance.

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Die Parallelen zwischen Witkowski und Herrmann hinsichtlich Herkunft und Studienverlauf sind offensichtlich.127 Zugleich ähnelte ihre Sozialisation der ihrer späteren nichtjüdischen Zeitgenossen (vgl. oben). Differenzen zu ihnen gab es erst im weiteren Verlauf des Werdegangs. So wollte Witkowski ursprünglich Gymnasial­ lehrer werden. Als er das Studium abgeschlossen hatte, informierte er sich darüber bei einem seiner ehemaligen Lehrer, der mittlerweile im Kultusministerium in Dresden arbeitete. Dessen Reaktion beschreibt Witkowski in seiner Autobiographie: [Der Gefragte] „riet mir aufs entschiedenste ab: ‚Sie würden innerhalb des Lehrerkollegiums isoliert sein und kaum vorwärtskommen‘, sprach er, den eigentlichen Grund der Ablehnung [die jüdische Herkunft; AL] leicht verhüllend. Hier war also nichts für mich zu hoffen, und so stieg zum ersten Male der Gedanke an die Universitätslaufbahn vor mir auf.“ 128

Die akademische Laufbahn erschien ihm so als Alternative und er entschied sich, den steinigen Weg zu gehen. Witkowski habilitierte sich 1889 über Friedrich von Hagedorn. Herrmann habilitierte sich zwei Jahre später mit dem zweiten Teil seiner Dissertation über Albrecht von Eyb.129 Das Durchschnittsalter während der Habilitation lag bei den hier untersuchten Germanisten gleicher Generation bei 26 Jahren,130 was auch für Witkowski und Herrmann gilt. Am Beispiel Witkowskis zeigt sich jedoch, dass er als jüdischer Germanist bereits bei diesem Schritt mit Ressentiments zu kämpfen hatte. Wit­ kowskis Arbeit nämlich wurde zunächst von seinem Erstbetreuer abgelehnt. Rudolf Hildebrand, kein Kenner der in der Habilitation verhandelten Barockliteratur, stieß sich vor allem an den vermeintlich antinationalen Tönen innerhalb der Arbeit, denn Witkowski hatte den französischen Einfluss auf die deutsche Anakreontik betont und die Existenz einer autochthonen deutschen Literaturentwicklung angezwei­ felt.131 Die Argumente Hildebrands waren für seinen Kollegen Friedrich Zarncke nicht einsichtig. Er ermutigte daher Witkowski, seine Arbeit erneut einzureichen – nun unter seiner Begutachtung. Seinem Gutachten fügte er dann einen Passus bei, der auf den offenbar antisemitischen Konsens in Fakultät und Ministerium zielte und in dem er den eigentlichen Grund für das anfängliche Scheitern des Habilitationsver­ 127 Sie kannten sich sogar, hatten einige Zeit die gleiche Schule in Berlin besucht. Befreundet waren sie jedoch nicht und auch fachlich gab es Differenzen. So erinnerte sich Witkowski: „Es ging mir mit ihm sehr gegen meinen Willen, so, dass ich immer wieder an seinen Arbeiten Kritik üben musste“. Dabei „erfüllte [ich] nur meine Pflicht, wenn ich zum Beispiel noch 1933 nachwies, dass es die Nürnberger Meistersingerbühne gar nicht gegeben hat, um die Herrmann mit Köster zehn Jahre zuvor leidenschaftlich rang.“ G. Witkowski, Von Menschen und Büchern, S. 258. 128 Ebd., S. 93. 129 Vgl. G. Witkowski, Die Vorläufer der anakreontischen Dichtung in Deutschland und Friedrich von Hagedorn; M. Herrmann, Albrecht von Eyb und die Frühzeit des deutschen Humanismus. 130 Grundlage dieser Berechnung sind die zwölf Germanisten, die in Leipzig, Berlin und Jena während des Untersuchungszeitraums lehrten und zwischen 1855 und 1875 geboren wurden (also der gleichen Generation wie Witkowski und Herrmann angehörten). Das Habilitationsal­ ter lag bei durchschnittlich 26 Jahren. Hinzu kommen noch die beiden Leipziger Ordinarien Köster und Sievers, die ohne Habilitation 1892 (nach Marburg) bzw. 1876 (nach Jena) berufen wurden. Zwischen Juden, Konvertiten und Nichtjuden gab es hier also keinen Unterschied. 131 Vgl. N. Berg / A. Engelhardt / A. Lux, Jüdische Teilhabe, S. 405.

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fahrens vermutete. Zarncke bezog sich in seinem Gutachten ausdrücklich auf die Herkunft des Kandidaten, den er „seit Jahren als einen klugen u[nd] denkenden, und auch als einen sehr anständigen Menschen“ kenne, „der die abstoßenden Ei­ genschaften seiner Rasse wenig verräth“. Er sei davon überzeugt, so Zarncke wei­ ter, „dass der Dr. Witkowski ein brauchbares und gesundes Glied unseres Lehrkör­ pers“ werden könne.132 Das Beispiel verweist auf den Antisemitismus als „culturellen code“ (Shulamit Volkov) im wissenschaftlichen Feld des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Hilde­ brand hatte über die Herkunft Witkowskis kein Wort verloren. Dennoch sah sich Zarncke dazu veranlasst, den Nachwuchswissenschaftler gegen die vorherrschen­ den Ressentiments in Schutz zu nehmen. Dabei verwendete er selbst antisemiti­ sche Stereotype. Denn dreht man seine Fürsprache um, hat man das Klischee „des Juden“, der dumm, unanständig und abstoßend sei, den man in der Wissenschaft nicht gebrauchen könne und der ihr eher schade als nütze. Die Gegenüberstellung „jüdisches Individuum“ versus „jüdisches Volk“ gehörte zu den gängigen Stereo­ typen jener Zeit und war eine soziale Handlungsoption, um mit jüdischen Kolle­ gen, Nachbarn und Bekannten umzugehen, auch wenn man „die Juden“ als Gruppe verachtete.133 Mit Blick auf Verlauf und Dauer gab es zwischen den hier untersuchten jüdi­ schen und nichtjüdischen Germanisten in ihrer Phase der akademischen Sozialisa­ tion kaum Unterschiede. Dies änderte sich (spätestens) nach der Habilitation. Die Phase der akademischen Bewährung als unbesoldeter Privatdozent bzw. außerplan­ mäßiger Extraordinarius war bei Witkowski und Herrmann erheblich länger als bei ihren nichtjüdischen Kollegen. Als sie 1919 eine Planstelle erhielten, waren beide bereits Mitte 50! Das Durchschnittsalter der nichtjüdischen Kollegen gleicher Ge­ neration lag bei ihrer Berufung auf eine Planstelle hingegen bei 35 Jahren.134 Es dauerte also etwa 15 Jahre länger, bis Witkowski und Herrmann auf eine Stelle ka­ men, die finanzielle und soziale Sicherheit sowie wissenschaftliche Anerkennung bedeutete. Diese Erfahrung wirkte in hohem Maße frustrierend. So schrieb Max Herrmann 1917 unter finanziellem Druck und angesichts mangelnder Berufungs­ aussichten an Georg Baesecke: „Ich hoffe zuversichtlich, dass man mir die ‚Ex­ spektenz‘ [in Berlin; AL] noch anbieten wird – denn ich habe ja wohl lange genug ‚exspektiert‘: über 26 Jahre!“135 Verbitterung über die Zurücksetzungen sprechen 132 Gutachten von E. Zarncke vom 6. Juli 1889, in: UAL, PA 1074, Bl. 497. 133 „Antisemitische Propaganda [wurde] vor allem rezipiert […] als Ablehnung des Kollektivs ‚der Juden‘, aus dem persönliche Bekannte, Nachbarn und Kollegen nach Belieben als angeb­ lich jeweils untypische Vertreter des Judentums ausgenommen wurden.“ W. Benz, Antisemitismus, S. 16. 134 In diese Berechnung einbezogen wurden die 15 zwischen 1850 und 1880 geborenen Germani­ sten, die in Leipzig, Berlin und Jena während des Untersuchungszeitraums lehrten. Bei den nichtjüdischen Germanisten reichte die Spanne von 26 bis 56 Jahren. Bei den jüdischen Ger­ manisten war der Durchschnitt zwar etwas geringer, was jedoch mit den geringen Fallzahlen zusammenhängt, sodass Geiger, der bereits im Alter von 32 eine Planstelle erhielt, den Durch­ schnitt drückt. 135 Brief von M. Herrmann an G. Baesecke vom 13. November 1917, zitiert nach S. Corssen, Max Herrmann, S. 76.

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auch aus den Worten eines jüdischen Kollegen Richard M. Meyer: „Wäre ich nicht glücklicherweise nebenbei noch Mensch und als solcher glücklicher als ich es ver­ diene – als Philolog hätte ich mich längst an den Nagel gehängt.“136 Die Ausgrenzungserfahrungen hatten – wie Volkov für die Naturwissenschaft­ ler herausgearbeitet hat – in gewisser Weise auch positive Folgen.137 So veranlasste die ungesicherte Situation die Germanisten zu reger außeruniversitärer Produktivi­ tät, über die sie ihr Einkommen sicherten: Herrmann dozierte 20 Jahre lang neben­ beruflich an der Berliner Handelshochschule; Witkowski lehrte einige Jahre an der 1911 gegründeten Leipziger Hochschule für Frauen. Zu den außeruniversitären Tä­ tigkeiten zählten weiterhin Herausgeberschaft und die Arbeit in wissenschaftlichen Gesellschaften. Zugleich engagierten sie sich in der Volksschulbewegung, schrie­ ben Einführungen zu Theaterstücken und verfassten Rezensionen.138 Herrmann war Mitarbeiter im Volksbildungsarchiv, Witkowski hielt Vorträge vor Arbeitern und an der Volkshochschule. Die Zahl öffentlicher Vorträge unter verschiedenen Rahmenbedingungen und vor unterschiedlichstem Publikum war immens und die Einschätzung Witkowskis hinsichtlich der räumlichen Verteilung sicher nicht über­ trieben: „Zwischen Westpreußen und dem Elsass, Deutschböhmen und der Schweiz gibt es kaum einen größeren Bezirk, wo ich nicht mindestens einmal geredet habe.“139 Die Vortragstätigkeit brachte den beiden Germanisten neben finanziellen Ein­ nahmen wachsende Bekanntheit und wissenschaftliche Befriedigung.140 Sie bedeu­ tete aber auch eine nicht zu unterschätzende zeitliche und konditionelle Beanspru­ chung. Viele Vorträge mussten in den Semesterferien gehalten werden, also in der Zeit, die der Erholung und der eigenen wissenschaftlichen Arbeit galt. Aber auch während des Semesters hielten sie Vorträge, was manchmal ein regelrechter Ge­ waltakt war. So musste Witkowski für eine Vortragsreihe am Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt am Main „jedes Mal nach der Vorlesung [in Leipzig; AL] den Zug besteigen, um kurz vor dem Beginn in Frankfurt zu sein, redete [dort; AL] bis zehn Uhr, fuhr eine Stunde später ab und langte morgens um fünf zu Hause an.“141 136 Brief von R. M. Meyer an Konrad Burdach vom 24. April 1890, zitiert nach R. Berbig, „Poesieprofessor“, S. 46. 137 Die „Erfolgsgeschichte“ vieler Jüdinnen und Juden, so Volkov, basiert auf der Erfahrung von Ausgrenzung, Feindschaft und Neid. Die Bereiche Wissenschaft und Literatur schienen Möglich­ keiten zu bieten, um religiös und rassistisch motivierte Schranken zu überwinden. „In ihrem zu­ mindest scheinbaren Universalismus und der Betonung von Verdienst und Talent lag das Verspre­ chen einer Gemeinschaft ohne Schranken, in der durch Leistung alles erreichbar war und die keine rassischen und religiösen Unterschiede kannte.“ S. Volkov, Soziale Ursachen, S. 155. 138 Max Herrmann war von 1919 bis 1934 Vorsitzender der Gesellschaft für Theatergeschichte; Witkowski leitete in Leipzig den Bibliophilen­Verband. Zudem arbeitete er von 1906 bis 1933 als Theaterkritiker für die Monatszeitschrift Die Literatur sowie für die Deutsche Allgemeine und die Frankfurter Zeitung. Vgl. G. Witkowski, Von Menschen und Büchern, S. 408. 139 Ebd., S. 116. 140 „Das ungewöhnliche Hinaustreten eines Universitätsdozenten an die Öffentlichkeit fiel zuerst auf“, schrieb Witkowski später. Doch es war notwendig, um Geld zu verdienen und eine ge­ wisse (öffentliche) Reputation zu erlangen, und so haben „andere, solcher Einnahmen bedürf­ tige Kollegen […] es nachgemacht.“ Ebd., S. 115. 141 Ebd., S. 116–117.

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Finanzieller Druck, materielle Unsicherheit und unbefriedigende Arbeitsver­ hältnisse waren ständige Begleiter der beiden Germanisten. Würde eine Konver­ sion den Makel von ihnen nehmen? Witkowski wurde mit dieser Option 1895 kon­ frontiert. Sievers legte sie ihm nahe, damit er für das zu besetzende Extraordinariat überhaupt in Frage komme.142 Witkowski zögerte. Doch zuletzt gab er dem „Tauf­ druck“ nach und konvertierte 1896. Die Taufe fand, so hebt er in seiner Autobiogra­ phie hervor, in der Kirche statt, in der „einst Schiller getraut worden“143 war. Mit dieser Bemerkung vollzog er (zumindest retrospektiv) nicht nur den Wechsel der Religion, sondern auch den expliziten Anschluss an die deutsche Literatur und Kul­ tur.144 Die Konversion brachte ihm im Übrigen nicht den erhofften Aufstieg, der nochmals gut 20 Jahre auf sich warten ließ. Im Gegensatz zu Witkowski war Herrmann nicht konvertiert. Dies mag eine prinzipielle Entscheidung gewesen sein, vergleichbar der Haltung seines Berliner Kollegen Richard M. Meyer, der die Konversion ablehnte, weil er es für „eine hei­ lige Pflicht [hielt], das Prinzip hochzuhalten, dass die Religion eben nur auf religi­ ösem Gebiete mitzusprechen habe.“145 Aber auch andere Gründe mögen für die Entscheidung Herrmanns eine Rolle gespielt haben: der jüdische Glaube an sich, die identitätsstiftende Erinnerung an die Herkunft, das Pflichtgefühl gegenüber den Eltern oder der Wunsch, ein sichtbares Zeichen gegen den herrschenden Antisemi­ tismus zu setzen.146 Nicht zuletzt war der karrierebedingte Taufdruck, wie ihn Wit­ kowski in Leipzig erlebte, im Umfeld von Herrmann nicht so stark. In Berlin gene­ rell wie an der Universität gab es mehr Juden als in Leipzig, und auch in der Ger­ manistik lehrte mit Ludwig Geiger bereits ein bekennender, praktizierender und engagierter Jude.147 Und wirklich: Nach Geigers Tod erhielt Herrmann 1919 dessen Stelle – ohne konvertiert zu sein. Im gleichen Jahr erhielt auch Witkowski in Leip­ zig eine Planstelle. Er und Herrmann lehrten als Extraordinarien, bis sie kurz vor ihrer Emeritierung zu persönlichen Ordinarien ernannt wurden – ein ehrender Titel, der sie in ihrer Erfolgswahrnehmung bestärkte, jedoch ohne Auswirkungen auf Ein­ kommen und Mitbestimmungsrecht blieb. Die Ernennung zum Extraordinarius im Jahr 1919 ist eine abermalige Parallele im akademischen Werdegang von Witkowski und Herrmann. Sie basiert auf dem 142 Sievers sagte ihm, so Witkowski, „eines Tages ganz unerwartet, die Fakultät wolle meine Ernen­ nung zum Professor in Dresden beantragen, und fügte hinzu, ich würde dieses Vorhaben sehr er­ leichtern, wenn ich mich entschließen könnte, zum Christentum überzutreten.“ Ebd., S. 139. 143 Ebd., S. 140. 144 „Mein dogmenfreier Glaube stand dem nicht im Wege. Längst war ich zu der Überzeugung gelangt, dass Lessing im Rechte war, als er dem Judentum die Stelle einer überwundenen, pri­ mitiven Epoche in der Erziehung des Menschengeschlechts zuwies. Aus ganzem Herzen be­ kannte ich mich zu der Lehre der Bergpredigt. […] Nur die Scheu, von der schwächeren Partei zur herrschenden Mehrheit hinüberzuwechseln und dabei streberhafter Motive verdächtigt zu werden, hielt mich von dem entscheidenden Schritte ab.“ Ebd., S. 139. 145 Brief von R. M. Meyer an K. Burdach vom 24. April 1893, zitiert nach R. Berbig, „Poesieprofessor“, S. 44. 146 Vgl. S. Held, Jüdische Hochschullehrer, S. 207. 147 Geiger war 1880 auf Fürsprache von Wilhelm Scherer als „doppelter Außenseiter“ (Jude und Historiker) zum außerordentlichen Professor im Fach Germanistik berufen worden. Vgl. C. König, Aufklärungskulturgeschichte.

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zufälligen Umstand, dass die beiden Amtsvorgänger Karl von Bahder und Ludwig Geiger 1918 bzw. 1919 entpflichtet bzw. verstorben waren. Zudem kann die Ernen­ nung von Witkowski und Herrmann aber auch mit strukturell­politischen Bedin­ gungen in Zusammenhang gebracht werden: 1919 war in der Weimarer Verfassung in § 148 die Gleichheit der Konfessionen festgeschrieben worden. Die religiöse Diskriminierung von Juden und Katholiken im öffentlichen Dienst war damit ge­ setzlich verboten worden, was die Berufsaussichten (theoretisch) verbesserte.148 Natürlich wäre es zu kurz gegriffen, von der verfassungsrechtlichen Gleichberech­ tigung auf den unmittelbaren Aufstieg der beiden Germanisten zu schließen.149 Dennoch: Vor 1919 war ihnen der Schritt verwehrt geblieben,150 und generell gilt, dass sich bis dahin Juden in der Germanistik zwar habilitieren und als unbesoldete Dozenten lehren konnten – eine Planstelle erhielten sie jedoch nur in den seltensten Fällen.151 Die Weimarer Republik brachte für beide Literaturhistoriker neben dem beruf­ lichen Aufstieg die Institutionalisierung ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Am augen­ fälligsten zeigt sich dies in der Gründung des Instituts für Theaterwissenschaften in Berlin im November 1923 durch Max Herrmann.152 Witkowski wurde keine eigene Abteilung unterstellt; für ihn war die Aufwertung seiner Position vor allem mit einem Mehr an Mitbestimmung und Mitgestaltung bei der Frage der Nachwuchs­ wissenschaftler verbunden. Die Zahl seiner Promovenden stieg stetig.153 Neben 148 Vgl. M. Zimmermann, Die deutschen Juden, S. 9–10. 149 So hat bereits Konrad Jarausch darauf hingewiesen, dass für Juden die „Professorenlaufbahn trotz formeller Gleichstellung schwierig [war], weil gesellschaftliche Vorurteile das Berufungs­ verfahren beeinflussten.“ K. Jarausch, Vertreibung, S. 120. Auch als es 1919 um die Nachfolge von Bahders ging, hatte Witkowski nicht an erster Stelle gestanden, sondern Karl Helm, der jedoch einem Ruf nach Würzburg folgte. Es bedurfte einer Unterschriftensammlung der Stu­ dierenden, um beim Volksbildungsministerium die Entscheidung für Witkowski zu forcieren. Die 110 Studierenden baten um eine rasche Schließung der Lücke durch den langjährigen und bewährten Germanisten Witkowski. Vgl. Gesuch der Studierenden an das Sächsische Ministe­ rium für Volksbildung vom 1. August 1919, in: UAL, PA 1074, Bl. 515. 150 So wurde 1906 der Antrag der Philosophischen Fakultät, Herrmann auf ein Extraordinariat zu berufen, von der Preußischen Regierung abgelehnt. Vgl. S. Corssen, Max Herrmann, S. 74. Auch der Antrag, Witkowski zum planmäßigen Extraordinarius zu ernennen, war 1896 ge­ scheitert. 151 So auch die zeitgenössische Wahrnehmung: „Nichtarier in der Germanistik [wurden] zwar als Dozenten zugelassen, aber vor 1918 nie befördert“. G. Witkowski, Von Menschen und Büchern, S. 133. Und auch der Chemiker und Nobelpreisträger Richard Willstädter konstatierte: „Die Fakultäten ließen Ausnahmen zu, gewährten aber keine Gleichberechtigung“, zitiert nach N. Hammerstein, Antisemitismus und deutsche Universitäten, S. 72. 152 Vgl. zum Prozess der Institutionalisierung des Theaterwissenschaftlichen Instituts in Berlin S. Corssen, Max Herrmann, S. 78–79. 153 Zwischen 1919 und 1933 betreute Witkowski 44 Promovierende als Erst­ und weitere 13 als Zweitgutachter. Eine Reihe der Arbeiten mussten zurückgegeben und neu eingereicht werden, einige der Studierenden scheiterten ganz. UAL, Promotionsprotokolle der Phil. Fak. 1920– 1945. Nicht zuletzt aus diesem Grund sah Witkowski die Promotion als Studienabschlusses kritisch: „Vergebens versuchte ich immer wieder klar zu machen, wie entbehrlich dieser Titel für den zukünftigen Lehrer oder Bibliothekar wäre.“ Er fragte stets „‚Weshalb wollen Sie den Doktor machen?‘ Die kurze Antwort, die ich einmal erhielt, lautete: ‚Wegen zu Hause!‘ und sie

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seiner Tätigkeit als Betreuer, die Witkowski sehr ernst nahm, hatte er als Extraordi­ narius auch Mitsprache­ und Mitbestimmungsrecht in der Fakultät, war in der Prü­ fungskommission für das höhere Lehramt und hatte Einfluss auf Berufungsfragen – alles Dinge, die ihm in seiner 30­jährigen Stellung als nichtplanmäßiger Professor verwehrt geblieben waren. Mitte der 1920er Jahre hatte Witkowski zudem die (wenn auch geringe) Chance, in Leipzig auf ein Ordinariat berufen zu werden. Wie oben dargestellt, war 1923 unerwartet sein Kollege Albert Köster verstorben. Hastig, um den anwachsenden Studentenstrom bewältigen zu können, zugleich verunsichert von den konzeptio­ nellen Auseinandersetzungen in der Neugermanistik, suchte die Fakultät nach Kan­ didaten. In den internen Diskussionen wurde auch Witkowski genannt. Zwar galt er als wenig geeignet, doch auch kein anderer der Kandidaten erschien als vollwerti­ ger Ersatz.154 In dieser vagen Situation war die Berufung Witkowskis im Bereich des Möglichen – sie wäre eine Option gewesen, um rasch und unkompliziert den Fortgang der Lehre zu gewährleisten. Doch es kam anders: Witkowskis Name kam nicht auf die Berufungsliste. Die Vorbehalte gegenüber Hausberufungen sowie sein fortgeschrittenes Alter waren dafür sicherlich wichtige Gründe. Sie wurden jedoch ebenso wenig benannt155 wie etwaige antisemitische Hintergründe, die Witkowski selbst hinter der Entscheidung vermutete. In einem Brief an seinen Freund, den Schriftsteller und Theaterregisseur Max Martersteig schrieb er: „Für mich bringt [Kösters] Tod viele Arbeit und die Sorge um den Nachfolger; vermutlich wird ein homo novus, an den kaum jemand denkt, das Rennen machen. Ich selbst kann unter heuti­ gen Umständen [für dessen Nachfolge; AL] nicht in Betracht kommen; die Aussicht darauf ist mir acht Tage nach der Geburt abgeschnitten worden.“ 156

Insgesamt bedeuteten die Jahre der Weimarer Republik mit Blick auf die wissen­ schaftliche Karriere von Witkowski und Herrmann jedoch eine gute Zeit. Es war eine Phase produktiver Tätigkeit innerhalb und weiterhin auch außerhalb der Uni­ versität. Gleichwohl war ihr Verhältnis zur Republik distanziert. Witkowski kriti­ sierte die Verfassung, welche „Selbstsucht, dem Eigennutz und jedem ungezähmten Verlangen nach Macht und Genuss“ den Weg ebne; die Reichsfarben würden „zum Spotte der Feinde“.157 Äußerungen wie diese entsprechen der kritischen Sicht der

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besagte genau, was das entscheidende Argument bedeutete.“ G. Witkowski, Von Menschen und Büchern, S. 418. Vgl. Kap. B I 1.3. Vielmehr beschränkte man sich auf folgende Aussage: „Man erkennt allgemein Witkowskis Gelehrsamkeit an. Hält ihn aber nicht für geeignet, Kösters Nachfolger zu werden“. Protokoll über die Kommissionssitzung vom 21. Juni 1924, in: UAL, PA 92, Bl. 242. Brief von G. Witkowski an M. Martersteig vom 6. Juli 1924, zitiert nach W. Dietze, Georg Witkowski, S. 41, Anm. 4. Und weiter: „Die erweiterte Zulassung zu den wissenschaftlichen Berufen züchtete ein verhun­ gertes und verbittertes Proletariat junger Leute. Die unbeschränkte Freiheit von Wort und Schrift überflutete Schrifttum, die Bühne und den Film mit Schlamm, aller Schmutz entfessel­ ter Begierden und der Sucht nach den gröbsten Reizmitteln brodelte darin. Wie hier wurden auch im Geschäftsleben Anstand und gute Sitte mit Füßen getreten.“ G. Witkowski, Von Menschen und Büchern, S. 191.

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deutschen Mandarine (Fritz Ringer) auf eine Zeit, die aus den Fugen geraten schien, in der alles neu und anders wurde. Dies waren Sorgen, die Witkowski mit vielen seiner Zeit­ und Standesgenossen teilte. In Fragen der Kunst vertrat er eine liberale Haltung, die in Fachgutachten zum Ausdruck kam, welche er für Prozesse schrieb, in denen es um den (moralischen) Wert der Werke ging.158 Bekannt sind sein Ein­ satz für Frank Wedekinds Büchse der Pandora und seine Ausführungen in dem sechs Tage währenden Prozess um Arthur Schnitzlers Reigen, der Ende 1920 in Berlin aufgeführt worden war und zum Skandal geführt hatte.159 Auch Herrmann vertrat in vielen Fragen eine offene, liberale Haltung. Er war ein „ausgesprochener Freund des Frauenstudiums“, was 1903, als er dies seinem Freund, dem Berliner Anthropologen Felix von Luschan schrieb, keine Selbstver­ ständlichkeit war. Herrmanns spätere Frau Helene Schlesinger gehörte zu den ers­ ten Frauen, die in Berlin promovierten.160 Für eine Besserstellung der Nichtordina­ rien und eine Relativierung der universitären Hierarchie trat Herrmann im Rahmen der Berliner Privatdozentenvereinigung und des Verbands deutscher Privatdozen­ ten ein, in denen er mehrere Jahre Vorsitzender war.161 Doch auch Herrmann stand der Weimarer Republik distanziert gegenüber. Seine politische Heimat war der Verband nationaldeutscher Juden (VnJ), den er 1923 unter der Federführung des Berliner Rechtsanwalts Max Naumann mit be­ gründet hatte. Der Verband war eine kleine, aber meinungsstarke und polarisie­ rende Gruppe am rechten Rand des politischen Spektrums.162 Der Verband lehnte die Weimarer Republik ab und polemisierte gegen die „Ostjudengefahr“, die Zio­ nisten und die „Zwischenschicht“, den Centralverein deutscher Staatsbürger jüdi­ schen Glaubens, der 1893 in Berlin gegründet worden war und die Mehrheit der assimilierten, bürgerlich­liberalen Juden vertrat. Das politische Pendant des Ver­ bands auf nichtjüdischer Seite war – trotz ihres offenen Antisemitismus – die DNVP. Bis zu seinem Verbot 1935 bekundete der Verband sogar seine Loyalität gegenüber dem NS­Regime. Max Herrmann gehörte als Professor zu den promi­ nenten Mitgliedern des Verbands, war aber (trotz seiner Rolle als Gründungs­ 158 Vgl. ebd., S. 424 – 434. 159 Sein Plädoyer schloss Witkowski mit den Worten: „Anstoß nehmen darf nur derjenige, der nicht mit der Absicht, Anstoß zu nehmen, ins Theater gekommen ist. Ich glaube, das ist so einfach, dass man nichts dagegen sagen kann. […] Es ist eine Möglichkeit, ein Theater auf­ rechtzuerhalten, Theater zu spielen, überhaupt Kunst darzubieten, nur dann gegeben, wenn man mit vorurteilslosen […], völlig sich der Kunst hingebenden Menschen rechnen kann.“ Zitiert nach ebd., S. 432. 160 Vgl. L. Harders / N. Seltsam, Spurensuche. 161 Vgl. S. Corssen, Max Herrmann, S. 74, Anm. 28. 162 In seiner Satzung legte der VnJ seine Ziele programmatisch fest: „Der Verband nationaldeut­ scher Juden bezweckt den Zusammenschluss aller derjenigen Deutschen jüdischen Stammes, die bei offenem Bekennen ihrer Abstammung sich mit deutschem Wesen und deutscher Kultur so unauflöslich verwachsen fühlen, dass sie nicht anders als deutsch empfinden und denken können. Er bekämpft alle Äußerungen und Betätigungen undeutschen Geistes, mögen sie von Juden oder Nichtjuden ausgehen, die das Wiedererstarken deutscher Volkskraft, deutscher Rechtlichkeit und deutschen Selbstgefühls beeinträchtigen und damit den Wiederaufstieg Deutschlands zu einer geachteten Stellung in der Welt gefährden.“ Satzung des VnJ von 1921, zitiert nach M. Hambrock, Die Etablierung der Außenseiter, S. 1.

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mitglied) kaum aktiv. Doch er fühlte sich offensichtlich mit seiner politischen Ein­ stellung hier aufgehoben und war nach den traumatischen Erfahrungen des Ersten Weltkrieges diesen (politischen) Weg gegangen. In ihrer nationaldeutschen Überzeugung (zunächst unabhängig von der Radika­ lität) ähnelten sich nicht nur Witkowski und Herrmann, sondern auch viele Juden und Nichtjuden. Witkowski und Herrmann teilten als Angehörige der akademischen Profession die Befindlichkeiten und Verunsicherungen der Nichtjuden desselben Milieus. Auch sie fühlten sich von den sozialkulturellen Umschwüngen nach dem Ersten Weltkrieg bedroht. Für sie kam hinzu, dass sie von all dem auch noch unmittelbar bedroht waren, denn sie wurden für die gesellschaftliche Misere (mit­)ver­ antwortlich gemacht – was zuletzt in dem Ausschluss aus ihrem Arbeitsumfeld und der „Volksgemeinschaft“ mündete.163 b) Ein Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Politik. Werner Richter Wenn man den akademischen Werdegang Werner Richters mit dem von Witkow­ ski und Herrmann vergleicht, fallen besonders die Unterschiede ins Auge. Richter war deutlich jünger und akademisch früh erfolgreich, vor allem aber war er Mit­ arbeiter des einflussreichen Bildungsministers Carl Heinrich Becker und damit direkt an (hochschul­)politischen Entscheidungen während der Weimarer Repub­ lik beteiligt. Ähnlich war ihm und den beiden Kollegen auf den ersten Blick allein die entwürdigende Erfahrung, als sie 1933 von ihren Ämtern, aus ihren Berufen und Tätigkeitsbereichen vertrieben wurden. Im April 1933, wenige Tage nach Erlass des BBG, wurde auch Richter beurlaubt und im November desselben Jah­ res nach § 3 des Gesetzes, also aufgrund seiner jüdischen Herkunft, in den Ruhe­ stand versetzt.164 Richter stammte wie Witkowski und Herrmann aus dem Berliner Bürgertum. Allerdings war er, 1887 geboren, gut 20 Jahre jünger als sie. Seine Eltern ließen ihn zur Geburt taufen, sodass er sich mit der jüdischen Kultur, Religion und Tradition von Hause aus nicht verbunden fühlte. Auch erfolgte keine spätere Hinwendung zum Judentum infolge von Schoah und Emigration. Vielmehr wandte sich Richter bewusst der protestantischen Religion zu und studierte Ende der 1930er Jahre Theologie. Doch nicht nur in dieser Hinsicht zeigen sich Unterschiede zu Witkow­ ski und Herrmann. Auch Richters akademischer Werdegang verlief anders. Richter studierte und promovierte in Berlin und habilitierte sich 1913, wie sie im Alter von 26 Jahren, in Greifswald.165 Eine Planstelle allerdings erhielt er – zum Extraordina­

163 Vgl. M. Hambrock, Die Etablierung der Außenseiter, S. 310. 164 Vgl. Schreiben des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an die Verwaltungsdirektion der UB vom 29. April 1933 sowie vom 20. November 1933, in: UA der HUB, PA Richter, Bl. 23 und 27. 165 Vgl. W. Richter, Liebeskampf 1630 und Schaubühne 1670. Ein Beitrag zur deutschen Theatergeschichte, sowie W. Richter, Der Lanzelet des Ulrich von Zazikhoven (1913, gedruckt 1934).

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rius in Greifswald ernannt – bereits sechs Jahre später. Ein Jahr darauf wurde er dort zudem zum Ordinarius ernannt.166 Der zügige Werdegang Richters ähnelt dem nichtjüdischer Germanisten. Dafür waren zwei Faktoren verantwortlich. So gibt es Indizien dafür, dass Richters jüdi­ sche Herkunft unbekannt war.167 Zudem ist sein akademischer Weg eng mit seinem politischen Werdegang verbunden, und so erfolgten auch die Amtseinsetzungen in Greifswald unter dem Einfluss von Carl Heinrich Becker, bevor dieser ihn wenig später im Ministerium zum engen Mitarbeiter machte.168 Richters aktives politisches Engagement für die Weimarer Republik war eine Besonderheit nicht nur im Vergleich zum Gros der Germanisten, sondern auch im Unterschied zu Witkowski und Herrmann. Richter fand früh seine Berufung in kul­ turpolitischen Aufgaben.169 Die drängenden Probleme, die sich im Hochschulwe­ sen zu Beginn des 20. Jahrhunderts abzeichneten und die er als Student in Berlin erlebt hatte, veranlassten ihn früh, politisch Stellung zu nehmen. 1916, während eines Aufenthalts als Gastprofessor in Konstantinopel, verfasste er eine kulturpoli­ tische Denkschrift, in der er die bestehenden Zustände kritisierte und Überlegungen zur Verbesserung anstellte.170 Becker, zu diesem Zeitpunkt noch Personalreferent im Preußischen Kultusministerium, wurde über diese Schrift auf Richter aufmerk­ sam; 1919 berief er ihn zu seinem Hilfsarbeiter ins Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, und am 8. Oktober 1920 erfolgte Richters Ernennung zum Ministerialrat.171 Die neue Tätigkeit machte seinen Umzug nach Berlin nötig und so verließ Richter die Greifswalder Universität. In den folgenden Jahren wurde Richter zu einer zentralen Gestalt in der preußi­ schen Hochschulverwaltung. Er bereitete die preußische Hochschulreform zu we­ sentlichen Teilen mit vor172 und war in Personalfragen bis Anfang der 1930er Jahre die entscheidende Instanz.173 Seine Arbeit als Germanist stand in diesen Jahren 166 Zum wissenschaftlichen Werk Richters vgl. H. Moser, Werner Richter. 167 Bereits der zügige Werdegang Richters deutet darauf hin. Zudem ist die Tatsache bemerkens­ wert, dass sich über Richters jüdische Herkunft kein Wort in den Briefen von Edward Schröder und Gustav Roethe finden, die in solchen Fragen keineswegs heikel waren und denen Richter hochgradig unsympathisch war. Vgl. die entsprechende Korrespondenz in D. Ruprecht / K. Stackmann (Hg.), Briefwechsel. 168 Vgl. C. Tilitzki, Die deutsche Universitätsphilosophie, S. 274, Anm. 330. 169 Nach Hans Peters war Richter „zum Verwaltungsbeamten geradezu geboren; er hatte eine be­ deutende Gestaltungskraft und schnelle Auffassungsgabe und verstand es, sofort die juristisch, politisch und personell entscheidenden Punkte zu erkennen. Er konnte zuhören und fällte da­ nach eine klare Entscheidung; er drückte sich nicht feige herum und sagte seinem Minister wie seinem Staatssekretär so eindeutig und begründet seine Auffassung, dass er sich sehr oft auch gegen die zunächst abweichende Meinung seines Ministers durchzusetzen wusste.“ H. Peters, Werner Richters Berliner Hochschulpolitik, S. 33. 170 Vgl. K. T. Schäfer, Der Kulturpolitiker, S. 157–158. 171 Innerhalb des Ministeriums war Richter zunächst für Personalfragen an der Theologischen und Philosophischen Fakultät zuständig, später übernahm er das gesamte Personalienreferat Vgl. ebd., S. 158. 172 Ebd. sowie H. Peters, Werner Richters Berliner Hochschulpolitik. 173 In Personalfragen überließ Becker seinem Personalreferenten weitgehend freie Hand, wobei Richter „trotz Wahrung aller Rechte der Fakultäten“ versuchte, „neue Gedanken und Strömun­

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hintan. Zwar lehrte er als Honorarprofessor in Berlin,174 doch der Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag auf politischem Gebiet. Nach dem Bruch der Großen Koalition und unter dem Kabinett Brünung wurde Becker 1930 aus dem Amt gedrängt. Sein Nachfolger wurde Wilhelm Kähler, Pro­ fessor für Nationalökonomie und Abgeordneter der DNVP. Kähler verfolgte einen radikalen Kurswechsel. Dazu gehörte auch, dass die pro­republikanischen Ministe­ rialräte auf „harmlose“ Stellen abgeschoben wurden – wenn möglich zurück an die Universitäten.175 Auf diesem Weg sollte auch Richter das Ordinariat am Germani­ schen Seminar in Berlin erhalten. Dieser Schritt entsprach einem Oktroi des Wis­ senschaftsministeriums: Zwar war die Fakultät um eine Stellungnahme gebeten worden, doch die Berufung Richters erfolgte bereits zwei Tage nach Absenden (!) der Fakultätsentscheidung an das Ministerium,176 das so einem etwaigen Veto zu­ vorkam. Dabei hatte es in der Fakultät durchaus Stimmen gegen Richter gegeben. Politische Apathie mag eine Rolle gespielt haben, mehr aber noch die Frage, wie man mit dem Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Politik umgehen sollte. Welche Kriterien sollte man seiner Ernennung zugrunde legen? Allgemein­intellek­ tuelle, sagten die einen, denn Richter sei eine „exzeptionelle geistige Persönlich­ keit“, die „das gesamte deutsche Geistesleben überschaue“. Fachwissenschaftliche, sagten die anderen und machten damit Vorbehalte deutlich: „vom wissenschaftli­ chen Standpunkt aus“, gebe es, so der Altgermanist Arthur Hübner, „wesentliche Bedenken. Die stoffreiche Doktordissertation [Richters; AL] sei in ihrem Ertrage geringfügig, die Habilitationsschrift […] veraltet und in der Fragestellung zu eng, alles Spätere sei fast nur Rezension.“177 Auch Max Herrmann lehnte die Ernennung Richters ab. Gemeinsam mit Hübner und dem Slawisten Max Vasmer stellte er den Antrag, Richter statt eine Professur für Germanistik eine für Kulturpolitik zu über­ tragen. Damit wäre er in die Universität (wie gefordert) eingebunden, man würde

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gen gegenüber allzu konservativen Fakultäten zum Durchbruch zu verhelfen.“ Ebd., S. 34. Dass diese Machtfülle auch als problematisch empfunden werden konnte, zeigen die Äußerun­ gen Karl Viëtors angesichts seiner wiederholt scheiternden Aufstiegspläne. In einem Brief an Julius Petersen schrieb er über Richter: „Was für eine Willkür. Ist etwa [Paul] Merker, ist [Wolf­ gang] Liepe jemand, der mehr Zukunft hätte als ich? Und der Voreingenommenheit eines ein­ zigen Mannes bin ich völlig in die Hand gegeben. Was nützt mir die Schätzung der Fakultä­ ten?“ Brief von K. Viëtor an J. Petersen vom 18. November 1928, in: DLA, D: Petersen, D62.503 / 4. Die Ernennung Richters wurde von der Fakultät mit Skepsis aufgenommen. Es dürfe nicht zur Norm werden, dass „Professoren, die ihr bisheriges Lehramt an einer anderen Hochschule auf­ geben und nach Berlin in eine andere Tätigkeit übersiedeln, regelmäßig Eintritt“ in den Lehr­ körper der Berliner Universität erhalten. Schreiben der Phil. Fak. der UB vom 8. März 1921, in: UA der HUB, Phil. Fak., Nr. 1468, Bl. 451. Ähnlich gelagert war der Fall um den Historiker Wolfgang Windelband, der ebenfalls aus dem Ministerium an die Philosophische Fakultät der Universität Berlin „verschoben“ wurde. Auch C. H. Becker erhielt, nachdem er aus der Regierung gedrängt worden war, 1930 eine Professur an der Berliner Universität. Vgl. Schreiben des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an W. Richter vom 1. August 1932, in: HUB, Archiv, Phil. Fak., Nr. 1476, Bl. 429. Die Aussagen stammen aus dem Protokoll der Kommissionssitzung über die Berufung von W. Richter vom 20. Juli 1932, in: Ebd., Bl. 423.

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ihn jedoch von der Germanistik und dem traditionellen Fächerkanon fernhalten.178 Im Endeffekt wurde der Antrag des Ministeriums mit 35 zu 13 Gegenstimmen an­ genommen, wobei besonders die Fürsprache Petersens eine Rolle gespielt haben mag.179 Richter wurde daraufhin neben Petersen und Hübner dritter Direktor des Germanischen Seminars und hielt als Ordinarius im Wintersemester 1932 / 33 Ver­ anstaltungen in der Altdeutschen Abteilung. Ein halbes Jahr später allerdings wurde er bereits infolge des Berufsbeamtengesetzes entlassen. Ähnlich wie Witkowski und Herrmann versuchte auch Richter nach seiner Ent­ lassung weiter wissenschaftlich zu arbeiten. Er hatte dabei mehr Erfolg als sie und publizierte noch bis in die 1940er Jahre in Deutschland: Seine Habilitationsschrift erschien 1934, und er konnte in den Monatsheften sowie in der Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Aufsätze und Rezensionen platzieren.180 Mitte der 1930er Jahre verließ Richter Berlin und ging nach Basel, wo er von 1936 bis 1938 Evangelische Theologie studierte. Noch 1939 gelang es ihm, Deutschland zu verlassen, und er emigrierte mit seiner Familie in die USA. Gerade Ende der 1930er Jahre wanderten viele Hochschullehrer – auch Germa­ nisten – aus, obwohl die Arbeitssituation in den USA alles andere als günstig war.181 Es gab kaum Stellen und die Stimmung gegenüber den Deutschen verschlechterte sich nach Kriegsbeginn zusätzlich. Richter erhielt eine Stelle an einem kleinen College. Jedoch reichte das Geld nicht aus, sodass er und seine Frau einer Reihe Nebentätigkeiten nachgehen mussten. Er übersetzte „einem halb blinden und halb tauben Bankier mit viel Stimmaufwand aus der Times“, „während [s]eine Frau Sternchen für Army und Navy stickt[e], hostess bei Frau Selig spielt[e] und Frau Rothmanns köstlichen Hund jede Woche einmal badet[e].“182 Nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden materiellen Unsicherheit rückte nach 1945 die Option, nach Deutschland zurückzukehren, für Richter in den Bereich des Möglichen: Es „bleibt für mich […] wohl nur Deutschland übrig, so gering meine Sympathien für die Majorität dieses Volkes sind.“183 Er wollte sich dort auch wie­ der politisch engagieren und hatte mit Re-educating Germany ein Buch geschrie­ ben, das sich gegen die Idee einer Zerstörung Deutschlands richtete. Richter setzte vielmehr auf Umerziehung, auf lebenslanges Einüben demokratischer, föderativer, sozialer und christlicher Werte.184 Um an diesem Prozess aktiv teilhaben zu 178 Vgl. Protokoll der Fakultätssitzung vom 28. Juli 1932, in: UA der HUB, Phil. Fak., Nr. 39, Bl. 281. 179 Vgl. ebd., Bl. 282. Petersen war hinsichtlich der fachlichen Entwicklung von Richter zuver­ sichtlich. Er werde, „von der Verwaltungsarbeit entlastet, an die Anfänge seiner wissenschaft­ lichen Tätigkeit anknüpfend, Gutes leisten“. Protokoll der Kommissionssitzung über die Beru­ fung von W. Richter vom 20. Juli 1932, in: UA der HUB, Phil. Fak., Nr. 1476, Bl. 423. 180 Vgl. G. Eschweiler, Werner Richter. 181 Vgl. Wolfgang Benz, Die jüdische Emigration, S. 6. 182 Brief von W. Richter an Hermann Broch vom 3. September 1942, zitiert nach P. Boden, Grenzschritte, S. 445. 183 Brief von W. Richter an H. Broch vom 16. Oktober 1949, zitiert nach ebd. 184 „Until we know what will happen to Germany, we can scarcely appraise the possibilities afforded by educational policies for the peace in Germany, of Europe, and of the world. The critical issue is whether an independent for education in democracy can be restored to Germany.

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können,185 nahm Richter 1949 einen Ruf in Bonn an. Dort beschäftigte er sich wie­ der intensiv mit hochschulpolitischen Fragen und hatte später als Rektor wesentli­ chen Anteil an der Reform der Universitätsverfassung.186 Es gibt mehrere Gründe dafür, dass Richter erst vier Jahre nach Kriegsende berufen wurde, obwohl Personalmangel bestand und er sich früh bereit erklärt hatte, zurückzukehren.187 Zum einen war für die Verzögerungen die prinzipielle Distanz deutscher Hochschullehrer gegenüber Remigranten verantwortlich.188 Zum anderen traute man wieder – wie vor 1933 – Richters fachlichen Fähigkeiten nicht. Dies zeigt sich exemplarisch in einem Gutachten von Theodor Frings aus dem Jahr 1946, das er an die Hochschulverwaltung der SBZ richtete, die an einer Berufung Richters interessiert war. Frings, zu dieser Zeit einer der wichtigsten Gutachter im Fach Germanistik, schrieb darin über Richters Dissertation, dass sie ohne „eigenes Gesicht“189 sei und auch die Habilitation nichts „wirklich Eigenes und Bedeutsa­ mes“ geleistet habe. Diese Einschätzung ähnelte nicht nur der von Hübner aus dem Jahr 1932, Frings führte vielmehr den früheren Berliner Ordinarius als unumstöß­ liche Referenz an: „Ich verstehe, dass der unbestechliche Arthur Hübner sich […] der Professur an der Berliner Universität […] widersetzt hat, und dass auch andere Fakultäten sich zurückgehalten haben.“ Diese einseitige Sicht verkannte abermals das fachliche und pädagogische Potential Richters (gerade aufgrund seiner Erfah­ rungen als Grenzgänger). Mehr noch als 1932 war die Reduzierung seines Werde­ gangs auf wissenschaftliche Fragen nach dem Krieg fragwürdig. Dies räumte auch Frings ein: „Es war wohl zu bedauern, dass die Entwicklung des Gelehrten ge­ hemmt wurde durch seine opfer­ und segensreiche Tätigkeit in der Universitätsver­ waltung, dann durch sein persönliches Schicksal.“ Zu einem befürwortenden Ge­ samturteil konnte er sich dennoch nicht durchringen. Leben und Werdegang von Richter waren (das zeigt nicht zuletzt Frings’ Ein­ schätzung) für Germanisten seiner Zeit unüblich. Diese sahen sich vor allem dem Fach verpflichtet und deklarierten sich und ihr Tun als „unpolitisch“. Damit ver­ kannten sie die unauflösliche Verknüpfung. Richters Vorstellung als Demokrat von

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Democratic education means education in the love of freedom and justice, in the high valuation of the dignity of human personality. One cannot simultaneously enslave a people and educate it for freedom.“ W. Richter, Re-educating Germany, S. 127. Das Buch erlebte allein 1945 drei Auflagen und wurde in den amerikanischen Medien kontrovers diskutiert. Einige sahen in Richter einen „Mann von Mut“, der gegen den Strom schwimmt. Andere widersprachen: „Nein, Herr Richter: Ihr verbrecherisches Land wird keine Chance mehr haben.“ Zur Rezeption vgl. K. T. Schäfer, Der Kulturpolitiker, S. 162. Der niedersächsische Kultusminister Adolf Grimme hatte Richter bereits 1946 dazu aufgefor­ dert, nach Deutschland zurückzukommen und kulturpolitisch aktiv zu werden. Dies sei nötig, da es an Menschen mit Begabungen fehle. Grimme hoffte daher auf eine „wiederkehrende Mitarbeit in irgendeiner Form“. Brief von A. Grimme an W. Richter vom 26. August 1946, in: D. Sauberzweig (Hg.), Adolf Grimme, Briefe, S. 121–122. Vgl. K. T. Schäfer, Der Kulturpolitiker, S. 162–165. Vgl. P. Boden, Grenzschritte, S. 437. Vgl. ebd., S. 440. Dieses und die folgenden Zitate stammen aus dem Gutachten von T. Frings über W. Richter vom 3. Oktober 1946, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 549, unpag.

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Aufgabe und Funktion eines Hochschullehrers unterschied sich davon zutiefst und wird in einem Zitat von 1937 deutlich, in dem es heißt: „Ich hätte meine undankbarste Aufgabe [in kulturpolitischer Funktion; AL] nie erfüllen kön­ nen, wenn ich nicht der Überzeugung gewesen wäre, dass der Professor, hundertmal als Be­ kenner bezeichnet, in allen geistigen Dingen im Staate führen müsste, hätte führen müssen, wenn er sein Soseinsrecht erweisen und behaupten wollte. Diese Forderung mag heute als lächerliche Utopie erscheinen; sie ist aufs tragischste widerlegt worden.“190

Mit dieser Vorstellung vom politisch verantwortlichen Hochschullehrer zeigen sich die Unterschiede zwischen Richter und Witkowski bzw. Herrmann. Anders als sie war Richter ein Grenzgänger zwischen Politik und Wissenschaft, vielleicht der ein­ zige unter den Germanisten der Weimarer Zeit. Es lohnt sich, den Lebensweg des Grenzgängers, der Richter als Wissenschaftler und Wissenschaftspolitiker, als Emi­ grant und Remigrant, aber auch als Mann jüdischer Herkunft, der sich zum Chris­ tentum bekannte, in Zukunft noch näher zu untersuchen. Ein Schritt auf diesem Weg sei hiermit getan. Witkowski, Herrmann und Richter – drei Germanisten im 20. Jahrhundert, ver­ trieben aufgrund ihrer Herkunft, die für sie eine je unterschiedliche Bedeutung hatte. Ihre politische Einstellung war für die Entlassung kaum relevant – höchstens, um ihnen die nationale Identität abzusprechen. Die Beispiele zeigen, dass durch die Kategorie „Entlassen nach § 3 BBG“ nicht auf die Akteure selbst, auf ihre Selbst­ wahrnehmung, ihre politische Einstellung sowie auf ihre Haltung zum Judentum verweist, sondern allein auf die pauschale Fremdzuschreibung durch die National­ sozialisten. Die Verwendung der rasseideologischen Zuschreibung ist sinnvoll, beschäftigt man sich mit Entlassungen. Betrachtet man jedoch die Entlassenen selbst, so ist es wichtig, sie nicht wieder und wieder auf diese Fremdzuschreibung zu reduzieren, sondern nach ihrem jeweils (zeitgenössischen) Selbstbild zu fragen. 2. 4 „Freiwillig“ ausgeschieden. Der Weggang von Konstantin Reichardt War Werner Richter als Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Politik eine Aus­ nahme unter den Germanisten, so gilt dies auch für den Nordisten Konstantin Reichardt. Er gehörte zu den wenigen Hochschullehrern, die freiwillig aus dem Amt schieden, ohne dass eine Entlassung in Aussicht gestanden hätte oder offensi­ ver Druck ausgeübt worden wäre.191 Der Weg zu diesem Schritt lässt sich aus den zur Verfügung stehenden Quellen nur schwerlich rekonstruieren. Es gibt jedoch einige Ereignisse, die sich retrospektiv als bewusste Schritte zu dieser Entschei­ dung lesen lassen – ein linearer Prozess war dies nicht. 190 Brief von W. Richter an einen Freund, der sich dem Nationalsozialismus verbunden fühlte, aus dem Jahr 1937, zitiert nach K. T. Schäfer, Der Kulturpolitiker, S. 160. 191 Unter den 901 von Grüttner und Kinas zusammengetragenen Fällen vertriebener Hochschul­ lehrer sind 29, die „freiwillig“ die Universität verlassen haben. Dies entspricht 3,2 Prozent. Vgl. M. Grüttner / S. Kinas, Vertreibung, S. 141.

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Reichardt wurde 1904 in St. Petersburg geboren und kam mit seiner Familie nach Beginn des Krieges 1914 nach Deutschland. Er studierte Indogermanische Sprachwissenschaft, Nordische und deutsche Sprache und Literatur in Berlin und promovierte 1927 über Skaldendichtung.192 Nach dem Studium arbeitete er als Lek­ tor für Altnordisch am Germanischen Seminar in Berlin und reiste als Traveling Fellow durch Norwegen. Durch die einflussreichen Professoren Theodor Frings und Gustav Neckel forciert, erhielt er 1931 das Extraordinariat für Nordische Philologie in Leipzig, wo er bis 1937 blieb.193 Seine Lehrveranstaltungen entsprachen dem Kanon nordistischer Lehre und beschäftigten sich mit germanischer Dichtung, neu­ erer skandinavischer Literatur (Strindberg, Ibsen, Georg Brandes) sowie kulturhis­ torischen Fragen über germanische Götter oder altnordische Religionsgeschichte. Nach der „nationalsozialistischen Machtübernahme“ geriet Reichardt wieder­ holt in Konflikt mit der antisemitischen Propaganda, die sich an den Hochschulen verbreitete. In der Forschungsliteratur finden sich verschiedenfach Verweise darauf, dass sich Reichardt in seinen Veranstaltungen weigerte, jüdische Kollegen und ihre Arbeiten zu diffamieren.194 Seine kritische Einstellung gegenüber dem vorherr­ schenden Antisemitismus machte Reichardt auch in der Fakultät öffentlich: Als im Mai 1935 jene jüdischen Professoren entlassen wurden, die bisher durch den soge­ nannten Frontkämpferparagraphen des Berufsbeamtengesetzes geschützt gewesen waren, protestierte er.195 Ausgangspunkt seiner Kritik war, dass diese Maßnahmen nur in Sachsen erfolgt waren, ohne dass es ein generelles Vorgehen gegen die „Frontkämpfer“ auf Reichsebene gegeben hätte. Davon ausgehend forderten Reich­ ardt und einige Kollegen, darunter der Physiker Werner Heisenberg, eine Erklärung für das Vorpreschen der sächsischen Behörden. Ihre Kritik brachte ihnen eine scharfe Zurechtweisung des Leipziger Rektors Arthur Golf ein.196 Das Ereignis schlug Wellen, auch im Außenministerium war man „mit Mutschmanns neuester Raserei gegen jüdische Hochschulreste wenig einverstanden“197. Gleichwohl: Die Entscheidung, die jüdischen Kollegen zu entlassen, wurde nicht zurückgenommen. Vielmehr wurde das sächsische Beispiel zum Präzedenzfall, und im Zuge des „Reichsbürgergesetzes“ vom September 1935 wurden auch die letzten jüdischen Beamten aus ihren Positionen vertrieben.198 Der offene Widerspruch der Leipziger Professoren in der Fakultät war ein seltener Akt von Zivilcourage gegenüber den isolierten jüdischen Kollegen. Wie 192 Vgl. K. Reichardt, Studien zu den Skalden des 9. und 10. Jahrhunderts. 193 Vgl. T. M. Andersson, Konstantin Reichardt, sowie U. Maas, Verfolgung und Auswanderung, Bd. 1, S. 618. 194 Vgl. International Biographical Dictionary of Central European Emigrés, Bd. II, T. 2, S. 950, sowie U. Maas, Verfolgung und Auswanderung, Bd. 1, S. 619. 195 Die Maßnahmen betrafen den Religionssoziologen Joachim Wach, Friedrich Levi, Benno Landsberger und Fritz Weigert sowie den Mediziner Ernst Bettmann. Sie wurden am 4. Mai 1935 aus dem Lehramt entlassen. Vgl. R. Lambrecht, Politische Entlassungen in der NS-Zeit. 196 Vgl. Protokoll der Fakultätssitzung der Phil. Fak. der UL vom 8. Mai 1935, in: UAL, Sitzungs­ protokolle der Phil. Fak. 1928–1947, Bl. 199–202. 197 Bericht des bereits 1934 gemaßregelten Walter Blumenfeld an V. Klemperer, zitiert nach M. Parak, Hochschule und Politik, S. 217. 198 Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 217.

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selten er war, betonte Theodor Litt, der selbst wiederholt politischen Anfeindungen ausgesetzt gewesen war, im Rückblick: „Die Kollegenschaft als ganze lehnte es ja […] ab, mit irgendeinem Sinne für diese entfernten Kollegen einzutreten, was ich als eine Schmach empfand. Sie nahm das als ihr Schicksal hin: Ja, das ist jetzt eben so, Revolutionen sind höchst ungebärdig.“199 Ein weitergehender Schritt widerständigen Verhaltens wäre gewesen, das Amt niederzulegen, sich aus der gesicherten Position zu verabschieden, das eingefor­ derte Bekenntnis nicht mehr zu leisten, bei den Angriffen nicht weiter mitzuma­ chen. Dass die Idee des Rücktritts virulent war, zeigen Erinnerungen von Zeit­ genossen wie Heisenberg, der in seiner Autobiographie diesbezüglich von der „Zeit des quälenden Nachdenkens“200 sprach. Angesichts eigener emigrierter Schüler „musste auch ich mich fragen, ob mein Verbleiben in Deutschland noch einen ver­ nünftigen Sinn ha[t].“201 Als nun auch noch die jüdischen Kollegen entlassen wur­ den, die als „Frontkämpfer“ doch zur „Volksgemeinschaft“ gehörten, „war die Em­ pörung darüber so groß, dass wir erwogen, von unserer Stellung an der Universität zurückzutreten und möglichst viele Kollegen zu dem gleichen Schritt zu ver­ anlassen.“202 Von den von Heisenberg Genannten, dem Physiker Friedrich Hund, dem Archäologen Bernhard Schweitzer, dem Chemiker Karl Friedrich Bonhoeffer und dem Mathematiker Bartel Leendert van der Waerden, setzte jedoch keiner die­ sen demonstrativen Schritt in die Tat um. Heisenberg selbst erklärte seinen Entschluss, im Amt und in Deutschland zu bleiben, retrospektiv mit einem Gespräch mit Max Planck. In seiner Autobiogra­ phie zitierte er Planck mit den Worten: „Wenn Sie nicht zurücktreten und hier bleiben, haben Sie eine Aufgabe ganz anderer Art. Sie können die Katastrophe nicht aufhalten und müssen, um überleben zu können, sogar immer wieder Kompromisse schließen. Aber Sie können versuchen, mit anderen zusammen Inseln des Bestandes zu bilden. Sie können junge Menschen um sich sammeln, ihnen zeigen, wie man gute Wissenschaft macht und ihnen dadurch auch die alten, richtigen Wertmaßstäbe im Bewusstsein bewahren. […] Denken Sie […] an die Zeit, die danach kommt.“ 203

Reichardt mag sich ähnliche Gedanken gemacht haben, zuletzt kam er jedoch zu dem Entschluss, dass es um das Jetzt geht, nicht um das Danach. Im September 1937 reichte er daher (von einer Studienreise zurückgekehrt) seine Entlassung aus dem deutschen Hochschuldienst ein. Als Gründe gab er „mangelnde Befriedigung 199 200 201 202

T. Litt, Die Haltung der Hochschulen im Dritten Reich, S. 18, in: IfZ, ZS 1814, 3079 / 62. W. Heisenberg, Der Teil und das Ganze, S. 168. Ebd. Ebd., S. 177. Litt bewertete die Haltung Heisenbergs im Übrigen kritischer. Als 1937 / 38 das Reichserziehungsministerium für die Sächsische Akademie der Wissenschaften ein neues Sta­ tut auf der Basis von Führer­ und Rasseprinzip erlassen hatte, hatten dies die Sekretäre der beiden Klassen, der Historiker Erich Brandenburg und eben Heisenberg unterschrieben. Auf die Frage Litts, warum Heisenberg trotz Vorbehalte unterschrieben habe und nicht sein Amt niedergelegt hätte, erklärte dieser, das sei „eben bei den Nazis so, wenn sie sagen: bewege die rechte Hand, dann bewegt man die rechte Hand“. T. Litt, Die Haltung der Hochschulen im Dritten Reich, S. 16, in: IfZ, ZS 1814, 3079 / 62. 203 W. Heisenberg, Der Teil und das Ganze, S. 179–180.

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bei der Berufsausübung“204 und „Gewissensschwierigkeiten“ an. Dabei ging es ihm um seine Stellung als Lehrer und um „die Problematik […] aus der meist nur schwer zu beantwortenden Frage, wieweit ein als Uni­ versitätslehrer angestellter Staatsbeamter seine von den offiziellen oder offiziösen Meinungen und Richtlinien abweichende wissenschaftliche Überzeugung vertreten darf, ohne die mit der Beamtenstellung übernommenen Pflichten zu verletzen.“

Neben der beruflichen Unzufriedenheit und Reichardts Unbehagen an der politi­ sierten Wissenschaftspraxis spielten auch andere Faktoren eine Rolle für seine Ent­ scheidung. So verlor die Nordistik an deutschen Hochschulen seit Anfang der 1930er Jahre zunehmend an Bedeutung, was sich nicht zuletzt im drastischen Rück­ gang der Studentenzahlen spiegelte.205 Mehr noch mag ihn das Schicksal von Kol­ legen getroffen haben. So etwa von Theodor Litt, der 1936, nachdem sich die Kon­ flikte zwischen ihm und den nationalsozialistischen Kräften zugespitzt hatten, um seine vorzeitige Emeritierung bat, oder von Gustav Neckel. Neckel war in Berlin der Lehrer Reichardts gewesen, später hatten sie beide am Germanischen Seminar gearbeitet. Als 1928 ein Nachfolger für die Nordistikprofessur in Leipzig gesucht wurde, hatte sich Neckel für seinen Schüler eingesetzt und wesentlich dazu beige­ tragen, dass der erst 27jährige, noch nicht habilitierte Reichardt auf das Leipziger Extraordinariat berufen wurde.206 1934 / 35 wurde Neckel Opfer einer Kampagne, die auf Klatsch, Missgunst und Konkurrenzgerangel gründete, zugleich politisch instrumentalisiert wurde und in Neckels Versetzung nach Göttingen mündete.207 So waren es fachspezifische, moralische und politische Gründe, die Reichardt zu dem Schluss kommen ließen, dass ein Weiterwirken als Professor in Deutsch­ land für ihn nicht mehr in Frage kam. Nach seiner Entlassung ging er nach Schwe­ den, wo er in Göteborg als Lektor arbeitete. Von dort kehrte er nicht wieder nach Deutschland zurück, sondern emigrierte in die USA. Als bekannt wurde, dass er eine Neuanstellung im Ausland bereits zum Zeitpunkt seiner Entlassung geplant hatte, wurde er 1939 als Emigrant eingestuft und aus der „Volksgemeinschaft“ aus­ geschlossen.208 Dies bedeutete den Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft und 204 Dieses Zitat und die folgenden dieses Abschnitts stammen aus einem Schreiben von K. Reich­ ardt an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 29. September 1937, in: BArch, BDC, ZB II, 1894, Bl. 3. 205 An anderer Stelle nannte Reichardt daher auch die schlechte Situation in der deutschen Nordi­ stik als Grund für seinen Rücktritt. Vgl. Schreiben des Ministeriums für Volksbildung an das REM vom 11.November 1937, in: SächHStA Dresden, MfV 10230 / 72, Bl. 1–2. Faktisch stu­ dierten Ende der 1930er Jahre im Reich nur noch ca. 60 Studierende Nordistik, während es 1931 / 32 allein in Berlin 30 gewesen waren, und an zwölf weiteren Universitäten, darunter Leipzig und Kiel, Nordisch gelehrt worden war. Kritik an den Zuständen findet sich auch bei Bernhard Kummer: „wenn nicht bald […] eine Besserung der Lage unseres Faches eintritt, so besteht eine Gefahr, die größer ist, als sie scheint“. B. Kummer, Die Lage des Altnordischen Faches an den deutschen Universitäten, in: J. Zernack, Gustav Neckel, S. 205 bzw. S. 208. 206 Vgl. J. Zernack, Gustav Neckel, S. 157. 207 Vgl. Kap. B II 3.2a. 208 Auf der Basis des Ausbürgerungsgesetzes vom 14. Juli 1933 wurde Emigration, die als Treue­ bruch gegenüber der deutschen Nation verstanden wurde, mit der Aberkennung der Staatsbür­ gerschaft geahndet. Vgl. G. Paul, Nationalsozialismus und Emigration, Sp. 46– 47.

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infolgedessen den Entzug des Doktorgrads durch die Universität Berlin.209 Darüber hinaus wurden sämtliche Verlage des Reichs angewiesen, den Kontakt mit Reich­ ardt abzubrechen.210 Anders als Werner Richter wurde Reichardt in den USA heimisch und kehrte von dort nach 1945 nicht nach Deutschland zurück. Für diesen Schritt fehlte ihm zunächst der äußere Antrieb, denn es war ihm im Exil verhältnismäßig gut ergan­ gen. Die Um­ und Einstellung auf die neue Sprache, die fremde Kultur und das andere Wissenschaftssystem war ihm leichter gefallen als anderen, zumal älteren Kollegen.211 Auch half ihm, dass er in seinem bisherigen Leben Erfahrungen mit anderen Sprachen und Kulturen hatte sammeln können: Er stammte aus Russ­ land, hatte während seiner Studien­ und Lehrzeit mehrmals Skandinavien bereist und sprach mehrere Sprachen.212 Für das Ankommen in der neuen Welt war ge­ rade diese Versiertheit im Umgang mit Neuem ebenso wichtig wie beruflicher Erfolg und finanzielle Unabhängigkeit. Neben guten Voraussetzungen hatte Reichardt auch Glück. Bereits ein Jahr nach seiner Ankunft in den USA erhielt er eine ordentliche Professur für German and Scandinavian an der renommierten University of Minnesota / Minneapolis. Er musste nicht wie Richter an einem College als Deutschlehrer arbeiten oder sich wie Richard Alewyn mit Lehrauf­ trägen und Stipendien finanziell über Wasser halten. 1947 folgte Reichardt einem Ruf an die renommierte Universität Yale, wo er bis zu seiner Pensionierung er­ folgreich lehrte. In einem Brief rühmte er die guten Bedingungen dort; die Kolle­ gen und Studenten seien freundlich, die Arbeitsbelastung überschaubar, die Atmosphäre fast europäisch.213 Schließlich hielt eine innere Abneigung und Unsicherheit gegenüber den Deutschen Reichardt davon ab, zurückzukehren. In einem Brief an Alewyn schrieb er 1947: „Sie werden also nach Europa gehen. Fast bewundere ich Ihren Mut. Sie werden dort gewiss die interessanteste aller Zeiten erleben und Sie werden, natürlich, viele alte Freunde wieder sehen. Hoffentlich wird Sie das Mitleid nicht zu sehr packen; die Angst vor dem Letzteren hat mich bisher veranlasst, keinerlei Ausflüge über den östlichen Ozean zu unternehmen.“ 214

Und zwei Jahre später, als Alewyn sich endgültig zur Rückkehr nach Deutschland entschieden hatte, schrieb Reichardt ihm: „Es hat mich interessiert und über­ 209 1996 wurde Reichardt von der Berliner Universität rehabilitiert, und der Doktortitel wurde ihm wieder zuerkannt. 210 In einem Schreiben des Propagandaministeriums heißt es: „Ich bitte, die deutsche Verleger­ schaft […] anzuweisen, dass die Aufnahme von Verbindungen irgendwelcher Art mit Konstan­ tin Reichardt […] unerwünscht ist.“ Schreiben des Propagandaministeriums an den Präsiden­ ten der Reichsschrifttumskammer vom 26. Januar 1939, zitiert nach Gerd Simon, Chronologie Nordistik. Dies hinderte den Diederichs Verlag im Übrigen nicht daran, Arbeiten von Reichardt als Neuauflage erscheinen zu lassen. 211 Vgl. Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Einleitung, S. 1–5. 212 Vgl. T. M. Andersson, Konstantin Reichardt. 213 Vgl. Brief von K. Reichardt an R. Alewyn vom 14. März 1949, in: DLA Marbach, A: Alewyn, 89.5.1397. 214 Brief von K. Reichardt an R. Alewyn vom 14. Juli 1947, in: Ebd.

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rascht zu hören, dass Sie nach Köln gehen werden. […] Ich selbst kann mich zu einer Reise nach Deutschland noch nicht entschliessen und glaube nicht, dass es in den nächsten Jahren dazu kommen wird.“215 Reichardt gehörte zu den wenigen deutschen Hochschullehrern, die sich be­ wusst gegen einen weiteren beruflichen Weg im Dritten Reich entschieden haben und die Emigration in Kauf nahmen. Eine eingehende Untersuchung seiner Bio­ graphie, wie sie diese Arbeit nicht leisten kann, wird weitere interessante Aspekte sichtbar machen. Die Betrachtung seiner Handlungsweisen jedoch schärft auf jeden Fall den Blick auf die Handlungsspielräume deutscher Eliten jenseits der weit ver­ breiteten „Kooperationsbereitschaft“216. Zwischenfazit Zusammenfassend müssen vor allem zwei Ergebnisse festgehalten werden. Zum einen dominierte zahlenmäßig während des Dritten Reichs die „normale“ Fluktua­ tion. Nach der „revolutionären Phase“ wurde wieder geregelt emeritiert und wegbe­ rufen, und auch die Todesfälle ähnelten den „normalen“ Entwicklungen während der Weimarer Republik. Trotzdem kann für das Dritte Reich kaum von „politisch unschuldigen“ Abgangsprozessen gesprochen werden. Denn die Berufungspraxis (und somit auch die akademischen Abgänge) waren politisiert, und vielfach profi­ tierten die Wegberufenen von den Vertreibungen an anderen Universitäten. Zudem konnten selbst bei Krankheit und Tod politische Auseinandersetzungen im Vorfeld eine Rolle gespielt haben. Zum anderen wurde in diesem Kapitel der Blick auf die Entlassenen selbst ge­ schärft. Bislang ungenügend berücksichtigte Prozesse wie die Entlassung von Aka­ demikerinnen und Akademiker oder das „freiwillige“ Ausscheiden aus dem Lehr­ betrieb wurden ins Bewusstsein gerückt. Ebenso die Differenzen im Selbstbild der jüdischen Germanisten hinsichtlich ihres wissenschaftlichen Selbstverständnisses, ihrer politischen Anschauungen und ihres Verhältnisses zum Judentum. Diese Un­ terschiede wurden im Zuge der rassistisch motivierten Entlassungspolitik von 1933 negiert. Jedoch sollte dies durch eine Reduzierung der jüdischen Germanisten auf ihren Opferstatus nicht fortgeführt, sondern vielmehr sollten Differenzen und auch Widersprüche innerhalb der Biographien zugelassen werden.217 3 Das Jahr 1945 Das Jahr 1945 war an den Universitäten unmittelbar mit der Entnazifizierungsfrage verknüpft. Gerade die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) ging davon aus, dass die deutschen Intellektuellen wesentlich mitverantwortlich für 215 Brief von K. Reichardt an R. Alewyn vom 14. März 1949, in: Ebd. 216 J. John, Der Mythos vom „rein gebliebenen Geist“, S. 33. 217 Zum Schulddiskurs im Zusammenhang mit dem Holocaust vgl. D. Diner, Über Schulddiskurse.

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die nationalsozialistische Machtergreifung und ihre Folgen waren.218 Pjotr Solotu­ chin, der für die Hochschulen zuständige Leiter der Volksbildungsabteilung der SMAD, brachte diesen Grundgedanken auf den Punkt: „Die deutsche Intelligenz trägt für das Unglück, das der vergangene Krieg über die Menschheit gebracht hat, die Hauptverantwortung. Kein Feldwebel, selbst in Generalsuniform, konnte die Möglichkeit haben, so unheilvoll zu wirken, wie es vom Katheder aus leicht geschehen kann: auf dem Kasernenhof schreit man Menschen an, auf der Universität wird die Geisteshaltung der Jugend und des Volkes geformt.“ 219

Unter dieser Prämisse wurde die Entlassung der politisch belasteten Hochschulleh­ rer zur Voraussetzung für die Wiedereröffnung der Hochschulen in der SBZ. Doch wer sollte entlassen werden? Wer galt als schuldig, als untragbar? Die Diskussionen darüber unterlagen verschiedenen Intentionen. Die SMAD zielte auf eine umfas­ sende politische Säuberung und die Ausgrenzung aller Nationalsozialisten (also der Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen) aus verantwortlichen Positionen.220 Die Universitäten hingegen setzten auf Konstanz und versuchten, den durch Krieg und Flucht ohnehin dezimierten Lehrbestand möglichst zu halten, um funktionsfä­ hig zu bleiben. Das daraus resultierende Spannungsverhältnis führte zu einer Reihe von Konflikten zwischen wissenschaftlichen und politischen Akteuren, die an den einzelnen Hochschulorten unterschiedlich verlaufen konnten. Mit Leipzig, Berlin und Jena interessieren im Folgenden die Entwicklungen dort im Zusammenhang mit den Prozessen in der sowjetisch besetzten Zone.221 Helga Welsh hat die Entnazifizierung der Beamtenschaft in der SBZ in vier Phasen unterteilt.222 Hiervon sind besonders die ersten beiden für die Hochschulen relevant. Die erste Phase dauerte einige Wochen. Sie ging vom Kriegsende bis etwa Juli 1945. Leipzig und Jena waren zu diesem Zeitpunkt noch durch angloamerika­ nische Truppen besetzt, Berlin durch sowjetische. In dieser Zeit erfolgte die „Selbst­ reinigung“ des Lehrkörpers, organisiert und durchgeführt durch neu gewählte Rek­ toren und Dekane sowie legitimiert durch entsprechende fachliche und politische Gutachten.223 Ausgeschlossen wurde in dieser Phase nur eine kleine Zahl von Uni­ versitätsangehörigen. In der Regel handelte es sich dabei um allgemein bekannte Nationalsozialisten, deren Verbleib man kaum hätte rechtfertigen können, zumal 218 Vgl. C. Vollnhals, Entnazifizierung; H. A. Welsh, Entnazifizierung; M. Müller / E. E. Müller, „… stürmt die Festung Wissenschaft“. Zur Position der politischen Akteure vgl. A. Haritonow, Sowjetische Hochschulpolitik; Pjotr I. Nikitin, Zwischen Dogma und gesundem Menschenverstand; M. Heinemann, Hochschuloffiziere. Konkret zu Sachsen und Leipzig vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, v. a. S. 301–308, sowie H.­U. Feige, Aspekte der Hochschulpolitik und ders., Zum Beginn. Zu den Entnazifizierungsprozessen in Jena vgl. J. Jeskow, Entnazifizierung, sowie für Berlin C. Jordan, Kaderschmiede. 219 So Solotuchin während einer Besprechung mit Rektoren ostdeutscher Universitäten am 31. Oktober 1945, zitiert nach A. Malycha, Hochschulpolitik, S. 33. 220 Vgl. A. Königseder, Entnazifizierung. 221 Zur Hochschulpolitik in den vier Besatzungszonen nach Kriegsende vgl. A. Malycha, Hochschulpolitik. 222 Vgl. H. A. Welsh, Entnazifizierung. 223 Vgl. S. Paletschek, Entnazifizierung, S. 398.

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einige von ihnen durch die Besatzungsmacht verhaftet worden waren. Die Selbst­ reinigungsverfahren waren also keine grundsätzlichen politischen Säuberungen. Vielmehr zielten sie darauf, den Lehrbestand zu erhalten. In der Praxis wurde das politische Engagement des Lehrpersonals während des Dritten Reichs dabei oft hintangestellt, weshalb diese als oberflächlich diskreditierte Entlassungspolitik zu­ nehmend in die Kritik geriet, was die zweite Phase der personellen Säuberungen einleitete. Diese ging von Ende Juli / Anfang August 1945 bis zum Ende des Jahres. Inner­ halb dieser Zeit wurden in den Städten und Kommunen lokale Verwaltungsinstan­ zen eingesetzt, die die Entnazifizierung regelten. Ihre Entscheidungen wurden durch Befehle und Anordnungen der sowjetischen Besatzungsmacht ergänzt und korrigiert. Dadurch verloren die universitätsinternen Gremien zunehmend an Ein­ fluss. Ab Herbst drängte die SMAD auf eine zentral geregelte, radikale Säuberungs­ politik und setzte mit dem Befehl Nr. 50 durch, dass alle ehemaligen NSDAP­Mit­ glieder bis zum Ende des Jahres zu entlassen sind.224 In den beiden Phasen wurden an den ostdeutschen Hochschulen insgesamt zwi­ schen 27 und 46 Prozent des Lehrkörpers aufgrund von NS­Belastung entlassen.225 Darüber hinaus gab es in den ersten Monaten nach Kriegsende weitere das Personal dezimierende Prozesse.226 Einige der stark belasteten Professoren wurden verhaftet oder begingen Selbstmord. Andere waren noch in Kriegsgefangenschaft, von wo ein nicht unwesentlicher Teil nicht mehr in die SBZ zurückkehrte.227 Weiterhin zu be­ rücksichtigen sind der brain drain durch die Amerikaner und die Abtransporte von Wissenschaftlern in die Sowjetunion, wovon vor allem Mediziner, Naturwissen­ schaftler und technische Assistenten, kaum jedoch Geisteswissenschaftler betroffen waren.228 In der Summe führte dies zu einem immensen Personalverlust an den ost­ deutschen Universitäten. Dieser lag (gemessen am Personalstand im Wintersemester 1944 / 45) bis Ende 1945 bei 80 bis 90 Prozent.229 Die Entnazifizierungsmaßnahmen 224 Der „Neuaufnahme des Unterrichts“ geht voraus, dass „nazistische und militärische Lehren aus dem Unterricht und der Erziehung der Studenten völlig zu beseitigen sind und die Ausbildung solcher Kräfte zu sichern ist, die fähig ist, demokratische Grundsätze in die Praxis umzuset­ zen.“ Befehl Nr. 50 über die „Neuaufnahme der Lehr­ und Forschungstätigkeit der Hochschu­ len“ vom 4. September 1945, zitiert nach A. Malycha, Hochschulpolitik, S. 33. 225 Ralph Jessen gibt Zahlen zwischen 27 und 43 Prozent an. Vgl. R. Jessen, Akademische Elite, S. 266. Nach Jan Jeskow, der sich mit der Entnazifizierung in Jena befasst hat, waren es dort sogar 47 Prozent. Vgl. J. Jeskow, Entnazifizierung, S. 80. Vergleichbar waren die Tendenzen an den westdeutschen Universitäten. Vgl. A. Malycha, Hochschulpolitik, S. 31–38. 226 Die hohen Personalverluste zwischen 1945 und 1946 waren so „nur zu einem Teil – und zwar kleinerem Teil – der Aktivität der Entnazifizierungsgremien zu verdanken“. R. Jessen, Akademische Elite, S. 206. 227 Nach Parak waren bereits 1942 etwa ein Fünftel der sächsischen Hochschullehrer zum Kriegs­ dienst eingezogen worden und nach Kriegsende kehrten sie nicht an die sächsischen Universi­ täten zurück. Nicht zuletzt aus diesem Grund hält er den überwiegenden Teil der Abgänge für kriegsbedingt. Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 298. 228 Vgl. R. Jessen, Akademische Elite, S. 267–270. 229 Nach zeitgenössischen Angaben waren in Leipzig bei Wiedereröffnung der Universität Anfang 1946 noch 44 der 260 Hochschullehrer im Amt, die im WS 1944 / 45 noch gelehrt hatten (Entlassungsquote von 82 Prozent). In Jena waren es noch 43 von 212 (Entlassungsquote von

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selbst waren dabei nur ein Aspekt gewesen, ein großer Teil der Personalverluste war Folge der umfangreichen Flucht­ und Wanderungsbewegungen nach Westen.230 Das rigorose Vorgehen der SMAD in der Entnazifizierungsfrage bis Ende 1945 hatte zur Folge, dass die ostdeutschen Universitäten von der dritten und vierten Entnazifizierungsphase kaum noch betroffen waren.231 Vielmehr setzte seit Mitte 1946 ein Umdenken ein, das aus dem existentiellen Personalmangel resultierte. Im Dezember 1946 wurden regionale Entnazifizierungskommissionen eingerichtet, die die Einzelfälle abermals überprüften und politische Rehabilitierungen aussprachen. Da dies in einer Vielzahl der Fälle geschah, erließ die SMAD im August 1947 den Befehl Nr. 201, der die Rehabilitierung und Wiedereinstellung aller nominellen NSDAP­Mitglieder ermöglichte. Mit dem SMAD­Befehl Nr. 35 vom 2. März 1948 galt die Entnazifizierung offiziell als beendet.232 Auch an den westdeutschen Uni­ versitäten wurde eine Vielzahl der zuvor wegen ihrer NSDAP­Mitgliedschaft ent­ lassenen Professoren und Dozenten später wieder eingestellt – eine Maßnahme, die in allen Zonen unter dem Vorzeichen des Kalten Krieges stand. Aus diesem Grund, so Andreas Malycha, erwies sich die Entnazifizierung „letztlich als ein nur sehr bedingt wirksames und letztlich gescheitertes Verfahren zur personellen Erneue­ rung an den Universitäten.“233 Wie gestaltete sich dies nun konkret in der Germanistik in Leipzig, Berlin und Jena? Wie eingangs bemerkt waren vor allem die beiden ersten Phasen des Entnazifi­ zierungsprozesses für die Hochschulen entscheidend. Sie stehen daher im Zentrum der folgenden Ausführungen. Im ersten Teil sind die Abgänge an den drei Instituten im Jahr 1945 insgesamt darzustellen. Dabei wird erstmals eine detaillierte Übersicht über alle von diesem Prozess betroffenen Lehrkräfte erstellt. Im zweiten Teil wird die Phase der „Selbstreinigung“ genauer analysiert. Diese kurze Phase unmittelbar nach Kriegsende war wie gesagt im Wesentlichen eine interne Angelegenheit; hier ent­ schieden Kollegen über Kollegen. Interessanterweise war unter den wenigen Sofort­ entlassenen an den drei Universitäten jeweils ein Germanist, weshalb dieser Sachver­ halt, seine Umstände und Hintergründe intensiv zu analysieren sind. 3.1 Ein Drittel, zwei Drittel, hundert Prozent. Abgänge nach Kriegsende Über die Gesamtzahl der Germanisten, die 1945 / 46 entlassen wurden bzw. nicht in ihre Ämter zurückkehrten, gibt es bislang keine gesicherte Übersicht. Auch eine syste­ matische Analyse der Abgangsgründe fehlt bislang. Für das gesamte deutschsprachige

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80 Prozent) und in Berlin 90 von 810 (Entlassungsquote von 89 Prozent). Vgl. für Leipzig und Berlin R. Jessen, Akademische Elite, S. 265; für Jena J. Jeskow, Entnazifizierung, S. 80. Vgl. A. Malycha, Hochschulpolitik, S. 36. Die dritte und vierte Phase umfassten die Umsetzung der Direktive Nr. 24 von November 1946 bis August 1947 sowie die Schlussphase der Entnazifizierung von August 1947 bis März 1948. Vgl. H. A. Welsh, Revolutionärer Wandel auf Befehl?, S. 18–19. Vgl. H. A. Welsh, Entnazifizierung, S. 20. A. Malycha, Hochschulpolitik, S. 38.

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Gebiet sprach Christa Hempel­Küter von 50 entlassenen Germanisten, wobei unklar blieb, wen sie darunter zählte.234 Petra Boden konzentrierte sich auf die planmäßigen Professoren an den sechs Hochschulen der SBZ und konnte feststellen, dass nach Wie­ dereröffnung der Universität noch sechs von 23 Lehrkräften im Amt waren.235 Betrachtet man die personellen Entwicklungen in Leipzig, Berlin und Jena, so zeigt sich bereits hier, dass die Fluktuation ungleich umfassender war, bezieht man auch Privatdozenten, lehrende Emeriti, Lehrbeauftragte und Lektoren mit ein. Allein für diese drei Institute konnten 18 Abgänge bis zum Ende des Jahres 1945 verzeichnet werden. Der überwiegende Teil dieser Gruppe schied als politisch be­ lastet aus dem Amt. Ein kleinerer Teil kehrte aus dem Krieg nicht an die Universität zurück. Beide Prozesse konnten sich auch überschneiden: So galt der Dozent für Volkskunde Gerhard Heilfurth aufgrund seiner NSDAP­Mitgliedschaft als politisch belastet. Er entzog sich aber seiner Entlassung, indem er sich nach dem Krieg nicht in Leipzig zurückmeldete. Die in der SBZ strengeren Maßnahmen veranlassten auch andere Dozenten dazu, nicht dorthin zurückzukehren.236 So etwa den Berliner Privatdozenten Ulrich Pretzel, den es während des Krieges nach Hamburg verschla­ gen hatte, wo er sich rasch umhabilitierte und wo er nach Wiedereröffnung der Universität lehrte.237 Auch Julius Schwietering, der in Berlin Ordinarius für Ältere deutsche Philologie gewesen war, kehrte nicht in die Hauptstadt zurück, sondern blieb in Frankfurt am Main, wo er 1946 eine Professur erhielt.238 Fragt man nach den Gründen, warum die Gelehrten nicht zurückkehrten, so mögen neben politischen Erwägungen auch wirtschaftlich-finanzielle Gründe, Transportschwierigkeiten oder private Umstände (etwa Verwandtschaft in der Nähe) eine Rolle gespielt haben. Zudem ist die von Goebbels intensiv geschürte Angst vor „den Russen“ nicht zu unterschätzen, selbst dann, wenn man de iure nicht als politisch belastet galt,239 hier hatte jahrelange Propaganda ihren Dienst getan. Und möglicherweise deutete sich in diesen Ängsten auch ein Schuld­ Bewusstsein für die deutschen Taten an der Ostfront an. Die Angst vor der Rache der Russen war neben anderen Gründen für einige Deutsche auch ein Motiv zum Selbstmord – auch im akademischen Milieu. So nahm sich der Jenaer Germanist Arthur Witte am 23. Juni 1945 das Leben, nachdem die Amerikaner es abgelehnt hatten, ihn kurz vor dem Einmarsch der sowjetischen Armee in die westliche Zone mitzunehmen.240 234 235 236 237 238 239 240

Vgl. C. Hempel­Küter, Anfänge, S. 598. Vgl. P. Boden, Universitätsgermanistik in der SBZ / DDR, S. 120–127. Vgl. H. A. Welsh, Revolutionärer Wandel auf Befehl?, S. 11. Vgl. C. Hempel­Küter / H.­H. Hahn, Neukonstituierung, S. 21. Vgl. W. Höppner, Franz Koch und die deutsche Literaturwissenschaft der Nachkriegszeit, S. 184. Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 298. In seinem Abschiedsbrief an den Rektor der Universität sprach Witte auch seine diesbezüg­ lichen Befürchtungen an: „Ich habe die Absicht, Gift zu nehmen […]. Es handelt sich um einen wohlerwogenen Entschluss für den Fall, dass ich […] keine Möglichkeit mehr sehe, für das Ideal der Wissenschaft zu leben […]. Eine solche Möglichkeit sehe ich nicht mehr, da die Rus­ sen kommen. Sie müssen zwangsläufig von unten beginnen, um ihre Kultur aufzubauen.“ Brief von A. Witte an den Rektor der UJ Friedrich Zucker vom 22. Juni 1945, zitiert nach R. Stolte­ Batta, Heinz Stolte, S. 70.

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Die genannten Beispiele zeigen, dass auch Tod (Suizid) oder akademisch­wirt­ schaftliche Erwägungen bei den Abgängen 1945 eine Rolle spielten. Allerdings war in jedem Fall das politische Moment ausschlaggebend. Dies zeigt folgende Tabelle, die einen Überblick über alle an den drei Instituten erfassbaren Abgangsfälle und ihre Gründe bietet.

Name und Status

Wirkungs­ ort im WS 1944 / 45

Entlassungszeit­ Politisches punkt und Engagement Abgangsgrund

Weiterer akade­ mischer Werdegang

Heinrich Brömse Lehrbeauftragter für Niederdeutsche Sprache und Lite­ ratur (keine Planstelle)

Berlin

November 1945 entlassen

politisch belastet241

k. A.

Gerhard Cordes Ordinarius für Deutsche, insbeson­ dere Niederdeutsche Philologie

Berlin

November 1945 entlassen

NSDAP­ Mitglied­ schaft

1948–1952 Lektor an der Universität Kiel; 1952–1957 Extraordinarius; 1957–1974 Ordinarius in Kiel

Gerhard Heilfurth Dozent für Volkskunde seit 12 / 1944 (keine Planstelle)

Leipzig

1945 meldete sich nach dem Krieg nicht in Leipzig zurück

HJ, SA NSDAP­ Mitglied­ schaft242

1949–1959 Dozent, später Direktor an der Sozialakademie Friedewald; 1956–1959 Extra­ ordinarius in Gießen; 1959–1978 Ordina­ rius in Marburg

Alfred Hübner Extraordinarius für Deutsche Philologie

Leipzig

1945 meldete sich nach dem Krieg nicht in Leipzig zurück 243

Mitglied in der SA 244

Ende 1946 Vertre­ tung einer Professur in Göttingen,245 später dort bis zu seinem Tod Ordi­ narius

241 Vgl. W. Höppner, Franz Koch und die deutsche Literaturwissenschaft der Nachkriegszeit, S. 180. 242 Vgl. H.­U. Feige, Zum Beginn, Bd. 2, S. 176. 243 Die Entnazifizierungsunterlagen zu Hübner liegen in Göttingen, wohin er nach dem Krieg zurückgegangen ist. Für diesen Hinweis danke ich Ulrich Hunger vom Universitätsarchiv Göttingen. 244 Vgl. selbstverfassten Lebenslauf, in: UAL, PA 595, Bl. 12. 245 Vgl. C. Hempel­Küter, Germanistik zwischen 1925 und 1955, S. 104.

241

Der verordnete Bruch

Name und Status

Wirkungs­ ort im WS 1944 / 45

Entlassungszeit­ Politisches punkt und Engagement Abgangsgrund

Weiterer akade­ mischer Werdegang

André Jolles Extraordinarius für Niederlandistik

Leipzig

Juli 1945 entlassen bzw. Nicht­Verlänge­ rung des Lehrauftrags

NSDAP­ Mitglied­ schaft

verstarb im Februar 1946 (möglicher­ weise Suizid)

Matthias Jónasson Lektor für Schwe­ disch (keine Planstelle)

Leipzig

1945 meldete sich nach dem Krieg nicht in Leipzig zurück

politisch belastet246

1945 Rückkehr nach Island; 1957–? in Reykjavik, Professor an der dortigen Uni­ versität

Hans Knudsen Extraordinarius für Theaterwissenschaft

Berlin

November 1945 entlassen

NSDAP­ Mitglied­ schaft247

1948–1960 Ordinarius an der FU Berlin

Franz Koch Ordinarius für Deutsche Philologie und Neuere deutsche Literatur­ geschichte

Berlin

Juli 1945 entlassen

NSDAP­ Mitglied­ schaft

kehrte (trotz Reha­ bilitierung) nicht als Professor an eine Universität zurück; 1949 Übersiedlung nach Linz; 1952 Übersiedlung nach Tübingen, dort planmäßige Emeritierung 1960 248

Hans Kuhn Ordinarius für Nordistik

Berlin

November 1945 entlassen

NSDAP­ Mitglied­ schaft

1946–1964 Ordinarius in Kiel

Bernhard Kummer Ordinarius für Nordistik

Jena

Mai 1945 entlassen

NSDAP­ kehrte nicht in den Mitgliedschaft Wissenschaftsbetrieb 1928–1930 zurück

Ulrich Pretzel Privatdozent (keine Planstelle)

Berlin

1945 Funktion im meldete sich nach NSDB 249 dem Krieg nicht in Berlin zurück

1947–1968 Ordinarius in Hamburg

246 Vgl. H.­U. Feige, Zum Beginn, Bd. 2, S. 176. 247 Vgl. UA der HUB, PA Knudsen, Bd. II. Zur Diskussion um seine Wiedereinstellung vgl. v. a. Bl. 6– 42. 248 Vgl. W. Höppner, Franz Koch und die deutsche Literaturwissenschaft der Nachkriegszeit, S. 183–187. 249 Pretzel war als Mitglied im NSDB ehrenamtlicher Mitarbeiter im Auslandsamt der Dozenten­ schaft.

242 Name und Status

Germanistenleben

Wirkungs­ ort im WS 1944 / 45

Entlassungszeit­ Politisches punkt und Engagement Abgangsgrund

Weiterer akade­ mischer Werdegang

November 1945 entlassen

NSDAP­Mit­ gliedschaft

1947–1950 vertre­ tungsweise, 1950– 1958 reguläres Ordinariat in Hamburg

Leipzig

November 1945 entlassen

politisch belastet250

1947 Lehrauftrag in Halle; 1951–1971 Ordinarius in Münster

Ludwig Erich Schmitt Leipzig Extraordinarius für Deutsche und niederlän­ dische Philologie

November 1945 entlassen251

NSDAP­Mit­ gliedschaft 1937–1943

1947–1953 Extraordi­ narius in Leipzig; 1956–1976 Ordinarius in Marburg

Oktober 1945 entlassen

NSDAP­Mit­ gliedschaft

1945–1949 freischaf­ fende wissenschaft­ liche Schriftstellerin in Leipzig; 1950 an FU Berlin umhabilitiert, dort ao. Professorin, später ordentliche Professorin bis 1975

Hans Pyritz Berlin Ordinarius für Neuere deutsche Literaturge­ schichte Bruno Schier Ordinarius für Volkskunde

Ingeborg Schröbler Dozentin mit Lehrauftrag für Deutsche Philologie

Leipzig

Julius Schwietering Berlin Ordinarius für Ältere deutsche Philologie

politisch 1945 meldete sich nach belastet 252 dem Krieg nicht in Berlin zurück

1946–1952 Ordinarius in Frankfurt am Main

250 Schier war zwar nicht in der NSDAP, aber galt vor allem durch seinen Aufenthalt als Gast­ professor in Preßburg als diskreditiert. Vgl. UAL, PA 252. 251 Vgl. Verzeichnis des Personalbestandes der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig, in: UAL, Phil. Fak. A 3 / 38. 252 Schwietering gab in einer Erklärung über sein politisches Engagement im Dritten Reich an, er sei im NSLB politisch aktiv gewesen, habe während seiner Museumstätigkeit heimatkundliche Arbeit betrieben und „volkskundliche Bestrebungen auf nationaler Grundlage in Forschung und Unterricht schon von Beginn meiner akademischen Lehrtätigkeit (1924)“ berücksichtigt. Seit 1933 war er leitender Mitarbeiter als Vertreter der Universität in der Fachgruppe „Deutsch“ im NSLB und Vorsitzender der Ortsgruppe Frankfurt bei der Gesellschaft für Deutsche Bildung als Mitglied des NSLB. Er war förderndes Mitglied der SS, Mitglied des Reichskolonial­ bundes, des Reichsluftschutzbundes und der NSV. Vgl. Personalbogen von J. Schwietering, in: UA der HUB, PA Hübner, Bl. 1. 253 Zu den Angaben (falls nicht anders vermerkt) vgl. die jeweiligen Artikel im Internationalen Germanistenlexikon. Nicht in diese Aufzählung einbezogen sind Irmgard Weithase (Lektorin für Sprechkunde in Jena), Otto zur Nedden (Professor für Theaterwissenschaft in Jena) sowie der Assistent am Theaterwissenschaftlichen Institut, Lutz Besch, da weder die Sprechkunde noch die Theaterwissenschaft 1945 institutionell an das Germanistische Institut in Jena gebunden waren.

243

Der verordnete Bruch

Name und Status

Wirkungs­ ort im WS 1944 / 45

Entlassungszeit­ Politisches punkt und Engagement Abgangsgrund

Arthur Witte Extraordinarius für Deutsche Philologie und Volkskunde

Jena

23. Juni 1945 Suizid

politisch engagiert (siehe unten)

Weiterer akade­ mischer Werdegang –

Tabelle 7: Überblick über die Abgänge in Leipzig, Berlin und Jena 1945 und 1946 (in alphabetischer Reihenfolge) 253

Mit 18 Abgängen bei 22 Dozenten und Professoren verlor die Germanistik in Leip­ zig, Berlin und Jena mehr als drei Viertel ihres Lehrpersonals. Betroffen waren fünf der acht Ordinarien. Von den fünf Extraordinarien wurden alle entlassen bzw. kehrte keiner von ihnen an die Heimatuniversität zurück. Ebenso verhielt es sich mit den acht Assistenten, Privatdozenten, Lehrbeauftragten, Lektoren und lehrenden Eme­ riti. Berücksichtigt man, dass es sich bei den drei im Amt verbliebenen Ordinarien um Vertreter der Generation handelt, die in den 1880er / 1890er Jahren geboren wurden, verweist dieses Ergebnis auch auf eine der zentralen wissenschaftshistori­ schen Erkenntnisse. Nach dieser waren die älteren, etablierten Professoren seltener Mitglied der NSDAP als die jüngeren, die während des Dritten Reiches vielfach zum akademischen Nachwuchs gehört hatten.254 Der hohe Anteil von NSDAP­Mit­ gliedern konnte für sie bereits in Kapitel B I 2 gezeigt werden. Interessanter als dieser Befund sind die regionalen Differenzen. Betrachtet man ausschließlich die Planstellen und bei diesen nur die dezidiert politischen Abgänge, dann ergibt sich ein bemerkenswertes Bild. In Jena nämlich betrug die Entlassungs­ quote 33 Prozent, in Leipzig waren es 60 und in Berlin sogar 100 Prozent. Dass in Berlin alle Professoren entlassen wurden bzw. keiner dorthin zurückkehrte, hat Vgl. Kap. A III 2.1. Besch und zur Nedden wurden 1945 aufgrund ihres politischen Engage­ ments entlassen; zur Nedden war seit 1931 Mitglied der NSDAP und hatte in den frühen 1930er Jahren als Kulturwart des Kreises Tübingen der NSDAP die dortige Ortsgruppe des „Kampf­ bundes für deutsche Kultur“ gegründet. Seit 1938 war er in Thüringen Stellenleiter für Musik und Bühnendichtung in der Gaupropagandaleitung. Nach dem Krieg konnte zur Nedden ins akademische Feld zurückkehren und ging 1957 als Extraordinarius für Theaterwissenschaften nach Köln. Vgl. J. H. Ulbricht, „Goethe-Schiller-Universität Jena-Weimar“?, S. 337–341, so­ wie A. Pöthe, Konservatives Kulturideal, S. 862–863. Irmgard Weithase war seit 1934 Lekto­ rin für Sprechkunde in Jena. Sie war Mitglied in der NS­Frauenschaft (seit 1935) sowie im NS­Lehrerbund. Da sie kein NSDAP­Mitglied gewesen war, hatte man von ihrer Entlassung 1945 abgesehen. Im Jahr 1947 häuften sich jedoch die Vorwürfe, sie habe in Rundfunksendun­ gen offensive Propaganda für das Dritte Reich betrieben, weshalb sie im März 1947 entlassen wurde. Aufgrund der Fürsprache von Wesle, aber auch im Zuge der generellen Rehabilitierung von NSDAP­Mitgliedern wurde Weithase 1948 / 49 wieder vorbehaltlich zur Lehre zugelas­ sen; seit März 1949 war sie als Lektorin bzw. Dozentin wieder regulär in Jena angestellt. 1958 habilitierte sich Weithase nach München um, wo sie bis zu ihrer Pensionierung 1974 als Pri­ vatdozentin bzw. außerplanmäßige Professorin lehrte. Vgl. M. Bräunlich, Irmgard Weithase. 254 Vgl. M. Grüttner, Universität und Wissenschaft, S. 41– 42 242 243 244 245 246 247

244

Germanistenleben

mehrere Gründe. Die Entlassungen gehen zum einen auf den Fakt zurück, dass in der Berliner Germanistik während des Dritten Reiches alle Stellen neu besetzt wor­ den waren. Dabei hatte die politische Eignung der Kandidaten wie beschrieben eine wichtige Rolle gespielt. In der Regel schlug sie sich in der NSDAP­Mitgliedschaft nieder, in positiven Gutachten des NSDB oder durch politisches Engagement in NS­Organisationen – und dies führte nun zu Entlassungen. Die Entscheidung, nicht nach Berlin zurückzukehren, war zum anderen neben möglichen persönlichen Gründen auch ganz prinzipieller Natur: Berlin war von Beginn an durch russische Truppen besetzt, Stadt und Universität waren stark zerstört, die Flüchtlinge ström­ ten aus dem Osten nach Berlin. Es herrschte in der Großstadt und ehemaligen Metropole (mehr noch als in kleineren Städten oder auf dem Land) Hunger, Not, Zerstörung und Gewalt. Der Verlust aller Berliner Germanisten ist ebenso bemerkenswert wie die per­ sonelle Situation in Leipzig. Hier wurden zwar die drei Extraordinarien entlassen. Die beiden Ordinarien jedoch blieben im Amt – ein im Osten wie Westen einmali­ ger Zustand. Die Gründe für diese Kontinuität können an dieser Stelle nur angedeu­ tet werden.255 Prinzipiell gehörten Parteizugehörigkeit und politischer Aktionismus nicht zum politischen Selbstverständnis der beiden Ordinarien Frings und Korff. Auch waren sie 1933 bereits etabliert, sodass Opportunismus aus Karrieregründen nicht nötig war. Und nicht zuletzt galt die Leipziger Universität als „Arbeits­ universität“256 ohne explizite politische Ambitionen – im Gegensatz zur Hauptstadt­ universität oder zu der sich zur nationalsozialistischen „Musteruniversität“257 stili­ sierenden Hochschule in Jena. Die geringe Zahl der in Jena entlassenen Germanis­ ten darf im Übrigen nicht über die tatsächliche Politisierung der dortigen Professo­ ren hinwegtäuschen. Denn nur auf den ersten Blick sieht die politisch motivierte Entlassungssituation in Jena am saubersten aus: Weder die Professoren Carl Wesle und Arthur Witte noch der Assistent Heinz Stolte waren in der NSDAP gewesen. Und Bernhard Kummer, einer der überzeugtesten Nationalsozialisten der Universi­ tät, war bereits im Rahmen der Sofortentlassungen von der Universität ausgeschlos­ sen worden. Doch gerade am Beispiel von Witte und Wesle lassen sich die Grenzen des Entnazifizierungsverfahrens als einer zuletzt schematischen Erfassung politi­ scher Gesinnung aufzeigen. Wesle und Witte standen dem Nationalsozialismus, nämlich auch ohne Partei­ mitglieder gewesen zu sein, nicht ablehnend gegenüber – im Gegenteil. Witte fühlte sich nach eigenen Aussagen seit Mitte der 1920er Jahre vom Nationalsozialismus 255 Vgl. ausführlich Kap. B III 3. 256 So erlebte sie der Philosophieprofessor Hans­Georg Gadamer, als er 1938 nach Leipzig berufen wurde: „Verglichen mit dem moralischen Terror, der die Marburger Atmosphäre so drückend gemacht hatte, trat die Partei an der Universität Leipzig kaum in Erscheinung. Mein mit leichter Bangigkeit unternommener Besuch bei dem Dozentenbundführer, dem Vertreter der Partei, verlief überraschend einfach. Herr Clara (er war Anatom) erklärte mir, Leipzig sei eine Ar­ beitsuniversität – und darauf konnte ich mit Überzeugung und ohne Rückhalt erwidern, dass ich mich dann gewiss in Leipzig wohlfühlen würde.“ H.­G. Gadamer, Philosophische Lehrjahre, S. 111. 257 So der NSDAP­Gauleiter in Thüringen Fritz Sauckel. Vgl. U. Hoßfeld / J. John u.a, „Kämpferische Wissenschaft“, S. 65.

Der verordnete Bruch

245

angezogen, mit dem er in antimarxistischen und antikatholischen, vor allem antijü­ dischen Ressentiments übereinstimmte: „Ich war Gegner des Judentums. Überall auf geistigem Gebiete hatte es die Herrschaft an sich gerissen. Besonders in der Neueren Literaturgeschichte war das der Fall. […] Da die NSDAP die einzige war, die bedingungslos die Juden bekämpfte, habe ich seit meiner Münchener Stu­ dienzeit in jeder Wahl nationalsozialistisch gewählt.“258

Für ihn, der aus einfachen Verhältnissen stammte und für den der akademische Werdegang nicht selbstverständlich gewesen war, wurde vor allem die sozialisti­ sche Idee der nationalsozialistischen Weltanschauung zum „Rettungsanker“ in ei­ ner persönlichen, aber auch gesellschaftlichen und geschichtsphilosophischen Kri­ se.259 In die NSDAP trat Witte in den 1920er Jahren nicht ein, weil er sein Studium zügig abschließen wollte und die Mitgliedschaft zeitintensives Engagement erfor­ dert hätte. Später unterließ er den Schritt, weil ihm die vielen „Märzgefallenen“ zuwider waren, „weil ich viele meiner Kollegen, die vorher ganz anders eingestellt gewesen waren und anders gehandelt hatten, unter Vorwänden in die Partei eintre­ ten sah“260. Doch natürlich lieferte Witte wiederholt Bekenntnisse zum Dritten Reich. So arbeitete er am Aufbau der Hochschule für Politik in Berlin mit und hielt dort Vorträge über die kulturpolitische Aufgabe der Volkskunde.261 Auch in seiner Rede Schiller und die Gegenwart, die er an prominenter Stelle am 10. November 1934 anlässlich der Verleihung des Namens Friedrich­Schiller­Universität beim of­ fiziellen Festakt hielt, verknüpfte er Biographie und Werk des Klassikers mit Ge­ schichte und Gegenwart des Dritten Reiches.262 Auch Carl Wesle war nicht in der NSDAP gewesen, obgleich er zweimal den Antrag auf Aufnahme gestellt hatte. Dass er nicht aufgenommen wurde, hing mit einem Ereignis zusammen, das sich vor seiner Jenaer Zeit, im Jahr der Machtüber­ nahme in Kiel abgespielt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war er dort Professor und Dekan der Philosophischen Fakultät gewesen. In dieser Funktion unterschrieb er, vom Rektor aufgefordert, die Beitrittserklärung.263 Wenige Wochen später war Wesle jedoch bereits in Ungnade gefallen, da er sich für seinen Kollegen Wolfgang Liepe eingesetzt hatte, der – mit einer Jüdin verheiratet – entlassen werden soll­ te.264 Der Rektor warf Wesle daraufhin vor, für „Unzuträglichkeiten an der Univer­ 258 Erklärung von A. Witte zum eigenen akademischen Werdegang sowie der persönlichen und politischen Entwicklung vom 16. Mai 1938, in: UAJ, Bestand D, PA Witte, unpag., S. 5. 259 Vgl. A. Pöthe, Konservatives Kulturideal, S. 857–859. 260 Erklärung von A. Witte zum eigenen akademischen Werdegang sowie der persönlichen und politischen Entwicklung vom 16. Mai 1938, in: UAJ, Bestand D, PA Witte, unpag., S. 8. 261 Ebd., S. 7. 262 Vgl. A. Witte, Schiller und die Gegenwart. 263 Wie Carl Wesle später angab, habe er der Aufforderung des Rektors nachgegeben, um „für die Vermeidung von Härten in der Behandlung von Kollegen einzutreten, die unter dem national­ sozialistischen Regime mit Absetzung bedroht waren“. Vgl. Persönlicher Fragebogen vom 21. November 1946, in: UAJ, PA Wesle, Bestand D, PA Wesle, unpag. 264 Wolfgang Liepe wurde im April 1933 von seiner Universitätstätigkeit beurlaubt, später nach Frankfurt am Main zwangsversetzt, wo er 1936 im Alter von 48 Jahren zwangsemeritiert wurde. 1939 emigrierte er in die USA, von wo er 1947 nach Deutschland zurückkehrte. 1954

246

Germanistenleben

sität“ verantwortlich zu sein und setzte sich für seine Absetzung als Dekan ein. Im Zusammenhang mit diesen Ereignissen lehnte die Kreisleitung Kiel auch das Auf­ nahmegesuch Wesles in die NSDAP ab.265 Ein Jahr später wurde er nach Bonn zwangsversetzt, von dort kam er 1935 nach Jena. Das Verhalten Wesles in Kiel war durchaus couragiert. Doch ist daraus prinzipielle Distanz zum Nationalsozialismus abzuleiten? Auch andere Faktoren können in diesem Konflikt eine Rolle gespielt haben: die generelle Konkurrenz zwischen Wissenschaft und Politik, die Solidarität mit dem langjährigen Kollegen oder die Ablehnung intriganter Handlungsweisen, wie denen des Kieler Germanisten Fritz Brüggemann, der sich von seinen Aktionen gegen Liepe und Wesle einen Karrieresprung erhoffte.266 Auch in Jena wurde Wesle wiederholt aufgefordert, in die NSDAP einzutreten. Als er 1942 Dekan wurde, unterschrieb er erneut eine Beitrittserklärung. Er glaubte so – wie er nach 1945 angab – die Interessen der Fakultät gegenüber den politi­ schen Stellen besser vertreten zu können. Doch aufgrund der Kieler Ereignisse war Wesle auch der Jenaer Parteistelle suspekt. Nach eigenen Angaben hörte er nie wie­ der von dieser Angelegenheit.267 Persönliche Nachteile erwuchsen ihm daraus nicht. Er blieb bis zum Kriegsende in der Funktion des Dekans. Nach 1945 gab es Vorwürfe, Wesle habe antisemitische Hetzvorträge gehal­ ten.268 Er wies dies mit den Worten zurück: „Einem grundsätzlichen Antisemitis­ mus habe ich immer ferngestanden“269, wovon sein Einsatz für Liepe in Kiel zeuge. Doch in anderen Fällen war er dafür umso offensiver als Antisemit aufgetreten. Dies zeigt sich beispielhaft in seinen Äußerungen über Joachim Ritter, einem Schü­ ler Ernst Cassirers, der nach Jena berufen werden sollte. Wesle war dagegen, denn Ritter habe früher „völlig im marxistischen Fahrwasser“ gestanden und käme daher für die Berufung nicht in Frage. Dem fügte er in seiner Funktion als Dekan in einem Brief an den Gaudozentenbundführer hinzu: „Aber es ist zum Glück gar nicht notwendig, darüber [über die politische Vergangenheit Rit­ ters; AL] zu streiten, denn der eine Grund, die frühere Ehe mit einer jüdischen Frau, ist für mich so gewichtig, dass dieser Beweis völkischer Instinktlosigkeit völlig ausreicht. Ich habe nie recht verstehen können, dass derartige Ehen an vielen Stellen offenbar als nicht mehr exis­ tierend angesehen werden, wenn der Betreffende den Dusel hatte, dass die Frau inzwischen

265 266 267 268

269

konnte er als einer der wenigen Remigranten seinen ehemaligen Lehrstuhl in Kiel wieder über­ nehmen. Zwei Jahre später wurde er emeritiert. Vgl. R. Uhlig, Vertriebene Wissenschaftler, S. 29–32. Vgl. C. Wesle, Persönlicher Fragebogen vom 21. November 1946, sowie Erklärung zur Frage, ob er von der Hitler­Regierung verfolgt oder reglementiert wurde, in: UAJ, Bestand D, PA Wesle, unpag. Vgl. R. Uhlig, Vertriebene Wissenschaftler, S. 55. Vgl. C. Wesle, Persönlicher Fragebogen vom 21. November 1946, sowie Erklärung zur Frage, ob er von der Hitler­Regierung verfolgt oder reglementiert wurde, in: UAJ, Bestand D, Nr. 3198, unpag. In einem anonymen Schreiben wurde Wesle mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe während der von dem Jenaer Universitätsrektor veranstalteten „Judenhetzwoche“ einen wüsten antise­ mitischen Vortrag gehalten. Vgl. Schreiben des Thüringischen Ministeriums für Volksbildung an den Universitätskurator der FSU vom 12. März 1947, in: Ebd. So die Aussage von C. Wesle, zitiert nach A. Pöthe, Konservatives Kulturideal, S. 860.

Der verordnete Bruch

247

gestorben ist. Ich kann Ihnen nur für die Feststellung dieser bedauerlichen Tatsache danken und werde die Liste […] zurückbitten, um Ritter zu streichen.“ 270

Die geschmacklose Bemerkung Wesles zeigt tief sitzende antijüdische Ressenti­ ments.271 Dass sie keine Ausnahme war, wird deutlich in einer Stellungnahme aus dem Jahr 1939, in der ein Kollege über Wesle schrieb, er habe ihn „immer [als] positiv und einsatzbereit eingestellt empfunden. Den jüdischen Einfluss, der ja in der Deutschen Philologie besonders stark war und der in vielfach ganz unkontrollierbarer Weise über Handbücher, überkommene Meinungen usw. noch nachwirkt, bekämpft[e] er stets aufmerksam und sachkundig.“272

Wesles antisemitische Äußerungen, aber auch die dreijährige Funktion als Dekan und die Beitrittserklärungen in die NSDAP machten seinen Verbleib in verantwort­ lichen Positionen nach 1945 zumindest diskussionswürdig. Doch die Fakultät kon­ zentrierte sich auf den Wiederaufbau. Wesle war der einzige etablierte Germanist in Jena und wurde entsprechend hofiert und auch von dem Volksbildungsministerium bei seinen Forderungen um Aus­ und Umbau des Germanistischen Instituts unter­ stützt.273 Hier werden exemplarisch sowohl pragmatische Bewertungsmaßstäbe im Umgang mit der NS­Vergangenheit deutlich als auch die Grenzen der schemati­ schen Entnazifizierung.274 Die Entnazifizierung war ein tiefer Einschnitt in die Geschichte der Universitäten und auch der drei Germanistischen Institute. Ein großer Teil ihrer Dozenten und Professoren war entlassen worden. Wer sie ersetzen sollte, wurde in den folgenden Monaten zur zentralen Frage. Aufgrund des eklatanten Personalmangels ging man bald dazu über, entlassene Professoren wieder einzustellen, in der Regel an einer anderen Universität (vgl. Tabelle 7).275 Verlorene Fäden wurden so wieder aufge­ nommen, was später zur Diskussion um die „Kontinuitäten nach 1945“ führte. Und tatsächlich gelangten von den entlassenen 18 Germanisten mindestens 14 relativ zeitnah wieder in akademische Positionen. Ihnen gegenüber steht eine kleine Gruppe von Germanisten, die nicht wieder ins Amt kamen. Es sind die „schwarzen Schafe“ des Fachs, die berüchtigten Obenauers, Nadlers und Kochs, für die die 270 Schreiben von C. Wesle an den Gaudozentenbundführer der FSU vom 5. September 1942, in: UAJ, Bestand U, Abt. IV, Nr. 26, unpag. 271 Diese Ressentiments gab Wesle an anderer Stelle zu, relativierte sie aber als Kulturantisemi­ tismus, den er als unproblematisch ansah: „Dass ich der Meinung war, dass das Judentum besonders nach 1918 im deutschen Kulturleben eine Rolle gespielt hat, die über das Maß des Wünschenswerten hinausging, hat so wenig mit […] Antisemitismus zu tun, dass diese Mei­ nung auch vielfach von Juden selbst geteilt wurde.“ Stellungnahme von C. Wesle, zitiert nach A. Pöthe, Konservatives Kulturideal, S. 860. 272 Stellungnahme des Dekans der Phil. Fak. der FSU an den NSDB der FSU vom 27. Januar 1939, in: UAJ, Bestand D, PA Wesle, unpag. 273 Vgl. Schreiben des Thüringischen Ministeriums für Volksbildung an die Universitätsverwal­ tung der FSU vom 2. November 1949, in: UAJ, Bestand C, Nr. 863, unpag. 274 Vgl. N. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 13–14. 275 Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 372–381.

248

Germanistenleben

akademische Laufbahn 1945 endgültig beendet war, selbst wenn sie in Randberei­ chen des wissenschaftlichen Feldes noch ihr Auskommen finden konnten. Ihr Aus­ schluss von den Universitäten war – ohne Frage – wichtig. Zugleich wurden diese Namen jedoch so Teil jener „Entlassungslegende“, die auf dem Gegensatzpaar „gute Wissenschaft“ versus „böse Nazis“ aufbauen konnte.276 Es war nicht zuletzt die Existenz dieser Sündenböcke, die es den Vertretern der good science ermög­ lichte, nach 1945 wieder zur Tagesordnung überzugehen und auf eine Aufarbeitung der eigenen Verstrickung zu verzichten.277 Zu dieser Gruppe der bad guys gehörten auch drei Germanisten aus Leipzig, Berlin und Jena. 3.2 „ … wenn einen schon die eigenen Kollegen ans Messer liefern“ .278 Sofortentlassungen 1945 Der Berliner Ordinarius Franz Koch, der Jenaer Nordistikprofessor Bernhard Kum­ mer und der Leipziger Niederlandist André Jolles gehörten zu den wenigen unmit­ telbar nach Kriegsende entlassenen Professoren. Die Abläufe ihrer Entlassung bzw. Entpflichtung unterschieden sich im Detail aufgrund ihres Status (Jolles war bereits emeritiert) und der lokalen Bedingungen. Dominant sind jedoch die Ähnlichkeiten: Koch, Kummer und Jolles wurden als einige von wenigen in den ersten Nachkriegs­ wochen entlassen. Die Entscheidung fällten nicht primär politische Instanzen, son­ dern Mitglieder der Fakultät, also Kollegen. Die Entlassungsentscheidungen unter­ lagen keinen systematischen Beurteilungskriterien, sondern einem eher vagen, individuell geprägten und implizitem Kriterienraster, das von den Vertretern des „alten Lehrkörpers“ aufgestellt worden war. Die politische Belastung war dabei nur ein, vielfach jedoch nicht das entscheidende Kriterium. Dies zeigt die geringe Zahl der Entlassungen, der eine weit größere Anzahl engagierter Nationalsozialisten und Parteimitglieder gegenübersteht. Wesentlicher für die Entscheidung waren der (Markt­)Wert des Gelehrten und des von ihm vertretenen Fachs sowie die Frage, ob sich der Dozent während des Dritten Reichs an die akademisch­habituellen Verhal­ tensnormen gehalten hatte. Wer sich Karrierevorteile verschafft oder Kollegen de­ nunziert hatte, konnte 1945 kaum auf kollegiale Solidarität hoffen. Andererseits ging man dann über schwerere politische Verstrickungen hinweg, wenn das akade­ mische Auftreten tadellos und bzw. oder die akademischen Leistungen von hervor­ ragender Bedeutung für die Universität oder das Fach gewesen sind. Diese Aspekte, die die Ambivalenz solch scheinbar eindeutiger Prozesse – wie es die Entlassungen 1945 sein sollten – zeigen, wurden bisher in der Forschung nur ungenügend be­ rücksichtigt.279 Dabei wirft ihre Analyse ein differenziertes Licht auf den Transfor­ mationsprozess der unmittelbaren Nachkriegszeit. Sie zeigt Konfliktlinien in der 276 Vgl. M. G. Ash, Wissenschaftswandlungen, S. 32. 277 Vgl. S. Paletschek, Entnazifizierung, S. 399– 400. 278 Schreiben von F. Koch an Johannes Stroux vom 30. Juni 1945, zitiert nach W. Höppner, Franz Koch und die deutsche Literaturwissenschaft der Nachkriegszeit, S. 176. 279 Der Gedanke findet sich bereits bei Jan Eckel, allerdings ohne dass er ihn weiter ausführt. Vgl. J. Eckel, Geist der Zeit, S. 91.

Der verordnete Bruch

249

Wissenschaftspraxis während des Dritten Reichs auf und verweist auf das Selbst­ verständnis der akademischen Eliten in dieser Zeit. Im Folgenden geht es zunächst um die Entscheidungsträger, also jene Akteure, die für den Ausschluss der drei Germanisten (mit­)verantwortlich waren. Im zweiten Teil sind die Ausschluss­ gründe eingehend zu betrachten, wobei die Kombination von politischem Engage­ ment, sinkendem (Markt­)Wert und Verstößen gegen das wissenschaftliche Ethos sowie akademisch­habituelle Normen zu diskutieren ist. Die Universität Jena war eine der ersten, die nach Kriegsende zu personalpoli­ tischen Entscheidungen kam.280 Infolge wurde auch Bernhard Kummer entlassen. Bereits Ende April war die Universitätsleitung ausgetauscht worden. Der NS­Rek­ tor Karl Astel hatte sich Anfang April das Leben genommen, der Prorektor und die Dekane waren zurückgetreten. Am 9. April wurde der Altphilologe Friedrich Zu­ cker als Rektor ernannt. Er setzte sich dafür ein, dass die Universität nach dem „materiellen, geistigen und sittlichen Zusammenbruch unseres Volkes“ zurück­ kehre zu ihrer ureigensten Aufgabe, der „Erziehung zur Wahrheit“.281 Unter dieser Prämisse veranlasste Zucker, dass sechs eindeutig NS­belastete Institute geschlos­ sen wurden282 und sich eine Kommission aus Mitgliedern des alten Lehrkörpers bildete, die über die „Säuberung“ des Lehrkörpers entschied. Zum alten Lehrkörper zählten Professoren, die bereits vor der Machtübernahme an der Universität gelehrt hatten und bzw. oder sich „nach bestem Wissen und Gewissen davon frei glaub[t] en, über das äusserlich jedermann aufgezwungene Verhalten hinaus dem NS ge­ dient zu haben.“283 Rektor und Kommission hatten durchaus erkannt, dass die Be­ satzungsmacht eindeutige Schritte der Demokratisierung forderte. Es galt, guten Willen zu beweisen, um eine zügige Wiedereröffnung der Universität zu erreichen. Denn, so Zucker im Mai 1945, „im Interesse der Wiederherstellung der Universität als der Anstalt objektiver Lehre und For­ schung […] und im Interesse des deutschen Wiederaufbaus überhaupt, ist es unbedingt er­ forderlich, dass das Verlangen nach Beseitigung der nationalsozialistischen Anschauungen als bereits vorhanden erkennbar und durch vorbereitete Schritte erwiesen ist.“284

Die von dem Universitätsgremium verantwortete Säuberung betraf zwölf Hoch­ schullehrer. Diese bekamen per Post mitgeteilt, dass sie in Zukunft von den Fakultäts­ sitzungen „fernbleiben“ und „sich auch im übrigen weitestgehend zurückhalten“285

280 Vgl. hierzu J. John, Die Universität Jena im Jahre 1945. 281 So der Jenaer Rektor Friedrich Zucker in seiner Ansprache anlässlich der Wiedereröffnung der Universität vom 15. Oktober 1945, in: J. John / V. Wahl / L. Arnold (Hg.), Die Wiedereröffnung der Friedrich-Schiller-Universität, S. 273–278, hier S. 275–276. 282 Neben dem Institut für Nordistik wurden die Institute für Allgemeine Biologie und Anthropo­ logie, für Volkstheorie und Grenzlandkunde, für Seegeschichte und Seegeltung sowie für menschliche Erbforschung und Rassenpolitik geschlossen. Vgl. A. Hamann, „Männer der kämpfenden Wissenschaft“. 283 F. Zucker, Rundverfügung vom 25. Mai 1945, in: J. John / V. Wahl / L. Arnold (Hg.), Die Wiedereröffnung der Friedrich-Schiller-Universität, S. 140–141. 284 Ebd. 285 Ebd.

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sollten. Unter den Ausgeschlossenen waren alle Leiter der geschlossenen Insti­ tute – auch Bernhard Kummer. In Leipzig verlief die Selbstreinigung ebenfalls über universitätsinterne Gre­ mien, die sich auch aus „angesehenen Fakultätsmitgliedern“286 zusammensetzten. Vier Wochen nach der Besetzung der Stadt durch die Amerikaner Mitte April wurde der Archäologe Bernhard Schweitzer zum Nachkriegsrektor der Universität ge­ wählt. Vor seinem Amtsantritt hatten die Amerikaner zehn Professoren verhaftet. Einige weitere schloss die Universität in den folgenden Wochen aus. Als Schweit­ zer Mitte August das Ende der Selbstreinigung verkündete, waren insgesamt jedoch lediglich 15 Hochschullehrer entlassen worden,287 vor allem Mitglieder der Philo­ sophischen Fakultät und die Leiter der geschlossenen Institute. Stärker als in Jena war diese Phase in Leipzig von dem Willen geprägt, möglichst bruchlos an die Verhältnisse vor 1933 anzuknüpfen, was zu einer Reihe von Konflikten mit den Besatzungsmächten führte.288 Der Niederlandistikprofessor André Jolles gehörte in Leipzig zu den wenigen Sofortentlassenen. Allerdings taucht sein Name weder in zeitgenössischen Zählun­ gen noch in der Forschungsliteratur auf, da er 1939 bereits emeritiert worden war.289 Trotzdem hatte er weiter dem Lehrkörper angehört: Er hatte bis Kriegsende gelehrt und Promotionen betreut, ihm stand eine Kolleggeldgarantie zu und er war weiter­ hin Leiter der Abteilung für Niederländische Sprache und Literatur am Germanisti­ schen Institut. Anfang Juni 1945 reichte der Dekan der Philosophischen Fakultät Hans­Georg Gadamer ein Gutachten über den nach wie vor aktiven Jolles ein, aus dem dessen politische Belastung offensichtlich wurde. Jolles sei „Altparteigenosse“ und habe für SD und SS gearbeitet.290 Spätestens jetzt war Jolles nicht mehr befugt, zu lehren. In einem Schreiben vom 1. August hieß es, er sei „als Emeritus weder berechtigt noch verpflichtet […] künftig Vorlesungen zu halten. Es besteht von Sei­ ten der Universität auch nicht die Absicht, ihm die Genehmigung dazu zu erteilen.“291 Mit der Berufung von Ludwig Erich Schmitt zum Professor für Nieder­ ländisch im August 1945 wurde Jolles zudem die Leitung der Niederländischen Abteilung entzogen.292 In einem entsprechenden Schreiben an seine Adresse hieß es dazu lapidar: „Damit hat sich Ihre verwaltende Tätigkeit erledigt.“293 Franz Koch schloss in Berlin seine Vorlesung im Februar 1945, um „als Volks­ sturmmann die letzten Kämpfe“ in Charlottenburg mitzumachen.294 An die Univer­ 286 B. Schweitzer, Bericht über die Vorgänge an der Universität Leipzig vom 16. Mai 1945 bis zum 21. Januar 1946, in: H. A. Welsh, Entnazifizierung, S. 355–372, hier S. 358. 287 Vgl. I.­S. Kowalczuk, Geist im Dienste der Macht, S. 113. 288 Vgl. ebd., S. 113–114, sowie H. A. Welsh, Entnazifizierung, S. 352–354. 289 So findet sich der Name Jolles weder in dem Bericht von Schweitzer noch in den Untersuchun­ gen von Feige oder Parak. 290 Vgl. Gutachten von H.­G. Gadamer über A. Jolles vom 11. Juni 1945, in: UAL, PA 20, Bl. 51. 291 Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL an den Leipziger Professor für Indologie Friedrich Weller vom 1. August 1945, in: UAL, PA 20, Bl. 53. 292 Vgl. Schreiben des Rektors der UL an A. Jolles vom 21. August 1945, in: Ebd., Bl. 56. 293 Ebd. 294 Schreiben von F. Koch an J. Stroux vom 30. Juni 1945, zitiert nach W. Höppner, Franz Koch und die deutsche Literaturwissenschaft der Nachkriegszeit, S. 175.

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sität ist er nicht zurückgekehrt. Vielmehr wurde ihm am 18. Juni durch den neu gewählten Rektor Eduard Spranger „mit kühler Gelassenheit und ohne auch nur die konventionellste Floskel des persönlichen Bedauerns“295, wie Koch ernüchtert kon­ statierte, sein Ausschluss aus der Universität mitgeteilt. Anders als Jena und Leip­ zig war Berlin bereits zu diesem Zeitpunkt von sowjetischen Truppen besetzt. Die politischen Säuberungen unterlagen von Beginn an den Anweisungen der SMAD, deren Ziel es war, die NSDAP­Mitglieder zügig zu entlassen. Doch auch hier waren akademische Akteure an der Säuberung der Universität beteiligt. Dem Leitenden Ausschuss des Amtes für Wissenschaften beim Magistrat Berlin der für die perso­ nelle Erneuerung und Neustrukturierung der Universität zuständig war, gehörten auch Professoren an.296 Trotz lokaler Differenzen dominierten in den Säuberungsverfahren die Ähnlich­ keiten. In allen drei Fällen wurde der Ausschluss durch oder unter Teilhabe von universitätsinternen Gremien betrieben. Diese setzten sich aus Professorenkollegen zusammen, in der Mehrzahl Fakultätsmitglieder, die als integer galten und bzw. oder vor 1933 an den Universitäten gelehrt hatten. Zudem ist in den drei Fällen eine Dis­ tanz schaffende Versachlichung der kollegialen Beziehung zu erkennen. Per Post erhielten Koch, Kummer und Jolles den Ausschlussbescheid: Kummer sollte „fern­ bleiben“, Jolles’ Tätigkeit hatte sich „erledigt“, Koch vermisste jegliche Konventio­ nen: „Wenn mich schon die eigenen Kollegen ans Messer liefern“, schrieb er kons­ terniert im Juni 1945 an den Rektor der Universität, „dann wird die entscheidende Behörde nicht die Operation noch lange hinauszögern.“297 Nicht zuletzt bedeutete die Sofortentlassung der drei Professoren den endgültigen Ausschluss aus dem uni­ versitär­akademischen Feld, in dass keiner von ihnen wieder zurückkehrte: Jolles starb im Februar 1946, wahrscheinlich nahm er sich das Leben.298 Koch ging nach Tübingen, wo er bis 1952 lehrte; eine Planstelle erhielt er jedoch nicht wieder.299 Kummer kam nach der Kriegsgefangenschaft in Klingenberg bei Lübeck unter, wo er sich auf einem Waldgrundstück ein Haus baute, in dem er bis zu seinem Tod mit der Familie lebte. Er arbeitete weiter, publizierte Aufsätze (vor allem im eigenen Verlag der Forschungsfragen unserer Zeit, den er 1956 gegründet hatte). In der Lü­ becker Volkshochschule gab er seit 1948 regelmäßig Kurse und hielt Vorträge. In der (Fach­)Öffentlichkeit trat er jedoch kaum noch in Erscheinung.300 Der offensichtliche Entlassungsgrund war das politische Engagement der drei Professoren. Für die nationalsozialistischen Zeitgenossen zählten Kummer, Koch 295 Ebd., S. 176. 296 Der Ausschuss wurde am 2. Juni 1945 ins Leben gerufen. Ihm gehörten u. a. Eduard Spranger, der Rektor der Universität, sowie Theodor Brugsch (Medizin) an. Zu den drängendsten Auf­ gaben des Ausschusses gehörte die politische Überprüfung aller Universitätsangehörigen. Den politisch­rechtlichen Rahmen bildeten die Beschlüsse des Magistrats der Stadt zur Entfernung aktiver Nazis aus dem Universitäts­ und Hochschuldienst, die wiederum auf Befehlen der SMAD basierten. Vgl. W. Höppner, Franz Koch und die deutsche Literaturwissenschaft der Nachkriegszeit, S. 177. 297 Schreiben von F. Koch an J. Stroux vom 30. Juni 1945, zitiert nach ebd., S. 176. 298 Vgl. W. Thys, André Jolles. 299 W. Höppner, Franz Koch und die deutsche Literaturwissenschaft in der Nachkriegszeit, S. 181–187. 300 Vgl. G. Lienau­Kummer, Lebensweg und Lebenswerk, S. 13–18.

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und Jolles zu den „positiven Wissenschaftlern“301. Sie gehörten, so ein SD­ Bericht,302 zu dem „sehr kleinen Teil von Germanisten, die sich ihrerseits eine nati­ onale Haltung und völkische Fragestellung bewahrt hatten“, und die „die neu auf­ brechenden Grundfragen und Grundwerte aus der nationalsozialistischen Revolu­ tion und der germanischen Überlieferung in ihre wissenschaftliche Forschung einbau[t]en.“303 Auch in der Forschungsliteratur besteht kein Zweifel darüber, dass Koch, Kummer und Jolles überzeugte Nationalsozialisten waren, denen es um (wis­ senschafts­ und kultur­)politische Mitgestaltung ging.304 Zur „nationalsozialisti­ schen Bewegung“ waren sie auf unterschiedlichen Wegen gekommen. Jolles, 1874 im niederländischen Den Helden geboren, war begeistert von der deutschen Volks­ tumsidee und enttäuscht von der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei der Nieder­ lande, aus der er nach einigen Jahren ausgetreten war.305 Koch, 15 Jahre jünger, stammte aus Oberösterreich, war in Prag zur Schule und in Wien zur Universität gegangen. Er war von den Nationalitätenkonflikten im Habsburgerreich geprägt, Opfer der Inflation und Anhänger der großdeutschen Idee.306 Kummer wurde 1897 in Leipzig geboren, hatte als Abiturient am Krieg teilgenommen und war danach zwei Jahre in französischer Kriegsgefangenschaft gewesen. Kummer stammte aus der völkisch­antisemitischen Bewegung. Bereits 1928 trat er der sächsischen NS­ DAP bei, aus der er zwei Jahre später zwar wieder austrat, jedoch ohne dass dies Einfluss auf seine politische Weltanschauung gehabt hätte.307

301 G. Simon, Germanistik in den Planspielen des SD, S. 10. 302 Der Bericht stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit von dem Germanisten und SD­Mitarbeiter Hans Rößner und aus dem Jahr 1938. Er gibt knapp und prägnant Auskunft über die wissen­ schaftliche Bedeutung und Verwert­ und Nutzbarkeit aller in dieser Zeit aktiven Germanisten. Vgl. zur Historie dieser wichtigen Quelle, ebd. 303 Ebd. Explizit über die drei Germanisten heißt es in dem Dossier: „Koch genießt wissenschaft­ lich einen ausgezeichneten Ruf und gehört seiner gesamten Haltung nach zu den positivsten Erscheinungen auf dem Gebiet der Germanistik. Sein neuestes Werk ‚Geschichte der deutschen Dichtung‘ ist ein erster positiver Versuch, die deutsche Dichtung und ihre Geschichte von der nat[ional]soz[ialistischen] Weltanschauung und ihren Grundwerten aus neu darzustellen. Schon in Österreich hat sich K[och] durch eine mannhafte nationale Haltung ausgezeichnet. Sehr ehrgeizig. […] J[olles] ist zweifellos eine genialische, aber sehr schwer zu beurteilende Persönlichkeit, sprunghaft, jeder neuen Anregung zugänglich, außerordentlich temperament­ voll und unberechenbar. Seiner politischen Gesamthaltung nach kann er heute positiv beurteilt werden. Für wissenschaftliche Aufgaben wird er dann voll einsatzfähig sein, wenn er dabei straff geführt wird.“ Hinsichtlich der „Verwertbarkeit“ von Kummer wird in dem SD­Dossier nur auf seine umfangreiche Personalakte in Jena verwiesen, in der eine Vielzahl politischer und fachlicher Gutachten enthalten sind. Vgl. G. Simon, Germanisten-Dossiers. 304 Vgl. W. Höppner, Franz Koch und die deutsche Literaturwissenschaft der Nachkriegszeit; G. Kaiser, Grenzverwirrungen, vor allem S. 374 –390; J. Zernack, Gustav Neckel; J. Lerchen­ müller / G. Simon, Im Vorfeld des Massenmords. 305 Die SDAP war 1894 gegründet worden. Jolles gehörte ihr seit 1900 für einige Jahre an. Vgl. W. Thys (Hg.), André Jolles, S. 21. 306 Bis 1930 war Koch Mitglied der Großdeutschen Volkspartei in Österreich. Vgl. W. Höppner, Franz Koch. 307 Dem, wie Kummer betonte, nur „äußerlichen Austritt“ lagen wirtschaftliche Erwägungen zu­ grunde. Er erhielt 1930 ein Staatsstipendium, was es offenbar nicht gegeben hätte, wenn er

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Auch bei Jolles und Koch war der Eintritt in die NSDAP ein bewusster, ideolo­ gisch bedingter Schritt gewesen. Jolles hatte die Entwicklung der NSDAP zunächst abwartend beobachtet und gefürchtet, dass die von ihm im Januar 1933 gewählten „guten Nazi’s […] wohl ein derartig dummes Kuddelmuddel machen [werden], dass man sich mit einem resignierten Lächeln von ihrer grossen ‚Erfindung‘ abwendet.“308 Doch angesichts ihres politischen Aufstiegs identifizierte er sich mehr und mehr mit der „nationalsozialistischen Revolution“ und setzte sich bald mit seiner „ganzen Vitalität“309 für sie ein, was sich im Parteieintritt im Mai 1933 manifestierte. Ähnlich politisch begeistert war Koch, der sofort nach Aufhebung der Mitgliedersperre 1937 in die NSDAP eintrat. Neben ihrer Mitgliedschaft in der Partei waren Kummer, Koch und Jolles noch auf weiteren Gebieten politisch aktiv. Kummer war seit 1928 in der SA. Er schrieb Beiträge für zentrale parteipolitische Organe wie den Völkischen Beobachter, die NS-Schulungsbriefe und die NS-Monatshefte. Als „fortschrittlicher Nordist“ und „Kämpfer der ersten Stunde“ wurde er oft zu Schulungsvorträgen eingeladen.310 Jol­ les hatte sich bereits während des Ersten Weltkrieges kulturpolitisch engagiert.311 In seiner Leipziger Zeit bildete er einen exklusiven Kreis von Germanistikstudenten um sich, von denen einige später beim SD Karriere machten.312 Wilhelm Spengler, einer dieser Schüler, zog Jolles seit 1937 wiederholt als Mitarbeiter für den SD her­ an.313 Im Auftrag des SS­Obergruppenführers und Leiters des Reichssicherheits­ hauptamtes Reinhard Heydrich arbeitete Jolles im Rahmen der SD­Gegnerforschung

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weiter in der NSDAP gewesen wäre. Vgl. Schreiben von B. Kummer vom 19. Juli 1937, zitiert nach G. Simon, Chronologie Nordistik. Brief von A. Jolles an Hendrika Jeltje Goldschmidt­Jolles vom 5. Februar 1933, in: W. Thys (Hg.), André Jolles, S. 826–827. Dem ging folgende Aussage Jolles’ voraus: „Politik? – ja, ich wähle noch einmal Hittler [sic]. Wenn es eine Partei giebt, die behauptet Deutschland leiten zu können und einen Mann, der behauptet zu wissen, was er will, so bin ich meinerseits bereit ihm eine Chance zu geben. Das ist sehr subjektiv; sehr skeptisch – und es geschieht in der Ueber­ zeugung, dass meine Stimme nicht so viel wert ist.“ Vgl. Brief von A. Jolles an H. J. Goldschmidt­Jolles vom 25. November 1933, in: Ebd., S. 864. Vgl. J. Zernack, Gustav Neckel, S. 134. Nachdem sich Jolles mit seiner Familie bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Deutschen Reich hatte einbürgern lassen, meldete er sich freiwillig und wurde im Laufe des Krieges zum Leutnant befördert. Nach der Besetzung Belgiens übernahm er eine Professur an der neu ge­ gründeten Flämischen Universität in Gent, wofür er später von einem belgischen Gericht ver­ urteilt wurde. Vgl. W. Thys, André Jolles. Unter den Schülern von Jolles waren u. a. die späteren SD­Mitarbeiter Wilhelm Spengler und Hans Rößner. Insgesamt promovierten bei Jolles zwischen 1925 und 1945 acht Studierende mit germanistischen, niederlandistischen und vergleichenden Studien. In fünf weiteren Fällen war er Zweitgutachter. Auch Wolf Friedrich, der Führer des Leipziger NSDStB, promovierte 1934 bei ihm. Friedrich hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit wenig vorher Georg Witkowski politisch denunziert, bei dem er durch die Prüfung gefallen war (vgl. oben). Zur SD­Karriere vgl. G. Simon, Germanistik und Sicherheitsdienst; M. Wildt, Generation des Unbedingten. Als „Mitarbeiter beim Sicherheitsdienst des SS“ musste man sowohl ausgewiesener Fachmann als auch politisch zuverlässig sein. Die Mitarbeiter erhielten für ihre Arbeit keine finanzielle Entschädigung, was für ihre starke ideologische Motivation spricht. Vgl. C. Schreiber, Elite im Verborgenen, S. 149–151.

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über Freimaurerei.314 Darüber hinaus war er für kulturpolitische Arbeit im besetzten Holland im Gespräch.315 Franz Koch intensivierte sein kulturpolitisches Engage­ ment nach seiner Berufung nach Berlin. Im Zentrum seiner Bemühungen stand die völkisch­nationale Gegenwartsliteratur, für deren Aufwertung er sich als Ordinarius, vor allem aber durch eine Vielzahl von Vorträgen in In­ und Ausland sowie in seiner Funktion als Hauptlektor im Amt Rosenberg einsetzte.316 Wie kaum ein anderer Ger­ manist stellte sich Koch in den Dienst des Nationalsozialismus und repräsentierte dessen Ideologie. In seinen Vorträgen vor unterschiedlichstem Publikum propagierte er die nationalsozialistische Weltanschauung.317 Auf direkte Veranlassung des Reichserziehungsministeriums oder auf gezielte Einladungen hin bereiste er Skandi­ navien, Italien und Südosteuropa und warb mit Vorträgen über Goethe, Schiller oder die Gegenwartsliteratur für den nationalsozialistischen Staat.318 Das politische Engagement der drei Germanisten zeigt, dass sie nicht „nur“ Mitläufer oder Opportunisten waren, sondern überzeugte Anhänger der national­ 314 Vgl. G. Simon, Germanistik in den Planspielen des SD, S. XL. 315 Jolles sei aufgrund seiner Herkunft „im Hochschulreferat bei der Zivilverwaltung in Holland verwendbar“ und wurde deshalb vom SD für eine entsprechende Tätigkeit in Holland vorge­ schlagen. Schreiben von W. Spengler an das REM vom 3. Juli 1941, in: BArch, BDC, REM, Jolles, André, 7.8.1974, Bl. 9296. 316 Ausgehend von der Prämisse, dass die „rassischen Kerne“, aus denen das Wesen der Deutschen erwachse, zu einer „neuen völkischen Einheit“ verschmelzen, sei es nach Koch die Aufgabe der deutschen Literaturgeschichte, „diese erbtümliche Linie zu verfolgen und auch dort sichtbar zu machen, wo sie nicht offen am Tage liegt und nicht bewusst herausgehoben wird“. Die „Überschau über unser kostbares Erbe“ sollte sich nicht an den Gelehrten richten, sondern „an jeden am geisti­ gen Sein seines Volkes teilnehmenden Deutschen“, um „am Aufbau der neuen geistigen Einheit und Gemeinschaft“ mitzuhelfen. F. Koch, Geschichte deutscher Dichtung, S. 7–8. Zu Kochs poli­ tischer Tätigkeit vgl. ausführlich W. Höppner, Ein „verantwortungsbewusster Mittler“. 317 Strategisch klug, stellte Koch bei seinen Vorträgen das kulturpolitische Anliegen nicht in den Vordergrund: „Ich hatte den einzelnen Veranstaltern eine ganze Reihe von Themen zur Aus­ wahl eingeschickt, um so von vornherein der Meinung zu begegnen, als würde die deutsche Wissenschaft etwa auf bestimmte Themen festgelegt und als handle es sich bei diesen Vorträ­ gen um politische Propaganda. […] Ich wählte daher den Weg, unter unverfänglichen Titeln und natürlich ernst zu nehmender wissenschaftlicher Behandlung, Gedanken in den Mittel­ punkt meiner Vorträge zu stellen, die heute zum weltanschaulichen Besitz des nationalsoziali­ stischen Deutschlands gehören. Dabei habe ich die Erfahrung bestätigt gefunden, die ich als geborener Österreicher schon mitgebracht hatte, dass diese Form sich am besten eignet, wenn man Wirkung erzielen will.“ Reisebericht von F. Koch an den REM vom 30. März 1937, in: UA der HUB, PA Koch, Bd. I, Bl. 15. 318 Vgl. W. Höppner, Ein „verantwortungsbewusster Mittler“, S. 174. Wie stark der Einfluss der Vorträge Kochs gewesen ist, lässt sich naturgemäß kaum nachweisen. Sie galten jedoch als erfolgversprechend. So hielt Reichspropagandaminister Goebbels gerade Koch für einen Vor­ trag in Sofia besonders geeignet: „Im Rahmen der Eröffnungsfeierlichkeiten [einer Buchhand­ lung; AL] ist vorgesehen, dass ein führender deutscher Gelehrter grundsätzliche Ausführungen über das deutsche Schrifttum macht. Ich habe Herrn Prof. Franz Koch gebeten, die Aufgaben zu übernehmen. Prof. Koch erscheint mir hierfür besonders geeignet, da er nach den vorliegen­ den Berichten über eine Vortragsreise in Skandinavien besonderes Geschick bewiesen hat, ei­ nen ausländischen Zuhörerkreis mit den geistigen Strömungen des neuen Deutschlands be­ kanntzumachen.“ Schreiben des REM an den Rektor der UB vom 24. April 1937, in: UA der HUB, PA Koch, Ergänzungsband, Bl. 11.

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sozialistischen Ideen, die sie in ihrem Wirk­ und Arbeitsfeld umsetzen wollten. Allein dies rechtfertigt ihre Entlassung 1945. Allerdings ist auffällig, dass andere ähnlich stark belastete Kollegen nach der ersten Entlassungsphase weiterhin im Amt blieben. Dabei hatten sich Kummer, Koch und Jolles ebenso in NSDAP und SA, beim SD oder im „Amt Rosenberg“ engagiert wie andere Kollegen, darunter viele Mediziner und Juristen, aber auch Kollegen von der Philosophischen Fakul­ tät.319 So war etwa der Leipziger Historiker Erich Maschke als Parteimitglied, Oberscharführer in der SA, Führer des NSDB, Verbindungsmann beim SD und Prodekan der Universität politisch ausgesprochen aktiv gewesen. Gegen ihn sprach sich in der ersten Phase der Entnazifizierung allerdings keiner der Kollegen aus – im Gegenteil: Nach Kriegsende erhielt er insgesamt 14 positive Gutachten und Zeugen­ aussagen.320 Warum aber standen nun Koch, Kummer und Jolles auf den „schwar­ zen braunen“ Listen der Universitätsgremien, warum nicht Maschke, Schier oder einer der anderen bis Jahresende „systematisch“ Entnazifizierten? Für die Beant­ wortung dieser Frage sind Kriterien jenseits des politischen Engagements relevant, Kriterien wie wissenschaftliches Ethos, akademisch­habituelle Normen und der (Markt­)Wert des jeweiligen Fachs und seines Vertreters. Um das verständlich zu machen, sind zunächst einige Vorbemerkungen nötig. Das Wissenschaftssystem war spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts durch komplexe soziale Mechanismen geprägt, die das offizielle wie inoffizielle Miteinander der Wissenschaftlergemeinschaft regelten. Sie basierten auf einem gemeinsamen Werte­ und Normenkanon, den der Wissenschaftssoziologe Robert K. Merton als „Ethos der modernen Wissenschaften“ bezeichnet hat. Dieses um­ fasst „jene[n] affektiv getönte[n] Komplex von Werten und Normen, der als für den Wissenschaftler bindend betrachtet wird. Die Normen haben die Gestalt von Vorschriften, Verboten und Grund­ sätzen […]. Ihre Legitimation erwächst daraus, dass sie als Werte institutionalisiert sind. Diese durch Vorschriften und Beispiele vermittelten und durch Sanktionen bekräftigten Imperative werden vom einzelnen Wissenschaftler in unterschiedlichem Maße internalisiert und bilden auf diese Weise sein wissenschaftliches Gewissen […]. Das Ethos der Wissenschaft ist nicht kodifiziert, es lässt sich jedoch aus dem moralischen Konsensus der Wissenschaftler erschlie­ ßen, wie er im täglichen Umgang, in den zahllosen Schriften über den Geist der Wissenschaft oder in der moralischen Empörung angesichts von Verstößen gegen dieses Ethos zum Ausdruck kommt.“ 321

Das Ethos ist für das Wissenschaftssystem ein generell wichtiger Begriff – auch in der Selbstwahrnehmung.322 Das „wissenschaftliche Ethos“ im engeren Sinne meint 319 Vgl. exemplarisch für Leipzig H.­U. Feige, Zum Beginn, Bd. 2, S. 18–19 sowie S. 56. Vor allem für die Medizinische Fakultät gab es Sonderregelungen, da man auf die Aufrechterhaltung des Krankenhausbetriebs angewiesen war. NS-belastete Mediziner durften daher unter Auflagen im Amt bleiben. Vgl. A. Malycha, Hochschulpolitik, S. 33. 320 Dies mag auch damit zusammenhängen, dass Maschke erst im Sommersemester 1942 von Jena nach Leipzig berufen worden war. Zu Maschke vgl. J. Piepenbrink, Seminar für Mittlere Geschichte, S. 379–382. 321 R. K. Merton, Entwicklung und Wandel, S. 88. 322 „Wissenschaftler erheben den Anspruch, in ihrer beruflichen Tätigkeit höchster Objektivität und dem Streben nach Wahrheit verpflichtet zu sein. Das Selbstbild persönlicher Integrität

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dabei eine Art übergeordnete Ordnung, die idealtypisch die Grundlage jeder wis­ senschaftlichen Arbeit und Handlungsweise darstellt. Darüber hinaus, das wird in Mertons Zitat deutlich,323 wird unter dem Begriff Ethos aber auch ein spezifischer Werte­ und Normenkanon subsumiert.324 Dieser ist nicht schriftlich fixiert, aber allgegenwärtig und schlägt sich im wissenschaftstypischen Habitus nieder.325 Die Verbindung des wissenschaftlichen Ethos im engeren Sinne mit dem aka­ demisch­habituellen Werte­ und Normensystem des sozialen Miteinanders als „Ethos der modernen Wissenschaften“ liegt auch dem im Folgenden zu konstruie­ renden idealtypischen Raster zugrunde, an dem ich die Handlungsweisen von Koch, Kummer und Jolles messen werde. Es basiert auf Vorstellungen der traditionellen Ordinarienuniversität, wie sie sich bis zu ihrem Höhepunkt Ende des 19. Jahrhun­ derts ausgebildet hatte.326 Ideale und Normen gerieten seit der Jahrhundertwende zunehmend unter Druck, doch büßten sie nichts an ihrer Verbindlichkeit ein. Viel­ mehr prägten sie die akademische Sozialisation der Geburtenjahrgänge bis (min­ destens) 1900. Während des Dritten Reichs wurden sie erstmals verstärkt hinter­ fragt. Das war politisch gewollt und konnte karrierefördernd sein. Nach 1945 aller­ dings sollten sich Normen­ und Regelverstöße als Bumerang erweisen und wurden durch Ausstoß aus dem akademischen Betrieb geahndet. Das idealtypische Raster umfasst fünf Aspekte. Ein zentraler Bestandteil des „Ethos der modernen Wissenschaften“ war der gemeinsame Sinnhorizont, der die Gelehrten als Gruppe einte. Danach war Wissenschaft idealerweise universell, der Allgemeinheit verantwortlich und der Wahrheitsfindung verpflichtet. Vor diesem Hintergrund war Wissenschaft uneigennützig. Sie wurde nicht um des eigenen Fort­ kommens willen, sondern für die wissenschaftliche Erkenntnis an sich betrieben. Der Eintritt ins wissenschaftliche Feld ging daher einher mit dem Bekenntnis zum „interesselosen Interesse und Interesse an der Interesselosigkeit“327.

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entspricht in großem Umfang auch der Außensicht; dementsprechend hoch ist das Ansehen der Wissenschaften und ihrer Vertreter. Es scheint so, als wäre ethisches Verhalten a priori wissen­ schaftsimmanent.“ G. Magerl / H. Schmidinger, Vorwort, S. 1. Insgesamt umfasst das „Ethos der modernen Wissenschaften“ bei Merton allerdings vier ideal­ typische Ebenen. Dies ist 1) Universalismus (die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Lei­ stung von individuellen oder sozialen Merkmalen), 2) „Kommunismus“ im weiteren Sinne (Wissen und Erkenntnis ist allen zugänglich), 3) Uneigennützigkeit und 4) organisierter Skep­ tizismus. Vgl. R. K. Merton, Entwicklung und Wandel, S. 88. Die „Doppelgestalt der Wissenschaft“ betonte auch der Soziologe Helmut F. Spinner. Er unter­ schied zwischen Erkenntnissystem einerseits, dass die „wissenschaftlichen Formen und Inhalte unseres Wissens – Theorien, Daten, Formeln, Folgerungen, Argumente usw. – ‚an sich‘. d. h. abgelöst sowohl vom persönlichen Bezug […] als auch von der gesellschaftlichen Umwelt (dem ‚sozialen Kontext‘)“ umfasst, und dem Sozialsystem andererseits. Dieses setzt sich aus den „nichtkognitiven Komponenten zusammen […] also aus der sozialen Einrichtung des wis­ senschaftlichen Berufs & Betriebs in ihrer gesellschaftlichen Einbindung, mit allen sozialen Bestandteilen und Beziehungen der Mitglieder, welche bestimmungsgemäß der wissenschaft­ lichen Erkenntnis dienen.“ H. F. Spinner, Das „wissenschaftliche Ethos“, S. 20–21. Vgl. P. Bourdieu, Vom Gebrauch der Wissenschaft. Vgl. F. K. Ringer, Die Gelehrten. P. Bourdieu, Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 27.

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Damit unmittelbar verknüpft war das Ideal der tugendhaften Persönlichkeit, die den gemeinsamen Sinnhorizont verinnerlicht hat. In ihr fanden Eigenschaften wie Bescheidenheit und Anpassungsfähigkeit ebenso Platz wie Originalität und Größe. Um dies zu verdeutlichen, sei aus dem Gutachten des etablierten Münchner Germa­ nisten Franz Muncker über den Literaturhistoriker Karl Borinski zitiert, in dem es heißt: „Dass er in seinem Leben ein Ehrenmann ist, wissen Sie selbst aus Erfah­ rung. Kein Mann der Gesellschaft, nicht bedacht in der grossen Welt zu glänzen, eher etwas scheu, thut er im Stillen manches Gute u[nd] ehrt u[nd] fördert alles Grosse u[nd] Edle.“328 Dass die genannten Charaktereigenschaften sich realiter zum Teil widersprachen, tat dem Anspruch keinen Abbruch.329 Doch nicht nur im positiven Sinne, sondern auch in Konflikten wurde auf das Ideal der tugendhaften Persönlichkeit rekurriert, das über dessen Rolle als Fachwissenschaftler hinaus­ ging. Unklärbare Konflikte konnten auf diese Weise darauf zurückgeführt werden, dass die Person einen „schwierigen Charakter“ habe, überehrgeizig sei, sich nicht anpassen könne, schlicht in ihrer Persönlichkeit nicht dem wissenschaftlichen Ideal entspräche. Gemeinsamer Sinnhorizont und tugendhafte Persönlichkeit galten so als ideale Bedingungen funktionierender Wissenschaft. Daneben waren auf der Ebene des sozialen Miteinanders Kollegialität und die Anerkennung akademischer Hierarchien für das Funktionieren der Wissenschaft­ spraxis bedeutsam. Kollegialität, wie sie hier verstanden wird, bezog sich in erster Linie auf die soziale Kommunikation zwischen den Ordinarien. Ihr zentraler Stel­ lenwert hing mit dem Selbstverwaltungsprinzip der Universitäten zusammen, denn in wesentlichen Entscheidungen waren die Professoren aufeinander angewiesen. Die Zusammenarbeit in Fakultätsausschüssen, Gremien und Prüfungen war nicht nur Teil ihrer alltäglichen Arbeit. Sie war auch Voraussetzung für ein erfolgreiches Auftreten gegenüber anderen Interessengruppen, etwa den Ministerien.330 Die akademische Kollegialität umfasste eine Reihe von Kommunikations­ und Umgangsformen wie Höflichkeit, Zuverlässigkeit oder Verantwortungsbewusst­ sein. Sie basierten ebenso auf bürgerlichen Werten (immerhin rekrutierte sich der Großteil der Akademiker aus dem Bürgertum) wie auf der Hochachtung von Bil­ dung und wissenschaftlicher Leistung.331 Die Ansicht, dass Privates keine Rolle in gelehrten Auseinandersetzungen zu spielen habe, spiegelt die bürgerliche Wert­ schätzung von Familie. Auch sollten politische Differenzen das Prinzip der Kolle­ gialität nicht beeinträchtigen. Die Heftigkeit der Reaktionen, wenn private oder politische Angelegenheiten in universitäre Belange hineinspielten, zeigt, wie stark dies gegen das Kollegialitätsprinzip verstieß.332 Akademische Kollegialität ging 328 Brief von Franz Muncker an Rudolf Unger vom 18. Februar 1917, zitiert nach R. Kolk, „Wissenschaftspolizei“, S. 369 [Abkürzungen im Original]. 329 Über den Konflikt zwischen Bescheidenheit einerseits und dem Anspruch auf Originalität, Lei­ stung und Priorität in wissenschaftlichen Erkenntnisprozessen andererseits vgl. R. K. Merton, Entwicklung und Wandel, S. 117–132. 330 Vgl. R. Kolk, „Wissenschaftspolizei“, S. 368. 331 Vgl. K. Ries, Professoren als bürgerliche Werteproduzenten. 332 Politisch motivierte Vorwürfe führten zum Teil zu heftigen Auseinandersetzungen, die häufig nicht intern geklärt werden konnten, sondern von einem Schiedsgericht entschieden werden mussten. Ein Beispiel ist der Konflikt zwischen dem Leipziger Germanisten Eduard Sievers

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über persönliche Sympathie weit hinaus. Die Professoren als Vertreter einer Fakul­ tät, einer Universität, aber auch der scientific community insgesamt verstanden sich idealtypisch als Gruppe, die trotz aller Differenzen einem gemeinsamen Ziel, einem Wissenschaftsideal verpflichtet war. Auch die akademische Hierarchie strukturierte und sicherte das soziale Mitein­ ander im Wissenschaftsbetrieb. Die Ordinarienuniversität, wie sie sich im 19. Jahr­ hundert ausgebildet hatte, gründete auf einer strengen Gliederung des Lehrperso­ nals. An der Spitze standen die Ordinarien. Allein in dieser Stellung hatte man finanziell ausgesorgt und teil an den Entscheidungsprozessen in Fach und Univer­ sität. Der Weg dorthin war lang und entbehrungsreich. Er ging von der Habilitation über die Privatdozentur, weiter über die nur nominelle Ernennung zum außerplan­ mäßigen außerordentlichen Professor und den Ruf zum zwar besoldeten, aber nicht an den Fakultätsentscheidungen beteiligten planmäßigen Extraordinarius.333 Die bestehende Hierarchie war so zugleich Abbild der einzelnen Stufen des akademi­ schen Werdegangs. Ziel der meisten Akademiker war es, ein Ordinariat zu erlangen. Mit Idealen wie Bescheidenheit und Interesselosigkeit ging dies nicht automatisch zusammen. Erst die Annahme, dass der akademische Aufstieg und so auch die Hierarchie auf dem Primat der Leistung gründeten, verlieh ihnen Sinn und machte sie akzeptabel. Legitimiert wurden wissenschaftliche Leistungen durch ein Belohnungssystem, das – ebenfalls idealtypisch – von unabhängigen Wissenschaftlern und Gutachten kontrolliert wurde.334 Leistungsbezogenheit und Leistungskontrolle waren so Eck­ pfeiler einer idealtypischen akademischen Hierarchie. Sie war auf diese Weise kein willkürliches Konstrukt, weshalb man von jedem Wissenschaftsakteur erwartete, dass er die Hierarchien anerkannte, sich ihnen fügte und unterordnete. Konkret gab es an jeder Universität eine institutionelle Hierarchie, die den Aufbau der Universität (Fakultät – Senat – Rektorat) vorgab. Sie korrelierte mit ei­ ner Reihe normierter Handlungsabläufe und einer verbindlichen Geschäftsordnung. Entscheidungen, aber auch Beschwerden gingen vorgegebene Wege; Berufungen hatten bestimmte Abläufe. Jede Zuwiderhandlung und Abweichung rief Irritation hervor und musste als Angriff auf das hierarchische System bewertet werden. Zudem bestand eine Reputationshierarchie,335 basierend auf der wissenschaft­ lichen Anerkennung jedes einzelnen Akteurs. Das Maß der Reputation war der ver­ bindliche „durch wissenschaftliche Leistungen erzeugte, kollegiale Wertmaß­ stab“336. In der Regel schlug sich Reputation bzw. wissenschaftliches symbolisches Kapital in der akademischen Position nieder sowie in der Zahl von Ehrungen, Mit­ gliedschaften in Akademien, Vorsitzen in wissenschaftlichen Gesellschaften etc. Die Nichtachtung dieser Hierarchie wurde als anmaßend empfunden. Sie galt als

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und seinem Kollegen, dem Slawisten Max Vasmer 1925 / 26. Sievers warf Vasmer vor, er habe Georg Gerullis (Extraordinarius für Baltische und slawische Sprachen) politisch denunziert, was ihm nicht zustehe. Vgl. UAL, PA 898, Bl. 425– 438. Vgl. S. Paletschek, Die permanente Erfindung einer Tradition, S. 320–332. Zum Belohnungssystem vgl. R. K. Merton, Entwicklung und Wandel, S. 147–171. Vgl. U. Felt / H. Nowotny / K. Taschwer, Wissenschaftsforschung, S. 70–74. R. Kolk, „Wissenschaftspolizei“, S. 362.

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Angriff nicht nur auf die Person, sondern auf das wissenschaftliche Wertesystem an sich. Herrschte unter den Ordinarien Kollegialität, so war unter Vertretern der ver­ schiedenen hierarchischen Stufen ein patriarchalisches Verhältnis typisch, ein Verhältnis von Dienen und Gewähren, so man möchte, ein Verhältnis von Patron und Klient, wie es für vormoderne Gesellschaften typisch war. Besonders deutlich zeigt sich dies natürlich beim akademischen Nachwuchs, der in extremer Weise vom jeweiligen Lehrer abhängig war. Dabei wurde vom Schüler nicht nur Leistung, sondern auch Dank und (lebenslange) Loyalität erwartet.337 Die Idee eines gemeinsamen Sinnhorizonts, die eine Gruppe tugendhafter Persönlichkeiten miteinander verband und deren soziales Miteinander auf patriar­ chalisch geprägter Hierarchie bzw. Kollegialität basierte, bildete den Werte­ und Normenrahmen der modernen Wissenschaft seit dem letzten Drittel des 19. Jahr­ hunderts. Er dominierte in zählebigen Teilen des Wissenschaftssystems in Ost und West bis in die 1960er Jahre. Abweichungen und Verstöße gab es immer wieder, und sie wurden mit unterschiedlichen Sanktionen bestraft. Aus der Logik des wis­ senschaftlichen Feldes stellte die Entlassung, wie im Fall der Sofortmaßnahmen im Frühjahr bzw. Sommer 1945, wohl die schwerste Strafe dar. Neben der politischen und der sozialen Dimension spielte bei der Entscheidung, Personen nach 1945 zu entlassen, auch der Marktwert eine Rolle, also die Frage, welchen Wert das Fachgebiet bzw. die es vertretende Person für die unmittelbare Zukunft der Universität hat? Günstig war, wenn die Person relativ jung, gut ausge­ bildet sowie wissenschaftlich anerkannt war und bzw. oder über Kenntnisse ver­ fügte, die für das Fach, für die Universität, aber auch unter den neuen politischen Bedingungen von Wichtigkeit waren. War dies der Fall, wurde über politische, auch sozial­habituelle Verfehlungen hinweggesehen. Denn, so der Wissenschaftssozio­ loge Helmut F. Spinner pointiert und frei nach Brecht, „erst kommt die Methode und dann die Moral, jedenfalls in der Wissenschaft.“338 a) Bernhard Kummer. Der Griff nach der Führung in der Nordistik Bereits 1935 urteilte der Berliner Dekan über Kummers Stand in der Universität so: „Ich kann […] sagen, dass Herr Kummer begreiflicherweise bei der älteren Gelehr­ tengeneration äusserst unbeliebt ist.“339 An dieser Einschätzung sollte sich zehn Jahre später nichts geändert haben, sodass die sofortige Entlassung von Kummer 1945 wohl niemanden überraschte. Wie zu zeigen ist, war Kummer ein ausgespro­ chen schlechter Mitspieler im wissenschaftlichen Feld; die Liste seiner akademisch­ habituellen Verfehlungen ist lang. Sie umfasst Verleumdungen und Denunziatio­ nen, das systematische Anschwärzen und Schlechtmachen von Konkurrenten, seine Selbstinszenierung als „Retter der Nordistik“, die enge Kooperationen mit der 337 Vgl. S. Paletschek, Die permanente Erfindung einer Tradition, S. 258–259. 338 H. F. Spinner, Das „wissenschaftliche Ethos“, S. 50. 339 Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UB an das REM vom 29. Oktober 1935, zitiert nach S. Myrda, Nordistik, S. 112.

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politisierten Studentenschaft und Politisierung des Fachgebiets auch vom Katheder herab. Die zahlreichen Konflikte, an denen Kummer beteiligt war, zeichnen sich durch einen scharfen Ton aus. Besonders empfindlich reagierte er, wenn er sich zurückgesetzt fühlte. Die Auseinandersetzung mit Gustav Neckel in Berlin 1934 / 35 gibt davon ein beredtes Beispiel. Hier zeigen sich Argumentations­ und Handlungs­ weisen Kummers, die auch für nachfolgende Konflikte prägend waren. Aus diesem Grund ist der „Fall Neckel“ Ausgangspunkt meiner Analyse über Selbstbild und Fremdwahrnehmung des Nordisten.340 Der Berliner Nordistikprofessor Gustav Neckel war jene Instanz, die Kummer den Weg ins wissenschaftliche Feld ebnete. Ihn hatte Kummers Arbeit, vor allem dessen Aufsehen erregende Dissertation Midgards Untergang aus dem Jahr 1927 be­ eindruckt.341 Deshalb holte Neckel ihn Ende der 1920er Jahre nach Berlin, machte ihn zu seinem Assistenten, verschaffte ihm ein Stipendium und unterstützte ihn beim Ha­ bilitationsvorhaben. Früh gab es eine enge Zusammenarbeit, die über ein traditionel­ les Schüler­Lehrer­Verhältnis hinausging, da Neckel und Kummer nicht nur fachliche Interessen teilten. Vielmehr waren sie Kampfgenossen im antikatholischen Weltan­ schauungskampf, den eine Reihe von Germanenkundlern, Theologen und Politikern in den 1920er Jahren ausfochten.342 Für Kummer war die Anerkennung seiner wis­ senschaftlichen und kulturpolitischen Arbeit durch einen der bedeutendsten Nordis­ ten im deutschsprachigen Raum von immenser Bedeutung. Von Neckels Unterstüt­ zung erhoffte er sich einen geradlinigen akademischen Aufstieg. Dafür hielt er sich besonders geeignet, da er nach eigener Ansicht wie kaum ein anderer „religionsge­ schichtlich vorgebildet“ und „weltanschaulich gereift“343 sei. Doch Kummers Hoffnungen sollten sich nicht erfüllen. Seit dem Sommer­ semester 1932 war die Studentin Annie Heiermeier ebenfalls Assistentin bei Neckel.344 Von diesem Moment an fühlte sich Kummer (ob berechtigt oder nicht) in seinem Anspruch auf Exklusivität und wissenschaftliche Anerkennung vernachläs­ sigt. Die Konflikte am Institut steigerten sich immer mehr. Bevor Kummer das Ins­ 340 Vgl. hier vor allem J. Zernack, Gustav Neckel; S. Myrda, Nordistik, sowie F. Heinrich, Bernhard Kummer. 341 Vgl. B. Kummer, Midgards Untergang. Germanische Kultur und Glaube in den letzten heidnischen Jahrhunderten. Die Arbeit hatte Kummer in Leipzig bei dem Nordistikprofessor Eugen Mogk sowie dem Religionshistoriker Hans Haas geschrieben. 342 Kummers kirchenkritische Ansichten waren Teil einer heftig geführten Debatte zwischen Ger­ manenkundlern, Theologen und Politikern Ende der 1920er Jahre, an der auch Neckel teilge­ nommen hatte. Sie waren daher einander „Kampfgenossen“, so Kummer, der gemeinsam mit Neckel eine Kampfrede gegen den Kardinal Michael von Faulhaber verfasst hatte. Vgl. J. Zer­ nack, Gustav Neckel, S. 134 –138. Vor diesem Hintergrund ist auch die Bemerkung von An­ dreas Heusler zu verstehen, der in Kummer „den bedenklichen Mythologen“ sah, von Neckel „gezüchtet als Helfer im nationalistischen Werk“. Brief von A. Heusler an W. Ranisch vom 18. Dezember 1934, zitiert nach ebd., S. 138. 343 Schreiben von B. Kummer aus dem Jahr 1934, zitiert nach S. Myrda, Nordistik, S. 97–98. 344 Julia Zernack hat sich in ihrem detaillierten und kenntnisreichen Aufsatz über Neckel auch mit Annie Heiermeier befasst, und anhand des konkreten Konfliktfalls auf die spezifischen Bedin­ gungen für Frauen im Universitätsbetrieb in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hingewie­ sen. Vgl. zur Rolle von Akademikerinnen in der Berliner Germanistik jener Zeit L. Harders, Studiert, promoviert: Arriviert?, sowie S. Marggraf, Sonderkonditionen.

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titut im November 1934 verließ, beschwerte er sich bei Neckel über die „Zurück­ setzung“. Neckel, über diese Anmaßung empört, reichte das Schreiben an das Preu­ ßische Kultusministerium weiter, das Kummer verwarnte. Daraufhin wandte sich dieser direkt an das Ministerium und brachte seine „Verbitterung“ darüber zum Ausdruck, dass er „als erster Assistent von Prof. Neckel und als sein jüngerer Kampfgenosse in manchen Auseinandersetzungen ihm heute menschlich, wissen­ schaftlich und nach völkischer Leistung seiner so viel jüngeren Assistentin nachge­ ordnet erscheine“345. In dieser Auseinandersetzung zeigt sich erstmals ein Muster: Kummer kam nicht mit Konkurrenz zurecht. Das aber war eine Voraussetzung dafür, sich im akademi­ schen System einzuordnen, in dem Konkurrenz als befruchtende und treibende Kraft galt.346 Das fehlende Eingliederungsvermögen hatte zur Folge, dass sich Kummer immer auch als Person angegriffen fühlte und entsprechend zurückschlug. Seine Kri­ tik war nie nur wissenschaftlich, sondern immer auch persönlich und politisch.347 Neben dem Konkurrenzproblem hatte Kummer ein Hierarchieproblem. Die Auflehnung gegen seinen Mentor Neckel war ein Angriff auf die Reputationshier­ archie. In einem grundsätzlichen Schreiben an das Preußische Kultusministerium legte Kummer seine Beschwerden abermals dar. Dort heißt es, er müsse sich über die Zustände am Institut beschweren, „um der Sauberkeit der Wissenschaft, der Gerechtigkeit des wissenschaftlichen Urteils, der Verstimmung vieler Studenten und der wissenschaftlichen und menschlichen Geltung meines Ordinarius willen.“348 Mit dieser Aussage kehrte Kummer die hierarchische Ordnung um. Er stellte sich nicht nur über Neckel als Person, den er vor „absolutem Geltungsverlust“349 be­ wahren wollte – eine Äußerung, die nach Kummer bedeutete, dass Neckel bereits seinen wissenschaftlichen wie moralischen Führungsanspruch verloren habe und es jetzt nur noch darum gehe, Neckel einen angemessenen Abgang zu bereiten. Darü­ ber hinaus beanspruchte Kummer auch kurzerhand die Statusrolle als Ordinarius, indem er sich als für das Wohl der Studentenschaft und für die Wissenschaft an sich verantwortlich bezeichnete. Zuletzt war Kummer mit seinen Vorwürfen gegen Ne­ ckel erfolgreich, selbst wenn er persönlich nicht davon profitierte. Neckel geriet nämlich weiter unter Beschuss und wurde 1935 nach Bonn zwangsversetzt. Wenige Jahre später wurde er nach Berlin zurückbeordert, ein Akt, der ihn tief kränkte und möglicherweise für seinen Tod 1941 mitverantwortlich war.350 Kummer seinerseits entwarf in Abgrenzung von Konkurrenz sowie von Perso­ nen, die ihn (wie Neckel) enttäuscht hatten, ein Bild von sich selbst und inszenierte sich als Kämpfer mit Anspruch auf Führerschaft. Dies deutete sich in der Auseinan­ 345 Schreiben von B. Kummer an das Preußische Kultusministerium vom 8. Oktober 1934, zitiert nach S. Myrda, Nordistik, S. 96. 346 Vgl. U. Felt / H. Nowotny / K. Taschwer, Wissenschaftsforschung, S. 75–82. 347 Nicht zuletzt schwärzte Kummer wiederholt Konkurrenten an. Vgl. B. Kummer, Die Lage des Altnordischen Faches an den deutschen Universitäten, in: J. Zernack, Gustav Neckel, S. 205–207. 348 Schreiben von B. Kummer an das Preußische Kultusministerium vom 8. Oktober 1934, zitiert nach S. Myrda, Nordistik, S. 96. 349 Ebd. 350 Vgl. J. Zernack, Gustav Neckel, S. 142–143.

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dersetzung mit Neckel bereits an, wurde später aber noch deutlicher. Nach seinem Abgang vom Germanischen Seminar war Kummer nämlich für einen Lehrauftrag in Berlin im Gespräch. Kurzerhand verfasste er eine Art Motivationsschreiben an den Dekan, das er mit den Worten einleitete: „Ich glaube, dass ich augenblicklich der einzige bin, der ‚Germanische Religionsgeschichte‘ in Berlin mit den Studenten und in fruchtbarer Zusammenarbeit mit anderen Gelehrten so treiben kann, dass der Verlust der letzten zwei Jahre wieder aufgeholt werden kann.“ 351

Danach ging er dazu über, „von den Studenten […] gedrängt“ und „in Kenntnis der seltsamen Gegnerschaft“ durch die Professorenschaft, seine Eignung darzulegen. Als Nachweis führte er an, dass er für die Nordistikprofessur in Leipzig zweimal auf Platz vier gestanden habe und dass er in Kiel von der Studentenschaft (!) als Ordinarius vorgeschlagen worden sei.352 Gerade weil die Stimmung gegen ihn in Berlin so schlecht war, wünschte Kummer, dass wohlwollende Gutachten von an­ derer Stelle eingeholt werden, so von seinem Leipziger Lehrer Eugen Mogk und dem Bonner Nordisten Rudolf Meißner. Als weitere Gutachter nannte er die poli­ tisch einflussreichen Akteure Professor Hans F. K. Günther, bekannt als „RasseGünther“ von der Universität Jena, den einflussreichen Psychologen und Rassethe­ oretiker Ludwig Ferdinand Clausz, den Heidelberger Professor Ernst Krieck (einer der wichtigsten NS­Pädagogen sowie Herausgeber von Volk im Werden) und den Chefideologen Hitlers, Alfred Rosenberg.353 Die Art, sich selbst für eine Stelle ins Gespräch zu bringen und positive Gut­ achten anzufordern, widersprach zutiefst dem traditionellen Berufungswesen.354 Anders als heute, handelte es sich zu dieser Zeit bei Berufungen um einen von den Kandidaten unabhängigen Prozess, der auf den Vorschlägen der Fakultät basierte und durch unabhängige Gutachten kontrolliert wurde. Für die Kandidaten waren die hochsensiblen Abläufe vielfach nicht einseh­ und durchschaubar. Sie mussten auf ihre Fürsprecher vertrauen und darauf, dass sie als am besten geeignete Kandi­ daten ausgewählt wurden.355 Doch Kummer wollte sich damit nicht abfinden. Mit seinem Schreiben griff er nicht nur in den Prozess ein, sondern attackierte zudem das 351 Dies und die beiden folgenden Zitate stammen aus einem Schreiben von B. Kummer an den Dekan der Phil. Fak. der UB vom 4. Juli 1935, zitiert nach S. Myrda, Nordistik, S. 118. 352 Es ist bemerkenswert, welche Rolle Kummer der Studentenschaft in diesen Fragen beimaß. Zwar spielten sie in der Anfangsphase des Dritten Reichs eine aktive Rolle und übten auch auf Personalfragen Einfluss aus – jedoch vor allem, wenn es darum ging, Dozenten aus ihren Ämtern zu drängen. Dass Studierende aus eigener Kraft einen Dozenten hätten einsetzen kön­ nen, ist hingegen nicht bekannt. Zudem wurde auf der außerordentlichen Rektorenkonferenz am 21. Oktober 1933 der übermäßige Einsatz der NS­Studentenschaft, der das Vertrauens­ verhältnis zwischen Studenten und Dozenten nachhaltig störte, unterbunden. Vgl. M. Grüttner, Studenten, S. 81–86, sowie S. Rückl, Studentischer Alltag, S. 122. 353 Vgl. Schreiben von B. Kummer an den Dekan der Phil. Fak. der UB vom 4. Juli 1935, zitiert nach S. Myrda, Nordistik, S. 118. 354 Allerdings gab es solche „Selbstbewerbungen“ auch andernorts, wie beispielsweise in Mün­ chen, wo der Botaniker Fritz von Faber 1934 um eine Professur beim Ministerium vorsprach. Vgl. H. Böhm, Selbstverwaltung, S. 466– 467. 355 Daran hatte sich auch nach der Neuordnung des Berufungssystems im Dritten Reich nichts geändert. Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 236–238.

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traditionelle Berufungswesen selbst. Er lehnte das Verfahren als ungerecht ab und begründete dies mit seinen Erfahrungen in Kiel. Dort war er wie gesagt von den Stu­ dierenden vorgeschlagen worden, doch war statt seiner Otto Höfler ernannt wor­ den.356 Dieses Berufungsergebnis, so Kummer, also die Tatsache, dass ein „bisher Unbekannter“ berufen werden konnte, zeige die Unbrauchbarkeit des bestehenden Berufungssystem: „Die Methode geheimer Förderung und Verurteilung, die einen Fremden über Nacht zur Auto­ rität macht und ein seit fast einem Jahrzehnt allen sichtbar in der Arbeit stehenden Mitkämp­ fer durch ihm nicht bekannte schlechte Gutachten um die Existenz bringen kann [gestrichen: bringt], erkenne ich nicht als deutsch an.“ 357

Das Recht, sich selbst angemessen darstellen zu können und entsprechende Gut­ achten einzufordern, müsse ein Grundzug des Berufungswesens werden. So for­ derte Kummer an anderer Stelle eine „Veröffentlichungspflicht aller Gutachten im Für und Wider für eine oder gegen eine Ernennung, denn die Lehrstühle sind Sache und Eigentum des Volkes“358. Dieser Angriff auf eines der zentralen Merkmale der traditionellen Ordinarienuniversität macht deutlich, wie wenig Kummer von der akademischen Ordnung verstand bzw. von ihr hielt. Kummers Handlungsweisen spiegelten sich auch in den Reaktionen der ande­ ren Akteure. Wie eingangs zitiert, standen die traditionellen Ordinarien ihm ableh­ nend gegenüber. Dies zeigt sich auch in einem weiteren Zitat, in dem der Anglist Wilhelm Horn, 1935 Dekan der Philosophischen Fakultät in Berlin, eine Stellung­ nahme an das Reichserziehungsministerium abgab. Darin hob er hervor, wie wenig Kummer mit dem akademisch­habituellen Reglement in Einklang stand: „Herr Kummer machte auf mich den Eindruck eines sehr empfindlichen Menschen, der seine eigenen Leistungen übermässig hoch bewertet. Er hat wohl an die Übernahme der kleinen Stelle einer wissenschaftlichen Hilfskraft Hoffnungen geknüpft, die sich nicht verwirklichen konnten. Es scheint mir, dass Herrn Kummer’s [sic] Neigungen mehr kulturpolitisch als wis­ senschaftlich sind. In den Seminarkursen, Untere oder Mittel­Stufe, handelt es sich jedoch offenbar nicht um kulturpolitische, sondern um philologische Arbeit. Das ist wohl der Grund, weshalb Herr Prof. Dr. Neckel die Arbeit von Fräulein Dr. Heiermeier höher bewertete als die des Herrn Dr. Kummer.“359

Unbescheiden und auf Karriere orientiert, so das Urteil, überschätze Kummer sich und die eigene Arbeit. Diese entbehre nicht nur philologischer Grundlagen, sondern sei zudem nicht interesselos, sondern kulturpolitisch ambitioniert. 356 Zur Auseinandersetzung zwischen Kummer und Höfler vgl. G. Simon, Chronologie Nordistik, sowie die umfangreichen Stellungnahmen, die zu diesem Thema vom Jenaer NSDB eingeholt wurden, in: UAJ, Bestand U, Abt. IV, Nr. 20, Bl. 165–575. Zu Höfler vgl. M. Grüttner, Biographisches Lexikon, S. 76, sowie F.­R. Hausmann, „Auch im Krieg schweigen die Musen nicht”, S. 183–210. 357 Dieses Zitat und das folgende stammen aus einem Schreiben von B. Kummer an den Dekan der Phil. Fak. der UB vom 4. Juli 1935, zitiert nach S. Myrda, Nordistik, S. 118. 358 B. Kummer, Die Lage des Altnordischen Faches an den deutschen Universitäten, in: J. Zer­ nack, Gustav Neckel, S. 207. 359 Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UB an das REM vom 4. Februar 1935, zitiert nach S. Myrda, Nordisitik, S. 99.

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Aus Sicht der traditionellen Akteure war Kummer damit für eine wissenschaft­ liche Karriere weder fachlich noch menschlich qualifiziert. Deutlich wird dies in einem Gutachten Rudolf Meißners im Zusammenhang mit der Neubesetzung der Nordistikprofessur 1935, in dem er schrieb: „Aus dem Umstande, dasz ich in dem Briefe, den ich Herrn Hübner auf seinen Wunsch ge­ schrieben habe, Herrn Dr. B. Kummer nicht erwähne, können sie schon ersehen, dasz ich es nicht über mich gewinnen konnte, diesen Gelehrten für die wichtigste nordische Professur Deutschlands zu empfehlen.“ 360

Wenig überraschend und ebenfalls ablehnend auch Neckel: „Weder nach seinen wissenschaftlichen Leistungen noch als Charakter kommt er [Kummer; AL] nach meiner Überzeugung für die Übernahme einer Professur für altgermanische, beson­ ders nordische Philologie in Betracht.“361 Dass Kummer dennoch, wenn auch nicht in Berlin, sondern in Jena eine Pro­ fessur erhielt, lag daran, dass er nicht nur Gegner, sondern auch einflussreiche Für­ sprecher hatte. Es gibt eine Reihe von positiven Gutachten über Kummer. Bemer­ kenswerterweise argumentieren diese den ablehnenden gar nicht unähnlich. Die fachwissenschaftlichen Leistungen wurden als gering, die kulturpolitischen als stark beurteilt. Abhängig von der Verortung Kummers innerhalb des akademischen Normensystems sahen die Gutachter darin dann entweder eher ein Problem oder gerade eine Chance. So war der Münchner Philosophieprofessor Wolfgang Schultz zwar durchaus der Ansicht, dass Kummer als „Vorkämpfer des nordischen Gedan­ kens“ Teil des wissenschaftlichen Systems sein sollte: „Man gebe ihm die Möglich­ keit zu leben, etwa als Bibliothekar oder Mitarbeiter an einem wissenschaftlichen Institut.“ Kummer hingegen einen Lehrauftrag zu geben, hielt er für problematisch. Denn durch ihn würden „die Studenten […] für die Endergebnisse begeistert, aber nicht zu harter, vorurteilsfreier und verantwortungsvoller Auseinandersetzung mit den religionswissenschaftlichen Tatsachen der germanischen Kulturgeschichte er­ zogen werden.“362 Anders Hans F. K. Günther, der in seinem Gutachten gerade die von Schultz problematisierte Wirkung Kummers auf die Studenten positiv hervor­ hob: „Ich bin überzeugt, dass es diese Gesamterfassung der germanischen Welt ist, welche unsere Studierenden an Herrn Dr. Kummer lebhaft anziehen wird. Eben auf diesem Gebiet sucht der völkisch erweckte Studierende heute eine solchen Wesens­ erfassung.“363 Das Abweichende, die Außenseiterstellung Kummers wurde also einmal nega­ tiv, einmal positiv hervorgehoben. Das Regelsystem, an dem die Gutachter ihn ma­ ßen, war in beiden Fällen das traditionell akademische. Entscheidend war, welche Zielrichtung die Gutachter verfolgten. Und so stellte sich heraus, dass sich auch mit dem Außenseiteraspekt für eine Anstellung argumentieren ließ. Ludwig Bieber­ bach, Professor für Mathematik, überzeugter Nationalsozialist und 1935 / 36 Dekan

360 361 362 363

Gutachten von R. Meißner vom 26. Oktober 1935, zitiert nach ebd., S. 116. Gutachten von G. Neckel vom 27. Oktober 1935, zitiert nach ebd., S. 117. Gutachten von W. Schultz vom 26. September 1935, zitiert nach ebd. Gutachten von H. F. K. Günther vom 4. November 1935, zitiert nach ebd., S. 119, Anm. 531.

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der Philosophischen Fakultät in Berlin, appellierte dementsprechend für die Ver­ gabe eines Lehrauftrags an Kummer beim Ministerium: „Ich bin mir bewusst, dass es etwas ungewöhnliches ist, für einen Mann von 39 Jahren, der noch nicht habilitiert ist, einen Lehrauftrag zu beantragen. Gleichwohl scheint es mir vertretbar bei einem um die weltanschaulichen Belange der Bewegung und um die politische Schulung so verdienten Manne, wie Bernhard Kummer eine Ausnahme zu machen, um so seine Kraft auf einem Gebiete, wo starker Mangel an Nachwuchs ist, der Universität nutzbar zu machen. Wenn auf diese Weise Kummer auch finanziell in die Lage gesetzt ist, seine Kraft für Forschung und Lehre in der Wissenschaft einzusetzen, dann wird er, davon bin ich überzeugt, in absehbarer Zeit […] auch auf dem Wege über die Habilitation den Eingang in den Lehrkörper zu weiteren akademischen Ämtern finden.“ 364

Genau mit dieser Argumentationsweise hatten die Fürsprecher Kummers zuletzt Erfolg. In Jena erhielt er 1936 einen Lehrauftrag, der mit der Zusage für eine Pro­ fessur verbunden war. Der Wechsel Kummers nach Jena war kein Zufall. Hans F. K. Günther hatte sich, wie gezeigt, mehrfach für ihn eingesetzt. Weitere politisch ein­ flussreiche Fürsprecher waren der Jenaer Rektor Astel und der NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter in Thüringen Fritz Sauckel. Gemeinsam betrieben sie den Umbau der Jenaer Universität zu einer nationalsozialistischen „Musteruniversität“, da waren Männer wie Kummer willkommen. An der Missachtung akademisch­ha­ bitueller Regeln störten sie sich nicht. Während seiner Jenaer Zeit war Kummer wiederholt in Auseinandersetzungen verwickelt, in denen er, wie im „Fall Neckel“, zu „verdächtigenden, unerhört beleidigenden und heimtückischen Angriffen“365 überging. Diese führten 1938 sogar zu einem Disziplinarverfahren. Dennoch setzte sich Astel weiter für Kummer ein. Und so verdankte es Kummer nicht zuletzt ihm, dass er 1942 zum Ordinarius ernannt wurde.366 Innerhalb der Jenaer Universität sind keine Konflikte bekannt.367 Die bestehen­ den Auseinandersetzungen focht Kummer mit externen Nordisten aus.368 Vielmehr scheinen die Kontakte zur Germanistik gut gewesen zu sein. In seiner Schillerrede von 1941 rekurrierte Kummer akademisch angemessen auf den Germanistikordina­ rius Carl Wesle und nannte ihn einen der besten Kenner Schillers.369 Wesle seiner­ 364 Schreiben von L. Bieberbach an das REM vom 10. Dezember 1935, zitiert nach J. Zernack, Gustav Neckel, S. 184 –185. 365 Schreiben von Wolfram Sievers und Walther Wüst an Heinrich Himmler vom 3. November 1937, zitiert nach G. Simon, Chronologie Nordistik. 366 Himmler hatte gegen eine Berufung Kummers zum Ordinarius beim REM mehrfach Einspruch erhoben, da Kummer Himmler und das SS­Ahnenerbe in der Zeitschrift Nordische Stimmen wiederholt angegriffen hatte. Dennoch appellierte Astel in mehreren Briefen an Himmler für eine Berufung Kummers. Vgl. ebd. 367 Astels positive Einschätzung über Kummer basierte auf der Erfahrung, dass sich Kummer in der Jenaer Universität „in höchstem Maße korrekt verhielt“. Er habe „noch allerhand hinzuge­ lernt und sich in der Arbeit für die Universität und zugleich für die Bewegung, so bewährt, dass ihn alle Angehörigen des Lehrkörpers, insbesondere die Mitglieder der philosophischen [sic] Fakultät, sowie die gesamte Studentenschaft und die Parteigenossen des Gaues Thüringen schätzen lernten.“ Schreiben des Rektors der FSU K. Astel an Walther Wüst vom 15. Dezember 1941, in: UAJ, Bestand BA, Nr. 2159, Bl. 290. 368 Vgl. dazu Anm. 356 in diesem Kapitel. 369 Vgl. B. Kummer, Friedrich Schiller, S. 3.

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seits sprach sich wohlwollend über die Berufung Kummers aus.370 Auch die Aus­ gliederung der Nordistik aus dem Germanistischen Institut scheint ohne Konflikte abgelaufen zu sein.371 Möglicherweise waren die verstrittenen Germanisten gar nicht so unglücklich darüber, nicht noch einen schwierigen Charakter in ihrer Mitte zu haben. Die Inthronisierung Kummers unter massivem politischem Einfluss und ohne die notwendigen akademischen Insignien muss als Hauptgrund für seine sofortige Entlassung nach Kriegsende betrachtet werden.372 Darüber hinaus führte der Weg, auf dem er nach Jena gekommen war, über die Missachtung akademisch­habitueller Konventionen, was den Subtext seiner Entlassung lieferte. Zuletzt muss betont wer­ den, dass es um den Marktwert Kummers 1945 ausgesprochen schlecht bestellt war: Er stand einem Institut vor, dass nach dem Krieg sofort geschlossen worden war; die Nordistik wurde aufgrund ihrer politischen Anfälligkeit mit Argwohn be­ trachtet. Nicht zuletzt war Kummer zum Zeitpunkt seiner Entlassung bereits Ende 40 – aber nach wie vor nicht habilitiert. b) Franz Koch. Im Kampf gegen die herrschende Weltsicht Auch Franz Koch brach verschiedentlich mit den akademisch­habituellen Normen. Auch er stellte die bestehenden Hierarchien offensiv in Frage, missachtete die kol­ legialen Umgangsformen und brach in seiner wissenschaftlichen Arbeit mit dem Verdikt der Interesselosigkeit. Hierfür gibt es eine Reihe von Beispielen,373 jedoch muss bei der Darstellung und Bewertung der Ereignisse die Auseinandersetzung mit seinem Kollegen und direkten Konkurrenten Julius Petersen besondere Berück­ sichtigung finden.374 Im Frühjahr 1935 wurde Koch nach Berlin berufen. Fachlich gehörte er nicht zu den Größen, jedoch hob die Fakultät hervor, dass er aufgrund seiner wissen­ schaftlichen Vielseitigkeit für die Berliner Stelle geeignet sei. Auch galt er als anre­ gender Dozent. Und nicht zuletzt erfüllte er die politischen Anforderungen der Zeit. 370 Vgl. Kap. B I 2.1. 371 Vgl. Kap. A II 2.1. 372 Die offizielle Entlassungsurkunde erreichte Kummers Frau im September 1945; er selbst war zu diesem Zeitpunkt noch in Kriegsgefangenschaft. 373 Neben den Auseinandersetzungen Kochs mit Petersen sind weitere Verstöße von Koch gegen die akademisch­habituellen Normen zu konstatieren. Wie Kummer und Jolles kooperierte auch Koch eng mit der nationalsozialistischen Studentenschaft. Zum anderen verletzte er die institu­ tionelle Hierarchie im Rahmen der Berufungsdiskussion um die Nachfolge von Petersen 1941. Hier kommunizierte Koch direkt mit dem REM und überging damit Fakultät und Dekan. Er sei, so betonte Koch, der „in dieser Angelegenheit nächst interessierte und zuständige Fachmann“ und brachte (nachdem sich die Berufungskommission nicht einigen konnte) seine Vorschläge in einem Seperatvotum vor. Dies verstieß gegen das traditionelle Prozedere, nach dem ein Sondervotum nur gerechtfertigt war, wenn eine gewisse Zahl von Fakultätsmitgliedern dahin­ ter stand. Damit verstieß Koch nicht nur gegen die geltenden akademischen Normen, sondern auch gegen den „neuen Begriff des Dekans als Führer der Fakultät“. Vgl. zu den Vorgängen UA der HUB, PA Petersen, Bl. 90–92. 374 Vgl. zuletzt W. Höppner, Wissenschaft und Macht.

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Er war von 1914 bis 1918 an der Front gewesen und nach dem Krieg „immer für [die] nationale, grossdeutsche Politik“375 eingetreten. Innerhalb der Fakultät gab es keine Vorbehalte gegen Koch, und auch Petersen unterstützte die Berufung. Offen­ sichtlich war er von Kochs bisherigen Leistungen soweit angetan, dass er aus fach­ licher Sicht gegen einen weiteren Aufstieg nichts einzuwenden hatte. Im Gegenteil: In der Charakterisierung der Fakultät, an der Petersen als Vertreter der Neueren Literaturgeschichte maßgeblichen Anteil hatte, wurde hervorgehoben, dass man Koch aus seiner finanziell misslichen Lage befreien müsste, in die er durch die In­ flation geraten war. Für Koch wäre die Berufung von seiner Bibliotheksstelle in Wien nach Berlin „eine Erlösung“ und für die Germanistik würde sie „die Befrei­ ung einer ihrer wertvollsten Kräfte bedeuten“.376 Dem möglichen Konkurrenten stand Petersen aus akademischer Sicht also wohlwollend gegenüber und er setzte sich auch menschlich für ihn ein. Dies tat er aus seiner gesicherten Position heraus, von der er annahm, dass sie durch die Beru­ fung Kochs nicht in Frage gestellt werden würde. Denn bei der zu besetzenden Stelle handelte es sich um ein Extraordinariat, also um eine untergeordnete Posi­ tion. Und bei Koch handelte es sich um einen zwar vielseitigen, aber keineswegs renommierten Vertreter seines Fachs. Petersen mag daher davon ausgegangen sein, dass von Koch keine ernsthafte Gefahr ausgehe,377 dass er sich ihm gegenüber – auf­ grund seiner Fürsprache – vielmehr dankbar, verbunden oder zumindest kollegial verhalten würde Doch er hatte sich geirrt. Koch kam mit politischen Ambitionen nach Berlin. Er war weder gewillt noch bereit, sich in die vorherrschenden Hierarchien einzubin­ den, geschweige denn, sich ihnen unterzuordnen. 1938 schrieb er rückblickend: „Ich habe in meiner anfänglich bitteren Enttäuschung erfahren, dass man sich hier in intellektu­ ellen Kreisen als Nationalsozialist noch durchaus in Kampfposition befindet. Das bedeutet für mich, dass ich gegen jeden Versuch, nationalsozialistische Wissenschaftler als Wissenschaftler sozusagen auszugliedern, Front mache.“378

Das Zitat macht die Haltung Kochs deutlich. Er war in „Kampfposition“ und setzte alles daran, mehr Einfluss und Macht im Institut zu gewinnen. Die Verletzung von Grenzen, Normen und Traditionen nahm er dabei nicht nur in Kauf, sondern for­ cierte sie bewusst. Zunächst arbeitete er vor Ort an seinem akademischen Aufstieg. Karriereorien­ tiert hatte er bereits in den Berufungsverhandlungen die Aussicht auf ein Ordinariat ausgehandelt. Und schon ein Jahr nach seiner Berufung zum Extraordinarius er­ folgte die Ernennung zum ordentlichen Professor.379 Dieser rasche Aufstieg ent­ 375 Schreiben der Phil. Fak. der UB an das REM vom 10. Januar 1935, in: UA der HUB, Phil. Fak., Nr. 1480, Bl. 75–83, hier Bl. 80. 376 Ebd. 377 Vielmehr hat Wolfgang Höppner hervorgehoben, dass die Berliner Germanistik in Koch das „kleinere Übel“ angesichts der politisch motivierten Einflussversuche von Außen sah. Vgl. W. Höppner, Kontinuität und Diskontinuität in der Berliner Germanistik, S. 260–261. 378 Brief von F. Koch an J. Petersen vom 1. Januar 1938, in: DLA Marbach, A: Petersen, 66.1034. 379 Vgl. Schreiben des REM an F. Koch vom 17. September 1936, in: UA der HUB, PA Koch, Bd. I, Bl. 5.

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sprach keineswegs den traditionellen Aufstiegsmechanismen und war nur durch die Vertreibung jüdischer Professoren von ihren Lehrstühlen möglich.380 Durch die Ernennung zum Ordinarius wurde Koch nun dritter Mitdirektor des Germanischen Seminars. Er bekam Sitz und Stimme in der Fakultät und war damit innerhalb kür­ zester Zeit Petersen statusmäßig gleichgestellt. Zum Ordinarius ernannt, erlangte er weiterhin die Erhöhung seiner Kolleggeldgarantie sowie wiederholte Gehaltserhö­ hungen und die Ausweitung seiner venia legendi auf das Gebiet der gesamten deut­ schen Philologie (ursprünglich war er nur für Neuere deutsche Literaturgeschichte berufen worden). Dies hatte zur Folge, dass Koch nun für das gesamte Gebiet seine Zuständigkeit anmelden konnte (in der Lehre, als Gutachter, als Prüfer und bei der Betreuung von Dissertationen).381 Mit wissenschaftlichen Tugenden wie Bescheidenheit oder Interesselosigkeit hatte dies nichts zu tun. Und dies umso weniger, als es Koch eben nicht nur um Wis­ senschaft, Erkenntnisinteresse und wissenschaftsorganisatorische Macht ging, sondern dies alles vom Primat des Politischen geleitet war. Explizit wird dies, wenn Koch von Verantwortung und Wahrheit sprach, hier aber nicht wissenschaftliche, vorbehalts­ und interesselose Verantwortung meinte, sondern politische. Denn Wissenschaft, so Koch, sei nicht nur „Selbstzweck, sondern dienendes Glied eines größeren Ganzen, von dem sie ihren eigentlichen Lebensantrieb, ihre Aufgaben und letztlich ihren Sinn erhält.“382 Mit dieser programmatischen Aussage knüpfte Koch an die Idee der Lebenswissen­ schaft an, die in der Germanistik seit den 1920er Jahren stark virulent war und die auch von dem nationalistischen Petersen vertreten wurde.383 Doch war Koch bei der Reali­ sierung dieses Anspruchs radikaler und aggressiver und überschritt die Grenzen der für das wissenschaftliche Feld akzeptierten Machtkampfstrategien, die sich innerhalb des Werte­ und Nomenkanons abspielten, wiederholt. Damit war die Berufung von Koch für Petersen zu einem veritablen Problem geworden. Denn zunehmend und systema­ tisch begann Koch, den renommierten Großordinarius aus seinen Einflussbereichen zu verdrängen. Dabei ging es dem überehrgeizigen Koch zum einen um wissenschaftli­ che Konkurrenz. Allerdings hätte er mit seiner fachlichen Ausrichtung auch neben Petersen bestehen können.384 Zum anderen ging es ihm auch darum, Petersen als Ver­ treter der alten Ordnung abzulösen, um Platz zu schaffen für „bekennende“ Germanis­ ten wie ihn.385 Und das traf Petersen vollkommen unerwartet. 380 Vgl. Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UB an das Preußische Volksbildungsministerium vom 9. April 1936, in: Ebd., Bl. 4. 381 Vgl. W. Höppner, Der Berliner Germanist Franz Koch als „Literaturmittler”, S. 117–124. 382 F. Koch, Blick in die Zukunft, S. 57. Auch Höppner hat explizit auf die Inszenierung Kochs als „verantwortungsvollen Mittler“ zwischen Literatur, Wissenschaft und Politik hingewiesen. Vgl. W. Höppner, Der Berliner Germanist Franz Koch als „Literaturmittler”. 383 Vgl. Kap. B III 2. 384 So befasste sich Petersen in Lehre und Forschung vor allem mit der Literaturgeschichte bis zum 19. Jahrhundert, während sich Koch auf die (österreichische) Gegenwartsliteratur spezialisiert hatte. 385 Wenn es „um die Deutung und Wertung“ des Wissensstoffes gehe, so Koch, „verlangt der Ernst der Stunde die Ehrlichkeit des Bekenntnisses, dass manches hätte anders sein sollen, als es war, dass die Blickrichtung eine andere geworden ist, dass unsere Wissenschaft heute vielfach ande­ ren Zielen zustrebt als vordem.“ F. Koch, Blick in die Zukunft, S. 55.

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Der Konflikt zwischen Petersen als Vertreter der traditionellen Ordinarienuni­ versität und Koch als nationalsozialistischem Bekenner brach – für alle seh­ und hörbar386 – 1937 im Rahmen des Institutsjubiläums aus. Anlässlich seines 50­jähri­ gen Bestehens wollte das Institut eine Jubiläumsschrift herausgeben, die (ganz den akademischen Traditionen verpflichtet) der bedeutenden Vergangenheit des Semi­ nars und seiner prominenten Vertreter gedenken sollte. Auch Koch sollte einen Bei­ trag liefern, doch wollte er sich nicht an die Vorgaben halten. Seiner Ansicht nach sei eine Festschrift nicht nur der Rahmen für Erinnerung, sondern auch für das Kommende. So überschrieb er seinen Beitrag programmatisch mit Blick in die Zukunft und entwarf darin seine Vorstellung von gegenwärtiger Literaturgeschichts­ schreibung. Philologie sei wichtig, hieß es dort, könne aber für die heutige Wissen­ schaft nur eine Vorstufe sein: „Von uns verlangt die neue Zeit einen stärkeren per­ sönlichen Einsatz, den Mut, im kleinen [sic] zu irren, berechtigte Kritik aufs Spiel zu setzen, wenn es gilt, das Größere, das vielleicht erst ahnungsweise, in Umrissen zu schaffen ist, zur Erörterung zu stellen.“387 Für Petersen waren dieser Beitrag und das Verhalten Kochs in diesem Zusammenhang skandalös. Die bekenntnishafte Zu­ kunftgerichtetheit hatte nach seiner Ansicht in einer Festschrift nichts zu suchen, zumal in einer über die Berliner Germanistik, für die gerade die philologischen Traditionen zentraler Bestandteil ihres Selbstverständnisses waren.388 In diesem Konflikt traten die Spannungen zwischen den Professoren erstmals offen zu Tage. Sie störten ihr Verhältnis nachhaltig, was sich daran zeigt, dass sie auch bei späteren Konflikten immer wieder auf das Ereignis zurückkamen.389 Zu­ gleich zeigten sich in dieser Auseinandersetzung die Positionen der beiden Kon­ trahenten: Petersen war als Vertreter der traditionellen Ordinarienuniversität voll­ ständig im akademischen Milieu sozialisiert. Er hatte den akademischen Habitus verinnerlicht und verfügte über eine hohes Maß an symbolischem Kapital, das sich unter anderem in seiner Stellung an der Berliner Universität, in der Preußischen Akademie der Wissenschaften, in der Goethe­Gesellschaft sowie als Herausgeber renommierter Fachzeitschriften wie Dichtung und Volkstum (vormals Euphorion) und dem Jahrbuch der Kleistgesellschaft niederschlug.390 Vor diesem Hintergrund sind auch seine Argumentations­ und Handlungsweisen zu verstehen. Er hielt die akademischen Normen und Werte hoch und versuchte die Lösung des Konflikts auf der Basis von kollegialem Miteinander. Wiederholt betonte er in seinen Briefen an Koch, er sei an einer „gedeihlichen Zusammenarbeit“ und an einer ehrenhaften Klärung der Auseinandersetzungen interessiert.391 386 Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Festschrift war ein lautstarker Wortwechsel zwi­ schen beiden Professoren, der wie „ein Lauffeuer durch die ganze Germanistik ging“. Brief von J. Petersen an F. Koch vom 30. Mai 1940, in: DLA Marbach, A: Petersen, 66.917. 387 F. Koch, Blick in die Zukunft, S. 57. 388 Aus seiner Sicht sei eine Jubiläumsschrift ausschließlich dazu da, dem Vergangenen zu huldigen und die Großen des Fachs zu würdigen. Vgl. Brief von J. Petersen an F. Koch vom 30. Dezember 1937, in: DLA Marbach, A: Petersen, 66.917. 389 Vgl. die Korrespondenz zwischen Koch und Petersen in den Jahren 1937 bis 1940, in: Ebd. 390 Vgl. den Artikel zu J. Petersen im Internationalen Germanistenlexikon. 391 Als Älterer, so Petersen, reiche er Koch die „Hand zur Verständigung“. Brief von J. Petersen an F. Koch vom 30. Dezember 1937, in: DLA Marbach, A: Petersen, 66.917.

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Anders Koch. Er verstand sein Handeln in erster Linie als Kampf und war wild dazu entschlossen, die politischen und wissenschaftlichen Zustände in seinem Um­ feld zu verändern. Dies hing zum einen mit seiner beruflichen Sozialisation zusam­ men. Sie war im Gegensatz zu der von Petersen über Umwege (über den Biblio­ theksdienst) verlaufen, eher von Stagnation als von Erfolgen gekennzeichnet und zudem durch starke finanzielle Unsicherheiten geprägt gewesen. In der gemeinsa­ men Berliner Zeit spielte daher für Koch der Anspruch auf wissenschaftliche Aner­ kennung eine weit größere Rolle als für Petersen. Und auch politisch befand er sich als Österreicher und Vertreter der Anschlussidee in der Offensive und in Kampfpo­ sition.392 Um in der weltanschaulichen und wissenschaftlichen Konkurrenz mit Petersen bestehen zu können, griff Koch bewusst zu Mitteln, die mit den akademisch­habi­ tuellen Normen brachen. Seine Auflehnung gegen die Festschrift steht symbolhaft für sein Handeln insgesamt: Er missachtete Traditionen und bestehende hierarchi­ sche Konstellationen. Dafür nutzte er die Kraft des politischen Bekenntnisses und die Rückendeckung durch politische Instanzen.393 Dem entsprechend führte Koch die Auseinandersetzung mit Petersen nicht auf der wissenschaftlichen Ebene, son­ dern als Bekenntniskonflikt, als Machtkonflikt zwischen ihm als Neuerer und Peter­ sen als dem Vertreter der alten Ordnung. Das ideologische Bekenntnis war für Koch handlungsleitend, nicht das Ethos der Wissenschaft.394 Aus der Auseinandersetzung um die Festschrift ging Koch im Übrigen gestärkt hervor. Sein Text erschien in der von ihm gewünschten Form und bildete als letzter Beitrag sogar so etwas wie die „letzten Worte“395 des Bandes, wie Petersen feststellen musste. Innerhalb des wissenschaftlichen Feldes konnte Koch daraufhin seine Macht weiter ausbauen. Im Ausland trat er als Repräsentant der deutschen Germanistik auf. Seit September 1938 war er Dekan der Philosophischen Fakultät, und er ge­ hörte zu den federführenden Kräften beim „Kriegseinsatz der Geisteswissen­ 392 Entsprechend pathetisch kommentierte Koch den Anschluss Österreichs durch Hitler 1938: „Wer das Glück gehabt hat, während der entscheidenden Märztage an einer der Straßen Öster­ reichs den unermesslichen Jubel mitzuerleben, der dem Führer, dem Befreier von namenloser Qual, entgegenbrauste, wer in die Augen der Jubelnden gesehen hat, die ihm die Sehnsucht ganzer Generationen entgegenglühten, der hat, ganz abgesehen von der ungeheueren Erschüt­ terung seiner Seele, in einen Brennpunkt geschichtlichen Geschehens geblickt, dessen Leucht­ kraft das Dunkel von Jahrhunderten erhellt und zerreißt. […] Der Führer hat mit einem Hieb den Knoten geschichtlicher Tragik und Wirrnis zerhauen und den Deutschösterreicher von dem Fluch befreit […] in einer aufgezwungenen Selbständigkeit nicht leben und nicht sterben zu können.” F. Koch, Großdeutsche Idee, S. 205. 393 Vgl. W. Höppner, Der Berliner Germanist Franz Koch als „Literaturmittler”. 394 Über Ziel und Aufgabe der Wissenschaft heißt es dementsprechend: „Auch von uns verlangt die neue Zeit einen stärkeren persönlichen Einsatz […]. Gemeint ist jener Mut der Selbstver­ ständlichkeit, der die Augen aufschlägt und sieht, dass die deutsche Welt eine andere geworden ist, um dabei zu entdecken, dass auch die Wissenschaft nicht Selbstzweck ist, sondern dienen­ des Glied eines größeren Ganzen, von dem sie ihren eigentlichen Lebensantrieb, ihre Aufgaben und letztlich ihren Sinn erhält. […] Wir haben wieder ein Ziel, wert, ein Leben dranzusetzen.“ F. Koch, Blick in die Zukunft, S. 58–59. 395 Brief von J. Petersen an F. Koch vom 30. Dezember 1937, in: DLA Marbach, A: Petersen, 66.917.

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schaften“.396 Petersens Machtposition wurde hingegen mehr und mehr geschwächt. Dies zeigt auch eine zweite Auseinandersetzung zwischen beiden Professoren, in der es (vordergründig) um die Herausgeberschaft der Jean-Paul-Werkausgabe und des Goedeke Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung ging.397 Im Juni 1939 hatte Koch herausgefunden, dass Petersen trotz aller Zwangsmaßnahmen wei­ terhin jüdische Mitarbeiter mit der Arbeit an diesen Werken betraut hatte, unter anderem den hervorragenden Jean­Paul­Kenner Eduard Berend, der mit Petersen seit 1914 die Ausgabe betreute. Für Koch bot sich hier die abermalige Chance, sei­ nen wissenschaftlichen und ideologischen Machtbereich auszubauen. Er ging zum Angriff über und erreichte, dass Petersen von der Herausgabe der Werke zurückge­ stellt wurde und Koch sie allein übernehmen konnte. In einer Mischung aus An­ klage, Warnung und Drohung schrieb er an ihn: „Ich frage mich allen Ernstes, ob Sie sich dessen bewusst sind, was Sie tun, dass Sie, Professor an der ersten Universität des Reiches und Verwalter des deutschen Kulturbesitzes, das, was die Führung des dritten Reiches [sic] anstrebt, – es ist nicht anders zu nennen – sabotieren; ob Sie sich klar darüber sind, welche Folgen das für Sie haben kann. Sie werden mir diesen Brief […] sicherlich übel nehmen, wie ja, ich weiß das wohl, ohne es hindern zu können, meine ganze Existenz einen Stachel für Sie bedeutet. Aber jemand muss einmal ganz offen mit Ihnen spre­ chen, auch um Sie vor wirklichem Unglück zu bewahren.“ 398

Die Verdrängung von der Herausgeberschaft war für Petersen wissenschaftlich wie persönlich eine herbe Niederlage.399 Die Jean­Paul­Ausgabe hatte er seit 1911 ge­ leitet, sie stand Ende der 1930er Jahre kurz vor ihrer Fertigstellung. Koch seiner­ seits brach ein weiteres Mal mit den akademisch­habituellen Normen. Art und Weise der Angriffe entbehrten jeder Achtung vor kollegialen Werten und der beste­ henden Reputationshierarchie. Darüber hinaus bereicherte er sich an den wissen­ schaftlichen Ergebnissen der langjährigen Arbeit von Petersen und seinen Mitarbei­ tern, was innerhalb des wissenschaftlichen Feldes als absolut verwerflich galt (und gilt).400 Es ist ein Indiz für die Schwäche der institutionellen Macht von Petersen, dass es gegen dieses Vorgehen keine erkennbaren Widerstände Dritter gegeben hat. Er selbst wollte das Ereignis nicht an die große Glocke hängen („Ich werde mich doch nicht lächerlich machen!“401). Er scheute die öffentliche Auseinandersetzung ebenso wie den Skandal.402 Vielmehr forderte er von Koch auch in diesem Zusam­ 396 Vgl. W. Höppner, Germanisten auf Reisen, sowie F.­R. Haussmann, „Aktion Ritterbusch“, vor allem S. 145–154. 397 Vgl. zu der Auseinandersetzungen P. Boden, Wissenschaftsmanager, S. 97–100, sowie W. Höppner, Wissenschaft und Macht. 398 Brief von F. Koch an J. Petersen vom 19. Juni 1939, in: DLA Marbach, A: Petersen, 66.1034. 399 „Unsere Sprache“, so Petersen an Koch, habe für solch einen Akt „kaum ein passenderes Wort als ‚verdrängen‘.“ Brief von J. Petersen an F. Koch vom 30. Mai 1940, in: Ebd. 400 Entsprechend sensibel wurden und werden Plagiatsvorwürfe behandelt. Vgl. R. K. Merton, Entwicklung und Wandel, S. 283–291. 401 Dieses Zitat und die folgenden dieses Absatzes stammen aus einem Brief von J. Petersen an F. Koch vom 30. Mai 1940, DLA Marbach, A: Petersen, 66.917. 402 Das Ereignis war ein „öffentliches Geheimnis“ und der scientific community durchaus bekannt. Sie würde daraus, so Petersen, ihre Schlüsse ziehen.

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menhang ein „Wort der Selbsterkenntnis“. Doch umsonst. Petersen argumentierte auch in diesem Fall ganz im Sinne der akademischen Normen und rekurrierte wie­ derum auf Kollegialität: „Wäre es [in dieser Angelegenheit; AL] bei der Gleich­ berechtigung geblieben und an deren Stelle nicht Ueberhebung getreten, so wäre alles gut gegangen.“ Da er mit dem Appell an kollegiales Verhalten bei Koch jedoch nicht weiterkam, blieb ihm zur Erklärung der Dinge nur der Blick auf dessen „schlechten Charakter“, dessen Eitelkeit und Geltungsbedürfnis. In einem langen Brief schrieb er an ihn: „Sie haben [die] Befriedigung Ihres Geltungsbedürfnisses allzu lange entbehren müssen und holen es nun nach; ich habe die Gunst […] sattsam genossen […]. Dem mörderischen Betrieb, dem meine Vorgänger verfrüht zum Opfer gefallen sind und den Sie mit herkulischen Kräften zu bewältigen suchen, entrückt zu sein, ist für mich kein Leidwesen. ‚Alles ist eitel!‘ Daß ich für den Jahrmarkt der Eitelkeit tot bin, fällt mir gar nicht schwer, und es ist sogar ganz reizvoll, mit Augenzwinkern zu beobachten, wie die Menschen um einen herum sich nun verhalten.“

Insgesamt ist in den Auseinandersetzungen auffällig, dass Koch und Petersen von unterschiedlichen Positionen aus argumentierten und ihr Handeln ableiteten: Peter­ sen ging von einer hierarchischen Ordnung aus, in der er – Kraft seines wissen­ schaftlichen symbolischen Kapitals – über Koch stand. Er verkannte damit dessen stetig wachsende politische Macht und den damit einhergehenden Einfluss auch im wissenschaftlichen Feld. Zudem ging Petersen von einer gegenseitigen Achtung im Sinne kollegialer Gleichberechtigung aus und irrte abermals. Koch hingegen ging es von Beginn an um Macht und politisches Bekenntnis. Dem entsprach auch sein Auftreten: Er war offensiv, einklagend und fordernd, dabei wiederholt anmaßend und beleidigend.403 Bemerkenswert ist, dass Koch damit Erfolg hatte. Im Ergebnis müssen so der Aufstieg Kochs und die Niederlage Petersens im Kampf um Macht und Einfluss in der Berliner Germanistik als einer der geglückten Versuche natio­ nalsozialistischer Wissenschaftspolitik gesehen werden. Hier dominierte das politi­ sche Kapital über das wissenschaftliche, die neue, weltanschaulich zuverlässige Elite über die alten bürgerlichen Kräfte. Als es nach dem Zusammenbruch des NS­Regimes um die Entlassungen ging, stand Koch mit an erster Stelle. Zwar war sein Marktwert relativ gut: Er war 1945 erst 57 Jahre alt und hatte sich in bestimmten Bereichen, etwa der österreichischen Gegenwartsliteratur durchaus fachliche Anerkennung erworben. Eine Vielzahl von Studierenden hatte er erfolgreich zur Promotion geführt, sodass man von dieser 403 Die Ereignisse um die Jean-Paul-Ausgabe hatten Petersen sehr mitgenommen. Wiederholt er­ krankt, musste er zu Kuraufenthalten reisen und Lehrveranstaltungen ausfallen lassen. Koch, in dieser Zeit Dekan der Philosophischen Fakultät, schoss auch jetzt gegen den Kollegen. Auf die Anfrage des Rektors, ob Petersen 1940 für die Fertigstellung der Schiller-Gesamtausgabe von der Lehre freigestellt werden könne, antwortete Koch enerviert: Wenn Petersen „seine Lehrtä­ tigkeit für so entbehrlich hält, dass er auf ein volles Jahr erneut seine Pflichten als Universitäts­ professor glaubt vernachlässigen zu dürfen, so sollte er bei seinen hohen Jahren besser die letzte Konsequenz ziehen, als seinen Kollegen Herrn Koch und Wentzlaff­Eggebert die ganze Arbeit zu überlassen.“ Schreiben von F. Koch an den Rektor der UB vom 14. Oktober 1940, in: UA der HUB, PA Petersen, Bd. II, Bl. 43.

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Warte aus von einem intakten akademischen Leben sprechen kann.404 Doch durch die Anzahl der Verstöße, die Art und Weise, wie er gegen den renommierten Peter­ sen aufgetreten war, und nicht zuletzt die Tatsache, dass er damit Erfolg gehabt hatte, war er für die Universität nicht mehr tragbar. c) André Jolles. Ein „origineller Geist“ probt den Aufstand 405 André Jolles war zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtergreifung im Ver­ gleich zu Kummer und Koch schon lange Teil des akademisch­universitären Systems. Er war 1933 bereits 59 Jahre alt und seit 14 Jahren Professor an der Leipziger Univer­ sität. In Universität und Fakultät war er angesehen, seine Fähigkeiten innerhalb des Instituts geschätzt. Gemeinsam mit Frings hatte er Lehrveranstaltungen abgehalten und Korff während dessen Abwesenheit 1930 und 1937 vertreten. Zudem hatte er einen exklusiven Kreis begabter Schüler um sich scharen können. Besondere Beach­ tung wurde ihm durch sein Buch Einfache Formen zuteil, das 1930 erschien und bis heute aufgelegt wird.406 Obwohl Jolles auf Umwegen – als Publizist und Professor für Kunstgeschichte – zur Germanistik gekommen war, wurde er von den anderen wissenschaftlichen Akteuren anerkannt und hatte seinerseits die akademisch­habitu­ ellen Normen verinnerlicht. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass seine Regelver­ stöße weniger ausgeprägt waren als die von Koch und Kummer. Doch auch Jolles – von der nationalsozialistischen Idee begeistert – stellte die bestehenden Hierarchien in Frage. Wie Kummer und Koch suchte auch er den Kon­ takt zu den politisierten Studierenden und weichte damit die Hierarchiegrenzen nach unten auf. In der NS­Studentenschaft sah er die treibende Kraft, wenn es um notwendige Veränderungen an der Universität ging. So schrieb er im Mai 1933 an seine Tochter: „Zu Pfingsten werde ich nicht kommen können. Ich habe sehr viel zu tun. Die Universität be­ findet sich durch die ‚Beurlaubung‘ einer Anzahl von Professoren in einem etwas gelockerten Zustand. Dass der Einfluss der Studenten auf Universitätsfragen sehr viel größer geworden ist, betrachte ich als ein grosses Glück. Ich habe es eigentlich, seitdem ich in Leipzig bin, gewusst, dass die notwendige Reorganisation des Studiums und des Unterrichts nicht von den Fakultäten und von den Professoren ausgehen konnte. Dazu war vieles allzu erstarrt. […] Ich bin sehr froh, dass ich durch meine Beziehungen zu den Studenten, die wissen, wie sehr ich auf ihrer Seite stehe, wenn auch im kleinen Kreise einen gewissen Einfluss ausüben kann und entziehe mich

404 Zwischen 1933 und 1945 entstanden am Germanistischen Institut in Berlin 107 Dissertationen, deutlich mehr als in der Weimarer Zeit. Etwa die Hälfte der Studierenden promovierte bei Koch, der seine Aufgaben sehr ernst nahm. Vgl. W. Höppner, Der Berliner Germanist Franz Koch als „Literaturmittler”, S. 124. 405 Anlässlich von Jolles’ 70. Geburtstag sollte ihm die Goethe­Medaille verliehen werden. In einem wissenschaftlichen Gutachten über den Kollegen schrieb Korff daraufhin an das Reichserziehungsministerium, dass Jolles dieser Auszeichnung „durchaus würdig“ sei. Er sei ein „origineller schöpferischer Geist“, der seine „ganz eigenwillige Auffassung“ von Literatur­ wissenschaft in seinen Arbeiten dargelegt habe. Telegramm von H. A. Korff an das REM vom 21. August 1944, in: BArch, BDC, REM, Jolles, André, 7.8.1874, Bl. 9319. 406 2006 erschien das Buch in achter Auflage.

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Germanistenleben deshalb in keiner Weise den Besprechungen, die sich mit Reformplänen befassen. […] So viel ist sicher: ich muss augenblicklich an meinem Posten bleiben.“ 407

In diesem Zitat spiegeln sich die Begeisterung Jolles’, sein Verantwortungsgefühl für die Entwicklungen in der revolutionären Phase und der unbedingte Wille, daran teilzuhaben. Die Kooperation Jolles’ mit den Studierenden manifestierte sich in Reformplänen, die die NS­Studentenschaft im Juli 1933 dem Volksbildungsminis­ terium vorlegte und die in Kapitel A II 2.2 dargestellt wurden. Ein wesentlicher Aspekt dieser Überlegungen war die Umverteilung der Machtverhältnisse am Ins­ titut, konkret eine Gleichstellung der Ordinarien mit den Extraordinarien. Gemes­ sen an der bestehenden hierarchischen Ordnung kam dies einem Sakrileg gleich. Nicht zuletzt scheiterte die Neuordnung an diesen radikalen Forderungen. Das nächste Mal, als die bestehende Hierarchie offensiv in Frage gestellt wurde, waren die nationalsozialistischen Akteure hingegen erfolgreich. Und auch diesmal war Jolles beteiligt. Es handelt sich dabei um die Verleihung der Ehrendoktorwürde an den antisemitischen Literaturhistoriker Adolf Bartels im Januar 1938, die bereits in Kapitel B I 2.3c eine ausführliche Darstellung erfahren hat. Zur Erinnerung: Bar­ tels war seit Ende des 19. Jahrhunderts mit einer Vielzahl antisemitischer Publika­ tionen aufgetreten und gehörte zu den bekanntesten völkischen Literaturhistorikern. Die akademische Anerkennung war ihm, der nicht zu Ende studiert hatte und vor allem als Publizist arbeitete, immer verwehrt geblieben; die Qualität seiner wissen­ schaftlichen Arbeit galt fachlich als zweifelhaft. Nach 1933 wurde er als „Vorkämp­ fer“ der Bewegung hofiert. Unter diesen Bedingungen forcierte einer seiner Schüler den akademischen Ritterschlag seines Lehrer und beantragte die Vergabe des Ehrendoktortitels an Bartels zu dessen 75. Geburtstag durch die Universität Leip­ zig, an der er in den 1880er Jahren für einige Semester studiert hatte. Formal war die Ehrung problematisch, da eine Verordnung des Reichserziehungsministeriums die Annahme solcher Ehrungen für Reichsdeutsche untersagte. Doch Mitte der 1930er Jahre diskutierte das Ministerium bereits eine Auflösung der Beschränkung, weshalb die Angelegenheit mit Bitte um Begutachtung an das Germanistische Ins­ titut gelangte. Theodor Frings und Hermann August Korff sprachen sich – als Ordi­ narien zuerst befragt – gegen die Würdigung Bartels’ aus, die sie als nicht notwen­ dig bezeichneten.408 An dieser Stelle kam Jolles ins Spiel, der gemeinsam mit zwei Kollegen nachdrücklich und zuletzt erfolgreich die Ehrung Bartels’ unterstützte. Da es hier um die Frage geht, inwieweit Jolles sich an akademische Normen hielt oder mit ihnen brach, ist im Folgenden vor allem seine Stellung in dieser Aus­ einandersetzung zu analysieren. Dabei ist die Frontstellung zu beachten. Sie verlief zwischen den Ordinarien auf der einen und den zwei Extraordinarien Jolles und Alfred Hübner sowie dem fachfremden Indogermanistikprofessor Heinrich Junker auf der anderen Seite. Mit Blick auf die institutionelle wie auf die Reputationshier­ archie ergab sich dabei ein deutliches Gefälle, bei der die Pro­Bartels­Fraktion 407 Brief von A. Jolles an Hendrika Jeltje Goldschmidt­Jolles vom 28. Mai 1933, in: W. Thys (Hg.), André Jolles, S. 842. 408 Erklärung von H. A. Korff vom 14. August 1937 sowie ihre Bestätigung durch T. Frings vom 21. August 1937, in: UAL, Ehrenpromotion Nr. 105, Bl. 10.

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schlechter positioniert schien. Innerhalb dieser Gruppe nahm Jolles eine Schlüssel­ stellung ein, denn sein Gutachten war nicht nur das ausführlichste und gab (da es an erster Stelle der drei Fürsprachen stand) die Richtung vor. Es hatte mit dieser Stel­ lung zudem die Aufgabe, direkt auf die Äußerungen der Ordinarien zu reagieren. Jolles’ Gutachten war klar gegliedert, argumentativ strukturiert und strategisch aufgebaut. In der Einleitung nahm er direkt Bezug auf seine Vorredner Korff und Frings. Er stimmte ihnen formal zu, machte aber gleichzeitig seine Gegenposition deutlich. Dabei blieb er höflich, kollegial, griff die Kollegen nicht an, sondern sprach von sich und „seiner Ansicht“: „Der Meinung der beiden ersten Referenten, dass einer Ehrenpromotion von Adolf Bartels keine anderen grundsätzlichen Bedenken entgegenstehen als die, auf welche der Herr Reichs­ minister hingewiesen hat, stimme ich bei. Ich möchte aber noch darüber hinausgehen: meiner Ansicht nach wäre eine ‚Ehrung‘ Adolf Bartels ‚unter allen Umständen‘ durchaus ‚angebracht‘. Auch kann ich nicht einsehen, weshalb sich die Universität Leipzig […] die Gelegenheit ent­ gehen lassen sollte, diesen sturen Vaterländer und verdienstvollen Gelehrten zu ihrem Ehren­ doktor zu machen.“ 409

Damit ordnete sich Jolles in die formale wie in die Reputationshierarchie ein. Dies wird ebenfalls erkennbar, vergleicht man seine Argumentationsweise mit dem Gut­ achten von Heinrich Junker. Er, als Ordinarius mit Korff und Frings auf einer hier­ archischen Stufe, ging in seiner Stellungnahme nämlich nicht nur in medias res,410 sondern bezweifelte auch den wissenschaftlichen Wert der Leipziger Germanistik überhaupt – eine Provokation: „Das Argument der Herrn Korff und Frings […], lässt die Tatsache von 4 intensiven Leipziger Studiensemestern [Bartels’; AL] beiseite, die doch nicht bedeutungslos und unfruchtbar ge­ wesen sein können […]. Seitdem ist leider kein Literaturhistoriker von gleichem Ausmass der Kenntnisse und gleichem Gewicht […] entstanden, der sich auf seine Leipziger Studien und Leipziger Lehrer berufen hätte.“ 411

Jolles hingegen provozierte nicht. Vielmehr ließ er seiner Einleitung die Argumente folgen, weshalb er für die Ehrung Bartels’ sei. Dabei argumentierte er weiterhin im Rahmen akademischer Normen. Der Aufbau seines Gutachtens ähnelt einem Berufungs­ gutachten, dem Prototyp akademisch­habitueller Bewertung.412 Zunächst bewertete Jolles Bartels’ fachliche Leistungen: „Seine Geschichte der Deutschen Literatur“ sei „ein Werk von hoher Bedeutung. Will man vergleichend werten, so ist es die beste deutsche Lite­ raturgeschichte der Neuzeit, die wir besitzen. Der Verf[asser] verfügt über unerschöpfliche Ein­ zelkenntnisse – und zwar Kenntnisse aus erster Hand. Bartels ist einer jener Glücklichen, die von ihrer Jugend an mit viel Leidenschaft und wahrem Heisshunger gelesen haben und die nun, wenn sie in ihrem späteren Lebensalter zu einer Gesammtdarstellung [sic] kommen, nicht mehr viel nachzuholen oder nachzulesen brauchen. Dadurch hat er nicht nur über die grösseren, sondern 409 Gutachten von A. Jolles vom 17. September 1937, in: Ebd., Bl. 13. 410 So forderte Junker einleitend und ohne Umschweife: „Man sollte im Falle Bartels unter allen Umständen eine Ausnahme von der Ehrenpromotionssperre erwirken.“ Gutachten von H. Junker vom 4. Oktober 1937, in: Ebd., Bl. 16. 411 Ebd. 412 Vgl. R. Kolk, „Wissenschaftspolizei“, S. 357.

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Germanistenleben auch über die kleineren Erscheinungen immer ein selbständiges, originelles Urteil, das, obwohl eingestandenermassen subjektiv, doch immer an die Sachen heran, ja in sie hineinführt. Darüber hinaus versteht Bartels es, den ‚roten Faden‘ festzuhalten, die richtigen Einzelströmungen richtig zu bewerten, sie auf die Hauptströmungen zurückzuführen und so die Gesammtheit einer Entwick­ lung übersichtlich darzustellen. Bartels’ Stil ist markig; eingestreute Bemerkungen sind oft von einer verblüffenden Treffsicherheit. Die Gesch[ichte] d[er] D[eutschen] Literatur ist, trotz der Fülle aller Einzelheiten, keineswegs ein Nachschlagebuch; man kann sie, wie die Litteraturgeschichte [sic] Scherers, vom Anfang bis zum Ende mit Spannung und Aufmerksamkeit durchlesen.“413

Mit diesen Äußerungen verortete Jolles den umstrittenen Bartels im wissenschaft­ lichen Feld und lieferte die notwendigen fachlichen Argumente für das Reichserzie­ hungsministerium. Korff und Frings hatten den fachlichen Aspekt in ihren zwei Gutachten vollständig ausgeblendet, wahrscheinlich, weil für sie Bartels als Litera­ turwissenschaftler gar nicht zur Debatte stand. Doch ist das Ausblenden nicht im­ mer die richtige Strategie, um deutlich zu machen, dass es bei einem Autor an wissenschaftlichen Grundsätzen fehlt.414 Jolles legitimierte Bartels hingegen nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als Philologe. Er benannte wesentliche Krite­ rien philologischer Arbeitsweise, die auch für Bartels typisch seien (hohe Detail­ kenntnis, Wissen aus erster Hand, Leidenschaft für die Literatur, die Berechtigung, im Alter zur Gesamtschau zu kommen, Originalität, Einordnung in die traditionelle Gliederung der Literaturgeschichtsschreibung, Übersichtlichkeit und Lesbarkeit). Der Höhepunkt dieses Arguments ist die Verknüpfung Bartels’ mit Wilhelm Sche­ rer, dem Gründungsvater philologischer Literaturgeschichtsschreibung. Mit diesem Kriterienkatalog versuchte Jolles die Arbeiten des Außenseiters Bartels vor dem wissenschaftlichen Feld zu legitimieren. Zugleich verpflichtete er sich auf diese Weise auch selbst dieser akademisch­habituellen Ordnung, indem er das Gemein­ same, eben das philologische Erbe hervorhob. Zur Verdeutlichung dieses Aspekts sei wiederum aus dem Gutachten von Hein­ rich Junker zitiert. Darin betont der Autor nämlich eben nicht die Leistung Bartels’ innerhalb der Wissenschaft, sondern vielmehr gerade seinen Außenseitercharakter als „Feuilleton­Redaktör“415. Der Wert der Arbeiten Bartels’ liege eben nicht in seiner wissenschaftlich, philologischen Arbeitsweise, sondern vielmehr in ihrer Le­ bensnähe. Denn Bartels’ Arbeiten hätten an Junker und seiner Generation „ihre Mission erfüllt, indem sie uns Literaturgeschichte zeigten, die sich nicht ins Frasenhafte [sic] und Spielerische verlor, aber auch nicht in leeren Details, Inhaltsangaben und Kontro­ versen erschöpfte, wie wir es so oft bei der uns gebotenen Geschichte der älteren Deutschen Literatur erleben mussten […]“.

Erst im dritten Schritt ging Jolles zur ideologischen Argumentation über: „Und damit kommen wir zu dem besonderen Verdienst Adolf Bartels’: er hat in seiner Litera­ turgeschichte konsequent den germanischen Rassestandpunkt vertreten; er hat schonungslos 413 Gutachten von A. Jolles vom 17. September 1937, in: UAL, Ehrenpromotion Nr. 105, Bl. 13. 414 Zur Bewertung der wissenschaftlichen Arbeit von Bartels vgl. exemplarisch die Kritik von G. Witkowski in: Zeitschrift für Bücherfreunde (1924), S. 53–54. 415 Dieses und das folgende Zitat stammen aus dem Gutachten von H. Junker vom 4. Oktober 1937, in: UAL, Ehrenpromotion Nr. 105, Bl. 16.

Der verordnete Bruch

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und unaufhörlich auf die verheerenden Wirkungen des Judentums in der Literatur hingewiesen; er hat sie jedesmal im Einzelnen aufgezeigt.“ 416

Dieser relativ kurze Teil bildet den Höhepunkt von Jolles’ Argumentation, worauf die insistierende Aufzählung ebenso verweist, wie die absolutierende Wortwahl (konse­ quent, schonungslos, unaufhörlich, verheerend, jedes Mal, das alles). Die Verknüp­ fung von Antisemitismus und Literaturgeschichte galt Jolles als das entscheidende Argument. Denn darin unterscheide sich Bartels von anderen, und dies prädestiniere ihn für die Ehrung. Zugleich ist das Argument eingebettet in traditionell akademische Bewertungsmaßstäbe. Es kommt nach der wissenschaftlichen Bewertung und steht nicht an letzter Stelle. Es folgt vielmehr noch ein vierter Punkt, in dem Bartels als charakterstarke, opfer­ und einsatzbereite Persönlichkeit beschrieben wird.417 Auch in diesem Absatz rekurrierte Jolles auf Berufungsgutachten, bei denen auf die Persön­ lichkeit des Kandidaten ebenfalls erst am Ende eingegangen wurde. Es ist insgesamt beachtlich, wie stark sich Jolles in seinem Gutachten an die traditionell akademischen Regeln zur Bewertung von Wissenschaftlern hielt, die bis in den Aufbau seiner Argumentation reichte. Dies zeigt sich, wie mehrmals an­ gedeutet, im Vergleich mit den beiden anderen befürwortenden Gutachten. Hübners Gutachten weicht von den akademisch­habituellen Regeln ab, indem er nicht nur wiederholt philologische und ideologische Aspekte vermischte, sondern zuletzt das politische Ansehen von Universität und Fakultät über das wissenschaftliche stell­ te.418 Der Grundton von Junkers Gutachten, oben bereits mehrfach zitiert, war ins­ gesamt offensiver, aggressiver – möchte man einen Vergleich ziehen, dann ähnlich dem Ton von Franz Koch. Junker ging es nicht darum, die Bedeutung Bartels’ für Wissenschaft und Politik argumentativ zu belegen. Sie war für ihn selbstverständ­ lich, und es müsse aus seiner Sicht nur darum gehen, die Ehrung so schnell wie möglich herbeiführen.419 Bartels’ Antisemitismus erwähnte Junker nicht einmal: „Ich achte“, heißt es schlicht abschließend, „die literaturhistorischen Werke von Adolf Bartels als eine von wissenschaftlicher Verantwortung und wissenschaftli­ cher Gründlichkeit getragene völkisch wertvolle Leistung, die es verdient […], öf­ fentlich anerkannt zu werden.“420

416 Gutachten von A. Jolles vom 17. September 1937, in: Ebd., Bl. 13. 417 Die genannten „Verdienste“ habe Bartels in einer Zeit geleistet, „in der – wie er selbst vielleicht sich ausdrücken würde – ihm diese Haltung mehr faule Äpfel als Lorbeeren einbringen musste. Er wurde belächelt, er wurde übergangen – er hat sich behauptet und bewährt. Schon das giebt [sic] ihm ein Recht auf unsere Dankbarkeit; erlegt uns […] die Pflicht auf, ihn zu seinem fünf­ undsiebzigjährigen Geburtstag zu ehren mit einer akademischen Würde, die er sich sowohl durch seine wissenschaftlichen Leistungen wie durch seine Gesinnung innerlich schon erwor­ ben hat.“ Ebd. 418 Vgl. Kap. B I 2.3c. 419 Man müsse „unter allen Umständen“ eine Ausnahme von der Verordnung des REM erwir­ ken – unter dem Argument, dass Bartel schon recht betagt sei: Es gäbe „nach menschlichem Ermessen kaum noch eine gute Gelegenheit, B[artels] von Seiten der Wissenschaft zu ehren.“ Gutachten von H. Junker vom 4. Oktober 1937, in: UAL, Ehrenpromotion Nr. 105, Bl. 16. 420 Ebd.

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Germanistenleben

Die drei Gutachten bauen aufeinander auf und es ist daher natürlich, dass sie sich nicht wiederholen, sondern verschiedene Aspekte betonen. Dennoch: Jolles’ Text folgt am stärksten den akademisch­habituellen Normen in Aufbau und Argu­ mentation. Dies hängt auch damit zusammen, dass sein Text am Anfang steht und den Rahmen der Gegenargumentation vorgibt. Doch ist dies zum einen sicher kein Zufall, und möglicherweise hätte er wohl auch an zweiter oder dritter Stelle ähnlich argumentiert. Jolles’ Argumentationsweise hing wesentlich damit zusammen, dass er die akademisch­habituellen Regeln als langjähriger Teil der scientific community verinnerlicht hatte. Deshalb versuchte er, seine (politische) Einstellung innerhalb des Feldes und unter Berücksichtigung ihrer Regeln durchzusetzen und nicht (wie seine Kollegen Kummer, Koch oder auch Junker) durch politische Argumentation oder durch den Bruch mit akademischen Konventionen. Generell zeigt sich also, dass Jolles die akademische Hierarchie durchaus in Frage stellte: In Kooperation mit den unteren, politisierten Kräften, mit den Studen­ ten bzw. mit anderen Nichtordinarien versuchte er, den Einfluss der Ordinarien zu begrenzen. Doch dies erfolgte im akademischen Rahmen.421 Auf diese Weise er­ schien sein Handeln als gemäßigt, denn radikale Brüche gegen das bestehende Re­ glement wie bei Koch oder Kummer gab es bei Jolles nicht. Dass Jolles 1945 trotz­ dem entlassen wurde, hängt meines Erachtens deshalb (neben seinem intensiven NS­Engagement) weniger mit den Normbrüchen, als vielmehr mit seinem gesunke­ nen Marktwert zusammen. Im Gegensatz zu Koch und Kummer war Jolles 1945 bereits sehr betagt, er war 71 Jahre alt und seit 1939 regulär emeritiert. Seine wis­ senschaftliche Originalität wurde ihm nach Kriegsende eher zur Last gelegt. So urteilte der Rektor der Universität Hans­Georg Gadamer 1945, dass Jolles’ „ent­ schieden nationalsozialistische Haltung […] durch [seine] Volkstumsinteressen, aber insbesondere seine niederländische Studien nahe“422 gelegen hätte. Zum drit­ ten war in Leipzig der besondere Umstand, dass mit Ludwig Erich Schmitt ein junger und qualifizierter Nachfolger für Jolles vorhanden war. Schmitt war zudem der wichtigste Schüler von Frings, der diesen unbedingt versorgt wissen wollte.423 Der Marktwert Jolles’ war 1945 daher auf seinem Tiefstand und so war dies – in Verbindung mit seinem politischen Engagement – der ausschlaggebende Punkt für die gegen ihn getroffene Sofortmaßnahme im August 1945.

421 Auch die Rolle, die Jolles beim Habilitationsgesuch von Joachim Müller gespielt hat, das von 1936 Korff eingereicht worden war, kann als Teil dieses Kräfteringens interpretiert werden. Auch hier blieb Jolles ganz im akademischen Argumentationsrahmen, vermochte jedoch (ge­ gen das Votum der drei anderen Begutachter – alle drei Ordinarien) die Entscheidung zu kip­ pen. Vgl. Kap. B III 5.2. 422 Gutachten von H.­G. Gadamer über A. Jolles vom 11. Juni 1945, in: UAL, PA 20, Bl. 51. 423 In einem Schreiben von T. Frings an Dekan und Rektor der UL hieß es zu diesem Sachverhalt im November 1945: Sie müssten die, „die sich gegen den Geist ihres Amtes versündigt haben“, ausschließen und die „Gekränkten“, die wie Schmitt Zurücksetzung erfahren hätten, müssten nun Beachtung finden. Schreiben von T. Frings an den Dekan der Phil. Fak. der UL sowie an den Rektor der UL vom 30. November 1945, in: UAL, Phil. Fak. B 2 / 22: 23, Bl. 15.

Der verordnete Bruch

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Zwischenfazit Ohne Frage war die Entlassung von drei Viertel der Germanisten in Leipzig, Berlin und Jena ein tiefer Einschnitt in die Geschichte der drei Institute. Dass die personellen Einschnitte in besonderem Maße „verordnete Brüche“ gewesen sind, zeigt die offen­ sichtliche Diskrepanz zwischen den tatsächlich bis Ende 1945 entlassenen und jenen im Zuge der „Selbstreinigung“ aus dem Lehrbetrieb ausgegrenzten Germanisten. Für letztere endete der durch politisches Kapital und akademisch­habituelle Verstöße er­ kaufte akademische Aufstieg nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs mit dem unwiederbringlichen Ausstoß aus dem Wissenschaftssystem. Über diese Entschei­ dung war man sich im Frühsommer 1945 weitgehend einig gewesen. Die bad guys galten als untragbar und waren für die Zukunft des Fachs nicht zu gebrauchen. Darü­ ber hinaus hatte die „Selbstreinigung“ für die Germanistik insgesamt eine wichtige Legitimations­ und Ventilfunktion. Denn durch die Ausgrenzung der „wahren Nazis“ (deren Zahl klein war), konnte man sich und seiner Umwelt suggerieren, dass die Wissenschaft im Kern rein geblieben war, und dass man nahtlos zum status quo ante zurückkehren konnte. Mit dieser Identität stiftenden „Großerzählung“ der Nach­ kriegsgermanistik haben sich nachfolgende Generationen immer wieder kritisch aus­ einandergesetzt, gleichwohl wirkt sie zum Teil bis heute nach.424 4 Die 1950er Jahre Die Zusammensetzung des Personals hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg grund­ legend geändert. Die entscheidende personalpolitische Zäsur war wie dargestellt das Jahr 1945, in dessen Folge in Leipzig, Berlin und Jena insgesamt 75 Prozent aller Lehrkräfte entlassen worden waren. Gleichwohl war dieser Einschnitt nur der Anfang eines längerfristigen Umstrukturierungsprozesses, der erst mit der III. Hoch­ schulreform 1968 als abgeschlossen gelten kann. Die Veränderungen in diesem Prozess zielten auf institutionelle Wandlungen, die allmähliche Ausrichtung der wis­ senschaftlichen Fächer auf die marxistisch­leninistische Weltanschauung und nicht zuletzt auf einen Bruch mit Macht und Einfluss der bürgerlichen Eliten in der Wis­ senschaft. Eine Folge dieses Wandlungsprozesses ist die hohe Fluktuation auf Do­ zenten­ und Professorenebene, die zugleich in intensivem Maße eine einseitige Ost­ West­Wanderung gewesen ist. Michael Parak geht von 2 700 Akademikern aus, die die DDR bis 1961 verließen.425 Vielfach handelte es sich dabei um Naturwissen­ schaftler und Mediziner, doch auch unter den Germanisten war die Fluktuation hoch. In Leipzig, Berlin und Jena gab es auf nahezu allen Planstellen bis 1961 personelle Veränderungen – auf manchen Stellen sogar mehrfach. Die meisten Abgänge erfolg­ ten in den 1950er Jahren, eingerahmt von dem Wechsel Kunischs nahezu über Nacht an die FU Berlin im Jahr 1948 und durch die Entscheidung Hans Mayers 1963, in der Bundesrepublik zu bleiben. Im Folgenden geht es anhand der Planstellen um die Personalentwicklung in Leipzig, Berlin und Jena in den 1950er Jahren. Aufgrund der 424 Vgl. dazu L. Jäger, Disziplinen-Erinnerung. 425 Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 354.

280

Germanistenleben

inhaltlichen Überschneidungen mit Kapitel B I 3 ist dieser Abschnitt relativ knapp gehalten und auf die wesentlichen Linien konzentriert. 4.1 Fortgeführte Normalitäten. Die natürlichen Abgänge Von den 15 Abgängen, die es an den drei Germanistischen Instituten zwischen 1947 und 1961 gab, waren sechs natürlich bedingt: Theodor Frings, Hermann August Korff, Walter Baetke und Elisabeth Karg­Gasterstädt (alle Leipzig) sowie Leopold Magon (Berlin) waren Anfang bis Mitte der 1950er Jahre im emeritierungsfähigen Alter. Carl Wesle verstarb in Jena 1950 im Alter von 60 Jahren (vgl. Tabelle 8). Außer Karg­Gasterstädt, die Professorin mit vollem Lehrauftrag war, hatten die genannten Kollegen eine Professur mit Lehrstuhl inne. Dass diese Statusgruppe infolge von Emeritierung oder Tod ausschied, überrascht wenig und stimmt mit den Abgangspro­ zessen in den vorherigen Dekaden überein. Allerdings war im Gegensatz zur Weima­ rer Zeit und dem Dritten Reich das natürliche Abgangsmuster in den 1950er Jahren für diese Gruppe nicht mehr dominierend. Vielmehr wurde nur noch weniger als die Hälfte der Lehrstuhlinhaber emeritiert (fünf von elf), während es in der Weimarer Republik knapp 70 und während des Dritten Reichs sogar 80 Prozent gewesen waren. Der akademische Status, das Erlangen eines Lehrstuhls, war in den 1950er Jahren offensichtlich nicht mehr das ausschlaggebende Kriterium dafür, in dieser Position bis zur Emeritierung zu verbleiben – auch bei jenen nicht, für die dies altersmäßig zugetroffen hätte, wie für Albert Malte Wagner in Jena oder Alfred Kantorowicz und Werner Simon in Berlin. Zur Charakterisierung der natürlichen Abgänge in den 1950er Jahren müssen daher neben dem akademischen Status zusätzliche Kriterien hinzugezogen werden. Dies sind Generationszugehörigkeit, soziale und akademische Sozialisation sowie die Position der Akteure während des Nationalsozialismus. Die bis zu ihrem natürlichen Ausscheiden im Amt verbliebenen Professoren waren zwischen 1882 und 1890 geboren worden. Sie gehörten der sogenannten Frontgeneration an, deren Leben und akademischer Werdegang sich noch im Kai­ serreich vollzog, jedoch ebenso geprägt war vom Ersten Weltkrieg, von Revolution und Inflation sowie von den Erfahrungen im Dritten Reich. 1950 waren sie im Durchschnitt 64 Jahre alt. In der Gruppe von Germanisten, die als Lehrstuhlinhaber zwar den gleichen akademischen Status innehatte, die Universität jedoch vor der Emeritierung verließ, changierte hingegen die Generationszugehörigkeit (die Ge­ burtsjahrgänge lagen zwischen 1886 und 1914). Mit der Generationszugehörigkeit verknüpft ist die akademische Sozialisation. Korff, Frings, Wesle, Magon und Baetke können als exemplarisch für einen bestimm­ ten Gelehrtentypus betrachtet werden: Sie hatten ihre akademische Sozialisation wäh­ rend des Kaiserreichs erfahren, in der Weimarer Zeit beruflich reüssiert und während des Dritten Reichs an deutschen Hochschulen relativ konflikt- und verstrickungsfrei gelehrt. In der frühen DDR benötigte man ihr Fach­ und Organisationswissen, um den Wiederaufbau der Universitäten zu ermöglichen. Ein Mindestmaß an politischer Loyalität ihrerseits war nötig, um mitzuwirken. Dafür wurden sie mit einer Vielzahl von Privilegien ausgestattet, was ihre Kooperationsbereitschaft sichern half. Der Wer­

281

Der verordnete Bruch

degang von Karg­Gasterstädt, die als Frau in der Weimarer Zeit und während des Dritten Reichs kaum eine Chance auf akademische Karriere hatte, unterscheidet sich zwar von dem der männlichen Kollegen. Hinsichtlich der akademischen Sozialisation und der Prägung durch das traditionelle Hochschulsystem überwogen jedoch die Pa­ rallelen.426 Wie sich an dieser Gruppe zeigen lässt, waren neben der politischen Inte­ grität Status und Reputation, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation und ein bruchloser akademischer Werdegang innerhalb des deutschen Wissenschaftssys­ tems diejenigen Kriterien für eine erfolgreiche Fortführung wissenschaftlicher Tätig­ keit nach 1945 sowie für ein natürliches Ausscheiden. Eine Besonderheit der natürlichen Abgänge in den 1950er Jahren war der Ab­ gangsakt selbst. In der Weimarer Republik und während des Dritten Reichs han­ delte es sich dabei um ein mehr oder weniger planbares, in der Regel aber punktu­ elles und zeitlich begrenztes Ereignis. In den 1950er Jahren hingegen waren die Emeritierungen oft an längerfristige Aushandlungsprozesse gekoppelt. Dies hing mit der angespannten Personalsituation in der Nachkriegszeit zusammen und führte dazu, dass die Professoren weit über die Emeritierung hinaus lehrten oder leitende Funktionen einnahmen. Korff lehrte zwei Jahre länger; Baetke stand weitere vier Jahre der Abteilung für Nordistik kommissarisch vor. Frings und Magon leiteten die ihnen unterstellten Institute noch elf bzw. 13 Jahre über die Emeritierung hinaus. Nicht umsonst gehörte die Überalterung des Lehrkörpers zu einem der zentralen personellen Probleme dieser Zeit. Doch solange keine Nachfolger gefunden werden konnten, lehrten die emeritierungsfähigen Professoren und gewährleisteten so die Aufrechthaltung des Unterrichts.427 Zugleich bedeutete die personelle Konstanz aber auch die fortgesetzte Einflussnahme der „bürgerlichen“ Wissenschaftler auf das Wissenschaftssystem bis in die 1950er Jahre. Name, Status und Ort

Ausgeschieden infolge von …

Jahr

Weitere Lehrtätigkeit

Walter Baetke Professor mit Lehrstuhl für Religions­ geschichte und Nordische Philologie (seit 1946) in Leipzig

Emeritierung

1955

bis 1958 kommissa­ rischer Leiter der Nordischen Abteilung

Theodor Frings Professor mit Lehrstuhl für Deutsche Philologie (seit 1927) in Leipzig

Emeritierung

1957

bis 1968 kommissa­ rischer Leiter des Instituts für Deutsche und Germanische Philologie

426 Vgl. Kap. B II 2.2. 427 Die außerordentliche Privilegierung auch der emeritierten Professoren zeigt, wie stark das Staatssekretariat für Hochschulwesen auf sie angewiesen war. Sie erhielten eine Altersversor­ gung, die 60 bis 80 Prozent des ohnehin weiter gezahlten Grundgehalts entsprach. Darüber hinaus standen den überlebenden Ehepartnern und Waisen umfangreiche Hinterbliebenenren­ ten zu. Vgl. M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 316–318.

282

Germanistenleben

Elisabeth Karg-Gasterstädt Professorin mit vollem Lehrauftrag für Deutsche Philologie (seit 1952) in Leipzig

Emeritierung

1955

nicht weitergelehrt

Hermann August Korff Professor mit Lehrstuhl für Neuere deutsche Sprache und Literatur (seit 1925) in Leipzig

Emeritierung

1954

bis 1956 weitergelehrt

Leopold Magon Professor mit Lehrstuhl für Neuere deutsche Sprache und Nordische Philologie und Theaterwissenschaft (seit 1950) in Berlin

Emeritierung

1955

bis 1968 kommissa­ rischer Leiter des Theaterwissenschaft­ lichen Instituts

Carl Wesle Professor mit Lehrstuhl für Deutsche Philologie (seit 1935) in Jena

Tod

1950



Tabelle 8: Natürliche Abgänge an den Germanistischen Instituten in Leipzig, Berlin und Jena zwischen 1949 und 1959 (in alphabetischer Reihenfolge) 428

Diesen Punkt abschließend ist auf die lokale Verteilung hinzuweisen: In Leipzig wur­ den vier der Professoren regulär emeritiert. In Berlin und Jena schied hingegen nur je einer aus natürlichen Gründen aus. Dies hängt mit den spezifischen Konstellationen in Leipzig zusammen. Durch das Weiterlehren von Frings und Korff nach 1945 konn­ ten sie, wie bereits ausgeführt wurde, bestehende lokale Netzwerke und persönliche Arbeitszusammenhänge mobilisieren. So war Baetke seit 1935 Professor an der Leip­ ziger Theologischen Fakultät gewesen und Karg­Gasterstädt hatte seit den 1920er Jahren mit Frings zusammengearbeitet. Vergleichbare strukturelle Zusammenhänge gab es nach 1945 in Jena nur in Maßen und in Berlin überhaupt nicht. Daher ist anzu­ nehmen, dass auch die längerfristigen sozialen und kollegialen Bindungen innerhalb der Leipziger Germanisten zu der auffälligen Standortbindung beigetragen haben. 4.2 Zwischen akademischen Ambitionen und politischem Druck. Die nicht-natürlichen Abgänge Auch die elf Professoren, die aus nicht­natürlichen Gründen die Universität und im überwiegenden Teil der Fälle auch die DDR verließen, gehörten zur „Gründungsge­ neration“ (Ralph Jessen). Doch anders als bei den „alten Professoren“ waren ihre persönlichen und akademischen Werdegänge bis 1945 sehr unterschiedlich gewe­ 428 Zu den Angaben vgl. die jeweiligen Artikel im Internationalen Germanistenlexikon.

Der verordnete Bruch

283

sen. Unter ihnen gab es Remigranten und Flüchtlingsprofessoren, eigenen akademi­ schen Nachwuchs und von außen Berufene, Junge und Ältere, ehemalige NSDAP­ Mitglieder, bekennende Marxisten und „Opfer des Faschismus“. Doch kaum einer von ihnen konnte oder wollte in seiner Position bis zum Erreichen des Emeritie­ rungsalters bleiben. Ähnlich vielfältig wie der background in dieser Gruppe waren auch die Gründe dafür, warum ihre Vertreter die Germanistischen Institute und die DDR verließen. Trotz Differenzen im Detail lassen sich Muster erkennen. Dabei kommt man aller­ dings mit der strikten Trennung in akademische und politische Abgangsmotive nicht weit. Die einzige reguläre Berufung von einer der drei Universitäten an eine andere Hochschule in der DDR erging an Heinz Stolte, der 1949 von Jena nach Berlin wech­ selte. Allerdings sollte auch er bereits ein Jahr später die DDR verlassen. Ebenfalls als akademische Abgänge, wenn auch nicht in Form einer Berufung, können die Verset­ zungen von Wilhelm Wissmann und Henrik Becker innerhalb ihrer Fakultät betrach­ tet werden. Wissmann war als Flüchtlingsprofessor 1945 aus Königsberg nach Berlin gekommen und hatte dort die Leitung des Germanischen Seminars übernommen. Im Jahr 1947 wechselte er auf ein reguläres Ordinariat für Indogermanistik in Berlin. Becker wurde 1951 als Professor für Deutsche Philologie nach Jena berufen. Nach Querelen schied er aus der Germanistik aus und gründet das Institut für Sprachpflege und Wortforschung, das er bis zu seiner Emeritierung 1968 leitete.429 Insgesamt jedoch zeigt sich, dass das ursprünglich rege akademische Abgangs­ muster in den 1950er Jahren in der Germanistik in Leipzig, Berlin und Jena nahezu zum Erliegen kam. Bis zur Durchsetzung einer gezielten Kaderpolitik verblieb der akademische Nachwuchs meist an der Heimatuniversität. Hausberufungen wurden so erstmals zur akzeptablen Variante der Personalpolitik.430 Gleichzeitig wurde immer wieder versucht, diese „akademische Inzucht“ zu bekämpfen.431 Der Grund für das Erlahmen der akademischen Fluktuation war die auch in den 1950er Jahren noch andauernde Personalknappheit, die auf den Entlassungen nach Kriegsende sowie auf der stetigen Abwanderungsbewegung Richtung Westen basierte. Denn „solange die Grenze nach Westen offen blieb, konnten viele Wissenschaftler zwischen zwei heftig konkurrierenden Interessenten wählen und waren sich dieser günstigen Marktposition durchaus bewusst.“432 Mit den Universitäten in der Bundesrepublik gab es für die ostdeutschen Akademiker die im Ostblock einmalige Möglichkeit, „sich bruchlos in ein nationales System einzugliedern, das auf der gleichen Sprache, den gleichen Tra­ ditionen und der gleichen Ausbildung“433 beruhte. Und diese Möglichkeit wurde in den 1950er Jahren rege genutzt. Dabei waren die Aussicht auf bessere Arbeitsmög­ lichkeiten, der Anschluss an die westeuropäische scientific community, aber auch die Flucht vor bürokratischer Gängelung im akademischen Alltag oft ausschlaggebend für die Entscheidung, die DDR zu verlassen. 429 Vgl. Kap. B I 3.2b. 430 Beispielhaft konnte die Bindung des akademischen Nachwuchses an die Heimatuniversität oben am Beispiel von Martin Greiner gezeigt werden. Vgl. Kap. B I 3.1b. 431 Vgl. R. Jessen, Akademische Elite, S. 423. 432 R. Jessen, Vom Ordinarius zum sozialistischen Professor, S. 79–80. 433 A. C. Tandler, Geplante Zukunft, S. 14.

284

Germanistenleben

Akademische Aspekte spielten bei diesen Abgängen natürlich auch eine Rolle, selbst wenn das akademische Abgangsmuster selbst kaum mehr existierte. So gab es inoffizielle Berufungsabsprachen, die den ostdeutschen Professoren den zügigen Wiedereinstieg an einer westdeutschen Universität erleichterten.434 Solche inoffizi­ ellen Vorverhandlungen hatte es etwa zwischen Schmitt und der Marburger Univer­ sität über seine Berufung als Nachfolger von Walther Mitzka gegeben. Wenige Mo­ nate nach seiner Flucht aus der DDR konnte er bereits Lehraufträge in Köln und Gießen übernehmen und wurde Anfang 1955 zunächst Ordinarius in Gießen und ein Jahr später Nachfolger von Mitzka in Marburg.435 Auch Werner Simon konnte nach seinem Weggang aus Berlin 1955 in Hamburg fast nahtlos an seine vorherige Lehrtätigkeit anknüpfen. Dies hing wesentlich mit den gut funktionierenden Netz­ werken ehemaliger Berliner Professoren und Dozenten zusammen, die sich nach dem Krieg in Berlin etabliert hatten.436 Für andere der Germanisten war die Abwan­ derung in den Westen jedoch ein „Sprung ins Ungewisse“437. Heinz Stolte etwa kam zunächst nirgendwo unter. Er musste sieben Jahre als Lehrer arbeiten, bevor er wieder in den akademischen Betrieb zurückkehren konnte.438 Auch Martin Greiner erhielt erst drei Jahre nach seiner Abwanderung einen Lehrauftrag in Gießen und erst 1958 wieder ein Ordinariat. Bei allen beruflichen Überlegungen und Vorhaben war die Entscheidung, die DDR zu verlassen, auch immer ein politischer Akt. Davon zeugt der DDR­Begriff „Republikflucht“439 ebenso wie die Einschätzung dieser Handlung durch die Aka­ demiker selbst. So erklärte ein Leipziger Mediziner dem DDR­Gesundheitsminis­ terium seinen Weggang aus der DDR mit den Worten: „Hiermit teile ich Ihnen höflichst mit, dass ich infolge des zunehmenden politischen Druckes mein Leipziger Arbeitsfeld und damit die DDR verlassen habe. Maßgebliche politische Kreise 434 Über die Frage einer systematischen Abwerbung ostdeutscher Wissenschaftler durch westdeut­ sche Universitäten gibt es in der Forschung unterschiedliche Ansichten. Ilko­Sascha Kowalczuk betont, dass es Abwerbung nicht gegeben habe, und zieht als Nachweis die Äußerung eines ZK­Mitarbeiters aus dem Jahr 1955 heran: „Obwohl an allen Universitäten die Vermutung ausgesprochen wurde, dass die Abwerbung durch den Gegner in bestimmter Weise organisiert erfolgt, gibt es keine Anhaltspunkte, die zur Aufdeckung der feindlichen Arbeit führen konn­ ten.“ Bericht an das Sekretariat des ZK vom 19. August 1955, zitiert nach I.­S. Kowalczuk, Das bewegte Jahrzehnt, S. 78. Gegenteiliger Ansicht ist Reinhard Buthmann, nach dem die Exi­ stenz von Abwerbung außer Frage steht – verursacht nicht zuletzt durch die per se kritische Haltung der ostdeutschen Eliten und verstärkt durch Tagungsbesuche und Ähnliches. Vgl. R. Buthmann, Abwanderung, S. 251. 435 Vgl. P. v. Polenz, L. E. Schmitts Weggang aus Leipzig, in: UAL, PA­SG 724. Offensichtlich hatten diese Bemühungen zum Konflikt zwischen L. E. Schmitt und T. Frings beigetragen. Zu­ mindest äußerte Frings, nach von Polenz, „seinen Unwillen“ über Schmitts Plan, „die Nach­ folge Mitzkas […] anzustreben.“ Zu den Auseinandersetzungen vgl. Kap. B I 3.1b. 436 Vgl. C. Hempel­Küter, Die Wissenschaft, S. 25–32. 437 Rückblickend schrieb Stolte über diese Zeit: „Ein neues, erst schweres und dann sehr erfülltes Leben begann mit einem Sprung ins Ungewisse.“ H. Stolte, Karl May in meinem Leben, Bamberg 1992, S. 31, zitiert nach R. Stolte­Batta, Heinz Stolte, S. 261. 438 Vgl. ebd., S. 253–263. 439 Seit Mitte der 1950er Jahre galt „Republikflucht“ als „Vaterlandsverrat“ an der DDR und wurde strafrechtlich geahndet. Vgl. I.­S. Kowalczuk, Das bewegte Jahrzehnt, S. 77.

285

Der verordnete Bruch

in Leipzig ließen uns ungeschminkt wissen, dass man bürgerliche Hochschullehrer nur noch bis zu dem Zeitpunkt benötigt, bis der eigene Nachwuchs herangewachsen ist. Dann bekommen wir den verdienten Tritt in den (…).“ 440

Die Abwanderung in den Westen war in den meisten Fällen keine rein berufliche Entscheidung (hin zu besseren Arbeitsbedingungen), sondern ebenso geprägt von der Furcht vor bzw. tatsächlicher Benachteiligung des eigenen Werdegangs oder der Familie aufgrund der bürgerlichen Herkunft. In einigen Fällen hatte die Entscheidung der Germanisten, die DDR zu verlassen, auch dezidiert politische Gründe. So wirkte die betont antikirchliche Politik des SED­ Regimes für konfessionell gebundene Akademiker wie den Katholiken Hermann Kunisch oder das langjährige Vorstandsmitglied im Bund für Freies Christentum Fritz Tschirch bedrohlich. Aber auch die sogenannten undogmatischen Marxisten wie Alfred Kantorowicz oder Hans Mayer gerieten mit zunehmender Etablierung der DDR, vor allem infolge des Ungarnaufstands 1956 und im Zuge der Diskussion um die „richtige Linie“ der Partei, ins Visier von SED und Staatssicherheit. In der Mehrzahl der Fälle entschieden sich die Akademiker für „Republikflucht“ also aus unterschiedlichen Gründen – persönliche, akademische und politische Über­ legungen und Erfahrungen überschnitten sich verschiedenfach. Es ist daher sinnvoll, für die Abgänge, die in den 1950er Jahren nicht aus natürlichen Gründen stattfanden, von „nicht­natürlichen Abgängen“ zu sprechen.441 Diese Kategorie ist zugleich vage und hybrid und betont die verschiedenen Motivationen, die in den 1950er Jahren ei­ nem Weggang von Professoren und Dozenten aus der DDR zugrunde liegen konnten. Die folgende Tabelle gibt auch über diese Gruppe einen Überblick. Name, Status und Ort

Ausgeschieden infolge von …

Jahr

Weiterer akademischer Werdegang

Henrik Becker Professor für Deutsche Philologie (seit 1951) in Jena

Institutswechsel vom Germanistischen Institut an das neu gegründete Institut für Sprachpflege und Wortforschung in Jena

1956

1956–1968 Direktor des Institut für Sprachpflege und Wortforschung

Martin Greiner Professor mit vollem Lehrauftrag für Neuere deutsche Sprache und Literatur (seit 1948) in Leipzig

„Republikflucht“

1952

1952–1957 Vortrags­ und Lehrtätigkeit in Gießen; 1957–1958 Professor in Gießen

440 Schreiben von Hans Franke an Leo Mendel vom Ministerium für Gesundheitswesen der DDR vom 6. Oktober 1952, zitiert nach M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 320. 441 Vgl. zur Problematik sowie zu den Begriffen „Abwanderung“, „Übersiedlung“, „Flucht“ und „ungesetzliches Verlassen der DDR“ R. Buthmann, Abwanderung, S. 229–231.

286

Germanistenleben

Name, Status und Ort

Ausgeschieden infolge von …

Jahr

Weiterer akademischer Werdegang

Alfred Kantorowicz Professor für Neueste deutsche Literatur (seit 1949) in Berlin

„Republikflucht“

1957

Privatgelehrter und freier Schriftsteller in München und Hamburg

Hermann Kunisch Professor mit Lehrstuhl für Deutsche Philologie, insbesondere Literaturge­ schichte (seit 1947) in Berlin

„Republikflucht“

1948

1948–1955 ordentlicher Professor für Deutsche Philologie an der FU Berlin; 1955–1969 ordentlicher Professor für Neuere deutsche Literatur­ geschichte in München

Hans Mayer Ordentlicher Professor für Kultursoziologie, National­ literaturen und deutsche Literaturgeschichte (seit 1948) in Leipzig

„Republikflucht“

1963

1965–1973 Professor für Deutsche Literatur und Sprache an der TH Hannover

Ludwig Erich Schmitt Extraordinarius für Deutsche und niederländi­ sche Philologie (seit 1947) in Leipzig

„Republikflucht“

1953

1953–1954 Lehraufträge in Köln und Gießen; 1955–1956 ordentlicher Professor in Gießen; 1956–1976 ordentlicher Professor in Marburg

Werner Simon Professor mit Lehrstuhl für Deutsche Philologie, insbesondere Sprachge­ schichte (seit 1946) in Berlin

„Republikflucht“

1955

1955–1962 Persönliches Ordinariat für Deutsche Philologie in Hamburg; 1962–1968 Ordinarius in Hamburg

Heinz Stolte Außerordentlicher Professor für Deutsche Philologie (1946–1948), ordentlicher Professor (seit 1948) in Jena

Berufung an die Humboldt­Universität zu Berlin

1949

siehe unten

Heinz Stolte Ordentlicher Professor für Deutsche Philologie (seit 1949) in Berlin

„Republikflucht“

1950

1950–1957 Lehrer in Hamburg; seit 1955 wieder im akademischen Betrieb; 1970–1976 Professor für Deutsch an der Handelshochschule in Hamburg

287

Der verordnete Bruch

Name, Status und Ort

Ausgeschieden infolge von …

Jahr

Weiterer akademischer Werdegang

Fritz Tschirch Professor mit Lehrstuhl für Deutsche Philologie (seit 1956) in Jena

„Republikflucht“

1958

1958–1959 außerplanmä­ ßiger Professor in Freiburg im Breisgau; 1959–1969 ordentlicher Professor in Köln

Albert Malte Wagner Professor mit Lehrstuhl für Deutsche Sprache und Literatur (seit 1950) in Jena

Entlassung und „Republikflucht“

1951

1955 erneute Emigration nach England

Wilhelm Wissmann Professor mit Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwis­ senschaft (seit 1946) in Berlin

Institutswechsel an das Institut für Indogermanistik an der Humboldt­Universität zu Berlin

1947

1947–1953 Professor für Indogermanistik an der HU Berlin; 1953–1966 Professor für Allgemeine und indogermanische Sprachwissenschaft in München

Tabelle 9: Die nicht-natürlichen Abgänge an den Germanistischen Instituten in Leipzig, Berlin und Jena zwischen 1947 und 1963 (in alphabetischer Reihenfolge) 442

442 Zu den Angaben vgl. die jeweiligen Artikel im Internationalen Germanistenlexikon. Nicht in die Aufzählung einbezogen wurde Irmgard Weithase, da sie zum Zeitpunkt ihres Abgangs aus Jena institutionell nicht mehr zur Germanistik gehörte. Vielmehr stand sie seit 1952 als Direk­ torin und seit 1955 als Professorin mit vollem Lehrauftrag dem Institut für Sprechkunde an der Universität Jena vor. Vgl. M. Bräunlich, Irmgard Weithase, sowie Anm. 253 in diesem Kapitel.

288

Germanistenleben

ZUSAMMENFASSUNG Fassen wir zusammen: Bis 1945 dominierten die normalen Abgangsmuster. In der Regel blieben die Ordinarien bis zu ihrem natürlichen Ausscheiden im Amt; die Extraordinarien wurden wegberufen. Für Leipzig und Berlin lässt sich dies mit der Reputation der beiden Institute erklären. Einmal als Ordinarius berufen, blieb man dort; für einen Extraordinarius waren die Institute eine gute Empfehlung für den weiteren akademischen Aufstieg. Im kleinen Jena gestalteten sich die Dinge zwar anders, doch war das Ergebnis vergleichbar. Die politischen Säuberungen nach 1933 betrafen die Germanistischen Institute in Leipzig und Berlin und hatten zur Konsequenz, dass neun der plan­ und außerplanmäßigen Lehrkräfte die Institute verlassen mussten. Die Folgen dieses Ereignisses waren individuell tief einschnei­ dend; für die Institute jedoch nur mittelbar spürbar. Zahlenmäßig überwogen wei­ terhin die normalen Abgangsmuster. Allerdings konnten politische Aspekte nun ebenfalls eine Rolle spielen. So waren den Todesfällen in Berlin politisch moti­ vierte Machtkämpfe vorausgegangen, und die Wegberufungen waren an politische Kriterien gebunden. Sprach ich im Rahmen der Berufungspraxis von einer „neuen Normalität“, so sind daher auch bei den Abgängen nach 1933 Verschiebungen in­ nerhalb dieser Normalität zu konstatieren. Eine tiefe Zäsur stellte das Jahr 1945 dar, als an den drei Instituten drei Viertel der Lehrkräfte entlassen wurde. Zudem sahen sich die wissenschaftlichen Akteure zu diesem Zeitpunkt erstmals verpflichtet und zugleich berechtigt, eine „Selbstrei­ nigung“ in den eigenen Reihen vorzunehmen, um Verstöße im Wissenschaftssys­ tem zu ahnden und zugleich die eigene Unbescholtenheit herauszustellen. Die Ent­ lassungen sowie die zusätzlichen personellen Verluste während des Krieges waren der Ausgangspunkt für eine Personalsituation, die aus den Fugen geraten schien. Zwar gab es noch Fälle natürlichen Ausscheidens, doch waren diese seltener und unberechenbarer als in der Vorkriegszeit. Das akademische Abgangsmuster im her­ kömmlichen Sinne war fast vollständig zum Erliegen gekommen. Dies hing mit der angespannten Personalsituation in der Nachkriegszeit zusammen, während der die Universitäten versuchten, „ihre“ Lehrkräfte möglichst zu halten. Die Existenz eines parallelen Akademikermarktes in der Bundesrepublik sowie die antibürgerliche Haltung der SED führten in den 1950er Jahren zudem dazu, dass der Abgang von einem der Institute mit dem Weggang aus der DDR zusammenfiel und sich so per­ sönliche, akademische und politische Motive in einer bisher unbekannten Weise verschränkten. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die politischen Entlassungen erst durch die Zusammenschau mit der normalen Fluktuation und den jeweiligen Vorge­ schichten in ihrer notwendigen Komplexität betrachtet werden können.

III VON DENEN, DIE BLEIBEN. KONTINUITÄT ALS HISTORISCHER PROZESS Unter Kontinuitäten wird hier zunächst die schlichte Tatsache verstanden, dass ein Germanist über politische Zäsuren hinweg im Amt blieb. Nach 1918 / 19 war dies die Regel, nach 1933 Normalität. Nach 1945 jedoch war Kontinuität die Ausnahme. Ausgehend von der Annahme, dass politische Zäsuren individuell immer einen Einschnitt bedeuten, stehen im Folgenden jene Germanisten im Zentrum, die über die jeweiligen Systemwechsel an ihrer Universität blieben und so innerhalb vertrauter Strukturen die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse erlebten. Elitenkontinuität und ihre Folgen für die Wissenschaftspraxis sind für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg kontrovers diskutiert worden.1 Diese Debatten werden hier nur am Rande berücksichtigt, denn es geht nicht um die „konstruierten Kontinuitäten“ (Mitchell G. Ash), sondern vielmehr um die tatsächlichen Fälle personeller Konstanz an den drei germanistischen Instituten. Dabei meint „personelle Kontinuität“ nicht bloßen Stillstand, sondern vielmehr einen Verlaufsprozess. Zwar bedeuten personelle Kontinuitäten vordergründig Fortdauer und Stetigkeit. Im Zuge politischer Systemwechsel jedoch sind sie auch als dynamische Prozesse zu verstehen, die für die betreffenden Institutionen und Personen – trotz ihres Verbleibs in ihrem Arbeitsumfeld – Veränderungen bedeuteten. Vor dem Hintergrund der Diskussion um das Wechselverhältnis von Wissenschaft und Politik ist erstens nach der jeweiligen Verflechtung bzw. Verbundenheit der im Amt gebliebenen Germanisten mit dem politischen Ausgangssystem zu fragen. Zweitens sind die Folgen der gesellschaftlichen Umbrüche in den Blick zu nehmen, die in jedem Fall eine Unterbrechung der bestehenden Zustände bedeuteten. Die Auswirkungen konnten jeweils eine eigene Dynamik entwickeln und waren in ihrem Ausgang offen. Wie reagierten die Germanisten in Leipzig, Berlin und Jena auf die politischen Veränderungen? Sahen sie darin Auf- oder Zusammenbruch? Welche Rolle spielten sie persönlich in dem Prozess? Waren sie aktiv beteiligt oder eher passive Beobachter? Begrüßten sie die Veränderungen und wollten das Neue mitgestalten? Oder lehnten sie es ab und flüchteten in Nostalgie? Drittens geht es um die Zeit nach dem politisch-gesellschaftlichen Umbruch. War der Übergang vom alten zum neuen System individuell erfolgreich verlaufen, galt es, sich in der neuen Ordnung einzurichten. Doch wie sah dieser Übergangsprozess konkret aus? Erfolgte er als eine Art zweite Sozialisation und mündete in der Neuverflechtung mit dem Nachfolgesystem? Führte er zu einem Rückzug oder gar zu einer Flucht aus Öffentlichkeit und Verantwortung in den Elfenbeinturm der Wissen-

1

Vgl. aus der Vielzahl der Literatur W. Vosskamp, Kontinuität und Diskontinuität, die Beiträge in R. vom Bruch / U. Gerhard / A. Pawliczek (Hrsg.), Kontinuitäten und Diskontinuitäten und in J. Connelly / M. Grüttner, Zwischen Autonomie und Anpassung (hier vor allem R. Jessen, Zwischen diktatorischer Kontrolle und Kollaboration), sowie für die Geschichte der Literaturwissenschaft W. Barner/C. König (Hrsg.), Zeitenwechsel und M. Gärtner, Kontinuität und Wandel.

290

Germanistenleben

schaft? Kamen Kooperationen zustande? Traten Konflikte im Zuge des Anpassungsprozesses zu Tage?2 Diese Fragen werden zunächst entlang der drei Systemumbrüche diskutiert. Dem schließt sich die Auseinandersetzung mit der Situation in Leipzig an, wo es die seltene Konstellation einer zweifachen „doppelten Kontinuität“ gab, da Frings und Korff sowohl 1933 als auch 1945 im Amt blieben. 1 Der Wechsel in die Systemopposition. Kontinuität nach 1918 / 19 Die Weimarer Republik entstand bekanntlich als Ergebnis eines schwierigen und schmerzhaften Kompromisses. Sie war eher Produkt einer Reihe von Niederlagen und wechselseitigen Zugeständnissen als strahlender Entwurf eines Neubeginns. Die sich daraus ableitenden Probleme spiegelten sich auch an den Universitäten. Die Professoren, vom Kriegsende und den Folgen enttäuscht und verunsichert, unterstützten die demokratische Republik (von einer kleinen Minderheit abgesehen) nicht.3 Die Regierungsparteien ihrerseits forcierten keinen Elitenwechsel in der Beamtenschaft (auch in Wirtschaft und Militär nicht), sondern hofften auf die (unpolitische) Staatsloyalität ihrer Beamten. Sie setzten auf das Primat des Geregelten und unterließen substantielle Reformen sowie personelle Veränderungen, die den Demokratisierungsprozess hätten unterstützen können.4 An den Universitäten hatte diese Politik eine starke Elitenkontinuität zur Folge und so verblieben auch in Leipzig, Berlin und Jena nach 1919 sieben der zehn Germanisten in ihren Ämtern.5 Zu ihnen gehörten in Leipzig die beiden Ordinarien Eduard Sievers und Albert Köster sowie die Extraordinarien Eugen Mogk und Georg Holz. In Jena blieb Victor Michels, der einzige Planstelleninhaber, im Amt. In Berlin setzten der einflussreiche Altgermanist und Institutsdirektor Gustav Roethe sowie sein jüngerer Kollege und Schüler, der Extraordinarius Hermann Schneider, ihre Lehre fort. Außer Schneider – der an dieser Stelle außen vor bleibt6 – gehörten die sechs Professoren einer Generation an. Sie waren zwischen 1850 und 1866 geboren worden und so Teil der „Wilhelminischen Generation“.7 Sie stammten aus dem evangelischen bzw. evangelisch-lutherischen, städtischen Bürgertum. Als Kinder und Jugendliche hatten sie die Reichsgründung erlebt; politisch sozialisiert wurden sie in der Zeit unter Bismarck. In ökonomischer Hinsicht machten sie ebenso die Erfah2 3 4 5

6 7

Vgl. zur Problematik und den gestellten Fragen auch die Überlegungen von W. Bialas, Vom unfreien Schweben zum freien Fall. Vgl. K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken. Vgl. D. J. K. Peukert, Weimarer Republik, S. 39– 41. Die drei anderen Germanisten schieden aus verschiedenen Gründen aus, politisch motiviert (gar in Form einer Entlassung) war keiner der Abgänge. So verstarb der Berliner Literaturhistoriker Ludwig Geiger 1919 im Alter von 71 Jahren. Um einiges jünger war der Leipziger Altgermanist Karl von Bahder, der nach langjährigen gesundheitlichen Problemen 1918 endgültig aus dem Lehrbetrieb schied. Der Berliner Nordistikprofessor Andreas Heusler entschied sich 1919 dafür, in die Schweiz zurückzukehren. Vgl. Kap. B II 1.1. Zu Schneider vgl. den Artikel im Internationalen Germanistenlexikon. Vgl. D. J. K. Peukert, Weimarer Republik, S. 26.

Von denen, die bleiben

291

rung von Aufschwung, der im Gründerboom mündete, wie von jähem Abschwung infolge der Depression von 1873. Ähnlichkeiten gab es weiterhin hinsichtlich der akademischen Ausbildung: Die sechs Professoren hatten zügig an den großen Universitäten des Reichs (in Berlin, Leipzig oder Heidelberg) studiert. Relativ schnell hatten sich die meisten von ihnen habilitiert (im Alter zwischen 21 und 27). Vier von ihnen waren bald auf Ordinariate berufen worden. In diesen Positionen wurden sie zu renommierten Vertretern ihres Fachs und waren intensiv an der institutionellen Etablierung der Germanistischen Institute bzw. an ihrem weiteren Ausbau Ende des 19. Jahrhunderts beteiligt.8 Etwas anders gestalteten sich die Werdegänge von Georg Holz, dessen „große Begabung […] in einem nächtlichen Kneipenleben“9 versandete, sowie von Eugen Mogk. Nach dem Studium hatte Mogk zunächst als Lehrer gearbeitet, seit 1889 zudem zu nordischen und volkskundlichen Themen an der Leipziger Universität gelehrt. Mogk habilitierte sich erst im Alter von 35 und erhielt auch erst 1901 (im Alter von 47) seine erste reguläre Planstelle an der Universität. Mit dieser Stelle allerdings nicht abgesichert, musste er weiterhin im „Doppelamt“10 als Lehrer und Hochschullehrer arbeiten. Erst 1923 erhielt Mogk ein (persönliches) Ordinariat und wechselte vollständig in den Universitätsbetrieb.11 Trotz der skizzierten Differenzen im akademischen Werdegang dominieren die Ähnlichkeiten zwischen Holz und Mogk bzw. den anderen Germanistikprofessoren ihrer Generation hinsichtlich Herkunft, Ausbildung und Studium sowie hinsichtlich der Rolle, die sie (von Holz abgesehen) beim Ausbau des Fachs bzw. Fachbereichs spielten (vgl. folgende Tabelle).

8

Der Sprachhistoriker, ehemalige Junggrammatiker und Schallanalytiker Sievers war 1892 nach Leipzig berufen worden und gehörte zu den Koryphäen des Fachs. 1881 hatte er einen Ruf nach Harvard erhalten, den er allerdings ablehnte, und im Studienjahr 1901 / 02 repräsentierte er als Rektor die Leipziger Universität. Der Literatur- und Theaterwissenschaftler Köster hatte sich nicht habilitiert, verfügte jedoch ebenfalls über hohes wissenschaftliches Ansehen. Höhepunkt seiner Karriere war das Jahr 1913, als er nahezu zeitgleich Rufe aus Berlin, Wien und Hamburg erhielt. Wenig später (nach seiner Entscheidung für Leipzig) wurde er Rektor der Universität. Der dritte Leipziger war Eugen Mogk, unter dessen Leitung 1901 die Nordistik in Leipzig etabliert wurde – eine der ersten Einrichtungen ihrer Art im Deutschen Reich. Vgl. G. Öhlschläger / L. Stockinger, Germanistik, S. 541–546. Der Jenaer Altgermanist und spätere Vizepräsident der Goethe-Gesellschaft Victor Michels galt den Fachgenossen als „ungewöhnlich vielseitiger Forscher und Gelehrter noch guten alten Schlages“. E. Sievers, Nachruf, S. 3. Im Jahr 1917 wurde auch er zum Rektor seiner Universität gewählt. Gustav Roethe galt als einer der einflussreichsten Germanisten seiner Zeit. Vgl. J. Judersleben, Philologie, v. a. S. 9–18 9 G. Witkowski, Von Menschen und Büchern, S. 134. 10 Brief von Karl Reuschel an E. Mogk vom 2. Mai 1914, in: UBL, Sondersammlungen, NL E. Mogk. 11 Vgl. zur akademischen Entwicklung Mogks UAL, PA 615.

292

Germanistenleben

Name und Lebensdaten

Professur im Untersuchungszeitraum und Ausscheidungsgrund

Habilitationsalter erste Planstelle erstes Ordinariat (falls vorhanden)

Geburtsort Konfession Beruf des Vaters

Georg Holz

1896–1921 Extraordinarius für Deutsche Philologie in Leipzig; verstorben

27-jährig (1890); 1896 Extraordinarius in Leipzig

Chemnitz evangelisch Kassendirektor

Albert Köster

1899–1924 Ordinarius für Deutsche Philologie in Leipzig; verstorben

keine Habilitation; 1887 Privatgelehrter in Hamburg; 1892 Extraordinarius in Marburg; 1899 Ordinarius in Leipzig

Hamburg evangelischlutherisch Weingroßhändler

Victor Michels

1895–1929 Ordinarius für Deutsche Philologie in Jena; verstorben

26-jährig (1892); 1895 Ordinarius in Jena

Straßfurt evangelisch Fabrikdirektor

Eugen Mogk

1901–1926 Extraordinarius für Nordische Philologie in Leipzig; emeritiert

35-jährig (1889); 1901 Extraordinarius in Leipzig

Döbeln bei Leipzig evangelisch Tuchfabrikant

Gustav Roethe

1902–1926 Ordinarius für Deutsche Philologie in Berlin; verstorben

27-jährig (1886); 1888 Extraordinarius in Göttingen; 1890 Ordinarius in Göttingen

Gaudenz / Westpreußen evangelischlutherisch Buchdruckereibesitzer

Eduard Sievers

1892–1922 Ordinarius für Deutsche Philologie in Leipzig; emeritiert

21-jährig (1871); 1876 Ordinarius in Jena

Lippoldsberg evangelisch Eisenhüttenbeamter

Tabelle 10: Übersicht über die planmäßigen Germanistikprofessoren in Leipzig, Berlin und Jena, die nach 1918 / 19 im Amt blieben (in alphabetischer Reihenfolge) 12

Ein tiefer Einschnitt war der Erste Weltkrieg. Die genannten Germanisten waren zu Beginn des Krieges zwischen 50 und 64 Jahre alt und hatten die wesentlichen Prozesse ihrer politisch-gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Sozialisation bereits abgeschlossen. Ihr Verhältnis zur Weimarer Republik war geprägt von den Erfah12

Zu den Angaben vgl. die jeweiligen Artikel im Internationalen Germanistenlexikon.

Von denen, die bleiben

293

rungen von Vorkriegszeit, Krieg, Niederlage und der Novemberrevolution. Ihre politische Grundhaltung lässt sich anhand ihres politischen Engagements während des Krieges rekonstruieren. Als der Erste Weltkrieg im August 1914 ausbrach, gehörten Sievers, Köster, Roethe, Michels und Mogk zusammen mit über 3.000 anderen Professoren zu jenen, die das Ereignis begeistert begrüßten. Im Oktober 1914 unterschrieben auch sie die Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs, in der sie sich als deutsche Wissenschaftler hinter die Reichsführung und ihre Ziele sowie gegen die „Feinde Deutschlands, England an der Spitze“13 stellten: „In dem deutschen Heere ist kein anderer Geist als in dem deutschen Volke, denn beide sind eins, und wir [die deutschen Wissenschaftler; AL] gehören auch dazu. […] Unser Glaube ist, dass für die ganze Kultur Europas das Heil an dem Siege hängt, den der deutsche ‚Militarismus‘ erkämpfen wird, die Manneszucht, die Treue, der Opfermut des einträchtigen freien deutschen Volkes.“14

Wie für viele andere Hochschullehrer verschmolz auch für die genannten Germanisten das außenpolitische Ziel der deutschen Weltmachtstellung mit den innerpolitischen Hoffnungen auf „nationale Genesung“ zu einer quasireligiösen Kriegseuphorie. So sei „die Kriegserklärung Englands“, wie Roethe schrieb, „eine wahre Erlösung gewesen: jetzt haben wir den wirklichen Feind, der im Grund hinter allem Übel steckte, doch vor uns.“15 Und Köster orakelte: „Es liegt was in der Luft – mehr spürbar als nachweisbar – von großen Erfolgen und heller Zukunft.“16 Im Alter von über 50 Jahren kamen die Germanisten für den aktiven Militärdienst allerdings nicht in Betracht. Doch ihre Söhne, Schwiegersöhne und Studenten meldeten sich massenhaft freiwillig.17 Der Wunsch, so schnell wie möglich an die Front zu kommen, spiegelt neben Abenteuerlust und Männlichkeitsriten auch die aufgeheizte Stimmung in der Öffentlichkeit. Zu dieser hatten gerade die Lehrer und Professoren einiges beigetragen, indem sie immer wieder die Gefahr für die Nation beschworen und die Jugend dazu aufgefordert hatten, die nötigen Opfer zu bringen.18 So meldete sich auch der spätere Leipziger Germanistikprofessor Helmut de Boor voller Begeisterung freiwillig zum Heeresdienst. Im August 1914 stand der ehrgeizige Student noch mitten im Examen, doch überwogen Opferbereitschaft, 13 14 15 16 17 18

Dies und das folgende Zitat stammen aus der Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs vom 16. Oktober 1914, in: K. Böhme (Hrsg.), Aufrufe, S. 49–50. Von den Germanisten in Leipzig, Berlin und Jena unterzeichneten die Erklärung ebenfalls Georg Witkowski, Max Herrmann, Richard M. Meyer, Paul Merker, Karl von Bahder und Arthur Hübner. Vgl. C. Jansen, Im Kampf, S. 386–392. Brief von G. Roethe an E. Schröder vom 8. August 1914, in: D. Ruprecht / K. Stackmann (Hrsg.), Briefwechsel, Brief-Nr. 4519. Brief von A. Köster an den Hamburger Bürgermeister Werner von Melle vom 25. November 1914. Der Brief befindet sich im Nachlass des Bürgermeisters, der in der Staatsbibliothek in Hamburg einzusehen ist. Für den Hinweis danke ich Myriam Richter / Hamburg. So zogen neben einer Vielzahl ihrer Studenten auch die beiden Söhne von Köster, die Söhne von Mogk sowie die Schwiegersöhne von Roethe in den Krieg. Vgl. W. J. Mommsen, Der Erste Weltkrieg, S. 39– 40.

294

Germanistenleben

Pflichtgefühl und die Siegesgewissheit jener Augusttage die akademischen Ambitionen. An seinen Lehrer Eugen Mogk schrieb de Boor: Ich „trage mit Freude das stolzeste Kleid, das es augenblicklich auf der Welt gibt. Und seit heute habe ich die bestimmte Aussicht, mit dem ersten Einsatz gleich hinauszukommen, – in drei Wochen etwa. Das ist eine andere und ernstere Prüfung, als ich sie mir vorgenommen hatte, aber ich denke, ich werde auch sie nicht schlecht bestehen. Die Wissenschaft geht einem allerdings gründlich aus dem Kopf in diesen Zeiten, aber ich hoffe doch, wenn ich heim komme, das unterbrochene Examen bald wieder aufnehmen zu können. Auf fröhliche Heimkehr hoffe ich wie alle, die ausziehen. Aber es ist ebenso möglich, dass ich nicht wieder heimkomme, und in diesem Fall, über den Sie von meinen Eltern benachrichtigt würden, hätte ich die Bitte an Sie, meine Arbeit [die Dissertation; AL] an geeigneter Stelle zum Abdruck zu bringen, damit meine Arbeit nicht ganz umsonst gewesen ist. […] Es ist sehr ungünstig, wie die Ereignisse in meine Studienpläne eingeschnitten haben, aber wer kann nach seinem Einzelschicksal fragen. Ich habe alles mit größter Freude aufgegeben dafür, dass ich fähig bin, in der Front mitzuhelfen in diesem Krieg, der so schwer und charaktervoll ist wie keiner zuvor. Und wir alle sind guten Mutes und festen Glaubens an unseren Sieg.“19

Von den bereits etablierten Germanisten war es Roethe, der sich als einziger der sechs nicht damit begnügen konnte, zu Hause zu bleiben. An seinen Schwager, den Germanisten Edward Schröder, der bereits einberufen worden war, schrieb er voller Ungeduld aus Berlin: „Hier höre ich nichts und vergehe unbeschäftigt vor innerer Unruhe. […] Bin ich meine Gicht erst los, […] dann geh ich noch einmal (zum dritten Mal) ans Bezirkskommando, um irgendwo unterzukom[m]en.“20 Roethes Drängen gab man zuletzt nach: Er diente zunächst in Berlin als Bahnhofskommandant und kam dann an die Westfront, wo er die Herbstoffensive in der Champagne 1915 und die Belagerung von Verdun erlebte. Als Rausch beschrieb Roethe das Kriegsszenario später in einem Brief: „Der Anblick der Schlacht, dieses heulende brüllende flam[m]ende Blutrot in Verbindung mit dem furchtbaren Kanonendonner […] war unvergesslich.“21 Nach Ende des aktiven Wehrdiensts reiste Roethe an verschiedene Kriegsorte (nach Belgien, Polen, ins Baltikum und auf den Balkan), um Vorträge vor studentischen Soldaten zu halten.22 Die anderen Professoren erfüllten ihre selbst auferlegten Pflichten an der „Heimatfront“. Dazu gehörte es, die sogenannte „akademische Grundversorgung“ zu sichern, die Universitätsangehörigen an der Front zu unterstützen – etwa durch die Versendung sogenannter Liebesgaben (Bücher, Süßigkeiten und Tabak). Gerade Köster, der im ersten Kriegsjahr Rektor der Universität Leipzig war, stand in intensivem Briefkontakt mit Studenten an der Front. Im Dezember 1916 verschickte die Universität Leipzig einen eigens für die Universitätsangehörigen im Feld gedruckten Kalender mit Gedichten sowie Zeichnungen von Leipziger Sehenswürdigkeiten.23 Zur nationalen Pflichterfüllung an der Heimatfront gehörte es zudem, Kriegs19 20 21 22 23

Brief von H. de Boor an E. Mogk vom 20. August 1914, in: UBL, Sondersammlungen, NL E. Mogk. Brief von G. Roethe an E. Schröder vom 15. August 1914, in: D. Ruprecht / K. Stackmann (Hrsg.), Briefwechsel, Brief-Nr. 4524. Brief von G. Roethe an E. Schröder vom 9. Oktober 1915, in: Ebd., Brief-Nr. 4626. Vgl. J. Judersleben, Philologie, S. 25. Vgl. U. Gätke-Heckmann, Leipzig im Ersten Weltkrieg.

Von denen, die bleiben

295

vorträge zu halten, die dem Erhalt „vaterländischer Gesinnung“ in der Bevölkerung dienen und das Vertrauen in die (auch intellektuelle) Stärke und Überlegenheit Deutschlands demonstrieren sollten.24 Im Verlauf des Krieges differenzierten sich bekanntlich bald zwei Positionen aus, wobei die Gemäßigten rationaler agierten, an dem „nur“ maritim-kolonialen Expansionsprogramm der Vorkriegszeit festhielten, sich später für einen Verständigungsfrieden mit England einsetzten und innenpolitisch eine Wahlrechtsreform forderten, um den Zusammenhalt im Reich zu gewährleisten. Die Radikalen hingegen schlossen sich den alldeutschen Zielen an, forderten umfangreiche Annexionen im Osten und Westen und lehnten später einen Verständigungsfrieden als Verrat ab. Sie orientierten sich an der Obersten Heeresleitung und hintertrieben die politischen Entscheidungen der Reichsregierung. Sie bekämpften jegliche innerpolitischen Demokratisierungstendenzen und forderten (hochgradig emotionalisiert) einen deutschen Siegfrieden, der durch den „uneingeschränkten U-Boot-Krieg“ erlangt werden sollte.25 Unter den sechs Germanisten dominierte die radikale Position. Die berüchtigte Seeberg-Adresse vom Sommer 1915 unterschrieben mit Sievers und Michels zwei von ihnen.26 Eine weitere annexionistische Erklärung deutscher Hochschullehrer, vorgelegt durch den Tübinger Historiker und Alldeutschen Johannes Haller, richtete sich im Herbst 1917 gegen die Reichstagsmehrheit, die eine Friedensresolution verabschiedet hatte. In seiner Erklärung, die von 1100 Gelehrten unterzeichnet wurde, sprach Haller der Regierung die Qualifikation zur politischen Führung ab; sie könne es nicht für sich in Anspruch nehmen, „gegenüber den heute zur Entscheidung stehenden Lebensfragen den Volkswillen in unzweifelhafter Weise zum Ausdruck zu bringen.“27 Von den sechs Germanisten unterschrieben diese Erklärung Mogk, Köster und Michels. Michels gründete in Jena 1917 zudem die Ortsgruppe der rechten Deutschen Vaterlandspartei mit, die gegen einen Verständigungsfrieden und jegliche Formen von „Flaumacherei“ Front machte.28 Anlässlich einer akademischen Preisverleihung im Sommer 1916 betonte er auch die Rolle der Wissenschaft im Krieg: „Unsere Universitäten sind staatliche Anstalten, und welchen Nutzen der nationale Staat aus dem wissenschaftlichen Geiste zieht, den sie pflegen, das ist uns auch während des Krieges entgegengetreten; nicht nur in der reichen Entfaltung der auf den technischen Wissenschaften ruhenden Erfindungen und der planmäßigen Anwendung mannigfacher Kenntnisse und Fertig24 25 26

27 28

Vgl. S. Paletschek, Tübinger Hochschullehrer im Ersten Weltkrieg, v. a. S. 93–98. Vgl. W. J. Mommsen, Der Erste Weltkrieg, S. 45– 47. Vgl. Seeberg-Adresse vom 20. Juni 1915, in: K. Böhme (Hrsg.), Aufrufe, S. 125–135. Zu den Unterschriften vgl. C. Jansen, Im Kampf, S. 386–392. Die Intellektuelleneingabe wurde insgesamt von 352 Professoren unterschrieben und stellte den Höhepunkt einer offensiv geführten Kampagne der Alldeutschen dar. Sie forderte einen umfangreichen europäischen Eroberungszug, der sowohl nach Osten als auch nach Westen reichen sollte, sowie ein afrikanisches Kolonialreich, das durch eine Landbrücke über den Balkan und Vorderasien mit dem Reich verbunden werden sollte. Johannes Haller, Erklärung gegen die Reichstagsmehrheit vom 4. Oktober 1917, in: K. Böhme (Hrsg.), Aufrufe, S. 184 –185. Vgl. M. Steinbach, „Die Zuckertüten“, S. 195–196.

296

Germanistenleben keiten draußen im Felde und in der Heimat, auch darin, dass sich die sittliche Kraft, die mit dem ernsten Streben verbunden ist, aufs neue bewährt hat.“29

Das offensivste politische Engagement während des Ersten Weltkrieges kam jedoch von Gustav Roethe, der mit radikalen Äußerungen an die Öffentlichkeit trat.30 3132

Öffentliches politisches Engagement nach 1918 / 1919

Engagement für die DNVP nach Kriegsende

Weiteres öffentliches politisches Engagement bis 1918

Erklärung gegen die Reichstagmehrheit 1917

Mitglied der Deutschen Volkspartei

Seeberg-Adresse 1915

Politisches Engagement Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs 1914

Name, Status und Ort

Georg Holz Extraordinarius für Deutsche Philologie in Leipzig









k. A.



k. A.

Albert Köster Ordinarius für Deutsche Philologie in Leipzig

×





×







Victor Michels Ordinarius für Deutsche Philologie in Jena

×

×

×

×

×

×

×

Eugen Mogk Extraordinarius für Nordistik in Leipzig

×





×







29 30 31 32

V. Michels, Über Begriff und Aufgaben der deutschen Philologie, S. 1–2. Zur Kriegspublizistik von Roethe vgl. zudem J. Judersleben, Philologie.

297

Von denen, die bleiben

Öffentliches politisches Engagement nach 1918 / 1919

Engagement für die DNVP nach Kriegsende

Weiteres öffentliches politisches Engagement bis 1918

Erklärung gegen die Reichstagmehrheit 1917

Mitglied der Deutschen Volkspartei

Seeberg-Adresse 1915

Politisches Engagement Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reichs 1914

Name, Status und Ort

Gustav Roethe Ordinarius für Deutsche Philologie in Berlin

×



×



×

× 31

× 32

Eduard Sievers Ordinarius für Deutsche Philologie in Leipzig

×

×











Tabelle 11: Politisches Engagement der „Kontinuitäts-Germanisten“ während des Ersten Weltkriegs und in der Weimarer Republik (in alphabetischer Reihenfolge) 33

Anhand dieser Darstellung wird deutlich, dass – übernimmt man die Unterteilung in Gemäßigte und Radikale – mindestens fünf der sechs Germanisten im radikalen Lager zu verorten sind. Allerdings vertraten sie ihre Positionen mit unterschiedlicher Intensität. Während sich Michels und Roethe öffentlich positionierten, hielten sich die Leipziger Germanisten weitgehend zurück. So stimmte Sievers zwar mit den radikalen Positionen Roethes teilweise überein, wollte sich jedoch nicht öffentlich dazu äußern.34 Köster hingegen, der nachweislich Berührung mit ausgeprägt liberalen Positionen hatte,35 trat nie mit entsprechenden Äußerungen in die Öffentlichkeit. Die Kriegsniederlage, der revolutionäre Umsturz und seine Folgen lösten auch in der Hochschullehrerschaft eine tiefe politische Krise aus.36 „Ich will“, so schrieb 31 32 33 34

35 36

Aufruf von Hochschullehrern für die DNVP anlässlich der Dezemberwahlen 1924, zitiert nach H. Döring, Der Weimarer Kreis, S. 261–270. Zu diesem öffentlichen Engagement gehörte unter anderem die Petition Für Ehre, Wahrheit und Recht. Erklärung deutscher Hochschullehrer zur Auslieferungsfrage vom 13. Juli 1919. Vgl. C. Jansen, Im Kampf, S. 386–392. Wenn nicht anders vermerkt, vgl. zu den Angaben ebd. Als Roethe im Juni 1915 während eines Kartelltages in Leipzig den Wissenschaftlern vorwarf, nicht genügend Distanz zu den ausländischen Akademien zu halten, offenbarte ihm Sievers im Vertrauen seine Zustimmung. Vgl. Brief von G. Roethe an E. Schröder vom 15. Juni 1915, in: D. Ruprecht / K. Stackmann (Hrsg.), Briefwechsel, Brief-Nr. 4612. Vgl. UBL, Sondersammlungen, NL A. Köster, Briefwechsel mit Fritz Tögel. Vgl. exemplarisch zur Novemberrevolution im Zusammenhang mit der Leipziger Universität U. von Hehl, Universität und Revolution.

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Germanistenleben

Roethe im Dezember 1918 an Köster, „über das was wir erleben mussten, nicht viel Worte verlieren. Ekel und Scham sind fast noch qualvoller als der Schmerz […].“37 Politisch fühlte sich die Professorenschaft vielfach „ganz heimatlos“38, da die Monarchie als konstitutionelle und politisch-kulturelle Referenz nicht mehr existierte.39 Sozial war sie durch die Inflation und die avisierten Sparmaßnahmen der frühen 1920er Jahre verunsichert.40 Nicht zuletzt fürchteten sie um Status, Privilegien und Einfluss, da das sensible Balanceverhältnis von Wissenschaft und Politik spätestens mit Ausgang der Novemberrevolution ins Wanken geraten war. Die Folge von kultureller und politischer Verunsicherung sowie von sozialen Abstiegsängsten war vielfach eine ablehnende Haltung gegenüber der Republik. Dabei waren die Befürchtungen der Hochschullehrer kaum gerechtfertigt, denn die faktischen Eingriffe ins Hochschulwesen waren gering, die Sparmaßnahmen hielten sich in Grenzen, Status und Einkommens wurden kaum angetastet.41 Dennoch wirkte die Krisenwahrnehmung fort und verstärkte sich unter den gesellschaftlichen Veränderungen.42 Auch in der Nachkriegszeit waren es vor allem Michels und Roethe, die an die Öffentlichkeit gingen und ihre antidemokratische Position „als konsequente Verlängerung der im Kriege propagierten politischen Ideen“43 vertraten. Sie unterstützten die Gründung der DNVP (dem Sammelbecken altkonservativer Positionen) im Februar 1919.44 Später wurde Michels Vorsitzender der Ortsgruppe der DNVP in Jena.45 Auch in den folgenden Jahren wurden beide Germanisten nicht müde, ihre Gegnerschaft zur Weimarer Republik kundzutun. Vor allem Roethe inszenierte sich als leidenschaftlicher Gegner der Demokratie und wurde eine der „populärsten Antipoden“46 der Republik. Eindringlich hat Jörg Judersleben Roethes Entwicklung nach dem Krieg beschrieben, als die wissenschaftlichen Publikationen nahezu zum 37 38 39

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Brief von G. Roethe an A. Köster vom 24. Januar 1919, in: UBL, Sondersammlungen, NL A. Köster. So E. Schröder in einem Brief an G. Roethe vom 22. Dezember 1918, in: D. Ruprecht / K. Stackmann (Hrsg.), Briefwechsel, Brief-Nr. 4775. So schrieb Roethe an Schröder über die gegenwärtige politische Situation: „Ich vermag mir diese grausig-sinnlosen Zustände im Staate nur so zu erklären, dass wir eben Alle gewohnt waren leidlich gut regiert zu werden: so kehrte jeder vor seiner Tür, und es gieng [sic], so lange die Monarchie bestand. Sie gehörte zu uns. Jetzt aber wo jeder eigentlich für das Ganze einstehn müsste, kanns keiner. Auch die Socialdemokraten ganz und gar nicht. Noch immer wird viel besondre Tüchtigkeit im Volke sein; aber die leitende Potenz, das Centrum u. der Gipfel, das Herz des Blutlaufs fehlt – und leider das nationale Ehrgefühl bis auf den letzten Rest.“ Brief von G. Roethe an E. Schröder vom 29. November 1918, in: Ebd., Brief-Nr. 4771. Vgl. exemplarisch für die Leipziger Universität B. Kuchta, Personalabbaugesetz. Vgl. T. Nipperdey / L. Schmugge, Forschungsförderung, S. 10–11, sowie C. Jansen, Vom Gelehrten, S. 72. Vgl. F. K. Ringer, Die Gelehrten, v. a. S. 229–272. K. Böhme, Einleitung, S. 34. Vgl. DNVP-Wahlaufruf zur preußischen Kommunalwahl vom 21. Februar 1919, zitiert nach H. Döring, Der Weimarer Kreis, S. 261–270. Fälschlicherweise zählt C. Jansen auch Sievers in diese Gruppe; bei dem bei Döring genannten Professor handelt es sich allerdings um den Geographen Wilhelm Sievers. Vgl. zur Mitgliedschaft Michels M. Steinbach, „Die Zuckertüten“, S. 194. J. Judersleben, Philologie, S. 26.

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Erliegen kamen zugunsten eines „publizistischen Feuerwerks abgebrannt zumeist aus aktuellem Anlass“47, als die materiellen Verlustängste Roethe plagten und er – schon vor dem Krieg Nationalist und Antisemit – sich weiter radikalisierte. Auch Michels erinnerte sich an Roethe als einen Kämpfer in dieser „schwankenden Zeit“48: [Roethe] „wahrte die staete. Er ließ sich auch nicht übermannen von Schmerz und Ekel; er verdoppelte nur seine Tatkraft, um dem Niedergang des Nationalgefühls entgegenzuarbeiten. Neue Aufgaben wuchsen ihm zu. Politiker wollte er nicht sein; missmutig hatte er sich immer abgewandt von den […] pfuschenden Berliner Kollegen; aber die Überzeugungen, die ihm Leben und Wissenschaft gegeben und befestigt hatten, zu bekennen – jetzt erst recht –, das erschien ihm ernste sittliche Pflicht. Hatte er schon während des Kriegs sich über die gewohnten Kreise hinaus an ein breiteres Publikum gewendet […], so rief er nun den Aufrechten in allen Teilen Deutschlands die fromme Mahnung zu: ‚Verzage nicht, du Häuflein klein!‘; er suchte durch seine feurige Beredsamkeit erzieherisch zu wirken: bald hier, bald dort hielt er deutsche Reden. […] Fast fieberhaft mutet solche Tätigkeit an.“

Auch Michels’ eigene politische Stellung deutet sich in diesem Nachruf an. Explizit machte er sie in Äußerungen anlässlich des 9. Novembers 1923. Als altkonservativer Verteidiger der Monarchie beschrieb er ein Untergangsszenario, das nur durch die Zerschlagung der Sozialdemokratie aufgehalten werden könne: „Es ist wahrlich keine Zeit, Feste zu feiern. Die Saat der Revolution ist furchtbar aufgegangen; wir sind bei der Ernte. ‚Das deutsche Volk hat auf der ganzen Linie gesiegt!‘ ‚Friede, Freiheit, Brot!‘, so klang es vor fünf Jahren. Berührt uns das nicht wie blutiger Hohn? Es ist alles so gekommen, wie es kommen musste. Auf den Untergang der deutschen Ehre ist der Untergang des materiellen Wohlstands gefolgt. […] Fünf Jahre haben der Republik in Deutschland keine Liebe verschaffen können. […] Gleichviel. Wenn auch noch vieles zusammenstürzt, was wir mühsam wieder aufbauen müssen: es gibt doch eins, was lebt und leben wird, und was alle Revolutionäre und alle Revolutionsfeiern nicht totschlagen werden: die Erinnerung an unsere große Vergangenheit […]. Sie ist eine ideelle Macht, die uns keine Ungunst des Schicksals nehmen kann. Fünf Jahre Republik haben das bewiesen. Und das ist tröstlich. Denn der Weg, auf dem wir seit 1918 laufen, ist eine Sackgasse. Wir müssen aus ihr heraus, je eher, je besser. […] Vergehen wird der Traum der deutschen Republik – wahrlich kein schöner Traum. Kommen wird der Tag, da die Schmach des 9. November abgewaschen wird, da wieder die alten Fahnen wehen an Rhein und Weichsel, da siegreich der Ruf erklingt: ‚Vorwärts mit Gott für Kaiser und Reich!‘“ 49

Von den vier Leipziger Germanisten Sievers, Köster, Mogk und Holz gibt es keine vergleichbaren Bekundungen. Die einzige öffentliche Äußerung, die sich ausmachen lässt, stammt von Köster und erschien im August 1920 in den Münchner Neuesten Nachrichten – eine Danksagung für die finanzielle Unterstützung der Deutschen durch die Deutschamerikaner in den USA.50 Sonst jedoch hielten sich 47 48 49 50

Zu einer Vielzahl von nationalen Anlässen wie Bismarck- oder Treitschke-Gedenkveranstaltungen, Schul- oder Hochschulreformkonferenzen, Frontkämpfer- oder Preußentreffen sprach Roethe an exponierter Stelle. Vgl. ebd. Dieses und das unmittelbar folgende Zitat stammen aus V. Michels, Gustav Roethe, S. XIX. V. Michels, Fünf Jahre Republik. Zum 9. November, in: M. Steinbach, „Die Zuckertüten“, S. 201 sowie S. 203–204. A. Köster, Deutschamerikanische Hilfe.

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die Leipziger in der Öffentlichkeit zurück und zählten so eher zu der großen Gruppe jener Professoren, die „durch öffentliches Schweigen ihr Missfallen über die Republik“ zum Ausdruck brachten.51 Als Professoren waren auch sie Teil des durch Krieg, Revolution und Kriegsfolgen unter Druck geratenen Bürgertums, für das Frank Bösch den Begriff des „konservativen Milieus“ geprägt hat.52 Auch für sie wurde das Kaiserreich zu „eine[r] rückwärtsgewandte[n] Utopie, die sich aus Umbruchsängsten speiste und Wertvorstellungen von unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen bündelte. […] Alltagsrituale, wie etwa das Bekenntnis zur schwarz-weiß-roten Fahne oder die Feier des Sedantages erhielten nun die Bedeutung eines demonstrativen Aktes, mit dem man explizit seine Gruppenzugehörigkeit und seine Abgrenzung von der bestehenden Gesellschaftsordnung bekundete.“53

Eine solche Haltung ebenso wie Antisemitismus zeigt sich bei den Leipziger Germanisten nur in Andeutungen. Etwa wenn Helmut de Boor anlässlich der Option seiner Berufung nach Leipzig an Mogk in vertraulichem Ton schrieb: „Über meine persönliche Stellungnahme in nationalen Fragen und Rasseninteressen brauche ich Ihnen nichts weiter zu sagen, es ist ja allerdings heutzutage durchaus keine Empfehlung.“54 Dass sie für Mogk (und die Fakultät) eine gewesen ist oder zumindest kein Hindernis, zeigt die reibungslose Berufung de Boors wenig später. Und über Georg Holz schrieb sein Leipziger Kollege Witkowski rückblickend: „Gleich vielen […] Erfolglosen war er ein wütender Antisemit geworden, was ihn jedoch nicht hinderte, alte jüdische Bekannte bis zuletzt kräftig anzupumpen.“55 Ob offensiv oder zurückhaltend – in jedem Fall waren die „Kontinuitätsgermanisten“ im Zuge des politischen Wechsels von 1918 / 19 in die Defensive geraten: Sie waren von einer staatstragenden zu einer systemoppositionellen Gruppe geworden. Welche Folgen hatte dies für die Wissenschaftspraxis? Fest steht zunächst, dass die sechs Germanisten in ihren angestammten Positionen blieben und so weiterhin über wissenschaftliches Kapital, aber auch über wissenschaftsorganisatorischen Einfluss und institutionelle Macht verfügten. Im Lehrangebot schlug sich dies durch weitgehende inhaltliche Kontinuität nieder; keiner der Genannten passte seine Lehrthemen in erkennbarer Form an die politisch-gesellschaftlichen Veränderungen an.56 Doch die Konstellation „alter“ Professor im neuem System führte auch zu Spannungen. Generell war die Skepsis gegenüber den wissenschaftspolitischen Akteuren der neuen Regierungen groß. Michels sprach mit Blick auf den thüringischen Volksbildungsminister Max Greil (SPD) vom „kapitalmörderischen Eifer der Revolutionäre“, der „nicht viel besser als Wahnsinn ist“ und „alle Traditionen abzuschneiden“57 sucht. Und nach Roethe seien „Ebert, Scheidemann, Bauer, Herm. Müller“ sowie ihre Parteifreunde und Sympathisanten im preußischen Kul51 52 53 54 55 56 57

K. Böhme, Einleitung, S. 34. F. Bösch, Das konservative Milieu. Ebd., S. 35. Brief von H. de Boor an E. Mogk vom 24. April 1925, in: UBL, Sondersammlungen, NL E. Mogk. G. Witkowski, Von Menschen und Büchern, S. 134. Vgl. die jeweiligen Vorlesungsverzeichnisse der Universitäten Leipzig, Berlin und Jena. V. Michels, Fünf Jahre Republik, Zum 9. November, in: M. Steinbach, „Die Zuckertüten“, S. 202.

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tusministerium „einer immer gemeiner, unfähiger, ungebildeter, lächerlicher als der Andere […].“58 Auch in Leipzig gab es Vorbehalte gegen die vermeintlich ungebildeten Repräsentanten des Volksbildungsministeriums.59 Damit verbundene Konflikte zeigten sich vor allem in Personalentscheidungen.60 Andere Spannungsfelder eröffneten sich durch die nach 1919 forcierte soziale Öffnung der Universitäten. Köster etwa hielt strikt an akademischen Hierarchien fest, auch gegenüber Witkowski (obwohl sie privat miteinander verkehrten).61 Ein anderes Beispiel ist die vieldiskutierte Frauenfrage, also die Zulassung und Förderung von Studentinnen und Dozentinnen. Hier war die Leipziger Germanistik liberal. Vor allem Sievers förderte Studentinnen und beließ sie auch nach der Rückkehr der männlichen Kommilitonen aus dem Krieg in verantwortlichen Stellen.62 Roethe und Michels hingegen waren dezidierte Gegner des Frauenstudiums.63 In einem Briefwechsel mit seinem Schwager Schröder schrieb Roethe vom „Frevel“, Frauen zum Studium zuzulassen, denn das damit angeblich verbundene „Hereindrängen des Weibes in die Tätigkeit des Mannes, das Nachäffen des Mannes, das raubt ihr Scham u[nd] Schönheit“64. An einer solchen Haltung hielt Roethe (trotz massiven Widerstandes

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Brief von G. Roethe an Carl von Kraus vom 10. September 1919, zitiert nach J. Judersleben, Philologie, S. 178. Vorwürfe dieser Art finden sich auch an anderer Stelle, etwa bei dem Gießener Germanisten Karl Viëtor, der dem „allmächtigen“ Werner Richter „Willkür“ vorwarf. Vgl. Briefe von K. Viëtor an J. Petersen vom 26. Juni 1933 bzw. 18. November 1928, in: DLA Marbach, D: Petersen, D62.503. So sprach der Leipziger Rektor Rudolf Kittel 1919 dem sozialdemokratischen Kultusminister Wilhelm Buck die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten für diese Position ab: „Es ist damit wohl zum ersten Male der Fall eingetreten, dass den höheren und höchsten Bildungsanstalten des Landes ein oberster Vorgesetzter zuteil wurde, der keine von ihnen selbst durchgemacht und somit aus eigener Anschauung kennengelernt hatte. Niemand wird sagen können, dass damit ein normaler Zustand geschaffen sei.“ Rektorwechsel an der Universität Leipzig am 31. Oktober 1919, Rede des abtretenden Rektors Rudolf Kittel, S. 1–2. So konnte die Berufung des jüdischen Germanisten Witkowski zum Extraordinarius in Leipzig 1919 nur durch Druck von außen in der Fakultät durchgesetzt werden; die Berufung von Friedrich Gundolf 1921 in Berlin wurde durch Carl Heinrich Becker durchgedrückt, auch wenn sie zuletzt nicht zustande kam. Vgl. Kap. B I 1.2. Köster tat alles, so Witkowski, „um mir öffentlich und namentlich vor unseren Studenten die untergeordnete äußere Stellung zu bewahren, in der er mich vorgefunden hatte. […] Köster begründete seinen Widerspruch [gegen Witkowskis Ernennung zum Extraordinarius 1896; AL] der Fakultät und mir gegenüber damit, dass er darin die Anklage sehen müsse, er fülle sein Amt nicht genügend aus (was völliger Unsinn war). Als er einmal durch einen Blinddarmdurchbruch schwer erkrankte […], ließ er sich in seinem Seminar nicht von mir, sondern von dem ganz jungen, unbewährten Privatdozenten Merker vertreten. Am tollsten erschien es mir, dass er nicht einmal meine Schriften für die Institutsbibliothek anschaffte.“ G. Witkowski, Von Menschen und Büchern, S. 136. Dies zeigt das Beispiel der Leipziger Germanistin Elisabeth Karg-Gasterstädt, die (gefördert durch Sievers) zwischen 1922 und 1933 die Position der Institutsassistentin innehatte. Vgl. Kap. B II 2.2. Vgl. für Michels M. Steinbach, „Die Zuckertüten“, S. 195. Brief von G. Roethe an E. Schröder vom 1. Juli 1896, in: D. Ruprecht / K. Stackmann (Hrsg.), Briefwechsel, Brief-Nr. 2026.

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von verschiedenen Seiten) fest, sodass bis zu seiner Emeritierung Frauen weder an seinen Seminaren teilnehmen noch sich in Berlin promovieren konnten.65 Zwischenfazit Der Systemwechsel im Zuge der Novemberrevolution bedeutete für die sechs Germanisten einen Wechsel von der systemloyalen Elite zur Systemopposition – den sie jedoch unterschiedlich offensiv thematisierten. In der Wissenschaftspraxis dominierten Kontinuitäten in Forschung und Lehre ebenso wie in der Haltung gegenüber Demokratisierungsbestrebungen und sozialer Öffnung. Diese waren seit Anfang des Jahrhunderts virulent, hatten jedoch durch die politischen Veränderungen eine zunehmende Dynamik erfahren. 2 Vom Krisengefühl zum Hochgefühl. Kontinuität nach 1933 Auch nach 1933 dominierte personelle Kontinuität. Acht von zwölf Germanistikprofessoren blieben im Amt. Sie lehrten während des Dritten Reichs noch mindestens fünf Jahre; einige von ihnen blieben bis 1945 in ihrer Position, zwei darüber hinaus. Die Leipziger Germanisten Frings, Korff, Jolles und Reichardt, die Berliner Germanisten Hübner, Petersen und Neckel sowie der Jenaer Ordinarius Leitzmann hatten zudem die Jahre der Weimarer Republik intensiv erlebt: Sie waren von republikanischen Volksbildungsministern in Ordinariat und Extraordinariat berufen worden und hatten einen Schwur auf die Landes- und Reichsverfassung geleistet.66 Sie erlebten (außer dem jungen Reichardt) in diesen Jahren den Höhepunkt ihrer akademischen Karriere (vgl. Tabelle 12). Einige von ihnen heirateten in dieser Zeit; sie sahen ihre Kinder auf die Welt kommen und aufwachsen. Von den materiellen Krisen der Zeit waren sie als Professoren kaum betroffen; vielmehr waren Position und Einkommen stabil und im Vergleich zur Kaufkraft anderer Arbeitnehmer sogar hoch.67 65 66

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Vgl. L. Harders, Studiert, promoviert: Arriviert?, S. 36– 41. Exemplarisch sei der Eid zitiert, den Frings bei seiner Berufung 1927 an der Universität Leipzig zu leisten hatte: „Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, dass Sie unter genauer Beobachtung der Gesetze des Landes und der Landesverfassung das Ihnen übertragene Amt eines ordentlichen Professors bei der Philosophischen Fakultät zu Leipzig sowie jedes künftig Ihnen zu übertragende Amt und jede Verrichtung im öffentlichen Dienste nach Ihrem besten Wissen und Gewissen verwalten, die hierbei Ihnen bekannt gewordenen und Geheimhaltung erfordernden Angelegenheiten Niemanden, außer wer solche zu wissen berechtigt ist, offenbaren und sich allenthalben den Anordnungen Ihrer Vorgesetzten gemäß bezeigen wollen.“ Es folgt der Schwur: „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe“ sowie der Eid auf die Reichsverfassung: „Ich schwöre auch Treue der Reichsverfassung“. Vgl. UAL, PA 270, Bl. 400. Während des Kaiserreichs verdiente ein Professor das Vierfache eines Arbeiters, in den Weimarer Jahren sogar das Sechsfache. Auch waren die Bedingungen für den akademischen Aufstieg in der Weimarer Republik „deutlich günstiger“, als das in der von den Zeitgenossen glorifizierten wilhelminischen Ära der Fall war. Vgl. C. Jansen, Vom Gelehrten, S. 36–56.

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Name

Professur im Untersuchungszeitraum und Ausscheidungsgrund

Habilitationsalter erste Planstelle erstes Ordinariat (falls vorhanden)

Geburtsort Konfession Beruf des Vaters

Theodor Frings

1927–1957 Ordinarius für Ältere deutsche Philologie in Leipzig; emeritiert

29-jährig (1915); 1917 Extraordinarius in Bonn (31-jährig); 1919 Ordinarius in Bonn (32-jährig)

Dülken am Niederrhein katholisch, später konfessionslos Buchbinder

Arthur Hübner

1927–1937 Ordinarius für Ältere deutsche Philologie in Berlin; verstorben

28-jährig (1913); 1918 Extraordinarius in Münster (33-jährig); 1924 Ordinarius in Münster (39-jährig)

Neudamm evangelisch Kaufmann

André Jolles

1919–1945 Extraordinarius für Niederlandistik; entlassen

33-jährig (1907 für Kunstgeschichte); 1916 Ordinarius in Gent (42-jährig); 1919 Extraordinarius in Leipzig (45-jährig)

Den Helder / Holland evangelischreformiert Marineleutnant

Hermann August Korff

1925–1954 Ordinarius für Neuere deutsche Philologie in Leipzig; emeritiert

31-jährig (1913); 1921 Extraordinarius in Frankfurt am Main (38-jährig); 1923 Ordinarius in Gießen (40-jährig)

Hamburg evangelischlutherisch, später konfessionslos Petroleumfabrikant

Albert Leitzmann

1930–1935 Ordinarius für Deutsche Philologie in Jena; emeritiert

24-jährig (1891); 1923 Extraordinarius in Jena (56-jährig); 1930 Ordinarius in Jena (63-jährig)

Magdeburg evangelischlutherisch Gymnasialprofessor

Gustav Neckel

1920–1935 und 1937–1940 Ordinarius für Nordistik in Berlin; zwangsversetzt und 1940 verstorben

31-jährig (1909); 1920 Extraordinarius in Berlin (42-jährig); 1920 Ordinarius in Berlin (42-jährig)

Wismar evangelisch Fabrikbesitzer und Kaufmann

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Germanistenleben

Name und Lebensdaten

Professur im Untersuchungszeitraum und Ausscheidungsgrund

Habilitationsalter erste Planstelle erstes Ordinariat (falls vorhanden)

Geburtsort Konfession Beruf des Vaters

Julius Petersen

1921–1941 Ordinarius für Neuere deutsche Philologie in Berlin; verstorben

31-jährig (1909); 1911 Extraordinarius in München (32-jährig); 1912 Ordinarius in Basel (33-jährig)

Straßburg evangelischlutherisch Reichsgerichtsrat

Konstantin Reichardt

1931–1937 Extraordinarius für Nordistik in Leipzig; gekündigt

keine Habilitation; 1931 Extraordinarius in Leipzig (27-jährig)

St. Petersburg / Russland evangelisch Kaufmann

Tabelle 12: Übersicht über die planmäßigen Germanistikprofessoren in Leipzig, Berlin und Jena, die nach 1933 im Amt blieben (in alphabetischer Reihenfolge) 68

Doch die positiven privaten und beruflichen Erfahrungen konnte keiner der acht Germanisten in eine positive Bindung an die Republik umwandeln.69 Vielmehr standen sie, dem Gros der Hochschullehrer gleich, dem „System von Weimar“ distanziert gegenüber, wenn nicht gar feindlich.70 Innenpolitisch bestand eine tiefe Skepsis gegenüber Parlamentarismus und eine tiefe Ablehnung der an den Regierungen beteiligten und als „vaterlandslose Gesellen“ beschimpften SPD-Politiker. Solch eine Haltung führte Petersen etwa zu der Äußerung, dass „zwei Sozialdemokraten auf einmal […] doch etwas viel“ für die Eröffnung der Gerhart-HauptmannFeier in Berlin 1922 seien, zu der Friedrich Ebert als Reichspräsident und Paul Löbe als Reichstagspräsident eingeladen worden waren.71 Die tiefe Distanz der deutschen Hochschullehrer zur Demokratie resultierte aus einem Selbstverständnis, das sich seit dem Kaiserreich herausgebildet hatte. Sie erhoben den Anspruch, unabhängig von aller „Verwirrung durch Parteisucht und Parteihass“72 als eine Art objektiver Geist „das öffentliche Gewissen des Volkes“73 zu verkörpern. Sie verstanden sich in diesem Sinne als „unpolitisch“, waren faktisch jedoch staatsloyal und national und so ein „massiver Stützpfeiler des wilhelminischen Machtstaates“74. 68 69 70 71 72 73 74

Zu den Angaben vgl. die jeweiligen Artikel im Internationalen Germanistenlexikon. In Dörings Studie spielte keiner der Germanisten eine Rolle. Vgl. H. Döring, Der Weimarer Kreis. Vgl. K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken. Vgl. B. Almgren, Germanistik und Nationalsozialismus, S. 81. F. Paulsen, Die deutschen Universitäten, S. 331–332. A. Faust, Professoren für die NSDAP, S. 45. Ebd.

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Durch den Systemwechsel sowie die soziale Öffnung der Hochschulen zutiefst verunsichert, überführten viele Hochschullehrer ihre politischen Positionen aus dem Kaiserreich in die Weimarer Republik, davon überzeugt, dass „das längst brüchige Gebäude der liberalistischen Ideen und der zu ihnen gehörenden Wirklichkeit“75 nicht dazu in der Lage sei, Deutschland wieder zum Aufstieg zu verhelfen.76 Der nationale Wiederaufstieg lag den Professoren jedoch besonders am Herzen, um die Niederlage im Ersten Weltkrieg, die Gebietsabtretungen, generell die „Schmach von Versailles“ zu kompensieren. Auch die Germanisten sahen sich berufen, durch Rückbesinnung auf ruhmreiche deutsche Leistungen in Literatur und Kultur das „deutsche Wesen“ zu beschwören und dadurch das deutsche Volk zu einen und zu stärken. Entsprechend gewannen volk- und raumbezogene Ansätze in der Forschung an Bedeutung: Die Volkskunde erlangte in der Zwischenkriegszeit akademische Anerkennung und die Kulturraumforschung wurde zum politisch anschlussfähigen Bezugspunkt für Linguisten, Sprachhistoriker und Mundartenforscher.77 In der Literaturwissenschaft etablierte sich wiederum die Deutschkunde im akademischen Feld. Das Ziel der Deutschkundebewegung war es, Deutsch zum Kernfach an den Schulen zu machen. Petersen, einer der prominentesten Vertreter der Bewegung, verknüpfte in seiner programmatischen Rede vor Mitgliedern der Gesellschaft für deutsche Bildung die bisherigen Leistungen der Germanistik mit ihren gegenwärtigen nationalpädagogischen Aufgaben: „Die Wissenschaft, die im Leben wurzelt und heute, wie kaum zuvor, den Drang auf das Leben zu wirken in sich trägt, kann dem Rufe der Nationalpädagogik sich nicht versagen. Selbsterziehung aus Selbsterkenntnis muss heute die größte, die heiligste, die rettende Aufgabe unseres gesunkenen Volkes sein. […] Wo können wir besseres Selbstvertrauen hernehmen als aus unserer Sprache, dem letzten Gemeinbesitz aller Deutschen, deren unerschöpfliche, schöpferisch immer neu sich bereichernde Urkraft den Verflachungen der Zivilisation noch immer siegreich widersteht und in sich die Bürgschaft der Auferstehung trägt? Wo können führerlos wir besser leitende Kräfte hernehmen als aus der vaterländischen Geschichte und aus dem Nacherleben großer Persönlichkeiten unserer Vergangenheit. Wo können wir, verloren in materialistischem Chaos, besser uns selbst finden, als im Spiegel unserer Dichtung […] als ein zielweisendes Idealbild unserer Bestimmung, der wir folgen müssen, auf dass das Wort erfüllt werde, das einstmals […] der große Nationalerzieher Johann Gottlieb Fichte [sprach]: ‚Wir müssen werden, was wir ehedem sein sollten, Deutsche!‘“ 78

Rekurrierend auf Fichte knüpfte Petersen das Anliegen der Deutschkundebewegung an die Nationalbewegung zu Beginn des 19. Jahrhunderts und zeichnete ein Gegenwartsbild, das von zivilisationsbedingter Verflachung und Führungslosigkeit geprägt ist. Der Ausweg aus dem Chaos sei die Besinnung auf nationale Größe, und dabei komme den Germanisten eine zentrale Leit- und Vermittlungsfunktion zu.

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K. Viëtor, Die Wissenschaft, S. 342. Selbst republikanische Hochschullehrer diskutierten die Idee einer „Führerdemokratie“, in der die Massen präventiv gesteuert werden sollten. Vgl. A. Faust, Professoren für die NSDAP, S. 46. Vgl. Kap. C I 1. J. Petersen, Literaturwissenschaft und Deutschkunde, S. 414 – 415.

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Eine dieserart auf Zivilisationskritik und „nationale Genesung“ ausgerichtete Germanistik fand (allerdings nur außerhalb des akademischen Betriebs) auch Kritiker. Der scharfsinnige Beobachter seiner Zeit Walter Benjamin erkannte ziemlich genau, wohin der Funktionswandel der Literaturwissenschaft führen kann. Wenn es nicht mehr um objektive Erkenntnis gehe, sondern darum, dem „Ruf der Nationalpädagogik“ und dem „Drang des Lebens“ zu folgen, dann werde aus der Literatur eine Waffe, und aus der Literaturwissenschaft ein Mittel zur Kriegsführung: „Die ganze Unternehmung [der akademischen Germanistik; AL] ruft für den, der in den Dingen der Dichtung zu Hause ist, den unheimlichen Eindruck hervor, es käme in ihr schönes, festes Haus mit dem Vorgeben, seine Schätze und Herrlichkeiten bewundern zu wollen, mit schweren Schritten eine Kompanie von Söldnern hineinmarschiert, und im Augenblick wird es klar: die scheren sich den Teufel um die Ordnung und das Inventar des Hauses; die sind hier eingerückt, weil es so günstig liegt, und sich von ihm aus ein Brückenkopf oder eine Eisenbahnlinie beschießen lässt, deren Verteidigung im Bürgerkriege wichtig ist. So hat die Literaturgeschichte sichs hier im Haus der Dichtung eingerichtet, weil aus der Position des ‚Schönen‘ der ‚Erlebniswerte‘ des ‚Ideellen‘ und ähnlicher Ochsenaugen in diesem Hause sich in der besten Deckung Feuer geben lässt.“ 79

Die Distanz zur Weimarer Republik unterschied sich bei den acht genannten Germanisten. Die Älteren träumten von der Rückkehr einer verbesserten Monarchie – seit Ende der 1920er Jahre auch mit Hilfe der Nationalsozialisten. So war für Albert Leitzmann (Jahrgang 1867) die Monarchie der Garant für Sicherheit, Stabilität und nationale Werte. Von den Nationalsozialisten erhoffte er sich einen wiedererstarkten autoritären Staat. Deshalb schrieb er über die Landtagswahlen in Preußen am 24. April 1932, bei denen die NSDAP deutlich Stimmen gewonnen hatte, in sein Tagebuch: „Das herrliche resultat der gestrigen Wahlen macht mich ganz glücklich: endlich ist der sozialistische vaterlandslose humbug von Hitler ins herz getroffen [worden]; ein unendliches glücksgefühl ist über uns gekommen, endlich geht die sonne über Preußen und Deutschland auf!“80 Anders die Position der Jüngeren. Ihnen ging es um eine „neue politische Wirklichkeit“, um einen „neuen Staat“ mit „völkischem Kern“, um ein „neues Volkstum als Inhalt des neuen Staates“.81 Der Gießener Professor Karl Viëtor, von dem diese Zitate stammen, war Freund und Wegbegleiter von Korff und Petersen. Sie wie er wurden in den 1870er bzw. 1880er Jahren geboren und gehörten so zur gleichen Generation wie Frings, Hübner, Jolles und Neckel. Sie waren, nach Peuckert, Vertreter der Gründerzeit- bzw. der Frontgeneration. Kindheit, Jugend und Studium hatten sie im Kaiserreich verbracht; ihre akademische Karriere vollzog sich im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Die meisten von ihnen waren im Krieg gewesen,82 79 80 81 82

W. Benjamin, Literaturgeschichte und Literaturwissenschaft, S. 69. A. Leitzmann, Tagebucheintrag vom 25. April 1932, zitiert nach A. Pöthe, Konservatives Kulturideal, S. 854 [Kleinschreibung im Original]. Alle Zitate von K. Viëtor, Die Wissenschaft, S. 342. Die Jüngeren wie Korff oder Hübner dienten während der gesamten Zeit. Neckel war für zwei Jahre Landsturmmann. Frings hatte nicht am Krieg teilgenommen. Hingegen hatte sich der aus Holland stammende Jolles 1914 mit seiner Familie in Deutschland einbürgern lassen und freiwillig gemeldet. Danach diente er bis 1918 als Leutnant und Offizier, zuletzt im Auftrag des

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der für sie zum prägenden Ereignis wurde, zum „Volkserlebnis Krieg“, das „jeden Deutschen mit sich riss und das durch vier harte feldgraue Jahre jedes deutsche Herz erschüttert und auf die letzte Probe gestellt hat“83. Dabei konnten nicht nur die Erfahrungen im Krieg, sondern auch die politischen, wissenschaftlichen und weltanschaulichen Schlüsse, die die Germanisten aus diesen zogen, unterschiedlich sein. Doch gemeinsam war ihnen, dass die Erfahrung von Front und Krieg zu einem wichtigen Bezugspunkt ihres individuellen und professionellen Selbstverständnisses wurde: Es bestärkte sie in dem Glauben, intensiv mit dem nationalen Schicksal verwoben zu sein und eine besondere Pflicht zum wissenschaftlichen Dienst an der Nation zu haben.84 Exemplarisch zeigt sich dies in Äußerungen von Korff, der nach dem Krieg zwischen der objektiven Wissenschaft der Vorkriegszeit und der zeitgenössisch notwendigen Lebens-Wissenschaft unterschied: „Die Zeit [der] reinen Wissenschaft ist vorbei. Wie die Wissenschaft ursprünglich eine Funktion des Lebens ist, so erfüllt die Wissenschaft nur ihren Lebenssinn, wenn sie letzten Endes wiederum dem Leben dient. Und eine nicht mehr dem Leben dienende Wissenschaft wird vom Leben selber ausgestoßen wie alles Tote.“85 Die Wissenschaft – so der Grundtenor nicht nur bei Korff – müsse dem Leben dienen, sei also Dienst am deutschen Volk und an der deutschen Gegenwart.86 Bleibt zu fragen, wie sich die Distanz der Germanisten zur Weimarer Republik einerseits und das Dienen-Wollen andererseits in der Wissenschaftspraxis umsetzen ließ. Es mag überraschen, dass es kaum zu Auseinandersetzungen zwischen den Germanistikprofessoren und den hochschulpolitischen Akteuren kam. Konnten für die ersten Jahre der Weimarer Republik am Beispiel der Auseinandersetzungen um personelle Entscheidungen zwischen Roethe und Becker noch handfeste Konflikte ausgemacht werden, so finden sich vergleichbare Differenzen in den folgenden Jahren nicht. Die Berufungen von Jolles 1919 und Neckel 1920, von Frings und Hübner 1927 oder von Reichardt 1931 liefen weitgehend reibungslos. Die Diskussionen im Vorfeld der Berufung von Korff 1925 nach Leipzig hatten vor allem fachlichparadigmatische Gründe gehabt und waren ebenso wenig politisch begründet wie die Debatten im Vorfeld der Berufung Leitzmanns 1930 zum Ordinarius in Jena, die finanziell motiviert waren. Diskussionen wie die um die Berufung des Hochschulpolitikers Werner Richter 1932 wurden bereits innerhalb der Fakultät intensiv geführt, wobei sich die in dieser Frage liberalere Haltung Petersens gegenüber den Vorbehalten seiner Kollegen durchsetzten konnte.87 Die geringen Spannungen verweisen auf zwei Dinge: Zum einen war offensichtlich und entgegen allgemeiner Befürchtungen der faktische Einfluss der Volksbildungsministerien auf Hochschul- und vor allem Berufungsangelegenheiten geDeutschen Reichs als Professor an der unter deutscher Besatzung gegründeten Hochschule in Gent. Zu den Angaben vgl. die jeweiligen Artikel im Internationalen Germanistenlexikon. 83 H. Pongs, Krieg als Volksschicksal im deutschen Schrifttum, S. 102. 84 Vgl. J. Eckel, Geist der Zeit, S. 43– 44. 85 H. A. Korff, Forderung, S. 342. 86 Zum Lebensbegriff in der Literaturwissenschaft der Weimarer Zeit und während des Dritten Reichs vgl. G. Kaiser, Grenzverwirrungen, S. 199–294. 87 Vgl. zur Berufung von Korff Kap. B I 1.3; zur Berufung Leitzmanns Kap. A I 2.1 sowie zur Berufung Richters Kap. B II 2.3b.

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ring. Jedenfalls kann das für die Germanistik in Leipzig, Berlin und Jena konstatiert werden. Die Autonomie der Universitäten blieb in der Praxis der Weimarer Zeit ebenso weitgehend unangefochten wie die prestigereiche Position der Ordinarien. Zum anderen hielten sich Professoren, die eine dezidiert antirepublikanische Haltung hatten, offenbar auch bewusst zurück, wie die oben zitierte Äußerung de Boors gegenüber Mogk zeigt. Für einen größeren Professorenkreis lässt sich eine Strategie der Zurückhaltung anhand eines Bericht der NSDStB-Leitung belegen, der Gründe dafür suchte, weshalb viele Professoren (trotz Sympathie) eine öffentliche Unterstützung der NSDAP ablehnten: „Zahlreiche Professoren (großenteils Parteimitglieder) lehnten die Unterschrift ab, weil sie an irgendeinem Satz etwas auszusetzen hatten. Nur wenige gaben offen zu, dass sie Furcht vor wirtschaftlichem Nachteil hätten, wenn sie einen Aufruf unterschrieben, der gegen die derzeitige Regierung gerichtet sei. Man sei doch Beamter, man könne doch seine Lebensstellung nicht riskieren, man arbeite im Stillen besser für den Führer als durch Aufrufe, man wolle nicht offiziell politisch abgestempelt werden.“ 88

Als Beamte und Lehrende erfüllten die Germanisten ihre Pflichten, indem sie zukünftige Lehrerinnen und Lehrer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Verlage, Redaktionen sowie für den akademischen Betrieb ausbildeten. In der Lehre hielten sich die Sprach- und Literaturhistoriker sowie die Nordisten an den überkommenen Kanon.89 Neu war die stärkere Einbeziehung volkskundlicher Themen. Mit Blick auf die institutionelle Ebene, auf Aufbau, Etat, Personalzahl zeigt sich für die Weimarer Zeit ein allmählicher Ausbau – auch wenn dieser aufgrund der steigenden Studentenzahlen vielfach nicht ausreichte und vor allem in Berlin zu erheblichen organisatorischen Schwierigkeiten führte.90 Innerhalb dieses Rahmens erfüllten die Professoren ihre Aufgaben. Doch ihre politische Sehnsucht galt etwas anderem, nämlich der Aussicht, dass sich die „Weltuntergangsstimmung […] in Aufbruch verwandelt; das Endziel […] ins Blickfeld der Gegenwart“ tritt. Sie träumten davon, dass die „Traumbilder, in denen die Vergangenheit sich wiegte, […] durch den revolutionären Konservatismus, der ein konservativer Revolutionsgedanke von ewiger Wiederkehr ist, neu an den Tag gezogen“ werden.91 Die tiefe Sehnsucht nach einer „konservativen Revolution“ offenbarte sich spätestens beim Systemwechsel im Frühjahr 1933. Bereits im Herbst 1932 hatten die Berliner Germanisten Neckel und Hübner mit knapp 250 weiteren rechtskonservativen Hochschullehrern „mit lebhafter Freude“ die Amtsenthebung der preußischen Regierung kommentiert und den Reichskanzler Franz von Papen dazu ermutigt, nach Preußen ganz Deutschland von der „Übermacht der Parlamente“ zu befrei88 89

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Bericht von Rudolf Heß vom November 1932, zitiert nach A. Faust, Professoren für die NSDAP, S. 40. Vgl. die Vorlesungsverzeichnisse in Leipzig, Berlin und Jena. Für Berlin findet sich zudem eine Aufstellung der Lehrveranstaltungen in der Festschrift des Instituts von 1937; eine Auflistung der Seminare und Vorlesungen von J. Petersen findet sich bei P. Boden, Der Germanist, S. 151– 174. Vgl. Kap. A I 1. J. Petersen, „Die Sehnsucht nach dem Dritten Reich“, S. 1.

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en.92 Euphorisch waren auch die Äußerungen der Germanisten angesichts der Machtübernahme durch Hitler. Jolles, Neckel, Korff, Hübner, Leitzmann und Petersen begrüßten zum Teil emphatisch die nationalsozialistische Machtergreifung. Angesichts der zugespitzten ökonomischen und politischen Situation war der Nationalsozialismus auch für sie attraktiv und veranlasste auch jene, die eine prinzipielle Zurückhaltung gegenüber politischen Parteien gepflegt hatten, diese aufzugeben. Denn, so Korff, „wie immer man die großen Ereignisse empfinden möge, von denen wir in der Gegenwart wie auf gewaltigen Wogen dahingetrieben werden – nach einer Zeit so qualvoller Ratlosigkeit sind sie von einer wahrhaft befreienden Wirkung […].“93 Das Deutsche Reich (da war man sich einig) sollte zu neuer Größe gelangen, das Volk sollte geeint, der Parlamentarismus beseitigt werden. Dass gerade die Jugend, also auch die Studenten, diese Ziele teilte und dem Führer in Scharen folgte, faszinierte viele Professoren zusätzlich. So auch Jolles, der in den Studenten die tragende Kraft der „Bewegung“ sah und sich ihnen, sie beraten wollend, anschloss. Mit Blick auf die geplanten Veränderungen an der Universität schrieb er im Mai 1933 an seine Tochter: „Indessen merkt man, dass in dem Augenblick, da die jüngere Generation mit ihren Wünschen und Plänen hervortreten [kann] Manches doch wieder zu wenig durchdacht und zu unfertig ist. So sehr ich, wie du weißt, überzeugt bin, dass man der Revolution als solcher ihren freien Lauf lassen soll – so ist mir andererseits doch klar, dass Unterrichtsfragen einer gewissen Ruhe bedürfen.“94

Die Begrüßung der Machtübernahme Hitlers ging (nicht nur bei Jolles) mit dem Angebot der Fachvertreter einher, das Neue mitzugestalten. Eng verknüpften sie in ihren Stellungnahmen die bisherigen fachlichen Entwicklungen mit den aktuellen politischen Prozessen. Sie zeigten die Vorleistungen auf, die sie als Literaturwissenschaftler, Herausgeber von Zeitschriften, als Vertreter von Deutschkunde, Volkskunde und Kulturraumforschung erbracht hatten. Exemplarisch sei hier die Aussage Karl Viëtors als Herausgeber der Zeitschrift für deutsche Bildung zitiert, in der viele Germanisten publizierten. In Viëtors programmatischem Aufsatz Die Wissenschaft vom deutschen Menschen in dieser Zeit, der 1933 erschien, schrieb er über Rolle und Bedeutung der Deutschkunde und ihrer Vertreter in zurückliegender und kommender Zeit: „Wenn man als gläubiger Mitarbeiter an den Bestrebungen der […] Gesellschaft für Deutsche Bildung […] zurückblickt und sich vergegenwärtigt, was diese vielverkannte, tapfere Schar schon vor Jahren als Programm der Deutschwissenschaft und der deutschen Bildung verkündet hat, dann drängt sich einem deutlich auf: das nationalpädagogische Programm der Gesellschaft für Deutsche Bildung ist […] ein gutes Programm auch für die zu leistende Arbeit des nationalen Aufbaus […]. […] Ein Irrtum nur hat dies großartige Programm damals an der 92

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Vgl. A. Faust, Professoren für die NSDAP, S. 39. Den Aufruf Hochschullehrer für unabhängige Staatsführung vom 30. Oktober 1932 (erschienen in Der Tag), der in die gleiche politische Richtung zielte, hatten Neckel und Hübner ebenfalls unterzeichnet. Vgl. C. Jansen, Im Kampf, S. 386–390. H. A. Korff, Forderung, S. 341. Brief von A. Jolles an Hendrika Jeltje Goldschmidt-Jolles vom 28. Mai 1933, in: W. Thys (Hrsg.), André Jolles, S. 842.

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Germanistenleben Entfaltung gehindert: der Irrtum, dass der Weimarer Staat einem so bestimmt nationalpädagogischen Programm Luft und Licht zur Entfaltung gewähren werde. Jetzt aber ist für den Deutschwissenschaftler und Deutschlehrer die Zeit angebrochen, in der er endlich – und zwar nicht nur geduldet von der allgemeinen Kulturpolitik des Staates, sondern ausdrücklich an die Front gestellt durch den mächtigen Gang der politischen Dinge und den großen Zug, den deutsche Kulturarbeit nun entfalten muss – in der er endlich in den Stand gesetzt ist, aus seiner Wissenschaft in Forschung und Lehre zu machen, was sich nach ihrer reinsten Bestimmung und nach ihrer erlauchten Herkunft aus der ‚deutschen Bewegung‘ sein soll: Wissenschaft vom deutschen Volk für das deutsche Volk.“ 95

Ein anderes Beispiel ist die Andienung von Petersen. Dieser hatte sich von Februar bis August 1933 zu Gastvorlesungen in den USA aufgehalten, beobachtete aber die Entwicklungen in Deutschland mit offener Sympathie, wie seine Reiseberichte in der Deutschen Allgemeinen Zeitung dokumentieren.96 Zu den ersten Amtshandlungen nach seiner Rückkehr gehörte es dann auch, die von ihm und Hermann Pongs herausgegebene, renommierte Zeitschrift Euphorion in Dichtung und Volkstum umzubenennen. Auch dies war kein Lippenbekenntnis97, sondern ein explizites Angebot zur Mitgestaltung und politischen Erneuerung der Zeitschrift im nationalsozialistischen Sinn: „Mit dem neuen Jahrgang tritt die Zeitschrift ‚Euphorion‘ in ein neues Verhältnis zu den wissenschaftlichen Bildungsfragen und zum Geist der Forschung ein. Sie gibt den Namen ‚Euphorion‘ auf und damit die überbetonte Abhängigkeit deutscher Bildung von humanistischer Gelehrsamkeit. Der neue Name ‚Dichtung und Volkstum‘ will zum Ausdruck bringen, dass auch die Wissenschaft von der Dichtung immer das Volkstum im Auge halten wird als den Grundwert, der alle ästhetischen, literaturhistorischen, geistesgeschichtlichen Werte trägt und nährt.“ Neuen Aufgaben, „dringlicher vom Zeitgeist gefordert als andere“, wollten sich die Herausgeber nun stellen. 98

Solche Bekundungen hatten verschiedene Funktionen. Sie waren zum einen emotionaler Ausdruck authentischer Begeisterung, erhofften sich die Germanisten doch vom Systemwechsel den Ausweg aus der politischen Defensive – heraus aus der Systemopposition in die nationale Verantwortung. Zum anderen waren die Bekenntnisse funktional motiviert. Die wissenschaftlichen Leistungen wurden angeboten, die politische Anschlussfähigkeit wurde explizit gemacht. Damit verbunden war das Ziel, dem Fach eine zusätzliche, außerwissenschaftliche Legitimation zu verschaffen, es gegenüber konkurrierenden Fächern und Fachbereichen aufzuwerten und nicht zuletzt Ressourcen zu mobilisieren.99 95 96 97

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K. Viëtor, Die Wissenschaft, S. 342–343 [Hervorhebung im Original]. Vgl. J. Petersen, Let’s go Chicago! Amerikanische Reiseeindrücke. Auch wenn Erich Rothacker in einem Brief an Paul Kluckhohn spottete: „Es macht fast den Eindruck, als habe der aus Amerika zurückgekehrte Petersen sich etwas unbehaglich gefühlt und um Gottes Willen den Anschluss nicht verpassen wollen.“ Brief von E. Rothacker an P. Kluckhohn vom 27. März 1934, zitiert nach B. Zeller (Hrsg.), Klassiker in finsteren Zeiten, Bd. 1, S. 250. J. Petersen / H. Pongs, An unsere Leser!, S. III [Hervorhebung im Original]. So konnte Neckel 1939 für die Nordistik konstatieren: „Die nationalsozialistische Revolution [ist] für unsere Wissenschaft ein Ereignis von besonderer und umfassender Bedeutung. Der gewaltige Durchbruch germanisch-deutschen Geistes, der ihr innerstes Wesen ausmacht und

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Angesichts solch hoher Erwartungen war Skepsis gegenüber den politischen Entwicklungen in den ersten Monaten nach der nationalsozialistischen Machtübernahme selten. Theodor Frings war der einzige unter den acht Genannten, der 1933 kritisch auf das aggressive Vorgehen der nationalsozialistischen Studierenden reagierte. Bekannt ist der „Fall Kessler“, in dem sich Frings für den attackierten Nationalökonomen einsetzte. Ende 1932 hatte der Leipziger Professor und Spitzenkandidat der Deutschen Staatspartei Gerhard Kessler einen Artikel geschrieben, in dem er vor Hitler und den Nationalsozialisten warnte und aufrief: „Deutschland erwache! Phrasenhelden und Hetzer haben dich jahrelang irregeführt. Sie ver­ sprachen dir Freiheit und richteten deine Jugend zum Kadavergehorsam ab. Sie redeten vom Deutschtum und Christentum und zeigten dir eine blutrote Fahne […]. Gib den Rattenfängern den Abschied und wende den Wolkenkuckucksheimen den Rücken.“100 Infolge vor allem dieser Äußerungen wurde Kessler von nationalsozialistischen Studenten und Dozenten angegriffen und seine Vorlesungen dermaßen gestört, dass er sie abbrechen musste. Der akademische Senat bedauerte zwar die „unliebsamen Vorkommnisse in der Universität”, ergriff jedoch nicht für Kessler Partei, sondern beanstandete vielmehr dessen Zeitungsartikel als Auslöser der Übergriffe.101 Der Senatsbeschluss, in dem das politische Engagement Kesslers als Grund für die Auseinandersetzungen benannt wurde, wurde öffentlich gemacht und an das Schwarze Brett gehängt. Die damit einhergehende Aufkündigung universitärer Kollegialität war ein tiefer Eingriff in das Selbstverständnis der Professorenschaft – möchte man meinen. Doch die Zahl derer, die sich dagegen wandte, war klein. Allein der liberale Anglist Levin Ludwig Schücking102, der Mineraloge Karl Hermann Scheumann und eben Frings kritisierten das Vorgehen vor der Fakultät und im Senat.103 Da sie damit keinen Erfolg hatten, forderten sie nochmals im Januar 1933, dass „in Zukunft, wenn sich wieder derartige Disziplinlosigkeiten der Studentenschaft ereignen, [wie] in der Angelegenheit Kessler, durch Rektor und Senat rücksichtslos eingeschritten werden muss.”104 Der Antrag wurde angenommen, selbst wenn dies kaum spürbare Konsequenzen hatte. Dass ein Engagement dieser Art im Zuge der Gleichschaltung nahezu aussichtslos war, legt auch die retrospektive und zugleich konsternierte Äußerung des Historikers Walter Goetz nahe, der 1933 selbst relegiert worden war. Nach ihm war es eine „vollkommen vergebliche Sache“, an der Universität „gegen den Nationalsozialismus aufzutreten, denn ein erheblicher Teil der Dozentenschaft neigte den Ideen dieser radikalen Rechtsparteien zu oder hatte keine Lust, sich gegenüber der sichtbar aufsteigenden neuen

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der sich immer tiefer in einer gläubigen Begegnung unserer eigenen Gegenwart mit den Quellen unseres völkischen Ursprungs erfüllt, gab der Germanenkunde erst die höchste Rechtfertigung und die unlösliche Verbindung mit den lebendigen Kräften der Nation.“ G. Neckel, Kultur der alten Germanen, S. 7 [Hervorhebung; AL]. G. Kessler, Deutschland, erwache! Vgl. Die Ruhe in der Universität Leipzig ist wiederhergestellt. Zu Schücking vgl. ausführlich U. Morgenstern, Bürgergeist und Familientradition. Vgl. hierzu sowie zu Kessler R. Lambrecht, Politische Entlassungen in der NS-Zeit, S. 113– 114. Sitzungsprotokoll vom 25. Januar 1933, in: UAL, Sitzungsprotokolle der Phil. Fak. 1928-1947, Bl. 126.

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Macht die Finger zu verbrennen.“105 Vergeblich? Vielleicht. Doch hätte es dieser Momente von Resistenz weit mehr bedurft – gerade für die entlassenen Kollegen, für die der akademische Ausschluss meist auch privat eine „qualvolle Öde“ bedeutete.106 Einer allmählichen Distanzierung vom Nationalsozialismus begegnet man später und vereinzelt auch bei anderen Germanisten: Albert Leitzmanns Hoffnungen auf einen konservativen Kulturstaat wurden bald enttäuscht; die Eingriffe in die Wissenschaft lehnte er ab, das Schicksal jüdischer Freunde und Kollegen berührte ihn sehr.107 Als er 1935 emeritiert wurde, sprach er daher in seinem Tagebuch von dem „mehr erhebenden als niederdrückenden gefühl des abschlusses der akademischen berufszeit, die bei der offiziellen nichtachtung und vergewaltigung der wissenschaft länger auszudehnen keine freude mehr macht.“108 Den konsequentesten Schritt ging der junge Nordist Reichardt, der 1937 sein Amt niederlegte, weil er den Umgang der Nationalsozialisten und gleichgeschalteten Universitäten mit den jüdischen Kollegen nicht mehr ertrug.109 Doch dies waren Ausnahmen. Die überwiegende Mehrzahl der Germanisten diente dem Nationalsozialismus bis zum Schluss. Vielfältig sind Verstrickung und Zusammenarbeit. Beispielhaft sei der politische Weg des Berliner Sprachhistorikers Arthur Hübner skizziert. Der angesehene Linguist wurde 1927 Nachfolger seines Lehrers Gustav Roethe in Berlin und führte in gewisser Weise auch dessen konservatives Weltbild fort. Bereits während der Novemberrevolution trat er (gerade aus dem Krieg zurückgekehrt) als junger Extraordinarius in Berlin als Gegner der Revolution und deutschnationaler Redner auf.110 Zwischen 1918 und 1923 war Hübner Mitglied der DNVP, seit 1923 in der rechtsintellektuellen Gesellschaft „Deutscher Staat“111. 1933 wurde er zwar nicht Mitglied der NSDAP, engagierte sich jedoch in der von dem NS-Pädagogen Ernst Krieck gegründeten Kulturpolitischen Arbeitsgemeinschaft deutscher Hochschullehrer.112 Später wurde Hübner Hauptlektor im Amt Rosenberg, zuständig für den Bereich „Mittelalterliche Literatur- und Geistesgeschichte“.113

105 W. Goetz, Aus dem Leben, S. 78. 106 So Theodor Litt in Bezug auf die entlassenen Leipziger Kollegen Witkowski und Georg Steindorff. T. Litt, Die Haltung der Hochschulen im Dritten Reich, S. 17, in: IfZ, ZS 1814, 3079 / 62. 107 Vgl. A. Pöthe, Konservatives Kulturideal, S. 855. 108 Tagebucheintrag von Albert Leitzmann vom 31. März 1935, zitiert nach ebd. 109 Vgl. Kap. B II 2.4. 110 Vgl. H. Schneider, Blütezeit, S. 27. 111 Die Gesellschaft „Deutscher Staat“ wurde 1920 von dem Philosophieprofessor Max Wundt gegründet. Sie gehörte zu den prominenten, reichsweit agierenden rechtsintellektuellen Vereinigungen und wirkte eng mit dem Alldeutschen Verband zusammen. Sie gab die viel gelesenen Schriften zur politischen Bildung sowie die Zeitschrift Nationalwirtschaft heraus. Ihren Höhepunkt erlebte die Gesellschaft in den 1920er Jahren; später verlor sie an Bedeutung. Die Gesellschaft war vor allem in Jena aktiv, wo Wundt zwischen 1920 und 1929 lehrte. Vgl. U. Hoßfeld / J. John / R. Stutz, Zum Profilwandel, S. 43 sowie S. 103, Anm. 162. 112 Vgl. W. Höppner, Arthur Hübner. 113 Vgl. W. Höppner, Kontinuität und Diskontinuität in der Berliner Germanistik, S. 261.

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Hübner war also keineswegs nur „Mitläufer“114, sondern engagierter Kämpfer für eine konservative Revolution und für eine Wissenschaft, die sich nicht durch „Wissen“ im Sinne von Webers Objektivitätsbekenntnis, sondern durch „Wertung“ auszeichnet. Ein Schüler Hübners erinnert sich an eine Aussage, die für seinen Lehrer typisch gewesen sei: „Den Gelehrten macht nicht das Wissen, sondern das Urteil. Wissenschaftlich geschult sein, heißt an den Grenzen des geistigen Raumes im Kampf gelegen haben, heißt die geistige Frontlinie kennen, in irgendeinem Abschnitt, heißt die Waffen dieses Ringens selbst einmal gehandhabt haben und seine Möglichkeiten übersehen.“115 Hübner verstand sich als Mitgestalter und Mitkämpfer und bot seine Fähigkeiten auch den Nationalsozialisten an. Zugleich nutzte er die Ressourcen, die ihm durch seine Stellung zur Verfügung standen: In den 1930er Jahren forcierte er die Herausgabe des Grimmschen Wörterbuchs und des Atlas’ der deutschen Volkskunde, beides nationale Prestigeprojekte, für die Hübner umfangreiche Ressourcen mobilisieren konnte. Zudem war er an der akademischen Aufwertung der Volkskunde maßgeblich beteiligt, in dem er in Berlin die Einrichtung eines Lehrstuhls mit Vorbildwirkung fürs Reich durchsetzte, auf den 1936 Adolf Spamer berufen wurde. Im gleichen Jahr wurde Hübner zum Leiter des 1935 gegründeten Sprachpflegeamts ernannt, das vom traditionsreichen, 1933 allerdings gleichgeschalteten Sprachverein gegründet worden war. Diese Stelle versprach ihm ein Mehr an symbolischem Kapital und sollte zugleich durch einen anerkannten Wissenschaftler repräsentabel gemacht werden.116 Verflechtungen mit dem Dritten Reich sind auch für die anderen Germanisten zu konstatieren. Jolles (im Übrigen das einzige Parteimitglied unter den acht Germanisten) kooperierte mit dem SD und dem Amt Rosenberg.117 Petersen wirkte als Festredner, Herausgeber von Dichtung und Volkstum, als Präsident der GoetheGesellschaft oder durch seine Mitarbeit in der Deutschen Akademie in München verschiedenfach an der Schnittstelle von Fachwissenschaft und Kulturpolitik.118 Neckel war bereits vor 1933 weit nach rechts gerückt; er publizierte in völkischrassistischen und nationalsozialistischen Zeitschriften, trat als Redner auf und verlieh „mancher völkischen Schrift […] als Herausgeber, Beiträger oder durch ein Vorwort wissenschaftliche Weihe.“119 Der in seiner Wissenschaft nicht auf institutionelle Kooperation angewiesene Geistesgeschichtler Korff reiste als Gastprofessor in die USA – eine Angelegenheit, die vom Reichserziehungsministerium genehmigt werden musste, mit politischer Begutachtung einherging und mit Auflagen 114 M.-L. Bott, Deutsche Slavistik, S. 277, Anm. 6. 115 A. Bergeler, Arthur Hübner, S. 36. Diese Worte seien bezeichnend für Hübner gewesen und wurden im Rahmen der Trauerfeier anlässlich seines Todes zitiert. Vgl. ebd. 116 Allerdings konnte Hübner aufgrund seines plötzlichen Todes die Position nicht mehr übernehmen. 117 Vgl. Kap. B II 3.2. 118 Exemplarisch für seine Tätigkeit in der Deutschen Akademie in München vgl. L. Jäger, Disziplinen-Erinnerung. Petersen unterstützte nach 1933 jedoch auch eine Reihe jüdischer Kollegen und Schüler. So Richard Alewyn und Richard Samuel, denen er bei der Emigration half, oder Charlotte Jolles, der er kleinere wissenschaftliche Arbeiten finanzierte. Vgl. P. Boden, Der Germanist, S. 23. 119 J. Zernack, Gustav Neckel, S. 123.

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verbunden war. Auch Frings profitierte von den wissenschaftspolitischen Institutionen des Dritten Reichs. Die Stipendien seiner Habilitanden liefen über die gleichgeschaltete Deutsche Forschungsgemeinschaft und das von ihm geleitete Althochdeutsche Wörterbuch wurde durch die stark auf die Propagierung des Deutschen im Ausland ausgerichtete Deutsche Akademie in München finanziert. Die Zusammenarbeit mit kultur- und wissenschaftspolitischen Institutionen war eine wichtige Form der Verflechtung von Germanisten mit dem politischen System. Dabei wurde seriöse Wissenschaft von renommierten Fachvertretern betrieben; vielfach wurden wissenschaftliche Projekte aus der Weimarer Zeit wie die Herausgabe von Zeitschriften, die Arbeit an Wörterbüchern oder Editionen fortgeführt. Dafür wurden (staats­)politische Ressourcen (vor allem materieller und finanzieller Art) genutzt. Die wissenschaftlichen Akteure stellten also ihr Wissen, ihre Reputation sowie ihr internationales Ansehen zur Verfügung – finanziert wurden sie von (kultur-)politischen Institutionen. Dies war eine sensible Konstellation, die spezifischer Kommunikationsstrategien bedurfte, welche von „Engführung“ und „Polyphonie“ bis zum „offenen Mitspielen“ reichten.120 Eine häufig praktizierte Variante, die eigene Loyalität zum System herauszustellen und zugleich nicht an fachwissenschaftlicher Seriosität zu verlieren, waren Bekenntnisse zum Dritten Reich an exponierter Stelle. Beispielhaft sei hierfür Petersens Rede anlässlich der 50-Jahr-Feier der Goethe-Gesellschaft genannt, die er als deren Vorsitzender 1935 hielt. In dieser Rede rekurrierte er auf die gegenwärtige politische Situation und behauptete, dass Goethe „den schwarzen Gesellen [der SS; AL] und den braunen Kameraden, die 120 Jahre später für die innere Befreiung Deutschlands sich zu opfern bereit waren, seinen Gruß nicht versagt“ hätte.121 Dieses Zitat war auf außerfachliche Resonanz angelegt. Sein Ziel war es, eine Traditionslinie von der Goethezeit zur Jetztzeit zu ziehen und die „Gesellen“ und „Kameraden“, die per se wenig mit Kultur und Literatur zu tun hatten, durch den Gruß Goethes zu adeln. Mit dieser Aussage richtete sich Petersen vor allem an die anwesenden kulturpolitischen Funktionäre und bediente Begrifflichkeiten bzw. Semantiken des NS­Systems.122 Der fachwissenschaftliche und wissenschaftlich seriöse Hauptteil seines Vortrages richtete sich dann wieder primär an die Fachkollegen. 120 Die Begriffe gehen auf das Konzept des semantischen Umbaus zurück, das im Wesentlichen von Georg Bollenbeck in Siegen entwickelt wurde. Konkret gemeint sind verschiedene Strategien: die „Strategie der ‚Engführung‘ (Scharnierbegriffe und Geschichten haben einen fachlichen und einen außerfachlichen Sinn); die Strategie der ‚Polyphonie‘ (der Text adressiert verschiedene Segmente des Publikums); die Strategie des punktuellen ‚vornehmen Einverständnisses‘ oder der ‚indirekten Bezugnahme‘ (intertextuelle Anspielungspotentiale setzen den Fachtext zu einem semantischen Feld in Beziehung, das explizit nicht präsent ist); schließlich Strategien des offenen ‚Mitspielens‘ an den Artikulationsformen des Regimes (z. B. das Einstreuen politischer, antisemitischer Bekenntnisvokabeln in ansonsten unauffälligen Fachtexten, die Berufung auf die Klassiker des Marxismus-Leninismus im Vorwort, Titelwahl etc.). Das sind selbstverständlich ‚Idealtypen’, die jeder reale Text vermischt enthalten kann. Aber gerade dieses Mischungsverhältnis ist ein Indikator für den Charakter des semantischen Umbaus, sagt doch die Gewichtung der Strategien im einzelnen Text etwas über dessen ‚Wissenschaftlichkeit‘ und Affinität zum politischen System aus.“ G. Bollenbeck, Das neue Interesse, S. 21–22. 121 J. Petersen, Goetheverehrung, S. 23. 122 Vgl. G. Bollenbeck, Das neue Interesse, S. 16–17.

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Dass es auch Konflikte zwischen den etablierten Professoren einerseits und den aufstrebenden nationalsozialistisch engagierten Germanisten bzw. politischen Institutionen andererseits gab, schließt Verflechtung nicht aus. Die Verdrängungsversuche Kochs gegenüber Petersen habe ich an anderer Stelle beschrieben, ebenso die Auseinandersetzungen um Neckel, die 1935 in dessen Zwangsversetzung nach Göttingen mündeten. Doch, so Julia Zernack treffend, „nur bei oberflächlicher Betrachtung kann man die Versetzung Neckels für politisch motiviert halten“123, also durch grundlegende politische Differenzen bedingt. Gleiches gilt für Petersen: Die Konflikte in Berlin entstanden durch das Aufeinandertreffen traditionsgebundener Beharrungskräfte auf der einen und nach sozialem und akademischem Aufstieg drängenden Kräften auf der anderen Seite. Mit politischem Widerstand hatten sie nichts zu tun, auch wenn das politische Kapital Kochs eine wichtige Rolle spielte. Als weiteres Beispiel sei in diesem Zusammenhang abermals auf Arthur Hübner verwiesen, der 1934 mit dem SS-Untersturmführer Hermann Wirth aneinandergeraten war.124 Inhalt der Auseinandersetzung war die Ura-Linda-Chronik, ein 1872 erstmals veröffentlichtes altfriesisches Werk, dessen Echtheit angezweifelt wurde. 1934 hatte der in der scientific community umstrittene Wirth, der jedoch als Funktionsträger im SS-Ahnenerbe über politisches Kapital verfügte, eine Neuübersetzung vorgelegt. Dass er dieses Buch als „nordische Bibel“ stilisierte, sorgte für Protest unter Fachvertretern wie auch im Amt Rosenberg (das zur SS ohnehin in Konkurrenz stand)125. In einer öffentlichen Anhörung in der Berliner Universität am 4. Mai 1934 diskutierten auf dem Podium eine Reihe angesehener, politisch loyaler Wissenschaftler. Höhepunkt der Debatte war der Beitrag von Hübner, der die Falschheit der Chronik überzeugend darlegen konnte. Das brachte ihm in SSKreisen zwar den Ruf eines „Liberalen“ ein, förderte aber zugleich seine Nähe zum Konkurrenten der SS, dem Amt Rosenberg, wo Hübner bald Hauptlektor wurde. Dass es Hübner bei seiner Kritik an Wirth nicht um die politischen Implikationen der Übersetzung ging, sondern um den wissenschaftlichen Wert der Quelle, zeigt die Aussage von Hübners Schüler Ulrich Pretzel. In dessen Nachruf auf den verehrten Lehrer heißt es: „[…] der Mann, für den es keiner geräuschvollen Gleichschaltung bedurfte, begrüßte mit heißem Herzen jeden neuen Ruck unserer Volkwerdung; aber er hasste die Lüge und die Phrase, und bange Sorge beschlich ihn oft, wenn er das große Werk durch sie gefährdet sah. Er liebte die stille, umso energischere Tat, das männliche Eintreten für die reine Sache. Jener denkwürdige Tag, mit dem die Ura-Linda-Chronik Hermann Wirths dank seinem Eingreifen ihren letzten Tag erlebte, wird wohl in die deutsche Geschichte eingehen – um tapfer zu sein, bedarf es nicht immer der Uniform.“ 126

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J. Zernack, Gustav Neckel, S. 118. Vgl. zu dieser Auseinandersetzung G. Simon, Himmlers Bibel. Vgl. R. Bollmus, Das Amt Rosenberg. U. Pretzel, Arthur Hübner – Worte des Gedenkens. Gesprochen in der Sitzung der Gesellschaft für deutsche Philologie am 5. Mai 1937, zitiert nach ebd. Später verwahrte sich Hübner im Übrigen heftig gegen Wirths Vorwurf, er sei „einer der gehässigsten Gegner der nationalsozialistischen Bewegung und Anhänger der Ära Braun-Severing“ gewesen. Vielmehr habe er, „in Front gegen das System Braun-Severing gestanden“. In einer Vielzahl von Reden habe er seit

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Die Mehrzahl der hier genannten Germanisten begrüßte den Wechsel der politischen Systeme. Sie wollten ihre systemoppositionelle Haltung zur Weimarer Republik aufgeben und stellten sich und ihre Fähigkeiten als Lehrende, Forschende, als Kultur- und Wertevermittler sowie als Repräsentanten in In- und Ausland bereitwillig zur Verfügung. Zugleich beharrten sie aber, sozialisiert im Kaiserreich und Professoren seit der Weimarer Zeit, auf tradierten Standards. Sie forderten die Einhaltung der Spielregeln des wissenschaftlichen Feldes und versuchten, die wissenschaftliche Autonomie aufrecht zu erhalten. Aufgrund des polykratischen Charakters des NS­Systems konnte es beides geben: Die Verflechtung von Wissenschaft und Politik (denn der Staat bot eine Vielzahl von Anlaufstellen zur finanziellen Unterstützung, die von den Wissenschaftlern aktiv genutzt wurden) und Spannungen, war doch die Autonomie der Wissenschaft im Dritten Reich erstmals ernsthaft in Frage gestellt worden. 3 Diese Welt ist meine Welt. Kontinuität nach 1945 127 Anders als 1919 und 1933, als die personellen Kontinuitäten die Normalität gewesen waren, war die personalpolitische Zäsur im Jahr 1945 extrem. Mit Frings und Korff in Leipzig sowie Wesle in Jena waren nur drei der vormalig 15 Professoren nach Wiedereröffnung der Universitäten noch im Amt. Ihre Kollegen waren, wie an anderer Stelle ausführlich dargestellt wurde, entweder aufgrund ihrer Verstrickungen mit dem Dritten Reich entlassen worden, noch in Kriegsgefangenschaft, aus dem Krieg nicht an die Heimatuniversität zurückgekehrt oder verstorben. Der personelle Einschnitt war nicht zuletzt deshalb so drastisch, weil der Elitenwechsel erstmals durch externe Akteure forciert wurde, die „mittels einer großangelegten Säuberung des öffentlichen Dienstes den Weg zu einer umfassenden ‚Demokratisierung‘ der deutschen Gesellschaft“128 vorbereiten wollten. Aus diesem Grund spricht Mitchell G. Ash von den „verordneten Umbrüchen“, die die Wissenschaftspolitik der Nachkriegszeit prägten und die für die tief greifenden personalpolitischen Zäsuren mitverantwortlich waren. Anders als nach 1918 / 19, als ein ernst zu nehmender Elitenaustausch überhaupt nicht in Betracht gezogen wurde, und anders als unter den Nationalsozialisten, die ihre Ausschlusskriterien auf Minderheiten innerhalb der scientific community richteten, zielten die Maßnahmen der Alliierten auf die Mitte der Gesellschaft und des Wissenschaftsbetriebs. Die Entlassungspolitik führte gemeinsam mit anderen Formen der Elitenfluktuation zu erheblichen personellen Verlusten. Dass man diesen Entwicklungen in den vier Besatzungszonen bald pragmatisch begegnete und ehemalige NSDAP-Mitglieder wieder einstellte, ist in der Forschung hinlänglich bekannt.129 Die wiederaufgenommenen Karrieren waren jedoch nicht „mühelos“ und „bruchlos“, sondern mit 1919 immer wieder „seine gegen das Weimarer System gerichtete politische Meinung vertreten“. Vgl. ebd. 127 Der Titel ist orientiert an der Autobiographie von Hilde Spiel. 128 M. G. Ash, Verordnete Umbrüche, Konstruierte Kontinuitäten, S. 906. 129 Vgl. ebd., S. 908.

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intensivem Aufwand, einem strategischen Wissenschaftsmanagement und der Mobilisierung von Netzwerken verbunden. Ash spricht daher von „konstruierten Kontinuitäten“, wenn er Werdegänge beschreibt, die erst wieder in die Bahn kommen mussten und erst im Nachhinein geglättet wurden. Für die Akteure selbst war der positive Ausgang ihrer Bemühungen vielfach nicht absehbar. Vielmehr gingen den letztendlichen Berufungen Phasen starker Verunsicherung voraus. Eine Elitenkontinuität nach 1945 kann also kaum pauschal behauptet werden; die biographischen Brüche (auch in den geglätteten Werdegängen) müssen vielmehr ernst genommen und die Mechanismen der Kontinuitätskonstruktion aufgedeckt werden.130 Im Zentrum stehen im Folgenden jedoch die seltenen Fälle tatsächlicher Kontinuität. Was die drei verbliebenen Germanistikprofessoren einte, waren Alter, Status, Standortbindung und ihre geringe objektive, nachweisbare Verstrickung mit dem NS-System. Korff, Frings und Wesle gehörten (zwischen 1886 und 1890 geboren) einer Generation an; 1945 waren sie Mitte bis Ende 50. Auf ein Ordinariat waren sie in den 1920er Jahren berufen worden, und im Dritten Reich hatten sie sich als renommierte Professoren etabliert. Innerhalb ihrer Universitäten waren sie angesehen: In Leipzig genoss die Germanistik generell ein hohes Ansehen. Wesle war 1942 in Jena zum Dekan der Philosophischen Fakultät gewählt worden, nach dem Krieg wurde er in dieser Position durch Wiederwahl bestätigt.131 Aufgrund von Alter und Funktion waren alle drei Germanisten während des Krieges als „unabkömmlich“ eingestuft worden. Zu ihren Wirkstätten hatten sie eine je enge Bindung. Im Jahr 1945 lehrten Korff und Frings in Leipzig bereits knapp 20 Jahre; Wesle war zwar noch nicht so lange Professor in Jena, doch hatte er dort bereits Jahre zuvor als Assistent gearbeitet. In der NSDAP war keiner von ihnen gewesen. Allerdings waren Frings und Wesle Mitglieder der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), die Basisarbeit betrieb und deren Aufgabe es war, den Zusammenhalt aller Teile der „deutschen Volksgemeinschaft“ zu stärken. Wesle war in der NSV in der Funktion eines Blockwarts und darüber hinaus seit April 1936 im NSLehrerbund. Die insgesamt jedoch geringe organisatorische Einbindung der drei Germanisten in das NS-System sowie ihre Unabkömmlichkeit waren dafür verantwortlich, dass sie 1945 noch vor Ort waren und nicht entlassen wurden. Aus der geringen parteipolitischen Einbindung lässt sich allerdings nicht unmittelbar auf das tatsächliche Verhältnis der Germanisten zum Dritten Reich schließen, das jeweils von Ambivalenzen gekennzeichnet war. So hatte Korff die Nationalsozialisten durchaus euphorisch begrüßt, ließ jedoch kein politisches Engagement folgen. Frings’ wissenschaftliche Arbeiten im Umfeld der Kulturraumforschung waren für die Nationalsozialisten durchaus attraktiv, jedoch stand er einer Vielzahl politischer Maßnahmen der Nationalsozialisten kritisch gegenüber. Wesle hatte zwar die Aufnahme in die NSDAP beantragt, und hinsichtlich des Antisemitismus gab es durchaus Schnittmengen, doch lehnte auch er konkrete Formen der nationalsozialistischen Herrschaftsausübung ab. Diese Ambivalenzen spiegelten sich auch in Stellungnahmen der nationalsozialistischen Akteure. So sei Korff nach einer Bewertung durch den Sicherheitsdienst der SS aus dem Jahr 1938 zwar „einer der re130 Vgl. M. Gärtner, Kontinuität und Wandel, S. 10–14. 131 Vgl. Personalblatt, in: UAJ, Bestand D, PA Wesle, unpag.

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präsentativsten Vertreter reiner Geisteswissenschaft.“132 Allerdings müsse seine Arbeit von den „neuen Forderungen aus energisch abgelehnt werden.“ Andererseits gehöre er zwar „zu der liberalen und humanistischen Geistigkeit“, sei jedoch nie „in politisch-negativem Sinne […] hervorgetreten“. Über Frings hieß es in derselben Bewertung, er sei liberal, katholisch gebunden und stehe dem Nationalsozialismus fern; gleichzeitig seien seine wissenschaftlichen Arbeiten und seine internationale Anerkennung jedoch wissenschafts- und kulturpolitisch durchaus nützlich. Ambivalent fiel auch ein Gutachten des Jenaer Althistorikers Fritz Schachermeyr über Wesle aus: „[Er] gilt als tüchtiger und fleißiger Forscher auch als ein guter Lehrer, allerdings ist er ein Professor mehr alten Stils, d. h. loyaler Untertan des dritten [sic] Reichs mit professoralen Vorbehalten. Er ist eine empfindliche und etwas misstrauische Natur, ohne Schwung, mehr zurückgezogen als kameradschaftlich. In den Fakultätssitzungen war er, wenn es darauf ankam, die völlig antiquierten Fakultätssatzungen zugunsten nationalsozialistischer Belange zu durchbrechen, zumeist auf Seiten der Reaktion. Nicht gewogen ist er auch der H. J.Erziehung [sic], da er auf dem Standpunkt steht, dass nur Männer von entsprechender Reife zu Erziehern befähigt wären. Alles in allem ein Typus, welcher in höherem Alter einen ganz guten Geheimrat abgeben würde, dabei aber von seiner Loyalität gegenüber dem dritten Reich durchaus überzeugt, und der Meinung, allen Ansprüchen der neuen Zeit zu entsprechen.“ 133

Der Krieg und das Kriegsende waren aufgrund individueller Verluste und der generellen Erfahrung von Zerstörung und Leid auch für die drei Ordinarien tief greifende Ereignisse. Als sie von den Entnazifizierungsbehörden in ihren Ämtern bestätigt wurden, entschieden sie sich für ihren aktuellen Standort und bekannten sich zum Wiederaufbau der Universität. Als ihre Hochschulen wieder eröffnet wurden, lasen sie vor voll besetzten Auditorien, versuchten den akademischen Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten und zerstörte Strukturen wieder aufzubauen. Zudem waren Wesle und Frings wissenschaftsorganisatorisch eingebunden – Wesle als Dekan der Philosophischen Fakultät in den schwierigen Jahren von 1945 bis 1947; Frings im Wissenschaftlichen Senat der Universität Leipzig und als designierter Präsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Im Gegensatz zu anderen Kollegen blieben die drei Kontinuitäts-Germanisten an ihrer Universität bis zum Tod. Die jeweilige Standortbindung hing wesentlich mit ihrem fortgeschrittenen Alter und im Fall von Wesle auch mit dessen kritischem Gesundheitszustand zusammen. Doch auch familiäre und arbeitsstrukturelle Gründe sowie ein tiefes Pflicht­ und Verantwortungsbewusstsein gegenüber Universität und Institut waren dafür verantwortlich, dass Korff, Frings und Wesle nach dem Krieg in Leipzig bzw. Jena und somit in der SBZ bzw. DDR blieben – trotz auswärtiger Angebote. 132 Dieses und die folgenden Zitate zu Korff stammen aus: G. Simon, Germanisten-Dossiers, S. 43. 133 Gutachten von F. Schachermeyer, angefordert von der Phillips-Universität in Marburg vom 21. Mai 1936, in: UAJ, Bestand D, PA Wesle, unpag. In einem anderem Gutachten, das von Wesles langjährigem Kollegen Brinkmann stammte, heißt es, Wesle „beherrscht ein lebhafter Widerspruchsgeist und das Bedürfnis, seine Meinung und Geltung eigenwillig zu behaupten. Der eine wird ihn dem Nationalsozialismus nahebringen, der andere am völligen Aufgehen im Nationalsozialismus hindern. Bei einer flüchtigen Begegnung in Weimar (Frühjahr 1933) sprach er davon, dass er sich zur Partei anmelden wolle oder angemeldet habe.“ Gutachten von H. Brinkmann vom 24. Mai 1936, in: Ebd.

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Die Neuverflechtung mit dem politischen System der DDR erfolgte auf unterschiedlichen Wegen und war unterschiedlich intensiv, wie unten am Beispiel von Korff und Frings zu illustrieren ist. Gemeinsam war ihnen und Wesle, dass man in der Nachkriegszeit auf ihr Leistungs- und Organisationswissen angewiesen war und ihnen bei Einhaltung einer Grundloyalität weitgehende Zugeständnisse machte. So baute Wesle, bis er 1950 starb, mit umfangreichen Mitteln die Germanistik in Jena wieder auf. Dabei versuchte er einerseits, überkommene Strukturen in die neue Zeit hinüberzuretten und unterstützte etwa den NS-belasteten Volkskundler Paul Liss,134 was ihm den Ruf eines Reaktionärs einbrachte. Andererseits betonte Wesle resonanzstrategisch einen Neuanfang des Fachs und forcierte (allerdings erfolglos) den Aufbau eines Archivs für expressionistische Literatur innerhalb des Instituts.135 Korff und Frings prägten die Entwicklungen in Leipzig nicht nur länger, sondern auch nachhaltiger. Dabei fällt die nicht nur doppelte, sondern zweifach doppelte Kontinuität ins Auge – der Verbleib von Frings und Korff über 30 Jahre an einer Universität. Solch eine Konstellation ist eine Einmaligkeit in der Fachgeschichte und eine Seltenheit in der Universitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts.136 Die Gründe, Voraussetzungen, Bedingungen und Folgen dieser zweifach doppelten Kontinuität gewinnen vor dem Hintergrund der in diesem Kapitel diskutierten Fragen um personelle Brüche, Elitenwechsel und Elitenkontinuität besondere Relevanz. 4 Doppelte Kontinuität I: „Der letzten Könige einer“. Theodor Frings „Der letzten Könige einer“ – so soll sich Theodor Frings selbst genannt haben, und so lautete auch der Titel eines Nachrufs in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.137 Das Bild findet sich auch in den Erinnerungen anderer Frings­Schüler, in denen es etwa heißt: „Es hatte etwas Majestätisches in seinem Habitus, wenn wir ihn in der Zeit, als wir unser Studium begannen, aus seinem Auto steigen sahen, dessen Türe sein Chauffeur weit öffnete. Und 134 Paul Liss hatte in Jena die Landesstelle für Thüringische Volkskunde sowie das Thüringische Flurnamenarchiv geleitet, die beide direkt aus Mitteln des Weimarer Kulturetats finanziert wurden. Im Jahr 1944 wurde der Studienrat in den Ruhestand versetzt, arbeitete jedoch ehrenamtlich weiter. Nach dem Krieg wurde dem ehemaligen Parteimitglied und Mitglied im NSLB das Ruhegehalt gestrichen. Wesle setzte sich daraufhin in seiner Rolle als Direktor des Germanistischen Instituts und als Dekan für Liss ein und erlangte die institutionelle Anbindung seines Forschungsbereichs an das Germanistische Institut sowie seine Weiterbeschäftigung. Vgl. UAJ, Bestand M, Nr. 752, unpag. 135 Vgl. R. Stolte-Batta, Heinz Stolte, S. 192–194. 136 Für die Germanistik lassen sich die anderen Fälle doppelter Kontinuität (an einer Universität) an einer Hand abzählen. So lehrten etwa Franz Schultz in Frankfurt am Main als Ordinarius für Neuere deutsche Philologie von 1921 bis 1949 oder Leopold Magon zwischen 1928 und 1950 als Professor in Greifswald, bevor er an die Humboldt-Universität wechselte. 137 H. Brackert, Der letzten Könige einer. Der spätere Frankfurter Germanistikprofessor Helmut Brackert hatte in den 1950er Jahren bei Frings studiert.

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Germanistenleben der Eindruck täuschte nicht. Ohne Zweifel war er einer der letzten Vertreter jener großartigen und großgeschauten, manchmal fast überdimensionalen deutschen Germanistik der ersten Jahrhunderthälfte […]“. 138

Was steht hinter diesem Bild? Ein König ist – umgangssprachlich – ein Patriarch, der sich seiner angestammten Stellung bewusst ist und die – bei Todesstrafe – niemand in Frage stellen darf. Ein guter König ist bei aller Strenge auch edel und gerecht. Er kümmert sich um seine Gefolgschaft und ihre Familien; er eröffnet ihnen Wege, die sie ohne ihn kaum hätten gehen können. Der König ist in seiner Machtstellung anerkannt – auch von jenen, die auf einer ähnlichen hierarchischen Stufe stehen. Sein Wort gilt etwas, ihm folgt man aufgrund von Autorität und Integrität, aufgrund von Charisma.139 Des Königs Lebensart ist selbstverständlich aristokratisch. Er residiert in repräsentablen Gemäuern, verfügt über Privilegien, ist wohlhabend und lässt sich – wie Frings zu seinen Seminaren – ein Kissen voran und die Tasche hinterhertragen.140 Und nicht zuletzt gehört zu einem strengen König eine gütige Königin, die die Kinder der Untergebenen zu Weihnachten mit Geschenken bedenkt.141 Vieles von dem, was sich mit der Bezeichnung „König“ verknüpfen lässt, findet sich bei Frings. Indem er von sich als dem „letzten Könige einer“ sprach, gewinnt das Bild an zusätzlicher und situationsgebundener Deutlichkeit. Denn der letzte König ist jener, nach dem es keinen König mehr geben wird.142 Er ist jener, 138 G. Wiemers / E. Lea, Organisator, Forscher und Lehrer. Zum 20. Todestag des Germanisten und Linguisten Theodor Frings. 139 Von Charisma bzw. „großer moralischer Kraft“ sprach auch der Dekan der Leipziger Phil. Fak. Walther Martin in einem Artikel anlässlich Frings’ 75. Geburtstages: „Bekannt ist die Szene aus ‚König Lear‘, wo der wackere Kent verkleidet dem Lear […] seine Dienste anbietet. Befragt, warum er Lear dienen möchte, ob er ihn überhaupt kenne, antwortet er: ‚Nein, aber Ihr habt etwas in Eurem Wesen, das ich gern Herr nennen möchte.‘ Und wiederum befragt, was das denn sei, antwortet er: ‚Hoheit‘. Diese Vokabel wählte der Übersetzer, Graf Baudissin, für das englische ‚authority‘, das sich in der Tat nicht einfach mit dem deutschen Fremdwort ‚Autorität‘ deckt. Gemeint ist eine große moralische Kraft von stärkstem Ausstrahlungsvermögen, die unmittelbar Vertrauen und Bereitschaft, sich unterzuordnen, hervorruft. Und just dies ist die Eigenschaft, die einem aus allen Lebensäußerungen des Gelehrten Theodor Frings entgegenleuchtet. Man mag ihn nur die Freitreppe zur alten Universität hinaufgehen sehen oder ihm zu einer auch noch so kurzen dienstlichen Besprechung gegenübersitzen, man mag es miterleben, wie er eine Sitzung leitet, oder auch nur eine schriftliche Mitteilung in seinem stets eigenwilligen Stil und mit seiner höchst charakteristischen, betont lesbaren Unterschrift erhalten: sogleich, wenn es die erste Begegnung ist, und immer aufs neue, wenn diese Begegnungen sich wiederholen, möchte man ihm wie ein zweiter Kent antworten. Es ist klar, dass man das nicht tut, und auch gar nicht tun kann; denn ein unmutiges Runzeln der Brauen wäre die Folge. Eine Würde, eine Höhe entfernt jede unpassende Vertraulichkeit.“ W. Martin, Professor Dr. Theodor Frings 75 Jahre alt. 140 Vgl. H. Brackert, Der letzten Könige einer. 141 Vgl. Gespräch mit Gotthard Lerchner im Juni 2008 in Leipzig. 142 So konstatierte auch Egon Günther in seinem autobiographischen Roman: „Hofer [gemeint ist Frings; AL] und immer wieder Hofer. Wenn ich eine seiner Vorlesungen versäumen musste, war ich traurig. Er machte neugierig auf Sprache. Er war ein Bourgeois. […] Es könnte sein, so einen wie Hofer gibt’s nicht mehr. Ich glaube wirklich, wenn solche Leute sterben, wird die

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der nicht mehr in die Zeit passt (gerade in die entfeudalisierte DDR). Zugleich bedeutet der Anspruch, der „letzte“ zu sein auch, alle Rechte, Machtansprüche und Einflussmöglichkeiten noch einmal weitreichend auszuschöpfen, die Macht zu nutzen und die Pflicht als verantwortungsvoller Monarch zu erfüllen. Das Bild von Frings als dem letzten Patriarchen in der Germanistik wird interessanterweise von einem zweiten Bild Frings’ flankiert, das des volkstümlichen Rheinländers mit dem Schalk im Nacken: Bewusst spielte Frings aufgrund des gleichen Namens und einer gewissen physiognomischen Ähnlichkeit mit der vermuteten Verwandtschaft zu dem berühmten Kölner Kardinal Joseph Frings.143 Oder er ließ sich von DDR­Obrigkeiten wie Walter Ulbricht hofieren – mit den Worten: „Warum soll ich denn von einer hässlichen Frau keine Blumen annehmen?“144 Beide Bilder strotzen vor Selbstbewusstsein und ihre Kolportierung durch Erinnerungen und Anekdoten bis heute zeigen, dass sich auch die Frings-Schüler diese Bilder (neben individuellen Erinnerungen) zu eigen gemacht haben. Dass es sich bei Frings um eine Ausnahmepersönlichkeit handelt, wird kaum jemand bestreiten. Umso bemerkenswerter ist es, dass bislang eingehende wissenschaftshistorische Untersuchungen zu seiner Person, seinem Wirken und Handeln fehlen. Zwar erscheint Frings wiederholt als wissenschaftspolitischer Großorganisator oder Repräsentant einflussreicher wissenschaftlicher Paradigmen. Jedoch bleibt sein Bild trotz oder vielleicht gerade aufgrund der hinzugezogenen, selbstbewussten Zitate des Germanisten in der Regel holzschnittartig. Mitverantwortlich dafür, dass es bis heute keine Biographie oder ähnliche Abhandlung über Frings gibt, ist die Quellenlage. Denn zum einen lassen sich die Tätigkeitsfelder, Institutionen, Kommissionen und Netzwerke, in denen Frings in den gut 50 Jahren seiner wissenschaftlichen Tätigkeit aktiv war, kaum überblicken. Der Rechercheaufwand, der in unterschiedliche Archive und (Forschungs-)Richtungen führen würde (denn Frings arbeitete interdisziplinär) und der die politischen, respektive die kultur- und wissenschaftspolitischen Prozesse der Weimarer Zeit, des Dritten Reichs und der DDR gleichermaßen in den Blick nehmen müsste, wäre enorm. Neben der Quellenvielfalt über den „offiziellen Frings“ ist zum anderen die Quellenlage, die seine persönliche Entwicklung anbelangt, disparat. Denn von dem einflussreichen Wissenschaftsorganisator ist nur ein Teilnachlass in die Berlin-Brandenburgische Aka-

Welt ärmer, und die Sitten sind ein bisschen mehr in Gefahr, zu verkommen.“ E. Günther, Einmal Karthago und zurück, S. 134 –135. 143 So erinnerte sich Ilse Stohmann, die langjährige Sekretärin von Frings, daran, wie Frings mit einem belgischen Gast zum Abendessen in einem Leipziger Hotel aß und dort von einem Gast am Nachbartisch fixiert wurde. Zuletzt stand der Gast auf, verbeugt sich und sagt: „Eminenz, grüßen Sie den Westen“. Frings darauf: „Gewiss, das werde ich gern tun.“ Der Unbekannte entfernte sich und der belgische Gast fragte: „Aber Prof. Frings, Sie sind doch gar nicht die Eminenz.“ Seine Antwort darauf, so Stohmann: „Warum soll ich ihm die Illusion nehmen?“ Vgl. I. Stohmann an Gustav Fetten (Rector magnificus der Narrenakademie in Dülken) vom 29. Mai 1965, in: UAL, Sammlung Stohmann 3003, unpag. Die Gerüchte um die Verwandtschaft Frings’ mit dem Kölner Kardinal Joseph Frings halten sich bis heute. Vgl. den Artikel zu T. Frings von R. Große im Internationalen Germanistenlexikon [CD-Rom]. 144 Vgl. Gespräch mit Gotthard Lerchner im Juni 2008 in Leipzig.

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demie der Wissenschaften gelangt. Der überwiegende Teil jedoch, der auch große Teile der persönlichen Korrespondenz umfasst, gilt als verschollen.145 Aus Fülle und unbefriedigend Wenigem müsste das Leben eines Mannes rekonstruiert werden, das – gerade aufgrund seiner herausragenden Stellung im Wissenschaftssystem unter wechselnden politischen Bedingungen – natürlich auch von Ambivalenzen und Unklarheiten geprägt gewesen ist. Damit stellt sich die Frage: Wer soll eine solch ambitionierte und zugleich differenzierte Biographie schreiben? Seine Schüler? Dies ist nicht leicht, denn sie sind aufgrund ihrer engen Bindung an den „Meister“ diesem nach wie vor loyal ergeben und hüten sein Andenken mit Anekdoten und hagiographischen Würdigungen bis zum heutigen Tag.146 Die Ost145 Trotz intensiver Recherche konnte das Geheimnis um den Nachlass von Frings im Rahmen dieser Arbeit nicht gelöst werden. Was sich herausfinden ließ, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Frings’ langjähriger Sekretärin Ilse Stohmann. Stohmann war kurz nach der Berufung von Frings 1927 als seine Sekretärin an das Germanistische Institut gekommen und außerdem seit 1935 Verwaltungsleiterin in der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. In dieser Position erlebte sie Frings als Sekretär der philologisch-historischen Klasse und seine Wahl zum Akademiepräsidenten. Nach seiner Emeritierung wechselte sie 1958 hauptamtlich in die SAW. In Institut wie Akademie war Stohmann die rechte Hand von Frings; sie war zuständig für die Verwaltung jeglicher Korrespondenz, für Planung und Organisation seiner Termine, die sich auch auf private Angelegenheiten erstreckten. Das Verhältnis zwischen beiden war von Vertrauen und einer tiefen Ergebenheit und Loyalität Stohmanns gegenüber Frings geprägt. Dies geht aus Briefen hervor, die sich in der sogenannten Sammlung Stohmann im Leipziger Universitätsarchiv befinden. Dabei handelt es sich um eine bislang ungeordnete Sammlung, die erst nach mehrmaligem Insistieren eingesehen werden konnte. Die Sammlung enthält Briefe von und an Stohmann ebenso wie Hefter, die aus dem Nachlass von Frings stammen könnten, bislang jedoch an keiner Stelle vermerkt wurden. In diesen Zeugnissen erscheint Stohmann als akribische, sorgfältige, um das Wohl von Frings und seiner Familie bemühte Frau, die sich damit zugleich in einer spezifischen Schlüsselposition befand. Nach dem Tod von Frings verließ jedoch auch sie die SAW und überließ das Feld und damit auch die Frage um den Nachlass ihrem Nachfolger. Hier verlieren sich die Spuren, jedoch konnten in der Sammlung Stohmann einige Hinweise darauf gefunden werden, wie es nach dem Tod von Frings und dem Ausscheiden von Stohmann aus der SAW mit dem Nachlass weiterging. Frings selbst hatte diese Angelegenheit im Vorfeld nicht testamentarisch geklärt, war jedoch offenbar davon ausgegangen, dass allein die SAW als Nachlassverwalterin in Frage kam. Hier lag die gesamte Korrespondenz; weitere Bestände hatte er zu Lebzeiten dorthin bringen lassen. Stohmann allerdings hielt die räumlichen und archivarischen Bedingungen in der SAW für unzureichend. Sie nahm daher Kontakt zur Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin auf und überließ dieser in zwei Sendungen 1968 und 1969 größere Teile des Germanistennachlasses. Was aus dem Rest geworden ist, bleibt unklar. Es gibt Gerüchte, nach denen Stohmann „kofferweise“ die Papiere und Briefe aus der SAW nach Hause geschleppt und dort verbrannt haben soll. Dies erscheint mir angesichts der Akribie, mit der sie die Bestände zu Frings’ Lebzeiten verwaltet hat, und der tiefen Ergebenheit gegenüber ihm und seiner Familie unwahrscheinlich. Hinweise gibt es auch darauf, dass Stohmann einzelne, möglicherweise heikle Korrespondenzen in die Obhut von Frings-Schülern gegeben hat, wo sie ebenfalls nicht einsehbar sind. Nach all dem Suchen bleibt zuletzt auch die Möglichkeit, dass diese für die Wissenschaftsgeschichte interessanten Bestände kistenweise irgendwo verstauben, weil irgendjemand irgendwann einmal eine Biographie über den Ausnahmegermanisten schreiben wollte, oder weil (aus welchen Gründen auch immer) über Frings nichts unkontrolliert an die Öffentlichkeit gelangen sollte. 146 Vgl. zuletzt den Vortrag von Gotthard Lerchner im Rahmen der Ringvorlesung zur Geschichte der Leipziger Germanistik im Juni 2009 sowie die würdigenden Artikel und Nachrufe von

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und Westforschung? Immerhin hat sie sich intensiv mit der Kulturraumfrage beschäftigt, für die Frings als wichtiger Vorläufer gilt. Doch auch sie hat in ihren umfangreichen Arbeiten auf eine eingehende Beschäftigung mit Frings verzichtet; Bernd-A. Rusinek hat auf das Desiderat verwiesen.147 Eine Möglichkeit, sich mit Frings’ wissenschaftshistorischem Engagement im Dritten Reich außerhalb der Universität zu beschäftigen, hatte Eckard Michels während seiner Recherche über die Deutsche Akademie in München. Dieser gehörte Frings seit 1925 an, und in ihr spielte er seit den 1930er Jahren eine wichtige Rolle. Doch auch Michels vergab die Chance und wies nur auf einer einzigen Seite seiner fundierten und gut recherchierten Arbeit auf den Germanisten hin.148 In der Fachgeschichtsforschung wiederum dominiert nach wie vor der Blick auf die Neugermanistik, weshalb Frings auch in diesen Arbeiten nicht im Zentrum steht. In den wenigen Arbeiten zur Linguistik, Sprachgeschichts- und Dialektforschung spielt Frings zwar eine wichtige Rolle, jedoch sind auch diese Arbeiten (aufgrund ihrer Fragestellungen) weit davon entfernt, das Phänomen Frings umfassend untersuchen zu können.149 Etwas anders verhält es sich mit den Forschungsarbeiten zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik in der DDR, vor allem jenen von Petra Boden. In ihren Aufsätzen spielt Frings immer wieder eine wichtige Rolle, und seine Funktion und Machtposition im Wirkkontext von Universität und Akademie machen die vielschichtigen Prozesse in der Germanistik der Nachkriegszeit deutlich. Doch die Pionierarbeiten von Boden befassen sich mit der Germanistik in der DDR generell, und so erscheint auch hier Frings nur als eine – wenn auch zentrale – Persönlichkeit unter anderen.150 Auch das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es nicht, eine Biographie über Frings zu schreiben, und so konnten weder alle Quellen in ihrer Breite erfasst noch der verschollene Nachlass gehoben werden. Dennoch versucht dieses Kapitel Frings erstmals als Person, Ordinarius und Wissenschaftsorganisator im gesamten Wirkzeitraum (von den 1920er bis in die 1960er Jahre) und in seinem breiten Wirkkontext innerhalb und außerhalb der Universität zu beleuchten. Auf der Grundlage von bekannten sowie bisher unveröffentlichten Quellen geht es darum, ein differenziertes Bild des Germanisten im spannungsreichen 20. Jahrhundert zu zeichnen und – gerade angesichts des Wechselverhältnisses von Wissenschaft und

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Rudolf Große, Gabriele Schieb, Hennig Brinkmann, Johannes Erben oder Helene MaligeKlappenbach. Vgl. B.-A. Rusinek, „Westforschungs“-Traditionen nach 1945, S. 1150. Verantwortlich dafür ist vor allem, dass die Arbeit zur Kulturraumforschung ihren Ausgang in der Regel vom Dritten Reich (und eben nicht von der Weimarer Zeit) nimmt und Frings in dieser Zeit zwar präsent, aber nicht dominant in den entsprechenden Zusammenhängen auftrat. Eine Ausnahme bildet die Arbeit des niederländischen Historikers Hans Derks über die Deutsche Westforschung. Hier thematisiert Derks bisher unterbelichtet gebliebene Aspekte in Biographie und Wirken von Frings und auch ihre politische Bedeutung; seine Wertungen sind allerdings vielfach ausgesprochen polemisch. Vgl. H. Derks, Deutsche Westforschung. Vgl. E. Michels, Deutsche Akademie. Vgl. K.-H. Ehlers, Staatlich geförderte Dialektforschung; C. Knobloch, Volkhafte Sprachforschung; C. M. Hutton, Linguistics, sowie S. Wilking, Der Deutsche Sprachatlas. Vgl. P. Boden, Universitätsgermanistik in der SBZ / DDR, sowie Dies., „Es geht ums Ganze!“, sowie R. Jessen, Akademische Elite.

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Politik – auch die Ambivalenzen und Widersprüche auszuhalten. Dafür sind zunächst der Werdegang von Frings bis zu seiner Berufung nach Leipzig sowie die sich anschließenden Jahre in der Weimarer Republik zu betrachten. Dem schließt sich die Diskussion um Frings’ Rolle während des Dritten Reichs sowie in der Nachkriegszeit und DDR an. Auf konzeptionell-inhaltliche Aspekte seiner Arbeit wird dabei nur am Rande eingegangen; ihnen widmet sich ein späteres Kapitel. Zunächst zu Herkunft, Ausbildung und Karriere des Germanisten: Frings wurde am 23. Juli 1886 als ältestes von vier Kindern geboren. Er stammte aus einer katholischen Handwerkerfamilie, die in der niederrheinischen Kleinstadt Dülken lebte. Der Vater war Buchbinder und verstarb früh, sodass Frings’ Ausbildung nur schrittweise erfolgen konnte. Erst im Alter von 20 Jahren erlangte er die Hochschulreife und begann zu studieren.151 Im Grenzgebiet lebend, entschied er sich für ein Studium der germanischen und romanischen Philologie, und zwar in der nah gelegenen und traditionsreichen Studentenstadt Marburg. Außerdem hörte er ein Semester an der renommierten Leipziger Universität, hier vor allem bei Eduard Sievers, dessen Lehren ihn beeindruckten, aber auch zu Widerspruch anregten.152 Frings mochte die Stadt, und es ist sicher kein Zufall, dass er später dorthin wechselte. Zunächst jedoch prägte ihn weniger der Junggrammatiker Sievers als sein Marburger Lehrer Ferdinand Wrede. Bei ihm promovierte Frings 25-jährig über die Dialektgeographie des Niederrheins, ein sprachgeographisches Thema im unmittelbaren Umfeld des Deutschen Sprachatlas’, den Wrede leitete.153 Spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste Frings, dass die Wissenschaft sein Weg sein würde. Jedoch musste er in den folgenden Jahren zunächst als Lehrer an einer städtischen Realschule in Bonn arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Gleichzeitig blieb er weiter mit dem Wissenschaftssystem verbunden und arbeitete als Assistent am Rheinischen Wörterbuch an der Bonner Universität. Dort habilitierte er sich 1915 ebenfalls über rheinische Mundarten.154 Sein Betreuer war zunächst der Leiter des Wörterbuchs Johannes Franck und nach dessen Tod der Bonner Germanist Rudolf Meißner. Den eingeschlagenen akademischen Weg setzte Frings in den folgenden Jahren fort. Zum Privatdozenten ernannt, lehrte er als Germanist in Bonn, ohne jedoch seine Arbeit als Lehrer und Assistent aufgeben zu können. Doch bereits zwei Jahre später wurde dieser Zustand beendet und Frings erhielt in Bonn ein planmäßiges Extraordinariat für Niederländische und Niederdeutsche Sprache und Literatur. Damit war seine finanzielle Grundversorgung gesichert, und er konnte sich von nun an ausschließlich der wissenschaftlichen Forschung und Lehre widmen. Wiederum zwei Jahre später wurde er in Bonn auf das Ordinariat für Deutsche Philologie berufen. Zu diesem Zeitpunkt war er gerade 33 Jahre alt, für einen Ordinarius bemerkenswert jung. In Bonn lebte er mit seiner Frau Hedwig Schmitz, die er 1915 (im Jahr der Habilitation) geheiratet hatte. Ein Jahr später wurde ihre Tochter Gisela geboren, vier weitere Jahre später der Sohn Dietmar. Am Ersten Weltkrieg nahm 151 152 153 154

Vgl. G. Schieb, Theodor Frings, S. 44. Vgl. T. Frings, Eduard Sievers. Vgl. T. Frings, Studien zur Dialektgeographie des Niederrheins. Vgl. T. Frings, Die rheinische Accenutierung.

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Frings nicht teil. Die genauen Gründe hierfür sind nicht auszumachen, doch wurde er offenbar nur „gemustert, aber nicht eingezogen“155. Diese knapp skizzierten ersten 40 Lebensjahre von Frings fanden in einem relativ engen geographischen Raum statt. Das unterscheidet diesen Lebensabschnitt von dem anderer Akademiker seiner Zeit, etwa dem seines späteren Kollegen Korff, der von seiner Heimatstadt Hamburg zum Studium nach Heidelberg gegangen war, danach in Frankfurt und Gießen lehrte, bevor er nach Leipzig ging. Bei Frings bewirkte die lange Wirk- und Lebenszeit im Rheinland eine lebenslange, enge persönliche Bindung zu der Region. Auch seine wissenschaftlichen Fragestellungen gingen von den sprachlichen Gegebenheiten des Rheinlands und den ihm vertrauten Mundarten aus. Darüber hinaus war das Gebiet traditionell Grenzgebiet und gerade in den 1920er Jahren politisch umstrittenes Territorium. Die unmittelbar mit den Rheinlanden verbundenen persönlichen, fachwissenschaftlichen und politischen Erfahrungen von Frings in der ersten Lebenshälfte waren, wie zu zeigen sein wird, von tiefer Bedeutung auch für seinen weiteren Werdegang. Allein die für das Rheinland typische Bindung an die katholische Kirche löste Frings in diesen Jahren auf – eine unter Akademikern dieser Zeit nicht unübliche Praxis, allerdings für einen rheinischen Katholiken vom Lande keine Selbstverständlichkeit. Trotz des Kirchenaustritts lässt sich bei Frings keine grundsätzliche Distanz zu Religion und Kirche feststellen.156 Öffentlich jedoch vertrat er nie eine dezidiert christliche Position, was das Konfliktpotential vor allem in der säkularen DDR deutlich vermindern half. 1919 in Bonn zum Ordinarius berufen, baute Frings in den folgenden Jahren sein wissenschaftliches Profil aus. Schwerpunkte waren die Beschäftigung mit Sprachgeographie und Kulturraumforschung sowie mit niederländischer Sprache und Literatur. In beiden Feldern erlangte Frings bereits in den Bonner Jahren einiges Ansehen. In der Kulturraumforschung wurde er in den 1920er Jahren Teil sprach- und kulturraumwissenschaftlicher Netzwerke. Zu den Niederlanden bestanden intensive wissenschaftliche Kontakte, sodass Frings 1920 Mitglied der renommierten Maatschappij der Nederlandse Letterkunde in Leiden wurde und als Gastprofessor in Amsterdam lehrte. In den acht Bonner Jahren etablierte sich Frings zur „wissenschaftlich wie organisatorisch gleich grosse[n] Kraft“157, wie die Fakul155 Vgl. Fragebogen der Military Gouvernement of Germany vom 11. Mai 1945, in: UAL, PA 270, Bl. 537, sowie die Angaben von Frings zum öffentlichen Dienst nach Vollendung des 18. Lebensjahrs, in: Ebd., Bl. 423. 156 In den 1930er Jahren war Frings regelmäßig Gast in Schloss Elmau in Oberbayern, das von dem Theologen Johannes Müller zum Ort protestantischer Religionskultur aufgebaut worden war. Vgl. Erklärung von T. Frings über Johannes Müller vom 7. Oktober 1946, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 159, unpag. 157 Dieses Zitat stammt aus einem Schreiben der Phil. Fak. der Universität Marburg, die kurz nach der Berufung Frings’ nach Leipzig ihn als Nachfolger für seinen Lehrer Wrede im Auge hatte. In dem Gutachten hieß es: „Will Preussen sich nicht die Führung nehmen lassen auf diesem jungen philologischen Gebiete, wo sich Sprach- und Geschichtsforschung die Hände reichen und zu früher kaum geahnten Resultaten wahrer Heimatwissenschaft gelangen, so suche es die wissenschaftlich wie organisatorisch gleich grosse Kraft eines Frings zurückzugewinnen“. Schreiben der Phil. Fak. der Universität Marburg an das Preußische Ministerium für

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tät ihm später nachrühmte, wovon nicht zuletzt seine Wahl zum Dekan der Philosophischen Fakultät in Bonn 1926 zeugte. Als nunmehr gestandener Germanist wurde Frings 1927 nach Leipzig berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung 1957 und als kommissarischer Direktor des Instituts für Deutsche und Germanische Philologie bis zu seinem Tod 1968 wirkte. Vielfältig war sein Tun in diesen intensiven Leipziger Jahren, in denen er nicht nur Professor, sondern auch Sekretär und späterer Präsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften sowie Direktor des Instituts für deutsche Sprache und Literatur in der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin war. Neben einer Reihe von maßgeblichen Publikationen zu sprach- und literaturhistorischen Fragen sind vor allem die Fertigstellung des Grimmschen Deutschen Wörterbuchs, die Bearbeitung des Althochdeutschen Wörterbuchs sowie die Herausgabe der traditionsreichen Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur mit seinem Namen verbunden.158 Anerkannt in In- und Ausland, war Frings gern und oft gesehener Gast an unterschiedlichen europäischen Hochschulen, hielt dort Vorträge und erhielt eine Vielzahl akademischer Ehrungen. Hoch dekoriert wurden er und seine Arbeit auch von der Regierung der DDR, die ihm nahezu alle hohen Auszeichnungen verlieh, die es an Wissenschaftler zu vergeben gab.159 Frings starb kurz vor seinem 83. Geburtstag im Symboljahr 1968, in dem sowjetische Panzer in Prag einrollten und die Studentenproteste in der Bundesrepublik ihren Höhepunkt erreichten, als die Leipziger Universitätskirche gesprengt und die III. Hochschulreform eingeleitet wurde. Die lange erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war spätestens mit ’68 vorbei, eine neue Ära begann. Mit der alten Zeit ging auch einer ihrer letzten Repräsentanten, eben einer ihrer letzten Könige. 4. 1 Innovativ, vernetzt und erfolgreich. Frings’ akademischer Aufstieg während der Weimarer Republik Wie angedeutet, fiel für Frings die Zeit der wissenschaftlichen Etablierung in die weltpolitisch brisante Phase nach 1914. Seine Habilitation erschien mitten im Krieg. Als Lehrer, Privatdozent und Professor erlebte er in Bonn die Kriegs- und Nachkriegszeit in unmittelbarer Grenznähe. Auch wenn die „Kontaktfreudigkeit und Weltoffenheit des Grenzbewohners“160 ihm eigen gewesen sein mögen, so waren die Kriegs- und Nachkriegsjahre auch für Frings vor allem von den Erfahrungen im Zuge der Grenzkonflikte, der Besetzung der Rheinlande infolge des Waffenstillstands von Compiègne sowie von Separierungsbestrebungen geprägt. Aus diesem Grund wollte auch er, wie das Gros seiner Wissenschaftskollegen, das deutsche Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 15. August 1929, zitiert nach S. Wilking, Der Deutsche Sprachatlas, S. 30. 158 Die Bearbeitung des Althochdeutschen Wörterbuchs lag seit 1934 in Frings’ Händen. Die Herausgabe des Deutschen Wörterbuchs leitete er gemeinsam mit Hans Neumann zwischen 1949 und 1961 und die Beiträge gab er zwischen 1933 und 1968 heraus. 159 Vgl. R. Große, Theodor Frings. 160 G. Schieb, Theodor Frings, S. 44.

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Territorium – geistig – verteidigen. Denn, so heißt es im Vorwort zur Geschichte des Rheinlandes, zu der auch Frings einen Beitrag leistete,161 „wenn infolge des verlorenen Krieges ganz Deutschland wieder der Tummelplatz fremdländischen Machtstrebens geworden ist“, so ist „die Unversehrtheit des nationalen Territoriums […] hier auf das äußerste gefährdet“162 – und daher zu schützen. Das klar formulierte Ziel der Geschichte der Rheinlande war es, ausländischer Propaganda entgegenzutreten und Kraft aus der Erinnerung an die große deutsche Vergangenheit zu schöpfen. Die Wissenschaft als „schlichte Wahrheit über den ganzen Entwicklungsprozess der Vergangenheit“163 sollte es ermöglichen, dass „die Erinnerung an die rheinische Vergangenheit der heutigen Bevölkerung einen starken Rückhalt bietet, die drückenden Lasten der dunklen Gegenwart zu tragen, sich trotz aller quälender Not unserer Tage mit Zuversicht zu wappnen und am Wiederaufbau des unglücklichen Vaterlandes in hingebender Treue mitzuarbeiten.“ Neben der Gesellschaft für Rheinländische Geschichtswissenschaft, deren Mitglied Frings war und die dieses Werk herausgab, bot auch das Bonner Institut für Landesgeschichte einen institutionellen Rahmen für nationales Engagement. Das Bonner Institut war 1920 von Frings und dem Historiker Hermann Aubin begründet worden.164 Auch das Ziel der hier tätigen Wissenschaftler war es, „deut161 Vgl. T. Frings, Rheinische Sprachgeschichte. Frings war (wie auch die anderen Autoren der Bände) Mitglied in der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, die die Geschichte des Rheinlandes herausgab. 162 J. Hansen, Vorwort, S. V. „Das Bedürfnis nach einer Geschichte der Rheinlande“, so Hansen weiter, ist „neuerdings in der Lage, in die unser Gebiet durch den unglücklichen Ausgang des Weltkrieges versetzt worden ist, in verstärktem Maße hervorgetreten. Die deutsche Westmark, von der wir glaubten, dass die Gefahr fremden Übergriffs auf sie für immer beseitigt sei, erscheint uns heute nicht mehr als sicherer eigener Besitz, sondern als heiß umstrittener Kampfpreis der Fremden. Wenn infolge des verlorenen Krieges ganz Deutschland wieder der Tummelplatz fremdländischen Machtstrebens geworden ist, so muss das von den Armeen unserer Kriegsgegner besetzte Rheinland jetzt den Kelch politischer Demütigung bis zur Neige leeren, und die Unversehrtheit des nationalen Territoriums erscheint hier auf das äußerste gefährdet. Seit dem Jahre 1919 macht sich zudem im Rheinland eine ausländische Propaganda geltend, die den nationalen, den deutschen Charakter der rheinischen Vergangenheit zu trüben sucht. Wichtige Einzelfragen der rheinischen Vergangenheit, die für die Gegenwart und Zukunft von Bedeutung sind, sind während der letzten Jahre auch sonst in der Öffentlichkeit, insbesondere in der rheinischen Presse, des öfteren in einer Weise erörtert worden, die eine ausreichend und zuverlässige Kenntnis dieser Vergangenheit vermissen lässt“. Ebd., S. V–VI. 163 Dieses und folgende Zitate des Absatzes stammen aus: Ebd., S. VI–VII. In ihren Beiträgen verzichteten die Autoren weitgehend darauf, die französische Gegenpropaganda in ihre Argumentation einzubeziehen. Doch waren der Rahmen und damit das Anliegen der Bände durch das Vorwort markiert. Um möglichst viele mit den Bänden zu erreichen, erschienen die Beiträge in „knapper und gemeinverständlicher Form“ und wurden auch in einer billigeren Sonderausgabe gedruckt, damit viele, gerade auch Lehrer und Beamte als Vermittlungsinstanzen, auf sie zugreifen konnten. 164 Von Anfang an interdisziplinär angelegt, gab es innerhalb des Instituts seit seiner Gründung zwei Abteilungen, eine für Geschichte unter der Leitung von Aubin und eine für Mundartenkunde und Volkskunde unter Frings. 1930 wurde das Rheinische Wörterbuch, das seit Anfang der 1920er Jahre an das Institut gebunden war, unter der Leitung von Josef Müller als dritte Abteilung etabliert. Vgl. zur Geschichte des Instituts generell M. Nikolay-Panter, Geschichte und methodischer Ansatz des Bonners Instituts.

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sches Wesen“ und deutsche Kultur eingehend zu erforschen und die Ergebnisse der Bevölkerung zum Aufbau ihres nationalen Selbstbewusstseins zur Verfügung zu stellen. Unter Bezug auf Begriffe wie „Volkstumskampf“ und „Heimatpflege“ formulierte das Institut seinen Anspruch auf Teilhabe am Wiederaufbau der erschütterten und gedemütigten Nation. Denn „was wäre für unsere nationale Stellung wichtiger als ein so orientiertes Institut! Für die Stärkung deutscher Gesinnung wird das Institut sehr, sehr viel tun können. Unsere Zeit greift fast immer nach Mitteln, die schnell, sofort auffällige Früchte tragen sollen, doch wesentlicher ist eine Anstalt, die, wenn schon langsamer, so doch zielsicher und wirkungssicher die Dinge von oben angreift und so in die Masse bringt.“ 165

Die sich in der Aufgaben- und Zielsetzung des Instituts spiegelnden Ideen von Volksgemeinschaft166 und von der Überlegenheit deutscher Kultur, die nach Innen und Außen die Niederlage des Krieges kompensieren helfen sollte, waren nicht nur für Frings und seine Bonner Kollegen Grundlage ihrer Arbeit. Sie erschien in der Weimarer Republik nahezu allen politischen Lagern attraktiv.167 Unter diesen Prämissen war das Institut für Landesgeschichte zunächst ein Ort wissenschaftlicher Grundlagenforschung und interdisziplinärer Vernetzung. Im Sinne einer „überwölbenden Wissenschaft“168 praktizierten Frings, Aubin sowie der Volkskundler Josef Müller moderne, fachübergreifende wissenschaftliche Kooperation, die in dem Band Kulturströmungen und Kulturprovinzen in den Rheinlanden gipfelte und weitreichende Wirkung entfalten konnte. Frings und die von ihm (weiter-)entwickelte Methodik der Sprachgeographie übernahmen in diesem Kontext eine besondere Rolle. Durch die Arbeit mit geographischen Karten konnte er die räumliche Verteilung von sprachlichen Zeugnissen kenntlich machen. Auf dieser Grundlage war es ihm möglich, tief liegende historische Prozesse zu rekonstruieren, galt Sprache doch als jenes Zeugnis deutscher Kultur, das historisch sehr weit zurückreichte, während die Mundarten als wesentliche Spuren dieser Vergangenheit in der Gegenwart ausgemacht wurden.169 Der Reiz dieser Arbeitsweise lag für Frings sowohl in der Aussicht auf die empirischen Ergebnisse als auch darin, dass sich diese auf andere Fächer wie die Geschichtswissenschaft und Volkskunde übertragen ließen. Dies überschnitt sich mit Frings’ Interesse an wissenschaftlicher Netzwerkbildung, denn auf diese Weise konnte Sprachgeographie zur Kulturgeo165 So formulierte Aloys Schulte, Historiker und Mitbegründer des Instituts, 1920 dessen Aufgabe, zitiert nach M. Nikolay-Panter, Geschichte, Methode, Politik, S. 691. 166 Die Aufgabe, die „Heimatliebe zu stärken“, wurde explizit in die Institutssatzung aufgenommen. Vgl. ebd., S. 695. 167 Vgl. R. Jaworski, Zur Kulturträgertheorie, S. 178. 168 In seiner programmatischen Antrittsvorlesung in Leipzig betonte Frings die Interdisziplinarität als Methode der Zukunft: „Von der Sprachgeographie als Ausgangspunkt wird nunmehr die Kulturgeographie als überwölbende neue und selbständige Wissenschaft gefordert und begründet.“ T. Frings, Sprachgeographie und Kulturgeographie, S. 548. 169 So auch Frings: „Die Zeiten sind vorbei, die da glaubten, die Sprachgeschichte einer Landschaft vorwiegend aus seiner landessprachlichen geschriebenen oder gedruckten Überlieferung schöpfen zu können. Die lebenden Mundarten sind der heutigen Forschung sicherster Erkenntnisquell.“ T. Frings, Rheinische Sprachgeschichte, S. 251.

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graphie ausgeweitet und kulturelle Erscheinungen zur Verdeutlichung historischer Prozesse fruchtbar gemacht werden. Über die wissenschaftliche Forschungsarbeit hinaus betrachtete sich das Institut für Landesgeschichte als Vermittlungsinstanz zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit, volkskundlichen Laien sowie Politik. Die Verbindung des Instituts zur bürgerlichen Öffentlichkeit des Rheingebiets wurde durch die Gründung des Vereins für geschichtliche Landeskunde möglich, der sich großer Beliebtheit erfreute und dem Institut reichlich private Spenden einbrachte.170 Vielfältig war der Kontakt des Instituts zu den nichtwissenschaftlichen Volkskundlern der Region, die ihre empirischen Ergebnisse dem Institut als Sammelstelle zur Verfügung stellten. Zum anderen profitierten die Volkskundler von der Vernetzungsstrategie des Instituts, die sich in einer Vielzahl gut besuchter Tagungen, Vorträge und Fortbildungskurse niederschlug, die das Institut durchführte.171 Die enge Kooperation gerade mit den Volkskundlern verinnerlichte Frings und sie prägte auch seine weitere wissenschaftliche Arbeit. Die Kooperation des Instituts mit den politischen Akteuren verlief zunächst über die Finanzierung, die (neben privaten Spenden) im Wesentlichen durch das Preußische Volksbildungsministerium und das Reichsinnenministerium getragen wurde.172 Als Gegenleistung bot das Institut politische Auskunftsdienste für die Provinzialregierung an, war es doch ihr gemeinsames Ziel, den vermeintlich genuin deutschen Charakter der Rheinlande wissenschaftlich zu belegen und politisch zu propagieren.173 Die Frage, ob die Rheinlande originär germanisch oder romanisch seien, war zentraler Bestandteil politischer wie wissenschaftlicher Auseinandersetzungen.174 So hatte auch die Geschichte des Rheinlandes die Funktion, gegen „ausländische Propaganda […], die den nationalen, den deutschen Charakter der rheinischen Vergangenheit zu trüben sucht“175, anzuschreiben.176 Grenzschutz und Heimatpflege waren wichtige Themen im politischen Diskurs jener Zeit und auch die sogenannte Pflege des Grenz­ und Auslanddeutschtums gewann aufgrund der staatlichen Neuordnung Europas an Bedeutung: „Die Gebietsabtretungen des untergegangenen Kaiserreiches und die Auflösung der Habsburger Monarchie machten die Minderheitenfrage […] zu einem deutschen Problem.“177 Dies hatte Auswirkungen auch auf die Wissenschaft. Vor allem die Kulturraumforschung wurde vor diesem Hintergrund zu einem wissenschaftlich 170 Vgl. M. Nikolay-Panter, Geschichte, Methode, Politik, S. 696–697. 171 Auf diese Weise wurde das Institut zum erfolgreichen „Mittler zwischen universitärer und heimatgeschichtlicher Einzelforschung“. Am ersten Fortbildungskurs 1922 nahmen etwa 400 Personen teil. Vgl. ebd., S. 694 –695. 172 Vgl. ebd., S. 694. 173 Vgl. ebd., S. 697. 174 Vgl. K. Pabst, Die „Historikerschlacht“. 175 J. Hansen, Vorwort, S. V. 176 In diesem Kontext sind auch die Äußerungen von Frings zu sehen, der dem belgischen Historiker Henri Pirenne widersprach, welcher die Idee einer „autonome[n] germanische[n] Kulturentwicklung im Durchdringungsbereich von Germania und Romania“ ablehnte. Vgl. W. Oberkrome, Volksgeschichte, S. 68. 177 R. Jaworski, Zur Kulturträgerheorie, S. 176.

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wie politisch anschlussfähigem Paradigma, unter dessen Dach sich Historiker, Geographen, Sprachgeographen und Volkskundler zusammenfanden. In diesem Kontext verortete sich auch Frings. Seine Bedeutung für die Kulturraumforschung und seine Aktivitäten auch über Bonn hinaus werden im Folgenden näher betrachtet. Dies macht es notwendig, Ideen und institutionellen Rahmen der Kulturraumforschung insgesamt zu umreißen. Die Kulturraumforschung gründete sich auf die interdisziplinären und methodischen Impulse des Bonner Instituts für Landesgeschichte um Frings und Aubin sowie auf die Arbeiten der Geographen Wilhelm Volz und Albrecht Penck, von denen das Konzept des deutschen „Volks- und Kulturbodens“ stammte. Nach Penck und Volz hatte das deutsche Volk in Europa auf jedes Gebiet Anspruch, das durch deutsche Siedlungstätigkeit im Mittelalter erobert, erschlossen und grenzpolitisch gesichert worden war. Deutscher „Kulturboden“ sei dort, wo sich im Zuge der Siedlungsbewegung die deutsche Kulturüberlegenheit gezeigt habe.178 „[Mithin sei] Volksboden […] der Boden, den ein Volk einnimmt, der ihm eignet und zukommt, auf dem es erwachsen und mit dem es verwachsen ist. Politisches Schicksal tastet den Volksboden nicht an, solange das Volk, die Volkheit lebendig ist. Erst wenn irgendwo das lebenskräftige Volksbewusstsein zum Absterben gebracht sich selbst aufgibt und in fremdem Volkstum versinkt, dann bröckelt dort auch der Volksboden ab.“ 179

Penck und Volz gründeten 1923 in Leipzig die Mittelstelle für zwischeneuropäische Fragen, die später in Deutsche Mittelstelle für Volks- und Kulturbodenforschung umbenannt wurde und (mit umfangreichen staatlichen Mitteln versehen) 1926 in die Leipziger Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung überführt wurde. Ähnlich dem Bonner Institut sollte auch die Mittelstelle an der Schnittstelle von Politik und Wissenschaft wirken. Tatsächlich konnte sie bis zu ihrer Auflösung 1931 das „informelle Rückgrat der deutschen Revisionspolitik“180 bilden. Anders als das Institut in Bonn war die Leipziger Mittelstelle auf Überregionalität angelegt. Ihr Ziel war eine deutsche „Gelehrteneinheitsfront“181, die „Deutschtumsarbeit“ im weiteren Sinne sowie „Volkstumsschutz in ethnischen Mischgebieten“ leisten sollte.182 Es müssten, so Max Hildebert Boehm, einer der Vordenker der deutschen Revisions- und Bevölkerungspolitik, Maßnahmen ergriffen werden, um die deutschen Minderheiten in den Grenz- und Abtretungsgebieten vor der „Assimilierung“ an das jeweils „fremde“ Volk zu bewahren und ihre Abwanderung in das

178 Vgl. I. Haar, Leipziger Stiftung, S. 375. Nach Alfred Penck liegen „ganz Böhmen, Mähren und Schlesien […] im Bereich des deutschen Kulturbodens […]. Alle Städte tragen rein deutschen Charakter, insbesondere Prag […]. Fast tausendjährige Zugehörigkeit zum Deutschen Reich hat die genannten Länder ganz unter deutschen Kultureinfluss gebracht. Eine eigene tschechische Kulturlandschaft gibt es nicht. Lediglich durch den geringeren Grad von Sauberkeit scheidet sich das tschechische Sprachgebiet vom deutschen.“ A. Penck, Deutscher Volks- und Kulturboden (1925), S. 67, zitiert nach R. Jaworski, Zur Kulturträgertheorie, S. 175. 179 W. Volz, Zur Einführung, S. 5. 180 I. Haar, Leipziger Stiftung, S. 377. 181 Ebd., S. 374. 182 Vgl. ebd., S. 382.

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Deutsche Reich zu verhindern. Denn nur dort, wo deutsche Kultur ist und sich immer wieder aufs Neue bewährt, könne der deutsche Kulturraum erhalten bleiben.183 Das Anliegen der Mittelstelle war es, durch die Kooperation verschiedener Disziplinen und auf breiter Quellengrundlage die räumliche Ausdehnung der Siedlungsgebiete des Mittelalters zu rekonstruieren – unabhängig von den Staatsgrenzen nach 1919 – und so die Revision des Versailler Vertrags legitimieren helfen. Über die geopolitische Stoßrichtung der Mittelstelle herrschte weitgehende Einigkeit unter den Mitgliedern, die sich zu Tagungen trafen und an ehrgeizigen Forschungsprojekten wie dem Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums oder dem Atlas für Volkskunde arbeiteten. Doch auch in dieser Institution gab es Differenzen zwischen klein- und großdeutschen, gemäßigten und radikalen Positionen. Dies führte zu Spannungen, wobei sich zuletzt die rechtsradikale, antisemitisch und großdeutsch denkende Fraktion um Friedrich Metz und Emil Meyen durchsetzen sollte.184 Die Verbindungen zwischen dem Bonner Institut und der Leipziger Mittelstelle bestanden spätestens seit dem Frankfurter Historikertag von 1924, an dem Frings und Aubin teilgenommen hatten. Vor Ort gründeten sie zusammen mit dem Leipziger Historiker Rudolf Kötzschke, dem österreichischen Historiker und Volkskundler Adolf Helbok, dem Germanisten und Kulturamtsleiter in Hermannstadt in Siebenbürgen Richard Csaki und dem Düsseldorfer Historiker und Rheinlandforscher Paul Wentzcke den Ausschuss für Heimat- und Volksforschung.185 Dieser war, wie Herkunft und Tätigkeitsbereiche der Mitglieder zeigen, überregional und interdisziplinär und sollte in die Mittelstelle integriert werden. Durchaus mit Stoßrichtung gegen den Versailler Vertrag war das erklärte Ziel des Ausschusses, „die Heimatund Volksforschung sowohl im geschlossenen Siedlungsgebiet als auch im Streuund Inseldeutschtum planmäßig [zu entfalten], um das historische Kulturgut zu sichern und dem deutschen Volke zum Bewusstsein zu bringen“186 – also Überlegungen zu Deutschtumspflege, Grenzschutz und der Forcierung deutscher Kultur und Sprache bei den Auslandsdeutschen, die dem Aufgabenfeld des Bonner Instituts (im Westen des Deutschen Reichs) ebenso entsprachen wie dem der Leipziger Mittelstelle, die nach Osten operierte. Michael Fahlbusch hat in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung jungkonservativer Kräfte hingewiesen, die nach Erweiterung bzw. Neuformierung des Ausschusses im Rahmen einer Tagung des Deutsche Schutzbunds 1925 in Frankfurt am Main an Einfluss gewannen. Zu ihnen gehörten die Jungkonservativen Max Hildebert Boehm und Friedrich Metz ebenso wie die Volkskundler Otto Lauffer und Viktor Geramb.187 Die Zusammenarbeit „alter“ und „neuer“ Kräfte im Rahmen des Ausschusses zeigt die erfolgreiche Vernetzung der 183 184 185 186

Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 375. A. Helbok, Erinnerungen, S. 68–69. Denkschrift über die Aufnahme des Ausschusses für Heimat- und Kulturbodenforschung in der Mittelstelle für Volks- und Kulturbodenforschung, vorgelegt durch Karl C. von Loesch und Friedrich Heilbron am 4. Januar 1926, zitiert nach M. Fahlbusch, Die Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung, S. 70. 187 Weitere Mitglieder des Ausschusses waren unter anderem Rudolf Csaki, der österreichische Historiker Karl Giannoni, der sudetendeutsche Verleger Franz Kraus, der Danziger Politiker

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Volks- und Kulturbodenforschung mit den Kulturraumhistorikern. Initiiert wurde sie durch das Bonner Institut, finanziell gefördert durch die Leipziger Mittelstelle, die dem Ausschuss jährlich 6.000 RM bewilligte und ihm zusätzlich kleine Tagungen finanzierte, um die weitere Vernetzung zu gewährleisten.188 Weitere Überschneidungen von Frings und der Mittelstelle bzw. späteren Stiftung gab es im Zusammenhang mit dem Atlas für deutsche Volkskunde (AdV), den Frings im Wesentlichen mit auf den Weg gebracht hatte.189 Dieser sollte nicht nur der Wissenschaft dienen, sondern, so der Vorsitzende des Verbandes der deutschen Volkskundevereine John Meier, „dem ganzen Volk“. Durch diese Art von zusammenschauender Forschung werde „das Bewusstsein des engen Zusammenhangs mit der deutschen Kultur bei den Deutschen im Auslande gestärkt und fester begründet“. Die Ergebnisse des AdV könnten so „wesentlich dazu beitragen, dass in dem in seinen verschiedenartigen Stämmen zur Nation geeinten Volk sich trotz dieser Verschiedenheiten ein einheitliches deutsches Volksgefühl entwickelt.“190 Anders als Aubin, Kötzschke oder Helbok trat Frings im Rahmen der Leipziger Mittelstelle kaum aktiv in Erscheinung. Er hielt keine Vorträge auf Tagungen und war über seine Mitgliedschaft hinaus in keiner offiziellen Funktion.191 Doch für seine späteren wissenschaftsorganisatorischen Tätigkeiten waren die Erfahrungen in diesem Kontext grundlegend. Hier lernte er die zentralen Eckpfeiler moderner Großforschung kennen, wie sie bisher vor allem von den Naturwissenschaften im Rahmen der Kaiser-Wilhelm-Institute praktiziert worden waren. Dies waren Überregionalität, Interdisziplinarität, Netzwerkbildung sowie die Abstimmung und Vereinheitlichung der fachwissenschaftlichen Terminologie verschiedener Fächer und Forschungsfelder. Darüber hinaus erlebte Frings hier die resonanzstrategische Ausrichtung der wissenschaftlichen Arbeit auf politische Ziele sowie die daraus resultierende Mobilisierung umfangreicher finanzieller, materieller und personeller Ressourcen. Was Frings im Bonner Institut an Erfahrungen auf regionaler Ebene gemacht und methodisch vorbereitet hatte, ließ sich im Rahmen der „Gelehrteneinheitsfront“ in weit größerem Maße in die Praxis überführen und auch später immer wieder erfolgreich anwenden. Gerade in der Kulturraumforschung hatte sich Frings in den 1920er Jahren innerhalb der scientific community den Ruf einer wissenschaftlichen Kapazität erworben. Er galt gleichermaßen als gediegener Philologe und moderner Geist, dessen Methoden an die Kulturraumforschung ebenso anschlussfähig waren wie an die im

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und Publizist Hermann Rauschning sowie Frings’ Lehrer Ferdinand Wrede. Vgl. ebd., S. 69, Anm. 150. Vgl. ebd., S. 70–71. Anlässlich der Planungen für den AdV, der von der DFG finanziert werden sollte, erschien 1928 ein gesondertes Heft, in dem namhafte Germanisten und Volkskundler die methodischen und inhaltlichen Aufgaben des Projekts umrissen und zugleich seine nationale Bedeutung hervorhoben. Neben Frings, der über Volkskunde und Sprachgeographie schrieb, traten als Wortführer unter anderem Arthur Hübner und Hermann Aubin auf. Vgl. Deutsche Forschung. J. Meier, Vorwort, S. 13. So taucht Frings in den Tagungsdokumentationen weder als Vortragender noch mit einem anderen Redebeitrag auf. Auch hatte er (im Gegensatz zu Aubin und Kötzschke) keine Funktion innerhalb der Stiftung inne. Vgl. Tagungsband.

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Aufschwung begriffene Volkskunde und Mundartenforschung. Offensichtlich wird dies im Zusammenhang mit seiner Berufung nach Leipzig. Die Philosophische Fakultät suchte nämlich nach der Emeritierung von Sievers und dem Zwischenspiel von Friedrich Neumann einen Nachfolger, der das Erbe Sievers’ als fachliche Autorität fortsetzten konnte und gleichzeitig für Innovation stand. Angesichts dieser Erwartungen verwundert der Name Frings auf Platz eins der Kandidatenliste nicht.192 Als erfahrener Lehrer und „geschlossene Persönlichkeit“193, so die Fakultät, traute man ihm zu, die in den 1920er Jahren stark frequentierte Germanistik in Leipzig (an-)leiten zu können. Die „spröde Wissenschaft von der Sprache“ sollte er ebenso anregend vertreten wie die ältere Literatur, auf dass „der Durchschnittsstudent die schon durch die Sprache schwerer zugängliche Literatur der altdeutschen Zeit [nicht] nur flüchtig berührt.“194 Auch in der Forschung erhoffte sich die Fakultät von dem Sprachgeographen und Dialektologen weitreichende Ergebnisse. Dialektforschung war als Teil der Kulturraumforschung in den 1920er Jahren en vogue 195, und in Leipzig gab es mit der Stiftung sowie mit Wilhelm Volz und Rudolf Kötzschke prominente potentielle Kooperationspartner. Die Bedenken des Ministeriums, dass Frings’ Kenntnisse auf die rheinischen Mundarten begrenzt seien, konnte der Dekan Theodor Litt persönlich zerstreuen, der (als ehemaliger Kollege von Frings in Bonn) bestens mit dessen Arbeiten vertraut war. Frings könne, so Litt, „für die sächsische Dialektforschung wesentliches leisten“196, da sich die entwickelten Methoden auch auf die sächsische Sprachlandschaft anwenden ließen. Er gehe einen „eigenen Weg“, bei dem (unabhängig von der Mundart) „Sprachleben und Kulturleben, Sprachgeschichte und Kulturgeschichte aufeinander bezogen“ würden. Außerdem habe der gut vernetzte Frings bereits für die sächsische Heimatpflege und Volkskunde als „wegweisender Führer“ gewirkt. Angesichts der umfassenden Fürsprache der Fakultät nahm das Ministerium bald mit Frings Kontakt auf. Auch Frings selbst war an dem Wechsel interessiert. Er kannte Leipzig aus seiner Studienzeit. Die große Universität mit ihren Wirkmöglichkeiten war für ihn ebenso attraktiv wie die Aussicht auf den renommierten Lehrstuhl, die hervorragenden Arbeits- und Forschungsbedingungen am Institut sowie die bereits vorhandenen kulturhistorischen und volkskundlichen Netzwerke. Auch das Sächsische und das Mitteldeutsche als wissenschaftliches Untersuchungsfeld, bei dem (anders als bei den rheinischen Dialekten) die Siedlungsgeschichte der 192 Auf Platz zwei stand der Königsberger Sprachhistoriker Friedrich Ranke sowie auf Platz drei der Frankfurter Sprachhistoriker und Volkskundler Hans Naumann sowie der ehemalige Leipziger Extraordinarius Julius Schwietering. Vgl. zu den Berufungsdiskussionen UAL, PA 270, Bl. 388–399. 193 Schreiben der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 1. März 1927, in: Ebd., Bl. 394. 194 Ebd. 195 Vgl. K.-H. Ehlers, Staatlich geförderte Dialektforschung, S. 5. Der Aufschwung der Mundarten-Forschung schlug sich auch in der intensiven Förderung von Dialektwörterbüchern durch die DFG nieder. Vgl. ebd. 196 Dieses Zitat, wie die folgenden des Abschnitts, stammen aus einem Schreiben von T. Litt in seiner Funktion als Dekan der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 16. März 1927, in: UAL, PA 270, Bl. 398.

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mittelalterlichen Ostexpansion bedeutsam wurde, reizten ihn. Eine besondere Herausforderung war „der deutsche Osten“ an sich, mithin Leipzig als „Grenzuniversität“ 197. Spätestens seit dem Historikertag von 1924 waren Frings und Aubin mit Fragen der Ostforschung in Berührung gekommen; auch Aubin hatte sich der Ostforschung zugewandt und ging 1929 nach Breslau.198 Darüber hinaus waren die akademischen Bindungen zwischen Bonn und Leipzig traditionell eng und Frings hatte wie dargestellt bereits verschiedenfach Kontakte in Leipzig gepflegt. Was auch immer den Ausschlag gegeben haben mag, jedenfalls gab Frings Ministerium und Universität bald eine Zusage und erhielt den Ruf nach Leipzig zum Sommer 1927. Mit Frau und Kindern bezog er eine große Wohnung in der Montbéstraße (die spätere Kommandant-Trufanow-Straße) im wohlhabenden Stadtteil Gohlis, wo er bis zu seinem Tod leben sollte. In den ersten Leipziger Jahren setzte Frings alles daran, seinem Ruf als Philologe und Modernisierer gleichermaßen gerecht zu werden. Als Lehrer überzeugte er. Seine Überblicksvorlesungen zur deutschen Sprachgeschichte oder zur Literatur des Mittelalters waren ebenso gut besucht und anspruchsvoll wie seine Seminare über das Gudrunlied, die Nibelungensaga oder Gedichte Walthers von der Vogelweide.199 „Seine Hörer und Schüler sind zahllos gewesen“, so eine seiner Schülerinnen, „und jeder ließ sich gern in den Bann seiner Persönlichkeit ziehen […]. Er machte es allerdings niemandem leicht. Seine Vorlesungen entbehrten oft der Rundung und Systematik. Grundwissen konnte man sich woanders aneignen. Dafür aber erlebte man die Dynamik wissenschaftlicher Fragestellungen, den energischen Zugriff auf neue Lösungsversuche, erhielt Einblick in laufende Forschungsprojekte.“ 200

Orientierte sich das Gros seiner Veranstaltungen inhaltlich am traditionellen Lehrkanon der Zeit, so überschritt Frings zugleich immer wieder die Grenzen seines Fachs und hielt Veranstaltungen mit Volkskundlern, Niederlandisten oder Historikern ab.201 Trotz seiner Lehrerfolge war die Zahl der Studierenden, die bei ihm 197 Im Zusammenhang mit der Einrichtung einer Professur für Grenz- und Auslandsdeutschtumskunde schrieb der Dekan: „Für die Universität Leipzig kommt besonders noch hinzu, dass sie Grenzland-Universität ist. Sie hat ihren Ausgang einst von Prag genommen, und es ist uns eine Ehrenpflicht unserer Universität, sich des schwer bedrängten Sudetendeutschtums anzunehmen, überhaupt aber die kulturellen und die wirtschaftlichen Belange des Auslandsdeutschtums zu pflegen, mit besonderer Berücksichtigung ganz Süd­Osteuropas.“ Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL an die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Abteilung der Phil. Fak. der UL vom 12. Oktober 1933, in: UAL, B2 / 12:18, Bl. 96. 198 Vgl. H.-E. Volkmann, Hermann Aubin, sowie E. Mühle, Für Volk und deutschen Osten. 199 Vgl. Vorlesungsverzeichnisse der Universität Leipzig. 200 G. Schieb, Theodor Frings, S. 52. 201 Beispielsweise T. Frings und F. Karg: Fragen zur Volkskunde und Sprachgeographie (Oberseminar / WS 1929 / 30); T. Frings und A. Jolles: Mittelalterliche Tierdichtung mit Lektüre und Erklärung des altflämischen Reinaert (Oberseminar / SS 1930); T. Frings, F. Karg und R. Kötzschke: Übungen zur Kulturgeographie des mitteldeutschen Ostens (Hauptseminar / SS 1931); T. Frings und A. Jolles: Amsterdamer Komödie des 17. Jahrhunderts (Oberseminar / WS 1931 / 32); T. Frings und A. Jolles: Altfriesisch (Oberseminar / WS 1932 / 33). Vgl. Vorlesungsverzeichnisse der Universität Leipzig.

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promoviert wurden, klein – im Vergleich zur Neugermanistik lag das Verhältnis zwischen 1927 und 1933 bei 5 zu 33.202 Dies mag zum einen mit dem Fachgebiet Altgermanistik zusammenhängen, das als Promotionsfach wenig beliebt war. Darüber hinaus galt Frings als strenger Prüfer, der „seine Schüler in härteste Zucht [nahm], um sie auf den Weg zu wissenschaftlicher Prägnanz, zu einem unbestechlichen Urteil und Beschränkung auf das Wesentliche zu führen.“203 Wer den steinigen Weg aber ging, blieb mit Frings oft für viele Jahre verbunden. Denn „waren die Grundbedingungen erfüllt, ließ er den Mitarbeitern seiner Forschungskollektive bei festgelegtem wissenschaftlichem Ziel große individuelle Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit, ja entließ sie bald zu selbständiger Mitarbeit“204. Am Institut übernahm Frings bald die Rolle des Organisators, auch wenn er sich mit Korff in der Leitung abwechselte. Er trieb den Ausbau der Institutsbibliothek voran und erreichte die Einrichtung eines ordentlichen Lehrauftrags für Volkskunde mit einer entsprechenden Abteilung. Die Förderung der Volkskunde war für Frings, wie angedeutet, auch darüber hinaus Bestandteil seiner wissenschaftsorganisatorischen Arbeit. Er gehörte zu den Mitinitiatoren des Atlas’ der deutschen Volkskunde, der 1928 gegründet wurde. Zudem stand er in engem Kontakt zu dem Volkskundler Fritz Karg, der die Leipziger Dependance des Atlas’ leitete und den sächsischen Verband der Volkskunde gegründet hatte, der (ähnlich dem Institut für Landesgeschichte in Bonn) die Leipziger Volkskundler zusammenfasste. Innerhalb der Fakultät war Frings in verschiedenen Kommissionen tätig.205 Eine davon setzte sich für die Einrichtung einer Lehrstelle für Grenz- und Auslanddeutschtum ein. Diese sei, so das Schreiben der Fakultät an das Ministerium, notwendig, da „die Pflege des Gedankens der Einheit der deutschen Kultur eine Pflicht der Selbsterhaltung des deutschen Volkes [sei]. Dazu gehört […] die wissenschaftliche Forschung als Grundlage wie Lehre und Unterricht“206. Die zu berufende Lehrkraft solle interdisziplinär arbeiten, wenn auch zuvörderst Historiker oder Geograph sein. Auf Platz eins nannte die Fakultät Friedrich Metz, der sich 1926 nach Leipzig umhabilitiert hatte und seitdem dort lehrte.207 Der Kulturgeograph Metz galt als Experte für die Landeskunde Südwestdeutschlands und Elsass-Lothringens; in der Leipziger Stiftung für Volks- und Kulturbodenforschung war er maßgeblich für die Herausgabe des Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums verantwortlich. Er galt aber auch als der „eifrigste Verfechter der Überwindung territorialer Zufallsgrenzen“208 und spielte später in den Partei- und

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Vgl. UAL, Promotionsprotokolle der Phil. Fak. 1920–1945. G. Schieb, Theodor Frings, S. 52. Ebd. So war er in einer Kommission, die über die Berufung einer Lehrkraft für die Pflege des deutschen Stils beriet, und in einer anderen, die Regierungsvorschläge über die Vereinheitlichung des Schulwesens in Sachsen diskutierte. Vgl. UAL, Sitzungsprotokolle der Phil. Fak. 1928– 1947. 206 Schreiben der Phil. Fak. der UL an das Sächsische Ministerium für Volksbildung vom 9. Februar 1928, in: UAL, Phil. Fak. B2 / 12:18, Bl. 37– 42, hier Bl. 37. 207 Vgl. ebd., hier Bl. 39– 40. 208 So Emil Meyen über F. Metz, zitiert nach B. Grün, Friedrich Metz, S. 410.

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Regierungsstellen des Dritten Reiche eine wichtige Rolle.209 Frings kannte Metz aus dem Stiftungszusammenhang, gleichwohl wäre es spekulativ, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen seiner Berufung 1927 und dem Antrag der Fakultät wenig später und der Erstplatzierung Metz’ herzustellen. Bemerkenswert ist es allerdings schon, dass es im „deutschen Westen“ ähnliche Lehraufträge bereits seit 1919 gegeben hatte, während der erste entsprechende Antrag in Leipzig erst knapp zehn Jahre später und damit ein Jahr nach der Berufung von Frings gestellt wurde. Auch die Tatsache, dass Frings vier Jahre später, als es erneut um einen Lehrauftrag für Grenz- und Auslanddeutschtum ging (der seinerzeit nicht eingerichtet worden war), zu den engagierten Befürwortern gehörte und ihn „warm begrüssen und seine Schaffung kräftig unterstützen“210 wollte, verweist auf seine Übereinstimmung mit dieser außenpolitischen Stoßrichtung. Offensichtlich sah sich Frings auch nach dem Wechsel nach Leipzig der Volkstumspflege in In­, Aus­ und Grenzland verpflichtet. Dies zeigt sich nicht zuletzt in seiner Forschungsarbeit, die auch im „deutschen Osten“ in enger Fühlung mit der Kulturraumforschung stand und sich in dem 1936 mit dem Historiker Kötzschke herausgegebenen Gemeinschaftswerk Kulturräume und Kulturprovinzen im mitteldeutschen Osten niederschlug. Auch außerhalb der Fakultät versuchte Frings in Leipzig Einfluss auf die wissenschaftlich-akademischen Abläufe zu nehmen. Im Jahr 1930 wurde er Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, der traditionsreichen Leipziger Gelehrtengesellschaft, die ein hohes wissenschaftliches Ansehen vor allem in der Region genoss. Bereits zwei Jahre später wurde er zum Sekretär ihrer philologischhistorischen Klasse gewählt. Auch in dieser Position bewies er ausgeprägtes Organisationstalent und konnte notwendige finanzielle Mittel einwerben.211 In all dem unterschied er sich im Übrigen von seinem Kollegen Korff, der auf seine wissenschaftliche Lehr- und Forschungsarbeit konzentriert war und auch von „nationaler Arbeit“ eine andere Vorstellung hatte. Die Jahre nach der Berufung nach Leipzig waren für Frings eine intensive Zeit. Der wissenschaftliche Einfluss, den er in Universität und Akademie erlangte, übertraf den in Bonn bei weitem. Zugleich eröffnete ihm die Universitätsstadt den Kontakt zu ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten – einige auch mit deutlicher Distanz zu den radikal-völkischen Entwicklungen im Land. So war Frings mit dem Romanisten Walter von Wartburg, der von 1929 bis 1939 in Leipzig lehrte ebenso befreundet wie mit dem bekannten Verlegerpaar Anton und Katharina Kippenberg. Regelmäßig traf er Theodor Litt, den er aus Bonn kannte, anfangs auch die Familie 209 Vgl. B. Grün, Friedrich Metz, S. 409– 415. 210 Weiterhin unterstützten diesen Plan Hans Driesch, Georg Steindorff, Rudolf Kötzschke sowie der Briefschreiber Arthur Golf. Schreiben von A. Golf an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 28. Mai 1932, in: UAL, Phil. Fak. B2 / 12:18, Bl. 58. Der daraufhin eingerichteten Kommission gehörte zunächst Frings, später sein Kollege Karg an. Die Professur kam im Übrigen nicht zustande. Vgl. R. Steiner, Die Auslandsbeziehungen im Dritten Reich, S. 30–31. 211 Nach einem Bericht von Frings, der mit „großer Sorge sehe, dass die Leipziger Akademie allmählich nicht mehr zu arbeiten vermöge“ und „sich nur durch Verwendung alter Restbestände […] i[m] Verkehr halten“ könne, wurden der SAW Zuschüsse im Wert von 1.250 RM gewährt. Vgl. zur Lage der SAW und zur Genehmigung der Zuschüsse die Korrespondenz vom Januar 1933, in: SächsHStA, MfV 10225 / 1, Bl. 71 ff.

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Korff, eine Beziehung, die sich nach der Scheidung Korffs abkühlen sollte. In Fakultät und Akademie fühlte sich Frings mit dem jüdischen Ägyptologen Georg Steindorff verbunden, seinem Vorgänger als Sekretär in der SAW, außerdem mit dem engagierten Pazifisten und DDP­Mitglied Ludwig L. Schücking. Privat und beruflich war Frings Anfang der 1930er Jahre in Leipzig angekommen, und die Stadt war ihm zu einer zweiten Heimat geworden. 4.2 Distanz und Nähe. Frings im Dritten Reich Im Jahr 1933 gehörte Frings zu den wenigen Germanisten, die sich nicht euphorisch hinter die „Bewegung“ stellten. Vielmehr waren ihm das aggressive Auftreten der NS-Studentenschaft, das hohle Agitieren ihrer Anführer und der Aktionismus der selbst ernannten Erneuerer zuwider. Zwar war er preußisch geprägt und national-konservativ gesonnen, und hätte zu gern ein starkes Deutsches Reich in den Grenzen von 1914 wiedergesehen, das geist- und kulturreich auf die Welt ausstrahlte. Doch er war weder Fanatiker noch Antisemit.212 Ihm, der aus einfachen Verhältnissen stammte, galten wissenschaftliche Leistung, Kollegialität und Loyalität mehr als Konfession, politische Gesinnung, Geschlecht, soziale Herkunft oder Rasse. Als Nicht-Kriegsteilnehmer war ihm auch das Uniforme der SA- und Studentenbundsgruppen mindestens suspekt. Einige dieser Aspekte finden sich in einem Brief von Frings an seinen Sohn aus dem Jahr 1937. Der Sohn wollte seit frühester Jugend Offizier werden und hatte sich nun endgültig für diese Laufbahn entschieden. Frings sah dies kritisch, resümierte jedoch – einlenkend – die funktionelle Ähnlichkeit ihrer Berufe: „Von dem Offizier, wie er sein soll, hab ich immer eine hohe Meinung gehabt. Trotz meines geringen Sinnes für das eigentlich Militärische ist die Standesgrundlage und die letzte und höchste Aufgabe dieses Standes mir immer etwas Unantastbares gewesen. Er hat genauso wie der Universitätslehrer die letzten und tiefsten ethischen Grundlagen seines Volkes und seiner Nation zu entwickeln und zu verteidigen.“ 213

Dieses Zitat bildet auch das politische Selbstverständnis von Frings ab. Generell betrachtete er sich als unpolitisch, da er sich für keine Partei engagierte. Allerdings unterscheidet sich diese Vorstellung von „unpolitisch“ von dem, was wir heute unter dem Begriff verstehen. Denn sie schloss eine unbedingte Staatsloyalität ebenso ein wie ein tiefes nationales Pflichtgefühl. Als Universitätsprofessor war Frings Landesbeamter und sah sich als solcher dem jeweiligen politischen System zur

212 Anders als die Einschätzung von Derks nahelegt: „Während des Ersten Weltkrieges schrieb Frings schon im Rahmen der deutschen Flamenpolitik, danach hat er die Nazi-West- und Ostforschung (maßgeblich und oft fanatisch) mitentwickelt, um sich ab 1945 in der DDR für genau dasselbe Programm (maßgeblich und oft fanatisch) einzusetzen.“ H. Derks, Kontinuitäten deutscher Westforschung, S. 75. 213 Brief von T. Frings an Dietmar Frings vom 4. Oktober 1937, in: UAL, Sammlung Stohmann 3003, unpag.

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Loyalität verpflichtet.214 Diese Staatsloyalität stellte er zu keinem Zeitpunkt in Frage; er schwor auf die Weimarer Verfassung, auf Adolf Hitler und auf die DDRVerfassung und er hielt sich jeweils an seinen Eid – eine zentrale Voraussetzung für seinen Verbleib in Leipzig in den drei unterschiedlichen politischen Systemen. Das Bekenntnis zur Nation als Grundlage des sozialen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses zeigte sich im Verlauf dieser Arbeit bereits mehrfach.215 Auch für Frings war der Anspruch, dass seine wissenschaftliche Arbeit der Gemeinschaft, dem Volk, der Nation nützen müsse, eine Selbstverständlichkeit. Dies hatte er im Bonner Institut für Landesgeschichte bewiesen und es zeigte sich in seinem Engagement für die Volkskunde. Anlässlich der Gründung des Atlas der deutschen Volkskunde schrieb er 1928: „Deutsche Gelehrte schufen einen Atlas Africanus, aber bisher keinen Atlas Teutonicus. Ihn unsrer Wissenschaft und unsrem Volke zu schenken, ist eine hohe Pflicht.“216 Staatsloyalität und nationale Gesinnung waren also die beiden Pfeiler des politischen Selbstverständnisses von Frings, das er als „unpolitisch“ deklarierte. Davon leitete er sein Verständnis von Wissenschaft ab, die überparteilich sein müsse und nur erfolgreich sein könne, wenn sie nicht mit tagespolitischem Aktionismus, mit parteipolitischen Zwängen oder politisch motivierten Ausgrenzungsprozessen konfrontiert wird. Ganz im Sinne von Max Webers Werturteilsfreiheit vertrat auch Frings die Idee einer objektiven Wissenschaft, die der Wahrheitssuche verpflichtet sei. Dort, wo Bewertungen und Werturteile geäußert würden, sei es die Pflicht des Akademikers, so Weber, „in jedem Augenblick den Lesern und sich selbst scharf zum Bewusstsein zu bringen, welches die Maßstäbe sind, an denen die Wirklichkeit gemessen und aus denen das Werturteil abgeleitet wird“ und zudem „jederzeit deutlich zu machen, dass und wo der denkende Forscher aufhört und der wollende Mensch anfängt zu sprechen, wo die Argumente sich an den Verstand und wo sie sich an das Gefühl wenden.“217

Auch für Frings galten Politik und Wissenschaft als getrennte Bereiche. Als Ideal hielt Frings an dieser Trennung bis 1945 (und darüber hinaus) fest. Doch durch die Loyalität zum Staat und die nationale Verpflichtung sowie in seiner Rolle als Ordinarius, angesehener Repräsentant des Wissenschaftssystems und Wegbereiter der Kulturraumforschung gab es für Frings in der Wissenschaftspraxis immer wieder 214 Eine solche enge Bindung zwischen Staat und Wissenschaft hatte eine lange Tradition. Die Ordinarien versorgten Politik und Gesellschaft mit loyalen Funktionseliten; der Staat sorgte im Gegenzug für das Funktionieren, die Förderung und Sicherung der Wissenschaft. Diese Wechselbeziehung war im Laufe des 20. Jahrhunderts wiederholt in Frage gestellt worden, etwa wenn Hochschullehrer offen gegen die Weimarer Demokratie polemisierten oder später Professoren die DDR verließen. Vgl. dazu M. Parak, Hochschule und Wissenschaft, S. 54 –62. 215 Etwa bei Witkowski, Herrmann oder Klemperer und zudem in einer Aussage von Litt 1960: „Ich bin auch national! Aber ich muss Ihnen sagen, mein nationales Gefühl veranlasste mich, vom ersten Momente an aber mit Leidenschaft nein zu sagen zur der [nationalsozialistischen; AL] Bewegung.“ T. Litt, Die Haltung der Hochschulen im Dritten Reich, S. 49, in: IfZ, ZS 1814, 3079 / 62. 216 T. Frings, Volkskunde und Sprachgeographie, S. 105 [Hervorhebung; AL]. 217 M. Weber, Die „Objektivität“, S. 156–157 [Hervorhebungen im Original].

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Überschneidungen mit dem politischen Feld. Und so wurde das Ideal der reinen, vorurteils­ und wertfreien, allein der Wahrheitsfindung verpflichteten Wissenschaft während des Dritten Reichs von Frings wiederholt aufgeweicht zugunsten einer Kooperation mit staatlichen Stellen, die an Frings und seinen wissenschaftlichen Ergebnissen interessiert waren. Dass dieses Spannungsverhältnis den wissenschaftlichen Erfolg Frings’ nicht minderte, zeigt sich daran, dass er auch während des Nationalsozialismus erfolgreich als Professor und Wissenschaftsorganisator wirken konnte. Diese Tatsache verallgemeinernd, formuliert Mitchell G. Ash die berechtigte Überlegung, ob nicht gerade good science, also die „bestmögliche Wissenschaft“ dem NS-Regime am besten gedient habe.218 Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn neben Frings’ offensichtlicher Leistungsbereitschaft, die ihn zu einem Teil der NS-Kultur- und Wissenschaftspolitik machte, wehrte er sich wiederholt gegen Grenzüberschreitungen, gegen politische Eingriffe ins Wissenschaftssystem und konnte auf diese Weise auch einen gewissen Eigensinn in seinen Forschungs- und Lehrbereichen behaupten.219 Die Untersuchung der Rolle Frings’ während des Nationalsozialismus kann also nicht in einem Entweder-Oder münden. Vielmehr waren Distanz und Nähe die zwei Seiten der einen Medaille. Zunächst zur Distanz. Die angedeuteten Ambivalenzen im Verhältnis Frings’ zur Politik werden bereits in der zeitgenössischen Wahrnehmung deutlich, etwa in dem bereits wiederholt zitierten Dossier des SD aus dem Jahr 1938. Hans Rößner, von dem die Einschätzungen der Germanisten mit hoher Wahrscheinlichkeit stammen, hatte bei Frings studiert und bewertete ihn wie folgt: Er „gilt als bedeutender Gelehrter auf seinen Fachgebieten, eine eigenwillige Persönlichkeit ohne tiefere Beziehung zum Nationalsozialismus. Er gehört unter den älteren Germanisten zu den führenden und anregenden Köpfen, ist katholisch gebunden und ist seiner Gesamthaltung nach ein nationaler und liberaler Gelehrtentyp. Seine wissenschaftliche Sprachforschung und Kulturraumforschung muss innerhalb der Germanistik als sehr positiv bezeichnet werden.“220

Diese Charakterisierung trifft auf den Punkt: Aufgrund seines wissenschaftlichen Renommees in In- und Ausland, der anregenden Wirkung auf Studierende und den wissenschaftlichen Nachwuchs sowie als Teil der Kulturraumforschung galt Frings den nationalsozialistischen Akteuren für ihre wissenschaftlichen und kulturpolitischen Ambitionen als dienlich. Und so war es sinnvoll, ihn einzubinden. Zugleich wussten sie um seine persönliche Eigenwilligkeit, die katholischen Bindungen (trotz des Austritts aus der katholischen Kirche, den das Dossier ebenfalls vermerkte) und liberalen Prägungen, seine Distanz gegenüber dem Nationalsozialismus. Aufgrund dieser Eigenschaften war Frings kein leichter Verhandlungspartner. Doch die Schnittmengen waren ausreichend, und so kam es im Laufe der Zeit verschiedenfach zu Kooperationen. Doch zunächst zur kritischen Haltung Frings’ gegenüber Entwicklungen in seinem unmittelbaren Umfeld, die ihn zur Distanz zu dem politischen System 218 M. G. Ash, Verordnete Umbrüche, Konstruierte Kontinuitäten, S. 904. 219 Vgl. W. Müller-Seidel, Freiräume, S. 163–164. 220 G. Simon, Germanisten-Dossiers, S. 26.

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veranlassten. Bereits 1932 / 33 machte Frings seine Kritik an den politischen Prozessen (innerhalb der Hochschule) im Zusammenhang mit dem „Fall Kessler“ deutlich. Dieser wurde oben bereits dargestellt und beschäftigte zum Jahreswechsel Universität und Öffentlichkeit in Leipzig. Frings hatte in dieser Situation als einer von wenigen für den attackierten Kollegen Partei ergriffen. Dass sich die Universitätsleitung nicht ebenfalls hinter Kessler gestellt hatte, empfand er als tiefen Bruch mit dem „Wesen der Universität“. Wenig später kritisierte er im Zusammenhang mit einer Kundgebung der NS-Studentenschaft erneut die Zurückhaltung der Hochschulleitung. Dass die Veranstaltung trotz Verbots hatte stattfinden können, zeige nach Frings, dass es „keine Autorität und Disziplin in der Universität“ mehr gebe.221 In beiden Fällen richtete sich Frings gegen die konkrete Praxis von politischen und akademischen Akteuren: das aggressive Vorgehen der Studentenschaft, die aufgekündigte Solidarität gegenüber Kollegen, die lasche Haltung der Universitätsleitung. Dies waren de facto politische statements. Dennoch verblieb Frings stets auf der Ebene des „unpolitischen“ Professors: „Persönlich möchte ich hinzufügen, dass ich jedes politischen Empfindens in dieser Angelegenheit frei bin. Ich bitte das nicht zu missdeuten […]. Es handelt sich für mich nur darum, die Disziplin und die Autorität in der Universität gewahrt zu sehen.“222 Mit solchen Äußerungen markierte Frings in der revolutionären Übergangsphase, in der die meisten Kollegen mit Euphorie auf das Kommende blickten und politische sowie antisemitische Exzesse begrüßten oder zumindest duldeten, eine kritische Position.223 Die Einmischung politischer Akteure in akademische Angelegenheiten lehnte Frings auch in den folgenden Jahren ab und blieb dabei – im Grunde bis zum 221 Die Studenten, so Frings in seinem Bericht, strömten aus der Universität, „in Uniform und zum Teil, wie ich ausdrücklich betonen möchte, in, gegen die Verordnung des Ministeriums, verstoßender vorschriftswidriger Uniform, zum Teil mit der Armbinde.” Sie stellten sich auf, „sehr diszipliniert! sagen wir: Kompanieaufstellung”, hörten bekenntnishafte Reden und sangen Kampflieder. Der Rektor, der Kirchenhistoriker Hans Achelis, griff, obgleich vor Ort, nicht in das Geschehen ein. Niederschrift der Mitteilung von T. Frings in der Fakultätssitzung vom 22. Februar 1933, in: UAL, PA 270, Bl. 403. Frings’ Kritik war grundsätzlich und nicht nur formal wie etwa die Eduard Sprangers, der die „Bewegung der nationalen Studenten noch im Kern für echt, nur in der Form für undiszipliniert hielt“, zitiert nach A. Faust, Professoren für die NSDAP, S. 46– 47, Anm. 28. 222 Niederschrift der Mitteilung von T. Frings in der Fakultätssitzung vom 22. Februar 1933, in: UAL, PA 270, Bl. 403. 223 Offensichtlich gehörte Frings zudem zu einem kritischen Kreis in der Leipziger Professorenschaft, zu dem auch der 1937 zwangsemeritierte Theodor Litt gehörte. So war, nach Litt, „in Leipzig damals zu leben […] für einen Antinazi deshalb sehr angenehm, weil man in der Stadt eine nicht kleine Zahl von geistig führenden Köpfen fand, die unsere Abneigung vollkommen teilten. Wir hatten einen Kreis von vielleicht, ich will einmal sagen, 30, 40 Menschen, die trafen sich einmal im Monat immer im Hotel Sedan am Bahnhof. Da trafen wir uns einmal im Monat. Aber bezeichnend ist dies, dass innerhalb dieses Kreises von ausgesprochenen Antinazis zwar das Verlegertum und die Akademie der Künste und das Konservatorium und das gebildete Bürgertum überhaupt kräftig vertreten waren, – die Universität nur mit ein paar Köpfen. Ein paar, von denen man wusste, dass sie wirklich durchaus nicht mitzumachen gewillt waren.“ Zu diesen gehörte, so Litt, auch Frings. Vgl. T. Litt, Die Haltung der Hochschulen im Dritten Reich, S. 19–20, in: IfZ, ZS 1814, 3079 / 62.

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Ende des Krieges. Von seiner Funktion als Sekretär der philologisch-historischen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften trat er 1937 zurück, als sich die politisch motivierten Eingriffsversuche in das Akademieleben häuften.224 Eine Folge dieser Entscheidung war, dass Frings auch in der Fakultät zunehmend in die Defensive geriet. An den Sitzungen hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem Jahr nicht mehr teilgenommen.225 Sein „alter Freund und Weggenosse“226 Litt wurde im selben Jahr zwangsemeritiert und Frings’ Kollege Reichardt, der gegen die antijüdischen Vorgänge an der Universität opponiert hatte, entschied sich zur Emigration, was nach Frings eine „wesentliche Entleerung des Instituts“227 bedeutete. Deutlich wird die defensive Position, in der sich Frings zu dieser Zeit befand, im Zusammenhang mit einer Kommissionssitzung über die Äußerungen des NSPädagogen Ernst Krieck, der in Volk im Werden die Situation an den Hochschulen als reaktionär und liberalistisch angeprangert und Reformen gefordert hatte: „Es ergeht hiermit“, so Krieck, „der Ruf an die Männer der nationalsozialistischen Wissenschaft […] miteinander in Kampf- und Arbeitsfront zu treten und die Gesamtfront nationalsozialistischer Wissenschaftsleistung endlich sieghaft vor der deutschen und Weltöffentlichkeit herauszustellen.“228 Frings wurde neben anderen um eine Stellungnahme zu diesen Äußerungen gebeten. Sein Brief wies die pauschalen Vorwürfe Kriecks im Wesentlichen zurück229 und auch beim Gros seiner Kollegen stießen die wenig konstruktiven Vorschläge zur Auflösung der Philosophischen 224 Frings’ Rücktritt wird bis heute fälschlicherweise mit dem Austritt des jüdischen Ägyptologen Georg Steindorff aus der SAW in unmittelbare Verbindung gebracht (vgl. R. Große, Theodor Frings). Doch Frings’ Rücktritt erfolgte bereits anderthalb Jahre vor der Exmittierung des Kollegen im Juli 1937, während Steindorff seine Mitgliedschaft in der SAW erst im Dezember 1938 niederlegte. Frings selbst gab später an, dass er sein Amt niederlegte, weil der politische Einfluss auf die Arbeit der SAW zunahm – und so auch der Druck auf die jüdischen Kollegen. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Austritt Steindorffs und dem Rücktritt Frings kann jedoch nicht belegt werden. 225 Vgl. Niederschrift des Dekans der Phil. Fak. der UL zur Fakultätssitzung vom 27. Februar 1937, in: UAL, Phil. Fak. E 03, Bd. 6, Bl. 5. 226 So die Anrede in einem Brief von T. Frings an T. Litt vom Dezember 1952, in: ASAW, Mitgliederakte Ernst Bloch, unpag. 227 Brief von T. Frings an Dietmar Frings vom 4. Oktober 1937, in: UAL, Sammlung Stohmann 3003, unpag. 228 Krieck hatte in seinen Ausführungen das traditionelle Universitätswesen grundlegend kritisiert und Reformen vorgeschlagen. So sollte an jeder Hochschule eine „örtliche Dozentenakademie“ gegründet werden, die den „weltanschaulichen Sinnmittelpunkt“ bilden und die „geistige Gesamtführung“ der Universität übernehmen sollte. Zudem schlug er eine Neuordnung der Fächer vor, die die bestehende Philosophische Fakultät überflüssig machen sollte. Aggressiv wetterte Krieck gegen die „reaktionären“ Kräfte an den Universitäten; die Neuordnung bedeutete den „Kampf gegen die Reaktion jeder Art mit rücksichtsloser Schärfe!“ E. Krieck, Lage und Aufgabe, S. 4 –5. 229 Vor allem empörte Frings der Vorwurf, dass die Wissenschaft bis in die 1920er Jahre wertlos gewesen sei: „Die großen wissenschaftlichen Leistungen der letzten Jahre […] sind alle eingeleitet worden seit der Jahrhundertwende. Sie sind also, wenn Sie wollen, Kinder gerade des verlästerten Zeitalters.“ Schreiben von T. Frings an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 8. März 1937, in: UAL, Phil. Fak. E 03, Bd. 6, Bl. 11–13, hier Bl. 12.

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Fakultäten kaum auf Zustimmung.230 Zugleich verweist Frings’ Brief an den Dekan auf seine damalige Stellung in der Universität, die tatsächlich von Bedeutungs- und Machtverlust gekennzeichnet war und von ihm als Isolation empfunden wurde. In dem Brief hieß es: „Hochverehrter Herr Dekan, Für die Aufforderung zur Teilnahme an einer Beratung über den Aufsatz von Ernst Krieck danke ich Ihnen aufrichtig. Ich nehme es als ein Zeichen des Vertrauens, und so nehmen Sie es bitte auch als ein Zeichen meines Vertrauens zu Ihrer Person, wenn ich Ihnen gegenüber rückhaltlos und offen Stellung nehme. Da muss ich zunächst die Bitte aussprechen, mich aus der Kommission zu entlassen. Nach allem, was ich an Indiskretionen und Diskreditierung […] erlebt habe, ist es mir nicht möglich an den Beratungen teilzunehmen. Ich müsste eine Stellung beziehen, die mich auch weiterhin in den Verdacht des ‚Reaktionärs‘ bringen würde, obgleich ich mir gleich vielen anderen bewusst bin, aus dem Gefühl tiefster Verantwortung gegenüber der geistigen Zukunft und damit der Weltstellung unseres Volkes zu handeln. Ich muss gewärtig sein, dass eine öffentliche Stellungnahme in Kommission und Fakultät bald in weitere Kreise gelangt und das, was ich gesagt habe, wieder als Waffe gegen mich verwandt wird.“ 231

Offenbar fruchtete der Appell Frings’ an Kollegialität und persönliches Vertrauen beim Dekan. Dessen Antwortschreiben war verbindlich und er bat Frings trotz seiner Vorbehalte an der Kommissionssitzung teilzunehmen, nicht zuletzt, um die Position der anderen Professoren gegen Krieck zu stützen. Frings war besänftigt und so fiel auch sein folgender Brief milder aus.232 Er rekurrierte auf die ihnen auferlegte Pflicht, auch unter diesen Umständen weiterzumachen („der Weg, der gegangen werden muss, ist schwer“233). Und er unterschrieb den Brief nicht mehr mit dem offiziellen und Distanz herstellenden „Heil Hitler“, sondern grüßte nun kollegial „in Hochachtung“.234 Die Wiederannäherung war erst möglich geworden, nachdem sich Professor und Dekan explizit ihrer gegenseitigen Kollegialität versi230 Die Mitglieder der Kommission (Karl Bräuer, Ludwig Weickmann, Ernst Boehm, Hermann Heimpel, Paul Ernst Buchner, Heinrich Schmitthenner, Hans Freyer und Wolfgang Otto Wilmanns) lehnten die Pläne weitgehend ab, da sie einer Zersplitterung der Hochschule gleichkämen, die politisch „positiv“ gesonnenen Kräfte von den dezidiert nationalsozialistischen trennen und nicht zuletzt eine Verflachung des akademischen Niveaus bedeuten würden. Schlicht: „ihre Durchführung würde die Hochschule eher auseinanderreissen als gemeinschaftsfördernd wirken.“ Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Kommission betr. Lage und Aufgabe im Gebiet „Hochschule und Wissenschaft“ vom 10. März 1937, in: Ebd., Bl. 19–21. Allein Adolf Helbok, der auf Wunsch der NS-Dozentenschaft hinzugezogen worden war, unterstützte die Vorschläge Kriecks. Vgl. Schriftliche Stellungnahme von A. Helbok [o. D.; März 1937], in: Ebd., Bl. 15–17. 231 Schreiben von T. Frings an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 8. März 1937, in: Ebd., hier Bl. 11. 232 Dies geht aus einem Brief Frings’ an den Dekan hervor, in dem er für den „freundlichen Brief“ dankte und ihm seine weitere Unterstützung in dieser Angelegenheit anbot. Zudem hatte Frings mit dem erfolgreichen, mit dem NS sympathisierenden Historiker Hermann Heimpel in dieser Angelegenheit gesprochen und „gesehen, dass wir in allem Wesentlichen einer Meinung sind.“ Schreiben von T. Frings an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 17. März 1937, in: Ebd., Bl. 26 [Hervorhebung im Original]. 233 Ebd. 234 Ebd.

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chert hatten, die offenbar zu diesem Zeitpunkt keine Selbstverständlichkeit mehr war.235 Frings’ Verlust an Einfluss in der Fakultät war damit natürlich nicht behoben. Vielmehr gab es weiterhin Spannungen. Welche konkreten Konsequenzen diese hatten, ließ sich nicht rekonstruieren. Dass es sie gegeben hat, zeigen jedoch auch die Äußerungen des Historikers Erich Maschke (Leipziger NS-Dozentenbundführer zwischen 1942 und 1945) nach dem Krieg: „Besonders lag mir am Herzen, einigen wissenschaftlich bedeutenden Kollegen, die als Nichtparteigenossen und Nichtnationalsozialisten stärkstem Misstrauen der politischen Stellen ausgesetzt waren, die politische Deckung zu geben, die sie einer unmittelbaren Gefährdung entzog. Es waren das vor allem die Professoren [Georg] Gadamer und [Otto] Vossler, zeitweilig auch Professor Frings.“ 236

Seinen Einflussverlust in der Fakultät kommentierte Frings zudem in einem Brief an seinen Sohn, den zukünftigen Offizier: „Du hast recht: wir [die Gelehrten; AL] stehen auf bedrohtem, wenn auch nicht auf verlorenem Posten. Du hast recht: die Rettung und Erneuerung kann nicht mehr aus dem geistigen Deutschland kommen, sondern nur noch aus der Armee“237. Frings’ Kritik an dem Einfluss der Nationalsozialisten an den Hochschulen richtete sich gegen Rohheit und Hemdsärmeligkeit, gegen die „Phrase und Hohlheit“238 der Äußerungen solch einflussreicher Repräsentanten wie Krieck. Sie richtete sich gegen den politischen Aktionismus von Studentenbund und Dozentenbund, die alte Zöpfe abschneiden wollten, die für Unruhe sorgten, ständig politischen Druck ausübten und zugleich auf wissenschaftlichem Gebiet kaum etwas zu bieten hatten. Doch für ihn war es keine Alternative, sich aus dem Wissenschaftsbetrieb zurückzuziehen oder Deutschland zu verlassen. Pflichtbewusstsein trieb ihn dazu weiterzumachen, wie er auch an seinen Sohn schrieb: „Doch wir müssen stehen, auch da, wo andere verzweifeln.“239 Diese Distanz Frings’ zum Nationalsozialismus resultierte aus einer grundlegend liberalen Haltung des Germanisten. Für seine Rolle als Wissenschaftler war zudem eine tief verinnerlichte Wissenschaftsethik bedeutsam, die sich Kollegialität, Verantwortung und wissenschaftlicher Autonomie verpflichtet sah und in der 235 Dieser Wandel spiegelt sich in einer Äußerung von Frings aus dem Jahr 1933: „Dass mein Schritt [im Zusammenhang mit dem „Fall Kessler“; AL], der mit meiner Auffassung vom Wesen der Universität unablöslich verbunden ist, […] vielfach missdeutet worden ist, gehört zu den peinlichsten Erfahrungen in meinem akademischen Dasein. Dass die Entstellungen durch den Mund von Kollegen gegangen sind und selbst meinen Jungen auf dem Schulhofe erreicht haben, ist ein trauriges Zeugnis für die Niveausenkung – auch in der Universität.“ Schreiben von T. Frings an den Director Actorum [ein mit den Verwaltungsgeschäften betrautes Mitglied der Fakultät] der Phil. Fak. der UL vom 20. März 1933, in: UAL, PA 270, Bl. 420– 421. 236 Bericht von E. Maschke [o. D. (nach 1945)], in: ABBAW, NL Frings, Nr. 549, unpag., S. 2. 237 Brief von T. Frings an Dietmar Frings vom 4. Oktober 1937, in: UAL, Sammlung Stohmann 3003, unpag. 238 Schreiben von T. Frings an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 8. März 1937, in: UAL, Phil. Fak. E 03, Bd. 6, Bl. 11–13, hier Bl. 13. 239 Brief von T. Frings an Dietmar Frings vom 4. Oktober 1937, in: UAL, Sammlung Stohmann 3003, unpag.

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allein wissenschaftliche Leistung die Voraussetzung für Reputation und Einfluss sein durfte: „Führung wächst, sie lässt sich nicht züchten […].“240 Angesichts des wachsenden Einflusses nationalsozialistischer Politik in Universität und Akademie musste es immer wieder Spannungen geben, innerhalb derer Frings, wenn er sich nicht behaupten konnte, die Konsequenzen auf sich nahm und aus Ämtern und Funktionen ausschied. Und die Nähe Frings’ zum nationalsozialistischen System? Wenn ich an dieser Stelle von Verflechtungen spreche, meine ich weniger seinen Namen unter dem Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und den nationalsozialistischen Staat. Das Bekenntnis unterzeichneten zahlreiche deutsche Professoren, wobei das Zustandekommen der Unterschriftenliste bis heute unklar ist.241 Vielmehr geht es mir hier um die unmittelbare Zusammenarbeit von Frings mit letztlich nationalsozialistisch geführten Institutionen, die aus seiner Stellung in der politisch anschlussfähigen Kulturraumforschung, als Repräsentant seines Fachs, aus seinen Überzeugungen von „Volksgemeinschaft“ und der Überlegenheit der deutschen Kultur in Europa und der Welt 242 sowie aus seiner Stellung als loyaler Landesbeamter resultierte. Wie dargestellt hatte Frings in den Weimarer Jahren seine wissenschaftliche Arbeit in den Dienst von Heimatpflege und Volkstumsschutz gestellt. Und diese Art der Verknüpfung von Wissenschaft und Politik setzte er auch im Dritten Reich fort. Anders als die dargestellten Auseinandersetzungen nahelegen, war Frings im Wissenschaftssystem nämlich keineswegs isoliert. Im Gegenteil. Er publizierte und lehrte auch nach 1933 ungehindert. Er pflegte wissenschaftliche Netzwerke in In­ und Ausland, konnte wissenschaftliche Projekte erfolgreich initiieren und notwendige Mittel einwerben. In Berlin stand er 1937 als Nachfolger für den renommierten Arthur Hübner auf Platz eins der Vorschlagsliste der Fakultät.243 In den 1930er und 1940er Jahren wurde er Mitglied in einer Reihe europäischer Akademien, hielt Vorträge in In- und Ausland auch vor kulturpolitischen Vertretern244 und erhielt 240 Denn, so Frings in seiner Stellungnahme über Krieck, wirkliche Erkenntnisse „wachsen zunächst nur in langsamer, einsamer Arbeit. Wenn der wirkliche geistige Führer einen neuen Durchbruch vollzogen hat, setzt sich das von selbst in seiner Umgebung ab.“ Schreiben von T. Frings an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 8. März 1937, in: UAL, Phil. Fak. E 03, Bd. 6, Bl. 11–13, hier Bl. 13. 241 Vgl. J. Grondin, Hans-Georg Gadamer, S. 183–187. Die Annahme Heibers, dass Frings zu den Initiatoren des Bekenntnisses gehört habe, konnte nicht belegt werden und erscheint auch wenig wahrscheinlich. Vgl. H. Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, T. 2, Bd. 1, S. 31–33, sowie generell M. H. Kater, Die nationalsozialistische Machtergreifung, S. 64 –75. 242 Volksgemeinschaft und europäische Kulturarbeit waren keine Erfindungen der Nationalsozialisten, sondern Ideen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die infolge des Ersten Weltkrieges und in der Weimarer Republik radikalisiert wurden und im Dritten Reich in rassistischer Volkstumsideologie und Expansionsbestrebungen aufgingen. Vgl. N. Götz, Volksgemeinschaft. 243 Dabei waren allerdings in der Tat negative politische Gutachten ein Grund dafür, warum die Berufung nicht zustande kam. Vgl. Kap. B I 2.1. 244 So hielt Frings den Festvortrag zum 50-jährigen Bestehen des Deutschen Sprachvereins 1935, der sich neben Forschungen zur Geschichte des Deutschen, der Dialekte und Fachsprachen auch mit der Thematik der „Sprachreinigung“ beschäftigte. Damit wollte der Deutsche Sprach-

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den Ehrendoktortitel der Universität Amsterdam. Von verlorenen zwölf Jahren kann also kaum die Rede sein. Das fortgesetzt erfolgreiche Wirken nach 1933 hing wesentlich mit seinem Status in der Wissenschaftswelt zusammen, damit, dass er zu den wichtigsten Vertretern der Germanistik gehörte. Gleichwohl war sein wissenschaftlicher Erfolg in den Jahren des Dritten Reichs kein Selbstläufer. Auch Frings musste Ressourcen mobilisieren und seine Stellung im wissenschaftlichen Feld legitimieren. Die Ausgangslage dafür war günstig, denn Frings verfügte nicht nur über ein hohes wissenschaftliches Ansehen. Vielmehr wurde seine Arbeit auch von politischer Seite als „sehr positiv“ bewertet, was zur Folge hatte, dass man „den bedeutenden Gelehrten“ einzubinden suchte.245 Diese Einbindung verlief nicht über die nach 1933 gegründeten kulturpolitischen Institutionen wie das Amt Rosenberg oder das SS-Ahnenerbe, sondern über wissenschaftlich anerkannte Einrichtungen der Weimarer Zeit, über die DFG und die Akademien. So war Frings in der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, obwohl als Sekretär zurückgetreten, weiterhin aktives Mitglied.246 In der DFG trat er als Gutachter auf, reichte Anträge zur Finanzierung des Sudetendeutschen Wörterbuches oder des Althochdeutschen Wörterbuchs ein.247 Vor allem die Deutsche Akademie in München (DA) wurde für Frings im Dritten Reich zur wissenschaftsorganisatorischen Anlaufstelle. Von ihr behauptete er nach 1945, dass die Forschungsarbeit „immer rein sachlich“248 gewesen sei, dass ihm ihr Vorsitzender, Gustav Fochler-Hauke, nie Vorschriften gemacht habe, „insbesondere [nicht] wegen der Parteizugehörigkeit seiner Mitarbeiter“. Insgesamt, so die retrospektive Sicht Frings’, könne er keinen „schädigenden Einfluss der Partei“ auf die wissenschaftliche Arbeit der DA erkennen, vielmehr habe die Leitung „Schwierigkeiten, die das Propagandaministerium machte, […] ausgeräumt.“ Entgegen diesen Behauptungen zeigen jüngere Forschungsarbeiten, dass es sich bei der DA keineswegs um eine rein wissenschaftlich agierende Gelehrtenvereinigung handelte, sondern dass die DA von Anfang an kulturpolitische Ziele ver-

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verein einen Beitrag zur „Stärkung des allgemein nationalen Bewußtseins“ leisten. Die Vereinigung bestand bis 1945. Vgl. zum Deutschen Sprachverein während des Nationalsozialismus H. Bernsmeier, Der Deutsche Sprachverein. Vgl. G. Simon, Germanisten-Dossiers, S. 26. Für diesen Hinweis danke ich Saskia Paul / Leipzig. Für den Hinweis, dass Frings verschiedenfach als Gutachter für die DFG arbeitete, danke ich Klaas-Hinrich Ehlers / Berlin. Dass Frings keine größere Rolle in der DFG spielte, hing möglicherweise damit zusammen, dass sein Studienkollege und Konkurrent Walther Mitzka dort die entscheidende Instanz im Bereich germanistische Sprachwissenschaft war. Vgl. S. Wilking, Der Deutsche Sprachatlas, S. 63–122. Wenn Frings allerdings einen Antrag stellte, wurde diesem zügig stattgegeben. Dies war 1935 der Fall, als er gemeinsam mit dem Prager Germanisten Erich Gierach die Förderung des Sudetendeutschen Wörterbuches beantragte, durch das „infolge der innigen Verflechtung des Sudetendeutschtums mit dem reichsdeutschen die starken Bindungen über die Staatsgrenzen hinweg anschaulich“ gemacht werden sollten. Vgl. Antrag von T. Frings und E. Gierach vom 6. Juni 1935, zitiert nach K.-H. Ehlers, Wissenschaft im Volkstumskampf, S. 10. Dieses Zitat und die folgenden dieses Absatzes stammen aus der Erklärung von T. Frings über G. Fochler-Hauke vom 27. Dezember 1946, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 549, unpag.

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folgte, die unter den Nationalsozialisten noch intensiviert und radikalisiert wurden.249 Mit vollständigem Titel hieß die DA Deutsche Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums. Sie wurde 1925 in München als „bewusst völkische Institution“250 gegründet und war ein Kind der Nachkriegszeit.251 Sie machte es sich zur Aufgabe, „alle aufbauenden Erscheinungsformen des deutschen geistigen Lebens zu pflegen und die kulturellen Beziehungen zum Auslandsdeutschtum zu fördern.“252 Von Anfang an verfügte die DA über eine praktische Abteilung der Sprach- und Kulturvermittlung sowie über eine Abteilung „Wissenschaft und Forschung“, die sich in die Sektionen deutsche Geschichte, deutsche Sprache, Literatur und Volkskunde, deutsche Kunst und Musik sowie deutsche Staats- und Wirtschaftskunde untergliederte.253 Namhafte Wissenschaftler waren in den Sektionen vertreten, unter ihnen die Germanisten Petersen, Roethe, Hübner, Korff, Gierach und eben Frings. Er wurde kurz nach Gründung der DA in die wissenschaftliche Sektion für Sprache, Literatur und Volkskunde gewählt, die in regelmäßigen Ausschusssitzungen über Planung, Fortführung und Finanzierung von wissenschaftlichen Projekten beriet. Geschäftsführer der Sektion war bis 1930 der Münchner Germanist Carl von Kraus. Ihm folgte der Prager Germanist Erich Gierach. Nach dessen Tod 1943 übernahm Frings die Leitung der Sektion.254 Bis Ende der 1930er Jahre blieben Bedeutung und Ertrag der wissenschaftlichen Arbeit hinter den Erwartungen der DA zurück. Sie war schlecht organisiert, verfügte über ein unklares Profil und Forschungsanliegen; zudem fehlten finanzielle und materielle Mittel.255 Dies änderte sich erst Ende der 1930er Jahre im Zuge einer klaren Profilbildung des wissenschaftlichen Aufgabenfeldes der DA, in der Sprachforschung und ­pflege eine herausragende Stellung einnehmen sollte. Bevor ich darauf näher eingehe, einige erklärende Ausführungen über Geschichte und Bedeutung der DA während des Dritten Reichs. Seit 1933 hatte es in der DA eine sukzessive Politisierung gegeben, die zunächst durch enge Bindungen ihres Präsidenten, des Geopolitikers Karl Haushofer, zu Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß vorangetrieben wurde. Haushofers Nachfolger wurde 1937 für zwei Jahre der Rektor der Münchner Universität Leopold Kölbel, ein österreichischer Geologe, der seit 1932 Mitglied in der NSDAP war. Nach ihm wurde der bayerische Ministerpräsident Ludwig Siebert Präsident der DA. Er erweiterte ihre Aufgaben und Kompetenzen und forcierte die endgültige Einbindung der DA in die nationalsozialistische Kulturpolitik. Unter Siebert, so resümierte Pro249 Vgl. E. Michels, Deutsche Akademie; M. H. Kater, Das „Ahnenerbe“; L. Jäger, DisziplinenErinnerung. 250 M. H. Kater, Das „Ahnenerbe“, S. 281. 251 Vgl. zur Gründungsphase der DA Anfang der 1920er Jahre E. Michels, Deutsche Akademie, v. a. S. 11–31. 252 So der einleitende Text zur Akte der DA im Bundesarchiv in Berlin, zitiert nach L. Jäger, Disziplinen-Erinnerung, S. 101. 253 Vgl. Mitteilungen der Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums 1 (1925), S. 8. 254 Vgl. E. Michels, Deutsche Akademie, S. 171. 255 Vgl. ebd., S. 101.

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pagandaminister Josef Goebbels dessen Arbeit, wurde die DA mit „neuem Schwung und einer erfrischenden Initiative erfüllt“. Siebert sei es „in der Hauptsache zu verdanken, dass sie […] begann, ihre Ausstrahlungen in breitere Kreise des deutschen Volkes und des Auslandes hineinzusenden. Er hat der Deutschen Akademie […] klare Aufgaben gestellt, und zwar nicht nur solche kultureller, sondern auch politischer, insbesondere außenpolitischer Natur.“256 Als Stellvertreter Sieberts wurde der Münchner Indogermanist Walther Wüst eingesetzt, der zugleich Kurator im SSAhnenerbe war und der auf diese Weise den Einfluss der SS auf die DA und ihre Wissenschaftspolitik sicherstellen sollte. Nach dem plötzlichen Tod von Siebert im November 1942 hielt Wüst bis zum Kriegsende die Fäden der DA in der Hand, da er als Vizepräsident den häufig abwesenden Nachfolger Sieberts, den Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete Arthur Seyß-Inquart, zumeist vertrat. Auf diese Weise waren die wissenschaftspolitischen und strategischen Interessen von DA und SS in einer Hand vereinigt.257 Parallel zu den personellen Veränderungen in der Führungsspitze der DA gab es intensive Diskussionen um Rolle und Status der Akademie in der Kulturarbeit des Dritten Reichs sowie über die Zuständigkeiten von Auswärtigem Amt, Reichspropagandaministerium und dem Amt Rosenberg. Dies führte zuletzt dazu, dass die DA per Führererlass am 15. November 1941 in eine „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ überführt258 und dem Propagandaministerium unterstellt wurde. Damit erhielt „die Arbeit der DA […] die staatliche Sicherung für alle ihre der Pflege der deutschen Sprache im Inlande und ihrer Förderung und Verbreitung im Auslande dienenden Arbeit. Auch die wissenschaftliche Tätigkeit der DA erhielt ihre Bestätigung, indem ihr das Recht, an der Erforschung und Pflege deutschen Kulturgutes in Vergangenheit und Gegenwart mitzuarbeiten, ausdrücklich zuerkannt wurde.“259

„Deutsches Kulturgut“ meinte hier vor allem die deutsche Sprache, weshalb der Fokus der wissenschaftlichen Arbeit der DA auf die Sprachforschung gelegt wurde. Die „Abteilung für deutsche Sprache“ sollte von nun an die einzige der Sektionen sein, die eigenständige Forschungen betrieb. Dies hatte eine immense Aufwertung dieses Forschungsbereichs zur Folge, der sich in einer ausgesprochen hohen finanziellen Bezuschussung niederschlug. So entsprach der Etat der Abteilung Wissenschaft im Rechnungsjahr 1944 dem Gesamtetat (!) der Preußischen Akademie der

256 Ansprache des Reichsministers Joseph Goebbels vom Februar 1944, zitiert nach L. Jäger, Disziplinen-Erinnerung, S. 101–102, Anm. 142. 257 Vgl. L. Jäger, Disziplinen-Erinnerung, S. 103. 258 Maßgeblichen Anteil an diesem Schritt hatte Siebert, der offenbar Hitler persönlich über Rudolf Heß für die DA interessieren konnte. In einem Schreiben Sieberts an Seyß-Inquart vom 23. September 1940 heißt es, die DA stehe „in engster Verbindung mit den einschlägigen Institutionen und Reichsministerien […]. Vor allem erfreut sie sich von jeher der tatkräftigen Unterstützung durch den Stellvertreter des Führers. Auch hatte ich in letzter Zeit Gelegenheit, mit dem Führer selbst grundlegende Fragen, die Deutsche Akademie betreffend, zu besprechen und habe mit Freude feststellen können, dass er an ihrer Entwicklung große Anteilnahme zeigt.“ Schreiben, zitiert nach ebd., S. 102, Anm. 144. 259 W. Kunze, Die Spracharbeit der Deutschen Akademie, S. 135.

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Wissenschaften.260 Die DA wurde in diesen Jahren zur zentralen Einrichtung für alle die deutsche Sprache betreffenden Fragen, wofür auch die Gründung des Sprachamts innerhalb der DA spricht, das vor allem sprachnormierend wirken und die Verbreitung der sogenannten Sprache Goethes im Ausland forcieren sollte.261 Gefördert und bezuschusst vom Auswärtigen Amt und dem Propagandaministerium entwickelte sich die DA während der Kriegsjahre „zur größten auslandskulturellen Zentralorganisation des NS-Staates“262 und zudem zu einem üppig ausgestatteten geisteswissenschaftlichen Forschungszentrum. In diesem Kontext wirkte Frings. Kurz nach Gründung der DA war er in die Sektion für Sprache gewählt worden, und 1934 übernahm er die Leitung des von der DA betreuten und finanzierten Althochdeutschen Wörterbuchs. Die Betreuung des Wörterbuchs übertrug er, wie an anderer Stelle ausgeführt, der langjährigen Leipziger Institutsassistentin Elisabeth Karg-Gasterstädt. Auf diese Weise konnte er ihr nach ihrer Entlassung 1933 nicht nur ein Auskommen sichern, sondern auch den Weg zurück in die Wissenschaft ebnen. Für die weitere Bearbeitung des Wörterbuchs gewann Frings eine Reihe seiner Schüler, die durch DFG­Stipendien finanziert wurden. Die Einstellung von Mitarbeitern hing nach 1933 auch in der DA von arischer Abstammung und politischer Loyalität ab.263 Zwar war Karg-Gasterstädt nicht Mitglied der Partei gewesen, doch die jungen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erfüllten zumeist sowohl die notwendigen rassischen als auch die politischen Kriterien.264 Das Althochdeutsche Wörterbuch war ein Grundlagenwerk; die Ergebnisse genügen noch heute hohen wissenschaftlichen Ansprüchen. Das Althochdeutsche als früheste sprachhistorische Varianz konnte jedoch auch politisch anschlussfähig gemacht werden. So heißt es in einem Bericht aus dem Jahr 1944: „Das in der Gegenwart gesteigerte Verlangen nach Erkenntnis von deutscher Art, deutschem Wesen und ihren Grundlagen verleiht der Forderung [nach einer Beschäftigung mit dem Althochdeutschen; AL] erhöhten Nachdruck, ist doch die Sprache der unmittelbarste Ausfluss völkischen Geistes und ein Zeugnis, das weiter zurückführt als alle sonstigen Quellen.“265

Diese Aussage stammt aus einem Arbeitsbericht von Karg-Gasterstädt, der in dem von der DA herausgegebenen Jahrbuch für deutsche Sprache erschien. Deutlich verweist der Duktus des Berichts der sonst in politischen Fragen zurückhaltenden

260 E. Michels, Deutsche Akademie, S. 1. 261 Das Sprachamt der DA befasste sich mit der Erforschung und Dokumentation der Gegenwartssprache, mit Aspekten der Rechtschreibung, mit neuen Wörtern und der viel diskutierten Frage, ob Antiqua oder Fraktur die geeignete Normschrift des Deutschen sei. Leiter des Sprachamtes wurde der Münchner Lehrbeauftragte Otto Basler. Vgl. ebd., S. 172–176, sowie zur Diskussion um die Rechtschreibung während des Dritten Reichs H. Birken-Bertsch / R. Markner, Rechtschreibreform. 262 E. Michels, Deutsche Akademie, S. 1. 263 Vgl. L. Jäger, Disziplinen-Erinnerung, S. 112. 264 So war Helmut Ibach Mitglied in SA und NSDStB sowie seit 1937 Parteianwärter, auch Ingeborg Schröbler war politisch engagiert. Vgl. unten sowie UAL, PA 4218 bzw. PA 251. 265 E. Karg-Gasterstädt, Das Althochdeutsche Wörterbuch, S. 47.

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Germanistin auf die ideologische Durchdringung der Wissenschaftspraxis in der DA, in der es üblich war, die veröffentlichten Inhalte zuvor zu kontrollieren.266 Die Arbeit am Althochdeutschen war geplant als Beginn einer großangelegten Geschichte der deutschen Sprache. Nach Abschluss sollte ein Frühmittelalterliches Wörterbuch folgen.267 Darüber hinaus betreute die Abteilung seit Anfang 1942 unter der Leitung von Frings weitere wissenschaftliche Projekte, die sich mit historischer und gegenwärtiger Sprachverteilung des Deutschen sowie mit Mundarten im In- und Ausland befassten.268 Mit dem Jahrbuch, in dessen Schriftleitungsausschuss Frings seit 1944 war, und den Mitteilungen gab es Publikationsorgane, in denen Frings oder seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über den Fortgang des Althochdeutschen Wörterbuchs berichteten oder andere Beiträge veröffentlichten.269 Eine weitere Publikationsmöglichkeit war die von Frings und Gierach herausgegebene Reihe Untersuchungen zur Geschichte der deutschen Sprache, in der auch ein umfangreicher Beitrag von Ludwig Erich Schmitt über die obersächsischthüringischen Mundarten erschien. Neben seiner Tätigkeit im wissenschaftlichen und wissenschaftsorganisatorischen Feld hatte Frings auch Anteil am Kulturaustausch der DA. Im Rahmen des Vortragsaustauschdienstes270 reiste er etwa 1936 nach Skandinavien, wo er in Helsingfors, Abo, Stockholm, Gotenburg, Uppsala, Lund und Kopenhagen über Grundfragen der westeuropäischen Sprach- und Kulturgeographie oder über Aufbau und Gliederung der deutschen Sprachgebiete sprach.271 Dieser Kulturaustausch verfolgte auch kulturpolitische Zielstellungen272, denn Sprache und Sprachvermittlung galten als „scheinbar neutrales und unauffällige Mittel der Meinungsbeeinflussung“ und so als „berufene[r] Vorkämpfer für die neue Ordnung des europäischen Großraumes“273, wie der Germanist Walter Kunze, stellvertretender Abteilungsleiter der Wissenschaftlichen Abteilung in der DA, hervorhob. Insgesamt waren die Beziehungen von Frings zur DA vielfältig und konstant, wobei es sich bei der DA eben nicht um eine rein wissenschaftlich agierende Einrichtung handelte, sondern um die „einzige wissenschaftliche Akademie Groß266 Vgl. L. Jäger, Disziplinen-Erinnerung, S. 112. 267 Vgl. E. Michels, Deutsche Akademie, S. 171. 268 Der Abteilung unterstanden eine Forschungsstelle für deutsche Namensforschung, ein Handschriftenarchiv und eine Sammelstelle für historische Wörterbücher. Sie gab die Reihe Das deutsche Wort in fremden Sprachen, ein Sudetendeutsches Mundartenwörterbuch sowie den Süddeutschen Sprachatlas heraus. Vgl. ebd. 269 In dem seit 1944 von der DA herausgegebenen Jahrbuch der deutschen Sprache war Frings zudem im Schriftleitungsausschuss und konnte dort gemeinsam mit Ludwig Erich Schmitt den Aufsatz Der Weg zur deutschen Hochsprache platzieren. 270 Zum Vortragsdienst vgl. Mitteilungen der Deutschen Akademie 4 (1936), S. 574. 271 Vgl. Mitteilungen der Deutschen Akademie 3 (1936), S. 459. 272 In einem Schreiben der Berliner Leitung der Auslandsorganisation der NSDAP vom 14. Februar 1942 an die DA heißt es: „Ich halte es für unbedingt erforderlich, dass wir das jetzt vorhandene Interesse bei gewissen Völkern an der deutschen Sprache, das irgendwie doch konjunkturbedingt ist, auf alle Fälle auszunutzen, um uns für die Zeit nach dem Sieg der Waffen recht günstige Ausgangspositionen in dem sicher lang anhaltenden Kampf der Geister zu schaffen.“ Schreiben zitiert nach L. Jäger, Disziplinen-Erinnerung, S. 104. 273 W. Kunze, Die Spracharbeit der Deutschen Akademie, S. 142.

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deutschlands“, die „ihren unmittelbaren Auftrag vom Führer selbst“ erhalten hatte, wie Wüst einmal konstatierte. Gerade sie könne, so Wüst weiter, „in ihrer auf die deutsche Sprache und deutsche Kultur gerichteten Wirksamkeit“ wie kaum eine andere wissenschaftliche Institution „sinnbildend“ und „kraftschöpfend“ wirken.274 Die nachträgliche Einschätzung Frings’, dass „bis zuletzt kein Versuch gemacht worden [sei], in die rein wissenschaftliche Arbeit [der DA; AL] einzugreifen“275, ist vor diesem Hintergrund problematisch. Denn es gab durch die politischen Vorgaben bei der Mitarbeiterauswahl, bei der (kultur-)politisch motivierten Auswahl der Forschungsthemen sowie durch die Kontrolle von Veröffentlichungen durchaus Eingriffsversuche und tatsächliche Eingriffe. Selbst wenn der direkte Wirkkontext von Frings davon nicht oder wenig betroffen war, war dieser dennoch Bestandteil einer Einrichtung mit klarer kulturpolitischer Zielstellung und unmittelbarer Anbindung an politische Institutionen. Freiräume im Kleinen hatten immer ihren politischen Preis, so auch Ludwig Jäger mit größerer Perspektive: „Ein wenn auch begrenzter disziplinärer Handlungsspielraum gegenüber kultur- und wissenschaftspolitischen NS-Dienststellen setzte […] in der Regel die Rückendeckung durch mindestens eine dieser Institutionen und die Beachtung ihrer politischen Maßgaben voraus.“276 Auch unabhängig von der DA gab es im akademischen Wirken von Frings während des Dritten Reichs Überschneidungen zwischen Wissenschaft und Politik, vor allem hinsichtlich seiner Auslandsarbeit.277 Vor allem in die Niederlande hatte Frings intensive Kontakte. Während eines längeren Aufenthalts in Groningen 1936 unterstützte er den dortigen Germanistikprofessor Johannes M. N. Kapteyn beim Aufbau einer Abteilung für Kulturmorphologie der Friesischen und Sächsischen Landschaften in den Niederlanden. Dies war zunächst eine fachliche Kooperation zwischen Germanisten, die sich seit Jahren kannten.278 Gleichzeitig hatte diese Zusammenarbeit eine kulturpolitische Dimension, denn Kapteyn gehörte zu den dezidiert deutschfreundlichen Kräften in Holland, dem es nicht nur um enge Fühlung mit der deutschen Wissenschaft, sondern auch mit den kulturpolitischen Akteuren ging. So kooperierte Kapteyn nach der Besetzung Hollands mit den Nationalsozialisten und unterhielt Kontakte zur Groninger SS.279 274 Begrüßungsansprache von W. Wüst anlässlich der Amtseinführung von A. Seyß-Inquart 1942, zitiert nach L. Jäger, Disziplinen-Erinnerung, S. 103. 275 Erklärung von T. Frings über Gustav Fochler-Hauke vom 27. Dezember 1946, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 549, unpag. 276 L. Jäger, Disziplinen-Erinnerung, S. 89–90. 277 Wiederholt reiste Frings zu Vorträgen ins Ausland, etwa 1938 nach Italien und Holland. Vgl. Schreiben von T. Frings an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 20. Januar 1938 bzw. vom 10. Mai 1938, in: UAL, PA 270, Bl. 418 bzw. 422. 278 Frings kannte Kapteyn möglicherweise schon von seinem Aufenthalt in Holland Anfang der 1920er Jahre. 1924 erhielt der Altgermanist Kapteyn, der zwischen 1924 und 1944 in Groningen lehrte, in Bonn die Ehrendoktorwürde – spätestens zu diesem Zeitpunkt wird er Frings begegnet sein. In jedem Fall widmete Frings Kapteyn die Grundlagen des Meißnischen Deutsch (1936). Später revanchierte sich Kapteyn und brachte in Groningen Frings’ Schüler Schmitt unter, der dort als Niederlandist ausgebildet und für die Leipziger Professur vorbereitet werden sollte. Vgl. Kap. B I 3.1b. 279 Vgl. L. Jäger, Seitenwechsel, S. 178.

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Sicher, Frings war kein Propagandist des NS-Regimes wie Koch. Vielmehr entsprachen seine Reisen und Vorträge der traditionellen Idee von der Universalität der Wissenschaft. Doch zum einen war die Universalität in dieser Zeit sehr begrenzt, beschränkte sie sich doch auf die besetzten Gebiete und auf jene Länder, die mit Deutschland ein Kulturabkommen hatten.280 Zum anderen war die kulturpolitische Dimension dieser Auslandstätigkeit von mindestens ebenso großer Bedeutung wie die wissenschaftliche. Kulturpolitik war immer auch ein „Instrument der Machtpolitik“, und hatte sich, so der Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop, „glänzend bewährt, um den Einfluss bei fremden Völkern zu gewinnen.“281 Gerade die Germanistik galt als „volkswissenschaftliches Schlüsselfach“282. Ihr wurde eine „ausschlaggebende Bedeutung“ bei der „Entwicklung des Deutschlandbildes“ und für „die Vermittlung einer Vorstellung vom Wesen des Deutschen namentlich bei der jüngeren Generation“ in Europa zugesprochen.283 Vor diesem Hintergrund können auch Frings’ Auslandsaufenthalte von den außen- und kulturpolitischen Zusammenhängen nicht losgelöst betrachtet werden. Nicht umsonst musste Frings jede seiner Reisen vom Reichserziehungsministerium genehmigen lassen, was wie jeder Auslandseinsatz an den Nachweis der politischen Loyalität gebunden war. Es gehörte dazu, im Ausland Kontakt zu den (kultur-)politischen Akteuren aufzunehmen. Zudem war man nach Abschluss einer Reise verpflichtet, Berichte an den Dekan sowie für das Reichserziehungsministerium zu schreiben, in denen man über fachliche und (kultur-)politische Ergebnisse Auskunft gab.284 Auf diese Weise unterlagen die Auslandsreisen der Wissenschaftler immer der politischen Kontrolle. Und dadurch war auch Frings – unabhängig vom tatsächlichen Inhalt seiner Vorträge – nicht nur ein Vertreter der deutschen Wissenschaft, sondern auch Repräsentant des deutschen und im Dritten Reich auch des nationalsozialistischen Staates. Dieser Doppelrolle wurde er weitgehend gerecht: 1938 sprach er in Amsterdam vor deutschen Kulturfunktionären.285 An anderer Stelle gab er in einem Bericht an, dass er (während einer zweiten Amsterdamreise) „wiederholt Gelegenheit [hatte] mit Vertretern des Reiches und der Partei sich auszusprechen.“286 Gleichzeitig muss betont werden, dass – im Gegensatz zu vielen Kollegen, deren Auslandsengagement während des Krieges und in den besetz280 Vgl. M. Hubenstorf / P. T. Walther, Politische Bedingungen, S. 56. 281 Schreiben von J. von Ribbentrop an B. Rust vom 7. Juli 1938, zitiert nach L. Jäger, DisziplinenErinnerung, S. 107. 282 So der Historiker und Westforscher Franz Petri, der nach Frings und Aubin die Leitung des Instituts für Landesgeschichte in Bonn übernommen hatte, in einem Bericht für die Brüsseler Militärverwaltung aus dem Jahr 1943, zitiert nach ebd., S. 107. 283 Memorandum, zitiert nach ebd., S. 109. Denn, so der Leiter der Kulturpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes Fritz von Twardowski, „Kulturpolitik bedeutet den bewussten Einsatz der Geisteskräfte des deutschen Volkes zur Beeinflussung der geistigen Schichten der anderen Völker und darüber hinaus zur Erringung der geistigen Führung in Europa“. Schreiben, zitiert nach ebd., S. 107. 284 Vgl. R. Steiner, Auslandsbeziehungen im Dritten Reich, S. 18–19. 285 Vgl. Bericht von T. Frings über seine Vortragsreise nach Holland im März 1938, gerichtet an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 10. Mai 1938, in: UAL, PA 270, Bl. 422. 286 Vgl. Bericht von T. Frings über seinen Aufenthalt in Amsterdam anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde und der Vondel-Feier vom 21. Dezember 1937, in: Ebd., Bl. 417– 418.

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ten Gebieten zunahm – Frings nach 1939 nur noch selten ins Ausland reiste. Zudem lehnte er Angebote wie die der Deutsch-Flämischen Arbeitsgemeinschaft, welche „die rassische Verbundenheit der beiden Völker auch auf kulturellem Gebiete besonders beleuchten“287 wollte, prinzipiell ab. Seine Reaktion auf eine entsprechende Anfrage: „Fehlanzeige“288. Eine seiner Schülerinnen, die Frings seit den späten 1930er Jahren kannte, beschrieb ihren Lehrer später folgendermaßen: „Er schlug Ehrenstellungen aus, sofern die Gefahr bestand, dass sie ihn von seinen wissenschaftlichen Anliegen abführten, scheute aber keine neue Bürde, sofern diese versprach, ihn auf dem angetretenen Wege voranzubringen.“289 Diese eher allgemeine Beschreibung trifft im Konkreten für Frings’ Wirken im Dritten Reich zu. Seine Distanz zum Nationalsozialismus war deutlich. Gleichwohl erbrachte er, um gut ausgestattete Wissenschaft betreiben zu können, die notwendigen Loyalitätsbekundungen und Leistungsangebote. Darüber hinaus übernahm er, um Ressourcen zu mobilisieren (und hier war die DA in den Kriegsjahren eine sprudelnde Quelle), institutionelle Verantwortung und entsprechende Funktionen. Auf diese Weise wurde Frings Teil der kultur- und sprachpolitischen Ambitionen des Dritten Reichs – und zwar wissentlich. Die unmittelbaren Bindungen der DA an das Auswärtig Amt, das Propagandaministerium und die SS waren offensichtlich. Frings nahm sie in Kauf zugunsten einer intensiv geförderten Forschungsarbeit, innerhalb derer ihm die Entfaltung von Freiräumen sicherlich gelang. Dass sich Frings selbst der politischen Verwicklungen (entgegen seinen Bekundungen nach 1945) bewusst gewesen ist, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass sein Wirken in der DA nach dem Krieg kaum thematisiert wurde und so auch in den überlieferten Erinnerungen seiner Schülerinnen und Schüler fehlt.290 4. 3 In „fast legendärer Machtposition“ 291. Frings und die DDR Die Kriegsjahre erlebte Frings in Leipzig als „unentbehrlicher und unersetzlicher“292 Ordinarius an einem Institut, von dem das Gros der Lehrkräfte an der Front war. In Leipzig erhielt Frings die Nachricht, dass sein Sohn als U­Boot­Offizier gefallen war; ein schwerer Schicksalsschlag für ihn und seine Frau, die damit beide Kinder verloren hatten, nachdem bereits die Tochter 1931 infolge schwerer Krankheit verstorben war. Vor Ort erlebte Frings die Bombenangriffe auf Leipzig Ende 1943, während derer große Teile der Universität, das Germanistische Institut mit seiner 287 Schreiben der Deutsch-Vlämischen Arbeitsgemeinschaft an den Rektor der UL vom 13. Februar 1943, in: UAL, Phil. Fak. A 2 / 20: 02 b, Bl. 130. 288 Antwortschreiben von T. Frings auf die vom Rektor weitergeleitete Anfrage der DeutschVlämischen Arbeitsgemeinschaft vom 3. März 1943, in: Ebd., Bl. 131. 289 G. Schieb, Theodor Frings, S. 45. 290 Zumindest findet sich kein Verweis darauf bei G. Schieb, H. Brinkmann, J. Erben oder R. Große. 291 S. Sonderegger, Theodor Frings zum Gedenken. 292 Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL an den Rektor vom 5. Juni 1943, in: UAL, PA 270, Bl. 429.

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umfangreichen Fachbibliothek sowie das schon verzettelte Material für das vielbändige Obersächsische Wörterbuch vernichtet wurden.293 Der Krieg bestätigte Frings’ Zweifel gegenüber dem Dritten Reich, auch wenn ihn diese nie zu einem Rücktritt aus seinen Positionen bewegt hatten. Zwar hatte er sich, wie er im Oktober 1944 an die Witwe von Julius Petersen schrieb, oft gefragt, „warum nur auf diesem Posten bleiben, und warum nicht das Beste und Letzte für Bessere als die Heutigen zu Form und Wirkung bringen? Aber dann habe ich doch versucht, den entsagungsvollen Weg als Pflicht zu begreifen.“294 Wohl auch in Hoffnung auf eben dieses „Bessere“ stellte sich Frings nach dem Krieg in den Dienst der Neuerer. Der Berliner Anglist Walter F. Schirmer, der Frings aus Bonn kannte und ihn im August 1945 für die Mitarbeit im „Ausschuss zur Erneuerung der deutschen Hochschulen“ gewinnen wollte, lief offene Türen ein, als er dies mit den Worten begründete: „Ihnen wie auch mir würde eine stille forschungsarbeit mehr liegen, aber die bitteren erfahrungen lehren, dass man sich regen muss, wenn man die dinge in der hand behalten möchte […].“295 Aufgeschlossen begegnete Frings daher den zuständigen Besatzungsmächten, zunächst den Amerikanern, die im Juli den nachrückenden sowjetischen Truppen das Feld überließen. Auch ihnen bot Frings sofort seine Unterstützung an. So traf der sowjetische Hochschuloffizier Pjotr I. Nikitin auf Frings, als er das erste Mal in Leipzig vor der zerstörten Universität stand. Er erinnerte sich wie folgt an die Begegnung: „In diesem Augenblick trat ein Mann von etwa 50 Jahren auf uns zu und stellte sich als Ordinarius der Leipziger Universität und Präsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Theodor Frings, vor. Als er erfuhr, dass wir zur Abteilung Volksbildung der SMAD gehörten und hierher gekommen waren, um Möglichkeiten der Wiederaufnahme der Lehre zu prüfen, erklärte Prof. Frings sofort seine Bereitschaft, uns in jeder Hinsicht zu unterstützten.“296

So wurde Frings eine wesentliche Stütze beim Wiederaufbau der Universität und darüber hinaus ein wichtiger Partner der SMAD in Hochschulfragen. 293 Anderes konnte gerettet werden; Frings’ Wohnhaus und seine Privatbibliothek blieben unversehrt, und das Althochdeutsche Wörterbuch konnte rechtzeitig in bombensichere Keller im Altenburger Schloss ausgelagert werden. 294 Brief von T. Frings an Ella Petersen vom 14. Oktober 1944, in: DLA Marbach, A: Petersen*Petersen, Ella, 66.1229. 295 Schreiben von W. F. Schirmer an T. Frings vom 5. August 1945, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 161, unpag. [Kleinschreibung im Original]. 296 Weiter heißt es in der Erinnerung: „Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass sich zwischen mir und Prof. Frings von dieser ersten Begegnung an außerordentlich gute, informelle und sogar freundliche Beziehungen entwickelten. Wir trafen uns nicht nur bei meinen weiteren Besuchen in Leipzig, sondern auch in Berlin, bei uns in Karlshorst, auf Beratungen bei P[aul] Wandel oder auch zu Tagungen der Akademie der Wissenschaften. Ich erinnere mich noch gut an unsere letzte Begegnung 1954. Ich kam damals an die Deutsche Akademie der Wissenschaften, um über die Zusammenarbeit im Bereich der Informatik zu verhandeln. Ich aß gerade mit dem Präsidenten der Akademie, Walter Friedrich, im Akademierestaurant in der Jägerstraße zu Mittag, als Frings den Raum betrat. Als er mich bemerkte, rief er so laut, dass es der ganze Saal hören konnte: ‚Oh! Major Nikitin! Wie ich mich freue, Sie zu sehen!‘ Und schon setze er sich zu uns, und wir verbrachten den Rest des Tages gemeinsam mit Gesprächen und Erinnerungen.“ P. I. Nikitin, Zwischen Dogma und gesundem Menschenverstand, S. 58.

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Voraussetzung und Konsequenz war, dass Frings in der DDR blieb – ein grundlegendes Bekenntnis zum Standort Leipzig, später auch zur DDR, obwohl Frings durchaus überlegte, ob er dem Ruf an eine westdeutsche Universität folgen sollte. An seinen Freund Anton Kippenberg, der mittlerweile in Marburg lebte, schrieb er daher im Oktober 1946: „Der Weg wird steiniger und steiler und oft meine ich zu erlahmen und schaue dann von Ost nach West und höre auf die lockenden Töne aus der Heimat.“297 Doch Frings blieb. Dies war zum einen eine persönliche, auch pragmatische Entscheidung, denn was er sich in den letzten knapp 20 Jahren an Kontakten, Netzwerken, Arbeitsprojekten, aber auch Lebenszusammenhängen aufgebaut hatte, wollte er nicht aufgeben. Zum anderen war er von einem tiefen Pflichtgefühl gegenüber Universität, Institut und Akademie erfüllt, das durch seine Rolle in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch verstärkt wurde und seine Entscheidung untermauerte: „Das Schicksal hat mir eine besondere Stelle gewiesen. Als wir nach dem Zusammenbruch, ohne Zentrale, ganz auf uns gestellt, die Posten verteilten, habe ich die Sorge um das wissenschaftliche Leben, Akademie […], Universitätsbibliothek, Druck und was sonst [übernommen; AL]. So bin ich auf Dauer in ein besonderes Vertrauensverhältnis zur Besatzungsmacht und Landesverwaltung getreten, und unfreier geworden als mancher andere.“ 298

Frings’ Verbleib in Leipzig und sein Engagement für den Wiederaufbau von Wissenschaft und Forschung wurden ihm zeitlebens hoch angerechnet. Noch nach seinem Tod 1968 betonte der Dekan in sozialistischem Sprachduktus Frings’ Bedeutung für den DDR-Wissenschaftsbetrieb: „Durch sein „Verantwortungsbewusstsein als Erzieher“ habe er zur Überwindung des „schlimmen nazistischen Erbes“ und damit zur „Bewahrung und Weiterführung von Humanität und sozialem Fortschritt“ beigetragen.299 Dass in einer Person weitgehende politische Unbelastetheit im Dritten Reich, ein loyales Bekenntnis zur neuen Ordnung, offensives Engagement für den Wiederaufbau des ostdeutschen Wissenschaftssystems und ein hohes Maß an wissenschaftlichem Ansehen zusammenkamen, machte Frings für die DDR zur „unentbehrliche[n] Kraft“300, die „für den Aufbau der Wissenschaften in der Deutschen Demokratischen Republik […] von großem Nutzen“301 war. 297 Schreiben von T. Frings an A. Kippenberg vom 24. Oktober 1946, in: DLA Marbach, A: Kippenberg-Archiv. An anderer Stelle schrieb Frings in einer gewissen Aufschwungseuphorie etwa zur gleichen Zeit: „Das Land [entwickelt] eine erstaunliche Kraft. Ob sie erlahmen muss?“ Schreiben von T. Frings an die Phil. Fak. der Universität Bonn vom 4. Juni 1946, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 157, unpag., S. 3. 298 Schreiben von T. Frings an den Dekan der Phil. Fak. der Universität Göttingen vom 8. Oktober 1946, zitiert nach A. Malycha (Hrsg.), Geplante Wissenschaft, S. 115. 299 Entwurf zur Trauerrede des Rektors der UL für T. Frings anlässlich des Trauerakts des Senats vom 14. Juni 1968, in: UAL, Rektorat, R 102, Bd. 1, Bl. 51–56, hier: Bl. 56. 300 So der Leipziger Rektor Bernhard Schweitzer in einem Schreiben an die Landesverwaltung Sachsen vom 11. Dezember 1945 anlässlich eines Angebots an Frings, an die Universität München zu wechseln, in: BArch, DR3 / B 15008, Bl. 5. 301 So ein Gutachten über Frings, das von dem kommissarischen Personalleiter der DAW Berlin am 16. August 1952 verfasst wurde, in: BArch, BDC, Z, 47F, 81074, Bl. 31.

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Frings’ Entscheidung zu bleiben, ging auf seine Erfahrungen im Dritten Reich zurück; sie resultierte zudem aus der spezifischen Konstellation der Nachkriegszeit, spiegelt aber auch Staatsloyalität und nationale Verpflichtung. Eine solche Entscheidung war in dieser Zeit selten und ihre Auswirkungen von zentraler Bedeutung, möchte man die „fast legendäre professorable Machtposition“302 von Frings in der Wissenschaftslandschaft der DDR verstehen. Wie sich diese Machtposition gestaltete, welche Folgen sie für Frings und sein Umfeld hatte und welche Konflikte sich daraus ergaben, ist Inhalt der folgenden Abschnitte. Dabei soll der Blick zunächst auf Frings „Vergangenheitsmanagement“ (Gerhard Kaiser / Mathhias Krell) gelenkt werden. Denn neben allen Aufgaben, die Frings in der Nachkriegszeit übernahm, war er auch einer der gefragtesten Gutachter in Entnazifizierungsverfahren und galt dabei als Autorität.303 In seinem Nachlass finden sich über 30 Gutachten (wobei es deutlich mehr gewesen sein müssen)304, in denen er Stellungnahmen über Schüler, frühere Mitarbeiter und Kollegen abgab, die aufgrund ihres politischen Engagements 1945 entlassen worden waren. Klein war die Zahl negativer Gutachten; das Gros verfolgte das Ziel, die „Scheinloyalität“305 der Begutachteten zum Dritten Reich zu erweisen, die politischen Verstrickungen klein zu halten oder zu negieren306, stattdessen die wissenschaftliche Leistung herauszuheben sowie (angesichts des akuten Personal- und Nachwuchsmangels) eine Wiedereinstellung zu empfehlen. Gerade die jüngeren Wissenschaftler seien nach Frings nur unter Anpassungsdruck in Partei und NS-Organisationen gewesen, hätten jedoch eigentlich dem Nationalsozialismus fern gestanden. Karl Garbers zum Beispiel sei ein „unabhängig denkender und auftretender junger Forscher [gewesen], der zum Nationalsozialismus keine innere Bindung hatte“. Er habe vielmehr „in die bedauernswerte Gruppe vorzüglich junger Kollegen“ gehört, „die keine Möglichkeit hatten, dem Parteidruck zu entgehen.“307 Auch Helmut Ibach, der sich 302 S. Sonderegger, Theodor Frings zum Gedenken. 303 Davon zeugen nicht nur die vielen Erklärungen für entlassene Kollegen und Schüler, sondern auch, dass sie oftmals erfolgreich waren. An Gustav Fochler-Hauke schrieb Frings daher, er hoffe, dass sein Schreiben helfe, „so wie es in vielen anderen Fällen genügt hat“. Schreiben von T. Frings an G. Fochler-Hauke vom 27. Dezember 1946, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 549, unpag. 304 In den Gutachten finden sich verschiedenfach Hinweise darauf. 305 Der „Scheinloyalität“ mancher Studenten sei es zu verdanken, „dass es gelungen ist, die guten Traditionen der deutschen Wissenschaft in bescheidenem Umfang durch die Nazizeit hindurch fortzuführen“, so Frings in einem Gutachten über Helmut Ibach, der bei ihm promoviert und habilitiert hatte. Vgl. Schreiben von T. Frings an Prof. Neumann an der Universität Tübingen vom 28. Januar 1949, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 549, unpag. Ibach war im NSDStB (1933 bis 1939) und in der SS (1933 bis 1937) gewesen, zudem seit 1937 Anwärter der NSDAP. Vgl. UAL, PA 4218. 306 So gehöre Kurt Herbert Halbach, zwischen 1940 und 1945 Professor für Ältere deutsche Philologie in Innsbruck, nach Frings „zu den besten Köpfen“, weshalb man ihn angesichts des Nachwuchsmangels und trotz seiner NSDAP-Mitgliedschaft seit 1937 wieder einstellen sollte. Vgl. Erklärung von T. Frings über K. H. Halbach vom 13. März 1948, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 549, unpag. 307 Erklärung von T. Frings über K. Garbers vom 12. Juli 1946, in: Ebd. Garbers war Wissenschaftshistoriker, Dozent in Leipzig und Leiter des Deutschen Wissenschaftlichen Institutes in Sarajevo.

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1940 bei Frings habilitiert hatte, sei seiner christlichen Grundüberzeugung immer treu geblieben und nur als „junger Mensch“ aus „idealistischen Gründen“ und unter „wirtschaftlichem Zwang“ in NSDStB und SS eingetreten. Anwärter der Partei sei er nur geworden, so Frings, um sich zu habilitieren.308 Besonders deutlich wird die geringe Relevanz, die Frings der politischen Vergangenheit seiner Schüler zusprach, am Beispiel von Ingeborg Schröbler. Sie hatte bei ihm 1934 mit Auszeichnung promoviert und war später Mitarbeiterin beim Althochdeutschen Wörterbuch sowie wissenschaftliche Hilfskraft am Germanistischen Institut. Während des Krieges hatte sie sich habilitiert, als Oberassistentin am Institut gelehrt und den 1944 einberufenen Alfred Hübner vertreten. Politisch engagiert war sie seit 1935 in der NS-Frauenschaft (in der Position einer Blockfrauenschaftsleiterin) sowie im NS-Lehrerbund. Seit 1937 war Schröbler zudem Mitglied der NSDAP.309 Frings förderte seine Schülerin während des Krieges intensiv, zu einem Zeitpunkt also, als die Habilitation von Frauen noch eine Seltenheit war. Nach der Rückkehr der männlichen Kollegen aus dem Krieg entzog er ihr allerdings seine Unterstützung, nachdem sie an der erworbenen Stellung festhielt und eine eigene Dozentur anstrebte. Dieses Handeln empfand er als unangemessen und egoistisch. Infolgedessen kam es zwischen ihnen zum Bruch, der Frings zu folgender Einschätzung verleitete: „Nach Charakter und Persönlichkeit ist Frl. Schröbler als akademische Lehrerin ungeeignet. Ihre bestechende konventionelle Liebenswürdigkeit verbirgt Falschheit, Selbstsucht und krankhaften Ehrgeiz. […] Sie entwickelte bei uns den Ehrgeiz einer weitausholenden Dozentin, wozu sie nicht die Fähigkeiten mitbringt. […] Hätte sie sich bescheiden können und gut entwickelt, so säße sie heute noch warm und gut beim Althochdeutschen Wörterbuch trotz ihrer Parteizugehörigkeit.“310

Wissenschaftliche Leistungen, Bescheidenheit und Loyalität galten Frings (das zeigen auch andere Gutachten) mehr als das politische Engagement oder die Verstrickungen seiner Schüler und Mitarbeiter. Auch bei den etablierten Kollegen, die Parteimitglieder gewesen waren, behauptete Frings immer wieder die allein nominelle Mitgliedschaft. Führende Positionen hätten sie nur eingenommen, um die Wissenschaft vor dem Einfluss der „wahren“ Nationalsozialisten zu beschützen. Über den Leipziger NS-Dozentenführer Erich Maschke schrieb er daher: „Gern bestätige ich seine Ausführungen über Schutz, Hilfe und Sorge, die er den Studenten, Dozenten und Professoren, der Erhaltung des wissenschaftlichen Kerns und dem Wiederaufbau der Universität […] zuteil werden ließ.“311 Die Ernennung des Landwirtschaftsprofessors Wolfgang Wilmanns zum Rektor 1943 beschrieb Frings als „Opfergang“312 zum Nutzen der 308 Erklärung von T. Frings über H. Ibach vom 26. Juni 1946, in: Ebd. 309 Vgl. die Entnazifizierungsunterlagen im UAL, PA 251, Bl. 51–73. 310 Schreiben von T. Frings an Hermann Schneider / Universität Tübingen vom 22. Juli 1949, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 549, unpag. [Hervorhebung; AL]. 311 Erklärung von T. Frings über E. Maschke vom 16. Mai 1945, in: Ebd. 312 Wilmanns habe sich über diese Entscheidung mit Frings beraten und ihn auch als Rektor „in schwierigen Augenblicken […] zu Rate gezogen, während ich [Frings] vorher als unangeneh-

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Wissenschaft. Auch in konkreten Begegnungen habe Frings bei den Begutachteten keine Ideologisierung erlebt – weder bei dem in der Forschung als „dezidierte[n] NS-Parteigänger“313 beschriebenen Hermann Pongs (Göttinger Literaturhistoriker und Mitherausgeber von Dichtung und Volkstum) noch bei den Vertretern der Führungsebene der Deutschen Akademie.314 Über den Leipziger Universitätsbibliothekar Reinhard Fink, Mitglied in NSDAP und SA sowie an der Beschlagnahmung jüdischer Bibliotheken beteiligt, schrieb Frings: „Obgleich ich fast täglich Gast der Universitätsbibliothek war, ist mir eine politische Betätigung von Herrn Dr. Fink niemals aufgefallen.“315 Und nicht zuletzt hatte Frings die, nach eigenen Worten, „tiefe Erfahrung“ gemacht, dass auch Persönlichkeiten wie der Theologe Johannes Müller, der die Nationalsozialisten euphorisch begrüßt hatte, sich im Dritten Reich ihre „echte Humanität“ erhalten hatten. Gerade Müller habe in seiner „besonderen Menschlichkeit vielen einen Halt gegen die Welt des Bösen“316 gegeben. Die sich in der Mehrzahl der Gutachten von Frings widerspiegelnden Strategien des Ausblendens und Versachlichens waren keine Eigenheit des Leipzigers.317 Vielmehr gilt für das Vergangenheitsmanagement der Germanisten nach 1945 generell, dass eine kritische Reflexion über das Vergangene kaum stattfand. Vielmehr wurden „die zurückliegenden Jahre als eine Zeit empfunden, in der die humanistischen Ideale verschüttet und verfälscht gewesen“ sind. „Sie als unbeschädigte wieder hervorzuholen, dazu fühlten sich deutsche Hochschulgermanisten […] verpflichtet und berufen.“318 So waren auch für Frings Pragmatismus und das Primat der wissenschaftlichen Leistung die wesentlichen Maßstäbe seiner Beurteilung.319 Damit blendete er die (kultur-)politische Dimension der Wissenschaftspraxis wäh-

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mer Frondeur von allen wichtigen Fragen des Leipziger Universitätslebens ausgeschlossen war.“ Erklärung von T. Frings über W. Wilmanns vom 1. Oktober 1945, in: Ebd. L. Jäger, Disziplinen-Erinnerung, S. 73. Frings habe zu Pongs „immer aufrechte und warme menschliche und wissenschaftliche Beziehungen […] unterhalten. […] Viele seiner wissenschaftlichen Arbeiten gehören zum besten, was die letzte Generation geleistet hat. In unserem lebhaften persönlichen Verkehr hat Prof. Pongs niemals nationalsozialistische Ideen vertreten.“ Erklärung von T. Frings über H. Pongs vom 11. Februar 1946, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 549, unpag. Vgl. die Erklärungen über Josef Heitzer (ehemaliger Verwaltungsdirektor der DA), den ehemaligen Direktor der DA, Gustav Fochler-Hauke, sowie über den stellvertretenden Abteilungsleiter der Wissenschaftlichen Abteilung in der DA Walter Kunze, in: Ebd. Aus diesem Grund befürwortete er auch die Ernennung Finks zum Bibliotheksdirektor in Darmstadt. Vgl. Erklärung von T. Frings vom 8. April 1946, in: Ebd. Müller habe, so Frings, „nach dem Sinn des Geschehens von 1933“ gefragt und dabei geirrt, weil er „nicht gesehen [hat] oder nicht sehen [konnte], dass in diesem geschichtlichen Augenblick das scheinbar Zufällige mehr als menschliche Unzulänglichkeit, sondern ein System war“. Erklärung von T. Frings über J. Müller vom 7. Oktober 1946, in: Ebd. Vgl. G. Kaiser / M. Krell, Ausblenden, Versachlichen, Überschreiben. Petra Boden, Universitätsgermanistik in der SBZ / DDR, S. 119. Er würde es daher „tief bedauern“, wenn etwa Pongs „aus einer falschen Deutung seiner Arbeit sein Lehramt entzogen würde.“ Denn „was man zur Kritik herangezogen hat, liegt […] abseits von den großen Leistungen, durch die Prof. Pongs unsere Wissenschaft bereichert hat.“ Erklärung von T. Frings über H. Pongs vom 11. Februar 1946, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 549, unpag.

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rend des Dritten Reichs weitgehend aus und ermöglichte die Konstruktion personeller Kontinuitäten nach 1945. Als Gutachter zeichnete Frings aber auch ein geglättetes Bild seiner eigenen Rolle während des Nationalsozialismus, das die oben dargestellten Ambivalenzen außen vor ließ. So konnte er nahezu ungebrochen als Gegner des Dritten Reichs erscheinen, der, wenn er „auf nationalsozialistische Schädlinge stieß […] rückhaltlos“320 auftrat und „seit 1933 aus [s]einem vertrauten Arbeitskreise aktiv nationalsozialistische Elemente ferngehalten“321 hatte. Doch nicht nur die befürwortenden, sondern auch die negativen Stellungnahmen Frings’ zeigen seinen Umgang mit Verflechtung von Wissenschaftlern während des Dritten Reichs. Besonders aussagekräftig sind seine Äußerungen über den Leipziger Kollegen Heinrich Junker. Dieser hatte (wie an anderer Stelle dargestellt) im Zusammenhang mit der Ehrenpromotion für Adolf Bartels gegen Frings opponiert. Auch galt sein Agieren im Rahmen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften als ein Grund für den Rücktritt von Frings als Sekretär 1937.322 Darüber hinaus hatte Junker Kollegen denunziert und eine „ausführliche Kartothek über jeden Kollegen angelegt […], in der alle bemerkenswerten Aussprüche, Stellungnahmen, Handlungen der Betreffenden protokollarisch festgehalten waren, und zwar aus Sitzungen des Senats, der Fakultät oder aus bloßen Gesprächen.“323 Frings muss angenommen haben, dass Junker auch ihn denunziert hatte, selbst wenn ihm Details über dessen politisches Engagement kaum bekannt gewesen sein dürften, da Junkers Personalakte in den letzten Kriegsmonaten verbrannt wurde. Doch eine Bewertung der Leipziger NSDAP-Ortsgruppe von 1936, die sich im Bundesarchiv befindet, erhärtet den Verdacht. Dort heißt es über Junker: „[…] völlig einwandfreier Pg. […] Mitglied des Opferrings. Opferwille sehr gut. […] bemüht zur nationalsozialistischen Weltanschauung eine positive Stellung zu gewinnen. Es ist uns bekannt, dass er noch als Logenbruder (ausgetr. 1931) über den Führer und sein Programm in der Loge ‚Phönix‘ gesprochen hat. Da er kein Amt in der Bewegung bekleiden darf, hat

320 Erklärung von T. Frings über J. Müller vom 7. Oktober 1946, in: Ebd. 321 Dies sei „allgemein bekannt [gewesen] und oft zu Angriffen auf [ihn] ausgenutzt worden. Dass die beiden Damen [Ruth Klappenbach und Käthe Gleißner] zum Kreise meiner engsten Mitarbeiter gehörten, sollte genügen, ihre einwandfreie Gesinnung zu beweisen.“ Erklärung von T. Frings über R. Klappenbach und K. Gleißner in einem Schreiben an den Schulrat von Leipzig vom 29. November 1945, in: Ebd. 322 Schreiben von B. Schweitzer / Universität Tübingen an E. Erkes / Prodekan der Phil. Fak. der UL vom 19. Januar 1951, in: UAL, PA 615, Bl. 118–119. 323 Dies die Einschätzung des Nachkriegsrektors Bernhard Schweitzer, der wesentlich an der „Säuberung“ der Universität beteiligt gewesen war. In einem Brief heißt es weiter: „Unvorsichtigerweise hat er [Junker; AL] sich dieses Archivs mehrfach gerühmt, bezw. [sic] diesen Hinweis als Drohung benutzt. Es ist soweit gekommen, dass während einer Senatssitzung (1943 oder 1944) der damalige Rektor, Prof. Wilmanns, ihm während der Sitzung ausdrücklich verbieten musste, mitzustenographieren.“ Allerdings ist „mir kein Fall bekannt […], in dem Prof. Junker zwischen 1933 und 1945 von sich aus einen Kollegen denunziert hätte. Es mag sein, dass ihn allein schon das Gefühl der Macht befriedigt [hat] […]. Sicher scheint mir noch heute, dass am Grund all dieser Dinge ein wahrhaft pathologisches Geltungsbedürfnis stand, das ihn ruhelos umtrieb.“ Ebd.

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er eifrig Stimmungsberichte aus der Bevölkerung und besonders aus akademischen Kreisen geliefert.“ 324

Für Frings war Junker ein Denunziant, der aus niederen Interessen gehandelt und damit nicht nur die Kollegen, sondern auch das Wesen der Universität und das Ethos der Wissenschaft verraten habe. Eine Wiedereinstellung erschien ihm daher auch 1950 (im Zuge der Rehabilitierung ehemaliger Parteimitglieder) „in keinem Fall für möglich.“325 Doch interessanterweise schloss Frings’ Kollegialitätsverständnis Junker nicht kategorisch aus. Vielmehr riet er ihm angesichts der schlechten Aussichten auf Wiedereinstellung an einer Universität, an die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin zu wechseln: „Dass ich alles Menschliche wohl zu beachten weiß, wollen Sie entnehmen aus einer Unterhaltung, die ich mit Herrn Steinitz gehabt habe. […] Wir haben überlegt, dass man Sie als wissenschaftlichen Mitarbeiter an die Deutsche Akademie ziehen könnte, zur Vollendung Ihrer iranischen Studien. Sie würden dann genauso gut gestellt sein, wie ein Professor.“326

Einen entsprechenden Vorschlag in der Akademie „würde [Frings] in der Klasse unterstützen.“327 Tatsächlich gelangte Junker wenig später doch wieder auf eine Professur. Als Kenner der koreanischen Sprache und Kultur verfügte er nach Beginn des Korea-Krieges über politisch relevantes Wissen. Mit einem solchen Marktwert wurde er 1952 an die Humboldt-Universität zu Berlin zum Ordinarius für Iranische Sprachen und Koreanistik berufen.328 Der Einsatz Frings’ sogar für Junker verweist einmal mehr auf seine tief verinnerlichte Wertschätzung von Kollegialität. Im Zusammenhang mit den Entlassungen nach 1945 ist diese Kollegialität zu Recht oft auch als „Diskretion der Germanistik“ (Ludwig Jäger) gegenüber engagierten Nationalsozialisten kritisiert worden. Frings’ Verhalten offenbart aber noch eine andere Dimension, nämlich den Versuch, solidarischer mit den entlassenen Kollegen umzugehen, als dies nach 1933 der Fall gewesen ist. An Bruno Schier, der nach seiner Entlassung den Leipziger Kollegen mangelnden Einsatz bei dem Versuch seiner Wiedereinstellung vorwarf, schrieb Frings daher: „Ihr Brief enthält eine kleine Ungerechtigkeit, die ich nicht übersehen möchte. Sie sind hart gegen Ihre ehemaligen Kollegen: […] sie haben Sie durch alle [sic] die Zeit hindurch da verteidigt, wo es not tat. […] Vor wenigen Wochen habe ich mit dem Staatssekretär gerade über Sie verhandelt; ein Haupthindernis ist Ihr Gang nach Pressburg. So menschlich und wissenschaftlich lauter er sein mag, er bleibt als ein Stück nationalsozialistischer Politik beurteilt. Wir 324 Bewertung der NSDAP-Ortsgruppe Zentrum C 3.7.36, in: BDC, Negativ-Nr. RSHA 1703 FC 1581 / 3280 P1, ZB 7895 A.8. 325 Schreiben von Eduard Erkes an T. Frings vom 16. Dezember 1950, in dem er auf diese Äußerung von Frings Bezug nimmt. In einem Antwortschreiben vom 21. Dezember 1950 betonte Frings, dass es sich bei seinen Äußerungen über Junker um eine „vertrauliche Privatäußerung“ handelte und er nicht öffentlich Stellung nehmen möchte. Allein „die Tatsache, dass die Akten verbrannt worden sind, sagt alles.“ Beide Schreiben in: ABBAW, NL Frings, Nr. 549, unpag. 326 Schreiben von T. Frings an H. Junker vom 5. April 1951, in: UAL, PA 615, Bl. 19. 327 Ebd. 328 Vgl. J. Lerchenmüller / G. Simon, Im Vorfeld, S. 80–82.

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Germanistenleben haben gestern für Sie einen Antrag gestellt über ein Forschungsstipendium von jährlich RM 6000,-, freilich ohne zu wissen, was wir erreichen. Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen schon einmal gesagt habe, dass die frühere nationalsozialistische Universitätsführung mitleidlos und achselzuckend und wie ich nur sagen kann in krasser Feigheit u. a. Männer wie Litt und Schmitt hat gehen lassen und die Kollegen, die dagegen aufstanden im Stich ließen. Auf die Männer, die grundsätzlich anders handeln als die abgetretenen, sollte darum auch nicht der leiseste Schatten fallen.“329

Auch mit Fokus auf die ausgeprägte Machtposition, die Frings in der Nachkriegszeit erlangte, ist seine Gutachtertätigkeit in den Entnazifizierungsverfahren bedeutsam. Denn seine Meinung in personalpolitischen Fragen, seine Einschätzung von wissenschaftlicher Leistung und politischer Verwobenheit hatten Gewicht und vielfach positive Folgen (hinsichtlich einer Wiedereinstellung der Entlassenen). Zugleich wuchs mit jedem Gutachten Dankbarkeit und Ansehen für den Germanisten und er erhielt einen genauen Überblick über die personalpolitische Situation auf dem deutschen Akademikerarbeitsmarkt, was ihn später wiederum für personelle Entscheidungen prädestinierte. Generell standen die ersten Jahre der Nachkriegszeit für Frings im Zeichen des Aufbaus. Intensiv war er am Wiederaufbau des Wissenschaftssystems in der SBZ beteiligt, und das in enger Fühlung mit der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung (DVV) und der Besatzungsmacht. Frings hatte aus den Erfahrungen im Dritten Reich gelernt und wollte die „Dinge in der Hand behalten“330. Er unterhielt unmittelbaren Kontakt zu den zuständigen wissenschaftspolitischen Akteuren, zu dem russischen Kulturoffizier Pjotr I. Nikitin, zum ZK­Mitglied und Volksbildungsminister Paul Wandel sowie zum sächsischen Volksbildungsminister Helmut Holtzhauer. Auf dessen persönlichen Wunsch und als sein „Vertrauensmann“331 wurde Frings nach Wiedereröffnung der Leipziger Universität Mitglied des Senats und war so maßgeblich an ihrem Wiederaufbau beteiligt. Als Direktor des Germanistischen Instituts baute er auch dieses wieder auf. Dem Personalverlust konnte er, wie an anderer Stelle gezeigt, unter Zugriff auf Netzwerke begegnen. Auf der Basis seiner persönlichen Bibliothek machte er die baldige Fortsetzung von Forschung möglich.332 Für das Fach insgesamt war Frings auf Weisung der sowjetischen Besatzungsmacht zwischen 1946 und 1948 Mitglied des Gelehrten Rates für Fragen der wissenschaftlichen Forschung und Lehre, der als beratendes Gremium der DVV seit Ende 1946 zur Seite stand.333 In diesem Rahmen entwickelte er gemeinsam mit dem Hallenser Germanisten Georg Baesecke eine neue Studienplanordnung mit 329 Schreiben von T. Frings an B. Schier vom 21. Dezember 1946, in: ASAW, Mitgliederakte Bruno Schier, unpag. 330 Schreiben von W. F. Schirmer an T. Frings vom 5. August 1945, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 161, unpag. 331 So Frings in einem Schreiben an den Rektor der UL vom 16. Juni 1951, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 157, unpag. 332 „Das Germanistische Institut ist als erstes wieder aufgebaut und arbeitsfähig, nach alter Leipziger Art gut besetzt mit 3 Assistenten, die für wissenschaftliche Arbeit zur Verfügung sind.“ Schreiben von T. Frings an die Phil. Fak. der Universität Bonn vom 4. Juni 1946, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 157, unpag. 333 Vgl. Schreiben der DVV an T. Frings vom 10. Dezember 1946, in: Ebd.

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verbindlichen Lehrplänen für das Fach.334 In Leipzig setzte sich Frings zudem für die Wiedereröffnung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften ein, der er seit 1945 als designierter, nach ihrer Eröffnung 1948 als gewählter Präsident vorstand. In der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin war Frings seit 1946 Mitglied, bald darauf Vorsitzender der Deutschen Kommission, zwischen 1951 und 1961 Sekretär der Klasse für Sprachen, Literatur und Kunst sowie von 1952 bis 1962 Direktor des unter seiner Leitung gegründeten Instituts für deutsche Sprache und Literatur.335 Darüber hinaus war Frings Gründungsmitglied in kulturpolitischen Organisationen wie der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) und dem Kulturbund sowie im FDGB.336 Durch seine Position als Wissenschaftler, Wissenschaftsorganisator und nun auch Wissenschaftsgestalter war Frings mit wissenschaftlichen und hochschulpolitischen Akteuren unmittelbar vernetzt und konnte auf diese Weise die Entwicklung der Germanistik in der Nachkriegszeit entscheidend prägen. Zudem konnte er als Brücke zwischen bürgerlichen Wissenschaftlern und kommunistischen Akteuren wirken.337 Dies war möglich, da die Politik zu dieser Zeit nur punktuell verbindliche Vorgaben machte, der Wissenschaftsbetrieb in weitgehend traditionellen Bahnen verlief und der 1948 / 49 verkündete „Sturm auf die Festung Wissenschaft“ nur allmählich erfolgte.338 Angriffe auf die Hüter der Tradition gab es in dieser Phase allenfalls von den Rändern des wissenschaftlichen Feldes. Dies wird im Zusammenhang mit der „Germanistischen Fachkonferenz für Fragen der literaturhistorischen Lehre und Forschung“ deutlich, die im November 1948 in Leipzig stattfand. An dieser Tagung 334 Frings war federführend bei der Ausarbeitung der Programme für die Germanistik beteiligt und „begründete gleich anfangs die Notwendigkeit eines festen Studienplanes mit so durchschlagenden Argumenten, dass über diese grundsätzliche Frage später überhaupt nicht mehr diskutiert wurde.“ Seine Argumentation bezog sich darauf, dass es in Leipzig seit jeher einen geregelten Studienablauf gebe und dass es mitunter nötig sei, „einzelne eigenwillige Dozenten durch Ausübung eines amtlichen Druckes zur Einfügung in den Studienplan zu zwingen“. Protokoll zur Fachtagung in Leipzig aus dem Jahr 1947, zitiert nach I. Richter, Die Entwicklung, S. 30. 335 Innerhalb des Instituts wurden nahezu alle Forschungsprojekte (vor allem Wörterbücher und Editionen), die in der Preußischen Akademie begonnen worden waren, fortgeführt; sie trugen wesentlich zum weiterhin hohen Ansehen der DAW bei. Das Institut verfügte bei seiner Gründung über einen Personaletat von über 700.000 Mark und einen Sachetat von über 400.000 Mark. Bereits ein Jahr später war die Verdopplung des Etats geplant. Besonders deutlich wird die prosperierende Entwicklung des Instituts angesichts der Personalentwicklung. Waren bei Gründung des Instituts 53 wissenschaftliche Mitarbeiter angestellt, so hatte sich diese Zahl bereits bis 1958 auf 132 erhöht. Vgl. P. Nötzoldt, Akademien, S. 206–207. 336 Vgl. Ergänzungsblatt zum Personalfragebogen vom 19. Juli 1950, in: UAL, PA 270, Bl. 544. 337 So heißt es in einem Bericht des Fachreferenten im Staatssekretariat für Hochschulwesen über Frings und die Zusammenarbeit mit ihm im Wissenschaftlichen Beirat für Germanistik: „Die Zusammenarbeit mit dem Vorsitzenden Prof. Frings ist für den Fachreferenten nicht immer leicht. Hat man aber Frings gewonnen, so hat man auch die bürgerlichen Professoren im Beirat. Prof. Frings geht – ein gutes Arbeitsverhältnis zum Fachreferenten vorausgesetzt – in den wesentlichen Punkten unserer Hochschulpolitik mit.“ Bericht über die Arbeit des Wissenschaftlichen Beirats für Germanistik vom zuständigen Referenten Herrn Jörn im Studienjahr 1952 / 53 vom 12. Juni 1952, zitiert nach O. Müller, Wissenschaftlicher Beirat, S. 198. 338 Vgl. A. Malycha, Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik, S. 14.

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hatten „fortschrittliche“ Kräfte wie Hans Mayer und Gerhard Scholz zwar teilgenommen, doch dominierten die traditionellen Ordinarien die Diskussion.339 Dies kritisierten einige kommunistische Studenten in der FDJ-Zeitschrift FORUM und stellten im Zuge dessen Funktion und Fortschrittlichkeit der Leipziger Germanistik generell in Frage. Für Frings war dies ein Skandal, und er beschwerte sich bei der DVV über die studentischen Äußerungen, „in denen die germanistischen Vorlesungen und Seminarübungen […] unsachlich angegriffen und lächerlich gemacht wurden“. Er drohte, aufgrund „einer so kränkenden Bloßstellung vor der gesamten Öffentlichkeit“340 einen Ruf nach Bonn anzunehmen und die DDR zu verlassen. Paul Wandel persönlich bemühte sich in diesem Fall um die Glättung der Wogen und konnte Frings besänftigen, indem er ihm eine viermonatige Reise in die Schweiz genehmigte.341 Diese Auseinandersetzung, ihr Verlauf und Ausgang verweisen auf die noch nicht gefestigten politischen Strukturen und zeigen zugleich den Stellenwert, den die Politik bürgerlichen Wissenschaftlern zusprach und die sie mit weitreichenden Zugeständnissen zu halten versuchte. Dies verdeutlichen auch andere Beispiele, denn der geschilderte Fall war nicht der einzige, in dem Frings den kurzen Dienstweg nutzte. Vielmehr betonte er wiederholt angesichts von Angeboten westdeutscher Universitäten seinen besonderen Marktwert und stellte entsprechende Forderungen. Auf diese Weise konnte er Prozesse beschleunigen und Ressourcen mobilisieren, und zwar in einer Weise, die auf normalem Dienstweg kaum möglich gewesen wäre. „Ich werde auch diesmal ablehnen“, schrieb Frings der Sächsischen Landesregierung etwa angesichts eines Angebots aus München, „mit der Bitte um baldige Erfüllung meiner folgenden rein sachlichen Wünsche: […]“342; es folgte eine Liste mit Forderungen. Auf diesem Weg erlangte Frings die Wiedereinstellung des entlassenen Schmitt bereits zum Sommer 1947 – deutlich vor der später üblich werdenden Wiedereinstellung ehemaliger NSDAP-Mitglieder. Er erreichte die Einrichtung einer zusätzlichen Planstelle (der Oberassistentenstelle für Elisabeth Karg-Gasterstädt) pünktlich zur Wiedereröffnung der Universität, zu einem Zeitpunkt also, als finanzielle Mittel knapp waren. Auch wurde sein Gehalt 1946 auf die Maximalsumme erhöht, und der Wiederaufbau der Sächsischen Akademie der Wissenschaften durch die Zusage eines Jahresetats von 16.000 Mark für das Jahr 1947 vorerst gesichert. Zudem konnte Frings das Althochdeutsche Wörterbuch von München an die Sächsische Akademie der Wissenschaften überführen und Hilfsassistenten zu seiner Bearbeitung anstellen, was längerfristige finanzielle und personelle Bindungen bedeutete.343 Nicht zuletzt erlangte er für sich einen einjährigen Interzonenpass (ein normaler Interzonenpass galt für 30 Tage), der ihm trotz der restriktiven Regelungen der Zonengrenzen in der Nachkriegszeit weitge339 Vgl. L. Kaim, Man war sich durchaus nicht einig, S. 29. 340 Bericht über T. Frings, gesendet an P. Wandel / DVV vom 2. Juli 1949, in: BArch, DR3 / B 15997, Bl. 34. 341 Vgl. ebd. 342 Schreiben von T. Frings an die Landesregierung Sachsen vom 23. Januar 1947, in: BArch, DR3 / B 15008, Bl. 37. 343 Vgl. die Korrespondenz zwischen T. Frings und dem Sächsischen Volksbildungsministerium 1946 / 47, in: Ebd.

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hend ungehindertes Reisen ermöglichte.344 Keiner dieser Entscheidungen ging ein Antrag voraus, sondern sie liefen in direkter Kommunikation mit den zuständigen Stellen. Diese Vorgehensweise zeigt Stellung und Selbstbewusstsein Frings’ ebenso an wie die noch strukturelle Schwäche des hochschulpolitischen Apparats in dieser Übergangsphase, der solche Maßnahmen ermöglichte. Spätestens mit der II. Hochschulreform war die Phase der Restauration jedoch beendet. Der für die Wissenschafts- und Hochschulpolitik zuständige bürokratische Apparat war nun weitgehend etabliert; Grundlage des offiziellen Wissenschaftsverständnisses wurde der Marxismus-Leninismus. Es wurden feste Seminargruppen, das Zehn-Monate-Studium, ein fester Lehr- und Studienplan, obligatorischer Russischunterricht sowie ein dreijähriges marxistisches Grundlagenstudium an den Hochschulen eingeführt und auf diese Weise allmählich die traditionellen Universitätsstrukturen aufgelöst.345 Von Hochschullehrern und akademischem Nachwuchs wurde das Bekenntnis zum Aufbau des Sozialismus gefordert, während man gleichzeitig versuchte, die traditionellen Professoren durch materielle und ideelle Privilegien in der DDR zu halten. Im Zuge der „ideologischen Offensive“ Anfang der 1950er Jahre wurde eine Reihe bürgerlicher (Nachwuchs-)Wissenschaftler aus den Universitäten verdrängt; viele verließen auch die DDR. In dieser politisch angespannten Phase hielt Frings an seiner loyalen Grundhaltung gegenüber der DDR fest. Dabei zog er sich nicht auf neutrales Territorium zurück, sondern übte sich vielmehr im „offenen Mitspielen“ (Georg Bollenbeck). Bereits 1948 hatte Frings infolge einer Aufforderung sowjetischer Hochschulpolitik einen Beitrag über Friedrich Engels und die deutsche Sprachwissenschaft in der Täglichen Rundschau veröffentlicht.346 Später verknüpfte er in einem Bericht über die Arbeit der Leipziger Germanistik diese mit der sprachwissenschaftlichen Forschung in der Sowjetunion: „Die Gedanken, die heute die Sprachwissenschaft der Sowjetunion besonders bewegen, sind gleichzeitig im Germanistischen Institut der Universität Leipzig entwickelt worden.“347 Unabhängig davon, ob diese Parallelen bestanden haben, war dies ein Bekenntnis zur offi­ 344 Die (zuvor verweigerte) Reisegenehmigung für Frings begründete die DVV damit, dass „die Nichterteilung des Visums […] den sofortigen Weggang von Prof. Frings nach Westdeutschland bedeuten“ würde. Bericht über T. Frings, gesendet an P. Wandel / DVV vom 2. Juli 1949, in: BArch, DR3 / B 15997, Bl. 34. 345 Mit Blick auf die Ausbildung der „neuen Intelligenz“ zielte die Hochschulpolitik auf eine „ideologische Offensive“, inklusive einer sozialen und politischen Umschichtung in der Studierendenschaft vor allem in den geisteswissenschaftlichen Fächern. Vgl. C. Jordan, Kaderschmiede, S. 48. 346 Ursprünglich war der Beitrag ausschließlich für eine russische Fachzeitschrift gedacht, sollte dann jedoch einer breiteren, auch nichtwissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. In dem Beitrag stellte Frings Engels in eine Traditionslinie zur eigenen Arbeit. Im Gegensatz zu den Junggrammatikern sehe auch Engels „statt des Festen und Starren, statt der Vereinzelung, statt des Gesetzten die geschichtliche Bewegung und das geschichtliche Leben. Er vollzieht, ohne es ausdrücklich zu sagen, den Umschwung zur geschichtlich-sozialen Betrachtung der Sprache. Die Schriften von [Wilhelm] Braune und Engels stehen wie zwei Welten nebeneinander.“ T. Frings, Friedrich Engels als Philologe. 347 Bericht von T. Frings über den wissenschaftlichen Nachwuchs am Germanistischen Institut der UL vom 20. Juli 1950, in: UAL, PA 270, Bl. 544.

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ziellen politischen Linie. Dies umso mehr, als die zeitgleiche Debatte um Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft, in die Stalin mit einem gleichlautenden Artikel in der Prawda persönlich eingriff, in der DDR vor allem ideologisch rezipiert wurde.348 So wurde die Haltung des bürgerlichen Ordinarius politisch genutzt und der marxistischen Position eine zusätzliche Legitimation verschafft.349 Ein weiterer Akt „offenen Mitspielens“ war der Beitrag Frings’ zu Walter Ulbrichts Geburtstag. Frings übersandte ihn unter dem programmatischen Titel Wissenschaft und Staatsführung im Sommer 1953 an den Verlag, also im unmittelbaren Umfeld des 17. Juni. Darin würdigte er die staatlichen Aufbauleistungen für die Deutsche Akademie der Wissenschaften, deren neues Gebäude erst „mit Unterstützung der Staatsführung und Arbeiterschaft geschaffen“350 werden konnte. Weiterhin betonte Frings die Leistungen der Akademie für die DDR und ihre Gesellschaft. Gerade die Arbeit am Deutschen Wörterbuch sowie an Grammatik und Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache „sollen dem Deutschunterricht an höheren Schulen zu Gute kommen. Auch das ist eine Hinwendung zum Leben und zu den Bedürfnissen des Volkes.“ Generell, so Frings weiter, beschreite die Akademie „alte und neue Wege in ständiger Fühlungnahme und Aussprache mit der Staatsführung. […] In dieser Zusammenarbeit ist den Akademikern der Mut gewachsen das zu tun, was unserem Volk helfen soll zu einer neuen gesellschaftlichen Ordnung und zu einer glücklichen Zukunft.“ Das gegenseitige Leistungsangebot, mithin die Verflechtung von Wissenschaft und Politik werden hier explizit gemacht, indem Frings inhaltlich und sprachlich an den offiziellen Diskurs der DDR­Wissenschaftspolitik anknüpfte. Die positiven Stellungnahmen Frings’ zur DDR provozierten auch Kritik. Offensichtlich wurde dies im Zusammenhang mit dem Museum für Deutsche Geschichte im Berliner Zeughaus, das 1952 eröffnet wurde und in seiner ständigen Ausstellung die Geschichte des Klassenkampfes darstellte – mit der DDR als politischer, wirtschaftlicher und ethisch-moralischer Siegerin. Neben anderen Wissenschaftlern war auch Frings im wissenschaftlichen Beirat des Museums.351 Die Planung und Realisierung der Ausstellung wurden in der Bundesrepublik heftig kritisiert. Der Westberliner Radiosender RIAS beispielsweise warf den beteiligten 348 Vgl. U. Hagedorn, „Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft“. 349 Im Rahmen der Konferenz, die von der SED anlässlich Stalins Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft abgehalten wurde, hielt das Parteibüromitglied Fred Oelßner das einführende Referat. Darin zitierte er den Artikel des „hervorragende[n] deutsche[n] Germanist[en] Frings über Engels („Was wir am Rhein in mühseliger Kleinarbeit gefunden haben, stand schon 40 Jahre früher vor Engels Blick“) und schloss daran an: „Es gib nicht viele bürgerliche Sprachwissenschaftler, die sich zu einer Anerkennung der marxistischen Sprachforschung durchringen.“ F. Oelßner, Die Bedeutung, S. 757. 350 Dieses Zitat, wie die folgenden des Abschnitts, stammen aus T. Frings, Wissenschaft und Staatsführung [Manuskript, geschrieben anlässlich des 60. Geburtstags von Walter Ulbricht; o. D. (April / Mai 1953); erschienen in der kulturpolitischen Monatsschrift Aufbau], in: ASAW, Bestand 2.19, unpag. 351 Während der 1950er Jahre arbeiteten 85 Historiker und andere Wissenschaftler am Aufbau der Ausstellung mit; Frings war Anfang 1952 in den wissenschaftlichen Beirat gewählt worden. Vgl. das entsprechende Schreiben vom 21. Januar 1952, in: BArch, DR3 / B 15997, Bl. 37.

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Wissenschaftlern vor, sich an der SED-Propaganda zu beteiligen. In einem entsprechenden Radiobeitrag im Duktus des Kalten Krieges hieß es: „Dass sie nicht wüssten, welchen Herren und Zwecken sie dienen, kann keiner von ihnen heute noch geltend machen. Denn sie wissen es genau, die Professoren Meusel, Duncker, Deiters, Hamann, Kuczinsky, Leo Stern und ihre Kollegen. Und auch ein Professor Frings, der 1938 ein Werk über ‚Europäische Heldendichtung‘ veröffentlichte und heute Geschichte umschreibt für das Politbüro, weiß, dass er gesinnungslos handelt […]. Sie unterstützen die Bemühungen um die Verbreitung einer Legende, die die Machtpolitik, die Ausbeutung und den Terror der Sowjets und ihrer deutschen Handlanger geschichtlich rechtfertigen soll.“ 352

Der Vorwurf der Gesinnungslosigkeit ließ Frings nicht unbeeindruckt, zumal er (wie andere Mitglieder des Beirats) nicht nach seiner Bereitschaft zur Teilnahme in diesem Gremium gefragt worden war. So zog er sich mit anderen Kollegen wenig später aus dem Beirat zurück.353 Politisch begründete diesen Schritt jedoch nur der Berliner Historiker Fritz Hartung, der den offensichtlichen Propagandacharakter des Museums ablehnte. Die anderen Professoren schoben gesundheitliche Gründe vor oder ließen das Amt einfach ruhen.354 An seiner generell positiv-loyalen Einstellung zur DDR hielt Frings bis zuletzt fest – so auch die Wahrnehmung in seinem Umfeld. Er „erkläre sich“, heißt es in einem Gutachten von 1952, „im fortschrittlichen Sinne zur Mitarbeit in der Deutschen Demokratischen Republik bereit. Seine Einstellung ist mehr als loyal zu nennen. Er steht aktiv im Kampf um den Frieden und die Einheit Deutschlands und bekennt sich zur Freundschaft mit der Soviet-Union.“355 Eine solche Einschätzung war zugleich die Voraussetzung dafür, dass Frings als Repräsentant der DDR auch im Ausland auftreten konnte. Er genoss in der sowjetischen Sprachwissenschaft aufgrund seines kultur- und sozialhistorischen Ansatzes hohes Ansehen. 1955 erschienen einige seiner Aufsätze als Sammelband in russischer Übersetzung.356 Enge Kontakte an die sowjetische Sprachwissenschaft knüpfte Frings zudem durch den Leningrader Professor Viktor Schirmunski, ein auswärtiges Mitglied der SAW. Von einer mehrmonatigen Reise in die Sowjetunion 1953 kehrte Frings „stark beeindruckt“357 zurück. Auch im westlichen Ausland war Frings häufig zu Gast (etwa als Gastprofessor in der Schweiz), und er hielt enge Verbindungen auch zu westdeutschen Kollegen. Die weitgehend unbegrenzte Reisefreiheit des Germanisten war jedoch nicht das einzige Privileg. Vielmehr wurden ihm durch Einzelverträge ein ausgesprochen hohes Einkommen, andere materielle Vergütungen (wie Auto, Wohnung etc.) sowie privilegierte Arbeits352 Manuskript zur Radiosendung, beigelegt in einem Brief des RIAS / Abteilung Kulturpolitik an T. Frings vom 15. März 1952, in: UAL, Sammlung Stohmann, 3013, unpag. 353 Vgl. Schreiben von T. Frings an A. Meusel vom 26. März 1952, zitiert nach S. Ebenfeld, Geschichte nach Plan?, S. 92, Anm. 239. 354 Vgl. ebd. Bei Ebenfeld auch ausführlicher zur Geschichte des Museums generell sowie zum wissenschaftlichen Beirat und der versuchten Einbindung bürgerlicher Wissenschaftler. 355 Gutachten über T. Frings, verfasst vom Personalleiter der DAW vom 13. März 1952, in: ABBAW, Bestand Akademieleitung, Personalia 113, unpag. 356 Vgl. W. Bahner, Theodor Frings, S. 14. 357 Ebd.

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bedingungen zugesichert.358 Zum Privilegiensystem der DDR gehörte auch die Würdigung ihrer Wissenschaftler mit Preisen, die kulturpolitisches und akademisches Ansehen sowie hohe Prämien bedeuteten. Auch hier profitierte Frings und wurde Nationalpreisträger, „Hervorragender Wissenschaftler des Volkes“, und er erhielt den Vaterländischen Verdienstorden in Silber und Gold, der von der Regierung „für besondere Verdienste“ beim Aufbau der DDR vergeben wurde.359 Aufgrund seines traditionellen Selbstverständnisses als bürgerlicher Großordinarius geriet Frings jedoch auch in Konflikt mit den wissenschaftspolitischen Stellen. Vor allem die hochschulpolitische Entwicklung sah er kritisch. Infolgedessen zog er sich im Zuge der II. Hochschulreform aus dem wissenschaftlichen Senat der Universität Leipzig zurück, dem „nicht mehr der Sinn an[hafte], den er haben sollte.“360 Die Maßnahmen im Zuge der Assistentenordnung bezeichnete Frings als „Rechtsbruch“361. Das Zehn-Monats-Studium bekämpfte er vehement, und als Ausdruck der negativen Folgen der Reformen bemängelte er das fehlende Vorwissen der Studierenden, verwies auf ihre schlechten Studienergebnisse und beklagte

358 In dem Einzelvertrag, den Frings mit der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1951 schloss, stand ihm ein Gehalt von monatlich 6.800 Mark zu, zuzüglich Prämien für herausragende wissenschaftliche Leistungen, zuzüglich einer zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung. Hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Arbeit verpflichtete sich die DAW, ihm die notwendigen Dienst- und Forschungsreisen auch außerhalb der DDR zu ermöglichen und ihn rechtzeitig mit der notwendigen Forschungsliteratur zu versorgen. Für die Publikationen war in erster Linie Frings verantwortlich, nur in Zweifelsfällen war eine Rücksprache mit der Leitung der Akademie erforderlich. Vgl. Einzelvertrag zwischen der DAW und T. Frings, mit Wirkung zum 1. November 1951, in: ABBAW, Bestand Akademieleitung, Personalia 113, unpag. Unabhängig von diesem Vertrag hatte Frings auch in seiner Funktion als Präsident der SAW sowie als Professor mit der Universität jeweils Einzelverträge. Der mit der Universität geschlossene Einzelvertrag beinhaltete ein ebenfalls umfangreiches Gehalt (neben weiteren Sondervergütungen), das 1953 auf 10.000 Mark monatlich erhöht wurde, sowie weitreichende Zusagen, die die ausreichende Ausstattung mit Räumen und Mitarbeitern, die bevorzugte Versorgung mit wissenschaftlicher Literatur, die Möglichkeit, auch während des Semesters an Kongressen teilzunehmen, die generelle Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen des Germanisten im Rahmen der Intelligenz-Privilegierung sowie angemessenen Wohnraum und angemessene Arbeitsbedingungen auch nach der Emeritierung von Frings beinhalteten. Vgl. Einzelvertrag zwischen dem Staatssekretariat für Hochschulwesen und T. Frings mit Wirkung zum 1. September 1951 sowie ein Schreiben des Staatssekretariats an den Rektor der UL mit Hinweis auf die Erhöhung des Grundgehalts vom 15. Januar 1953, in: UAL, PA 270, Bl. 555 bzw. 563. 359 Frings gehörte zu den Ersten überhaupt, die den 1949 eingeführten Nationalpreis erhielten, wobei der Nationalpreis II. Klasse mit 50.000 Mark dotiert war. Im Jahr 1961 erhielt er gemeinsam mit dem Herausgeberkollektiv des Deutschen Wörterbuchs den Nationalpreis I. Klasse mit einer Prämie von 100.000 Mark. Im Jahr 1956 erhielt Frings die Auszeichnung „Hervorragender Wissenschaftler des Volkes“, die durch den Staatsratsvorsitzenden am 7. Oktober (dem Tag der Republik) verliehen wurde (Prämie 4.000 Mark). 1954 – im Jahr seiner Stiftung – sowie 1959 erhielt Frings zudem den Vaterländischen Verdienstorden in Silber und Gold, die an ein jährliches „Ehrengeld“ von 500 bzw. 1.000 Mark gebunden waren. 360 Schreiben von T. Frings an den Rektor der UL vom 16. Juni 1951, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 157, unpag. 361 Ebd.

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den Mangel an gutem wissenschaftlichem Nachwuchs.362 Die zunehmend forcierte Trennung von Forschung (in den Akademien) und Lehre (an den Universitäten) kritisierte Frings ebenfalls grundlegend. So verwundert es wenig, dass er sich im Zuge der Umstrukturierung und Politisierung des Hochschulwesens mehr und mehr aus den zentralen hochschulpolitischen Gremien zurückzog. Zwar war er noch 1952 zum Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirates für die Fachrichtung Germanistik beim Staatssekretariat für Hochschulwesen gewählt worden,363 jedoch konstatierte er bereits zwei Jahre später: „Wer die Dinge von allen Seiten sieht, ist entsetzt über die allmähliche Auflösung unseres Hochschulwesens. […] Da alles, was die Generation der Erfahrenen sagt, am Ende doch erfolglos verweht, kann man die allgemeine Resignation wohl begreifen.“364 So fiel auch sein Grußwort zu Ulbrichts 70. Geburtstag 1963 distanzierter aus. Angesichts der Entfremdung beider deutscher Staaten im Kalten Krieg und nach dem Mauerbau 1961 betonte Frings gerade die Bedeutung der deutsch-deutschen Kooperation für die Wissenschaft. Er erinnerte den Staatsratsvorsitzenden an 1960, als Ulbricht ihm anlässlich der Fertigstellung des Deutschen Wörterbuches geschrieben hatte: „Sie [Ulbricht; AL] dankten den Arbeitsstellen in Berlin und Göttingen […] und würdigten es [das Wörterbuch; AL] als ein gemeinsames Geschenk an das deutsche Volk und die deutsche Nation. Das Deutsche Wörterbuch, so meinten Sie, möge Vorbild sein für die weitere Zusammenarbeit beider deutscher Staaten im Bereich der Wissenschaft.“

362 Vgl. Jahresbericht 1960 / 61 der Abteilung für Deutsche Philologie des Instituts für Deutsche und Germanische Philologie der KMU Leipzig, verfasst von Wolfgang Fleischer, vom 9. September 1961, in: UAL, Phil. Fak. B 1 / 14:16a, Bl. 421– 431. 363 Aufgabe des Wissenschaftlichen Beirates war die Beratung des Staatssekretariats für Hochschulwesen in Fragen der Studienplanung, der Ausbildung der Diplomgermanisten und Deutschlehrer sowie bei der inhaltlichen Gestaltung von Fachtagungen. Die Mitglieder des Beirats wurden durch das Staatssekretariat ernannt. Ihm gehörten bei seiner Gründung 1952 an: Frings als Vorsitzender, Werner Simon als stellvertretender Vorsitzender. Weiterhin Leopold Magon, Alfred Kantorociz, Joachim Georg Boeckh (alle Berlin), Hans Mayer (Leipzig), Karl Bischoff (Halle), Hermann Teuchert (Rostock) sowie Hermann Kirsch (Halle) und der Aspirant Herbert Hiepe von der Universität Leipzig. Innerhalb des Beirates war das bürgerliche Element sehr stark, was zu wiederholten Diskussionen führte. Als Frings Ende 1953 seinen Rücktritt vom Vorsitz ankündigte, führte dies zum Aufruhr, da er nach wie vor die fachlich anerkannte und zugleich zum politischen Feld vermittelnde Position einnahm. Der Beirat forderte daher, „dass Herr Prof. Frings weiterhin Vorsitzender bleibt. Sie (die Mitglieder) sehen in seinem angebotenen Rücktritt eine schwere Schädigung für das Fach. Wie Prof. Simon ausdrücklich betonte, lehnt er jede Mitarbeit ab, wenn Herr Prof. Frings ausscheidet.“ Bericht über die Sitzung des Beirats vom 19. Dezember 1953, zitiert nach O. Müller, Wissenschaftlicher Beirat, S. 199. Frings legte im Januar 1954 den Vorsitz zwar trotzdem nieder, blieb jedoch weiterhin Mitglied des Beirates. Allerdings nahm er in den folgenden Jahren kaum mehr an den Sitzungen teil, sondern ließ sich durch den Oberassistenten des Instituts vertreten. Vgl. O. Müller, Wissenschaftlicher Beirat, S. 196–200. 364 Schreiben von T. Frings an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 22. April 1954, in: UAL, PA 270, Bl. 494.

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Und Frings schloss seinen Beitrag mit dem Goethe-Zitat: „Mir ist nicht bange, dass Deutschland nicht eins werde. Vor allem sei es eins in Liebe zueinander.“365 Anders als zehn Jahre zuvor markierte Frings hier eine kritische Position zur DDR-Politik, die die nationale Selbständigkeit zur offiziellen politischen Maxime erhoben hatte. Doch auch in den 1950er Jahren konnte sich Frings gegenüber den SEDMachtansprüchen behaupten, nun allerdings konzentriert auf die ihm unmittelbar unterstellten wissenschaftlichen Bereiche: Auf das Germanistische Institut in Leipzig, das Institut für deutsche Sprache und Literatur in der DAW sowie auf die SAW. Patriarchalisch hielt er in diesen großen Feldern mit einer Vielzahl von Mitarbeitern (allein in dem von ihm geleiteten Institut in der DAW arbeiteten 130 Mitarbeiter) und Projekten seinen Einfluss aufrecht und die Zügel straff in der Hand. Am Germanistischen Institut blieb Frings bis zu seinem Tod in der Position des Institutsleiters, da es (so seine Argumentation) keinen Nachfolger gebe, der geeignet sei, sein Werk fortzusetzen.366 Eine Klärung dieses „absurde[n] und ungesetzliche[n] Zustand[es]“367 wurde zwar immer wieder gefordert, doch umsonst.368 Auch in die Rekrutierung und Ausbildung des akademischen Nachwuchses ließ sich „der letzten Könige einer“ nicht hineinreden.369 In einem Bericht über den wissenschaftlichen Nachwuchs vom Juli 1950 beschrieb er die enge Bindung zwischen sich und seinen Schülern, die für die erfolgreiche Ausbildung nötig sei: „In aller Forschung arbeiten die Assistenten aufs engste mit mir zusammen, und sie begleiten mich selbstständig oder helfend nicht allein in meiner Eigenschaft als Direktor des Germanistischen Instituts, sondern auch als Präsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, als Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften, als Vorsitzender der Deutschen Kommission. […] Alle sind an hervorragenden Publikationen der beiden Akademien beteiligt. 365 T. Frings, Erinnerungen [o. Seitenangabe; Hervorhebung im Original]. Um einen abermaligen Gruß gebeten, wurde dieser Text im Übrigen 1968 erneut abgedruckt. „Es ist mir eine Freude, dass Sie meinen Text von 1963 unverändert dem verehrten Staatsoberhaupt zu seinem 75. Geburtstag aufs Neue vorlegen wollen. In Dankbarkeit mit allen guten Wünschen und Grüßen, Ihr Theodor Frings“. Schreiben von T. Frings an Alexander Abusch / Ministerrat der DDR vom 15. Februar 1968, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 548, unpag. 366 So die Argumentation von Frings, die sich in einem Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL an den Rektor vom 28. Juni 1958 ebenso finden lassen wie in einem erklärenden Schreiben des Dekans an H. Mayer vom 12. April 1961, beide in UAL, Phil. Fak. B 1 / 14:16a, Bl. 384 bzw. 417. Vgl. auch Kap. A III 2.2. 367 Schreiben von H. Mayer an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 5. April 1961, in: Ebd., Bl. 415– 416, hier Bl. 416. 368 Erst 1964 ernannte Frings seinen späteren Nachfolger Rudolf Große zum stellvertretenden Direktor des Instituts, und erst ein Jahr später gab er die Funktion des Fachrichtungsleiters ab. Vgl. Schreiben des Rektors der KMU an R. Große vom 14. Mai 1964 sowie Schreiben von T. Frings an den Rektor der KMU vom 22. Dezember 1965, beide in: UAL, R 89, Bd. 2, Bl. 165 bzw. 195. 369 So stellte Frings beispielsweise 1954 die Vertrauensfrage, um die Einstellung eines von SED und FDJ vorgeschlagenen Assistenten zu verhindern. Vgl. Bericht [o. D.; 1954], in: SächsStA Leipzig, Bestand SED-Kreisleitung Leipzig, KMU, IV / 4 / 14 / 53. Bl. 19. Der tatsächliche Lehrstuhlnachfolger wurde (wie erwähnt) sein Schüler Rudolf Große, der in Leipzig studiert und sich bei Frings habilitiert hatte. Auch die Oberassistenten des Instituts Walter Flämig und Wolfgang Fleischer waren Schüler von Frings und hatten bei ihm promoviert, ebenso die Wahrnehmungsdozentinnen Gabriele Schieb und Elisabeth Linke.

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Gerade auch mit Rücksicht auf meine verantwortungsvollen Ämter und meine Stellung in der wissenschaftlichen Forschung sind mir die Assistentenstellen zugebilligt, und die Inhaber als Beste aus dem Nachwuchs des Germanistischen Instituts zu ihren Stellen gelangt. […] [Sie] sind von mir in langer und sorgfältiger Zusammenarbeit geschult.“370

Viele seiner Schüler schätzten diese enge Kooperation, auch wenn die Konstellation immer eindeutig war. Frings war der „Kopf, der hundert Hände brauchte“371; er wählte aus, er leitete an. Dabei konnte er seine Schülerinnen und Schüler, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch den drei (von ihm geleiteten) wissenschaftlichen Einrichtungen jeweils zuteilen. Gerade am Institut für deutsche Sprache und Literatur schlug sich Frings’ Einfluss in Personalfragen, der im Gegensatz zur politischen Linie stand, eindrücklich nieder. Hier nämlich war bis Anfang der 1960er Jahre nur ein sehr kleiner Teil der Mitarbeiter Mitglied in der SED. Entsprechend konsterniert war ein Bericht der SED-Parteigruppe: „Die meisten Arbeitsgruppen führen sog. Traditionsunternehmen weiter, die keine Beziehung zu den Bedürfnissen des sozialistischen Aufbaus haben. […] Von allen wird die These von der nationalen Einheit der Germanistik vertreten. […] Keine Trennung zwischen einer imperialistischen und einer sozialistischen Germanistik. […] Auf die Kaderentwicklung hat die Partei bisher keinen eigentlichen Einfluss.“ 372

Aber auch am Germanistischen Institut und an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften in Leipzig unterlag die Auswahl der Assistenten und Mitarbeiter im Wesentlichen Frings. Dies war angesichts einer DDR-Hochschulpolitik, die die traditionellen Lehrer-Schüler-Bindungen zugunsten einer politisch gesteuerten Nachwuchsrekrutierung und Kaderpolitik aufzulösen suchte, bemerkenswert. Denn solange die „bürgerlichen“ Wissenschaftler die Nachwuchsrekrutierung in der Hand behielten, gaben sie ja „nicht nur Wissen und Fertigkeiten, sondern auch Habitus und Mentalitäten“373 weiter. So auch Frings, der durch den Erhalt der patriarchalisch-informellen Strukturen gerade im Bereich der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung intensiv und nachhaltig Einfluss ausübte. Doch auch in anderen Personalfragen war Frings eine wichtige Adresse. Er nahm auf Berufungsentscheidungen Einfluss und sprach sich für umstrittene Kollegen wie Hans­Friedrich Rosenfeld oder Bruno Schier ebenso aus wie für ehemalige Schüler wie Werner Betz oder Hennig Brinkmann, die er westdeutschen Kollegen empfahl.374 Auch die 370 Bericht des Direktors des Germanistischen Instituts [T. Frings] über den wissenschaftlichen Nachwuchs vom 20. Juli 1950, in: UAL, PA 270, Bl. 544. 371 G. Schieb, Theodor Frings, S. 52. 372 Analyse der SED-Parteigruppe in der DAW von Ende 1961, zitiert nach P. Nötzoldt, Akademien, S. 207. 373 R. Jessen, Vom Ordinarius zum sozialistischen Professor, S. 83. 374 Für Rosenfeld, der 1946 in Greifswald aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschsaft entlassen worden war und später wiederholt angegriffen wurde, hat Frings „immer wieder […] gesprochen […], bei der Besatzungsmacht und bei allem was nachgefolgt ist“, ohne jedoch etwas erreichen zu können. „Ich weiß nicht, wer Ihre Feinde sind und wo der Widerstand liegt, aber diese Mächte sind da.“ Schreiben von T. Frings an H.-F. Rosenfeld vom 20. Juni 1955, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 157, unpag. Hennig Brinkmann erschien Frings als einer der „Bedeutendste[n] der Jüngeren“, der jedoch „niemandem außer [ihm] genehm“ sei. Schreiben von T. Frings an

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Berufung von Joachim Müller 1952 nach Jena, der eine eilige Stellungnahme von Frings und Korff an das Staatssekretariat vorausgegangen war, zeigt das besondere Gewicht seiner Stimme in Personalfragen.375 Und nicht zuletzt bei der Zuwahl von Mitgliedern in die Sächsische Akademie und die Deutsche Akademie wog das Wort des primus inter pares schwer. Erfolgreich verhinderte er so die Zuwahl von Hans Mayer in beide Akademien, indem er ihm schlicht die wissenschaftliche Seriosität absprach.376 Dass diese Machtfülle gerade in personalpolitischen Fragen auch zu Spannungen führte, zeigt die Aussage des Staatssekretärs für Hochschulwesen Franz Wohlgemuth angesichts der Auseinandersetzungen zwischen Frings und seinem ehemaligen Schüler Ludwig Erich Schmitt 1952: „Wie die Entwicklung jetzt aussieht, scheint es tatsächlich notwendig, dass bezüglich der päpstlichen Vollmachten von Herrn Frings einmal etwas geschieht. Frings zerschlägt uns m. E. eine vernünftige Politik auf dem Gebiet der Germanistik. Er erdrückt fachlich zweifellos viele seiner Kollegen und versteht es, durch Charme und würdevolles Auftreten, auch seine Politik durchzudrücken.“ 377

Langfristig jedoch konnte Frings seine Macht nicht in allen Teilbereichen aufrechterhalten. Während er in der Universität und in der SAW noch lange die Fäden in der Hand hielt, liefen in der SED-Leitung der Deutschen Akademie bereits die „Planungen zu seiner Entmachtung“378. Die sich seit Ende der 1950er Jahre abzeichnenden Machtverschiebungen in Berlin werden in einem Gespräch zwischen Frings und dem Vizepräsidenten der Deutschen Akademie Leo Stern von 1956 deutlich. Es illustriert Frings’ ursprüngliche Machtposition ebenso wie den zu diesem Zeitpunkt fortgeschrittenen Machtverlust und sei als Gesprächsbericht von Stern ausführlich zitiert. Ausgangspunkt des Gesprächs war die „Republikflucht“ von Johannes Er-

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Hermann Martin Flasdieck / Universität Heidelberg vom 20. Dezember 1957, in: ABBAW, NL Frings, Nr. 549, unpag. Frings hatte ihm daher sogar angeboten, sein Nachfolger in Leipzig zu werden; doch lehnte es Brinkmann ab, in die DDR zu kommen. Vgl. Schreiben von T. Frings an H. Brinkmann vom 30. August 1953, in: Ebd. Vgl. Schreiben der Abteilung Gesellschafts- und Sprachwissenschaften beim Staatssekretariat für Hochschulwesen an die dortige Personalabteilung vom 6. Oktober 1951, in: UAJ, Bestand D, PA J. Müller, unpag. Mayer stand 1959 auf der Liste möglicher Kandidaten für die Mitgliedschaft in der DAW, die von der Abteilung Wissenschaften des ZK unter Kurt Hager aufgestellt worden war. Sein Name war mit der Anmerkung „sehr umstritten“ versehen. Frings als Präsident der SAW und Kollege von Mayer sollte „diskret eruieren“, wie die Chancen für eine Aufnahme Mayers in die Akademie standen. Frings sprach sich daraufhin explizit gegen Mayer aus. Er sei „weniger Forscher als Journalist […]. Im Westen findet er seine internationale Resonanz jedenfalls mehr beim Publikum öffentlicher Vorträge und bei den Journalisten der Tagespresse.“ Deshalb rechnete Frings damit, dass „die der DAW angehörigen Sächsischen Mitglieder und weitere Mitglieder gegen die Zuwahl stimmen würden“. Damit war der Fall für die DAW erledigt. Vgl. P. T. Walther, Zur Zuwahlpraxis neuer Akademiemitglieder, S. 127. Niederschrift der Unterredung zwischen L. E. Schmitt und Franz Wohlgemuth / Staatssekretariat vom 24. November 1952, in: BStU, MfS, BV Leipzig, AS 2048 / 67, Bl. 101. Zur Auseinandersetzung zwischen Schmitt und Frings vgl. Kap. B I 3.1b. P. Boden, Universitätsgermanistik in SBZ / DDR, S. 134.

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ben, den Frings als „Kronprinzen“ zu seinem Nachfolger für die Leitung des Instituts für deutsche Sprache und Literatur auserkoren hatte. Doch die Zuwahl von Erben zum Akademiemitglied hatte sich verzögert, was Frings verärgert und Erben verunsichert hatte. Erben entschied sich daraufhin für eine Professur in Innsbruck, womit die Nachfolgefrage für das Institut Frings’ direktem Zugriff entglitten war.379 Stern berichtete nun wie folgt über den weiteren Verlauf des Gesprächs: „Obwohl die Aussprache unter Wahrung aller Formen der Höflichkeit und Korrektheit geführt wurde, musste Hr. Frings – der offenkundig in der bekannten Manier als ‚Großmacht der Wissenschaft‘ die Verhandlungsrichtung bestimmen wollte, mit aller Entschiedenheit auf die realen Positionen zurückgeführt werden. So verlangte er, mit Berufung darauf, daß seinerzeit die Genossen Grotewohl, Selbmann, Hager und Wandel sich mit ihm unterhalten hätten, dass er, der Präsident, der Generalsekretär und ich mit Gen. Abusch oder Hager über die Zukunft des Instituts für deutsche Sprache und Literatur verhandeln sollten. Als ich ihm dezidiert erklärte, dass die Entscheidung eine Sache der Akademie, und konkret der Arbeitsgemeinschaft sei. […] In diesem Zusammenhang stellte ich Hrn. Frings offensiv die Frage nach einer angeblich sich formierenden ‚Fringsfront‘, wobei ich ihn mit allem Respekt und Nachdruck vor solchen Experimenten warnte. Er solle sich nicht zum Schutzschild oder Panier für Bestrebungen oder Gruppierungen hergeben, die in seinem Schatten oder mit Berufung auf ihn am Institut destruktive Arbeit zu leisten im Begriff sind. Es wäre sehr von Nöten, dass er sich von vornherein gegen solche Tendenzen abgrenzt. Sichtlich betroffen erklärte Hr. Frings, ihm liege dies fern und er würde jedem Ansatz zur Bildung irgendwelcher Gruppierungen gegen das Institut und gegen die Akademie entschieden entgegentreten. Ich appellierte dabei an seine große wissenschaftliche Bedeutung, an die hohe Wertschätzung in der Öffentlichkeit und riet ihm, bei seiner bekannten und betont positiven Haltung zur DDR solle er […] sich nicht zu irgendwelchen Experimenten dieser Art hergeben oder verleiten lassen. Ich appellierte an seine bekannte staatsmännische Haltung, Gesinnung und politische Weitsicht und stellte es ihm anheim, sich sehr wohl zu überlegen, ob er sich einer Entwicklung – die bereits entschieden und unaufhaltsam sei – entgegenstellen wolle, oder ob es nicht besser wäre, mit echter wissenschaftlicher Größe und Weisheit sich in diese Entwicklung tragend mit einzuordnen. Namentlich auf die mit seinem bevorstehenden 80. Geburtstag verbundenen Ehrungen wäre es ein Akt besonders staatsmännischer Haltung, wenn er mit dem Gewicht seiner Persönlichkeit die neue Entwicklung begrüßen würde.“ 380

Angesichts solcher Drohungen verwundert es nicht, dass sich Frings wenig später als Direktor des Instituts zurückzog. Sein Nachfolger wurde im Übrigen kein anderer als der politische hardliner Hans-Günther Thalheim.381 Im Sommer 1965 legte Frings zudem die Präsidentschaft in der SAW nieder, nicht ohne sich „über rückständige und enge Anschauungen“ der SAW-Mitglieder in Fragen der Zuwahl zu beklagen.382 Ausdruck der wachsenden Verbitterung des Großordinarius über die wissenschaftspolitischen Entwicklungen und seinen schwindenden Einfluss war nicht zuletzt die Entscheidung, dass er seine Beerdigung im kleinen Rahmen halten

379 Vgl. P. T. Walther, Zur Zuwahlpraxis neuer Akademiemitglieder, S. 129. 380 Aktenvermerk über ein Gespräch zwischen T. Frings und L. Stern am 26. März 1965, in: ABBAW, Bestand Akademieleitung, Personalia 114, Bl. 3f. 381 Vgl. W. Scheler, Von der Deutschen Akademie der Wissenschaften, S. 442. 382 Aktennotiz über ein Gespräch mit T. Frings am 14. Mai 1965, in: ABBAW, Bestand Akademieleitung, Personalia 114, unpag.

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wollte; sie fand ohne Vertreter der DDR-Hochschulpolitik und ohne Repräsentanten der Universität statt. Die schlichte Grabrede hielt sein Schüler Rudolf Große.383 Zwischenfazit Betrachtet man den gesamten Werdegang von Frings, so zeigt sich, dass das Bild vom „letzten Könige einer“ vor allem für die Zeit der DDR zutrifft, in der Frings offensichtlich eine Sonderstellung innerhalb der Wissenschaftslandschaft einnahm. Der Aufstieg zur „fast legendäre[n] professorable[n] Machtposition“ war nicht immer glamourös gewesen, doch die Weichen wurden früh gestellt. Der spätere Erfolg von Frings begründet sich vor allem in seinem frühen Erfolg als Wissenschaftler und Wissenschaftsorganisator. Bereits in Bonn hatte er eine herausragende Position erlangt, die über die Stadt hinausstrahlte und ihm auch internationale Reputation einbrachte. Damit verbunden war ein früh ausgeprägtes Selbstbewusstsein des Germanisten, das verknüpft war mit natürlichem Charisma. Auch in seiner Vorstellung zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik war Frings früh positioniert. Für ihn galt das Primat der Wissenschaft; wissenschaftliche Leistung und wissenschaftliche Objektivität im Sinne Max Webers waren für ihn die entscheidenden Ausgangspunkte wissenschaftlichen und wissenschaftsorganisatorischen Handelns. Gleichzeitig sah sich Frings in einer ungebrochenen Loyalität gegenüber dem Staat und dem deutschen Volk. Aufgrund dieser Verknüpfung erschien er in allen drei politischen Systemen als unbestechlicher Forscher, der jedoch nicht im Elfenbeinturm wandelte. Für Wissenschaft wie Politik war er damit gleichermaßen attraktiv, war er doch gediegener und renommierter Gelehrter und zugleich an der wechselseitigen Mobilisierung von Ressourcen interessiert. In den fünf Jahrzehnten seines akademischen Wirkens hielt Frings innerhalb dieses Spannungsfeldes die Waage. Er engagierte sich (politisch) nie zu viel und entging so der Gefahr, den Ruf als unbestechlicher Forscher zu verlieren. Nahezu perfekt beherrschte er die dafür notwendigen Strategien der resonanzstrategischen Argumentation, die sich situations- und kontextabhängig an Wissenschaft und / oder Politik wandten. Vor diesem Hintergrund war Frings’ kontinuierliches Weiterlehren und -forschen trotz aller politischen Veränderungen und der damit einhergehenden Auseinandersetzungen sowohl für die hochschulpolitischen Akteure wie auch für Frings selbst jederzeit erwünscht. Zugleich war diese Entwicklung ein Prozess, in dem Frings frühe Kenntnisse und Erfahrungen perfektionierte384 und aus den vorangegangenen Ereignissen lernte. Die starke Machtposition von Frings in der DDR ist so zum einen der spezifischen Personalsituation der Nachkriegszeit geschuldet und zugleich seinen persönlichen Erfahrungen im Dritten Reich. Akzeptanz, Relevanz und Einfluss innerhalb des Wissenschaftsbetriebs konnte Frings zudem durch die Investition in wissenschaftliche Netzwerke und die Förderung des akademischen Nachwuchses stärken und sichern. Zeit seines Lebens initi383 Vgl. Gespräch mit Rudolf Große im Mai 2008 in Leipzig. 384 Vgl. dazu verallgemeinernd B.-A. Rusinek, „Westforschungs“-Traditionen nach 1945, S. 1193– 1201.

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ierte Frings wissenschaftliche Projekte, baute Strukturen auf und aus, schuf wissenschaftliche Institutionen, an die Ressourcen und Mitarbeiterstellen gebunden waren. Auf diese Weise konnte er Kontakte und Bindungen auf- und ausbauen. Längerfristig stützten diese wiederum seine Position. Voraussetzung dafür war seine Anerkennung als primus inter pares unter Kollegen und die Ergebenheit seiner später selbst in Professuren und wichtige Positionen aufgerückten Schülerinnen und Schüler. Neben all dem war die doppelte Kontinuität bei Frings auch an scheinbar banale, natürliche Bedingungen geknüpft: Diese waren zunächst sein Alter und sein guter Gesundheitszustand. So war der 1886 geborene Frings 1933 47 Jahre alt und damit für den Kriegsdienst zu alt, jedoch jung und gesund genug, um nach 1945 noch gut 20 Jahre weiter zu arbeiten. Des Weiteren war seine frühzeitige akademische Etablierung wichtig für den Ausbau seiner Stellung innerhalb des Wissenschaftssystems, denn das früh erworbene wissenschaftliche symbolische Kapital wurde zur gesicherten Ausgangsbasis in der Auseinandersetzung mit politischen und hochschulpolitischen Akteuren. Und nicht zuletzt war für Frings die Bindung an den Standort wichtig. Aus der starken Heimatverbundenheit mit den Rheinlanden sowie mit Leipzig als zweiter Heimat leitete er für sich eine je unmittelbare Verantwortung für den Ort ab. Natürliche, akademische und persönliche Gründe bestimmten also den Werdegang von Frings in den drei politischen Systemen ebenso wie seine Rolle und Bedeutung in akademischen und wissenschaftspolitischen Zusammenhängen. Darüber hinaus war auch die Konstellation in der Leipziger Germanistik selbst für diese Dauerhaftigkeit mitverantwortlich, konnte sich doch Frings neben Korff frei entfalten. In vielen Dingen waren sie verschieden, aber nie Konkurrenten. Und so waren die Aufgaben innerhalb des Instituts unter ihnen klar aufgeteilt – dem Wissenschaftsorganisator Frings stand der an solchen Dingen wenig interessierte Korff nicht im Wege, und so konnte jeder seinen Platz innerhalb des Fachs und des Instituts finden. Wenn es jedoch darauf ankam, die Belange des Instituts gegenüber Dritten zu schützen, waren sich Korff und Frings einig und unterstützten einander ohne Ausnahme. Möglicherweise hat zu ihrem gut funktionierenden Verhältnis auch beigetragen, dass es nicht freundschaftlich, sondern bis zuletzt funktionalkollegial war. Und so profitierten sie – trotz persönlicher Distanz – zuletzt beide von der guten Zusammenarbeit, die wesentlich zur Stabilität des Instituts auch in schwierigen Zeiten beitrug. 5 Doppelte Kontinuität II: Mehr Geist als Materie? Hermann August Korff Hermann August Korff ist in der Germanistik vor allem der älteren Generation ein Begriff. Er war ein brillanter Redner, schrieb mit dem Geist der Goethezeit Geistesund Ideengeschichte par exellence und prägte den Begriff „Goethezeit“. In der Wissenschaftsgeschichte steht Korff als Repräsentant der Geistesgeschichte und (in der Regel recht standardisiert) im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Machtergreifung. Unter den Germanisten, die 1933 begrüßten, wird Korff die zwei-

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felhafte Ehre zuteil, dies besonders euphorisch getan zu haben.385 Das Bild von Korff in der Nachkriegszeit wird wiederum bestimmt durch die Erinnerungen von Zeitzeugen, die – je nach Position – den Literaturhistoriker als „wertvolle“ Rarität386 oder als notwendiges Relikt einer überkommenen Zeit387 sehen. Das Problem dieser Zuschreibungen ist nicht, dass sie nicht zuträfen. Jedoch zeichnen die drei Erzählstränge (der große Geistesgeschichtler, der euphorische Hitlerbegrüßer und das bürgerliche Relikt) nur einseitige, oberflächliche Bilder des Literaturhistorikers. Eine differenzierte Analyse von Korffs Wirken fehlt hingegen. Wesentlicher Grund dafür ist die Quellenlage. So sind Unterlagen über den wissenschaftsorganisatorisch wenig aktiven Korff, die sein Handeln in wissenschaftshistorisch relevanten Zusammenhängen illustrieren könnten, spärlich. Zugleich existieren auch nur wenige persönliche Zeugnisse, die der Nachwelt Aufschluss über Motivationen und Ambitionen seines Handelns geben. Die Hoffnung, im Privatbesitz des Sohns einen bisher unbekannten Nachlassschatz zu finden, wurde enttäuscht, jedoch stellte er mir die Briefe und Glückwunschschreiben anlässlich Korffs 75. Geburtstags sowie Vortragmanuskripte zur Verfügung. Die ebenfalls im Besitz des Sohnes befindlichen Memoiren Korffs, die dieser unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb, blieben hingegen (aufgrund des privaten Charakters vieler Passagen) unter Verschluss.388 Die aufwendige Recherche in Archiven, die bis nach New York und Boston führte, förderte ebenfalls nur vereinzelte Zeugnisse zu Tage. Wohl nicht zuletzt aufgrund dieser prekären Quellenlage gewannen in den letzten Jahrzehnten die wenigen, leicht zugänglichen Zeugnisse und die mit dem Namen Korff verbundenen Einzelereignisse an besonderem Gewicht. Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, Korff aus den sich wiederholenden Zuschreibungen zu lösen. Auf der Grundlage bisher unbekannter bzw. kaum berücksichtigter Quellen gilt es im Folgenden, ein differenziertes Bild des Literaturhistorikers zu zeichnen und die bekannten Erzählstränge vor dem Hintergrund seiner gesamten Biographie zu betrachten. Jenseits von Mystifizierungen wird Korff so zur handelnden Person mit konkreten Ambitionen, wobei auch hier die Gründe und Hintergründe für die doppelte Kontinuität besonders interessant sind. Um diese zu 385 Vgl. etwa R. Klausnitzer, Umwertung, S. 193, sowie K. Briegleb, Unmittelbar zur Epoche des NS-Faschismus, S. 113. Zur Kritik an den pauschalen „Standardindizien“ für die Selbstgleichschaltung des Fachs nach 1933 vgl. H. Gaul-Ferenschild, National-völkisch-konservative Germanistik, S. 190. 386 So waren für den späteren Lehrer Peter Zimmermann, der nach dem Krieg in Leipzig studierte, Korffs Vorlesungen „inhaltlich wie sprachlich eine Offenbarung […]. Von Vorlesung zu Vorlesung nahmen wir begeistert Anteil an der Errichtung eines herrlichen Gedankengebäudes, das uns den trüben Studentenalltag über weite Strecken vergessen machte.“ Allerdings gelang es ihm nicht, Korffs Vermächtnis auf die Arbeit als Lehrer zu übertragen: „Zwar gaben wir in unserem Deutschlehrer-Dasein […] einiges von den glanzvollen Interpretationen an die Schüler wieder […], doch die zunächst begeistert aufgenommenen Lehren formten sich nicht, wie wir in jugendlichem Überschwang gehofft hatten, zu einer Weltanschauung, die den Herausforderungen des Alltags auf Dauer standzuhalten vermochte.“ P. Zimmermann, Geschichte wird uns zugefügt, S. 127–128. 387 Materialien, Gespräch mit H.-G. Thalheim, S. 263–264. 388 Für die Nutzung der Briefe und Manuskripte sowie die freundlichen Auskünfte über die Memoiren seines Vaters danke ich Malte Korff / Leipzig.

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verfolgen, werden drei Zeiträume untersucht: Der erste Punkt betrachtet die Phase der wissenschaftlichen Etablierung Korffs, seine Berufung nach Leipzig 1925 sowie sein Wirken in der Weimarer Zeit. Der zweite Abschnitt widmet sich Korff als Hochschullehrer während des Dritten Reichs; der dritte fragt nach seiner Bedeutung als Professor in der Nachkriegszeit. Die eingehende Beschäftigung mit Korffs wissenschaftlichem Werk erfolgt in Kapitel C II. Zunächst jedoch ein kurzer Überblick über Biographie und akademischen Werdegang. Korff wurde am 3. April 1882 in Bremen geboren. Er stammte aus einer großbürgerlichen Industriellenfamilie, die ihr Geld seit der Gründerzeit mit der Veredelung von Erdöl verdiente. Er schloss 1901 in seiner Heimatstadt die Schule mit Abitur ab und entschied sich statt der Fortführung des elterlichen Betriebs für die Aufnahme eines geisteswissenschaftlichen Studiums. Er studierte, fern von der Heimat, in Heidelberg und Bonn Germanistik, Philosophie, Geschichte und Kunstgeschichte. 1907 promovierte er bei dem jüdischen Honorarprofessor Max Freiherr von Waldberg über Scott und Alexis.389 Nach dem Studium arbeitete Korff zunächst als Redakteur beim Rheinischen Merkur in Bonn. Doch sein „sehr verehrter Lehrer“390 von Waldberg regte ihn bald zur weiteren wissenschaftlichen Arbeit an, nicht zuletzt zur Beschäftigung mit Voltaire, über dessen Wirkung auf die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts Korff habilitierte.391 Die Betreuung der Arbeit konnte von Waldberg jedoch nicht übernehmen, da der jüdische Germanist kein Ordinariat innehatte. Die Erfahrung, den geschätzten Doktorvater beim Scheitern seiner Aufstiegsversuche erlebt zu haben, mögen Korff später dazu veranlasst haben, seinen Leipziger Kollegen Witkowski bei dessen beruflichen Ambitionen zu unterstützen.392 Im Jahr 1909 heiratete Korff seine erste Frau, Maria Stein, mit der er zwei Kinder hatte; einen Sohn, Hanno, und eine Tochter, Renate. Die Trauung erfolgte noch kirchlich, ein Jahr später jedoch trat Korff (evangelisch getauft) aus der Kirche aus und demonstrierte damit seine grundlegende Skepsis gegenüber dem traditionellen Christentum – eine Skepsis, die sich auch in seinen wissenschaftlichen Arbeiten wiederfindet.393 So widmete er seine Habilitation mit der Aufklärung einer Epoche, die sich aus den Bindungen der mittelalterlichen Religion löste, um zu eigener Weltanschauung und auch Religiosität zu gelangen.394 Im Jahr 1913 reichte Korff die Arbeit über Voltaire als klassizistischen Autor im literarischen Deutschland des 18. Jahrhunderts an der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften in Frank389 Vgl. H. A. Korff, Scott und Alexis. Eine Studie zur Technik des historischen Romans. 390 H. A. Korff, Voltaire, S. IX. 391 Vgl. ebd. Die Arbeit widmete Korff seinem 1914 verstorbenen Vater. Sie erschien als Band 10 in der Reihe Beiträge zur Neueren Literaturgeschichte, die sein Doktorvater von Waldberg herausgab. 392 Vgl. G. Witkowski, Von Menschen und Büchern, S. 139. 393 Vgl. L. Stockinger, Geist der Goethezeit, S. 8–13. 394 „[Es] bedurfte einer Weltanschauung, die weder aufklärerisch noch christlich, aber vielleicht in einem höheren Sinne beides zusammen war […], im Sinne einer Neugeburt der Religion in den wahrhaft ‚Gebildeten unter den Verächtern‘, d. h. einer religiösen Weltanschauung aus einer neuen idealistischen Erleuchtung. Und eben diese Erleuchtung kam der europäischen Menschheit aus der Goethezeit des deutschen Geistes.“ H. A. Korff, Geist der Goethezeit, Bd. I [1923], S. 25.

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furt (der Vorgängerinstitution der heutigen Goethe-Universität) bei Julius Petersen ein. Die Arbeit war fast zur Drucklegung fertig, als Korff zum Kriegsdienst eingezogen wurde, sodass sie erst drei Jahre später erscheinen konnte. Welche Wirkungen der Krieg, an dem Korff als Offizier teilnahm, auf den Literaturhistoriker hatte, zeigt das Vorwort seiner 1917 erscheinenden Habilitation. Darin distanzierte er sich von deren europäischen, auch pro-französischen Ansätzen. Der kosmopolitische Zug des Buchs, in dem Voltaire als „Anwalt des europäischen Gewissens“395 erschien, kam ihm 1917 vor wie aus einer anderen Zeit.396 Vielmehr favorisierte Korff nach dem Ersten Weltkrieg eine verengte nationale Sicht und verschob den Fokus seiner Betrachtung auf die heroisierende Epoche der „Deutschen Bewegung“ (Herman Nohl). Er machte es sich nun zum Ziel, die Hochzeit deutscher Kultur und Literatur zu erfassen, zu veranschaulichen und zu vermitteln. Die Ablehnung der Ergebnisse von Versailles, der Wunsch nach Revision in Fragen der Ostgebiete, der Verlust der deutschen Vormachtstellung in Europa sowie der politische Aufstieg des Kriegsgewinners und alten Erbfeindes Frankreich bestimmten auch Korffs Wahrnehmung in der Nachkriegszeit. Gerade Frankreich wurde für ihn zum Feindbild und das Verteidigungsbündnis zwischen Frankreich und Polen zur „französischpolnische[n] Halunkerei“, aufgrund derer er „so brennend hassen kann wir nur einer […].“397 Diese antifranzösischen Ressentiments spiegeln sich noch in Korffs Widmung seines dritten Bands von Geist der Goethezeit, der 1940 erschien und den er dem Einmarsch der deutschen Soldaten in Paris widmete. Er stellte ihr folgendes Hölderlin-Zitat voran: „Die Schlacht ist unser; nun freuest mein Vaterland der stolzen Jugend dich, denn herrlich hubst du sie an, und sie wird einst reifen.“398 1918 aus dem Krieg zurückgekehrt, setzte Korff seine akademische Karriere fort und lehrte in Frankfurt als Privatdozent für Neuere deutsche Literaturgeschichte. Im Jahr 1921 wurde er dort zum außerplanmäßigen Extraordinarius ernannt und übernahm vertretungsweise den Lehrstuhl von Julius Petersen, den der lang erwartete Ruf nach Berlin erreicht hatte. Zwei Jahre später ging Korff als erster Ordinarius für Neuere deutsche Literaturgeschichte an die Universität Gießen, einer kleinen Hochschule in beschaulichem Städtchen mit Fluss und Grün, Ruhe und Platz für die Kinder. Nach zwei Jahren erhielt Korff den Ruf als Nachfolger von Albert Köster in das große, geschäftige Leipzig, den er erst nach einigem Zögern annahm. Dort lehrte er als Professor über 30 Jahre – von den politischen Zäsuren 1933 und 1945 scheinbar unbeeindruckt – über seine Emeritierung 1954 hinaus bis 1956. Die Arbeit an seinem Hauptwerk Geist der Goethezeit beanspruchte Korffs nahezu gesamtes Gelehrtenleben. Die Bände erschienen 1923 zum Sturm und Drang, 1930 zur Klassik, 1940 zur Früh- und 1953 zur Hochromantik. Ein Registerband für alle vier Bände erschien 1957. Für dieses vielbeachtete Werk erhielt Korff eine

395 H. A. Korff, Voltaire, S. 4. 396 Vgl. H. A. Korff, Voltaire, S. IX–X. 397 Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 1. Juni 1923, in: DLA Marbach, D: Petersen, D62.275, Bl. 1. 398 Vorwort und Widmung in H. A. Korff, Geist der Goethezeit, Bd. III [1940].

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Reihe von Auszeichnungen;399 er war Ehrenmitglied in der Modern Language Association of America sowie Mitglied in der Sächsischen Akademie der Wissenschaften.400 Korff war insgesamt drei Mal verheiratet. 1930 trennte er sich von seiner ersten Frau und heiratete die deutlich jüngere Gisela Treuer, die jedoch 1946 starb. Seine dritte Ehe schloss Korff 1949 mit Brigitte Wolff, ebenso wie Treuer eine seiner Studentinnen. Mit ihr hatte er einen weiteren Sohn, Malte, der 1950 geboren wurde. Er war 13-jährig, als sein Vater am 11. Juli 1963 im Alter von 81 Jahren in Leipzig starb. 5.1 Jahre der akademischen Etablierung. Korff in der Weimarer Zeit Die 1920er Jahre waren für Korffs akademischen Werdegang von grundlegender Bedeutung, erfolgte doch in diesen Jahren sein akademischer Aufstieg zum Ordinarius auf einen der wichtigsten literaturwissenschaftlichen Lehrstühle des Reiches. Glücklicherweise verfügen wir für diese Zeit über einige Quellen, die bisher noch nicht erschöpfend ausgewertet wurden und das Bild des aufsteigenden Korff nachvollziehbar machen. In ausführlichen und offenen Briefen an seinen Mentor, Habilitationsbetreuer und späteren Freund Julius Petersen schrieb Korff über seine beruflichen Vorstellungen und Planungen, die uns auch etwas über seine generellen Ambitionen und Befürchtungen erzählen.401 Die frühen 1920er Jahre standen für Korff ganz im Zeichen seiner Arbeit am Geist der Goethezeit, der seinen „Ruhm begründen“ 402 sollte. Korff wusste: „für meine ganze Zukunft [ist es] unbedingt erforderlich […], so bald wie möglich mit einer wirklich namhaften schriftstellerischen Leistung hervorzutreten, in der ich endlich einmal ganz [als] ich selbst erscheine. Ich habe den Glauben gewonnen, mich hierzu auf dem besten Wege zu befinden. Nun darf ich mich nicht stören lassen. Denn alles setz’ ich jetzt auf diese Karte, und diese Karte muss stechen oder ich habe das Spiel verloren.“ 403

Da Korff auf den großen Wurf wartete, wog er die Veröffentlichung von kleineren Texten im Vorfeld genau ab: Sind die Ideen ausgereift, die Texte sprachlich gelungen; würden frühe Veröffentlichungen ihn zu sehr festlegen und die konzeptionelle 399 Im Goethejahr 1932 erhielt Korff die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft, verliehen durch den Reichspräsidenten von Hindenburg sowie die Goethe-Medaille des Freien Deutschen Hochstifts in Frankfurt. Des Weiteren erhielt Korff 1949 die Goethe-Medaille der Stadt Frankfurt am Main und 1953 die Herder-Medaille der DDR. Vgl. M. Bauer, Hermann August Korff. 400 Korff wurde 1940 (nicht 1941, wie das Internationale Germanistenlexikon verzeichnet und wie ich auf Nachfrage bei der Modern Language Association erfuhr) zum Ehrenmitglied in der renommierten amerikanischen Institution gewählt. Zum ordentlichen Mitglied in die SAW wurde er im Februar 1929 gewählt, trat jedoch 1932 aus „ganz persönlichen Gründen“ aus. C. Träger, Hermann August Korff, S. 84. Erst im Januar 1955 wurde Korff wieder Mitglied in der SAW. 401 Vgl. Briefe von H. A. Korff an J. Petersen zwischen 1921 und 1938, in DLA Marbach, D: Petersen, D62.275 bzw. 66.1037. Die Antwortbriefe von Petersen sind leider nicht überliefert. 402 Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 25. Juni 1921, in: DLA Marbach, D: Petersen, D62.275. 403 Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 13. November 1921, in: Ebd.

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Bewegungsfreiheit des eigentlichen Werks hindern?404 Trotz dieser Zweifel war ihm klar, dass er seine Position innerhalb des wissenschaftlichen Feldes früh markieren musste: „Es liegt mir […] sehr daran, meine Auffassung des Verhältnisses von Klassik und Romantik vor dem Erscheinen des erwarteten Buches von Strich öffentlich festgelegt zu haben […] [so] kann ich […] wenigstens vorläufig dokumentieren, dass ich über den Voltaire [die Habilitation; AL] inzwischen doch hinausgewachsen bin, so dass ich wirklich hoffe, dass das bei den Berufungsfragen nicht ganz ohne Belang sein wird.“ 405

Petersen war Korff bei all diesen Fragen ein kompetenter und geduldiger Ratgeber. Ihm gegenüber sprach Korff von seinen Überlegungen und Zweifeln; ihn bat er, ein paar „stille Stunden für die Lektüre“406 seiner Texte zu opfern. Das Manuskript zum ersten Band des Geist der Goethezeit (immerhin über 300 Seiten) schickte er ihm vollständig mit der Bitte um „eine geistige Korrektur in höherem Sinne“, nicht eine „Korrektur der Druckfehler […].“ Denn es würde ihm, „ein sehr angenehmes Gefühl bereiten, wenn mein Buch vor seinem Erscheinen Ihre mir maßgebliche Kritik mit einem placet passiert haben würde.“407 Doch nicht nur die fachliche Kritik Petersens war für Korff maßgeblich. Er vertraute ihm auch in Karrierefragen und bat ihn um Rat. Als im Sommer 1921 Franz Schultz, Schmidt-Schüler, Philologe und Katholik nach Frankfurt berufen wurde, schrieb Korff besorgt an Petersen: Ich mache mir „ernstliche Sorgen um meine Zukunft bei der Aussicht […] mit meiner ganzen ferneren Existenz sehr wesentlich von der Begutachtung eines Mannes abhängig zu werden, von dem man instinktiv fühlt, dass man weder eine menschliche noch wissenschaftliche Gemeinschaft mit ihm hat. […] Von heute ab wird der Wunsch, von Frankfurt fortzukommen, zu einer Krankheit bei mir werden! Und ich schäme mich deshalb nur noch schwach, ganz offen zu Ihnen zu sprechen: wenn Sie irgend können, so tragen Sie doch bitte so bald wie möglich zu meiner Befreiung bei.“ 408

Später revidierte Korff seine Vorbehalte gegen Schultz, blieb jedoch bei dem Entschluss, Frankfurt zu verlassen.409 In den folgenden zwei, drei Jahren gab es ver404 Vgl. Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 13. Februar 1922, in: Ebd. 405 Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 27. Dezember 1921, in: Ebd. Gemeint ist hier Fritz Strichs Deutsche Klassik und Romantik – oder Vollendung und Unendlichkeit (1922). Mit Blick auf seine Habilitation, die so Korff, nur „eine Schularbeit“ gewesen sei, schrieb er an anderer Stelle: Erst mit dem Geist der Goethezeit werde er „mit dem zu Worte kommen, was ich wirklich zu leisten vermag. Aber ich habe auch das Vertrauen, dass mir dieses Buch eine bestimmte und charakteristische Position unter den Literaturhistorikern der Gegenwart geben wird, vielleicht und wahrscheinlich eine umstrittene, aber doch immerhin eine solche, auf der ich nicht zu übersehen sein werde. Vom Voltaire konnte ich das noch nicht erwarten.“ H. A. Korff an J. Petersen vom 3. Dezember 1922, in: Ebd. 406 Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 27. Dezember 1921, in: Ebd. 407 Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 3. Dezember 1921, in: Ebd. 408 Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 25. Juni 1921, in: Ebd. 409 Denn (entgegen Korffs Befürchtungen) unterstützte Schultz ihn als jüngeren Kollegen, sodass sich Korff bald „ihm in jeder Weise zu größtem Dank verpflichtet“ sah. Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 3. Dezember 1921, in: Ebd.

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schiedene, doch nur vage Berufungsoptionen für Zürich, Köln, die Akademie der Künste in Dresden, für Frankfurt (als Nachfolger von Rudolf Hirsch), die Technische Hochschule in Danzig sowie für Gießen. „Augenblicklich“, so fasste Korff die Situation zusammen, ist „alles in der Schwebe […].“410 Entsprechend den damaligen akademischen Gepflogenheiten hatten die Kandidaten keinen Einfluss auf die Prozesse; sie bewarben sich nicht, sondern wurden vorgeschlagen, begutachtet und diskutiert, ohne davon (zumindest offiziell) zu wissen oder etwas unternehmen zu können. In diesem akademischen Vexierspiel bewies Korff wenig Gelassenheit und Geduld. Rasch begann er an der Idee einer wissenschaftlichen Karriere zu zweifeln und überlegte, ob er das Angebot eines Gymnasiums annehmen sollte, um dort als Lehrer zu arbeiten. Petersen versuchte Korff auch in dieser schwierigen Phase zu unterstützen, versandte positive Gutachten an die in Frage kommenden Fakultäten und sprach mit Vertretern im Volksbildungsministerium.411 Im April 1923 sah es günstig für Gießen und Danzig aus – doch war dies eine heikle Situation, da nun beide Fakultäten auf Zeit spielten, um das Berufungsergebnis der anderen Universität abzuwarten. Erschöpft von der beruflichen Unsicherheit und den damit verbundenen materiellen Problemen schrieb Korff im Juni an Petersen: „Ich bin mittlerweile von allem Hin und Her so mürbe geworden, dass ich entschlossen bin, den ersten Ruf anzunehmen, der mich nun wirklich erreicht […]. Es ist auch für meine Frau höchste Zeit, dass man aus der Ungewissheit herauskommt. Einen Augenblick im Wolkenkuckucksheim des deutschen Idealismus schweben, um im nächsten Augenblick von der Nachricht durchbohrt zu werden, dass die Margarine wieder 500 Mark teurer geworden ist, und so abwechselnd zwischen Geist und Materie hin und her[ge]zogen [zu werden], das ist auf die Dauer ein unerträglicher Zustand. Ich gehe gern nach Danzig und gehe gern nach Gießen, es kann mich haben, wer mich will.“412

Dies war nicht nur ungeduldiges Kokettieren; Korff war tatsächlich zu diesem Zeitpunkt körperlich und moralisch geschwächt und wog nur noch knapp 60 Kilogramm.413 Zuletzt ging Korff nach Gießen und etablierte dort die Neugermanistik. Er fühlte sich in der Universität gut aufgehoben, schätzte die Beschaulichkeit der Stadt als „Idyll“, das seiner Lebensart entsprach. Doch bereits zwei Jahre später erhielt er das Angebot aus Leipzig: „Der Ruf aus Leipzig ist nun wirklich an mich gelangt, und die Verlegenheit, in die ich dadurch gebracht werde, empfinde ich noch stärker, als ich immer gefürchtet hatte.“414 Korff wog ab: „Ich brauche nicht auszuführen, was alles zugunsten Leipzigs geltend zu machen wäre. Mir erscheint als wirklicher Wert nur das bessere Schülermaterial, das sich an einer solchen Universität zusammenfindet.“ Dies habe natürlich seinen Reiz; doch das meiste, was die große Universität zu bieten hatte, habe für ihn keine Bedeutung: 410 411 412 413 414

Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 13. November 1921, in: Ebd. Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 9. Februar 1923, in: Ebd. Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 3. April 1923, in: Ebd. Vgl. Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 1. Juni 1923, in: Ebd. Dieses Zitat und die folgenden des Abschnitts stammen aus einem Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 3. April 1925, in: Ebd.

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Germanistenleben „Viel weniger ins Gewicht fällt für die ganze Richtung meines Strebens bereits die Größe der Leipziger Institute, die Reichhaltigkeit ihrer Hilfsmittel usw. Und am wenigsten bin ich von allem äußeren Ehrgeiz geplagt, dessen Befriedigung ich mit dem Verlust meiner inneren Ruhe und Produktivität erkaufen müsste.“

Auch fragte Korff sich, ob er „den Anforderungen eines so großen Amtes […] in jeder Hinsicht und in natürlicher Weise gewachsen“ sei, denn selbst „ein Mann wie Köster [konnte] gelegentlich gar zweifeln […].“ Zudem arbeitete Korff gerade am zweiten Band des Geist der Goethezeit. In Gießen würde er dafür weiterhin die notwendige Zeit haben, ein Wechsel nach Leipzig hingegen die Fertigstellung verzögern. Auch der Gedanke an die große Handels- und Messestadt selbst mit einem Vielfachen der Einwohnerzahl Gießens und den weitläufigen Industriestadtteilen gefiel Korff ganz und gar nicht, denn er „verabscheu[t]e die Großstadt“. Doch auch wenn aus seiner Sicht die Nachteile überwogen, wusste er: „Lehne ich Leipzig ab […], verzichte […] ich auf immer.“ Unfähig, zu einer Entscheidung zu kommen, bat Korff abermals Petersen um Rat, dessen Meinung auch in dieser Frage von „ausschlaggebender Bedeutung“415 für ihn sei. Petersen, der die Vorzüge Leipzigs kannte, selbst damit geliebäugelt hatte, den Ruf als Nachfolger Kösters anzunehmen416, und der auch wusste, dass man einen solchen Ruf nicht ungestraft ablehnte, sprach Korff zu. So entschloss sich dieser zuletzt doch, nach Leipzig zu gehen. Leicht fiel ihm diese Entscheidung nicht: „Ich beginne mich denn auch allmählich mit dem Gedanken an Leipzig abzufinden und den Gang dahin als eine innere Pflicht (ich meine, gegen mich selbst) aufzufassen, für die ich das Gießener Idyll dahingeben muss […].“417 Wie an anderer Stelle beschrieben, hatte nicht nur Korff Vorbehalte, sondern auch die Leipziger Fakultät.418 Doch die Entscheidung sollte für beide Parteien zukunftsweisend sein: Korff blieb sein Leben lang in der Stadt an der Pleiße, und die Universität profitierte von seiner mit den Jahren noch wachsenden wissenschaftlichen Reputation. Die geschilderten Befürchtungen und Unsicherheiten Korffs zeigen Züge seiner Persönlichkeit, die auch für das Verständnis seiner Handlungsweisen in späteren Zeiten wichtig sind. Anders als bei seiner wissenschaftlichen Arbeit hatte Korff in wissenschaftspraktischen Angelegenheiten wenig Geduld und strategischen Ehrgeiz. Es bestätigte sich auch später, dass Korff kaum Interesse daran hatte, die machtstrategischen Mechanismen seiner Zunft zu verinnerlichen und anzuwenden. Gab es eine Entscheidung zwischen Geist und Materie zu fällen, entschied er sich für ersteres – und das sollte sein Leben lang so bleiben. 415 Ebd. 416 In einem Brief an den Verleger Anton Kippenberg in Leipzig schrieb Petersen: „Von der Dresdner Regierung habe ich noch nichts gehört. Dagegen sagte man mir, in Leipzig sei die Meinung verbreitet, ich hätte den Ruf abgelehnt. Davon ist keine Rede. Nur wird es mir wegen des Zögerns der Regierung zweifelhaft, ob es überhaupt an mich gelangen wird.“ Brief von J. Petersen an A. Kippenberg vom 18. Oktober 1924, in: T. Neumann (Hrsg.), Briefwechsel, S. 281. 417 Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 14. April 1925, in: DLA Marbach, D: Petersen, D62.275. 418 Vgl. Kap. B I 1.3.

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Dennoch war Korff keineswegs ein der Welt entrückter Goetheforscher im Elfenbeinturm. Zwar mag ihm jener „äußere Ehrgeiz“ gefehlt haben, jedoch konnte Korff in innerfachlichen Positionierungskämpfen durchaus bestimmt auftreten. Dabei ist es sicher kein Zufall, dass die Auseinandersetzung, um die es im Folgenden geht, in der Zeit seiner wissenschaftlichen Etablierung stattfand. Bestandteil des Aufstiegs von Korff waren nämlich nicht nur seine wissenschaftliche Leistung und die dargestellte Mischung aus Ungeduld und Schicksalsergebenheit angesichts des „akademischen Hasards“ (Max Weber), die sich in den Briefen an Petersen spiegelt. Vielmehr schärfte Korff in den Jahren des akademischen Aufstiegs auch sein wissenschaftliches Profil, in dem er sich gegen andere konzeptionelle Positionen seiner Zeit abgrenzte. Besonders deutlich machte Korff seine Opposition gegen die stammeskundliche Literaturbetrachtung, eine wissenschaftliche Richtung, die die Dichtung aus ihrem landschaftlichen und rassischen Entstehungskontext heraus zu erklären suchte und die an Einfluss gewonnen hatte. Konzeptionell ging sie auf die Überlegungen des Prager Germanisten August Sauer zurück, der in einer programmatischen Prager Rektoratsrede 1907 diesen Zusammenhang erstmals vorgestellt hatte.419 In einer Rezension der viel beachteten Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften von Josef Nadler brachte Korff 1920 die Gemeinsamkeiten und Differenzen von Geistes- bzw. Stammesgeschichte auf den Punkt.420 Zwar sei Nadlers Arbeit durchaus „geistreich“ und „mit glänzendem Spürsinn“ geschrieben.421 Doch die Erwartung des Rezensenten erfülle sie nicht: „Man kann der Leistung als solcher die höchste Achtung nicht versagen, aber man wird den Anspruch des Verfassers zurückweisen müssen, uns mit seiner Literaturgeschichte […] eine deutsche Literaturgeschichte geschenkt zu haben.“422 Ein zentrales Problem der Arbeit sei, so Korff, ihr Partikularismus, der „Vielheit“ betonte (Nadler ordnete den einzelnen Stämmen Epochen oder Stile zu), wo doch nationale Einheit sei. Ein anderer grundlegender Kritikpunkt war die einseitige Fokussierung auf die Stämme, wodurch die geistigen Entwicklungslinien hintan stünden;423 mithin sei bei Nadler „Blut dicker als Geist“424. Dabei müsse es, so Korff, gerade um die Aufhebung der regional­landschaftlichen Differenzen gehen, möchte man die Spezifik der deutschen Literatur herausstellen. Aus diesem Grund könne die Stammeskunde die geistesgeschichtliche Literaturbetrachtung nur ergänzen, keinesfalls jedoch ersetzen, wie es ihr Anspruch war.425 Doch die Stammeskunde um Sauer trat im konzeptionellen Positionierungskampf selbstbewusst und offensiv auf. Bis Mitte der 419 Zur Konzeption von A. Sauer vgl. R. Rosenberg, Zehn Kapitel, S. 240–248. 420 Vgl. zur wissenschaftlichen Konzeption Nadlers und der unterschiedlichen Rezeption seines Werks I. Ranzmaier, Stamm und Landschaft, v. a. S. 212 bzw. 379– 400. 421 H. A. Korff, Rezension zu J. Nadlers Literaturgeschichte, S. 402 bzw. 403. 422 Ebd., S. 408. 423 Denn Dichtung sei die „Frucht, gezeugt aus dem Schoße der Natur durch die Kraft des Geistes, und je mehr diesem zweigeschlechtlichen Ursprunge Rechnung getragen wird, umso näher wird man der Wahrheit kommen.“ Ebd., S. 404. 424 Ebd., S. 403. 425 Vgl. ebd., S. 405.

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1920er Jahre hatte sie eine Stellung erlangt, die es, zumindest aus der Sicht von Korff, notwendig machte, sie in ihre Schranken zu weisen. Als 1924 die stammeskundliche Dissertation von Sauers „bestem Schüler“426 Georg Stefansky erschien427, wollte Korff ein Exempel statuieren. Er schrieb über das Buch eine vernichtende Kritik. Es sei schlecht geschrieben und schweife ab, was die Lektüre „zu einer rechten Qual“ werden lasse. Und er schloss: „Vor den großen Bauplätzen der Literaturwissenschaft [sollte man; AL] Schilder […] mit der Aufschrift […]: Unbefugten ist das Betreten verboten!“428 aufstellen. Die Schärfe der Kritik war nicht gegen Stefansky persönlich gerichtet, den Korff nicht kannte.429 Vielmehr richtete sich sein Angriff gegen die Stammeskunde an sich. Dies blieb Sauer nicht verborgen, der promt mit einer Stellungnahme in der Zeitschrift Euphorion reagierte, in der er Korffs Rezension als „anmaßend und frech“ sowie „einer sachlichen Erwiderung nicht würdig“ bezeichnete.430 Auch Korff lud nach und versuchte nun, die geplante Habilitation von Stefansky in Prag zu verhindern.431 Dies war in der Logik des Positionierungskampfes sinnvoll, denn Sauer war bereits Ende 60, und es war nicht unwahrscheinlich, dass ihm Stefansky auf dem Prager Lehrstuhl nachfolgen würde, was die Fortführung, Verjüngung und Stärkung der Stammeskunde bedeutet hätte. Auf die inneruniversitären Prozesse im fernen Prag versuchte Korff Einfluss zu nehmen, indem er öffentlich die Habilitation von Josef Körner unterstützte. Körner war ein Schüler von Oskar Walzel und hatte 1920 ebenfalls Nadlers Literaturge-

426 So A. Sauer über G. Stefansky in einem Brief an J. Petersen vom 15. Juni 1922, zitiert nach P. Boden, Wissenschaftsmanager, S. 87. 427 Vgl. G. Stefansky, Das Wesen der deutschen Romantik, Stuttgart 1923. Zur Analyse der Konzeption Stefanskys wie zu dem Konflikten vgl. ausführlich A. Pilger, Germanistik in Münster, S. 222–274. 428 H. A. Korff, Rezension zu G. Stefansky, Sp. 25. 429 Korff bezeichnete diesen Satz später selbst als „überscharfe Schlusspointe, die […] unter keinen Umständen aber in dem Sinne verstanden werden sollte, als ob ich dem Verfasser aufgrund seiner […] verunglückten Dissertation dauernd die Befugnis und Befähigung zu literaturhistorischen Arbeiten […] absprechen wollte. Wer besäße auch die Anmaßung, die Zukunft eines jungen Mannes, der doch noch in der Entwicklung begriffen ist, nach seinem Sturm-und-dranggeborenen [sic] Erstlingswerk so voraussagen zu wollen“. Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 17. Juni 1925, in: DLA Marbach, D: Petersen, D62.275 [Hervorhebung im Original]. Gleichwohl hatte der Angriff den jungen Wissenschaftler Stefansky naturgemäß hart getroffen. Er bezeichnete die Besprechung daher als „vielleicht eine der böswilligsten Rezensionen, die je erschienen“ ist. So Stefansky in einem Brief an seinen Freund und Mentor Konrad Burdach vom 16. März 1924, zitiert nach A. Pilger, Germanistik in Münster, S. 241. Infolge von Kritik durch Kollegen entschuldigte sich Korff später öffentlich für seine Entgleisungen. Vgl. H. A. Korff, Erklärung, sowie in diesem Zusammenhang auch P. Boden, Wissenschaftsmanager, S. 88. 430 Vgl. A. Sauer, Verwahrung, S. 303. 431 So schrieb Korff an Petersen: „Ich würde St[efansky] nie habilitieren.“ Zudem empfinde er eine gewisse „Genugtuung darüber […], dass meine Besprechung die Wirkung gehabt hat, auch andere Leute von der Gefährlichkeit seiner geistigen Art zu überzeugen.“ Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 17. Juni 1925, in: DLA Marbach, D: Petersen, D62.275 [Hervorhebung im Original].

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schichte verrissen.432 In Prag waren Stefansky und Körner unmittelbare Konkurrenten, denn sie waren beide jüdischer Herkunft und die Prager nationalistische Fakultät lehnte es ab, sie gleichzeitig in einem Fach zu habilitierten. Angesichts dieser Konstellation bedeutete die Unterstützung des einen die Schwächung des anderen. Aus diesem Grund hatte auch Sauer Körners Habilitation ungewöhnlich kritisch rezensiert, was negative Auswirkungen auf dessen Habilitationsverfahren hatte.433 Korff, Walzel und neun weitere namhafte Gelehrte gaben daraufhin eine öffentliche Erklärung ab, in der sie gegen dieses Vorgehen protestierten.434 Doch sie hatten mit ihrem Einspruch keinen Erfolg; Körner wurde von der Prager Fakultät abgelehnt und konnte sich erst 1930 habilitieren. Im Übrigen verzögerte sich auch das Verfahren von Stefansky, der sich erst 1925 habilitierte. Die geschilderten Auseinandersetzungen sind aus verschiedenen Gründen wissenschaftshistorisch aufschlussreich. Zum einen war es einmalig, dass sich Germanistikprofessoren gegen die administrativen Entscheidungen einer Fakultät zu stemmen versuchten.435 Zum anderen sind die Ähnlichkeiten zu den Auseinandersetzungen im Rahmen der „geistesgeschichtlichen Wende“ auffällig. Die Geistesgeschichte war Mitte der 1920er Jahre offenbar so weit ausdifferenziert und institutionalisiert, dass sie ihre eigenen „Oppositionsfronten“ bilden und Konkurrenzkämpfe ausfechten konnte.436 Für den vorliegenden Zusammenhang ist jedoch vor allem die Argumentation Korffs wesentlich. Auch Körner war ihm nämlich „vollkommen schnuppe […].“437 Sein Angriff zielte wieder auf Sauer und die Stammeskunde, wofür nicht zuletzt der von ihm gewählte Zeitpunkt der öffentlichen Erklärung spricht, der unmittelbar nach Sauers 70. Geburtstag lag. Korff wollte „das Fest erst vorüberrauschen lassen […], ehe [er] für den Kater sorgte.“438 Die Auseinandersetzungen zeigen, dass Korff durchaus in der Lage war, strategisch zu handeln und Positionierungskämpfe mit harten Bandagen auf dem Rücken von Nachwuchswissenschaftlern und durch Kooperation mit anderen Germanisten 432 Die Rezension Körners war so vernichtend, dass sich Nadler noch in seiner Autobiographie daran erinnerte. Vgl. J. Nadler, Kleines Nachspiel, S. 48. 433 Vgl. A. Sauer, Rezension zu J. Körner. 434 Neben Walzel und Korff unterschrieben die Erklärung unter anderem Leo Spitzer, Fritz Brüggemann, Eduard Castle, Carl Enders, Paul Kluckhohn, Albert Leitzmann, Paul Merker und Georg Witkowski. Petersen, den Korff ebenfalls gewinnen wollte, unterschrieb die Erklärung nicht, da er Stefansky freundschaftlich verbunden war. Vgl. Erklärung, Sp. 407, sowie zur vermittelnden Position von Petersen in diesem Konflikt P. Boden, Wissenschaftsmanager, v. a. S. 87–97. 435 Vgl. ebd., S. 93. 436 Vgl. W. Barner, Zwischen Gravitation und Opposition, S. 214 –217. 437 Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 7. Januar 1925, in: DLA Marbach, D: Petersen, D 62.275. 438 Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 24. November 1925, in: Ebd. Die Schärfe in diesem Konflikt hing möglicherweise auch mit Diskussionen um die Besetzung der Professur in Köln einige Jahre zuvor zusammen. Hier hatte Korff auf Platz drei der Berufungsliste gestanden. Ein Minderheitenvotum innerhalb der Fakultät favorisierte jedoch den bisher nicht platzierten Josef Nadler für Platz eins. Konrad Burdach und Rudolf Unger lieferten positive Gutachten und August Sauer aus Prag bestätigte diese, was einem Votum gegen Korff gleichkam. Vgl. I. Ranzmaier, Stamm und Landschaft, S. 243–344, sowie A. Pilger, Germanistik in Münster, S. 241.

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auszufechten. Dass der Konflikt mit Sauer kein Einzelfall war, zeigt folgende Aussage Korffs, in der es um seine Nachfolge in Gießen ging, und in der er gegen eine Berufung von Fritz Strich oder Herbert Cysarz votierte: „Einer Überschwemmung unserer Lehrstühle mit diesen ebenso gefährlichen wie brillierenden Geistern muss grade ich mich entgegenstemmen, der ich bis zum gewissen Grade derselben Richtung angehöre. Aber ich fühle meine Richtung durch diese Leute kompromittiert und bin entschlossen, den Trennungsstrich zwischen ihnen und mir immer deutlicher zu machen.“439

Es ist kein Zufall, dass sich diese expliziten Abgrenzungen bei Korff in derjenigen Phase finden, die für seinen akademischen Aufstieg wichtig war, denn hier ging es um Ressourcen, Stellen und Einfluss. Sie zeigen sich allerdings in einer Klarheit, die sich später nicht wieder findet. In Leipzig kam Korff trotz seiner Vorbehalte gut an. Er zog mit seiner Frau und den Kindern in ein Haus mit Garten in dem noblen Stadtteil Gohlis, in die Nähe seines neuen Kollegen Witkowski und nahe des schmalen Häuschens, in dem Schiller 1785 für einige Monate gelebt und die Ode an die Freunde geschrieben hatte. Schon Korffs Antrittsvorlesung war ein Erfolg. Erich Kästner, der zu dieser Zeit in Leipzig studierte, beschrieb den Wechsel von Köster zu Korff als „Systemwechsel“, als einen „Schritt in die Gegenwart“ und damit als „Schritt in die Zukunft“.440 Am Institut gab es, wie erwartet, viel zu tun. In Leipzig studierten Mitte der 1920er Jahre 5000 Studenten, gut 400 von ihnen Germanistik. Der überwiegende Teil promovierte in der Neugermanistik, allein Korff betreute in den sieben Jahren bis 1932 58 Dissertationen als Erst- bzw. Zweitgutachter.441 Die Themenvielfalt war beeindruckend und umfasste Arbeiten über Schiller, Klopstock und Jean Paul ebenso wie über Hermann Hesse oder Gerhart Hauptmann. Bei Korff entstand die erste literaturwissenschaftliche Untersuchung über homoerotische Dichtung im 19. Jahrhundert442 sowie eine Studie über die Bedeutung Goethes für die Entwicklung von Friedrich Nietzsche.443 Explizit geistesgeschichtliche Arbeiten waren hingegen selten. Insgesamt hatte Korff offenbar, so bestätigt es auch ein Schüler, ein „ebenso großzügiges wie liebenswertes Verständnis für selbständige oder auch manchmal eigenwillige Arbeiten. Er verlangte nur, dass sie von ernstem Wollen und Kunstverstehen getragen“444 waren. So war auch die Betreuung der Arbeiten eher ein wohlwollendes Begleiten, ein „Gemisch aus Gewährenlassen und gelegentli439 Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 17. Juni 1925, in: DLA Marbach, D: Petersen, D62.275. 440 E. Kästner, Köster und Korff, S. 25. 441 Vgl. UAL, Promotionsprotokolle der Phil. Fak. 1920–1945. 442 Vgl. M. Keilson-Lauritz, Hans Dietrich Hellbach. 443 Vgl. Ernst Kaußmann, Der Stil der Oden Klopstocks (1931); Wilhelm Spengler, Das Drama Schillers. Seine Genese (1932); Ilse Huhle, Jean Pauls Humoristen (1931); Hans Dietrich Hellbach, Die Freundesliebe in der deutschen Literatur (1931); Felix Lützkendorf, Hermann Hesse als religiöser Mensch in seinen Beziehungen zur Romantik und zum Osten (1932); Helmut Schwager, Gerhart Hauptmann: Till Eulenspiegel. Versuch einer ideengehaltlichen, formalästhetischen und literaturhistorischen Würdigung (1930), Maia Sabeski, Goethe als Erzieher Nietzsches (1929). 444 A. Haueis, Leipziger Hochschullehrer bei der Arbeit. Hermann August Korff. Haueis promovierte 1935 bei Korff mit einer Arbeit über Hans Carossa.

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chem Drängeln“445 und kaum ein gezieltes Lenken, womit sich Korff deutlich von Frings unterschied. Viele von Korffs Schülern schätzten gerade diesen undogmatischen Umgang und die damit verbundene Möglichkeit zur selbständigen Entfaltung. Ihr wohnte auch ein aufklärerisches Moment inne, indem Korff seine Studenten zu Selbstverantwortung und Selbständigkeit anregte. Gleichzeitig führte dies zu einer gewissen Unverbindlichkeit im Verhältnis Korffs zu seinen Schülern. So ist es kein Zufall, dass sich keiner von ihnen bei ihm habilitierte – während seiner gesamten Leipziger Zeit nicht. Von einer „Korff-Schule“ im klassischen Sinne kann daher keine Rede sein.446 Die einzige Habilitation, die Korff während der Weimarer Jahre betreute, war die des Privatgelehrten und akademischen Außenseiters Karl Justus Obenauer aus Darmstadt. Korff kannte Obenauer als einen „seit Jahren sehr geschätzten Schriftsteller, der gerade auch auf die studierende Jugend durch verschiedene Bücher stark gewirkt“447 hatte. Obenauers bisherige Arbeiten über Goethe, Nietzsche und Hölderlin448 wiesen ihn, so Korff, „als einen Mann von gründlichen Kenntnissen, ernsthaftestem Streben, glänzendem Können; als einen Geist von ungewöhnlicher Tiefe, sehr differenziertem Einfühlungsvermögen, hoher Bildung und edler Gesinnung; als einen Schriftsteller von bedeutender Formbegabung, eindringlicher Wärme und schöner Menschlichkeit [aus].“ 449

Dies entsprach den Vorstellungen Korffs von einer Wissenschaft, die nicht „reiner“ Selbstzweck sei, sondern nationalpädagogisch motiviert dem Leben diene.450 Daher hielt er gerade Obenauer für geeignet, ihn in der Lehre zu ergänzen, aber auch zu vertreten, plante Korff doch für die nächste Zeit ein Freisemester, um den zweiten Band des Geist der Goethezeit fertig zu stellen. Ein zügig durchführbares Habilitationsverfahren auf Grundlage der bereits erschienenen Arbeiten Obenauers sprach daher zusätzlich für den akademischen Außenseiter. Doch Obenauer war in der Fakultät nicht unumstritten. In der Habilitationskommission sprach sich Theodor Litt gegen ihn aus, da er „die Gefahr einer Verwässerung der Germanistik in Ideologie“ befürchtete.451 Doch Korff drängte auf eine rasche Entscheidung, und da auch Friedrich Neumann die Habilitation befürwortete, entschied sich die Fakultät für ihre Durchführung, die im Juli 1926 erfolgte. 445 So erinnerte sich der Korff-Schüler Eudo Mason an seinen Lehrer. Brief von E. Mason vom 25. März 1957, in: NL Korff, Glückwunschschreiben anlässlich des 75. Geburtstages, 1957. 446 Vgl. C. Träger, Hermann August Korff, S. 85. 447 Schreiben von H. A. Korff an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 4. Mai 1926, in: UAL, PA 791, Bl. 189. 448 Alle diese Bücher erschienen im Übrigen im Diederichs Verlag: Goethe in seinem Verhältnis zur Religion (1921); Der Faustische Mensch. Betrachtungen zum zweiten Teil von Goethes Faust (1922); Friedrich Nietzsche. Der ekstatische Nihilist. Eine Studie zur Krise des religiösen Bewusstseins (1924); Hölderlin / Novalis. Gesammelte Studien (1925). 449 Schreiben von H. A. Korff an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 4. Mai 1926, in: UAL, PA 791, Bl. 189. 450 Vgl. Kap. C II sowie A. Lux, Wissenschaft als öffentliches Anliegen. 451 Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Habilitationskommission vom 9. Juni 1926, in: UAL, PA 791, Bl. 197.

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Im Dezember erhielt Obenauer seinen ersten Lehrauftrag; er lehrte in Leipzig, bis er 1935 als Ordinarius nach Bonn ging. Diesen unerwarteten Aufstieg verdankte Obenauer bekanntlich vor allem seinem politischen Engagement im Nationalsozialismus452; Korff hatte daran keinen Anteil mehr. Vielmehr distanzierte sich Obenauer später von seinem Mentor.453 Den Einstieg des umstrittenen, akademischen Außenseiters ins wissenschaftliche Feld hatte Korff jedoch möglich gemacht, indem er sich für ihn verbürgt hatte – und zwar nicht obwohl, sondern gerade weil er in ihm einen neuen Gelehrtentyp sah, der seiner Vorstellung von „lebendiger Wissenschaft“ entsprach.454 Trotz der zeitlichen Entlastungen durch Obenauer kam Korff mit der Arbeit am Geist der Goethezeit nicht voran. Personelle Veränderungen, wie die Wegberufung von Neumann 1926, machten Korffs durchgängige Anwesenheit in Leipzig notwendig. Erst 1930 erhielt er das ersehnte Freisemester. Innerhalb eines halben Jahres stellte er das Buch fertig, das noch im gleichen Jahr erschien. Doch war dieses Jahr nicht nur seiner Arbeit wegen bedeutend für Korff, sondern auch privat. Denn 1930 trennte er sich von seiner Frau und heiratete die deutlich jüngere Gisela Treuer. Die Hochzeit war eine Liebesheirat. Die Entscheidung zur Trennung wurde von Korffs Umfeld allerdings nicht ohne weiteres hingenommen; Scheidungen waren im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in der bildungsbürgerlich geprägten Professorenschaft keinesfalls selbstverständlich. Die Hochachtung der Familie und die Beziehung auch zur Professorengattin waren wesentliche Bestandteile des sozialen Miteinanders im akademischen Milieu. So führte Korffs Trennung zu einer deutlichen Abkühlung der Beziehung zum Ehepaar Frings.455 Auch der Freundschaft zu Petersen glaubte sich Korff nach der Trennung versichern zu müssen. Er hatte ihm den zweiten Band des Geist der Goethezeit gewidmet und hoffte – nachträglich – auf dessen Einverständnis. „Ich bekunde“, so Korff mit Bezug auf die Widmung, damit „nicht allein meine freundschaftlichen Gefühle für Sie, sondern zugleich das Vertrauen, dass mir auch die Ihrigen nach wie vor erhalten geblieben sind, obwohl ich sie durch eine Wandlung meines Lebensbildes auf eine Probe gestellt habe, die ich am wenigsten von meinen Freunden leicht genommen zu sehen wünsche.“456 Ob die freundschaftlichen Verbindungen zu Petersen sich abkühlten, 452 Vgl. H.-P. Höpfner, Die Universität Bonn im Dritten Reich, S. 326 –329; T. Pittroff, Karl Justus Obenauer, sowie A. Lux, „fachlich tüchtig“, S. 64 –67. 453 In seiner Bonner Antrittsvorlesung 1936 entwarf Obenauer das Programm einer neuen deutschen Literaturgeschichte, die weit über die bisher betriebene Geistesgeschichte hinausgehen müsse, denn „das idealistische Denken […] macht uns einseitig zu reinen Geist- und Vernunftmenschen und vergißt darüber den mächtigen Lebensgrund des Naturhaften.“ K. J. Obenauer, Volkhafte und politische Dichtung, S. 7. In der Rezension Obenauers zu Korffs drittem Band des Geist der Goethezeit kritisierte er dessen positive Darstellung von Schlegels Lucinde, da es sich bei diesem Text doch um die Darstellung eines „‚höchst problematischen, zur Hälfte jüdischen Liebespaares“ handele. Rezension, zitiert nach G. Simon, Germanistik in den Planspielen des SD, S. XXXVI. 454 Vgl. H. A. Korff, Forderung, S. 343. 455 Vgl. Gespräch mit Malte Korff im Juli 2005 in Leipzig. Zur Problematik von Scheidungen im Bildungsbürgertum dieser Zeit vgl. D. Blasius, Ehescheidungen. 456 Außerdem habe ihn die Lebenskrise zur wissenschaftlichen Erkenntnis geführt. Er habe „gewisse allerletzte Ideen, die die Klassik vielleicht nie so ausgesprochen, aber bestimmt in ihrem

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kann nicht gesagt werden. Die Briefe jedoch (die allerdings seltener wurden) waren weiterhin mit „Lieber Freund“ überschrieben, und die Grüße gingen nach wie vor „von Haus zu Haus“. Die zehn Jahre zwischen 1922 und 1932 waren für Korffs Biographie wegweisend. Er hatte sich in dieser Zeit mit seinen in Wissenschaft und Öffentlichkeit positiv aufgenommenen Bänden zum Geist der Goethezeit einen Namen gemacht. Die wohlklingende Alliteration wurde über den Buchtitel hinaus zur Bezeichnung der literaturhistorischen Epoche. Korff erhielt Einladungen zu Vorträgen in In- und Ausland und (anlässlich des Goethejahres 1932) wichtige Auszeichnungen. Er hatte es vom leicht zu verunsichernden Privatdozenten in der akademischen Provinz zum Ordinarius an einer der wichtigsten Universitäten im Reich gebracht; sein wissenschaftliches Wirkfeld war markiert, die innerfachlichen Abgrenzungen waren getroffen. 5.2 Drinnen und Draußen. Korff im Dritten Reich Fragt man nach Korffs Rolle im Dritten Reich, so stößt man zunächst auf die Forderung des Tages, einen offensiven Bekenntnistext zur nationalsozialistischen Machtergreifung, und auf die damit verbundenen Hoffnungen Korffs auf einen Aufbruch aus kultureller Krise und gesellschaftlicher Ratlosigkeit. Die Forderung wird in der Forschungsliteratur häufig zitiert, muss aber – um den Text für das Verständnis Korffs nutzbar zu machen – kontextualisiert, das heißt mit Korffs generellen nationalpädagogischen Ansprüchen und seinem Verhältnis zur Deutschkundebewegung in Verbindung gebracht werden (vgl. Kap. C II). In diesem Abschnitt geht es in erster Linie um die Rolle Korffs als Hochschullehrer und um die Wechselwirkungen seines Handelns mit den politischen Entwicklungen. Fakt ist, dass Korff seinen bekenntnishaften Äußerungen unmittelbar zur Machtergreifung kaum politische Konsequenzen folgen ließ, von der erwähnten Widmung 1940 abgesehen. Er trat weder in die NSDAP noch in eine der Gliederungen ein; er nahm nicht am „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ teil; es gibt von Korff keine antisemitischen Äußerungen, keine Profilierungsbestrebungen; er profitierte nicht von Vertreibung und Repression; seine Bedeutung für die Deutsche Akademie in München, in der er Mitglied war, ist marginal; die Herausgeberschaft für die Zeitschrift für Deutschkunde legte er 1933 nieder. Auf der anderen Seite gab es von Korff aber auch keinen Widerspruch, kein Aufbegehren, kaum einen wissenschaftlichen Autonomieanspruch, der deutlich genug gewesen wäre, dass ihn die Nachwelt hätte vernehmen können. Allein: Nach Walter Müller-Seidel, der in den 1940er Jahren in

Lebensgefühle getragen hat, […] erst gesehen und nach ihrer großen Bedeutung verstanden, nachdem ich sie selbst in mir erlebt habe. Wenn Sie die Abschnitte über Hermann und Dorothea, die Wahlverwandtschaften und besonders über Faust lesen, werden Sie vielleicht wissen, was ich damit meine.“ Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 16. Dezember 1930, in: DLA Marbach, D: Petersen, D62.275 [Hervorhebung; AL].

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Leipzig studierte, waren die Vorlesungen Korffs frei von Ideologie,457 und zu Witkowski, der in Korffs Nachbarschaft wohnte, hielt er, nach dessen Vertreibung von der Universität, weiter Kontakt.458 Er war wie viele seiner Generation und seiner Profession kein „Neinsager“, aber er war auch kein aktiv Handelnder in einem Bereich, der über sein engstes wissenschaftliches Tätigkeitsfeld hinausführte. Dafür fehlten Korff die akademisch-institutionellen sowie die politischen Ambitionen; sein Wille zu institutioneller Macht und Einflussnahme waren während des Dritten Reichs kaum ausgeprägt. So sah er sich nach 1933 auch nicht veranlasst, seine Handlungsweisen auf „Tat“ umzustellen, wie es Walther Linden, mit dem Korff die Zeitschrift für Deutschkunde herausgab, gefordert hatte: „Das Übergeordnete ist nicht der Geist, sondern der Wille, nicht der Gedanke oder selbst das gestaltete Kunstwerk, sondern die Tat.“459 Das, was Korff beizutragen wünschte (und beitragen konnte), wollte er in seinen Texten und Lehrveranstaltungen vermitteln. Dabei setzte er in der Lehre auf Kontinuität und verblieb im traditionellen Kanon der literaturhistorischen Epochen von Sturm und Drang, Klassik und Romantik. Anlehnungen an den Zeitgeist finden sich hingegen in den von Korff betreuten Promotionen. Nach wie vor ließ er ein breites Spektrum an Themen zu. Mit ihrer politischen Aktualisierung hatte er kein Problem und betreute so auch Arbeiten über völkische Autoren wie Hans Carossa und Paul Ernst; zudem häuften sich Arbeiten über Rainer Maria Rilke.460 Zwischen 1933 und 1945 betreute Korff insgesamt 47 Promotionen als Erst- und Zweitgutachter, wiederum hatte er damit die meisten am Institut.461 Anders sah es bei den Habilitationen aus. Im Dritten Reich betreute Korff nur ein Habilitationsverfahren und zwar das seines „alten, persönlichen Schülers“462 Joachim Müller, der 1930 bei ihm promoviert hatte. Wie Obenauer war auch Müller 457 W. Müller-Seidel, Freiräume, S. 164 –166, sowie Gespräch mit Walter Müller-Seidel im März 2003 in Weimar. Dies bestätigten auch die Goerdeler-Tochter Marianne Meyer-Krahmer und der spätere Vorsitzende der Landsmannschaft Schlesien und Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen Herbert Hupka, die ebenfalls in den 1940er Jahren in Leipziger Germanistik studiert hatten. Vgl. telefonisches Gespräch mit M. Mayer-Kramer im März 2003 sowie die schriftliche Auskunft von H. Hupka vom Mai 2003. 458 „Korff muss ich es nachrühmen: Er ist mir von Anfang an freundlich entgegengekommen, und ich habe […] bis 1933 im Amte nur Gutes neben ihm erlebt. Dabei machte ich aus meiner Abneigung gegen seine politische und wissenschaftliche Gesinnung nie einen Hehl, und dass er mir trotzdem noch bis in die jüngste Zeit Beweise menschlicher Teilnahme gab, muss ich ihm sehr hoch anrechnen.“ G. Witkowski, Von Menschen und Büchern, S. 139. 459 W. Linden, Deutschkunde, S. 339. 460 Vgl. Kurt Kükelhahn, Das Weltbild Paul Ernsts (1938); Albert Haueis, Hans Carossa. Persönlichkeit und Werk. Eine Wesensdeutung (1935); Hans Hett, Das Stundenbuch Rainer Maria Rilkes als Ausdruck des Willens zum Leben (1935); Hermann von Jan, Rilkes Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1938); Eberhard Kretschmar, Rilke als Dichter des Seins (1934); Eudo Mason, Lebenshaltung und Symbolik bei Rilke (1939). 461 Vgl. UAL, Promotionsprotokolle der Phil. Fak. 1920-1945. 462 Bericht von H. A. Korff über die von J. Müller eingereichten Arbeiten vom 24. November 1936, in: UAL, PA 5978, Bl. 11–13, hier S. 11. Müller hatte bei Korff mit einer Arbeit über Gottfried Kellers und Adalbert Stifters promoviert. Vgl. J. Müller, Vergleichende Studien, sowie zu Müller generell Kap. B I 3.2b.

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ein akademischer Außenseiter, der nach dem Studium nicht an der Universität geblieben, sondern Studienassessor an der Leipziger Thomasschule geworden war. Müller war wissenschaftlich aktiv geblieben, hatte Aufsätze, Rezensionen und eigenständige Arbeiten veröffentlicht.463 Die Habilitation, zu der ihn Korff ermutigt hatte, sollte der Höhepunkt dieses Wirkens sein, wobei es Müller allein um den Titel ging, nicht um eine Dozentur. Im August 1936 reichte er sein bereits erschienenes Buch über Grillparzers Menschenauffassung (1934) als Habilitationsschrift bei der Leipziger Philosophischen Fakultät ein.464 In dem beigelegten Lebenslauf inszenierte sich Müller als überzeugter Nationalsozialist. Der bedingungslose Einsatz für das Dritte Reich sei für ihn „eine Selbstverständlichkeit“465; er war seit 1933 in der NSDAP, dort Leiter seiner Ortsgruppe und hatte zudem an einem Lehrgang für weltanschauliche Schulung der NSDAP teilgenommen. Auch seine wissenschaftlichen Arbeiten seien den „großen und volksverbundenen Dichtern des 19. Jahrhunderts“ gewidmet.466 Mit solchen politischen Bekenntnissen hatte Korff offenbar kein Problem, vielmehr thematisierte er selbst in seinem Gutachten die politische Gesinnung Müllers und stellte sie neben dessen fachliche Leistungen. In Müllers Arbeiten liege, so Korff, eine „besondere Note […] durch sein Interesse für das politische Moment in der Dichtung“, und sie zeichnen sich durch „gediegenes Wissen […], methodische Sicherheit […], geistige Substanz und wahrhaftige Gesinnung“ aus.467 Die Verknüpfung von Literaturgeschichte und Existenzphilosophie in Müllers Buch erschien Korff – trotz einiger Schwächen – gelungen. Ähnlich die Bewertung der meisten anderen Mitglieder der Habilitationskommission, die in den Arbeiten Müllers die „wertvolle[n] und tüchtige[n] Leistungen eines feinen Kopfes“468 sahen und den Antrag vorbehaltlos unterstützten.469 Nicht so jedoch André Jolles, der als viertes Mitglied der Kommission gegen die Arbeit grundsätzliche Einwände hatte, die vor allem ihren philosophischen Teil betrafen. Er forderte die Fakultät daher auf, das zusätzliche Gutachten eines Philosophieprofessors einzuholen.470 Die Wahl fiel auf Theodor Litt, der die Kritik von Jolles fortführte und der Arbeit Müllers auch aus seiner Sicht wenig Wert beimaß.471 Da die Kommission zu einer einhelligen Meinung kommen musste und Jolles an seiner Kritik festhielt, musste sich Korff zuletzt den Einsprüchen fügen. In einer Fakultätssitzung im April 1937 zog er 463 464 465 466 467 468 469 470 471

Vgl. U. Kaufmann, Joachim Müller. J. Müller, Grillparzers Menschenauffassung. Schreiben von J. Müller an die Phil. Fak. der UL vom 17. August 1936, in: UAL, PA 5978, Bl. 5. Ebd. Als Beispiele führte folgende Aufsätze auf: Vier Gedichte Stefan Georges zum Führertum und Hans Grimm im Deutschunterricht (beide 1935) sowie Walter von der Vogelweide und der Reichsgedanke (1936). Vgl. Bericht von H. A. Korff über die von J. Müller eingereichten Arbeiten vom 24. November 1936, in: Ebd., Bl. 11–13, hier Bl. 11. Stellungnahme von T. Frings vom 7. Dezember 1936, in: Ebd., Bl. 14. Vgl. Gutachten von Eduard von Jan vom 19. März 1937, in: Ebd., Bl. 16–17. Vgl. Gutachten von A. Jolles vom 21. Februar 1937, in: Ebd., Bl. 15. Vgl. Gutachten von T. Litt vom 7. April 1937, in: Ebd., Bl. 18. Litt, der bereits die Arbeit von Obenauer kritisch kommentiert hatte, stellte damit im Übrigen zum zweiten Mal einen Kandidaten Korffs in Frage.

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vor versammelter Fakultät den Antrag auf die Aufnahme des Habilitationsverfahrens von Müller zurück. Dies war nicht nur für Müller enttäuschend, sondern auch für Korff peinlich. Für das Scheitern des Verfahrens war zunächst verantwortlich, dass Müller akademischer Außenseiter war. Nach wie vor war es an den Universitäten selten, dass sich Personen habilitierten, die nicht durchgängig mit der akademischen Wissenschaftspraxis verbunden waren. Dieser Umstand verweist jedoch in einem zweiten Schritt auf Korff und auf dessen Unvermögen in solchen Fragen. Denn gerade die Tatsache, dass die Chancen für akademische Außenseiter schlecht waren, hätte ihn dazu veranlassen müssen, seinen Schüler besser vorzubereiten und eine unanfechtbare Arbeit auszuwählen, zumal Korff die Schwächen ja gesehen hatte. Stattdessen vertraute er auf seinen Ruf als renommierter Gelehrter (immerhin war er bei Obenauer erfolgreich gewesen) und setzte auf politische Argumente. Doch was Taktik sein sollte, verpuffte angesichts der Kritik der Kollegen. Hier zeigt sich, dass Korff als Wissenschaftsspieler ungeübt war. Ihm fehlten das Gespür für strategisches Verhalten, die Erfahrungen und die notwendige Routine in institutionellen Konfliktsituationen sowie ausreichend institutionelles Kapital, das er hätte in die Waagschale werfen können, um seinen Kandidaten durchzubringen. Das Gegenteil hiervon war Frings, der seine fünf Kandidaten allesamt erfolgreich zur Habilitation führte, darunter sogar eine Frau, obwohl für Frauen die Habilitation unter den damaligen Verhältnissen ein fast aussichtsloses Unterfangen war. Das Beispiel der gescheiterten Habilitation verweist generell auf Korffs Vorstellung von Lehrer-Schüler-Verhältnissen. Er wollte vor allem durch sein Werk wirken. Seine Energie investierte er in Forschung, und auf dem Katheder war er beeindruckend: „Die Lebendigkeit, mit der Korff die Stufen zum Katheder rasch hinangeht“, entsprach seinem Temperament ebenso, wie „sein wohlgeformte[r] und durchgeistigte[r] Vortrag. Der würdige Gelehrtenkopf mit grauem Haar und schwarzer Brille prägt sich den Hörern ein, nicht nur äußerlich, sondern eben in seltenem Maße wegen der zum Mitdenken zwingenden Äußerung seines Geistes.“472 Doch das „Nur-Begleiten“, was in Promotionen anregend gewirkt haben mag, reichte bei der weiteren Förderung seiner Schüler im umkämpften Wissenschaftsbetrieb nicht aus. Hier benötigte man einen langen Atem, starkes Durchsetzungsvermögen und den Willen, Zeit, Energie und Ressourcen für sie einzusetzen. Darin jedoch sah Korff offenbar nicht seine Aufgabe. Diese Feststellung wirft auch einen differenzierten Blick auf die in der Forschung wiederholt thematisierte Bedeutung Korffs bei der (auch) ideologischen Ausbildung der sogenannten SD-Germanisten.473 Einige spätere SD-Mitarbeiter wie Wilhelm Spengler, Hans Rößner, Ernst Kaußmann und Walter von Kielpinski hatten Ende der 1920er Jahre in Leipzig Germanistik studiert.474 Als ihr Lehrer wird in der Forschung neben Jolles und Obenauer auch Korff genannt. Kaußmann hatte bei ihm 1930 über die Oden Klopstocks; Spengler 1931 summa cum laude 472 A. Haueis, Leipziger Hochschullehrer bei der Arbeit. Hermann August Korff. 473 Vgl. G. Simon, Germanistik und Sicherheitsdienst, S. 196. 474 Vgl. zu den Genannten und ihrer Bedeutung an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik M. Wildt, Generation des Unbedingten, sowie C. Schreiber, Elite im Verborgenen.

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über Schiller promoviert.475 Spenglers Arbeit zählte Korff zu dem „Besten“, was er je über „das Wesen der Tragödie Schillers“ gelesen habe476; er hatte Spengler zu der Arbeit über Schiller angeregt und veröffentlichte sie später in der von ihm mitherausgegebenen Reihe Von deutscher Poeterey.477 Kann man aus diesen Kontakten auf einen intensiven und zudem politischen Einfluss Korffs auf diese Studenten schließen? Eher nicht, legt man seinen eher unverbindlichen Umgang mit den Studierenden zugrunde, der auch in diesen Fällen kaum anders gewesen sein wird. Zudem zeigt sich, dass Korff während ihrer Studienzeit wiederholt nicht in Leipzig war und in dieser Zeit Veranstaltungen und Prüfungsverantwortung an Jolles und Obenauer übertragen hatte. Insgesamt muss daher deren Einfluss auf die politisch­ weltanschauliche Bildung dieser jungen Germanisten weit höher veranschlagt werden: Spengler kannte Jolles und Obenauer seit 1929 aus ihren Veranstaltungen; er gehörte zu ihren engeren Schülern, für die sich Jolles oft „stundenlang“478 Zeit nahm; bei Obenauer ging Spengler auch privat ein und aus.479 So war es auch Jolles, der Spengler bei seiner Dissertation „intensiv beraten“480 hat – und eben nicht Korff. Und so warb Spengler später, als er sich im SD etabliert hatte, auch ihn und Obenauer für die Mitarbeit und nicht den konservativen, zögerlichen und „unpolitischen“ Korff. Wahrscheinlich war Korff für ihn doch nur der „würdige Gelehrtenkopf mit grauem Haar“, oder, wie das SD-Dossier von 1938 auswies, ein „reaktionärer“ Gelehrter, ohne Potential für die „Bewegung“481. Doch auch wenn der unmittelbare Einfluss Korffs auf die späteren SD­Germanisten nicht überschätzt werden darf, so hatte er durch die Förderung von Obenauer Mitte der 1920er Jahre den Boden für die Ideologisierung des Fachs mitbereitet, 475 W. Spengler, Das Drama Schiller; E. Kaußmann, Der Stil der Oden Klopstocks. 476 Gutachten von H. A. Korff über die Dissertation von W. Spengler vom 22. Mai 1931, in: UAL, Phil. Fak. Prom. 2570, Bl. 2. 477 Korff gab diese Reihe gemeinsam mit dem Frankfurter Germanisten Hans Naumann, dem Göttinger Germanisten Friedrich Neumann sowie dem Gießener Germanisten Karl Viëtor heraus. Sie erschien zwischen 1927 und 1938 und enthielt herausragende Promotionsarbeiten, die von den vier Professoren betreut worden waren. Auch Martin Greiners Promotion war als Band 7 1930 in dieser Reihe erschienen. Spenglers Dissertation erschien zwei Jahre später. 478 Vgl. Gutachten über A. Jolles von W. Spengler vom 5. Dezember 1936, in: BArch, BDC, ZB I 1422, A. 5. 479 In einer Erklärung von 1949 bezeichnete sich Spengler ausdrücklich als Schüler Obenauers, dessen Vorlesungen er regelmäßig gehört habe. Auch sei er im Hause Obenauer zwischen 1929 und 1934 verkehrt. Vgl. Eidesstattliche Erklärung von W. Spengler vom 30. Mai 1949, zitiert nach G. Simon, Germanistik in den Planspielen des SD, S. XXXVIII–XL. 480 G. Simon, Germanistik und Sicherheitsdienst, S. 199. 481 Das SD-Dossier zählt Korff unter der Rubrik „Liberale und Reaktionäre“ zu den „älteren Wissenschaftlern“, die „sich äußerlich umgeschaltet“ haben, jedoch wieder an Einfluss gewinnen. SD-Dossier, zitiert nach G. Simon, Germanistik in den Planspielen des SD, S. 11–13. Ausführlich heißt es in dem SD-Dossier über Korff: „K. ist einer der repräsentativsten Vertreter reiner Geisteswissenschaft. Er ist allerdings in den letzten Jahren immer stärker in den Hintergrund getreten und schon heute nicht mehr führend auf germanistischem Gebiet. Auch sein Schülerkreis schrumpft immer mehr zusammen. K.’s Literaturwissenschaft muss von den neuen Forderungen aus energisch abgelehnt werden. Seiner Gesamthaltung nach gehört K. zu der liberalen und humanistischen Geistigkeit. Im politisch-negativen Sinne ist er nie hervorgetreten.“ G. Simon, Germanisten-Dossiers, S. 43.

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und auf die Vorleistungen zur nationalsozialistischen Machtergreifung war er auch stolz: Denn die Deutschkunde, als deren Vertreter Korff sich sah, dürfe in dem Bewusstsein leben, das „geistig mit vorbereitet zu haben, was erst die politische Form erhalten musste, um im großen Stile fruchtbar zu sein.“482 Dass der SD Korff kritisch beurteilte, bedeutete nicht, dass er nicht an anderer Stelle für die Nationalsozialisten interessant war, etwa für ihre auswärtige Kulturpolitik. Aufgrund des hohen wissenschaftlichen Ansehens, das Korff in In- und Ausland genoss, war er prädestiniert dafür, das nationalsozialistische Deutschland auch im Ausland zu vertreten.483 So wurden ihm alle Auslandsreisen vom Reichserziehungsministerium genehmigt – der Vortrag am Istituto Italiano di studi germanici im faschistischen Rom 1936 ebenso wie Gastaufenthalte in den USA.484 Zwei Mal (1935 und 1938) fuhr Korff auf einer knapp fünftägigen Reise über den Atlantik in die „neue Welt“. Dabei wird ihm nicht entgangen sein, dass diesen Weg zur gleichen Zeit auch viele andere gegangen sind – als Emigranten.485 Ein Zeitzeuge berichtete aus dem Jahr 1939: „Nach Weihnachten war Philologentag in New York […]. Ungefähr 400 Zuhörer, nur Germanisten. Bedrückend war bei dieser Tagung, wie überall die stellensuchenden Emigranten herumstanden, die hier niemand mehr will. Auch berühmte Leute waren darunter.“486 Korff ist einigen von ihnen begegnet. Nach dem Krieg erinnerte er sich an Gespräche mit einem Leipziger Emigranten. Von ihm habe er „zum ersten Male im vollen Umfange den ganzen leidenschaftlichen Hass der anderen Welt gegen das 482 H. A. Korff, Forderung, S. 341. 483 Dies war die unumgängliche Voraussetzung für eine Reisegenehmigung für das Ausland, und so hieß es beispielsweise über Karl Viëtor, als er 1935 (zunächst) als Gastprofessor in die USA ging: Viëtor werde „bestimmt alles daran setzen […], das neue Deutschland würdig zu vertreten. Er setzt – das ist auch der Eindruck der S. A. und S. S. Leute unter seinen Studenten – alle Kraft dafür ein, mit seiner Germanistik den Weg zu finden, der heute einem Hochschullehrer dieses Fachs gewiesen ist.“ Schreiben des Rektors der Universität Gießen an das REM vom 14. Juni 1935, zitiert nach C. Zelle, Emigrantengespräch, S. 223. 484 Vgl. die entsprechende Korrespondenz zwischen 1935 und 1937, in UAL, PA 92, Bl. 295–313. Dabei wurde Korff, wie alle Professoren, die für längere Zeit ins Ausland gingen, dazu aufgefordert, vor Ort Kontakt zu den Auslandsorganisationen der NSDAP aufnehmen. Vgl. Schreiben des REM an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 14. Dezember 1937, in: Ebd., Bl. 311. Auch die amerikanischen Germanisten informierten sich (soweit möglich) über die politische Haltung der deutschen Kollegen. Der New Yorker Germanist Robert Herndon Fife konnte sich während eines Gastaufenthalts in Deutschland 1935 eine eigenen Eindruck machen und kam zu dem Ergebnis: „the great majority of University scholars in the humanistic fields had not been seriously affected by the Nazi Program“. Als Gastprofessor schlug er 1936 den Tübinger Literaturhistoriker Paul Kluckhohn („certainly not the type of man to arouse political agitation“) vor. Nachdem Kluckhohn abgesagt hatte, fiel die Wahl auf Korff. Dabei war entscheidend, dass dieser wenige Jahre zuvor bereits in Harvard gewesen war und als „a typical representative of the traditional school of German higher scholarship“ galt. Vgl. die Briefe von R. H. Fife an den Präsident der Columbia University von Ende 1936 bis Ende 1937, in: University Archives and Columbiana Library, Columbia University of New York, Coll. Central Files, Nr. 349, folder 12. 485 Insgesamt emigrierten etwa 200 Germanisten in die USA. Vgl. W. Köpke, Germanistik im Exil, S. 376. 486 Brief von K. Viëtor an Friedrich Beißner vom 26. Januar 1939, zitiert nach C. Zelle, Emigrantengespräch, S. 218.

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braune Deutschland“ erfahren. „Man musste in der Tat einmal draußen gewesen sein und Deutschland von jenseits des Ozeans betrachtet haben, um ganz zu wissen, was die Stunde geschlagen hat […].“487 Aus der Rückschau erscheinen diese Treffen als eine Art Erweckungserlebnis; zeitgenössisch findet sich in den Quellen kaum etwas davon. In einem Brief an Petersen, den Korff nach seiner Rückkehr aus den USA 1935 schrieb, finden sich nur sehr leise Zweifel an der politischen Situation im nationalsozialistischen Deutschland. Das „Haupterlebnis“ der Reise sei vielmehr die „Einsicht“ gewesen, „wie schön das deutsche Vaterland ist – wennschon nicht immer.“488 Als Korff 1938 das zweite Mal nach Amerika reiste, war sein Freund und Kollege Viëtor bereits dorthin ausgereist. Er war als Professor an der Harvard University einer der wenigen, die eine adäquate Stellung im Exil erhalten hatten. Direkte Kontakte zwischen Viëtor und Korff, wie man hätte vermuten können, sind nicht nachweisbar; auch keine Briefe.489 Was jedoch überliefert ist, ist die Verbitterung Viëtors darüber, dass „man [ihn] aus Deutschland gehen ließ, ohne Protest oder selbst ohne Anteilnahme der Allermeisten […].“490 Ob sich diese Enttäuschung auch auf Korff bezog, ist nicht belegbar. Doch spätestens nachdem Viëtor erfahren hatte, dass Korff den dritten Band des Geist der Goethezeit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Paris gewidmet hatte, schrieb er entrüstet an seinen Schüler Walter Rehm: „Mag man [dies] als Ausdruck gigantischer politischer Naivität oder eines rabiaten Nationalismus zu verstehen haben, in beiden Fällen scheint sie [die Widmung; AL] mir unverzeihlich.“491 Anders als Korff sich und den Nachgeborenen nach dem Krieg glauben machen wollte, war es bei ihm zu keiner erkennbaren Distanzierung gegenüber dem Dritten Reich gekommen. Noch 1944 trat er eine Vortragsreise in die Schweiz an, zu der ihm der Dekan bescheinigte, „in wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht für einen Auslandsaufenthalt geeignet“492 zu sein. Möglicherweise gab es Zweifel, als die Schüler und Freunde emigrierten, die Kollegen vertrieben und in die Isolation getrieben wurden. Insgesamt jedoch blieb Korff bis zuletzt mit der aus seiner Sicht schicksalhaften Gemeinschaft der Deutschen verbunden, auch er war „von dem Gefühl durchdrungen […], eine besondere Pflicht zum wissenschaftlichen Dienst an der Nation zu haben.“493

487 NL Korff, Auszug aus seinen unveröffentlichen Memoiren. Für die Einsicht danke ich Malte Korff / Leipzig. 488 Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 30. August 1935, in: DLA Marbach, D: Petersen, D62.275. 489 Die Durchsicht des umfangreichen akademischen Nachlasses von Viëtor, der in der Houghton Library an der Harvard University liegt, brachte diesbezüglich keinerlei Ergebnisse. Dass es Kontakt zwischen Korff und Viëtor gegeben hat (zumindest unmittelbar nach dessen Weggang) zeigen Briefe im Nachlass von J. Petersen an. Vgl. DLA Marbach, A: Petersen, 66.918. 490 Brief von K. Viëtor an Erika Jansen vom 26. November 1945, zitiert nach R. Weber, Karl Viëtor, S. 219. 491 Brief von K. Viëtor an W. Rehm vom 9. Oktober 1946, zitiert nach ebd., S. 232. 492 Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL an den Rektor der UL vom 18. August 1944, in: UAL, PA 92, Bl. 321. 493 J. Eckel, Geist der Zeit, S. 44.

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Die Jahre 1945 und 1946 waren für Korff jedoch eine tiefe Zäsur. Er erlebte die Bombenangriffe auf Leipzig und die Zerstörung großer Teile der Universität und des Germanistischen Instituts. Im Februar starb der von ihm geschätzte Paul Merker im Bombardement auf Dresden. Korff erlebte das Vorrücken der Alliierten und den Einmarsch der Roten Armee im Juli 1945494, und er sah die Flüchtlinge in die Stadt strömen. Zuletzt traf es Korff auch ganz unmittelbar: Sein Sohn Hanno starb mit seiner Familie in den letzten Kriegsmonaten. Der Mann seiner Tochter Renate fiel kurz vor Kriegsende 80 Kilometer vor Berlin in Küstrin (heute Kostrzyn). Und zuletzt erkrankte noch Korffs junge Frau schwer und starb an den Folgen von Tuberkulose im Juli 1946.495 Von diesen schweren Schicksalsschlägen erholte sich Korff nur langsam. Er zog sich zurück, schrieb – ein Akt der Selbsterhaltung – sein Leben auf, reflektierte und erinnerte sich.496 Das einzige, was Korff in diesen Tagen antrieb, sein Haus zu verlassen, war sein Pflichtgefühl gegenüber den Studierenden.497 Als die Universität im Frühjahr 1946 neu öffnete, hielt er wieder regelmäßig seine Vorlesungen. 5. 3 „Das Schiff fährt weiter“ 498. Korff und die DDR Im Sommer 1945 wurde die Leipziger Universität geschlossen. Als sie im Februar des folgenden Jahres wieder eröffnet wurde, waren in der Germanistik nur noch Frings und Korff übrig. Frings ergriff rasch die Initiative, war im Gespräch mit den Zuständigen, beteiligt an der Ausarbeitung neuer Lehrpläne, Mitglied im Wissenschaftlichen Senat und auch als Präsident der SAW ein wichtiger Mittler zwischen Wissenschaft und Wissenschaftspolitik. Neben dem einflussreichen Frings konnte Korff seine Position suchen. Er hing an Leipzig, ein Weggang kam für den 63-Jährigen nicht in Frage. Auch sah er es als seine Pflicht gegenüber Universität und Studenten an, in Leipzig zu bleiben. Von Siegried Streller ist eine bezeichnende Anekdote überliefert. Hiernach hatte Korff die Vorlesungen von Martin Greiner übernommen, nachdem dieser 1952 mitten im Semester die DDR verlassen hatte. Die erste Vorlesung soll Korff mit den Worten eingeleitet haben: „Meine Damen und Herren, ein Mann ist über Bord, das Schiff fährt weiter.“499 494 So nahm Korff am 27. April 1945 an einem Gedenkgottesdienst für 200 Häftlinge teil, die am Tag des Einmarschs der amerikanischen Armee am 18. April 1945 im KZ-Außenlager Abtnaundorf in Leipzig durch die SS bei lebendigem Leib verbrannt worden waren. Vgl. Einmarsch der Roten Armee 2. Juli 1945 – Tagebuchaufzeichnung von Friedrich Michael vom 28. April 1945, in: M. Lehmstedt (Hrsg.), Leipzig in Trümmern, S. 67. 495 Bemerkenswerterweise erfuhr ich von diesen Schicksalsschlägen erst in Briefen, die ich in den Archiven in New York fand, wo sich besorgte Germanisten nach dem Krieg über ihre deutschen Kollegen erkundigten. Vgl. Brief von Frederick W. Heuser / Columbia Universität in New York an Herrn und Frau Thom vom 20. August 1946, in: RBML, Columbia University, New York, Heuser Collection, Box I, unpag. 496 Die Memoiren Korffs sind wie gesagt erhalten, aber nicht zugänglich. 497 Vgl. Gespräch mit Malte Korff im Juli 2005 in Leipzig. 498 Materialien, Gespräch mit S. Streller, S. 11. 499 Ebd.

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In einer anderen Weise als Frings, der sich aktiv für den Neubeginn einsetzte, repräsentierte Korff für die Zeitzeugen das traditionelle, bürgerlich geprägte Wissenschaftssystem. Er war für sie „wie kaum ein zweiter seines Faches und seiner Generation […] die Aufgipflung bürgerlicher deutscher Literaturwissenschaft […].“500 Dieser Eindruck entstand nicht zuletzt dadurch, dass Korff seine Lehren aus der Zeit vor 1945 demonstrativ fortführte. Die Vorlesung über Heinrich von Kleists Hermannschlacht leitete er entsprechend „mit dem Hinweis ein, dass er dieses Kolleg bereits vor 1933 und nach 1933 so gehalten hätte und auch heute – 1948 – noch so lesen wolle.“501 Und im Vorwort zu dem 1949 in zweiter Auflage herausgegebenen 3. Band des Geist der Goethezeit formulierte Korff: „Wenn dies ein fast wortgetreuer Abdruck der ersten Auflage ist, so hat das seinen Grund nicht darin, dass zu größeren Änderungen keine Zeit vorhanden gewesen wäre, sondern darin, dass der Verfasser keine Veranlassung gesehen hat, solche vorzunehmen.“502 Diese inhaltliche Kontinuität in Lehre und Werk war demonstrativ; ermöglicht wurde sie durch eine nationalkulturelle Sinnstiftungsidee, die auch von der DDR-Führung forciert wurde.503 Korffs Arbeiten und Lehren waren so auch nach dem Krieg anschlussfähig. Er konnte weiterhin „die Linien kräftig ziehen, die eine Festigung unseres deutschen Nationalbewusstseins und unseres nationalen Kulturbewusstseins dokumentierten.“504 Eine solche Haltung polarisierte. Unter den Studierenden schieden sich die Korffianer von den Nicht­Korffianern. Erstere bewunderten „die großartige Konsequenz“, mit der Korff „ein Menschenalter hindurch [seine] Konzeption durchhielt und mit immer gewichtigeren Argumenten und Dokumentationen ausführte.“505 Für sie war er die „Gegenstimme“506 zum sozialistischen Zeitgeist. Auch ein Teil der nicht-bürgerlichen Studierenden waren von Korff beeindruckt.507 Andere jedoch begegneten ihm mit Misstrauen und Skepsis. Offene Ablehnung erfuhr Korff beispielsweise durch den späteren Germanistikprofessor Hans-Günther Thalheim, der in einem Korff-Seminar über sozialistische Literaturbetrachtung nichts anderes als den arroganten Versuch sah, „die Unwissenschaftlichkeit und Primitivität literatursoziologischer Betrachtungsweise vorzuführen und zu beweisen, dass sie dem Gegenstand Dichtung völlig unangemessen sei.“508 Weshalb Korff dieses Seminar im Studienjahr 1950 / 51 hielt, ist im Übrigen nicht auszumachen. Möglicherweise hing es mit den Forderungen im Rahmen der II. Hochschulreform zusammen; vielleicht war es aber auch ein Angebot zum „echten Meinungsaustausch“, wie Siegfried Streller später annahm.509 500 501 502 503 504 505 506 507 508 509

C. Träger, Hermann August Korff, S. 91. F. Matke, Reform der Germanistik?, S. 104. H. A. Korff, Geist der Goethzeit, Bd. 3 [1949], S. VIII. Vgl. J. Saadhoff, Germanistik in der DDR, S. 73. J. Müller, [Vorwort], S. 11. Ebd., S. 10. G. Kluge, Hans Mayer, S. 199. Vgl. P. Zimmermann, Geschichte wird uns zugefügt, S. 127–128. Materialien, Gespräch mit H.-G. Thalheim, S. 263. Materialien, Gespräch mit S. Streller, S. 7.

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Doch nicht nur in Lehre und wissenschaftlichem Werk setzte Korff auf Tradition. Er hielt auch am Habitus eines bürgerlichen Großordinarius fest, betonte akademische Hierarchien und soziale Differenzen.510 Entsprechend abweisend begegnete er Studierenden, die über Vorstudienanstalten oder Aufnahmeprüfungen an die Universität gekommen waren. Der spätere DEFA-Regisseur Egon Günther, bekannt durch den in der DDR verbotenen Film Wenn du tot bist, lieber Adam (1965), war selbst ein Arbeiterkind und hat in seinem autobiographischen Roman Einmal Karthago und zurück unter anderem die Leipziger Germanistik Ende der 1940er Jahre beschrieben. Korff gab er den sprechenden Namen „Professor Frost“. Aus der Sicht des unsicheren Studenten beschrieb Günther mit Ironie, wie in diesen Jahren ganz unterschiedliche Welten aufeinanderprallten, zeigte die institutionelle Macht der Professoren und die starke Verunsicherung jener Studienanfänger ohne Abitur, die allein durch politischen Willen an die Universität gelangt waren: „Ich wollte zu Frost ins Mittelseminar. Um ihm das zu entreißen, was er besaß: Bildung. Meldete mich zur Sprechstunde. Wurde vorgelassen. Frost fragte mich, ob ich die und die Bücher gelesen hätte oder ob ich Empfehlungen anderer Professoren aus anderen Seminaren besäße. Ich sagte […] dreimal nein. […] Damit war ich entlassen. […] Ich durfte nicht am Seminar teilnehmen. Frost hielt mich, sagen wir mal, für einen Faulpelz. Ich hätte ihm anvertrauen müssen, Ehrwürden, leider habe ich vor der Universität keine Schulen besucht, die Literatur lehren, ich war anderweitig beschäftigt, Lager aus Gusseisen musste ich anpassen, Wellen montieren, Löcher bohren in Stahl und Eisen, Ölnuten meißeln […], früh halb fünfe erhob ich mich aus dem Bett, Ehrwürden […], sechs Kilometer mit dem Zug fahren, nachmittags um fünf in günstigsten Fällen, sonst gegen halb sechs wieder zu Hause. Todmüde. Vierzehn Jahre alt, fünfzehn, sechzehn. Keine Zeit zum Lesen und auch nicht gewusst, was, es hat mir keiner gesagt. Es hielt keiner für nötig. So ist das. […] er hat nicht zu mir gesagt: Gut, Sie können nicht zehn große Romane der Weltliteratur in zwei Wochen lesen, lesen Sie einen, und während des Seminars versuchen Sie, den Rest zu lesen. Nein, er winkte ab. Weg mit euch.“511

Es ist kaum anzunehmen, dass Korff von den Ängsten und Hoffnungen dieser Studierenden gewusst hat oder dass sie ihn interessiert hätten. Nach wie vor wahrte er eine kaum überbrückbare Distanz zu seinen Schülern, selbst gegenüber den „bürgerlichen“ Studierenden oder seinen Assistenten.512 Zugleich jedoch sollte er sich Anfang der 1950er Jahre erstmals gerade für sie, die politisch unter Druck geraten waren, einsetzen. Gemeinsam mit Frings konnte Korff gegen Widerstände in der Parteileitung erlangen, dass auch „bürgerliche“ Studenten Assistenten wurden und (zunächst) auch blieben.513 Um sein hohes wissenschaftliches Ansehen in In- und Ausland wusste Korff. Noch 1949 hatte ihn die Einladung als Gastprofessor an die Madison University / Wisconsin erreicht.514 1955 wurde er zum Präsidenten des Ersten Internationa510 511 512 513 514

Vgl. M. Gärtner, Kontinuität und Wandel, S. 39. E. Günther, Einmal Karthago und zurück, S. 139–140. Vgl. Gespräch mit Christiane Agricola im März 2007 in Leipzig-Markkleeberg. Vgl. Kap. B I 3.1c. Die Reise konnte Korff allerdings nicht antreten, da die Verhandlungen immer wieder hinausgezögert wurden und er zuletzt absagen musste. Vgl. Korrespondenz Ende 1948 / Anfang 1949, in: UAL, PA 92, Bl. 330–333.

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len Germanistenkongresses gewählt, der in Rom stattfand.515 Daher ist es zutreffend, wenn Jens Saadhoff mit Referenz auf Petra Boden konstatierte, dass „Korffs Position im literaturwissenschaftlichen Feld […] zusätzlich durch das wissenschaftliche Kapital gestärkt [wurde], über das er in der internationalen Germanistik verfügt[e] und das ‚eindeutig auf dem Konto der DDR verzinst‘“ wurde.516 Dieser Status machte es Korff möglich, in den zehn Jahren seiner Tätigkeit in der SBZ und DDR auf Strategien des „offenen Mitspielens“ weitgehend zu verzichten. Auch dies geschah wiederholt als demonstrativer Akt. So ist durch Egon Günther überliefert, wie ein FDJ-Vertreter Korff in einer Vorlesung dazu aufforderte, einen Appell gegen den Bau der Atombombe zu unterzeichnen. Als Korff ablehnte, reagierte der Student mit den Worten: „Dann sind Sie für mich auch kein Professor!“, woraufhin Korff demonstrativ den Saal verließ. Von der Parteileitung wurde das Vorpreschen der FDJler gerügt; Korff jedoch begann seine nächste Vorlesung mit den Worten: „Meine Damen und Herren, freiwillig mache ich viel, gezwungen – nichts!“517 Zu keiner Zeit galt Korff „als ein Freund unserer neuen Ordnung“518, was vereinzelt zu öffentlichen Angriffen gegen den Literaturwissenschaftler führte. So warf ihm ein Artikel im viel gelesenen Sonntag im Juli 1957 Verantwortungslosigkeit, politische Blauäugigkeit und Nationalismus vor und mündete in der Frage: „Sieht denn Herr Professor Dr. Korff nicht, wie die christlich-germanische Allianz in Westdeutschland im Begriff ist, einen entsetzlichen Atomkrieg vorzubereiten?“519 Es ist fraglich, ob Korff solche Äußerungen tangiert haben. Denn er kultivierte als bürgerlicher Ordinarius eine offensichtliche Distanz zur DDR und damit verbunden ein Selbstverständnis als deutscher, und eben nicht ostdeutscher Wissenschaftler. Vor diesem Hintergrund war es auch konsequent, den hoch dotierten Nationalpreis II. Klasse 1957 abzulehnen.520 Doch bei aller Distanz war Korff gegenüber dem politischen System der DDR auch loyal und stellte seine Tätigkeit als Hochschullehrer im real existierenden Sozialismus nicht in Frage. Im Gegenteil hielt er seine Veranstaltungen weit über sein 68. Lebensjahr hinaus bis 1956 und bekundete damit „seine Auffassung von Verantwortung des Hochschullehrers gegenüber ihm anvertrauten Studenten und von der Loyalität gegenüber dem sozialistischen Staat.“521 Diese Loyalität war nicht politisch begründet, sondern basierte (ähnlich wie bei Frings) auf prinzipieller Staats515 Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL an den Rektor der UL vom 11. Mai 1955, in: Ebd., Bl. 381. 516 J. Saadhoff, Germanistik in der DDR, S. 75, sowie P. Boden, Universitätsgermanistik in der SBZ / DDR, S. 132. 517 E. Günther, Einmal Karthago und zurück, S. 142–145. 518 Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL an den Rektor der UL vom 11. Mai 1955, in: UAL, PA 92, Bl. 381. 519 H. Kirsch, Goethes Faust – Fusion christlich-germanischen „Heldentums“? Zu einem Vortrag von Professor Dr. Korff. 520 Den hoch dotierten Nationalpreis II. Klasse lehnte Korff zum einen aus Distanz zum politischen System ab und zum anderen, weil ihm die Verleihung vor den westdeutschen Kollegen peinlich gewesen wäre. Vgl. J. Saadhoff, Germanistik in der DDR, S. 75, sowie Gespräch mit Malte Korff im Juli 2005 in Leipzig. 521 Materialien, Gespräch mit S. Streller, S. 11.

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loyalität, einem nationalen Verantwortungsbewusstsein und dem Pflichtgefühl gegenüber dem Standort Leipzig. Nicht zuletzt lagen dieser Loyalität auch pragmatische Überlegungen zugrunde. Spätestens nachdem Korff die Studentin Brigitte Wolf geheiratet hatte und der gemeinsame Sohn geboren worden war, hatte Korff wieder eine familiäre Verantwortung, die aufgrund des großen Altersunterschiedes weit über seinen Tod hinaus reichen würde. Die DDR bezahlte ihre Professoren gut und versorgte sie mit Privilegien. So war auch der Wiedereintritt Korffs in die Sächsische Akademie der Wissenschaften 1955 neben allem wissenschaftlichen Ansehen auch an die damit verbundene Privilegierung geknüpft, an den vereinfachten Kauf eines Autos, die Zuteilung von raren Autoreifen oder die Vergabe eines Studienplatzes an seinen Sohn.522 Der gewisse Sonderstatus, den der demonstrativ auf Kontinuität setzende Korff in der DDR innehatte, geriet Mitte der 1950er Jahre ins Wanken. 1950 hätte er altersgemäß emeritiert werden müssen. Doch wurde dieser Schritt aufgrund der umfangreichen Lehranforderungen am Germanistischen Institut verschoben, ebenso 1952.523 Als es 1954 erneut um die Emeritierung Korffs ging, betonte nun auch er seine enge Bindung an die Professur, denn es sei ihm eine große Ehre, dass er sie „im kommenden Jahre ein volles Menschenalter hindurch inne gehabt haben werde. Ich würde mich stets sehr ungern von ih[r] trennen.“524 Doch war Korff zu diesem Zeitpunkt nicht nur bereits 72 Jahre alt und so objektiv die Zeit für eine Verjüngung gekommen; auch die hochschulpolitische Situation hatte sich verändert. Seit der II. Hochschulreform war es erklärtes Ziel, die marxistisch-leninistische Weltanschauung an den Universitäten systematisch zu verbreiten. Mit Hans Mayer stand in Leipzig ein Literaturhistoriker zur Verfügung, von dem man sich weit mehr als von Korff die „Durchsetzung der fortgeschrittenen Wissenschaft“ und die „Entwicklung, Erziehung und Förderung der wissenschaftlichen Kader“ erhoffte.525 Angesichts dieser Konstellation lehnte das Staatssekretariat für Hochschulwesen den Antrag der Fakultät auf Aufschub der Emeritierung nun ab und versetzte Korff zum September 1954 in den Ruhestand. Zugleich forderte ihn die Fakultät jedoch auf, über seine Emeritierung hinaus zu lehren – dann allerdings zu den Konditionen (und einem geringfügigen Gehalt), die für jeden Lehrbeauftragten galten.526 Korff war über diese Forderung hochgradig empört. Er verfasste ein „Memorandum die Emeritierung solcher Professoren betreffend, die zur Durchführung des vorgeschriebenen Lehrplanes unentbehrlich sind […].“ Darin forderte er die Fortzahlung seines Ordinariengehalts (neben dem Ruhegehalt), da er ja die gleichen Aufgaben 522 Vgl. entsprechende Korrespondenz zwischen H. A. Korff bzw. seiner späteren Witwe Brigitte Korff und dem Dekan der Phil. Fak. der UL in: UAL, PA 92, sowie Gespräch mit Malte Korff im Juli 2005 in Leipzig. 523 Vgl. entsprechende Korrespondenz zwischen H. A. Korff und dem Dekanat und Prodekanat der Phil. Fak. der UL, in: Ebd., Bl. 340–345. 524 Vgl. Schreiben von H. A. Korff an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 1. Juni 1954, in: Ebd., Bl. 352. 525 Beschluss des Sekretariats des ZK vom 1. Dezember 1952, zitiert nach A. Malycha, Einführung, S. 27. 526 Vgl. Schreiben des Dekans der Phil. Fak. der UL an H. A. Korff vom 8. Juli 1954, in: UAL, PA 92, Bl. 354.

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wahrnehme.527 Das Memorandum schickte er an den Staatssekretär für Hochschulwesen Franz Wohlgemuth, der die Forderungen jedoch ablehnte. Trotz seines Widerspruchs lehrte Korff bis 1956 weiter. Ob er dies unentgeltlich tat, wie er es gegenüber dem Dekan angekündigt hatte, oder ob er die 45,- Mark pro Lehrstunde annahm, konnte nicht rekonstruiert werden. Die Auseinandersetzungen sind über die Frage nach dem Umgang mit Emeriti in der frühen DDR hinaus noch aus zwei weiteren Gründen aufschlussreich. Denn hier zeigt sich zum einen exemplarisch, wie sich die Handlungsspielräume im wissenschaftlichen Feld bis Mitte der 1950er Jahre verschoben hatten. Die bürgerlichen Professoren verloren an Einfluss und Bedeutung angesichts personeller Alternativen und einer zunehmenden Stabilisierung der hochschulpolitischen Strukturen. Zugleich zeigt sich, dass das Ansehen Korffs in der Philosophischen Fakultät ungebrochen war. Offensiv hatte sich der Dekan für seine Weiterbeschäftigung eingesetzt. Und er war es auch, der den Nationalpreis II. Klasse für Korff gefordert und dabei betont hatte, dass in „unserer Fakultät […] echter wissenschaftlicher Meinungsstreit jederzeit nur erwünscht“ ist. Es wäre daher „tief bedauerlich […], wenn aus Gründen einer präjudizierten Verschiedenheit der Standpunkte einem so bedeutenden Gelehrten wie Korff die längst verdiente Ehrung versagt würde.“528 Zum anderen zeigt die Tatsache, dass das Memorandum Korffs im Ministerium fast ungehört verpuffte, abermals die (im Vergleich zum Strippenzieher Frings) schwächere Machtposition Korffs gegenüber den politischen Instanzen. Ihm fehlten nach wie vor das notwendige Geschick, die strategischen Erfahrungen sowie die institutionelle Macht, um sein Anliegen auch gegen Widerstände erfolgreich zum Ende zu führen. Für die Studierenden war Korff gerade in der Nachkriegsgermanistik ohne Frage eine schillernde Gestalt. Viele der Studierenden kamen zum Studium nach Leipzig, „um den berühmten Verfasser vom Geist der Goethezeit und kundigen Herausgeber umfangreicher Anthologien klassischer Texte persönlich kennenzulernen. Der Bedarf in den verbrannten Städten, den Schulen und Seminaren war riesig, Korffs Name fast allen Deutschlehrern geläufig. Ein Mann mit großem persönlichen Charme, Empfindungs­ und Ausdruckskraft, ein eindrucksvoller Interpret.“ 529

So erinnerte sich Korffs Assistent Lothar Scheithauer später an den Lehrer. Auch Egon Günther konnte sich bei aller Kritik der Ausstrahlung Korffs nicht entziehen: „Angegafft“ habe er „ihn drei Jahre lang. Begierig zugehört. Manchmal war seine Sprache Musik. […] Wie andere habe ich mir Urteile darüber erlaubt, was er sage und schreibe, sei Unsinn, und dabei eine schreckliche Seite in mir kultiviert, die da möchte, alles, was ich nicht begreife von anderen, was mir nicht gemäß ist, hat Unsinn zu sein. Ich ahnte damals, was er mir geben könnte, doch 527 Vgl. Schreiben von H. A. Korff an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 30. August 1954 [das Memorandum ist auf den 27. Juli 1954 datiert], in: Ebd., Bl. 363–364. 528 Schreiben von Walther Martin / Dekan der Phil. Fak. der UL an den Rektor der UL vom 25. Juli 1957, in: Ebd., Bl. 396–397, hier Bl. 397. 529 L. Scheithauer, Die Jahre in Leipzig, S. 29.

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Germanistenleben er gab es mir nicht. Er hat es behalten. Vielleicht hat er es anderen vermacht, das Richtige und das Falsche, ich beneide noch heute alle, die es empfangen haben.“ 530

Ein gewisser „Geist der Korffzeit“ ist durch solche Erzählungen von Zeitzeugen bis heute gegenwärtig. In den 1950er Jahren war er unzeitgemäß und wirkte dadurch provokant und anziehend zugleich. Nach seiner Emeritierung zog sich Korff nicht gänzlich ins Private zurück, sondern hielt Vorträge in der SAW, aber auch in Göttingen oder Stuttgart.531 Zudem arbeitete er an der Neuauflage des Geist der Goethezeit, die seit 1949 erschien und die er der Leserschaft in der DDR zugänglich machen wollte.532 Dass ihm dies letztlich gelungen ist, zeigt die positive Referenz des späteren DDR-Literaturhistorikers Claus Träger, der in einem Vortrag 1978 den Wert der Arbeiten Korffs auch für die marxistische Literaturwissenschaft hervorhob.533 In seinen letzten Lebensjahren zog sich Korff immer mehr aus dem akademischen Leben zurück und verbrachte viel Zeit mit seiner Familie. Im Juli 1963 starb er relativ unerwartet nach kurzer Krankheit in Leipzig. Die Grabrede hielt sein vielleicht einziger Schüler, der Jenaer Literaturhistoriker Joachim Müller.534 Zwischenfazit Insgesamt zeichnet sich ein deutlich komplexeres Bild des Literaturhistorikers ab, als es die eher stereotypen Beschreibungen bislang nahe legten. Die Gründe und Hintergründe für die doppelte Kontinuität im Fall von Korff sind (ähnlich wie bei Frings) zunächst im Zusammenhang mit seinem Alter und gutem Gesundheitszustand, seinem akademischen Status und dem damit verbundenen kulturellen Kapital sowie der engen Bindung Korffs an Leipzig zu sehen. Die Entscheidung für den Wechsel dorthin 1925 war schwer gewesen, sie sollte endgültig sein. Darüber hinaus spielte es auch für Korff eine wichtige Rolle, dass er in Leipzig mit Frings zusammenarbeitete. Denn so lange er den erfolgreichen Wissenschaftsorganisator neben sich wusste, musste er nicht das tun, was er weder wollte noch gut konnte: Sich wissenschaftsorganisatorisch engagieren. Damit ist nicht nur ein wesentlicher Gegensatz zu Frings benannt, sondern auch ein wichtiger Punkt, fragt man nach Korffs Rolle und Bedeutung in der Wissenschaftspraxis in den drei politischen Systemen. Mehr als Frings befürwortete Korff 530 531 532 533

E. Günther, Einmal Karthago und zurück, S. 141–142. Vgl. die entsprechende Korrespondenz in: UAL, PA 92, Bl. 393–394. Vgl. Kap. C II. „Ein Aufriss wie der Korffs, vom Kopf auf die Füße gestellt, [vermag] seinen anregenden Stellenwert beim konzeptionellen Neuaufbau der Epochenproblematik zu behaupten.“ Wer daher „Korffs Konzeption die Anerkennung versagen zu müssen glaubt, wird mit einigem sicheren Gefühl für gedankliche Konsequenz sich nicht der Bewunderung entschlagen können im Angesicht eines literarhistorischen Ideengebäudes, dessen erster fundamentaler Ansatz so tragfähig gewesen war, dass er das Ganze schließlich zu tragen vermochte.“ C. Träger, Aufklärung, S. 264 bzw. S. 259. 534 Vgl. Gespräch mit Malte Korff im Juli 2005 in Leipzig.

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ein Zusammengehen von Wissenschaft und Politik mit dem Ziel, dem „Leben“ und dem „deutschen Volk“ zu dienen. Dafür sprechen die nationalpädagogisch motivierten Überlegungen in der Forderung des Tages von 1933 ebenso wie die für sein Werk programmatischen Einleitungen im Geist der Goethezeit (vgl. unten). Die Selbst- wie Fremdwahrnehmung Korffs als „unpolitisch“ bedeutete in der Praxis auch in seinem Fall eine für Staatsbeamte typische Staatsloyalität sowie einen tief verinnerlichten Nationalismus. Zugleich jedoch leitete Korff aus diesen Überlegungen und Zielsetzungen kaum Handlungen ab, die über den engen Rahmen seiner Aufgaben als Hochschullehrer und geistesgeschichtlicher Literaturhistoriker hinausgingen. Die immer wieder zu konstatierende Praxis des Sich-Heraushaltens (in politischen, hochschulund wissenschaftsorganisatorischen Angelegenheiten, aber auch bei der Anleitung seiner Studenten) war Korff zutiefst eigen. Sie bestimmte (von wenigen Ausnahmen abgesehen) sein Wirken als Hochschullehrer und Germanist. Mit Blick auf die historischen Zäsuren war eine solche Verhaltensweise natürlich von Vorteil, waren doch die Entlassungen vor allem an äußere Kriterien wie Parteimitgliedschaften und Engagement in (kultur-)politischen Institutionen gebunden. So war nicht zuletzt diese Praxis für den langjährigen Verbleib Korffs an der Alma mater Lipsiensis mitverantwortlich – und dabei ganz das Gegenteil der Verhaltensweisen von Frings.

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Germanistenleben

ZUSAMMENFASSUNG Zusammenfassend zeigt sich, dass nach 1918 / 19 sowie nach 1933 personelle Kontinuitäten an den drei Germanistischen Instituten dominierten. Dies hing wesentlich damit zusammen, dass ein Elitenwechsel durch die neuen politischen Machthaber im Fall der Weimarer Republik nicht intendiert war bzw. im Fall des Dritten Reichs zunächst fokussiert auf bestimmte Gruppen erfolgte und angesichts der relativ kurzen Dauer des Regimes zuletzt nicht zustande kam. Die personelle Konstanz hatte in diesen Perioden unmittelbare Folgen für die Wissenschaftspraxis, so auf die weitestgehende Fortführung von Lehr­ und Forschungsthemen oder die Pflege von Arbeitszusammenhängen und Netzwerken. Anders verhielt es sich nach 1945, als durch die Besatzungsmächte forciert ein umfassender Elitenwechsel angestrebt wurde. Dies hatte zur Folge, dass in diesem Zeitraum personelle Kontinuitäten die Ausnahme darstellten. Individuell verlief der Umgang mit den politischen Zäsuren unterschiedlich. Die sechs untersuchten Professoren, die im Kaiserreich sozialisiert wurden, durch die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges geprägt waren und nach 1919 im Amt blieben, standen in deutlicher Opposition zur Weimarer Republik. Anders jene acht Germanisten, die nach 1933 in ihren Ämtern blieben. Der Großteil von ihnen empfand den politischen Wechsel als einen Aufbruch aus der Krise und begrüßte ihn. Der Zusammenbruch von 1945 wiederum war eine tiefe Zäsur mit weitgehenden personellen Konsequenzen. Politische Übereinstimmung mit den sozialistischen Machthabern gab es bei den drei im Amt gebliebenen Professoren nicht, allerdings eine ausgeprägte Standortgebundenheit, die zuletzt auch ein Loyalitätsbekenntnis zur neuen herrschenden Ordnung war. Diese unterschiedlichen Haltungen zum jeweils neuen politischen System ließen sich – im Zeitverlauf – am Beispiel der beiden Leipziger Ordinarien Theodor Frings und Hermann August Korff nachzeichnen. Ähnlichkeiten gab es bei ihrer grundlegenden nationalen Einstellung und Staatsloyalität, aufgrund derer es nie zu einem Bruch mit der jeweiligen politischen Ordnung kam. Konkret ließen sie jedoch ihre unterschiedlichen Arbeitsweisen und ihre jeweils andere Vorstellung von nationaler Verantwortung verschiedene Wege gehen. So begrüßte Korff 1933 den politischen Systemwechsel, ließ dem Bekenntnis jedoch kein weiteres politisches Engagement folgen; Frings hingegen stand dem Dritten Reich distanziert gegenüber, war jedoch in die Arbeit der kulturpolitisch engagierten Deutschen Akademie in München eingebunden. Nach 1945 wiederum machte Korff aus seiner distanzierten Haltung zur DDR keinen Hehl; Frings hingegen stellte sich in den Dienst der DDR-Wissenschaftspolitik und konnte auf diese Weise eine herausragende Machtposition im wissenschaftlichen Feld erlangen.

C VOM WANDEL IN DER KONTINUITÄT. DIE WISSENSCHAFTLICHEN ARBEITEN VON THEODOR FRINGS UND HERMANN AUGUST KORFF

Der dritte und letzte Teil der Arbeit widmet sich – stärker als bislang geschehen – germanistischen Inhalten, wobei die wissenschaftlichen Konzeptionen der Leipziger Ordinarien Frings und Korff im Mittelpunkt stehen. Diese sind bislang keineswegs erschöpfend analysiert und in ihrem historischen Zusammenhang interpretiert worden. Hier besteht noch Klärungsbedarf, auch in Hinblick auf die doppelte Kontinuität. Denn für das erfolgreiche Wirken von Frings und Korff in drei politischen Systemen waren nicht nur institutionelle Einbindung, wissenschaftliche Reputation und natürliche Faktoren entscheidend, sondern auch die kontinuierliche Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Konzeptionen. Dieses Kapitel ist so einerseits Ergänzung der vorherigen Abschnitte, andererseits Beitrag zur ideengeschichtlichen Auseinandersetzung mit der von Frings vertretenen Kulturmorphologie und der von Korff repräsentierten Geistesgeschichte. I SEHNSUCHT NACH DER „ÜBERWÖLBENDEN WISSENSCHAFT“ 1. DIE KULTURMORPHOLOGIE VON THEODOR FRINGS Die Kulturmorphologie gehörte in den 1920er Jahren zu den innovativen Feldern der deutschen Germanistik.2 Von ihr gingen wesentliche methodische Impulse für andere Fächer wie die Volkskunde und die Geschichtswissenschaft aus. Zugleich bezog sie deren Erkenntnisse in die eigene Forschung ein. Durch die Kooperation unterschiedlicher geisteswissenschaftlicher Fächer entstand eine moderne Form der interdisziplinären Großforschung, wie sie in den Natur- und Technikwissenschaften bereits üblich war. Lokale Referenzpunkte der Kulturmorphologie waren Bonn mit dem Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande und Leipzig mit vergleichbaren interdisziplinären Strukturen und institutionellen Einrichtungen. Sowohl in Bonn als auch in Leipzig spielte Frings eine bedeutende Rolle. Seine sprachgeographischen Arbeiten auf kulturmorphologischer Grundlage waren wichtig für die akademische Etablierung der Dialektologie, für eine Historisierung und 1 2

T. Frings, Sprachgeographie und Kulturgeographie, S. 548. Vgl. v. a. C. Knobloch, Language and Space; K. Ditt, Politisierung der Kulturraumforschung; W. Oberkrome, Volksgeschichte; B. Dietz / H. Gabel / U. Tiedau (Hrsg.), Griff nach dem Westen.

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Vom Wandel in der Kontinuität

Soziologisierung der Sprachgeschichtsforschung sowie für methodische und konzeptionelle Änderungen in der Germanistik allgemein.3 Der folgende Abschnitt behandelt die Kulturmorphologie Frings’, die sich als Teil der Kulturraumforschung verstand. Hierbei ist das Konzept zu beleuchten, ebenso die von Frings als Leitbegriffe verwendeten Termini „Raum“ und „Kultur“ sowie der umfassender verstandene Begriff „Volk“. Neben den theoretischen Überlegungen rücken auch die Arbeitsweisen der Kulturmorphologie in den Blick. Betrachtet man die Kulturmorphologie aus historischer Sicht, darf ihr Entstehungszusammenhang nicht vernachlässigt werden. Ihre Vertreter waren stark von den politischen Entwicklungen nach dem Ersten Weltkrieg geprägt und ließen diese Erfahrungen in ihre wissenschaftliche Arbeit einfließen. Frings, 1886 geboren, gehörte so zu jener Gelehrtengeneration, die „in erschreckendem Erwachen aus der Geborgenheit des Nationalstaats herausgerissen worden [war], den sie im Umfang der Reichsgründung von 1871 verwirklicht geglaubt hatten […].“4 Die Ablehnung der Ergebnisse von Versailles, der Wunsch nach Revision in Fragen der Ostgebiete, der Verlust einer angenommenen Vormachtstellung in Europa sowie der politische Aufstieg des Kriegsgewinners und alten Erbfeindes Frankreich bestimmten Wahrnehmung und Selbstverständnis nicht nur eines großen Teils der deutschen Hochschullehrerschaft. Vielmehr bestand in diesen Fragen in weiten Teilen des deutschen Bildungsbürgertums ein gewisser Grundkonsens, der sich über alle politischen Lager erstreckte. Die Erfahrungen mit dem Ersten Weltkrieg und seinen Folgen führten auch dazu, dass mit „vermehrter Kraft das Bewusstsein von der Gemeinschaft im Volkstum“5 zunahm. „Volk“ und „Volkgemeinschaft“ wurden zu einenden Chiffren, wobei den Grenz- und Auslandsdeutschen besondere Bedeutung zukam. Der Dienst an der „zerrissenen Nation“ wurde vielen Hochschullehrern zur Selbstverständlichkeit. Die Besinnung auf das Spezifische des deutschen Daseins und Soseins, die Vorstellung eines „deutschen Sonderweges“ mündeten in dem Ruf nach „Heimatpflege“, um das Selbstbewusstsein des Volkes zu stärken. Vor diesem Hintergrund sollte das deutsche Volk (in all seinen Äußerungen) wissenschaftlich erfasst und erforscht sowie als besonders und überlegen dargestellt werden.6 Neben der Heimatpflege sahen viele Gelehrte ihre Aufgabe darin zu beweisen, dass die durch den Versailler Vertrag festgelegten Grenzen illegitim seien und die „wahre“ Zugehörigkeit der Bevölkerung bei den Festlegungen ignoriert worden sei. In diesem Kontext gewann der Begriff Raum eine politische Funktion; „Lebens3 4 5 6

Vgl. G. Grober-Glück, Die Leistungen, sowie R. Große, Sprache und Geschichte. H. Aubin, Zu den Schriften, S. 3. Ebd. Denn „die Deutschen überhaupt [sahen sich] einer neuen, von den Siegermächten diktierten Staatenordnung im Osten gegenüber, die sich gleichzeitig auf historische Rechte berief und die Selbstbestimmung der Völker wahrmachen wollte. Damit gewannen ebenso wahre Geschichtskenntnis wie Volkstum unmittelbar politische Bedeutung. Die Deutschen bedurften ihrer zur Verteidigung jener Grundforderungen, welche im häufigen Fall ihres Widerstreits jetzt [also 1963, zum Zeitpunkt der Äußerung; AL] immer nur zu ihren Lasten ausgelegt wurden. Aus dem ideellen Antrieb und aus der aktuellen Notwendigkeit erwuchsen daher eine gesteigerte Pflege der Geschichte und eine eigene Volkstumsforschung.“ Ebd.

Die Kulturmorphologie von Theodor Frings

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raum“ und „Grenzraum“ wurden zu Schlagworten im politischen und wissenschaftlichen Diskurs. Der „Grenzkampf“ der Gelehrten war beeinflusst von den tagespolitischen Konflikten. Zugleich verlief er entlang der Auseinandersetzungen mit französischen und polnischen Wissenschaftlern um die Frage, wem die betreffenden Gebiete (historisch) gehörten. Schließlich basierte er auf alten Ressentiments gegenüber dem Erbfeind Frankreich im Westen und dem kulturell unterlegen geglaubten Polen im Osten. Die kontextuellen Bedingungen haben in der bisherigen Forschung zu Recht Beachtung gefunden und wurden bereits im Kapitel über Frings diskutiert. Sie gilt es, auch bezüglich der folgenden Ausführungen vor Augen zu haben. Zugleich darf der Blick auf den konzeptionellen Ansatz nicht durch die notwendige Beachtung des Kontextes verstellt werden. Dies birgt die Gefahr, die komplexe Geschichte von Personen, Institutionen, aber auch wissenschaftlichen Konzeptionen ideologiekritisch zu reduzieren. Mit Blick auf bisherige Arbeiten zur Westforschung betonte so Bernd-A. Rusinek: „Personalistisches Vorgehen, Abstellen auf Moral, auf das ‚Versagen der Wissenschaft‘, Personalreduktion, gleichsam Mit-dem-Finger-Zeigen auf Akteure scheint nicht nur […] unbefriedigend und steht mit der Tendenz zur Personalreduktion quer zu den inzwischen erreichten geschichtswissenschaftlichen Standards, sie ist zudem analytisch wenig ergiebig.“7

1 Das Konzept Kulturmorphologie und die Bedeutung der Begriffe Raum, Kultur und Volk Zunächst zum Begriff Kulturmorphologie. Folgt man der Definition der Volkskundlerin Gerda Grober-Glück aus dem Jahr 1982, so bedeutet Kulturmorphologie „soviel wie ‚Kulturraumforschung‘.“ Vorbild sei „die Kulturkreislehre, die Lehre von der Verbreitung der Kulturtypen über die Erde, für die Geographen und Völkerkundler […] Anregung und Ausformung gaben […].“ Ebenso rekurriert die Kulturmorphologie auf Dialektgeographie und geschichtliche Landeskunde, in deren Folge „der dynamische Aspekt, das Moment des Wandels im Raum, von Anfang an besondere Beachtung erfuhr“. Wichtig „für das richtige Verständnis von Kulturmorphologie im Sinne von Kulturraumforschung ist ferner, dass sich ‚Raum‘ nicht auf das Areal als solches, sondern auf die Menschen bezieht, die darin wohnen“. Und so meinen die „Begriffe ‚Dialektgeographie‘ und ‚Kulturgeographie‘ primär nicht [den] Zusammenhang mit Gegebenheiten der natürlichen Landschaft, sondern [die] Verbreitung von durch Menschen getragenen Dialekt- bzw. Kultureinscheinungen im Raum […].“8 Der methodische Vorläufer der Kulturmorphologie war der Deutsche Sprach­ atlas, der von Ferdinand Wrede in Marburg seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erarbeitet wurde.9 Das Unternehmen hatte mit tausenden Fragebögen die lokale Bezeichnung von Gegenständen und Begriffen im Deutschen Reich abgefragt, sie 7 8 9

Bernd-A. Rusinek, „Westforschungs“­Traditionen nach 1945, S. 1148–1149. G. Grober-Glück, Die Leistungen, S. 92 [Hervorhebungen im Original]. Vgl. S. Wilking, Der Deutsche Sprachatlas.

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Vom Wandel in der Kontinuität

kartographisch erfasst und auf Grundlage dieser Ergebnisse sogenannte Mundartenräume abgegrenzt. Frings war ein Schüler Wredes und in dessen Umfeld methodisch-fachlich sozialisiert. Von seinem Lehrer übernahm er die Erkenntnis, dass außersprachliche Faktoren für die Sprachentwicklung wichtig seien und dass die Sprach- und Dialektgeographie in einer Kulturgeographie aufgehen müsse. Doch erst Frings’ Zusammenarbeit mit dem Landeshistoriker Hermann Aubin und dem Volkskundler Josef Müller in Bonn forcierte diese Zusammenschau auch in der Praxis. Für die Sprachgeographie, so Frings, bedeutete die Eingliederung in einen kulturhistorischen Kontext „einen folgenschweren Wandel“, denn das „Interesse an der sprachlichen Erscheinung als solcher, am Laut, an der Form, am Wort, [wurde nun] verbunden mit der Frage nach der räumlichen Ausdehnung des jeweils betrachteten Falles. Am Ende sind die rein sprachwissenschaftlichen Fragen dabei zurückgetreten hinter kulturgeschichtliche Gesichtspunkte, die sich aus der Raumfrage und ihrer Lösung ergaben.“10

Vor allem die Zusammenarbeit Frings’ mit Aubin in den 1920er Jahren war fruchtbar. Aus ihr entstand ein Konzept moderner, geographisch orientierter Geschichtsbetrachtung, den sie in dem programmatischen Werk Kulturströmungen und Kul­ turprovinzen in den Rheinlanden (1926) darlegten. Mit diesem Ansatz konnte sich die Kulturmorphologie im Rahmen der Kulturraumforschung neben der traditionell politikorientierten Territorial- und Nationalgeschichte behaupten. In der Dialektforschung nahm die Kulturmorphologie gar eine führende Rolle ein. Ihr Erfolg lag zum einen an dem innovativen Potential des Ansatzes: Kulturmorphologie war als Teil der Kulturraum- und Volksforschung interdisziplinär. Sie erschloss neue Quellen bzw. interpretierte empirische Befunde neu – etwa das Material des Sprachatlas unter dezidiert historischen und außersprachlichen Gesichtspunkten. Auf diese Weise konnten die im Sprachatlas verzeichneten Mundartenräume zum „Niederschlag großräumiger Sprach- bzw. Kulturbewegungen“11 umgedeutet werden. Zum anderen hing der Erfolg des Konzeptes damit zusammen, dass er auf Leitbegriffe wie Volk, Kultur und Raum rekurrierte. Die Fokussierung auf die natürlichen und kulturellen Grundlagen des „deutschen Wesens“ entsprach dem politischen Bedürfnis der Zeit nach Einheitlichkeit und Ursprünglichkeit. Innerwissenschaftlich hatten die Begriffe Raum und Kultur jedoch vor allem eine integrierende Funktion. Gerade in interdisziplinären Zusammenschlüssen war und ist es wichtig, sich auf eine gemeinsame Terminologie zu einigen. Diese musste zum einen vage genug sein, um alle beteiligten Disziplinen einzubinden. Zugleich musste sie inner- wie außerfachliche Schlagkraft besitzen, damit sich die Kulturmorphologie gegenüber konkurrierenden Konzepten durchsetzen konnte.12 Es mussten Kategorien gefunden werden, die sowohl synthetisierend wirkten als auch weitreichende Wirkung

10 11 12

T. Frings, Volkskunde und Sprachgeographie, S. 91. G. Grober-Glück, Die Leistungen, S. 94. Bisher hatten in der Dialektgeographie die Junggrammatiker dominiert. Deshalb musste, so Frings, „der sprachgeographische Gedanke“, obwohl er „seit der Jahrhundertwende lauter und lauter an die Tore der Sprachwissenschaft“ geklopft hatte, nach wie vor „als Emporkömmling […] um Einlass betteln“. Vgl. Frings, Sprachgeographie und Kulturgeographie, S. 546.

Die Kulturmorphologie von Theodor Frings

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entfalten konnten. Orientiert an Karl Lamprecht13 und Friedrich Ratzel einigten sich die Bonner auf „Raum“ und „Kultur“ – Allerweltsbegriffe mit innerwissenschaftlicher Konjunktur, zugleich mit offensichtlicher Referenz auf politische Geographie und Kulturgeschichte sowie außerwissenschaftlicher Anschlussfähigkeit. Wie intensiv die internen Debatten um die Begrifflichkeit geführt wurden, lässt sich kaum eruieren. Deutlich wird jedoch, dass den Akteuren die Bedeutung synthetisierender Kategorien für die Durchsetzung einer „überwölbenden Wissenschaft“ bewusst war. Und deshalb „opferte“14 Frings auch den für die Sprachwissenschaft üblichen und unauffälligeren Begriff Landschaft für den resonanzkräftigeren Raum-Begriff. „Raum“ meinte dabei immer „Kulturraum“ und damit ein Gebilde, das nicht statisch, sondern dynamisch ist.15 Unter dieser Prämisse war es das Ziel, die „geschichtliche Kulturdynamik und Kulturmorphologie des Raumes und der Räume“16 zu erfassen. Der Fokus auf „Raum“ verwies „Zeit“ als historische Kategorie in den zweiten Rang. Ziel der Kulturmorphologie war „nicht mehr die Erstellung eines Systems von ‚Kulturzeitaltern‘, sondern von ‚Kulturprovinzen‘ […]“17. Dies bedeutete allerdings nicht, „dass nicht besonders die historischen Wandlungen untersucht wurden, aber der Raum bot die Möglichkeit, zeitliche Veränderungen als kontinuierliche Modifikation eines relativ statischen Grundelements anzusehen.“18 „Kultur“ im Zusammenhang mit Kulturmorphologie bezeichnete Frings als „Soziologie der historischen Lebensräume […].“19 Sein Interesse galt dem Menschen in seiner Rolle als Träger von Kulturerscheinungen, galt dem „vergesellschafteten Menschen im Raum“20. In diesem Sinne war Kulturmorphologie bei Frings eine morphologie humaine bzw. sociale, wie es sie zeitgleich in der englischen und französischen Forschung gab.21

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Der Leipziger Kultur- und Landeshistoriker Karl Lamprecht hatte kollektive Einheiten und ihre Interaktion ins Zentrum seiner Forschung gestellt. Sein Ziel war, „to produce a general history of the German people that incorporated all aspects of their cultural and social development over time within a framework that afforded comparison with other peoples throughout the world and that also permitted the uncovering of laws of historical change.“ W. Smith, Politics and the sciences of culture in Germany, S. 188. T. Frings, Sprachgeographie und Kulturgeographie, S. 548. Nach Frings ist Raum dynamisch: „Indem er den Bewegungen, die in ihm selbst entstehen oder in ihn hineingetragen werden, nach dem Gesetz von Mischung und Ausgleich, Differenzierung und Integrierung, Divergenz und Konvergenz, Zentrifugal- und Zentripetalkraft lenkt und verarbeitet, andererseits aber in Abwehr verharrt, ist er zugleich ein ewiger Spielball von Bewegungs- und Beharrungskräften.“ Ebd., S. 549. Ebd. S. Haas, Historische Kulturforschung, S. 342. Ebd. T. Frings, Sprachgeographie und Kulturgeographie, S. 550. H. Aubin / T. Frings, Vorwort, S. IV. Die wortwörtliche Referenz auf Lamprecht, der ebenfalls von den „Lebensformen vergesellschafteter Menschen in Raum“ schrieb, verweist auf dessen Bedeutung bei der Bildung von Kulturbegriff und Kulturbetrachtung für die Bonner Schule. Karl Lamprecht zitiert nach S. Haas, Historische Kulturforschung, S. 113. Vgl. H. Popp, Kulturgeographie ohne Kultur?, S. 115.

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Dabei herrschte in der deutschen Forschungslandschaft durchaus Uneinigkeit darüber, welche Elemente unter Kultur zu fassen seien, ob materiell-äußere und / oder psychologisch-innere Faktoren. Frings verfocht in dieser Frage einen materialistischen Kulturbegriff. In Anlehnung an die Kulturgeographie Otto Schlüters22 und die Arbeiten Lamprechts zielten seine Untersuchungen auf die materiel­ len Kulturerscheinungen. Ihm ging es um die in der Gegenwart noch sichtbaren Spuren menschlichen Lebens im Raum, zu denen er Sprache, Bau- und Siedlungsweisen oder Rechtstexte zählte. Anders sah dies etwa der Philosophieprofessor Eduard Spranger, dessen Kulturmorphologie Clemens Knobloch in unmittelbaren Zusammenhang mit Frings gebracht hat.23 Doch hier argumentiert Knoblauch ungenau, denn im Gegensatz zu Frings’ Konzeption lag derjenigen Sprangers ein organisches Kulturverständnis24 in Referenz auf Oswald Spengler zugrunde.25 Bei Spranger meinte Kulturmorphologie die „Lehre vom Lebensstil“, deren Ziel es sei, „genaue Vorstellungen über das innere Lebensgefüge einer Kulturentwicklung“26 zu erlangen. Von solchen Positionen grenzte sich Frings jedoch ab. Offensichtlich wird dies in Auseinandersetzungen innerhalb der Dialektologie. Auch hier gab es Positionen, die die „Volksseele“ ins Zentrum rückten. Der Dialekt galt hier als „geformter Ausdruck der geistigen Welt und zugleich [als] eine diese geistige Welt formende Kraft […].“27 Frings distanzierte sich von diesen Ansätzen und warf ihnen Spekulation und mangelnde Methodik vor: „Die Erkenntnis der Volksseele [wird] heute vielfach als letztes Forschungsziel aufgestellt. Aber das ist, wie ich meine, nichts als das Suchen eines imaginär-romantischen Mangelgebildes, das einer unbegrenzten und ungeklärten Stoffmasse als Ersatz für Gliederung, Durchdringung und Erkenntnis umgehängt wird.“28

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1906 hatte Otto Schlüter den Begriff Kulturgeographie eingeführt und dabei die materiellen Kulturformen, die sichtbaren Elemente menschlichen Handelns in den Fokus gerückt. Als Untersuchungsgegenstand bezeichnete er die „große Gruppe der Spuren, welche die menschliche Tätigkeit in der Landschaft hinterlässt […]. Es sind dies die Siedlungen, die Flächen der Bodenbewirtschaftung und die Verkehrswege. Für diese Teilwissenschaft eignet sich wohl am besten der Name Kulturgeographie.“ O. Schlüter, Die Erdkunde in ihrem Verhältnis zu den Natur­ und Geisteswissenschaften, zitiert nach ebd., S. 119. Trotz der begrifflichen Parallelen betonte Frings, dass der kulturmorphologische Ansatz über den geographischen Bezug hinausgehe und ersetzte den Begriff Kulturgeographie deshalb später durch „Kulturmorphologie“. Vgl. C. Knoblauch, Language and Space, S. 114. Danach war Kultur die Summe von „eigenartig überindividuellen Lebenserscheinungen […], die wie das Individuum entstehen, wachsen und vergehen.“ Diese Erscheinungen würden den Einzelnen beherrschen und müssten ins Zentrum der Untersuchung rücken. Vgl. E. Spranger, Probleme der Kulturmorphologie, S. 3. Spengler ging in Untergang des Abendlandes davon aus, dass der Phase der Kultur eine Phase der Zivilisation folge. Dabei sei das Verhältnis von Kultur und Zivilisation das des „lebendige[n] Leib[s] eines Seelentums und seine[r] Mumie“. Kultur sei „ein aus der Landschaft geborener Organismus“, Zivilisation „der aus seiner Erstarrung hervorgegangene Mechanismus.“ O. Spengler, Der Untergang des Abendlandes, S. 450. E. Spranger, Kulturmorphologie, S. 5 sowie S. 15 [Hervorhebung; AL]. W. Knoch, Dialektgeographie, S. 17. T. Frings, Sprachgeographie und Kulturgeographie, S. 562.

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Wenn „Kultur“ bei Frings als Produkt allgemeinen menschlichen Handelns gefasst wurde, standen dabei nicht die gebildeten und höheren Schichten, sondern vielmehr die (nicht näher definierten) „Massen“ bzw. das Volk im Mittelpunkt seines Interesses. Damit erhielten vor allem die Dialektforschung und die Volkskunde eine wesentliche Bedeutung, denn gerade sie untersuchten jene Bereiche des kulturellen Lebens, die nicht schriftlich fixiert, aber durch andere Ausprägungen überliefert sind.29 Als kulturelle Äußerungen wurden von Frings jene Erscheinungen verstanden, die historisch wie gegenwärtig materialisiert und damit empirisch nachweisbar sind. Ähnlich wie Raum wurde auch Kultur zur einigenden Kategorie im Rahmen der interdisziplinären Forschung, was in der vielfältigen Verwendung des Begriffs in Termini wie Kulturlandschaft, Kulturgeographie, Kulturströmungen, Kulturraum oder eben Kulturmorphologie seinen Niederschlag fand. Zusammengefasst: „Kultur“ und „Raum“ waren zentrale Begriffe der wissenschaftlichen Konzeption von Frings. Sie hatten integrierende Funktion und sollten als Leitbegriffe verschiedene Disziplinen zusammenführen und zugleich außerwissenschaftlich Resonanz erzeugen. Beide Begriffe basierten auf Traditionen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, eine Radikalisierung der Begriffe lässt sich bei Frings nicht feststellen. Im Gegenteil war er darum bemüht, gerade den Kulturbegriff von völkisch-irrationalen und kulturidealistischen Implikationen freizuhalten. Anders der Begriff „Volk“, der bei Frings nicht zum kulturmorphologischen Begriffsarsenal gehörte, sondern vielmehr (wie beim Gros der Hochschullehrerschaft) die außerwissenschaftliche Bezugsinstanz der wissenschaftlichen Arbeit darstellte. Der Danziger Germanist Heinz Kindermann betonte diesen Zusammenhang 1935 mit den Worten: „Für uns gibt es nur einen Wertmaßstab und ein Zentralproblem, dem alle anderen Probleme […] sich ein- und unterordnen müssen: das deutsche Volk!“30 Frings’ konkreter Untersuchungsgegenstand war mit dem Dialekt die sprachliche Lebensäußerung des Volkes; wiederholt betonte er die Verantwortung der Wissenschaft gegenüber dem Volk und die Bedeutung des Volks für die Wissenschaft; zuletzt verstand er seine Arbeit auch als Dienst am Volk.31 „Volk“ wurde so im Rahmen der Kulturmorphologie zum „Letztbegründungsbegriff“ (Georg Bollenbeck), nicht zuletzt weil „Volk“ und „Volksgemeinschaft“ nach dem Ersten Weltkrieg gesamtgesellschaftlich an immenser Bedeutung gewonnen hatten. „Volksgemeinschaft“, so Michael Wildt, „war ein politisches Zauberwort, das nahezu alle Parteien der Weimarer Republik verwandten – mit graduellen wie fundamentalen Unterschieden […].“32 Von grundsätzlicher Bedeutung war dabei die 29

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Mündlichkeit bzw. unmittelbare Lebenspraxis galten als Ausdruck des Volkslebens (im Gegensatz zu Schriftlichkeit und höfischen Lebensformen). Ihre Äußerungen wurden daher zu den zentralen Quellen der Kulturraumforschung bzw. Kulturgeschichte. Vgl. K. Ditt, Politisierung der Kulturraumforschung, S. 929. H. Kindermann, Umwertung des deutschen Schrifttums, zitiert nach G. Kaiser, Grenzverwir­ rungen, S. 379. So schrieb Frings mit Blick auf den Atlas der deutschen Volkskunde 1928, dass es „eine hohe Pflicht sei“, ihn „unsrer Wissenschaft und unsrem Volke zu schenken“. T. Frings, Volkskunde und Sprachgeographie, S. 105. M. Wildt, Nationalsozialismus, S. 14.

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Frage von Inklusion und Exklusion. So forderten die liberalen Parteien und die Sozialdemokraten eine Einbindung aller in die Volksgemeinschaft. Die Rechte hingegen zielte, ausgehend von einem rassistisch determinierten Volksbegriff, auf den Ausschluss sogenannter volksfremder Elemente.33 Frings’ Vorstellung von Volksgemeinschaft entsprach eher dem inkludierenden Modell und zielte auf eine aus dem Krieg hervorgegangene ganzheitliche Gesellschaftsordnung, in der Geist, Bildung und Volk eine Einheit bildeten. Um den Volksbegriff bei Frings präzise zu erfassen, muss er von anderen VolksDefinitionen unterschieden werden. Manfred Hettling etwa schlägt sechs idealtypische Varianten des Volksbegriffes vor. Nach ihm kann die Vorstellung von „Volk“ durch kulturelle, historische, territoriale, politische, religiöse oder biologistische Zuschreibungen begründet werden.34 Bei Frings’ Volksbegriff lassen sich vor allem kulturelle und historische Konstruktionsmuster aufzeigen. Die Raum-Frage hingegen, die Frage also, wie stark ein Volk mit einem bestimmten Territorium verbunden ist und inwiefern es deshalb ein Recht darauf hat, war zwar wesentlicher Bestandteil des kulturmorphologischen Ansatzes von Frings. Für seine Definition von „Volk“ jedoch stand der Raumbezug hinter den kulturellen und historischen Konstruktionsmustern zurück. Allgemein gesprochen, rekurriert die kulturelle Prägung des Volksbegriffs auf gemeinsame Sprache, Kultur oder Verhaltensweisen und setzt voraus, dass diese erlernbar sind.35 Bei dem Philosophen Alfred Schmid Noerr hieß es entsprechend: „Einen Aufstieg in die geistige Welt gibt es allein durch das Recht der natürlichen Bestimmung, durch die Kraft der besonderen Begabung und durch die Bewährung jedes einzelnen Menschen auf dem unerlässlichen Bildungsgange der Erziehung.“36 Dieses Muster enthält gegenüber anderen Volkskonstruktionen (wie ethnischen und rassischen) liberales Potential, hat doch so jeder Mensch die Chance, Mitglied der kulturell verstandenen Volksgemeinschaft zu werden. Frings dachte „Volk“ stets mit „Wissenschaft“ und „Geist“ zusammen. Diese bildeten für ihn „eine unaufhörliche Einheit, ein[en] einzige[n] Pyramidenbau, gewachsen erst seit der Renaissance und dastehend wie eine Ablösung des mittelalterlichen, auf Gott bezogenen Stufenbaus.“37 Von den geistigen Leistungen, die aus dem deutschen Volk kommen, leitete er eine Höherwertigkeit der deutschen Nation ab: „Ist es nicht gerade das, was die Welt an dem deutschen Wissenschaftsbegriff bezaubert hat, dass er nicht willkürlich gesetzt ist, sondern sich mit der Volkwerdung entfaltet? Dass er sich selber setzt, indem sich Volk entwickelt, so dass die feinste geistige Blüte aus tiefster völkischer Wurzel treibt?“38 Der Geist sei der entscheidende Charakterzug, durch den sich das deutsche Volk von anderen unterscheide. So spricht Frings (auf Humboldt rekurrierend) vom „intel33 34 35 36 37 38

Vgl. ebd., S. 14 –15. Vgl. M. Hettling, Volk und Volksgeschichten, S. 7–17. Vgl. ebd., S. 9. Aussage von A. Schmid Noerr aus dem Jahr 1915, zitiert nach C. Jansen, Professoren und Po­ litik, S. 70. T. Frings, Ansprache in der öffentlichen Sitzung der SAW vom 16. November 1935, S. 33, in: ASAW, Bestand 2.19, unpag. Ebd.

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lektuellen Nationalcharakter der Deutschen“39. Dies ist bemerkenswert und gewinnt an Bedeutung, nachdem seit 1933 Konstruktionsmuster rassistischer und ethnischer Art an Dominanz im öffentlichen Diskurs gewannen. Frings jedoch hielt an der kulturellen Prägung fest und betonte sie auch öffentlich. Am Ende einer Rede in der Sächsischen Akademie der Wissenschaften im November 1935 erzählte er die Anekdote von einem deutschen Seeoffizier in Peru. Bei einem Glas Moselwein habe der peruanische Gastgeber folgenden Toast ausgesprochen: „Auf Deutschland, das Gehirn der Welt“, und Frings fügte hinzu: „Und so soll’s bleiben.“40 Nicht zuletzt in diesem trotzigen Abschluss zeigt sich die Bedeutung, die Frings dem kulturell determinierten Volks-, Deutschtums- und Nationsbegriff zusprach – auch nach 1933. Der nach innen inkludierende Ansatz von „Volk“ bedeutete bei Frings zugleich eine Abgrenzung nach außen. Der Bezug auf die Kulturnation steht in Zusammenhang mit der Annahme, Deutschland könne nach 1918 / 19 nur durch Besinnung auf seine kulturellen Qualitäten wieder auferstehen.41 Auch Frings’ Vorstellung von der Kulturnation ist von einem geistigen Überlegenheitsgefühl geprägt. Im Jahr 1933 konstatierte er in einer Ansprache vor der Sächsischen Akademie der Wissenschaften: „Wer in die Tiefen des deutschen Volkes eindringen will, der verliere sich nicht in die unbestimmten Urzeiten und Vorzeiten. Er trete ehrfürchtig hin vor die Fülle von Kostbarkeiten, in denen er sich innerhalb der europäischen Kulturnationen verwirklicht und durch die es sich seine eigene und überragende Stellung erobert hat.“ 42

Davon ausgehend habe Deutschland das Recht und die Pflicht, sein Wissen zu exportieren. Hierfür führte Frings vor allem das Humboldtsche Universitätsmodell an, das im 19. Jahrhundert Vorbild für eine Vielzahl von Universitätsgründungen in der ganzen Welt gewesen sei. Mit Blick auf Humboldt führte Frings aus: „Von Preußens großem König kommt ihm die Überzeugung von der Bedeutung des Geistes und der Wissenschaft für den Bau und das Glück des Staates. […] Erst Humboldt gelang […] ‚die bewusste Verschmelzung der Lebenskräfte des deutschen Geistes mit den Machtmitteln des preußischen Staates im Dienste der nationalen Selbstbehauptung des deutschen Volkes‘.“

Erst ihm glückte „der Brückenschlag von Weimar nach Potsdam, und so von Preußen nach Deutschland […] und von Deutschland zur Welt, wie wir hinzusetzen dürfen.“43 Neben dieser kulturellen Dimension findet sich in Frings’ Volksbegriff auch eine historische. Generell richtet das historische Konstruktionsmuster den Blick auf die 39 40 41

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T. Frings, Ansprache in der öffentlichen Sitzung der SAW vom 22. Juni 1935, S. 23, in: Ebd. T. Frings, Ansprache in der öffentlichen Sitzung der SAW vom 16. November 1935, S. 34, in: Ebd. Der Topos „Kulturnation“ war in den Jahren der Weimarer Republik über die politischen Grenzen hinweg in aller Munde und ihre Wiederbelebung galt als zentrale Möglichkeit, die politische Niederlage zu kompensieren. Auch für die Kultusminister Konrad Haenisch und Carl Heinrich Becker war die „Erziehung zur Nation“ Leitmotiv ihrer Politik. Vgl. W. Speitkamp, Erziehung zur Nation. T. Frings, Ansprache in der öffentlichen Sitzung der SAW vom 1. Juli 1933, S. 8, in: ASAW, Bestand 2.19, unpag. Dieses und das vorangegangene Zitat: T. Frings, Ansprache in der öffentlichen Sitzung der SAW vom 22. Juni 1935, S. 22–23, in: Ebd. Vgl. zur Problematik Nationalismus zusammenfassend C. Jansen / H. Borggräfe, Nation, S. 33–37.

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geschichtliche Tradition, auf das historische Gewordensein eines Volkes – an sich kein spezifisch deutsches Phänomen. Doch aus der jahrhundertelangen Erfahrung von Kleinstaaterei, politischer und religiöser Zersplitterung sowie staatlicher Traditionslosigkeit44 wurde „Volk“ in Deutschland stärker als anderswo zum „Kompensationsbegriff“ (Reinhart Koselleck). Für Frings war historisches Denken nicht nur für seinen kulturmorphologischen Ansatz eminent, es prägte auch seinen Volksbegriff. Dabei leitete er aus dem „deutschen Sonderweg“ die historisch bedingte Andersartigkeit der Deutschen im Vergleich zu anderen Völkern ab, aus der eine spezifische emotionale Bindung der Deutschen zu ihrem Land resultiere. Diesen Zusammenhang betonend, schloss Frings seine Leipziger Antrittsvorlesung 1927 mit den Worten: „Wer sein Volk mit der begreifenden Liebe sucht, der gerade die nüchternste Wissenschaftlichkeit fähig ist, der findet es in den Hunderten von Raumteilchen, die wir Partikularismus nennen. Das Wort hat demnach für uns eine mehr als bloß politische Bedeutung. Es umschließt zugleich die Häufung und die mehr oder minder starke Bindung der Kulturräume, die aus dem Partikularismus wachsen als einen ‚Grundzug in der Natur des deutschen Volkes‘. Die Franzosen bewundern ihr Frankreich als ein Kunstwerk von der Hand der französischen Könige: ‚sans leur initiative, rien n’eût été‘. Ohne den Königswillen der Isle de France gäbe es auch nicht die französische Sprachlandschaft, die in einzigartiger Zentralisierung dasteht im westlichen Europa. Das unendlich mannigfaltige Gefüge der deutschen Sprachräume ist demgegenüber der Ausdruck des tragisch-schicksalhaften Wesens der deutschen Volksgemeinschaft, kein zur Höhe schreitender Entwicklungsroman, viel eher eine unübersehbar reich gefüllte und gegliederte Rahmenerzählung. Das aber erzwingt nicht nur die Bewunderung, die den Franzosen erfüllt – uns bleibt zu diesem Volke nur die Liebe.”45

Die emotionale Bindung ist nicht das einzige, so Frings, was aus dem historischen Gewordensein resultiere. Es sei vielmehr auch die besondere geistige Entwicklung, die auf diesen spezifischen Erfahrungen basiere. „Zwei Wörter“, so Frings daher, „besitzt die deutsche Sprache, die in keine andere Sprache der Welt übersetzt werden können wegen der Tiefe, Fülle und Weite, die ihnen das über die Jahrhunderte gehende Ringen deutscher Menschen gegeben hat: Die Wörter Geist und Bildung.“46 Dies sind zugleich die Begriffe, die für Frings im Wesentlichen das deutsche Volk charakterisierten und es von anderen Nationen unterschieden. 2 Methodische Neuerungen: Kartographie und Kooperation Die Erforschung des Kulturraumes bedurfte neuartiger Methoden wie die der Kartographie47 und der interdisziplinären Zusammenarbeit48, wobei die Arbeit mit 44 45 46 47 48

Vgl. G. Bollenbeck, Tradition – Avantgarde – Reaktion, S. 58. T. Frings, Sprachgeographie und Kulturgeographie, S. 562. T. Frings, Ansprache in der öffentlichen Sitzung der SAW vom 1. Juli 1933, S. 8, in: ASAW, Bestand 2.19, unpag. [Hervorhebung im Original]. Vgl. C. L. Naumann, Kartographische Datendarstellung, sowie K. Wagner, Sammlung. Interdisziplinarität war seit Ende des 19. Jahrhunderts in den Natur- und Technikwissenschaften verbreitet und erfolgte vor allem außeruniversitär, etwa im Rahmen der Kaiser-WilhelmGesellschaft. In den Geisteswissenschaften waren kooperierende und auch außeruniversitär vernetzte communities hingegen kaum vorhanden. Erste Ansätze für eine Vernetzung gab es in

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Karten der Systematisierung des umfangreichen Stoffes und der Anschaulichkeit diente.49 Das innovative Potential der Kulturmorphologie sah Arthur Hübner vor allem in der Verknüpfung beider methodischer Zugänge. Mit Blick auf den Volks­ kundeatlas hob er hervor: „Das Prinzip, die Dinge im Raum zu sehen […], hat die notwendige Folge, dass man sie im Raum nicht isolieren darf. Sondern alles, was an Vergleichbarem und Einflussübendem den Raum füllt, will hinzugesehen werden, und zwar in der gleichen geographischen Sicht hinzugesehen werden, weil sie allein die nötige Kommensurabilität gewährleistet. Damit enthüllt sich der große wissenschaftliche Hintergrund des Volkskundeatlas-Planes. Es liegt in seiner Idee, dass mit seinen Karten die geologischen und klimatischen, die Karten der politischen, der Verkehrs- und Wirtschaftsgeographie, die Karten der Lautformen und des Wortschatzes verglichen werden.“ 50

Die Methode der „wechselseitigen Erhellung“51 spielte in der Kulturmorphologie eine tragende Rolle. Ziel war die geschichtliche Erfassung des Volkslebens in seiner Ganzheit und mit seinen verschiedenen Lebensäußerungen. Dafür sollten Vertreter der Geographie, Sprach- und Kulturgeschichte sowie der Volkskunde zusammenarbeiten.52 Inspiriert von der politischen Geographie kamen die Geisteswissenschaften zu einer Neubetrachtung des historischen Raumes.53 Die Sprach- und Dialektgeographie konnte methodisch richtungsweisend wirken.54 Die Kultur- und Landesgeschichte in ihrer Beschäftigung mit dem späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit erweiterte wiederum den Blick auf „das einfache Volk“ und auf die Erforschung kollektiver Einheiten anstelle der adligen oder klerikalen Eliten. Die zu „hohe[r] Aufgabe berufen[e]“55 Volkskunde verfügte zuletzt, so Frings, „über die besondere Möglichkeit, den ewigen Zug zwischen Ober- und Unterschicht zu verLeipzig. Vgl. R. Chickering, Das Leipziger „Positivisten­Kränzchen“. In Leipzig fand zudem im Rahmen der König-August-Stiftung eine erste Institutionalisierung interdisziplinärer Forschung von Geisteswissenschaftlern statt. Vgl. L. Schorn-Schütte, Karl Lamprecht. 49 „Erkennen wir die Forderung als berechtigt an, dass für die Massenerscheinungen nur ein Massenmaterial in relativer Vollständigkeit und geographisch gleichmäßiger Verteilung die Grundlage des Urteils abgeben kann, dann bleibt die Veranschaulichung dieses im Leben in realen Räumen gelagerten Stoffes nur der Raum, genauer gesagt: der Flächenraum, die Karte als äquivalentes Darstellungsprinzip.“ K. Wagner, Sammlung, S. 119. 50 A. Hübner, Volkskundeatlas, S. 62. 51 H. Aubin / T. Frings, Vorwort, S. IV. 52 Darüber hinaus wurde auch die Kooperationen mit den Kultur- und Wirtschaftswissenschaften, der Kunst- und Rechtsgeschichte, der Archäologie sowie der Stammes- und Rassekunde angestrebt. Vgl. A. Hübner, Volkskundeatlas, S. 44. Allerdings fand diese in der Praxis nicht in vergleichbar intensiver Weise statt. 53 Die Geographie stellte Begriffe wie Raum und Verkehr zur Verfügung – „die Verbindung von Sprachgeographie und historischer Geographie [war so] der große neue Gesichtspunkt“ in der Kulturmorphologie. Ebd., S. 61. 54 Von ihr wurden der Kulturmorphologie „Wege […] zu neuen Formen der Erkenntnis überhaupt“ gewiesen. Ebd., S. 44. Zugleich war die Sprachgeographie Bestandteil der Kulturmorphologie und hatte so die Funktion zu „dienen und [zu] regieren“. T. Frings, Sprache, S. 92. 55 T. Frings, Volkskunde und Sprachgeographie, S. 89. Auch Arthur Hübner sprach von der Volkskunde als „geschichtliche Notwendigkeit“. A. Hübner, Volkskundeatlas, S. 44.

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folgen und dabei die ständige Auseinandersetzung zwischen Individuum und Gemeinschaft […] bloßzulegen […].“56 Für Frings selbst gehörte interdisziplinäre Zusammenarbeit von Beginn an zu seinen Arbeitserfahrungen und er praktizierte sie an beiden Wirkungsorten. Diese Art der Zusammenarbeit war allerdings nicht auf das wissenschaftliche Feld begrenzt. Es ging ihm vielmehr um gemeinsames Arbeiten in einem größeren Rahmen. John Meier, Vorsitzender des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde, mit dem Frings die Etablierung des Volkskundeatlas vorangetrieben hatte, formulierte das Ziel dieses wohl größten interdisziplinären Projekts der 1920er Jahre in den Geisteswissenschaften mit folgenden Worten: „So dürfen wir hoffen, dass aus dieser gemeinsamen Arbeit aller ein Werk entsteht, groß in seiner Idee, umfassend und gewaltig in seinen Maßen, weitgreifend und tief in seiner Auswirkung, ein Werk, würdig des deutschen Volkes, aus dem heraus es entstanden ist und dem es gehört.“57

Diese „gemeinsame Arbeit aller“ meinte zunächst die Kooperation von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen. Sie meinte aber auch die Zusammenarbeit mit den nichtakademischen Volkskundlern, die vor Ort für Erfassung und Zusammenstellung des empirischen Materials verantwortlich waren. Darüber hinaus bezog sie sich auf die Kommunikation zwischen den Forschenden und dem Forschungsgegenstand, dem „einfachen“ Volk. Bei der Erfassung von Dialekten und anderen kulturellen Äußerungen waren die Forschenden auf die Kooperation mit ortsansässigen Lehrern und Pfarrern angewiesen, auf diesen „großen, gleichmäßig verteilten Helferkreis“58. Über Fragebögen wurden die lokalen sprachlichen und (volks-)kulturellen Besonderheiten erfasst. Auch Frings hatte während seiner Studienzeit als Mitarbeiter am Deutschen Sprachatlas ein „weit ausgedehntes, mehr als 200 Ortschaften umfassendes Gebiet“59 durchwandert, um die Lauterscheinungen zu untersuchen. Diese Feldforschung im wahrsten Sinne des Wortes war die Voraussetzung für eine umfassende Materialsammlung mit einer großen Zahl an Belegorten.60 Gleichzeitig hatte die Verschränkung des Forschers mit seinem Untersuchungsgegenstand auch eine öffentlichkeitswirksame und nationalpolitische Wirkung. Denn durch die Einbeziehung der Bevölkerung wurden ihr die Forschungsprojekte zugleich zugänglich und bekannt gemacht. Die Wissenschaftler erhofften sich von dieser Art der Zusammenarbeit auch die „innere Teilnahme breiter Schichten“ an ihren Ergebnissen und die Überführung ihrer Erkenntnisse ins „allgemeine Bewusstsein“61. Die unmittelbare Verbindung von Volk und Wissenschaft wurde zum konstitutiven Merkmal der Kulturmorphologie – und wie sich zeigte eben nicht nur inhaltlich und methodisch, sondern auch hinsichtlich ihrer Zielstellung. Hinter dieser 56 57 58 59 60

T. Frings, Volkskunde und Sprachgeographie, S. 89. J. Meier, Vorwort, S. 14 [Hervorhebung; AL]. A. Hübner, Volkskundeatlas, S. 55. J. Erben, Theodor Frings, S. 113. Die Fragebogenmethode ermöglichte (gegenüber der mündlichen Befragung) eine größere Erfassungsbreite. Doch auch diese Methode setzte die Unterstützung durch die Bevölkerung voraus, denn „nur das freundwillige Mitgehen breiter Helferscharen [konnte] […] zu vollem Erfolge führen.“ A. Hübner, Volkskundeatlas, S. 54. 61 Ebd.

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Verbindung standen nationalpädagogische Interessen. Die Arbeit mit dem und über das Volk sollte die nationale Zusammengehörigkeit stärken, diente doch die Forschungsarbeit „nicht nur der Wissenschaft, sondern dem ganzen Volk“62. Die Idee des gemeinschaftlichen Arbeitens findet sich bei Frings noch auf einer anderen Ebene, auf der zwischen Schülern und Lehrer. Um möglichst viele Helferinnen und Helfer innerhalb des wissenschaftlichen Feldes zu haben, wurden für die kulturmorphologischen Arbeiten verstärkt auch Nachwuchswissenschaftler herangezogen. So waren in den Kulturströmungen im mitteldeutschen Osten Schüler von Kötzschke und Frings mit eigenen Beiträgen vertreten, auch wenn sie noch nicht im akademischen Betrieb etabliert waren.63 Auf die generell enge Zusammenarbeit von Frings mit seinen Schülerinnen und Schülern verweisen zudem eine Reihe weiterer gemeinsamer Publikationen sowie die Erinnerungen von Frings-Schülern, in denen das Moment der Zusammenarbeit als besonders relevant hervortritt.64 Wie innovativ war nun diese Zusammenarbeit? Hagiographische Beiträge betonen den Wert der Interdisziplinarität ausdrücklich,65 ermöglichte sie doch eine umfassendere Sichtweise auf den Untersuchungsgegenstand. Neuere Aufsätze bezweifeln das innovative Potential der Interdisziplinarität innerhalb der Kulturraumforschung und sehen darin eher das „umstandslose“ Aufgreifen der anderen Ergebnisse „zur Legitimation ihrer eigenen Vorannahmen und Ergebnisse […].“ 66 Doch selbst wenn die von Zeitgenossen und Schülern vielbeschworene Interdisziplinarität nach heutigem Maßstab eher ein Nebeneinander als ein wirkliches Miteinander war, so war das Innovationspotential der Zusammenarbeit, berücksichtigt man alle benannten Ebenen, doch beträchtlich. Sie zielte auf die Überschreitung von regionalen, statusbedingten und generationellen Grenzen und konnte so tatsächlich umfangreiche Ressourcen mobilisieren, Mitarbeiter einbinden und eine breite Quellenbasis schaffen. 3 Anschlussfähigkeiten. Die politische Bedeutung der Kulturmorphologie während Nationalsozialismus und DDR Als innovatives Konzept in den 1920er Jahren entwickelt, erfuhr die Kulturmorphologie im Dritten Reich und in der DDR weitreichende Anerkennung. „Wie kaum ein anderer Forscher hat Theodor Frings das weite Feld der vielfältig gearte62

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J. Meier, Vorwort, S. 13. Konkret sollten die wissenschaftlichen Ergebnisse an Schulen vermittelt werden und den Lehrern bei der „lebensvollen Gestaltung des Unterrichts“ helfen. Zudem standen sie den „geistigen Führern unseres Volkes“, Ärzten, Rechtsanwälten und Geistlichen als Wissenshintergrund zur Verfügung. Und nicht zuletzt sollten sie den Zusammenhalt der Reichsdeutschen mit den Aus- und Grenzlanddeutschen stärken. Vgl. ebd. Vgl. W. Ebert / T. Frings / R. Kötzschke, Kulturräume. Vgl. etwa H. Brinkmann, Aufbruch, S. XVI. Besonders deutlich wird dies in dem Beitrag Brinkmanns zu Frings’ 100. Geburtstag. Dieser steht programmatisch unter dem Titel „Aufbruch in Bonn“ und betont – unter Rückgriff auf das Gegensatzpaar alte Konvention und neue Sehweise – das Innovationspotential der Arbeitsweise von Frings. Vgl. ebd. M. Middell / U. Sommer, Dynamik, S. XVI. „Von einer Interdisziplinarität als methodischer Innovation“, heißt es weiter, „kann hier kaum die Rede sein.“ Ebd.

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ten lexikalischen Entlehnungen meisterhaft zur Aufhellung kulturhistorischer Bezüge […] genutzt“67, schrieb Werner Bahner noch 1990. Auch für Frings schien es eine Selbstverständlichkeit, die Überlegungen der 1920er Jahre in den folgenden Jahrzehnten fortzuführen: Das Gemeinschaftswerk mit Kötzschke aus dem Jahr 1936 verstand sich als Pendant zu den rheinischen Studien, und 1956 erschienen zudem mit Sprache und Geschichte drei Bände mit kaum überarbeiteten Forschungsbeiträgen von Frings aus den 1920er und 1930er Jahren.68 Band 1 widmete sich der Rheinischen Sprachgeschichte mit offensiven Referenzen auf die Bonner Kollegen.69 Band 2 enthielt Beiträge über Sprache und Geschichte im mitteldeutschen Osten, mithin Frings’ Leipziger Forschungsergebnisse. Band 3 fasste die Konzeption der Kulturmorphologie mit entsprechend programmatischen Beiträgen zusammen. Die drei Bände stellten für Frings gewissermaßen den „roten Faden“ seines wissenschaftlichen Wirkens dar; Außenstehenden sollten sie von der „inneren Konsequenz [eines] erfüllten Wissenschaftlerlebens“70 zeugen. Dabei war die Kulturmorphologie sowohl im Dritten Reich als auch in der DDR politisch anschlussfähig – ihre Fortführung also nicht per se eine Selbstverständlichkeit. Dass dies dennoch möglich wurde, war durch die Stellung bedingt, die Frings im Wissenschaftssystem innehatte. Denn eine „Wissenschaftlerpersönlichkeit mit einem so weiten Wirkungskreis“ wie er „stellt immer auch eine politische Potenz dar, selbst wenn sie ihre Tätigkeiten nicht unmittelbar mit politischer Zielstellung ausführt.“71 Die außerwissenschaftliche Anschlussfähigkeit der Arbeiten von Frings in allen drei politischen Systemen ergab sich im Wesentlichen über die Bezüge zu „Raum“ und „Volk“. Während des Dritten Reichs rekonstruierte Frings Kulturräume unabhängig von den politischen oder territorialen Grenzen der Zeit und konstatierte in einem Vortrag von 1935 über das Meißnische Deutsch, dass „die größte völkische Leistung der Altstämme […] die Wiedereroberung der einst germanischen Länder östlich von Saale und Elbe“ sei. Um 1400 habe es die Möglichkeit gegeben, „dass das Deutschtum von Wien bis Königsberg zusammenwüchse“, doch habe „das Geschick diese Entwicklung verhindert“, sodass „der politisch-völkische Abschluss des Siedelwerkes, die vollständige Wiedergewinnung des einst germanischen Bodens […] den alten Neustämmen versagt“ geblieben ist.72 Solche Äußerungen sowie eine Reihe anderer Begriffe, die Frings in diesem Vortrag verwendete („Wiedereroberung“, „Gegenstoß“, „Aufmarsch“, „erobern“ oder „Anmarsch“)73, haben fraglos eine expansiv-militärische Konnotation und konnten zu ihrer Zeit mit außerwissenschaftlicher Resonanz rechnen. Vorgetragen in einem kulturpolitisch wichtigen Rahmen anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Deutschen Sprachver67 68 69 70 71 72 73

W. Bahner, Theodor Frings, S. 16. T. Frings, Sprache und Geschichte. Der Band ist Franz Steinbach gewidmet, dem sich Frings verpflichtet fühlte. Denn ohne den Austausch mit seinen „alten Bonner Freunden“ Steinbach, Aubin und Franz Petri „wären meine neuen Arbeiten nicht möglich gewesen“, so Frings, Vorwort, S. VIII. L. Rathmann, Theodor Frings, S. 20. Ebd., S. 23. T. Frings, Das Meißnische Deutsch [1936], S. 6 sowie S. 21. Ebd., S. 6, 7, 10, 17.

Die Kulturmorphologie von Theodor Frings

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eins sind sie Beispiel für die spezifische Allianz, die Wissenschaft und Politik hier und andernorts eingingen. Ähnlich verhielt es sich mit der von Frings vertretenen These, dass die Schriftsprache von der gesprochenen Sprache komme, also von unten, vom Volk, ausgehe. Diese These stand im Gegensatz zu bisherigen Auffassungen etwa von Karl Müllenhoff oder Konrad Burdach, wonach die Schriftsprache wesentlich durch die gelehrte Welt und die Prager Kanzleien Karls IV. geprägt worden sei. Auch die Fokussierung auf die gesprochene Sprache war an den NS-Diskurs anschlussfähig, denn, so der Kölner Professor für Sprecherziehung Maximilian Weller, „Nationalsozialismus und das gesprochene Wort sind nicht voneinander zu trennen.“74 Und tatsächlich war Frings als wissenschaftlicher Berater an einer geplanten Reform der deutschen Rechtschreibung beteiligt, die von den Nationalsozialisten forciert worden war und auf dem Vorrang des gesprochenen Worts basierte.75 Frings verstand es also durchaus, mit seiner Arbeit an außerwissenschaftliche Bezugspunkte anzuknüpfen und auf diese Weise seine Arbeit als anwendungsorientierte Forschung zu legitimieren. Dass er sich dessen nach Kriegsende durchaus bewusst war, zeigen nicht zuletzt die Änderungen, die er am Meißnischen Deutsch vornahm, als der Text 1956 erneut erschien.76 Insgesamt jedoch finden sich nach 1945 nur wenige Änderungen im Werk von Frings. Am Begriff Kulturraum hielt er weiterhin fest, und an die liberalen Traditionen seines Volksbegriffs konnte er in der DDR ebenfalls anknüpfen. Auch in der Nachkriegszeit war „Volk“ ein Hochwertbegriff, wenn er auf die sozialdemokratischen und kommunistischen Begriffstraditionen aus der Zeit vor dem Dritten Reich Bezug nahm.77 Vor diesem Hintergrund konnte Frings nicht nur seinen Volksbegriff fortführen, sondern auch sein Konzept einer Sprachgeschichte „von unten“ mit den „breiten Volksmassen als entscheidendem Träger sprachlicher Entwicklung“78. Entsprechend wurde seine kulturmorphologische Arbeit rezipiert als „eine Sprachgeschichte, deren Ausgangsposition allein die Sprache der werktätigen Massen bilden konnte.“79 Der soziologisch-materialistische Zugang zum Untersuchungsgegenstand Volk war mit der materialistisch geprägten DDR-Geschichtsauffassung verknüpfbar, die davon ausging, dass „die Materie […] die einzige objektive Realität [ist], die außerhalb und unabhängig vom Bewusstsein der Menschen existiert. Das Bewusstsein selbst, die Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen und Begriffe sind mehr oder weniger getreue Abbilder der objektiven Realität. Die Materie ist letztlich das Primäre, Bestimmende, das Bewusstsein das Sekundäre.“ 80 74 75 76 77

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Maximilian Weller, zitiert nach H. Birken-Bertsch / R. Markner, Rechtschreibreform, S. 61. Vgl. H. Birken-Bertsch / R. Markner, Rechtschreibreform. Vgl. T. Frings, Das Meißnische Deutsch [1936] sowie Das Meißnische Deutsch [1956], S. 11, 12, 14, 20, 23. Die SPD hatte traditionell einen liberal-staatsbürgerlichen Volksbegriff; die KPD verwendete den Volksbegriff teilweise synonym zu „Masse“ und identifizierte „Volk“ mit der arbeitenden Klasse. Vgl. C. Schottmann, Politische Schlagwörter, S. 476– 477, sowie zum Begriff „Volk“ in der Nachkriegszeit D. Felbick, Schlagwörter, S. 521–536. W. Bahner, Theodor Frings, S. 17. Ebd. Art. Materialismus, in: Wörterbuch der Marxistisch­Leninistischen Soziologie, S. 416.

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Die zweite Dimension des Volksbegriffs, die das Verhältnis zu anderen Völkern beschrieb und die sich auch bei Frings auf die Vorstellung einer deutschen (Kultur-) Dominanz in Europa und der Welt gründete, ließ sich nach dem Krieg nicht ungebrochen fortführen. Auch Frings war klar, dass ein nationalistisch agierendes, kulturexpansionistisches Deutschland nach diesem Krieg nicht mehr möglich war. Der Gesinnungswandel spiegelt sich in einer seiner Äußerungen als Präsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften im Rahmen einer öffentlichen Ansprache im Jahr 1953. Darin hieß es: „Als Leibniz seine großen Akademiegedanken fasste, schwebte ihm nicht allein der Nutzen der Völker vor, er träumte davon, dass die großen Pflegestätten der Wissenschaft zugleich Stätten des allgemeinen Verstehens und damit Pflegestätten eines Weltfriedens werden könnten.“81 Die Idee von Deutschland als dem „Gehirn der Welt“ findet sich hier nicht mehr. In seiner Arbeitsweise setzte Frings hingegen auf Kontinuität. Die bis dahin praktizierte Interdisziplinarität setzte er auch in der DDR fort. Neben der fachlichen Zusammenarbeit mit dem Romanisten Walther von Wartburg seit den 1930er Jahren und dem Finnougristen und Völkerkundler Wolfgang Steinitz gab es intensive Kontakte zu dem Leipziger Slawistikprofessor Rudolf Fischer.82 Dies konnte ebenfalls außerwissenschaftliche Resonanz erzeugen, denn „hier trafen sich seine [Frings’; AL] eigenen Forschungsaspirationen […] mit einer neuen, durch die antifaschistisch-demokratische Umgestaltung ermöglichten Denkhaltung zu den slawischen Völkern.“83 Auch die enge Kooperation mit ehemaligen Schülern führte Frings in der DDR – aufgrund der umfangreichen Ressourcen, über die er nun verfügte – nicht nur fort, sondern intensivierte sie. Und nicht zuletzt als Präsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften legte er Wert auf enge Kontakte zwischen den einzelnen Fächern und Gelehrten. Diese von Frings auf unterschiedlichen Ebenen fortgeführte Zusammenarbeit hatte auch in der DDR die Funktion, gesellschaftlich relevantes Wissen zu produzieren. Anlässlich der Wiedereröffnung der SAW 1948 formulierte Frings daher ihre Aufgabe mit den Worten, sie möge „das zusammenführen, was an Kräften lebt, und nicht nur, um in altem Sinn allein zu fragen nach der Geschichte des Menschen und den Geheimnissen der Welt, sondern gerade auch nach dem, was dem Menschen nützt […].“84 Und so kann zusammenfassend für Frings’ Konzept von Kulturmorphologie konstatiert werden, was Rusinek bereits für die Westforschung im Allgemeinen herausgearbeitet hat: Sie konnte „unangefochten durch völlig verschiedene, vom Selbstanspruch einander ausschließende politische Systeme“ gleiten. Dabei zeigte sich „nichts als Erfolg, nachdem die Westforschung einmal ihre Flug- oder Geschossbahn eingenommen hatte“, denn sie bot sich „als ‚anwendungsorientierte‘ Geisteswissenschaft an, und dieses Angebot wurde akzeptiert […].“85 81 82 83 84 85

T. Frings, [unveröffentlichte] Ansprache in der öffentlichen Sitzung der SAW vom 14. November 1953, zitiert nach W. Bahner, Theodor Frings, S. 14. Vgl. E. Eichler, Öffnung in die Zukunft. W. Bahner, Theodor Frings, S. 13. T. Frings, Ansprache bei der Feier der Wiedereröffnung der Akademie vom 8. Dezember 1948, S. 30, in: ASAW, Bestand 2.19, unpag. [Hervorhebung; AL]. B.-A. Rusinek, „Westforschungs“­Traditionen nach 1945, S. 1193.

II ENTRÜCKT ODER AMBITIONIERT? HERMANN AUGUST KORFFS GEIST DER GOETHEZEIT Ganz anders als das vielfältige und auf Kooperation angelegte Werk von Frings erscheint das œuvre Korffs. Sein Hauptwerk ist ohne Frage der Geist der Goethe­ zeit, an dessen vier Bänden er über 30 Jahre arbeitete. Die Bände stehen beispielhaft für die geistesgeschichtliche Forschung Anfang des 20. Jahrhunderts, die unter Rückgriff auf Wilhelm Dilthey, Heinrich Wölfflin und Friedrich Nietzsche eine Abkehr von dem als lebensfern verpönten „Philologismus“ (Rudolf Unger) vollzog.86 Auch Korff ging es nicht darum, neuen Stoff zu sammeln, sondern den vorhandenen unter neuen Fragestellungen und Kategorien zu fassen und zu systematisieren. Das Ziel des Geist der Goethezeit sei daher „im Gegensatz zu so vielen Literaturgeschichten nicht eine Extensivierung, sondern eine Intensivierung unseres historischen Wissens. Gemäß dem Faustworte strebt es nicht nach dem äußeren Erwerben neuen, sondern nach dem inneren Erwerben alten Besitzes, indem es ein tieferes Verständnis für die als solche wohlbekannten Schätze der deutschen Dichtung zu erwecken sucht. Und es geht auch hier von der Überzeugung aus, dass es nicht darauf ankommt, möglichst viel, sondern eher nicht zu viel, aber das Wenige zusammen zu sehn […], d. h. aus einem gemeinsamen geistesgeschichtlichen Zusammenhange heraus zu verstehen.“87

Gegenstand des opus magnum von Korff ist die Zeit des sogenannten deutschen Idealismus, angesiedelt zwischen 1770 und 1830, die sich literaturhistorisch in die Phasen Sturm und Drang, Klassik und Romantik gliedern lässt. Korff rekonstruierte auf Grundlage dichterischer und philosophischer Werke einen spezifischen „Zeitgeist“, eben jenen Geist der Goethezeit. Er betrachtete die Phase des Idealismus in der deutschen Literatur als eine geistige Einheit, eine ideengeschichtliche Epoche. Zugleich galt sie ihm als die entscheidende Phase der deutschen Geistes- und Literaturgeschichte, die einzige von welthistorischer Bedeutung.88 Nach Korff sei allein in dieser Epoche das „spezifisch Deutsche“ zu seiner vollen Wirkung gelangt. Vorher wie nachher sei der „deutsche Geist“ fremdbeherrscht, überformt und verfremdet gewesen – im Mittelalter durch die Dominanz der christlichen Religion, von der er sich im Zuge der Aufklärung befreit habe; seit Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Entfremdung des Menschen von sich selbst.89 Mit der Fokussierung seiner Forschung auf die „deutsche Bewegung“ (Herman Nohl) verband Korff einen normativen Anspruch. Für ihn, so der Germanist Ludwig Stockinger, war die große Literatur dieser Zeit „eine privilegierte Möglichkeit für die Formulierung von Problemlösungen sowie von Angeboten der Handlungsorientierung“90 in der Gegenwart. Die Aufgabe des Literaturhistorikers damals sei es gewesen, Texte auszuwählen und sie für das Publikum in der Gegen86 87 88 89 90

Vgl. dazu die Beiträge in C. König / E. Lämmert (Hrsg.), Literaturwissenschaft und Geistesge­ schichte. H. A. Korff, Geist der Goethezeit, Bd. I [1923] S. V–VI. Vgl. H. A. Korff, Deutschlands Anteil an der Weltdichtung. H. A. Korff, Einleitung, in: Geist der Goethezeit, Bd. I [1954], S. 10. Dieses Zitat und die beiden folgenden: L. Stockinger, Hermann August Korff, S. 8.

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wart auszulegen – „vergleichbar“, so Stockinger, „dem Theologen, der den religiösen Glauben mit der Auslegung des Bibeltextes begründet und auf die gegenwärtige Situation anwendet.“ Stockinger geht noch weiter und sieht das Ziel der Arbeit Korffs zuletzt darin, eine „säkularisierte Exegese“ zu betreiben, „in der Texte Goethes die Bibel ersetzen.“ Der Literaturhistoriker als Heilsverkünder? Dies war durchaus eine mögliche Reaktion auf den „permanenten Legitimationsdruck“91, unter dem die Literaturwissenschaft seit Beginn des 20. Jahrhunderts stand, und so auch eine Möglichkeit, ihre „lebensweltliche Nützlichkeit“92 unter Beweis zu stellen. Vor diesem Hintergrund ist im Folgenden zunächst nach dem außerwissenschaftlichen Anspruch zu fragen, den Korff mit seiner Arbeit verband. Daran schließt sich die Frage an, wie sich dieser beim Wechsel der politischen Systeme gestaltete. 1 Korffs „deutsche Sendung“ 93 Fragt man nach den außerwissenschaftlichen Referenzpunkten Korffs, so kommt zunächst sein Forschungsgebiet selbst in den Blick. Es ist kein Zufall, dass die Beschäftigung mit der „deutschen Bewegung“ nach Ende des Ersten Weltkrieges verstärkt in den Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit rückte. Noch vor dem Krieg hatte Korff in seiner Habilitation eingehend die Bedeutung Voltaires als „organischen Bestandteil der westeuropäischen Kultur“94 für die deutsche Geistesentwicklung der Aufklärung untersucht. Doch bereits 1917 – im Erscheinungsjahr der Habilitation – ging Korff, wie an anderer Stelle erwähnt, zu dem Buch auf Distanz und verschrieb sich dem „deutschen Idealismus“, der gerade im „Widerspruche zu dem Geist der Aufklärung“95 stehe. Für das Gros der Literaturhistoriker seiner Zeit wurde nach dem Krieg die „Wiedererfindung der nationalen Tradition“96 zum drängenden außerwissenschaftlichen Ziel.97 Und so wurde auch für Korff „die Deutung von Goethes Werk als Angebot an die deutsche Nation zur Orientierung in der Gegenwart“98 zum maßgeblichen Anliegen. Damit verknüpft war ein umfassender 91 92

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G. Kaiser / M. Krell, Zwischen Eigensinn und Resonanz, S. 9. Ebd. Generell, so Kaiser und Krell, sei die deutsche Literaturwissenschaft „immer auch auf Sinnstiftung angelegt, d. h. hier auf die Produktion von fachübergreifend räsonanzfähigen Identifikationserzählungen über die (deutsche) Literatur, deren Resonanz in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen auch jenseits des erzieherischen Feldes (vor allem innerhalb des kulturellen und politischen Feldes) als eine gewichtige Legitimationsressource des eigenen Tuns interpretiert wird.“ Ebd., S. 9–10. Die Überschrift rekurriert auf einen Aufsatz Korffs aus dem Jahr 1932, der unter dem Titel Goethes deutsche Sendung erschien. H. A. Korff, Voltaire, S. 4. H. A. Korff, Geist der Goethezeit, Bd. I [1923], S. 9. D. Gretz, Die deutsche Bewegung, S. 15. Denn, so auch Julius Petersen, Mentor und Wegbegleiter Korffs, „wo können wir, verloren im materialistischen Chaos, besser uns selbst finden, als im Spiegel unserer Dichtung, der uns in Wahrheit unser besseres Selbst entgegenträgt als ein zielweisendes Idealbild unserer Bestimmung“. J. Petersen, Literaturwissenschaft und Deutschkunde, S. 414 – 415. L. Stockinger, Hermann August Korff, S. 9.

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Bildungsauftrag, denn sein Kompensations- und Orientierungsangebot wollte Korff all jenen unterbreiten, für die die Gegenwart eine „innere Not“ geworden war. Diese Not „besteht in der Unsicherheit der Weltanschauung, in dem gefährlichen Fragezeichen, das für diejenigen eingetreten ist, die sich dem Christentume entwachsen fühlen.“99 Wesentlich ist, dass sich dieses Angebot Korffs nicht auf das akademische Milieu beschränkte. Im Gegenteil richtete sich sein Werk im Sinne einer Lebens-Wissenschaft100 über die scientific community hinaus an einen breiten Adressatenkreis. In der Einleitung zum ersten Band von Geist der Goethezeit aus dem Jahr 1923 heißt es daher: „Das vorliegende Werk hält zwischen Wissenschaft und Leben eine mittlere Linie ein. Es wendet sich nicht nur, aber auch an die Wissenschaft und macht den Anspruch, in vielen Punkten Anregungen auch der Wissenschaft zu geben. In der Hauptsache wendet es sich allerdings an die gesamte bildungswillige Schicht der Nation, für die die Beschäftigung mit der klassischen Zeit des deutschen Geistes immer mehr ein lebendiges Bedürfnis geworden ist.“101

Korff hob mit Blick auf seine Leserschaft explizit auf den Bildungswillen ab, nicht auf das Bildungsbürgertum als soziale Schicht. Wie ernst er es mit diesem umfassenden Bildungsanspruch meinte, zeigte sich in der 1954 neu geschriebenen Einleitung zum ersten Band, wonach „Bildungsunterschiede […] etwas anderes als Standesunterschiede“ seien, und dementsprechend „die Schicht der Gebildeten […] grundsätzlich durch alle Stände“102 gehe. In dem Anspruch, für eine breite Leserschaft zu schreiben, sowie in dem Anliegen, an der Befreiung der Deutschen aus ihrer „inneren Not“ teilzuhaben, spiegelt sich der nationalpädagogische Anspruch Korffs. Gab es mit den Worten des Volkspädagogen Herman Nohl „zwei Wege, ein Volk zu gestalten: die Politik und die Pädagogik“, so entschied sich Korff für letzteren. In der Praxis konnte er diesen Weg unterschiedlich gehen: Als Professor erreichte er eine Vielzahl von Studierenden, aber auch in öffentlichen Vorträgen konnte er seine „deutsche Sendung“ verbreiten. Dabei trat er nicht nur im akademischen Kontext auf, sondern sprach auch zu breitem Publikum im Radio. Diese Rundfunkvorträge wurden später als „allgemeinverständlicher Vortragszyklus“ herausgegeben und waren für wenig Geld zu erwerben.103 In seinen öffentlichen Äußerungen als Hochschullehrer, Gelehrter und Autor wollte Korff nicht nur den Intellekt oder das ästhetische Empfinden seiner Hörer und Leser schulen, sondern er betonte immer auch den Lebens- und Wirklichkeitsbezug seiner Lehren. Man sollte sie nicht nur intellektuell aufnehmen, sondern erfühlen und verinnerlichen. Dafür setzte Korff gekonnt stilistische Mittel ein. Fließend folgt in seinen Texten mit „selbstverständlicher Plausibilität“ und „hinrei-

99 H. A. Korff, Die Lebensidee Goethes, S. 143. 100 Der Lebens-Begriff war in den 1920er und 1930er Jahren ein hochfrequentierter und zugleich vager Begriff, der sowohl in der Wissenschaft wie auch in der Öffentlichkeit auf Resonanz stieß. Vgl. dazu ausführlich G. Kaiser, Grenzverwirrungen, S. 199–294. 101 H. A. Korff, Geist der Goethezeit, Bd. I [1923] S. V [Hervorhebung im Original]. 102 H. A. Korff, Geist der Goethezeit, Bd. I [1954], S. 5. 103 Vgl. H. A. Korff, Dichtung von Sturm und Drang.

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ßender Rhetorik“104, so Stockinger, eins aus dem anderen; die Verbindungen werden offensichtlich und verständlich. Offenbar funktionierte die angestrebte Synthese und führte etwa Erich Kästner, der bei Korff in den 1920er Jahren studiert hatte, zu folgender Einschätzung über dessen Vorlesungen: „Der Drang, ein Stück Vergangenheit als sinnvollen Organismus darzustellen, setzt einen Grad des Verstehens voraus, der durch einen bloßen Akt des Intellekts niemals erreicht werden kann. Es geht dabei auch um außergelehrte, um weltanschauliche Konfession. Und ohne die Übereinstimmung der persönlichen seelischen Schwingungen mit denen des jeweiligen Zeitgeistes wird gemäße Interpretation unmöglich bleiben müssen.“105

Für Korff waren rhetorische Fähigkeiten also Teil von erzieherischer Kompetenz. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in seiner Entscheidung, den „sehr geschätzten Schriftsteller“ (!) Karl Justus Obenauer nach Leipzig zu holen, der „gerade auch auf die studierende Jugend“ intensiv wirke.106 Rhetorische Brillanz war also nicht Selbstzweck, sondern mit dem Anspruch des Literaturhistorikers verbunden, immer wieder dem „Leben“ zu dienen – eine Notwendigkeit, die sich aus dem als Widerspruch erlebten Verhältnis zwischen Wissenschaft und Leben (in Vergangenheit und Gegenwart) ableite. Explizit findet sich diese Wahrnehmung in den Arbeiten Korffs am Beispiel des Faust. Denn, so Korff, ein „richtiger Gelehrter“ (im Sinne eines ‚Stubengelehrten‘ des 19. Jahrhunderts) „ist alles andere als ein ‚wahrer‘ Mensch […]. Und die Tragödie Fausts entsteht eben daraus, dass er kein richtiger Gelehrter, wie sein Famulus Wagner, ist, sondern ein richtiger und ganzer Mensch, der darum mit seinem bürgerlichen Gelehrtenleben zerfallen ist und nichts sehnlicher wünscht, als aus ihm herauszukommen. Wohin? ‚Flieh auf! Hinaus ins weite Land!‘ Und dieses weite Land ist im Grunde genommen nichts anderes als das Leben in seiner Weite, Höhe und Tiefe, in der ganzen Dreidimensionalität seiner inneren Unendlichkeit.“107

Referenzen auf das „Leben“ als resonanzstrategische und zugleich vage Kategorie finden sich oft und an grundlegender Stelle in Korffs Werk; Leben kann somit als „Letztbegründungsbegriff“ (Georg Bollenbeck) seines wissenschaftlichen Selbstverständnisses gesehen werden. Mit seinem ausgeprägten nationalpädagogischen Sendungsbewusstsein war Korff keineswegs ein zurückgezogener Gelehrter im Elfenbeinturm, wie manch spätere Erinnerung glauben machen möchte.108 Vielmehr hatte er für sich den Anspruch, Gelehrter und Erzieher mit einer nationalkulturellen Aufgabe zu sein. So erlebte ihn auch Kästner, wenn er über den ersten Band des Geist der Goethezeit schrieb: 104 L. Stockinger, Geist der Goethezeit, S. 8. 105 E. Kästner, Köster und Korff, S. 31. 106 Schreiben von H. A. Korff an den Dekan der Phil. Fak. der UL vom 4. Mai 1926, in: UAL, PA 791, Bl. 189. 107 H. A. Korff, Geist der Goethezeit, Bd. I [1954], S. 14 [Hervorhebung; AL]. 108 Vgl. etwa W. Müller-Seidel, Freiräume, S. 165.

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„Und wie solche Gestaltung allein mit dem Rüstzeug der Wissenschaft nicht möglich wäre, so ist das Buch auch nicht nur für die Wissenschaft bestimmt. Es ist ein Werk, das die Epoche beschwört, die den Begriff des Lebens inthronisierte; es ist ein Werk, das vom Leben her konzipiert wurde; und es ist ein Werk, das allen wahrhaftig Lebendigen gilt.“109

2 Anschlussfähigkeiten. Die politische Bedeutung der Werke Korffs in drei politischen Systemen Durchgängig war Korffs nationalphilologisches Forschungsinteresse mit einem nationalpädagogischen Leistungsangebot verbunden. Art und Umfang differierten jedoch in den unterschiedlichen politischen Systemen. Für die Weimarer Zeit spiegelt sich der starke nationalpädagogische Impetus Korffs in seinem Engagement für die Deutschkundebewegung. Deren Ziel war es, die Lehre von der deutschen Literatur, Sprache, Geschichte und Kultur als Kerngebiet an deutschen Schulen zu etablieren.110 Die Deutschkunde war ein Bildungskonzept, das seit Beginn des 20. Jahrhunderts durch den 1912 gegründeten Germanistenverband beworben und popularisiert wurde. Nach dem Krieg erlebte die Deutschkunde eine Intensivierung und war als Diskurs auf Tagungen, während öffentlicher Vorträge oder bei Diskussionen um die Lehrpläne vielfach präsent. Im Jahr 1920 wurde die viel gelesene Zeitschrift für Deutsche Bildung in Zeitschrift für Deutschkunde umbenannt, womit der Begriff endgültig zum Schlagwort avancierte. Trotz ihrer massiven Einflussversuche war der tatsächliche Einfluss der Deutschkunde an den Schulen eher gering.111 Keinesfalls zu unterschätzen ist jedoch ihre Bedeutung bei der Integration nationaler Werte in Wissenschaft und Bildung für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg: „Die Betonung nationaler Werte [eignete sich nämlich; AL] vorzüglich als Integrationsformel, um die fortschreitende Differenzierung von Erziehungs- und Wissenschaftssystem […] zu überbrücken.“112 Auch Korff sah in der Deutschkunde das notwendige Bindeglied zwischen Wissenschaft und Erziehung und stellte sich als Herausgeber der Zeitschrift für Deutschkunde zwischen 1926 und 1933 in ihren Dienst. In dieser Zeitschrift veröffentlichte Korff 1933 auch die in der Forschung oft zitierte Forderung des Tages. Darin begrüßte er die nationalsozialistische Machtergreifung als „Aufbruch des deutschen Geistes aus langer Fremdherrschaft“113. Korff sprach hier als Herausgeber der Zeitschrift, als überzeugter Deutschkundler, für den die „Deutschkunde das selbstverständliche Kerngebiet deutscher Bildung“114 sei. In diesem Text werden auf eindrückliche Weise die Weltsicht Korffs, sein nationalpädagogischer Anspruch und der Wille zur Mitgestaltung des Kommenden deutlich. Ganz im Sinne Nohls vollzog Korff in diesem Text die „Vergegenwärti109 E. Kästner, Köster und Korff, S. 31. 110 Zur Deutschkunde vgl. v. a. W. Hegele, Literaturunterricht, S. 34 – 43; H. J. Frank, Geschichte des Deutschunterrichts, sowie K. Röther, Die Germanistenverbände. 111 Vgl. O. Ludwig, Deutschunterricht. 112 H. Dainat, Überbietung, S. 236. 113 H. A. Korff, Forderung, S. 341. 114 Ebd., S. 345.

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gung“ seiner Forschung. Bei Nohl hatte es geheißen: „Man meint gern, die Gegenwart sei nicht wissenschaftlich zu behandeln, weil wir selbst in ihr mitkämpfen. Aber alle historische Arbeit ist im Grunde Vergegenwärtigung, und an dieser Vergegenwärtigung ist die eigene Person unentrinnbar und entscheidend beteiligt.“115 Auch Korff holte seinen Forschungsgegenstand in die Gegenwart, in dem er Parallelen der historischen und der gegenwärtigen Prozesse aufzeigte: Im Jahr 1928 hatte er in einem Vortrag die Entstehung des Sturm und Drang beschrieben, die aus den spezifischen Entwicklungen Europas vom 16. bis zum 18. Jahrhundert resultiere und sich spiegele in Fausts Ausruf: „Es möchte kein Hund so länger leben!“ Der Ausweg aus dieser Krisensituation am Ende des 18. Jahrhunderts war, so Korff, die Revolution: „Wenn man […] diese ganze Verkünstelung und Verkalkung der Natur nicht einfach als ein unabwendbares Schicksal hinnehmen wollte … wie uns das [Oswald] Spengler empfehlen möchte … sondern wenn man so den Willen zur Verjüngung in sich fühlte, wie das gerade der positive Sinn der Sturm- und Drangbewegung war […], dann wandelte sich dieser ganze Kultur-Pessimismus sogleich in eine Kulturrevolution.“ 116

In der Forderung des Tages von 1933 heißt es dann ganz ähnlich: „Wie immer man die großen Ereignisse empfinden möge, von denen wir in der Gegenwart wie auf gewaltigen Wogen dahin getrieben werden – nach einer Zeit so qualvoller Ratlosigkeit sind sie von einer wahrhaft befreienden Wirkung gewesen. Die Entscheidung ist gefallen, unser Schicksal hat sich enthüllt, die Nacht ist von uns gewichen, und wie wir uns in der Helle umsehen, wissen wir: eine neue Epoche der deutschen Geschichte ist angebrochen – und uns ist die Gnade zuteil geworden, dabei zu sein.“117

Die gegenwärtige Entwicklung sei ein „Aufbruch […] und eine Einkehr in das eigene Wesen, dessen wahre Art uns erst durch seine tödliche Gefährdung recht bewusst geworden ist.“118 In beiden Texten konstruierte Korff eine tiefe kulturelle und gesellschaftliche Krise und Ratlosigkeit; in beiden Fällen bedurfte es eines Befreiungsschlages. Dabei sprach Korff 1928 in Bezug auf den Sturm und Drang explizit von „Kulturrevolution“, 1933 hinsichtlich der eigenen Gegenwart metaphorisch vom Ereignis auf „gewaltigen Wogen“ oder an anderer Stelle vom „aufbrausenden“ und „niederreißenden […] Frühlingswind“119. Explizit jedoch sprach Korff in beiden Texten von einer je „neuen Epoche der deutschen Geschichte“ und vom „Schicksal“, wobei das 115 H. Nohl, Einleitung, S. 3. 116 H. A. Korff, Dichtung von Sturm und Drang, S. 56 [Hervorhebung im Original]. Und weiter heißt es: „Und diese Kulturrevolution kam nun zuerst zum Durchbruch in der deutschen Dichtung. Das ist für uns Deutsche charakteristisch! Sie entlud sich nicht in politischen Taten, wie zwei Jahrzehnte später in dem von den gleichen Ideen aufgewühlten Frankreich, sondern im Traumland der Phantasie, in der Dichtung. Oder höchstens auf dem Gebiete der Erziehung“. Ebd. 117 H. A. Korff, Forderung, S. 341 [Hervorhebungen; AL]. 118 Ebd. [Hervorhebungen; AL]. 119 Ebd.

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„deutsche Schicksal“ für ihn eben nicht der von Oswald Spengler vorausgesagte „Untergang des Abendlandes“, sondern eben der „Aufbruch“, die Revolution sei. Die Vergegenwärtigung des historischen Stoffs findet sich auch bei anderen Literaturwissenschaftlern dieser Zeit. So etwa bei dem Mitherausgeber der Zeit­ schrift für Deutschkunde Walther Linden120 oder bei dem Tübinger Ordinarius Paul Kluckhohn. Letzterer schrieb 1934 im Nachwort zu der von ihm herausgegebenen Sammlung Die Idee des Volkes im Schrifttum der deutschen Bewegung von Möser und Herder bis Grimm: „Die Bewegung unserer Tage steht der deutschen Bewegung um 1800 näher, als es den meisten Menschen heute bewusst ist. Man kann geradezu sagen: Der deutschen Bewegung von heute ist durch die um 1800 geistig stark vorgearbeitet worden, oder – anders gesehen – wesentliche Ideen des Dritten Reiches sind aus den gleichen Tiefen gespeist, die schon die wertvollsten Epochen der deutschen Geistesgeschichte befruchtet haben.“121

Auch bei Kluckhohn entsprach die Deutung der „deutschen Bewegung“ als Vordenkerin der „nationalsozialistischen Revolution“ der Vergegenwärtigung des Historischen in der Gegenwart. Zudem wurde das politische Ereignis auf diese Weise in eine kulturelle Tradition eingereiht und durch die Wissenschaft geadelt. Gleichwohl gab es innerhalb dieses Bekenntnisdiskurses um 1933 Differenzen.122 Vergleicht man Korffs Forderung des Tages mit dem ihr unmittelbar vorangehenden Beitrag von Walther Linden, werden die Unterschiede offensichtlich: So fehlt bei Korff der aggressive Antisemitismus Lindens.123 Auch das „Neuigkeitspathos“ mit dem Linden versuchte, die Deutschkunde politisch aufzuwerten, war Korff „zumindest suspekt“124. Die Differenzen der beiden Mitherausgeber der Zeit­ schrift für Deutschkunde hingen zum einen mit ihrem Status innerhalb des Wissenschaftssystems zusammen. Während Korff etablierter Ordinarius mit einem hohen 120 Nach Linden existierten bis dato sechs Phasen und die Goethezeit sei der zunächst letzte „große Versuch deutschen modernen Geistes“ gewesen, die deutsche „Lebenseinheit“ zu erringen. Die „deutsche Bewegung“ konnte jedoch „nicht zu wirklichkeitsmächtiger Gestaltung gebracht werden“, da sie von „westeuropäischer Seite, von der französischen Revolution und ihrem politischen Geiste wie von der wachsenden technisch-kapitalistischen Entfaltung“ bedrängt worden sei. Im Jahr 1933 sah Linden nun den jüngsten Versuch zur „deutschen Befreiung“, denn durch den „siegreichen Durchbruch“ des Nationalsozialismus hätten Entwicklungen begonnen, „deren Fortgang und Auswirkung in machtvollen Formen sich vollziehen“ werden. W. Linden, Entwicklungsstufen scheidender Bürgerlichkeit, S. 347–348. 121 P. Kluckhohn, Nachwort, S. 323. 122 Vgl. dazu auch G. Kaiser, Grenzverwirrungen, S. 132–198. 123 Vgl. W. Linden, Deutschkunde als politische Lebenswissenschaft; W. Linden, Entwicklungsstu­ fen scheidender Bürgerlichkeit. 124 G. Kaiser, Grenzverwirrungen, S. 146–147. Dass die Deutschkunde das Kerngebiet der deutschen Bildung darstelle, sei doch selbstverständlich, so Korff. Und weiter hieß es bei ihm: „Diese Forderung, von uns immer erhoben, wird heute von niemandem ernstlich mehr bestritten werden. Und sie gilt für Schule und Hochschule gleichermaßen. Sie ist der gegebene Boden, auf dem sich der Bau der ‚politischen‘ Schule und Hochschule erheben wird. Diesen Boden zu bereiten und am Aufbau dieses Werkes mitzuarbeiten wird auch fürderhin das vornehmste Ziel und das leidenschaftliche Streben dieser Zeitschrift sein.“ H. A. Korff, Forde­ rung, S. 345.

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wissenschaftlichen Ansehen war, war Lindens Habilitation gescheitert;125 Linden galt selbst dem SD als „ausgesprochene Konjunkturerscheinung“, dessen Ge­ schichte der deutschen Dichtung „lediglich nationalsozialistisch und phrasenhaft aufgemacht“126 sei. Doch auch darüber hinaus war Korffs Vorstellung von „nationaler Erziehung“ weit entfernt vom nationalsozialistischen Bildungsanspruch, für dessen Ziel des „heroischen Menschen“ nicht Geist, sondern Blut und Erde entscheidend war. Korff vertrat hingegen einen nationalkonservativen Bildungs- und Kulturbegriff, wie sich 1929 in einer Stellungnahme Korffs in der Zeitschrift Die Erziehung zeigt. Dieser vorausgegangen war der Beitrag eines Berliner Schuldirektors, der Werteverfall und Traditionsverlust an den Schulen vor allem in den Großstädten kritisierte. Sein Vorschlag lautete: Wenn sich die Jugend nicht mehr für klassische Literatur interessiere und sie als „unzeitgemäß“ und „nutzlos“ betrachte, müsse der zeitgenössische Deutschlehrer seine Schüler eben bei ihrem Kunst- und Kulturverständnis abholen. Infolge dessen solle er mit ihnen ausschließlich moderne, internationale Autoren lesen und von den Klassikern nur jene Werke, die „von seelischen Krankheiten Zeugnis“ geben, wie etwa Werther oder Hamlet.127 Diese Position führte zu heftigen Diskussionen unter den Leserinnen und Lesern, und die Herausgeber der Zeitschrift distanzierten sich öffentlich von ihr. Offenbar auch Korff, der eine Antwort verfasste – und zwar „als Angehöriger einer Kulturnation, die vorläufig noch die Absicht hat, eine solche zu bleiben und deshalb dagegen [gegen den Beitrag; AL] protestieren muss.“128 Der Grundtenor von Korffs Beitrag war deutlich: Vom klassischen Bildungsideal dürfe man keinesfalls abrücken; die Aufgabe der Schule sei nach wie vor die Erziehung und „Kultivierung der Jugend durch die großen Kulturgüter der Menschheit.“129 Einer „uninteressierten“ Jugend dürfe man nicht nachgeben, sondern müsse ihr das klassische Bildungsideal entgegengehalten. Man dürfe keine „Zivilisations-Erziehung“ betreiben, denn deren Ergebnis wäre, sie, die Schüler, „zum modernen Amerikaner [zu erziehen], für den geistige Bildung bestenfalls ein äußerer Luxus, aber kein inneres Bedürfnis ist […].“130 Deutlich treten hier Korffs generelle Kritik am „Prozess der Zivilisation“ (Norbert Elias) und sein „Unbehagen an der Moderne“ (Charles Taylor) zu Tage. Zugleich jedoch verzichtete er – trotz Steilvorlagen im Ausgangstext – auf Polemiken gegen die internationale Kultur oder moderne Literatur. An seinem nationalkonservativen Kulturverständnis hielt Korff auch nach 1933 fest, zudem ließ er (wie an anderer Stelle dargestellt) seinem Bekenntnis von 1933 kein weiteres politisches Engagement folgen. Er zog sich, im Gegenteil, aus öffentlichen Positionen zurück und legte 1933 auch die Mitherausgeberschaft der Zeit­ schrift für Deutschkunde nieder.

125 126 127 128 129 130

Zu Linden vgl. C. Kretschmann, Walther Linden. G. Simon, Germanisten­Dossiers, S. 45. Vgl. W. Schönbrunn, Die Not des Literaturunterrichts, S. 252–259. H. A. Korff, Zivilisations­Pädagogik, S. 301. Ebd., S. 304. Ebd., S. 305.

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Als Grund für die politische Zurückhaltung Korffs im Dritten Reich wurde nach 1945 eine Gesinnung ausgemacht, die dem klassischen Humanitätsideal verpflichtet sei, und aufgrund derer er politisch quasi immun gegen Ideologisierung sei. So schrieb etwa Claus Träger, der Ende der 1940er Jahre bei Korff studiert hatte: „Das Gesetz, unter dem er [Korff] angetreten war, brachte es mit sich, dass er, unverdrossen der Idee der klassischen Humanität anhängend, unablässig mit der Literatur gegen die Zeit philosophieren musste, dass er nie völlig (oder gar nicht) mit dem Geist – oder dem Ungeist – der Zeit übereinstimmte, der gerade herrschte.“ 131

Tatsächlich hatte Korff die Bildung am klassischen Humanitätsideal immer wieder gefordert: Aus der Geschichte (und hier vor allem aus der klassischen Epoche) sollte man lernen und Lehren für das eigene Handeln ableiten. Denn die Geschichte sei, so Korff, „im wesentlichen die aufgespeicherte ‚Erfahrung‘ eines Volkes, von der es eben vor allen Dingen lernen muss. Und wer wollte leugnen, dass das im Grunde genommen die natürlichste und fruchtbarste Art ist, Geschichte zu betreiben und zu betrachten […].“132 Es ist anzunehmen, dass er versuchte, diesen Anspruch auch für sich selbst umzusetzen, etwa wenn er 1928 in einem Rundfunkvortrag vom zentralen Gedanken der Aufklärung sprach, vom „Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, das durch nichts anderes eingeschränkt wird, als durch das gleiche Recht auch für alle anderen […].“133 Für den Erfolg dieses Versuchs sprechen spätere Äußerungen von Zeitzeugen. Nach Siegfried Streller vertrat Korff „subjektiv ehrlich eine humanistische Position“134, und bei Gerhard Kluge hinterließ Korff den Eindruck der „Identität des Vortragenden mit seinem Stoff“135. Gleichwohl hinterlassen solche Zitate auch den Eindruck der Entrücktheit des Literaturhistorikers, seines Verschwindens aus der Realität seiner Gegenwart. Sie suggerieren, dass Korff nahezu bis zur Selbstaufgabe in seinem Stoff aufgegangen sei, dass er mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart gelebt habe.136 Dieser Eindruck mag für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg möglicherweise zutreffen, für das Dritte Reich jedoch nicht. Die Forderung des Tages war betont gegenwartsbezogen (und so geht dem genannten Zitat über Geschichte als Erfahrung sogar eine Referenz auf Hitlers Mein Kampf voraus)137. 131 132 133 134 135 136 137

C. Träger, Hermann August Korff, S. 85. H. A. Korff, Forderung, S. 343. H. A. Korff, Dichtung von Sturm und Drang, S. 13. Materialien, Gespräch mit S. Streller, S. 6. G. Kluge, Hans Mayer, S. 198. Vgl. W. Müller-Seidel, Freiräume, S. 164 –166. Das vollständige Zitat lautet: „Mit Recht wirft Hitler in seinem Buche den Deutschen vor, dass sie so schlecht verstanden haben, aus ihrer Geschichte zu lernen. Denn ihm ist die Geschichte im wesentlichen die aufgespeicherte ‚Erfahrung‘ eines Volkes, von der es eben vor allen Dingen lernen muss. Und wer wollte leugnen, dass das im Grunde genommen die natürlichste und fruchtbarste Art ist, Geschichte zu betreiben und zu betrachten.“ H. A. Korff, Forderung, S. 343. Daniela Gretz identifiziert innerhalb des Werks Korffs noch weitere Gegenwartsbezüge, etwa auf Friedrich Nietzsche, Rudolf Steiner oder Stefan George, wobei „die Grenzen

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Es war weniger Entrücktheit als vielmehr eine Abneigung Korffs gegenüber tagespolitischem Aktionismus und wissenschaftsorganisatorischen Aktivitäten, die sein geringes politisches Engagement motiviert haben mögen. Sicher lag es auch an einem „unpolitischen Selbstverständnis“. Er sei weder rechts noch links, sondern einfach national, so Korff. In einem Brief von 1923 schrieb er an Petersen im Zusammenhang mit Berufungsaussichten für Danzig: „Man erzählt mir, dass ich in Danzig als der Kandidat der politischen Linken gelte […]. Ich mag solchen Unsinn gar nicht glauben und fasse mich [sic], wenn ich so etwas höre, an den Kopf, wie es möglich ist. Sollte es wirklich dahin kommen, dass man einen von Natur so unpolitischen Menschen wie mich, der freilich (darum) nicht in das Horn der politischen Rechten tutet, im übrigen aber, wenn es sich um die französisch-polnische Halunkerei handelt, eben weil hier garnicht [sic] politische sondern ethische Maßstäbe in Frage kommen, so brennend hassen kann wir nur einer; ich sage, sollte es wirklich dahin kommen, dass ein solcher bereits für politisch nicht ganz ‚zuverlässig‘ erachtet wird: dann kann ich unser Vaterland nur auf das tiefste beklagen“138.

So greift die nachträgliche Beurteilung Korffs als entrückt oder „politisch naiv“139 in jedem Fall zu kurz, zumal eine solche Einschätzung ihn von einer Verantwortung für sein Handeln vor und nach 1933 befreien würde. Doch gerade Verantwortung zu übernehmen, war ja Korffs „Forderung des Tages“. Er wollte in diesem historischen Moment politisch sein, was für ihn bedeutete, in der Gegenwart Verantwortung zu übernehmen. Von der Gegenwart, so heißt es in der Forderung des Tages dann auch, erhalte „die Deutschkunde einen vertieften Sinn und eine erhöhte Bedeutung. Sie darf […] das Bewusstsein haben, an ihrer Stelle geistig mit vorbereitet zu haben, was erst die politische Form erhalten musste, um historisch in großem Stile fruchtbar zu sein.“140 Die deutschen Literaturwissenschaftler hätten eine „praktische Aufgabe; Volkserziehung und Volksgestaltung durch die Kraft und Richtung verleihende Verbindung des Deutschen Volkes mit den großen Formeln seiner Vergangenheit […].“141 Dies war nichts anderes als ein außerwissenschaftliches Leistungsangebot, nachdem er und seine Zunft „durch das politische Pathos nicht nur einen ungeheuer verstärkten Antrieb“ erfahren, „sondern auch eine weit entschiedenere Form“ empfangen hatten. Sie seien „dadurch zu erneuter Besinnung auf [ihre] Ziele und Wege, aber auch auf ihre gesteigerten Ansprüche hingewiesen“ worden. Die Zeit der „reinen Wissenschaft“ sei damit endgültig vorbei, denn „wie die Wissenschaft ursprünglich eine Funktion des Lebens ist, so erfüllt [sie] nur ihren Lebenssinn, wenn sie letzten Endes wiederum dem Leben dient.“142 Vor diesem Hinter-

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zwischen Korffs eigener Position und der von ihm lediglich konstruierten Position verschwimmen“. Vgl. D. Gretz, Die deutsche Bewegung, S. 105. Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 1. Juni 1923, in: DLA Marbach, D: Petersen, D62.275. So Karl Viëtor über Korff, nachdem er erfahren hatte, dass dieser den dritten Band von Geist der Goethezeit dem Einmarsch deutscher Truppen in Paris gewidmet hatte: „Mag man [dies] als Ausdruck gigantischer politischer Naivität oder eines rabiaten Nationalismus zu verstehen haben, in beiden Fällen scheint sie [die Widmung; AL] mir unverzeihlich.“ Brief von K. Viëtor an Walter Rehm vom 9. Oktober 1946, zitiert nach R. Weber, Karl Viëtor, S. 232. H. A. Korff, Forderung, S. 341. Ebd., S. 343. Ebd., S. 342.

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grund wurden die Deutschkunde und damit auch Korffs Erziehungsanspruch „das Gegenteil von Historismus“; sie wurden Politik.143 Explizit bekannte sich Korff 1933 zum „Aufbruch des deutschen Geistes“144. Dabei sah er seine Rolle, wie auch in der Weimarer Republik, in der des Erziehers, dessen Lehre „durchblutet sein [muss] von einem leidenschaftlichen Gefühl“145. Der Wille zur Mitgestaltung war ernst gemeint, begriff Korff sich doch als Teil der deutschen Schicksalsgemeinschaft, mit der er auf Gedeih und Verderb verbunden war und verbunden sein wollte. Nach seiner ersten USA-Reise, während der man ihm angeboten hatte, ganz nach Amerika zu wechseln, schrieb er an Petersen: „Darauf konnte ich nun freilich bloß eine sehr negative Antwort geben. Denn mit Europa, ja mit Deutschland, ist unsereins nun einmal – und wenn schon auf Verderb – verheiratet.“146 Den Widerspruch zwischen diesem als schicksalhaft angenommenen Nationalismus und dem von Korff zugleich verkörperten klassischen Humanitätsideal konnte und wollte er nicht auflösen. Er hatte sich dem gemeinschaftlichen Schicksal „der Deutschen“ ergeben; für ihn war es 1933 eine „Gnade“ dabei zu sein, und daran hielt er bis 1945 fest. Wie an anderer Stelle dargestellt, bedeutete das Kriegsende für Korff eine tiefe Zäsur. In gewisser Weise zeigt sich dies auch in seinem Werk. Nicht dass er von seinem nationalpädagogischen Ansprüchen Abstand genommen hätte. Vielmehr sah er sich auch in der SBZ und DDR als Vermittler, der die klassische Zeit für die Gegenwart erfahrbar machen wollte. Dies sei nötig, habe doch die klassische Epoche nach wie vor eine nationale Funktion; gerade diese „Zeit, in der der Geist eines Volkes auf die Höhe seiner selbst gekommen ist, [gehörte] zum Besten dessen er fähig ist.“147 Darauf gründe sich das Selbstwertgefühl des deutschen Volkes, „und dies Gefühl seines inneren Wertes hat das deutsche Volk in der Goethezeit gewonnen, die deshalb auch von ganz besonderer nationaler Bedeutung ist.“148 Korff ging es auch nach dem Krieg um humanistische Erziehung, „denn der Sinn der Kul­ tur“ – und somit auch der Kulturvermittlung durch die Literaturgeschichtsschreibung – „ist der Mensch, […] die organisch ausgebildete, harmonische Persönlichkeit.“149 Sein nationalpädagogischer Bildungsanspruch war durchaus an die bildungspolitischen Ziele der SED anschlussfähig, die durch Rekurs auf literarische Traditionen einen „neuen“ Menschen für ein „neues“ Deutschland bilden wollte. Gerade die Weimarer Klassik hatte in der DDR von Anfang an „eine identitätsstiftende und legitimierende Funktion“ und war vor allem „Ausdruck des Willens, das humanistische Erbe der Klassik als hervorragendes Moment deutscher Hochkultur in die Bewusstseinsbildung der sozialistischen Gesellschaft einzuführen.“150 In diesem Sinne konnte Walter Ulbricht 1958 den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einer Tagung des Nationalrates der Nationalen Front „unter lebhaftem Beifall“ zuru143 144 145 146 147 148 149 150

Ebd., S. 343. Ebd., S. 341. Ebd., S. 344. Brief von H. A. Korff an J. Petersen vom 30. August 1935, in: DLA, D: Petersen, D62.275. H. A. Korff, Geist der Goethezeit, Bd. I [1954], S. 4. Ebd., S. 4 –5 [Hervorhebung im Original]. Ebd., S. 7 [Hervorhebung im Original]. L. Ehrlich / G. Mai / I. Cleve, Weimarer Klassik, S. 8.

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fen: „Wenn ihr wissen wollt, wie der Weg vorwärts geht, dann lest Goethes ‚Faust‘ und Marx’ ‚Kommunistisches Manifest‘.“151 Der programmatische Bezug der SED auf das nationale Erbe machte es für Korff möglich, auf Kontinuität zu setzen und den Geist der Goethezeit „fast wortgetreu“ neu aufzulegen, ohne sich zu „größeren Veränderungen“ veranlasst zu sehen.152 Ganz im Sinne dieses humanistischen Bildungsauftrags erscheinen im Übrigen auch die mehrbändigen, von Korff herausgegebenen Goethe- und KlassikerAnthologien, die unter dem programmatischen Titel Edel sei der Mensch 1947 und 1948 veröffentlicht wurden.153 Korff war also durchaus ambitioniert, sein bisheriges nationalpädagogisches Engagement in Nachkriegszeit und DDR fortzuführen. Dass dies nicht bruchlos geschehen konnte, zeigt die neu geschriebene Einleitung zur zweiten Auflage des ersten Bandes von Geist der Goethezeit, der 1954 erschien. Diese hatte ihm, so Korff, „große Schwierigkeiten gemacht“, doch war sie aus seiner Sicht notwendig, um die – zeitgenössischen – Leserinnen und Leser „über den Geist, die Grundideen und die Entwicklung der Goethezeit in vorläufiger Weise zu orientieren.“154 Korff wollte auf diese Weise seinem Lebenswerk „einen völlig neuen Schlüssel mit auf den Weg“155 geben, wie es sein Leipziger Kollege Walther Martin formulierte. In der genannten Einleitung durchbrach Korff erstmals die Grenzen der geistesgeschichtlichen Methodik und integrierte Deutungsansätze der sozialhistorischen Literaturbetrachtung. Er zeichnete das Bild einer bürgerlichen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, „deren Sinn die Arbeit, deren wesentliche Methode das Prinzip der Arbeitsteilung und deren Resultat die Mechanisierung und Entmenschlichung des als eine Totalität gemeinten Menschen“156 gewesen sei. Dieser Aspekt war zwar auch (implizit) Bestandteil von Korffs bisheriger Argumentation gewesen, doch erschien er nun an prominenter Stelle, wurde explizit und ausführlicher behandelt. Korff rekurrierte auch an anderer Stelle auf ähnliche Deutungsmuster, indem er von der „Erlösung des Menschen aus der Fron der Arbeit“, vom „Berufsmenschentum“, durch das der Mensch „um sein wahres Menschentum betrogen“ werde, von „Entfremdung“, der „Inhumanität der bürgerlichen Gesellschaft“ und der „Versklavung durch den Mechanismus der Arbeitsteilung“ sprach.157 Damit knüpfte er an die marxistische Widerspiegelungstheorie an, nach der Literatur nicht aus sich selbst

151 Ansprache von W. Ulbricht aus dem Jahr 1958, zitiert nach ebd., S. 7. 152 H. A. Korff, Geist der Goethezeit, Bd. III [1949; zitiert nach der 3. Aufl. von 1956], S. VIII. 153 H. A. Korff, Liebesgedichte des west­östlichen Divans, H. A. Korff (Hrsg.), Edel sei der Mensch, sowie H. A. Korff, Gedichte von Johann Wolfgang Goethe. 154 H. A. Korff, Vorwort zur zweiten Auflage, in: Geist der Goethezeit, Bd. I [1954]. 155 Denn, so heißt es in dem Schreiben weiter, sie spreche „höchst aktuelle Fragestellungen“ an und eröffne dem Werk „eine ideologiegeschichtlich weit tiefer liegenden Sicht, indem die besondere gesellschaftliche Struktur unter den Bedingungen der konkreten geschichtlichen Situation bloßgelegt und so bezogen wird, dass nicht allein wichtige Aufschlüsse, sondern v. a. auch neue fördernde Anregungen gewonnen werden.“ Schreiben des Dekans W. Martin an den Rektor der UL vom 25. Juli 1957, in: UAL, PA 92, Bl. 396–397, hier Bl. 397. 156 H. A. Korff, Geist der Goethezeit, Bd. I [1954], S. 31. 157 Ebd., S. 8, 7, 10, 31.

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entstehe, sondern ein Spiegel der politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Gegebenheiten sei.158 Auf diese Weise konnte Korff auch in der DDR „die literarische Tradition als Orientierungsangebot für die Gegenwart“159 auslegen. Die Einleitung von 1954 hatte so eine ähnlich programmatische Funktion wie die Forderung des Tages von 1933. Auch hier ging es darum, das eigene Tun und die bisherige Arbeit in einen aktualisierten Kontext zu stellen und ein außerwissenschaftliches Leistungsangebot zu unterbreiten. Resonanzstrategisch knüpfte Korff – allerdings ausgesprochen moderat – an antibürgerliche, kapitalismuskritische und humanitätsidealisierende Vorstellungen im offiziellen DDR-Diskurs an.160 Aus der neuen Einleitung spricht aber auch die Einsicht, dass das, was Korff 1933 als „Aufbruch“ zum „Leben“ erschienen war, in Zerstörung, Auschwitz und Tod geendet hatte. Zwar klammerte Korff sich an die Goethezeit, denn „wie […] müssten wir uns erst als Deutsche fühlen, gäbe es für uns nicht den Aufblick zu dem Besten, dessen immer noch gültiges Zeugnis die klassische Zeit unserer Geschichte ist?!“161 Eine Re-Aktualisierung wie 1933 war nach dem „Zivilisationsbruch“ jedoch auch für Korff passé. So wurde das Humanitätsideal der Goethezeit in der Auflage von 1954 zum „Humanitätstraum“ der bürgerlichen Gesellschaft: Die Goethezeit sei das „fast märchenhafte Finale einer untergehenden Zeit – ein Sonnenuntergang von seltenem Abendrot […], die ihm Nachschauenden zur Wehmut stimmend.“162 Die Goethezeit war für Korff nun zu etwas durch und durch Histori­ schem geworden: „Die historische Stellung der Goethezeit von vornherein zu sehen, ist wichtig. Es entscheidet das auch über unsere Stellung zu ihr. Die Goethezeit ist etwas Historisches, nicht nur weil wir 158 Zu den „Anpassungsleistungen“ Korffs nach 1945 vgl. J. Saadhoff, Germanistik in der DDR, v. a. S. 73–83. 159 L. Stockinger, Hermann August Korff, S. 13. 160 Vgl. J. Saadhoff, Germanistik in der DDR, S. 80. Und damit hatte Korff auch Erfolg. Der Verkauf der zweiten Auflage von Geist der Goethezeit (sowie der Anthologien) sicherten Korff und seiner Familie ein gutes Auskommen (vgl. Gespräch mit Malte Korff im Juli 2005 in Leipzig). Auch die Idee seines Werks wirkte, trotz aller Ambivalenzen, bis in die 1980er Jahre befruchtend. So würdigte Claus Träger, einer der wichtigsten Repräsentanten der DDR-Literaturwissenschaft, Geist der Goethezeit 1978 im Rahmen eines öffentlichen Vortrags im Goethe-Nationalmuseum in Weimar und integrierte damit den „bürgerlichen“ Korff in die Traditionslinie marxistischer Literaturbetrachtung: Die bisherigen Versuche marxistischer Literaturwissenschaft, die deutsche und europäische Literatur zwischen 1770 und 1830 als einheitliche Epoche zu fassen, seien gescheitert, so Träger. Nicht jedoch der Ansatz Korffs. Zwar sei der Geist der Goethezeit „natürlich […] Geistesgeschichte par excellence, aber eben par excellence. Er war insofern jenseits aller die Geschichte übertölpelnden Exegese. Innerhalb seiner idealistisch-philosophischen Begrenzung blieb Korff nüchterner Historiker. Sein Werk überwand endgültig die biographistische Literaturwissenschaft der Schererschule, ohne dabei, womöglich den Spuren der Georgeschule folgend, geistestrunken in den obskuren Abgrund deutscher Heldenseelenfriedhöfe zu taumeln. Korff wandelte, frei von Schwindel jeglicher Art, fort auf der Höhe in jener Luzidität, in der schon Goethe gewandelt war.“ C. Träger, Aufklä­ rung, S. 259. 161 H. A. Korff, Geist der Goethezeit, Bd. I [1954], S. 5 [Hervorhebung im Original]. 162 Ebd., S. 4.

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Vom Wandel in der Kontinuität von ihr durch anderthalb Jahrhundert geschieden sind – das brauchte in anderen Zeiten nicht allzuviel zu bedeuten [eben 1933; AL] –, sondern dadurch, dass sich die Welt in diesem anderthalb Jahrhundert weit grundstürzender verändert hat als zwischen Mittelalter und Neuzeit.“163

Mit einer solchen Einschätzung vollzog Korff keine abermalige Vergegenwärtigung des Vergangen (wie in der Forderung des Tages), sondern vielmehr die explizite und unwiederbringliche Historisierung seines Gegenstandes. Hier liegt der wesentliche Unterschied zwischen Korffs Haltung zu Beginn des Dritten Reichs und der nach dem Zweiten Weltkrieg. Dazwischen liegt die Erfahrung, dass dem deutschen „Nationalgefühl auch die unvermeidliche Täuschung über sich selbst“ innewohne, „denn es gründet sich eben nicht auf das Ganze dieses Volkes, sondern lediglich auf sein Bestes – es sieht an seinen negativen Möglichkeiten ohne Arg vorbei. Was aber Böses selbst in einem Volke stecken kann, das sich wie das deutsche in dem Idealbild der Goethezeit gespiegelt glaubte, dafür hat uns die Geschichte des letzten Menschenalters einen Anschauungsunterricht gegeben, den wir nie vergessen können, nie vergessen dürfen.“164

Vor diesem Hintergrund vollzog Korff in der Nachkriegszeit den Rückzug aus der Sphäre der gesellschaftlichen Verantwortung, als deren Teil er sich noch 1933 gesehen hatte, und konnte so – zumindest aus Sicht der Zeitgenossen – mehr und mehr hinter dem Signum „Geist der Goethezeit“ verschwinden. ZUSAMMENFASSUNG Frings und Korff verkörperten sicherlich zwei sehr verschiedene Typen von Universitätsprofessoren. Sie gingen fachlich unterschiedliche Wege, standen für einen jeweils anderen akademischen Habitus und interpretierten nicht zuletzt das Verhältnis von Wissenschaft und Politik bzw. Öffentlichkeit unterschiedlich. Zugleich waren beide hochgradig erfolgreich hinsichtlich ihre Positionierung und den kontinuierlichen Verbleib im wissenschaftlichen Feld – und das trotz aller politischgesellschaftlichen Veränderungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Etliche Gründe hierfür wurden bisher zusammengetragen. Sie liegen – kurz gesagt – zum einen in der unbestrittenen fachlichen Reputation beider Professoren, die ihnen nicht nur innerwissenschaftlich in hohem Maße symbolisches und soziales Kapital einbrachte. Zum anderen waren beide zurückhaltend in ihrem direkten politischen Engagement. Nie traten sie einer politischen Partei oder Bewegung bei, nie argumentierten sie in ihrer wissenschaftlichen Position primär politisch. Ein weiterer Grund, und dies zu zeigen war (auch) Ziel dieses Kapitels, lag zudem in den von Frings und Korff verfolgten wissenschaftlichen Interessen. Die von ihnen favorisierten Konzepte waren grundsätzlich in allen drei politischen Systemen „passfähig“, auch wenn sie jeweils modifiziert werden mussten. Sowohl Frings’ Kulturmorphologie als auch das geistesgeschichtliche Programm Korffs 163 Ebd. [Hervorhebung im Original; Unterstreichungen; AL]. 164 Ebd., S. 5.

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boten in ausreichendem Maße Anschlussstellen für die wissenschaftspolitisch je entscheidenden Instanzen. Zugleich waren beide immer wieder darum bemüht, genau solche Anschlüsse herzustellen und somit auch außerwissenschaftlich wirksam zu werden. Frings und Korff stehen nahezu paradigmatisch für die unübersehbaren Beharrungstendenzen und Kontinuitäten in der deutschen Germanistik. Wie gesehen, ergaben sich diese Kontinuitäten weder zufällig noch als einseitige Inanspruchnahme, sondern in einem komplexen Prozess wechselseitiger Wahrnehmung, Beeinflussung und Anpassung der wissenschaftlichen und politischen Akteure.

STABILITÄT UND WANDEL. SCHLUSSBETRACHTUNG

Die vorliegende Arbeit ist eine Strukturgeschichte der Germanistik. Sie untersucht die Disziplin als Institution sowie ihre Wissenschaftspraxis und Wissensproduktion in Verschränkung mit politischen und gesellschaftlichen Prozessen. Im Mittelpunkt steht die Leipziger Germanistik im Zeitraum von 1918 / 19 bis 1961. Sie war nicht nur eine der wichtigsten Einrichtungen ihrer Art, sondern bietet auch die Grundlage für eine exemplarische Analyse von disziplingeschichtlichen, wissenschafts- und universitätshistorischen Prozessen. Der diachrone Vergleich der Entwicklungen in Weimarer Republik, Drittem Reich und SBZ sowie früher DDR machte die Relevanz politisch-gesellschaftlicher Veränderungen ebenso deutlich wie Prozesse von Verzögerung und Konstanz. Die zusätzlich synchron vergleichende Perspektive der Leipziger Verhältnisse mit denen in Berlin und Jena akzentuierte nicht nur die Spezifika, sondern ermöglichte auch generalisierbare Aussagen über strukturelle und diskursive Prozesse, über „Räume des Möglichen“ und ihre situativen, lokalen wie politisch-gesellschaftlichen Bedingungen. Beide Vergleiche machten deutlich, dass die Geschichte der Germanistik in Leipzig eine Geschichte weitgehender Stabilität und Konstanz ist. Das Institut erfreute sich seit seiner Gründung des fortwährenden Wohlwollens von Fakultät und Universität sowie der Unterstützung durch die zuständigen Kultus- und Bildungsministerien. Aufbau und Ausdifferenzierung des Instituts waren 1919 bereits weiter fortgeschritten als an den Vergleichsinstituten. Diese Konstellation zeitigte unmittelbar Konsequenzen, als in den 1920er Jahren steigende Studierendenzahlen bei gleichzeitigen Sparmaßnahmen die Belastbarkeit von Universitäten auf die Probe stellte. Der Vergleich zeigt: Während in Berlin und Jena die Germanistik an ihre organisatorischen Grenzen kam und die Institute zu Notlösungen greifen mussten, verhalft die solide personelle und materielle Grundausstattung der Germanistik in Leipzig die anstehenden Probleme zu meistern. Dieser Zustand institutioneller Stabilität, der während der (Überfüllungs-)Krise deutlich wurde, setzte sich im Untersuchungszeitraum weiter fort. Dies schloss institutionelle Veränderungen nicht aus, doch konnten diese die Verhältnisse nie grundlegend erschüttern. Ausmaß und Folgen der institutionellen Stabilität wurden deutlich, als die NS-Studentenschaft 1933 grundlegende Reformen im Fach durchsetzen wollte – und damit scheiterte. Ein anderes Beispiel war die institutionelle Rekonstruktion nach 1945, die in Berlin und Jena zu erheblichen Schwierigkeiten führen sollte, in Leipzig jedoch verhältnismäßig unkompliziert gelang. Die institutionelle Stabilität bedingte in gewisser Weise das bemerkenswerte personelle Kontinuum in der Leipziger Germanistik – und wurde durch dieses wie-

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derum gefestigt. Die „doppelte Kontinuität“ in Leipzig bezeichnet einen Sonderfall in der Disziplingeschichte und bezieht sich auf die beiden Ordinarien Hermann August Korff und Theodor Frings. Diese waren nahezu während des gesamten Untersuchungszeitraums und über die politischen Zäsuren von 1933 und 1945 hinweg auf ihren Professuren verblieben. Sie prägten so über mehrere Jahrzehnte maßgeblich die personellen und institutionellen Entwicklungen am Institut, mithin die Auswahl des Lehrpersonals, die Ausbildung der Studierenden und die Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses, sowie die wissenschaftlichen Diskurse am Institut. Die Kombination aus institutioneller Stabilität und personeller Kontinuität beförderte Trägheitsmomente (besonders nach den politischen Systemwechseln) und dämpfte, verzögerte oder verhinderte politisch motivierte Veränderungen. Besonders deutlich wurde dies in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg: Während andernorts personeller Notstand herrschte und personelle Entscheidungen vielfach mit politischen Intentionen einhergingen, konnten Frings und Korff auf Grundlage gewachsener Netzwerke relativ schnell und selbstbestimmt Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihrer Wahl wieder einstellen und den Lehrbetrieb fortsetzen. Die sich zum Teil bedingende, sich gleichzeitig begünstigende institutionelle Stabilität, personelle Konstanz und Kontinuität der wissenschaftlichen Konzeptionen und Diskurse, mithin eine bemerkenswerte Beharrungskraft, Stetigkeit und Trägheit auf den unterschiedlichen wissenschaftshistorischen Ebenen, können als besondere Kennzeichen der Leipziger Germanistik ausgemacht werden. (Dies schließt institutionelle Neuerungen, biographische Brüche und konzeptionelle Verschiebungen gleichwohl nicht aus). Dieses Charakteristikum zeigt sich besonders im Vergleich mit Berlin und Jena, aber auch im Vergleich mit anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen vor Ort. Mit Blick auf die Strukturgeschichte der Germanistik über das Beispiel Leipzig hinaus verdeutlichte der diachrone wie synchrone Vergleich drei generalisierbare Strukturelemente der Disziplin: Erstens die herausragende Bedeutung institutionellstruktureller Bedingungen für die Entwicklung von Institutionen, zweitens unverkennbare Kontinuitäten in der Wissensproduktion, deren Produktivität und Rezeptionserfolge immer auch abhängig waren von der Anschslussfähigkeit an politische Diskurse und ideologische Ideen. Drittens rückten auf der Ebene der Wissenschaftspraxis die drei „personellen Grundbewegungen“ in den Mittelpunkt: Berufungen, Entlassungen bzw. Abgänge sowie personelle Kontinuitäten prägten maßgeblich die Entwicklung und Gestalt der wissenschaftlichen Institutionen und verweisen gerade im diachronen Vergleich auf den systematischen Zusammenhang von individuellen Entscheidungen, strukturellen Vorgaben und politischen Kontexten. Berufungen Berufungsverfahren sind damals wie heute hochgradig normiert. Ausgehend von der Berufungspraxis im Deutschen Kaiserreich wurde daher zunächst eine idealtypische Berufungsnormalität konstruiert und auf deren Grundlage die Veränderungsprozesse systematisch analysiert. Die Berufungsnormalität basiert auf dem regulären Zustandekommen der Vakanz, der Berücksichtigung bestimmter wissen-

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schaftlicher Qualitätsstandards und sozialer Kriterien, einem konfliktarmen Verlauf im Aushandlungsprozess zwischen Fakultät bzw. Universität und Kultus- bzw. Bildungsministerium sowie einem angemessenem Zeitraum des Verfahrens von ca. 6 Monaten. Ausgehend von diesen Prämissen wurde für die Germanistik in der Weimarer Republik ein hohes Maß an Verfahrensstabilität konstatiert. Konflikte, Verzögerungen und Abweichungen ließen sich allein in zwei Fällen ausmachen, die im Zusammenhang mit methodischen Differenzen im Zuge der „geistesgeschichtlichen Wende“ standen. Auch im Dritten Reich bestimmten auf den ersten Blick normale Verfahrensverläufe die Berufungspraxis. Allerdings handelte es sich dabei um eine gewandelte Berufungsnormalität. Trotz der Neuordnung im Berufungsverfahren 1935 durch das REM spielten politische Kriterien im Verfahren selbst selten eine maßgebliche Rolle. Gleichwohl waren diese außer-wissenschaftlichen Kriterien den Verfahren vorgeschaltet, das bedeutet, dass bereits vor offiziellem Beginn der Berufungsverfahren politische Kriterien griffen. Als wichtigste Aspekte gelten das irreguläre Zustandekommen von Vakanzen (in 8 von 13 Fällen, zum Teil durch Entlassung) sowie die Erklärung von „Ariernachweis“ und politischer Loyalität zur Voraussetzung für die Nennung auf den Berufungslisten. Auf diese Weise wurde der Kandidatenkreis begrenzt und als „jüdisch“ und „politisch unzuverlässig“ markierte Akteure ausgegrenzt. In Folge dessen war die Berufungspraxis während des Dritten Reichs weniger durch die Veränderungen im Zuge der Maßnahmen durch das REM geprägt, als vielmehr durch eine scheinbar fortgesetzte Normalität, deren Voraussetzungen allerdings andere waren. Als Grund für diese Berufungspraxis lässt sich auf eine Mischung aus vorauseilendem Gehorsam und antisemitischen Ressentiments verweisen, vor allem aber auf ein hohes Maß an Pragmatismus seitens der Fakultäten. In der Zielstellung, die Funktionsfähigkeit von Disziplin, Fakultät und Universität zu garantieren, waren sie sich mit dem REM einig. Auf diese Weise wurden in der Praxis zügige Verfahren möglich, die frei von politischen Komplikationen waren, und in der Regel wurden qualifizierte und ausgewiesene Wissenschaftler berufen. Da die Vorbedingung jedoch auf politischen und rassistischen Kriterien beruhten, kam es nicht nur zu Ausgrenzungsprozessen, sondern zudem zu einer schleichenden Politisierung der Wissenschaftspraxis. Die blieb nicht ohne Folgen, wie zwei Beispiel zeigen: Der Volkskundler Bruno Schier, der 1934 berufen wurde, konnte durch Denunziation eine geplante Berufung verhindern; der im gleichen Jahr berufene Germanist Alfred Hübner erreichte mit Unterstützung von Kollegen die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Leipzig an den radikal-antisemitischen Literaturhistoriker Adolf Bartels im Jahr 1938. Diese in der Forschung bislang unterschätzte Integration politischer Faktoren in eine weithin funktionierende Wissenschafts- und Berufungspraxis relativiert die viel zitierte These von der „gescheiterten Personalpolitik“ der Nationalsozialisten (Reece C. Kelly). Zwar ist es richtig, dass weiterhin geregelte, „normale“ Abläufe dominierten und die Folgen der Politisierung selten radikal waren. Gleichwohl lassen sie sich durchaus nachweisen und hatten zudem Potential für eine weitere Politisierung des Wissenschaftsbetriebs.

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Zusammenfassung

Nicht zuletzt zeigten sich die Konsequenzen der gewandelten Berufungsnormalität nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs, als ein Großteil der Germanisten auf Grund seiner NSDAP-Mitgliedschaft entlassen wurde. Dieser immense Personalverlust hatte Folgen wiederum für die Berufungspraxis in der Nachkriegszeit, die ein hohes Maß an Diskontinuität aufwies und erstmals von bemerkenswerter sozialer und politischer Heterogenität geprägt war. Die von Ralph Jessen als „Gründergeneration“ bezeichnete Gruppe der nach 1945 Lehrenden umfasste Germanistinnen und Germanisten mit unterschiedlichsten Biographien: im Amt gebliebene Professoren wie Theodor Frings, Hermann August Korff oder Carl Wesle, jüdische Remigranten wie Hans Mayer, Albert Malte Wagner oder Alfred Kantorowicz, „bürgerliche“ Liberale wie Martin Greiner oder Hermann Kunisch sowie ehemalige NSDAP-Mitglieder wie Ludwig Erich Schmitt oder Joachim Müller. Die Dauer dieser Phase des Übergangs und der Heterogenität war abhängig von den lokalen Bedingungen. Bis Ende der 1960er Jahre jedoch hatte sich (auch in Folge des Generationswechsels) an allen ostdeutschen Hochschulen das zentral und politisch gelenkte Kaderauswahlverfahren durchgesetzt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt könnte man wieder von einer erneuten Berufungsnormalität sprechen – doch unterschied sich diese zum Teil grundlegend von der der 1920er bis 1940er Jahre. Entlassungen und Abgänge Die politischen Entlassungen im „Zeitalter der Extreme“ (Eric Hobsbawm) gehören zu den gut erforschten Feldern der Wissenschafts- und Universitätsgeschichte. Allerdings gibt es Forschsungslücken, wenn es um konkrete Zahlen, die Untersuchung von Einzelfällen oder um die Erarbeitung genereller, auch systemübergreifender Muster von Entlassungspraxis geht. Hier setzt die Arbeit an, indem sie die politisch motivierten Entlassungen und Abgänge an den drei Germanistischen Instituten nach 1933 sowie 1945 erstmals vollständig (d. h. auf allen hierarchischen Ebenen) erfasst, auswertet und kontextualisiert. Ausgehend von diesem Material wurden Einzelfälle untersucht. Die systematischen Perspektiven fokussierten a) auf die betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und b) auf die für die Entlassung (mit-)verantwortlichen Wissenschaftsakteure. Durch die Verortung des Entlassungsereignisses in den individuellen Biographien konnten langfristige Ausgrenzungsmechanismen ausgemacht sowie die Relevanz der beruflichen Zäsur für den weiteren Lebensweg aufgezeigt werden. Während des Dritten Reichs betrafen die politisch motivierten Entlassungen und Abgänge in Berlin und Leipzig fünf Germanistinnen und Germanisten: die Institutsassistentin Elisabeth Karg-Gasterstädt in Folge der gesetzlichen Maßnahmen gegen sog. Doppelverdienerinnen, die Literaturhistoriker Georg Witkowski und Max Herrmann sowie den Altgermanisten Werner Richter auf Grund ihrer jüdischen Herkunft. Zudem kündigte der Nordist Konstantin Reichardt seine Stellung in Leipzig 1937 aus Protest gegen die Entlassung jüdischer Kollegen. In Jena ließen sich beachtlicherweise auf Grund früherer Ausgrenzungsmechanismen kaum und in der Germanistik keine Entlassung nach 1933 verzeichnen. Ein besonders prägender Einschnitt in die Biographie bedeutete die Entlassung für die beiden Literaturhistoriker Witkowski

Zusammenfassung

439

und Herrmann. Als langjährige Mitglieder der Fakultät standen sie 1933 kurz vor ihrer Emeritierung. Die Aggressivität der Verleumdungen, die fehlende Solidarität von Kollegen, zuletzt die Entlassung selbst wurden für sie daher zur tiefen Demütigung; sie überlebten das Dritte Reich nicht. Die Vorgänge im Vor- und Umfeld der Entlassung von Witkowski und Herrmann rücken die für die Entlassung (mit-)verantwortlichen wissenschaftlichen Akteure in den Blick. Bereits Michael Parak hat für die Wochen nach der „Machtergreifung“ ein dichtes Nebeneinander von Denunziation und „wilden Entlassungen“ sowie der erst allmählichen Etablierung bürokratisch abgesicherter Ausschluss- und Entlassungsverfahren konstatiert. Auch im Fall der Germanisten attackierte die NS-Studentenschaft mit Unterstützung von Hochschullehrern Dozenten und Professoren, die als „jüdisch“ und bzw. oder „politische Gegner“ galten, während Fakultät und Ministerium mit einiger Verzögerung an der Umsetzung des im Mai 1933 erlassenen „Berufsbeamtengesetzes“ arbeiteten. Die NS-Studentenschaft war mit ihren Aktionen erfolgreich und konnte personelle Konsequenzen herbeiführen, deutlich bevor das Berufsbeamtengesetzt offiziell zur Wirkung kam. Diese hinlänglich bekannten Prozesse sind hinsichtlich ihrer Chronologie bedeutsam, denn ähnliche Abläufe ließen sich – und dies wurde bislang kaum untersucht – auch für 1945 nachweisen. Die Ausgrenzung von Professoren, denen im besonderen Maße eine Zusammenarbeit mit dem NS-System vorgeworfen wurde, erfolgte auch in den ersten Wochen nach Kriegsende nicht durch politische oder bürokratische Instanzen (abgesehen von den Verhaftungen), sondern bereits vor Beginn der planmäßigen Entnazifizierung durch akademische Akteure. Zu der (im Übrigen kleinen) Zahl der von diesen Maßnahmen betroffenen Professoren gehörten drei Germanisten: der Berliner Literaturhistoriker Franz Koch, der Leipziger Niederlandist André Jolles sowie der Jenaer Nordist Bernhard Kummer. Sie wurden bereits im Frühjahr 1945 auf Beschluss ihrer Kollegen von ihren Stellen „beurlaubt“ und aus den Universitäten ausgeschlossen. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist, dass für diese Maßnahmen nicht allein ihr politisches Engagement im NS-System ausschlaggebend war. Vielmehr resultierte die Ausgrenzung zudem aus einem gesunkenen Marktwert der Akteure sowie aus ihrem Verhalten während des Dritten Reichs, das massiv gegen traditionelle akademisch habituelle Normen verstoßen hatte, wodurch sie sich Vorteile verschafft und angesehene Professorenkollegen bekämpft hatten. Der Vergleich dieser Entlassungsvorgänge von 1933 sowie 1945 macht Unterschiede ebenso deutlich wie strukturelle Ähnlichkeiten: Offenbar provozierten die politischen Zäsuren im wissenschaftlichen Feld eine spezifische Dynamik, die wissenschaftliche Akteure in besonderem Maße dazu veranlasste, personelle Entscheidungen kurzfristig und auf anderen Wegen als üblich herbeizuführen. Diese Dynamik hatte unverkennbar eine Ventilfunktion, um aufgestaute Spannungen zu lösen, „Schuldige“ auszumachen, sie zu benennen und auszuschließen. Damit verbunden war (vor allem nach 1945) einen Legitimationsfunktion, konnte doch nach dem Ausschluss der „Verräter an der Wissenschaft“ die Reinheit derselben und die Integrität der eigenen Biographie und des Fachs behauptet werden.

440

Zusammenfassung

Kontinuität als Prozess Personelle Kontinuität im Zuge politischer Systemwechsel war nach 1945 die Ausnahme, nach 1918 / 19 sowie 1933 jedoch die Regel. Die Untersuchung zeigte, dass das Verhältnis der im Amt verbliebenen Professoren und Dozenten zur „neuen“ politischen Ordnung stark von ihrer Haltung zum „alten“ System sowie durch ihre Rolle während des politischen Umbruchs bestimmt war. Sozialisiert im Kaiserreich und geprägt durch die Erfahrungen von Euphorie und Niederlage während des Ersten Weltkrieges, zeigten alle der nach 1919 im Amt gebliebenen Germanisten eine systemoppositionelle Haltung zur Weimarer Republik. Diese Systemopposition prägte noch die nachfolgende Generation von Germanistikprofessoren, die ihrerseits nach 1933 in ihren Positionen verblieben. Auf „nationale Genesung“ hoffend, begrüßten sie die „Machtergreifung“ und unterstützten das System. Umfang, Ausmaß und Gestalt dieser „Selbstmobilisierung“ (Bernd Weisbrod) konnten unterschiedlich intensiv ausfallen und waren abhängig vom politischen Selbstverständnis der Akteure sowie von ihrer Stellung im Wissenschaftssystem. Gleichwohl bestätigte sich auch hier die viel zitierte These von Mitchell G. Ash, wonach Wissenschaft und Politik als „Ressourcen füreinander“ fungierten. Doch war dies keine widerspruchsfreie Entwicklung, sondern von vielfältigen Aushandlungsprozessen geprägt, wie das Beispiel der Ordinarien Frings und Korff zeigt. Beide waren Mitte der 1920er Jahre nach Leipzig berufen worden und blieben unangefochten in ihren Ämtern bis Mitte der 1950er bzw. 1960er Jahre. Die Gründe für diese (zumindest in der Germanistik) einmalige Konstellation einer zweifachen „doppelten Kontinuität“ lassen sich in drei Aspekten zusammenfassen: Erstens verfügten sowohl der Sprachgeograph und Wissenschaftsorganisator Frings als auch der Literaturhistoriker Korff (trotz Differenzen in Forschungspraxis und Persönlichkeit) kontinuierlich über ein hohes Maß an wissenschaftlicher Anerkennung. Dieses symbolische Kapital hatten sie früh erworben, und es wurde zeitlebens nicht in Frage gestellt. Zweitens war für beide Akteure eine durchgängig politische Zurückhaltung typisch: Nie traten sie einer Partei bei, es gab keine Verbindungen zu dezidiert politischen Institutionen, und auch in ihren wissenschaftlichen Arbeiten argumentierten sie nie primär politisch. Für diese Zurückhaltung waren Status und Selbstverständnis innerhalb des wissenschaftlichen Feldes ebenso verantwortlich wie eine spezifische Vorstellung von „politischem Handeln“. Diese schloss nationale Verantwortung zwar ein, parteipolitisches Engagement jedoch aus. Die Folge dieses Selbstverständnisses waren verschiedene Verflechtungen zwischen wissenschaftlicher Praxis und Politik – doch erfolgten diese immer in Grenzen, was das erfolgreiche Weiterwirken nach politischen Systembrüchen wiederholt ermöglichte. Drittens wurde die wissenschaftliche wie politische „Passfähigkeit“ von Frings und Korff in den „Zeitenwenden“ durch ihre wissenschaftlichen Konzepte bedingt. Sowohl die „deutsche Bewegung“, die im Mittelpunkt von Korffs Geist der Goethezeit stand, als auch Frings’ Auseinandersetzung mit Sprache und Kultur des deutschen Volkes waren an wissenschaftliche Diskurse der Zeit ebenso anschlussfähig wie an politisch-ideologische – sowohl in der Weimarer Republik und im Drittem Reich als auch in der DDR.

ANHANG

Theodor Frings im Zentrum ganz unterschiedlicher Projekte – hier zusammen mit Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (u. a. Bernhard Beckmann und Wolfgang Pfeifer) im Rahmen der Arbeit am Deutschen Wörterbuch an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, um 1950 (Quelle: UAL, FS N 4192).

Institutsdirektor

V. Michels (1895–1929), A. Leitzmann (1930–1935) planmäßiger Assistent

Lektor

Lektor

Grafik I Institutsaufbau nach Personalstellen in der Jenaer Germanistik zwischen 1919 und 1932 / 33

Institutsdirektor

Extraordinariat für Deutsche Philologie

A. Leitzmann (1923–1930), danach nicht wieder besetzt

Ordinariat für Deutsche Philologie

planmäßiger Assistent

H. Naumann (1920–1923), C. Wesle (1923–1929), H. Brinkmann (1929–1938)

Extraordinariat für Deutsche Philologie

W. Eigenbrod, I. Lundahl, R. Irlow, G. Drugge, A. L. Engberg, N. Kjellman

1932 / 33

1919

Ordinariat für Deutsche Philologie

Die Jenaer Germanistik. Personalstellen 1919–1932 / 33

442 Anhang

Institutsdirektor

Institutsdirektor

Ordinariat für Deutsche Philologie (Neuere Abteilung)

G. Witkowski (1919–1933) Extraordinariat für Deutsche Philologie (Neuere Abteilung

Extraordinariat für Nordische Philologie (Nordische Abteilung)

E. Mogk (1901–1925), G. de Boor (1926–1930, K. Reichardt (1930–1937) Extraordinariat für Nordische Philologie (Nordische Abteilung)

Extraordinariat für Niederlandistik (Abteilung für Flämisch und Niederländisch)

Extraordinariat für Niederlandistik (Abteilung für Flämisch und Niederländisch)

A. Jolles (1919–1945)

F. Karg (1929–1934) Extraordinariat für Deutsche Philologie und Volkskunde (Volkskundliche Abteilung)

Extraordinariat für Deutsche Philologie (Neuere Abteilung)

Institutsassistent

Institutsassistent

E. Karg-Gasterstädt (1918–1933)

Grafik II Institutsaufbau nach Personalstellen in der Leipziger Germanistik zwischen 1919 und 1932 / 33

Institutsdirektor

E. Sievers (1891–1922), F. Neumann (1923–1927), T. Frings (1927–1956)

Institutsdirektor

A. Köster (1899–1924), H. A. Korff (1925–1954)

Ordinariat für Deutsche Philologie (Neuere Abteilung)

1929 Extraordinariat für Deutsche Philologie und Volkskunde (Volkskundliche Abteilung)

G. Holz (1896–1921), F. Neumann (1921–1923)

Ordinariat für Deutsche Philologie (Ältere Abteilung)

Extraordinariat für Deutsche Philologie (Ältere Abteilung)

außerplanmäßige Assistenten, Privatdozenten und Lektoren

außerplanmäßige Assistenten, Privatdozenten und Lektoren

Diverse

1932 / 33

1919

Ordinariat für Deutsche Philologie (Ältere Abteilung)

Die Leipziger Germanistik. Personalstellen 1919–1932 / 33

Anhang

443

G. Roethe (1902–1926), A. Hübner (1927–1937) Institutsdirektor

Ordinariat

für Altgermanische und Altnordische Philologie (Nordische Abteilung)

Extraordinariat für Deutsche Philologie (Ältere Abteilung)

Extraordinariat für Deutsche Philologie (Neuere Abteilung)

außerplanmäßige Assistenten, Privatdozenten und Lektoren

außerplanmäßige Assistenten, Privatdozenten und Lektoren

Diverse

Grafik III Institutsaufbau nach Personalstellen in der Berliner Germanistik zwischen 1919 und 1932 / 33

Institutsdirektor

Institutsdirektor

Ordinariat

G. Neckel

für Deutsche Philologie, insbes. neuere Literaturgeschichte (Neuere Abteilung)

Extraordinariat für Deutsche Philologie (Ältere Abteilung)

H. Schneider (1915–1921), danach unbesetzt

für Deutsche, insbes. altdeutsche Philologie (Ältere Abteilung)

1927 Ordinarius für Altgermanische und Altnordische Philologie

Extraordinariat für Deutsche Philologie (Neuere Abteilung)

M. Herrmann (1919–1933)

Ordinariat

Institutsdirektor

Institutsdirektor

Ordinariat

für Altgermanische und Altnordische Philologie (Nordische Abteilung)

G. Neckel (1920 bis (mit Unterbrechung) 1940

für Deutsche Philologie

1932 Ordinariat

Institutsdirektor

für Deutsche Philologie

Ordinariat

Werner Richter 1932–1933

1932 / 33

1919

für Deutsche Philologie, insbes. neuere Literaturgeschichte (Neuere Abteilung)

Ordinariat

J. Petersen (1920–1941)

für Deutsche, insbes. altdeutsche Philologie (Ältere Abteilung)

Ordinariat

Die Berliner Germanistik. Personalstellen 1919–1932 / 33

444 Anhang

Institutsdirektor

A. Leitzmann (1929–1935), C. Wesle (1935–1949)

H. Brinkmann (1929–1938), H. Stolte (1938–1945) planmäßiger Assistent

Lektor

Lektor

1936

Lehrauftrag für Altnordistik

für Nordistik (Nordische Abteilung)

1942 Ordinariat

B. Kummer

Grafik IV Institutsaufbau nach Personalstellen in der Jenaer Germanistik zwischen 1932 / 33 und 1944 / 45

Extraordinariat für Deutsche Philologie und Volkskunde (Abteilung für Volkskunde) Institutsdirektor

planmäßiger Assistent

N. Kjellman, E. Günther

Institutsdirektor

für Deutsche Philologie

A. Witte (1933–1945)

Ordinariat

1934 Extraordinariat für Deutsche Philologie und Volkskunde (Abteilung für Volkskunde)

Extraordinariat für Deutsche Philologie

B. Kummer (1935–1945) 1943

Eigenständiges Seminar für Nordistik

Eigenständiges Seminar für Nordistik

für Nordistik

Ordinariat

B. Kummer

1944 / 45

1932 / 33

für Deutsche Philologie

Ordinariat

Die Jenaer Germanistik. Personalstellen 1932 / 33–1944 / 45

Anhang

445

Institutsdirektor

Institutsdirektor

Extraordinariat für Nordische Philologie (Nordische Abteilung)

Extraordinariat für Niederlandistik (Abteilung für Flämisch und Niederländisch)

Extraordinariat für Niederlandistik (Abteilung für Flämisch und Niederländisch)

Institutsassistent

Institutsassistent

vertretungsw. I. Schröbler (1942–1944)

Grafik V Institutsaufbau nach Personalstellen in der Leipziger Germanistik zwischen 1932 / 33 und 1944 / 45

Institutsdirektor

Institutsdirektor

T. Frings (1927–1956) Extraordinariat für Deutsche Philologie (Mittelseminar)

A. Hübner (1934–1945)

Ordinariat für Deutsche Volkskunde (Volkskundliche Abteilung)

K. Reichardt (1930–1937), H. Kuhn (1938–1941), danach durch Lektoren vertreten

Ordinariat für Deutsche Philologie (Neuere Abteilung)

Extraordinariat für Nordische Philologie (Nordische Abteilung)

A. Jolles (1919–1945)

Ordinariat für Deutsche Philologie (Ältere Abteilung)

H. A. Korff (1925–1954) B. Schier

1934 Extraordinariat für Deutsche Philologie (Mittelseminar)

K. J. Obenauer (1933 / 34)

1942 Ordinariat für Deutsche Volkskunde

Extraordinariat für Deutsche Philologie (Neuere Abteilung) L. E. Schmitt (1934–1938

B. Schier (1934–1945)

1934 Extraordinariat für Deutsche Volkskunde

F. Karg (1929–1934)

Extraordinariat für Deutsche Philologie und Volkskunde (Volkskundliche Abteilung)

außerplanmäßige Assistenten, Privatdozenten und Lektoren

außerplanmäßige Assistenten, Privatdozenten und Lektoren

Diverse

1944 / 45

1932 / 33

Ordinariat für Deutsche Philologie (Neuere Abteilung)

Ordinariat für Deutsche Philologie (Ältere Abteilung)

Die Leipziger Germanistik. Personalstellen 1932 / 33–1944 / 45

446 Anhang

Institutsdirektor

nicht wieder besetzt Institutsdirektor

Ordinariat für Deutsche, insbes. Niederdeutsche Philologie (Abteilung für Niederdeutsche Philologie)

Extraordinariat für Deutsche Philologie (Neuere Abteilung)

1936 Ordinariat für Neuere deutsche Literaturgeschichte

Institutsdirektor

Ordinariat für Neuere deutsche Literaturgeschichte

Grafik VI Institutsaufbau nach Personalstellen in der Berliner Germanistik zwischen 1932 / 33 und 1944 / 45

Institutsdirektor

Institutsdirektor

Ordinariat

für Altgermanische und Altnordische Philologie (Nordische Abteilung)

A. Hübner (1927–1937), J. Schwietering (1938–1945) Ordinariat

G. Cordes (1941–1945)

für Deutsche Philologie, insbes. neuere Literaturgeschichte (Neuere Abteilung)

1941 Ordinariat für Deutsche, insbes. Niederdeutsche Philologie (Abteilung für Niederdeutsche Philologie)

nicht besetzt

Franz Koch

für Deutsche, insbes. altdeutsche Philologie (Ältere Abteilung)

Extraordinariat für Deutsche Philologie (Ältere Abteilung)

G. Fricke (1933 / 34), Franz Koch (1935–1945)

Ordinariat

Institutsdirektor

Institutsdirektor

J. Petersen (1920–1941), H. Pyritz (1941–1945)

Institutsdirektor

Institutsdirektor

für Deutsche Philologie

Ordinariat

außerplanmäßige Assistenten, Privatdozenten und Lektoren

außerplanmäßige Assistenten, Privatdozenten und Lektoren

Diverse

1932 / 33

1932 / 33

Ordinariat

für Altgermanische und Altnordische Philologie (Nordische Abteilung)

für Deutsche Philologie, insbes. neuere Literaturgeschichte (Neuere Abteilung)

Ordinariat

G. Neckel (1920–1940), H. Kuhn (1941–1945)

für Deutsche, insbes. altdeutsche Philologie (Ältere Abteilung)

Ordinariat

Die Berliner Germanistik. Personalstellen 1932 / 33–1944 / 45

Anhang

447

448

Anhang

Die Jenaer Germanistik Institutsstruktur nach Abteilungen nach 1945 Institutioneller Aufbau Ende der 1940er / Anfang der 1950er Jahre

Abteilung für Thüringische Mundarten

Seminar für Sprechkunde

Abteilung für Nationalliteraturen

Nordistische Abteilung

Theaterwissenschaftliche Abteilung

Abteilung für Buch- und Verlagswesen

Abteilung für Filmwissenschaften

Volkskundliche Abteilung

Niederlandistische Abteilung

Seminar für Deutsche und Allgemeine Literaturgeschichte

Seminar für Deutsche und Altdeutsche Sprache

Institutioneller Aufbau im Jahr 1962 Abteilung Germanische und deutsche Philologie

Abteilung Neuere deutsche Literatur

Abteilung Neueste deutsche Literatur sowie Forschungskollektiv „Literatur des 20. Jahrhunderts“

Abteilung Theatergeschichte

Leitung: H. Mettke

Leitung: J. Müller

Leitung: H. Kaufmann

Leitung: H. Brandt

Grafik VII Institutsaufbau nach Abteilungen in der Jenaer Germanistik nach 1945

449

Anhang

Die Leipziger Germanistik Institutsstruktur nach Abteilungen nach 1945 Institutioneller Aufbau 1949 / 50 Neudeutsche Abteilung

Altdeutsche Abteilung

Abteilung für Englische Sprache und Literatur

Leitung: H. A. Korff

Leitung: T. Frings

Leitung: W. Martin

Unterabteilung: Nordistik

Unterabteilung: Niederlandistik

Leitung: W. Baetke

Leitung: L. E. Schmitt

Institutioneller Aufbau nach der II. Hochschulreform 1951 Neudeutsche Abteilung

Altdeutsche Abteilung

Abteilung für Englische Sprache und Literatur

Abteilung für Geschichte der Nationalliteraturen

Leitung: H. A. Korff

Leitung: T. Frings

Leitung: W. Martin

Leitung: H. Mayer

Unterabteilung: Nordistik

Unterabteilung: Niederlandistik

Leitung: W. Baetke

Leitung: L. E. Schmitt

Sprechkunde, gelehrt durch Lektoren

Institutioneller Aufbau nach der Teilung des Instituts 1956 Institut für Deutsche und Germanische Philologie

Institut für Deutsche Literaturgeschichte

Abteilung für Anglistik und Amerikanistik

Leitung: T. Frings

Leitung: H. Mayer

Leitung: W. Martin

1) Abteilung für Deutsche Philologie

1) Abteilung für Neuere deutsche Literatur

1) Abteilung Anglistik

2) Abteilung für Nordische Philologie

2) Abteilung für Neueste deutsche Literatur

3) Abteilung für Niederländische Philologie

3) Abteilung für Außerdeutsche Literatur

2) Abteilung Amerikanistik

Grafik VIII Institutsaufbau nach Abteilungen in der Leipziger Germanistik nach 1945

450

Anhang

Die Berliner Germanistik Institutsstruktur nach Abteilungen nach 1945 Institutioneller Aufbau Ende der 1940er Jahre Abteilung Germanische und deutsche Philologie

Abteilung Neuere deutsche Literatur

Leitung: W. Simon

Leitung: H. Kunisch

Institutioneller Aufbau im Jahr 1956 Abteilung Germanische und deutsche Philologie

Abteilung Neuere deutsche Literatur

Abteilung Neueste deutsche Literatur und Gegenwartsliteratur

Leitung: W. Simon

Leitung: L. Magon

Leitung: A. Kantorowicz

Abteilung Sprechkunde, gelehrt durch Lektoren

in Personalunion Abteilung Theaterwissenschaften

Abteilung Nordische Philologie

Grafik IX Institutsaufbau nach Abteilungen in der Berliner Germanistik nach 1945

39

45

Arthur Hübner (1927–1937) Ordinarius für Ältere deutsche Philologie in Berlin

André Jolles (1919–1945) Extraordinarius für Niederlandistik in Leipzig

Marineleutnant

Kaufmann

Journalist und jüdisch Schriftsteller

54

Max Herrmann (1919–1933) Extraordinarius für Deutsche Philologie in Berlin

evangelisch-reformiert

evangelisch

katholisch

Buchbinder

41

evangelisch

Theodor Frings (1927–1957) Ordinarius für Ältere deutsche Philologie in Leipzig

Alter bei Berufung

Byzantinikprofessor

Beruf des Vaters

39

Konfession

Helmut de Boor (1926–1930) Extraordinarius für Nordistik in Leipzig

Geschlecht m

m

m

m

m

×



×





Politisches Engagement

Habilitation zum Zeitpunkt der Berufung ×

×

×

×

×

nach Tod von G. Roethe

nach Tod von L. Geiger

nach Wegberufung von F. Neumann

nach Emeritierung von E. Mogk

Regulär (nach natürlichen oder akademischen Abgängen)

Neuschaffung der Stelle

Irregulär (nach disziplinarischen o. politisch motivierten Abgängen sowie nach Neugründungen)

Zustandekommen der Vakanz

Dauer des Verfahrens Unüblich schnell

Berufungsverfahren

×

×

×

×

×

Normal zügig

Name, Wirkungszeitraum, Soziale, akademische und politische Faktoren Status und Fachbereich, Berufungsort

Unüblich langwierig

Berufungen in der Weimarer Republik

×

×

×

×

×

Spannungsarm (Vorschlag der Fakultät)

Spannungsreich (Kandidat des Ministeriums vs. Vorschlag der Fakultät)

Konfliktpotential des Verfahrens

Anhang

451

Petroleumfabrikant

Gymnasialprofessor

37

56

63

69

Hermann August Korff (1925–1954) Ordinarius für Neuere deutsche Philologie in Leipzig

Albert Leitzmann (1923–1930) Extraordinarius für Deutsche Philologie in Jena

Albert Leitzmann (1930–1935) Ordinarius für Deutsche Philologie in Jena

Eugen Mogk (1923–1926) Extraordinarius für Nordistik in Leipzig

evangelisch-lutherisch

evangelisch-lutherisch

evangelisch-lutherisch

m

m

m

m

m

Konfession evangelisch-lutherisch

Geschlecht

Tuchfabrikant evangelisch

Gymnasialprofessor

Kontrollbeamter der Straßenbahn

Alter bei Berufung

37

Beruf des Vaters

Fritz Karg (1929–1934) Extraordinarius für Deutsche Philologie und Volkskunde in Leipzig











Politisches Engagement

Habilitation zum Zeitpunkt der Berufung ×

×

×

×

×

nach Tod von V. Michels

nach Tod von A. Köster

nach Wegberufung von J. Schwietering

Regulär (nach natürlichen oder akademischen Abgängen)

Neuschaffung der Stelle

Wiederbesetzung nach mehrjähriger Vakanz

Irregulär (nach disziplinarischen o. politisch motivierten Abgängen sowie nach Neugründungen)

Dauer des Verfahrens Unüblich schnell

Zustandekommen der Vakanz

×

×

×

Normal zügig

Berufungsverfahren

×

×

Unüblich langwierig

Name, Wirkungszeitraum, Soziale, akademische und politische Faktoren Status und Fachbereich, Berufungsort

×

×

×

Spannungsarm (Vorschlag der Fakultät)

×

×

Spannungsreich (Kandidat des Ministeriums vs. Vorschlag der Fakultät)

Konfliktpotential des Verfahrens

452 Anhang

41

32

33

42

26

Friedrich Neumann (1921–1922) Extraordinarius für Deutsche Philologie in Leipzig

Friedrich Neumann (1922–1927) Ordinarius für Deutsche Philologie in Leipzig

Julius Petersen (1920–1941) Ordinarius für Neuere deutsche Philologie in Berlin

Konstantin Reichardt (1930–1937) Extraordinarius für Nordistik in Leipzig

Alter bei Berufung

Gustav Neckel (1919–1940) Ordinarius für Nordistik in Berlin

Konfession

Beruf des Vaters

Kaufmann

Reichsgerichtsrat

Königlicher Obergärtner

Königlicher Obergärtner

evangelisch

evangelisch-lutherisch

evangelisch-reformiert

evangelisch-reformiert

Fabrikbesitzer evangelisch und Kaufmann

Geschlecht m

m

m

m

m











Politisches Engagement

Habilitation zum Zeitpunkt der Berufung –

×

×

×

×

nach Wegberufung von H. Kuhn

nach Emeritierung von E. Sievers

nach Ausscheiden von G. Holz

nach Weggang von A. Heusler

Regulär (nach natürlichen oder akademischen Abgängen)

Wiederbesetzung nach mehrjähriger Vakanz

Irregulär (nach disziplinarischen o. politisch motivierten Abgängen sowie nach Neugründungen)

Dauer des Verfahrens

×

Unüblich schnell

Zustandekommen der Vakanz

×

×

×

Normal zügig

Berufungsverfahren

×

Unüblich langwierig

Name, Wirkungszeitraum, Soziale, akademische und politische Faktoren Status und Fachbereich, Berufungsort

×

×

×

×

Spannungsarm (Vorschlag der Fakultät)

×

Spannungsreich (Kandidat des Ministeriums vs. Vorschlag der Fakultät)

Konfliktpotential des Verfahrens

Anhang

453

Pastor

Kaufmann

40

56

Julius Schwietering (1924–1928) Extraordinarius für Deutsche Philologie in Leipzig

Georg Witkowski (1919–1933) Extraordinarius für Deutsche Philologie in Leipzig

Konfession evangelisch getauft / jüdischer Herkunft

evangelisch

evangelisch getauft / jüdischer Herkunft

Geschlecht m

m

m





×

×

×

×

Habilitation zum Zeitpunkt der Berufung nach Ausscheiden von K. von Bahder

nach Wegberufung von F. Neumann

Regulär (nach natürlichen oder akademischen Abgängen)

Neuschaffung der Stelle

Irregulär (nach disziplinarischen o. politisch motivierten Abgängen sowie nach Neugründungen)

×

×

×

×

Spannungsarm (Vorschlag der Fakultät)

×

×

Spannungsreich (Kandidat des Ministeriums vs. Vorschlag der Fakultät)

Konfliktpotential des Verfahrens

Tabelle I Übersicht über die Berufungsverfahren an den Germanistischen Instituten in Leipzig, Berlin und Jena während der Weimarer Republik (in alphabetischer Reihenfolge)

Apotheker

Alter bei Berufung

43

Beruf des Vaters

Werner Richter (1932–1933) Ordinarius für Deutsche Philologie in Berlin

Politisches Engagement

Dauer des Verfahrens Unüblich schnell

Zustandekommen der Vakanz Normal zügig

Berufungsverfahren

Unüblich langwierig

Name, Wirkungszeitraum, Soziale, akademische und politische Faktoren Status und Fachbereich, Berufungsort

454 Anhang

34

34

35

58

47

Gerhard Fricke (1935–1936) Extraordinarius für Deutsche Philologie in Berlin

Alfred Hübner (1934–1935) Extraordinarius für Deutsche Philologie in Leipzig

Hans Knudsen (1944–1945) Extraordinarius für Theaterwissenschaften in Berlin

Franz Koch (1935–1945) Ordinarius für Deutsche Philologie und Neuere deutsche Literaturgeschichte in Berlin

Alter bei Berufung

Gerhard Cordes (1942–1945) Ordinarius für Deutsche Philologie, insb. Niederdeutsche Philologie in Berlin

Beruf des Vaters

Hotelbesitzer

Städtischer Rendant

Bauer

Pfarrer

Volksschullehrer

Konfession katholisch getauft, später konfessionslos

evangelisch

evangelisch

evangelisch

evangelischlutherisch

Geschlecht m

m

m

m

m

×

×

×

×

×

„arisch“ und „politisch loyal“ Habilitation zum Zeitpunkt der Berufung ×



×

×

×

nach Wegberufung von G. Fricke

Regulär (nach natürlichen oder akademischen Abgängen)

Neuschaffung der Stelle

Umwidmung der Stelle

nach Entlassung von M. Herrmann nach BBG

Neuschaffung der Stelle

Irregulär (nach disziplinarischen o. politisch motivierten Abgängen sowie nach Neugründungen)

Zustandekommen der Vakanz

Berufungsverfahren Dauer des Verfahrens

×

Unüblich schnell

Soziale, akademische und politische Faktoren

×

×

Normal zügig

Name, Wirkungszeitraum, Status und Fachbereich, Berufungsort

×

×

Unüblich langwierig

Berufungen im Dritten Reich

×

×

×

×

Spannungsarm (Vorschlag der Fakultät)

×

Spannungsreich (Kandidat des REM vs. Vorschlag der Fakultät)

Konfliktpotential des Verfahrens

Anhang

455

Gymnasialprofessor

42

45

37

32

Hans Kuhn (1941–1945) Ordinarius für Nordistik in Berlin

Bernhard Kummer (1942–1945) Ordinarius für Nordistik in Jena

Hans Pyritz (1942–1945) Ordinarius für Neuere deutsche Literaturgeschichte in Berlin

Bruno Schier (1934–1945) Ordinarius für Volkskunde in Leipzig

Wagnerhandwerker

Oberpostsekretär

Kaufmann

Gymnasialprofessor

Alter bei Berufung

39

Beruf des Vaters

Hans Kuhn (1938–1941) Extraordinarius für Nordistik in Leipzig

Konfession katholisch

evangelisch

getauft, später konfessionslos

evangelisch

evangelisch

Geschlecht m

m

m

m

m

×

×

×

×

×

„arisch“ und „politisch loyal“ Habilitation zum Zeitpunkt der Berufung ×

×



×

×

nach Tod von J. Petersen

nach Tod von G. Neckel

Regulär (nach natürlichen oder akademischen Abgängen)

nach Disziplinarverfahren gegen F. Karg

Neuschaffung der Stelle

nach Kündigung durch K. Reichardt

Irregulär (nach disziplinarischen o. politisch motivierten Abgängen sowie nach Neugründungen)

Zustandekommen der Vakanz

Dauer des Verfahrens Unüblich schnell

Berufungsverfahren

×

×

×

×

Normal zügig

Soziale, akademische und politische Faktoren

×

Unüblich langwierig

Name, Wirkungszeitraum, Status und Fachbereich, Berufungsort

×

×

×

×

Spannungsarm (Vorschlag der Fakultät)

×

Spannungsreich (Kandidat des REM vs. Vorschlag der Fakultät)

Konfliktpotential des Verfahrens

456 Anhang

45

32

Carl Wesle (1935–1945) Ordinarius für Deutsche Philologie in Jena

Arthur Witte (1933–1945) Extraordinarius für Deutsche Philologie und Volkskunde in Jena

Beruf des Vaters

Marinewerkmeister

Rechnungsrat

Pastor

Konfession evangelisch

katholisch

evangelisch

Geschlecht m

m

m

×

×

×

×

×

×

Habilitation zum Zeitpunkt der Berufung nach Emeritierung von A. Leitzmann

nach Tod von A. Hübner

Regulär (nach natürlichen oder akademischen Abgängen)

Besetzung der Stelle nach mehrjähriger Vakanz

Irregulär (nach disziplinarischen o. politisch motivierten Abgängen sowie nach Neugründungen)

Dauer des Verfahrens

×

×

×

×

×

Spannungsarm (Vorschlag der Fakultät)

×

Spannungsreich (Kandidat des REM vs. Vorschlag der Fakultät)

Konfliktpotential des Verfahrens

Tabelle II Übersicht über die Berufungsverfahren an den Germanistischen Instituten in Leipzig, Berlin und Jena während des Dritten Reichs (in alphabetischer Reihenfolge)

54

Alter bei Berufung

Julius Schwietering (1938–1945) Ordinarius für Ältere deutsche Philologie in Berlin

„arisch“ und „politisch loyal“

Zustandekommen der Vakanz Unüblich schnell

Berufungsverfahren

Normal zügig

Soziale, akademische und politische Faktoren

Unüblich langwierig

Name, Wirkungszeitraum, Status und Fachbereich, Berufungsort

Anhang

457

Universitäsprofessor

49

44

50

Henrik Becker (1951–1956) Professor für Deutsche Philologie in Jena

Martin Greiner (1948–1952) Professor mit vollem Lehrauftrag für Neuere Deutsche Sprache und Literatur in Leipzig

Alfred Kantorowicz (1949–1956) Professor für Neueste deutsche Literatur in Berlin

Kaufmann

Notenstecher

Polizist

Alter bei Berufung

62

Beruf des Vaters

Walter Baetke (1946–1955) Ordinarius für Nordische Philologie in Leipzig

Konfession jüdisch

evangelisch-lutherisch

evangelischlutherisch; später konfessionslos

evangelisch

Geschlecht m

m

m

m

×



×

×

Politisches Engagement –

×

×

×

×

Regulär (nach natürlichen oder akademischen Abgängen)

nach „Republikflucht“

nach Entlassung von A. Hübner

nach mehrjähriger Vakanz

Irregulär (nach disziplinarischen o. politisch motivierten Abgängen sowie nach Neugründungen)

Zustandekommen der Vakanz

Dauer des Verfahrens Unüblich schnell

Berufungsverfahren

×

×

×

×

Normal zügig

Soziale, akademische und politische Faktoren

Unüblich langwierig

Name, Wirkungszeitraum, Status und Fachbereich, Berufungsort Habilitation zum Zeitpunkt der Berufung

Berufungen in der SBZ / DDR (die „Gründergeneration“)

×

×

Spannungsarm (Vorschlag der Fakultät)

×

×

Spannungsreich (Kandidat der DVV vs. Vorschlag der Fakultät)

Konfliktpotential des Verfahrens

458 Anhang

Lokomotivführer

Kaufmann

47

62

43

Hermann Kunisch (1946–1948) Ordinarius für Deutsche Philologie in Berlin

Leopold Magon (1949–1955) Ordentlicher Professor für Neuere Deutsche und Nordische Philologie sowie Theaterwissenschaft in Berlin

Hans Mayer (1948–1963) Ordentlicher Professor für Kultursoziologie, Nationalliteraturen und deutsche Literaturgeschichte in Leipzig

Kaufmann

Ingenieur und Fabrikbesitzer

Alter bei Berufung

66

Beruf des Vaters

Elisabeth Karg-Gasterstädt (1952–1955) Professorin mit vollem Lehrauftrag für Deutsche Philologie in Leipzig

jüdisch, später konfessionslos

katholisch

m

m

m

w

Konfession katholisch

Geschlecht

evangelisch-lutherisch

×







Politisches Engagement

Habilitation zum Zeitpunkt der Berufung ×

×

×



Regulär (nach natürlichen oder akademischen Abgängen)

Neuschaffung der Stelle

nach „Republikflucht“

nach Entlassung von H. Pyritz

Neuschaffung der Stelle

Irregulär (nach disziplinarischen o. politisch motivierten Abgängen sowie nach Neugründungen)

Zustandekommen der Vakanz

Dauer des Verfahrens Unüblich schnell

Berufungsverfahren

×

×

×

×

Normal zügig

Soziale, akademische und politische Faktoren

Unüblich langwierig

Name, Wirkungszeitraum, Status und Fachbereich, Berufungsort

×

×

×

Spannungsarm (Vorschlag der Fakultät)

×

Spannungsreich (Kandidat der DVV vs. Vorschlag der Fakultät)

Konfliktpotential des Verfahrens

Anhang

459

Kaufmann

Bergarbeiter und Eisenbahnschaffner

Volksschullehrer

Alter bei Berufung

45

39

57

46

Ludwig Erich Schmitt (1947–1953) Extraordinarius für Deutsche und niederländische Philologie in Leipzig

Gerhard Scholz (1960–1968) Professor mit Lehrstuhl für Nordistik in Berlin

Werner Simon (1946–1955) Professor mit vollem Lehrauftrag, seit 1949 mit Lehrstuhl für Germanische Philologie in Berlin

Reichsbankrat

Beruf des Vaters

Joachim Müller (1951–1971) Professor mit Lehrauftrag, später mit Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur in Jena

evangelisch

evangelisch-lutherisch

m

m

m

evangelisch-reformiert

Konfession

m

Geschlecht

evangelisch



×



×

Politisches Engagement

Habilitation zum Zeitpunkt der Berufung –



×



×

Regulär (nach natürlichen oder akademischen Abgängen)

nach Weggang von J. Schwietering

Neuschaffung der Stelle

nach Entlassung von A. Jolles

Irregulär (nach disziplinarischen o. politisch motivierten Abgängen sowie nach Neugründungen)

Zustandekommen der Vakanz

Dauer des Verfahrens Unüblich schnell

Berufungsverfahren

×

×

×

×

Normal zügig

Soziale, akademische und politische Faktoren

Unüblich langwierig

Name, Wirkungszeitraum, Status und Fachbereich, Berufungsort

×

×

×

Spannungsarm (Vorschlag der Fakultät)

×

Spannungsreich (Kandidat der DVV vs. Vorschlag der Fakultät)

Konfliktpotential des Verfahrens

460 Anhang

Kaufmann

55

64

Fritz Tschirch (1956–1958) Professor für Deutsche Philologie in Jena

Albert Malte Wagner (1950–1951) Professor mit Lehrstuhl für Deutsche Sprache und Literatur in Jena

Konfession jüdisch

evangelisch

evangelisch

evangelisch

Geschlecht m

m

m

m

×









×

×

×

Habilitation zum Zeitpunkt der Berufung

×

×

×

×

Regulär (nach natürlichen oder akademischen Abgängen)

Irregulär (nach disziplinarischen o. politisch motivierten Abgängen sowie nach Neugründungen)

Dauer des Verfahrens

×

×

×

×

×

×

×

Spannungsarm (Vorschlag der Fakultät)

×

Spannungsreich (Kandidat der DVV vs. Vorschlag der Fakultät)

Konfliktpotential des Verfahrens

Tabelle III Übersicht über die Berufungsverfahren an den Germanistischen Instituten in Leipzig, Berlin und Jena während der SBZ/DDR (in alphabetischer Reihenfolge)

Kaufmann

Kaufmann

35

Kaufmann

Heinz Stolte (1949–1950) Ordinarius für Deutsche Philologie in Berlin

Alter bei Berufung

32

Beruf des Vaters

Heinz Stolte (1946–1949) Extraordinarius für Deutsche Philologie in Jena

Politisches Engagement

Zustandekommen der Vakanz Unüblich schnell

Berufungsverfahren

Normal zügig

Soziale, akademische und politische Faktoren

Unüblich langwierig

Name, Wirkungszeitraum, Status und Fachbereich, Berufungsort

Anhang

461

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ABBAW ABF ao. Prof. apl. Prof. APuZ ASAW BArch BBG BDC BDM Bl. BStU Coll. DA DAW DDP Diss. masch. DLA DNVP Doz. DVV em. FDGB FDJ FSU FU GI HJ HUB HZ IASL IfZ JbUG KMU

Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Arbeiter-und-Bauern-Fakultät außerordentlicher Professor außerplanmäßiger Professor Aus Politik und Zeitgeschichte Archiv der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Bundesarchiv Berlin Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums Berlin-Document-Center Bund Deutscher Mädel Blatt Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Collection Deutsche Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin Deutsche Demokratische Partei unveröffentlichte Dissertation Deutsches Literaturarchiv (Marbach) Deutschnationale Volkspartei Dozent Deutsche Verwaltung für Volksbildung emeritiert Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Friedrich-Schiller-Universität (Jena) Freie Universität (Berlin) Geheimer Informant Hitlerjugend Humboldt-Universität zu Berlin Historische Zeitschrift Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur Institut für Zeitgeschichte (München) Jahrbuch für Universitätsgeschichte Karl-Marx-Universität (Leipzig)

464 LDPD MfS MfV NDPD NL NSDAP NSDB NSDStB NSF NSLB NSV NTM o. D. o. Prof. o. V. PA PD Pg. Phil. Fak. plm. Prof. REM RM SA SächsHStA SächsStA SAW SBZ SD SED SMAD SS TH UAL UAJ UA der HUB UB UBL UJ UL ungedr. unpag. VnJ ZfdB ZfDk ZfG ZK

Abkürzungsverzeichnis

Liberal-Demokratische Partei Deutschlands Ministerium für Staatssicherheit Ministerium für Volksbildung National-Demokratische Partei Deutschlands Nachlass Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Dozentenbund Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund Nationalsozialistische Frauenschaft Nationalsozialistischer Lehrerbund Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin ohne Datum ordentlicher Professor ohne Verfasser Personalakte Privatdozent Parteigenosse Philosophische Fakultät planmäßiger Professor Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Reichsmark Sturmabteilung (der NSDAP) Sächsisches Hauptstaatsarchiv (Dresden) Sächsisches Staatsarchiv (Leipzig) Sächsische Akademie der Wissenschaften Sowjetische Besatzungszone Sicherheitsdienst (der SS) Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sowjetische Militäradministration in Deutschland Schutz-Staffel (der NSDAP) Technische Hochschule Universitätsarchiv Leipzig Universitätsarchiv Jena Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin Universität Berlin Universitätsbibliothek Leipzig Universität Jena Universität Leipzig ungedruckt unpaginiert Verband nationaldeutscher Juden Zeitschrift für deutsche Bildung Zeitschrift für Deutschkunde Zeitschrift für Geschichte Zentralkomitee

QUELLEN-UND LITERATURVERZEICHNIS 1. UNGEDRUCKTE QUELLEN Öffentliche Archive Universitätsarchiv Leipzig (UAL) R Rep. Phil. Fak. PA

Rektorat Rektor Bestand Philosophische Fakultät Personalakten

Universitätsarchiv Jena (UAJ) BA BB C D M S, Abt. II U, Abt. IV V, Abt. XXVII

Rektorat Rektorat 1945–1952 Kuratelarchiv Personalakten Philosophische Fakultät Institute, Germanistisches Institut NS-Dozentenbund, Gauleitung Thüringen Nachlass Joachim Müller

Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin (UA der HUB) Phil. Fak. Phil. Fak. nach 1945 UK Personalia NS-Doz. Rektorat und Senat

Philosophische Fakultät Philosophische Fakultät nach 1945 Personalakten NS-Dozentenschaft Rektorat und Senat

Bundesarchiv Berlin (BArch) R 4901 DR 3 DR 3 / B

Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Staatssekretariat für Hochschulwesen Staatssekretariat für Hochschulwesen, Berufungsakten

466

Quellen- und Literaturverzeichnis

Bundesarchiv Berlin, ehemaliges Berlin-Document-Center (BArch, BDC) SS-O Ahnenerbe PK REM RKK Z-Bestände

SS-Führerpersonalakten Ahnenerbe Partei-Kanzlei, Korrespondenz Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Reichskulturkammer Personenbezogene Unterlagen aus der Zeit des Dritten Reichs und der Entnazifizierung in der SBZ

Bundesarchiv Koblenz NL Hermann Aubin Nachlass Hermann Aubin Archiv der Bundesbeauftragen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Außenstelle Leipzig (BStU, MfS, BV Leipzig) AP, AS, A. Op.

Materialien zu ehemals in Sicherungsvorgängen erfassten Personen bzw. anderes allgemeines Material zu Personen

Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (SächsHStA Dresden) MfV

Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts

Sächsisches Staatsarchiv Leipzig (SächsStA Leipzig) SED-KL-KMU

SED-Kreisleitung, Karl-Marx-Universität Leipzig, 1946–1989

Universitätsbibliothek Leipzig (UBL), Sondersammlungen NL Elisabeth Karg-Gasterstädt NL Albert Köster NL Eugen Mogk NL Eduard Sievers

Nachlass Elisabeth Karg-Gasterstädt Nachlass Albert Köster Nachlass Eugen Mogk Nachlass Eduard Sievers

Archiv der Sächsischen Akademie der Wissenschaften (ASAW) Mitgliederakten 2.19

Mitgliederakten Reden und Ansprachen von Theodor Frings, 1933–1956 (unveröffentlichte Manuskripte)

Institut für Zeitgeschichte München (IfZ) ZS 1814, 3079/62

Ausführungen von Professor Theodor Litt zum Thema „Die Haltung der Hochschulen im Dritten Reich“, Gespräch mit Helmut Heiber vom 1. Dezember 1960

Quellen- und Literaturverzeichnis Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (ABBAW) Akademieleitung Akademieleitung, Personalia 113 und 114 NL Theodor Frings Nachlass Theodor Frings Deutsches Literaturarchiv Marbach (DLA) NL Richard Alewyn NL Fritz Martini NL Julius Petersen NL Ella Petersen Kippenberg-Archiv

Nachlass Richard Alewyn Nachlass Fritz Martini Nachlass Julius Petersen Nachlass Ella Petersen Kippenberg-Archiv

Universitätsarchiv Gießen PA Phil. 15

Personalakte Hermann August Korff

Pusey Library, Harvard University, Cambridge / Massachusetts Collection Karl Viëtor Collection Departement of Germanic Languages and Literatur Rare Book and Manuscript Library, Columbia University of New York (RBML) Frederick W. Heuser Collection Collection Deutsches Haus (1911–1975) University Archives and Columbiana Library, Columbia University of New York Collection Central Files, Nr. 349 Collection Central Files, Nr. 345 Collection Germanic Languages Departement, Nr. 1 Private Nachlass- und Quellenbestände von Malte Korff (Sohn von Hermann August Korff) Vortragsmanuskripte von Hermann August Korff, Glückwunschschreiben zu Korffs 75. Geburtstag, Memoiren Korffs von Annelies Plätzsch (studierte in den 1940er Jahren in Leipzig Anglistik und Germanistik) Studienbuch von Renate Pauli (studierte in den 1950er Jahren in Leipzig Germanistik) Vorlesungsmitschriften Aufstellungen über die Zusammensetzung der Studiengruppen im Jahr 1952

467

468

Quellen- und Literaturverzeichnis

2. ZEITZEUGENGESPRÄCHE 1. Gespräch mit Dr. Christiane Agricola im März 2007 in Markkleeberg. 2. Gespräch mit Prof. Manfred Bierwisch im Juli 2008 in Berlin. 3. Gespräch mit Prof. Rudolf Große im Mai 2008 in Leipzig. 4. Gespräch mit Malte Korff im Juli 2005 in Leipzig. 5. Telefonisches Gespräch und schriftliche Auskunft von Dr. Herbert Hupka im März 2003. 6. Gespräch mit Prof. Gotthard Lerchner im Juni 2008 in Leipzig. 7. Telefonisches Gespräch mit Dr. Marianne Meyer-Krahmer im März 2003. 8. Gespräch mit Prof. Walter Müller-Seidel im März 2003 in Weimar. 9. Gespräche mit Renate Pauli im Juli und November 2007 sowie im Februar 2008. 10. Gespräch mit Dr. Annelies Plätzsch im Dezember 2006 in Leipzig.

3. GEDRUCKTE QUELLEN UND SEKUNDÄRLITERATUR 100 Jahre Germanisches Seminar in Berlin, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Gesellschaftswissenschaftliche Reihe 36 (1987), H. 9. Adam, Holger, Einhundert Jahre „Euphorion“. Wissenschaftsgeschichte im Spiegel einer germanischen Fachzeitschrift, in: Euphorion 88 (1994), S. 1–72. Almgren, Birgitta, Germanistik und Nationalsozialismus: Affirmation, Konflikt und Protest. Traditionsfelder und zeitgebundene Wertung in Sprach- und Literaturwissenschaft am Beispiel der Germanisch-Romanischen Monatszeitschrift 1929–1943, Stockholm 1993. Andersson, Theodore M., Konstantin Reichardt, in: Internationales Germanistenlexikon, S. 1475–1477. Ash, Mitchell G., Verordnete Umbrüche, Konstruierte Kontinuitäten: Zur Entnazifizierung von Wissenschaftlern und Wissenschaften nach 1945, in: ZfG 43 (1995), S. 903–923. Ash, Mitchell G., 1933, 1945, 1989. Drei Bruchstellen in der Geschichte der deutschen Universitäten, in: A. Söllner / R. Walkenhaus (Hrsg.), Ostprofile, S. 212–238. Ash, Mitchell G. (Hrsg.), Mythos Humboldt. Vergangenheit und Zukunft der deutschen Universitäten, Wien / Köln / Weimar 1999. Ash, Mitchell G., Räume des Wissens – was und wo sind sie? Einleitung in das Thema, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 23 (2000), H. 3, S. 235–242. Ash, Mitchell G., Wissenschaftswandlungen und politische Umbrüche im 20. Jahrhundert – was hatten sie miteinander zu tun?, in: R. vom Bruch / U. Gerhardt / A. Pawliczek (Hrsg.), Kontinuitäten und Diskontinuitäten, S. 19–38. Ash, Mitchell G., Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus [Sammelbesprechung], in: N. T. M. 18 (2010), S. 79–118. Aubin, Hermann / Theodor Frings / Josef Müller (Hrsg.), Kulturströmungen und Kulturprovinzen in den Rheinlanden. Geschichte – Sprache – Volkskunde, Bonn 1926.

Quellen- und Literaturverzeichnis

469

Aubin, Hermann / Theodor Frings, Vorwort, in: Dies. / J. Müller (Hrsg.), Kulturströmungen und Kulturprovinzen in den Rheinlanden, S. III–IX. Aubin, Hermann, Zu den Schriften Erich Keysers, in: E. Bahr (Hrsg.), Studien zur Geschichte des Preußenlandes, S. 1–11. Auer, Peter / Jürgen Erich Schmidt (Hrsg.), Language and Space. An International Handbook of Linguistic Variation. Theories and Methods, Berlin / New York 2010. Bach, Ingo, „Der Führer gab neuerdings Weisung, die Verleihung von Ehrenpromotionen solle so sparsam wie möglich erfolgen“. Verleihung und Aberkennung des Titels „Doktor ehrenhalber“ als Spiegel nationalsozialistischer Hochschulpolitik, in: W. Buchholz (Hrsg.), Die Universität Greifswald, S. 309–336. Bachofer, Wolfgang / Wolfgang Beck, Deutsche und niederdeutsche Philologie. Das Germanische Seminar zwischen 1933 und 1945, in: E. Krause / L. Huber / H. Fischer (Hrsg.), Hochschulalltag im „Dritten Reich“, S. 641–704. Bagus, Anita, Volkskultur in der bildungsbürgerlichen Welt. Zum Institutionalisierungsprozess wissenschaftlicher Volkskunde im wilhelminischen Kaiserreich am Beispiel der Hessischen Vereinigung für Volkskunde, Gießen 2005. Bahner, Werner, Theodor Frings. Mitglied und Präsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, in: R. Große (Hrsg.), Sprache in der sozialen und kulturellen Entwicklung, S. 11–19. Bahr, Ernst (Hrsg.), Studien zur Geschichte des Preußenlandes. Festschrift für Erich Keysers 70. Geburtstag, Marburg 1963. Barner, Wilfried, Zwischen Gravitation und Opposition. Philologie in der Epoche der Geistesgeschichte, in: C. König / E. Lämmert (Hrsg.), Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, S. 201–231. Barner, Wilfried / Christoph König (Hrsg.), Zeitenwechsel. Germanistische Literaturwissenschaft vor und nach 1945, Frankfurt am Main 1996. Barner, Wilfried (Hrsg.), Pioniere, Schulen, Pluralismus. Studien zu Geschichte und Theorie der Literaturwissenschaft, Tübingen 1997. Barner, Wilfried, Jüdische Goetheverehrung vor 1933, in: Ders. (Hrsg.), Pioniere, Schulen, Pluralismus, S. 129–152. Barner, Wilfried / Christoph König (Hrsg.), Jüdische Intellektuelle und die Philologien in Deutschland 1871–1933, Göttingen 2001. Bartels, Adolf, Die deutsche Dichtung der Gegenwart. Die Jungen und die Alten. Eine literaturgeschichtliche Studie, Leipzig 1897. Bartels, Adolf, Geschichte der deutschen Literatur, 2 Bde., Leipzig 1901 und 1902. Bartels, Adolf, Heinrich Heine. Auch ein Denkmal, Dresden 1906. Bartels, Adolf, Rasse und Volkstum. Gesammelte Aufsätze zur nationalen Weltanschauung, Weimar 1920. Bartels, Adolf, Jüdische Herkunft und Literaturwissenschaft. Eine gründliche Erörterung, Leipzig 1925. Bauer, Markus, Hermann August Korff, in: Internationales Germanistenlexikon, S. 987–989. Bauer, Uwe / Karin Gradwohl-Schlacher u. a. (Hrsg.), Macht Literatur Krieg. Österreichische Literatur im Nationalsozialismus, Wien / Köln / Weimar 1998. Baumgarten, Marita, Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, Göttingen 1997. Bausinger, Hermann, Volksideologie und Volksforschung, in: A. Flitner (Hrsg.), Deutsches Geistesleben und Nationalsozialismus, S. 125–143. Bausinger, Hermann, Volkskunde. Von der Altertumsforschung zur Kulturanalyse, Tübingen 1987. Becker, Heinrich / Hans Joachim Dahns / Cornelia Wegeler (Hrsg.), Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus, München 1998. Becker, Henrik, Vom Lesen des Mittelalters. Die Gedichte aus dem Sagenkreis der Nibelungen und Dietrichs von Bern in Urteil und Wertung ihrer Zeitgenossen, Leipzig 1923.

470

Quellen- und Literaturverzeichnis

Benjamin, Walter, Literaturgeschichte und Literaturwissenschaft [in: Literarische Welt vom 17. April 1931], in: G. Reiß (Hrsg.), Materialien zur Ideologiegeschichte der deutschen Literaturwissenschaft, S. 66–72. Bentfeld, Anne / Walter Delabar (Hrsg.), Perspektiven der Germanistik. Neueste Ansichten zu einem alten Problem, Opladen 1997. Benz, Wolfgang, Die jüdische Emigration, in: C.-D. Krohn u. a. (Hrsg.), Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945, Sp. 5–16. Benz, Wolfgang (Hrsg.), Deutschland unter alliierter Besatzung 1945–1949 / 55, Berlin 1999. Benz, Wolfgang, Was ist Antisemitismus?, München 2004. Berbig, Roland, „Poesieprofessor” und „literarischer Ehrabschneider”. Der Berliner Literaturhistoriker Richard M. Meyer. Mit Dokumenten, in: Berliner Hefte zur Geschichte des literarischen Lebens 1 (1996), H. 1, S. 37–99. Berding, Helmut (Hrsg.), Nationales Bewußtsein und kollektive Identität, Frankfurt am Main 1994. Berg, Nicolas / Arndt Engelhardt / Anna Lux, Jüdische Teilhabe und antisemitischer Ausschluss – Zum Problem des Konzepts „Nationalliteratur“ am Beispiel der Leipziger Germanistik, in: S. Wendehorst (Hrsg.), Bausteine einer jüdischen Geschichte der Universität Leipzig, S. 389– 423. Bergeler, Alfred, Arthur Hübner. Worte des Gedenkens bei der Trauerfeier am 7. Mai 1937, in: Das Germanische Seminar in Berlin / Festschrift, S. 36–39. Bernhard Kummer zum Gedächtnis, hrsg. von Mitarbeitern der Zeitschrift Forschungsfragen unserer Zeit, Zeven 1963. Bernsmeier, Helmut, Der Deutsche Sprachverein im Dritten Reich, in: Muttersprache 93 (1983), S. 35–58. Besch, Werner u. a. (Hrsg.), Dialektologie. Ein Handbuch zur deutschen und allgemeinen Dialektforschung, Berlin / New York 1982. Bessel, Richard / Ralph Jessen (Hrsg.), Die Grenzen der Diktatur. Staat und Gesellschaft in der DDR, Göttingen 1996. Bey, Gesine (Hrsg.), Berliner Universität und deutsche Literaturgeschichte. Studien im Dreiländereck von Wissenschaft, Literatur und Publizistik, Frankfurt am Main 1998. Bialas, Wolfgang, Vom unfreien Schweben zum freien Fall. Ostdeutsche Intellektuelle im gesellschaftlichen Umbruch, Frankfurt am Main 1996. Bierwisch, Manfred, Die Akademie der Wissenschaften der DDR. Fallbeispiel Sprachwissenschaft, in: J. Kocka (Hrsg.), Die Berliner Akademien der Wissenschaften, S. 173–184. Bierwisch, Manfred, Das Nibelungenlied. Geschichte einer Übersetzung, in: Das Nibelungenlied, S. 246–262. Birken-Bertsch, Hanno / Reinhard Markner, Rechtschreibreform und Nationalsozialismus, Göttingen 2000. Blasius, Dirk, Ehescheidungen in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1992. Boden, Petra, Julius Petersen – Ein Beitrag zur Geschichte der Berliner Germanistik, Diss. masch., Berlin 1984. Boden, Petra, Über Julius Petersens Konzept einer Philologie als Geistesgeschichte. Zum Beitrag von Wolfgang Höppner, in: C. König / E. Lämmert (Hrsg.), Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, S. 381–384. Boden, Petra / Bernhard Fischer, Der Germanist Julius Petersen (1878–1941). Bibliographie, systematisches Nachlassverzeichnis und Dokumentation, Marbach am Neckar 1994. Boden, Petra, Julius Petersen: Ein Wissenschaftsmanager auf dem Philologenthron, in: Euphorion 88 (1994), H. 1, S. 82–102. Boden, Petra / Holger Dainat (Hrsg.), Atta Troll tanzt noch. Selbstbesichtigungen der literaturwissenschaftlichen Germanistik im 20. Jahrhundert, Berlin 1997. Boden, Petra, Lesen aus Leidenschaft: Joachim Müller, in: Dies. / H. Dainat (Hrsg.), Atta Troll tanzt noch, S. 193–217.

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NAMENSREGISTER Abusch, Alexander (1902–1982) 160, 368, 371 Achelis, Hans (1885–1937) 340 Agricola, Christiane (1927–2009) 163 f., 396 Alewyn, Richard (1902–1979) 104 f., 107 f., 120, 165, 202–205, 216, 234 f., 313 Alt, Johannes (1896–?) 199, 202 Arndt, Erwin (geb. 1929) 178 Astel, Karl (1898–1945) 116, 249, 265 Aubin, Hermann (1885–1969) 327 f., 330–332, 334, 351, 404, 406 f., 413, 416 Bach, Anneliese (geb. 1919) 71 Badenhausen, Rolf (1907–1987) 118 Baechtold, Jakob (1848–1897) 91 Baesecke, Georg (1876–1951) 219, 360 Baetke, Walter (1884–1978) 74, 143, 147 f., 158, 280–282, 449, 458 Bahder, Karl von (1856–1932) 222, 290, 293, 454 Barke, Rosemarie (verh. Heise; Teilnehmerin am Scholz-Kurs 1950) 181 Bartels, Adolf (1862–1945) 35, 130, 132 f., 134, 135–138, 274–277, 358, 437 Bartmuß, Woldemar (1864–?) 134 Basler, Otto (1892–1975) 348 Baumer, Heinz (lehrte in Jena) 71 Baumgärtner, Klaus (1931–2003) 163 Bebermeyer, Gustav (1890–1975) 105 Becher, Johannes R. (1891–1958) 178 Beck, Werner (lehrte in Jena) 71 Becker, Carl Heinrich (1876–1933) 89, 95, 101, 225–227, 301, 411 Becker, Henrik (1902–1984) 68, 70–72, 164, 167–170, 283, 285, 307, 458 Becker, Wolfgang (lehrte in Leipzig) 74 Behrens, Fritz (1909–1980) 150 Beißner, Friedrich (1905–1977) 392 Beitl, Richard (1900–1982) 43, 64 Benjamin, Walter (1892–1940) 306 Benn, Gottfried (1886–1956) 172 Berend, Eduard (1883–1973) 271 Berendsohn, Walter (1884–1984) 202, 204 f. Bernays, Michael (1834–1897) 217 Bertram, Ernst (1884–1957) 115

Berve, Helmut (1896–1979) 130 Besch, Lutz (1918–2000) 55, 242 Bettmann, Ernst (1899–1988) 231 Betz, Werner (1912–1980) 369 Beutler, Ernst (1885–1960) 104 Bieberbach, Ludwig (1886–1982) 264 f. Bierwisch, Manfred (geb. 1930) 151, 163 Biese, Alfred (1865–1930) 136 Bischoff, Karl (1905–1983) 367 Bloch, Ernst (1885–1977) 150, 159, 161, 341, 403 Böckmann, Paul (1899–1987) 110 f., 116 Boeckh, Joachim Georg (1899–1968) 367 Boehm, Ernst (1877–1945) 342 Boehm, Max Hildebert (1891–1968) 330 f. Bondzio, Wilhelm (geb. 1926) 177 Bonhoeffer, Karl Friedrich (1899–1957) 232 Boor, Helmut de (1891–1976) 191 f., 200, 293 f., 300, 308, 443 Borchardt, Knut (Teilnehmer am Scholz-Kurs 1950) 181 Borinski, Karl (1861–1922) 257 Borowski, Bruno (1889–1945) 130 Brackert, Helmut (geb. 1932) 319 Braemer, Edith (1909–1969) 162, 179, 181 f. Brandenburg, Erich (1868–1946) 98, 232 Bräuer, Karl (1881–1964) 342 Brecht, Walther (1876–1950) 95, 98, 100, 202 Brinkmann, Hennig (1901–2000) 34–36, 53, 105, 198, 318, 323, 352, 369 f., 415, 442, 445 Broch, Hermann (1886–1951) 228 Brömse, Heinrich (Lehrbeauftragter für Niederdeutsch, Berlin) 240 Brüggemann, Fritz (1876–1945) 246, 383 Buch, Friedrich (1884–1946) 55 Buchner, Paul Ernst (1886–1978) 342 Buck, Wilhelm (1869–1945) 301 Burdach, Konrad (1859–1936) 37, 220 f., 382 f., 417 Cassirer, Ernst (1874–1945) 246 Castle, Eduard (1875–1959) 383 Clara, Max (1899–1966) 244

500

Namensregister

Clausz, Ludwig Ferdinand (1892–1974) 262 Cordes, Gerhard (1908–1985) 65 f., 114 f., 120, 240, 447, 455 Creizenach, Wilhelm (1851–1919) 91 Creuziger, Werner (Teilnehmer am Scholz-Kurs 1950) 181 Csaki, Richard (1886–1953) 331 Cysarz, Herbert (1896–1985) 98, 384 Dahnke, Hans-Dietrich (geb. 1929) 178 Deiters, Heinrich (1887–1966) 165, 365 Delbrück, Berthold (1842–1922) 32 Diederichs, Eugen (1867–1930) 35 Diersen, Inge (1927–1993) 177–179, 181, 183 Dietze, Rudolf (Literaturwissenschaftler; Teilnehmer am Scholz-Kurs 1950) 181 Dietze, Walter (1926–1987) 151, 223 Dilthey, Wilhelm (1833–1911) 93, 419 Dinger, Hugo (1865–1941) 55 Driesch, Hans (1867–1941) 336 Drugge, Gunnar (Lektor für Schwedisch, Jena) 35, 442 Duncker, Hermann (1874–1960) 365 Dymschitz, Alexander (1910–1975) 161 Ebert, Friedrich (1871–1925) 300, 304 Eckert, Horst (Teilnehmer am Scholz-Kurs 1950) 179, 181 Eigenbrodt, Wolrad (1860–1920) 35 Elster, Ernst (1860–1940) 91 f., 96 Emmel, Hildegard (1911–1996) 32, 183 Enders, Carl (1877–1963) 383 Engberg, August Lorenz (Lektor für Schwedisch, Jena) 35, 442 Engel, Eduard (1851–1938) 136 Enick, Sophie-Charlotte (studierte in Berlin Germanistik) 77 Eppe, Reinhard (Teilnehmer am Scholz-Kurs 1950) 181 Epping, Walter (1890–1971) 181 Erben, Johannes (geb. 1925) 78, 323, 352, 371, 414 Erkes, Eduard (1891–1958) 143, 358 f. Ermatinger, Emil (1873–1953) 98 Faulhaber, Michael von (1869–1952) 260 Fife, Robert Herndon (1871–1958) 392 Fink, Reinhard (1896–1968) 357 Fischer, Rudolf (1901–1971) 418 Flämig, Walter (1918–2009) 368 Flasdieck, Hermann Martin (1900–1962) 34, 370 Fleischer, Wolfgang (1922–1999) 159

Flemming, Willi (1888–1980) 98, 116 Fochler-Hauke, Gustav (1906–1996) 345, 350, 355, 357 Franck, Johannes (1854–1914) 324 Franze, Viktoria (verh. Schröder; Teilnehmerin am Scholz-Kurs 1950) 181 Frenzel, Walter (1892–1941) 200 Freyer, Hans (1887–1969) 61, 342 Frick, Wilhelm (1877–1946) 60 f. Fricke, Gerhard (1901–1980) 104 f., 108 f., 111, 123, 197, 199, 447, 455 Friedrich, Wolf (1908–1952) 56 f., 60, 214, 253 Frings, Dietmar (1919?–1941) 157, 324, 337, 341, 343 Frings, Joseph (1887–1978) 321 Frings, Theodor (1886–1968) 17 f., 22, 24, 34, 39, 41, 56 f., 59 f., 62 f., 73–76, 87, 107, 113, 125, 134–138, 141, 143–146, 148, 150–159, 163 f., 169, 177, 179 f., 184 f., 198, 200 f., 209 f., 229, 231, 244, 273–276, 278, 280–284, 290, 302 f., 306 f., 311, 314, 316–373, 385 f., 389 f., 394–397, 399–419, 432 f., 436, 438, 440, 443, 446, 449, 451 Gadamer, Hans-Georg (1900–2002) 137, 244, 250, 278, 343 Garbers, Karl (1898–1990) 355 Geerdts, Hans Jürgen (1922–1989) 183 Geiger, Ludwig (1848–1919)191 f., 219, 221 f., 290, 451 George, Stefan (1868–1933) 95, 97, 389, 427, 431 Geramb, Viktor (1884–1958) 331 Gerhard, Melitta (1891–1981) 202, 208, 211 Gerullis, Georg (1888–1953) 60, 258 Gesemann, Gerhard (1888–1948) 130 f. Giannoni, Karl (1867–1951) 331 Gierach, Erich (1881–1943) 113, 125, 128, 130, 146, 345 f., 349 Girnus, Wilhelm (1906–1985) 155, 163, 172 Gleißner, Käthe (1902–?) 358 Goebbels, Josef (1897–1945) 239, 254, 347 Goetz, Walter (1867–1958) 311 f. Goldschmidt-Jolles, Hendrika Jeltje (1903–?) 57, 194, 253, 274, 309 Golf, Arthur (1877–1941) 231, 336 Greil, Max (1877–1939) 300 Greiner, Martin (1904–1959) 74, 143, 147–153, 158, 163, 166, 169, 283–285, 391, 394, 438, 458 Griewank, Karl (1900–1953) 196 Grimme, Adolf (1889–1963) 229

Namensregister Groß, Walter (1904–1945) 102 Große, Rudolf (geb. 1924) 154, 156, 158, 323, 368, 372 Grosser, Irene (Teilnehmerin am Scholz-Kurs 1950) 181 Grotewohl, Otto (1894–1964) 371 Grümmer, Richard (1887–1966) 70 f. Gumbel, Hermann (1901–1941) 108–110 Gundolf, Friedrich (1880–1931) 89, 95–98, 301 Günther, Egon (geb. 1927) 329 f., 396 f., 399 f., 445 Günther, Hans F. K. (1891–1968) 116, 202, 264 f. Haas, Hans (1868–1934) 260, 407 Haase, Horst (geb. 1921) 161 f., 172, 370 f. Häckel, Manfred (geb. 1927) 181 Haenisch, Konrad (1876–1925) 95, 411 Hager, Kurt (1912–1998) 160 f., 172, 370 f. Hahn, Herbert (NSDStB-Funktionär) 56 f., 60 Halbach, Kurt Herbert (1902–1979) 355 Hamann, Karl (1903–1973) 365 Hankamer, Paul (1891–1945) 202 Harmjanz, Heinrich (1904–1994) 114, 145 Harnack, Adolf von (1851–1930) 27 Hartnacke, Wilhelm (1878–1952) 61 Hartung, Fritz (1883–1967) 365 Haufe, Eberhard (geb. 1931) 162–164 Hauschild, Richard (1901–1972) 71 Haushofer, Karl (1869–1946) 346 Heiermeier, Annie (1908–1985) 260, 263 Heilbron, Friedrich (1872–1954) 331 Heilbronn, Ernst (1867–1942) 95 Heilfurth, Gerhard (1909–2006) 127, 239 f. Heimpel, Hermann (1901–1988) 342 Heise, Wilhelm (1897–1949) 179, 182 Heisenberg, Werner (1901–1976) 231 f. Heitzer, Josef (Verwaltungsdirektor in der DA, München) 357 Helbok, Adolf (1883–1968) 126, 331 f., 342 Helm, Karl (1871–1960) 222 Hempel, Heinrich (1885–1973) 114 Henlein, Konrad (1898–1945) 125 Herrmann, Max (1865–1942) 43, 64, 89, 104 f., 117 f., 192 f., 195, 202 f., 205, 211–213, 215–228, 230, 293, 338, 438 f., 444, 451, 455 Herrmann, Reinhold (Teilnehmer am ScholzKurs 1950) 181 Heß, Rudolf (1894–1987) 134, 308, 346 f. Heuser, Frederick W. (1878–1961) 394 Heusler, Andreas (1865–1940) 114, 189 f., 260, 290, 453

501

Heydrich, Reinhard (1904–1942) 253 Hiepe, Herbert (Aspirant, Leipzig) 367 Hildebrand, Rudolf (1824–1894) 90, 218 f. Himmler, Heinrich (1900–1945) 265, 315 Hirsch, Rudolf (1905–1995) 379 Hitler, Adolf (1889–1945) 85, 103, 117, 134, 246, 262, 270, 306, 309, 311, 338, 342, 344, 346 f., 374, 427 Höfler, Otto (1901–1987) 263 Holtzhauer, Helmut (1912–1973) 360 Holz, Georg (1863–1921) 191 f., 290–292, 296, 299 f., 443, 453 Horn, Wilhelm (1876–1952) 263 Hübner, Alfred (1899–1954) 62 f., 107, 109 f., 124–129, 132, 135–138, 240, 274, 277, 356, 437, 446, 455, 458 Hübner, Arthur (1885–1937) 44, 65, 112 f., 175, 195 f., 198, 227–229, 264, 293, 302 f., 306, 308 f., 312 f., 315, 332, 344, 346, 413 f., 444, 447, 451, 457 Hund, Friedrich (1896–1997) 232 Hupka, Herbert (1915–2006) 126, 388 Ibach, Helmut (1912–1996) 348, 355 Irlow, Ragnar (Lektor für Schwedisch, Jena) 35, 442 Jäger, Manfred (geb.1934) 21, 151 Jakobeit, Maximilian (Teilnehmer am ScholzKurs 1950) 181 Jan, Eduard von (1871–1942) 389 Janentzky, Christian (1886–1968) 98 Jelenski, Manfred (Teilnehmer am Scholz-Kurs 1950) 179, 181 Johnson, Uwe (1934–1984) 163 Jolles, André (1874–1946) 22, 57, 59, 109, 135–138, 144, 194 f., 241, 248, 250–256, 266, 273–278, 302 f., 306 f., 309, 313, 334, 389–391, 439, 443, 446, 451, 460 Jolles, Charlotte (1909–2003) 313 Jónasson, Matthias (1909–1990) 241 Kähler, Wilhelm (1871–1934) 227 Kaim, Lore (1916–1965) 179–181, 362 Kaiser, Gerhard (1927–2012) 181 Kantorowicz, Alfred (1899–1979) 78 f., 175 f., 280, 285 f., 367, 438, 450, 458 Kanzog, Kurt (Teilnehmer am Scholz-Kurs 1950) 181 Kapteyn, Johannes M. N. (1870–1949) 145, 350 Karg, Fritz (1892–1970) 59, 61, 88, 106, 199–201, 334–336, 443, 452, 456

502

Namensregister

Karg-Gasterstädt, Elisabeth (1886–1964) 40, 74, 143, 148, 156–158, 203, 205, 207–211, 280–282, 299, 301, 348, 362, 438, 443, 459 Kästner, Erich (1899–1974) 37, 384, 422 f. Kaufmann, Hans (1926–2000) 172 f., 178 f., 181, 183, 217, 448, 451, 453 f., 456, 458–461 Kaußmann, Ernst (1905–1993) 384, 390 f. Kayser, Wolfgang (1906–1960) 197, 199 Keferstein, Georg (1909–1942) 52 f. Kessler, Gerhard (1883–1963) 311, 340, 343 Kielpinski, Walter von (1909–?) 390 Kindermann, Heinz (1894–1985) 102, 117, 409 Kip¬penberg, Anton (1874–1950) 37, 335, 354, 380 Kippenberg, Katharina (1876–1947) 336 Kittel, Rudolf (1853–1929) 301 Kjellman, Nils (Lektor für Schwedisch, Jena) 35, 442, 445 Klappenbach, Ruth (1911–1977) 358 Klemperer, Victor (1881–1960) 193, 217, 231, 338 Kluckhohn, Paul (1886–1957) 88, 90, 171, 310, 383, 392, 425 Knudsen, Hans (1886–1971) 64, 117–119, 123, 241, 455 Koch, Franz (1888–1969) 63–66, 110 f., 115 f., 119, 125, 196, 239–241, 247 f., 250–256, 266–273, 277 f., 315, 351, 439, 447, 455 Kohlrausch, Eduard (1874–1948) 215 Kölbel, Leopold (1895–1970) 346 Korff, Hermann August (1882–1963) 17 f., 22, 24, 39 f., 59, 62, 74 f., 90, 98, 100 f., 125, 134– 138, 143, 147–152, 158 f., 162–164, 168 f., 179, 184, 244, 273–276, 278, 280–282, 290, 302 f., 306 f., 309, 313, 316–319, 325, 335–337, 346, 370, 373–403, 419–433, 436, 438, 440, 443, 446, 449, 452 Korff, Malte (geb. 1950) 150, 374, 377, 386, 393 f., 397 f., 400, 431 Körner, Josef (1888–1950) 382 Köster, Albert (1862–1924) 38, 40 f., 90–95, 98–101, 188, 190, 218, 223, 290–301, 376, 380, 384, 422f., 443, 452 Kötzschke, Rudolf (1867–1949) 331–334, 336, 415 Kraeger, Heinrich (1870–1945) 111 Krahl, Siegfried (Teilnehmer am Scholz-Kurs 1950) 181 Kraus, Carl von (1868–1952) 301, 346 Kraus, Franz (sudetendeutscher Verleger) 331

Krauss, Werner (1900–1976) 140–149 Krieck, Ernst (1882–1947) 262, 312, 341–344 Kuczinsky, Jürgen (1904–1997) 365 Kuhn, Hans (1899–1988) 56, 101, 111 f., 114, 197, 199, 241, 446 f., 453, 456 Kühne, Erich (1908–1983) 179, 181 Kühnemann, Eugen (1868–1946) 98 Kummer, Bernhard (1897–1962) 54, 116 f., 156, 233, 241, 244, 248–253, 255 f., 259–266, 273, 278, 320, 439, 445, 456 Kunisch, Hermann (1901–1991) 77, 174 f., 279, 285 f., 438, 450, 459 Kunze, Walter (Germanist, Abteilungsleiter in der DA, München) 347–349, 357 Kurella, Alfred (1895–1975) 160 Lachmann, Vera (1904–1985) 216 Lamprecht, Karl (1856–1915) 90 f., 93, 150, 407 f., 413 Landsberger, Benno (1890–1968) 231 Lasch, Agathe (1879–1942) 66, 202, 204 f., 211, 340 Lauffer, Otto (1874–1949) 331 Leisegang, Hans (1890–1951) 105, 117 Leitzmann, Albert (1867–1950) 31, 34, 52 f., 88, 105 f., 110, 189, 195 f., 302 f., 306 f., 309, 312, 383, 442, 445, 452, 457 Lenk, Werner (Teilnehmer am Scholz-Kurs 1950) 181 Lerchner, Gotthard (geb. 1935) 159, 320–322 Levi, Friedrich (1888–1966) 231, 311 Leyen, Friedrich von der (1873–1966) 98, 112 Liepe, Wolfgang (1888–1962) 197, 202, 227, 245 f. Linden, Walther (1895–1943) 388, 425 f. Linke, Elisabeth (Sprachwissenschaftlerin) 74, 368 Liss, Paul (1892–1948) 319 Litt, Theodor (1880–1962) 98, 194, 232 f., 312, 333, 336, 338, 340 f., 360, 385, 389 Löbe, Paul (1875–1967) 304 Loesch, Karl C. von (1880–1951) 331 Loose, Walter (Lehrer in Naunhof und Begründer des Bartels-Bundes) 133 f. Löwith, Karl (1897–1973) 137 Lukács, Georg (1885–1971) 159, 160, 171, 179 Lundahl, Ivar (1894–1985) 35, 442 Luschan, Felix von (1854–1924) 224 Maaßen, Hans (1908–1983) 161 Magon, Leopold (1887–1968) 77–79, 175 f., 280–282, 319, 367, 450, 459 Marcus, Carl David (1897–1940) 202 f.

Namensregister Markov, Walter (1909–1993) 148, 150 Markschies, Lothar (geb. 1925) 163 f. Markwardt, Bruno (1899–1972) 109 Martersteig, Max (1853–1926) 223 Martin, Walther (1902–1974) 75, 320, 399, 430 Martini, Fritz (1909–1991) 171, 196 Maschke, Erich (1900–1982) 146, 255, 343, 356 Mason, Eudo (1901–1969) 385, 388 Mausser, Otto (1880–1944) 65, 115 Mayer, Hans (1907–2001) 18, 21 f., 74–76, 78, 149–153, 158–162, 164 f., 171 f., 175, 179, 182 f., 279, 285 f., 362, 367 f., 370, 388, 395, 398, 427, 438, 449, 459 Maync, Harry (1874–1947) 98 Meier, John (1864–1953) 332, 414 f. Meißner, Rudolf (1862–1948) 262, 264, 324 Merker, Paul (1881–1945) 98, 227, 293, 301, 383, 394 Mettke, Heinz (1924–2007) 170, 448 Metz, Friedrich (1890–1969) 331, 335 f. Meusel, Alfred (1896–1960) 365 Meyen, Emil (1902–1994) 331, 335 Meyer, Richard M. (1860–1914) 93, 136, 220 f., 293 Meyer-Krahmer, Marianne (1919–2011) 388 Michael, Friedrich (1892–1986) 99 f., 394 Michels, Victor (1866–1929) 31, 34, 37, 71, 88, 90, 188–190, 290–293, 295–301, 442, 452 Milch, Werner (1903–1950) 202 Mitzka, Walther (1888–1976) 284, 345 Mogk, Eugen (1854–1939) 37, 61, 191–193, 260, 262, 290–296, 299 f., 308, 443, 451, 452 Mohr, Wolfgang (1907–1991) 114 Mövius, Ruth (1908–1989) 216 Müllenhoff, Karl (1818–1884) 41, 45, 417 Müller, Günther (1890–1957) 89, 202 Müller, Joachim (1906–1986) 68 f., 73, 92, 149, 152 f., 164, 167–173, 182 f., 189, 278, 370, 388–390, 395, 400, 438, 448, 460 Müller, Johannes (1864–1949) 325, 357 f. Müller, Josef (1875–1945) 327 f., 406 Müller-Seidel, Walter (1918–2010) 21, 126, 130, 339, 387 f., 422, 427 Muncker, Franz (1855–1926) 257 Mutschmann, Martin (1879–1947) 231 Nadler, Josef (1884–1963) 115, 136, 247, 381–383 Nahke, Heinz (geb. 1928) 179, 181 Natonek, Wolfgang (1919–1994) 162 f.

503

Naumann, Hans (1886–1951) 33, 36, 88, 113, 333, 391, 442 Naumann, Max (1875–1939) 224 Neckel, Gustav (1878–1940) 54, 114, 116, 194–196, 202 f., 231–233, 252 f., 260–265, 302 f., 306–311, 313, 315, 444, 447, 453, 456 Nedden, Otto zur (1902–1994) 55, 242 f. Neumann, Friedrich (1889–1978) 88, 99, 167, 189 f., 200, 209, 333, 385, 391, 443, 451, 453 f. Neumann, Hans (1903–1990) 202 f., 326 Neumann, Werner (geb. 1931) 178 Nietzsche, Friedrich (1844–1900) 384 f., 419, 427 Nikitin, Pjotr Iwanowitsch (1912–2000) 236, 353, 360 Nohl, Herman (1879–1960) 376, 419, 421, 423 f. Nuschke, Otto (1883–1957) 177 Obenauer, Karl Justus (1888–1973) 102, 108, 109, 116 f., 132, 197–199, 247, 385 f., 388, 390 f., 422, 446 Oelßner, Fred (1903–1977) 151, 364 Papen, Franz von (1879–1969) 308 Penck, Albrecht (1858–1945) 330 Petersen, Ella (1883–1979) 353 Petersen, Julius (1871–1941) 20, 37, 41–46, 53, 64 f., 93–100, 105, 115 f., 117 f., 170, 174, 194–196, 204, 208, 227 f., 266–272, 301 f., 304–308, 310, 313–315, 346, 353, 376–384, 386–388, 393, 420, 428 f., 444, 447, 453, 456 Petri, Franz (1903–1993) 351, 416 Petsch, Robert (1875–1945) 98 Pfitzner, Josef (1901–1945) 131 Pinthus, Kurt (1886–1975) 37 Pirenne, Henri (1862–1935) 329 Planck, Max (1858–1947) 232 Plätzsch, Annelies (1916–2010) 126 Polenz, Peter von (1928–2011) 21, 144, 154, 157 Pongs, Hermann (1889–1979) 307, 310, 357 Poser, Hans (studierte in Leipzig Germanistik) 152 Pretzel, Ulrich (1898–1981) 239, 241, 315 Pyritz, Hans (1905–1958) 64, 115–117, 119, 242, 447, 456, 459 Quint, Josef (1898–1976) 110

504

Namensregister

Ranke, Friedrich (1882–1950) 202, 383 Ratzel, Friedrich (1844–1904) 407 Rauschning, Hermann (1887–1982) 332 Reche, Otto (1867–1966) 134 Reclam, Ernst (1876–1953) 37 Rehm, Walter (1901–1963) 108, 393, 428 Reichardt, Konstantin (1904–1976) 59, 87, 111, 203, 205, 230–235, 302, 304, 307, 312, 341, 438, 443, 446, 453, 456 Remmlinger, Eva (verh. Nahke; geb. 1927) 179, 181 Renner, Wenzel (Teilnehmer am Scholz-Kurs 1950) 71, 181 Ribbentrop, Joachim von (1893–1946) 351 Richter, Werner (1887–1960) 44, 89, 192, 194, 202, 204 f., 211–213, 225–230, 234, 301, 307, 438, 444, 454 Ritter, Joachim (1903–1974) 246 f. Roethe, Gustav (1859–1926) 31, 37, 45, 93–98, 97 f., 100 f., 124, 127, 174, 188–190, 208 f., 226, 290–301, 312, 346, 444, 451 Rosenberg, Alfred (1893–1946) 128, 166, 369 Rosenfeld, Hans-Friedrich (1899–1993) 252 f., 339, 390 Rößner, Hans (1910–1999) 252 f., 339, 390 Rothacker, Erich (1888–1965) 310 Samuel, Richard (1900–1983) 202, 204, 313 Sauckel, Fritz (1894–1946) 244, 265 Sauer, August (1855–1926) 381–384 Schachermeyr, Fritz (1895–1987) 318 Schacht, Hildegard (Teilnehmerin am ScholzKurs 1950) 181 Schadewaldt, Wolfgang (1900–1974) 174 Scheithauer, Lothar (geb. 1923) 162–164, 399 Schenkel, Christa (Teilnehmerin am ScholzKurs 1950) 181 Scherer, Wilhelm (1841–1886) 41 f., 91, 93, 191, 221, 276, 431 Scherner, Erhard (Teilnehmerin am ScholzKurs 1950) 181 Scheumann, Karl Hermann (1881–1964) 311 Schieb, Gabriele (1919–1982) 74, 127, 323 f., 326, 334 f., 352, 368, 371 Schier, Bruno (1902–1984) 52, 106 f., 112, 121, 124–132, 138, 242, 255, 359 f., 369, 437, 446, 456 Schieweck, Ingrid (Teilnehmerin am ScholzKurs 1950) 181 Schiller, Martin (lehrte in Jena) 71 Schirdewan, Karl (1907–1998) 163 Schirmer, Walter F. (1888–1984) 353, 360 Schirmunski, Viktor (1891–1971) 365

Schlenstedt, Silvia (geb. 1931) 178 Schlesinger, Helene (1877–1944) 224 Schlüter, Otto (1972–1959) 408 Schmid Noerr, Alfred (1877–1969) 410 Schmidt, Erich (1853–1913) 41 f., 44, 93–95, 111, 378 Schmitt, Ludwig Erich (1908–1994) 21, 73, 75, 143–149, 151, 153–159, 242, 250, 278, 284, 286, 349–360, 362, 370, 438, 446, 449, 460 Schmitthenner, Heinrich (1887–1957) 342 Schneider, Ferdinand Josef (1879–1954) 98 Schneider, Hermann (1886–1961) 42, 46, 94, 98, 113, 191 f., 290, 312, 356, 444 Schnitzler, Arthur (1862–1931) 224 Schochow, Maximilian (Studienrat, Berlin) 174 f. Scholz, Gerhard (1903–1989) 124, 162, 165, 167, 171, 177, 179, 181 f., 362, 460 Schreyer, Ottokar (Teilnehmer am Scholz-Kurs 1950) 181 Schröbler, Ingeborg (1908–1975) 242, 248, 356, 446 Schröder, Edward (1858–1942) 99, 166, 181, 189, 208 f., 217, 226, 293 f., 297–299, 301 Schröder, Walter Johannes (1910–1984) 166 Schubert, Werner (geb. 1925) 160 f. Schücking, Levin Ludwig (1878–1964) 311, 337 Schulte, Aloys (1857–1941) 328 Schultz, Franz (1877–1950) 93, 98, 165, 319, 378 Schultz, Wolfgang (1881–1936) 264 Schweitzer, Bernhard (1892–1966) 232, 250, 354, 358 Schwietering, Julius (1884–1962) 61, 64–66, 112 f., 115, 191 f., 239, 242, 333, 447, 452, 454, 457, 460 Selbmann, Fritz (1899–1975) 371 Seuffert, Bernhard (1853–1939) 93 f. Seydewitz, Max von (1876–1946) 60 Seyß-Inquart, Arthur (1892–1946) 347, 350 Siebert, Ludwig (1874–1942) 346 f. Sievers, Eduard (1850–1932) 32, 37, 39, 41, 91 f., 96, 99–101, 167, 188–190, 200, 207–209, 218, 221, 257, 290–293, 295, 297–299, 301, 324, 333, 443, 453 Simon, Werner (1900–1973) 77, 79, 174, 176, 280, 284, 286, 367, 450, 460 Six, Alfred (1909–1975) 197 Soldner, Helmut (Lehrer) 149 Solotuchin, Pjotr Wassiljewitsch (1897–1968) 236

Namensregister Sommerfeld, Martin (1894–1939) 202 Spamer, Adolf (1883–1953) 200, 313 Spengler, Oswald (1880–1936) 408, 424 f. Spengler, Wilhelm (1909–1954) 253 f., 384, 390 f. Spitzer, Leo (1887–1960) 383 Spranger, Eduard (1882–1963) 251, 340, 408 Staiger, Emil (1908–1987) 171 Stapf, Paul (Teilnehmer am Scholz-Kurs 1950) 181 Stefansky, Georg (1897–1957) 98, 202, 382 f. Stein, Maria (verh. Korff) 375 Steinbach, Franz (1895–1984) 416 Steinbömer, Gustav (1881–1972) 108 f. Steindorff, Georg (1861–1951) 312, 336 f., 341 Steiner, Rudolf (1861–1925) 427 Steinitz, Wolfgang (1905–1967) 359, 418 Steinmeyer, Elias (1848–1922) 210 Stern, Leo (1901–1982) 365, 370 Stohmann, Ilse (1909–1983) 321 f., 337, 341, 343, 365 Stolpe, Heinz (Teilnehmer am Scholz-Kurs 1950) 179, 181 Stolte, Heinz (1914–1992) 52 f., 55, 70–72, 164, 166, 175, 239, 244, 283 f., 286, 319, 445, 461 Storz, Gerhard (1898–1983) 196 Streitberg, Wilhelm (1864–1925) 167 Streller, Siegfried (geb. 1921) 160–162, 181, 394 f., 397, 427 Strich, Fritz (1888–1963) 98, 171, 378, 384 Stroux, Johannes (1886–1954) 248, 250 f. Teuchert, Hermann (1880–1972) 367 Thalheim, Hans-Günther (geb. 1924) 78, 149, 160–162, 168, 177 f., 180–183, 371, 374, 395 Tippkötter, Manfred (Teilnehmer am ScholzKurs 1950) 181 Tögel, Fritz (1888–1964) 297 Träger, Claus (1927–2005) 162, 377, 385, 395, 400, 427, 431 Treuer, Gisela (verh. Korff) 377, 386 Trier, Jost (1894–1970) 65, 113 Tschirch, Fritz (1901–1975) 170, 285, 287, 461 Twardowski, Fritz von (1890–1970) 351 Ulbricht, Walter (1893–1973) 321, 364, 367, 429 f. Unger, Rudolf (1876–1942) 93, 98, 100, 257, 383, 419 Vasmer, Max (1886–1962) 227, 258

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Viëtor, Karl (1892–1951) 88, 90, 194, 202, 227, 301, 305 f., 309 f., 391–393, 428 Voegt, Hedwig (Teilnehmerin am Scholz-Kurs 1950) 181 Vogler, Frank (Teilnehmer am Scholz-Kurs 1950) 181 Voigt, Günther (Teilnehmer am Scholz-Kurs 1950) 181 Volkelt, Johannes (1848–1930) 91 Völker, Elisabeth (Teilnehmerin am ScholzKurs 1950) 181 Volz, Wilhelm (1870–1958) 330, 333 Wach, Joachim (1898–1955) 120, 231 Waerden, Bartel Leendert van der (1903–1996) 232 Wagner, Albert Malte (1886–1962) 152 f., 164–167, 169, 280, 287, 438, 461 Waldberg, Max Freiherr von (1858–1938) 202, 204, 375 Walter, Ernst (geb. 1925) 158 Walzel, Oskar (1864–1944) 198, 202, 382 f. Wandel, Paul (1905–1995) 167, 360, 362 f., 179 f., 371 Wartburg, Walter von (1888–1971) 336, 418 Wedekind, Frank (1864–1918) 224 Weickmann, Ludwig (1882–1961) 342 Weigert, Fritz (1876–1947) 231 Weisenfels, Richard (1857–1944) 91 Weithase, Irmgard (1906–1986) 55, 70 f., 242, 287 Weller, Maximilian (1895–1976) 250, 417 Wentzcke, Paul (1879–1960) 331 Wentzlaff-Eggebert, Friedrich-Wilhelm (1905–1999) 272 Wertheim, Ursula (1919–2006) 181–183 Wesle, Carl (1890–1950) 33 f., 36, 52 f., 70 f., 110, 117, 119, 123, 164, 166, 189, 202, 243–247, 265, 280, 282, 316–319, 438, 442, 445, 457 Wiese, Benno von (1903–1987) 109–111 Willstädter, Richard (1872–1942) 222 Wilmanns, Wolfgang Otto (1893–1968) 342, 356–358 Windelband, Wolfgang (1886–1945) 227 Wirth, Hermann (1885–1981) 315 Wissmann, Wilhelm (1899–1966) 174, 176, 283, 287 Witkowski, Georg (1863–1939) 21 f., 32, 40, 89, 92, 98, 100, 107–109, 121, 192 f., 195, 197, 202, 204 f., 210–226, 228, 230, 253, 276, 291, 293, 300 f., 312, 338, 375, 383 f., 388, 438 f., 443, 454

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Namensregister

Witte, Arthur (1901–1945) 52 f., 105 f., 239, 243–245, 445, 457 Wohlgemuth, Franz (1915–1972) 154–157, 370, 399 Wolff, Brigitte (verh. Korff, 1926–1999) 377, 398 Wolff, Heinz (1910–1987) 110 Wölfflin, Heinrich (1864–1945) 419 Worgt, Gerhard (1925–1997) 159 Wrede, Ferdinand (1863–1934) 324 f., 332, 405 f.

Wülker, Richard Paul (1845–1910) 91 Wundt, Max (1879–1963) 312 Wüst, Walther (1901–1993) 265, 347, 350 Zarncke, Friedrich (1825–1891) 218 f. Zaske, Klaus Wolfgang (Teilnehmer am Scholz-Kurs 1950) 181 Zenker, Edith (lehrte in Leipzig) 74 Zimmermann, Peter (Lehrer) 374, 395 Zinkernagel, Franz (1878–1935) 98 Zucker, Friedrich (1881–1972) 239, 249

pa l l a s at h e n e

Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte Herausgegeben von Rüdiger vom Bruch und Gabriele Metzler

Franz Steiner Verlag

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ISSN 1439–9857

Anne Christine Nagel (Hg.) Die Philipps-Universität Marburg im Nationalsozialismus Dokumente zu ihrer Geschichte. Bearb. von Anne Christine Nagel und Ulrich Sieg 2000. X, 563 S. und 24 Abb. auf 12 Taf., geb. ISBN 978-3-515-07653-1 Gerhard Müller / Klaus Ries / Paul Ziche (Hg.) Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800 Tagung des Sonderforschungsbereichs 482: „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ vom Juni 2000 2001. 237 S., geb. ISBN 978-3-515-07844-3 Ulrich Sucker Das „Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie“ Seine Gründungsgeschichte, seine problemgeschichtlichen und wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen (1911–1916) 2002. 228 S., geb. ISBN 978-3-515-07912-9 Silke Möller Zwischen Wissenschaft und „Burschenherrlichkeit“ Studentische Sozialisation im Deutschen Kaiserreich, 1871–1914 2001. 269 S., geb. ISBN 978-3-515-07842-9 Ulrike Kohl Die Präsidenten der KaiserWilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus Max Planck, Carl Bosch und Albert Vögler zwischen Wissenschaft und Macht 2002. 281 S., geb. ISBN 978-3-515-08049-1 Klaus-Peter Horn / Heidemarie Kemnitz (Hg.) Pädagogik Unter den Linden Von der Gründung der Berliner Universität im Jahre 1810 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts 2002. 314 S., geb.

ISBN 978-3-515-08088-6 Annekatrin Schaller Michael Tangl (1861–1921) und seine Schule Forschung und Lehre in den Historischen Hilfswissenschaften 2002. 386 S., geb. ISBN 978-3-515-08214-3 8. Dietmar Schenk Die Hochschule für Musik zu Berlin Preußens Konservatorium zwischen romantischem Klassizismus und Neuer Musik, 1869–1932/33 2004. 368 S., geb. ISBN 978-3-515-08328-7 9. Silviana Galassi Kriminologie im Deutschen Kaiserreich Geschichte einer gebrochenen Verwissenschaftlichung 2004. 452 S., geb. ISBN 978-3-515-08352-2 10. Werner Buchholz (Hg.) Die Universität Greifswald und die deutsche Hochschullandschaft im 19. und 20. Jahrhundert Kolloquium des Lehrstuhls für Pommersche Geschichte der Universität Greifswald in Verbindung mit der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2004. X, 446 S., geb. ISBN 978-3-515-08475-8 11. Sabine Mangold Eine „weltbürgerliche Wissenschaft“ Die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert 2004. 330 S., geb. ISBN 978-3-515-08515-1 12. Elke Schulze Nulla dies sine linea Universitärer Zeichenunterricht – eine problemgeschichtliche Studie 2004. 282 S., geb. ISBN 978-3-515-08416-1 13. Christian Saehrendt 7.

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„Die Brücke“ zwischen Staatskunst und Verfemung Expressionistische Kunst als Politikum in der Weimarer Republik, im „Dritten Reich“ und im Kalten Krieg 2005. 124 S. mit 12 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08614-1 Julia Laura Rischbieter Henriette Hertz Mäzenin und Gründerin der Bibliotheca Hertziana in Rom 2004. 184 S. mit 16 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08581-6 Katrin Böhme Gemeinschaftsunternehmen Naturforschung Modifikation und Tradition in der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin 1773–1906 2005. 218 S., 9 Taf., geb. ISBN 978-3-515-08722-3 Katharina Zeitz Max von Laue (1879–1960) Seine Bedeutung für den Wiederaufbau der deutschen Wissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg 2006. 299 S. mit 37 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08814-5 Annette Vogt Vom Hintereingang zum Hauptportal? Lise Meitner und ihre Kolleginnen an der Berliner Universität und in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 2007. 550 S. und 64 Abb. auf 16 Taf., geb. ISBN 978-3-515-08881-7 Trude Maurer (Hg.) Kollegen – Kommilitonen – Kämpfer Europäische Universitäten im Ersten Weltkrieg 2006. 376 S., geb. ISBN 978-3-515-08925-9 Gisela Bock / Daniel Schönpflug (Hg.) Friedrich Meinecke in seiner Zeit Studien zu Leben und Werk 2006. 294 S., geb. ISBN 978-3-515-08962-3 Klaus Ries Wort und Tat Das politische Professorentum der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert 2007. 531 S. mit 23 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08993-7 Roger Chickering Krieg, Frieden und Geschichte

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Gesammelte Aufsätze über patriotischen Aktionismus, Geschichtskultur und totalen Krieg 2007. 358 S., geb. ISBN 978-3-515-08937-1 Sigrid Oehler-Klein / Volker Roelcke (Hg.) Vergangenheitspolitik in der universitären Medizin nach 1945 Institutionelle und individuelle Strategien im Umgang mit dem Nationalsozialismus 2007. 419 S. mit 13 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09015-5 Tobias Kaiser Karl Griewank (1900–1953) Ein deutscher Historiker im „Zeitalter der Extreme“ 2007. 528 S. mit 8 Abb. und 3 Tab., geb. ISBN 978-3-515-08653-0 Rainer A. Müller (Hg.) Bilder – Daten – Promotionen Studien zum Promotionswesen an deutschen Universitäten der frühen Neuzeit. Bearb. von Hans-Christoph Liess und Rüdiger vom Bruch 2007. 390 S. mit 56 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09039-1 Holger Stoecker Afrikawissenschaften in Berlin von 1919 bis 1945 Zur Geschichte und Topographie eines wissenschaftlichen Netzwerkes 2008. 359 S. mit 28 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09161-9 Thomas Bach / Jonas Maatsch / Ulrich Rasche (Hg.) ,Gelehrte‘ Wissenschaft Das Vorlesungsprogramm der Universität Jena um 1800 2008. 325 S. mit 27 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08994-4 Christian Saehrendt Kunst als Botschafter einer künstlichen Nation Studien zur Rolle der bildenden Kunst in der Auswärtigen Kulturpolitik der DDR 2008. 197 S. mit 14 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09227-2 Thomas Adam Stipendienstiftungen und der Zugang zu höherer Bildung in Deutschland von 1800 bis 1960 2008. 263 S. mit 4 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09187-9 Ulrich Päßler Ein „Diplomat aus den Wäldern

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des Orinoko“ Alexander von Humboldt als Mittler zwischen Preußen und Frankreich 2009. 244 S., geb. ISBN 978-3-515-09344-6 Manuel Schramm Digitale Landschaften 2009. 212 S. mit 9 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09346-0 Wolfram C. Kändler Anpassung und Abgrenzung Zur Sozialgeschichte der Lehrstuhlinhaber der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg und ihrer Vorgängerakademien, 1851 bis 1945 2009. 318 S. mit 16 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09361-3 Thomas Bryant Friedrich Burgdörfer (1890–1967) Eine diskursbiographische Studie zur deutschen Demographie im 20. Jahrhundert 2010. 430 S. mit 4 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09653-9 Felix Brahm Wissenschaft und Dekolonisation Paradigmenwechsel und institutioneller Wandel in der akademischen Beschäftigung mit Afrika in Deutschland und Frankreich, 1930–1970 2010. 337 S., geb. ISBN 978-3-515-09734-5 Klaus Ries (Hg.) Johann Gustav Droysen Facetten eines Historikers 2010. 230 S. mit 10 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09662-1 Joachim Bauer / Olaf Breidbach / Hans-Werner Hahn (Hg.) Universität im Umbruch Universität und Wissenschaft im Spannungsfeld der Gesellschaft um 1800 2011. 423 S., geb. ISBN 978-3-515-09788-8 Jan Peters Menschen und Möglichkeiten Ein Historikerleben in der DDR und anderen Traumländern 2011. 616 S. mit 134 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09866-3 Frauke Steffens „Innerlich gesund an der Schwelle einer neuen Zeit“

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Die Technische Hochschule Hannover 1945–1956 2011. 423 S., geb. ISBN 978-3-515-09870-0 Aleksandra Pawliczek Akademischer Alltag zwischen Ausgrenzung und Erfolg Jüdische Dozenten an der Berliner Universität 1871–1933 2011. 529 S., geb. ISBN 978-3-515-09846-5 Eszter B. Gantner Budapest – Berlin Die Koordinaten einer Emigration 1919–1933 2011. 264 S., geb. ISBN 978-3-515-09920-2 Mircea Ogrin Ernst Bernheim (1850–1942) Historiker und Wissenschaftspolitiker im Kaiserreich und in der Weimarer Republik 2012. 374 S., geb. ISBN 978-3-515-10047-2 Joachim Bauer Universitätsgeschichte und Mythos Erinnerung, Selbstvergewisserung und Selbstverständnis Jenaer Akademiker 1548–1858 2012. 544 S. mit 36 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10098-4 Sven Haase Berliner Universität und Nationalgedanke 1800–1848 Genese einer politischen Idee 2012. 497 S., geb. ISBN 978-3-515-10103-5 Günter Nagel Wissenschaft für den Krieg Genese einer politischen Idee 2012. 708 S. mit 31 Farb- und 95 s/w-Abb., geb. ISBN 978-3-515-10173-8 Theo Plesser / Hans-Ulrich Thamer (Hg.) Arbeit, Leistung und Ernährung Vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie in Berlin zum Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie und Leibniz Institut für Arbeitsforschung in Dortmund 2012. 590 S. mit 29 Abb. und 11 Tab., geb. ISBN 978-3-515-10200-1 Konstantin von Freytag-Loringhoven Erziehung im Kollegienhaus Reformbestrebungen an den deutschen

Universitäten der amerikanischen Besatzungszone 1945–1960 2012. 608 S., geb. ISBN 978-3-515-10240-7 46. Maren Goltz Musikstudium in der Diktatur Das Landeskonservatorium der Musik / die Staatliche Hochschule für Musik Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933–1945 2013. 462 S. mit 6 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10337-4 47. Samia Salem Die öffentliche Wahrnehmung der Gentechnik in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1960er Jahren 2013. 315 S. mit 1 Abb., geb.

ISBN 978-3-515-10488-3 48. Christine Ottner-Diesenberger / Klaus Ries (Hg.) Geschichtsforschung in Deutschland und Österreich im 19. Jahrhundert Ideen – Akteure – Institutionen 2014. 304 S., geb. ISBN 978-3-515-10671-9 49. Wolfgang König Der Gelehrte und der Manager Franz Reuleaux (1829–1905) und Alois Riedler (1850–1936) in Technik, Wissenschaft und Gesellschaft 2014. 334 S., geb. ISBN 978-3-515-10665-8

Zäsurübergreifend untersucht diese Arbeit das spannungsreiche Verhältnis von Wissenschaft und Politik am Beispiel der Germanistik in Leipzig, Berlin und Jena. Anna Lux analysiert dabei sowohl institutionelle Strukturen, wissenschaftliche Diskurse als auch die wissenschaftliche Praxis der Akteure. Ausgangspunkt der Arbeit ist die Leipziger Germanistik, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – vor allem durch die Ordinarien Theodor Frings und Hermann August

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Korff – von bemerkenswerter Kontinuität geprägt war. Zugleich werden die Befunde zu den einzelnen Instituten kontextualisiert und mit grundlegenden wissenschaftshistorischen Debatten verbunden. In dieser Verknüpfung wissenschafts- und universitätshistorischer Fragen versteht sich die Arbeit als eine Strukturgeschichte der Germanistik und als Beitrag zur systematischen Wissenschaftsgeschichte der Geisteswissenschaften.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-10902-4