Rom und die Regionen: Studien zur Homogenisierung der lateinischen Kirche im Hochmittelalter 9783110285147, 9783110289299

From the middle of the 11th century to Pope Innocent III (1198–1216), the Latin Church developed into a European-wide Pa

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German Pages 503 [504] Year 2012

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Table of contents :
Vorwort
Rom und die Regionen. Zum vorläufigen Abschluss eines Forschungsprojektes
I. Instrumente zentraler Steuerung?
Noverca omnium ecclesiarum. Der römische Universalepiskopat des Hochmittelalters im Spiegel der päpstlichen Finanzgeschichte
Von der kirchlichen Peripherie zur römischen Zentrale? Zum Phänomen der Bistumsexemtion im Hochmittelalter anhand der Beispiele von Le Puy-en-Velay und Bamberg
Klosterfreiheit und päpstliche Organisationsgewalt. Exemtion als Herrschaftsinstrument des Papsttums?
Generalisierung, dichte Beschreibung, kontrastierende Einzelstudien? Stand und Perspektiven der Erforschung delegierter Gerichtsbarkeit des Papstes im Hochmittelalter
Stand und Perspektiven der Erforschung des päpstlichen Legatenwesens im Hochmittelalter
II. Homogenisierungsprozesse in den Regionen
Der Nordwesten Frankreichs. Die Kirchenprovinzen Rouen und Tours
Zentrum und Peripherie? Das universale Papsttum und die Kirchenprovinz Narbonne im Hochmittelalter: 1050–1215
Lombardos, qui utiles nobis extiterunt admodum et devoti, non possumus non amare. Aspekte päpstlicher Zentralisierung in der Lombardei im 11. und 12. Jahrhundert
Sizilien und Kalabrien – Binnendifferenzierung im Regno?
Das Papsttum und Ostmitteleuropa (Böhmen-Mähren, Polen, Ungarn) vom ausgehenden 10. bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts. Mit einer Neuedition von JL 9067
Das Papsttum und das Erzbistum Salzburg (1060-1216)
Die Mainzer Erzbischöfe zwischen Zentrum und Peripherie
III. Ausblick
Zentrum und Peripherie nach Innozenz III. Weiterführende Überlegungen
Orts- und Personenregister
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Rom und die Regionen: Studien zur Homogenisierung der lateinischen Kirche im Hochmittelalter
 9783110285147, 9783110289299

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Rom und die Regionen

Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen Neue Folge, Band 19 Studien zu Papstgeschichte und Papsturkunden

De Gruyter

Rom und die Regionen Studien zur Homogenisierung der lateinischen Kirche im Hochmittelalter

Herausgegeben von

Jochen Johrendt und Harald Müller

De Gruyter

Vorgelegt von Klaus Herbers in der Sitzung vom 13. März 2011

ISBN 978-3-11-028514-7 e-ISBN 978-3-11-028929-9 ISSN 0930-4304 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data: A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress %LEOLRJUD¿VFKH,QIRUPDWLRQGHU'HXWVFKHQ1DWLRQDOELEOLRWKHN Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation LQGHU'HXWVFKHQ1DWLRQDOELEOLRJUD¿HGHWDLOOLHUWHELEOLRJUD¿VFKH'DWHQ sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen U Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Der vorliegende Band dokumentiert den Abschluss eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten wissenschaftlichen Netzwerks mit dem Titel Das universale Papsttum und die europäischen Regionen im Hochmittelalter, das sich in den Jahren 2007 bis 2010 dem Aufstieg der römischen Bischöfe zur unbestrittenen Führungsinstanz der Lateinischen Christenheit widmete. Im Zentrum standen dabei Fragen der vielfältigen Interaktion zwischen dem präsumptiven Zentrum und den Ortskirchen. Typische Instrumente und Verläufe der Ausrichtung auf Rom sollten herausgearbeitet und regional vergleichend bewertet werden. Die Grundidee zu diesem umfassenden, den Dialog zwischen Zentrum und Peripherie erfassenden Ansatz erwuchs aus einem internationalen Studientag am Deutschen Historischen Institut in Rom im Jahre 2006, dessen Beiträge 2008 unter dem Titel Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie publiziert wurden. Die meisten der in Rom beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sechs europäischen Ländern entwickelten diese Forschungsperspektive im Rahmen des Netzwerks gemeinsam weiter; der Band gibt bis auf einzelne Nachträge den Diskussionsstand des letzten Treffens im Herbst 2009 wieder. Als Initiatoren des Netzwerks und Herausgeber beider Bände sind wir in erster Linie den wissenschaftlichen Mitstreiterinnen und Mitstreitern verpflichtet, die über mehrere Jahre hinweg kontinuierlich das gemeinsame Thema verfolgt, profiliert und mit neuen Erkenntnissen bereichert haben. Dabei war die Zusammenarbeit nicht nur im unmittelbaren Sinne der Forschung angenehm und ertragreich. Unser Dank gilt auch den Professoren Alexander Beihammer (Nikosia), Ralph-Johannes Lilie (Berlin), Gert Melville (Dresden) und Herbert Schneider (München), die uns in Workshops mit Wissen auf Gebieten versorgt haben, auf denen die versammelte Kompetenz der NetzwerkMitglieder an ihre Grenzen stieß.

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Vorwort

Dass wir auch mit diesem zweiten Band zum Thema Aufnahme in die renommierten Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen gefunden haben, erfüllt uns mit Stolz, aber auch mit Dankbarkeit gegenüber Professor Klaus Herbers, der als Sekretär der Pius-Stiftung für Papsturkundenforschung das Manuskript der Göttinger Akademie vorlegte, und Professor Werner Lehfeldt, der als Vizepräsident der Akademie das Publikationsvorhaben begleitete. Nicht vergessen seien die Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und studentischen Hilfskräfte der Lehrstühle in Aachen und Wuppertal, die die abschließenden Arbeiten zur Drucklegung des Buches unterstützten. Aachen und Wuppertal im Mai 2012

Jochen Johrendt und Harald Müller

Inhalt Vorwort .............................................................................................................

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JOCHEN JOHRENDT/HARALD MÜLLER Rom und die Regionen Zum vorläufigen Abschluss eines Forschungsprojektes ................................

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I. Instrumente zentraler Steuerung? THOMAS WETZSTEIN Noverca omnium ecclesiarum. Der römische Universalepiskopat des Hochmittelalters im Spiegel der päpstlichen Finanzgeschichte ...................

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MATTHIAS SCHRÖR Von der kirchlichen Peripherie zur römischen Zentrale? Zum Phänomen der Bistumsexemtion im Hochmittelalter anhand der Beispiele von Le Puy-en-Velay und Bamberg ..........................

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LOTTE KÉRY Klosterfreiheit und päpstliche Organisationsgewalt. Exemtion als Herrschaftsinstrument des Papsttums? ............................................................

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HARALD MÜLLER Generalisierung, dichte Beschreibung, kontrastierende Einzelstudien? Stand und Perspektiven der Erforschung delegierter Gerichtsbarkeit des Papstes im Hochmittelalter ....................................................................... 145 CLAUDIA ZEY Stand und Perspektiven der Erforschung des päpstlichen Legatenwesens im Hochmittelalter .......................................................................................... 157

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Inhalt

II. Homogenisierungsprozesse in den Regionen HARALD MÜLLER/JÖRG PELTZER Der Nordwesten Frankreichs. Die Kirchenprovinzen Rouen und Tours ..................................................... 169 URSULA VONES-LIEBENSTEIN Zentrum und Peripherie? Das universale Papsttum und die Kirchenprovinz Narbonne im Hochmittelalter: 1050–1215 ................. 209 NICOLANGELO D’ACUNTO Lombardos, qui utiles nobis extiterunt admodum et devoti, non possumus non amare. Aspekte päpstlicher Zentralisierung in der Lombardei im 11. und 12. Jahrhundert .............................................. 249 JOCHEN JOHRENDT Sizilien und Kalabrien – Binnendifferenzierung im Regno? ....................... 281 PRZEMYSŁAW NOWAK Das Papsttum und Ostmitteleuropa (Böhmen-Mähren, Polen, Ungarn) vom ausgehenden 10. bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts. Mit einer Neuedition von JL 9067 ................................................................ 331 RAINER MURAUER Das Papsttum und das Erzbistum Salzburg (1060–1216) ............................. 371 STEFAN BURKHARDT Die Mainzer Erzbischöfe zwischen Zentrum und Peripherie ..................... 425

III. Ausblick CLAUDIA MÄRTL Zentrum und Peripherie nach Innozenz III. Weiterführende Überlegungen ....................................................................... 457 Orts- und Personenregister ............................................................................. 467

Rom und die Regionen Zum vorläufigen Abschluss eines Forschungsprojektes JOCHEN JOHRENDT UND HARALD MÜLLER Papst Bonifaz VIII. konfrontierte am 4. Mai 1297 die beiden Kardinäle Jakob und Peter Colonna mit einer auf den ersten Blick leicht zu beantwortenden Frage: Er wollte von ihnen wissen, ob er für sie der Papst sei1. Je nachdem wie die Kardinäle diese Frage beantworten würden, ergaben sich aus der Sicht des Gaetani-Papstes zwei Handlungsoptionen: Bejahten die Colonna-Kardinäle die Frage, so hatten sie sich dem Papst unterzuordnen und ihren Widerstand aufzugeben. Beantworteten sie die Frage mit Nein, so hätten sie nach der Ansicht Bonifaz’ VIII. den Boden des gemeinsamen Glaubens verlassen. Unabhängig von den tiefen Verwerfungen zwischen den Colonna und den Gaetani, welche den Hintergrund und eigentlichen Anlass für die Anfrage Bonifaz’ VIII. bildeten, offenbart die knappe Formulierung, dass in den Augen Bonifaz’ VIII. die Anerkennung seines Papsttums Konsequenzen hatte, denen sich auch die Kardinäle nicht entziehen konnten. Denn die Rechtgläubigkeit und damit das Seelenheil jedes Individuums waren für den Papst nicht mehr allein durch die Übereinstimmung mit den Glaubensgrundsätzen der Kirche zu erlangen. Den Gedanken der exklusiven Heilsvermittlung durch die Kirche band er auf verengende Weise an das Fundament der Kirche, den Fels Petrus, auf dem sie nach Matthäus 16,19 gebaut worden war. Als dessen Stellvertreter auf Erden fungierte der Papst. In seiner berühmten Bulle «Unam sanctam», die auf den 18. November 1302 datiert ist, führte Bonifaz VIII. aus, dass es für jeden Men-

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Vult scire si Papa est, Edition bei Boniface VIII en procès. Articles d’accusation et dépositions des témoins (1303–1311), hg. v. Jean COSTE, Roma 1995 (Pubblicazioni della Fondazione Camillo Caetani. Studi e documenti d'archivio 5), S. 5. Vgl. dazu Agostino PARAVICINI BAGLIANI: Bonifacio VIII, Torino 2003, S. 142–144; zu den Hintergründen vgl. immer noch Ludwig MOHLER: Die Kardinäle Jakob und Peter Colonna. Ein Beitrag zur Geschichte des Zeitalters Bonifaz’ VIII., Paderborn 1914, S. 56–60; sowie nun umfangreich Paolo VIAN: Bonifacio VIII e i Colonna: una riconsiderazione, in: Bonifacio VIII. Atti del XXXIX Convegno storico internazionale, Todi, 13–16 ottobre 2002, Spoleto 2003 (Atti dei convegni del Centro Italiano di Studi sul Basso Medioevo – Accademia Tudertina e del Centro di Studi sulla Spiritualità Medievale. Nuova serie 16), S. 215–272, zu den Ereignissen S. 218–232.

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schen heilsnotwendig sei, sich dem Papst zu unterwerfen2. Verkürzt ausgedrückt war der Papst nicht nur ein ideeller Bezugspunkt für die Kirchen, sondern die Ausrichtung an ihm und der Gehorsam ihm gegenüber war von allen Gläubigen gefordert. In dieser Engführung waren das persönliche Seelenheil und die Unterordnung unter den Papst zwei Seiten derselben Medaille – ein unerhörter Anspruch, der das Papsttum und das Ausmaß der von ihm beanspruchten Kompetenzen in neue Höhen zu heben schien. Doch weniger als ein Jahr später, am 7. September 1303, demonstrierte das Attentat von Anagni, bei dem Bonifaz gefangengenommen und offenbar auch körperlich misshandelt wurde, dass er mit der Bulle «Unam sanctam» lediglich einen Anspruch formuliert hatte, dessen Umsetzung jedoch nicht automatisch und konsequent erfolgte, der vielmehr auch Widerspruch und Widerstand hervorrief 3. Seinem Anspruch nach hatte Bonifaz VIII. die Kirche nicht nur auf Rom zentriert, wie es bereits Gregor VII. in seinem «Dictatus papae» getan hatte, sondern noch deutlich enger auf die Person des Papstes. Die Übereinstimmung mit der sancta Romana ecclesia allein war am Ende des 13. Jahrhunderts offenbar unzureichend. Nun sollte es nicht mehr nur die Ausrichtung an einem abstrakten, durch Tradition und Rechtssetzung gebildeten Normengefüge sein, die von allen Gläubigen erwartet wurde, sondern die dezidierte Übereinstimmung mit dem Papst als dem Haupt der Kirche. Doch wie stand es um die Antwort der christianitas? Akzeptierte sie diesen zweistufigen Wandel: zunächst eine Ausrichtung auf Rom und danach die Umwandlung in eine zentralisierte Papstkirche? Der Bogen ist mit dieser zweigeteilten Frage zeitlich sehr viel weiter gespannt als das Anliegen des vorliegenden Bandes4, in dem die Entwicklungen von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts verfolgt werden. In seinem Mittelpunkt steht die Ausrichtung der lateinischen Kirche auf Rom von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III. Diese Phase der Zentralisierung wird nicht allein aus der Perspektive der römischen Forderungen beschrieben, sondern als Prozess des Gebens und Nehmens zwischen 2

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Reg. Bon. VIII., Nr. 5382, das Zitat Sp. 890. Zur Bulle «Unam sanctam» vgl. Emanuele CONTE: La bolla Unam Sanctam e i fondamenti del potere papale fra diritto e teologia, in: MEFRM 113 (2001) S. 663–684; Wiederabdr. in: Bonifacio VIII, i Caetani e la storia del Lazio. Atti del Convegno di studi storici, Roma 2004, S. 43–63; Karl UBL: Die Genese der Bulle Unam sanctam. Anlass, Vorlagen, Intention, in: Politische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters. Essays in honour of Jürgen Miethke = Political thought in the age of scholasticism, hg. v. Martin KAUFHOLD, Leiden u. a. 2004 (Studies in medieval and reformation traditions 103), S. 129–149. Zu den Ereignissen in Anagni vgl. Kaspar ELM: Das Attentat von Anagni. Der Überfall auf Papst Bonifaz VIII. am 7. September 1303, in: Das Attentat in der Geschichte, hg. v. Alexander DEMANDT, Köln 1996, S. 91–105; PARAVICINI BAGLIANI: Bonifacio VIII (wie Anm. 1) S. 347–366. Zur Anwendung der Fragestellungen auf die Epochen nach Innozenz’ III. siehe die weiterführenden Gedanken von Claudia Märtl in diesem Band.

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Papsttum und Kurie auf der einen Seite sowie den Einzelkirchen in unterschiedlichen Regionen Europas auf der anderen. Damit knüpft er an das Konzept unseres 2008 ebenfalls in den Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen erschienenen Bandes „Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie“ an, in dem die beschriebene Thematik und Methodik in einigen Probebohrungen auf ihre Tauglichkeit hin untersucht wurde5. Der vorliegende Band dokumentiert zugleich die Grundlage des von den Herausgebern initiierten und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten internationalen Forschungsnetzwerks „Das universale Papsttum und die europäischen Regionen im Hochmittelalter“, in dessen Rahmen Forscherinnen und Forscher aus Polen, Österreich, der Schweiz, Italien, Frankreich und Deutschland in den Jahren 2007 bis 2009 diese Fragestellung gemeinsam weiterentwickelten6. Bei Arbeitstreffen in Berlin, München, Mainz und Köln differenzierten die Mitglieder des Netzwerks die Fragestellung und vertieften methodische Grundlagen, trugen regionale Befunde zusammen und diskutierten signifikante Fälle. Zu diesen Treffen wurden darüber hinaus externe Fachleute eingeladen, um thematische Spezialkompetenz einzubringen, wo die eigene als nicht hinreichend empfunden wurde. Dies betraf insbesondere weitere Instrumente und zeitgenössische Wahrnehmungsparadigmen des Wandels. So referierte Herbert Schneider (München) über die Homogenisierung der Liturgie, Gerd Melville (Dresden) über das Verhältnis von Zentrum und Peripherie bei den Orden, Ralph-Johannes Lilie (Berlin) über die Lateinische Kirche in der Darstellung der byzantinischen Quellen und Alexander Beihammer (Nikosia) über Römische Kirche und Papsttum in der Wahrnehmung muslimisch-arabischer Quellen. Der erste Band ließ an ausgewählten Beispielen deutlich werden, dass der Einsatz päpstlicher Instrumente der kirchlichen Herrschaftsausübung wie Legaten, delegierte Richter oder die Dekretalengesetzgebung bisweilen mehr eine Reaktion auf Nachfrage der Ortskirchen waren als das Produkt gezielter Zent5

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Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie. Das universale Papsttum als Bezugspunkt der Kirchen von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III., hg. v. Jochen JOHRENDT/Harald MÜLLER, Berlin/New York 2008 (Neue AAG 2). Der Rahmen des Bandes ist damit zugunsten größerer Betrachtungstiefe wesentlich enger gesteckt als im Band Zentrum und Netzwerk. Kirchliche Kommunikationen und Raumstrukturen im Mittelalter, hg. v. Gisela DROSSBACH/Hans-Joachim SCHMIDT, Berlin/New York 2008 (Scrinium Friburgense 22), der Phänomene der Kommunikation vom Zentrum zum Netzwerk, vom Netzwerk zum Zentrum sowie innerhalb des Netzwerkes vom 11. bis 15. Jahrhundert untersucht. Mitglieder des Netzwerkes waren: Nicolangelo D’Acunto (Brescia), Stefan Burkhardt (Heidelberg), Ingo Fleisch (Bamberg), Klaus Herbers (Erlangen), Jochen Johrendt (Wuppertal), Lotte Kéry (Bonn), Harald Müller (Aachen), Rainer Murauer (Rom), Jörg Peltzer (Heidelberg), Przemysław Nowak (Warschau), Matthias Schrör (Düsseldorf), Ursula Vones-Liebenstein (Frankfurt a. M.), Thomas Wetzstein (Heidelberg), Claudia Zey (Zürich). Rolf Große (Paris) konnte nur in den Anfangsmonaten mitarbeiten.

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ralisierungsbemühungen Roms. Gleichwohl wurden sie zu Eingriffsmitteln umgeformt, in denen nicht zuletzt das transpersonale Kirchenregiment des Papsttums zum Ausdruck kam. An diesem interaktiven Grundkonzept hält auch der hier vorliegende, zweite Band des Netzwerks nach intensiver Diskussion fest. Zwar entwickelte sich das Papsttum als herausragende Institution, als ausgeformter Apparat erst im Laufe des 12. Jahrhunderts, und für die Zeit zuvor sollte man den Begriff der Kurie besser vermeiden; auch blieben die Päpste für ihr Kirchenregiment durchgehend auf personale Netze angewiesen, die von Papst zu Papst differieren und daher auch deren Durchsetzungsfähigkeit steigern oder schwächen konnten. Unabhängig von der persönlichen Eignung des amtierenden Papstes artikulierte das Papsttum aber umfassende, zeitübergreifende Geltungsansprüche und forderte deren Akzeptanz bei den Ortskirchen ein. Auch wenn in den folgenden Beiträgen immer wieder von Einzelpersonen wie Alexander III. oder Innozenz III. die Rede sein wird, so geht es bei der Gesamtanalyse doch vor allem um eine Summenbildung, um das Papsttum und nicht um einzelne Päpste. Wie der erste Band, so ist auch dieser Band zweigeteilt. In einem ersten Teil werden zunächst Instrumente, die aus römischer Perspektive der Zentralisierung dienten, auf ihre Wirkweise und Wirksamkeit hin untersucht7. In einem zweiten Teil werden dann einzelne Regionen ins Blickfeld gerückt und dabei die Anwendung, Akzeptanz oder Ablehnung der päpstlichen Mittel möglichst systematisch betrachtet. Dabei sollen Phasen und Intensitäten der Zentralisierung differenziert herausgearbeitet werden. Der Vergleich der Regionen demonstriert zudem die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die in den gängigen Handbüchern der Kirchen- und Papstgeschichte oftmals zugunsten einer scheinbar teleologischen Entwicklungslinie harmonisiert wird8. Für die regionalen Studien in diesem Band, die teils kirchliche Organisationseinheiten, teils politische Regionen in den Blick nehmen – im Einzelnen für die Mainzer und Salzburger Kirchenprovinzen, die Lombardei, Sizilien und Kalabrien, Ostmitteleuropa, den Nordwesten Frankreichs und die Kirchenprovinz Narbonne9 – wurde ein Raster an Fragen entwickelt, das eine größere 7

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Um Dopplungen zu vermeiden, bieten die beiden Beiträge zu den Delegaten und Legaten in erster Linie einen Forschungsüberblick und zeigen Perspektiven und Aufgaben der Forschung zu diesen beiden Themenbereichen auf. Vgl. die ähnliche Forderung (jedoch für eine transkulturelle Europawissenschaft) von Bernd SCHNEIDMÜLLER/Annette SEITZ: Transkulturelle Mediävistik – ein Schlusswort, in: Mittelalter im Labor. Die Mediävistik testet Wege zu einer transkulturellen Europawissenschaft, hg. v. Michael BORGOLTE u. a., Berlin 2008 (Europa im Mittelalter 10), S. 557–566, hier S. 566: „Vielmehr könnte das Wissen um die Verschränkung gegenläufiger Entwicklungen sowie das Aushalten von Spannungen und Widersprüchen entscheidende Einblicke in historische Abläufe als systemisches Mäandern jenseits aller harmonischen Geradlinigkeit bringen.“ Leider musste der von Ingo Fleisch bearbeitete Westiberische Raum (Galicien und Portugal) für die Drucklegung unberücksichtigt bleiben.

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Vergleichbarkeit der Ergebnisse sicherstellen soll: Fragen nach päpstlichen Legaten, ihrer Auswahl und der Häufigkeit ihres Einsatzes; nach der Anwendung delegierter Gerichtsbarkeit in den Regionen; nach der Umsetzung des kanonischen Rechts, nach der Frequenz von Papsturkunden; nach Exemtionen oder Kanonisationen. Auf personelle Wechselwirkungen zielt die Untersuchung von ad-limina-Besuchen, des Empfang des Palliums oder einer Weihe durch den Papst, ebenso die Betrachtung direkter Austauschprozesse durch die Einsetzung von Personen aus der engsten päpstlichen Umgebung auf regionale Funktionsstellen, beispielsweise von päpstlichen Notaren, Kaplänen, Subdiakonen und Kollektoren. Auch der Besuch der päpstlichen Synoden durch die Bischöfe aus den Untersuchungsregionen ist ein Moment des Austausches zwischen Rom und den Ortskirchen. Immer wieder stellten sich bei diesen Sondierungen ähnliche Grundfragen: Für wen war Rom wichtig? Wer waren die „Agenten“ Roms vor Ort? War Rom nur e i n e mögliche Legitimationsquelle für die eigenen Ansprüche? Je nach der Aufarbeitung des Materials wurden einzelne Elemente dieses differenzierten Fragerasters unterschiedlich stark gewichtet. So ist etwa das kanonistische Material aus dem Nordwesten Frankreichs bereits in seiner Fülle herausragend, während sich im unteritalienischen Raum nur wenige solcher Zeugnisse finden lassen. Diese Asymmetrien haben eine klare Aussagekraft. Auch die Schismen spielten in den behandelten Regionen eine unterschiedlich große Rolle für die Ortskirchen. Sie erweisen sich sowohl für die Weiterentwicklung der Institution Papsttum als katalytische, ja sogar entscheidende und in vieler Hinsicht für die Ortskirchen und ihre Verhältnis zu Rom prägende Phase. Ein zentraler Bestandteil aller regionalen Studien ist die Auswertung der Kommunikationsintensität zwischen Rom und den Regionen, wie sie in der Anzahl der überlieferten Briefe und Urkunden zum Ausdruck kommt. Mitunter helfen Diagramme, die Quantitäten auf einen Blick sichtbar zu machen und Einschnitte in der Kommunikation deutlicher zu erkennen – auch wenn sie allein kaum objektive Befunde darstellen können. Um derartigen Missverständnissen vorzubeugen werden sie stets durch eine qualitativ differenzierende Auswertung der gesammelten Daten untermauert. Bei den Regionalstudien war nicht nur die unterschiedlich dichte Überlieferung, sondern auch deren abweichend intensive Aufarbeitung zu berücksichtigen. Sind etwa die italienischen Bestände in der «Italia Pontificia» oder die Provinzen Salzburg und Mainz im Rahmen der «Germania Pontificia» zumindest bis 1198 gründlich aufgearbeitet10, so ist trotz der jüngsten Publikationen 10 Eine Einschränkung hinsichtlich der einheitlichen Aufarbeitung des Materials ist zumindest für die ersten vier Bände der Italia Pontificia zu machen, da in diesen das Material für die Kardinallegaten kaum und für die delegierten Richter nicht berücksichtigt wurde, vgl. dazu Rudolf HIESTAND: Die unvollendete Italia Pontificia, in: Hundert Jahre Papsturkundenforschung. Bilanz – Methoden – Perspektiven. Akten eines Kolloquiums zum hundertjährigen Bestehen der Regesta Pontificum Romanorum vom 9.–

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vor allem Frankreich bis heute ein spärlich beackertes Feld11. Die Quellen sind also weder einheitlich geformt, noch einheitlich aufgearbeitet. Die Regionalbetrachtungen weisen kein einheitliches Anfangs- und Enddatum auf; zu heterogen sind die politischen und überlieferungstechnischen Grundbedingungen. Doch durch die regelmäßige Überschreitung der traditionellen Grenze von 1198 wird nicht nur der Pontifikat Innozenz’ III. in die Untersuchung miteinbezogen, der für manche Entwicklungen eine Periode dauerhafter Fixierung ist, sondern auch die Aussagekraft und -fähigkeit des bislang allein durch die Empfängerüberlieferung geformten Quellenmaterials verändert. Denn nach 1198 sind dank der päpstlichen Register Mandate oder einfache Informationsschreiben in zuvor ungekannter Fülle zu fassen12. Dadurch tritt in der Überlieferung der päpstliche Gestaltungswille in neuer Intensität hervor, da aus früheren Zeiten – mit Ausnahme des Originalregisters Gregors VII. – solche Zusammenstellungen nicht vorliegen13. Durch die Einbeziehung der Registerüberlieferung wird nicht zuletzt die Aussagekraft des älteren Materials in eine breitere Relation gesetzt. Die regionalen Betrachtungen rücken vor allem Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Zentralisierung in den Vordergrund. Sie bemühen sich zudem um einen Vergleich zu anderen Verdichtungsprozessen in den Regionen, die auf die römische Zentralisation vorbildhaft wirkten oder diese nachahmten. Prozesshafte Aspekte der Zentralisierung werden unter anderem durch die Betrachtung der Schismen als außergewöhnlich zugespitzte Konkurrenzsituationen beleuchtet, in denen die Ortskirchen bisweilen ihr spezifisches Rombild offenbarten. Eng damit zusammen hängt auch die Frage nach der Chronologie der Romausrichtung – nicht auf die gesamte lateinische Kirche bezogen, sondern auf die Regionen –, so dass sich hier letztlich das Bild einer Kirche der unterschiedlichen Geschwindigkeiten ergibt. Wie gestaltete sich das Zusammenspiel von Norm und Wirklichkeit? Welche Instrumente der römischen 11. Oktober 1996 in Göttingen, hg. v. DEMS., Göttingen 2003 (AAG, phil-hist. Kl. 3. Folge 261), S. 47–57, hier S. 50f. Zum Abschluss der Italia Pontificia vgl. den Aufruf des Sekretärs der Pius-Stiftung, Klaus HERBERS: 100 Jahre Italia pontificia (1906– 2006) – Anregungen zur Abrundung, in: QFIAB 87 (2007) S. 374–379. 11 Zuletzt erschienen: Beate SCHILLING: Regesta Pontificum Romanorum. Gallia Pontificia III/1: Province ecclésiastique de Vienne. Tome I. Diocèse de Vienne, Göttingen 2006. Vgl. auch Dietrich LOHRMANN: Vingt-cinq ans de Gallia pontificia. Note sur l’avancement des travaux (mai 2007), in: RHEF 94 (2008) S. 117–125. 12 Auch in die päpstlichen Register des 13. Jahrhunderts wurde jedoch vermutlich weniger als ein Fünftel der ausgestellten Urkunden eingetragen, vgl. Othmar HAGENEDER: Probleme des päpstlichen Kirchenregiments im hohen Mittelalter (Ex certa scientia, non obstante, Registerführung), in: Lectiones eruditorum extraneorum in Facultate philosophica Universitatis Carolinae Pragensis factae 4, Praha 1995, S. 49–77, hier S. 53. 13 Vgl. dazu jüngst Rudolf SCHIEFFER: Die päpstlichen Register vor 1198, in: Das Papsttum und das vielgestaltige Italien. Hundert Jahre Italia Pontificia, hg. v. Klaus HERBERS /Jochen J OHRENDT, Berlin/New York 2009 (AAG, phil.-hist. Kl., N. F. 5), S. 261–273.

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Kirche wirkten konfliktauslösend, welche konsolidierend? Wie reagierte man in Rom darauf, welche Mittel setzte man immer wieder ein, mit welchen experimentierte man, welche übertrug man von einer Region auf die nächste? Zumal für die Ausformung der Kirche als ein liturgisch, rechtlich und organisatorisch einheitlich gestalteter Raum stellte sich immer wieder die Frage, ob der so erfasste Prozess mit dem Terminus Zentralisierung zutreffend umschrieben werden kann, oder ob nicht besser von einer intendierten Homogenisierung zu sprechen ist, die sich durch die Ausrichtung der Ortskirchen an einem Normenraster vollzog. Das Zentrum dieser Normen musste nicht zwangsläufig Rom beziehungsweise die Kurie sein. Es gab ganz offenbar mehrere Zentren oder vielleicht besser ausgedrückt: Quellen, aus denen sich der Normenfundus speiste und auf die man sich immer wieder bezog. War der Papst durch seine Dekretalen ohne Frage eine immer wichtiger werdende Quelle rechtlicher Normierung, so ist doch ebenso klar zu erkennen, dass sich Bologna zunehmend als ein „Nebenzentrum“ des kirchlichen Rechts etablierte, als eine weitere normative Quelle – unabhängig von einer Autorisierung durch Rom14. Dasselbe lässt sich auf ekklesiologischer Ebene durchspielen. Die Rückbindung der Kirche an Petrus, die Ambrosius kurz und knapp durch die Worte ubi Petrus ibi ecclesia auf den Punkt gebracht hatte15, verlieh dem Petrusgrab und damit der Stadt Rom eine Zentralitätswirkung für die gesamte Kirche. Doch die Chiffre Rom steht im Hochmittelalter oft genug für den Papst und die Kurie, die sich während des 12. Jahrhunderts indes häufig gar nicht in Rom aufhielten. Der im 13. Jahrhundert formulierte Grundsatz ubi papa ibi Roma verdeutlicht nicht zuletzt, dass sich die Zeitgenossen einer schon weit vor Avignon auftretenden mangelnden Deckungsgleichheit von Kurie und petrinischem Zentrum Rom bewusst waren16. Unter diesen hier nur stichpunktartig angerissenen Aspekten handelte es sich streng genommen nicht um ein einziges Zentrum, auf das hin die gesamte Kirche ausgerichtet wurde, sondern um ein polyzentrisches Gefüge, für welches das Papsttum die oberste Regelungskompetenz beanspruchte – auch wenn die Realität mitunter anders

14 Vgl. dazu Lotte KÉRY: Dekretalenrecht zwischen Zentrale und Peripherie, in: JOHRENDT/MÜLLER (wie Anm. 5) S. 19–45, zu Nebenzentrum bzw. Neben-Zentrale S. 37. 15 Ambrosius, Explanatio psalmorum XII, ed. Michael PETSCHENIG, editio altera supplementis aucta curante Michaela ZELZER, Wien 21999 (CSEL 64), S. 250 Z. 19. 16 Auf die Polyzentralität der Orden wies vor allem Gert Melville in seinem Vortag zu Zentrum und Peripherie bei den Orden hin, der unter anderem zwischen rechtlichem, spirituellen oder organisatorischem Zentrum unterschied.

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aussah17. Dass dieses Gefüge unterschiedliche Zentren besaß, minderte seine Wirkmächtigkeit nicht, machte es in vielerlei Hinsicht sogar flexibler18. Auf die Dauer führten die gesteigerte Normierung und die Verdichtung der Kommunikation aufs Ganze gesehen zweifellos zu einer Homogenisierung in der lateinischen Kirche, in langfristiger Perspektive fraglos auch zu Lasten ihrer Pluralität. In diesem Prozess kennzeichnet ‚Homogenisierung‘ nicht eine vermeintlich uniforme kulturelle Identität der lateinischen Kirche und damit ein imaginiertes festes Profil eines mittelalterlichen Lateineuropa19. Der Begriff meint vielmehr die multiple, interaktive Verständigung auf grundsätzliche gemeinsame Praktiken des Verhaltens und der Kommunikation, eine gewisse Standardisierung von Ordnungs- und Handlungsschemata. Sie fiel im Bereich des Rechts klarer aus als im Bereich der Liturgie, setzte im einen Fall stärker beachtete Leitmarken als im anderen, führte gleichwohl aber zu einer auf einen gemeinsamen Bezugspunkt hin ausgerichteten Gesamtkirche. Dabei handelte es sich indes nicht um einen allein von Rom gesteuerten Prozess, sondern um eine dialogisch vorangetriebene Verdichtung, wie die Beispiele der delegierten Gerichtsbarkeit sowie Kloster- und Bistumsexemtionen sichtbar machen20. Zugleich wird in umgekehrter Betrachtungsrichtung deutlich, dass auch das Zentrum nicht von den Einflüssen der Umwelt unberührt blieb, sondern selbst durch diese geformt wurde. Denn das Normengefüge wirkte auf die Quellen zurück, die es speisten, auch auf den Punkt, der – wie in der Person Bonifaz’ VIII. eingangs dargestellt – von sich behauptete, das alleinige Zentrum zu sein. Wohl nur eine umfangreiche Monographie wird am Ende in der Lage sein, diesen dialogischen, in sich keineswegs geschlossenen Prozess der Formung in befriedigender Weise analytisch zu bündeln; bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Das Hauptanliegen des vorliegenden Bandes fällt deutlich bescheidener aus. Das Ziel des Netzwerks war es, konzeptionelle, methodische 17 So postulierte Gregor VII. im «Dictatus papae», Das Register Gregors VII., 2 Bde., hg. v. Erich CASPAR, Berlin 1920–1923 (MGH Epp. sel. 2/1–2), II/55a, S. 205 Z. 8f.: XVII. Quod nullum capitulum nullusque liber canonicus habeatur absque illius auctoritate. Es blieb ein Postulat. 18 Zur Polyzentrik dieses Normengefüges vgl. auch Hans-Joachim SCHMIDT: Einleitung: Zentrum und Netzwerk. Metaphern für kirchliche Organisationsformen im hohen und im späten Mittelalter, in: DROSSBACH/SCHMIDT (wie Anm. 5) S. 7–40, hier S. 28–37. 19 Zur Ablehnung eines solchen Identitätsbegriffs vgl. die Arbeiten des DFG-Schwerpunktprogramms ‚Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter‘, zuletzt: Christian JÖRG u. a.: Soziale Konstruktion von Identität. Prozesse christlicher Selbstvergewisserung im Kontakt mit anderen Religionen. Einleitung, in: Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter, hg. v. Michael BORGOLTE u.a., Berlin 2011 (Europa im Mittelalter 18), S. 18–23, hier S. 22; in weiterer Perspektive: Julia DÜCKER/Marcel MÜLLERBURG, Bilanz eines Aufbruchs, in: ebd. S. 561–586, hier S. 563–571. 20 Leider musste der Beitrag von Klaus Herbers zu den exemten Bistümern León, Burgos und Oviedo für die Drucklegung unberücksichtigt bleiben.

Rom und die Regionen

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und inhaltliche Anstöße zu geben für die Erfassung eines entscheidenden Entwicklungszeitraumes in der Geschichte der Lateinischen Kirche. Die Formulierung eines römischen Führungsanspruchs, die Instrumente seiner Durchsetzung und deren Wirksamkeit in den Regionen galt es als vielgestaltige Interaktion zu beschreiben, die ein hohes Maß an Gleichförmigkeit insbesondere in grundlegenden kommunikativen Handlungsweisen und Normverständnissen erzeugte ohne unentrinnbaren Zwangscharakter zu besitzen. Trotz intensiver Arbeit in der Forschergruppe bleibt die Annäherung letztlich bruchstückhaft. Sie ist gleichwohl in den beiden vorgelegten Bänden grundsätzlich für die Instrumente und exemplarisch für einzelne Regionen versucht worden. Allen Teilnehmern ist klar, dass genügend blinde Flecken und offene Fragen bleiben. So waren die Lasten des Homogenisierungsprozesses an dieser Stelle kein eigenes Thema. Konformitätsdruck provoziert immer auch Abwehr und Abwendung. Insofern bildet etwa das Phänomen der Häresien und ihrer von Rom initiierten oder sanktionierten Verfolgung die Rückseite der hier präsentierten Medaille. Auch dabei zeigt sich indes die Polarität als geeignetes Leitbild. Das Begriffspaar „Zentrum und Peripherie“, anfangs in Teilen als verkürzte Vorstellung der Übermacht Roms gegenüber den anderen Kirchen Europas gedeutet, symbolisiert immer noch treffend die Grundvorstellung zweier Pole, die nur miteinander eine sinnvolle Konstruktion eingehen können und deshalb in einer dialogischen, mitunter dialektischen Spannung stehen. Die Lateinische Kirche des Hochmittelalters bezog ihr Profil in entscheidendem Maß aus diesem Dialog zwischen Rom und den Regionen.

I. Instrumente zentraler Steuerung?

Noverca omnium ecclesiarum Der römische Universalepiskopat des Hochmittelalters im Spiegel der päpstlichen Finanzgeschichte THOMAS WETZSTEIN 1. Einleitung Der englische Gelehrte Johannes von Salisbury gibt um 1159 in seinem Hauptwerk «Policraticus» ein Gespräch wieder, das er einige Jahre zuvor mit Papst Hadrian IV. geführt hatte, als er sich während dreier Monate in dessen unmittelbarer Umgebung habe aufhalten und vertraulichen Umgang mit ihm habe pflegen dürfen1. Dabei habe der Papst auch eines Tages vom kurienerfahrenen Sekretär des Erzbischofs von Canterbury erfahren wollen, was man in der Christenheit über die Kurie und den Papst denke und er habe ihm schonungslos und in aller Offenheit seine Wahrnehmungen berichtet. Statt als Mutter aller Kirchen, so wandelt Johannes von Salisbury die eingeführte Metapher der Funktion des Papstes ab, nähmen viele die römische Kirche als Stiefmutter wahr. In diuersis prouinciis sei es vor allem die unersättliche Geldgier, welche den Sitz des Papstes in Verruf bringe2. Man kann zunächst geneigt sein, hier die verbreitete Topik der Hofkritik zu vermuten und der Aussagen den Johannes von Salisbury einen geringen

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Vgl. zum Aufenthalt des Johannes von Salisbury bei Hadrian IV. zwischen November 1155 und Juli 1156 die Rekonstruktion bei Max KERNER: Johannes von Salisbury und die logische Struktur seines Policraticus, Wiesbaden 1977, S. 111–118. Vgl. zur Gesamtcharakterisierung des Werks die knappen Angaben bei Max MANITIUS: Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, Bd. 3: Vom Ausbruch des Kirchenstreites bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts, München 1931 (Handbuch der Altertumswissenschaft 9,2,3), S. 256–258. Johannes Sarisberiensis: Policraticus sive De nugis curialium et vestigiis philosophorum. Recognovit et prolegomenis, apparatu critico, commentario, indicibus instruxit Clemens C. I. WEBB, Bd. 2, Oxford 1909 (ND Frankfurt a. M. 1965), VI/24, S. 67: Cum itaque, ut fieri solet inter amicos, saepe super plurimis conferremus, et ipse quid de se et ecclesia Romana sentirent homines a me familiarius et diligentius quaereret, ego apud eum usus spiritus libertate mala, quae in diuersis prouinciis audieram, patenter exposui. Sicut enim dicebatur a multis, Romana ecclesia, quae mater omnium ecclesiarum est, se non tam matrem exhibet aliis quam nouercam. […] Omnia namque cum pretio hodie; sed nec cras aliquid sine pretio obtinebis.

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historischen Zeugniswert zuzuschreiben3. Mag die Kenntnis vergleichbarer Texte einem gebildeten und in den antiqui wie moderni bewanderten Autor wie Johannes von Salisbury auch manches Stichwort geliefert haben, so markiert die mit dem Ende des 11. Jahrhunderts einsetzende und in den Folgejahrzehnten immer deutlicher vernehmbare Kritik an der Geldgier des Papstes doch eine neue Phase päpstlichen Universalismus, der sich zunehmend auch in Geldforderungen an immer weiter entfernte Gläubige ausdrückte. Im Jahre 1099 eröffnete der «Tractatus Garsiae» eine ganze Folge von Texten und Textpassagen, die nicht ohne Groll die immer drückenderen und weitreichenderen Geldforderungen des Papstes und der im Entstehen begriffenen Kurie registrierten4. Guibert von Nogent erhob um 1115 ausdrückliche Simonievorwürfe, als ihm an der Kurie bedeutet wurde, die Gewährung der Konfirmation einer Bischofswahl sei abhängig vom Versprechen des Kandidaten, den Papst künftig finanziell zu unterstützen5. Auch Johannes von Salisbury hatte keineswegs nur im zitierten Text seinen Unmut über den Finanzbedarf der Kurie geäußert: Schon bei der Beschreibung der Kurie der Jahre zwischen 1147 und 1152 hatte er in der «Historia Pontificalis» deren Geldgier angeprangert6, und auch aus Mainz sind ungefähr aus der gleichen Zeit Klagen über Zahlungen an den Papst zu vernehmen7.

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Dabei ist allerdings zu bedenken, dass Claus Uhlig unseren Autor mit seinem «Policraticus» in seiner Hamburger Habilitationsschrift als „den eigentlichen Begründer der Hofkritik“ betrachtet, Claus UHLIG: Hofkritik im England des Mittelalters und der Renaissance. Studien zu einem Gemeinplatz der europäischen Moralistik, Berlin/New York 1973 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker NF 56), S. 54. Vgl. auch die Bemerkungen ebd., S. 27–54, zum «Policraticus» insgesamt. Der satirische Bericht der fiktiven Reise des Erzbischofs von Toledo an die als raffgierig geschilderte Kurie Urbans II., die mit den Reliquien Gold und Silber günstig gestimmt wird, ist ediert in: Tractatus Garsiae or the Translation of the Relics of SS. Gold and Silver, hg. mit Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar v. Rodney M. THOMSON, Leiden 1973 (Textus Minores 46). Hypothesen zum historischen Hintergrund finden sich bei Michael MATZKE: Daibert von Pisa. Zwischen Pisa, Papst und erstem Kreuzzug, Sigmaringen 1998 (VuF Sonderbd. 44), S. 97–100. Vgl. auch die kurze Zusammenfassung bei MANITIUS (wie Anm. 1) S. 46. Guibert von Nogent: De vita sua sive monodiarum libri tres, in: Migne PL 156, Sp. 941 (dem Kämmerer Petrus von Cluny zugeschrieben): Quoniam recepit dominus papa testimonium vestrum pro persona quam vultis, et vos gratanter audivit, debetis ammodo suggerere electo vestro ut imperio domini papae in cunctis obediat, et in tantum ei de suis obsequatur, ut vos denuo si opus fuerit, pro ipso et aliis libenter exaudiat. Ecce mel illitum per ora virosi poculi. Quid enim melius quam papae obtemperare praeceptis? quid pejus quam pro indulta Dei gratia hominibus pretio obsequi? Ego tamen talis negotii internuntius vehementer esse perhorrui. Vgl. auch zu dieser Quelle MANITIUS (wie Anm. 1) S. 420f. Johannes von Salisbury: Historia Pontificalis. Memoirs of the papal court, hg. v. Marjorie CHIBNALL, London u.a. 1956 (Medieval texts), c. 38–39, S. 75–78. Siehe dazu unten Anm. 100.

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Dass die Päpste in nur wenigen Jahrzehnten zu einer universalen Macht aufgestiegen waren, stellt freilich ein weitaus umfassenderes Phänomen dar, als dies diese wenigen, aber aus unterschiedlichen Regionen gegen den erheblichen Finanzbedarf des Papstes gerichteten Stimmen erkennen lassen8. Wenn die Päpste zunehmend finanzielle Ressourcen aus einem immer ausgedehnteren geographischen Raum zu mobilisieren verstanden, so handelt es sich dabei lediglich um einen Aspekt aus einem ganzen Spektrum von Maßnahmen und Instrumenten, die, von einer zunehmend universalistisch konzipierten Amtsauffassung begleitet, das Amt des römischen Bischofs auch in der Praxis in ein Universalepiskopat verwandelt hatten9. Neben Papstreisen und Legationen ermöglichte auch die päpstliche Synodalpraxis den Päpsten eine neuartige und nachhaltige Wirkung in den Raum hinein10. Bei der Raumüberwindung spielte darüber hinaus die intensive Nutzung technisch-konzeptioneller Innovationen eine entscheidende Rolle: Die Päpste waren seit dem Beginn der Reformzeit mit den Möglichkeiten pragmatischer Schriftlichkeit und deren Nutzung als Medium der Fernkommunikation derart vertraut, dass etwa den Enzykliken in Schisma-Zeiten seit dem Cadalus-Schisma von 1061 entscheidende Bedeutung zukam11. Schon mit dem Pontifikat Leos IX. sind erstmals mehr Papstur8 Weitere Verweise auf vergleichbare Äußerungen sind etwa zusammengestellt bei Albert HAUCK: Kirchengeschichte Deutschlands. Vierter Teil. Erste und zweite (Doppel-) Auflage, Leipzig 1903, S. 258 Anm. 6. 9 Vgl. dazu Thomas WETZSTEIN: Wie die urbs zum orbis wurde. Der Beitrag des Papsttums zur Entstehung neuer Kommunikationsräume im europäischen Hochmittelalter, in: Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie. Das universale Papsttum als Bezugspunkt der Kirchen von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III., hg. v. Jochen JOHRENDT/Harald MÜLLER, Berlin/New York 2008 (AAG NF 2), S. 47–75. 10 Vgl. für die Frühzeit der neuartigen päpstlichen Reisetätigkeit Jochen JOHRENDT: Die Reisen der frühen Reformpäpste – Ihre Ursachen und Funktionen, in: RQ 96 (2001) S. 57–94. Einen aktuellen Überblick über die päpstliche Legationspraxis im fraglichen Zeitraum bietet Claudia ZEY: Handlungsspielräume – Handlungsinitiativen. Aspekte der päpstlichen Legatenpolitik im 12. Jahrhundert, in: Zentrum und Netzwerk. Kirchliche Kommunikationen und Raumstrukturen im Mittelalter, hg. v. Gisela DROSSBACH/Hans-Joachim SCHMIDT, Berlin/New York 2008 (Scrinium Friburgense 22), S. 63–92. Zur Synodalpraxis sei an dieser Stelle verwiesen auf Thomas WETZSTEIN: Zur kommunikationsgeschichtlichen Bedeutung der Kirchenversammlungen des hohen Mittelalters, in: DROSSBACH/SCHMIDT, S. 247–297. 11 Einführend sei zum Begriff der pragmatischen Schriftlichkeit verwiesen auf Hagen KELLER: Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen. Einführung zum Kolloquium in Münster, 17.–19. Mai 1989, in: Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen. Akten des internationalen Kolloquiums, 17. – 19. Mai 1989, hg. v. Hagen KELLER u.a., München 1992 (Münstersche Mittelalter-Schriften 65), S. 1–7. Zur Bedeutung der Enzykliken im Cadalus-Schisma finden sich entsprechende Nachweise bei Ian Stuart ROBINSON: The friendship network of Gregory VII, in: History 63 (1978) S. 1–22, hier S. 9 Anm. 51. Die Belege für die Schismen der Jahre 1130 und 1150 verzeichnet Timothy REUTER: Zur Anerkennung Papst Innocenz’ II. Eine neue Quelle,

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kunden als Urkunden der deutschen Könige überliefert, und bereits ein Jahrhundert später stellte in einem Fünfjahreszeitraum Friedrich I. ganze 189, Papst Hadrian IV. jedoch knapp 1 000 Urkunden aus12. Auch die Einfügung einer Ratihabitationsklausel in die Ernennungsschreiben der päpstlichen Legaten, in welcher sich der Papst auf die Anerkennung der Entscheidungen seines Stellvertreters verpflichtete, war nicht nur diplomatiegeschichtlich eine bemerkenswerte Innovation, sondern eröffnete Legaten auch in entferntesten Regionen weite Handlungsspielräume ohne langwierige Konsultationen ihres Auftraggebers13. Auch in einem anderen Bereich erwuchsen den Päpsten, angefangen von Leo IX., verbesserte Möglichkeiten, auch die von ihrem Sitz

in: DA 39 (1983) S. 395–416, hier S. 397 mit Anm. 11. Vgl. zu den Enzykliken der Päpste auch die Bemerkungen bei Rudolf SCHIEFFER: Die Erfindung der Enzyklika, in: Fortschritt durch Fälschungen? Ursprung, Gestalt und Wirkungen der pseudoisidorischen Fälschungen. Beiträge zum gleichnamigen Symposium an der Universität Tübingen vom 27. und 28. Juli 2001, hg. v. Wilfried HARTMANN/ Gerhard SCHMITZ, Hannover 2002 (MGH Studien und Texte 31), S. 111–124. Im weiteren Kontext einer Frühform päpstlicher „Propaganda“ betrachtet Christoph EGGER: Päpstliche Wahldekrete und Wahlanzeigen – Formen mittelalterlicher Propaganda?, in: Propaganda, Kommunikation und Öffentlichkeit (11.–6. Jahrhundert), hg. v. Karel HRUZA, Wien 2002 (SAW. PH Denkschriften 307 = Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 6), S. 89–125, die Enzykliken der Päpste. Zum gesamten Problemkomplex ist auch heranzuziehen: Rudolf SCHIEFFER: Rechtstexte des Reformpapsttums und ihre zeitgenössische Resonanz, in: Überlieferung und Geltung normativer Texte des frühen und hohen Mittelalters, hg. v. Hubert MORDEK, Sigmaringen 1986 (Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter 4), S. 51–69. 12 Rudolf HIESTAND: Die Leistungsfähigkeit der päpstlichen Kanzlei im 12. Jahrhundert mit einem Blick auf den lateinischen Osten, in: Papsturkunde und europäisches Urkundenwesen. Studien zu ihrer formalen und rechtlichen Kohärenz vom 11. bis ins 15. Jahrhundert, hg. v. Peter HERDE/Hermann JAKOBS, Köln u.a. 1999 (ADipl. Beih. 7), S. 1–26, hier bes. S. 4. Vgl. auch die anregenden weiterführenden Überlegungen bei Ernst-Dieter HEHL: Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts. Einleitende Bemerkungen zu Anforderungen und Leistungen, in: Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts, hg. v. DEMS. u.a., Stuttgart 2002 (Mittelalter-Forschungen 6), S. 9–23, hier bes. S. 10. 13 Vgl. zu diesem erstmals 1063 nachweisbaren Instrument Theodor SCHIEFFER: Die päpstlichen Legaten in Frankreich vom Vertrage von Meersen (870) bis zum Schisma von 1130, Berlin 1935 (Historische Studien 263), S. 236–238. Den diplomatiegeschichtlichen Zusammenhang beleuchtet François Louis GANSHOF: Le moyen âge, Paris, überarb. Aufl., 21958 (Histoire des relations internationales 1), S. 119–157. Systematisch-rechtshistorische Betrachtungen zur Bevollmächtigung der Legaten finden sich bei: Richard A. SCHMUTZ: Medieval Papal Representatives: Legates, Nuncios, and Judges Delegate, in: Post Scripta. Essays on Medieval Law and the Emergence of the European State in Honor of Gaines Post, Romae 1972 (Studia Gratiana 15), S. 441– 463, hier S. 447–448; Robert C. FIGUEIRA: The canon law of papal legation, PhD.Cornell Univ. 1980, S. 121–253.

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entfernten Regionen der lateinischen Kirche zu erreichen14: Die Straffung der kirchlichen Hierarchie und die Ausrichtung der kirchlichen Ämter auf die Person des Papstes brachte nicht nur eine Intensivierung des persönlichen Kontakts zwischen dem Pontifex und den Prälaten im Rahmen von Pallienreisen und ad-limina-Besuchen mit sich und verstärkte die Bedeutung des Papstes als iudex supremus, sondern sie schuf auch Ansätze einer flächendeckenden Verwaltungsstruktur mit gänzlich neuen Perspektiven der kommunikativen Erreichbarkeit15. Das umfangreiche Thema der Erschließung großer Räume durch die Päpste des Hochmittelalters kann hier nur summarisch angerissen werden16. Das in 14 Vgl. zum hier angesprochenen, aus der lateinischen Liturgiesprache wie aus der Obödienzverpflichtung gegenüber dem römischen Bischof abgeleiteten Raumdefinition, die Ausführungen bei Robert BARTLETT: The making of Europe. Conquest, colonization and cultural change 950–1350, London 1993, S. 243–250; Rudolf SCHIEFFER: Gregor VII. und die Könige Europas, in: StGreg 13 (1989) S. 189–211, auf den Terminus des orbis latinus bezogen. 15 Besonders deutlich lässt sich eine Nutzung der kirchlichen Hierarchie für Zwecke der Kommunikation im Falle der Konzilien erkennen. Alexander III. griff etwa im Zuge der Vorbereitung des Dritten Laterankonzils umfassend auf die Metropoliten zurück, um dem Ladungsschreiben eine weitere Verbreitung zu sichern, vgl. dazu Ludwig FALKENSTEIN: Ein vergessener Brief Alexanders III. an einen rex Hibernorum (mit einer Liste der im Codex Vaticanus Reg. lat. 179 überlieferten Papst- und Kurialkorrespondenz), in: AHP 10 (1972) S. 107–160, hier S. 119–122. Die im Jahre 1213 durch Innozenz III. nach dem gleichen Prinzip vorgenommene Ladung zum Vierten Laterankonzil behandelt umfassend Georgine TANGL: Studien zum Register Innocenz' III, Weimar 1929, hier bes. S. 77–79. Vgl. zur Straffung der kirchlichen Hierarchie die Angaben bei WETZSTEIN: Wie die urbs zum orbis wurde (wie Anm. 9) S. 65–68. Wichtige Aspekte der Ausrichtung der römischen Kirche auf den Papst behandelt auch Rudolf SCHIEFFER: Die päpstliche Kurie als internationaler Treffpunkt des Mittelalters, in: Aus der Frühzeit europäischer Diplomatie. Zum geistlichen und weltlichen Gesandtschaftswesen vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, hg. v. Claudia ZEY/Claudia MÄRTL, Zürich 2008, S. 23–39. Die päpstliche Rechtsprechung harrt noch immer einer umfassenden Darstellung, vgl. statt Einzelverweisen hier Thomas WETZSTEIN: Heilige vor Gericht. Das Kanonisationsverfahren im europäischen Spätmittelalter, Köln u.a. 2004 (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 28), S. 117 Anm. 321; Othmar HAGENEDER: Kirche und Christenheit in der neuen Ekklesiologie des Papsttums, in: Pensiero e sperimentazioni istituzionali nella ‚Societas Christiana’ (1046–1250). Atti della sedicesima Settimana internazionale di studio, Mendola, 26–31 agosto 2004, hg. v. Giancarlo ANDENNA, Milano 2007 (Storia. Ricerche), S. 215–236, hier S. 224–228; für den Betrachtungszeitraum die aufschlußreichen Einzelstudien von Ernst MÜLLER: Der Bericht des Abtes Hariulf von Oudenburg über seine Prozeßverhandlungen an der römischen Kurie im Jahre 1141, in: NA 48 (1930) S. 97–115; M. SPAETHEN: Giraldus Cambrensis und Thomas von Evesham über die von ihnen an der Kurie geführten Prozesse, in: NA 31 (1906) S. 595–649. 16 Umfassender ist das Thema in demnächst erscheinender Heidelberger Habilitationsschrift des Verfassers zur Kommunikationsgeschichte des europäischen Hochmittelalters behandelt. Vgl. einstweilen auch Thomas WETZSTEIN: Europäische Vernetzun-

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groben Strichen gezeichnete Panorama diente dabei nicht nur dem Zweck, das folgende sinnvoll in seinen Kontext einzubetten, sondern erfüllte auch die Funktion, das Erkenntnisziel der Darstellung deutlich zu machen: Wenn im folgenden der Versuch unternommen wird, die päpstliche Finanzgeschichte zwischen der Mitte des 11. und dem Ende des 12. Jahrhunderts darzustellen, so dient dies dem Ziel, anhand eines paradigmatischen Indikators die Bedeutung des Papsttums zur Entstehung von Kommunikationsräumen auf der Ebene der hochmittelalterlichen lateinischen Christenheit darzustellen17. Dieser Ansatz macht sich dabei den Umstand zunutze, dass der Transfer von Geld im hier interessierenden Zeitraum grundsätzlich physisch erfolgte und allenfalls durch eine Vorform des Wechselbriefs erleichtert werden konnte18. In keinen Fall aber konnte er sich ohne die Bewegung von Menschen im Raum vollziehen. In ihren mobilitäts- und kommunikationsgeschichtlichen Implikationen liegt die paradigmatische Bedeutung der Finanzgeschichte zur Ermittlung der Raumbeziehungen des Papsttums begründet, denn eine umfassende Darstellung der langfristigen, institutionalisierten Beziehungen des Papsttums zur Gesamtheit der lateinischen Christenheit ist zum jetzigen Zeitpunkt kaum möglich. Selbst wenn die Papsturkunden dazu hinreichend geeignet wären – und begründete Zweifel daran sind schon aufgrund von je nach Raum und Zeit abweichenden Registrierungs- und Archivierungspraktiken bei Ausstellern und Empfängern, erst recht aber mit Blick auf die Überlieferungslage angebracht –, ist der Stand ihrer Erschließung und Erforschung keineswegs so weit gediehen, dass sie zu verlässlichen Aussagen führten. Auch die Legatentätigkeit, von der für das hier verhandelte Thema weitaus wesentlichere Erkenntnisse zu erwarten sind, harrt seit Jahren der Publikation einer synthetisch-systematischen Darstellung durch Claudia Zey. Es stellt daher in erster Linie einen Notbehelf dar, wenn zur Ermittlung langfristiger und in gewissem Umfang auch institutionalisierter Raumbeziehungen zwischen den Päpsten und den Regionen das einigermaßen überschaubare Gebiet der päpstlichen Finanzgeschichte herangezogen wird19. gen. Straßen, Logistik und Mobilität in der späten Salierzeit, in: Salisches Kaisertum und neues Europa in der Zeit Heinrichs IV. und Heinrichs V., hg. v. Bernd SCHNEIDMÜLLER/Stefan WEINFURTER, Darmstadt 2007, S. 341–370. 17 Unter ‚Kommunikationsraum’ sei in diesem Zusammenhang ein Raum verstanden, der durch weiträumige, institutionalisierte Kommunikationsbeziehungen definiert ist, vgl. dazu ausführlicher WETZSTEIN: Bedeutung (wie Anm. 10) S. 250–257; DERS.: urbs (wie Anm. 9) S. 47–51. Zu Stabilität, Normativität und Transpersonalität als wesentliche Merkmale von Insitutionalisierung Wolfgang LIPP/Hasso HOFMANN/Christoph HUBIG: s.v. «Institution», in: StL7 3 (1987/1995), Sp. 99–109, mit allgemeinen Merkmalen; Gert MELVILLE: Institutionen als geschichtswissenschaftliches Thema, in: Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde, hg. v. DEMS., Köln/Wien 1992 (Norm und Struktur 1), S. 1–24. 18 Vgl. dazu unten Anm. 74. 19 Ähnliches hat – freilich auf einer quantitativ wie qualitativ gänzlich anderen Quellengrundlage – Götz-Rüdiger Tewes in seiner Kölner Habilitationsschrift für die spätmit-

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Dabei stehen im Folgenden vor allem kommunikationsgeschichtlich relevante Problemkomplexe im Vordergrund: Welche Medien und welche Techniken kamen im Verkehr zwischen den Päpsten und den Erbringern finanzieller Leistungen zum Einsatz? Lässt eine längerfristige Beobachtung der päpstlichen Finanzgeschichte das Raumwirken der Päpste erkennen? Und schließlich: Lassen sich den finanzgeschichtlich bedeutsamen Quellen Informationen zu unterschiedlichen Graden institutionalisierter Raumbeziehungen entnehmen? Die Geschichte der päpstlichen Finanzen leidet keineswegs an einem mangelnden Interesse der Forschung. Wenn wir uns allerdings im Folgenden den kommunikationsgeschichtlichen Aspekten dieses vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert gründlich bearbeiteten Forschungsfeldes näher zuwenden, so zeigt sich, dass keineswegs alle Phasen der mittelalterlichen Papstfinanz gleichmäßig ausgeleuchtet sind. Während nämlich die Zeit seit dem 13. Jahrhundert Gegenstand einiger, die avignonesische Epoche sogar zahlreicher und nicht selten umfangreicher Studien war, kann dies für den hier interessierenden Zeitraum des 11. und 12. Jahrhunderts nicht in gleicher Weise behauptet werden20. Der geringere Umfang der Forschungstätigkeit zur hochmittelalterlichen telalterliche Kurie in ihren Beziehungen zum Reich unternommen, Götz Rüdiger TEWES: Die römische Kurie und die europäischen Länder am Vorabend der Reformation, Tübingen 2001 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 95), hier bes. S. 190–224. 20 Anzuführen sind für die spätere kuriale Finanzgeschichte etwa neben dem Überblick bei Clemens BAUER: Die Epochen der Papstfinanz. Ein Versuch, in: HZ 138 (1928) S. 457–503 (Nachdruck in: DERS.: Gesammelte Aufsätze zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Freiburg u.a. 1965, S. 112–147 [hier verwendet]); Adrien CLERGEAC: La curie et les bénéfices consistoriaux. Étude sur les communs et menus services (1300– 1600), Paris 1911; Friedrich BAETHGEN: Quellen und Untersuchungen zur Geschichte der päpstlichen Hof- und Finanzverwaltung unter Bonifaz VIII., in: QFIAB 20 (1928/29) S. 114–237; ND in DERS.: Mediaevalia. Aufsätze, Nachrufe, Besprechungen, Bd. 1, Stuttgart 1960 (Schriften der MGH 17,1), S. 228–295 (ohne den Quellenanhang des Erstdrucks); Francesca BARTOLACCI: L’amministrazione finanziaria della Marca nel XIII–XIV secolo. I casi di Jesi e Matelica, in: Archivi per la storia 13 (2000) S. 131–138; zu Avignon insbes.: Emil GÖLLER: Zur Geschichte der päpstlichen Finanzverwaltung unter Johannes XXII, in: RQ 15 (1901) S. 281–302; Yves RENOUARD: Les relations des papes d'Avignon et des compagnies commerciales et bancaires de 1316 à 1378, Paris 1941 (Bibliothèque des Écoles Françaises d'Athènes et de Rome 151); Jean FAVIER: Les finances pontificales à l'époque du grand schisme d'occident 1378–1409, Paris 1966 (Bibliothèque des Écoles Françaises d'Athènes et de Rome 211); zuletzt auch Stefan WEISS: Die Versorgung des päpstlichen Hofes in Avignon mit Lebensmitteln (1316–1378). Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte eines mittelalterlichen Hofes, Berlin 2002. Weitere bibliographische Hinweise für die ältere Literatur finden sich zusammengestellt bei dem grundlegenden Überblick von William E. LUNT: Papal revenues in the Middle Ages. 2 Bde, New York 1934 (Records of Civilization 6), hier Bd. 2, S. 541–565, mit einer Darstellung der päpstlichen Finanzgeschichte in Bd. 1, S. 1–136, und einer Sammlung von über 580 Quellenbelegen, die

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Finanzgeschichte des Papsttums ist dabei in erster Linie der dürftigen Quellenlage zuzuschreiben, die allenfalls – wie zu zeigen ist – durch die Auswertung verstreuter Belege in nichtpäpstlichen Quellenkorpora wie etwa den hochmittelalterlichen Briefsammlungen weiter verbessert werden kann21. Im Zusammenhang mit unserem Thema interessiert aus dem Bereich der päpstlichen Finanzgeschichte zunächst ein bestimmtes Segment: die Erschließung von Finanzquellen durch die Päpste, die mit den Größen Raum und Mobilität verknüpft und daher geeignet sind, als Indikatoren institutionalisierter Beziehungen zwischen dem römischen Bischof und dem Raum der lateinischen Christenheit zu dienen. Aus systematischen Gründen sind Prokurationen und Subsidien, wie sie häufig bei Papst- und Legatenreisen vor Ort erhoben wurden, daher im Folgenden nicht systematisch berücksichtigt22. Auch die zwar ausschließlich in englischer Übersetzung, dafür aber unter Angabe des jeweiligen Fundortes wiedergegeben werden, in Bd. 1, S. 137–341 und Bd. 2, S. 1–537; vgl. auch den Überblicksaufsatz bei DEMS.: The financial system of the medieval papacy in the light of recent literature, in: The Quarterly Journal of Economics 23 (1909) S. 251–295; Christiane SCHUCHARD: Die päpstlichen Kollektoren im späten Mittelalter, Tübingen 2000 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 91) S. 9– 11, mit neueren bibliographischen Hinweisen zur Geschichte der Papstfinanz. 21 Vgl. zur Quellenlage auch die Bemerkungen bei Karl JORDAN: Zur päpstlichen Finanzgeschichte im 11. und 12. Jahrhundert, in: QFIAB 25 (1933/34) S. 61–104, hier S. 61; ND in: DERS.: Ausgewählte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters, Stuttgart 1980 (Kieler Historische Studien 29), S. 85–128. Dieser quellengesättigte Überblicksaufsatz stellt einen der wichtigen umfassenderen Beiträge zur päpstlichen Finanzgeschichte im fraglichen Zeitraum dar, allerdings nur bis zum Jahre 1130, dem Beginn des innozentianischen Schismas; darüber hinaus sei verwiesen auf Fedor SCHNEIDER: Zur älteren päpstlichen Finanzgeschichte, in: QFIAB 9 (1906) S. 1–37, mit vorrangiger Berücksichtigung der Zeit des alexandrinischen Schismas, 1159–1177; Jürgen SYDOW: Cluny und die Anfänge der Apostolischen Kammer. Studien zur Geschichte der päpstlichen Finanzverwaltung im 11. und 12. Jahrhundert, in: SMGB 63 (1951) S. 45–66; ND in: DERS.: Cum omni mensura et ratione. Ausgewählte Aufsätze. Festgabe zu seinem 70. Geburtstag, hg. v. Helmut MAURER, Sigmaringen 1991, S. 31–52. Eine umfassende Darstellung der päpstlichen Finanzgeschichte des hier in Frage stehenden Zeitraums bietet literatur- und quellengesättigt auch Ian Stuart ROBINSON: The Papacy 1073–1198, Cambridge 1990 (Cambridge Medieval Textbooks), S. 244–291. 22 Eine Aufzählung der häufig erzwungenen romfernen Aufenthalte der Päpste zwischen 1095 und 1165 findet sich bei ROBINSON: The Papacy (wie Anm. 21) S. 283. Carlrichard BRÜHL: Zur Geschichte der procuratio canonica vornehmlich im 11. und 12. Jahrhundert, in: Le istituzioni ecclesiastiche della societas cristiana nei secol XI–XII. Papi, cardinalato ed episcopato. Atti della 5. Settimana Internazionale di Studio Mendola, 26–31 agosto 1971, Milano 1974 (Pubblicazioni della Università Cattolica del Sacro Cuore. Miscellanea del Centro di Studi Medioevali 7), S. 419–431, hier S. 422 (ND in: DERS.: Aus Mittelalter und Diplomatik, Bd. 1: Studien zur Verfassungsgeschichte und Stadttopographie, Hildesheim u.a. 1989, S. 323–335), beklagte bereits in seinem 1974 erschienen Beitrag das Fehlen eines „den Ansprüchen der modernen Medioevistik [!] genügende[en] Buch[es] über die Reisen der Päpste im Mittelalter“. An diesem Missstand hat sich wenig geändert: Zwar liegt für die Zeit der Kir-

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älteste Einkommensquelle der Päpste kann hier weitgehend außer Acht bleiben: der Grundbesitz der römischen Kirche. Noch weniger haben wir hier die wandlungsreiche Geschichte des patrimonium Petri während des Frühmittelalters zu verfolgen, doch scheint mit Blick auf die weitere Entwicklung ein Hinweis angebracht23: Während der im 10. und der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts dominierenden Herrschaft des Adelspapsttums besaßen die Ansprüche auf Einkünfte aus dem päpstlichen Besitz keine nennenswerten Durchsetzungschancen. Als Gregor VI. 1045 sein Amt antrat, konnte er einem – freilich Jahrzehnte später verfassten – Bericht des Wilhelm von Malmesbury zufolge kaum über mehr Einkünfte verfügen als über das, was ihm aus der unmittelbaren Umgebung Roms noch an Abgaben zustand und was an Votivgaben für den heiligen Petrus einging. Wenige Jahre später soll das lothringische Gefolge Leos IX. nach seiner Ankunft in Rom über die desolate Lage der päpstlichen Finanzen derart entsetzt gewesen sein, dass der neu gewählte Papst dessen Abfall nur durch Geschenke einer beneventanischen Gesandtschaft verhindern konnte24. chenreform die genannte Studie von JOHRENDT: Reisen (wie Anm. 10) vor, während Aryeh GRABOÏS: Les séjours des papes en France au XIIe siècle et leurs rapports avec le développement de la fiscalité pontificale, in: RHEF 49 (1963) S. 5–18 (ND in: DERS.: Civilisation et société dans l’Occident médiéval, London 1983 [Collected Studies Series 174] Nr. II) lediglich die einzelnen Pontifikate beleuchtet. Systematische Aspekte der Papstreisen behandelt einleitend zu seiner Untersuchung der Reise Eugens III. durch Frankreich und Deutschland (1147/48) Ludwig FALKENSTEIN: Zur Konsekration des Hauptaltares in der Kathedralkirche von Châlons-sur-Marne durch Eugen III. am 26. Oktober 1147, in: Papstgeschichte und Landesgeschichte. Festschrift für Hermann Jakobs zum 65. Geburtstag, hg. v. Joachim DAHLHAUS/Armin KOHNLE, Köln 1995 (AK Beih. 39), S. 297–328. Hinsichtlich der Reiseziele scheint insbesondere Urban II. eine Ausnahme darzustellen – er floh 1090 vor Clemens III. und seinen Unterstützern nicht nach Frankreich, sondern in den Schutz der Normannen nach Süditalien, wo er sich bis 1093 aufhielt, Friedrich KEMPF: Die gregorianische Reform 1046– 1124, in: Handbuch der Kirchengeschichte. Bd. 3,1: Vom kirchlichen Frühmittelalter bis zur gregorianischen Reform. hg. v. Hubert JEDIN, Freiburg u.a. 21985, S. 399–461, hier S. 445–446. Vgl. zur als procuratio canonica bezeichneten Beanspruchung von Unterhalt durch den Papst und seine Vertreter BRÜHL (wie oben); Ursmer BERLIÈRE: Le droit de procuration ou de gîte. Papes et légats, in: Académie Royale de Belgique. Bulletins de la Classe des Lettres et des Sciences Morales et Politiques 1919, S. 509– 538 (allerdings mit einem überwiegenden Augenmerk auf das 13. Jahrhundert); knapp auch ROBINSON: Papacy (wie Anm. 21) S. 266–268. Vgl. auch zum Pontifikat Alexanders III. Ludwig FALKENSTEIN: Leistungsersuchen Alexanders III. aus dem ersten Jarhzehnt seines Pontifikates, in: ZKG 102 (1991) S. 45–75, hier S. 175–208. Die Päpste baten jedoch auch unabhängig von Reisen gelegentlich um außerordentliche finanzielle Zuwendungen. Ein solcher Fall bildet den Hintergrund für das weiter unten besprochene Quellenzitat siehe Anm. 35. 23 Vgl. zu diesem Zeitraum der päpstlichen Finanzgeschichte Jean DURLIAT: s.v. «Finances pontificales», in: Dictionnaire Historique de la Papauté, hg. v. Philippe LEVILLAIN, Paris 1994, S. 681–683. 24 Willelmi Malmesbiriensis monachi De gestis regum Anglorum libri quinque. Historiae novellae libri tres, hg. v. William STUBBS, Bd. 1, London 1887–1889 (RerBrit 90),

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Die Wiedergewinnung der entfremdeten Einkünfte aus dem Kirchenstaat stellte vor dem Hintergrund dieser Situation eine wichtige materielle Voraussetzung für jene Handlungsspielräume dar, die das Papsttum seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts immer umfangreicher zu nutzen verstand25. Welche Rolle Gregor VII. dabei spielte, ist in der Forschung umstritten, doch scheint sein Einfluss auf die Reform der päpstlichen Finanzen, ob nun als Archidiakon oder als Papst, keineswegs dazu geführt zu haben, dass seine Nachfolger im Papstamt auf die Früchte einer geordneten Haushaltsführung hätten zurückgreifen können26. In unserem Zusammenhang bei Weitem bedeutsamer bleiben in jedem Fall die Finanzmittel, die den Päpsten aus weiter entfernten Räumen zugingen – und einmal mehr scheint auch hier das 11. Jahrhundert einen entscheidenden Wendepunkt zu markieren27.

2,201, S. 246: praeter pauca oppida urbi vicina et oblationes fidelium pene nichil haberet, quo se sustentaret. Der Bericht über die Anfänge des Pontifikats Leos IX ist überliefert bei Pontificum romanorum qui fuerunt inde ab exeunte saeculo IX usque ad finem saeculi XIII vitae ab aequalibus conscriptae, Bd. 1, hg. v. Johann Matthias WATTERICH, Lipsiae 1862, S. 152–153 (Brunonis episcopi Signiensis vita sancti Leonis PP IX, 2,3): Nam ibidem adveniens, nihil Pontificalium sumtuum invenerat; iam enim erant in domesticos usus absumpta, immo in eleemosynarum praerogationem cuncta quae secum attulerat distributa. Defecerant cunctorum eius comitum plenae delatae crumenae; non erat ulla spes opis, nisi proprias vestes ad minus pretium vendere, et quacumque secreta arte benignissimum patrem in patriam fugiendo reducere. Quorum renitendo consilio, vir beatus in divino confidere solatio sagaciter admonebat. Sed tamen illorum afflictioni misericordi affectu ex intimis condolebat. Instante autem die, quo cuncti comites eius disposuerant clanculo recedere, ecce adsunt legati nobilium Beneventanae provinciae, deferentes xenia Apostolicae congrua dignitate; weitere Belege für die katastrophale materielle Ausstattung der Päpste um die Mitte des 11. Jahrhunderts bietet JORDAN (wie Anm. 21) S. 65 Anm. 2. 25 Sehr plastisch charakterisiert Lunt in seiner Studie zum Peterspfennig die finanzgeschichtliche Wende, die das Reformpapsttum rasch vollzog, William E. LUNT: Financial Relations of the Papacy with England to 1327, Cambridge Mass. 1939 (Studies in the Anglo-Papal Relations During the Middles Ages 1 = The Medieval Academy of America publication no. 33), S. 31: „Good government, it was soon discovered, was expensive. Early in the process of transformation the papacy began to look to its finances. Papal records were ransacked to discover all revenues which could be claimed, and demands for payment were pressed with vigor.“ 26 Die Bedeutung Hildebrands, der schon als Archidiakon der römischen Kirche eine durchgreifende Finanzreform durchgeführt und diese später als Papst Gregor VII. fortgeführt habe, betont besonders Demetrius B. ZEMA: Economic reorganisation of the Roman See during the Gregorian reform, in: StGreg 1 (1947) S. 138–168. Vgl. dazu aber die Ausführungen bei JORDAN (wie Anm. 21) S. 65–69. 27 Im Folgenden sind die Einkünfte nach Einkommensarten unterschieden – eine Aufteilung, die nicht immer leicht durchzuführen ist, aber neben der Förderung einer gewissen Übersichtlichkeit auch dem Umstand Rechnung trägt, dass häufig mit verschiedenen Einkommensarten auch unterschiedliche Transferformen für die Abgaben üblich waren.

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2. Die Erhebung regelmäßiger Abgaben Von der Quellenlage begünstigt sind zunächst die häufig eidlich zugesicherten Zuwendungen an den Papst, die ihm aus unterschiedlichen Gründen zustanden. So gehören die Zinszahlungen einzelner Klöster an den Heiligen Stuhl zu den ältesten außerhalb der römischen Kirche liegenden Finanzquellen des römischen Bischofs. Sie sind schon gegen Ende des 8. Jahrhunderts belegt, und bis zum hier interessierenden Zeitraum waren es keineswegs allein italienische Häuser, sondern auch weiter, mitunter sehr weit entfernt liegende Klöster wie Bages in Katalonien, Aurillac, Vézelay, Cluny, Pouthières, Montmajour, Seeon, Brugnato, Reichenau, Ottmarsheim, Andlau, Donauwörth oder Gernrode, die einen jährlichen Zins an den Papst entrichteten oder – meist von ihren Stiftern – zu anderen Jahresgaben verpflichtet worden waren28. Der «Liber Censuum» des Cencius aus dem Jahre 1192 führt schließlich insgesamt 533 Institutionen auf, die derartige Schutzzinsen zu entrichten hatten29. Zur Erleichterung der Zahlungsleistung wurde der Entfernung der Klöster vom Sitz des Papstes häufig Rechnung getragen, so dass weit entfernte Klöster ihre jährlich fälligen Zahlungen häufig kumuliert im Abstand mehrerer Jahre leisten konnten30.

28 Der rechtliche Charakter dieser Zahlungen war in der älteren Forschung teilweise heftig umstritten. Dabei stand vor allem die Frage, ob sich die Ansprüche des Heiligen Stuhles auf eine vorherige Tradition des Klosters an den Papst gründen und damit als Ausdruck päpstlichen Obereigentums ähnlich einer Pacht zu betrachten sind, vgl. dazu die Wiedergabe der Diskussion bei JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 71, die Einzelnachweise finden sich ebd., S. 70–72. Johannes FRIED: Der päpstliche Schutz für Laienfürsten. Die politische Geschichte des päpstlichen Schutzprivilegs für Laienfürsten (11.–13. Jh.), Heidelberg 1980 (AAH phil.-hist. Klasse, Jg. 1980 Abh. 1), S. 85–86, lehnt einen Zusammenhang zwischen Zinszahlung und Eigentumsansprüchen des apostolischen Stuhls entschieden ab. Vgl. auch die umfangreiche, allerdings weitgehend auf den Untersuchungszeitraum des 12. Jahrhunderts beschränkte Materialzusammenstellung bei Georg SCHREIBER: Kurie und Kloster im 12. Jahrhundert. Studien zur Privilegierung, Verfassung und besonders zum Kircheneigenwesen der vorfranziskanischen Orden, vornehmlich auf Grund der Papsturkunden von Paschalis II. bis auf Lucius III. (1099–1181), Bd. 1, Stuttgart 1910 (Kirchenrechtliche Abhandlungen 65/66), S. 32–47. 29 Volkert PFAFF: Die Einnahmen der römischen Kurie am Ende des 12. Jahrhunderts, in: VSWG 40 (1953) S. 97–118, hier S. 97. Vgl. zum «Liber Censuum» die Ausführungen unten Anm. 131. 30 Eine große Zahl von Nachweisen der entsprechenden Papsturkunden versammelt wiederum JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 75 Anm. 3–9. Ausdrücklich heißt es etwa in einer Urkunde Leos VIII. für das provenzalische Kloster Montmajour aus dem Jahre 963: propter longinquitatem itineris aut forsitan inimicorum discrimen, aut propter regni dissidium, superius nominatam pensionem quotannis solvere non potueritis, liceat vobis post tertium aut quartum annum de praeteritis annis omnem simul pensionem nobis nostraeque ecclesiae persolvere, Migne PL 134, Sp. 995C (= JL 3702).

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Wesentliche Änderungen ergaben sich in der Art der Erhebung der Zinszahlungen dieser um 1050 kaum mehr als fünfzig Klöster. Dies betrifft zunächst den Empfänger der Zahlungen: Waren die unter Papstschutz stehenden Klöster bislang grundsätzlich selbst für die Entrichtung des Zinses zuständig gewesen und hatten die Gelder und übrige Gaben in Form einer oblatio am Altar oder am Grab des Apostelfürsten niedergelegt, gingen die Zahlungen nun seit dem Beginn des 11. Jahrhunderts zunächst vereinzelt, seit Gregor VII. jedoch regelmäßig an das palatium Lateranense31. Eine in unserem Zusammenhang bedeutsamere Umstellung dieses ganz auf dem Engagement der Zinspflichtigen ruhenden Systems der Erhebung lässt sich erstmals unter Alexander II. feststellen32: Um die Mitte des 11. Jahrhunderts werden erstmals zögerliche Anfänge eines päpstlichen Kollektorenwesens erkennbar: Als der katalanische Graf Raimund Wilhelm von Urgel Papst Alexander II. Besitzungen übertrug und sich bereit erklärte, dafür einen jährlichen Zins zu errichten, wurde gleichzeitig der Abt des päpstlichen Schutzklosters von St-Pons in der Diözese Narbonne als exactor und beati Petri actionarius bestimmt33. Auch aus dem Ponti31 Entsprechende Belege bei JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 75 Anm. 1. Fabre unterscheidet hinsichtlich der Zahlungsmodalitäten zwischen päpstlichen Eigenklöstern und päpstlichen Schutzklöstern: Während die Eigenklöster bereits seit den frühesten Zeiten ihre Abgaben dem Papst bzw. einem actionarius übergeben hätten, habe für die Schutzklöster zunächst die Tradition bestanden, den Zins in der Peterskirche zu deponieren, Paul FABRE: Étude sur le «Liber Censuum» de l’Église Romaine, Paris 1892 (Bibliothèque des Écoles Françaises d’Athènes et de Rome 62) S. 149–150, mit entsprechenden Quellennachweisen – nicht allerdings für die Historizität eines solch frühen Einsatzes von actionarii. Fabre kann überdies den Beleg des Nikolausklosters in Poitiers anführen, bei dessen Stiftung Herzog Gottfried von Aquitanien im Jahre 1062 bestimmte, der dem heiligen Petrus geschuldete Schutzzins solle nicht dem Papst, sondern dem Kapitel von St. Peter zugute kommen, ebd., S. 151. 32 Dabei lässt sich immerhin schon für den Pontifikat Leos IX. eine Sanktion für das Ausbleiben der Zinszahlung nachweisen: Der Reformpapst exkommunizierte den Abt von Pouthières, weil er die Zinsleistung verweigert hatte, entsprechende Belege bietete FABRE: Étude (wie Anm. 31) S. 155. 33 Le Liber Censuum de l'Église Romaine publié avec un préface et un commentaire, hg. v. Paul FABRE, Bd. 1, Paris 1905 (Bibliothèque des Écoles Françaises d'Athènes et de Rome. 2, 6), S. 355, Nr. 89: In eodem registro Alexandri. Raimundus Wilhelmi comes Ugellensis optulit beato Petro in prefato comitatu duo castra, unum dicitur Laboriola et alterum Saltevola, sub pensione IIII unciarum auri; ea conditione ut posteri ejusdem comitis accipiant de manu pontificis prefata castella, et ab eodem anathemate feriantur quicumque ab eisdem eadem auferre temptaverint. Hujus autem annue pensionis exactor et beati Petri actionarius est abbas monasteri sancti Pontii quod est juris beati Petri situm in diocesi Narbonensi. Vgl. dazu auch den Kommentar in FABRE: Étude (wie Anm. 31) S. 156. Der Verweis findet sich bereits in der Kanonessammlung des Kardinals Deusdedit, hg. v. Victor Wolf von GLANVELL, Erster (einziger) Band: Die Kanonessammlung selbst, Paderborn 1905, 3,279, S. 385. Weitere Erläuterung zu dieser Quelle gibt Jürgen SYDOW: Untersuchungen zur kurialen Verwaltungsgeschichte im Zeitalter des Reformpapsttums, in: DA 11 (1954/55) S. 18–73, hier S. 25.

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fikat Gregors VII. lässt sich gelegentlich die Einziehung des Klosterzinses durch zumeist einheimische Legaten nachweisen. Dass diese Form der Einziehung des Zinses jedoch noch während des gesamten 11. Jahrhunderts keineswegs die Regel dargestellt haben dürfte, darauf deutet ein Brief Urbans II. an die Bischöfe und die Äbte in Aquitanien, in der Gascogne und in Niederburgund vom Herbst 1093 hin. Er dürfte mit Urbans im Ergebnis erfolgreichen Versuchen in Zusammenhang stehen, sich gegen seinen Widersacher im Wettstreit um die Herrschaft in der Stadt Rom durchzusetzen34. In diesem Schreiben wird der südfranzösische Klerus durch den Abt Rainald von St-Cyprien in Poitiers zur Leistung von freiwilligen Subsidien für die ecclesia romana in der Person Urbans II. aufgefordert. Zwar wird auch die Festsetzung der Beitragshöhe ins Ermessen (pro facultate) der jeweiligen Spender gestellt, andererseits aber sollen die Abt Rainald zur Unterstützung des Papstes überreichten Beträge mit den Namen der jeweiligen Einzahler genau am Ende des vorgelegten Schreibens vermerkt werden. Diejenigen Äbte aber, die in Vernachlässigung ihrer dem apostolischen Stuhl geschuldeten Ehrerbietung zwar keinen freiwilligen Beitrag zu leisten bereit waren, aber dem Lateranpalast einen jährlichen Zins schuldeten, mussten diesen Betrag Abt Rainald unter Androhung von Kirchenstrafen zur Weiterleitung an den Papst überreichen35.

34 Vgl. dazu KEMPF: Reform (wie Anm. 22) S. 445. 35 Migne PL 151, Sp. 368C–B (= JL 5494, 1093 Nov. 2): […] per ipsum [sc. Rainaldum monasterii S. Cypriani abbatem] itaque charitatis vestrae sollicitudinem admonemus, et beatorum apostolorum Petri et Pauli vice deposcimus, ut circa vestrum omnium matrem sanctam Romanam Ecclesiam debito vigore conferveat. De omnipotentis siquidem Dei miserationibus per sanctorum apostolorum merita orationesque confidimus, quod in proximo apostolicae sedis libertas restituetur, et per eam caeteris per orbem Ecclesiis diu optata tranquillitas reparabitur. Studeat ergo unusquisque vestrum praesentibus ejus laboribus pro data sibi divinitus facultate succurrere, et quod, aspirante Deo, corde hilari destinaverit, per fidelem ministrum latorem praesentium dirigere non cunctetur, ita tamen ut quod quisque contulerit, ascriptio sui nominis titulo nostrae notitiae repraesentet; quod si forte charitatis vestrae viscera circa sedem apostolicam effundere debita devotione neglexeritis, id saltem quod ex censu annuo Lateranensi palatio vos debere cognoscetis, latori praesentium reddere, et per eum nobis transmittere nullo modo detrectetis. Si qui vero abbatum suam beato Petro justitiam restituere aliqua occasione renuerint, confratres episcopi hoc sibi hac nostra noverint auctoritate injunctum, et per ipsos quod reddendum est reddere compellantur; obedientes vero monitis nostris misericordia divina custodiat. Die englische Übersetzung bei LUNT: Revenues, Bd. 1 (wie Anm. 20), Nr. 325, S. 201, enthält einige schwerwiegende Fehler. So ist sibi nicht etwa auf Abt Rainald bezogen, sondern auf die um Unterstützung gebetenen Prälaten, die ihren freiwilligen Beitrag nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten (pro data sibi divinitus facultate) leisten sollen. In einem eigenen Schreiben beauftragt Urban II. Abt Rainald zusammen mit einem weiteren Abt mit der Einsammlung der Subsidien bei den Prälaten terrae vestrae und schärft auch ihm ein, er solle die gespendeten Beträge namentlich vermerken. Das Mandat schließt mit der Anweisung praeterea vobis injungimus ut coenobiorum quae nostri juris sunt, specialiter censum exigatis instanter, Migne PL 151, Sp. 370A (= JL 5495, 1093 Nov. 2). Ein weiterer Beleg der Einsetzung eines örtlichen Prälaten als Kollektor findet sich in JL 5375: Hier

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Es ist allerdings angesichts der besonderen Situation der schismatischen Wahl und der Besetzung von Lateranpalast und Peterskirche durch Wibert von Ravenna alias Clemens III. nicht gänzlich auszuschließen, dass die Anordnung Urbans II. weniger durch den Rückgriff auf ein noch unübliches Verfahren zum Einzug des päpstlichen Schutzzinses als vielmehr durch seine fehlenden Zugriffsmöglichkeiten auf den üblichen Ort der Entrichtung dieses Zinses und damit durch die Befürchtung einer Zuführung der Gelder an den Gegenpapst motiviert war36. Dennoch lässt die angeführte Quelle erkennen, dass noch im Jahre 1093 weniger die Einziehung des Zinses durch päpstliche Beauftragte als vielmehr die Entrichtung durch die Zinspflichtigen selbst die Norm darstellte37. Noch für die Zeit Eugens III. ist im Übrigen nachweisbar, dass der Bischof von Pamplona mit der Eintreibung des census in Spanien beauftragt wurde. Der Papst teilte den Bischöfen von Huesca und Palencia sowie allen geistlichen und weltlichen Zensualen des heiligen Petrus in der provincia Terraconensis und in ulteriori Yspania am 25. Juli 1150 mit, er habe den Bischof Lope de Artajona mit der Erhebung des diesjährigen Zinses beauftragt. Daher sollten sie dem nuntius des Bischofs oder ihm selbst jenen Betrag überreichen, den sie bis zum Ablauf der nächsten Indiktion im September 1151 schuldeten38.

beauftragte Urban II. den Bischof von Maguelonne mit der Einziehung des Schutzzinses. 36 Über den Lateranpalast konnte Urban II. erst 1194 verfügen und „die Stadt Rom war ihm vorerst überhaupt verschlossen“; Alfons BECKER: Papst Urban II. Teil 1: Herkunft und kirchliche Laufbahn. Der Papst und die lateinische Christenheit, Stuttgart 1961 (Schriften der MGH 19,1), S. 98. 37 Es ist in gewisser Weise bemerkenswert, dass im Gegensatz zum zitierten Schreiben Urbans II., in dem der vom Papst mit der Einziehung von Subsidien und census beauftragte Abt schlicht als minister und lator des Schreibens bezeichnet wird, während schon Gregor VII. die Einziehung des census in Gallien dem Legaten Hugo von Die übertrug, JL 4849, 1074 März 23. 38 Papsturkunden in Portugal, hg. v. Carl ERDMANN, Berlin 1927 (AGG phil.-hist. Klasse, NF 20,3), Nr. 49, S. 214f.: Venerabilibus fratribus D. Hoscensi et R. Palentino episcopis et dilictis filiis abbatibus, prioribus, comitibus, baronibus et aliis tam clericis quam laicis beati Petri censualibus per Terraconensem prouinciam et ulteriorem Yspaniam constitutis salutem et apostolicam benedictionem. Annuum censum, quem beato Petro debetis persoluere, uenerabili fratri nostro L. Pampilonensi episcopo commisimus colligendum. Ideoque per scripta uniuersitati uestre mandamus, quatenus, cum ab eodem fratre nostro uel eius certo nuntio fueritis requisiti, quantum unusquisque uestrum usque ad proximam quartamdecimam indictionem expletam de ipso censu debet apostolice sedi persoluere, ei sine molestia et contradictione soluatis. Es passt in die Entstehungszeit dieses Mandats, dass der christliche Teil der gesamten iberischen Halbinsel mit den alten römischen Provinzialbezeichnungen Hispania ulterior und Terraconensis bezeichnet wird Vgl. dazu Ludwig VONES/Werner ECK: s.v. «Hispania», in: LexMa 5 (1991) Sp. 38–40; zum Fortleben antiker Zirkumskriptionen an der Kurie HansJoachim SCHMIDT: Kirche, Staat, Nation. Raumgliederung der Kirche im mittelalterlichen Europa, Weimar 1999 (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 37), S. 235,

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Dennoch lässt sich insgesamt, ähnlich wie bei der allmählichen Monopolisierung des Legateninstituts durch die Kardinallegaten, auch im Bereich der Zinseinziehung seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts beobachten, wie in der Tendenz örtliche kirchliche Würdenträger zunehmend durch Entsandte der Kurie verdrängt wurden und damit in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts eine frühe Form des päpstlichen Kollektorenwesens entstand39. Zwischen 1168 und 1170 empfahl Alexander III. dem Erzbischof von Reims einen frater Rostaim, der für die Erhebung des Zinses in dieser Kirchenprovinz zuständig sein sollte40. Im Jahre 1182 entsandte Lucius III. den Subdiakon Nikolaus in die Erzdiözese Braga, wo er mit der Einziehung des Zinses beauftragt war41. Das entsprechende Schreiben an Erzbischof Godinus von Braga und seine Suffragane lässt gleich mehrere Aspekte aufscheinen, die im Zusammenhang unseres Thema von Bedeutung sind. Zunächst hatten sich die Lasten der Erhebung für die betroffene Region deutlich ausgeweitet – nun nämlich hatte nicht mehr die jeweils zinspflichtige Institution allein für die Entrichtung ihrer Abgabe Sorge zu tragen, sondern die kirchliche Hierarchie der betreffenden Kirchenprovinz war in die Zinseintreibung eingebunden. Die größte Last dürfte für die betroffene Region über die Zinspflichtigen hinaus damit verbunden gewesen sein, dass der päpstliche Subdiakon debita benignitate – also im Rahmen über die abweichenden kirchlichen Zirkumskriptionen finden sich Informationen ebd., S. 63–67. 39 Vgl. zur zunehmenden Bedeutung der von der Kurie entsandten legati a latere ZEY: Handlungsspielräume (wie Anm. 10). Es ist bedauerlich, dass Christiane Schuchard in ihrer Studie zu den Kollektoren des Spätmittelalters nicht zumindest kursorisch auf diese Vorgeschichte eingeht, SCHUCHARD: Kollektoren (wie Anm. 20). Weitere Beispiele für Geistliche, die für ihre eigene Region mit der Erhebung des Zinses beauftragt wurden, nennt JORDAN (wie Anm. 21) S. 76. 40 Migne PL 200, Sp. 630C (= JL 11697, 1166–1170 Feb. 11): […] fraternitati tuae per apostolica scripta mandamus quatenus praescriptas ecclesias, cum a dicto filio nostro fratre Rostaim fueris requisitus, per litteras et nuntium tuum sollicites, et ipsas debitum nobis censum jam dicto R. assignare compellas, ecclesiarum autem nomina inferius duximus adnotanda. Da allerdings keine Erwähnung der Prokurationspflichten zu finden ist, könnte es sich auch um einen Mönch handeln, der nicht direkt vom Papst aus beauftragt wurde, sondern in der betreffenden Region ansässig war. 41 Papsturkunden in Portugal, hg. v. ERDMANN (wie Anm. 38), Nr. 93, S. 283–284 (1182, Dez. 23): Cum a quibusdam monasteriis et ecclesiis prouincie uestre censum, sicut credimus, recipere debeamus, pro eo colligendo dilectum filium magistrum Ny. subdiaconum nostrum, uirum utique litteratum, prouidum et carum nobis admodum et acceptum, ad partes uestras duximus dirigendum. Monemus itaque uniuersitatem uestram attentius et mandamus, quatenus eum tanquam specialem ecclesię nostrę filium et familiarem nostrum pro reuerentia beati Petri et nostra, prout uos decet, debita curetis benignitate recipere et si qui sunt in episcopatibus uestris, qui ei censum soluere uel priuilegiorum suorum copiam facere forte contempserint, ut per ea ipsius rei ueritas innotescat, eos ad hoc per suspensionis et interdicti sententiam auctoritate apostolica freti sublato appellationis obstaculo compellatis. Ei quoque in aliis, quę ipsi exequenda in partibus uestris incumbunt, taliter assistatis, quod ipse in uobis in inueniat, quid merito commendare debeat, et nos propter hoc gratiam apostolice sedis uobis teneamur uberius exhibere.

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der üblichen Prokurationspflichten – zu empfangen war. Darüber hinaus waren die Prälaten auch dafür verantwortlich, die ordnungsgemäße Zahlung des Zinses an den päpstlichen Subdiakon nötigenfalls mit kirchlichen Zwangsmaßnahmen durchzusetzen. Diese Form der Indienstnahme der kirchlichen Hierarchie für die Abgaben an den Heiligen Stuhl steht im Übrigen in krassem Gegensatz zur fehlenden Sorgfalt, welche die Kurie selbst in jenen Tagen ihren finanziellen Forderungen entgegenbrachte: Ein Verzeichnis der zinspflichtigen Klöster und Kirchen, auf das sich der Papst zur Untermauerung seiner Forderung hätte berufen können, existierte nicht – vielmehr gesteht Lucius III. offen ein, er meine, in jener Kirchenprovinz befänden sich einige geistliche Institutionen, die dem Papst zur Zahlung eines Zinses verpflichtet seien42. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts scheint die Übergangsphase zwischen der traditionellen Form der Entrichtung durch die Zinspflichtigen selbst und einem etablierten päpstlichen Kollektorenwesen allmählich zu Ende zu gehen43. Dies lässt sich gut an sieben Quittungen über zwischen 1157 und 1186 an den Heiligen Stuhl entrichtete Zinsen ablesen, deren Abschrift Carl Erdmann im Kanonikerstift S. Cruz in Coimbra entdeckte. Während die früheste dieser Zahlungen noch in Rom durch einen Kanoniker von S. Cruz geleistet wurde, überreichte das Stift alle weiteren Zahlungen nicht mehr am Sitz des Papstes, sondern zumeist in Coimbra selbst, wo sie von zwei Subdiakonen, einem nuntius, einem Subdiakon im Legatenrang und Kardinallegaten aufgesucht worden waren44. Mit diesem neuartigen Verfahren dürften jedoch 42 Offensichtlich existierte aber in den 1160er Jahren ein solches Verzeichnis, das zumindest einige der zinspflichtigen Institutionen aufführte: Alexander III. führte in einer Auseinandersetzung um die Zinspflicht des Klosters von Lagny-sur-Marne an: Invento in quodam scripto librorum nostrorum, quod Lateranensi palacio ecclesia vestra singulis annis unciam deberet auri persolvere, Epistolae pontificum Romanorum ineditae, hg. v. Samuel LÖWENFELD, Leipzig 1885 Nr. 242, S. 135 (= JL 10967, 1063–1064 Okt. 11). Vgl. umfassend zu dieser Quelle SCHREIBER: Kurie (wie Anm. 28) S. 37; sowie den entsprechenden Kommentar bei FABRE: Étude (wie Anm. 31) S. 158–159, der diesen Beleg und die daraus entstehende Auseinandersetzung als sicheres Zeichen dafür betrachtet, wie wenig Aufmerksamkeit die Kurie noch in jener Zeit der Sicherung einer regelmäßigen Erhebung ihrer Einkünfte widmete. 43 Dennoch blieb nach Meinung von LUNT: Revenues, Bd. 1 (wie Anm. 20) S. 38,die Entsendung päpstlicher Beauftragter von der Kurie aus, die mit der Einziehung von Geldern für den Papst beauftragt wurden, noch während des gesamten 12. Jahrhunderts unsystematisch. 44 Papsturkunden in Portugal, hg. v. ERDMANN (wie Anm. 38) Nr. 159, S. 379–380. Vgl. zum dort erwähnten Subdiakon Nicolaus auch das weiter oben Anm. 41 zitierte Dokument. Die Quellen finden sich auch ausführlicher besprochen bei: LUNT: Revenues, Bd. 1 (wie Anm. 20) S. 37; Volkert PFAFF: Aufgaben und Probleme der päpstlichen Finanzverwaltung am Ende des 12. Jahrhunderts, in: MIÖG 64 (1956) S. 1–24. Der Ansatz Bauers, aus diesen vereinzelten Belegen eine allgemeine „regelmäßige Erhebungsperiode von 5 Jahren“ abzuleiten, scheint allerdings zu weitgehend, BAUER: Epochen, (wie Anm. 20) S. 113 Anm. 4. Eine weitere Quittung hat sich im pikardischen Kloster St-Bertin erhalten. Auch hier wird die Zahlung des geleisteten Zinses

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keineswegs alle zinspflichtigen Klöster gleichermaßen bedacht worden sein. So scheint es für England während des gesamten 12. Jahrhunderts keinen päpstlichen Gesandten gegeben zu haben, der für die Eintreibung des Klosterzinses verantwortlich war, und nicht einmal die mit Erhebung des Peterspfennigs betrauten englischen Prälaten oder die damit befassten päpstlichen Gesandten waren offenbar gleichzeitig für den Einzug des census der englischen Klöster zuständig45. Die zunehmende Einziehung von Abgaben durch päpstliche Beauftragte – die mutatis mutandis im Übrigen auch für die im Folgenden behandelten Einkünfte gilt – ist insofern bemerkenswert, als genau dies einem weltlichen Herrscher wie Friedrich I. in Italien langfristig nicht gelang: Er konnte die Forderung nach der Entrichtung des fodrum regale zwar erfolgreich geltend machen, musste aber diese Reichssteuer „aus machtpolitischen wie auch aus organisatorischen Gründen“ den örtlichen Herrschaftsträgern überlassen46. Auf ein ähnlich hohes Alter wie die Zinszahlungen einzelner geistlicher Einrichtungen kann der eben erwähnte ‚Peterspfennig’ zurückblicken47. Er ist in Form der freiwilligen Abgabe eines weltlichen Herrschers an den Heiligen Stuhl zunächst im England des 9. Jahrhunderts nachweisbar, während die spezifische Bezeichnung als denarius sancti Petri oder Romfeoh erst nach 1066 in den Quellen zu fassen ist48. Die Anfänge der Abgabe, die bald zu einer Verpflichtung für die Untertanen der angelsächsischen Könige in Form einer Herdbzw. Kopfsteuer wurde, liegen ebenso im Dunkeln wie eine trennscharfe Abgrenzung zu Abgaben weltlicher Herrscher im Zusammenhang eines mit dem Papst eingegangenen Lehnsverhältnisses äußerst schwierig ist49. In der Frühzeit liefen dem Wortlaut der angelsächsischen Gesetze zufolge die durch königliche

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bescheinigt. Alle drei Fälle (aus den Jahren 1174, 1181 und 1185) liefern allerdings Beispiele, in denen die Mönche aus St-Bertin die Zahlungen noch beim jeweiligen Kämmerer der Kurie (Franco bzw. Melior) leisten: Papsturkunden in Frankreich, hg. v. Johannes RAMACKERS, NF 3: Artois, Göttingen 1940 (AGG phil.-hist. Klasse. 3. Folge Nr. 23), Nr. 187, S. 244–245. LUNT: Revenues, Bd. 1 (wie Anm. 20) S. 125. Dabei ist allerdings zu beachten, dass erste Fälle des von Klöstern entrichteten census für England kaum vor der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts nachweisbar sind, ebd., S. 91. Alfred HAVERKAMP: Herrschaftsformen der Frühstaufer in Reichsitalien, Bd. 2, Stuttgart 1970 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 1), S. 747. An Literatur ist zu nennen: Ole JENSEN: Der englische Peterspfennig und die Lehenssteuer aus England und Irland an den Papststuhl im Mittelalter, Heidelberg 1903; LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 3–84; Burkhard ROBERG: s.v. «Peterspfennig», in: LexMa 6 (1993) Sp. 1942. Weitere Bezeichnungen aus den angelsächsischen und päpstlichen Quellen nennt JENSEN: Peterspfennig (wie Anm. 47) S. 46–48. Ausführlich diskutiert LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 4–16, die verschiedenen, zumeist legendär ausgeschmückten Berichte über die Anfänge der Abgabe. Zur eigentums- und lehnsrechtlichen Bewertung der Abgaben weltlicher Herrscher an den Heiligen Stuhl sei verwiesen auf FRIED: Schutz (wie Anm. 28) bes. S. 134–135.

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Strafen geschützten Abgaben zunächst bei den Bischöfen ein und wurden dann gesammelt nach Rom gebracht50. Mit der neuen universalkirchlichen Bedeutung des Reformpapsttums wurde auch die Zahlungsverpflichtung der englischen Christen gegenüber dem apostolischen Stuhl im Rahmen der Neuordnung der päpstlichen Finanzen zunehmend betont51. Ob und in welchem Umfang sich Herzog Wilhelm von der Normandie vor der siegreichen Schlacht von Hastings allerdings als Gegenleistung für die päpstliche Unterstützung seines Vorhabens gegenüber Gregor VII. zur Zahlung des Peterspfennigs verpflichtete, ist umstritten52. In jedem Fall rief Alexander II. dem neuen englischen König bald in Erinnerung, dass die Bewohner der Insel in der Vergangenheit dem römischen Pontifex und der schola anglorum eine annua pensio entrichtet hätten53. Es ist in unserem Zusammenhang nicht nötig, die verwickelte und nicht in allen Details erforschte Geschichte der Entrichtung des Peterspfennigs in den folgenden Jahrzehnten nachzuvollziehen54. Wichtig bleibt, dass die Päpste der Folgezeit die Entrichtung des Peterspfennigs immer wieder einforderten und dass Paschalis II. einen ersten Versuch unternahm, die bis zu diesem Zeitpunkt übliche Kontrolle des englischen Königs über die Einziehung der Abgabe aus50 LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 3–4. Römische Münzfunde lassen es wahrscheinlich erscheinen, dass die Zahlungen im 10. Jahrhundert tatsächlich erfolgten, ebd., S. 28. Vor 1066 belegen auch einige schriftliche Quellen die Zahlung des englischen Peterspfennigs für das 11. Jahrhundert, ebd., S. 30. 51 Vgl. dazu auch die Bemerkung oben Anm. 25. Im vorangehenden Zeitraum des 10. und beginnenden 11. Jahrhunderts scheinen die Päpste hingegen keinerlei Ansprüche auf die tatsächliche Entrichtung des Peterspfennigs erhoben zu haben, so die Einschätzung bei LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 30. 52 Die entsprechenden Quellenzeugnisse sind zusammengestellt ebd., S. 31 Anm. 5. Vgl. auch die Diskussion dieser Belege ebd., S. 31–33. Nach der Eroberung Englands mahnte Gregor VII. Wilhelm von England in jedem Fall, seine Pflicht zur Erhebung und Weiterleitung des Peterspfennigs nicht zu vergessen, Gregor VII., ep. I/70 (= JL 4850, 1074 Apr. 4). Auf die nicht schriftlich überlieferten Vorwürfe Gregors VII. antwortete Wilhelm I. in einem Schreiben, das auch die ausgebliebenen Zahlungen des Peterspfennigs behandelt, und führte aus: Pecunia tribus annis in Galliis me agente neglegenter collecta est. Nunc uero diuina misercordia me in regnum meum reuerso quod collectum est per prefatum legatum mittitur, et quod reliquum est per legatos Lanfranci archiepiscopi fidelis nostri cum opportunum fuerit transmittetur; The letters of Lanfranc archbishop of Canterbury, hg. u. übers. v. Helen CLOVER/Margaret GIBSON, Oxford 1979 (Oxford Medieval Texts), ep. 39, S. 132. Vgl. ausführlicher dazu JENSEN: Peterspfennig (wie Anm. 47) S. 35f., der die Auffassung vertritt, erst die Übertragung Englands an Alexander III. durch Heinrich II. im Jahre 1173 habe zur nachträglichen Deutung des Peterspfennigs als Lehnssteuer geführt, ebd., S. 56f. 53 Migne PL 146, Sp. 1413D (= JL 4757 [1066–1073]): […] donec Angli fideles erant, piae devotionis respectu ad cognitionem religionis annuam pensionem apostolicae sedi exhibebant, ex qua pars Romano pontifici, pars ecclesiae Sanctae Mariae, quae vocatur Schola Anglorum, in usum fratrum deferebatur. 54 Vgl. dazu umfassender LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 30–42.

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zuschalten55. Vielfach wurde nun der Peterspfennig durch päpstliche Legaten eingezogen und die Erhebung damit der königlichen Kontrolle entzogen. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Heinrich II. im Jahre 1164 auf dem Konzil von Clarendon und auch in den folgenden Jahren erfolglos versuchte, die Abgabenerhebung erneut unter seine Aufsicht zu bringen56. Eine wahrscheinlich in die 1170er Jahre zu datierende Dekretale Alexanders III. gewährt Einblick in die Art der Erhebung des Peterspfennigs in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts57. Lunt leitet aus den hier gemachten Angaben in Verbindung mit weiteren Quellen ab, dass es während des zweiten Drittels des 12. Jahrhunderts – also während der angesprochenen Pontifikate Innozenz' II. und Eugens III. – eine feste Summe gab, zu deren Abgabe jeder rector parochialis oder sein vicarius verpflichtet war58. Die collecta dieser Beträge sei dann Aufgabe der Archidiakone gewesen, die ihrerseits die Gelder an den

55 Den betreffenden Zeitraum behandelt etwa JENSEN: Peterspfennig (wie Anm. 47) S. 28–45; darüber hinaus umfassend LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 33–41, die Bemerkung zum Versuch Paschalis’ II., die Erhebung des Peterspfennigs gänzlich unter päpstliche Kontrolle zu bringen, findet sich mit den entsprechenden Nachweisen ebd., S. 40f. Die Zahlung scheint jedoch zu Beginn des 12. Jahrhunderts keineswegs zuverlässig erfolgt zu sein. So ermahnte Paschalis II. den nach England zurückgekehrten Anselm von Canterbury, er solle dafür Sorge tragen, dass künftig der census beati Petri wieder regelmäßig beim Papst eingehe, Migne PL 161, Sp. 81A (= JL 5883, 1101 Dez. 31). Auch in einem Brief von 1116 weist der Papst den englischen Klerus an, die Einziehung der beati Petri eleemosyna zu beschleunigen und ihm zukommen zu lassen und kritisiert die Nachlässigkeit und das betrügerische Vorgehen bei dessen Erhebung, Migne PL 161, Sp. 408B (= JL 6525, 1116 Mai 24). 56 LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 50. 57 JL 14172, 1159–1181 (X 3.39.12). Weitere Ausführungen zu Datierung und Inhalt finden sich bei LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 55. Vgl. auch die Behandlung der Dekretale bei JENSEN: Peterspfennig (wie Anm. 47) S. 73–77. Der Text folgt hier X 3.39.12 (unter Beibehaltung der partes decisae), Corpus Iuris Canonici. Pars secunda: Decretalium collectiones, hg. v. Aemilius FRIEDBERG, Leipzig 1881 (ND Graz 1959), Sp. 625: Quum autem propter B. Petri visitationem denariorum collectam per archidiaconatus vestros feceritis, in collectione facienda praedictas ecclesias vel parochias non gravetis aliter, sive magis, quam praedecessores vestri tempore sanctae recordationis Innocentii, Eugenii Romanorum Pontificum fecisse noscuntur. 58 LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 73–78. Dieser Ansicht ist auch Fabre, der die entsprechende Vereinbarung zwischen dem Papst den englischen Bischöfen in die ersten Jahre des 12. Jahrhunderts datiert: Die Bischöfe hätten sich zu jener Zeit gegenüber dem Papst zur jährlich fälligen Abgabe eines festen Betrags verpflichtet und seien für die Erhebung, der klassischen Form der Steuerpacht entsprechend, selbst verantwortlich gewesen. Nicht wenige Prälaten dürften dieses Verfahren dazu genutzt haben, ihre Einkünfte dadurch zu vermehren, dass die Summe der erhobenen Einzelbeträge die Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Papst überstieg, FABRE: Étude (wie Anm. 31) S. 141 mit Anm. 4, S. 158.

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Ortsbischof weitergeleitet hätten59. Häufig war dann der Erzbischof von Canterbury für die Übermittlung der Gelder an den Papst verantwortlich60. Hinsichtlich der Übergabe des Peterspfennigs an den apostolischen Stuhl folgte die Praxis des 11. und 12. Jahrhunderts unterschiedlichen Modellen: Schon bald nach der Etablierung der normannischen Herrschaft über die Insel lassen sich Gesandte des Papstes nachweisen, die sich neben klassischen Aufgaben päpstlicher Legaten auch um die Überführung des Peterspfennigs an den Hof des Papstes kümmerten61. Dies ging jedoch als unmittelbares Ergebnis der weiten Distanz keineswegs immer problemlos vonstatten. Der noch von Gregor VII. und damit spätestens im Frühjahr 1085 im Rang eines Kardinals nach England entsandte Subdiakon Hubertus hatte zwar offensichtlich auftragsgemäß die gesammelten Gelder auf den Kontinent gebracht, war aber im normannischen Kloster seines Freundes Anselm von Bec verstorben. Mehr als vier Jahre später, im August 1089, teilte Urban II. Anselm mit, er habe vom Tode des Hubertus im Kloster Anselms gehört. Seinen Informationen nach sei aber Hubertus mit einem beträchtlichen Teil des Peterspfennigs unterwegs gewesen, über dessen Verbleib nichts bekannt sei. Daher bitte er Anselm, da die Kirche dieses Geldes bedürfe, die vom Legaten möglicherweise in Bec zurückgelassenen Summen so schnell wie möglich dem Papst zukommen zu lassen62. 59 Umstritten ist dabei allerdings die Frage, wem mögliche Überschüsse bei der Einziehung des Peterspfennigs zustanden – ein Problem, das im Zusammenhang dieser Studie nicht weiter verfolgt zu werden braucht. Vgl. dazu aber JENSEN: Peterspfennig (wie Anm. 47) S. 74–87; LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 56 Anm. 1. 60 Ebd., S. 54, sieht Lunt einen Umschwung in dieser Praxis mit der Legation des Bischofs Heinrich von Winchester gekommen – von diesem Zeitpunkt an sei die beherrschende Position der Erzbischöfe von Canterbury in der Einziehung des Peterspfennigs nicht mehr unbestritten, da nun die Legaten auch direkt bei den Bischöfen die Abgabe des Geldes einforderten, ebd., S. 48. Siehe zur Legation des Heinrich von Winchester die Angaben unten Anm. 61. Allerdings scheinen allein die Legaten dem Erzbischof von Canterbury seine Position streitig gemacht zu haben – in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ist es immer noch der Erzbischof von Canterbury, der für den englischen Peterspfennig verantwortlich ist. Vgl. auch LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 49. 61 Zahlreiche, mit der Legation des Hubert (wohl 1080) einsetzende Beispiele nennt ebd., S. 47f. Vgl. zur Tätigkeit der Legaten in England für den fraglichen Zeitraum auch Helene TILLMANN: Die päpstlichen Legaten in England bis zur Beendigung der Legation Gualas (1218), Bonn 1926, hier etwa S. 16, 22, 25, 27 et passim. Nicht alle in England tätigen Legaten waren jedoch von der Kurie aus entsandte Kardinallegaten – so fungierte auch der Bischof von Winchester, Heinrich von Blois, der Bruder des englischen Königs, 1139 bis 1143 als Legat Innozenz' II. und erhob in dieser Funktion auch den Peterspfennig für den Papst. Vgl. zu seiner Legation ebd. S. 41–51, die allerdings den Peterspfennig hier nicht erwähnt – dazu ist zu verweisen auf LUNT: Relations (wie Anm 25) S. 47, allerdings ohne weitere Angaben. 62 Anselmo d’Aosta. Lettere 2: Arcivescovo di Canterbury. Bd. 1., hg. v. Inos BIFFI/ Costante MARABELLI, Traduzione di Aldo Granata. Commento di Costante Marabelli, Milano 1988 (Anselmo d'Aosta: Opere = Di fronte e attraverso 212 = Biblioteca di

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Das Epistolar Anselms verrät noch einige weitere Details der Erhebung des Peterspfennigs: Anselm hielt sich, mittlerweile im Amt des Erzbischof von Canterbury, erneut in seinem Kloster Bec auf, wo er eine Romreise unterbrochen und auf angenehmere Reisetemperaturen gewartet hatte. Seinen Sachwalter in England, den ehemaligen Mönch aus Bec und jetzigen Bischof von Rochester Gundolf, wies er im Mai 1103 an, seine Schulden in England zu begleichen und das Übrige ihm durch den Überbringer des Briefes schnellstmöglich zukommen zu lassen. Die Zahlung des hier als romescot bezeichneten Peterspfennigs könne er jedoch bis zum Michaelstag am 29. September zurückstellen, an welchem er einen weiteren Teil seiner Schulden begleichen solle. Über die Einziehung der eleemosyna solle Gundolf allerdings persönlich wachen, damit nichts fehle63. Mitte August hielt sich Anselm immer noch in Bec auf und schrieb erneut an Gundolf: Mittlerweile habe ihn der päpstliche Kämmerer Tiberius aufgesucht und ihm die Anweisung Paschalis' II. überbracht, er solle dem Gesandten des Papstes bei der Einziehung des Peterspfennigs behilflich sein. Die Schulden Anselms hatte Gundolf seiner Anweisung gemäß beglichen und, wie Anselm hoffte, teilweise mit der Zahlung des Peterspfennigs verrechnen lassen, aber noch immer wartete der Erzbischof auf die erbetenen Zahlungen seines Stellvertreters, der auch an der Stelle des Erzbischofs Tiberius als Gesandten Paschalis' II. bei der Einziehung des Peterspfennigs zu unterstützen hatte64. Auch Clemens III. ordnete in einem Schreicultura medievale), ep. 125, S. 376 (= JL 5406, 1089 Aug. 1): Huberti vero, nostri subdiaconi, qui apud vos defunctus dicitur, si quae res apud te dimissae sunt, ad nos citius destinabis. Cum enim a domno praedecessore nostro sanctae memoriae Gregorio legationem in Anglorum regno acceperit, multa ex censu beati Petri dicitur collegisse; quae si apud vos sunt, citius ad nos volumus destinari necessitati sanctae Ecclesiae profutura. Es ist angesichts des großen Zeitabstandes zwischen der letzten gesicherten Englandlegation des Hubertus (1080) wenig wahrscheinlich, dass dies die letzte Legation des Kardinals war, so vermutet jedoch TILLMANN: Legaten (wie Anm. 61) S. 17 Anm. 26. 63 Anselmo d’Aosta. Lettere 2, hg. v. BIFFI/MARABELLI (wie Anm. 62), ep. 287, S. 442: Debita igitur mea, quae in Anglia debeo, precor et multum precor, ut solvatis, et reliquum quod habere potestis de meis redditibus, per Ansfridum, praesentem nuntium, quam citius potestis mihi mittatis. Solutionem Romescoti usque ad festum sancti Michaelis differe potestis. Eleemosyna vero, ne aliquam penuriam patiatur, prudentia vestra invigilet. Godefrido de Mellinges dicite, ut Willelmo, filio suo, det xx solidos denariorum. Willelmo, filio Nionis, xx marcas argenti, et Albrico II ad festivitatem sancti Michaelis dabitis. LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 38 Anm. 3, hegt Zweifel an der Gleichsetzung von romascot und eleemosyna; die aber aufgrund des Kontextes wenig begründet scheinen. 64 Anselmo d’Aosta. Lettere 2, hg. v. BIFFI/MARABELLI (wie Anm. 62), ep. 299, S. 462: De debitis quae solvistis, et si debita de Romascot in his sunt, gaudeo, et promissionem vestram de redditibus nostris cum actione gratiarum exspecto. […] per Tiberium mihi mandavit [papa] verbis et litteris, ut eum de Romascot adiuvarem. Es scheint nicht allzuweit zu gehen, die Grundlage der von Anselm angedeuteten Verrechnung in einem erwarteten Überschuss zu sehen, den der Erzbischof von Canterbury im Rahmen der Einziehung des Peterspfennigs erwirtschaftete. Debita de Romascot wären dann nicht etwa nur eigene Zahlungsverpflichtungen des Erzbischofs, sondern hier auch Gelder, die aufgrund der

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ben an seinen englischen Legaten Johannes von Anagno an, dieser solle wegen der durch den Tod Wilhelms II. am 18. November 1189 eingetretenen verworrenen politischen Lage schnellstmöglich an die Kurie zurückkehren – vorher aber solle er beim Erzbischof von Canterbury den fälligen Peterspfennig ansprechen und alles, was er auf die Schnelle eintreiben könne, im Stift von St. Viktor in Paris deponieren65. Die Einziehung des Peterspfennigs war jedoch keineswegs durch Legaten monopolisiert, denn für die Jahre, in denen sich keine Legaten in England befanden, ist von der Erhebung und Übermittlung des Peterspfennigs durch den Erzbischof von Canterbury oder die englischen Könige auszugehen66. Als Leistungen der englischen Mitbischöfe mit den Schulden Anselms verrechnet werden konnten. Dies könnte auch das frühe Datum der Erledigung dieser Zahlungsverpflichtungen (vor dem 15. August) weit vor dem Zahlungstermin des Peterspfennigs (29. September) erklären – Anselm hätte damit einen Vorschuss auf erwartete Einnahmen erbeten. Vgl. dazu etwa das Beispiel weiter unten Anm. 74. Dies würde zum wenig später erhobenen Vorwurf Paschalis’ II. an den englischen Episkopat passen, bei der Erhebung des Peterspfennigs entstünden Überschüsse, die nicht an den Heiligen Stuhl weitergeleitet würden, dazu LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 39. Eine andere Interpretationsmöglichkeit leitet sich aus der Freude Anselms über die nicht erhaltene Mitteilung Gundolfs ab, er habe die Schulden bezahlt – Anselm könnte gehofft haben, dass auch die für sein Bistum fälligen Zahlungen des Peterspfennigs schon geleistet seien und ihm daher der gesamte Rest zur Verfügung stand, so etwa ebd., S. 38. Der genannte Tiberius ist im fraglichen Zeitraum sowohl als Kämmer wie auch als päpstlicher Legat nachgewiesen, dazu die weiterführenden Angaben bei ROBINSON: Papacy (wie Anm. 21) S. 253. 65 Chronicles and memorials of the reign of Richard I. Band 2: Epistolae cantuarienses, The letters of the prior and convent of Christ church, Canterbury, from A.D. 1187 to A.D. 1199, hg. v. William STUBBS, London 1865 (RerBrit 38,2), ep. 333, S. 321 (1189 nach Nov.): De denario autem beati Petri, cum venerabili fratre nostro Cantuariensi archiepiscopo colloquaris, et quicquid inde habere poteris apud Sanctum Victorem Parisius nobis studeas fideliter adportare. 66 LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 47f., plädiert für eine Übermittlung durch den König. Lunt leitet dies aus der Wahlanzeige Urbans II. an Erzbischof Lanfrank von Canterbury aus dem Jahre 1088 ab, in der dieser dazu aufgefordert wird, König Wilhelm II. dazu anzuhalten, den Peterspfennig entweder dem Subdiakon Roger als Boten des Papstes mitzugeben oder aber durch einen eigenen Gesandten zumindest bis Cluny zu übermitteln, Migne PL 151, Sp. 287D (= JL 5351, 1088 Apr. 10): Pecuniam porro, quam de regno eodem beatus Petrus consuetudinaliter solebat accipere, per hunc supradictum filium nostrum Rogerum sive per alium suum fidelem legatum una cum eo vel usque Cluniacum quantocius potuerit transmittat. Vgl. zu diesem Schreiben auch die knappen Bemerkungen bei TILLMANN: Legaten (wie Anm. 61) S. 18; sowie JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 97. Darüber hinaus sind nach LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 47f., unter Heinrich I. (1100–1135) königliche Boten nachweisbar, welche die Übermittlung des Peterspfennigs an den Papst übernommen hätten. JENSEN: Peterspfennig (wie Anm. 47) S. 44, hingegen nimmt an, in den Fällen, in denen nicht der Legat für die Erhebung des Peterspfennigs zuständig gewesen sei, habe der Erzbischof von Canterbury diese Funktion übernommen.

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sich schließlich Thomas Becket als Erzbischof von Canterbury infolge der Auseinandersetzung mit Heinrich II. ins französische Exil begab, beauftragte Papst Alexander III. im Juni 1165, kurz vor seiner Rückkehr nach Rom, den Londoner Bischof Gilbert Foliot mit der Einziehung des Peterspfennigs67. Die Aufbringung dieser Mittel stand jedoch unter einem besonderen Vorzeichen: Alexander III. stand vor dem Problem, seine Wahl zum Papst gegen einen Konkurrenten durchzusetzen und hatte, als er 1163 das französische Exil aufsuchen musste, keinen uneingeschränkten Zugriff auf die päpstlichen Einkünfte68. Daher bat er Gilbert Foliot im gleichen Schreiben darum, er möge 67 Materials for the history of Thomas Becket, Archbishop of Canterbury, canonized by Pope Alexander III A. D. 1173. Bd. 5: Epistles 1–226, hg. v. James C. ROBERTSON, London 1881 (RerBrit 67,5), ep. 93, S. 177 (= JL 11205, 1165 Juni 8): Inde siquidem est, quod fraternitati tuæ præsentium auctoritate mandamus, ut denarium beati Petri præsentis anni per totam Angliam fideliter recolligi facias, et eum ad nos, quam citius poteris, transmittere non postponas. Ausführlich behandelt JENSEN: Peterspfennig (wie Anm. 47) S. 65–72, die Rolle des Gilbert Foliot bei der Einziehung des Peterspfennigs. Vgl. auch den Kommentar in: The letters and charters of Gilbert Foliot. hg. v. Zachary N. BROOKE/Adrian MOREY/Christopher N.L. BROOKE, Cambridge 1967, bei ep. 177, S. 249f. 68 Zur letztlich erfolglosen Anweisung Heinrichs II. zur Einzahlung des Peterspfennigs in den Schatz des Königs vgl. die Quellen bei LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 50f. Die finanzielle Notlage Alexanders III. trat keineswegs erst mit seiner Exilierung ein, vielmehr wandte er sich schon 1061 in unverkennbarer Verzweiflung an Pisaner Geistliche und bat, sie mögen Kardinal Boso schnellstmöglich – zur Not als Kredit, den er oder seine Nachfolger ablösen würden – Geld schicken, damit ein offenbar ungeduldig gewordener Gläubiger befriedigt werden könne, Migne PL 200, Sp. 125D–126A (= JL 10677, 1161 Sep. 20): Devotionem vestram rogamus attentius quatenus pecuniam vobis sub convenientibus usuris, si aliter fieri nequit, a civibus vestris mutuo invenire et acquirere studeatis, et dilecto filio nostro Bosoni Sanctorum Cosmae et Damiani diacono cardinali illam assignetis, ut Manc. Lucano civi credita pecunia sine contradictione et dilatione aliqua integre persolvatur. Quod enim nobis mutuo acquiretis, nos, vel successores nostri, auctore Deo, integre persolvemus. Diese in der besonderen Situation des Schismas entstandene Quelle ist allerdings für das gewöhnliche Finanzgebaren des Papstes und seiner Kurie nur sehr eingeschränkt aussagekräftig. Vgl. jedoch diese Auffassung bei Volkert PFAFF: Untersuchungen zu den Zinsbüchern der römischen Kirche am Ende des zwölften Jahrhunderts, in: ADipl 34 (1988) S. 325–342, hier S. 339. Schon 1160 hatte Alexander III. im Übrigen vom sizilischen König Wilhelm I. durch die Vermittlung des Kardinalpriesters Johannes von St-Anastasia während seines Aufenthalts in Terracina eine beträchtliche Geldsumme erhalten und 1161 stellte ihm der sizilische Herrscher ebendort vier gut ausgerüstete Schiffe zur Verfügung, Werner OHNSORGE: Die Legaten Alexanders III. im ersten Jahrzehnt seines Pontifikats (1159–1169), Berlin 1927, S. 91–92, mit den entsprechenden Nachweisen und mit einer Diskussion der Quellenzeugnisse. Bei seinem Tode im Mai 1166 vermachte Wilhelm I. dem Papst erneut eine beträchtliche Summe, ebd., S. 93, mit den entsprechenden Nachweisen, und Wilhelm II. übermittelte im Juli 1167 Schiffe und Geld nach Rom an den bedrängten Papst, ebd., S. 102. Zum Jahresanfang 1162 entsandte Alexander III. auch zwei Legaten auf die iberische Halbinsel, deren Hauptaufgabe – derer sie sich insbesondere in Santiago de Compostela erfolgreich entledigten – die Beschaffung von Geldern darstellte, ebd., S. 34 Anm. 102. Eine umfas-

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ihm mit einem Vorschuss aus seiner finanziellen Klemme helfen. Dafür solle Foliot entweder die zu erwartenden Einkünfte aus seiner Privatschatulle vorstrecken oder aber einen Kredit aufnehmen69. Der Londoner Bischof schlug dem Papst diese Bitte brieflich ab, und am 22. August bat dieser aus dem Mittelmeerhafen von Melgueil/Maugio, Gilbert Foliot solle den Peterspfennig des laufenden Jahres zum schnellstmöglichen Termin durch einen Boten beim Abt des pikardischen Klosters von St-Bertin deponieren lassen und ihn gleichzeitig über den Eingang des Geldes in Kenntnis setzen70. Tatsächlich ist noch aus dem selben Jahr ein Brief des Gilbert Foliot erhalten, in dem er Alexander III. darüber informiert, er habe nach Maßgabe der sorgfältig studierten Aufzeichnungen in Canterbury den Peterspfennig eingezogen – alle Bischöfe hätten auch die entsprechenden Zahlungen geleistet, nur der Bischof von Exeter habe geltend gemacht, er selbst habe weniger als de ratione scripti exigeretur erhalten sende Charakterisierung der päpstlichen Finanzlage während des alexandrinischen Schismas findet sich bei SCHNEIDER: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 1–14, zu dieser Stelle ebd., S. 5. 69 Epistles 1–226, hg. v. ROBERTSON (wie Anm. 67) ep. 93, S. 177f. (= JL 11205, 1165 Jun. 8): Rogamus eitam discretionem tuam ut, quousque præscriptum denarium recolligas, de pecunia tua, vel aliunde mutuo acquisita, nobis interim studeas utiliter providere, et illam infra proximas kalendas Augusti [1165 Aug. 1] nobis transmittas, eandem postea de memorato denario recepturus; quod ita gratum nobis et acceptum existet, quasi ipsam nobis dono concederes. Vgl. zu dieser Episode auch die weiteren Ausführungen bei SCHNEIDER: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 6f. 70 Das auf Juli/August 1165 datierte Schreiben des Gilbert Foliot findet sich in: The letters and charters of Gilbert Foliot, hg. v. BROOKE/MOREY/BROOKE (wie Anm. 67) ep. 155, S. 202–206 (= Epistles 1–226, hg. v. ROBERTSON [wie Anm. 67] ep. 108): De cetero super censu beati Petri nemo nobis in regno uel de modico respondisset, nisi dominus rex mandatum super hoc in commune dedisset. Eius uero mandato statuto antiquitus termino colligetur, et sanctitati uestre per manum nostram iuuante Domino transmittetur. Quem si designato uobis die non misimus, ut nos excusatos habeat gratia uestra supplicando postulamus. Testis enim Deus est quod summam hanc nec in proprio habuimus nec mutuo inuenire potuimus. Trahit enim ad se cuncta domni regis exercitus, et agentem in expeditionem domnum suum comitantur fere omnia que in regno sunt aut sequuntur. Die Antwort Alexanders III. vom 22. August 1165 (= JL 11237) ist nachzulesen bei Epistles 1–226, hg. v. ROBERTSON (wie Anm. 67) ep. 106, hier S. 202: De cætero probitatem tuam rogamus, ut ex quo denarium beati Petri integre recollegeris, (ad quod te volumus studium et diligentiam impendere, sicut per alia tibi scripta significavimus,) ipsum dilecto filio nostro abbati Sancti Bertini per fidelem nuntium sub omni festinatione destinare studeas, et hoc, quam citius poteris, nobis significes Noch zwei Jahrzehnte später scheint St-Bertin eine Funktion als Depot für den Verkehr zwischen England und dem Kontinent innegehabt zu haben: Als Abgesandte ihres im Streit mit dem Erzbischof von Canterbury befindlichen Klosters baten zwei Mönche aus Canterbury ihr Konvent im Dezember 1188, sie sollten ihnen neue Mönchsgewänder zur Abholung nach St-Bertin schicken: providete ut habitum nostrum regularem citra mare apud Sanctum Bertinum, si fieri potest, inveniamus, Epistulæ Cantuarienses, hg. v. STUBBS (wie Anm. 65) ep. 290, S. 272. Ein weiteres Depot der Kurie befand sich 1178 in Limoges (= JL 13035). Vgl. die weiteren Angaben bei SCHNEIDER: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 7 mit Anm. 3.

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und schließlich die Zahlung ganz verweigert. 200 Pfund seien auf diese Weise wie vereinbart durch einen Boten des Abtes von St-Bertin und einen eigenen Boten nach St-Bertin gebracht worden71. Auch in einem späteren Jahr – wahrscheinlich 1167 – hatte Gilbert Foliot vom mittlerweile nach Rom zurückgekehrten Papst den Auftrag erhalten, den denarius beati Petri einzuziehen. Wir erfahren dies aus einem Brief an König Heinrich II., in dem der Londoner Bischof um die Genehmigung zur Ausführung dieses Auftrags bat72. Offenbar hatte Heinrich II. der Erhebung zugestimmt, denn in einem weiteren Brief an Heinrich II. informiert der Bischof diesen darüber, dass fast alle Bischöfe ihre Zahlungen geleistet hätten73. Die dann folgende Information, die Gilbert Foliot als Druckmittel einsetzt, um dem König seine Zustimmung zur Transferierung des Geldes abzuringen, ist insbesondere für eine Bewertung der kurialen Finanzpolitik nicht ohne Belang: Nicht weniger als acht flämische Kaufleute saßen dem Londoner Bischof buchstäblich im Nacken und warteten ungeduldig auf die Auszahlung des englischen Peterspfennigs. Alexander III. nämlich hatte in Erwartung der Zahlung das Geld schon längst ausgegeben und dafür in Rom bei jenen flämischen Kaufleuten einen Kredit aufgenommen, dessen Ablösung nun am Sitz des Londoner Bischofs hätte erfolgen sollen74. Ein weiteres kommunika71 The letters and charters of Gilbert Foliot, hg. v. BROOKE/MOREY/BROOKE (wie Anm. 67) ep. 156, S. 207 (= Epistles 1–226, hg. v. ROBERTSON [wie Anm. 67] ep. 110, S. 210). In einem Antwortbrief bringt der Papst seine Verwunderung über die Säumigkeit des Bischofs von Exeter zum Ausdruck – gerade dieser nämlich habe Alexander III. mitgeteilt, er sei unter den ersten gewesen, welche die Zahlung des Peterspfennigs in diesem Jahr geleistet hätten, ebd., ep. 157, S. 295–296 (= JL 11306). 72 The letters and charters of Gilbert Foliot, hg. v. BROOKE/MOREY/BROOKE (wie Anm. 67) ep. 177, S. 250. 73 Ebd., ep. 178, S. 251. 74 Ebd. (= Epistles 1–226, hg. v. ROBERTSON [wie Anm. 67] ep. 111, S. 211f.): Nuntios uero domni pape octo scilicet mercatores Flandrie, qui sibi ccc marchas argenti Rome mutuo prestiterunt, sperantes se summam eandem de manu misericordie uestre suscepturos, apud nos iamdiu detinuimus, sperantes a sublimitate uestra uerbum aliquod audire […] Quod quia nondum actum est ipsos ulterius detinere non possumus, sed quod remittuntur inanes posse cause uestre plurimum obesse pertimescimus. Die Datierung der Ereignisses ins Jahr 1166 bei LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 53, ist unwahrscheinlich, wenn auch nicht mit absoluter Sicherheit zu ermitteln ist, ob es mit den Briefen 177–179 in Gilbert Foliots Epistolar ein und derselbe Vorgang gemeint ist. Vgl. dazu die Bemerkungen bei: The letters and charters of Gilbert Foliot, hg. v. BROOKE/MOREY/BROOKE (wie Anm. 67) ep. 177, S. 249– 250. Die Vorfinanzierung durch Kaufleute wurde im 13. Jahrhundert auch für die Einziehung des Zehnten vom englischen Klerus unter Gregor IX. üblich, die Nachweise dazu bei Adolf SCHAUBE: Handelsgeschichte der romanischen Völker des Mittelmeergebiets bis zum Ende der Kreuzzüge, München-Berlin 1906 (Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte Abt. 3: Verfassung, Recht, Wirtschaft), S. 398. Auch die päpstlichen Kollektoren des 14. Jahrhunderts gewährten dem Papst bei Amtsantritt häufig Kredite und erhielten dafür ein assignamentum auf die in seinem Sprengel einzuziehenden Zahlungen in Höhe des vorgestreckten Betrags, SCHUCHARD: Kollek-

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tionsgeschichtlich relevantes Detail offenbart die schließlich nach der Abreise der Kaufleute von Gilbert dem Papst vorgeschlagene Lösung zur Übermittlung des Geldes: Es scheine dem Londoner Bischof nicht sicher genug, das Geld durch unbekannte Völker und Reiche, in dem der englische König kein Geleit bieten könne, schaffen zu lassen. Lediglich aus Sicherheitsgründen, keinesfalls jedoch mit Rücksicht auf die weitaus höheren Kosten eines Transports bis nach Rom, schlage er deshalb vor, Alexander III. solle seine Boten um den ersten Oktober bis nach Rouen schicken, wo ihm die Boten Foliots das Geld überreichen würden75. Auch einige andere Länder kannten die Abgabe des Peterspfennigs, wobei die Interpretation der meist wenigen Belege nicht immer eindeutig ist76: In toren (wie Anm. 20) S. 41. Ob das bei Gilbert Foliot beschriebene Verfahren bereits als regelrechter Wechsel anzusprechen ist, muß offenbleiben, da zwar Alexander III. als Aussteller, die in Rom anwesenden Kaufleute als Wechselnehmer und Gilbert Foliot als Bezogener anzusprechen sind, aber nicht mit Sicherheit zu entscheiden ist, ob die flämischen Kaufleute selbst von Rom nach London reisten oder ob es sich in London lediglich um deren Vertreter und damit und die Begünstigten eines klassischen Wechselgeschäfts handelte, zu diesen Merkmalen des Wechselbriefs Markus A. DENZEL/Oskar SCHWARZER: s.v. «Wechsel», in: Von Aktie bis Zoll. Ein historisches Lexikon des Geldes, hg. v. Michael NORTH, München 1995, S. 413–418, bes. S. 413f. Beispiele für den Transfer des Peterspfennigs durch „kaufmännische Zahlungsmittel“ wie den Wechsel nennt für England im 13. Jahrhundert JENSEN: Peterspfennig (wie Anm. 47) S. 91. Gerade hier liegen für Markus A. DENZEL: Kurialer Zahlungsverkehr im 13. und 14. Jahrhundert. Servitien- und Annatenzahlungen aus dem Bistum Bamberg, Stuttgart 1991 (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 42), S. 190–195, die Indikatoren einer Aufnahme kaufmännischer Techniken des Geldtransfers in das „kuriale Zahlungsverkehrssystem“ vor. 75 The letters and charters of Gilbert Foliot, hg. v. BROOKE/MOREY/BROOKE (wie Anm. 67) ep. 179, S. 252 (= Epistles 1–226, hg. v. ROBERTSON [wie Anm. 67] ep. 109, S. 209f.): Iniunctam nobis de colligendo censu beati Petri sollicitudinem quanta possumus acceleramus diligentia, quem licet nondum plene collectam habeamus, qua tamen uia collectam transuehere, quaue cautela saluum transmittere ualeamus, anxia nobiscum disquisitione inuestigamus. In quo quia nostra nobis non plene succurrunt consilia, uestram super hoc sublimitatem duximus consulendam. Non enim nobis tutum est per ignotos populos et regna incognita iamdictam deferre pecuniam, nisi quatenus reuerentia pacis et protectionis domni nostri regis Anglorum noscitur dilatari. Non nostros in hoc – teste conscientia loquimur – labores causamur aut expensas, sed ipsa rerum pericula formidamus. Inde est quod uestre supplicamus sanctitati, ut uestri, si placet nuntii circiter kalendas Octobris nostris apud Rotomagum nuntiis occurrant, qui aut delatam per nos illuc pecuniam ad vos usque cum ea qua prouidebitis securitate perferendam suscipiant, aut curam ipsam alicui fidelium uestrorum – prout uestra decernet auctoritas – exequendum iniungant. Vgl. zur Datierung wiederum die Erläuterungen bei LUNT: Relations (wie Anm. 25) S. 53. 76 FRIED: Schutz (wie Anm. 28) S. 136f., weist etwa im Zusammenhang mit den Zinslisten des Albinus und des Cencius darauf hin, die Nennung bestimmter Fürsten als zinspflichtig lasse nicht immer erkennen, welche Gründe dieser Zinspflicht zugrundelägen – Montpellier etwa firmiert bei Albinus unter dem Namen des Stadtherrn, während der Zins nur für zwei der römischen Kirche übertragene Kapellen zu zahlen war.

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Dänemark wurde die Entrichtung des Peterspfennigs möglicherweise bereits unter Knut dem Großen eingeführt, denn Alexander II. wandte sich 1062 oder 1063 an König Sven Estridson und ordnete an, künftig solle der census regni nicht, wie bisher, auf dem Altar von St. Peter entrichtet, sondern dem Papst persönlich überreicht werden77. Die Einziehung der Abgabe orientierte sich offensichtlich am englischen Modell, denn auch hier waren es zumindest im Pontifikat Paschalis' II. die Bischöfe und der Erzbischof von Lund, die für die ordnungsgemäße Einziehung der Gelder verantwortlich waren78. Die Einführung des Peterspfennigs in Schweden und Norwegen geht auf die zwischen 1152 und 1154 durchgeführte Legation des Nikolaus Breakspear, des späteren Papstes Hadrian IV., zurück. Auch hier lag die Verantwortung für die Eintreibung dieser bei allen steuerpflichtigen Häusern fälligen Abgabe bei den Prälaten79. Ist die Quellenlage schon für die skandinavischen Herrschaften ungünstig, so lässt uns die Überlieferung bezüglich Polen, von wo ebenfalls ein Peterspfennig beim Papst einging, nahezu gänzlich im Stich80. 77 JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 78, mit Verweis auf JL 4495. Vgl. den Text des Fragments in Migne PL 146, Sp. 1283, mit dem Kommentar bei FABRE: Étude (wie Anm. 31) S. 151. Ausführlicher hat diese Stelle auch behandelt Wolfgang SEEGRÜN: Das Papsttum und Skandinavien bis zur Vollendung der nordischen Kirchenorganisation (1164), Neumünster 1967 (Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins 51), S. 78, der Nachweise dafür angibt, dass der Peterspfennig seit 1104 jährlich entrichtet wurde. 78 Fragmentarisch bei JL 6335 überliefert. 79 Vgl. dazu die Belege bei JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 78 Anm. 7. Für Schweden JL 9938, 1154 Nov. 28: Papst Anastius ermahnt König Sverker den Älteren und die schwedischen proceres, den jährlichen Zins, den sie dem seligen Petrus versprochen haben, den Bischöfen zu übergeben. 1163 leistete Magnus Erlingsson anlässlich seiner Krönung zum norwegischen König dem Papst einen Treueschwur und versprach die Zahlung des Peterspfennigs, dazu SEEGRÜN: Papsttum (wie Anm. 77) S. 186–188, der große Ähnlichkeiten des Krönungseides mit dem Bischofseid feststellt; ähnlich wie Josef DEÉR: Papsttum und Normannen. Untersuchungen zu ihren lehnsrechtlichen und kirchenpolitischen Beziehungen, Köln/Wien 1972 (Studien und Quellen zur Welt Kaiser Friedrichs II. 1) S. 66, für den normannischen Lehnseid. Zur Bewertung dieses Eides auch FRIED: Schutz (wie Anm. 28) S. 135f. 80 Vgl. die knappe Bemerkung bei JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 79. Weitere Verweise der im Liber Censuum nicht verzeichneten Abgaben bei Volkert PFAFF: Der Liber Censuum von 1192 (Die im Jahre 1192/93 der Kurie Zinspflichtigen), in: VSWG 44 (1957), S. 78–96, 105–120, 220–242 u. 325–351, hier S. 120. FABRE: Étude (wie Anm. 31) S. 120, geht aufgrund eines Quellenzeugnisses davon aus, dass die polnischen Könige spätestens seit den ersten Jahren des 11. Jahrhunderts den Peterspfennig entrichteten (mit weiteren Belegen). Die ältesten Belege eines „Devotionszinses“ des polnischen Fürsten aus dem ersten Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts nennt auch Erich MASCHKE: Der Peterspfennig in Polen und dem deutschen Osten, Leipzig 1933 (Königsberger Historische Forschungen 5), S. 17. Eine knappe, wenn auch nur indirekte Erwähnung einer regelmäßigen Zahlung an den Heiligen Stuhl findet sich in einem Schreiben Gregors VII. an Herzog Boleslaw aus dem Jahre 1075, Gregor VII., ep. II/ 73 (= JL 4958). Danach schweigen die Quellen zu den Zahlungen

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Einen vergeblichen Versuch, nach dem englischen Vorbild eine Zahlung des Peterspfennigs in Frankreich einzuführen, unternahm Gregor VII. wohl im Jahre 1081. Es ist zumindest ein Schreiben an seine beiden Legaten erhalten, in dem der Papst sie anweist, den galli eine jährliche Steuerpflicht von einem Denar für jedes Haus zu verkünden81. Wie weit die Umsetzung der Maßnahme gedieh, ist nicht bekannt – durchsetzen konnte sich Gregor VII. mit seiner Forderung jedenfalls nicht. Neben dem Klosterzins und dem Peterspfennig ist für unseren Zeitraum noch eine weitere zumindest als regelmäßig konzipierte Finanzquelle der Kurie zu nennen, deren Eintreibung ebenfalls mit dem Aufbau raumüberwindender Infrastruktur in Zusammenhang steht. Es handelt sich dabei um eine Abgabe, zu der sich Herrscher verpflichteten, wenn sie ihr Herrschaftsgebiet dem Papst unterordneten, etwa wenn sie es als Lehen aus seiner Hand empfingen82. Die Zahl dieser zu Abgaben verpflichteten Lehnspflichtigen belief sich am Ende des 12. Jahrhunderts den Angaben des «Liber Censuum» zufolge auf insgesamt 2883. Das erste bekannte Beispiel ist die Ausgabe der süditalienischen Gebiete der polnischen Herrscher bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts, vgl. MASCHKE: Peterspfennig (wie oben) S. 24–25. 81 Das Register Gregors VII., hg. v. Erich CASPAR, Berlin 1923 (ND Berlin u.a. 1967) (MGH Epp. sel. 2,2), ep. VIII/23, S. 565–567 (= JL 5203, [1081]). Die Zahlungspflicht gilt Gregor als Zeichen der recognitio des Papstes als pater und pastor. Dabei beruft sich Gregor VII. auf eine Pflicht, die sich more antiquo von einem – schon aus den genannten Orten als gefälscht erkennbaren – Dokument in archivo ecclesię beati Petri (DK 254) ableite: Karl der Große habe einem dort aufbewahrten Schriftstück zufolge jährlich in Aachen, Le Puy und St-Gilles 1200 Pfund ad servitium apostolicę sedis gesammelt und überdies seine sächsischen Eroberungen dem Heiligen Stuhl übertragen. Vgl. die Bemerkungen bei Die Urkunden der Karolinger, Bd. 1: Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Großen, hg. v. Engelbert MÜHLBACHER, Hannoverae 1906 (MGH DD Karol. 1), S. 363–367; sowie ausführlicher dazu FABRE: Étude (wie Anm. 31) S. 124. 82 Die Verbindungen zwischen Vasallenverhältnis und Zinszahlung sind dabei ähnlich wie beim Verhältnis von Klosterexemtion und Zinszahlung nicht allzu eng zu sehen; vgl. dazu entsprechende Beispiele bei JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 79. FRIED: Schutz (wie Anm. 28) S. 321, sieht im weiter oben behandelten Klosterschutz das Vorbild, nach dem im ausgehenden 11. Jahrhundert eine immer größere Zahl von Laienfürsten in ein besonders enges Verhältnis mit der Kurie trat. Am verbreitetsten war seinen Erkenntnissen zufolge zunächst nur das „Schutzverhältnis“, bei dem das betreffende Reich dem heiligen Petrus dargebracht und die Zahlung eines Zinses an den Papst versprochen wurde. „Selten ging der schutzsuchende Herr einen Schritt darüber hinaus und trug einen Teil seiner Besitzungen dem römischen Stuhle nach Lehnrecht auf“, und in diesen Fällen war die Zahlung eines Zinses Zeichen dieses lehnrechtlichen Verhältnisses – andererseits aber konnte ein Zins auch für päpstlichen Schutz allein geleistet werden, ohne dass damit zwangsläufig Oblation oder Lehnsnahme einhergingen, und gelegentlich trat der Schutzzins sogar neben eine zweite Abgabe wie den Peterspfennig. 83 PFAFF: Einnahmen (wie Anm. 29) S. 97.

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an die beiden Normannen Richard von Aversa und Robert Guiscard durch Nikolaus II. im Jahr 105984. Das in der älteren Forschung intensiv diskutierte Problem der ‚Rechtsgrundlage’ der Belehnung kann dabei in unserem Zusammenhang ebenso außer Acht bleiben wie die Frage, auf welches Gebiet sich die Lehnszinsverpflichtung bezog und woher die im klassischen Lehnswesen nicht nachweisbare Idee eines Zinses auf ein Lehen in diesem besonderen Fall stammte85. Nur die bei Deusdedit überlieferte Lehnszinsverpflichtung des Robert Guiscard, die als Sondervereinbarung im Lehnseid des Normannen angekündigt wird, ist für uns von Belang: Sie enthält das Versprechen Roberts, dem heiligen Petrus, seinem Herrn Nikolaus II. und allen seinen Nachfolgern oder seinen Boten und den Boten seiner Nachfolger jährlich eine Summe von 12 Denaren von Pavia für jedes als Ochsengespann gemessene Flächenmaß zu entrichten86. Das Muster, eine erweiterte oder erneuerte Machtbasis durch den Papst gegen ein mit der Zinszahlung verbundenes Lehnsverhältnis legitimieren zu lassen, ahmten bald andere Herrscher nach. Noch unter Gregor VII. folgten Kroatien87 und die Grafschaft Besalú88, 1085 Melgueil89, unter Urban II. im 84 Knappe sachliche Informationen dazu bietet KEMPF: Reform (wie Anm. 22) S. 415, mit den Nachweisen der dabei geleisteten Lehnseide. Ausführlicher und mit den entsprechenden Nachweisen ist der Vorgang dargestellt bei Richard BÜNEMANN: Robert Guiskard (1015–1085). Ein Normanne erobert Süditalien, Köln u.a. 1997, S. 34–41. 85 Vgl. dazu etwa die Ausführungen bei DEÉR: Papsttum (wie Anm. 79) S. 51–107, bes. S. 71–78 u. 84f. Johannes LANGE: Das Staatensystem Gregors VII. auf Grund des Augustinischen Begriffs von der ‚libertas ecclesiae’, Greifswald 1915, hier S. 48 Anm. 1, betrachtet in seiner wenig anspruchsvollen Studie die Entrichtung des Zinses in Anlehnung an Fabre als Analogie zum Klosterschutz, den Gregor VII. auf „Staaten, die Zins zahlen“ übertragen habe. 86 Die Kanonessammlung des Kardinals Deusdedit, 3,284, hg. v. GLANVELL (wie Anm. 33) S. 393: Ego Robertus dei gratia et S[ancti] Petri dux Apulię et Calabrię et 'utroque subueniente futurus' Sicilię ad confirmationem traditionis et ad recognitionem fidelitatis de omni terra, quam ego [teneo] proprię sub dominio meo et quam adhuc nulli ultramontanarum ita concessi ut teneat, promitto. me annualiter pro unoquoque iugo boum pensionem, XII scilicet denariorum papiensis monetę, persolutorum beato P[etro] et tibi domino meo Nycolao papę et omnibus successoribus tuis, aut tuis aut tuorum sucessorum nuntiis. Huius autem pensionarię redditionis erit semper terminus, finito quoque anno, sanctę resurrectionis dies dominicus. Die weitere Überlieferung ist angegeben bei DEÉR: Papsttum (wie Anm. 79) S. 59 Anm. 266. 87 Le Liber Censuum de l’Église Romaine, hg. v. FABRE (wie Anm. 33) Nr. 72, S. 356. Das entsprechende Dokument – der sogenannte ‚Lehnseid’ des Königs Zvonimir – steht im Zusammenhang mit der Krönung des Demetrius-Zvonimir auf der Spliter Synode von 1076. Das Original soll sich in archivo sacri palatii Lateranensis befunden haben, überliefert in: «Liber Censuum»; Die Kanonessammlung des Kardinals Deusdedit, 3,278, hg. v. GLANVELL (wie Anm. 33) S. 383–385. Vgl. im Einzelnen die Angaben bei Lothar WALDMÜLLER: Die Synoden in Dalmatien, Kroatien und Ungarn. Von der Völkerwanderung bis zum Ende der Arpaden (1311), Paderborn u.a. 1987 (Konziliengeschichte. Reihe A: Darstellungen), S. 82–89, mit Verweisen auf weitere Quellenzeugnisse.

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Jahre 1089 Aragón90, 1090 die Grafschaft Barcelona91 und schließlich 1143 Portugal92. Die Entrichtung einer besonderen Abgabe geht aus einem Brief Gregors VII. aus dem Jahre 1074 hervor: Herzog Ladislaus II. von Böhmen hatte dem Papst 100 Silbermark sub nomine census zukommen lassen, wie wir dem Dankesschreiben Gregors VII. entnehmen können – eine Abgabe, die Ladislaus’ Vorgänger Herzog Spitignev als Gegenleistung für das Tragen der Mitra Papst Nikolaus II. zugesagt hatte93. Angaben über die Art und Weise, wie die jährlich fälligen Zahlungen zu entrichten waren, finden sich kaum. Nur im Falle Portugals liegt eine entsprechende, wenn auch wenig detaillierte Anweisung vor: 1179 wurde im Zuge der Erhebung Alfons' von Portugal zum König durch Alexander III. festgelegt, dass der Erzbischof von Braga die entsprechenden Zahlungen entgegennehmen solle94. Es vermag angesichts solch rudimentärer Bestimmungen kaum zu verwundern, dass diese Einkünfte weder regelmäßig noch zuverlässig bei der Kurie eingegangen zu sein scheinen. 1198 klagte Innozenz III. gegenüber Sancho I. von Portugal darüber, dass seit der Krönung seines Vaters und in Missachtung 88 Den entsprechenden Nachweis bietet JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 79 Anm. 6; FRIED: Schutz (wie Anm. 28) S. 58–60. 89 Nachgewiesen wiederum bei JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 79 Anm. 7; vgl. auch den Kommentar bei FRIED: Schutz (wie Anm. 28) S. 72. 90 JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 79 Anm. 8. Der Charakter einer 1068 von Sancho Ramirez durchgeführten Übertragung seines Reiches an den heiligen Petrus ist umstritten, da in der Forschung keine Einigkeit darüber besteht, wann sich der aragonesische Herrscher unter den Schutz und wann in das Lehnverhältnis des Papstes gegeben hat, dazu die Diskussion bei FRIED: Schutz (wie Anm. 28) S. 53–56 u. 63–87; vgl. auch JL 5552 (1095). Ein Beleg für die tatsächliche Entrichtung des Lehnszinses findet sich ein Jahrzehnt später, als Abt Frotard von St-Pons de Thomières den Zins für die vergangenen zwei Jahre für Peter I. von Aragón an die Kurie beförderte, JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 80 Anm. 5. Dies steht in voller Übereinstimmung mit der Regelung, die seinerzeit mit dem Grafen von Urgel getroffen wurde, vgl. dazu oben Anm. 33. 91 Le Liber Censuum de l’Église Romaine, hg. v. FABRE (wie Anm. 33) Nr. 216, S. 486 (= JL 5450, 1091 Jul. 1); ausführlich dazu FRIED: Schutz (wie Anm. 28) S. 87–93. 92 JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 80 Anm. 2; weitere Nachweise bei FABRE: Étude (wie Anm. 31) S. 122 Anm. 4, S. 123. 93 JL 4880, 1074 Sep. 22; Das Register Gregors VII., hg. v. CASPAR (wie Anm. 81) ep. II/7, S. 135f.: Pervenit ad nos nuntius vester, qui magne devotionis et fidelitatis vestrę exhibitionem nobis retulit et, quę beato Petro sub nomine census misistis videlicet centum marchas argenti ad mensuram vestri ponderis, fideliter presentavit. Vgl. zur Verleihung JL 4452 (1059–1061); zu dieser besonderen Abgabe die knappe Bemerkung bei SYDOW: Untersuchungen (wie Anm. 33) S. 25. 94 Migne PL 200, Sp. 1237D (= JL 13420, 1179 Mai 23): Ad indicium autem quod praescriptum regnum beati Petri juris existat, pro amplioris reverentiae argumento statuisti duas marchas auri annis singulis nobis nostrisque successoribus persolvendas. Quem utique censum ad utilitatem nostram et successorum nostrorum Bracharensi archiepiscopo, qui pro tempore fuerit, tu et successores tui curabitis assignare.

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der entsprechenden Ermahnung Coelestins III. niemals ein Zins an die Kurie gezahlt worden sei95. Die erheblichen praktischen Schwierigkeiten, mit denen der Transfer der Gelder an die Kurie behaftet war, werden auch aus einem weiteren Quellenzeugnis deutlich, das den Verkehr der Kurie mit Sizilien betrifft: Im Jahre 1177 befand sich der päpstliche Subdiakon Raimund de Capella auf dem Rückweg von Wilhelm II. von Sizilien nach Venedig, wo sich Papst Alexander III. kurz vor dem Abschluss des epochalen Friedensvertrags mit Kaiser Friedrich I. aufhielt. Er hatte während der Durchquerung der Adria offensichtlich die Position eines Legaten in Sclavonia inne, war aber von Alexander III. und dem Kardinaldiakon von S. Maria in Cosmedin ursprünglich zu König Wilhelm II. entsandt worden96. Aus einem Schreiben des Papstes an Erzbischof Rainer von Split und Bischof Michael von Trogir geht hervor, dass Raimund und seine Begleiter während der Schiffsreise Opfer kroatischer Adliger wurden, die sich dem Schiff Raimunds mit einem Schnellboot (sagettia) von Šibenik aus genähert hatten. Ihnen fielen Sachwerte und Geld im Gesamtwert von 60 Mark Silber sowie ein Schreiben Alexanders III., ein Brief Wilhelms II. und ein Dokument des Kardinals über den genannten Geldbetrag in die Hände. Die adressierten Bischöfe hatten nun unter Gewährung von Geleitschutz für den päpstlichen Boten die Anordnung des Papstes umzusetzen, dass die Täter unter Drohung der feierlichen Exkommunikation, ja sogar des Interdikts für Šibenik, dem Überbringer des Schreibens die Reisekosten zu erstatten, das Raubgut unverzüglich zurückzugeben und sich zum Papst zur Leistung einer Wiedergutmachung zu begeben hätten97. Unabhängig davon, dass es sich in diesem 95 Vgl. die entsprechenden Nachweise bei JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 80 Anm. 6. 96 So lautet die Bezeichnung der Tätigkeit Raimunds in einem Delegationsreskript Alexanders III. vom 22. August 1177 (= JL 12922). Die Entsendung Raimunds dürfte im Zusammenhang mit den Friedensverhandlungen zwischen Alexander III. und Friedrich I. gestanden haben, in die der sizilische König intensiv einbezogen war, dazu Ferdinand CHALANDON: Histoire de la domination normande en Italie et en Sicile, Bd. 2, Paris 1907, S. 379–383. Die Titelkirche spricht trotz des überlieferten Wortlauts für Kardinal Hyacinth, den späteren Papst Coelestin III., wie dies auch stillschweigend von OHNSORGE: Legaten (wie Anm. 68) S. 104 mit Anm. 50, ohne Angabe der Vorlage emendiert wurde. 97 Codex diplomaticus regni Croatiae, Dalmatiae et Slavoniae, hg. v. Tadija SMIČIKLAS, Bd. 2, Zagreb 1904, Nr. 142, S. 144–145 (= JL 12889, 1177, Jul. 23): […] Cum dilectus filius Raymundus de Capella subdiaconus noster a presentia karissimi in Christo filii nostri W(ilhelmi) illustris Sicilie regis, ad quem fuerat a nobis et a dilecto filio nostro Jacobo sancte Marie in Cosmydim diacono cardinali transmissus, rediret ad nos, pirate, qui erant in sagettia castri de Seuenico, in qua duo comites erant, Nestos videlicet et Poclat, in ipsum et socios suos presumpserunt violentas manus iniicere et ei quidquid habebat in naui, valens ultra sexaginta marchas argenti et litteras etiam nostras et illas etiam, qua[s] prefatus rex nobis mittebat, et scriptum de d(icta summa) pecunie ipsius cardinalis ei turpiter et inhoneste auferre minime dubitarunt. Super quo itaque tanto movumur amplius et turbamur, quanto id amplius in nostram iniuriam

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Fall wohl zumindest nicht ausschließlich um die sizilische Lehnsabgabe handelt, bleibt festzuhalten, dass für wertvolle Frachten dieser Art stets eine erhebliche Gefahr des vollständigen Verlustes bestand – und dass natürlich in derartigen Fällen, in denen der Papst selbst durch eigene von ihm Beauftragte den Transport zur Kurie organisierte, das Verlustrisiko allein beim Papst lag.

3. Unregelmäßige Einkünfte Den Päpsten gingen jedoch nicht nur die soeben vorgestellten Einkünfte mit verpflichtendem Charakter zu, sondern auch mehr oder weniger freiwillige Zuwendungen trafen aus dem weiten Raum der lateinischen Christenheit bei den römischen Bischöfen ein. Schon aufgrund ihrer Unregelmäßigkeit, aber auch wegen fehlender normativer Grundlagen sind diese Einkünfte der Päpste schon von der zeitgenössischen Überlieferung stark benachteiligt und fast nur aus narrativen Quellen erschließbar. Neben Oblationen, welche die Rompilger dem heiligen Petrus zudachten, nehmen hier Geschenke einen wichtigen Platz ein, die dem Papst und seinem Umfeld bei der Ausstellung begehrter Privilegien oder der Gewährung anderer Vergünstigungen gemacht wurden. Derlei Abgaben waren seit den Tagen Gregors des Großen umstritten, und es respicit et contemptum, cum tantam iacturam et iniurias cuiuslibet clerici, nedum subdiaconi nostri, non possemus sub taciturnitate et silentio preterire. Quoniam igitur sustinere non possumus nec debemus, ut tanta presumptio et excessus incorrectus remaneat, fraternitati vestre per apostolica scripta precipiendo mandamus et mandando precipimus, quatenus illos duos comites et piratas, et raptores alios, qui in predicta sagettia fuerunt, quantocius moneatis, ut tam litteras quam etiam ablata nuncio memorato subdiacono nostro latori presentium sine diminutione et dilatione cum expensis, quas propter hoc facere coactus est, restituant, et castrum de Seuenico, cuius illa sagitta fuit, ad restituendum quicquid de his ad suas manus deuenit diligenter inducatis. Si vero ad commonitionem vestram id non fecerint, eosdem comites et omnes, qui tunc in predicta sagettia fuerunt, contradictione et appellatione cessante, publice accensis candelis auctoritate nostra excommunicetis; et si nec sic infra decem dies resipuerint, in ciuitate Seuenici et in alia terra communis Seuenici, si eius fuit ipsa sagettia, omnia diuina, preter baptisma paruulorum et penitentiam prohibeatis officia celebrari. lllos autem, qui in predictum subdiaconum nostrum violentas manus iniecerunt, sublato appellationis remedio, publice excommunicatos sine dilatione denuncietis, et eos faciatis sicut excommunicatos vitari, donec uniuersa ablata restituant et cum litteris vestris nobis et prefato cardinali, nec non etiam eidem subdiacono nostro satisfacturi ad apostolicam sedem accedant. Qualiter autem idem nuncius cum his, que recuperauerit, ad nos secure poss[i]t redire, studeatis sollicite prouidere. Porro, si uterque vestrum . . sequendis interesse non poterit, alter ea nihilominus exequatur. Ein ausführliches Verzeichnis des Raubguts aus der Hand des Raimund findet sich ebd., Nr. 143, S. 146. Es scheint kaum wahrscheinlich, dass Raimund auf Sizilien Einkäufe für Kardinal Hyacinth getätigt hatte, wie dies OHNSORGE: Legaten (wie Anm. 68) S. 104, vermutete. Eine umfassendere Analyse dieser Quelle im Rahmen der kirchlichen Maßnahmen gegen Piraterie bietet Ivan MAJNARIĆ: Some cases of robbing the papal representatives along the eastern adriatic coast in the second half of the twelfth and during the thirteenth century, in: Acta Histriae 15 (2007) S. 493–506, hier S. 498–499.

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entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sie gerade im Jahrhundert der Kirchenreform mit ihrer geradezu fanatischen Ablehnung der Simonie nicht nur immer verbreiteter wurden, sondern auch zunehmend regelrecht eingefordert wurden98. Im Gegensatz zu anderen Einkünften handelte es sich dabei grundsätzlich um persönliche Einkünfte des Papstes, der Kardinäle und der übrigen Kurialen99. Die Kammer dürfte in den wenigsten Fällen mit ihnen befasst gewesen sein und hier ist ohne Zweifel ein Grund für ihre stetig anwachsende Bedeutung zu suchen. Gerade die Pallieneinholungen in Rom, deren verpflichtender Charakter seit der Mitte des 11. Jahrhunderts unmissverständlich von den Päpsten geltend gemacht wurde, waren seit jener Zeit Zielscheibe der 98 Die entsprechenden Quellenzeugnisse sind zusammengestellt bei JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 81. Ivo von Chartres legte die Finger in die Wunde, wenn er – wohl in den ersten Jahren des 12. Jahrhunderts – Kardinalbischof Richard von Albano auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, er begünstige als Bischof von Chartres in seinem Bistum die Simonie, nicht nur antwortet, er kenne Diözesen in der ecclesia gallicana, die vom Übel der Simonie geradezu beherrscht würden, er selbst aber habe Simonie stets verabscheut und seit seinem Amtsantritt weitaus wirksamer als viele seiner Amtskollegen bekämpft, sondern den Spieß umdreht und rhetorisch gewandt darauf verweist, die römische Kirche selbst erschwere seinen Kampf gegen die Simonie – dort nämlich, so werde ihm von simonistischen Geistlichen stets entgegengehalten, sei bei der Konsekration von Äbten und Bischöfen überhaupt nichts ohne Geld auszurichten, und dieser Skandal werde auch noch durch die Bezeichnung als oblatio oder benedictio verschleiert: Quod autem vobis suggestum est, Simoniacam haeresim me permittente in Ecclesia Carnotensi publice dominari, omnino veritate caret, quia hoc malum ab initio clericatus mei semper exhorrui, et postquam ad episcopatum veni, quantum, Deo donante, praevalui, in superficie resecavi. Quod manifestum fieret, si pace confratrum et coepiscoporum nostrorum fieri posset; in quorum Ecclesiis multae malae consuetudines adhuc caput erigunt, quae temporibus nostri sacerdotii Deo auxiliante in Ecclesia Carnotensi sopitae sunt. Si qua autem adhuc sunt quae pro consuetudine antiqua publice exigant decanus et cantor, et alii ministri ab his qui canonici fiunt, me contradicente et persequente, Romanae Ecclesiae consuetudine se defendunt, in qua dicunt cubicularios et ministros sacri palatii multa exigere a consecratis episcopis vel abbatibus, quae oblationis vel benedictionis nomine palliantur, cum nec calamus nec charta gratis ibi (ut aiunt) habeatur, et hoc quasi lapide conterunt frontem meam, cum non habeam quid respondeam, nisi evangelicum illud: 'Quod dicunt servate et facite; sed si id faciunt, secundum opera eorum nolite facere' (Matth. XXIII) [Mt 23,3]. Si autem hanc pestem radicitus evellere non valeo, non tantum invalitudini meae hoc imputandum est, quia ad hoc ab origine nascentis Ecclesiae Romana Ecclesia laboravit, nec a gremio etiam suo tales sua quaerentes penitus praevaluit eliminare, ep. 133, Migne PL 162, Sp. 142B–C. Die Funktion des Verweises auf die simonistischen Praktiken am Hof des Papstes liegt vor diesem Hintergrund auf der Hand und ist daher – bei aller Berechtigung – nicht in der Weise wörtlich zu nehmen, wie dies bei JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 82, geschieht: „Bereits Ivo von Chartres klagt darüber, dass an der Kurie nec calamus nec charta gratis […] habeatur“. Wie wenig eindeutig der Begriff der Simonie im übrigen während der Hochphase der kirchlichen Reformbewegung verwendet wurde, illustrieren die Quellenzeugnisse, die bei Gerd TELLENBACH: Die westliche Kirche vom 10. bis zum frühen 12. Jahrhundert, Göttingen 1988 (Die Kirche in ihrer Geschichte. 2, Lieferung 1), S. 140–145, zusammengestellt sind. 99 Vgl. dazu auch das Zitat weiter unten Anm. 116.

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Kritik. Die Belastungen durch die zunehmend als Taxe erhobenen Gelder müssen für die Betroffenen erheblich gewesen sein. Markulf von Mainz etwa, der in den Jahren 1141 und 1142 den Mainzer Stuhl inne hatte, sah sich gezwungen, Kleinodien zu veräußern, um das Pallium zu erhalten100. Thomas, Elekt von York, berichtete an Anselm von Canterbury im Spätsommer 1108 über die Gründe seiner verzögerten Konsekration durch den Adressaten: Das Geld für eine Reise nach Canterbury habe er bereits erfolgreich gesammelt, doch dann habe er sich zu lange und zu kostspielig in Winchester aufgehalten. Dort hätten ihn dann Boten des Königs erreicht, die ihn unter Hinweis auf eine königliche Anordnung angewiesen hätten, gemeinsam mit ihnen nach Rom zu reisen und das Pallium dort zu erwerben. Daher sei er rasch nach York zurückgereist, um erneut die nötigen Gelder zu beschaffen – bisher habe er allerdings kaum Erfolg gehabt101. Während des 12. Jahrhunderts müssen derartige Gaben einen erheblichen Umfang angenommen haben, von dem nicht nur der Papst allein, sondern auch die Kardinäle große Teile ihrer Ausgaben bestritten. Petrus von Blois berichtete unter dem Eindruck der bevorstehenden Eroberung Jerusalems durch Saladin im Jahre 1187 an den englischen König von einer besonderen Maßnahme, auf welche sich die Kardinäle als Zeichen ihrer Betroffenheit geeinigt hätten: Nicht nur dass sie unter Verzicht auf alle Pracht fortan das Kreuz predigen, kein Pferd mehr besteigen und allen bei der Befreiung Jerusalems vorangehen wollten, auch auf alle munera, die im Rahmen ihrer Tätigkeit in der kurialen Rechtsprechung anfielen, wollten sie künftig verzichten – mit Ausnahme jener freilich, die ihnen zur notwendigen Bestreitung ihres Lebensunterhalts zugingen102. Damit ist mit der 100 Annales Sancti Disibodi ao. 1160, hg. v. Georg WAITZ, in: MGH SS 17, Hannover 1861, S. 4–30, hier S. 29: Huius imaginis alterum pedem Marcolfus episcopus tulit et Romam pro pallio misit. Der Bericht ist allerdings weder als „zeitgenössisch“ zu betrachten, noch bezieht er sich auf das Jahr 1160, JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 81. 101 Anselmo d'Aosta. Lettere 2, hg. v. BIFFI/MARABELLI (wie Anm. 62) ep. 444, S. 448: Quod ad consecrationem meam venire distuli, causa fuit non una nec parva quae me detinuit. Pecuniam, quam pro facultate mea magnam causa veniendi ad vos contraxeram, ultra spem meam et nimium diu moratus totam dispendi Wintoniae, a qua citius discedens ad vos venire disposueram. Placuit autem domino nostro regi ut, quoniam ille legatos Romam pro causa sua mittebat, ego cum eis meum mitterem ad requirendum ecclesiae nostrae pallium. Festinanter igitur consilio regis ad propria reversus, ad hoc opus quaesivi et adhuc quaero pecuniam; sed parum, nisi graviter mutuatam, invenio. JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 81, galt dieses Schreiben als Beleg für die fast unerschwinglichen „Gebühren“, die für eine Pallienverleihung seit dem 11. und vor allem 12. Jahrhundert vom Papst erhoben worden seien. Abgesehen davon, dass von einer regelrechten „Gebühr“ in jenem Zeitraum noch kaum zu reden ist, lässt sich dem Brief des Elekten Thomas von York nicht entnehmen, ob die aufzubringenden Mittel – wie in einer Unzahl vergleichbarer Fälle – in erster Linie der Bestreitung der erheblichen Reisekosten oder tatsächlich der Entrichtung erwarteter Gebühren dienen sollten. 102 Petrus von Blois, ep. 219, Migne PL 207, Sp. 508D: Firmiter etiam inter se promiserunt, quod de caetero nulla munera recipient ab aliquo qui causam habeat in curia, sed ea tantum re-

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kurialen Rechtsprechung überdies ein weiterer bedeutender Bereich genannt, welcher der Kurie eine materielle Grundlage verschaffte. Über die fiskalische Bedeutung der kurialen Rechtsprechung existieren jedoch zum jetzigen Stand für den fraglichen Zeitraum keine gesicherten Erkenntnisse und da sie nur mittelbar mit der päpstlichen Finanzgeschichte verknüpft ist und von seiten des Papstes nicht die Einrichtung oder den Unterhalt raumüberwindender Strukturen nötig machte, soll dieser Aspekt der kurialen Finanzen hier nicht weiter verfolgt werden. Da jedoch die finanziellen Einkünfte hier lediglich einen Nebenaspekt darstellten, soll die Rechtsprechung der Kurie an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden103. Die Schwierigkeiten, vor denen jeder Geldtransfer während unseres Zeitraums stand, illustriert eindrücklich die langwierige Vergabe der Metropolitenwürde an Bischof Diego Gelmírez in der Schilderung der «Historia

cipere poterunt, quae fuerint pro eorum necessitate donata vel missa. Die Mönche, die an der Kurie den Konvent von Canterbury gegen den Erzbischof vertraten, schrieben tatsächlich 1188 an ihr Heimatkloster bezüglich der bevorstehenden Ankunft des Kardinallegaten Ralf Nigel in Canterbury: Cæterum cavete, ne aliquid omnino munus ei offeratis. Ego namque frater J., cum nobis datus esset, accessi secretius et philaterium illud nobile quod protraxistis texto affigendum obtuli, volens ei in ipso causam martyris et ecclesiam commendare, quatenus intuendo memor esset quanti laboris fuerit et meriti apud Deum, ecclesiam illam tueri. Ipse vero cum relliquias plurimum desiderat, propter argentum tamen deauratum, et lapidides circumpositos, recipere recusavit. Summarium tamen domini prioris non sine difficultate ei mutuo dedimus indigenti. Itaque equum nobis, vel ejus æstimationem, debeat restituere, Epistulæ Cantuarienses, hg. v. STUBBS (wie Anm. 65) ep. 290, S. 272. 103 Vgl. zur kurialen Rechtsprechung auch die weiteren Verweise oben Anm. 15. Trotz der allzu deutlichen Topik sei hier statt vieler ein Zitat aus den Epistulæ Cantuarienses, hg. v. STUBBS (wie Anm. 65) ep. 232, S. 214, angeführt: Jene Briefsammlung dokumentiert einen auch vor der Kurie ausgetragenen Streit der 1180er Jahre zwischen dem Erzbischof von Canterbury und den Mönchen des Kathedralklosters. 1188 gibt der Vertreter des Klosters an der Kurie folgende negative Einschätzung der Erfolgsaussichten ab: Romanus [sc. pontifex – Th. W.] enim clamantem quamvis semper, nisi dederit, non exaudiet, et cum acceperit, non ignoscet […] Hinc est quod querulos, etsi non exaudiat, libenter audit, partibus æque auxilium pollicetur, moras innectit: litibus nunquam finem impositurus, nisi litigantium prius funditus exhauserit facultates. Mitius tamen ageret cum miseris, si omnia quæ habet daret homo pro causa sua; sed quod nec habet, nec habere videtur, auferetur ab eo. Ad creditores introitus vacuus, cum quibus contrahens ære oneratur alieno. Loris autem constrictus argenteis cum hic vivere non possit, discedere prohibetur. Ut ad unum sit dicere, melius crederem incidere in latrones, quam curiæ laqueis irretiri, ut veridicam intelligas illam Domini sententiam quæ dicitur, "Si abstulerit quis tibi pallium, da ei et tunicam;" multo etenim melius hoc quam judicio contendere. Ex quo enim ad hoc res perducta fuerit, vix aliquando finem debitum sortietur. Propterea Romana jam fere ob omnibus conculcatur ecclesia, et cum reverendum nihil in ea reperitur, non est inter principes qui eam revereatur. Unde ei alius prædia et poessessiones subtrahit, alius contra eos dolos nectit; omnes perditum reputant quod talibus possidetur. Nemo ei reverentiam exhibet, nisi quam meretur. Viri quoque ecclesiastici obedientiam passim subtrahunt, et principem habentes propitium, impune contemnunt.

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Compostelana»104. Eine für sein Vorhaben günstige Situation fand Diego nach der Wahl des ihm günstig gesonnenen Gelasius II. und dem Freiwerden des Erzbistums Braga im Jahre 1117 vor. In einem knappen Schreiben vom 16. Juni 1118 an Gelmírez erwähnte der Papst dessen Ansinnen zwar nicht, bat aber um Hilfe im Sinne der dem Heiligen Stuhl geschuldeten Liebe105. Tatsächlich schickte Diego eine Gesandtschaft mit 120 Goldunzen auf den Weg, die allerdings von der Besatzung einer Burg des mit Diego verfeindeten aragonesischen Königs Alfons I. trotz ihrer Verkleidung als Pilger abgefangen und ausgeraubt wurde106. Für eine zweite, mit 100 Unzen ausgestattete Gesandtschaft konnte der Prior des Cluniazenserklosters San Zoilo in Carrión anstelle der Gesandten Diegos gewonnen werden – dieser gab vor, sich auf dem Weg nach Cluny zu befinden, durchquerte unbeschadet das Königreich Aragón und erreichte so den Papst, der sich bereits in Südfrankreich befand107. Dann allerdings verstarb Gelasius II., und Diego versuchte, auch den Nachfolger Calixt II. durch eine Gabe günstig zu stimmen108: Mehrere Geschenke, darunter eine 104 Umfassend dargestellt findet sich diese Quelle bei Ludwig VONES: Die «Historia Compostellana» und die Kirchenpolitik des nordwestspanischen Raumes 1070–1130. Ein Beitrag zur Geschichte der Beziehungen zwischen Spanien und dem Papsttum zu Beginn des 12. Jahrhunderts, Köln u.a. 1980 (Kölner historische Abhandlungen 29), hier besonders zur Verfasserschaft der hier interessierenden Teile (Magister Giraldus) S. 28 u. 255–258. Vones hält es entgegen der vom späteren Ergebnis beeinflussten Schilderung der «Historia Compostellana» für unwahrscheinlich, dass Diego Gelmírez bereits anlässlich seiner Romreise im Jahre 1105 die Metropolitenwürde für Santiago angestrebt habe, ebd., S. 292. Die ernsthaften Anstrengungen der Jahre 1113 bis 1115 schildert Vones ebd., S. 292–346. Als wichtige Quelle zur päpstlichen Finanzgeschichte scheint die «Historia Compostellana» zuerst JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 83–87, entdeckt zu haben. Vgl. zum Vorgang selbst auch die nicht immer sachgerechte Darstellung bei Richard A. FLETCHER: Saint James's catapult. The life and times of Diego Gelmírez of Santiago de Compostela, Oxford 1984, S. 192–222. 105 Migne PL 163, Sp. 494C (= JL 6645, 1118 Jun. 16): Ideoque fraternitatem tuam litteris praesentibus visitamus, rogantes ac monentes ut Romanae Ecclesiae multis aggravatae, multisque distractionibus fatigatae, memoriam habeas, et tam ejus quam nostris opportunitatibus debita charitate subvenias. 106 Historia Compostellana, hg. v. Emma FALQUE REY, Turnholti 1988 (CChrCM 70), 2,4, S. 228: Postquam nuntii, scilicet uterque Petrus, alter ecclesie nostre prior et alter cardinalis, uenerunt Castrum Soricis, licet sub specie peregrinorum iter agerent, statim Aragonenses predones in eos manus iniecerunt. Auferuntur eis centum et uiginti uncie auri, auferuntur eis equitature, uestes, argentum, monete et quecumque necessaria itineri preparauerant. 107 Historia Compostellana 2,6, hg. v. FALQUE REY (wie Anm. 106) S. 231: Tandem accepto consilio, accersitur a regina B. prior Carrionensis et negotii nostri series ei aperitur. Quid plura? Precibus regine et nostris uix impetrauimus, ut Papam Gelasium predictus prior uice nostra adiret et, cur ab incepto destitissemus, ei patefaceret, negotium etiam ecclesie nostre, scilicet de archiepiscopatu, quantum posset, ad effectum promoueret. Libere enim per regnum regis Aragonensis quasi Cluniacum adeundo transire poterat. Cenobium namque sancti Zoyli, cui preerat, erat in potestate regis Aragonensis. 108 Die aufgrund der Verwandtschaftsverhältnisse des neuen Papstes für Diego nicht ungünstigen Ausgangsbedingungen beschreibt VONES: Historia (wie Anm. 104) S. 359.

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wertvolle Goldschatulle und Bargeld, wurden auf den Weg gebracht und wieder den cluniazensischen Mönchen von Carrión anvertraut, während die Gesandten Diegos in Nachtreisen das gefährliche Aragón durchquerten. Im südfranzösischen Morlaas überreichten die spanischen Cluniazenser die Gaben Mönchen aus Cluny. Dort wurden sie zunächst deponiert, denn Calixt II. hatte sich den Boten Diegos in Toulouse gegenüber wenig geneigt gezeigt und daher lediglich eine kleine Gabe von 20 Unzen empfangen und Diego zu einem Konzil geladen109. An Diegos Stelle reiste Bischof Hugo von Porto nach Frankreich und gelangte, als Pilger verkleidet, unerkannt bis nach Cluny. Detailreich schildert Giraldus in der «Historia Compostellana» die Übergabe der in Cluny aufbewahrten Gaben an den dort wartenden Papst: Zunächst habe Hugo von Porto Papst Calixt II. ein Schreiben Diegos überreicht und die dabei nötigen, aber vertraulichen Zusatzinformationen dem Papst teilweise in größerer Runde, teilweise aber auch vertraulich mündlich übermittelt. Dem erst seit Kurzem wieder mit Calixt II. versöhnten Abt Pontius von Cluny habe Hugo ebenfalls einen Brief Diegos präsentiert und darüber hinaus die nötigen intersignia vorgelegt, um sich als Gesandter Diegos von Santiago auszuweisen und die verwahrten Gaben für den Papst ausgehändigt zu bekommen110. Der Erfolg dieser Vgl. auch zu einer umfassenderen Bewertung der politischen Rahmenbedingungen ebd., S. 367. 109 Historia Compostellana 2,10, hg. v. FALQUE REY (wie Anm. 106) S. 235: Commisimus autem pecuniam huic negotio necessariam, scilicet archam auream nouem marcharum, centum morabitinos, CC et XI solidos Pictauienses, sexaginta solidos Mediolanensis monete, XX solidos de Tolosanis et cetera Bernardo Carrionensis ecclesie sacriste ad transalpinandum […]; ebd., S. 238f.: Deinde die latitando et nocte transcurrendo euasimus et per Portus Cisereos transalpinauimus. Quantum uero corporis mei laborem quantam que animi mei anxietatem in hac Caribdis euasione passus fuerim, cum recordor, uiuit Dominus et uiuit anima mea, intra memet ipsum totus contremisco et contremiscens exhorresco. Absit ut stilo percurram ea, que mens mea pro laboris quantitate et anxietate ad memoriam uix audet reuocare; ebd., 2,11, S. 241: Hec atque alia postquam Papa Calixtus nobis aperuit, ne eo insalutato reuerteremur, uiginti uncias auri ei attribuimus, archam uero auream cum predictis morabitinis et cetera Cluniacensi abbati ad reseruandum commendauimus. Vones bezeichnet die für den Papst bestimmten und dem Clunianzenserprior Bernhard anvertrauten Geschenke unverhohlen als „Bestechungsgelder“, VONES: Historia (wie Anm. 104) S. 360. Vgl. auch zu den tieferen Ursachen der Haltung des Papstes die Erläuterungen ebd., S. 360–364. 110 Ausführlich wird die abenteuerliche Reise des Hugo von Porto durch das feindliche Aragón berichtet in der Historia Compostellana 2,13, hg. v. FALQUE REY (wie Anm. 106) S. 244–246. Die Ankunft in Cluny wird in folgenden Worten geschildert, ebd., 2,13, S. 246: Postea Portugalensis episcopus uenit usque ad Cluniacum et inuenit ibi Papam Calixtum, tradidit ei litteras predicti Compostellani episcopi et, que necessaria fuere ut adderentur, palam ac secreto insuper addidit. Predicto etiam Cluniacensi abbati litteras et intersignia, que necessaria erant, contulit. Sane necesse erat, ut abbas Cluniacensis Hugonem Portugalensem episcopum sciret esse nuntium episcopi sancti Iacobi et pecuniam, quam sibi reseruandam conmiseramus, ei attribueret. Quod ita factum est. Was sich im Detail in diesem Fall hinter intersignia verbirgt, ist nicht eindeutig zu klären. Die mittelalterlichen Belege

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Maßnahmen stellte sich schließlich ein: Calixt II. gab den mittlerweile auf die Metropolitenwürde Meridas und die Erteilung einer ständigen Legation gerichteten Wünschen Diegos unter bestimmten Auflagen im Jahre 1120 statt111. Erste, inoffizielle Mitteilungen erreichten Santiago, und sogleich wurden aus dem Kathedralschatz weitere wertvolle Geschenke zur Übersendung an den an der Kurie wartenden Bischof Hugo zur gemeinsamen Überreichung der bereits aus Cluny mitgeführten Gaben an den Papst eingeschmolzen – ein runder Silbertisch aus dem einstigen Besitz des Abbasiden Al-Mustain, eine goldene Schatulle, ein goldenes Kreuz und eine goldene Krone, und schließlich steuerte Diego aus seinem eigenen Vermögen noch 60 Mark bei, um eine Gesamt-

(hier aus pragmatischen Gründen ohne Angabe der neueren Texteditionen) zeigen zunächst, dass intersignia synonymisch zu intersignum/intersigna und insignia als Plural von insigne verwendet wird, Wilhelm MEYER-LÜBKE: Romanisches etymologisches Wörterbuch. vollständig neubearb. Aufl., Heidelberg 31935 (Sammlung romanischer Elementar- und Handbücher 3,3), Nr. 4463; Karl Ernst GEORGES: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. Aus den Quellen zusammengetragen und mit besonderer Bezugnahme auf Synonymik und Antiquitäten unter Berücksichtigung der besten Hilfsmittel ausgearbeitet von Karl Ernst GEORGES (ND der verbesserten und vermehrten Aufl. v. Heinrich Georges, Bd. 2, Hannover 131972, S. 311). Eine der Grundbedeutungen lässt sich als ‚unverwechselbares Kennzeichen’ bzw. ‚charakteristisches Merkmal’ einer Person übersetzen, Migne PL 71, Sp. 667C; Migne PL 153, Sp. 1039A; Migne PL 162, Sp. 1204A. Der Terminus kann aber auch ein unter Umständen im Vorhinein vereinbartes ‚Erkennungszeichen’ bezeichnen, Migne PL 198, Sp. 1535C; Migne PL 211, Sp. 411B. Im weiteren Sinne auch ‚Abzeichen’ (auch figurativ), Migne PL 15, Sp. 866A; Migne PL 186, Sp. 1244B sowie ,Schild’, Belege bei Charles du Fresne DU CANGE: Glossarium mediae et infimae Latinitatis conditum a Carolo Du Fresne domino Du Cange, auctum a monachis ordinis S. Benedicti, cum suppl. integris D. P. Carpenterii, Adelungii, aliorum, suisque, digessit G. A. L. Henschel, Bd. 3, Paris 1844, S. 869) oder ‚Beweisstück’, X 5.12.19. Das römische Recht kennt insigne im Sinne von ‚Paß’, Dig. 48.10.27.2; vgl. die Belege bei Ludolf FIESEL: Zum früh- und hochmittelalterlichen Geleitsrecht, in: ZRGGermAbt 41 (1920) S. 1– 40, hier S. 2. Da es sich im vorliegenden Beispiel um intersignia handelt, die von Giraldus vorgelegt werden, kann es sich nur um ein dingliches Zeichen handeln – möglicherweise ein bei der Deponierung der Wertsachen als Erkennungszeichen vereinbarter Gegenstand, vielleicht aber auch ein Siegel oder ein anderes Abzeichen, das den Träger auch ohne vorherige Vereinbarung als Gesandten Diegos ausweist. VONES: Historia (wie Anm. 104) S. 370, schlägt ‚Beglaubigungsschreiben’ vor, was gerade vor dem Hintergrund der römischrechtlichen Belege nicht auszuschließen ist. 111 VONES: Historia (wie Anm. 104) S. 375, weist allerdings darauf hin, dass entgegen der Darstellung der «Historia Compostellana» Calixt II. keineswegs spontan nach einer im Sinne Diegos gehaltenen Rede des Pontius dazu bereit war, auf die Forderungen des Bischofs von Santiago einzugehen: Ganze acht Wochen verbrachte Bischof Hugo von Porto in der Umgebung des Papstes, bis er schließlich am 26. Februar 1120 die ersehnte Urkunde in den Händen hielt (= JL 6823); dazu ausführlicher VONES: Historia, S. 381–383.

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summe von 260 Mark zu erreichen112. Nun aber stellte sich erneut die Frage des sicheren Transports. Um das Risiko zu vermindern, streute Diego Gelmírez das Gerücht, die Gelder sollten durch ein normannisches Schiff in die Normandie und von dort nach Cluny geschafft werden – tatsächlich aber vertraute er die Barschaft zwei Klerikern an, die sie in Werten von zehn, acht und fünf Unzen an galizische Kreuzfahrer verteilten und ihnen für eine erfolgte Beförderung der Gelder Ablässe in Höhe der jeweiligen Summen in Aussicht stellten. Nachdem das feindliche Aragón durchquert war, übernahmen Mönche aus Cluny in Montpellier das Geld und brachten die benedictio sicher in ihre Abtei, wo sie auf den bereits anwesenden Hugo von Porto, Abt Pontius von Cluny und den päpstlichen camerarius Stephan von Besançon trafen. Dort händigten sie ihnen die Gelder zur Weiterleitung an den Papst aus113. 112 Historia Compostellana 2,16, hg. v. FALQUE REY (wie Anm. 106) S. 252–253: Et quidem predictam archam auream cum centum morabitinis et L solidos Pictauiensibus et alios C morabitinos, quos se cum tulerat in datiuum iam habebat. Ad complementum autem benedictionis CC et LX marchas argenti addi oportebat. Eapropter, inito consilio ab episcopo sancti Iacobi et a supradictis eius canonicis, uisum est eis ea de thesauro sancti Iacobi accipi. Paucis itaque admodum huius consilii complicibus mensa rotunda argentea, que uulgo intremissa uocabatur, que fuerat Almostani regis Sarracenorum, continens XL marchas argenti, crux aurea et casula aurea, que rex Ordonius dederat beato Iacobo, necnon corona aurea ad complendum predicte benedictionis datiuum confringuntur, ut transmittantur. Hec omnia quoniam ad complendas CC et LX marcas argenti non sufficiebant, ipse episcopus de proprio XL addidit marcas argenti. 113 Historia Compostellana 2,16, hg. v. FALQUE REY (wie Anm. 106) S. 262: Quomodo autem tot et tanta mitterentur, subtilissimo egebat ingenio. Tunc temporis nauis quedam Normanorum institorum, que uento exagitata barbarorum Occeano Agarenorum oberrauerat, castello Honesto applicuerat et in Normaniam repedare properabat. Per hos institores predictus sancti Iacobi episcopus supradictam pecuniam se missurum simulauit uidelicet sapienti usus consilio. Gens namque Galliciana huiusmodi consiliorum secreta scire inhiat, et eorum perpauci sunt qui conmissa sibi fideliter retineant. Idcirco sciti fuit consilii, ut aliud eis specie tenus ostenderetur et aliud fieret. Recedentibus denique Normanigenis fama sepius ficti significatrix asseruit episcopum pretaxatam pecuniam nauigio transmisisse in Normaniam et a Normania Cluniacum, sic que quorumdam concanonicorum nostrorum delusa est dolosa intentio; qui, si resciuissent rem, prout gesta fuit, utpote pleni rimarum citius efflueret. Tandem compluribus Gallicianis, accepta cruce, Iherosolimam adeuntibus, predictus episcopus uir perspicacissimi ingenii predictam pecuniam duobus articulosis atque admodum uersipellibus, scilicet P. fratri arcario et P. Iohannide, qui postea factus est noster concanonicus, ad deferendum commisit. Illi autem consilio et admonitione ipsius episcopi sub specie penitentie illi X auri uncias, alii VIII, alii VIII, alii V et sic de ceteris sub fide distribuerunt. Quot cuique uncias auri ad ferendum conmendauerunt, a tot eum penitentie annis soluerunt. Pape, subtilissimi atque perspicacissimi ingenii dispositio! Sic per Aragonensis tiranni regnum indempnes transierunt et usque ad Montem Pessulanum predictam pecuniam detulerunt. Quam ibidem monachi Cluniacenses accipientes, sicut stabilitum fuerat, Cluniacum asportarunt. Vbi cum predictus uterque P. abbatem Cluniacensem, episcopum Portugalensem, Stephanum de Bisontio, Calixti Pape camerarium, inuenisset, predictam benedictionem eidem Stephano camerario uice Pape tribuerunt. Die Überreichung der Gabe an den Kämmerer legt nicht zwingend nahe, dass es sich dabei auch um eine an die Kammer gerichtete Zahlung handelt. Vielmehr lässt der Wortlaut durchaus den Schluß zu, die benedictio habe dem Papst persönlich gegolten. Dies trifft im übrigen mit Si-

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Nach seiner erfolgreichen Rückkehr präsentierte der Bischof von Porto dem soeben erhobenen Erzbischof allerdings eine saftige Rechnung114: Die in Cluny an Papst Calixt II. überreichte Truhe war nur außen vergoldet, innen jedoch aus Silber – hier stellte der Papst eine Nachforderung, die von Hugo vor seiner Abreise mit Geldzahlungen zu begleichen war. Auch der Kämmerer des Papstes war unzufrieden – das ihm überreichte Geld erwies sich als gefälscht und musste ebenfalls in gültiger Währung vom Bischof von Porto ersetzt werden. Insgesamt machte Hugo gegenüber dem Nutznießer seiner Reise, die ihn im Gefolge der Kurie schließlich bis nach Rom gebracht hatte, eine Forderung von 100 Unzen geltend – immerhin 30 Unzen wurden dabei für die Reisekosten veranschlagt, die übrigen 70 betrafen allein die Nachzahlungen, die sich in Rom als notwendig ergeben hatten. Alle diese Kosten wurden aber vom neuen Erzbischof ebenso umgehend wie großzügig erstattet. Schon 1121 aber erwiesen sich für Diego neue Gaben an den Heiligen Stuhl als notwendig: Der Erzbischof von Braga ließ sich vom Papst de facto von der Obödienzpflicht gegenüber Compostela befreien, und wieder wurde eine reich ausgestattete Gesandtschaft nach Rom geschickt, um an der Kurie die Durchsetzung der Metropolitangewalt Diegos mit mehr Gewicht zu vertreten115. Zwei Jahre später bemühte sich Diego erneut um eine Bestätigung seiner Legatengewalt durch den Papst und verlieh seiner Bitte nicht nur durch begleitende Bittschreiben, sondern wiederum durch eine benedictio von 400 Goldstücken Nachdruck. In diesem Fall wurde der Transport des Geldes durch die vorab von Alfons VII. und Königin Urraca ausgestellten Geleitschreiben abgesichert, und auf umfangreiche weitere Vorsichtsmaßnahmen konnte ofcherheit auf eine weiter unten genannte benedictio zu, die an den Papst und seine Familiaren gerichtet war, dazu das Zitat unten Anm. 119. 114 Historia Compostellana 2,20, hg. v. FALQUE REY (wie Anm. 106) S. 261f.: Dixit etiam quantum adhuc addi oportebat, ut, que minus fuerant, complerentur. Scilicet predicta archa aurea nouem marcharum cum daretur a Portugalensi episcopo et ab abbate Cluniacensi Pape Calixto, credita et recepta est quasi tota aurea, uerum pars interior erat argentea. Quo comperto, ad complementum XX auri uncias Portugalensis dari pepigerat. Preterea quarta pars auri, quod receperat Stephanus de Bisoncio camerarius Pape, scilicet ducentas uncias, falsa esse comperta fuerat. Eapropter L uncias auri dari oportebat, necnon dispensam itineris atque laboris, quam dispenderat Portugalensis episcopus, scilicet XXX auri uncias. Hec omnia uidelicet C auri uncias predictum Compostellane sedis archiepiscopum et Sancte Romane Ecclesie legatum ad complementum dare oportebat et dedit. Preterea idem archiepiscopus Portugalensem episcopum utpote pro tanto labore largius remunerauit. Ei namque atque uernulis suis contulit indumenta, ipsi etiam annulum pontificalem, prestimonia et cetera retribuit. Nimirum ex quo predictus archiepiscopus a Papa Paschali pallium adeptus fuerat, multa aurea et argentea et cetera pretiosa, ut Compostellana beati Iacobi ecclesia archiepiscopatum haberet, distribuerat. Nempe Romano Pontifici, Romanis cardinalibus ceteris que in Romana curia, necnon canonicis atque amicis suis ad hec iterum atque iterum laborantibus sepius magna atque innumera distribuendo ad quod diu anhelauerat, effectui mancipauerat. 115 Historia Compostellana 2,57, hg. v. FALQUE REY (wie Anm. 106) S. 333. Eine kurz vorher durch einen Rompilger abgesandte Gabe galt dem Schreiben eines Kardinals an Diego zufolge ad sedandam curiam als zu geringfügig, ebd., 2,44, S. 295.

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fenbar verzichtet werden116. Die reichen Gaben wurden durch weitere 400 aurei vermehrt, die eine weitere Gesandtschaft zu ihrem größten Teil dem Papst bei der Leistung des Fußkusses, zu einem kleineren Teil den Kardinälen und den primores Romane curie überreichte117. Wir müssen uns leider eine ausführliche Würdigung der mehr als wunschgemäßen Reaktion des Papstes an dieser Stelle versagen, denn Diego erhielt ein unbesiegeltes Privileg, an dem er nach Belieben Ergänzungen vornehmen und das er zur Besiegelung erneut nach Rom zurücksenden konnte118. Hier kommt es wiederum auf die Beförderung der 300 Goldunzen an, welche die Rücksendung des von Diego emendierten Privilegs begleiteten und die zu zwei Dritteln aus dem Vermögen des heiligen Jakobus, zu einem Drittel aus dem Vermögen des Erzbischofs stammten. Während nämlich die offiziellen Gesandten Diegos lediglich das kostbare Schriftstück nach Rom zu bringen hatten, griff der am Ziel seiner Wünsche angelangte Erzbischof aus Furcht vor den Zugriffen Alfons' I. von Aragón für den Geldtransfer erneut auf vertrauenswürdige Kreuzfahrer zurück, deren Immunitätsprivilegien der aragonesische König allein respektierte. Auch hier gab es dennoch Verluste: Einer der Kreuzfahrer hatte 27 Unzen in seinen Mantel eingenäht, geriet in die Hände von Räubern und wurde von ihnen seiner Kleidung und damit auch seiner kostbaren Fracht beraubt. Dieser Verlust sollte die Rückreise der Abordnung aus Santiago erheblich verzögern, denn offenbar war die Summe von 300 Unzen, die Diego ex caritate et beniuolentia übersenden wollte, vorab vereinbart worden und eine Nachfrage in Santiago ergab, dass der Erzbischof auf der Überreichung des vollen Betrags bestand. Es fügte sich allerdings, dass in Pavia zwei Kleriker aus Santiago ihre Rückkehr von einer zweijährigen Kollekte für ihre Kathedralkirche aus Sizilien und in Apulien vorbereiteten. Die in Rom festgehaltenen Gesandten Diegos erhielten davon Kunde, einer der beiden verblieb als Sicherheit beim Papst, der andere machte sich auf den Weg nach Pavia und 116 Historia Compostellana 2,63, hg. v. FALQUE REY (wie Anm. 106) S. 347. Das Geld wurde den Boten des Erzbischofs mitgegeben, und leider macht die «Historia Compostellana» keine verwertbaren Angaben darüber, auf welchem Weg dies geschah und welche Sicherungsmaßnahmen ergriffen wurden; vgl. auch den Kommentar bei VONES: Historia (wie Anm. 104) S. 451. 117 Historia Compostellana 2,64, hg. v. FALQUE REY (wie Anm. 106) S. 350–351: […] legatos suos […] cum sua benedictione, quadringentis scilicet aureis, omnibus necessariis totius itineris eis ambobus ad plenum collatis, Romam destinans […] Legati ergo post inmensos itineris labores et multas anxietates Romam tandem peruenere et maiorem quadringentorum aureorum partem primum domino Pape, ipsius pedes deosculantes et eum ex parte domini archiepiscopi Didaci humiliter salutantes, presentauerunt. Deinde minorem partem cardinalibus et Romane curie primoribus, prout melius nouerant esse distribuendos, distribuerunt. 118 Vgl. dazu aber die weiterführenden Angaben bei VONES: Historia (wie Anm. 104) S. 453f., der die entsprechende Passage der «Historia Compostellana» in der Sache für durchaus glaubwürdig hält, ebd., S. 353 Anm. 34. Knappe Informationen zu den üblicherweise besiegelten Blanketten bietet Alfred GAWLIK: s.v. «Blankett», in: LexMa 2 (1983) Sp. 263.

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versuchte – schließlich erfolgreich –, von den Kollektoren einen Kredit über 27 Unzen zu erhalten, so dass nach der Bezahlung der fehlenden benedictio eine Heimreise möglich wurde119. Die Geschichte erheblicher finanzieller Zuwendungen des Erzbischofs von Santiago an den Papst ist mit dieser Episode aus dem Jahre 1124 noch nicht zu Ende, braucht aber angesichts der bereits erkennbaren Informationsfülle zu kommunikationsgeschichtlichen Fragen in unserem Zusammenhang nicht weiter verfolgt zu werden120. 119 Historia Compostellana 2,64, hg. v. FALQUE REY (wie Anm. 106) S. 353–355: Correcto autem et emendato priuilegio, quia dominus Compostellanus domini Pape dilectionem et beniuolentiam per tanti beneficii et tante dignitatis collationem erga se et ecclesiam suam magnam esse cognouit illud Gregorianum memori mente recolens: Probatio dilectionis exibitio operis est, trecentas auri uncias ipsi Pape et ceteris Romanis suis familiaribus ex caritate et beniuolentia direxit, legatos quoque suos P. Fulconis cardinalem, qui priuilegium attulerat dissigillatum, et Anfonsum Petridem beati Iacobi canonicum Romam cum ipso priuilegio remisit. Benedictionem autem supradictam non ipsis legatis commisit deferendam sed potius peregrinis notis et fidelibus, metuens, ne, si ipsi legati eam se cum deferrent, incurso captionis in itinere periculo eam omnino amitterent. Aragonensis quippe rex domino Compostellano domine regine V. causa, quam manu tenebat et cui amicabatur tunc temporis, mirabiliter inimicabatur et, quoscumque de Gallecia aut Castellana patria in itinere deprendere poterat, omnes preter Iherosolimitanos male tractari et expoliari faciebat. Sed unus peregrinorum XXVII uncias auri, quas in capa sua deferebat consutas, cum ipsa capa a latronibus in itinere exutus amisit; quarum amissio maximo impedimento et maxime disturbationi legatis domini Compostellani postea extitit, nam cum Romam peruenissent et supradictum priuilegium a domino Papa sigillatum esset et confirmatum, peccuniam illam, quam a peregrinis saluam acceperant, domino Pape et aliis, quibus distribuenda erat, distribuerunt; sed unde XXVII uncias, que in itinere amisse fuerant, restaurarent, non habuerunt; et quia ad dominum suum reddire nisi illis XXVII unciis restauratis non audebant, fere per unum mensem solliciti et anxii Rome morati sunt. Dominus enim suus archiepiscopus per obedientiam eis iniunxerat, ut illas trecentas auri uncias domino Pape et aliis suis amicis integras inpertirent. Erant autem tunc temporis duo canonici beati Iacobi P. Astrarides et Pelagius Iohannides in partibus illis, qui in Apuliam et in Ciciliam biennio iam transacto profecti fuerant, auxilium ad opus ecclesie beati Iacobi a fidelibus petituri. Et illi equidem duo canonici finibus illarum prouinciarum, querendo quod dictum est, perlustratis, in patriam suam reuerti iam disposuerant, et reuertentes Papiam usque iam peruenerant. Quod cum domini Compostellani supradicti legati supradicta de causa Rome conmorantes comperissent, inito consilio inter se statuerunt, ut altero eorum, Petro Fulconis scilicet cardinali, Rome remanente, alter scilicet Anfonsus Petrides ad eos Papiam ueniret, XXVII uncias auri, que sibi de trecentis unciis defecerant, mutuatorie uel aliquo alio modo ab eis extorturus. Qui cum ad prefatam ciuitatem peruenisset, quam cito suos concanonicos ibi inuenit, totam rem sicuti gesta erat et quare uenisset, eis seriatim narrauit. Illi uero nichil de eius uerbis dubitantes constituerunt, ut alter sui cum ipso Adefonso Petride ad supradictum cardinalem Romam ueniret, quicquid ipsi legati postulabant exsecuturus; et cum Anfonsus Petrides Romam cum ipso suo concanonico reuersus esset, ipse et Petrus Fulconis cardinalis XXVII uncias auri ab illo acceperunt et eas domino Pape et aliis, quibus erant distribuende, distribuerunt; et sic trecente uncie auri, quas dominus Compostellanus domino Pape ex caritate et beniuolentia destinauerat, complete sunt. Erant autem ducente earum de thesauro beati Iacobi, centum uero de facultate et proprietate domini Compostellani. Deinde priuilegium de perpetua translatione Emeritane sedis dignitatis in Compostellanam ecclesiam cum pallio eiusdem dignitatis de manu domini Pape accipientes ad propria cum gaudio reuersi sunt. 120 Vgl. dazu die weiteren Beispiele bei JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 86f.

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4. Verstetigung und Institutionalisierung: Kammer und Zinsverzeichnisse Die zunehmende Bedeutung finanzieller Zuwendungen für die Päpste lässt sich nicht nur an einer erhöhten Dichte von Quellenzeugnissen über die Leistung einzelner Zahlungen, sondern auch an administrativen Innovationen ablesen121. Die Bezeichnung camera für die ‚Finanzbehörde’ der Päpste lässt sich spätestens mit dem Pontifikat Calixts II. (1119–1124) nachweisen, und während der ersten Jahrzehnte des 12. Jahrhunderts wird erstmals eine Aufteilung der Einkünfte zwischen Papst und Kardinälen erkennbar122. Päpstliche camerarii sind hingegen bereits während des Pontifikats Urbans II. (1088–1099) in den Quellen fassbar123. Der einstige Cluniazenser hat dabei nicht nur ein Amt, das ihm aus der burgundischen Abtei mit ihren weit verstreuten Besitzungen wohl vertraut war, an die Kurie gebracht, sondern den päpstlichen Geldverkehr zeitweise – insbesondere, wie später auch Calixt II., während seiner Aufenthalte im heutigen Frankreich – sogar über Cluny abgewickelt und die ersten Kämmerer ähnlich wie einige seiner unmittelbaren Nachfolger auch dort rekrutiert124. Für Karl Jordan steht aufgrund einer unverkennbaren strukturellen Analogie zwischen den Herausforderungen des Klosters Cluny und jenen, vor denen sich die Kurie mit ihren weit entfernten Finanzquellen gestellt sah, fest, dass „Cluny das maßgebende Vorbild“ für die Einrichtung der Kammer gewesen ist125. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, zumindest jedoch während des französischen Exils Alexanders III., scheint ein großer Teil der kurialen Finanztransaktionen über den Templerorden abgewickelt worden zu sein. Dies belegen nicht nur camerarii aus dem mit komplexen überseeischen Finanz121 Vgl. zur päpstlichen Kammer die Literaturzusammenstellung bei Beate SCHILLING: Guido von Vienne – Papst Calixt II., Hannover 1998 (MGH Schr. 45), Anhang VI 2, S. 685f.; übersichtlich und quellennah ist nach wie vor die Darstellung bei M. MICHAUD: s.v. «Chambre apostolique», in: DDC 3 (1942) Sp. 388–431, für den hier interessierenden Zeitraum Sp. 393–404. 122 SYDOW: Cluny (wie Anm. 21) bes. S. 51. Vgl. zur Teilung der Einkünfte zwischen Papst und Kardinälen JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 87f.; SCHNEIDER: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 6 u. 13, der die Existenz zweier unterschiedlicher Kammern erstmals für die Zeit des alexandrinischen Schismas vermutet. 123 SYDOW: Cluny (wie Anm. 21) bes. S. 51. Die weitere Entwicklung des Kämmereramtes findet sich mit Schwerpunkt auf der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts dargestellt bei Fritz GEISTHARDT: Der Kämmerer Boso, Berlin 1936 (Historische Studien 293), S. 41–59 u. 77–86. Eine Skizze zu den einzelnen Kämmerern seit Urban II. findet sich bei ROBINSON: Papacy (wie Anm. 21) S. 250–260. 124 JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 88–104; vgl. auch die Ergänzungen bei SYDOW: Cluny (wie Anm. 21) S. 40–50. Gerade Jordan hat zur Stützung seiner These vom Ursprung der päpstlichen Kammer in Cluny ausführlich Gebrauch von den auch hier behandelten Quellenzeugnissen gemacht (JL 5351). Vgl. dazu oben Anm. 66, und die weiteren Belege oben bei Anm. 107, 109, 110, 113. 125 JORDAN: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 103.

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transaktionen bestens vertrauten Orden, dies zeigen auch päpstliche Schreiben, welche die Bedeutung der Pariser Ordensniederlassung über eine unvergleichliche Sachkompetenz hinaus nicht nur als Depot, sondern auch als Kreditgeber des finanziell häufig äußerst bedrängten Papstes offenlegen126. Ein weiterer, wesentlicher Schritt zur Verstetigung und Institutionalisierung der aus allen Teilen der lateinischen Christenheit an die Kurie fließenden Einkünfte erfolgte mit der systematischen Verzeichnung der Abgabepflichtigen. Als der päpstliche Kämmerer Cencius – der spätere Papst Honorius III. – im Jahre 1192 daran ging, unter Berücksichtigung der ihm verfügbaren Dokumente im «Liber Censuum» alle Abgabepflichtigen des Papstes und die Höhe ihrer Zahlungsverpflichtungen zu verzeichnen, wollte er damit dem Prolog seines Werkes zufolge endlich einem Mangel abhelfen, aus welchem der Kurie in der Vergangenheit zahlreiche Nachteile entstanden seien127. Diese Darstellung trifft nicht ganz zu, denn erste Versuche, die Einnahmen des Papstes schriftlich zu verzeichnen, liegen schon in Verzeichnissen der gregorianischen Zeit, vor allem in der 1087 vollendeten «Collectio canonum» des Deusdedit vor128. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts legte auch Boso als Kardinal Hadrians IV. ein Verzeichnis an, doch einen wesentlichen Schritt nach vorne taten Albinus und vor allem Cencius, die trotz erheblicher verbliebener Lücken nachweislich den Versuch unternahmen, die päpstlichen Einkünfte mit Hilfe der kurialen Register verlässlich zu erfassen129. Die gestiegene Bedeutung derartiger schriftlicher Einkommensverzeichnisse lässt sich etwa daran ablesen, dass sie die Kurie Alexanders III. auch im Reisegepäck hatte, als sich der Papst

126 Entsprechende Belege versammelt ROBINSON: Papacy (wie Anm. 21) S. 258f.; v.a. JL 11202 und 11256. Vgl. zur finanzgeschichtlichen Bedeutung der Templer Alain DEMURGER: Vie et mort de l'ordre du Temple, Paris 1985, hier zitiert nach DERS.: Die Templer: Aufstieg und Untergang (1120–1314), München 2007, S. 168–174. Eine umfassende Untersuchung der Bedeutung des Templerordens für die päpstliche Finanzgeschichte steht allerdings noch aus. 127 Vgl. dazu den Prolog des Cencius in: Le Liber Censuum de l’Église Romaine, hg. v. FABRE (wie Anm. 33) S. 1–5. 128 Die Kanonessammlung des Kardinals Deusdedit, 3, c. 184–289, hg. v. GLANVELL (wie Anm. 33) S. 348–396; dazu ZEMA (wie Anm. 26) S. 145f.; knapp SYDOW: Cluny (wie Anm. 21) bes. S. 38, der vermutet, die Aufzeichnungen des Deusdedit beruhten auf „amtlichen Unterlagen“ (worauf in der Tat die rekurrierenden Verweise auf das archvium ecclesię beati Petri bzw. sacri palatii Lateranensis hindeuten), PFAFF: Untersuchungen (wie Anm. 68) S. 331, mit weiteren Angaben über die Archivbenutzung des Deusdedit. Die teilweise in das Werk des Cencius eingeflossenen Vorstufen der Verzeichnisse sind übersichtlich dargestellt bei M. MICHAUD: s.v. «Censuum (liber)», in: DDC 3 (1942) Sp. 233–253, hier Sp. 237–239; sowie umfassender FABRE: Étude (wie Anm. 31) S. 8–24. 129 Vgl. zu Boso die knappe Bemerkung bei KEMPF (wie Anm. 22) S. 496; sowie ausführlich zur Person Bosos GEISTHARDT: Kämmerer (wie Anm. 123) S. 41–59.

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aufgrund des Schismas von 1159 an verschiedenen Orten in Frankreich aufhielt130. Der 1192 vollendete «Liber Censuum» verzeichnet insgesamt die nicht unerhebliche Zahl von 615 Leistungspflichtigen, von denen nur noch eine kleine Minderheit von 82 zu Naturalleistungen verpflichtet war, während die übrigen Abgaben an den Heiligen Stuhl in Geld, und zwar vorwiegend in Goldwährung, geleistet wurden131. Der Aufstellung des Cencius lässt sich dabei die europäische Bedeutung des Papsttums entnehmen, führt sie doch nicht weniger als 41 verschiedene Geldsorten auf. Um diese unterschiedlichen Gold- und Silberwerte vergleichbar zu machen, hat schon Albinus die eingehenden Werte einheitlich in die im arabischen Spanien umlaufenden Goldmarabotinen umgerechnet – ein Vorgang, der bereits in den entsprechenden Urkunden seit der Mitte des 12. Jahrhunderts einsetzte und nicht nur die Ablösung der bis dahin an der Kurie verbreiteten byzantinischen Goldmünzen als Rechnungseinheit kennzeichnet, sondern auch die immer größere Bedeutung der iberischen Halbinsel für die Geldeinnahmen der Kurie zum Ausdruck bringt132. In der 130 Dies belegt das in Sens 1163 oder 1164 ausgestellte Schreiben Alexanders III., in welchem eine gegenüber dem Kloster von Lagny-sur-Marne vorgebrachte Forderung damit unterstrichen wird, die Verpflichtung zur Abgabe finde sich in einem entsprechenden Verzeichnis der Kurie. Vgl. dazu die weiteren Nachweise oben Anm. 42; die Bemerkungen bei MICHAUD: Censuum Liber (wie Anm. 128) Sp. 238. Dabei handelt es sich um den frühesten Beleg für die tatsächliche Benutzung eines Verzeichnisses Abgabepflichtiger durch die Kurie, ROBINSON: The Papacy (wie Anm. 21) S. 261. 131 Vgl. dazu PFAFF: Einnahmen (wie Anm. 29) S. 98. Neuere Literatur zum «Liber Censuum» ist zusammgestellt bei Uta Renate BLUMENTHAL: s.v. «Liber censuum», in: LThK 6 (1997) Sp. 881f.; vgl. auch nach wie vor MICHAUD: Censuum liber (wie Anm. 128); die umfassende Studie von FABRE: Étude (wie Anm. 31). Der «Liber Censuum» besteht aus mehreren Teilen. Es enthält neben dem Einkunftsverzeichnis auch eine Aufführung der exemten Bistümer, eine römiscche Stadtbeschreibung, ein päpstliches Ceremoniale sowie ein Kaiserkrönungsordo, Papstchroniken und ein Kartular mit Besitztiteln der römischen Kirche. Bemerkenswert ist, dass das Einkommensverzeichnis auch Bistümer aufführte, die keine Abgaben entrichteten und der «Liber Censuum» somit – ähnlich wie bereits das wenig zuvor entstandene und von Cencius eifrig benutzte Verzeichnis des Kardinals Albinus – auch als Provinciale anzusprechen ist. Vgl. dazu die Karte bei SCHMIDT (wie Anm. 38) S. 239. Ein nützliches Hilfsmittel beim Umgang mit dem «Liber Censuum» stellt die Verzeichnung aller zinszahlenden (aber nicht aller erwähnten) Kirchen und Klöster durch Pfaff dar, PFAFF: Der Liber Censuum (wie Anm. 80), mit einem Register der modernen Ortsnamen, ebd., S. 345– 351. DERS.: Aufgaben (wie Anm. 44) S. 2, kann nachweisen, dass Cencius bei der Erstellung des «Liber Censuum» über einen Mitarbeiterstab verfügte, welcher die Urkunden nach Diözesen geordnet erfaßte. Vgl. zu den Lücken die Angaben weiter unten, Anm. 133. DERS.: Untersuchungen (wie Anm. 68) S. 333, geht in einem späteren Beitrag davon aus, dass Cencius über weite Strecken von den wenig früheren Vorarbeiten des Albinus abhängig ist; weitere Ausführungen zu den Vorläufern des Cencius, ebd., passim. 132 DERS.: Einnahmen (wie Anm. 29) S. 98f. Schon SCHNEIDER: Finanzgeschichte (wie Anm. 21) S. 2, wies in seiner Studie – die sich inhaltlich an der Frage ausrichtete, in

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Aufstellung des Cencius stellen die Einnahmen durch den Lehnszins mit umgerechnet 848 Goldunzen den bedeutendsten Posten dar, während die Schutzzinsen mit 234 Goldunzen und die bei Cencius verzeichneten Einnahmen aus dem patrimonium Petri mit nur 132 Goldunzen weitaus geringfügiger sind133. Bei einer Addierung der unterschiedlichen Einnahmeposten steht 1192 England mit 366 Unzen an der Spitze, gefolgt von Sizilien (310 Unzen) – beides Reiche, deren Herrscher die erheblichen Einnahmen ermöglichten. Erst mit einem gehörigen Abstand schließen sich dann Italien (168 Unzen), Spanien (105 Unzen), Deutschland (72 Unzen) und Frankreich (24 Unzen) an134. Es sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt, dass diese jährlichen Einkünfte der Kurie des ausgehenden 12. Jahrhunderts Volkert Pfaff im Vergleich mit den Einkünften zeitgenössischer Monarchen und italienischer Handelsgesellschaften „bedeutungslos“ erschienen – Cencius habe daher den «Liber Censuum» nur angefertigt, um die Kurie in den Stand zu setzen, diesen Vorsprung weltlicher Herrschaften aufzuholen135. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die im «Liber Censuum» aufgeführten Einkünfte nicht den Eindruck entstehen lassen dürfen, damit seien uns die aus der lateinischen Christenheit beim Papst eingewelchem Umfang die Päpste selbst die von ihnen erlassenen Wuchergesetze beachteten – darauf hin, dass „seit den Reformen Gregors VII. zum mindesten Wechsler nötig“ gewesen seien, „die den Wert der eingehenden exotischen Geldsorten in römische Kursmünze für den Staatshaushalt umwechselten“. 133 PFAFF: Einnahmen (wie Anm. 29) S. 113. Die äußerst komplizierten Umrechungsverfahren erläutert Pfaff ausführlich ebd., S. 99–113. Pfaff weist allerdings darauf hin, dass die Aussagekraft der reinen Zahlen beschränkt ist: Die Einnahmen aus dem patrimonium Petri wurden wohl nur zu geringen Teilen überhaupt von Cencius notiert, ebd., S. 114; während das Verhältnis von Schutzzinsen und Lehnszinsen wohl mehr oder weniger adäquat wiedergegeben ist. Der Aussagewert des «Liber Censuum» für die tatsächlichen Finanzbeziehungen der Kurie wird im übrigen dadurch weiter eingeschränkt, dass nicht nur 70 Zinspflichtige gar nicht aufgeführt werden und 59 Zinspflichtige nachgetragen sind, sondern auch dadurch, dass unregelmäßige Einkünfte wie Gebühren und Oblationen, deren Umfang erheblich war, nicht aufgeführt sind, ebd., S. 111. Naturalleistungen wurden offensichtlich häufig auch tatsächlich in Naturalien abgegolten. So hat sich eine Quittung erhalten, durch welche der Kämmerer Boso am 9. Januar 1159 den Erhalt von zwei Pfund Wachs pro censu des Klosters Chiaravalle di Fiastra, andererseits aber auch von zwei solidi für die Kirche S. Maria in Silva bescheinigt, die er aus der Hand des frater Mainardus erhalten habe; vgl. It. Pont. 4 S. 128 Nr. 3. Der Ort der Übergabe war nach Ansicht GEISTHARDT: Kämmerer (wie Anm. 123) S. 57, der Lateran. 134 PFAFF: Einnahmen (wie Anm. 29) S. 114. 135 Ebd., S. 117. Diese Auffassung erscheint schon deshalb fragwürdig, weil weder die Aufstellung des Cencius noch die wenig früher zu datierende Liste des Albinus den Anfang derartiger Aufzeichnungen darstellen, sondern Ansätze vergleichbarer Aufstellungen seit Deusdedit im ausgehenden 11. und Boso in der Mitte des 12. Jahrhunderts und damit bereits ein Jahrhundert zuvor nachweisbar sind. Warum diese Verzeichnisse „nahezu unbrauchbar“ waren, wird von PFAFF: Aufgaben (wie Anm. 44) S. 2, nicht näher begründet.

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henden Zahlungen in vollem Umfang bekannt. Schon die regelmäßig erhobenen Abgaben sind nicht vollständig verzeichnet und freiwillige Leistungen oder die erheblichen Prokurationszahlungen, wie sie während des gesamten 12. Jahrhunderts Frankreich während der häufigen Aufenthalte des Papstes belasteten, sind der Aufstellung des Cencius nicht zu entnehmen136.

5. Fazit Unser vorwiegend aus der kommunikationsgeschichtlicher Perspektive gerichtete Blick auf die Finanzgeschichte der Päpste des Hochmittelalters dürfte trotz aller Unterschiede hinsichtlich der Grundlagen, der Regelmäßigkeit, des Umfangs und der Freiwilligkeit der an den römischen Bischof gerichteten Finanztransfers deutlich gemacht haben, wie bestimmend der Faktor des Raumes auch die Finanzbeziehungen zwischen dem Papst und den Regionen beeinflusst hat. Abgaben an den Papst setzten fast ausnahmslos den physischen Transport von Münzen oder Wertgegenständen über nicht selten Hunderte oder gar Tausende von Kilometern voraus137. Diesen risiko- und nicht selten verlustreichen Transfers einen dauerhaften Charakter zu geben stellte eine erhebliche organisatorische Herausforderung von größter kommunikationsgeschichtlicher Relevanz dar138. Möglich wurde die Umlenkung finanzieller Ressourcen aus immer weiter entfernten Räumen auch deshalb, weil mit der zunehmenden Verdrängung der Naturalwirtschaft durch die Geldwirtschaft überhaupt Mittel in transportabler Form zur Verfügung standen, um Abgaben und Zuwendungen aus der gesamten lateinischen Christenheit an einem Ort 136 Vgl. dazu auch die entsprechenden Bemerkungen bei ROBINSON: Papacy (wie Anm. 21) S. 282f. 137 Noch im «Liber Censuum» wird das Problem der räumlichen Entfernung ausdrücklich angesprochen: Stelle sich nach Durchsicht der Unterlagen durch den Kämmerer heraus, dass noch Zahlungen ausstünden, so könne der Papst diese duch eigene Beauftragte einziehen lassen. Manche Zahlungspflichtige nämlich seien von der römischen Kirche derart weit entfernt, dass es ihnen nicht möglich sei, diese zur Entrichtung ihrer Abgaben einmal im Jahr aufzusuchen: Ut, si quandoque, quod sepe contigit, a quibus debentur census ipsi per proprios nuntios ad apostolicam sedem non fuerunt destinati, illi qui Romane ecclesie tunc temporis pontifex preerit, postquam per camerarium suum, qui census recepit, ipsi innotuerit quod a talibus censum habuit, et a talibus non recepit, propriis nominibus computatis, ab illis qui non persolverunt, sine dubitationis scrupulo, per suum legatum aut nuntium census ipsos repetere valeat seu per quemlibet alium ad hoc specialiter destinatum: quedam enim in tantum a sancta Romana ecclesia sunt remote, quod eamdem annis singulis possunt nullatenus visitare, Le Liber Censuum de l'Église Romaine, hg. v. FABRE (wie Anm. 33) S. 4f. 138 Vgl. zu den Mobilitätsrisiken des Hochmittelalters den instruktiven Überblick bei Timothy REUTER: Die Unsicherheit auf den Straßen im europäischen Früh- und Hochmittelalter: Täter, Opfer und ihre mittelalterlichen und modernen Betrachter, in: Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter, hg. v. Johannes FRIED, Sigmaringen 1996 (VuF 43), S. 169–201.

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zu bündeln. Im untersuchten Zeitraum griffen die Päpste und ihre Mitarbeiter dabei mit großer Selbstverständlichkeit auf die Schrift als dem seit jenen Tagen bis heute dominierenden Medium der Fernkommunikation zurück. Wir dürfen davon ausgehen, dass ein großer Teil der die Finanztransfers begleitenden Schriftstücke verloren ist. Dennoch geben die erhaltenen Reste ein recht eindrückliches Bild des Ausmaßes jener Schriftlichkeit, welche die Erhebung von Abgaben aus dem Raum der lateinischen Christenheit stützte. Zahlungsaufforderungen, Bevollmächtigungsschreiben, begleitende Schreiben, Empfangsvermerke und nicht zuletzt bescheidene Anfänge einer Buchführung an der Kurie und das Mitführen der entsprechenden Verzeichnisse während der Exilzeit illustrieren den Stellenwert, welche die noch junge pragmatische Schriftlichkeit für die Einkünfte der Päpste besaß. Ebenso bemerkenswert sind jedoch auch die Grenzen der Schriftlichkeit: Nicht nur, dass die Erfassung der Zahlungspflichtigen noch am Ende des 12. Jahrhunderts alles andere als lückenlos war. Weitaus bemerkenswerter ist der zurückhaltende und nur in einem in Ansätzen erkennbaren Beispiel nachweisbare Gebrauch des Wechselbriefs, der den riskanten physischen Transport des Geldes durch ein nahezu risikoloses, aber ausschließlich schriftgestütztes und vom Überbringer losgelöstes Verfahren hätte ersetzen können. Unverkennbar intensivierten sich die finanziellen Beziehungen der Päpste zu den außerhalb des patrimonium Petri gelegenen Gebieten seit dem Pontifikat Gregors VII. in erheblichem Umfang139. Ohne Frage war dies ein unmittelbarer Reflex auf konkrete Gegebenheiten wie sie in dem bewegten Jahrhundert zwischen 1080 und 1180 mit seinen langen Phasen erzwungener Abwesenheit der Päpste von den Ressourcen des patrimonium Petri zu sehen sind. Dennoch setzte diese besondere Form päpstlicher Raumerschließung auch besondere Strukturen voraus, die als konkretes und nachhaltig wirksames Ergebnis der mit Leo IX. einsetzenden Reformbemühungen anzusprechen sind: die Etablierung einer kirchlichen Hierarchie mit dem römischen Pontifex an der Spitze. Dieser Prototyp eines mehrstufigen Verwaltungsaufbaus machte nicht nur die Übertragung der Erhebung an lokale Prälaten und die Verhängung von Kirchenstrafen für säumige Zahler möglich, sondern stellte auch eine wesentliche Voraussetzung für die im 12. Jahrhundert vermehrt aufkommende Einziehung der Abgaben durch Entsandte der Kurie dar, deren Versorgung durch die aufgesuchten Institutionen über die Prokurationspflicht abgesichert war. 139 ROBINSON: Papacy (wie Anm. 21) S. 244f., vertritt die überzeugende These, bei der festen Etablierung eines institutionalisierten Zugriffs der Päpste auf außerhalb des Kirchenstaats gelegene Ressourcen habe auch der Umstand eine Rolle gespielt, dass ihnen im fraglichen Zeitraum die Einkünfte aus dem Patrimonium immer wieder verschlossen waren und daher der Zwang bestand, alternative Finanzquellen zu erschließen. Der auf den Päpsten lastende Druck, neue Finanzquellen zu erschließen, habe durch die Schismen und militärische Auseinandersetzungen während des gesamten 12. Jahrhunderts fortbestanden und habe erst mit den 1188 einsetzenden Restitutionen allmählich nachgelassen, ebd., S. 248.

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Die Wirkung der immer größeren räumlichen Ausdehnung finanzieller Forderungen der Päpste lässt sich bereits nach wenigen Jahrzehnten an einigen kurienkritischen Texten ablesen. Dabei vermag die grundsätzlich ablehnende Haltung wenig zu überraschen. Erstaunlich ist vielmehr die weite räumliche Verbreitung derartiger Texte, die im Verbund mit anderen Zeugnissen erkennen lassen, dass bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts kaum mehr eine Region des orbis latinus nicht mit dem erhöhten Finanzbedarf der Päpste in Berührung gekommen war. Nicht immer handelte es sich dabei freilich um Forderungen, die von den Päpsten offen vorgebracht wurden. In vielen Fällen – und der ausnehmend informationsfreudige Bericht über die Erlangung der Metropolitanwürde durch Diego Gelmírez steht für eine Vielzahl ähnlicher, aber weitaus weniger dicht dokumentierter Fälle – waren es Prälaten, Abteien, oder andere Personen und Institutionen, die mit einem Anliegen an den Papst als obersten Herrn der Kirche herantraten und ihre Bitten mit teilweise erheblichen Summen unterstützten. Die Ausrichtung der lateinischen Kirche auf den Papst war somit auch im Bereich der Finanzen keine Einbahnstraße, auf der sich nur Abgesandte des Papstes mit Zahlungsanweisungen in den Händen bewegt hätten. Gerade die Finanzgeschichte der Päpste zwischen Leo IX. und Cölestin III. vermag zu illustrieren, dass neben einem deutlich erkennbaren Bemühen einiger prägender Inhaber des Petrusamtes, ihre Autorität auch im Bereich der ihnen geschuldeten Abgaben universal geltend zu machen, auch die außerhalb des päpstlichen Hofes angesiedelten Amtsträger ihre zumeist mit eigenen Anliegen verbundene Anerkennung der päpstlichen Autorität über finanzielle Zuwendungen zum Ausdruck brachten. Wenn sich auch der letztere Fall deutlich schlechter in der Überlieferung fassen lässt, akkumulierten sich beide Bewegungen zu einer Autoritätssteigerung des Papstamtes. Wesentliche Grundlagen zur Verstetigung und Institutionalisierung der dem Papst zustehenden Gelder wurden bereits vor dem 11. Jahrhundert mit der in späterer Zeit immer wieder erwähnten Archivierung der entsprechenden Dokumente geschaffen. Eine entscheidende Verbesserung der Verfügbarkeit derartiger Informationen wurde mit Anlage regelrechter Zinsverzeichnisse geschaffen, die zusammen mit der Einrichtung der Kammer und der Schaffung des Kämmereramtes trotz aller Lückenhaftigkeit für die weitere Entwicklung des päpstlichen Finanzwesens von entscheidender Bedeutung war. Bevor jedoch gegen Ende des 13. Jahrhunderts ein regelrechtes päpstliches Kollektorenwesen zur Ausprägung gelangte, wurden für das praktische Problem der Erhebung derart unterschiedliche Modelle praktiziert, dass die Bezeichnung ‚Experimentierphase’ für das gesamte 12. Jahrhundert durchaus zutreffend scheint. Zwar kamen seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts vermehrt auch Legaten bei der Abgabenerhebung zum Einsatz, doch die Päpste jener Tage griffen häufig auch auf Personen zurück, die wie Angehörige des Klosterverbands von Cluny oder später des Templerordens, aber auch Händler, Kreuzfahrer und Pilger aufgrund ihrer Mobilität und ihrer Zugehörigkeit zu

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einem der großräumigen Netzwerke jener Tage ebenfalls für derartige Aufgaben in Frage kamen. Für Zeitgenossen wie Johannes von Salisbury mag der durch immer weiter reichende finanzielle Forderungen herbeigeführte Ansehensverlust des Papstes ein Monitum dargestellt haben. Uns sollte das einleitend wiedergegebene Kamingespräch des englischen Gelehrten mit dem Nachfolger Petri eher trotz aller angesprochenen Mängel und Lücken vor Augen führen, in welch kurzer Zeit es dem Papsttum grundsätzlich gelang, seinen universalen Anspruch im Raum der lateinischen Kirche auch im Bereich des Finanzwesens geltend zu machen.

Von der kirchlichen Peripherie zur römischen Zentrale? Zum Phänomen der Bistumsexemtion im Hochmittelalter anhand der Beispiele von Le Puy-en-Velay und Bamberg MATTHIAS SCHRÖR 1. Vorüberlegungen Rudolf Schieffer hat jüngst in einer knappen Abhandlung die Autorität und Zuständigkeit des Papsttums für die Ordnung des europäischen Hochmittelalters skizziert1. Als hierarchische Spitze innerhalb der westlichen Kirche standen dem Heiligen Stuhl seit den Veränderungen der papstgeschichtlichen Wende souveräne jurisdiktionelle Vollmachten zu2. Diese, seit dem Pontifikat Leos IX. (1048/49–1054) verstärkt eingeforderten und tatsächlich ausgeübten Vorrechte nutzten die Päpste dazu, die heterogene Kirchenstruktur der früheren Zeit durch einen neuartigen römischen Zentralismus zu ersetzen3. Als wichtige Werkzeuge dienten ihnen die regelmäßig abgehaltenen gesamtkirchlichen römischen Synoden, die causae maiores-Bindung an den apostolischen Stuhl und die Multiplikation päpstlicher Rechtsetzungskraft durch das Wirken von Legaten. Zur Entfaltung des römischen Primats nutzten die Päpste auch Disziplinarmaßnahmen wie die Absetzung von Bischöfen und Metropoliten. Die bischöfliche Amtsführung hing zunehmend mit einer päpstlichen Konzession zusammen; Metropoliten mussten spätestens seit der Zeit Paschalis’ II. (1099– 1

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Rudolf SCHIEFFER: Das Papsttum als Autorität für die europäische Ordnung des Hochmittelalters, in: Salisches Kaisertum und neues Europa. Die Zeit Heinrichs IV. und Heinrichs V., hg. v. Bernd SCHNEIDMÜLLER/Stefan WEINFURTER, Darmstadt 2007, S. 47–63. Rudolf SCHIEFFER: Motu proprio. Über die papstgeschichtliche Wende im 11. Jahrhundert, in: HJb 122 (2002) S. 27–41; Johannes LAUDAGE (†): Die papstgeschichtliche Wende, in: Päpstliche Herrschaft im Mittelalter, hg. v. Stefan WEINFURTER, Ostfildern 2012 (Mittelalter-Forschungen 38), S. 51–68. Vgl. dazu und zum folgenden die Beiträge in: Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie. Das universale Papsttum als Bezugspunkt von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III., hg. v. Jochen JOHRENDT/Harald MÜLLER, Berlin/New York 2008 (Neue AAG 2); und Matthias SCHRÖR: Metropolitangewalt und papstgeschichtliche Wende, Husum 2009 (Historische Studien 494).

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1118) zur Erlangung ihrer vollen Amtsgewalt persönlich um die Vergabe des Palliums ersuchen4. Die Päpste forderten dabei neben einem Obödienzeid auch ein Bekenntnis zur Rechtgläubigkeit5. Prinzipiell behielt sich das Papsttum seit dem 11. Jahrhundert auch vor, in die kirchliche Organisationsstruktur einzugreifen, etwa Bistümer6 oder ganze Kirchenprovinzen neuzugründen, zwei Bistümer zu vereinigen7 oder ein Bistum zum Metropolitansitz zu erheben8. Diese Maßnahmen erfolgten meist vor jeweils unterschiedlichen „tagespolitischen“ Hintergründen und nicht selten auf Wunsch weltlicher Herrschaftsträger. Sie trugen jedoch dazu bei, die europäischen „Grenzregionen“ wie Skandinavien oder Südosteuropa enger an das Papsttum zu binden. Die Welt des 12. Jahrhunderts war für das Papsttum „enger und dichter“ geworden (Ernst-Dieter Hehl)9.

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Zur Geschichte des Palliums von der Karolingerzeit bis ins frühe 12. Jahrhundert ist demnächst eine grundlegende Studie von Steven A. SCHOENIG SJ, New York/St. Louis, zu erwarten. Der Verfasser war so freundlich, mir Einblick in sein Manuskript zu gewähren, wofür ihm an dieser Stelle nochmals herzlich gedankt sei. Vgl. JL 6570, ed. MIGNE PL 163, Sp. 429D–430A: Cum igitur a sede apostolica vestrae insignia (= Pallium) dignitatis exigitis quae a beati tantum Petri corpore assumuntur: justum est ut vos quoque sedi apostolicae subjectionis debita signa solvatis, quae vos cum beato Petro tamquam membra de membro haerere, et catholicae capitis unitatem servare declarent. Dec. Grat. 100 c. 1 ed. Aemilius FRIEDBERG, Corpus iuris canonici, Bd. 1, Leipzig 1879 (Nachdr. Graz 1959) Sp. 351f.: Quoniam quidam metropolitanorum fidem suam secundum priscam consuetudinem sanctae sedi apostolicae exponere detrectantes usum pallii neque expetunt, neque percipiunt, ac per hoc episcoporum consecratio uiduatis ecclesiis non sine periculo protelatur, placuit, ut quisquis Metropolitanus ultra sex menses consecrationis suae, ad fidem suam exponendam, palliumque suscipiendum, ad Apostolicam sedem non miserit, commissa sibi careat dignitate, sitque Metropolitanis aliis licentia, post secundam, et tertiam commonitionem viduatis Ecclesiis cum consilio Romani pontificis, ordinando Episcopos, subvenire. Dazu: Theodor GOTTLOB: Der kirchliche Amtseid der Bischöfe, Bonn 1936 (ND Amsterdam 1963) (Kanonistische Studien und Texte 9), S. 49–51 u. 71ff. Vgl. beispielsweise zuletzt Klaus VAN EICKELS: Bistumsgründungen um das Jahr 1000, in: Das Bistum Bamberg in der Welt des Mittelalters, hg. v. Christine und Klaus VAN EICKELS, Bamberg 2007 (Bamberger interdisziplinäre Mittelalterstudien. Vorträge und Vorlesungen 1) S. 33–64. «Dictatus Papae», Das Register Gregors VII., ed. Erich CASPAR, Berlin 1920/1923 (MGH Epp. sel. 2), II/55a c. 7 S. 203 Z. 7f.: Quod illi soli licet pro temporis necessitate novas leges condere, novas plebes congregare, de canonica abbatiam facere et e contra, divitem episcopatum dividere et inopes unire. Ernst HAIGER: Königtum und Kirchenorganisation. Erzbistumsgründungen im Hochmittelalter, in: ZKG 112 (2001) S. 311–329. Üblicherweise wählte man zur Errichtung einer neuen Metropolitankirche ein (älteres) Suffraganbistum aus, das aufgrund spezifischer Gegebenheiten in Frage kam, so z.B. das Bistum Prag, dessen Oberhirte den böhmischen König krönte. Ernst-Dieter HEHL: Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts, in: Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts, hg. v. Ernst-Dieter HEHL/Ingrid Heike RINGEL/ Hubertus SEIBERT, Stuttgart 2002 (Mittelalterforschungen 6) S. 9–23.

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Ein von der Forschung wenig beachtetes Instrument zur Veränderung der kirchlichen Organisationsform stellt die Bistumsexemtion dar10. Sie ermöglichte den Päpsten, ein Bistum aus dem Metropolitanverband zu lösen, um es direkt und ausschließlich der Jurisdiktionsgewalt des apostolischen Stuhls zu unterstellen11. Der betroffene Metropolit hatte Kompetenzeinbußen hinzunehmen; der Bischof eines eximierten Sitzes war schließlich aus der Provinzialorganisation herausgenommen, was ihn vom Besuch der Provinzialsynoden, der Aufsichtspflicht über seine bischöfliche Amtsführung oder von Visitationen der eigenen Diözese durch den Metropoliten entband12. Der Papst trat hierbei an die Stelle des Metropoliten, der Bischof des eximierten Sitzes wurde nichts anderes als ein päpstlicher Suffragan13. Die Provinzialverfassung der westlichen Kirche besaß ihre Ursprünge in der politisch-administrativen Struktur des spätantiken Römischen Reiches, das heißt die Metropolitanverbände orientierten sich in ihrem Umfang an der weltlichen Provinzeinteilung, ohne allerdings, dass beide von Anfang kongruent gewesen wären14. Kanonisten argumentierten darüber hinaus, dass die alte überdiözesane Organisation auf Petrus zurückzuführen sei, denn dieser habe einst Apostel in die wichtigsten Städte des Reiches, die Metropolen, entsandt. 10 Vgl. etwa Paul HINSCHIUS: Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutschland. System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Berücksichtigung auf Deutschland, 6 Bde., Berlin 1869–97 (ND Graz 1959), hier Bd. 2, S. 329–335; Otto VEHSE: Bistumsexemtionen bis zum Ausgang des 12. Jahrhunderts, in: ZRGKanAbt 26 (1937) S. 86–160, oder Dietmar WILLOWEIT: Die Entstehung exemter Bistümer im deutschen Reichsverband unter rechtsvergleichender Berücksichtigung ausländischer Parallelen, in: ZRGKanAbt 96 (1966) S. 176–298. Des weiteren gibt es einige kurze Untersuchungen, die vor allem Einzelfälle in den Blick nehmen: vgl. exemplarisch Brigide SCHWARZ: Die Exemtion des Bistums Meißen, in: ZRGKanAbt 88 (2002) S. 294–361 oder Sven PFLEFKA: Auf dem Weg zur Exemtion. Die Privilegierungen der Bamberger Kirche im 11. und frühen 12. Jahrhundert, in: Bericht des Historischen Vereins Bamberg 138 (2002) S. 139–169, dessen Studie allerdings tatsächlich auf dem halben Weg haltmacht, da sie die Zeit nach dem frühen 12. Jahrhundert, in der die Exemtion faktisch erst erfolgte, außer Acht läßt. 11 Vgl. neben der in der vorangegangenen Fußnote genannten Lit. auch Audomar SCHEUERMANN: Exemtion, in: TRE 10 (1982) S. 696–698, bes. 697, und Reinhold SEBOTT: Exemtion, in: LThK 3 (1995) Sp. 1105f.; Wilhelm REES: Exemtion, in: RGG 2 (1999) Sp. 1805. 12 Zu den Metropolitanrechten vgl. zusammenfassend Hermenegild M. BIEDERMANN: Metropolit, in: LexMA 6 (1993) Sp. 584f.; Maximilian HOMMENS: Metropolit, in: LThK 7 (1998) Sp. 206. 13 Vgl. dazu etwa VEHSE (wie Anm. 10) S. 156. 14 Vgl. dazu Jean GAUDEMET: L’Église dans l’empire romain (IVe–Ve siècles), Paris 1958, (avec mise à jour 1989) (Histoire du droit et des institutions de l’Église en Occident 3); Friedrich KEMPF: Primatiale und episkopal-synodale Struktur der Kirche vor der Gregorianischen Reform, in: ArchHPont 16 (1978) S. 27–66; zuletzt konzise: Georg SCHEIBELREITER: Church Structure and Organisation, in: New Cambridge Medieval History 1, c. 500–c. 770, hg. v. Paul FOURACRE, Cambridge 2005, S. 675–709.

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Dieses Postulat, das sich schon bei Pseudoisidor erkennen lässt, fand mehrfach Eingang in das hoch- und spätmittelalterliche Kirchenrecht15. Insbesondere dieses sogenannte Petrus-Exordium diente den Päpsten oftmals als Legitimationsgrundlage bei Eingriffen in die bestehende kirchliche Organisation. Diese Eingriffe hatten beinahe immer eine den Rechtsstatus schädigende Wirkung für die betroffenen Institutionen. Als Beispiele sei hier das Mittel der Klosterexemtion genannt, das die Mönchsgemeinschaft von der Jurisdiktionshoheit des Ortsbischofs befreite16, oder die Aufwertung einer Bischofskirche zum Erzbistum, da letztere aus einer Kirchenprovinz herausgelöst werden musste und der Metropolit einen seiner Suffragane verlor. Gerade weil es an einer einheitlichen und verbindlichen ‚Rechtsgrundlage’ für solche Verwaltungsmaßnahmen fehlte, galt es auf päpstlicher Seite, den Konsens der geschädigten Partei zu erlangen oder notfalls gar zu erzwingen17. Die Päpste mussten überdies ihr Eingreifen in die kirchliche Organisationsstruktur rechtlich begründen. Das galt sowohl für die Errichtung neuer (Erz-)Bistümer als auch für die Teilung von Kirchenprovinzen18. Grundsätzlich bedurfte es dazu eines päpstlichen Privilegs. Doch bis in die Zeit der papstgeschichtlichen Wende machte das Papsttum vom Mittel der Bistumsexemtion nur selten Gebrauch19. 15 Vgl. etwa Decr. Grat. D. 21, c. 1, § 3, ed. FRIEDBERG, CIC (wie Anm. 5) Sp. 67: Horum discretio a gentilibus maxime introducta est, qui suos flamines alios simpliciter flamines, alios archiflamines, alios protoflamines appellabant. Simpliciter uero maiorum et minorum sacerdotum discretio in nouo testamento ab ipso Christo sumpsit exordium, qui XII. apostolos tanquam maiores sacerdotes, et LXXII. discipulos quasi minores sacerdotes instituit. Petrum uero quasi in summum sacerdotem elegit, dum ei pre omnibus et pro omnibus claues regni celorum tribuit, et a se petra petri sibi nomen imposuit, atque pro eius fide se specialiter rogasse, testatus est, et ut ceteros confirmaret subiunxit dicens: „Ego pro te rogaui, Petre, ut non deficiat fides tua, et tu aliquando conuersus confirma fratres tuos.“ Hanc eandem formam apostoli secuti in singulis ciuitatibus episcopos et presbiteros ordinauerunt. Leuitas autem ab apostolis ordinatos legimus, quorum maximus fuit B. Stephanus: subdiaconos et acolithos procedente tempore ecclesia sibi constituit. – Auch Deusdedit, Anselm von Lucca oder Thomas Archidiaconus erwähnen das Petrus-Exordium, um wenige von vielen weiteren zu nennen. Zur pseudoisidorischen Vorlage vgl. namentlich: Pseudo-Clemens c. 27–29, ed. Paul HINSCHIUS: Decretales Pseudo-Isidorianae et Capitula Angilramni, Leipzig 1863, S. 39 (JK † 10–12). Zum Petrus-Exordium vgl. jetzt SCHRÖR: Metropolitangewalt (wie Anm. 3) S. 229– 237. 16 Siehe dazu den Beitrag von Lotte KÉRY in diesem Band, sowie als ältere bedeutende Vorarbeit Hans Hubert ANTON: Studien zu den Klosterprivilegien der Päpste im frühen Mittelalter unter besonderer Berücksichtigung der Privilegierung von St. Maurice D’Agaune, Berlin/New York 1975 (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 4). 17 HAIGER (wie Anm. 8) S. 311–329. 18 HINSCHIUS: Kirchenrecht (wie Anm. 10) Bd. 2, S. 382–386, 402–405 u. 490. 19 Die Frage, ob und wann das Bistum Pavia, der Hauptsitz des Langobardenreichs, im Frühmittelalter eximiert wurde, wird an dieser Stelle bewußt offen gehalten. Sie bedürfte aufgrund ihrer Komplexität einer eigenen Untersuchung, die an dieser Stelle nicht erfolgen kann. Vgl. hier lediglich WILLOWEIT (wie Anm. 10) S. 179 Anm. 15.

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Dies änderte sich im Laufe des 11./12. Jahrhunderts, an dessen Ende sich in der westlichen Kirche etwa 30 eximierte Bischofssitze nachweisen lassen20. Die Gründe hierfür scheinen mir in nicht unwesentlichem Maße im ‚Modellcharakter’ der Exemtionen von Le Puy-en-Velay und Bamberg zu liegen. Auf diese beiden Fälle wird im folgenden kurz eingegangen, wobei die wichtigsten historischen Entwicklungslinien nachgezeichnet werden sollen, die letztlich zur eximierten Stellung dieser Bischofskirchen geführt haben.

2. Le Puy-en-Velay Es ist unklar, wann es in dem in der Auvergne gelegenen Le Puy zu einer Bistumsgründung kam. Zumeist wird diese ins späte 4. oder frühe 5. Jahrhundert verortet, doch ebenso wie in Bezug auf die ältesten Bischofslisten überwiegt die Unsicherheit21. Erst für das 6. Jahrhundert lässt sich eine Bischofskirche in Anicium/Anis nachweisen; der Geschichtsschreiber Gregor von Tours († 594) bezeichnet Le Puy als Bischofssitz22. Die ältere Bezeichnung der civitas wandelte sich in den folgenden Jahrhundert in Le Puy (von lateinisch podium), wodurch die herausragende Stellung des Ortes als Marienwallfahrtsort (NotreDame-du-Puy) betont wurde. Auf dem Weg nach Santiago de Compostela durchzogen Schwärme von Pilgern die Stadt, was dieser einen gewissen wirtschaftlichen Aufschwung und vor allem einen hohen Bekanntheitsgrad einbrachte. Im Zuge der ersten größeren Gottesfriedensbewegung im späten 10. Jahrhundert spielten einige Oberhirten von Le Puy, namentlich Bischof Wido II. (975–993)23, eine führende Rolle. Das von König Rudolf verliehene Immunitätsprivileg (924) sicherte der Kirche von Le Puy rechtliche und wirtschaftliche Autonomie im Umkreis der Bischofskirche und dem Oberhirten innerhalb der Stadt gräfliche Rechte24. Das Bistum sollte der westfränkisch-französischen

20 Vgl. dazu VEHSE (wie Anm. 10) bes. S. 86. 21 Vgl. dazu und zum folgenden Gabriel FOURNIER: Le Puy, in: LexMA 5 (1991) Sp. 1904f.; Christian LAURANSON-ROSAZ: Le Puy, in: Encyclopedia of the Middle Ages 2 (2000) S. 833f., und vor allem Pierre CUBIZOLLES: Le diocèse du Puy-en-Velay des origines à nos jours, Nonette 2005, S. 11ff. 22 Vgl. Gregorii Turonensis Opera. Teil 1: Libri historiarum X, hg. v. Bruno KRUSCH/Wilhelm LEVINSON, Hannover 1937 (MGH SS rer. Merov. 1,1), S. 518. 23 Vgl. dazu Hartmut HOFFMANN: Gottesfriede und Treuga Dei, Stuttgart 1964 (MGH Schr. 20), S. 16–18; Gabriel FOURNIER: Wido: Bf. v. Le Puy († 996), in: LexMA 9 (1998) Sp. 70f. 24 Vgl. HOFFMANN: Gottesfriede (wie Anm. 23) S. 17; FOURNIER: Wido (wie Anm. 23), Sp. 1904.

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Krone über mehrere Jahrhunderte eng verbunden bleiben, und dies, obwohl es außerhalb des direkten Einflußbereichs (domaine royale) des Herrschers lag25. Die Geschichte der Exemtion Le Puys ist unmittelbar mit den Ereignissen der Jahre von etwa 995 bis 999 verbunden. Wie in jener Zeit keineswegs unüblich, hatte sich Bischof Wido II. von Anjou Anfang der 990er Jahre zur Designation eines Nachfolgers noch zu eigenen Lebzeiten entschlossen26. Die Wahl fiel auf seinen Neffen Stephan von Gévaudan. Aufgrund einer Appellation erlangte Papst Gregor V. (996–999) Kenntnis von dem Fall. Die im Januar 999 im Petersdom abgehaltene, wohl von Kaiser Otto III. besuchte Synode verfügte neben der Exkommunikation König Roberts von Frankreich aufgrund einer Nahehe27 weitreichende Beschlüsse bezüglich des Bistums Le Puy28. Die Kanones 5 bis 8 (von insgesamt 8 überlieferten!) wandten sich eingehend der Erhebung Stephans zu. Der sogenannte Bischof (dictus episcopus) sei gegen den Willen von Klerus und Volk und auf Veranlassung des noch lebenden Bischofs Wido erwählt und nach dessen Tod wiederum gegen den Willen von Volk und Klerus von zwei nicht komprovinzialen Bischöfen konsekriert worden, führt c. 5 aus29. Erzbischof Dagobert von Bourges und Bischof Roclen von Nevers wurden aufgrund der von ihnen erteilten Bischofsweihe Stephans suspendiert, bis sie zum apostolischen Stuhl kommen und Buße leisten würden (c. 6)30. In beiden Bestimmungen berief sich Gregor V. auf den allseits bekannten Brief Leos des Großen an Rusticus von Narbonne, in dem der spät-

25 Vgl. dazu zuletzt Hartmut HOFFMANN: Der König und seine Bischöfe in Frankreich und im Deutschen Reich 936–1060, in: Bischof Burchard von Worms 1000–1025, hg. v. Wilfried HARTMANN, Mainz 2000 (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 100), S. 79–127; SCHRÖR: Metropolitangewalt (wie Anm. 3) S. 129ff. 26 Vgl. dazu VEHSE (wie Anm. 10) S. 101; Pierre CUBIZOLLES: Les évèques du Puy honorés jadis du pallium, in: Cahiers de la Haute-Loire (ohne Nr.) (1999) S. 23–38, hier 30f., sowie die folgenden Anmerkungen. 27 Vgl. Harald ZIMMERMANN: Papsturkunden 896–1046, 3 Bde., Wien 21989 (DAW, phil.-hist. Kl. 174/177/198. Veröffentlichungen der Historischen Kommission 4), Nr. 361 S. 707; MGH Const. 1, Nr. 24 S. 51 Z. 19–22 (= JL 3906). Zur Versammlung vgl. VEHSE (wie Anm. 10) S. 101f. und Heinz WOLTER: Die Synoden im Reichsgebiet und in Reichsitalien von 916 bis 1056, Paderborn 1988 (Konziliengeschichte Reihe A: Darstellungen) S. 164ff. 28 MGH Const. 1, Nr. 24 S. 52 Z. 3–17. 29 Ebd. S. 52 Z. 3–7: Stephanus sanctae Vellavensis ecclesiae dictus episcopus ut omni ordine sacerdotali careat auctoritate apostolica edicimus, eo quod a Widone vivente episcopo avunculo et praedecessore sono sit electus sine cleri et populi voluntate ac post eius mortem contra cleri et populi voluntatem a duobus tantum episcopis non comprovincialibus sit ordinatus. 30 Ebd. S. 52 Z. 8–11: Dagobertum Bituricensis ecclesiae archiepiscopum et Roclenum Nevernensis ecclesiae episcopum a communione suspendimus, donec ad hanc sanctam et apostolicam sedem veniant et satisfaciant, eo quod Stephanum Widonis episcopi nepotem, eo vivente contra leges ecclesiasticas electum, in episcopum ordinare praesumpserint.

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antike Papst die Bestandteile der kanonischen Bischofswahl dargelegt hatte31. In späterer Zeit waren diese Sätze gewissermaßen kanonistisches Allgemeingut, so dass Gregor V. darauf verzichten konnte, explizit auf die Grundlage seiner Argumentation hinzuweisen. Kanon 8 untersagte dem französischen König ausdrücklich, Stephan Unterstützung zukommen zu lassen, stattdessen sollte dieser sich für eine Neuwahl einsetzen32. Für die spätere Exemtion des Bistums ist vor allem c. 7 entscheidend, denn hier bekräftigte der Papst das Recht der Bischofswahl für Klerus und Volk und verfügte, dass der Elekt ausschließlich vom Nachfolger Petri die Bischofsweihe empfangen sollte33. Wahrscheinlich ohne dies überhaupt beabsichtigt zu haben, wies der Papst mit dem exklusiven päpstlichen Konsekrationsrecht den Weg zur Exemtion Le Puys34. Doch zunächst erfolgte die (kanonische) Wahl Theotards, eines Benediktiners aus Aurillac. Ende 999 empfing dieser die Bischofsweihe aus der Hand Gerberts von Aurillac, der als Silvester II. die Kathedra Petri am 2. April desselben Jahres bestiegen hatte35. Der päpstliche Anspruch auf die Bischofsweihe des Oberhirten von Le Puy war demnach nicht toter Buchstabe geblieben, sondern tatsächlich in die Praxis überführt worden. Diese Praxis sollte für lange Zeit beibehalten werden, wobei aber sicher davon auszugehen ist, dass Gregor V. auf der römischen Synode lediglich eine Entscheidung im Einzelfall der unkanonischen Erhebung Stephans treffen wollte. Zwar lässt uns die Überlieferung für die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts in Bezug auf die Erhebungen Widos III. (ca. 1004) und Frédols d‘Anduze (wohl 1016) im Stich, doch schon für Leo IX. (1049–54) war es offensichtlich 31 Leo I., Ep. 167, in: MIGNE PL 54, Sp. 1203 A (JK 544): Nulla ratio sinit ut inter episcopos habeantur qui nec a clericis sunt electi, nec a plebibus sunt expetiti, nec a provincialibus episcopis cum metropolitani judicio consecrati. Siehe auch die folgende Fußnote. 32 MGH Const. 1, Nr. 24 S. 52 Z. 14–17. Die Bestimmung Leos I. (JK 544) fand z. B. Eingang bei Humbert von Silva Candida in dessen Libri III adversus Simoniacos, ed. Friedrich THANER, in: MGH Ldl. 1, Hannover 1891, S. 95–253, hier lib. III c. 5 S. 204 Z. 42–45; vgl. auch Petrus Damiani, in: Die Briefe des Petrus Damiani 1, hg. v. Kurt REINDEL, München 1983 (MGH Epp. DK 4), Nr. 40 (= «Liber Gratissimus») S. 462 Z. 4–6; vgl. des weiteren Detlev JASPER: Das Papstwahldekret von 1059. Überlieferung und Textgestalt, Sigmaringen 1986 (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 12), S. 103f.; Nikolaus II., «Decretum electionis pontificiae», c. 4, in: MGH Const. 1, S. 539 Z. 28–30. Diese Quellenbeispiele sind im Wortlaut zitiert bei SCHRÖR: Metropolitangewalt (wie Anm. 3) S. 41 Anm. 158. 33 MGH Const. 1, Nr. 24 S. 52 Z. 12f.: Ut clerus et populus civitatis Vellavorum licentiam habeant eligendi episcopum, iudicatum est, et ut electus a domino papa consecretur in episcopum, statutam est. Vgl. auch Gallia Christiana 2, Paris 1873, Sp. 226f.: Et quia in ea synodo clericis, in Vallavensi Ecclesia Deo famulantibus, licentia alium episcopum prius concessa decretum est, ut eorum electus a Romano pontifice in episcopum ordinaretur, et cum te ab eisdem electum didiceremus. 34 Vgl. dazu WILLOWEIT (wie Anm. 10) S. 224. 35 Reg. Imp. 2/5, Nr. 891. Vgl. dazu WOLTER: (wie Anm. 28) S. 167 und CUBIZOLLES: Les évèques (wie Anm. 26) S. 30f.

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eine Selbstverständlichkeit, auf die Prärogative des römischen Stuhls bei der Bischofsweihe hinzuweisen - in bewusster Übergehung des zuständigen Metropoliten von Bourges als Oberhirten Le Puys36. Stephan II. von Mercœur (1031–1052/3) empfing zugleich das Pallium (pallium … fraternitati tuae concedimus); das päpstliche Privileg listete überdies die üblichen Pallientage auf, derer dem Bischof zehn zugestanden wurden37. Dennoch machte Leo IX. eine nicht unbedeutende Einschränkung: Obwohl der Papst sich das Konsekrationsrecht vorbehielt, unterschied er dieses strikt vom Wahlrecht, denn dies sollte beim Klerus und den Laien von Le Puy verbleiben. Leo betonte gar die Hinfälligkeit seines Weiherechts und der Rechtmäßigkeit der Palliumverleihung, sollte das örtliche Wahlrecht übergangen worden sein38. Das Pallium wurde bis in die Zeit der papstgeschichtlichen Wende zumeist an Metropoliten vergeben, wobei der Empfang erst seit dem Pontifikat Paschalis’ II. zur Grundvoraussetzung für die Erlangung der vollen Metropolitankompetenzen erhoben wurde39. Erstmals sicher in der Zeit Gregors des Großen (590–604) belegt40, verliehen Päpste Pallien zuweilen mit einem konkreten Missionsauftrag (wie zum Beispiel an Bonifatius41) oder als Ausdruck einer besonderen administrativen oder persönlichen Verbundenheit mit dem Träger. Die Vergabe an Nicht-Metropoliten konnte im 11. Jahrhundert Anstoß erregen. So ist uns für Siegfried I. von Mainz (1060–1084) bezeugt, dass er die Vergabe des Palliums an seinen Suffragan Burchard II. von Halber36 JL 4265 Gallia Christiana 2 (wie Anm. 33) Sp. 227f.; ed. MIGNE PL 143, Sp. 681 (nur fragmentarisch überliefert): […] domnus Leo IX, postquam nostra audivit praedecessorum suorum decreta, videlicet Silvestri atque Gregorii, nobis concessa, laudavit atque firmavit electum nostrum […]. […] ea siquidem conditione ut, sicut ecclesie tue privilegiis in suo statu permanentibus, ordinatio episcoporum huius sedis [d. h. Le Puy] ad romanum spectet Pontificem; ita etiam ad hunc locum ordinandus per nos episcopos, per nostram scilicet, cleri etiam ac populi huius ciuitatis intres electionem … (Hier bricht der Text ab). Wie WILLOWEIT (wie Anm. 10) S. 225 Anm. 246, ganz zutreffend betont hat, lässt dieses Textfragment die Abhängigkeit der Pallienverleihung vom päpstlichen Weiheanspruch erkennen. Ähnlich bereits VEHSE (wie Anm. 10) S. 102f. Dagegen: HINSCHIUS: Kirchenrecht (wie Anm. 10) Bd. 2 S. 332 Anm. 1. – Zur Bischofsliste des Bistums Le Puy im frühen 11. Jahrhundert vgl. CUBIZOLLES: Le diocèse (wie Anm. 21) S. 198f. 37 Vgl. JL 4265, ed. Gallia Christiana (wie Anm. 33) Bd. 2 Sp. 227f.; MIGNE PL 143, Sp. 681 38 Wie die vorherige Anm. 39 JL 6570, ed. MIGNE PL 163, Sp. 428–430. Zur Geschichte des Palliums bis zum 12. Jahrhundert vgl. Curt-Bogislaw Graf VON HACKE: Die Palliumverleihungen bis 1143. Eine diplomatisch-historische Untersuchung, Göttingen 1898; zuletzt SCHRÖR: Metropolitangewalt (wie Anm. 3) S. 39–44, 76–80, 140–143, 199–204, 214–219 u. 229– 237, und demnächst ausführlich SCHOENIG (wie Anm. 4) 40 JE 1259, vgl. Gregorii I papae Registrum epistolarum, hg. v. Paul EWALD/Ludo Moritz HARTMANN, 2 Bde., Berlin 1887 – 1899 (MGH Epp. 1 –2) hier lib. III, Nr. 54 S. 210–214; ebd. 2, lib. V, Nr. 15 S. 295f. 41 JE 2239, ed. Die Briefe des heiligen Bonifatius und Lullus, hg. v. Michael TANGL, Berlin 1916 (ND 1955) (MGH Epp. sel. 1) Nr. 28 S. 49–52.

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stadt (1059–1088) beanstandete42, zumal es nicht einmal gesichert ist, ob der Mainzer Metropolit jemals das Insigne erhielt, um das er und die Kaiserinwitwe Agnes mehrfach beim Papsttum nachgesucht hatten43. Mit der seit dem 11. Jahrhundert regelmäßig erfolgenden Pallienvergabe an die Bischöfe von Le Puy haben wir es mit einem Sonderfall zu tun, der allerdings keineswegs singulär gewesen ist44. Das Besondere an Le Puy ist jedoch, dass es sich dabei um ein königsnahes Bistum handelt, dem Herrscher wie Rudolf 924 besondere Privilegien zukommen ließen und Könige vielfach auch bei der Erhebung neuer Oberhirten ein gewichtiges Wort mitsprachen. Insbesondere im 11. Jahrhundert waren simonistische Begleiterscheinungen dabei gang und gäbe; die Reformpäpste gingen seit der Zeit Leos IX. beherzt dagegen vor, während die französische Krone wichtige Einnahmequellen gefährdet sah. Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, dass es nach dem Tod Stephans II. von Mercœur (oder von Thiers?)45 1053 zu Spannungen zwischen dem Königshof und dem apostolischen Stuhl kam46. Heinrich I. (1031–1060) und Erzbischof Aymon von Bourges (1030–1070) taten sich zusammen, um den von Klerus und Volk favorisierten Kandidaten zu verhindern, und ver42 Vgl. Codex Udalrici, in: Monumenta Babenbergensia, ed. Philipp JAFFÉ, Berlin 1869 (Bibliotheca rerum Germanicarum 5), S. 54–56 Nr. 28, hier S. 55f. ... novo in ecclesia pallio stupentibus parietibus gloriatur, nova cruce non ad orandum sed ad iactandum inter erubescentes lanceas vel gladios in equitatu suo extollitur [...]. Quapropter apostulatus vestri auctoritate hoc novitatis scandalum de ecclesia auferatur; et unanimitas fratrum, que hoc usurpativo timore pocius quam honore graviter concussa est, ad suam pacem revocetur. Regesta archiepiscoporum Maguntinensium. Regesten zur Geschichte der Mainzer Erzbischöfe von Bonifatius bis Heinrich II. 742?–1288, 2 Bde., mit Benützung des Nachlasses von Johann Friedrich BÖHMER bearb. u. hg. v. Cornelius WILL, Innsbruck 1877–1886 (ND Aalen 1966), hier XXII, Nr. 30 S. 185 u. Nr. 9 S. 182f.; dazu Lamperti Annales ad a. 1063 (!), in: Lamperti monachi Hersfeldensis opera omnia, hg. v. Oswald HOLDER-EGGER, Hannover 1894 (MGH SRG [38]), S. 1–304, hier 81f.: Gerhardus Papa, qui et Nicolaus, obiit. In cuius locum per electionem regis et quorundam principum Parmensis episcopus substitutus est et Romam per Bucconem Halberstadensem episcopum missus. Cui redeunti pro premio bene curatae legationis pallium dedit et alia quaedam archiepiscopatus insignia. Quod archiepiscopus Mogontinus ad obfuscandum sui prioratus fastigium factum interpretatus, indignissime tulit. Sed per archiepiscopi Coloniensis interventum satisfactione accepta, quievit indignatio eius; vgl. auch JL 4498. 43 Vgl. dazu Franz STAAB: Die Mainzer Kirche. Konzeption und Verwirklichung in der Bonifatius- und Theonestradition, in: Die Salier und das Reich, Bd. 2: Die Reichskirche in der Salierzeit, hg. v. Stefan WEINFURTER unter Mitarbeit von Frank Martin SIEFARTH, Sigmaringen 1991, S. 31–77, hier 57. 44 Zum Phänomen der Pallienvergabe in der westlichen Kirche speziell in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts vgl. jüngst Jochen JOHRENDT: Papsttum und Landeskirchen im Spiegel der päpstlichen Urkunden (896–1046), Hannover 2004 (MGH Studien und Texte 33), S. 62–75. 45 Zur Frage der Herkunft Stephans II. vgl. jetzt CUBIZOLLES: Le diocèse (wie Anm. 21) S. 199. 46 Vgl. dazu und zum unmittelbar folgenden ebd., S. 199f.

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suchten ihrerseits, einen Günstling auf dem Bischofsstuhl zu plazieren. Die Gemeinde von Le Puy suchte daraufhin die Rücksprache mit einigen hohen Vertretern des französischen Episkopats und entschloss sich zu einer Appellation an den Papst47. Der Kandidat der lokalen Partei, Peter II. von Mercœur (1053–1073), erschien am päpstlichen Hof, der sich im Frühling 1053 in Rimini aufhielt. Dort erteilte Leo IX. ihm gemeinsam mit Heinrich von Ravenna die Bischofsweihe (alia die ... cum Heinrico Ravennatis ecclesiae electo ... manu propria consecrat episcopum)48 und empfing aller Wahrscheinlichkeit nach auch einen Obödienzeid. Die Auseinandersetzung war damit entschieden, zum zweiten Mal nach 999 hatte der Papst in der Besetzungsfrage in Le Puy die Entscheidung getroffen und dem Elekten von eigener Hand die Weihe erteilt. Der zuständige Metropolit sah sich durch diese Praxis übergangen: Schenken wir der singulären Überlieferung bei Alberich von Troisfontaines Glauben, protestierte der Metropolit von Bourges in den Folgejahren vergeblich gegen die quasi-exemte Stellung Le Puys und appellierte an das göttliche Gericht49. Hier gilt jedoch einschränkend anzumerken, dass Alberich bekanntlich im 13. Jahrhundert schrieb, dabei aber auf (zum Teil nicht mehr zu identifizierende) Vorlagen zurückgriff 50. Einigermaßen sicheren Boden betreten wir erst wieder in der Zeit Gregors VII. (1073–1085), der sich in seinen ersten Pontifikatsjahren mit der Besetzung des Bischofsstuhls von Le Puy beschäftigte. Am 13. April 1074 richtete der Papst ein Schreiben an das dortige Domkapitel, in dem er vom Fortgang der Angelegenheit des Elekten Stephan berichtete. Dieser habe ihm in der Zwischenzeit einen Gehorsamseid geleistet; über seine Eignung sollte indes erst bei einem zweiten Rombesuch entschieden werden51. Auch wenn die Vorge47 Vgl. Jean MABILLON: Annales Sanctorum ordinis Sancti Benedicti 4, Paris 1739, Nr. 70 S. 680f. Vgl. dazu Johannes DREHMANN: Papst Leo IX und die Simonie. Ein Beitrag zur Untersuchung der Vorgeschichte des Investiturstreites, Leipzig/Berlin 1908 (ND 1973), S. 44f. 48 JL 4291. 49 Vgl. Albrici monachi Triumfontium chronicon, ed. Paul SCHEFFER-BOICHORST in: MGH SS 23, Hannover 1874 (ND 1963), S. 631–950, hier 792: Sub eo autem floruit archiepiscopatus Radulfus [sic!] Bituricensis, vir sanctus, frater regis Francie Henrici [sic!]. Qui papa exemit episcopum Podiensem, dicto archiepiscopo contradicente et ad iudicium divinum appellante. – Diese Quellenstelle ist überaus problematisch, da sie als Erzbischof von Bourges einen Radulf benennt, der überdies ein Bruder König Heinrichs I. gewesen sein soll. Es ist möglich, daß es sich um einen unehelichen Sohn Roberts II. des Frommen (996–1031) und damit um einen Halbbruder Heinrichs handelte. Dies wiederum ist unmöglich mit der Tatsache in Einklang zu bringen, daß Aymon de Bourbon bis 1070 als Metropolit von Bourges nachweisbar ist. Von etwaigen rivalisierenden Ansprüchen Radulfs und Aymons ist überdies nichts bekannt. 50 Vgl. dazu die Bemerkungen des Herausgebers SCHEFFER-BOICHORST (wie Anm. 49) S. 631ff. 51 Vgl. Register Gregors VII., ed. CASPAR (wie Anm. 7) I/80, S. 114: Gregorius episcopus servus servorum Die Annitiensi clero et populo salutem et apostolicam benedictionem. Stephanus

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schichte im Dunkeln liegt, sind die Vorbehalte Gregors VII. gegenüber dem Elekten mit Händen zu greifen. Das Protokoll der Fastensynode 1076 führte unter den exkommunizierten Bischöfen von jenseits der Alpen (Excommunicatio episcoporum ultramontanorum) auch „Stephan, Bischof von Le Puy, Simonist und Mörder auf, der bereits von unseren Legaten exkommuniziert wurde“52. Am 23. März 1077 versandte Gregor VII. zwei Schreiben, in denen er eine Neuwahl in Le Puy anordnete. Eines richtete sich an den Domklerus von Le Puy, den der Papst ultimativ aufforderte, den gebannten Bischof Stephan zu verlassen und unverzüglich in Zusammenarbeit mit dem päpstlichen Legaten Hugo von Die einen Nachfolger zu erheben53. Der zweite Brief unterrichtete alle Bischöfe und den gesamten Klerus Galliens über die Exkommunikation Stephans und untersagte sämtliche Zuwendungen für die Kirche von Le Puy, solange kein kanonisch gewählter Bischof in Amt und Würden sei54. Im Jahr 1105 sprach Paschalis II. schließlich in einem feierlichen Privileg die Exemtion Le Puys aus55. Wie Dietmar Willoweit gezeigt hat, fand die hierfür verwendete Formel (sedi apostolicae tanquam membrum capiti specialius adhaerere)56 15 Jahre später auch bei der Exemtion des kampanischen Bistums Aversa Verwendung57. Das Privileg Paschalis’ sprach nicht nur die Lösung Le Puys aus dem Metropolitanverband von Bourges aus, sondern betonte auch das Exklusivrecht des römischen Stuhls auf die Bischofsweihe des dortigen Oberhirten58.

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electus vester ea qua debuit apostolicam sedem humilitate requisivit et manum suam manui nostrae dando se Romanae Ecclesiae obediturum promisit, ac per hoc gratiam eius, quam antea visus fuerat perdidisse, recuperavit. Quem quia Ecclesiam vestram prudenter defendisse, et Simoniacum Stephanum et invasorem studio suo expulisse probavimus, regimen totius episcopatus vestri sibi commisimus eo tenore, ut, quousque ad nos redeat, de pontificali officio se non intromittat, sed quemcunque voluerit episcoporum religiosorum patriae vestrae, ea quae ad episcopale officium pertinent, facere commoneat. Vos itaque apostolica auctoritate admonemus, ut sibi debitam in omnibus reverentiam exhibeatis et ad defensionem Ecclesiae vestrae adiutorium vestrum fideliter impendatis, quatenus, expulsa simoniacae haeresis de medio vestrum omni contagione, legalem pontificem habeatis et puram Christo Domino nostro et beatae Mariae genitrici eius servitutem impendatis. Data Romae XIII. Kalendas Maii, Indictione XII. – Zum Elekten Stephan vgl. CUBIZOLLES: Le diocèse (wie Anm. 21) S. 200. Vgl. Register Gregors VII., ed. CASPAR (wie Anm. 7) III/10a, S. 269 Z. 23f.: Podiensem symoniacum homicidam Stephanum, scilicet a legatis nostris excommunicatum… Vgl. Ebd. IV/18, S. 324. Vgl. Ebd. IV/19, S. 325f. Zum Ausgang des Konflikts vgl. knapp CUBIZOLLES: Le diocèse (wie Anm. 21) S. 200f. JL 6016, ed. MIGNE PL 163, Sp. 155D–157A, datiert auf den 6. April 1105. Das vollständige Zitat lautet (MIGNE PL 163, Sp. 155D–157A, hier Sp. 155D): Inter caeteres Francorum regne ecclesias, Aniciensis Beatae Mariae, sedi apostolicae tanquam membrum capiti specialius adhaerere cognoscitur ... Vgl. dazu WILLOWEIT (wie Anm. 10) S. 198 und S. 227. JL 6861 (= It. Pont. 8 S. 284f. Nr. 1b, vom 24. September 1120). MIGNE PL 163, Sp. 156A: …ut tam tu quam tui deinceps successores nullo praeter Romanum, metropolitano subjecti sint, et omnes qui tibi in eadem sede successuri sunt per manum Romani pontificis, tanquam speciales Romanae sedis suffraganei consecrentur.

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Es ist darüber hinaus davon auszugehen, dass die Konsekration durch den Papst mit der Leistung eines Gehorsamseides verbunden war. Des weiteren hob der Papst die Bedeutung der Pallienverleihung hervor, ja zog sie regelrecht als Begründung für die Exemtion heran, heißt es dort neben der Nennung der üblichen Pallientage doch: unde merito ex ejusdem sedis liberalitate a praedecessoribus nostris pallii decore meruit insigniri59. An der exemten Stellung Le Puys kann also nach 1105 kein Zweifel bestehen. Ziehen wir eine Zwischenbilanz: Im Grunde handelte es sich bei der „schleichenden“ Exemtion Le Puys um einen Dreischritt: 1.) Zunächst gewährte der Nachfolger Petri den Bischöfen das Recht, die Weihe in Umgehung des eigentlich zuständigen Metropoliten von Bourges persönlich vom Papst zu empfangen60, was wiederum 2.) dazu führte, dass der Empfang der Bischofsweihe in Rom mit der Pallienverleihung und der Leistung eines Gehorsamversprechens gegenüber dem apostolischen Stuhl einher ging, was schließlich 3.) die faktische Exemtion des Bistums als beinahe folgerichtiges Endergebnis nach sich zog. Ohne dass es von Seiten der Bischöfe oder des Papsttums anfangs beabsichtigt gewesen wäre, führte die oben genannte Entwicklung zur Exemtion des ersten gallisch-französischen Bistums überhaupt. Als entscheidender Katalysator dieses Prozesses erwies sich – zumindest in der historischen Rückschau – der päpstliche Weiheanspruch61. Inwieweit die Geschehnisse rund um die Exemtion des ersten Reichsbistums denen von Le Puy ähnelten, soll das nächste Kapitel beleuchten.

3. Bamberg Anders als für Le Puy ist die Quellenlage zur Geschichte des Bamberger Bistums im 11. und 12. Jahrhundert deutlich günstiger, so dass sich die wichtigsten Stationen von der Gründung bis zur Exemtion gut nachzeichnen lassen. Auf Betreiben Kaiser Heinrichs II. (1002–1024) und gegen den zähen Widerstand des Bischofs von Würzburg, der einen Teil seiner Diözese abtreten musste, legte eine große Versammlung in Frankfurt am Main im November 1007 den Grundstein für die Errichtung des neuen Bistums62. Das päpstliche Grün59 MIGNE PL 163, Sp. 155D–156A. 60 Siehe dazu und zum Folgenden die Ausführungen weiter oben. 61 Zum päpstlichen Weiheanspruch in Früh- und Hochmittelalter vgl. jetzt SCHRÖR: Metropolitangewalt (wie Anm. 3) S. 191–198 u. 229–237. 62 D H II 143, S. 169–172 (= MGH Const. 1, Nr. 29 S. 59–61) (Original im Bamberger Staatsarchiv); vgl. auch Reg. Imp. 2/4, Nr. 1646; Reg. Imp. 2/5, Nr. 1023. Zur Gründung des Bamberger Bistums vgl. hier und zum folgenden Rudolf SCHIEFFER: Papsttum und Bistumsgründung im Frankenreich, in: Studia in honorem Eminentissimi Cardinalis Alphonsi M. Stickler, hg. v. Rosalius Iosephus CASTILLO LARA, Rom 1992, S. 517–528, hier S. 518f.; Stefan WEINFURTER: Heinrich II. (1002–1024). Herrscher am Ende der Zeiten, Regensburg 1999, S. 250–268; PFLEFKA (wie Anm.

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dungsprivileg, auf das noch zurückzukommen ist, hat sich nicht im Original erhalten. Als erster Bischof von Bamberg fungierte der seit 1006 als Kanzler nachweisbare Eberhard (1007–1040)63. Heinrich II. stattete die Bamberger Kirche reich aus, um ihr die materiellen Grundlagen für die wichtige Slawenmission zu sichern64. Neben der Missionsarbeit östlich der Regnitz trug der Umstand, dass der zweite Bamberger Bischof Suidger 1046 die päpstliche Würde erlangte, zum Prestigegewinn des neuen Bistums bei65. In der älteren Forschung gab es eine langwierige Kontroverse um die kirchenrechtliche Stellung Bambergs: War das Bistum von Anfang an exemt oder der Metropolitangewalt des Mainzer Oberhirten untergeordnet? Der Streit um diese Frage entzündete sich hauptsächlich aufgrund der schwierigen handschriftlichen Überlieferung des päpstlichen Gründungsprivilegs66. Einige Abschriften enthalten einen Absatz, in dem eindeutig von der Unterordnung und Gehorsamspflicht des Bamberger Bischofs unter den Mainzer Erzstuhl die Rede ist (Sit tamen idem episcopus suo metropolitano archiepiscopo Moguntiensi subiectus atque obediens)67, während wiederum andere diese Passage nicht enthalten.68 Diese Überlieferungslage hat beispielsweise den Kirchenhistoriker Albert Hauck (1845–1918) zu dem Schluss gebracht, dass es sich bei dem Zusatz um eine von Mainzer Seite vorgenommene Interpolation handeln müsste, mit der die Metropolitanrechte gegenüber dem fränkischen Bistum gewahrt werden sollten69. Erst die Forschungen Erich von Guttenbergs (1888–1952) vermochten einigermaßen Klarheit in diese Frage zu bringen70. Nach einer erneuten Sich-

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10) S. 140–146; Bernd SCHNEIDMÜLLER: „Tausend Jahre sind für dich wie der Tag, der gestern vergangen ist”. Die Gründung des Bistums Bamberg 1007, in: VAN EICKELS (wie Anm. 6) S. 15–32; VAN EICKELS (wie Anm. 6) S. 33–42 (die beiden letztgenannten Aufsätze sind auch im Internet einzusehen unter: http://www.opusbayern.de/uni-bamberg/volltexte/2007/120/pdf/BIMS_VV1.pdf). Zur Geschichte der Exemtion Bambergs vgl. PFLEFKA (wie Anm. 10) S. 139–169. Zu diesem zuletzt Dieter J. WEISS: Eberhard I. von Bamberg. Bischof und Kanzler (1007–1040), in: Das Bistum Bamberg um 1007. Festgabe zum Millennium, hg. v. Josef URBAN, Bamberg 2006 (Studien zur Bamberger Bistumsgeschichte 3), S. 284–295. Reg. Imp. 2/4 Nr. 1647 u. 1651–1676. Dazu zuletzt PFLEFKA (wie Anm. 10) S. 141; SCHNEIDMÜLLER: Gründung (wie Anm. 62) S. 15–32 und VAN EICKELS (wie Anm. 6) S. 33–42. Vgl. dazu neuerdings Georg GRESSER: Clemens II. Der erste deutsche Reformpapst, Paderborn 2007. Vertreter der einen und der anderen Seite finden sich gesammelt bei: Erich VON GUTTENBERG: Aus Bamberger Handschriften, in: ZBLG 4 (1931) S. 439–482. GUTTENBERG: Handschriften (wie Anm. 66) S. 462. Vgl. dazu die Ausführungen ebd., S. 439–482. Albert HAUCK: Kirchengeschichte Deutschlands Bd. 3, Leipzig 1906, S. 424 Anm. 1. Wie Anm. 66. Vor kurzem hat SCHNEIDMÜLLER: Gründung (wie Anm. 62) S. 19f., nochmals darauf hingewiesen, wie ungewöhnlich es ist, daß sich ausgerechnet die frühesten päpstlichen Privilegien für Bamberg nicht im Original erhalten haben, wo sie

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tung der überlieferten Handschriften des Privilegs konnte er die ältesten Abschriften identifizieren, in denen der die Mainzer Metropolitanrechte behandelnde Passus enthalten ist71. Neben diesen Indizien spricht auch die Tatsache, dass Eberhard die Bischofsweihe aus der Hand des Mainzer Metropoliten Willigis empfing72, für eine ursprüngliche Einordnung Bambergs in die Mainzer Kirchenprovinz. Davon unbeschadet ist die Gewährung der Unabhängigkeit und des päpstlichen Schutzes: Sit ille episcopatus liber et ab omni extranea potestate securus, Romano tantumodo mundiburdio subditus73. Man muss die Aufnahme in den päpstlichen Schutz (beziehungsweise die Immunität) allerdings getrennt von einer kirchenrechtlichen Exemtion betrachten, da ersterer sich auf weltliche Bereiche beschränkte74. Die sich in späterer Zeit entwickelnden Exemtionsformeln für Bistümer haben einen gänzlich anderen Charakter, indem sie die rechtliche Einmischung jeder fremden geistlichen Institution oder Person, zumeist des Metropoliten, innerhalb des eximierten Bistums oder Klosters ausdrücklich untersagen und die direkte rechtliche Unterstellung unter den Papst betonen75. Die Eigentumsfrage ist getrennt von der organisatorischen Einordnung Bamberg in die Mainzer Kirchenprovinz zu betrachten, denn im Jahre 1020 kommendierte Heinrich II. das junge fränkische Bistum dem apostolischen Stuhl. Damit verbunden war eine regelmäßige Zinszahlung und die jährliche Übersendung eines gesattelten Schimmels an den Papst76. Noch im Jahre 1052 betonte Leo IX. die römischen Hoheitsrechte am Bamberger Bis-

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doch für die Bamberger Kirche einen unbezahlbaren Schatz darstellten. Die Hintergründe können nur erahnt werden: Sind die Privilegien bewußt entwendet worden? Oder waren sie noch auf dem nicht so langlebigen Papyrus verfaßt? Oder sind sie doch durch ein Unglück verloren gegangen? Die ältesten Abschriften finden sich im Codex Udalrici aus dem 12. Jahrhundert und im Schriftgut aus dem Kloster Zwettel (Wien, Nat. Bibl., Cod. 398 fol. 31v und ebd. Cod. 611 fol. 17 sowie Zwettl, Stiftsbibl., Cod. 283 p. 62). Zur Provenienz der frühesten Abschriften vgl. GUTTENBERG: Handschriften (wie Anm. 66) S. 460 (dort bis S. 462 auch seine Edition); und ZIMMERMANN (wie Anm. 27) S. 830 Nr. 435. Reg. Imp. 2/4, Nr. 1645a u. 1646, mit dem Verweis auf Thietmar VI, 30: Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier Überarbeitung (Thietmari Merseburgensis episcopi Chronicon), hg. v. Robert HOLTZMANN, Berlin 1935 (MGH SRG N.S. 9) S. 311. ZIMMERMANN (wie Anm. 27) S. 830 Nr. 435. Vgl. dazu WILLOWEIT (wie Anm. 10) S. 187–189 und PFLEFKA (wie Anm. 10) S. 143–145. Vgl. dazu VEHSE (wie Anm. 10) S. 157f. und JOHRENDT: Papsttum (wie Anm. 44) S. 116–166, insbesondere 116–146. Vgl. dazu etwa SCHEUERMANN (wie Anm. 11) S. 696–698. ZIMMERMANN (wie Anm. 27) Nr. 528 S. 1004; vgl. auch D H II 427, S. 542–548. Erich VON GUTTENBERG: Die Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Bamberg, Würzburg 1963, Nr. 157; Reg. Imp. 2/4, Nr. 1968. Dass Papst Benedikt VIII. von einem Obereigentum des apostolischen Stuhls am Bistum Bamberg ausging, wird bereits im selben Jahr ersichtlich: vgl. auch JL 4030, ed. MIGNE PL 139, Sp. 1624. Vgl. dazu WILLOWEIT (wie Anm. 10) S. 190–193.

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tum, verwies aber zugleich auf die Gehorsamspflicht gegenüber dem Mainzer Metropoliten, dem es in canonicis causis zugeordnet sei77. Dennoch kam Bamberg schon deshalb, weil es das einzige Papstgrab nördlich der Alpen beherbergte, beim Papsttum besondere Bedeutung zu78. Im 11. Jahrhundert wurden mindestens vier Bamberger Bischöfe durch den Mainzer Erzbischof geweiht: Eberhard I. 1007, Suidger 1040, Hermann I. etwa 1065 und schließlich Rupert 107579. Keine Kenntnis besitzen wir über die Konsekratoren der Bischöfe Hartwig (1047), Adalbero (1053) und Gunther (1057). Bamberger Bischöfe nahmen nachweislich an drei Mainzer Provinzialsynoden des 11. Jahrhunderts teil80. In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts empfingen Bamberger Oberhirten regelmäßig das Pallium: Hartwig (1047–1053) im Jahre 1053 von Leo IX.81, Gunther (1057–1065) wohl 1062 von Honorius II.82, Hermann I. 77 Germ. Pont. 3/3, S. 252 Nr. 11. 78 Vgl. dazu PFLEFKA (wie Anm. 10) S. 155–161. 79 GUTTENBERG: Regesten (wie Anm. 76) Nr. 36, 221, 384 u. 485. Vgl. dazu WILLOWEIT (wie Anm. 10) S. 185f. 80 GUTTENBERG: Regesten (wie Anm. 76) Nr. 196 (1026 in Seligenstadt), Nr. 427 (1073 in Erfurt) u. Nr. 177 (1024, Mainz?). – Wie für beinahe alle Metropolitansitze ist die Abhaltung von Provinzialsynoden im 11. Jahrhundert nur bruchstückartig überliefert; dass es in diesem Fall mehr als nur drei gewesen sein müssen, liegt auf der Hand. Wie bereits WILLOWEIT (wie Anm. 10) S. 186 Anm. 54, ganz richtig angemerkt hat, muss ein Großteil der Mainzer Konzilien hierbei außer Acht gelassen werden, da sie keine Provinzialsynoden waren, sondern überprovinziale Versammlungen darstellten. 81 Die Urkunden Leos IX. für Bamberg 1052 und 1053 legen nahe, dass bis zu jener Zeit kein Bamberger Bischof das Pallium erhalten hatte: vgl. Germ. Pont. 3/3, S. 252 Nr. 11 u. S. 253 Nr. 13 (dort wird die Palliumverleihung mit einer der Form nach üblichen Einschränkung versehen: … salva auctoritate domnae metropolitanae ecclesiae). Zu den Pallienverleihungen an Bamberger Bischöfe im 11. und frühen 12. Jahrhundert vgl. PFLEFKA (wie Anm. 10) S. 157–159 und die Tabelle S. 169. – Die Behauptung Bischof Gunthers von Bamberg gegenüber seinem Metropoliten Siegfried von Mainz, die Bamberger Oberhirten hätten seit jeher das Pallium erhalten (vgl. Briefsammlungen der Zeit Heinrichs IV., hg. v. Carl ERDMANN/Norbert FICKERMANN, Weimar 1950 (MGH (MGH Epp. DK 5), S. 201: Tunc Romanus pontifex, ut hanc singularem nostram subiectionem magis celebrem et insignem faceret, omnibus ecclesie nostre presulibus usum pallii generali privilegio concessit, et subinde alii pape nostris antecessoribus commoniti et appellati idem sollempniter indulsere. Quorum exemplo et auctoritate iste quoque N. provocatus nostre humilitati pallium secundum antiqui privilegii tenorem transmisit. Quamobrem, ne quis apud vos, ut sunt hominum ingenia, superbe aut contumeliose interpretari possit, seriem modumque rei vobis insinuandum curavi, certus nimirum, quicquid pro ecclesiarum stabilitate agitur, vestram caritatem sincere congratulari), dürfte nichts weiter als eine Schutzbehauptung gewesen sein, weil Siegfried selbst noch zwei Jahre nach seinem Amtsantritt vergeblich um den Erhalt des Insigne warb (vgl. dazu demnächst: Matthias SCHRÖR: Siegfried I. von Mainz (1060– 1084) und der Kampf um das Krönungsrecht im Regnum Teutonicum, in: Früh- und hochmittelalterliche Kirchengeschichte. Festschrift für Josef Semmler zum 80. Geburtstag, hg. v. Rudolf HIESTAND, ersch. voraussichtlich Köln 2011, S. 7f., sowie bald die Ausführungen bei SCHOENIG (wie Anm. 4). In seiner Anrede an den Erzbischof

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(1065–1075) 1070 von Alexander II.83, Otto I. (1102–1139) 1111 von Paschalis II.84, Egilbert (1139–1146) 1139 von Innozenz II.85 und schließlich Eberhard II. (1146–1172) 1146 von Eugen III.86 Die wiederholte Verleihung des Insigne brachte die besondere Verbundenheit des noch jungen Bistums mit dem apostolischen Stuhl zum Ausdruck. Auch bei den Bamberger Bischöfen ist davon auszugehen, dass die Palliumvergabe mit der Leistung eines Obödienzeides verbunden war. Inwieweit das Pallium an einen konkreten Missionsauftrag wie beispielsweise noch bei den Verleihungen an Willibrord oder Bonifatius im 8. Jahrhundert87 bei den benachbarten Slawen verbunden war, entzieht sich unserer Kenntnis. Es kann indessen nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass in Bezug auf die Bamberger Kirche – anders als im Fall von Le Puy – der ältere Gedanke des Missionsauftrags bei der Pallienvergabe Pate stand.

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(MGH Epp. DK 5, S. 200) bezeichnet sich Gunther ausdrücklich als deditissimus suus suffraganeus. Zudem gilt es zu beachten, daß Gunther das Pallium von Honorius (II.) (Cadalus von Parma) erhalten hatte, der sich bekanntlich in seinem päpstlichen Herrschaftsanspruch gegenüber Alexander II. als unterlegen erwies. Siehe die vorherige Anm. Lamperti Annales ad a. 1070, ed. HOLDER-EGGER (wie Anm. 42) S. 111f.: Episcopus Mogontinus et Coloniensis et Babenbergensis a domno apstolico evocati Romam venerunt. Ibi episcopus Babenbergensis accusatus, quod per simoniacam heresim data pecunia episcopatum invasisset, multa et preciosa munera papae dedit et per haec efferatam adversum se mentem eius ad tantam mansuetudinem reduxit, ut, qui non sine periculo honoris et gradus sui evasurus putabatur, non solum impunitatem criminis, quod obiectum fuerat, consequeretur, sed etiam pallium et alia quaedam archiepiscopatus insignia ab sede apostolica pro benedictione perciperet. Anders hingegen die Darstellung bei Bonizo von Sutri vgl. Bonizonis episcopi Sutrini Liber ad amicum, ed. Ernst DÜMMLER, in: MGH Ldl 1, Hannover 1891, S. 568–620, hier 602: … quidam Hermannus Pabenbargensis episcopus Romam causa suscipiendi pallii veniebat. Quem littere regis anticipaverunt, quibus pape significatum est se quorundam malignantium fraude deceptum illi per pecuniam episcopatum tradidisse. Quod ut quesitum est et ita inventum, prefatus Hermannus ab episcopatu depositus est, aliusque in loco eius precepto domni pape intronizatus est, qui postea ab eodem papa pallii dignitate donatus est; vgl. dazu grundlegend Rudolf SCHIEFFER: Die Romreise deutscher Bischöfe im Frühjahr 1070. Anno von Köln, Siegfried von Mainz und Hermann von Bamberg bei Alexander II., in: RhVjBll 35 (1971) S. 153–174. Im Privileg für Otto wird bei der Vergabe des Vortragekreuzes auch die Rechtssphäre der Mainzer Kirche gewahrt: Ad haec etiam crucis vexillum intra Babenbergensis ecclesiae parochiam ante faciem tuam portari concedimus, salva videlicet Moguntinae metropolis reverentia. JL 6291 = Germ. Pont. 3/3, S. 264 Nr. 46, ed. MIGNE PL 173, Sp. 1323f. JL 8048 = Germ. Pont. 3/3, S. 271 Nr. 66, ed. MIGNE PL 169, Sp. 483. – Eine detaillierte Auflistung aller Pallienverleihungen von 743/44–1118 wird sich in kürze bei SCHOENIG (wie Anm. 4) einsehen lassen. JL 8975 = Germ. Pont. 3/3, S. 272 Nr. 69, ed. MIGNE PL 180, Sp. 1175 (Vergabe in Viterbo, Erneuerung und Erweiterung des Privilegs Innozenz’ II.: Germ. Pont. 3/3, S. 271 Nr. 66). Vgl. dazu zuletzt SCHRÖR: Metropolitangewalt (wie Anm. 3) S. 45ff. mit weiterer Lit.

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Eng verknüpft mit der Vergabe des Palliums war die Frage nach der Weihe der Bamberger Bischöfe: Seit 1106, als Otto I. die Bischofsweihe von Paschalis II. in Anagni empfing88, war es üblich, dass Bamberger Oberhirten vom Papst (oder seinem Gesandten) konsekriert wurden, so Egilbert 113989 oder Otto II. 1178. Gerade bei der Weihe des letzteren zeigte sich, dass Alexander III. die Rechte des Mainzer Metropoliten keineswegs übergehen wollte, denn zunächst verweigerte er die Konsekration Ottos II. mit Verweis auf Mainzer Ansprüche90, um sie schließlich doch selbst vorzunehmen91. Insgesamt fünf der sechs Bamberger Bischöfe des 12. Jahrhunderts wurden vom Papst und nicht vom eigentlich zuständigen Metropoliten geweiht92. Im Jahre 1235 erklärte Gregor IX. die Bischofsweihe der Bamberger Oberhirten durch den Papst zur Norm93. Der Mainzer Metropolit hatte sein Konsekrationsrecht endgültig verloren. Ziehen wir ein Zwischenfazit: In der auf königliche Veranlassung erfolgten Bistumserrichtung, dem päpstlichen Schutzprivileg, dem Obereigentum des apostolischen Stuhls und dem seit dem frühen 12. Jahrhundert üblichen persönlichen Empfang der Bischofsweihe durch den Papst liegen die Grundlagen für die spätere Exemtion Bambergs. Wie bei Le Puy war diese von Seiten des Papsttums zu Beginn wohl überhaupt nicht beabsichtigt – die Vorbehaltsformeln gegenüber der Mainzer Kirche, die sich im Bamberger Gründungsprivileg und in den Pallienprivilegien finden lassen, zeigen dies deutlich. Muss man in Bezug auf das Bistum Bamberg zumindest in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts, wie bereits erwähnt, noch von einer klaren Trennung der Immunität von einer Exemtion ausgehen, so ist dies bei den häufigeren Klosterexemtionen anders: Gerade der Ausschluss externer Gewalten, zumeist des zuständigen Bischofs, war hierbei schließlich der Hauptbeweggrund. Wie Dietmar Willoweit gezeigt hat, begannen „die Grenzen allmählich fließend zu werden“. Das Phänomen des päpstlichem Schutzes bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Metropolitanverfassung lässt sich nach Willoweit seit der Mitte des 11. Jahrhunderts auch deshalb nicht mehr beobachten, weil dieses „bald nicht mehr verstanden wurde“94. In päpstlichen Schreiben finden sich bis ins 13. Jahrhundert Formeln, welche die Eigentumsrechte des apostolischen Stuhls an Bamberg betonen, aber beinahe immer von Vorbehaltsklauseln gegenüber der Mainzer Kirche wie 88 Dass Paschalis II. erst zur Bischofsweihe Ottos „überredet“ werden musste, weil er den Widerstand des Mainzer Erzbischofs fürchtete, wird ersichtlich aus: Germ. Pont. 3/3, S. 262f. Nr. 38–43. Vgl. zu den Einzelheiten VEHSE (wie Anm. 10) S. 107 und PFLEFKA (wie Anm. 10) S. 163–165. 89 Wie Anm. 85. 90 Germ. Pont. 3/3, S. 278 Nr. 92. 91 Ebd. Nr. 93. 92 Vgl. VEHSE (wie Anm. 10) S. 107f. 93 Vgl. Potthast 9955 u. 9956. 94 WILLOWEIT (wie Anm. 10) S. 195f.

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salva sedis apostolicae auctoritate et Maguntinae ecclesiae/metropolis reverentia begleitet werden95. Ein Schreiben Gregors VII. an Klerus und Volk von Bamberg beginnt nach der üblichen Grußformel folgendermaßen: Notum est pene omnibus in Teutonicis partibus habitantibus, quod Babenbergensis ecclesia specialis quodammodo filia adheret matri sue Romane ecclesie, cui Deo auctore deservimus licet indigni96. Ganz ähnliche Formulierungen ließen sich – wie weiter oben gezeigt – in den Exemtionsprivilegien für Le Puy (1105) und Aversa (1120) erkennen97. Doch bis zur endgültigen, verbindlichen und kirchenrechtlich eindeutigen Exemtion Bambergs sollte es bis zum 13. Jahrhundert dauern. Leider hat sich keine die Exemtion aussprechende päpstliche Verfügung erhalten – vermutlich hat es nie eine gegeben, doch scheint Innozenz IV. (1243–1254) vom exemten Zustand Bambergs ausgegangen zu sein, denn in einem für Bamberg bestimmten Privileg von 1245 lesen wir von der ecclesia (Babenbergensis), quae immediate ad sedem apostolicam spectat98, einer üblichen Formel für exemte Institutionen. Zu diesem Zeitpunkt muss also der exemte Status anerkannt worden sein. Auffällig ist aber bereits das erstmalige Fehlen der Vorbehaltsformel zugunsten der Mainzer Kirche in einem Privileg Gregors IX. (1227–1241) aus dem Jahr 123599. Mit letzter Gewißheit lässt sich die Frage der Datierung nicht mehr klären, dennoch ist eine Verortung in die Zeit um 1230 bis 1245 wohl anzunehmen, da man in jenen Jahren das Bistum erstmals als exemt betrachtete.

4. Zusammenfassung Die Geschichte der Exemtionen von Le Puy-en-Velay in Frankreich und Bamberg im Reich erstreckte sich jeweils über viele Jahrzehnte. In beiden Fällen war die Exemtion das Ergebnis eines historischen Prozesses, an dem sich die Wechselwirkung von kirchlicher Peripherie und römischem Zentrum beobachten lassen. Weder erstrebten die Bischöfe von Le Puy und Bamberg von Anfang an die Lösung aus dem Metropolitanverband, noch dachten die Päpste im 11. Jahrhundert daran, diese Bistümer zu eximieren. Vielmehr waren die Päpste während des gesamten 11. Jahrhunderts darauf bedacht, die Jurisdiktionsrechte der für Le Puy und Bamberg zuständigen Metropolitansitze Mainz

95 Vgl. des weiteren Register Gregors VII., ed. CASPAR (wie Anm. 7) III/ 1–3, S. 242– 246; Germ. Pont. 3/3, S. 263 Nr. 43 = JL 6083 (Paschalis II. an Ruthard von Mainz, 21. Mai wohl 1106); Germ. Pont. 3/3, S. 281 Nr. 104. 96 Register Gregors VII., ed. CASPAR (wie Anm. 7) II/76, S. 239 Z. 13–16 (vom 20.4.1075). 97 Siehe oben S. 10. Vgl. dazu WILLOWEIT (wie Anm. 10) S. 197–199 mit weiteren Überlegungen. 98 Potthast 11917. 99 Potthast 9956. Darauf hat u. a. WILLOWEIT (wie Anm. 10) S. 184, hingewiesen.

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und Bourges soweit möglich zu wahren.100 Das Papsttum handelte in Bezug auf Le Puy und Bamberg zumeist reagierend und in konkreten (Not-)Situationen, indem es beispielsweise in das unkanonische Besetzungsverfahren in Le Puy am Ende des 10. Jahrhunderts eingriff oder simonistische Auswüchse in der Zeit Gregors VII. bekämpfte. An der historischen Entwicklung bis zur Exemtion des Bistums Le Puy lässt sich auch der gewachsene Einfluss päpstlicher Ordnungsmaßnahmen im 11. und 12. Jahrhundert beobachten. Es ist der im Rahmen der papstgeschichtlichen Wende gesteigerten gesamtkirchlichen Autorität des Papsttums zuzuschreiben, dass man sich zur Problemlösung vermehrt an Rom wandte und sich immer häufiger bereit erklärte, vom apostolischen Stuhl getroffene Entscheidungen anzunehmen. Besonders im Fall von Bamberg ist es die von den Bischöfen gesuchte Verbindung mit dem Papsttum, welche die Entwicklung zur Exemtion beschleunigte. Die Annäherung wurde dabei maßgeblich von der Peripherie forciert und weniger von Seiten des Papsttums gesucht. Bereitwillig fanden sich Bamberger Bischöfe seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts beim apostolischen Stuhl ein, um die Bischofsweihe und das Pallium zu empfangen, was man auch als eine Zunahme von Interaktion zwischen römischer Zentrale und kirchlicher Peripherie deuten kann. Konsekration und Palliumverleihung durch den Papst werteten die Bischöfe von Bamberg zugleich gegenüber ihren Amtsbrüdern und dem Metropoliten von Mainz auf. Gleiches lässt sich für die Oberhirten von Le Puy beobachten. Ohne die gewachsene Anziehungs- und Strahlkraft des Reformpapsttums ist dies nicht zu erklären. Ohnehin scheint mir in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Entfaltung des päpstlichen Primats die Bedeutung des päpstlichen Weihepräzepts bisher nicht hinreichend gewürdigt worden zu sein. Da die Bistumsexemtion weit eher einer Loslösung aus dem älteren Metropolitanverband und der damit verbundenen Verpflichtungen gegenüber dem Metropoliten entsprach als einer strikten Unterordnung unter päpstliche Primats- und Rechtsprechungsansprüche101, verwundert es nicht, dass die Initiative zumeist – wie zuerst von Le Puy und Bamberg – von der Ortskirche ausging. In gewissem Sinne machten sich die Protagonisten den gesteigerten päpstlichen Jurisdiktionsprimat zunutze, um einen Prestigegewinn für die eigene Kirche zu erzielen. Ebenso eignete sich die Bistumsexemtion als Mittel zur Beseitigung unklarer kirchenrechtlicher oder hierarchischer Verhältnisse, wie sie im Zuge der Reconquista auf der iberischen Halbinsel zu beobachten sind. Auch hierbei, besonders während der Pontifikate Urbans II. und Paschalis’ II., werden Autorität und Zuständigkeit des Papsttums für die Ordnung des europäischen Hochmittelalters deutlich102. Einschränkend sei jedoch hinzugefügt, dass das Phänomen der Bistumsexemtion im 11. und 12. Jahrhundert nicht 100 Vgl. VEHSE (wie Anm. 10) S. 101. 101 Vgl. ähnlich bereits WILLOWEIT (wie Anm. 10) S. 296. 102 Siehe Anm. 1.

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überschätzt werden darf – dafür machte das Papsttum davon zu selten Gebrauch (etwa 30mal)103, dafür waren die Auswirkungen auf die Verfassung der westlichen Kirche alles in allem zu gering, dafür war der Niedergang der alten kollegialen Metropolitanverfassung bereits zu weit fortgeschritten104. Dies darf jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass es ohne die „gewachsenen“ Exemtionen von Le Puy und Bamberg wohl nicht zur Herausbildung des später wiederholt genutzten Instruments der Bistumsexemtion gekommen wäre. Der fortschreitende Kompetenzzuwachs des Papsttums im ausgehenden 12. und 13. Jahrhundert besiegelte schließlich das Ende der Bistumsexemtion als päpstliches Ordnungsinstrument, da sich die Kurie seit jener Zeit unter Berufung auf das sog. Petrus-Exordium vorbehielt, sämtliche neuerhobene Bischöfe der westlichen Kirche zu bestätigen und zu weihen105. Genau dies war zuvor der wesentliche Inhalt der Bistumsexemtion gewesen, die lediglich eine Episode der mittelalterlichen Kirchengeschichte blieb.

103 Selbst in Zeiten rivalisierender Herrschaftsansprüche beziehungsweise Schismen machten die Päpste keinen übermäßigen Gebrauch vom Instrument der Bistumsexemtion, da es sich zur Vergrößerung der eigenen Obödienz kaum eignete. Ersichtlich wird dies durch die Auflistungen bei VEHSE (wie Anm. 10) und WILLOWEIT (wie Anm. 10) 104 Zu dieser Sicht vgl. SCHRÖR: Metropolitanverfassung (wie Anm. 3) 105 Vgl. VEHSE (wie Anm. 10) S. 160.

Klosterfreiheit und päpstliche Organisationsgewalt Exemtion als Herrschaftsinstrument des Papsttums? LOTTE KÉRY 1. Einführung: Terminologische und methodische Schwierigkeiten Die Exemtion eines Klosters aus dem bestehenden Diözesanverband verbunden mit seiner unmittelbaren Unterstellung unter den Apostolischen Stuhl stellt eine besonders enge Verbindung des Papsttums zu diesen Kirchen in den Regionen her. Eine genauere Betrachtung der Maßnahmen, die das Papsttum in der Frage der Exemtion von Klöstern getroffen hat, verspricht deshalb Aufschlüsse über das Verhältnis des Apostolischen Stuhls zu den kirchlichen Institutionen außerhalb seines eigenen unmittelbaren Jurisdiktionsbereiches, zu den Kirchen in den Regionen, die im Rahmen der kirchlichen Verwaltungsordnung zunächst den jeweiligen Diözesanbischöfen unterstellt waren. Mit der Herausnahme von Klöstern aus der Verfügungsgewalt des zuständigen Bischofs und ihrer direkten Unterstellung unter den Heiligen Stuhl wurden nicht nur die Rechte des Diözesanbischofs in fundamentaler Weise eingeschränkt, sondern mit einer entsprechenden Rechtsverleihung zugleich in sehr deutlicher und nachhaltiger Form der innerkirchliche Primat des Papsttums verwirklicht1. Dem zuständigen Bischof wurde es auf diesem Wege konkret verwehrt, seine Amtsgewalt im Hinblick auf die Abtei in vollem Umfang auszuüben, die im Wesentlichen darin bestand, das Kloster, seine Altäre, die Messgeräte und das Chrisam zu weihen, eine regelmäßige Visitation des Klosters durchzuführen und dabei die geistliche Gerichtsbarkeit auszuüben sowie über Klagen der Mönche gegen ihren Abt zu entscheiden. Aufgabe des zuständigen Ordinarius war es auch, dem Abt die Benediktion und den Klerikern im Kloster die höheren Weihen zu erteilen. Zum Zeichen der Zugehörigkeit zur Diözese war der Abt zudem verpflichtet, die bischöfliche Synode zu besuchen2. 1 2

Siehe dazu auch unten Anm. 5. Allgemein Paul HINSCHIUS: System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland 2, Berlin 1878, S. 40–41; Albert WERMINGHOFF: Verfassungsgeschichte der deutschen Kirche im Mittelalter, Berlin/Leipzig 21913, S. 28, S. 134–143, bes. S. 140–143, S. 184 zur Exemtion; vgl. auch Ulrich HUSSONG: Studien zur Geschichte der Reichsabtei Fulda bis zur Jahrtausendwende, in: ADipl 31 (1985) S.

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Vor allem im 11. und 12. Jahrhundert wurde eine Vielzahl entsprechender Privilegierungen vorgenommen. Man hat deshalb sogar von einer „Exemtionsbewegung des 12. Jahrhunderts“ gesprochen3, die dazu dienen sollte, die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der betreffenden monastischen Gemeinschaften in rechtlicher aber auch wirtschaftlicher Hinsicht zu gewährleisten und zugleich die oberste Verfügungsgewalt des Papsttums innerhalb der Kirche zu realisieren4. Volkert Pfaff sah darin sogar den Hauptgrund für die päpstlichen Exemtionen. Das kirchenpolitische Endziel, das „von Anfang an bewusst oder unbewusst eingeplant“ gewesen sei, habe darin bestanden, das „alleinige Bischofsamt über alle Kirchen auszuüben“5. Die Tatsache, dass es sich im Fall einer Exemtion um einen besonders schweren Eingriff in die bestehenden Strukturen handelt, der in ganz anderer Weise als bei den übrigen päpstlichen Schutzverleihungen6 die Rechte Dritter – im vorliegenden Fall des Diözesanbischofs – berührt, hat sich offenbar auch auf die Haltung und Vorgehensweise des Papsttums in dieser Frage ausgewirkt, die deshalb besondere Aufmerksamkeit im Hinblick auf eine genauere Be-

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1–225, 32 (1986) S. 129–304, hier ADipl 31 (1985) S. 47, mit der einschlägigen Literatur in Anm. 118; Ludwig FALKENSTEIN: La papauté et les abbayes françaises aux XIe et XIIe siècles. Exemption et protection apostolique, Paris 1997 (Bibliothèque de l’École des Hautes Études, Sciences historiques et philologiques t. 336), S. 106–109. Diese Formulierung bei Hans GOETTING: Die klösterliche Exemtion in Nord- und Mitteldeutschland vom 8. bis zum 15. Jahrhundert, in: AU 14 (1936) S. 105–187, hier S. 105, mit Verweis auf die klassische Untersuchung von Georg SCHREIBER: Kurie und Kloster im 12. Jahrhundert. Studien zur Privilegierung, Verfassung und besonders zum Eigenkirchenwesen der vorfranziskanischen Orden vornehmlich auf Grund der Papsturkunden von Paschalis II. bis auf Lucius III. (1099–1181), 2 Bde., Stuttgart 1910 (Kirchenrechtliche Abhandlungen 65–68). Vgl. dazu etwa Friedrich KEMPF: Primatiale und episkopal-synodale Struktur der Kirche vor der gregorianischen Reform, in: AHP 16 (1978) S. 27–66, hier S. 62–63. Vgl. dazu auch Volkert PFAFF: Die päpstlichen Klosterexemtionen in Italien bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: ZRGKanAbt 103 (1986) S. 76–114, S. 91. Vgl. auch Lars-Arne DANNENBERG: Das Recht der Religiosen in der Kanonistik des 12. und 13. Jahrhunderts, Berlin 2008 (Vita Regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter, Abhandlungen 39), S. 405: „Die Päpste setzten die Privilegienvergabe vor allem als ein kirchenpolitisches Instrument ein, um einerseits die Orden und Klöster fester an sich zu binden und andererseits dadurch auch die Bischöfe unter ihre Politik zu zwingen.“ Zu den verschiedenen Formen des päpstlichen Schutzes vgl. Lotte KÉRY: Klosterexemtion in der Einöde? Bonifatius und das Privileg des Papstes Zacharias für Fulda (751), in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 60 (2008) S. 75–110, hier S. 79, mit Verweis auf die klassischen Studien von Hans HIRSCH: Untersuchungen zur Geschichte des päpstlichen Schutzes. Nachgelassenes Manuskript, in: MIÖG 54 (1942) S. 363–433 und Heinrich APPELT: Die Anfänge des päpstlichen Schutzes, in: MIÖG 62 (1954) S. 101–111; vgl. dazu jetzt auch Jochen JOHRENDT: Papsttum und Landeskirchen im Spiegel der päpstlichen Urkunden (896–1046), Hannover 2004 (MGH Studien und Texte 33), S. 116–167.

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schreibung des Verhältnisses zwischen universalem Papsttum und den kirchlichen Regionen beanspruchen kann. Symptomatisch für diese Vorgehensweise ist schon allein die Schwierigkeit, dieses Rechtsverhältnis im Einzelfall sicher zu erfassen, eine Schwierigkeit, die jedoch gleichzeitig auch den besonderen Reiz und die besondere Bedeutung dieser Aufgabe im Hinblick auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Rom und den Regionen ausmacht. Der Begriff der Exemtion selbst erscheint bis zum 12. Jahrhundert kaum in den Quellen7 und im Unterschied zu vielen anderen kirchlichen Rechtsinstituten hat die Exemtion bis zum Ende unseres Untersuchungszeitraums noch keinerlei kirchenrechtliche Definition oder genauere Erläuterung durch Konzilsbestimmungen, päpstliche Dekretalen oder kanonistische Kommentare erfahren, obwohl gerade die Zeit des 12. Jahrhunderts im kirchlichen Bereich als eine entscheidende Phase der Juridifizierung gelten kann. Wie noch genauer zu zeigen sein wird, bietet der Wunsch nach Eximierung eines Klosters aus dem bestehenden Diözesanverband jedoch gerade aufgrund dieser terminologischen Unsicherheiten zugleich eine Vielzahl von Möglichkeiten für das Papsttum, in die regionalen Verhältnisse einzugreifen oder auch eine solche Neuregelung in seinem Sinne zu variieren oder gar zu verweigern; in jedem Fall kann das Papsttum auf diesem Wege seine oberste Leitungsgewalt in deutlicher Weise zur Geltung bringen. Die Erklärung von Dannenberg in seinem Buch „Das Recht der Religiosen in der Kanonistik“ (2008), Exemtionsprivilegien seien als Ausnahmeregelungen, die die bestehende hierarchische Struktur der Kirche durchbrachen, offenbar ganz bewusst nicht in die päpstlichen Dekretalensammlungen und damit auch nicht in den Liber Extra von 1234, das für unseren Untersuchungszeitraum maßgebliche Referenzwerk für die autoritative päpstliche Normbildung, aufgenommen worden8, geht jedoch von falschen Voraussetzungen aus: 7

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Auch Alexander III. verwendet ihn nicht in seiner einschlägigen Dekretale (siehe unten Anm. 10); erst in der späteren Kurzzusammenfassung des Textes in der Rubrik des Liber Extra ist von exemtio die Rede: Per solutionem census, quae fit Romanae ecclesiae, non probatur exemptio a iurisdictione episcoporum; vgl. dazu auch KÉRY: Fulda (wie Anm. 6) S. 82f. Anm. 26. Auch für das 12. Jahrhundert finden sich nur wenige Belege; vgl. PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 84, mit wenigen Beispielen aus den italienischen Urkunden. Vgl. dazu auch KÉRY: Fulda (wie Anm. 6) S. 82–84 mit weiteren Hinweisen. DANNENBERG: Recht (wie Anm. 5) S. 401, der zudem in zum Teil verwirrender Weise die Exemtion, die er an keiner Stelle genauer definiert, mit dem Patronatsrecht in Verbindung bringt, wie auch in seinem früheren Beitrag deutlich wird. Vgl. DERS.: Cum pleno iure vel simpliciter. Exemtion und ius patronatus vor dem gerichtlichen Prüfstand, in: Studia Monastica. Beiträge zum klösterlichen Leben im christlichen Abendland während des Mittelalters. Gert Melville zum 60. Geburtstag, Münster 2004 (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter, Abhandlungen 22). Seine Äußerungen sind zum Teil im Einzelnen nur schwer nachzuvollziehen, da er kaum genauere Nachweise zu den Texten liefert, aus denen er zitiert. Vgl. z. B. DANNENBERG: Recht, S. 405, zu den Äußerungen des Roffredus Beneventanus

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Zum einen treten Einzelprivilegien für bestimmte Kirchen generell nicht als Dekretalen in Erscheinung, was man wohl darauf zurückführen kann, dass sie ganz konkrete und detaillierte Verfügungen für den Adressaten erlassen und keine allgemeingültigen Entscheidungen am Einzelfall vorführen, während Dekretalen als Dokumentation von Präzedenzentscheidungen gelten können. Zum anderen sind, wie schon Falkenstein betont hat, für die Klärung der Frage, ob eine Kirche tatsächlich über die Exemtion verfügt, nicht nur die ihr verliehenen Privilegien, sondern auch die an sie adressierten päpstlichen Mandate und anderen Schreiben heranzuziehen, die durchaus ihren Platz in den Dekretalensammlungen hätten finden können9. Trotzdem deutet einiges darauf hin, dass das Papsttum die Exemtion von Klöstern mehr oder weniger auf Einzelfälle beschränkt sehen wollte und nicht danach strebte, sie zu einem wohlfeilen Instrument seiner Herrschaft zu machen.

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über die eventuelle Ausdehnung der Exemtion eines Klosters auf die ihm gehörenden Kapellen. Der bei Roffredus im Kapitel „De capellis monachorum et aliorum religiosorum“ (S. 404 = fol. 36vb) zu findende Satz: Et nota quod quantumcumque [Dannenberg: quantumquem (?)] generaliter eximat episcopus aliquam ecclesiam a se: semper intelligitur quattuor sibi retinuisse. scilicet [Dannenberg: sicut] correctionem, ut xvi. q. ii. visis [C. 16 q. 2 c. 1], procurationem et visitationem ut extra de censi. c. cum venerabilis [X 3.39.21], et cathedraticum ut extra de dona. c. pastoralis [X 3.24.7], nec obstat quod est extra de relig. do. c. constitutus [X 3.36.6]:… verwendet den Begriff eximere hier jedoch offensichtlich in einem unspezifischen Sinne und nicht auf das konkrete Rechtsinstitut der Exemtion bezogen, wie allein schon aus der Tatsache hervorgeht, dass der Bischof das Korrektionsrecht behalten und ihm das cathedraticum weiter gezahlt werden soll, was ja gerade bedeutet, dass er die betreffende Kirche nicht aus seiner Diözesanzuständigkeit entlässt, sondern dass es sich hier wohl um eine Besitzübertragung handelt. Dieses Beispiel zeigt zudem, dass sich selbst im 13. Jh. die Begriffe eximere und exemtio nicht unbedingt nur auf den hier dargestellten Sachverhalt beziehen müssen. Vgl. dazu FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 122. – Schon Bernhard von Pavia nennt in seiner Summa decretalium (1198) zum Titel De capellis monachorum et aliorum religiosorum in einem zweiten Abschnitt als Ausnahmen von der Unterstellung unter die Diözesangewalt die exemten Klöster, deren Kapellen zusammen mit ihnen diesen Rechtsstatus genießen: Sie sind deswegen ebenfalls exemt von der Diözesangewalt des Bischofs. Ex his autem satis apparet, quid iuris habet episcopus in capellis monachorum et aliorum religiosorum secundum superiorem distinctionem. Sunt tamen quaedam monasteria, quae cum suis capellis sunt a dioecesani episcopi p o t e s t a t e a p o s t o l i c o p r i v i l e g i o e x e m t a , in quibus, quod Apostolico placuit, canonis habet vigorem, ut C. IX. qu. 3 Conquestus (c. 8); Bernardi Papiensis Summa Decretalium, ed. E. A. Th. LASPEYRES, Regensburg 1860 (ND Graz 1956) S. 119. Bernhard beruft sich dafür lediglich auf C. 9 q. 3 c. 8 des Decretum Gratiani und zwar offenbar um zu belegen, dass das, was ein päpstliches Privileg verfügt, wie es in dem von Gratian zitierten Brief Nikolaus I. (JE 2765) heißt, für diese zum Gewohnheitsrecht (prisca consuetudo) werde: …ita ut secundum Nicenas regulas sua priuilegia seruentur ecclesiis, preterquam si apostolica sedes aliquam ecclesiam uel rectorem ipsius quolibet speciali priuilegio decreuerit honorare; Corpus iuris canonici 1: Decretum Magistri Gratiani, ed. Emil FRIEDBERG, Graz 1995, ND der Ausg. Leipzig 1879, Sp. 608–609. Siehe dazu unten bei Anm. 84.

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Eine vielzitierte Ausnahme, was normative Äußerungen angeht, stellt für die uns hier interessierende Zeit des 11. und 12. Jahrhunderts die Instruktion Papst Alexanders III. (1159–1181) für seinen Legaten Albertus de Summa dar, die wohl 1177 an diesen erging10. Sie behandelt keinen konkreten Einzelfall, sondern legt allgemein die Vorgehensweise fest, die man bei der Feststellung der privilegierten Beziehung eines Klosters zum Heiligen Stuhl beachten sollte. Alexander III. bezieht sich darauf, dass Albertus als päpstlicher Legat seinerseits ein Schreiben an den Bischof von Novara gerichtet habe, in dem es um Kirchen ging, die dem Apostolischen Stuhl einen Zins schuldeten. Alexander III. lobt seinen Legaten, weil dieser, wie in dem Brief zum Ausdruck komme, entschieden für die Bewahrung der Rechte des Apostolischen Stuhls eingetreten sei. Offenbar möchte er ihn jedoch auch davor warnen, des Guten zu viel zu tun, denn er weist ihn ausdrücklich darauf hin, dass es in dieser Hinsicht bei allem Eifer trotzdem genauer zu unterscheiden gelte (ceterum discretioni tue volumus non latere): Nicht alle Kirchen, die über eine besondere rechtliche Beziehung zum Apostolischen Stuhl verfügen, zahlen diesem einen jährlichen Zins, und auf der anderen Seite genießen offenbar (habentur) nicht alle zinspflichtigen Kirchen (censuales) die Freiheit von der Unterstellung unter den Diözesanbischof (immunitas ab episcopi subiectione). Kürzer und etwas einfacher ausgedrückt: Die Zahlung eines Zinses an den Apostolischen Stuhl kann nicht als signifikantes Merkmal für die exemte Stellung einer Kirche gelten. Es bleibt also nichts anderes übrig, wie auch schon Alexander III. betont, als die Privilegien der jeweiligen Kirche einer genauen Prüfung zu unterziehen und dabei sorgfältig auf ihren Inhalt zu achten. Nur wenn festgestellt werden könne (ut si fuerit deprehensum), dass die Kirche, die den Zins zahlt, in besonderer Weise „zum Recht des hl. Petrus gehört“, und der jährliche Zins ausdrücklich zum Zeichen der Freiheit, die sie empfangen habe, gezahlt werde (conferatur), könne sie sich verdientermaßen des besonderen Vorrechts (der Exemtion) erfreuen. Wenn aber der Zins zum Zeichen für den Schutz, der ihr zugesagt wurde, gezahlt werde, „scheint“ dies – so Alexander III. vorsichtig – keine Grundlage dafür zu bieten, dass dem Diözesanbischof irgendetwas entzogen werde. Da also im vorliegenden Fall feststehe, dass der Presbyter von San Zeno dem bereits genannten Bischof bei seiner Weihe Gehorsam versprochen hat, wie jener selbst vor Gericht versichert hat (sicut in iure confessus asseritur), „wollen wir nicht“ – so der Papst an seinen Legaten – „dass du ihn oder andere, die eine ähnliche Sache vorbringen, gegen den genannten Bischof oder andere in Schutz nimmst, denn so wie wir wollen, dass unsere Gerichtsbarkeit (nostram iustitiam) von unseren Brüdern und Mitbischö10 WH 845; vgl. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 22–23, dort mit Übersetzung des lateinischen Texts ins Französische. Vgl. dort auch S. 145–147. Das Schreiben wurde zuletzt ediert von Walther HOLTZMANN: Kanonistische Ergänzungen zur Italia pontificia, in: QFIAB 38 (1958) S. 67–175, hier S. 97, Nr. 111. Vgl. auch It. Pont. 6/2, S. 60, Nr. 7.

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fen bewahrt (respektiert) wird, so gehört es sich ebenfalls, dass wir ihre Rechte unangetastet lassen…“. Dieses Schreiben Alexanders III. wurde zwar in den Liber Extra, die offzielle Dekretalensammlung Papst Gregors IX. von 1234, aufgenommen (X 5.33.8, JL 14037), jedoch bezeichnenderweise unter dem Titel „De privilegiis …“11 und nicht etwa unter dem eher einschlägigen Titel „De religiosis domibus ut episcopo sint subiectae“ (X 3.36), der vor allem Bestimmungen zum kirchenrechtlichen „Normalfall“ der Beziehung zwischen Klöstern und Diözesanbischof aufweist12. Hier wird jedoch in einer Dekretale Innocenz’ III. vom 26. März (1198)13 an den Bischof (Rodrigo) von Lugo, den Abt (Ferdinand) von Melón und den Archidiakon Petrus Iohannes von Astorga (als delegierte Richter) auch als Ausnahme das Vorgehen in einem Streitfall über die Exemtion eines Klosters behandelt (X 3.36.8 – POTTHAST 66) und zwar unter der Rubrik Monasterium subiectum est episcopo, in cuius diocesi situm est, nisi probetur exceptum (!). H.d. quoad titulum. Aber auch die Hoffnung, anhand dieses Präzedenzfalles etwas Genaueres über eine kirchenrechtlich sanktionierte Vorgehensweise bei einem Streit über die Exemtion eines Klosters zu erfahren oder gar die Kriterien kennenzulernen, deren Erfüllung dem päpstlichen Gericht als Voraussetzung für die Bestätigung eines klösterlichen Exemtionsanspruches galten, erfüllt sich nicht. In dem der Dekretale zugrundeliegenden Fall geht es um die Benediktinerabtei Celanova in Galizien14, die offenbar eine exemte Stellung gegenüber dem Bischof von Orense beanspruchte, denn der Abt hatte sich nicht nur selbst geweigert, dessen Einladung zur Diözesansynode zu folgen, sondern dies auch den Prioren von S. Pedro de Rocas und San Columba de Naves, zweier von der Abtei Celanova abhängiger Priorate sowie dem Archipresbyter von „Cauci“ verboten, einer wahrscheinlich abgekommenen Pfarrkirche der Abtei Celanova, die alle, wie in dem Schreiben Innocenz’ III. ausdrücklich betont wird, zur Diözese Orense gehörten15. Als der Bischof sich persönlich zum 11 X 5.33.8 (Recepimus litteras); Corpus iuris canonici 2: Decretalium collectiones, ed. Emil FRIEDBERG, Graz 1959, ND der Ausg. Leipzig 1879, Sp. 851–852. Dieser Text weicht leicht von demjenigen in der Edition von Holtzmann ab. 12 X 3.36: De religiosis domibus, ut episcopo sint subiectae; FRIEDBERG: Corpus iuris canonici 2 (wie Anm. 11) Sp. 602–607. 13 X 3.36.8 (4Comp 3.13.2 – Cum dilectus filius); FRIEDBERG: Corpus iuris canonici 2 (wie Anm. 11) Sp. 606–607; vgl. Register Innocenz III., 1. Pontifikatsjahr, ed. Othmar HAGENEDER/Anton HAIDACHER, Graz/Köln 1964 (Publikationen des Österreichischen Kulturinstituts in Rom 2/1, 1), S. 89–91, Nr. 60. 14 In Villar, Diözese Orense, Provinz Galizien; zur Benediktinerabtei Celanova vgl. Peter FEIGE: Art. Celanova, in: LexMA 2 (1983) Sp. 1601–1602; Klaus HERBERS: Le dossier de saint Rosendus de Celanova. Structure, évolution, réécriture et influence papale, in: Miracles, vies et réécritures dans l'Occident médiéval, hg. v. Monique GOULLET/Martin HEINZELMANN, Ostfildern 2006, S. 103–120, hier S. 104 Anm. 3, mit Literatur zum Kloster und seiner Dokumentation in den Quellen. 15 Reg. Inn. III., I/60 (wie Anm. 13) S. 90 mit den Anm. 9–11.

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Kloster begab, um den Abt wegen seines Verhaltens zur Rede zu stellen, stand er dort vor verschlossenen Toren; weder der Abt noch die Mönche waren für ihn zu sprechen. Daraufhin suspendierte Alfons von Orense den Abt und belegte die Abtei Celanova mit dem Interdikt. Als auch dies nichts half, verhängte der Bischof die Exkommunikation über den Abt, sandte jedoch zugleich einen Boten zum Papst, um diese Zensur bestätigen zu lassen. Die Auseinandersetzung verlagerte sich dann an die Kurie, da inzwischen auch der Abt von Celanova einen Boten zum Papst geschickt hatte, um eine solche Bestätigung des bischöflichen Urteils zu verhindern und zwar mit dem Hinweis, dass das Kloster zwar innerhalb der Grenzen der Diözese Orense liege (infra metas Auriensis diocesis sit constructum), jedoch immer „frei“ und seit der Zeit seiner Gründung von jeder Gerichtsbarkeit und jedem Joch der Kirche von Orense exemt gewesen sei (liberum tamen semper exstitit, et ab omni iurisdictione ac iugo Auriensis ecclesiae a tempore suae fundationis exemptum). Wenn der Bischof trotzdem die Gerichtsbarkeit über das Kloster innehabe, was natürlich nicht zutreffe, dann hätte das anschließend gegen den Abt und das Kloster verhängte Urteil, wie der Bote versicherte, trotzdem schon allein deshalb keinen Bestand, weil der Abt wegen jeder Bedrückung (ab omni gravamine) vorher an den Apostolischen Stuhl appelliert hatte16. Man hatte sich also offensichtlich gegen alle Eventualitäten abgesichert. Darüber hinaus brachte derselbe Bote von Seiten des Kapitels von Celanova die Klage vor, dass der Bischof von Orense ihrem Abt eine Falle gestellt habe (abbatem eorum adeo circumvenit), indem er ihn ohne ihr Wissen dazu veranlasst habe, ihm entgegen der Freiheit (immunitas) dieser Kirche erneut Gehorsam zu versprechen. Wie aus dem Schreiben des Papstes hervorgeht, wurde Innocenz III. über diesen Stand der Dinge von dem Kardinaldiakon Petrus von Santa Maria in Vialata17, den er als Auditor für diesen Fall eingesetzt hatte, instruiert. Dieser konnte das Verfahren jedoch nicht an der Kurie (in nostra presentia) abschließen, da der Bote des Klosters die entsprechenden schriftlichen Vollmachten nicht bei sich führte (utpote cum nuncius monasterii super procuratione vel ratihabitione literas non haberet). Innocenz III. beauftragte nun die oben genannten Adressaten des vorliegenden Mandats als delegierte Richter mit der Klärung des Falles vor Ort und stattete sie dazu mit den folgenden Instruktionen aus: Sie sollten jene Urteile (des Bischofs) wieder aufheben (iudicetis illas sententias non tenere), wenn es tatsächlich zutreffe (si vobis constiterit), dass der Abt wegen dieser Sache auf rechtmäßige Weise appelliert habe, bevor der Bischof gegen ihn die Suspension oder die Exkommunikation und gegen das Kloster 16 Reg. Inn. III., I/60 (wie Anm. 13) S. 90, Z. 21–25: Preterea, si episcopus aliquam in eo, quod verum non erat, iurisdictionem haberet, quia tamen abbas ab omni gravamine prius ad sedem apostolicam appellarat, sententiam in eum et monasterium postmodum latam nullam idem nuntius obtinere asseruit firmitatem. 17 Es handelt sich hierbei um Petrus Capuanus, von 1193–1200 Kardinaldiakon von S. Maria in Vialata; vgl. Reg. Inn. III., I/60 (wie Anm. 13) S. 90 Anm. 8 u. S. 1, 3, S. 7 Anm. 3.

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das Interdikt verhängt hatte, oder aber wenn das Kloster von der Gerichtsbarkeit dieses Bischofs exemt sei. Daran solle auch nichts ändern (eo non obstante), dass der Abt, vom Bischof offenbar in eine Falle gelockt, ohne Zustimmung seiner Brüder dem Bischof Gehorsam versprochen habe, da Betrug und List ihn (den Bischof) nicht schützen dürften. Andernfalls sollten die delegierten Richter unter Einsatz der kirchlichen Zensur dafür sorgen, dass die Urteile des Bischofs beachtet würden bis eine angemessene Genugtuung geleistet worden sei. Wenn aber der Abt die Exemtion nicht nachweisen und er sich auch nicht durch eine gesetzmäßige Präskription schützen könne18 (nec legitima se poterit praescriptione tueri), das heißt, wenn der Abt sich nicht auf ein entsprechendes Gewohnheitsrecht seines Klosters berufen könne, sollten die delegierten Richter – selbst wenn der Abt den Beweis erbringe, dass er vor den besagten Urteilen Appellation eingelegt habe – das Urteil fällen (iudicetis), dass das Kloster der Kirche von Orense unterworfen sei, in dessen Diözese es gegründet wurde. In ähnlicher Weise soll vorgegangen werden, wenn zwar der Beweis für die Appellation fehle, für die delegierten Richter jedoch die Exemtion oder die gesetzmäßige Verjährung feststehe; dann sollten sie sowohl den Abt als auch das Kloster von der Forderung des Bischofs und seiner Kirche im vollen Umfang freisprechen. Trotz dieser detaillierten Anweisungen für seine delegierten Richter liefert die Dekretale Innocenz’ III. keinerlei konkrete Anhaltspunkte, mit deren Hilfe man festellen könnte, ob es sich hier tatsächlich um eine exemte Abtei handelt – Indizien, die man anhand dieses Präzedenzfalles dann auch für die Lösung anderer Streitfälle heranziehen könnte. Aus der Schilderung der Vorgeschichte geht lediglich hervor, dass der Abt von Celanova glaubte, aufgrund der angeblich exemten Stellung seiner Abtei nicht zur Teilnahme an der Diözesansynode verpflichtet zu sein und dass er die exemte Stellung Celanovas auch auf dessen abhängige Priorate und Kirchen ausgedehnt sehen möchte. Auch der Gehorsamseid, den der Abt von Celanova dem Bischof von Orense offenbar in Verkennung seiner Bedeutung für die Stellung seines Klosters leistete, wurde von beiden beteiligten Parteien als Zeichen dafür betrachtet, dass die Abtei dem Diözesanbischof unterstellt sei. Schließlich wird die Exemtion hier in erster Linie als eine Befreiung von der Gerichtsbarkeit des Diözesanbischofs angesprochen. Obwohl der Text der Dekretale erkennen lässt, dass die päpstlichen delegierten Richter offenkundig wußten, wie sie das genaue Rechtsverhältnis der Abtei Celanova zum Bischof von Orense feststellen konnten, drängt sich doch auch hier der Eindruck auf, dass man ganz bewusst darauf verzichtete, sich in den Einzelheiten genauer festzulegen. Allem Anschein nach hütete sich das Papsttum sogar förmlich davor, die Exemtion kirchenrechtlich genauer zu definieren und sie auf dieser Grundlage als eine rechtlich gestützte Möglichkeit 18 Zur Rolle der Präskription in Prozessen um die Exemtion vgl. unten bei Anm. 141.

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zu nutzen, durch besonders enge und unmittelbare Beziehungen zu Klöstern außerhalb ihres eigenen, römischen Jurisdiktionsbereiches in die Diözesen anderer Bischöfe „hineinzuregieren“ und den innerkirchlichen Primat auszuüben19. Anders als etwa Innocenz III. in der Frage des Inquisitionsverfahrens20 hatte Alexander III. in seinem Schreiben an Albertus de Summa darauf verzichtet, die Anfrage des päpstlichen Legaten als willkommene Gelegenheit zu nutzen, um genauer darzulegen, was man unter einer Exemtion zu verstehen habe und welche Voraussetzungen und Kriterien im Einzelnen erfüllt sein müssten, damit man davon ausgehen könne, dass eine Kirche oder ein Kloster einen von der Diözesangewalt befreiten Status genieße. Er erläuterte mit der Frage des Zinses nur einen Einzelaspekt, der zudem auch für andere Rechtsverhältnisse Bedeutung hatte. Alexander III. versuchte lediglich in sehr zurückhaltender Weise in eine kanonistische Distinktion zu fassen, was sich in Bezug auf ein konkretes Detail gewohnheitsrechtlich herausgebildet hatte21. Erschwerend kommt hinzu, dass der Papst nur eine negative Vorgabe macht – wie dies auch schon in der Rubrik zu diesem Kapitel im Liber Extra zum Ausdruck gebracht wird: allein durch die Zahlung eines Zinses an die römische Kirche wird eine Exemtion von der Gerichtsbarkeit der Bischöfe nicht bewiesen22. Im Hinblick auf eine Erfassung des materiellen Aspekts der Exemtion ist auch auf die angebliche Liste der exemten Bistümer und Klöster in dem 1192 vom Kämmerer der päpstlichen Kurie Cencius Savelli, dem späteren Papst Honorius III., angelegten Liber Censuum zu verweisen23, bei der es sich um ein 19 Dazu grundlegend Michele MACCARRONE: Primato romano e monasteri dal principio del secolo XII ad Innocenzo III, in: Istituzioni monastiche e istituzione canonicali in Occidente 1123–1215, Atti della Settimana internazionale di studio (Mendola 1977), Mailand 1980 (Miscellanea del Centro di studi medioevali 9), S. 49–132. 20 Vgl. dazu Lotte KÉRY: Inquisitio – denunciatio – exceptio: Möglichkeiten der Verfahrenseinleitung im Dekretalenrecht, in: ZRGKanAbt 87 (2001) S. 226–268, bes. S. 239–254. 21 In diesem Zusammenhang von „Privilegiengesetzgebung“ zu sprechen wie DANNENBERG: Recht (wie Anm. 5) S. 401, mit Bezug auf die Arbeit von Schreiber, erscheint mir nicht angemessen. 22 Vgl. das Zitat oben in Anm. 7. Hier ist nicht von Exemtion im Allgemeinen die Rede, sondern von einer Exemtion von der Gerichtsbarkeit des Bischofs. Zur Bedeutung der Zinszahlung vgl. auch Albert BRACKMANN: Kurie und Kloster, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 1913 (ND in: Gesammelte Aufsätze, Weimar 1941, S. 422–436, hier S. 426–428. 23 Zu dem nicht zwingenden Zusammenhang zwischen Zinspflicht und Exemtion vgl. SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 48 Anm. 4; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 70–71; Vgl. dort auch S. 33. Zum Liber Censuum vor allem Paul FABRE: Étude sur le ‚Liber censuum’ de l'Église romaine, Paris 1892 (Bibliothèque des Écoles Francaises d'Athènes et de Rome 62); vgl. auch Le ‘Liber censuum’ de l’Église Romaine, ed. Paul FABRE/Louis DUCHESNE, 2 Bde., Paris 1889–1910, Bd. 3 (Index) 1952, hier Bd. 1, S. 117–240; Volkert PFAFF: Der ‘Liber censuum’ von 1192 (Die im Jahre 1192–

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Verzeichnis der Abteien handelt, die auf irgendeine Weise unmittelbar mit dem Apostolischen Stuhl verbunden sind, die ihm „gehören“24. Jedoch auch diese bietet keinen sicheren Beweis für die Exemtion einer bestimmten Kirche, da sie nicht nur die exemten, sondern auch nicht-exemte Abteien aufführt. Die Erwähnung einer Abtei in dieser Liste stellt nicht einmal eine Garantie dafür dar, dass diese regelmäßig dem Heiligen Stuhl einen Zins zahlte oder dass die Verpflichtung, einen Zins zu zahlen, in jedem Privileg erwähnt würde, das die päpstliche Kanzlei dieser Abtei gewährt hat25. Es stellt sich demnach die Frage, ob eine solche Antwort, wie Alexander III. sie auf die Anfrage des Albertus de Summa gab, lediglich – wie Volkert Pfaff meint – die „ganze Unsicherheit der päpstlichen Finanz- und Wirtschaftspolitik“ zum Ausdruck bringt26 oder vielmehr eine strenge Rechtsauffassung, gerade auch was den Respekt vor den Rechten anderer angeht, wie Alexander III. es selbst in der Dekretale Recepimus litteras deutlich machte. Möglicherweise verbarg sich jedoch hinter einem solch vorsichtigen Agieren auch eine besonders ausgeklügelte Strategie des Papsttums, das es sorgfältig vermied, den Widerstand der Diözesanbischöfe durch allzu nachdrückliche Festlegungen unnötig zu provozieren, und vielleicht hoffte, auf diese Weise insgesamt mehr zu erreichen. Schließlich könnte das defensive Vorgehen der Päpste in dieser Frage auch darauf hinweisen, dass die Initiative hier vor allem von den Klöstern ausging27 und die Kurie eine zu häufige und weitreichende

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93 der Kurie Zinspflichtigen), in: VSWG 44 (1957) S. 78–96, S. 105–120, S. 220–242, S. 325–351; DERS.: Das Verzeichnis der romunmittelbaren Bistümer und Klöster im Zinsbuch der römischen Kirche (LC Nr. XIX), in: VSWG 47 (1960) S. 71–80. Thérèse MONTECCHI PALAZZI: Cencius camerarius et la formation du ‘Liber censuum’ de 1192, in: Mélanges de l’École française de Rome: Moyen Age – Temps modernes 96,1 (1984) S. 49–93, bes. S. 67–68. Vgl. allgemein Tilmann SCHMIDT: ‘Liber censuum Ecclesiae Romanae’, in: LexMA 5 (1991), Sp. 1941. Grundlegende Kritik an den scheinbar genauen Ergebnissen von Volkert Pfaff und den daraus gezogenen Schlußfolgerungen über den Charakter des Liber Censuum übte Pierre TOUBERT: Les structures du Latium médiéval. Le Latium méridional et la Sabine du IXe siècle à la fin du XIIe siècle, Rom 1973, Bd. 2, S. 1064–1068. MONTECCHI PALAZZI: Liber Censuum (wie Anm. 23) S. 67: „ …directement rattachés au Saint-Siège“; vgl. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 70: „qui appartiennent au Siège apostolique“. Vgl. dazu FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 33, mit Beispielen. Dort auch S. 34, zu den Lücken und Fehlern in dem Verzeichnis der zinspflichtigen Kirchen im Liber Censuum. So PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 91, der in Bezug auf die Dekretale Alexanders III. von einer „ganz und gar unbefriedigenden Antwort“ spricht und die Gründe dafür auch in der „langen Abwesenheit der Kurie von ihren Archiven“, dem „mangelhaften Aufbau von Kanzlei und Kammerverwaltung, das Fehlen ausreichender Grundbücher“ sieht. So auch ebd., S. 91: „So befand sich die Kurie offenbar in einer mehr oder weniger passiven Rolle gegenüber den Petenten, die unter Vorlage älterer Privilegien, deren Echtheit nicht immer überprüfbar war, Erneuerung ihrer Exemtion verlangen.“

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Durchbrechung der bestehenden kirchlichen Verwaltungsordnung nicht für sinnvoll hielt28, man die Exemtion von Klöstern keinesfalls zur Regel machen, sondern nur als Ausnahmen für bestimmte Fälle gelten lassen wollte. Dass trotzdem gerade Alexander III. daran interessiert war, die besonderen Beziehungen exemter Kirchen zum Apostolischen Stuhl nicht nur zu fördern, sondern auch rechtlich besser abzusichern, scheint nicht zuletzt die große Zahl der Schreiben zu beweisen, die während seines langen Pontifikats zu diesem Thema aus seiner Kanzlei hervorgegangen sind29. Generell war und ist auch aus heutiger Sicht die Exemtion nur schwer von anderen Formen des apostolischen Schutzes zu unterscheiden30 – mit einem Blick in die kirchlichen Rechtsbücher, den Liber Censuum oder die Formularbücher der päpstlichen Kanzlei31 ist es hier nicht getan. Trotzdem ist eine klare Unterscheidung von großer Bedeutung, stellt doch die Exemtion von all diesen Formen des päpstlichen Schutzes und der päpstlich garantierten Klosterfreiheit nicht nur den tiefsten Eingriff in die bestehende kirchliche Verwaltungs- und Rechtsordnung dar32, sondern sie kann auch als ein besonders deutlicher Gradmesser für das Verhältnis zwischen dem zentralen Papsttum und den Kirchen und Klöstern in den verschiedenen Regionen sowie für die Durchsetzung des päpstlichen Primats gelten. Mangels einer eindeutigen kirchenrechtlichen Definition gilt die Anweisung Alexanders III. also nicht nur für päpstliche Legaten des 12. Jahrhunderts, sondern auch noch für die heutigen Historiker, die sich mit diesem Phänomen beschäftigen: Jedes einzelne Privileg ist einer genauen Prüfung zu unterziehen. Die vorliegende Studie hat sich also zum einen mit der Frage zu beschäftigen, wodurch konkret der Nachweis für die exemte Stellung einer Kirche erbracht werden kann, darüber hinaus aber auch mit der Vorgehensweise des Papsttums bei der Verleihung oder auch Verweigerung von Exemtionsprivilegien sowie bei Streitigkeiten über diesen Rechtsstatus zwischen Bischöfen und Klöstern, um aus diesem modus operandi differenzierte Rückschlüsse über das Verhältnis zwischen der römischen Zentrale und den Bischöfen und Klöstern in den Regionen zu ziehen.

28 Siehe auch unten bei Anm. 216 zu den Bedenken Bernhards von Clairvaux gegen die Exemtion von Klöstern; vgl. dazu auch den vielzitierten Brief des Petrus von Blois, den dieser im Namen des Erzbischofs Richard von Canterbury in einer Exemtionsangelegenheit an Papst Alexander III. schrieb, wobei er eindringlich vor den negativen Folgen der Exemtion warnte; MIGNE PL 200, Sp. 1456 D–1459 C, Nr. 95. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 57 mit Anm. 92 (Literatur). 29 Siehe dazu auch hier bei Anm. 39. 30 Siehe oben bei Anm. 6. 31 Zum Liber Censuum vgl. auch oben bei Anm. 23; zu den angeblich einschlägigen Formularen des Liber Diurnus Nr. 32, 77 und 86 vgl. JOHRENDT: Papsttum (wie Anm. 6) S. 116f; KÉRY: Fulda (wie Anm. 6) S. 95f. und unten bei Anm. 36. 32 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 2.

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Obwohl die Privilegien und Litterae der päpstlichen Kanzlei als wichtigste Quellen für die Feststellung der Exemtion zu gelten haben, auf die auch die Päpste selbst im Zweifelsfall verwiesen33, ließ weder Alexander III. noch einer seiner Vorgänger oder Nachfolger ein Formular für Exemtionsprivilegien erstellen, dessen signifikante Wendungen eindeutige und unumstößliche Anhaltspunkte geliefert hätten, dass eine Kirche diesen besonderen Rechtsstatus genieße, wie dies in einem vergleichbaren Fall die Karolinger und speziell Ludwig der Fromme für die Immunität getan haben34. Zwar werden die wichtigsten Verfügungen zur Einschränkung der bischöflichen Jurisdiktions- und Weihegewalt häufig in den päpstlichen Privilegien angesprochen, man kann jedoch nie sicher sein, dass auch tatsächlich alle Elemente genannt werden. Manchmal werden die konkreten Konsequenzen der Exemtion in den Privilegien selbst nicht vollständig genannt, aber einige sind in den litterae cum serico enthalten, die eine Kirche, deren Exemtion bedroht ist oder im Rahmen eines Rechtsstreits in Zweifel gezogen wird, erwirken konnte35. Manchmal erfährt man sogar nur durch Zufall von der Existenz des privilegierten Status’ einer exemten Kirche oder eines exemten Klosters. Häufig hat man sich darauf verständigt, die Übereinstimmung mit drei Formularen des Liber Diurnus (LD V 32, 77 und 86) zumindest für die frühere Zeit als Definitionsgrundlage für die Exemtion heranzuziehen. Dabei blieb jedoch umstritten, ob die entsprechende Formulierung tatsächlich eine Einschränkung der bischöflichen Jurisdiktion vorsah36. Schon Georg Schreiber hat in seiner grundlegenden Monographie mit dem Titel „Kurie und Kloster“ (1910)37 durch eine genauere Untersuchung der Papsturkunden des 12. Jahrhunderts eine Reihe von Formulierungen zusammengestellt, die als Indizien für die Exemtion einer Kirche im 12. Jahrhundert gelten können. Volkert Pfaff hielt 1986 für Italien bis zum Ende des 12. Jahrhunderts fest, dass nur wenige Klöster es zur Vereinigung aller Kennzeichen 33 Siehe dazu oben bei Anm. 10 (Alex. III. – Inspicienda sunt) bzw. Hadrian IV. in einer Instruktion an den Erzbischof von Tarragona; siehe unten bei Anm. 50: priuilegia et instrumenta ipsius monasterii diligenter inquiras… 34 Dazu grundlegend Edmund E. STENGEL: Diplomatik der deutschen ImmunitätsPrivilegien vom 9. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts, in: Die Immunität in Deutschland bis zum Ende des 11. Jahrhunderts, Teil I, Innsbruck 1910, S. 8–29, S. 571; vgl. jetzt auch Barbara H. ROSENWEIN: Negotiating Space. Power, Restraint, and Privileges of Immunity in Early Medieval Europe, Manchester 1999; DIES.: Inaccesible cloisters. Gregory of Tours and Episcopal Exemption, in: The World of Gregory of Tours, hg. v. Kathleen MITCHELL/Ian WOOD, Leiden 2002, S. 181–197, die bereits für diese frühe Zeit einen weiteren Exemtionsbegriff zugrundelegt. 35 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 109. 36 Mit fundamentaler Kritik dagegen Wilhelm SCHWARZ: Iurisdicio und Condicio. Eine Untersuchung zu den Privilegia libertatis der Klöster, in: ZRGKanAbt 45 (1959) S. 34–98; ebenfalls zweifelnd FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 44 mit Anm. 54. 37 SCHREIBER: Kurie (wie Anm. 3). Vgl. dazu auch kritisch BRACKMANN: Kurie (wie Anm. 22) S. 422–436.

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der Exemtion gebracht hätten, die eine Fülle von Kombinationsmöglichkeiten aufwiesen, und teilt die exemten Klöster danach in drei Gruppen ein, eine Einteilung, die der Kurie „wohl nicht bewusst“ gewesen sei38. Trotzdem legt er sich auf konkrete Zahlen fest: Nach einer geringen Zahl von 10 Exemtionen für die Zeit vor 1000, erhielten in Italien 35 Klöster in der Zeit bis 1100 ein Exemtionsprivileg, 32 bis 1150 und 85 bis 1198, wobei der Höhepunkt der Exemtionsverleihungen unter Alexander II. (1061–1073) begonnen und mit Paschalis II. (1099–1118) ein gewisses Ende gefunden habe, um dann „mit Kanzler Roland“, dem späteren Papst Alexander III., seit 1153 wieder einen Aufschwung zu nehmen39. Über den rechtlichen Umfang der Exemtion bestand auch nach der Untersuchung von Schreiber noch keine absolute Klarheit. An einer Reihe von Beispielen aus der Salzburger Kirchenprovinz wies Albert Brackmann nach, dass auch nach dem Pontifikat Alexanders III. „von einer Regelmäßigkeit der Ausdrucksweise […] nicht die Rede sein kann“40 und der Begriff der Exemtion im ganzen 12. Jahrhundert so wenig scharf abgegrenzt sei, dass auch die Termini der päpstlichen Privilegien „eine rechtliche Klarheit letztlich vermissen“ ließen41. Auch wenn sich die von Schreiber herausgestellten Begriffe vorwiegend in Privilegien für exemte Klöster finden, sind sie kein untrügliches Indiz oder gar ein Beweis für die tatsächliche Exemtion des betreffenden Klosters42. Ein Kernproblem der Untersuchung von Schreiber wurde auch darin gesehen, dass er aufgrund seiner Quellenbasis nur die Perspektive der Kurie berücksichtigte. Schon Brackmann betonte in diesem Zusammenhang mit Nachdruck, dass man sich gerade bei der Behandlung der Exemtion nicht allein auf den Rechtsinhalt der päpstlichen Privilegien beschränken dürfe, sondern auch die territorialen und diözesanen Beziehungen miteinbeziehen müsse43. „Jedes einzelne Privileg bleibt interpretationsbedürftig“, vermerkte kürzlich noch Peter Wiegand mit einer gewissen Resignation44. Auf der Grundlage der Untersuchung von Schreiber hat Ludwig Falkenstein 1997 in seiner beispielhaften Untersuchung über das Verhältnis des Papsttums zu den Klöstern in Frankreich im 11. und 12. Jahrhundert die Aufstellung der formalen Kriterien und Indizien auf der Basis seiner umfassenden Kenntnis der Papsturkunden dieser Zeit, vor allem für Empfänger in Frank38 39 40 41 42

PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 92; vgl. dort auch die Regesten. Ebd., S. 78. BRACKMANN: Kurie (wie Anm. 22) S. 429. GOETTING: Exemtion (wie Anm. 3) S. 106. BRACKMANN: Kurie (wie Anm. 22) S. 425–427; vgl. dazu auch GOETTING: Exemtion (wie Anm. 3) S. 106. 43 BRACKMANN: Kurie (wie Anm. 22) S. 425. 44 Peter WIEGAND: Kurie und Kloster im welfisch-staufischen Thronstreit. Zur Exemtionspraxis Papst Innocenz’ III. im mitteldeutschen Raum, in: MIÖG 111 (2003) S. 104–145, hier S. 106.

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reich, noch einmal genauer in Augenschein genommen und dabei weiter differenziert und zum Teil auch anhand von Beispielen korrigiert45. Vor allem betont er, dass man nicht erwarten könne, dass die Exemtion einer Kirche in jedem ihrer Privilegien oder in allen Schreiben, die sie vom Apostolischen Stuhl erhalte, ausdrücklich erwähnt werde. Um Sicherheit über den exemten Rechtsstatus einer Kirche zu gewinnen, müssen deshalb möglichst alle an sie gerichteten Privilegien und päpstlichen Schreiben gesammelt werden46, denn nur selten enthalten sie Formulierungen, die in dieser Hinsicht so eindeutig sind wie die littera cum serico, die Alexander III. am 27. Juli 1173 an den Dekan, Thesaurar und das Kapitel von St-Martin in Tours sandte und in der es heißt, dass diese Kirche, die mit einem besonderen Freiheitsprivileg ausgestattet sei, bekanntlich niemandem unterstellt sei außer dem römischen Bischof47. Für unsere Untersuchung folgt daraus, dass im Anschluss an eine Erörterung der einzelnen Exemtionsmerkmale und ihrer historischen Entstehung in einem zweiten Kapitel auch an einigen konkreten Einzelfällen zu untersuchen ist, aus welchen Situationen heraus und in welchen Einzeletappen Auseinandersetzungen um die Exemtion eines Klosters geführt wurden und welche politischen und kirchenpolitischen Motive der päpstlichen Exemtionspraxis dabei zugeschrieben werden können48. Dabei ist natürlich auch darauf zu achten, inwiefern die Exemtionsbestrebungen von der römischen Zentrale ausgingen oder ob diese lediglich mehr oder weniger vorsichtig auf die Unabhängigkeitswünsche der Abteien in der Peripherie reagierte. In einem dritten Kapitel soll schließlich die Frage der Exemtionsverleihung an die neuen Orden und ihre Aussagekraft für die Herausbildung des römischen Primats einer differenzierten Betrachtung unterzogen werden, deren Ergebnis für die genauere Beschreibung des Verhältnisses zwischen Zentrum und Peripherie nicht nur wegen des größeren Umfangs möglicherweise deutlicher ausfällt als bei der Privilegierung von Einzelklöstern, sondern auch weil hier auf bereits bestehende Verhältnisse wohl weniger Rücksicht genommen werden musste und deshalb die Phase des Experimentierens, die ja in der Frage

45 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) bes. S. 155–178: „Les marques caractéristiques de l’exemption dans les textes des privilèges ou des lettres de la chancellerie pontificale“. 46 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 150. 47 JL 12657 (1173) Juli 27; Papsturkunden in Frankreich, NF 5: Touraine, Anjou, Maine und Bretagne, ed. Johannes RAMACKERS Göttingen 1956 (AAG, phil.-hist. Kl., 3. Folge 35), S. 237–238, Nr. 142: … ut commodis et profectibus ecclesiae uestrae quae speciali privilegio libertatis munita nulli nisi Romano pontifici subesse dinoscitur, pastorali debeamus sollicitudine et cura intendere. Vgl. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 150; zur Formel nulli nisi Romano pontifici subesse o.ä. vgl. auch PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 82. 48 Vgl. dazu etwa WIEGAND: Kurie (wie Anm. 44).

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der Exemtion insgesamt besonders ausgeprägt ist, schneller in die Phase einer planmäßigen Umsetzung überging49.

2. Die Herausbildung von Exemtionsmerkmalen als Charakteristikum des 12. Jahrhunderts Eine genauere Betrachtung der Entwicklung, wie, zu welchem Zeitpunkt und in welchen Variationen sich die besonderen Merkmale für die Exemtion herausgebildet haben, ist nicht nur notwendig, um die nicht immer offen zu Tage tretenden Anhaltspunkte für die Exemtion eines Klosters im konkreten Einzelfall als solche besser einschätzen und auch die verbleibenden Unsicherheiten dabei aufzeigen zu können, sondern sie verspricht zugleich auch Aufschlüsse über die Art und Weise, wie aktiv und mit welchen zeitlichen und personalen Schwerpunkten das Papsttum in der Zeit zwischen der Kirchenreform in der Mitte des 11. Jahrhunderts und dem 4. Laterankonzil (1215) dieses Instrument weiterentwickelt und eingesetzt hat, wobei natürlich auch hier zu fragen ist, ob man sich dabei erkennbar von einer zielbewussten Strategie leiten ließ oder ob es sich dabei nur um ein eher zufälliges und schematisches Wiederholen von Formularbestandteilen handelt. Aufschlussreich für eine Beschreibung der päpstlichen Beziehungen zu den regionalen Kirchen ist zunächst die Frage, wie die Kurie selbst bei der Beschaffung verlässlicher Informationen über den Rechtsstatus von Kirchen und Klöstern vorging, die Anspruch auf die Exemtion von der Diözesangewalt ihres Bischofs erhoben und die Erwirkung eines entsprechenden päpstlichen Privilegs anstrebten. Verließ die päpstliche Kanzlei sich dabei einfach auf die Angaben der Impetranten, die gekommen waren, um sich ihre gewohnheitsrechtlich erworbenen Ansprüche durch ein päpstliches Privileg bestätigen zu lassen oder verfügte man auch über Mittel, diese Angaben zu überprüfen? Kommt in einer sorgfältigen Überprüfung der örtlichen Gewohnheiten der Respekt vor den Rechten der lokalen Diözesangewalt zum Ausdruck oder bemühte man sich vielleicht auch einfach nur darum, unnötige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden und dabei auch zu verhindern, dass die Kurie als höchste Instanz durch zweifelhafte Rechtsentscheidungen in ein schlechtes Licht gerückt wurde? Die Tatsache, dass noch Hadrian IV. (1154–1159) den Erzbischof von Tarragona als delegierten Richter im Fall der Abtei Sant Pere d’Ager dahingehend instruieren musste, dass der Abt die entsprechenden päpstlichen Privilegien, die ihm gewährt worden seien, dem Papst vorlegen müsse, um von diesem die 49 Vgl. dazu auch die programmatische Einleitung von Jochen JOHRENDT/Harald MÜLLER: Prozesse des Austausches, der Durchdringung und der Zentralisierung der lateinischen Kirche im Hochmittelalter, in: Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie. Das universale Papsttum als Bezugspunkt der Kirchen von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III., hg. v. DENS., Berlin/New York 2008 (Neue AAG 2), S. 1–16.

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Benediktion zu erhalten50, wertet Falkenstein als Indiz dafür, dass es eine Art Liber provincialis, d.h. ein nach Provinzen und Diözesen geordnetes Verzeichnis speziell für exemte Stifte und Klöster nicht gegeben habe, das man im Zweifelsfall hätte konsultieren können, um die Berechtigung eines solchen Anspruches zu verifizieren51, obwohl er die Existenz eines vergleichbaren Liber provincialis, der die exemten Kirchen und Abteien aufgezeichnet hätte, als Vorlage für die Kataloge des Liber Censuum durchaus für wahrscheinlich hält52. Eine solche Aufzeichnung sei schon allein deswegen unverzichtbar gewesen, weil die exemten Kirchen die procuratio canonica unmittelbar an den Papst oder einen Legaten a latere zahlten, wenn diese sich auf Reisen befanden. Außerdem seien nicht alle Mitglieder der Kurie imstande gewesen, zwischen exemten und nicht-exemten Kirchen oder zwischen solchen, die dem Apostolischen Stuhl zinspflichtig waren und solchen, die es nicht waren, zu unterscheiden, wie schon allein die Anfrage des Albertus de Summa zeige53. Auf jeden Fall ließ die Kurie Vorsicht walten: Um zu verhindern, dass ein unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erfolgter Erwerb eines päpstlichen Privilegs nicht nur die Rechte Dritter verletzte und zu unnötigen Rechtsstreitigkeiten und Prozessen führte, sondern auch die Seriosität und damit insgesamt den Wert päpstlicher Rechtsverleihungen in Verruf brachte, bestätigte die päpstliche Kanzlei Rechte und Besitzungen von Kirchen und Klöstern generell nur, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt waren und dann auch nur unter dem Vorbehalt si preces veritati nituntur, das heißt „wenn die Bitten der Wahrheit entsprechen“. Zur Kontrolle stützte sich die Kanzlei auf Suppliken, die den Klöstern durch die gerade in dieser Hinsicht eher unverdächtigen Diözesanbischöfe vor Ort ausgestellt worden waren oder auf Titel, deren Echtheit durch besiegelte Urkunden oder andere zertifizierte Dokumente nachgewiesen wurde54. Da im konkreten Fall eines Exemtionsbegehrens die Mithilfe des Diözesanbischofs wohl eher selten für die Ausstellung der Supplik zu gewinnen war, 50 Vgl. Paul FREEDMAN: Jurisdictional Disputes Over Sant Pere d’Àger (Catalonia) in Light of New Papal Documents, Proceedings of the Ninth International Congress of Medieval Canon Law, Munich, 13–18 July 1992, hg. v. Peter LANDAU/Jörg MÜLLER, Città del Vaticano 1997, S. 723–755, hier S. 743, Nr. I (Benevent [1156] März 7): Qua electa, priuilegia et instrumenta ipsius monasterii diligenter inquiras, et si a Romanis pontificibus abbates eiusdem monasterii consueuerint benedici, personam ipsam nobis benedicendam predicti fratres studeant presentare. Priuilegia autem Romanorum pontificum si qua habuerit, qui benedicendus adueniet, secum afferat, ut ad cuius ius ecclesia ipsa pertineat, plenarie cognoscamus. 51 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 11 mit Anm. 29, S. 152f. 52 Vgl. dazu Ludwig FALKENSTEIN: Leistungsersuchen Alexanders III. aus dem ersten Jahrzehnt seines Pontifikats, in: ZKG 102 (1991) S. 46–75, S. 175–208, hier S. 54; DERS.: Papauté (wie Anm. 2) S. 70 und oben bei Anm. 23. 53 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 71; vgl. dort auch S. 117–118, zur procuratio canonica als „droit ‚annexe’“ des bischöflichen Visitationsrechts. 54 Ebd., S. 153f.

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behalf man sich häufig damit, an der Kurie Privilegien ausstellen zu lassen, die eine wörtliche Wiedergabe früherer Urkunden der päpstlichen Kanzlei für diese Institution darstellten oder auf Titeln beruhten, die schon vorher für authentisch erklärt worden waren, wie dies etwa für einige – jedoch nicht für alle – Privilegien zutrifft, die der Abtei Corbie oder dem Stift Saint-Martin in Tours ausgestellt wurden55. Wie Pfaff betont, werden vor allem auch die Petenten selbst Wert darauf gelegt haben, dass die Bestimmungen aus ihren alten Urkunden möglichst Wort für Wort und mit denselben Formulierungen in die neue Urkunde übernommen wurden, auch wenn diese oft unter ganz anderen Voraussetzungen entstanden waren56. Auch dies wiederum zeugt von großer Unsicherheit oder auch Vorsicht im Umgang mit der Exemtion. Seit der Distinktion Alexanders III. war die Sache vergleichsweise einfach, wenn es sich um Kirchen handelte, die der römischen Kirche einen Zins zahlten: Nur wenn man in der Urkunde die Formulierung fand, dass dieser Zins ad inditium percepte libertatis gezahlt werden soll, handelte es sich um eine Exemtion57. Darüber hinaus gab es aber auch eine ganze Reihe von Kirchen und Klöstern, die keine jährlichen Zinse zahlten und trotzdem eine exemte Stellung genossen. Interessant für unseren Zusammenhang ist die Beobachtung, dass es sich dabei im kapetingischen Frankreich vor allem um eine Gruppe von Abteien handelte, deren exemte Stellung gar nicht auf päpstliche Verleihung zurückging. Dies trifft zu auf bedeutende Königsabteien wie SaintMartin in Tours58, Sainte-Geneviève in Paris, Saint-Corneille in Compiègne und Saint-Aignan in Orléans, die nie dem Apostolischen Stuhl kommendiert oder unter apostolischen Schutz gestellt worden waren, der eine Zinszahlung nach sich ziehen konnte und den man zu einer exemten Stellung hätte erweitern können59. Hier handelt es sich vielmehr um Abteien, die sich dank einer Art erweiterter oder auch „verstärkter“ Immunität (Falkenstein spricht von einer immunité renforcée) und eines besonderen königlichen Schutzes faktisch in einem solchen Maße von der Gerichtsbarkeit des Diözesanbischofs emanzipiert hatten, dass ihre Stellung – wenn sie zusätzlich durch eine Bindung an den 55 Ebd., S. 155 und unten bei Anm. 150. Vgl. dazu auch die Dekretale Innozenz’ III., der (im Fall Gandersheim) betont, dass die Erneuerung einer Urkunde nicht gleichzeitig die Bekräftigung der darin verliehenen Rechte bedeuten müsse, sondern zunächst lediglich der Konservation diene; X 2.30.4 (Innozenz III. an den Dekan von Paderborn): Innovatio privilegii novem ius non tribuit, nec antiquum confirmat; sed si quod competebat, conservat. Brevius sic potest summari: Innovatio privilegii non inducit confirmationem iuris in eo contenti. Vgl. unten Anm. 147. 56 PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 80. 57 Dazu ausführlicher FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 147 u. oben bei Anm. 10– 11. 58 Vgl. oben bei Anm. 47 (JL 12657). 59 Vgl. dazu auch FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 71–74, der vor der Annahme einer unausweichlichen Entwicklung vom päpstlichen Schutz zur Exemtion ausdrücklich warnt und seine Vorbehalte auch mit Beispielen belegt.

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Apostolischen Stuhl erweitert wurde – einer Exemtion gleichkam60. Das königliche Stift Saint-Martin in Tours, dessen Abt der König war, hat seit dem Pontifikat Innocenz’ II. in seinen feierlichen Privilegien immer die gleiche Arenga erhalten, in der die besondere Beziehung dieser Kirche zum Apostolischen Stuhl zum Ausdruck gebracht wurde61. Bevor wir uns der Ausbildung der Exemtionsmerkmale in den päpstlichen Privilegien zuwenden, ist zunächst noch einmal grundsätzlich auf zweierlei hinzuweisen: Die Exemtion eines Klosters bezieht sich zum einen immer auf die Gerichtsbarkeit des Diözesanbischofs und nicht auf seine Weihegewalt62, zum andern betrifft die Exemtion das kirchliche Gewohnheitsrecht. Die Privilegien des 12. Jahrhunderts beschreiben oder bestätigen also häufig einen bereits erreichten Rechtszustand, der manchmal durch zusätzliche Vergünstigungen noch erweitert wird und der vor allem im Hinblick auf das Weiherecht sehr unterschiedliche Ausprägungen aufweist. Wenn Alexander III. in einem Privileg für den Dekan und die Kanoniker des Stifts St-Aignan in Orléans ausdrücklich anordnet, dass die Weihegewalt des Bischofs von Orléans grundsätzlich zu respektieren sei, so lange dieser katholisch (rechtgläubig) sei und er sich keinerlei Verstöße (irregularitas) und materielle Übergriffe (exactio) zuschulden kommen lasse63, gleichzeitig jedoch betont, dass von dieser Verfügung zum Weiherecht des Bischofs völlig unberührt bleiben soll (ita tamen), dass weder der Diözesanbischof noch irgendein anderer darüber hinaus irgendein Recht gegen sie oder gegen ihre Kirche beanspruchen dürften64, so kann man davon ausgehen, dass dieses Stift exemt ist. Ist jedoch die Rede davon, dass der Bischof seine Gerichtsbarkeit und speziell seine strafrechtlichen Befugnisse „nicht ohne manifesten und vernünftigen Grund“ gegen ein Kloster ausüben dürfe, kann daraus keinesfalls auf die Exemtion des betreffenden Klosters geschlossen werden, eine solche Formulie60 Vgl. dazu SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 40f.; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 148f. Falkenstein erklärt die Ansicht von Schreiber, dass die Formel ad ius et proprietatem sancte Romane ecclesie specialius sich nur auf Anstalten beziehe, die irgendwann dem Heiliger Stuhl kommendiert wurden, dass also „diese Bezeichnung durchtränkt vom Eigentumsgedanken und das Prädikat der päpstlichen Eigenklöster“ gewesen sei, für unhaltbar, da alle königlichen Stiftskirchen und ebenso Abteien wie Corbie nie auf Grund einer besonderen Empfehlung der römischen Kirche kommendiert worden seien und trotzdem ad ius et proprietatem sancte Romane ecclesie specialius gehört hätten. 61 Vgl. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 158f. mit Anm. 32 und 33. Vgl. die entsprechende Formel aus dem Privileg Innozenz’ II. für Saint-Martin in Tours; JL 7492 vom 28. Okt. 1131. Siehe dazu auch unten Anm. 71. 62 Vgl. dazu FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 79–91, bes. S. 80. 63 Falls doch, sollen sie sich an einen katholischen Bischof ihrer freien Wahl wenden. 64 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 151. Vgl. JL −, (1162) Juni 21; Papsturkunden in Frankreich, NF 6: Orléanais ed. Johannes RAMACKERS, Göttingen 1958 (AAG, phil.-hist. Kl., 3. Folge 41), S. 164, Nr. 93: … ita tamen ut nec diocesanus episcopus nec quilibet alius in uos uel in ecclesiam uestram ius aliquod preter hoc sibi debeat uendicare.

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rung bestätigt sogar im Gegenteil, dass es der ordentlichen Gerichtsbarkeit des Diözesans unterstellt ist, dem lediglich unangemessene Kompetenzüberschreitungen untersagt werden65. Argumentationsgrundlage für den Nachweis einer Exemtion sind natürlich auch die oben schon angesprochenen charakteristischen Formulierungen, die im Text der päpstlichen Privilegien und litterae selbst auf eine Exemtion hindeuten66. Dabei handelt es sich jedoch keinesfalls um ein in umfassender Weise und ohne Ausnahmen befolgtes Formular; vielmehr wurden, wie Falkenstein an zahlreichen Beispielen gezeigt hat, seine Bestandteile in jeweils unterschiedlicher Weise zusammengesetzt. Deshalb sind die meisten dieser Formulierungen selbst in scheinbar eindeutigen Fällen immer nur mit Vorsicht zu bewerten67. Zudem kann hier auch eine zeitliche Entwicklung festgestellt werden: Die päpstliche Kanzlei hat sich bereits in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunders der ein oder anderen dieser Formulierungen bedient, ohne sie jedoch schon in einem streng juristischen Sinne anzuwenden. Selbst unter Innocenz II. (1130– 1143) und Alexander III. (1159–1181) kann man noch nicht von der Existenz eines festen Systems sprechen, wohl aber davon, dass zunehmend bestimmte Elemente zur Anwendung kamen, die später zur Etablierung eines solchen rechtlich relevanten Systems beitragen konnten68. Aus dieser Beobachtung ist jedoch auch die wichtige Schlussfolgerung zu ziehen, dass für die Texte, die aus der Zeit vor dem Pontifikat Alexanders III. stammen, immer mehrere solcher Elemente in einem Privileg angetroffen werden müssen, damit man überhaupt mit Sicherheit von einer exemten Kirche sprechen kann69. Ein zentrales Element ist die Erwähnung einer besonderen Beziehung (specialiter, specialius) einer Kirche oder Abtei zur römischen Kirche in der Arenga oder der promulgatio eines Privilegs70. Bereits seit dem Pontifikat Paschalis’ II. (1099–1118) weisen die feierlichen Privilegien für Kirchen, die über bestimmte Rechtsbeziehungen zur römischen Kirche verfügen, eine solche Kennzeichnung in der Arenga auf. Wenn es sich um exemte Kirchen handelte, wurde diese signifikante Arenga, obwohl sie ein für den Rechtsinhalt des Privilegs gar 65 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 117; vgl. dazu auch PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 81f. 66 Vgl. dazu die Aufzählung bei FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 155f. 67 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 156. 68 Ebd., S. 156. Vgl. auch PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 84: „Ein einheitliches System in der Privilegierung für Exemte wurde bis Ende des 12. Jahrhunderts offenbar nicht erreicht.“ 69 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 156; vgl. PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 84, dessen Formulierung: „Erst die Vielfalt der allmählich sich ansammelnden Rechte ergab eine Exemtion größeren Rechts (!)“ jedoch nicht unbedingt zur Klärung beiträgt. 70 PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 82f.; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 156–160.

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nicht so aussagekräftiger Teil des Urkundentextes war, häufig wiederholt, wie im Fall von St-Martin in Tours seit dem Pontifikat Innocenz’ II.71, manchmal auch erweitert, wie im Fall von Corbie (JL 6111)72 oder Saint-Gervais-les-Fos (Arles)73 und in anderen Fällen auch verkürzt, wie zum Beispiel im Fall der Abtei Psalmodi (Diözese Nîmes)74. Falkenstein hat durch einen Vergleich dieser Texte gezeigt, dass man in der Version für Psalmodi zwar eine Anspielung auf die Verbindung der Abtei zum römischen Stuhl findet, jedoch von einem „besonderen Recht“ dort keine Rede ist, außer in der Textpassage, die das Verbot enthält, öffentliche Messen im Kloster abzuhalten – Vorbild war der berühmte Brief Gregors I. an den Bischof Castorius von Rimini (JE 1362)75 –, ein Verbot, das jedoch niemals ein

71 Ebd., S. 158f., mit Verweis auf JL 7492 (MIGNE PL 179, Sp. 106D, Nr. 57): … que sancte Romane ecclesie noscuntur s p e c i a l i u s a d h er e r e , und noch deutlicher in der publicatio: que utique ad ius et proprietatem sancte Romane ecclesie s p e c i a l i u s n o s c i t u r p er t i n e r e , protectione sedis apostolice duximus muniendum et presentis scripti patrocinio roborandum. Vgl. auch MACCARRONE: Primato romano (wie Anm. 19) S. 65. 72 JL 6111; Papsturkunden in Frankreich, NF 4: Picardie ed. Johannes RAMACKERS, Göttingen 1942 (AAG, phil.-hist. Kl., 3. Folge 27), S. 65–66, Nr. 5 (1105 April 9): Apostolice sedis auctoritate debitoque compellimur pro uniuersarum ecclesiarum statu satagere et earum maxime q u e e i d e m s e d i s p e c i a l i u s a d h e r e n t a c t a m q u a m i u r e p r o p r i o s u b i e c t e s u n t , quieti auxiliante Domino providere. 73 JL 6267, Papsturkunden in Frankreich 4: Provence mit Venaissain, Uzegois, Alais, Nemosez und Nizza ed. Wilhelm WIEDERHOLD, Berlin 1907 (NGG, phil.-hist. Kl. 1907, Beih.) S. 65–67, Nr. 9 bzw. DERS.: Papsturkunden in Frankreich. Reiseberichte zur Gallia Pontificia, 2 Bde. (Acta Romanorum Pontificum 7–8), Città del Vaticano 1985, hier 1, S. 311–313, Nr. 9, hier S. 312: Apostolicę sedis auctoritate debitoque compellimur pro uniuersarum ęcclesiarum statu satagere et earum maxime q u e e i d e m s p e c i a l i u s a d h e r e n t a c t a m q u a m i u r e pr o p r i o s u b i e c t e s u n t , quieti auxiliante Domino prouidere. 74 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 157, dort auch die entsprechenden Texte. Für Psalmodi (mit leicht abgewandelter Formulierung): Paschalis II., JL -, 1115 April 1; WIEDERHOLD: Papsturkunden in Frankreich 4 (wie Anm. 73) S. 67–70, Nr. 10 (auch in: DERS.: Reiseberichte 1 [wie Anm. 73] S. 313–316, Nr. 10), hier S. 68: Apostolicę sedis authoritate debitoque compellimur pro uniuersarum ecclesiarum statu satagere et earum maxime quieti, q u e s p e c i a l i u s ei d e m s e d i a d he r e n t , auxiliante Domino prouidere. Vgl. auch Honorius II., JL 7199, 1124 April 6, ed. WIEDERHOLD: Papsturkunden in Frankreich 4 (wie Anm. 73) S. 78–81, Nr. 16 bzw. DERS.: Reiseberichte 1 (wie Anm. 73) S. 324–327, Nr. 16, hier S. 326, wo diese Formeln fehlen! Vgl. dazu auch FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 41f., S. 42 mit Anm. 49, der dort mit Bezug auf Psalmodi von „Exemtions“-Privilegien in Anführungszeichen spricht. 75 Reg. Greg. I., V/49; in: Gregorii I papae Registrum epistolarum Libri I–VII, ed. Paul EWALD/Ludo M. HARTMANN, Berlin 1887–1891 (MGH Epp. 1) (ND München 1978) S. 349; S. Gregorii Magni Opera. Registrum Epistularum Libri 1–7, ed. Dag NORBERG, Turnholti 1982 (CCL 140), S. 342f. (595 Juni 6). Vgl. SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 192; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 42 Anm. 48, S. 161– 163; KÉRY: Fulda (wie Anm. 6) S. 87 Anm. 41.

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ausschlaggebendes Indiz für die Exemtion war76. Sowohl im 11. als auch im 12. Jahrhundert findet man diese Formulierung nicht allein in Privilegien für exemte Kirchen77, sondern auch für nicht-exemte, wie zum Beispiel im Privileg Viktors II. für die Abtei St-Bertin vom 13. Mai 1057, in dem der Papst die Abhaltung von stationes publice in dieser Abtei untersagte78 und damit nicht nur den Besuch des Klosters während einer Prozession als liturgische statio, sondern auch die Inanspruchnahme des Beherbergungsrechts durch den Bischof im Rahmen der procuratio canonica79. Hier handelt es sich also nicht nur um eine der auch anderweitig zu beobachtenden „Inkonsequenzen“ der päpstlichen Kanzlei, sondern um eine Maßnahme, die in keinem Zusammenhang mit der Jurisdiktionsgewalt des Bischofs steht. Sie sollte vielmehr einem eventuellen Machtmissbrauch vorbeugen, hat also mit der Exemtion eines Klosters im engeren Sinne nichts zu tun, auch wenn diese Formel selbst im 11. und 12. Jahrhundert noch in einigen Privilegien für exemte Klöster anzutreffen ist80. Mit der Wendung nullo mediante wurde dann – allem Anschein nach in der Kanzlei Alexanders III. – endlich ein sicherer Hinweis zur Identifikation einer exemten Kirche eingeführt, der zum Ausdruck brachte, dass die betreffende Kirche nicht irgendeiner Gerichtsbarkeit, sondern unmittelbar derjenigen des römischen Stuhls unterstellt war81. Hinweise im Text des Privilegs, dass eine Kirche oder ein Kloster sich im Recht und Eigentum der römischen Kirche befinde, sind dagegen bis zum Pontifikat Innocenz’ II. (1130–1143) kein sicheres Zeichen für eine Exemtion82. Sie können ebenso die Verbindung einer Kirche zum Apostolischen Stuhl im Rahmen einer Schutzgewährung ansprechen. Offenbar hat die päpstliche Kanzlei zunächst häufig die eine oder andere Formulierung benutzt, ohne damit die konkrete Absicht zu verfolgen, einen 76 SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 191–193; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 158, mit Verweis auf S. 162, Anm. 30. 77 SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 192, mit dem Beispiel des Erzbischofs Alfano von Capua, der sich „zum Zeichen seiner bischöflichen Superiorität auf sein Recht beruft, im Kloster Santa Maria di Capua öffentliche Messen celebrieren zu dürfen“; JL 11896; Acta Pontificum Romanorum inedita, ed. Julius von PFLUGK-HARTTUNG, 3 Bde., Tübingen 1881–1886, hier Bd. 3, S. 228; vgl. auch FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 161–163. 78 JL 4367 (MIGNE PL 143, Sp. 829D–831C, Nr. 17, hier Sp. 830C): Stationes autem illic publicas per episcopum fieri omnino prohibemus, ne in servorum Dei recessibus, popularibus occasio praebeatur ulla conventibus, ac simpliciores ex hoc animas plerumque, quod absit! in scandalum trahat. Weitere Beispiele bei SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 192f. 79 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 162. 80 SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 193: „…wir beobachten auch hier, wie eine ursprünglich mit einem anderen Sinn erfüllte Bestimmung sich auswächst zu einem Kennzeichen der Exemtion“. Das Zitat auch bei FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 161f. 81 Ebd., S. 160f. Vgl. auch vorher schon PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 83, mit italienischen Beispielen und statistischen Angaben. 82 Siehe dazu auch oben bei Anm. 60 u. 61.

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bestimmten juristischen Sachverhalt festzuhalten, wie zum Beispiel das Privileg Paschalis’ II. für Psalmodi zeigt83. Seit dem Pontifikat Alexanders III. reicht die Erwähnung einer besonderen Beziehung (specialiter, specialius) einer Abtei oder eines Stifts in einem Privileg oder einer littera der päpstlichen Kanzlei prinzipiell aus, um auf die Exemtion dieser Institution hinzuweisen. Trotzdem wird sie gleichzeitig durch eine zusätzliche und präzisere Wendung – meistens mit der Formulierung nullo mediante – angesprochen, die ausdrücklich unterstreicht, dass die betreffende Kirche allein und unmittelbar der Gerichtsbarkeit des römischen Stuhls untersteht. Diese in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts aufkommende Wendung findet sich nicht nur in den Privilegien und litterae cum serico, sondern auch in den einfacheren Justizbriefen (litterae de iustitia), den Mandaten, deren Siegel mit einem Hanffaden befestigt waren (litterae cum filo canapis)84. Die zentrale Bedeutung dieser beiden Formeln belegt nicht zuletzt eine Dekretale Innocenz’ III. an Abt und Konvent der Abtei San Pietro in Gubbio (X 5.33.12 – POTTHAST 720), in der es darum geht, dass der Inhalt eines verlorenen Privilegs durch Aussagen von Zeugen, die dieses Privileg gelesen haben, ersetzt werden kann. In dieser Dekretale macht Innocenz III. deutlich, die Formel nullo mediante stehe in erster Linie dafür, dass die Abtei an der Freiheit der römischen Kirche teilhabe und es keinem Bischof erlaubt sei, über sie und ihre Kirchen die Exkommunikation zu verhängen. In diesem Sinne habe offenbar auch schon sein Vorgänger Coelestin III. den Inhalt der ihm vorgelegten Privilegien zur Kenntnis genommen und gezeigt, dass er die Exkommunikation des Abtes durch den Bischof von Gubbio für ungültig hielt, indem er den Kuss des Abtes entgegennahm, was er – wie Innocenz III. betont – nicht getan hätte, wenn er nicht erkannt hätte, dass die Abtei San Pietro in Gubbio in besonderer Weise zur römischen Kirche gehörte – nisi monasterium vestrum cognovisset ad Romanam ecclesiam specialiter pertinere 85. 83 Siehe oben Anm. 74; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 160. 84 Vgl. SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 68f.; zentral ist hier das Schreiben Alexanders III. an Bischof Andreas von Arras bezüglich der Abtei St-Vaast; JL 11683 (1168– 1170) Jan. 20; Cartulaire de l’abbaye de Saint-Vaast d’Arras rédigé au XIIe siècle par Guimann et publié pour la première fois, au nom de l’Académie d’Arras par M. le chanoine VAN DRIVAL, Arras 1875, S. 90f.; vgl. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 160 Anm. 34. Nach der Beobachtung von Pfaff wurden die Formulierungen specialiter iuris oder ad ius und nullo mediante seit Alexander III. austauschbar. Vgl. PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 83f. 85 X 5.33.12 (POTTHAST 720), FRIEDBERG 2 (wie Anm. 11) Sp. 854: Nos vero, tam per depositiones testium quam per assertiones quorundam fratrum nostrorum liquido cognoscentes, talem dicti privilegii fuisse tenorem, quod videlicet c o e n o b i u m v es t r u m n u l l o m e d i a n t e a d R o m a n a m e c c l e s i a m p e r t i n er e t , et quod non liceret alicui episcopo eidem monasterio et eius ecclesiis excommunicationem indicere, ut fratres, illic Domino servientes, ab omnium potestate liberi, Romanae ecclesiae libertatis gratia potirentur, et quod nulla in eis mentio dioecesani episcopi habebatur, illud etiam attendentes, quod […] cum tu, fili abbas, tempore Coelestini praedecessoris nostri ad ipsius praesentiam accessisses, ipse inspectis ecclesiae tuae privilegiis, te, licet

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Auch das Zugeständnis eines unmittelbaren Appellationsrechts an den Apostolischen Stuhl, das in Urkunden des 11. und 12. Jahrhunderts noch häufig verbrieft wird86, wird gerne als Kennzeichen für die Exemtion einer Kirche oder eines Klosters angesehen87, obwohl auch eine Reihe von Beispielen für nicht-exemte Kirchen angeführt werden kann, in deren Privilegien dieses Recht Erwähnung findet88. Dies zeigt, dass es sich hierbei nicht um ein spezielles Vorrecht für exemte Kirchen handelt, sondern um einen Hinweis auf die generelle Möglichkeit der Appellation an den Apostolischen Stuhl89. Bereits in den 20er und 30er Jahren des 12. Jahrhunderts findet man jedoch eine solche Passage nur noch äußerst selten in päpstlichen Privilegien, denn inzwischen hatte sich die Situation auf diesem Feld grundlegend geändert: Zumindest in Frankreich war die Möglichkeit der Appellation an den Papst nun schon für alle Kirchen gegeben, spätestens seit dem Pontifikat Innocenz’ II. benötigte man keine päpstlichen Privilegien mehr, um an den Papst zu appellieren; im England Heinrichs II. (1154–1189) sah dies bekanntlich noch fast 50 Jahre später ganz anders aus90. Im Laufe des 12. Jahrhunderts gelang es den Äbten einiger Klöster, sich das Recht zur Verhängung von Exkommunikationssentenzen über diejenigen, die sich an ihren Gütern vergriffen, verbriefen zu lassen91. In einigen Fällen, jedoch insgesamt eher selten, wird erwähnt, dass dies als eine Maßnahme zu betrachten sei, um die laxe Amtsauffassung oder eine Rechtsverweigerung

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excommunicatus ab Eugubino episcopo dicereris, tanquam non ligatum admisit ad osculum, quod praesumitur non fecisse, n i s i m o n a s t e r i u m v e s t r u m c o g n o v i s s et a d R o m a n a m e c c l e s i a m s p ec i a l i t e r p e r t i n e r e , decernimus, privilegium illud Lucii Papae quod sine reprehensione bullae, chartae vel litterae apparebat, quando fuit nobis ostensum, illius fuisse tenoris, cuius per depositiones testium et assertiones fratrum nostrorum noscitur exstitisse. Vgl. Register Innocenz’ III., 2: 2. Pontifikatsjahr, 1199/1200, bearb. v. Othmar HAGENEDER/Werner MALECZEK/Alfred A. STRNAD, Rom/Wien 1979 (Publikationen des Österreichischen Kulturinstituts in Rom 2/2), S. 139–142, II/76. Pfaff zieht dagegen aus der Formulierung dieses Textes die Schlussfolgerung, dass die Formel nullo mediante das „alte Verbot des bischöflichen Strafrechts“ nicht eingeschlossen habe; vgl. PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 83 mit Anm. 6; vgl. dort auch S. 106, Nr. 115. Vgl. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 163–165, mit zahlreichen Beispielen v.a. aus dem 11. Jh.. Vgl. etwa SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 204f. SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 204 Anm. 6. Weitere Beispiele bei FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 165. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 165. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 166; vgl. dort auch S. 163 Anm. 42, den Hinweis, dass Alexander III. nach dem Mord an Thomas Becket (29. Dez. 1170) und vor dem Kompromiss von Avranches (1172) den Mönchen der Kathedrale von Saint Swithun’s in Winchester das Recht erteilt habe, ad sedem Romanam siue ad audientiam Cantuariensis archiepiscopi appellare, wenn ihr Bischof oder Prior Besitzungen ohne ihr Einverständnis entfremdet habe. Ebd., S. 166f.

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durch den Bischof auszugleichen92. Auch dieses Zugeständnis kann deshalb wohl nicht als fester Bestandteil der exklusiven Prärogativen exemter Kirchen betrachtet werden93. Paschalis II. bestätigte es dem Propst und den Kanonikern des Stifts St-Donatien in Brügge sogar, nachdem es ihnen der Diözesanbischof zuvor schon verliehen hatte94. Während die Gerichtsbarkeit des Bischofs in jedem Fall gegenüber einer exemten Kirche oder Abtei „kategorisch und definitiv“ außer Kraft gesetzt war95 – die zuständige Instanz für exemte Kirchen und Abteien war der apostolische Stuhl –, so trifft dies, wie schon angedeutet, für die Weihegewalt nicht immer zu, die auch bei exemten Kirchen nicht in jedem Fall vollständig oder auch nur teilweise aufgehoben war. Unter den exemten Kirchen und Abteien sind sogar einige anzutreffen, die das heilige Chrisam und die Öle, aber auch die Konsekrationen und Benediktionen ebenso wie die Weihen ihrer Kleriker vom Diözesanbischof als dem regulären Inhaber der potestas ordinis entgegennahmen96. Häufig wird auch als entscheidendes Kriterium für eine Exemtion angeführt, dass exemte Klöster den Bischof für die Ausübung der Weihegewalt frei wählen konnten. Eine umfassende Regelung dazu erscheint in den päpstlichen Schreiben nur selten; gerade in Bezug auf die Ausübung der potestas ordinis findet man zahlreiche Varianten, hier herrscht „un véritable pluralisme“, dessen Erscheinungsformen sich meist gewohnheitsrechtlich herausgebildet hatten97. Besonders umfassende Zugeständnisse an exemte Abteien in Bezug auf das Weiherecht finden sich interessanterweise bei zwei fast gleichzeitig (17. u. 13. Dez. 1150) ausgestellten Privilegien Eugens III. für zwei ehemalige exemte Kollegiatstifte – Sainte-Geneviève in Paris (JL 9426) und Saint-Corneille in Compiègne (JL 9422) –, die soeben erst in ein Regularkanonikerstift bzw. eine Benediktinerabtei umgewandelt worden waren – selbstverständlich ohne dadurch ihren exemten Rechtsstatus aufzugeben oder zu verlieren. Leider erfährt man jedoch nicht, ob der Papst mit dieser Verfügung von sich aus die Unabhängigkeit der beiden neuen Abteien stärken wollte, die aus königlichen 92 Zum Beispiel für St-Médard in Soissons (JL –, 1139 März 17); vgl. dazu FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 166 Anm. 50. 93 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 167. 94 JL –, 1103 März 30; Papsturkunden in den Niederlanden (Belgien, Luxemburg, Holland und Französisch-Flandern), ed. Johannes RAMACKERS, Berlin 1933–1934 (AAG, phil.-hist. Kl., 3. Folge 8–9), S. 89–91, Nr. 4: Consortium etiam potestatis ab eodem episcopo contributum presentis pagine fauore firmamus, ut rerum uestrarum inuasores atque raptores canonice monitos, nisi satisfecerint, excommunicationi subiciatis, quos ex nomine designatos ante satisfactionem comprouincialium nemo suscipiat. Vgl. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 167 mit Anm. 52 und 53. 95 SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 194–203. Vgl. dazu auch FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 110–121. 96 Ebd., S. 169. 97 Ebd., S. 169.

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Kollegiatstiften hervorgegangen waren, oder ob Eugen III. die bereits von den Vorgängerinstitutionen gewohnheitsrechtlich erworbenen Vorrechte lediglich noch einmal konfirmierte98. Damit ist zugleich eine der zentralen Fragen für das Verhältnis des Papsttums zum Rechtsinstitut der Exemtion angesprochen: Ergriffen die Päpste bei der Verleihung der Exemtionsprivilegien von sich aus die Initiative, folgten sie dabei vielleicht sogar einem „Masterplan“ zur Ausdehnung des apostolischen Primats, wie es Pfaff mit seiner Rede vom „Endziel“ angesprochen hat99, oder beschränkten sie sich prinzipiell darauf, die Vorrechte zu bestätigen, die bestimmte Klöster sich schon selbst gewohnheitsrechtlich erkämpft hatten? Offenbar ist zur Beantwortung dieser Frage zwischen zwei unterschiedlichen Phasen innerhalb unseres Untersuchungszeitraumes zu unterscheiden: Während man für die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts und besonders für Urban II. (1088–1099) festgestellt hat, dass er die Exemtion deutlich weiterentwickelt habe und als politisches Instrument zur Intensivierung der Beziehungen zu den Regionen zielstrebig eingesetzt habe100 – was jedoch im Einzelnen noch genauer zu untersuchen wäre –, ist eine solche Haltung im 12. Jahrhundert undenkbar. Inzwischen führte jeder Versuch, einer Abtei die Exemtion zu verleihen, unweigerlich zu einer genauen Untersuchung des Gewohnheitsrechts dieser Kirche oder aber sie setzte die Neugründung dieser Kirche voraus101. Auch bei der Einschränkung der bischöflichen Weihegewalt gingen Gregor VII. (1073–1085) und Urban II. (1088–1099) besonders weit, indem sie prinzipiell – und damit auch nicht-exemten – Abteien das Recht zugestanden, einen Bischof zur Ausübung der Weihegewalt frei zu wählen, um jede Art von Simonie zu verhindern, verlangten doch die Bischöfe häufig Gebühren für die Aushändigung von Chrisam und Öl102. Hier findet sich nach Ansicht von Fal98 Ebd., S. 170 mit den entsprechenden Nachweisen. 99 Siehe dazu oben bei Anm. 5. 100 Jean-François LEMARIGNIER: Les institutions ecclésiastiques en France de la fin du Xe au milieu du XIIe siècle, in: Histoire des institutions françaises au Moyen Age, hg. v. Ferdinand LOT/Robert FAWTIER, Bd. 3: Institutions ecclésiastiques, Paris 1962, S. 1– 139, hier S. 115f.; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 85f. mit Anm. 40, mit weiteren Hinweisen zur Haltung Gregors VII. und Urbans II. zum Gewohnheitsrecht; vgl. dort auch S. 105: „Il en ressort que, dès le XIe siècle, l’exemption a été accordée sur la base du droit coutumier ecclésiastique. Il faut souligner le fait, même si l’on a l’impression qu’à la fin du XIe siècle et en particulier sous le pontificat d’Urbain II, on a suivi une ‚politique’ débordant les limites de la coutume, qui a favorisé pour les monastères la pratique de l’exemption.“ 101 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 86, S. 88: „Seule une église affranchie depuis longtemps de la juridiction de l’évêque, ou une église récemment construite, pouvait au XIIe siècle obtenir l’exemption.“ Vgl. dazu auch die dort erläuterten Beispiele. 102 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 169; vgl. dort auch die Beispiele S. 75–76 mit Anm. 22–24 (Gregor VII. und mit der gleichen Argumentation auch noch Alexander III.).

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kenstein letztlich auch die Ursache für die Einschränkungen der bischöflichen Weihegewalt, wie sie auch in den Privilegien für exemte Klöster zum Ausdruck gebracht wird: Sie ist kein unabdingbarer Bestandteil der Exemtion, sondern soll in erster Linie die Möglichkeit eröffnen, einen simonistischen Bischof zu umgehen. Am deutlichsten erschließt sich dieses Motiv im Umkehrschluss, wenn die Päpste den Anspruch exemter Klöster auf die Einschränkung der Weihegewalt ihres Diözesans mit Hinweis auf dessen moralische Integrität zurückweisen, wie Paschalis II. im Fall des Bischofs Galo von Paris gegenüber der Abtei St-Denis103 und Calixt II. in dem Privileg für die Regularkanonikerabtei Cheminon104, wo diese Zurückweisung offensichtlich ein Zugeständnis an den Bischof Wilhelm (von Champaux) von Châlons-enChampagne darstellte, der Einwände gegen die Feststellung der Exemtion der Abtei erhoben hatte, die unter seinem Vorgänger in einer Urkunde des päpstlichen Legaten Richard von Albano erfolgt war105. Aus der entgegengesetzten Perspektive, vom Standpunkt einer exemten Abtei aus betrachtet, war das Vorrecht, den Bischof für die Erteilung der Weihen frei zu wählen106, jedoch von zentraler Bedeutung, und zwar sowohl für 103 Vgl. dazu Rolf GROSSE: Frühe Papsturkunden und Exemtion des Klosters Saint-Denis (7.–12. Jh.), in: Hundert Jahre Papsturkundenforschung. Bilanz – Methoden – Perspektiven. Akten eines Kolloquiums zum hundertjährigen Bestehen der Regesta Pontificum Romanorum vom 9.–11. Oktober 1996 in Göttingen, Göttingen 2003 (AAG, phil.-hist. Kl., 3. Folge 261), S. 167–188, hier S. 187f., der die Exemtion der Abtei Saint-Denis erstmals in dem Schreiben Alexanders II. von 1072 angesprochen sieht, mit dem der Papst die Wahl Abt Ivos I. bestätigte und damit die Zustimmungsbefugnis des Diözesanbischofs unterband. Ediert ist dieses Schreiben jetzt in dem Beitrag von Detlev JASPER: Ein Brief Alexanders II. an Abt Ivo I. von Saint-Denis, in: Grundlagen des Rechts. Festschrift für Peter Landau zum 65. Geburtstag, hg. v. Richard H. HELMHOLZ u. a., Paderborn u. a. 2000, S. 131–139, hier S. 138: Accipe igitur, fili Ivo, curam animarum fratrum monasterii sancti Dionisii martyris in nomine Domini nostri Iesu Christi et prepara te ad rationem reddendam ut sic interim triticum cum servis tuis eroges sicque temporalia atque spiritualia dispenses in domo domini Dei tui ut eius postmodum audire vocem merearis. Paschalis II. untersagte dem Abt von St-Denis auf die Klage des Bischofs Galo von Paris hin, andere Bischöfe um das Chrisam zu bitten und in die Abtei einzuladen, um Mönche und Kleriker zu weihen – Vorgehensweisen, die Falkenstein als „manifeste Indizien“ dafür betrachtet, dass der Abt entweder eine eigenständige Jurisdiktion oder aber eine Exemtion der Abtei erreichen wollte, zumal der Abt auch über Laien Bußen wegen Verbrechen verhängt hatte. Vgl. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 171 mit Anm. 63. 104 Vgl. dazu FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 170f.; zu Cheminon Ludwig FALKENSTEIN: Zu den Anfängen der Regularkanonikerkommunität in Cheminon (Marne), in: Revue Mabillon, Nouvelle Série 12 (2001) S. 5–43. 105 FALKENSTEIN: Cheminon (wie Anm. 104) S. 38–40. 106 Vgl. PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 87, der hier von „Ausnahmebestimmungen“ spricht, „die aus der Zeit des Investiturstreits und der päpstlichen Doppelwahlen begreiflich waren“: „Die Überschreitung der Diözesangrenzen durch den Konsekrator und den Konsekranten war mit Genehmigung des Papstes, also in engen

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diese als auch für den Papst, der diesen Rechtsstatus garantieren wollte, denn es half zu vermeiden, dass der Diözesanbischof vom Abt einer exemten Abtei anlässlich von dessen Benediktion einen Gehorsamseid forderte, um die Abtei auf diesem Umweg erneut seiner Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. Aus diesem Grund wurde dieses Vorrecht in Exemtionsprivilegien häufig mitverliehen, kann jedoch, da es sich allein auf das Weiherecht bezieht, nur unter bestimmten Voraussetzungen und – wie die anderen weiherechtlichen Privilegien – erst ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts als Kennzeichen für eine Exemtion gelten107. Grenzen, möglich.“ Die exakte Trennung der Diözesen sei noch nicht vollzogen gewesen und viele Klöster hätten „auch außerhalb der Diözese, in denen sie lagen, Ableger und Besitz“ gehabt, „so daß schon dadurch ein die Grenzen der Diözesen überschreitendes Weiherecht verständlich wurde“. Trotzdem sieht er in der Bestimmung über die Wahl eines beliebigen Bischofs für die Weihe des Abtes und auch für die Spiritualien „durchaus eine gewisse Verselbständigung des Klosters gegenüber dem Diözesanbischof“ und damit „eine gewisse Form exemtioneller Lage“, die offenbar sehr selten gewesen sei. 107 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 175, S. 168, mit der Zurückweisung der Ansicht von Jean Hubert, der die freie Wahl des Bischofs für die Benediktion des Abtes zu den „privilèges essentiels“ zählt, die eine Exemtion ausmachten; vgl. Jean HUBERT: L’abbaye exempte de Déols et la papauté (Xe–XIIe siècles), in: BEC 145 (1987) S. 5– 44, hier S. 30. Zur Benediktion des Abtes als Kennzeichen der Exemtion vgl. auch PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 86–88, bes. S. 86: „Mitunter erhält man den Eindruck, daß in Rom die Weihe des Abts der Exemten nicht als so wichtig angesehen wurde. Denn in mehreren Fällen ließen es die Päpste offen, ob der Diözesanbischof oder ein beliebiger Bischof oder – erst wenn das aus irgendeinem Grund nicht möglich war – der Papst beansprucht werden sollte“. Dort auch der Hinweis, dass die Abtsweihe durch den Papst schon „seit Gregor VII. als Grund für seine Exemtion angesehen worden war“, der Papst „mitunter“ jedoch „auch eine [daraus entstehende] Verpflichtung zur Exemtion“ abgelehnt habe, wie im Fall der Abtei S. Maria de Bominaco (Diöz. Valva, in den Abruzzen). Vgl. ebd. S. 104, Nr. 89a.: „Bominaco, M. S. Mariae (D. Valva): Vergebliche Versuche des Klosters zur Exemtion, weil ein Abt einmal vom Papst geweiht wurde, 1168, 1186, 1188 von der Kurie abgelehnt“. Vgl. dazu Paul Fridolin KEHR: Papsturkunden in Italien. Reiseberichte zur Italia Pontificia 1, Città del Vaticano 1977 (Acta Romanorum pontificum 1) S. 356f., Nr. 8 (Alexander III. an Bischof Siginulf von Valva, [1166–1168] Januar 13): Predictus itaque antecessor noster [Hadrian IV.] allegationes ac rationes monachorum ad assertionis sue probationem insufficientes ac minus idoneas intuens, prefatas ecclesias tibi adiudicauit et tibi tuisque successoribus sicut propriis episcopis subiacere decreuit. […] Unde et nos eius uestigiis inherentes statuimus, ut nulli omnino hominum liceat eandem sententiam temerario ausu infringere seu ipsi modis quibuslibet contraire. Vgl. ebd. Nr. 9, S. 358f. (Alexander III., [1168–69] Juli 25): Ne autem in posterum Baluensi ecclesie possit preiudicari, quod memoratus abbas de manibus nostris munus benedictionis suscepit, apostolica auctoritate decernimus, ut ex hoc eadem ecclesia nullum preiudicium sustineat uel iacturam, quominus iam dictum monasterium, sicut per eundem predecessorem nostrum constat fuisse adiudicatum, ecclesie prescripte subiaceat et abbatis benedictio ad episcopum eiusdem ecclesiae debeat pertinere. Vgl. dort auch S. 366f., Nr. 16: Urban III. bestätigt dem Bischof Odorisius von Valva die von seinem Vorgänger Lucius (III. – Deperditum) gefällte Entscheidung gegen das Kloster S. Maria di Bominaco. Vgl. dazu auch It. Pont.

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Wie der Fall des Abtes Gottfried von Vendôme zeigt, wachte der Papst offenbar sogar darüber, dass ein Abt sich nicht durch einen solchen Eid „versehentlich“ dem Bischof unterstellte, denn Urban II. annullierte in einem Schreiben an die Mönche von Ste-Trinité in Vendôme den Eid, den der Abt dem Bischof Ivo von Chartres in Unkenntnis seiner eigenen Rechtsposition geleistet hatte108. Umgekehrt entschuldigte sich Alexander III. mit seiner eigenen Unwissenheit, als der zuständige Diözesanbischof von Valva Einspruch dagegen erhob, dass der Papst dem Abt von Bominaco auf dessen Bitte hin die Weihe erteilt hatte109. Von allen Bestandteilen der bischöflichen Weihegewalt hat die Entgegennahme des heiligen Chrisam und der heiligen Öle, die jährlich am Gründonnerstag in der Kathedrale der Diözese geweiht und dann an die Priester der einzelnen Pfarreien verteilt wurden, die größte Affinität zur bischöflichen Jurisdiktionsgewalt, denn die Entgegennahme des Chrisam, das zur Weihe des Taufwassers während der Karsamstagsliturgie und an den Pfingstvigilien diente, galt zugleich auch als Zeichen für die Anerkennung der geistlichen Gerichtsbarkeit des Bischofs, für die Abhängigkeit von Klerus und Gläubigen von einer ganz bestimmten Jurisdiktion110. So konnte unter dem Pontifikat Innocenz’ III. der Versuch des Abtes von St-Corneille in Compiègne, seine Gerichtsbarkeit auf die Pfarreien der Stadt Compiègne auszudehnen, indem er die Jurisdiktionsrechte des Diözesanbischofs bestritt, abgewehrt werden, obwohl er einen Priester als Zeugen aufbieten konnte, der behauptete, die Priester der Pfarreien von Compiègne seien in Bezug auf die cura animarum dem Bischof von Soissons unterstellt, im Hinblick auf die Gerichtsbarkeit jedoch der Abtei StCorneille und deren Abt. Der Versuch des Abtes war jedoch in dem Moment gescheitert, als derselbe Zeuge aussagte, dass die Priester der fraglichen Pfarreien das Chrisam vom Bischof von Soissons und das Krankenöl von der Abtei entgegennähmen, denn die Übertragung der cura animarum und die Entgegen4, S. 261 und S. 256, Nr. 16, S. 257, Nr. 22–26; PFAFF: Liber Censuum (wie Anm. 23) S. 86, Nr. 69. Dort auch Beispiele für Veränderungen am Privileg (Verleihung und Verlust dieses Vorrechts ohne Angabe von Gründen). 108 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 173, mit den entsprechenden Belegen. Zu den verschiedenen Fassungen, die von diesem Obödienzeid überliefert sind, vgl. auch PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 85. 109 Vgl. dazu KEHR: Papsturkunden in Italien 1 (wie Anm. 107) S. 358f., Nr. 9, hier S. 358: Cum olim fratres de Mammonaco electum suum I. nostro conspectui presentassent et occultassent, quod eorum monasterium ad iurisdictionem uestre ecclesie pertineret, nos eundem electum ad communem predictorum fratrum instantiam, saluo iure ecclesie uestre, benediximus in abbatem, non memoriter retinentes, quod prescriptum monasterium Baluensi ecclesie deberet esse subiectum. Vgl. PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 87. 110 Ludwig FALKENSTEIN: Monachisme et pouvoir hiérarchique à travers les textes pontificaux (Xe–XIIe siècles), in: Moines et monastères dans les sociétés de rite grec et latin, hg. v. Jean-Loup LEMAITRE/Michel DMITRIEV/Pierre GONNEAU, Paris 1996 (École pratique des hautes Études, section 5, Sciences historiques et philologiques 5: Hautes Études 76), S. 389–418, hier S. 409; DERS.: Papauté (wie Anm. 2) S. 167f.

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nahme des Chrisams waren im gesamten Mittelalter die ausschlaggebenden Kennzeichen für eine jurisdiktionelle Abhängigkeit111. Selbst die Vorbehaltsklausel zugunsten des Apostolischen Stuhls – salva sedis apostolicae auctoritate – kann, abgesehen von einigen Inkonsequenzen und Ausnahmen, erst seit dem Pontifikat Alexanders III. als Zeichen für die Exemtion eines Kloster gelten, auch wenn man bereits seit der Zeit Gregors VII. (1073– 1085) in den Privilegien der päpstlichen Kanzlei mit zunehmender Regelmäßigkeit am Ende der sanctio eine Vorbehaltsklausel antrifft, die häufig zugunsten des Apostolischen Stuhls formuliert wird, aber manchmal auch zugunsten des Diözesanbischofs. Seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts stellt sich eine genauere Differenzierung in drei verschiedene Versionen ein: Während die päpstliche Kanzlei die Formel salva sedis apostolicae auctoritate in die Privilegien für exemte Abteien und Kirchen einfügt, enthalten die Privilegien für nicht-exemte Kirchen eine Vorbehaltsklausel zugunsten des Diözesanbischofs und schließlich solche, die den apostolischen Schutz genießen, eine Vorbehaltsklausel, die sich sowohl auf den Apostolischen Stuhl als auch auf den Diözesanbischof bezieht112. Für den Fall, dass der exemten Abtei auch Kirchen und Altäre in anderen Diözesen gehörten, wurde die Vorbehaltsklausel zu der Formel salva sedis apostolicae auctoritate et diocesanorum episcoporum canonica iustitia abgewandelt. Der Grund für die Anwendung einer solchen Variante bestand darin, dass diese Kirchen und Altäre nicht an der Exemtion dieser Abtei teilhatten113. Insgesamt zeigt der Versuch, die Indizien für den exemten Status von Abteien in den päpstlichen Privilegien und Litterae genauer zu fassen, sehr deutlich, dass die päpstliche Kanzlei hier offenbar keiner festen Norm oder gar einem im Vorhinein entworfenen Plan zur Vereinheitlichung und Intensivierung der Beziehungen zu den Klöstern in den Regionen folgte, sondern dass wohl eher die „Bemühung um jedes einzelne der Kurie anvertraute Kloster“114 im Vordergrund stand, zu der im 12. Jahrhundert, vor allem während der Pontifikate Innocenz’ II. und Alexanders III. im Zeichen einer voranschreitenden Juridifizierung allmählich auch das Bemühen um eine einheitlichere begriffliche Fassung der Exemtionsmerkmale im Formular der Privilegien trat115, durch die auch das Wesen der Exemtion insgesamt, aber auch der Wunsch der Päps-

111 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 142 u. 168. Vgl. dort auch S. 131–143, zum Zusammenhang zwischen Exemtion und autonomer Gerichtsbarkeit von Abteien. 112 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 176f. 113 Vgl. dazu auch schon SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 62f.; MACCARRONE: Primato romano (wie Anm. 19) S. 84; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 177. Vgl. dazu auch D’ACUNTO: Vallombrosa (wie Anm. 194) S. 50 Anm. 46, für Fonte Avellana. 114 PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 89, der von einem „Wirrwarr“ in der Exemtionspraxis der Kurie spricht „gesehen von der Erwartung einer Generallinie der päpstlichen Klosterpolitik“. 115 PFAFF: Klosterexemtionen (wie Anm. 5) S. 89. Siehe dazu auch oben bei Anm. 68f.

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te, diese auf den Einzelfall zu beschränken und sich in der Regel den gewohnheitsrechtlichen Vorgaben anzupassen, deutlicher wird.

3. Zwei Beispiele aus Deutschland und Frankreich Die Initiative zur Erlangung des exemten Rechtsstatus ging zweifellos in erster Linie von den Klöstern aus, jedoch strebten – wie Christopher Cheney ebenfalls für das 12. Jahrhundert festgestellt hat116 – bei weitem nicht alle Klöster danach, einen besonderen apostolischen Schutz oder gar die Exemtion von der Diözesangewalt zu erlangen. Andererseits drohten Päpste im Konfliktfall manchmal von sich aus damit, die Freiheiten einer bedrängten Abtei zu erweitern oder ihnen sogar die völlige Unabhängigkeit zu gewähren, so wie Alexander II. in den 60er Jahren des 11. Jahrhunderts gegenüber Bischof Guido von Amiens, um ihn in seinem Streit mit der Abtei Corbie zum Einlenken zu veranlassen117. Gregor VII., der dem Bischof von Turin 1075 in Erinnerung rief, dass bereits die sancti patres häufig wegen der Feindseligkeit der Vorgesetzten Klöster der Unterstellung unter ihren Bischof entzogen und ihnen eine perpetua libertas verliehen hätten118, sah darin offenbar eine aus der päpstlichen Organisationsgewalt resultierende Kompetenz, auf die er mit c. 7 des Dictatus papae (1075) auch in prinzipieller Weise Anspruch erhob119. Es stellt sich nun die Frage, ob sich das Engagement der Päpste für die Exemtion von Klöstern in der Zeit vom Beginn der Kirchenreform bis zum Ende des Pontifikats Innocenz’ III. nicht nur zahlenmäßig intensiviert hat, sondern in welchem Maße und mit welchen konkreten Strategien die Päpste im Rahmen ihrer Bemühungen zum Ausbau des innerkirchlichen Primats die 116 Christopher R. CHENEY: Innocent III. and England, Stuttgart 1976 (Päpste und Papsttum 9), S. 181; vgl. FALKENSTEIN: Monachisme (wie Anm. 110) S. 393; DERS.: Papauté (wie Anm. 2) S. 48. 117 Ludwig FALKENSTEIN: Alexander III. und die Abtei Corbie. Ein Beitrag zum Gewohnheitsrecht exemter Kirchen im 12. Jahrhundert, in: AHP 27 (1989) S. 85–195; vgl. dazu auch unten bei Anm. 160. 118 JL 4951 (1075) April 9; Das Register Gregors VII., ed. Erich CASPAR, Berlin 1920/1923 (MGH Epp. sel. 2), II/69, S. 228: An ignoras, quod sancti patres plerumque et religiosa monasteria de subjectione episcoporum et episcopatus de parrochia metropolitane sedis propter infestationem presidentium diviserunt et perpetua libertate donantes apostolice sedi velut principalia capiti suo membra adherere sanxerunt? 119 Vgl. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 95–96. Zur Formulierung der päpstlichen Organisationsgewalt in Dictatus Papae c. 7: Quod illi [Romani pontifici] soli licet pro temporis necessitate novas leges condere, novas plebes congregare, de canonica abbatiam facere et e contra, divitem episcopatum dividere et inopes unire; Das Register Gregors VII., ed. CASPAR (wie Anm. 118) II/551, S. 203. Vgl. auch Lotte KÉRY: Die Errichtung des Bistums Arras 1093/1094, Sigmaringen 1994 (Beih. der Francia 33), S. 308f.

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Bestrebungen von Klöstern, ihre Unabhängigkeit von der Amtsgewalt des Diözesanbischofs durchzusetzen, förderten oder sogar von sich aus initiierten. Eine solche Entwicklung kann im Rahmen des vorliegenden Beitrags nur anhand weniger Beispiele schlaglichtartig beleuchtet werden, da mangels eindeutiger kirchenrechtlicher Vorgaben und mangels eines eindeutigen Formulars der päpstlichen Kanzlei tatsächlich jedes einzelne Privileg nicht nur – wie schon Alexander III. betonte – sorgfältig zu prüfen ist, sondern seine Verleihung auch in den konkreten historischen Kontext einzuordnen ist, um sich auch auf diesem Wege zu vergewissern, ob es sich tatsächlich um eine Exemtion, d.h. um die vollständige Herausnahme des Klosters aus der Zuständigkeit des Diözesanbischofs und damit um einen besonders schwerwiegenden Eingriff des Papsttums in die regionale Verwaltungsorganisation handelt oder lediglich um eine Verleihung des päpstlichen Schutzes oder die Übertragung eines Klosters in das Eigentum des heiligen Petrus, die keinerlei unmittelbare Konsequenzen für die diözesanrechtliche Zuständigkeit des Ortsbischofs haben; außerdem wäre jeweils festzustellen, welche Motive die Päpste im Einzelfall dazu bewogen, ihre Organisationsgewalt in diesem Sinne auszuüben. Im Hinblick auf die Frage nach der Bedeutung der Exemtion für das Verhältnis zwischen universalem Papsttum und den Kirchen in den Regionen ist der Blick also auch hier in erster Linie auf die Vorgehensweise der Päpste in Prozessen um die Exemtion von Klöstern zu richten, um festzustellen, ob dabei regionale und zeitliche Ungleichheiten auftreten. Jedoch können auf der Grundlage von zwei Beispielen selbstverständlich noch keine allgemeingültigen Schlussfolgerungen gezogen werden. Abgesehen von einigen vereinzelten frühmittelalterlichen Vorformen sind vor allem in Frankreich gegen Ende des 10. Jahrhunderts verstärkt Bemühungen zur Erreichung der Unabhängigkeit von der Diözesangewalt zu beobachten, die mit den klosterreformerischen Bestrebungen dieser Zeit in Verbindung gebracht werden, mit dem wachsenden Widerstand der Klöster gegen Bischöfe, deren moralische und geistige Qualitäten sehr zu wünschen übrig ließen und die sich den monastischen Institutionen gegenüber eher als Feudalherren denn als geistliche Vorgesetzte verhielten; aufgrund der schwachen Königsgewalt lag im frühkapetingischen Frankreich in solchen Fällen eine engere Anlehnung an das Papsttum nahe, so dass nicht nur die Klöster, sondern zunehmend auch der apostolische Stuhl von solchen Allianzen profitierte120. Hinzu kommt gerade im 12. Jahrhundert der persönliche Kontakt zu 120 Jean-François LEMARIGNIER: L’exemption monastique et les origines de la réforme Grégorienne, in: A Cluny, congrès scientifique. Fêtes et cérémonies liturgiques en l’honneur des saints Abbés Odon et Odilon, 9–11 juillet 1949, Dijon 1950, S. 288– 340, S. 327; FALKENSTEIN: Monachisme (wie Anm. 110) S. 403; DERS.: Papauté (wie Anm. 2) S. 1–2. Vgl. dazu jetzt auch Jean-Hervé FOULON: Pouvoir pontifical, rivalités politiques et exemption autour de l’an Mil: les fondations de Bourgueil et de Beaulieulès-Loches, in: Le Pouvoir au Moyen Âge. Idéologies, Pratiques, Représentations, sous la direction de Claude CAROZZI et Huguette TAVIANI-CAROZZI, 2005 (Publications

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einigen Päpsten, die sich während eines Schismas nach Frankreich begaben, weil sie dort in besonderem Maße Unterstützung erwarten konnten, wie etwa Innocenz II. und Alexander III. In Deutschland hat nach den Ergebnissen von Hans Goetting, der sich in zahlreichen Untersuchungen mit der Frage der Exemtion beschäftigt hat, diese nur zu drei Zeitpunkten eine wichtige Rolle gespielt: Im letzten Drittel des 8. Jahrhunderts (mit Fulda und Hersfeld) als sie nach Ansicht von Goetting „ohne Hinzuziehung des Papsttums allein vom Königtum auf staatskirchlicher (!) Grundlage geregelt“ worden sei121, dann um die Mitte des 10. Jahrhunderts im Rahmen der ottonischen Kirchenpolitik, als Otto I. sich aufgrund der „Gegnerschaft eines bedeutenden Teils des deutschen Episkopats gegen die kirchenpolitischen Maßnahmen des Königtums“ gezwungen gesehen habe, „in den einzelnen Diözesen Stützpunkte der königlichen Politik zu schaffen“, wobei das Papsttum lediglich in ausführender Funktion tätig geworden sei122, und schließlich an der Wende zum 13. Jahrhundert, als mit dem „allmählichen Absinken des Eigenkirchengedankens“ der kurialen Exemtionspolitik der Boden bereitet worden sei. Dies habe vor allem für solche Klöster gegolten, die zum Aufbau einer eigenen Landesherrschaft fähig gewesen seien und für die deshalb die völlige Lösung von der bischöflichen Gewalt eine dringende Notwendigkeit geworden sei. Innocenz III. habe diese neuen Möglichkeiten erkannt und versucht, während der Zeit des Thronstreites durch zahlreiche Klosterexemtionen vor allem in den Diözesen gegnerischer Bischöfe Zentren der kurialen Politik zu schaffen123 – eine These, die erst kürzlich von Peter Wiegand noch einmal aufgegriffen und an einer Reihe von Beispielen in Einzelanalysen im wesentlichen bestätigt wurde124. Das Scheitern dieser Politik nach anfänglichen Erfolgen sieht Goetting darin begründet, dass es den Abteien allein auf die Lösung von der Strafgewalt des Ordinarius angekommen sei, dass sie aber „keinesfalls gewillt waren, dafür die politischen Ziele der Kurie zu vertreten.“125 Für die Klöster und Stifte habe

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de l’Université de Provence), S. 169–191, der zeigt, dass die Diözesanbischofe vor allem als Mitglieder einer rivalisierenden Adelsfamilie ins Visier geraten. Foulon kommt für diese frühere Zeit ebenfalls zu der Überzeugung, dass die Interventionen des Heiligen Stuhls durch die unmittelbaren Umstände hervorgerufen werden und keinesfalls als Ausdruck einer zielbewußten und systematischen Einmischung zu verstehen sind, welche die Autorität der Bischöfe prinzipiell und in umfassender Weise beeinträchtigen sollte. GOETTING: Exemtion (wie Anm. 3) S. 184. Ebd., S. 184f. Vgl. dazu auch Gerd ALTHOFF: Widukind von Corvey, Kronzeuge und Herausforderung, in: Inszenierte Herrschaft, Geschichtsschreibung und politisches Handeln im Mittelalter, Darmstadt 2003, S. 78–104, hier S. 92, der im Fall von Quedlinburg davon spricht, dass „ein päpstliches Exemtionsprivileg“ […] „seinen Besitzstand sicherte“. GOETTING: Exemtion (wie Anm. 3) S. 186. WIEGAND: Kurie (wie Anm. 44). GOETTING: Exemtion (wie Anm. 3) S. 187.

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weniger das Erreichen der Romunmittelbarkeit als die Unabhängigkeit vom Diözesanbischof im Vordergrund gestanden. Auch wenn man Goetting in einigen seiner Begründungen nicht mehr ohne Einschränkung folgen kann, wird durch seine Einteilung der Weg für eine Untersuchung deutlich, die auch die unterschiedlichen politischen Bedingungsgefüge bei der Bewertung der Exemtion berücksichtigen muss.

3.1 Gandersheim Ein sehr aufschlussreiches Beispiel für die Haltung des Papsttums zur Klosterexemtion im Reich, das wir bis in die Zeit Innocenz III. verfolgen können, bietet das Kanonissenstift Gandersheim in der Diözese Hildesheim. Das Privileg Papst Agapets II. aus dem Jahre 948 (JL 3642 vom 2. Jan. 948), an dessen Echtheit immer noch Zweifel bestehen126, kann – um es vorsichtig auszudrücken – von seinen Bestimmungen her durchaus in die Nähe eines Exemtionsprivilegs gerückt werden und wurde auch zu einer wichtigen Grundlage für die Erreichung der Exemtion im 13. Jahrhundert. Trotzdem verbürgte es, wie Hans Goetting gezeigt hat, keinesfalls eine „regelrechte Exemtion“ und damit eine Lösung aus dem Diözesanverband und gleichzeitige Unterstellung unter Rom. Vielmehr richtete es sich gegen die besitzrechtlichen Ansprüche des Bistums Hildesheim und verfolgte in erster Linie, ebenso wie ein weiteres von den Ottonen auf der Weihnachtssynode 968 in Rom von Papst Johannes XIII. erwirktes Privileg (JL 3721 von 968 Jan. 1)127, den Zweck, mit Hilfe des Papsttums als der höchsten geistlichen Gewalt die Reichsunmittelbarkeit des Kano-

126 JL 3642; Die Papsturkunden 896–1046, bearb. v. Harald ZIMMERMANN, 3 Bde., Wien 2 1988–1989 (DÖAW, phil.-hist. Klasse 174, 177 u. 198), 1: 896–996, 2. rev. Aufl., Wien 1988, S. 201–202, Nr. 115. Vgl. dort auch S. 198–199, Nr. 113 (2. Jan. 948 – JL 3643). Agapit II. erneuert dem Kloster Fulda unter Abt Hadamar das Privileg (Marinus’ II. von 943). Zweifel an der Echtheit des Gandersheimer Privilegs bei Katrinette BODARWÉ: Sanctimoniales litteratae. Schriftlichkeit und Bildung in den ottonischen Frauenkommunitäten Gandersheim, Essen und Quedlinburg (Quellen und Studien. Veröffentlichungen des Instituts für kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen 10), Münster 2004, S. 24–25 mit Anm. 75; vgl. auch Theo KÖLZER: Bonifatius und Fulda. Rechtliche, diplomatische und kulturelle Aspekte. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 57 (2005) S. 25–53, hier S. 39 Anm. 77. Vgl. dagegen jedoch Germ. Pont. 5/2 S. 122f., Nr. 6, hier S. 123: De fide […] nequaquam dubitari potest. 127 Germ. Pont. 5/2 S. 124, Nr. 7. Vgl. auch ALTHOFF: Widukind (wie Anm. 122) S. 92, der die ottonischen „Exemtionsprivilegien“ neben Widukinds Erzählung auch als ein Indiz dafür betrachtet, dass „die personelle Basis des Widerstandes gegen Ottos Magdeburg-Pläne breiter war als bisher bekannt und auch die Königin Mathilde einschloß, deren Neugründungen im ostsächsischen Raum sicher in besonderer Gefahr standen, zugunsten der neuen Bistümer Besitzeinbußen oder eine Minderung ihrer Stellung hinnehmen zu müssen.“

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nissenstiftes zu erhalten bzw. wiederherzustellen128. Das Papsttum spielte hier, wie Jean-François Lemarignier es treffend ausgedrückt hat, nur eine „rôle de façade“129. Dass eine Unabhängigkeit Gandersheims vom Ortsbischof zumindest vorläufig nicht durchgesetzt werden konnte, wurde daraus abgeleitet, dass der Hildesheimer Bischof nach wie vor „seine Weiherechte und damit wohl auch seine sonstigen Jurisdiktionsbefugnisse (!) als Diözesanbischof in Gandersheim voll ausgeübt hat“130. Aufschlussreicher ist in diesem Zusammenhang, dass die Kanonissen, als sie in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts versuchten, ihr Stift im sogenannten Gandersheimer Streit aus der Zuständigkeit des Bischofs von Hildesheim zu lösen, sich keinesfalls bemühten, ihr besonderes Verhältnis zu Rom zu einer Exemtion zu erweitern oder sich gar auf eine solche zu berufen, sondern man in Gandersheim den Weg des Grenzstreites wählte und behauptete, zur Erzdiözese Mainz zu gehören131. Definitiv entschieden wurde über die Exemtion des Gandersheimer Stifts erst in einem jahrelangen Prozess, der während des deutschen Thronstreits am Anfang des 13. Jahrhunderts stattfand und der erst dadurch zustande kam, dass zwei Hildesheimer Kanoniker, die sich offenbar aus anderen Gründen an der Kurie aufhielten, Einspruch erhoben, als die Äbtissin von Gandersheim die 128 Hans GOETTING: Gandersheim und Rom. Die Entwicklung der kirchenrechtlichen Stellung des Reichsstifts Gandersheim und der große Exemtionsprozeß (1203–1208), in: Jahrbuch für niedersächsische Kirchengeschichte 51 (1953) S. 36–71, hier S. 39–41. Vgl. auch Papsturkunden, ed. ZIMMERMANN (wie Anm. 126) Nr. 115, S. 184. Zu Gründung und Frühgeschichte vgl. Hans GOETTING: Das reichsunmittelbare Kanonissenstift Gandersheim, in: Das Bistum Hildesheim 1, Berlin/New York 1973 (Germania Sacra NF 7,1), S. 81–93; DERS.: Bernward und der große Gandersheimer Streit, in: Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Katalog der Ausstellung Hildesheim 1993, Bd. 1, Hildesheim/Mainz 1993, S. 275–282. Trotzdem gelten diese beiden Privilegien immer noch als Exemtionsprivilegien…; vgl. ALTHOFF: Widukind (wie Anm. 122) S. 92. Vgl. auch LEMARIGNIER: Exemption (wie Anm. 120) S. 300f. Entschiedene Zurückweisung der „politischen Bewertung der ‚Exemtion’“ durch Goetting bei Hermann JAKOBS: Spätottonische Klosterfreiheit. Die Privilegien „Creditae speculationis“ Johannes XIII. und Benedikts VII. für Thankmarsfelde/Nienburg, Alsleben und Arneburg, in: DERS./Wolfgang PETKE: Papsturkundenforschung und Historie. Aus der Germania Pontificia. Halberstadt und Lüttich, Köln/Weimar/Wien 2008 (Studien und Vorarbeiten zur Germ. Pont. 9), S. 1–128, hier S. 89 Anm. 276. 129 LEMARIGNIER: Exemption (wie Anm. 120) S. 301: „ce n’est pas elle [la papauté] qui a l’initiative.“ 130 GOETTING: Gandersheim und Rom (wie Anm. 128) S. 41. 131 GOETTING: Gandersheim und Rom (wie Anm. 128) S. 43–44. Selbst am Anfang des 12. Jahrhunderts seien, wie Goetting auf der Grundlage der Forschungen von Albert Brackmann betont, auf deutschem Boden die eigenkirchenrechtlichen Elemente in den Beziehungen zwischen Diözesanbischof und Kloster noch zu stark gewesen, als dass eine völlige Exemtion möglich gewesen wäre. Vgl. ebd. S. 49, mit Verweis auf BRACKMANN: Göttingische Gelehrte Anzeigen 1913, S. 275–290, S. 278ff. (wieder abgedruckt in: BRACKMANN: Kurie [wie Anm. 22] S. 426ff.).

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bereits genannten früheren Privilegien Agapets II. und Johannes’ XIII. von Innocenz III. erneuern lassen wollte. Dass die Äbtissin nach der Exemtion vom Diözesanbischof strebte, war schon dadurch deutlich geworden, dass sie ihre Benediktion durch den Bischof von Hildesheim, die immer auch mit einem Obödienzeid verbunden war, so lange verschoben hatte, bis ihr diese durch den päpstlichen Legaten Guido von Palestrina am 10. August 1203 erteilt werden konnte132. Jedoch auch Papst Innocenz III. hatte offenbar großes Interessen an einer Exemtion Gandersheims – und zwar, wie mehrfach vermutet wurde, aus politischen Gründen im Zusammenhang mit dem deutschen Thronstreit, betonte dabei jedoch mit Nachdruck, dass er dazu keinesfalls neues Recht schaffen, sondern nur bestehendes Recht wiederherstellen wolle. Unter dem Vorbehalt, dass die alten Privilegien des Stifts, die ihm nicht vorlagen, einer genaueren Prüfung vor Ort standhielten, bestätigte er den Wortlaut der Urkunde Johannes’ XIII. von 968 und die entscheidende Passage des Agapitprivilegs von 948 – ne possit super hoc veritas deperire –, und betonte zusätzlich, dass das Kloster auch im päpstlichen Zinsbuch, dem Liber Censuum, unter den monasteria libera et exempta geführt werde133. Obwohl Innocenz III. seinen eigenen Worten zufolge keinen Grund erkennen konnte, warum man diese Privilegien nicht erneuern sollte – non videremus, quin deberent eadem privilegia innovari – musste der Papst delegierte Richter mit einer genaueren Zeugenbefragung vor Ort beauftragen134, denn die Hildesheimer, die die Echtheit der Privilegien offenbar nicht in Zweifel ziehen konnten, beriefen sich darauf, dass die Ansprüche des Gandersheimer Stifts auf Befreiung von der Diözesangewalt seit über 100 Jahren nicht geltend gemacht worden und deshalb verjährt seien. 132 GOETTING: Gandersheim und Rom (wie Anm. 128) S. 71; GOETTING: Kanonissenstift Gandersheim (wie Anm. 128) S. 99, insgesamt S. 98–102, zur Auseinandersetzung um die Exemtion; vgl. dort auch S. 308–309, zur Äbtissin Mechthild I. (von Wohldenberg). In der Urkunde, die der Legat über diesen Akt ausstellte, bezeichnete er sie als specialis filia Romane ecclesie. Zum politischen Hintergrund vgl. auch Wolfgang PETKE: Die Grafen von Wöltingerode-Wohldenberg. Adelsherrschaft, Königtum und Landesherrschaft im nordwestlichen Harzvorland im 12. und 13. Jahrhundert, Göttingen 1971 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung 4), S. 362. 133 Die Register Innocenz’ III., 8: 8. Pontifikatsjahr, 1205/1206, ed. Othmar HAGENEDER/Andrea SOMMERLECHNER, gemeinsam mit Christoph EGGER/Rainer MURAUER/Herwig WEIGL, Wien 2001 (Publikationen des Historischen Instituts beim österreichischen Kulturinstitut in Rom, 2/8), VIII/43, S. 66–70, hier S. 67, Z. 21f.: … quod monasterium ipsum in libro censuali camere nostre inter cetera monasteria libera et exempta dinoscitur annotatum …; ebenso in VIII/44, S. 70–72, an die Äbte, hier S. 71, Z. 18–20. 134 Reg. Inn. III., VIII/44 (wie Anm. 133) S. 71, Z. 25f.: in possessione subiectionis ipsius monasterii per centum annorum spatium et eo amplius extitisse, …; vgl. GOETTING: Gandersheim und Rom (wie Anm. 128) S. 57; Jürgen PETERSOHN: Papst Innocenz III. und das Verjährungsrecht der römischen Kirche, Stuttgart 1999 (SB Frankfurt 37/3), S. 79f.

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Nicht nur die Rücksichtnahme auf Bischof Hartbert von Hildesheim, einen politischen Freund des Papstes in den schwierigen Zeiten des Thronstreits, veranlasste Innocenz III. dazu, diesen Einwand ernstzunehmen; auch der Verlauf des Prozesses zeigt, dass man jeden Formfehler sorgfältig zu vermeiden suchte135. Mehrfach betonte der Papst, nicht weniger als vier Bischöfe und vier Äbte mit der eingehenden Überprüfung und Beglaubigung der alten Gandersheimer Urkunden beauftragt zu haben136. Dass Innocenz III. jedoch trotz aller juristischen Vorsicht bereit war, das gesamte Gewicht des Apostolischen Stuhls und dessen privilegierter Rechtsstellung in die Wagschale zu werfen, um die Exemtion des Stiftes Gandersheim am Ende zweifelsfrei zu bestätigen – das zeigt die entscheidende Wende des Verfahrens, in der Innocenz III. „höchst gestalterisch mit dem […] kanonischen Verjährungsrecht und dem Begriff des päpstlichen Eigentums umging“137. Um den Einwand der Hildesheimer Partei auch tatsächlich zurückweisen zu können, teilte der Papst seinen delegierten Richtern (POTTHAST 2813, 1206 Juni 17)138 mit, dass das Stift Gandersheim, wie aus den alten Privilegien hervorgehe, ad ius et proprietatem apostolice sedis gehöre und deshalb hier zugleich das Recht der römischen Kirche auf dem Prüfstand stehe139. Die Äbtissin, die vom Papst als Prokuratorin eingesetzt wird, damit das Recht der römischen Kirche nicht ungeschützt bleibe140, soll an seiner Stelle (vice nostra) vor den delegierten Richtern geltend machen, dass gegen die Besitzungen und Rechte der römischen Kirche eine erweiterte Verjährungsfrist von hundert

135 GOETTING: Gandersheim und Rom (wie Anm. 128) S. 56. 136 Die Register Innocenz’ III., 9: 9. Pontifikatsjahr, 1206/1207, ed. Andrea SOMMERLECHNER, gemeinsam mit Othmar HAGENEDER/Christoph EGGER/Rainer MURAUER/Herwig WEIGL, Wien 2004 (Publikationen des Historischen Instituts beim österreichischen Kulturinstitut in Rom, 2/9), S. 196, Nr. 108. 137 WIEGAND: Kurie (wie Anm. 44) S. 116: „Neben seiner politischen Brisanz kommt dem Verfahren damit große Bedeutung auch für die Entwicklung des päpstlichen Exemtionsrechts zu.“ 138 Reg. Inn. III., IX/108 (wie Anm. 136) S. 195–198, an die Äbte von Helmarshausen und Hardehausen sowie den Domdekan von Paderborn. Vgl. GOETTING: Gandersheim und Rom (wie Anm. 128) S. 59 Anm. 112, Original in Wolfenbüttel. Vgl. Brigide SCHWARZ: Die Originale von Papsturkunden in Niedersachsen 1199–1417, Città del Vaticano 1988 (Index actorum Romanorum pontificum ab Innocentio III ad Martinum V electum 4), S. 6, Nr. 8. 139 Reg. Inn. III., IX/108 (wie Anm. 136) S. 198, Z. 7–9: Quia vero prefatum monasterium ad ius et proprietatem apostolice sedis per privilegia predecessorum nostrorum pertinere monstratur, … . GOETTING: Gandersheim und Rom (wie Anm. 128) S. 60. 140 Reg. Inn. III., IX/108 (wie Anm. 136) S. 198, Z. 9f.: …ne ius ecclesie Romane remaneat indefensum…; GÖTTING: Gandersheim und Rom (wie Anm. 128) S. 54–62; DERS.: Kanonissenstift Gandersheim (wie Anm. 128) S. 98–102; WIEGAND: Kurie (wie Anm. 44) S. 114–121, bes. S. 116.

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Jahren – die centenaria praescriptio – (anstelle der üblichen 40 Jahre) zu berücksichtigen sei141. In einem offenbar am selben Tag noch nachgeschobenen Mandat an dieselben Empfänger (POTTHAST 2812 – 17. Juni 1206, Cum uobis)142 verlängert der Papst diese Verjährungsfrist noch, indem er bestimmt, dass bei der Berechnung der Verjährungsfrist die Zeit der Papstschismen abzuziehen sei143, so dass die Hildesheimer nun sogar für insgesamt 164 Jahre die ununterbrochene Ausübung der bischöflichen Funktionen in Gandersheim durch Zeugen nachweisen mußten, was, wie schon Johannes Teutonicus in seinem Kommentar zur Dekretale Cum uobis (X 2.26.14) meinte, schlechterdings unmöglich war144. Wichtig für unseren Zusammenhang ist jedoch auch – worauf schon Jürgen Petersohn hingewiesen hat – dass Innocenz III. das Präskriptionsrecht der römischen Kirche nicht im Sinne eines grundsätzlichen Rechtes für alle Institutionen geltend machte, die über eine unmittelbare Rechtszugehörigkeit zum Apostolischen Stuhl verfügten: „Die Zuerkennung des Anspruches auf Teilhabe an den präskriptionsrechtlichen Vorzügen der römischen Kirche“ wurde „nie generell von ihm ausgesprochen, sondern blieb der Aktualisierung bei konkreten Anlässen vorbehalten“145. Erst die Glossa ordinaria zur Dekretale Cum vobis im Liber Extra sollte dazu die allgemeine Rechtsregel formulieren: Nota quod Romana ecclesia gaudet priuilegio speciali centum annorum non solum in rebus propriis, sed etiam in ecclesiis sibi immediate specialiter subiectis146. 141 Reg. Inn. III., IX/108 (wie Anm. 136) S. 198, Z. 11–13: … cum adversus ecclesie Romane possessiones et iura nonnisi centenaria currat prescriptio, ipsa super hoc et aliis vice nostra procuret, que coram vobis fuerint in iudicio procuranda… Vgl. dazu auch GOETTING: Gandersheim und Rom (wie Anm. 128) S. 64; WIEGAND: Kurie (wie Anm. 44) S. 116. 142 Reg. Inn. III., IX/107 (wie Anm. 136) S. 194–195; PETERSOHN: Verjährungsrecht (wie Anm. 134) S. 80f. 143 Vgl. dazu auch SCHREIBER: Kurie 2 (wie Anm. 3) S. 233f., mit dem Hinweis auf eine ähnliche Berechnung Alexanders III: „Bei dem in den Privilegien häufig angezogenen Besitztitel der Verjährung schwankt die Länge der zur Ersitzung erforderlichen Zeit noch und ist noch nicht auf die dem römischen bzw. kanonischen Recht geläufige Präskriptionszeit festgesetzt. In einem von Alexander III. zu Gunsten des Abtes Leonatus von San Clemente di Pescara an den Erzbischof Christian von Mainz gerichteten Schreiben findet sich die Erklärung, dass die Zeit schismatischen Besitzes nicht in Anrechnung komme“. Vgl. dazu JL 13409; Monumenta Moguntina, ed. Philippus JAFFÉ, Berlin 1866 (Bibliotheca rerum Germanicarum 3), S. 409f., Nr. 60 (1179 Mai 3), hier S. 410: Nolumus autem, ad restitutionem opponi, quod tempore schismatis possederunt, cum hostilitas praescriptionem praebetur merito impedire. 144 Johannis Teutonici Apparatus glossarum in Compilationem tertiam, ed. Kenneth PENNINGTON, Città del Vaticano 1981 (MIC A) Bd. 1, S. 299, s.v. ‚scismatum’: Certe secundum hoc impossibile est probare prescriptionem contra Romanam ecclesiam. Et idem est acsi diceret, ‚nolo quod possit prescribi contra eam’. Vgl. GOETTING: Gandersheim und Rom (wie Anm. 128) S. 60; PETERSOHN: Verjährungsrecht (wie Anm. 134) S. 89f. mit Anm. 131. 145 Vgl. ebd., S. 89. 146 Zit. nach ebd., S. 89; vgl. dort auch Anm. 130, zur Autorschaft der Glosse.

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Dies zeigt, dass Innocenz III. trotz seiner gegenteiligen Beteuerungen neues Recht schuf, als er das Verjährungsrecht der römischen Kirche auf die ihr unmittelbar und in besonderer Weise unterstellten Kirchen ausdehnte, um der Behauptung entgegentreten zu können, die Gandersheimer Ansprüche auf Unabhängigkeit von der Diözesangewalt seien durch eine über hundertjährige Praxis verjährt, auch wenn er diese Regel nicht allein im Fall Gandersheim zur Anwendung brachte. Für den Erfolg der Gandersheimer Exemtionsbemühungen war also letztlich entscheidend, dass das Kloster im Eigentum der römischen Kirche stand und deshalb in den Genuss des durch Innocenz III. noch einmal erweiterten Verjährungsprivilegs dieser Kirche kam. Ob diese Tatsache jedoch in einem ursächlichen Zusammenhang zur Exemtion stand, ist zu bezweifeln, denn auch Kirchen und Klöster, die nicht im Eigentum der römischen Kirche standen – das ohnehin mehr als ein ideelles Obereigentum zu verstehen ist –, konnten die Exemtion von der Bischofsgewalt erlangen147. Ob man daraus schließen kann, dass hier „eigentumsrechtliche Vorstellungen“ im Hinblick auf die Exemtion „reaktiviert“ und „hoheitsrechtliches Denken weiterentwickelt“148 wurde, erscheint ebenso fraglich, weil es sich bei der Betonung der Tatsache, dass Gandersheim zum fundus s. Petri gehöre, nicht um eine notwendige Voraussetzung für die Exemtion des Klosters handelt, sondern um ein willkommenes Instrument zur Überwindung des Verjährungseinwandes des Bischofs von Hildesheim, das hier additiv eingesetzt wird. Im Privileg, das Innocenz III. dem Stift Gandersheim am 22. Juni 1206 ausstellte, wurden schließlich beide Rechtsverhältnisse nebeneinandergestellt: ... prefatum monasterium in Gandersen, quod ad Romanam ecclesiam nullo pertinet mediante et in fundo et proprietate beati Petri noscitur esse constructum149. Dass Innocenz III. sich – wie auch andere Päpste – für Klöster, die im Eigentum des Apostolischen Stuhls standen, besonders einsetzte, wenn sich die Möglichkeit bot, stellt dazu keinen Widerspruch dar.

147 Für Innozenz III. stellte das Eigentumsverhältnis das Instrument dar, um den Widerstand des Bischofs von Hildesheim, der sich auf die langjährige Praxis berufen konnte, mit rechtlichen Mitteln zu überwinden. Wie innovativ und rechtsschöpferisch sein Vorgehen war, zeigt die Tatsache, dass beide Mandate vom 17. Juni 1206 im Fall Gandersheim als Präzedenzentscheidungen in das Kirchenrecht aufgenommen wurden: POTTHAST 2813, 3 Comp. 2.20.1; X 2.30.4 (innovatio bedeutet nicht Verleihung eines neuen Rechtes oder Bestätigung eines alten, sondern dass das alte Recht in einem nur materiell, aber nicht inhaltlich neuen Privileg bewahrt wird). bzw. POTTHAST 2812, 3 Comp. 2.27.4; X 2.26.14: „Addition präskriptionshemmender Schismazeiten zum Verjährungsjahrhundert der römischen Kirche“. PETERSOHN: Verjährungsrecht (wie Anm. 134) S. 89. 148 WIEGAND: Kurie (wie Anm. 44) S. 118. 149 POTTHAST 2823, Reg. Inn. III., IX/106 (wie Anm. 136) S. 189–194, hier S. 190.

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3.2 Corbie Deutlich früher als Gandersheim gelangte die Abtei Corbie in den Besitz eines päpstlichen Exemtionsprivilegs. Diese Abtei im Norden Frankreichs, in der Diözese Amiens gelegen, profitierte bereits in der Mitte des 11. Jahrhunderts davon, dass sie über echte Privilegien verfügte, die die Rechte des Diözesanbischofs in entscheidender Weise einschränkten, ohne dass bei diesen frühen Privilegien aus dem 7. oder 9. Jh. bereits von Exemtionsprivilegien die Rede sein kann, da sie weder eine völlige Herauslösung des Klosters aus der Diözese noch eine unmittelbare Unterstellung der Abtei unter den römischen Bischof verfügten150. Erst Leo IX., der dem Abt Fulco und den Mönchen von Corbie im Jahr 1050 ein Privileg ausstellen ließ (JL 4212)151, nachdem er ein Jahr zuvor auf der berühmten Reimser Synode die alten Privilegien des Klosters bestätigt hatte152, führt ein neues Element ein: Er gewährte dem Abt von Corbie das Recht, Dalmatica und Sandalen und damit eigentlich Bischöfen vorbehaltene Insignien zu tragen, die man auch als Pontifikalien bezeichnet153, und zwar unter der Bedingung, dass er jedes Jahr einen Boten nach Rom sende, um den Papst über die Vorgänge im Kloster in Kenntnis zu setzen und sich von ihm notfalls helfen zu lassen. Da die geforderte Berichterstattung in Rom als „Ersatz für den Wegfall der bischöflichen Kontrollinstanz“, gewertet werden kann, wie

150 Das erste entsprechende päpstliche Privileg, das Benedikt III. wohl im Jahre 855 (JE 2663) ausstellte, bot über die Bestätigung dieser Rechte hinaus auch einen Anknüpfungspunkt für eine spätere Unterstellung des Klosters unter den Apostolischen Stuhl: Es wird – wenn auch vorerst noch allein für einen ganz konkreten Fall – eine Appellationsmöglichkeit an den römischen Bischof vorgesehen: Bei einer nicht regulären Wahl des Abtes, in die sich weltliche Herrscher eingemischt haben, soll der Papst die letzte Appellationsinstanz sein. Diese Rechtsverleihung wurde bald darauf schon von Nikolaus I. (JE 2717) umfassend bestätigt und im Hinblick auf die Stellung der römischen Bischöfe als letzte Appellationsinstanz für die Abtei im Fall einer irregulären Einmischung des Königs in die Abtwahl noch verdeutlicht und „im Sinne einer konkreten Anordnung präzisiert.“ Vgl. FALKENSTEIN: Corbie (wie Anm. 117) S. 94 und vorher schon Jean-François LEMARIGINIER: Etude sur les privilèges d’exemption et de juridiction ecclésiastique des abbayes normandes des origines à 1140, Paris 1937 (Archives de la France monastique 44), S. 9 Anm. 46: „Notamment les bulles de Benoît III (855) et Nicolas Ier (863) pour Corbie […] encore ne vont-elles pas jusqu’à accorder l’exemption …“ 151 (1050) April 18, MIGNE PL 143, Sp. 641A–642C, Nr. 35. Vgl. FALKENSTEIN: Corbie (wie Anm. 117) S. 94–100. 152 Vgl. den Brief Fulcos von 1062 an Alexander II.; Gallia christiana 10, Sp. 287A. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 101 Anm. 22. 153 Vgl. Othmar HAGENEDER: Zur Rechtsstellung der Abtei Vézelay um 1200, in: RHMitt 8/9 (1964/66) S. 89–100, hier S. 94.

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Georg Schreiber betonte, handelt es dabei um ein sicheres Indiz für eine echte Exemtion154. Das Privileg Leos IX. deutete demnach vor dem Hintergrund der inzwischen in monastischen Kreisen zunehmenden Bestrebungen sich der „Gewalt adeliger Feudalherren im bischöflichen Gewand“ zu entziehen, die älteren Privilegien Benedikts III. und Nikolaus’ I. eindeutig als Exemtion, ohne dabei irgendwelche „Interpretationskunststücke“ anzuwenden und ohne dass die Mönche dem Papst zu diesem Zweck irgendwelche Fälschungen unterschieben mußten155. Hier zeigt sich, wie auch im Fall Gandersheim, dass die Rechtsinhalte der Privilegien unter dem Einfluss neuer Rechtsvorstellungen im Laufe der Zeit ihre Bedeutung verändern. Die Privilegierung Corbies ist jedoch offenbar nicht in erster Linie dem Umstand zu verdanken, dass der Papst generell bestrebt war, auf seinen zahlreichen Reisen die Rechte der Klöster zu stärken156, sondern sie entstand im Umfeld eines erbitterten Streites um den Rechtsstatus der Abtei und war eine unmittelbare Reaktion Leos IX. auf die Schikanen des Bischofs von Amiens gegen Abt und Kloster, der nach Angaben des Abtes Fulco die Freiheitsrechte des Klosters, wie sie in den älteren Privilegien schon verbrieft waren, nicht respektierte157. Aus diesem ganz konkreten Anlass und vor dem Hintergrund seines zeitgebundenen Verständnisses, das von zahlreichen fehlgeschlagenen Versuchen monastischer Institutionen geprägt war, die Jurisdiktion des Ortsbischofs über Klöster aufzuheben, interpretierte der Papst die alten Privilegien der Abtei Corbie, die genau diese Rechte außer Kraft zu setzen schienen, guten Glaubens neu und unterstrich seine Interpretation im Sinne einer Exemtion des Klosters folgerichtig durch den Zusatz, dass dem Abt gestattet wurde, die Pontifikalien zu tragen und dem Papst jährlich Bericht zu erstatten158. Zu Recht kritisiert wurde von seiten Amiens’ aber auch die Tatsache, dass Leo IX., als er dem Abt Fulco in Rom das Privileg aushändigte, diesem auch die ihm wohl schon länger vom Bischof von Amiens verweigerte Priesterwei-

154 SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 190, in Bezug auf Fulda; vgl. FALKENSTEIN: Corbie (wie Anm. 117) S. 94f.; DERS.: Papauté (wie Anm. 2) S. 105. 155 Vgl. dazu im Einzelnen FALKENSTEIN: Corbie (wie Anm. 117) S. 94–100, bes. S. 98. 156 Vgl. Raissa BLOCH: Die Klosterpolitik Leos IX. in Deutschland, Burgund und Italien, in: AU 11 (1930) S. 176–257, dort auch S. 221–223, zu den Mitteln, „durch welche die Verbindung der päpstlichen Klöster mit Rom hergestellt wurde“. Dazu auch die Kritik von FALKENSTEIN: Corbie (wie Anm. 117) S. 96 Anm. 36, der ihr vorwirft, „offenbar in Unkenntnis des Buches von Schreiber“ nicht genau zwischen päpstlichem Schutz und Exemtion zu unterscheiden. Zu Leo IX. vgl. auch Albert HAUCK: Kirchengeschichte Deutschlands 3, 6. unveränd. Aufl., Berlin/Leipzig 1952, S. 595–618. 157 FALKENSTEIN: Corbie (wie Anm. 117) S. 97. 158 Ebd., S. 94f.

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he erteilte und damit in das von den bisherigen Privilegien nicht angetastete Weiherecht des Bischofs von Amiens eingriff159. Wie sehr sich sein Nachfolger Alexander II., der dem Bischof von Amiens im weiteren Verlauf des langjährigen Streites mit der Abtei erhebliche Strafen androhte, wenn er deren Rechtsstellung nicht respektiere, sich trotz allem an bestehendes Recht hielt, zeigt die Tatsache, dass er diesem das Recht, der Abtei Chrisam und Weihen zu erteilen, nicht grundsätzlich bestritt, sondern nur drohte, es bei fortdauerndem Ungehorsam des Bischofs an den Erzbischof von Reims oder einen anderen Bischof zu übertragen160. Auch die Nachfolger Alexanders II. schritten auf diesem Weg fort. In den Privilegien bis 1135 wird ausdrücklich festgehalten, dass die potestas ordinis im Kloster dem Bischof von Amiens zukomme, vorausgesetzt, er sei katholisch und erteile die Weihen gratis und absque prauitate seu exactione, das heißt ohne dafür eine ungerechtfertigte Gegenleistung zu fordern. In seinem zweiten Privileg für Corbie aus dem Jahre 1142161 nahm Innocenz II. jedoch in diesem Punkt eine wichtige Änderung vor: Er legte fest, dass man für die Benediktion des Abtes „nach der alten Gewohnheit der Abtei“ einen Bischof frei auswählen könne162. Eine Erklärung für diese Änderung liefert der Obödienzeid, den Abt Nikolaus II. von Corbie dem Papst bei seinem Besuch in Rom leistete163, mit

159 Ebd., S. 99f. 160 JL 4518, MIGNE PL 146, 1297C–1298A, Nr. 18, hier Sp. 1297D–1298A: …apostolica auctoritate sancimus ut idem chrisma, et ordinationes, et caetera, quae a te solitus est recipere, ab archiepiscopo Remensi, vel a quolibet alio quem sibi opportunius providerit, deinceps recipiat. Vgl. FALKENSTEIN: Corbie (wie Anm. 117) S. 105–106; dort auch zur Datierung bzw. zeitlichen Ordnung der verschiedenen Schreiben. JL 4518 ist „als die erste Reaktion des Papstes auf das lange Klageschreiben des Abtes Foulques anzusehen.“ Falkenstein betont auch, dass dem Bischof „erst für den Weigerungsfall“ der Verlust seines Weiherechtes über Personen und res sacrae seiner Abtei sowie die vorübergehende Suspension und schließlich die Exkommunikation angedroht würden. 161 JL 8254, 1142 Dez. 17; RAMACKERS: Papsturkunden in Frankreich 4 (wie Anm. 72) S. 120–123, Nr. 34. 162 Ebd., S. 122: … qui iuxta antiquam ecclesie uestre consuetudinem a quocumque catholico malueritis episcopo consecretur. Vgl. dazu FALKENSTEIN: Corbie (wie Anm. 117) S. 122: „Mit dieser Bestimmung wurde das bislang nicht bestrittene ausschließliche Weiherecht des Bischofs von Amiens bei der Erhebung eines neuen Abtes in Corbie abrogiert. Ob dafür mündliche Einlassungen des gerade an der Kurie weilenden Abtes Nicolas oder die allgemeine Tendenz, ein Weiherecht am Abt einer exemten Kirche als denkbaren Anlass für zukünftige Konflikte gänzlich auszuschließen, oder aber die irrtümliche Annahme, Leo IX. habe dem Abt Foulques die Abtsbenediktion statt der Priesterweihe erteilt, den Ausschlag gaben, ist nicht zu sagen. Das feierliche Privileg Innozenz’ II. JL 8254 vom Dezember 1142 weist aber zum ersten Mal diese Bestimmung auf, die sich fortan in den Privilegien halten sollte.“ 163 Vgl. dazu FALKENSTEIN: Corbie (wie Anm. 117) S. 121f. Der Wortlaut dieses Eides ist überliefert in der Hs. Paris BNF lat. 11963, die auch Texte zur Errichtung des Bistums Arras enthält (hier fol. 112r). Vgl. KÉRY: Errichtung (wie Anm. 119) S. 135 mit Anm.

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dem er auch das eben erwähnte Privileg erwirkte, denn die Benediktion der Äbte lieferte – wie oben schon dargelegt – den Diözesanbischöfen häufig einen willkommenen Anlass, einen Gehorsameid von Äbten exemter Klöster zu fordern164. Alexander III. ging schließlich noch einen Schritt weiter, als er dem Kloster am 6. Sept. 1171 (JL 11903) ein neues Privileg ausstellte und ihm dabei zugestand, für den Empfang sämtlicher Weihen zwischen dem Diözesanbischof oder irgendeinem anderen Bischof frei zu wählen165. Mit dieser neuen Verfügung annullierte der Papst wohlgemerkt keinesfalls das Weiherecht des Bischofs von Amiens, über das dieser trotz der Exemtion des Klosters noch verfügte, sondern verschaffte – ähnlich wie schon seine Vorgänger – der Abtei eine Ausweichmöglichkeit, um einen Konflikt mit dem Diözesanbischof zu vermeiden und jede Möglichkeit auszuschließen, die Freiheit der exemten Abtei einzuschränken166. Die dichte Folge von feierlichen päpstlichen Privilegien, die die Abtei Corbie seit dem Ende des 11. Jahrhunderts impetrierte, um ihre Exemtion zu wahren und die hier nicht mehr einzeln betrachtet werden können, lässt nicht nur erkennen, dass die Abtei sich ihrer weitgehenden Rechte noch nicht allzu sicher war und weiterhin mit Übergriffen des Diözesanbischofs zu rechnen hatte, sondern auch, dass die päpstliche Kanzlei gerade auch im Hinblick auf die Exemtion noch eine Zeitlang mit ihren Ausdrucksmöglichkeiten experimentierte, bis sich dann mit dem am 30. Juli 1147 ausgestellten feierlichen Privileg Eugens III. (JL 9108) eine – bis auf die bereits erwähnten Veränderungen – feste Grundform für das feierliche päpstliche Privileg für Corbie im wesentlichen herausgebildet hatte167. Derselbe Papst Paschalis II., dessen Arenga sich mit ihrer Formulierung, dass der apostolische Stuhl vor allem für die Ruhe jener Kirchen Vorsorge zu treffen habe, die ihm in besonderer Weise verbunden und gleichsam nach eigenem Recht unterworfen seien, schließlich für Corbie für längere Zeit durchsetzen sollte168, gebot andererseits auch solchen Äbten Einhalt, die sich –

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2; abgedruckt bei RAMACKERS: Papsturkunden in Frankreich 4 (wie Anm. 72) S. 125, Nr. 37. Vgl. oben bei Anm. 107. JL 11903, 1171 Sept. 6; RAMACKERS: Papsturkunden in Frankreich 4 (wie Anm. 72) S. 262–265, Nr. 135, hier S. 263: Crisma uero, oleum sanctum, consecrationes altarium seu basilicarum, ordinationes monachorum uel clericorum qui ad sacros ordines fuerint promouendi, et alia ecclesiastica sacramenta siue a diocesano siue a quolibet alio malueritis suscipietis episcopo, siquidem catholicus fuerit et gratiam atque communionem apostolice sedis habuerit et ea gratis et absque ulla prauitate seu exactione aliqua uoluerit exhibere,…; vgl. FALKENSTEIN: Corbie (wie Anm. 117) S. 146 mit Anm. 237, S. 147. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 174f. FALKENSTEIN: Corbie (wie Anm. 117) S. 123. Ebd., S. 118f., 123: „Mit dem Rückgriff auf die Arenga von Paschalis’ II. JL 6111 hatte das feierliche päpstliche Privileg für Corbie, sieht man von geringfügigen Verän-

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oft auch mit dem Fernziel Exemtion – unter anderem für den Empfang der Weihen im Kloster an andere Bischöfe wandten und ohne triftigen Grund ihren Diözesanbischof als Konsekrator auszuschließen suchten. So untersagte Paschalis II. etwa dem Abt Adam von St-Denis (JL 6063, 1105?), sich für die Weihen an andere Bischöfe zu wenden, da es sich bei dem zuständigen Bischof Galo von Paris um einen guten und katholischen Bischof handele, der die Weihen gratis und „ohne Verkehrtheit“ erteile, und begründete dies zusätzlich damit, dass die beabsichtigte Vorgehensweise vollständig den sacri canones widerspreche und man Privilegien schließlich nicht erteile, um Schlechtes zu bewirken169.

*** Die wenigen hier erläuterten Beispiele haben gezeigt, dass die Päpste bis zu Innocenz III. sorgfältig darauf achteten, mit der Verleihung der Exemtion nicht den Anschein willkürlicher Rechtssetzungen und Privilegierungen zu erwecken und dadurch über Gebühr den Widerstand der betroffenen Bischöfe zu provozieren. Die Bemühungen, sich die Unabhängigkeit vom zuständigen Diözesanbischof von päpstlicher Seite durch Privilegien bestätigen zu lassen, wurden erheblich erleichtert, wenn man dazu Dokumente vorlegen konnte, durch die die Vorgänger im Papstamt dem betreffenden Kloster schon weitgehende Freiheitsrechte zuerkannt hatten, auch wenn diese noch keinesfalls die Rechte des Diözesanbischofs vollständig ausschlossen und die Abtei unmittelbar dem Heiligen Stuhl unterstellten. Vor allem unter dem Eindruck aktueller Übergriffe von Bischöfen auf bereits privilegierte Abteien waren die Päpste geneigt, die Rechte des Klosters großzügiger zu interpretieren und weitreichender zu formulieren, ohne jedoch grundlegende Rechte des Bischofs völlig außer Kraft zu setzen. Ein ergebnisorientiertes Vorgehen ist jedoch erst bei Innocenz III. zu erkennen, der den Verweis der Kirche von Hildesheim auf die Verjährung der Gandersheimer Rechte dadurch erfolgreich außer Kraft setzte, dass er die Abtei als proprietas beati Petri nicht nur vom Verjährungsprivileg der römischen Kirche profitieren ließ, sondern die ohnehin schon deutlich ausgedehnte Verjährungsfrist noch durch eine zusätzliche Verfügung um die Zeit der Papstschismen ausdehnte.

derungen des Diktates, von einigen noch zu erwähnenden Zusätzen, von Präzisierungen und Umstellungen einmal ab, seine in allen wesentlichen Teilen feste Grundform erhalten, die es auch für die Pontifikate Hadrians IV. […] und Alexanders III. beibehalten sollte.“ Vgl. JL 6111 (= JL 6077 a), 1105 April 9; RAMACKERS: Papsturkunden in Frankreich 4 (wie Anm. 72) S. 65f., Nr. 5. Die Arenga wurde auch in das Privileg Eugens III. für Corbie (JL 9108) übernommen. Vgl. ebd., S. 155f., Nr. 54. 169 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 171f. mit Anm. 63.

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4. Die Exemtion der neuen Orden Im Hinblick auf die Frage, ob das Papsttum des 11. und 12. Jahrhunderts eine zielgerichtete Aktion zur Herausnahme möglichst vieler Abteien aus dem Diözesanverband mit unmittelbarer Unterstellung unter den Apostolischen Stuhl betrieb, ist nicht zuletzt auch die Exemtionspraxis der Päpste gegenüber den in dieser Zeit neugegründeten Orden genauer in Augenschein zu nehmen, deren Exemtion zumindest auf den ersten Blick nicht durch bereits bestehende Abhängigkeiten behindert wurde und deshalb theoretisch besonders leicht zu bewerkstelligen war. Aber auch hier wird zwischen neugegründeten und reformierten Klöstern zu unterscheiden sein. Die besondere Bedeutung der Exemtion für Cluny und die Cluniazenser ist bekannt. Aus der Sicht des 12. Jahrhunderts erscheint das berühmte Reformkloster Cluny als Vorreiter einer deutlich gesteigerten Exemtionspraxis, stellten doch schon die Privilegien Gregors V. vom 22. April 998 (JL 3896) und vor allem das Privileg Johannes’ XIX. aus dem Jahre 1024 (JL 4065) in gewisser Weise das Fundament für die Exemtion der Abtei Cluny von der Gerichtsbarkeit des Diözesanbischofs und seine unmittelbare Unterstellung unter den Apostolischen Stuhl dar170. Gregor VII. betonte auf der römischen Fastensynode im März 1080 noch einmal die außergewöhnlich enge Verbundenheit dieses Klosters mit dem Apostolischen Stuhl und bezeichnete die Äbte und Mönche dieser Kirche als huius sanctae Romanae sedis libertatem et dignitatemque imitantes – als Teilhaber an der Freiheit und Würde des römischen Stuhls. In der corroboratio schloss er neben allen anderen dort aufgezählten kirchlichen und weltlichen Würdenträgern, die keinerlei Macht über dieses Kloster ausüben sollten, selbst die päpstlichen Legaten aus: ... nec etiam aliquis legatus meus supra illum locum et monasterium umquam buccam suam aperiat, aliquamve exerceat potestatem 171. Urban II. als ehemaliger Mönch und Großprior der Abtei Cluny verlieh Abt Hugo mit Datum vom 1. November 1088 ein Privileg, dessen Zugeständnisse alle bisherigen übertrafen. Trotzdem achtete der Papst genau darauf, durch die Privilegierung des ihm besonders am Herzen liegenden Klosters keine bereits bestehenden Rechte zu verletzen und fügte der Bestimmung, mit der er die Jurisdiktionsgewalt des Abtes auf alle Güter der Abtei in den verschiedenen Diözesen ausdehnt und ihn zur allein zuständigen Gerichtsinstanz für die Mönche und ihre Klöster erklärt, die folgende Vorbehaltsklausel hinzu:

170 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 186. Vgl. auch KÉRY: Fulda (wie Anm. 6) S. 85f. 171 H. E. J. COWDREY: The Cluniacs and the Gregorian Reform, Oxford 1970, S. 270– 273, hier S. 273; zum Inhalt dort auch S. 56–57 (Übers. ins Englische); Achim KOHNLE: Abt Hugo von Cluny (1049–1109), Sigmaringen 1993 (Beih. der Francia 32), S. 109; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 187.

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Salvo canonico illo jure, quod in eis hactenus habuerunt172. Bestehende Rechte der zuständigen Diözesanbischöfe sollen durch diese sehr weitgehende Privilegierung nicht verletzt werden. Der gleiche Vorbehalt wird nicht nur in einem undatierten Schreiben Urbans II. an den Abt von Cluny zum Ausdruck gebracht, das teilweise Eingang in die Collectio Britannica fand (JL 5371)173, sondern auch in einem Schreiben an Hugo von Cluny von Anfang 1089 (JL 5384), von dem allein die Passage bekannt ist, die in die Collectio Britannica aufgenommen wurde. Hier heißt es noch deutlicher: [P]orro de libertate locorum Cluniacensi monasterio pertinentium, quam nostro tibi privilegio pro antique dilectionis ac religionis singularitate concessi, scientie tue morositatem ita agere convenit ut salvum sit episcoporum ius, quod in eis hactenus habuerunt.174 Für unseren Zusammenhang ist vor allem die Beobachtung von Bedeutung, dass die Gewährung der Exemtion hier offenbar nicht mehr als ein Gnadenerweis empfunden werden kann, der allein auf der Basis der plenitudo potestatis des Papstes beruhte, wie es Gregor VII. in dem oben erwähnten Schreiben an Cunibert von Turin dargestellt hatte175. Die Tatsache, dass Urban II. den erwähnten Vorbehalt nicht weniger als dreimal gegenüber dem Abt von Cluny zum Ausdruck brachte, zeigt zudem nach Ansicht von Falkenstein, dass es sich dabei keinesfalls um eine diplomatische Geste handelte, sondern dass es dem Papst wirklich ein Anliegen war, auf diese Weise zu verhindern, dass der Abt und die Mönche ein bereits bestehendes Recht des Bischofs über Kirchen oder Priorate des Cluniazenserordens verletzten176. Hierbei ist auch zu 172 JL 5372, 1088 Nov. 1, MIGNE PL 151, Sp. 291D–293A, Nr. 9; vgl. COWDREY: Cluniacs (wie Anm. 171) S. 60f., hier S. 61: “The last clause […] which left elbow-room for the reasonble claims of the bishops to be considered.” Vgl. auch FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 188. Bei Rechtsstreitigkeiten mit diesen Bischöfen ist dann jedoch wieder der Abt von Cluny Appellationsinstanz; erst wenn dieser nicht weiterhelfen kann, soll man sich an den Apostolischen Stuhl wenden: Si quid autem causae in eos habuerint, te, tuosve successores appellent. Quod si per vos lis nequiverit definiri, ad sedem apostolicam referatur, e j u s s o l i u s v el l e g a t i e j u s j u d i c i o d e f i n i en d u m ; MIGNE PL 151, Sp. 292C. 173 JL 5371, MIGNE PL 151, Sp. 291AC, Nr. 8. Vgl. Robert SOMERVILLE: Pope Urban II, the Collectio Britannica, and the Council of Melfi (1089), Oxford 1989, S. 84–87 (Edition mit engl. Übers.), hier S. 84: Et omnia monasterii vestri loca, ubilibet fuerint, in nostre specialiter manus protectione suscepimus ita ut nec episcopus quilibet nec legatus nisi cui a nobis idipsum specialiter iniunctum fuerit, preter voluntatem tuam de vestris audeat negotiiis iudicare, s a l v o t a m e n i u r e e pi s c o p o r u m , q u o d i n e i s h a c t e n u s h a b u i s s e n o s c u n t u r . 174 JL 5384; SOMERVILLE: Collectio Britannica (wie Anm. 173) S. 115; vgl. dort auch S. 116, zur Bedeutung von morositas; vgl. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 189, mit weiteren Hinweisen, der die gleiche Vorgehensweise auch in dem berühmten Brief an Gebhard von Konstanz (JL 5393) vom 18. April 1089 am Werk sieht; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 189 Anm. 26. 175 Ebd., S. 189f. mit Anm. 27 und oben bei Anm. 118. 176 Vgl. auch ebd., S. 190 mit Anm. 28, mit der wichtigen Beobachtung, dass entgegen der Behauptung von Cowdrey mit der Formulierung ipsius loci fratres ubicunque positi im Privileg Johannes’ XIX. von 1024 (siehe oben Anm. 170) nicht gemeint sein könne,

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bedenken, dass Cluny zwar selbst sehr früh über eine exemte Rechtsstellung verfügte, diese jedoch längst nicht auf alle Priorate ausdehnen konnte: Nicht alle cluniazensischen Klöster waren exemt. Die affiliierten Klöster konnten von der Mutterabtei nicht aus der Gerichtsbarkeit des betroffenen Bischofs herausgelöst werden, außer wenn diese selbst vom Bischof in die Freiheit entlassen wurden oder wenn sie sogar schon exemt waren, bevor sie Cluny affiliiert wurden177. Der Eintritt in die Kongregation von Cluny war also keinesfalls gleichbedeutend mit einer „automatischen“ Exemtion. Auch hier achtete selbst ein Reformpapst wie Urban II. darauf, die Rechte der Bischöfe nicht zu verletzen, aber auch selbst die Handlungsinitiative im Hinblick auf Privilegierungen zu behalten und keine „Generalvollmacht“ zu erteilen. Calixt II. schränkte sogar die Befugnis, die Benediktion des Abtes und die Ordinationen der Mönche von dem Bischof seiner Wahl entgegenzunehmen, ausdrücklich auf das Mutterkloster ein178. Schreiber zieht aus diesem „Rückzug der päpstlichen Klosterpolitik“ die Schlußfolgerung, dass sich hier „zum erstenmal die im 12. Jahrhundert noch an einer zweiten grossen Ordensgemeinschaft sich bewahrheitende Tatsache“ zeige, „dass die realen Verhältnisse diöcesanen Lebens und diöcesaner Gebundenheit sich stärker erweisen als der Wille päpstlicher Privilegien“. Seiner Ansicht nach „zerschellte“ die Privilegierung durch die Kurie zwangsläufig daran, dass die cluniacensischen Priorate mehr durch „Reformübertragung als durch Eigengründung“ zusammengewachsen waren. Wegen dieses „Ursprungsverhältnisses“ sei die „Beseitigung einer bis dahin bestandenen bischöflichen Jurisdiktion mit großen Schwierigkeiten verbunden“ gewesen179.

dass die Exemtion alle cluniazensischen Mönche betreffe, sondern dass ipsius loci sich auf die Mutterabtei beziehe. Vgl. jedoch COWDREY: Cluniacs (wie Anm. 171) S. 71: “No bishop anywhere might visit them with his malediction or excommunicate them.” 177 SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 75–78; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 190f., mit Beispielen. 178 Calixt II., JL 6821; Bullaire du pape Calixte II 1119–1124. Essai de restitution, 2 Bde., ed. Ulysse ROBERT, Paris 1891, hier Bd.1, S. 209–212, hier S. 209: Sane pro abbatis, monachorum seu clericorum infra predictos terminos habitantium ordinatione, […] Cluniacense monasterium quem maluerit antistitem convocet. 179 SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 77. Er macht es Cluny sogar nachgerade zum Vorwurf, dass es sich nicht bemüht habe, die „rechtlichen Unebenheiten in der Stellung der Abteien wie auch der Priorate auszugleichen und beide Gruppen von Obedienzen zu einem einheitlichen Rechtskörper zu verschmelzen“, eine Aufgabe, die Cluny nicht gelöst habe, das bereits mit Paschalis II. seinen privilegiengeschichtlichen Höhepunkt überschritten habe. Eine solche Auffassung ist wohl heute nur noch vor dem Hintergrund des Verfassungsdenkens des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu verstehen.

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Während sich die Ausstellung eines Exemtionsprivilegs auch für Cluny selbst erst allmählich in den bereits genannten Schritten entwickelte180, sich dabei offenbar auf den zunächst verliehenen apostolischen Schutz stützte181 und sich später auch längst nicht in allen Fällen auf die affiliierten Priorate und Cellen übertragen ließ, könnte man vermuten, dass die Päpste bei den zahlreichen erst im 11. und im 12. Jahrhundert neugegründeten Orden entweder von sich aus oder auch auf Initiative der Ordensgründer dafür sorgten, die Freiheit der Mutterklöster und gleichzeitig auch der übrigen Niederlassungen von der Diözesangewalt sowie deren unmittelbare Unterstellung unter den Apostolischen Stuhl in den Gründungsurkunden oder frühen Privilegien gleich von Anfang an zu garantieren. Aber auch deren „Exemtionsgeschichte“ erweist sich als differenzierter. Offenbar zu Unrecht wurde die Behauptung aufgestellt, den Kamaldulensern sei – nach einer Vielzahl sonstiger Beweise der päpstlichen Unterstützung für diese bedeutende Reformkongregation182 – im Jahre 1113 von Paschalis II. die Exemtion von der bischöflichen Gewalt verliehen worden183, nachdem die einzelnen Zweige dieses Ordens zu einer Kongregation vereinigt worden waren. Paschalis II. verfügt in diesem Privileg, dass die Bischöfe über die jeweiligen Filialen des Ordens keine Strafsentenzen verhängen dürfen, außer mit der Zustimmung des Priors von Camaldoli oder mit Erlaubnis des Apostolischen Stuhls. Zudem wurde die freie Wahl des Bischofs für die Weihen zugestanden. 180 Dazu allgemein Rudolf HIESTAND: Einige Überlegungen zu den Anfängen von Cluny, in: Mönchtum – Kirche – Herrschaft 750–1000, hg. v. Dieter R. BAUER u.a., Sigmaringen 1998, S. 287–309, bes. S. 309, der gezeigt hat, dass sich die besondere Rechtsstellung des Klosters Cluny erst allmählich durch eine Summierung von Freiheiten entwickelte. 181 Vgl. dazu das Schreiben Johannes’ XIII. (968) an die Bischöfe Galliens (JL 3744) und Benedikts VIII. (1021–1023) an die Bischöfe Burgunds, Aquitaniens und der Provence (JL 4013); FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 186f., mit weiteren Hinweisen. 182 Vgl. dazu SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 78, spricht von einer „bevorzugte[n] privilegienrechtliche[n] Stellung“. Paschalis II. hatte den Prior und das Eremitenkloster von Camaldoli, das Anfang des 11. Jahrhunderts über den Status eines bischöflichen Eigenklosters verfügte, im Jahre 1105 unter den besonderen apostolischen Schutz gestellt und den Bischöfen verboten, ohne kanonisches Urteil (!) ein Exkommunikationsurteil gegen die Brüder der Kongregation auszusprechen; JL 6014, 1105 März 23, MIGNE PL 163, Sp. 152C–154A, Nr. 143. It. Pont. 3, S. 176, Nr. 5. Vgl. dazu auch FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 193. Wilhelm KURZE: Art. ‚Camaldoli’, LexMA 2 (1983) Sp. 1405f., betont, dass Versuche Camaldolis, sich aus der rechtlichen Stellung als bischöfliches Eigenkloster zu lösen, misslangen. Vgl. hier Anm. 183. 183 JL 6357 (1113 Nov. 4, von Schreiber noch zu 1114), MIGNE PL 163, Sp. 330D–332B; SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 78; vgl. dazu auch Wilhelm KURZE: Zur Geschichte Camaldolis im Zeitalter der Reform, in: Il monachesimo e la riforma ecclesiastica (1049–1122), Atti della quarta Settimana internazionale di studio, Mendola, 23–29 agosto 1968, Milano 1971 (Miscellanea del Centro di studi medioevali 6; Pubblicazioni dell’Università cattolica del Sacro Cuore, Contributi, Serie terza 7), S. 399–415, bes. S. 411; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 193.

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Wie wir oben schon gesehen haben, reichen diese Bestimmungen nicht aus, um von einer Exemtion der Kongregation von Camaldoli zu sprechen184. Sie bezeugen lediglich, dass dem Prior von Camaldoli weitgehende Aufsichtsrechte über die Einzelklöster und dem Orden insgesamt ein Recht zur unmittelbaren Appellation an den Heiligen Stuhl zugestanden wurden185. Die Bestimmung zur Einholung der Erlaubnis des Apostolischen Stuhls wurde im Text des Privilegs Alexanders III. sogar ausgelassen. In den Privilegien Lucius’ III. und Clemens’ III. kehrte man wieder zu den früheren Bestimmungen zurück, ohne dass jedoch irgendwelche Hinweise auf eine Exemtion vorliegen186. Nach einem vor der römischen Kurie angestrengten Prozess sorgte schließlich Honorius III. 1220 dafür, dass die ursprüngliche Stellung Camaldolis als Eigenkloster des Bischofs von Arezzo anerkannt wurde187. Ähnliches gilt für die Kartäuser. Für die Behauptung, sie hätten im 12. Jahrhundert über die Exemtion verfügt188, konnte allein die Vorbehaltsklausel salva sedis apostolicae auctoritate als Indiz herangezogen werden, die sich seit der Zeit Alexanders III. in Privilegien für diesen Orden findet189. Dagegen kann kein einziges päpstliches Privileg aus dem 12. Jahrhundert für den Orden angeführt werden, das eine Befreiung von der Jurisdiktion des Diözesanbischofs

184 Ebd., S. 194 und oben bei Anm. 62. 185 Vgl. dazu auch die Wiederholung dieser Privilegien durch Hadrian IV.; JL 10015, 1155 März 14, MIGNE PL 188, Sp. 1396B–1398B, Nr. 26; It. Pont. 3, S. 180, Nr. 25; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 194 mit Anm. 40. 186 Alexander III., JL 12688, 1176 März 16, MIGNE PL 200, Sp. 1064D–1066B, Nr. 1236; Lucius III., JL 15062, 1184 Juli 7, MIGNE PL 201, Sp. 126C–1266B, Nr. 152; It. Pont. 3, S. 183, Nr. 35; Clemens III., JL 16095, 1187 Dez. 23, MIGNE PL 204, Sp. 1275A–1278B, Nr. 1; It. Pont. 3, S. 184, Nr. 39. Vgl. dazu auch FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 194, mit Kritik an Schreiber in Anm. 41. 187 1220 Aug. 4; vgl. Regesta Honorii papae 3, ed. Petrus PRESSUTTI, Bd. 1, Rom 1888, S. 431, Nr. 2597: „Mandat, compositionem inter Camaldulenses et episcopum Aretinum super iure patronatus et iure dioecesani in ecclesia Camaldulensium factam et confirmatam observari faciant.“ Vgl. Wilhelm KURZE: Campus Malduli. Die Frühgeschichte Camaldolis, in: QFIAB 44 (1964) S. 1–34, hier S. 29–32. 188 So SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 81–83. 189 Ebd., S. 82: „immerhin verdient es einige Beachtung, dass allein der päpstliche Vorbehalt in dem Schutzbriefe Eugen gemacht ist“. Er zitiert Innozenz II. für die Chartreuse du Mont-Dieu (MIGNE PL 179, Sp. 296, JL 7798), bestätigt von Eugen III. (MIGNE PL 180, Sp. 1071C–1072C, JL 8804) u. Eugen III. für die Kartause Meyriat (Département Ain, arrondissement Nantua, canton Brénod), JL 8849, vgl. Wilhelm WIEDERHOLD: Papsturkunden in Frankreich 2: Burgund mit Bresse und Bugey, Berlin 1906 (NGG, phil.-hist. Kl., Beih.), S. 19; DERS.: Reiseberichte 1, 1985 (wie Anm. 73) S. 165. Dazu skeptisch FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 195: „En réalité, on ne peut s’appuyer que sur un seul indice: la clause de réserve salua sedis apostolice auctoritate qui se trouve dans des privilèges octroyés aux chartreuses à partir du pontificat d’Alexandre III.“

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bezeugen könnte190. Schreiber weist jedoch darauf hin, dass die Bestätigungsurkunde Alexanders III. für die kalabrische Kartause Santo Stefano, die Tochtergründung von La Torre, klar und deutlich die Exemtion erkläre191. Auch Tangl erwähnt die exemte Stellung der Kartäuser192. Ganz anders stellte sich die rechtliche Situation der Reformkongregation193 des von Johannes Gualbertus um 1037 gegründeten Klosters Vallombrosa dar, dem zusammen mit seinen Tochterklöstern bereits von Urban II. im Jahre 1090 nicht nur der apostolische Schutz, sondern auch die Exemtion verliehen wurde, indem er sie unmittelbar der Gerichtsbarkeit des Apostolischen Stuhls unterstellte – nullius alterius judicio temere exponamini – und ihnen darüber hinaus auch die freie Wahl des Bischofs für die Erteilung des Chrisams und des heiligen Öls sowie für die Vornahme der Benediktionen und Konsekrationen zugestand194. Bei seiner Bestätigung und Ausdehnung dieses Rechtsstatus auf alle 190 Ebd., S. 195f. Vgl. dazu auch Jacques HOURLIER: L’âge classique, 1140–1378: Les religieux, Paris 1971 (Histoire du droit et des institutions de l’Église en Occident 10), S. 70–74. Zum päpstlichen Privileg für die Kartäuser siehe vor allem Jacques DUBOIS: Les institutions monastiques au XIIe siècle: À propos des coutumes de Chartreuse rédigées par Guigues et éditées par un Chartreux, in: RHEF 72 (1986) S. 209–244, hier S. 223f. (ND in: Aspects de la vie monastique en France au Moyen Age, Aldershot 1993 [Collected studies series 395]) Nr. 3. 191 SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 82, mit Verweis auf das Privileg Alexanders III. für die Kartause Santo Stefano del Bosco; JL 12681 (Ende 1175 oder 1176). Vgl. dazu Dieter GIRGENSOHN (usus Waltheri Holtzmann schedis), Italia Pontificia 10, Zürich 1975, S. 73–74, Nr. 19. Für La Torre selbst folgert Schreiber die Exemtion aus der Urkunde Calixts II., die zwar nicht die Befreiung von der Strafgewalt des Bischofs verfüge, „aber wir folgern sie indirekt aus dem Rechte, die pontifikalen Handlungen von jedem der benachbarten Bischöfe vornehmen zu lassen“, ein Recht, das nach der überzeugenden Darstellung von Falkenstein nicht als allein begründend für die Exemtion betrachtet werden kann. JL 6869; vgl. ROBERT: Bullaire (wie Anm. 178) Bd. 1, S. 286, und oben bei Anm. 62. Schreiber weist zudem darauf hin, dass die Urkunde Urbans II. das Wort specialiter enthalte; vgl. JL 5444, Acta inedita, ed. PFLUGKHARTTUNG (wie Anm. 77) Bd. 2 S. 149, Nr. 183: „…sub tutela apostolicae sedis specialiter permaneant“; SCHREIBER S. 83, Anm. 1. 192 Päpstliche Kanzleiordnungen von 1200–1500, gesammelt und hg. v. Michael TANGL, Innsbruck 1894, S. 73 Anm. zu Nr. 8; dort auch der Hinweis „Als exempt galten die geistlichen Ritterorden und die Cistercienser (Decret. Greg. IX 3, 30 c. 10)“, wobei X 3.30.10 jedoch die Befreiung vom Zehnt behandelt! 193 Zur Problematik des Begriffes Kongregation („richtiger müsste es etwa heißen ‚Mutterklosterverband’“) vgl. SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 80 Anm. 4. 194 JL 5433, 1090 April 6, MIGNE PL 151, Sp. 322A–323D, Nr. 40, hier Sp. 322D–323A. Vgl. It. Pont. 3, S. 88, Nr. 6; SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 80f.; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 192f. Zur Exemtion Vallombrosas vgl. auch Nicolangelo D’ACUNTO: I Vallombrosani e l’episcopato nei secoli XII e XIII, in: Papato e monachesimo „esente“ nei secoli centrali del Medioevo, a cura di Nicolangelo D’ACUNTO, Firenze 2003 (Reti Medievali), S. 41–64, hier S. 48 mit Anm. 32, der aufgrund der von Volpini nachgewiesenen Übereinstimmung in den Texten der Privilegien Urbans II. (JL 5433, 1090 April 6, vgl. Raffaello VOLPINI: Additiones Kehrianae

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Brüder der anderen zur Kongregation von Vallombrosa gehörenden Klöster, den bereits bestehenden wie auch zukünftigen, fügte Paschalis II. 1115 weitere Einzelklöster namentlich hinzu, eine Liste, die in den nachfolgenden päpstlichen Privilegien offenbar jeweils aktualisiert oder doch zumindest erweitert wurde195. Für die Kongregation von Vallombrosa kann man demnach feststellen, dass die übrigen Klöster durch ihre Affiliation an das Mutterkloster auch von dessen exemter Rechtsstellung profitierten196. Einzubeziehen in diesen knappen Überblick sind auch die Ritterorden, die gerade im 12. Jahrhundert von den Päpsten in ganz ungewöhnlicher Weise mit Gunstbeweisen und Privilegien ausgestattet wurden. Sie genossen vor allem einen ganz besonders ausgedehnten apostolischen Schutz, wie er in den Spezialmandaten an die Erzbischöfe und Bischöfe zum Ausdruck kommt, alle Übeltäter zu exkommunizieren, die Gewalttaten gegen ihre Kleriker und Ordensbrüder, aber auch gegen ihre Diener begangen haben197. Weitere Mandate Eugens III. sollten in bisher unbekannter Weise auch den Schutz ihrer Arbeitstiere und deren Führer sowie ihrer Güter und der Priester, die in ihren Orden aufgenommen wurden, garantieren – ein Schutz, der von Alexander III. er[2]. Note sulla tradizione dei documenti pontifici per Vallombrosa, in: Rivista di Storia della Chiesa in Italia 23 [1969] S. 313–360, hier S. 350) und Paschalis’ II. (JL 6447, 1115 Febr. 9, VOLPINI: Additiones, S. 348–353) davon ausgeht, dass „già nel 1095 (?) tutta la congregazione godeva delle medesime prerogative.“ Vgl. dazu auch die Edition des Privilegs Paschalis’ II. (JL 6447) durch Volpini, der die Übereinstimmungen zwischen den beiden Schriftstücken durch Kursive gekennzeichnet hat (VOLPINI: Additiones, S. 348–353 und v.a. S. 351: Nec ulli episcopo potestas sit exco(m)municationem aut interdictionem vobis ingerere ut, qui in speciales estis f[ili]os apostolice Sedis assu(m)pti, nullius alterius iudicio te[m]ere exponamini. quia vero plura iam monasteria, inspirante Domino, in eandem vobiscum formam religionis consenserunt, videlicet congregatio Sancti Salvii iuxta Florentiam, Sancti Fidelis de Strumis, Sancti Salvatoris de Sophena […] et congregatio de Rivis Caesaris, [et congregatio de Fontana Taonis], et congregatio de Monte Armato [in Bononiensi dioecesi], Sancti Pauli de Pisa, Sancti Bartholomei de Ca[p]lano, Sancte Trinitatis de Florentja, Sancti Laurentii de Cultuboni […] Sancti Gervasii de Brixiana di[o]cesi [inspirante Domino in eamdem vobiscum formam religionis consenserint], nos et ipsis et omnibus, qui se in crastinum eidem religionis usui ex integro sociare voluerint, presentis privilegii libertatem apostolica auctoritate concedimus, quamdiu in eadem religionis et consuetudinis unitate persistere procuraverint. […] A[d] indicium autem perceptč huius a Romane Ecclesie libertatis per annos singulos duodeci(m) sagi cilicini brachia Laterani palatio persolvetis.“ VOLPINI: Additiones Kehrianae, S. 351– 352. Siehe dazu auch die Angaben in der folgenden Anm. 195 Paschalis II. JL 6447, 1115 Februar 9, MIGNE PL 163, Sp. 372A–374B, Nr. 170; Acta inedita, ed. PFLUGK-HARTTUNG (wie Anm. 77) Bd. 2, S. 209f., Nr. 253. SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 81 mit Anm. 3; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 193. 196 Ebd., S. 193. Zur Kongregation von Vallombrosa in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts vgl. jetzt auch Maria Pia ALBERZONI: Innocenzo III, il IV concilio lateranense e Vallombrosa, in: Papato e monachesimo „esente“ nei secoli centrali del Medioevo, a cura di Nicolangelo D’ACUNTO, Firenze 2003 (Reti Medievali), S. 109– 178. 197 Dazu FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 197, mit Beispielen.

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neuert und in ähnlich umfassender Weise auch den Hospitalitern zugesagt wurde198. Zur Lösung der umstrittenen Frage, welcher der beiden Ritterorden, die Templer oder die Hospitaliter, früher über die Exemtion verfügte, ist auch hier wieder nachzuforschen, zu welchem Zeitpunkt das Formular des entsprechenden feierlichen Privilegs eine spürbare Einschränkung der Jurisdiktion des Diözesanbischofs aufweist. Wie Rudolf Hiestand gezeigt hat, entstand die früheste Fassung des päpstlichen Privilegs für die Templer, Omne datum optimum, spätestens während des Pontifikats Innocenz’ II. und zwar mit dem Datum vom 29. März 1139 (JL – )199, ebenso wie die früheste Version des Privilegs für die Hospitaliter, Christianae fidei religio, die vom 7. Februar 1137 (JL 7823) datiert200 und dessen nahezu definitive Fassung aus der Kanzlei Anastasius’ IV. vom 21. Oktober 1154 stammt (JL 9930)201. Die Entwicklung der Privilegientexte hat sich in verschiedenen Stufen über einen Zeitraum von 50 bis 60 Jahren hingezogen. Hiestand bezeichnet als „Redaktionsschluß“ für das Templerprivileg das Jahr 1179 und verweist für die abschließende Version des Privilegs für die Hospitaliter auf das endende 12. Jahrhundert202. Ein genauer inhaltlicher Vergleich zeigt jedoch, dass bereits das Privileg Innocenz’ II. vom 16. Juni 1135, Ad hoc nos, zum ersten Mal eine Verfügung über die Exemtion der Kirchen enthält, die den Hospitalitern gehören, indem den Bischöfen verboten wird, über diese Kirchen das Interdikt oder die Exkommunikation zu verhängen. Außerdem werden sie von den Wirkungen eines allgemeinen Interdikts befreit203. Diese Bestimmung findet sich mit eini198 Vgl. ebd., S. 196f., mit den entsprechenden Belegen. 199 Rudolf HIESTAND: Papsturkunden für Templer und Johanniter, NF Göttingen 1984 (Vorarbeiten zum Oriens pontificius 2; AAG, phil.-hist. Kl., 3. Folge 135), S. 75–80. 200 Ebd., S. 110–112. 201 Ebd., S. 112–121; DERS.: Die Anfänge der Johanniter, in: Die geistlichen Ritterorden Europas, hg. von Josef FLECKENSTEIN/Manfred HELLMANN, Sigmaringen 1980 (VuF 26), S. 31–80, hier S. 61. 202 HIESTAND: Papsturkunden für Templer und Johanniter 2 (wie Anm. 199) S. 67–103, zum feierlichen Privileg für die Templer Omne datum optimum und S. 104–135, zum feierlichen Privileg für die Johanniter Christianae fidei religio. 203 HIESTAND: Papsturkunden für Templer und Johanniter 2 (wie Anm. 199) S. 206f., Nr. 4: Statuimus ut nulli episopo in ecclesiis uobis subditis interdicti uel excommunicationis sententiam liceat promulgare. Verumtamen si generale interdictum fuerit in ciuitate siue in alio loco prolatum, exclusis laicis et clausis ianuis absque signorum pulsatione diuina plane celebretis officia. Vgl. dazu HIESTAND: Anfänge (wie Anm. 201) bes. S. 59: „… mit der Befreiung von der kirchlichen Strafgewalt durch Innozenz II. waren die Johanniter in einem entscheidenden Punkt aus der Diözesanhierarchie herausgelöst. Mit ihr beginnt im Jahre 1135 die Geschichte des Hospitals als einer exemten Institution der Kirche. Zur finanziellen, von den Bischöfen selbst zugestandenen Freiheit war jetzt die vom Papsttum verliehene jurisdiktionelle Freiheit getreten.“ Hiestand weist jedoch gerade in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Entwicklung nicht geradlinig verlief und im zwei-

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gen kleinen Veränderungen auch noch in dem eben genannten Privileg Anastasius IV. (JL 9930) aus dem Jahre 1154 für die Hospitaliter, in dem deren fast vollständige Lösung aus der Diözesanorganisation ausgesprochen wurde204. Den Templern sollte dann Alexander III. am 17. Juli 1179 im Rahmen einer Neufassung des Privilegs Omne datum optimum die Exemtion ausdrücklich gewähren205. Trotz der Kritik, die die Bischöfe auf dem 3. Laterankonzil im März desselben Jahres geäußert hatten, gestand der Papst den Templern für alle ihre Kirchen die Exemtion zu206. Gleichzeitig sprach ein an Erzbischöfe, Bischöfe und Prälaten adressiertes Schreiben das Verbot aus, von den Kapellänen der Kirchen, die den Templern übertragen worden waren, einen Treueid oder Gehorsamseid zu verlangen, da diese allein dem römischen Bischof unterstellt seien207. Im Text eines Briefes Honorius’ III. vom 13. November 1219 wird die Exemtion der Templer von der Strafgewalt des Diözesanbischofs angesprochen. Der Papst bezieht sich dabei ausdrücklich auf ein authentisches Schrei-

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ten Privileg Innozenz’ II. von 1137 ausgerechnet die Bestimmung von 1135 über Exkommunikation und Interdikt fehlte „und damit das entscheidende Moment einer Lösung aus der Diözesanorganisation“. Dem feierlichen Privileg Eugens III. wurde dann „die klassische Formel exemter Institutionen“ (salva in omnibus apostolice sedis auctoritate) wieder eingefügt; JL −, ed. HIESTAND, S. 210–212, Nr. 7, 1153 Januar 29; DERS.: Anfänge der Johanniter, S. 59. Vgl. auch schon SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 93; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 199–200. HIESTAND: Papsturkunden für Templer und Johanniter 2 (wie Anm. 199) S. 133, die Edition und S. 108, eine Übersicht der verschiedenen Fassungen und ihrer Überlieferung; HIESTAND: Anfänge (wie Anm. 201) S. 64; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 200. Statuimus etiam, ut nulli episcopo in ecclesiis uobis utroque iure subditis interdicti uel excommunicationis sententiam liceat promulgare. Verumtamen si generale interdictum fuerit in locis illis prolatum, exclusis excommunicatis et nominatim interdictis clausis ianuis absque signorum pulsatione plane diuina officia celebratis; HIESTAND: Papsturkunden für Templer und Johanniter 2 (wie Anm. 199) S. 102. Vgl. dort auch S. 89; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 200f. Ebd., S. 201. Zur Kritik der Bischöfe vgl. den c. 9 des 3. Laterankonzils, Conciliorum oecumenicorum decreta, ed. Josepho ALBERIGO u.a., Bologna 31973, S. 216: Fratrum autem et coepiscoporum nostrorum vehementi conquestione comperimus, quod fratres Templi et Hospitalis, alii quoque religiosae professionis, indulta sibi ab apostolica sede excedentes privilegia, contra episcopalem auctoritatem multa praesumunt, quae et scandalum generant in populo Dei et grave pariunt periculum animarum…. Zum Hintergrund Raymonde FOREVILLE: Latran I à IV, Paris 1965 (Histoire des conciles oecumeniques 6), S. 155f.; Jean BECQUET: Les religieux, in: Le troisième concile de Latran (1179). Sa place dans l’histoire. Communications présentées à la Table Ronde du C.N.R.S., le 26 avril 1980 et réunis par Jean LONGERE, Paris 1982, S. 45–51, hier S. 47–51. JL – (1171–1172. 1180) Juli 6; Rudolf HIESTAND: Papsturkunden für Templer und Johanniter. Archivberichte und Texte, Göttingen 1972 (Vorarbeiten zum Oriens Pontificius 1), S. 303f., Nr. 115: … quia Romano tantum pontifici sunt subiecti; vgl. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 201.

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ben Innocenz’ III., das heute verloren ist, sowie auf ein Reskript Alexanders III.208 Demnach ist zu vermuten, dass nicht nur Innocenz III., sondern auch schon Alexander III. eine solche littera cum serico für die Templer ausstellten und auch die entsprechenden litterae cum filo canapis für die betroffenen Bischöfe und Prälaten, in denen in umfassender Weise jedem außer dem römischen Bischof verboten wurde, über Angehörige des Templerordens einschließlich ihrer Diener die Exkommunikation oder das Interdikt zu verhängen209. Bereits seit der ersten Version von 1139 enthält der Text des Privilegs, das den Templern gewährt wurde, eine Verfügung bezüglich der Zulassung von Priestern in den Häusern ihres Ordens, deren Befolgung ebenfalls als ein Element der Exemtion betrachtet werden kann: Es soll ihnen erlaubt sein, Kleriker und Priester gleich welcher Herkunft aufzunehmen und in ihrer Hauptniederlassung oder angegliederten Häusern zu haben. Selbst wenn sie aus der Nachbarschaft kommen und von den zuständigen Bischöfen erbeten wurden, sollen sie keinem anderen Gelübde oder Orden untertan sein. Sollten die Bischöf sich weigern, ihnen dies zuzugestehen, soll es den Templern trotzdem erlaubt sein, sie mit der Autorität der römischen Kirche aufzunehmen und zu behalten. Mit leichten Abwandlungen, angepasst an die besonderen Bedürfnisse ihres Ordens, enthält auch der Text des feierlichen Privilegs für die Hospitaliter seit der bereits erwähnten Ausfertigung Anastasius’ IV. vom 21. Oktober 1154 eine solche Bestimmung210. In Bezug auf die Weihegewalt ist eine deutliche Entwicklung zu verzeichnen. Bis zur Version Omne datum optimum von 1179 wurde es in den Privilegien für die Templer diesen freigestellt, sich einen beliebigen Bischof für die Ordinationen ihrer Kleriker zu wählen, vorausgesetzt, dieser erteile sie gratis und habe Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhl211. Anschließend jedoch näherten sich die entsprechenden Formulierungen in den Privilegien für die 208 HIESTAND: Papsturkunden für Templer und Johanniter 1 (wie Anm. 207) S. 413f., Nr. 238, hier S. 413: Ex autentico bone memorie Innocentii pape predecessoris nostri nobis constitit euidenter eundem in felicis recordationis Alexandri pape predecessoris nostri perspexisse contineri rescripto, quod mouebatur et plurimum grauabatur super eo, quod Ierosolimitanus patriarcha in presbiteros et laicos uestros […] excommunicatos esse fateri presumpsit. Vgl. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 202. 209 Vgl. dazu den Text bei HIESTAND: Papsturkunden für Templer und Johanniter 1 (wie Anm. 207) S. 413f., Nr. 238, auch abgedruckt bei FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 202, Anm. 67: …ea libertate de clementia sedis apostolice gaudeatis, quod a nemine nisi a Romano pontifice excommunicari uel interdici possitis; ne igitur uobis similia in posterum contingere possint, auctoritate apostolica interdixit, ut nemini liceat sine mandato Romani pontificis uos uel seruientes uestros clericos siue laicos, donec in seruitio domus uestre fuerint, excommunicationi uel interdicto subicere; et si qua sententia in uos uel seruientes uestros aliter lata fuerit, eam irritam censuit et inanem. 210 HIESTAND: Papsturkunden für Templer und Johanniter 2 (wie Anm. 199) S. 119, 133f.; vgl. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 203. 211 HIESTAND: Papsturkunden für Templer und Johanniter 2 (wie Anm. 199) S. 100; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 203 Anm. 70.

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beiden Ritterorden einander an und verfügten nun, dass die Weihegewalt unter den schon mehrfach erwähnten Voraussetzungen dem Diözesanbischof vorbehalten sein sollte. Zur gleichen Zeit, als zum erstenmal die Exemtion von der Gerichtsbarkeit des Ordinarius ausdrücklich im Text des Templerprivilegs angesprochen wurde, wurde ihre Befugnis, einen Bischof für die Weihen frei zu wählen, spürbar eingeschränkt. Falkenstein zieht daraus erneut die Schlussfolgerung, dass die Weihegewalt des Ordinarius im Hinblick auf die Exemtion ganz offensichtlich nicht entscheidend gewesen sei212. Bei der Privilegierung der Zisterzienser ist ebenfalls zu unterscheiden zwischen dem privilegium commune für die Zisterzienserabteien, das erst im 13. Jahrhundert seine definitive Form erhielt213 und dem allgemeinen Privileg für den Zisterzienserorden mit den Anfangsworten Sacrosancta Romana ecclesia. Im Hinblick auf die Exemtion hat gerade der Zisterzienserorden eine deutliche Entwicklung durchlaufen214. Zu Beginn hat man sich offenbar keine Gedanken über die Exemtion gemacht, jedes Kloster, jede Neugründung wurde der Autorität des Bischofs unterstellt. Darin hat man nicht zuletzt einen Ausdruck des scharfen Gegensatzes zu Cluny gesehen215, wie auch der berühmte Briefwechsel zwischen dem Cluniazenserabt Petrus Venerabilis und Bernhard von Clairvaux zeigt216, der als Gegner der Exemtion auftrat und dazu auch in seiner

212 Ebd., S. 204. 213 TANGL: Kanzleiordnungen (wie Anm. 192) S. 229–232; vgl. auch FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 205, der in Anm. 75 darauf hinweist, dass das privilegium commune noch nicht ausreichend untersucht sei. Vgl. dazu jetzt die Studie von Guido CARIBONI: Esenzione cistercense e formazione del Privilegium commune. Osservazioni a partire dai cenobi dell’Italia settentrionale, in: Papato e monachesimo „esente“ nei secoli centrali del Medioevo, a cura di Nicolangelo D’ACUNTO, Firenze 2003 (Reti Medievali), S. 65–107, mit der Ankündigung, S. 66, S. 73–76: ‚La realizzazione del privilegium commune’. 214 Dazu ausführlich Jean Berthold MAHN: L’ordre cistercien et son gouvernement des origines au milieu du XIIIe siècle (1098–1265), Paris 21951, S. 119–155: „Les cisterciens et l’exemption“. Zu der vom Titel her für das Thema einschlägigen Arbeit von Friedrich PFURTSCHELLER: Die Privilegierung des Zisterzienserordens im Rahmen der allgemeinen Schutz- und Exemtionsgeschichte vom Anfang bis zur Bulle „Parvus Fons“ (1265). Ein Überblick unter besonderer Berücksichtigung von Schreibers „Kurie und Kloster im 12. Jahrhundert“, Bern-Frankfurt 1972 (Europäische Hochschulschriften 23/13); vgl. die fundamentale Kritik von FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 204f. Anm. 73. 215 SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 85. Vgl. dazu auch Adriaan BREDERO: Cluny et Cîteaux au XIIe siècle: Les origines de la controverse, Studi medievali, 12 (1971) S. 135–175, hier S. 153f. (ND in: DERS.: Cluny et Cîteaux au douzième siècle: L’histoire d’une controverse monastique, Amsterdam/Maarssen 1985, S. 27–73). 216 The Letters of Peter the Venerable, ed. Giles CONSTABLE, 2 Bde., Cambridge/Mass. 1967 (Harvard Historical Studies 78), S. 52–101, hier S. 55–56 und die Antwort des Petrus Venerabilis, ebd. S. 79–81. Vgl. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 206.

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Schrift De consideratione deutlich Stellung bezog217. Die spätere Entwicklung hin zur Exemtion wurde auf Grund dessen auch „mehr der Initiative der Päpste“ zugesprochen218. Trotzdem hat man bereits in der Charta caritatis „keimende Elemente“ der Exemtion gesehen, schon allein deshalb, weil der Begriff episcopus hier gar nicht erwähnt werde219. Ein erstes sicheres Element für die Gewährung der Exemtion stellt die von Papst Innocenz II. in einem feierlichen Privileg vom 10. Februar 1132 ausgesprochene Dispens für alle Zisterzienseräbte dar, auf der Provinzial- oder Diözesansynode erscheinen zu müssen220, außer wenn über Glaubensangelegenheiten beraten werde: ... prohibemus ne aliquis archiepiscopus aut episcopus te vel successores tuos seu aliquem abbatem Cisterciensis ordinis, nisi pro fide, ad concilium vel sinodum venire compellat – ein Privileg, das von der päpstlichen Kanzlei auf der Reise des Papstes nach Cluny ausgestellt wurde221. Innocenz II. begründet dies damit, dass der heilige Geist nur dort walte, wo Freiheit anzutreffen sei und die Kontemplation der Mönche nicht unnötig gestört werden solle. Jedoch weder diese Dispens noch die Gewährung des apostolischen Schutzes an bestimmte Zisterzienserabteien hat zur Exemtion des gesamten Zisterzienserordens geführt. Dagegen zeigt die Entwicklung, die das päpstliche Privileg Sacrosancta Romana ecclesia in seinen verschiedenen Redaktionen in den Jahren zwischen

217 Bernhard von Clairvaux, De consideratione 3 4.18, ed. Jean LECLERCQ/Henri ROCHAIS, Romae 1977 (S. Bernhardi Opera 3), S. 445f.: Nonnulla tamen monasteria, sita in diversis episcopatibus, quod specialius pertinuerint ab ipsa sua fundatione ad Sedem Apostolicam pro voluntate fundatorum, quis nesciat? Sed aliud est quod largitur devotio, aliud quod molitur ambitio impatiens subiectionis. Vgl. dazu auch den Tractatus De moribus et officio episcoporum 9, 35– 37, MIGNE PL 182, Sp. 830A–834A; vgl. MAHN: Ordre cistercien (wie Anm. 214) S. 135, der die Aussage des Bernhard von Clairvaux zu Recht als „de contenu juridique assez mince“ bezeichnet; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 206. 218 SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 85. 219 Ebd., S. 85f. Jean-B. VAN DAMME: La constitution cistercienne de 1165, in: Analecta sacri ordinis cisterciensis 19 (1963) S. 51–104, hier S. 53: „C’est dans ce sens qu’on peut dire que le privilège de Pascal II contenait le germe de l’exemption de l’Ordre en tant qu’Ordre.“ Vgl. dort auch Anm. 5. Dazu auch CARIBONI: Esenzione cistercense (wie Anm. 213) S. 67–68. 220 Vgl. dazu auch den von Falkenstein genannten Vergleichsfall des Privilegs Paschalis’ II. (JL 5827) vom 11. April 1100 für die Abtei Montier-en-Der (Diözese Châlons) zusammen mit dem Brief JL 5828 an Bischof Philipp von Châlons. Dazu auch SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 219f.; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 208 Anm. 80, S. 112 mit Anm. 43, mit weiteren Angaben. 221 JL 7537, 1132 Febr. 10, MIGNE PL 179, Sp. 122B–123D, Nr. 83; Chartes et documents concernant l’abbaye de Cîteaux, 1098–1182, ed. J. MARILIER, Rom 1961 (Bibliotheca Cisterciensis 1), S. 92f., Nr. 90; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 207 mit Anm. 79.

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1119, als Calixt II. die Charta caritatis bestätigte222, und 1165 durchlaufen hat223, dass ganz allmählich eine Reihe von Neuerungen eingeführt wurde. Entscheidend war jedoch für das Verhältnis der Zisterzienserklöster zur Diözesangewalt, dass in der Verfassung dieses Ordens von Anfang an zwei Elemente der Autonomie enthalten waren, die die Strukturen der kirchlichen Verwaltungshierarchie durchbrachen: Zum einen die bereits in den beiden Versionen der Charta caritatis vorgesehene jährliche Visitation der Tochterklöster durch den Vater-Abt des Mutterklosters, die die Visitation des zuständigen Bischofs überflüssig machte, sowie das Generalkapitel als jährliche Versammlung aller Äbte des Ordens unter dem Vorsitz des Abtes von Cîteaux224. Der Vater-Abt wurde damit zur zuständigen Gerichtsinstanz für die Äbte und das jährliche Generalkapitel zum Austragungsort für Konflikte zwischen den Äbten oder Abteien225. Neu war auch die päpstliche Bestätigung eines Statuts der Charta caritatis im Privileg Eugens III. vom 1. August 1152, mit dem der Orden beschlossen hatte, nur dann eine Abtei in einer Diözese zu gründen, wenn der dortige Bischof versprochen hatte, das Dekret, das der Orden sich zur Bewahrung der Disziplin unter seinen Kirchen gegeben habe, anzuerkennen (ratum se habere)226 – „eine der wichtigsten verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Ordens“, die nach Ansicht von Schreiber „nicht der päpstlichen Initiative“, sondern der eigenen des Ordens „entsprungen“ war227. Damit verpflichteten sich die Bischöfe jedoch, gleichzeitig darüber zu wachen, dass die Statuten, die sich der Orden gegeben hatte, eingehalten wurden, wie etwa das Gebot, sich jährlich beim Generalkapitel einzufinden und dessen Entscheidungen zu akzeptieren228. 222 JL 6795, 1119 Dez. 23; ROBERT: Bullaire 1 (wie Anm. 178) S. 171f., Nr. 116; MIGNE PL 163, Sp. 1147B–1148A, Nr. 58; vgl. SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 84f.; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 204. 223 Vgl. dazu auch VAN DAMME: Constitution cistercienne (wie Anm. 219) S. 52; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 208f., demzufolge es sich um folgende Privilegien handelt: Eugens III. vom 1. Aug. 1152 (JL 9600), Anastasius’ IV. vom 9. Dez. 1153 (JL 9772), Hadrians IV. vom 18. Febr. 1157 (JL 10260), Alexanders III. vom 15. Okt. 1163 (JL –) und Alexanders III. vom 5. Aug. 1165 (JL 11226). Vgl. dort auch Anm. 83 sowie CARIBONI: Esenzione cistercense (wie Anm. 213) S. 69f. 224 SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 86; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 209. 225 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 210. 226 JL 9600, 1152 Aug. 1, MIGNE PL 180, Sp. 1541C–1543B, Nr. 71, hier Sp. 1542A: Statuistis equidem inter vos, ne in alicuius antistitis dioecesi ordinis vestri abbatia fundetur, donec ipse antistes decretum, quod inter ecclesias ordinis vestri ad custodiam disciplinae firmatum est, ratum se habere promittat. SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 86f.; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 210. 227 SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 86. 228 JL 9600, MIGNE PL 180, Sp. 1542B–C: Ordinatum est etiam inter vos, ut omnes abbates de ordine vestro singulis annis ad generale capitulum Cisterciense, omni postposita occasione conveniant: illis solis exceptis, quos a labore viae infirmitas corporis retardaverit. […] Praeterea si aliqua controversia inter quoslibet abbates de ordine vestro emerserit, vel de aliquo illorum tam gravis cul-

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Schreiber unterstreicht hier auch, dass die Päpste die Möglichkeit hatten, die Bischöfe zu mahnen, nicht gegen die Statuten des Ordens zu handeln – ein „Mittel [, das] sie bei keinem anderen Orden anwenden“ konnten229. Gleichzeitig befreite der Papst die zisterziensischen Kirchen von den Wirkungen und Folgen allgemeiner Interdikte230. Man könnte also festhalten, dass die Zisterzienser sich durch die Schaffung einer solchen „Parahierarchie“231 ein Instrument geschmiedet hatten, um die Bischofsgewalt auf allen Ebenen der Gerichtsbarkeit auszuschließen, ohne jedoch ihrem Orden die von Bernhard von Clairvaux so heftig bekämpfte Exemtion verbriefen zu lassen232. Vielleicht handelt es sich hier um eine besondere Spielart der Exemtion, da die Zisterzienserabteien zwar nicht unmittelbar dem Papst unterstellt waren, wie alle anderen exemten Kirchen, jedoch im Hinblick auf ihre Gerichtsbarkeit einer autonomen Hierarchie angehörten, die allein auf ihre eigenen Institutionen beschränkt war233. Realisiert wurde dann die Exemtion des Zisterzienserordens offenbar während des Pontifikats Alexanders III.234, denn nach Ansicht von Falkenstein ist nicht auszuschließen, dass Alexander III. dem Zisterzienserorden bereits ein Privileg gewährt hatte, das den Bischöfen ausdrücklich untersagte, Exkommunikation, Suspension und Interdikt gegen die Zisterzienser und ihre Klöster zu verhängen, wie es aus dem Privileg Lucius’ III. vom 21. November 1184 hervorgeht; dieses habe folglich den Zisterziensern nur noch einen „état d’exemtion“ bestätigt, wie er sich bereits gegen Ende des Pontifikats seines Vorgängers darstellte235. Immerhin hatte Alexander III. bereits am Anfang seines Pontifikats den Zisterzienserabteien Privilegien mit einer Klausel gewährt, die den Bischöfen jede Einmischung in Angelegenheiten untersagte, die mit

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pa fuerit propalata [sic] ut suspensionem vel depositionem etiam mereatur: quidquid inde a capitulo fuerit canonice definitum, sine retractione aliqua observetur. SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 87. JL 9600, MIGNE PL 180, Sp. 1543A: Sancientes etiam, ut propter communia interdicta terrarum, nulla ecclesiarum vestrarum a divinis compellatur officiis abstinere, sed liceat omnibus de ordine vestro, excommunicatis et interdictis eiectis, clausis ianuis, submissa voce fratribus suis divina celebrare solemnia. Vgl. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 210; MACCARRONE: Primato (wie Anm. 19) S. 120; D’ACUNTO: Vallombrosani (wie Anm. 193) S. 49. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 211 mit Anm. 91. Zu den parallelen Hierarchien in der Gesamtkirche und im Zisterzienserorden vgl. auch den von Falkenstein zitierten, sehr anschaulichen Text der promulgatio Charta Caritatis vom Ende des 12. Jahrhunderts. Vgl. dazu auch MAHN: Ordre cistercien (wie Anm. 214) S. 135. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 213. Ebd., S. 214: „C’est le système des abbés-pères et du chapitre général de Cîteaux, qui se tenait chaque année vers la fête de l’Exaltation de la Sainte Croix (14 septembre) à l’abbaye de Cîteaux, qui s’est attaché à l’exemption de l’ordre, réalisée sous le pontificat d’Alexandre III.“ Vgl. VAN DAMME: Constitution cistercienne (wie Anm. 219) S. 53: „Au sens plein et formel celle-ci [i.e. l’exemption] ne leur fut accordée qu’en 1184“.

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der Wahl und Absetzung eines Zisterzienserabtes in Verbindung standen236. Einige Jahre später hatte Alexander III. sich in einer Dekretale an Erzbischof Wilhelm von Sens gewandt und diesen angewiesen, seine bischöfliche Autorität nicht gegenüber Zisterzienserklöstern in seiner Diözese oder seiner Kirchenprovinz zur Geltung zu bringen237. In einem Privileg vom 4. Juli 1169, adressiert an den Abt von Cîteaux und alle anderen Äbte des Zisterzienserordens (JL 11632), hat Alexander III. diese autonome Gerichtshierarchie der Zisterzienser ausdrücklich sanktioniert und dabei jede Appellation an den Apostolischen Stuhl für den Fall ausgeschlossen, dass Zisterzienseräbte eines öffentlichen Verbrechens angeklagt oder überführt seien (fama publica respersi aut publice convicti) und, von den Väteräbten dazu secundum formam ordinis ermahnt, nicht freiwillig ihr Amt niederlegen wollten238. Darüber hinaus verfügte der Papst in Bezug auf die Abtswahlen, dass bei der dritten Weigerung des Diözesanbischofs, den Abt eines Zisterzienserklosters zu weihen, der Abt ermächtigt sei, (auch ohne diese) die Novizen seiner Abtei einzusegnen und die übrigen Funktionen seines Amtes auszuüben239. Sollten die Bischöfe von den Äbten mehr als den schuldigen Gehorsam verlangen, was ebenso gegen die von ihren Vorgängern und von ihnen selbst zugestandene Freiheit verstoße, könnten die Äbte dies verweigern. Wenn die Bischöfe über Personen und Kirchen des Zisterzienserordens ein Urteil verhängen, erklärt der Papst dies zu einem Verstoß gegen ein päpstliches Indult und damit für ungültig240. Obwohl man die Zisterzienser als „treue politische Agenten“ Alexanders III. bezeichnet hat, „die in der unermüdlichen, rastlosen Kleinarbeit der Agitation seine Sache verfochten“241, war der Papst offenbar auch nicht blind für 236 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 212, mit Beispielen in Anm. 92. 237 JL – (1169–1176), WH 1024, Decretales ineditae saeculi XII, from the papers of the late Walther Holtzmann, ed. and revised by Stanley CHODOROW/Charles DUGGAN, Città del Vaticano 1982 (MIC B 4), S. 10, Nr. 5. Als Dekretale findet sich dieses Schreiben zuerst in der Collectio Fontanensis 2.17. Vgl. dazu: Studies in the collections of twelfth-century decretals. From the papers of the late Walther Holtzmann, ed., rev. and transl. by Christopher R. CHENEY/Mary G. CHENEY, Città del Vaticano, 1979 (MIC B 3), S. 109; FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 212f. 238 JL 11632, 1169 Juli 4, MIGNE PL 200, Sp. 592D–594A, Nr. 622; 2Comp 2.19.5, X 2.28.32. 239 JL 11632, ebd., Sp. 593B. Vgl. 2Comp. 1.6.1; X 1.10.1. 240 Ebd.: Sane si episcopi aliquid ab abbatibus praeter obedientiam debitam contra libertatem ordinis a praedecessoribus nostris et nobis indultam expetierint, liberum sit eisdem abbatibus auctoritate apostolica denegare, quod petitur, ne occasione ista ordo ipse qui hactenus liber exstitit, perpetuae servitutis laqueo vinciatur. Quod si episcopi aliquam propter hoc in personas vel ecclesias vestras sententiam promulgaverint, eamdem sententiam tanquam contra apostolicae sedis indulta prolatam, irritam fore sancimus. Vgl. FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 214. Vgl. auch JL 14269 und dazu SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 90, wonach die Zisterzienser auch von Alexander III. das Privileg erhielten, „aufgenommene Ordensbrüder eventuell von päpstlich reservierten Zensuren zu absolvieren“. 241 SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 90.

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ihre Fehler, wie die Dekretale Recolentes (X 3.35.3) an die Äbte und Konvente des Zisterzienserordens zeigt242. Er drohte ihnen damit, sie nach dem Recht der anderen Klöster zu behandeln, wenn sie sich unter Aufgabe der ursprünglichen Einrichtungen ihres Ordens den üblichen ‚Rechten’ der anderen Klöster zuwendeten: Si enim relictis originalibus ordinis institutis ad communia volueritis aliorum monasteriorum iura divertere, oportebit et vos communi iure censeri, quia dignum est, ut, si qui similem cum aliis vitam suscipiunt, similem sentiant in legibus disciplinam243. Dass die gleichen Strukturen mit einer autonomen Gerichtsbarkeit in Gestalt des Generalkapitels nicht zu den gleichen Ergebnissen in Bezug auf die Exemtion führen müssen, zeigt schließlich ein Blick auf die entsprechende Situation des Prämonstratenserordens. Ein Privileg, das Innocenz II. dem Orden mit Datum vom 3. Mai 1134 verlieh, enthält zwar das allgemeine, an alle Erzbischöfe, Bischöfe und Prälaten gerichtete Verbot, ein Interdikt über die Kirchen dieses Ordens zu verhängen oder die Exkommunikation über die Angehörigen des Ordens auszusprechen, das mit der Existenz des Generalkapitels begründet wird (JL 7654)244, diese Verfügung zur Befreiung des Ordens von der bischöflichen Strafgewalt bleibt jedoch singulär, keiner der Nachfolger Innocenz’ II. hat sie erneuert oder bestätigt245. Bereits das Privileg Eugens III. von 1147 (JL 9030) enthält nur noch die häufig auch nicht-exemten Klöstern erteilte Befugnis, während eines allgemeinen Interdikts Gottesdienste feiern zu dürfen246. Die Prämonstratenser haben also im 12. Jahrhundert keine Unabhängigkeit gegenüber dem Diözesanbischof erreicht. Schreiber sieht darin auch hier wie242 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 215. Eine Version an die Erzbischöfe und Bischöfe und eine an die in Cîteaux versammelten Äbte des Zisterzienserordens; JL 11633, (1169) Juli 2, und JL 13847, WH 849; X 3.35.3. 243 X 3.35.3, FRIEDBERG 2 (wie Anm. 11) Sp. 597. 244 JL 7654, 1134 Mai 3, MIGNE PL 179, Sp. 204C–206B, Nr. 156: Nulli archiepiscopi, episcopi aut alii prelati ponant sub interdicto ecclesias vestras, aut personas vestras excommunicent, cum vestri excessus per commune capitulum Praemonstratense possint et debeant emendari. 245 SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 103–108, bes. S. 104f., mit Hinweis auf die „an den ganzen Orden sich wendenden Urkunden“ die „vielfach von Gebundenheit gegenüber dem Bischof Zeugnis ablegen.“ Dort auch eine Reihe von weiteren Indizien für die Eingebundenheit der Prämonstratenser in die Diözesanordnung. Vgl. auch FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 216. 246 JL 9030, MIGNE PL 180, Sp. 1217A–1220A, hier 1219B: Si vero generale interdictum in dioecesi factum fuerit, exclusis exommunicatis, et clausis januis, nihilominus divina officia celebretis. Porro ordinationes canonicorum, vel consecrationes altarium vel basilicarum, seu reliqua ecclesiastica sacramenta a Laudunensi suscipietis episcopo, siquidem catholicus fuerit, et gratiam atque communionem apostolicae sedis habuerit; alioquin catholicum quemcunque malueritis adeatis antistitem, qui nostra fultus auctoritate, quod postulatur indulgeat. Si vero quis nobilium se ibidem sepeliri deliberaverit, ipsius donationi et extremae voluntati, nisi forte excommunicatus vel interdictus sit, nullus obsistat, salva justitia matris Ecclesiae; vgl. SCHREIBER: Kurie 1 (wie Anm. 3) S. 106.

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der – wie im Fall von Cluny – eine Niederlage der päpstlichen Klosterpolitik, die an den Realitäten des klösterlichen Gemeinschaftslebens als den „Klippen stärkerer Tatsachen“ zerschellt sei. Schließlich hätten die Prämonstratenser auf Grund ihrer intensiven seelsorgerischen Tätigkeit sich in größerer Abhängigkeit vom Bischof und den bischöflichen Offizialen befunden247. Zudem betont Schreiber auch hier wieder, wie schon im Fall der cluniazensischen Priorate oder auch mit dem entgegengesetzten Resultat bei den Zisterziensern, dass eine Exemtion bei der Errichtung von Niederlassungen, die keine Neugründungen waren, besonders schwer zu erreichen war248. Erst im Jahre 1409 hat Papst Alexander III. diesem Orden das Exemtionsprivileg verliehen249.

5. Resümee In der Zeit von der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts bis zum 4. Laterankonzil hat das Papsttum in der Frage der Exemtion von Klöstern eine im Vergleich zu anderen Betätigungsfeldern eher defensive und vorsichtige Haltung an den Tag gelegt – eine Haltung, die schon allein daran zu abzulesen ist, dass im Unterschied zu anderen wichtigen Rechtsfragen normative Festlegungen hier offenbar eher vermieden werden. Vergeblich sucht man im kanonischen Recht, das in dieser Zeit in vielerlei Hinsicht einen ungeheuren Aufschwung genommen hat, klare Festlegungen dazu, welche Voraussetzungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, damit eine Abtei den Status der Exemtion von der bischöflichen Gewalt beanspruchen kann. Nur eine umfassende und sorgfältige Analyse aller verfügbaren Dokumente einer Kirche oder eines Klosters konnte damals und kann heute annähernd Aufschluss über deren Rechtsstatus bieten oder, um mit Alexander III. zu sprechen: Inspicienda sunt ergo priuilegia ipsarum ecclesiarum et ipsorum tenor diligentius attendendus. Wichtige Hilfestellungen liefern dazu vor allem die Ergebnisse der Forschungen von Georg Schreiber und Ludwig Falkenstein, deren Analysen zahlreicher Einzelbeispiele sowohl Vergleichsmaterial als auch quellengestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung stellen, die eine genauere Einordnung erleichtern oder gar überhaupt erst möglich machen. In ihren Untersuchungen bildet sich nicht nur eine deutliche, wenn auch nicht immer lineare Weiter247 Ebd., S. 107. Als Haupthindernis sieht Schreiber ihre „Abstammung“ von den Augustinern und die Analogie zu diesen – also eine interne Ursache: „Sie [die Prämonstratener] bezahlten ihre eigenartige Mittelstellung zwischen Ordens- und Säkularklerus, die intensive seelsorgliche Tätigkeit, die sie notwendig in Abhängigkeit vom Bischof und bischöflichen Officialen brachte, mit dem Verzicht auf Exemtion. Im Prämonstratenser siegte der Chorherr, indes der Mönch, wenigstens dem Rechte nach, unterlag“. 248 Ebd. 249 FALKENSTEIN: Papauté (wie Anm. 2) S. 216, mit Verweis auf Bernard ARDURA: Abbayes, prieurés et monastères de l’ordre de Prémontré en France des origines à nos jours. Dictionnaire historique et bibliographique, Nancy 1993, S. 25.

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entwicklung in der Vorgehensweise der Päpste des 11. und 12. Jahrhunderts ab, welche die Exemtionsmerkmale im Formular der Privilegien und Litterae genauer zu fassen suchen, sondern es wird auch deutlich, dass einige Inhaber des Apostolischen Stuhls, wie etwa Paschalis II., Innocenz II. und Alexander III. sich hier in besonderer Weise um Klärung bemühten. Aber auch einem Alexander III. konnte es noch geschehen, dass er, wie Volkert Pfaff gezeigt hat, sich beim Bischof von Valva entschuldigen musste, weil er dem Abt von Bominaco unberechtigterweise die Weihe erteilt hatte… Ob die Päpste im Zeitalter der Kirchenreform, namentlich Gregor VII. und Urban II., tatsächlich die Exemtion von Klöstern so zielstrebig als politisches Instrument zur Einflussnahme in den Regionen eingesetzt haben, wie man aufgrund der Äußerungen Gregors VII. in seinem oben zitierten Schreiben an den Bischof von Turin vermuten könnte, wäre noch genauer zu untersuchen. Vieles deutet darauf hin, dass es ihnen in der Hauptsache darum ging, simonistische Bischöfe durch Einschränkungen der Weihegewalt auszuschalten. Von einem Plan, möglichst viele Abteien der römischen Zentrale direkt zu unterstellen, kann auch im 12. Jahrhundert keine Rede sein, sondern es wird an vielen Stellen das Bestreben der Päpste deutlich, die Exemtion auf Einzelfälle zu beschränken und sich den gewohnheitsrechtlich herausgebildeten Verhältnissen in den Regionen anzupassen. Man versuchte zumindest den Eindruck zu erwecken, dass Versuche, bestimmte Klöster der Gerichtsbarkeit des Diözesanbischofs zu entziehen und direkt dem Papst zu unterstellen, grundsätzlich von diesen Institutionen selbst initiiert werden, und das Papsttum lediglich in seiner Funktion als oberste Rechtsinstanz innerhalb der Kirche bemüht ist, gewohnheitsrechtlich bereits bestehenden Ansprüchen zur Durchsetzung zu verhelfen, ohne jedoch die Rechte Dritter zu verletzen. Das Beispiel Gandersheim zeigt, dass selbst in der angespannten Situation des Thronstreits Papst Innocenz III. zunächst sehr vorsichtig agierte, indem er die alten Privilegien durch Zeugenbefragung vor Ort überprüfen ließ, dann jedoch mit der Ausdehnung des Präskriptionsrechtes der römischen Kirche auf diese Abtei neues Recht schuf, um den Exemtionsanspruch des Stifts gegen den Verjährungseinwand des Bischofs von Hildesheim durchzusetzen. Der Fall Corbie wiederum steht nicht dafür, dass Leo IX. durch Frankreich reiste, um ganz gezielt die Rechte der Klöster zu stärken, sondern dass er sich aufgefordert sah, in einem ganz konkreten Streitfall Stellung zu beziehen und angesichts gewaltsamer Übergriffe des Bischofs die Rechte des betroffenen Klosters nachdrücklich zu stärken; auch seine Nachfolger legten in dem weiter schwelenden Konflikt mit dem Bischof von Amiens eine überparteiliche Haltung an den Tag, als sie trotz der offenbar notwendigen wiederholten Bestätigungen der exemten Rechtsstellung der Abtei auch die Weiherechte des Bischofs von Amiens ausdrücklich wahrten. Was die Exemtionspraxis gegenüber den neuen Orden angeht, so ist anhand der Vorgehensweise gegenüber Cluny deutlich zu erkennen, dass es den Päpsten auch darum ging, keine Generalvollmachten für ganze Ordensverbän-

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de zu erteilen, deren Umsetzung besonders im Falle bereits zuvor bestehender Klöster den berechtigten Widerstand der Diözesanbischöfe hervorrufen musste. Aber auch bei den „neuen“, erst im 11. und 12. Jahrhundert gegründeten Orden ist in dieser Hinsicht eine sehr differenzierte Vorgehensweise festzustellen. So gibt es entgegen der Behauptung von Schreiber für Kamaldoli und die Kartause keine überzeugenden Hinweise, dass diese Kongregationen jemals über eine exemte Stellung verfügten, während in die Exemtion Vallombrosas ganz offenkundig von Anfang an die Tochterklöster miteinbezogen wurden – dies jedoch auch keinesfalls „automatisch“, wie die namentliche Nennung dieser Klöster in den Privilegien Urbans II. und Paschalis’ II. zeigt. Im Fall der Ritterorden setzten sich die Päpste auch über den auf dem 3. Laterankonzil (1179) deutlich formulierten Widerstand der Bischöfe gegen eine Missachtung der bischöflichen Autorität durch die Templer und Johanniter hinweg. Sie formulierten sogar ein neues inhaltliches Element der Exemtion, indem sie die Exemtion dieser beiden Orden von der bischöflichen Gewalt auch auf Kleriker und Priester ausdehnten, die sich in deren Häusern niederließen und damit zugleich ihrer früheren Bindungen ledig sein sollten. Gleichzeitig wurde jedoch gegen Ende des 12. Jahrhunderts die Erlaubnis für beide Orden, den Bischof für die Erteilung der Weihen frei zu wählen, wieder spürbar eingeschränkt, die nun wieder grundsätzlich dem Diözesanbischof vorbehalten sein sollte, und damit zumindest eine wichtige Bindung zur lokalen Autorität aufrechterhalten. Im Hinblick auf die Zisterzienser entsteht fast der Eindruck, dass die Päpste, namentlich Alexander III., infolge der grundsätzlichen Ablehnung der Exemtion durch diesen Orden, wie sie von Bernhard von Clairvaux in aller Deutlichkeit formuliert worden war, bemüht waren, durch eine Reihe von Einzelprivilegierungen die Freiheit dieses Ordens auszudehnen und zu stärken, bis sie dann spätestens mit Lucius III. doch wieder auf das bewährte Instrument der Exemtion zurückgriffen. Dass es sich hierbei um keine zwangsläufige Entwicklung handelt, zeigt die Exemtionsgeschichte der Prämonstratenser, die ebenfalls mit dem Generalkapitel über eine autonome Gerichtsbarkeit verfügten, jedoch keine völlige Unabhängigkeit gegenüber dem Diözesanbischof erreichen konnten. Möglicherweise ist dies auch in Umkehrung des Arguments von Schreiber damit zu begründen, dass die Päpste eine solche Entwicklung gerade auch wegen der seelsorgerischen Tätigkeit dieses Ordens nicht für sinnvoll hielten, die eine bischöfliche Aufsicht vor Ort notwendig erscheinen ließ.

Generalisierung, dichte Beschreibung, kontrastierende Einzelstudien? Stand und Perspektiven der Erforschung delegierter Gerichtsbarkeit des Papstes im Hochmittelalter HARALD MÜLLER Dieser Sammelband geht von regionalen Befunden aus, die vergleichend zueinander in Beziehung gesetzt werden, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Bindungen an Rom aufzuzeigen. Dies ist nur in Form von Stichproben möglich, ein homogenes Bild der hochmittelalterlichen Welt wird und soll daraus nicht entstehen. Dieselben Prämissen gelten auch für thematisch spezialisierte Untersuchungen wie die Rechtsprechung des Papstes durch eigens beauftragte kirchliche Amtsträger. Zwar erscheint die päpstliche Gerichtsbarkeit angesichts einer Fülle verfahrensrechtlicher Festlegungen in Gestalt päpstlicher Dekretalen und von Prozess-Handbüchern1 als ein lateineuropäischhomogenes Phänomen, geradezu als ein hochmittelalterlicher Erfolg der Modernisierung und der kirchlichen Normierung, deren Fluchtpunkt die päpstliche Kurie war. Auch wurde das Angebot päpstlicher Gerichtsbarkeit im Untersuchungszeitraum mit wachsender Frequenz von Klägern unterschiedlichster geographischer Herkunft genutzt. Doch wir sind noch entfernt davon, eine dichte Beschreibung des Phänomens aus regionaler Perspektive liefern zu können. Wie häufig man sich an Rom wandte und in welchen Fällen, wie das soziale Profil der Kläger und der beauftragten Richter aussah, mit welchem Erfolg gestritten wurde und ob das kirchenrechtlich vorgegebene Verfahren stets eingehalten oder aus sachlichen Gründen und regionalen Gewohnheiten modifiziert wurde, lässt sich nur in sehr wenigen Spezialstudien erkennen. Für eine Gesamtschau im europäischen Maßstab fehlt es zunächst an einer tragfähigen Materialbasis. Die Urkundenüberlieferung zu diesem speziellen Aspekt der Rechtsgeschichte ist in höchst unterschiedlicher Intensität aufgearbeitet. Da sich die Zeugnisse delegierter päpstlicher Gerichtsbarkeit nicht auf Papsturkunden im engeren Sinne beschränken, hilft die reiche Dokumentation päpstlicher Privilegien und Litterae in den traditionellen, immer wieder engagiert neu bearbeiteten Regestenwerken zur Papstgeschichte und in den Editi1

Linda FOWLER-MAGERL: Ordo iudiciorum vel ordo iudiciarius. Begriff und Literaturgattung, Frankfurt 1984 (Ius commune, Sonderheft 19); DIES.: Ordines iudiciarii and libelli de ordine iudiciorum, Turnhout 1994 (TSMAO 63).

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onsbänden dazu nur bedingt weiter2. Der hohe Anteil von Dokumenten der Richter und Parteien, die im Laufe eines Prozesses anfielen, erfordert eine wesentlich umfassendere Recherche, die über regionale Editionen und Regestenwerke beinahe alternativlos in die Archivüberlieferung der streitenden Parteien führt3. Der Weg der systematischen Materialerhebung wurde jedoch nur in wenigen Studien beschritten. Viele Dokumente und Nachrichten zur delegierten Gerichtsbarkeit des Papstes wurden eher beiläufig verzeichnet und in anderen, meist lokalgeschichtlich geprägten Kontexten publiziert; eine auch nur annähernd vollständige Erfassung in größerem geographischem Rahmen wurde dabei selten angestrebt. Eine Karte der delegierten päpstlichen Gerichtsbarkeit im Rahmen der gesamten lateinischen Christenheit des hohen Mittelalters würde demnach einige wenige gut vermessene Territorien neben weiten Flächen kaum ergründeten Terrains zeigen. Dieses Ungleichgewicht verhindert nicht nur eine vergleichende Abschätzung, es hat auch Folgen für unser Bild von der Funktionsweise der Delegationsgerichtsbarkeit. Denn neben den universal gültig erscheinenden normativen Grundlagen des Verfahrens liefern die wenigen intensiv bearbeiteten Regionen aus der Praxis heraus die Referenzwerte für jegliche Interpretation und Bewertung. Zugleich besteht allerdings die große Gefahr, dass die dortigen Befunde vorschnell verallgemeinert und auf Räume übertragen werden, in denen die vorherrschenden politischen und kirchlichen Strukturen anders ausgeprägt waren. Schon zwischen Reims und Rouen lassen sich bedeutsame Varianten in der praktischen Durchführung der Prozesse beobachten4. Für Skandinavien, Spanien, Polen oder Italien dürfen solche Eigenheiten 2

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Die einschlägige Literatur zur delegierten Gerichtsbarkeit wird hier nicht nochmals aufgeführt. Sie ist in den in Anm. 3f. genannten jüngeren Arbeiten verzeichnet. Zur selektiven Aufnahme von Zeugnissen delegierter Gerichtsbarkeit dort vgl. Harald MÜLLER: Die Urkunden der päpstlichen delegierten Richter. Methodische Probleme und erste Erkenntnisse am Beispiel der Normandie, in: Hundert Jahre Papsturkundenforschung. Bilanz – Methoden – Perspektiven. Akten eines Kolloquiums zum Hundertjährigen Bestehen der Regesta Pontificum Romanorum vom 9.–11. Oktober 1996 in Göttingen, hg. v. Rudolf HIESTAND, Göttingen 2003 (AAG, phil.-hist. Kl., 3. Folge 261), S. 351–371, hier S. 353–355. Zur Vielfalt der Dokumente und ihrer Erkennung vgl. MÜLLER: Urkunden (wie Anm. 2) S. 355–357; DERS.: Päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit in der Normandie (12. und frühes 13. Jahrhundert), Bonn 1997 (Studien und Dokumente zur Gallia pontificia 4), Bd. 1, S. 48–70 (Versuch einer Typologie). Es lassen sich etwa Unterschiede in der Auswahl der Richter beobachten, deren Personalreservoir zunächst langsam von den Bischöfen die Hierarchie hinab erweitert wurde; vgl. MÜLLER: Delegationsgerichtsbarkeit (wie Anm. 3) Bd. 1, S. 203–210. In der Normandie fallen die Archidiakone als Richter ins Auge, für Reims ist die Beauftragung von einfachen Kanonikern des Metropolitankapitels bereits für 1165 (JL 11142) nachgewiesen; Ludwig FALKENSTEIN: Decretalia Remensia. Zu Datum und Inhalt einiger Dekretalen Alexanders III. für Empfänger in der Kirchenprovinz Reims, in: Miscellanea Rolando Bandinelli papa Alessandro III. Studi raccolti da Filippo Liotta,

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unterstellt werden. Bei differenzierter Handhabung werden neue Regionalstudien also auch Rückwirkungen auf das Gesamtbild der päpstlichen Gerichtsbarkeit zeitigen. Der Versuch einer Synthese im Rahmen Europas beziehungsweise der lateinischen Christenheit des Mittelalters wäre angesichts dieser Überlegungen zumindest deutlich verfrüht. Sinnvoll erscheint an dieser Stelle allein, den derzeitigen Stand der regionalen Erforschung der delegierten Gerichtsbarkeit im Hinblick auf Quellenerschließung und thematische Analyse zu skizzieren. Das Erreichte ist quantitativ und qualitativ zu gewichten, ehe abschließend einige kurze Bemerkungen zu den Forschungsperspektiven formuliert werden sollen.

1. Delegierte Gerichtsbarkeit des Papstes: Stand der Erforschung Für die Beschäftigung mit der päpstlichen Gerichtsbarkeit gibt es bislang hauptsächlich zwei Ansatzpunkte. Die kirchenrechtlich orientierte Forschung rückt allgemeine Fragen sowie das prozessuale Verfahren dieser Spielart päpstlicher Urteilsfindung in den Mittelpunkt. Ausgehend vom Gedanken der Delegierung richterlicher Kompetenzen wurden die römischrechtlichen Grundlagen des Prozessrechts und dessen kanonistischer Ausbau im Zeitalter der Dekretalen erforscht, schließlich die organisatorische Verfestigung an der Kurie und die Normierung des Formelgutes in den Schriftstücken intensiv behandelt. Diese juristisch dominierte Betrachtungsweise hat in den Handbüchern des Kirchenrechts aus dem 19. und 20. Jahrhundert sowie in einer Zahl von Spezialuntersuchungen zum Verfahren Niederschlag gefunden5. Obendrein ist die

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Siena 1986 (Accademia Senese degli intronati), S. 153–216, hier S. 209f. mit Anm. 144. FALKENSTEIN sieht dies insbesondere durch die kirchenrechtliche Kompetenz begründet, die in den Reihen des Metropolitankapitels versammelt war; DERS.: Alexandre III et Henri de France. Conformités et conflits, in: L’Église de France et la papauté (Xe–XIIIe siècle). Actes du XXVIe colloque historique franco-allemand (Paris, 17–19 octobre 1990), hg. v. Rolf GROSSE, Bonn 1993 (Studien und Dokumente zur Gallia pontificia 1), S. 103–176, hier S. 124. Zur derzeitigen forschungsbedingten Verengung des Blicks auf das Kirchenrecht und den anglo-normannischen bzw. nordfranzösischen Raum vgl. Harald MÜLLER: Entscheidung auf Nachfrage. Die delegierten Richter als Verbindungsglieder zwischen Kurie und Region sowie als Gradmesser päpstlicher Autorität, in: Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie. Das universale Papsttum als Bezugspunkt der Kirchen von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III., hg. v. Jochen JOHRENDT/Harald MÜLLER, Berlin 2008 (Neue AAG, phil.-hist. Kl., N. F. 2), S. 109– 131, hier S. 113f. In diesem Sinne einschlägige Literatur zuletzt bei MÜLLER: Entscheidung (wie Anm. 4) S. 112f. mit Anm. 10, zur delegierten Gerichtsbarkeit insgesamt ebd., S. 109f. mit Anm. 2f. An neueren Publikationen mit diesem Schwerpunkt auf dem Gebiet des Prozessablaufs und der zugehörigen Dokumente sind ferner zu nennen: Othmar HAGENEDER: Zur Effizienz der römischen Kurie als Gerichtshof um 1200, in: Der weite Blick des Historikers. Einsichten in Kultur-, Landes- und Stadtgeschichte. Peter Johanek

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Untersuchung einzelner Streitfälle neben dem lokalhistorischen Interesse meist durch Detailfragen zum Prozessrecht oder zur materiellen Rechtslage motiviert und beruht nicht selten auf singulären Quellenfunden6. Verfeinert wird durch diese Beiträge insbesondere die Kenntnis des Systems delegierter Gerichtsbarkeit des Papstes, während regional bezogene Eigenheiten in Frequenz, Durchführung oder Inhalten in diesen Studien meist von untergeordneter Bedeutung bleiben. Im Hinblick auf solche Fragestellungen halten diese Studien Material nur punktuell und meist eher zufällig bereit. In weit geringerer Zahl lassen sich Untersuchungen namhaft machen, in denen die Anwendung delegierter Gerichtsbarkeit innerhalb eines weiter gesteckten Untersuchungsraums verfolgt wird7. Ohne eine regionale Verankerung aber sind Aussagen über die wechselseitigen Beziehungen zwischen dem Klerus in partibus und dem päpstlichen Gericht, über deren Intensitäten und Qualitäten nicht möglich. Schreitet man die Gebiete der lateinischen Christenheit im Uhrzeigersinn ab, so wird die Gesamtlage deutlich. Skandinavien: Die systematische Verzeichnung der Papsturkunden als Scandinavia pontificia ist in Arbeit. Sie soll prinzipiell auch Urkunden delegierter

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zum 65. Geburtstag, hg. v. Wilfried EHBRECHT u. a., Köln u. a. 2002, S. 99–112; Peter HERDE: La giurisdizione delegata pontificia nel Medioevo e nell’Età Moderna e le lettere di giustizia della Cancelleria Apostolica, in: La diplomatica dei documenti giudiziari (dai placiti agli acta – secc. XII–XV). Atti del X Congresso internazionale della Commission Internationale de Diplomatique, Bologna, 12–15 settembre 2001, hg. v. Giovanna NICOLAJ, Vatikanstadt 2004, S. 25–47; Ute PFEIFFER: Untersuchungen zu den Anfängen der päpstlichen Delegationsgerichtsbarkeit im 13. Jahrhundert. Edition und diplomatisch-kanonistische Auswertung zweier Vorläufersammlungen der Vulgataredaktion des Formularium audientie litterarum contradictarum, Würzburg 2007, online verfügbar unter http://www.opus-bayern.de/uni-wuerzburg/volltexte/2008/ 2775 (besucht 20.08.2010). Nur vier Beispiele: Katherine CHRISTENSEN: „Rescriptum auctoritatis vestre“. A Judge Delegate’s Report to Alexander III, in: The Two Laws. Studies in Medieval Legal History Dedicated to Stephan Kuttner, hg. v. Laurent MAYALI/Stephanie A. J. TIBBETS, Washington 1990 (Studies in Medieval and Early Modern Canon Law 1), S. 40–54; Ludwig FALKENSTEIN: Urbans III. Dekretale JL 15746 (WH 280) und der Streit um die Einkünfte der Kirche in Brieulles-sur-Meuse, in: ZRGKanAbt 86 (2000) S. 185–261; Stefan HIRSCHMANN: Der Fall Heinrichs von Ely (The Stetchworth case). Zur Praxis päpstlicher Delegationsgerichtsbarkeit um die Mitte des 12. Jahrhunderts, in: ADipl 47/48 (2001/2002) S. 335–342; unter demselben Titel mit geringstfügigen Änderungen (jedoch ohne Hinweis auf die Erstveröffentlichung) wieder abgedruckt in: ZRGKanAbt 89 (2003) S. 612–618. Ludwig FALKENSTEIN: Des actes de juridiction pontificale effectués sans rescrit ou privilege de la chancellerie? Notes marginales sur les voyages d’Innocent II et d’Eugène en France, in: Aspects diplomatiques des voyages pontificaux. Études réunies par Bernard BARBICHE/Rolf GROSSE, Paris 2009 (Studien und Dokumente zur Gallia Pontificia 6), S. 141–153, berührt besonders S. 142–148 auch das delegierte Verfahren. Vgl. dazu auch MÜLLER: Entscheidung (wie Anm. 4) S. 112–114.

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Richter berücksichtigen8. Eine flächendeckende regionale Untersuchung zum Thema fehlt. Gleichwohl ist schon unter Alexander III. eine rege Dekretalenproduktion für die 1153 errichtete Kirchenprovinz Trondheim nachweisbar. Sie dokumentiert das Interesse am Kirchenrecht, lässt aber nirgends erkennen, dass die päpstlichen responsae aus konkreten Rechtsstreitigkeiten in Norwegen resultierten, in denen möglicherweise delegierte Richter zum Einsatz kamen9. Ostmitteleuropa (Polen, Böhmen, Mähren, Ungarn): Die Überlieferung der Papsturkunden ist von Przemysław Nowak im Hinblick auf die Polonia Pontificia und in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk „Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie“ frisch erarbeitet worden. Dabei wurden auch die Urkunden delegierter Richter mitberücksichtigt10. Sie stehen der inhaltlichen Erschließung und vergleichenden Betrachtung nunmehr offen. Eine systematische Erfassung der ungarischen Kontakte zum Papsttum steht aus. Eine Spezialstudie zum Thema ist für Ungarn in der Zeit Innocenz’ III. zu verzeichnen11. Ebenso ausschnitthaft wurde das routinierte Funktionieren der päpstlichen Gerichtsbarkeit im slowakischen Bereich des Königreichs Ungarn nachgewiesen und analysiert12.

8 Nach Auskunft des Bearbeiters Anders WINROTH (Yale) ist die Aufnahme von Zeugnissen zur delegierten Gerichtsbarkeit beabsichtigt, doch dürfte die zu erwartende Menge vor 1200 äußerst gering sein. Zu Planung, Fortschritt und bibliografischen Daten der im Folgenden genannten Regesten und Editionsprojekte vgl. stets die Internetseite der Pius-Stiftung für Papsturkundenforschung bzw. des Göttinger Papsturkundenwerkes unter (besucht 20.08.2010) sowie den letzten Jahresbericht des Sekretärs der Stiftung in DA 65 (2009) S. 161–167. Eine vollständige Liste der Beiträge mit Bezug zur delegierten Gerichtsbarkeit ist im Folgenden weder möglich noch intendiert. 9 Vgl. Anne J. DUGGAN: The Decretals of Archbishop Øystein of Trondheim (Nidaros), in: Proceedings of the Twelfth International Congress of Medieval Canon Law, Washington, D.C. 1–7 August 2004, hg. v. Uta Renate BLUMENTHAL/Kenneth PENNINGTON/Atria A. L ARSON , Vatikanstadt 2008 [erschienen 2009] (MIC C 13), S. 491–529; zum reinen Konsultationscharakter der Dekretalen S. 501. 10 Vgl. den Beitrag von P. NOWAK im vorliegenden Band. Den Papsturkunden Polens, Böhmens und Mährens gilt wie andererseits dem gesamten Balkanraum derzeit besondere Aufmerksamkeit des Göttinger Papsturkundenwerkes. Jüngst erschienen: Bohemia-Moravia Pontificia = Germania Pontificia V/3, hg. v. Waldemar KÖNIGHAUS, Göttingen 2011. 11 James R. SWEENEY: Innocent III, Canon Law and Papal Judges Delegate in Hungary, in: Popes, Teachers, and Canon Law in the Middle Ages, hg. v. James R. SWEENEY/ Stanley CHODOROW, Ithaca/London 1989, S. 26–52. 12 Katarína ŠTULRAJTEROVÁ: Delegačný mandát na Slovensku v čase pontifikátu Gregoria IX: (1227–1241) [Mandate of delegation in Slovakia during the pontificate of Gregory IX (1227–1241], in: Slovenská archivistika 42 (2007) S. 11–31 [mit einer Zusammenfassung in französischer Sprache]. Hier nur die Zahlenwerte der nachgewiesenen Delegationen mit slowakischem Betreff (S. 31): 5 unter Innocenz III.,

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Heiliges Land, nördliches Afrika: Das spärliche Material, das sich für das Heilige Land erhalten hat, ist durch Editionen und Archivberichte in den ‚Vorarbeiten zum Oriens Pontificius‘ zuverlässig aufgearbeitet, wenn auch noch nicht abschließend zugänglich13. Italien: Zahlreiche Urkunden delegierter Richter sind bereits in den Kehr’schen Papstregesten verzeichnet, jedoch kaum systematisch herangezogen worden14. Jüngere Untersuchungen über die südlichen Provinzen setzen genau hier an, nehmen dabei aber das gesamte Spektrum der Kontakte zwischen dem Papsttum und den Regionen in den Blick15. Insbesondere die Archive der Kommune-Landschaft im Norden der Halbinsel bergen noch eine Fülle von Material16. Maria Pia Alberzoni widmet sich seit einigen Jahren der Untersuchung dieser Bestände für die Lombardei unter systematischem ebenso wie unter regionalem Blickwinkel17.

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6 unter Honorius III., 20 unter Gregor IX. Ich danke Przemysław Nowak (Krakau) für manch aufmerksamen Hinweis auf diesem sprachlich fremden Terrain. Vgl. MÜLLER: Entscheidung (wie Anm. 4) S. 112 Anm. 7. Vgl. dazu Dietrich LOHRMANN: Papstprivileg und päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit im nördlichen Frankreich zur Zeit der Kirchenreform, in: Proceedings of the Sixth International Congress of Medieval Canon Law, Berkeley (California) 28 July – 2 August 1980, ed. Stephan KUTTNER/Kenneth PENNINGTON, Vatikanstadt 1985 (MIC C 7), S. 535–550, hier S. 541 Anm. 32: „Für Italien wäre eine gründliche Durchsicht der zehn Bände Italia pontificia notwendig.“ Jochen JOHRENDT: Der Sonderfall vor der Haustür – Kalabrien und die Kurie, in: JOHRENDT/MÜLLER: Römisches Zentrum (wie Anm. 4) S. 235–258; DERS.: Italien als Empfängerlandschaft (1046–1198): ein Vergleich aus der Perspektive des Urkundenalltags in Ligurien, Umbrien und Kalabrien, in: Das Papsttum und das vielgestaltige Italien. Hundert Jahre Italia Pontificia, hg. v. Klaus HERBERS/Jochen JOHRENDT, Berlin 2009 (AAG, phil.-hist. Kl., N. F. 5), S. 183–213. Für Sizilien ist eine einzige Delegation nachzuweisen; vgl. Jochen JOHRENDT: Sizilien und Kalabrien – Binnendifferenzierung im Regno? im vorliegenden Band, S. 281–329. Stellvertretend genannt sei Werner MALECZEK: Die Pieve Casorate im Streit mit der Zisterze Morimondo. Ein Beitrag zur päpstlichen delegierten Gerichtsbarkeit unter Innocenz III., in: MIÖG 105 (1997) S. 361–392; Nicolangelo D’ACUNTO: Chiesa romana e chiese della Lombardia. Prove ed esperimenti di centralizzazione nei secoli XI e XII, in: JOHRENDT/MÜLLER: Römisches Zentrum (wie Anm. 4) S. 207–233, hier S. 224f.; DERS.: Lombardos, im vorliegenden Band, S. 249–279. Z. B. Maria Pia ALBERZONI: Vercelli e il papato, in: Vercelli nel secolo XII. Atti del quarto congresso storico vercellese 18–20 ottobre 2002, Vercelli 2005 (Biblioteca della Società Storica Vercellese), S. 79–136, bes. S. 120–129 und 136 (Tabelle der delegierten Richter, die in der Diözese Vercelli aktiv waren); DIES.: Giacomo di Rondineto. Contributo per una biografia, in: Sulle tracce degli Umiliati, a cura di Maria Pia ALBERZONI/Annamaria AMBROSINI/Alfredo LUCIONI, Mailand 1997, S. 117–162, hier S. 136–147 (als Delegat). Eine Intensivierung dieser Studien mit internationaler Perspektive ist in Zusammenarbeit mit Claudia ZEY (Zürich) geplant. Vgl. dazu http://www.hist.uzh.ch/zey/forschungsschwerpunkte_zey_legaten.htm (besucht 20. 08.2010). Als erste Frucht jetzt: Legati e delegati papali. Profili, ambiti d’atione e tipo-

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Iberische Halbinsel: Die Papsturkunden-Editionen und die zugehörigen Nachträge enthalten zahlreiche Stücke aus dem Kontext der Gerichtsbarkeit, ohne diese jedoch systematisch zu verzeichnen. Erst die voranschreitende, von der Pius-Stiftung verfolgte Neuerfassung der päpstlichen Dokumente in der Iberia pontificia wird einen verlässlichen Überblick geben können. Jüngere Einzelstudien sind vorrangig wiederum auf Quellenfunde und Untersuchungen zu einzelnen Kirchen orientiert, die sich weniger dem Phänomen der delegierten Richter selbst zuwenden als der Rekonstruktion einzelner Prozesse18. Frankreich und Benelux-Raum: Frankreich bildet allein schon aufgrund der Urkundendichte einen Sonderfall19. Die Zeugnisse zur delegierten Gerichtsbarkeit sind in den jüngeren Editionsbänden grundsätzlich mitberücksichtigt; dasselbe gilt für das junge Regesten-Unternehmen der Gallia pontificia20. Mit Blick auf die Papsturkunden ist Frankreich jedoch ein geteiltes Land. Während der gesamte Norden in jahrzehntelanger Forschung relativ gut erschlossen ist, weisen die südlichen Regionen sowohl deutlich weniger Papsturkunden als auch deutlich weniger Erschließungshilfen und Editionen auf. So kann es kaum verwundern, dass im nördlichen Frankreich auch die Dichte der Spezialuntersuchungen zur delegierten Gerichtsbarkeit weit höher ist als im

logie di intervento nei secoli XII–XIII, hg. v. Maria Pia ALBERZONI/Claudia ZEY, Mailand 2012 (Vita e Pensiero). 18 Vgl. dazu die Literatur bei MÜLLER: Entscheidung (wie Anm. 4) S. 111f. Anm. 6; Ingo FLEISCH: Rom und die iberische Halbinsel. Das Personal der päpstlichen Legationen und Gesandtschaften im 12. Jahrhundert, in: JOHRENDT/MÜLLER: Römisches Zentrum (wie Anm. 4) S. 135–189, v. a. ab S. 167 häufigere Verweise auf delegierte Gerichtsbarkeit. Ferner z. B. Katrin BAAKEN: Fida memoriae custos est scriptura, in: ZWLG 40 (1981) S. 34–45; Paul FREEDMAN: Jurisdictional Disputes Over the Monastery of Sant Pere d’Àger (Catalonia) in Light of New Papal Documents, in: Proceedings of the Ninth International Congress of Medieval Canon Law, hg. v. Peter LANDAU/Jörg MÜLLER, Vatikanstadt 1997 (MIC C 10), S. 725–756; DERS.: Papal Letters of the Twelfth Century from La Seu d’Urgell, in: Life, Law and Letters: Historical Studies in Honour of Antonio García y García, Rom 1998 (Studia Gratiana 28), S. 265–279; DERS.: Additions to Kehr’s Papsturkunden in Spanien, in: Grundlagen des Rechts. Festschrift für Peter Landau zum 65. Geburtstag, hg. v. Jörg MÜLLER u. a., Paderborn 2000, S. 523–534; Maria João BRANCO: Constructing Legitimacy and using Authority – The Production of Cartularies in Braga during the 12th Century, in: Erinnerung – Niederschrift – Nutzung. Das Papsttum und die Schriftlichkeit im mittelalterlichen Westeuropa, hg. v. Klaus HERBERS/Ingo FLEISCH, Berlin 2011 (AAG, N. F. 11), S. 31–62. 19 Vgl. Rolf GROSSE: La fille aînée de l’Église. Frankreichs Kirche und die Kurie im 12. Jahrhundert, in: JOHRENDT/MÜLLER: Römisches Zentrum (wie Anm. 4) S. 299–321, hier S. 304f. 20 Zuletzt erschienen: Beate SCHILLING: Regesta Pontificum Romanorum. Gallia Pontificia III/1: Province ecclésiastique de Vienne. Tome I. Diocèse de Vienne, Göttingen 2006. Vgl. Auch Dietrich LOHRMANN: Vingt-cinq ans de Gallia pontificia. Note sur l’avancement des travaux, in: RHEF 94 (2008) S. 117–125.

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Süden21. Die Arbeiten konzentrieren sich zum einen auf die Kirchenprovinz Reims, mit dem Hauptaugenmerk auf Texterschließung, rechtliche Einordnung der Streitfälle, bemerkenswerte Einzelfälle sowie auf einzelne Richterpersönlichkeiten22. Als zweites tritt die Normandie hinzu, die weitgehend deckungsgleich ist mit der mittelalterlichen Kirchenprovinz Rouen. Für diese Region liegt als einzige auf dem Kontinent eine systematische Untersuchung zur delegierten Gerichtsbarkeit im Hochmittelalter vor23. In die Mitte zwischen Reims und Rouen soll eine Untersuchung über delegierte Richter in der Gegend um Paris treten, die derzeit von Emily K. Wood in Princeton vorbereitet wird24. Zahlreiche Überschneidungen personaler und inhaltlicher Art zu den bereits gut erforschten Nachbarprovinzen sind zu erwarten, so dass im Idealfall im nördlichen Frankreich ein breiter Gürtel von der SeineMündung bis zur Reichsgrenze im Hinblick auf diese Thematik erschlossen und weitgehend bearbeitet sein wird. England: Prozesse vor dem päpstlichen Gericht sind in den Editionen der Papsturkunden mitberücksichtigt worden. Päpstliche Schreiben des 13. Jahr21 Für das südliche Frankreich konstatiert Ursula VONES-LIEBENSTEIN im Beitrag zum vorliegenden Band nur Rudimente der Erforschung (S. 227 f). Stellvertretend für eine Fallstudie sei genannt: DIES.: Le faux privilège de Gélase II pour Psalmodi ou SaintSilvestre de Teillan, une église convoitée, in: L’acte pontifical et sa critique, hg. v. Rolf GROSSE, Bonn 2007 (Studien und Dokumente zur Gallia Pontificia 5), S. 87–109. Im dort behandelten Konflikt der Abtei Psalmodi mit Saint Ruf waren auch delegierte Richter aktiv. 22 Aus Reimser Material schöpfen für Überblicksdarstellungen zur Funktionsweise der Delegationsgerichtsbarkeit: Wacław URUSZCZAK: Les juges délégués du pape et la procédure romano-canonique à Reims dans la seconde moitié du XIIe siècle, in: TRG 53 (1985) S. 27–41; Ludwig FALKENSTEIN: Appellationen an den Papst und Delegationsgerichtsbarkeit am Beispiel Alexanders III. und Heinrichs von Frankreich, in: ZKG 97 (1986) S. 36–65. Eine Übersicht über das immense Material wird erst der Nachtragsband ‚Papsturkunden in Frankreichǥ für die Diözese Reims ermöglichen, den Ludwig FALKENSTEIN vorbereitet. Die zahlreichen Einzelstudien Falkensteins auf diesem Gebiet seien hier nicht einzeln genannt. Aus jüngerer Zeit auf dem Boden der Francia: René LOCATELLI/Gérard MOYSE: Causam dominus papa nobis commisit terminandam. Quatre actes de juges délégués par Lucius III pour l’abbaye d’Acey au lendemain du schisme victorin (1181–1184), in: Inquirens subtilia diversa. Dietrich Lohrmann zum 65. Geburtstag, hg. v. Horst KRANZ/Ludwig FALKENSTEIN, Aachen 2002, S. 85–108; Bernard DE VREGILLE: Un mandement inédit de Grégoire IX à des juges délégués du 8 décembre 1237, in: GROSSE: L’acte pontifical (wie Anm. 21) S. 225–228; Dietrich LOHRMANN: Delegatio cum articulis et interrogatoriis annexis. Die prozessrechtliche Wende im Streit um die Reliquien des heiligen Eligius (1256), in: ebd., S. 229–264. LOHRMANN hat mit zahlreichen Studien, auf deren vollständige Verzeichnung hier verzichtet wird, und durch die Herausgabe zweier Bände der Papsturkunden in Frankreich zur Erforschung der delegierten Gerichtsbarkeit im nördlichen Frankreich einen erheblichen Beitrag geleistet. 23 MÜLLER: Delegationsgerichtsbarkeit (wie Anm. 3). 24 Die Dissertation wird von Thomas N. Bisson betreut.

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hunderts sind zuverlässig verzeichnet25. Weiteren Aufschluss liefern die Bände des schnell voranschreitenden Unternehmens English Episcopal Acta. Hier findet sich manche Bischofsurkunde aus dem Zusammenhang delegierter Rechtsprechung26. Die Verknüpfung lokaler und päpstlicher Perspektiven wurde bereits 1959 für die Kirchenprovinz York verfolgt, ebenso für Schottland27. Für Canterbury liegt eine magistrale Untersuchung vor, die insbesondere die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts behandelt und daher nahtlos mit der zeitlich vorausgehenden Analyse der delegierten Gerichtsbarkeit in der Normandie kombiniert werden kann28. In beachtlicher Zahl sind Detailstudien zu einzelnen päpstlichen Richtern, zu Fragen der Überlieferung, zu Rechtsmaterien und zu einzelnen gerichtlichen Auseinandersetzungen publiziert worden29. Reich: Die Bände der Germania Pontificia, die Österreich und Teile der Schweiz einbeziehen, haben von Beginn an auch Zeugnisse delegierter Gerichtsbarkeit mitverzeichnet; die Sensibilität für derartige Zeugnisse ist in den jüngeren Bänden nochmals gewachsen30. Der kirchlichen und damit auch der päpstlichen Gerichtsbarkeit wurde insbesondere für den Raum des heutigen Österreich stets Beachtung geschenkt, in speziellerer Perspektive zuletzt dem Erzbistum Salzburg31. Für den immensen geografischen Bereich des imperium in der Mitte Europas fehlen indessen übergreifende Studien weitgehend, obgleich 25 The letters of Pope Innocent III (1198–1216) concerning England and Wales. A calendar with an appendix of texts, hg. v. Christopher R. CHENEY/Mary G. CHENEY, Oxford 1967 [dort auch Urkundeneditionen!]; DIES.: The letters of Pope Innocent III. Additions and corrections, in: BIHR 44 (1971) S. 98–115. 26 English Episcopal Acta, Oxford 1980ff. 27 Robert BRENTANO: York Metropolitan Jurisdiction an Papal Judges Delegate 1279– 1296, Berkeley (CA) 1959; Paul FERGUSON: Medieval Papal Representatives in Scotland: Legates, Nuncios and Judges-Delegate 1125–1286, Edinburgh 1997 (Publications of the Stair Society 45), bes. S. 118–190, 206–298 (Zusammenstellung und partielle Auswertung der Dokumente). 28 Jane E. SAYERS: Papal Judges Delegate in the Province of Canterbury 1198–1254. A Study in Ecclesiastical Jurisdiction and Administration, Oxford 1971 (ND 1997) (Oxford Historical Monographs). 29 Vgl. dazu u. a. die bei MÜLLER: Entscheidung (wie Anm. 4) S. 114 Anm. 13 genannte Literatur. 30 Vgl. MÜLLER: Urkunden (wie Anm. 2) S. 352 Anm. 5. Exemplarisch genannt sei die Auswertung bei Hermann JAKOBS: Die Rom-Beziehungen im nord- und mitteldeutschen Material der Mainzer Kirchenprovinz, in: HIESTAND: Papsturkundenforschung (wie Anm. 2) S. 59–73, bes. S. 71f. 31 Rainer MURAUER: Geistliche Gerichtsbarkeit und Rezeption des neuen Rechts im Erzbistum Salzburg im 12. Jahrhundert, in: JOHRENDT/MÜLLER: Römisches Zentrum (wie Anm. 4) S. 259–284; DERS.: Die geistliche Gerichtsbarkeit im Salzburger Eigenbistum Gurk (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 52), Wien 2009, S. 43–59 mit einem eigenen Kapitel „Die Delegationsgerichtsbarkeit des Papstes“, in dem die einzelnen Streitfälle vor allem rechtshistorisch untersucht werden; DERS.: Das Papsttum und das Erzbistum Salzburg (1060–1216), im vorliegenden Band, S. 371–424, bes. S. 385–387, 395 f.

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hier der Vergleich mit den angrenzenden Reichen oder auch die im imperium besonders virulenten Szenarien der hochmittelalterlichen Schismen vielversprechende Forschungsfelder eröffnen könnten32.

2. Auf dem Weg zu einer europäischen Gesamtbilanz? Der zweifellos unvollständige Überblick macht die stark schwankende Behandlung deutlich, welche die päpstliche delegierte Gerichtsbarkeit als Forschungsthema in europäischer Perspektive bislang erfahren hat. Der Nordwesten Europas mit dem anglo-normannischen Raum, der phasenweise nicht nur eine politische Einheit war, sondern auch ein den Ärmelkanal überspannender Rechtsraum, ist zweifellos die im Hinblick auf das Thema am besten erforschte Region. Ihr kommt in gewisser Weise Referenzcharakter zu. In der Gesamtperspektive Europas birgt dies jedoch die Gefahr, die Ergebnisse des gründlich erforschten Raumes vorschnell zu generalisieren und zu schematisch auf andere Gegenden zu übertragen, die aufgrund ihrer historischen Voraussetzungen andere Entwicklungsverläufe aufweisen und im Detail möglicherweise andere Problemlösungen entwickelten. Insgesamt aber überwiegen bei weitem die Lücken. Dabei lässt ein Befund, der die Dichte der Beiträge zum Thema abzuschätzen sucht, qualitative Dimensionen noch völlig außer Acht. Spezialuntersuchungen zur delegierten Gerichtsbarkeit müssen schon bei der Erschließung des Quellenmaterials mit einer wesentlich höheren Intensität vorgehen, als dies der Bearbeiter einer klassischen Papsturkunden-Edition tun kann. Für diesen haben unmittelbare päpstliche Zeugnisse Vorrang. Er ist daher oft schon aus arbeitsökonomischen Gründen nicht in der Lage, im Dickicht der ungezählten Privaturkunden den Spuren päpstlicher Gerichtsbarkeit nachzugehen, die sich häufig in einem Nebensatz oder in einer knappen formelhaften Wendung wie apostolica auctoritate qua fungimur erschöpfen. 32 Für die am römischen Vorbild orientierte Übernahme delegierter Rechtsprechung durch die Erzbischöfe von Mainz vgl. jetzt Stefan BURKHARDT: Die Mainzer Erzbischöfe zwischen Zentrum und Peripherie, im vorliegenden Band, S. 425–453, bes. S. 449 f. Den Bereich delegierter Rechtsprechung behandelt auch die vor dem Abschluss stehende Berliner Dissertation (FU) von Thomas KRÄMER: Demones, praelates ac homines impii. Studien zu Konflikten und Konfliktbeilegung im Umfeld der geistlichen Ritterorden. Sie geht über das Hochmittelalter hinaus und stützt sich auf urkundliches Material aus dem Languedoc und aus Franken. Stefan HIRSCHMANN: Eine Papsturkunde Eugens III. für den Bischof Hermann von Konstanz, in: ZGO 149 (2001) S. 525– 529 ediert eine Vorladung vor das päpstliche Gericht neu. Aus ihr geht hervor, dass mehrere Klagen gegen den Bischof anhängig waren. Delegierte Richter werden in der Papsturkunde jedoch nicht eigens erwähnt. Das Beispiel zeigt, wie zufällig, mühsam und letztlich ineffizient die Suche nach Zeugnissen zur päpstlichen Gerichtsbarkeit auf der Ebene der regionalen Zeitschriftenliteratur sein kann.

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Schon die Ausgangslage einer vergleichenden Datenerhebung ist also äußerst ungleich. Sie erlaubt letztlich nicht einmal die verlässliche Gegenüberstellung von Urkundenfrequenzen einzelner Regionen. Dass im nördlichen Frankreich die ersten nennenswerten Belege für die Anwendung dieser Rechtsprechung bereits um die Wende zum 12. Jahrhundert auftreten, während in Böhmen Zeugnisse hierfür erst aus den 1180er Jahren aufzufinden sind, ist sowohl Ausdruck zeitversetzter regionaler Romkontakte als auch Folge auseinander klaffenden historischen Forschungsinteresses. Denn die Papsturkunden des nördlichen Frankreich stehen seit langem im Mittelpunkt und sind gut erschlossen, während man für Böhmen noch den nicht auf kirchengeschichtliche Belange spezialisierten Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae vom Beginn des 20. Jahrhunderts für eine erste Auszählung heranziehen muss33. Quantum und Intensität kurialer Interventionen in lokale Rechtsstreitigkeiten lassen sich indessen nur auf der Basis systematischer Durchforstung des regionalen Urkundenbestands in befriedigender Weise abschätzen. Dasselbe gilt für inhaltliche Aussagen. Bevorzugte Streitgegenstände, Handhabung des Verfahrens, Auswahl der Richter oder Varianten der Streitbeilegung können erst deutlich werden, wenn das Quellenmaterial gehoben und analysiert ist. Dank eines zumindest einheitlich konzipierten kirchlichen Prozessrechts und dank der intensiven Aufarbeitung der kanonistischen Quellen sowie der seit dem 13. Jahrhundert verwendeten Urkundenformularien34 kann der juristische Blick auf die delegierte Gerichtsbarkeit durchaus von der päpstlichen Zentrale aus über die Christenheit schweifen. Die Erforschung der gerichtlichen Praxis muss dagegen ihren Ausgang von der Peripherie beziehungsweise von den lokalen Kirchen nehmen – in ganz sinnfälliger Analogie zu den damaligen Klägern, die sich ihrerseits erst auf den Weg an die Kurie machen mussten, um ein päpstliches Mandat und gegebenenfalls später ein Urteil nach Hause tragen zu können. Die dringend nötigen regionalen Spezialstudien können von der delegierten Gerichtsbarkeit im Sinne eines gut erforschten, im Grundsatz verlässlich angewandten juristischen Systems ausgehen, sie können sich darüber hinaus aber zugleich an den Befunden orientieren, die für andere Landstriche schon arbeitet wurden. Denn zu erwarten sind bei solchen Untersuchungen wohl weniger Grund stürzende neue Befunde, als regionale Anpassungen und Eigenheiten. Sie gewinnen erst vor dem Hintergrund der Praktiken andernorts eigene Konturen. Die Orientierung an existenten Fragerastern 33 Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae, ed. Gustavus FRIEDRICH, Prag 1904–1908. Eine erste vergleichende Datenerhebung bei MÜLLER: Entscheidung (wie Anm. 4) S. 115 mit Anm. 17. 34 Zu nennen ist besonders Peter HERDE: Audientia litterarum contradictarum. Untersuchungen über die päpstlichen Justizbriefe und die päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit vom 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts, 2 Bde., Tübingen 1970 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 31–32); bündelnd DERS.: Zur päpstlichen Delegationsgerichtsbarkeit im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: ZRGKanAbt 88 (2002) S. 20–43. Siehe dazu auch die oben in Anm. 5 genannte Literatur.

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und Befundanalysen erleichtert zudem den Vergleich in größerer räumlicher Perspektive. Ein tragfähiger Gesamtüberblick für die lateinische Christenheit des hohen Mittelalters scheint nur auf diesem Weg der Kumulation methodisch und inhaltlich vernetzter Regionalstudien möglich. Mit einem solchen homogenen Panorama – zum wiederholten Mal – ist in absehbarer Zeit nicht zu rechnen; zu unterschiedlich sind die jeweiligen Voraussetzungen. Zudem bedürfte es einer europaweit konzertierten Forschungsinitiative. Die regional ungleichmäßig, mitunter äußerst schleppend voranschreitende Erschließung der Papsturkunden-Überlieferung macht es unwahrscheinlich, dass ausgerechnet auf dem forschungsaufwändigen Sektor der delegierten Gerichtsbarkeit ein rasanter Fortschritt zu erwarten steht. Das Reservoir interessierter und versierter Bearbeiterinnen und Bearbeiter ist eng begrenzt. Zudem sind derartige Themen als universitäre Qualifikationsarbeiten nicht sonderlich beliebt. Auf dem langen Weg zu einem verlässlichen Überblick scheint es am sinnvollsten den bestehenden Untersuchungen zunächst Einzelstudien an die Seite zu stellen, die weniger auf geographische Abrundung zielen, sondern im Sinne der Überlegungen des Netzwerks „Zentrum und Peripherie“ bewusst auf punktuelle Kontrastierung setzen. Der Vergleich ungleicher Regionen könnte statt Modifikationen des Bildes im Detail unterschiedliche Entwicklungsbedingungen und daraus resultierende Problemlösungen in den Vordergrund stellen. Das eng mit dem Papsttum verbundene und gut untersuchte Nordfrankreich dürfte ein anderes Profil aufweisen als der erst später zu Rom Kontakt suchende Raum Ostmitteleuropas. Skandinavien rückt erst spät, Mitte des 12. Jahrhunderts, in den Gesichtskreis der Kurie. Es erhielt seine kirchenrechtlichen Impulse in erheblichem Maße von England und war von Rom weit entfernt, von daher prädestiniert für den Einsatz delegierter Richter. Für Mittelitalien wird man dagegen kaum von einer ‚Fernwirkung‘ des päpstlichen Gerichts sprechen können. Wurde die Autorität des römischen Bischofs dennoch gesucht? Dies sind nur wenige grundsätzliche Aspekte, deren Klärung noch aussteht. Ohne die bewusste Hinwendung zu politisch und im Hinblick auf ihre Kirchenorganisation anders konstituierten Räumen mit ihren möglicherweise unterschiedlichen Bedürfnissen nach praktischen Anwendungsformen von päpstlicher Gerichtsbarkeit bleibt unser Verständnis der delegierten Gerichtsbarkeit abhängig vom ebenso partiellen Blick auf eine besonders aktive und daher gut erforschte Großregion im Nordwesten Europas. Wie weit die hier zu beobachtenden Phänomene exemplarischen Charakter für die gesamte Christenheit beanspruchen können, wird im Detail zu klären sein. Dem Anspruch zu ergründen, ob und wie die lateinische Christenheit im Hochmittelalter unter der Führung des römischen Bischofs zu einer Einheit zusammen wuchs, kann der bloße Blick auf die prozessualen Normen und auf ‚Leitregionenǥ allein nicht genügen. Die möglichst europaweite, dichte Beschreibung der Interaktionen zwischen Kurie und Regionen muss auch in der päpstlichen Rechtsprechung das Ziel bleiben.

Stand und Perspektiven der Erforschung des päpstlichen Legatenwesens im Hochmittelalter CLAUDIA ZEY Die Erforschung des päpstlichen Legatenwesens ist seit einigen Jahren wieder en vogue. Die Tagungsfrequenz mit Themen zu päpstlicher Diplomatie, zur kirchlichen Kommunikation und zum Kardinalat im Allgemeinen1 sowie zum Legationswesen im Besonderen2 hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen und scheint einstweilen auch nicht abzureißen3. Die zeitliche Ausrichtung 1

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Tagungen zum Thema Diplomatie, Gesandtschaftswesen und Kardinalat (Beispiele): „Aus der Frühzeit europäischer Diplomatie. Zum geistlichen und weltlichen Gesandtschaftswesen vom 12. bis zum 15. Jahrhundert“, veranstaltet von Claudia Märtl und Claudia Zey in Zürich vom 26.–28.9.2007. Der Tagungband mit identischem Titel wurde 2008 publiziert. – „Die Kardinäle des Mittelalters und der frühen Renaissance. Integration, Kommunikation, Habitus“, veranstaltet von Jürgen Dendorfer und Ralf Lützelschwab in Rom vom 1.–2.7.2009. Die Publikation des Tagungsbandes wird vorbereitet. Der Band „Zentrum und Netzwerk. Kirchliche Kommunikation und Raumstrukturen im Mittelalter“, hg. v. Gisela DROSSBACH/Hans-Joachim SCHMIDT, Berlin/New York 2008 (Scrinium Fribourgense 22) geht auf eine Sektion beim Kieler Historikertag 2004 zurück. Und auch der im Rahmen dieses Netzwerks entstandene Sammelband „Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie. Das universale Papsttum als Bezugspunkt der Kirchen von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III.“, hg. v. Jochen JOHRENDT/Harald MÜLLER, Berlin/New York 2008 (Neue AAG 2) hatte eine Tagung in Rom 2006 als Vorläufer. Tagungen zum päpstlichen Legatenwesen oder bei denen auch das päpstliche Legatenwesen zur Sprache kam (Beispiele): „Les légats pontificaux. Paix et unité de l’Eglise, de la restructuration grégorienne à l’aube du Concile de Trente (mi XIe – mi XVIe siècle)“, veranstaltet von Hélène Millet und Pascal Montaubin in Paris vom 12.– 14.2.2009. Die Publikation des Tagungsbandes wird vorbereitet. „Schismes, dissidences, oppositions: la France et le Saint-Siège avant Boniface VIII“, 6. Table ronde zur Gallia Pontificia veranstaltet von Bernard Barbiche und Rolf Grosse in Paris am 29.5.2009. Die Publikation des Tagungsbandes wird vorbereitet. „Legati e delegati: le carriere e gli ambiti di azione (secoli XII–XIII) / Päpstliche Legaten und Delegaten: Forschungsstand und Forschungsfragen (12.–13. Jahrhundert)” veranstaltet von Maria Pia Alberzoni und Claudia Zey in Mailand vom 5.–6.6.2009. Der Tagungsband wurde unter dem Titel “Legati e delegati papali nei secoli XII e XIII” 2012 publiziert. “Legationen und Reisen – Mittel der päpstlichen Integration im 11. und 12. Jahrhundert”, veranstaltet von Klaus Herbers in Erlangen am 16.10.2009. Folgende für 2010 geplante Tagungen sind mir bekannt: „Die Ordnung der Kommunikation und die Kommunikation der Ordnungen im mittelalterlichen Europa. Zent-

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dieser Veranstaltungen gilt Hoch- und Spätmittelalter gleichermaßen, obwohl der Stand der Erforschung des päpstlichen Legatenwesens in beiden Epochenabschnitten unterschiedlicher nicht sein könnte. Für das Spätmittelalter steckt die Erforschung des Legatenwesens noch in den Anfängen. Geographische oder chronologische Überblicksdarstellungen fehlen fast gänzlich und sind auch angesichts des überbordenden und noch kaum ausgewerteten Quellenmaterials in absehbarer Zeit nicht zu leisten4.

1. Stand der Erforschung des hochmittelalterlichen Legatenwesens Das hochmittelalterliche Legatenwesen ist bereits seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Gegenstand rechtsgeschichtlicher und historischer Forschungen mit einem frühen Kulminationspunkt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch zahlreiche, hauptsächlich von Albert Brackmann, dem maßgeblichen Bearbeiter der Germania Pontificia, und Wilhelm Levison angeregte Dissertationen5. Weg von der normativen Erforschung (wenn auch nicht im

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ralität: Papsttum und Orden im Europa des 12. und 13. Jahrhunderts“, veranstaltet von Cristina Andenna, Klaus Herbers und Gert Melville in der Villa Vigoni vom 16.– 19.6.2010. „El papado limitado. Legados – jueces – limites“, veranstaltet von Klaus Herbers und Fernando López Alsina in Lissabon vom 8.–11.7.2010. „Aux origines d’une diplomatie méditerranéenne. Les ambassadeurs, moyens humains de la diplomatie (Antiquité romaine et Haut Moyen-Âge), wird veranstaltet von Audrey BeckerPiriou und Nicolas Drocourt in Metz vom 14.–16.10.2010. Zum Stand und zu den Perspektiven der Erforschung des spätmittelalterlichen Legatenwesens vgl. Werner MALECZEK: Die päpstlichen Legaten im 14. und 15. Jahrhundert, in: Gesandtschafts- und Botenwesen im spätmittelalterlichen Europa, hg. v. Rainer C. SCHWINGES/Klaus WRIEDT, Ostfildern 2003 (VuF 60), S. 33–86. Den Forschungsstand zum Legatenrecht im Spätmittelalter thematisiert auch Birgit STUDT: Legationen als Instrumente päpstlicher Reform- und Kreuzzugspropaganda im 15. Jahrhundert, in: Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter, hg. v. Gerd ALTHOFF, Stuttgart 2001 (VuF 51), S. 421–453. Die Arbeiten werden im Folgenden nicht einzeln aufgelistet. Das ist bereits in vielen Übersichten zur Forschung geschehen, vgl. Hans OLLENDIEK: Die päpstlichen Legaten im deutschen Reichsgebiet von 1261 bis zum Ende des Interregnums, Freiburg i. Ü. 1976 (Historische Schriften der Universität Freiburg 3), S. 23–34; Werner MALECZEK: Papst und Kardinalskolleg von 1191 bis 1216. Die Kardinäle unter Coelestin III. und Innocenz III., Wien 1984 (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom 1/6), S. 336; Ma Tapio SALMINEN: In the Pope’s Clothes: Legatine Representation and Apostolical Insignia in High Medieval Europe, in: Roma, Magistra Mundi. Itineraria culturae medievalis − Parvi flores. Mélanges offerts au Père L. E. Boyle à l’occasion de son 75e anniversaire, hg. v. Jacqueline HAMESSE, Louvain-La-Neuve 1998 (Fédération Internationale des Instituts d’Études Médiévales. Textes et études du moyen âge 10, 3), S. 339–354, hier S. 341f.; Stefan WEISS: Die Urkunden der päpstlichen Legaten von Leo IX. bis Coelestin III. (1049– 1198), Köln u.a. 1995 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters.

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Gegensatz zu ihr) galt die Aufmerksamkeit dieser Qualifikationsschriften vornehmlich der Legationspraxis im Zielland. Für die Zeitspanne bis 1198 wurden Arbeiten über das päpstliche Legatenwesen in Deutschland, Frankreich, England und auf der Iberischen Halbinsel verfasst. Partiell wurden daneben Oberund Mittelitalien sowie das süditalische Normannenreich berücksichtigt. In späteren Jahrzehnten kamen weitere einschlägige Arbeiten zu Skandinavien, Frankreich, England6, Schottland7 und Irland, der Iberischen Halbinsel, den Kreuzfahrerstaaten und Teilen Ostmitteleuropas8 hinzu. Diesen Arbeiten gebührt das große Verdienst, erstmals das urkundliche und historiographische Quellenmaterial kritisch gesichtet und aufgearbeitet zu haben. Deswegen bleiben sie (trotz unterschiedlicher Qualität im Einzelnen) Grundlage für die weitere Erforschung des Phänomens im Hochmittelalter. In dem Bemühen um eine möglichst umfassende Darstellung wurden mehrere Perspektiven miteinander verwoben: Wichtige politische Ereignisse dienten zur chronologischen Einbettung der Untersuchung, die Grobgliederung erfolgte nach Pontifikaten, die Binnengliederung nach Legaten, während die Darstellung zwischen personen- und regionalgeschichtlichem Blickwinkel schwankt. Eine systematische Auswertung des so bereitgestellten Stoffs wurde im Bewusstsein der Autorinnen und Autoren, einen Baustein zu einer noch zu schreibenden Gesamtdarstellung zu schaffen, nur ansatzweise unternommen. Alle Arbeiten bieten jedoch etwas zur rechtlichen Stellung der Legaten, ihrer begrifflichen Differenzierung, ihren Vollmachten, ihrer kirchenpolitischen und „politischen“ Tätigkeit, zur Urkundenausstellung, zum Zeremoniell, zur Zusammensetzung der Legationen, zur Dauer, zum Verlauf und zum Gefolge. Trotz dieser weit gediehenen Vorarbeiten ist bisher noch wenig Zusammenfassendes zum Legationswesen im Hochmittelalter insgesamt publiziert worden9. Vielmehr wurde weiterhin mit vielen neuen Erkenntnissen im Detail chronologisch10 und geographisch11 eingeschränkt geforscht.

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Beih. zu J. F. Böhmer, RI 13), S. 5–11; MALECZEK: Legaten (wie Anm. 4) S. 35 f.; zuletzt Achim Thomas HACK: Codex Carolinus. Päpstliche Epistolographie im 8. Jahrhundert, 2 Bde., Stuttgart 2006 (Päpste und Papsttum 35), Bd. 1 S. 489–497. Die Dissertation von Ilicia J. SPREY: Papal Legates in English Politics, 1100–1272 (Diss.) Virginia 1998, scheint nicht publiziert worden zu sein. Paul Craig FERGUSON: Medieval Papal Representatives in Scotland: Legates, Nuncios, and Judges-Delegate, 1125–1286, Edinburgh 1997 (Publications of the Stair Society 45). Vgl. Reinhard WENSKUS: Zu einigen päpstlichen Legationen nach Böhmen und Mähren im 12. Jahrhundert, in: ZKG 70 (1959) S. 141–146. Für Dalmatien, Kroatien und Ungarn ist der Band von Lothar WALDMÜLLER: Die Synoden in Dalmatien, Kroatien und Ungarn von der Völkerwanderung bis zum Ende der Arpaden (1311), Paderborn 1987 (Konziliengeschichte, Reihe A: Darstellungen 4), recht ergiebig. Vgl. zu Ungarn jetzt Gergely Kiss: Les aspects des activitiés des légats pontificaux en Hongrie aux XIe– XIIIe siècles, in: Chronica (Szeged) 9 (2011), S. 37–53. Vgl. Ian Stuart ROBINSON: The Papacy, 1073–1198. Continuity and Innovation, Cambridge 1990 (Cambridge Medieval Textbooks), S. 146–178: Papal Legates. Bis da-

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to unpubliziert ist meine 2002 abgeschlossene Habilitationsschrift zur päpstlichen Legatenpolitik im 11. und 12. Jahrhundert. Wichtige Ergebnisse daraus wurden in zwei Aufsätzen publiziert: Claudia ZEY: Die Augen des Papstes. Zu Eigenschaften und Vollmachten päpstlicher Legaten, in: JOHRENDT/MÜLLER (wie Anm. 1) S. 77–108; DIES.: Handlungsspielräume – Handlungsinitiativen. Aspekte der päpstlichen Legatenpolitik im 12. Jahrhundert, in: DROSSBACH/SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 63–92. Für das 13. Jahrhundert wurde von OLLENDIEK (wie Anm. 5) S. 36, zunächst die Erforschung auf regionaler Ebene angemahnt wie sie für das 12. Jahrhundert bereits existiert. Auf England beschränkt gibt es für das 13. Jahrhundert immerhin zwei Dissertationen: Ann UNDERHILL: Papal Legates to England in the Reign of Henry III (1216– 1272), (Diss.) Bloomington 1965; Rose C. CLIFFORD: England as a Papal Fief. The Role of the Papal Legate in the Early Period. 1216–1241, (Diss.) Los Angeles 1972. Gänzlich unergiebig für das Mittelalter sind die Abhandlungen zum päpstlichen Gesandtschaftswesen von den Anfängen bis in die Neuzeit: Igino CARDINALE: Le SaintSiège et la diplomatie. Aperçu historique, juridique et pratique de la diplomatie pontificale, Paris u.a. 1962; Mario OLIVERI: Natura e funzioni dei legati pontifici nella storia e nel contesto ecclesiologico del Vaticano II, Città del Vaticano 21982 (Storia e attualità 8); Pierre BLET: Histoire de la représentation diplomatique du Saint Siège des origines à l’aube du XIXe siècle, Città del Vaticano 1982 (21990) (Collectanea archivi Vaticani 9). 10 In folgenden Monographien zu einzelnen Päpsten ist deren Legatenpolitik eigens behandelt: H. E. J. COWDREY: Pope Gregory VII 1073–1085, Oxford 1998, S. 592– 596, mit einem knappen Kapitel zum Legatenwesen und ausführlicheren Darlegungen im länderspezifischen Teil; Uta-Renate BLUMENTHAL: Gregor VII. Papst zwischen Canossa und Kirchenreform, Darmstadt 2001 (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), S. 202–220; Alfons BECKER: Papst Urban II. (1088–1099), Teil 1: Herkunft und kirchliche Laufbahn. Der Papst und die lateinische Christenheit, Stuttgart 1964 (MGH Schriften 19/1); Teil 2: Der Papst, die griechische Christenheit und der Kreuzzug, Stuttgart 1988 (MGH Schriften 19/2), mit der Behandlung einzelner Legationen. Ein gesondertes Kapitel zum Legatenwesen soll im dritten Band erscheinen; Carlo SERVATIUS: Paschalis II. (1099–1118). Studien zu seiner Person und seiner Politik, Stuttgart 1979 (Päpste und Papsttum 14), S. 42–69, zu Kurie und Kardinalskollegium und der Berücksichtigung der Legationen in der fortlaufenden Darstellung; Beate SCHILLING: Guido von Vienne − Papst Calixt II., Hannover 1998 (MGH Schriften 45), S. 354–389, zur Berücksichtigung der Legationstätigkeit unter Calixt in der fortlaufenden Darstellung sowie einem Kapitel zum Kardinalskollegium dieses Papstes (S. 549–564); Mary STROLL: Calixtus II (1119–1124). A Pope born to rule (Studies in the history of Christian traditions 116), Leiden 2004, mit ausführlicher Erwähnung der Legationen in den länderspezifischen Kapiteln; Michael HORN: Studien zur Geschichte Papst Eugens III. (1145–1153), Frankfurt a. M. u.a. 1992 (Europäische Hochschulschriften 3/508), S. 208–220. 11 Für Frankreich: Rudolf HIESTAND: Les légats pontificaux en France du milieu du XIe à la fin du XIIe siècle, in: L’église de France et la papauté (Xe–XIIIe siècle) / Die französische Kirche und das Papsttum (10.–13. Jahrhundert). Actes du XXVIe colloque historique franco-allemand organisé en coopération avec l’École Nationale des Chartes par l’Institut Historique Allemand de Paris (Paris, 17–19 octobre 1990), hg. v. Rolf GROSSE, Bonn 1993 (Studien und Dokumente zur Gallia Pontificia 5), S. 54–80; Rolf GROSSE: La fille aînée de l’Église: Frankreichs Kirche und die Kurie im 12. Jahrhundert, in: JOHRENDT/MÜLLER (wie Anm. 1) S. 299–321; Pascal MONTAUBIN: De pe-

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Neben den breiter angelegten rechts- und allgemeingeschichtlichen Untersuchungen zum Legatenwesen entstanden eine Reihe von personengeschichtlichen Arbeiten, deren zeitlicher Schwerpunkt bedingt durch die bessere Quellenlage allerdings im 13. Jahrhundert und später liegt12. Für die Jahrhunderte davor ist eine monographische Aufarbeitung einzelner Legaten mangels hinreichender Quellenbasis kaum möglich13. Immerhin liegen für Legaten des 11. und 12. Jahrhunderts einige Aufsätze vor14 sowie vor allem die Veröffentlitits papes en voyage: Les legats en France et en Angleterre au XIIIe siècle, in: Se deplacer du Moyen Âge a nos jours, hg. v. Stéphane CURVEILLER, Calais 2008, S. 58–70. Für die Iberische Halbinsel: Ingo FLEISCH: Rom und die Iberische Halbinsel: das Personal der päpstlichen Legationen und Gesandtschaften im 12. Jahrhundert, in: JOHRENDT/MÜLLER (wie Anm. 1) S. 135–189. Für Ostmitteleuropa: Przemysław NOWAK: Das Papsttum und Ostmitteleuropa (Böhmen-Mähren, Polen, Ungarn) vom 10. bis zum beginnenden 13. Jahrhundert. Mit einer Neuedition von JL 9067, im vorliegenden Band S. 331–369. P. Nowak plant außerdem eine Monographie zu päpstlichen Legaten in Polen im 12. und 13. Jahrhundert 12 Beispielhaft sollen aus dem breiten Strom der Einzeluntersuchungen über (Kardinal-) Legaten des 13., 14. und 15. Jahrhunderts nur einige neuere Untersuchungen genannt werden: Werner MALECZEK: Petrus Capuanus. Kardinal, Legat am Vierten Kreuzzug, Theologe († 1214), Wien 1988 (Publikationen des Österreichischen Historischen Instituts in Rom 1/8) (italienische leicht erweiterte Übersetzung: Amalfi 1997); Falko NEININGER: Konrad von Urach († 1227). Zähringer, Zisterzienser, Kardinallegat, Paderborn u.a. 1994 (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte N.F. 17); Claudia MÄRTL: Kardinal Jean Jouffroy († 1473). Leben und Werk, Sigmaringen 1996 (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 18); Nicolas VINCENT: The Letters and Charters of Cardinal Guala Bicchieri, Papal Legate in England, 1216–1218, Woodbridge 1996 (Canterbury and York Society 83). 13 Aus einer bisher unpublizierten Dissertation über Bischof Hugo von Die hat der Autor die Ergebnisse in mehreren Aufsätzen publiziert: Kriston R. RENNIE: The Application of Reform in Eleventh-Century France. The Conciliar Activity of Hugh, Bishop of Die (1073–1085), (Diss. Masch.) King’s College London, 2005; DERS.: Reform in the Localities: The Council of Valence (May 1079), in: AHC 37 (2005) S. 43–55; DERS.: Collaboration and Council Criteria in the Age of Reform. Legatine Councils under Gregory VII, in: AHC 38 (2006) S. 95–118; DERS.: „Uproot and Destroy, Build and Plant“. Legatine Authority under Pope Gregory VII (1073–85), in: Journal of Medieval History 33 (2007) S. 166–180; DERS.: Hugh of Die and the Legatine Office unter Gregory VII. On the Effects of a waning Administration, in: RHE 103 (2008) S. 27– 49. 14 Vgl. exemplarisch: Dietrich LOHRMANN: Petrus von S. Grisogono und St. Viktor in Paris. Zur Vorgeschichte eines Legaten Alexanders III. in Frankreich, in: Deus qui mutat tempora. Menschen und Institutionen im Wandel des Mittelalters. Festschrift für Alfons Becker zu seinem fünfundsechzigsten Geburtstag, hg. v. Ernst-Dieter HEHL/Hubertus SEIBERT/Franz STAAB, Sigmaringen 1987, S. 259–267; Rudolf HIESTAND: Kardinalbischof Matthäus von Albano, das Konzil von Troyes [1129] und die Entstehung des Templerordens, in: ZKG 99 (1988) S. 295–325; Michael HORN: Der Kardinalbischof Imar von Tusculum als Legat in England 1144/45, in: HJb 110 (1990) S. 492–505; Ilicia SPREY: Henry of Winchester and the Expansion of Legatine Political Authority in England, in: RHE 91 (1996) S. 785–804; Gergely KISS: Teuzo sancte

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chungen über das Kardinalskollegium und die Kurie, die stark prosopographisch ausgerichtet sind15. Eigens hervorgehoben zu werden verdient die Arbeit von Stefan Weiß über die Urkunden der päpstlichen Legaten für den Zeitraum von 1049 bis 1198, da sie den in allen einschlägigen Darstellungen zur Diplomatik völlig vernachlässigten Urkundentypus erstmals ausführlich behandelt16. Die ErgebRomane Ecclesie legatus... Teuzo cardinalis (Adalekok az I. Laszlo-kori papai magyar kapcsolatok toerttenetehez), in: Magyaroknak eleiroel. Uennepi tanulmanyok a hatvan esztendoes Makk Ferenc tiszteletere [Festschrift für Ferenc Makk zum 60. Geburtstag], hg. v. Ferenc PITI, Szeged 2000, S. 265–277; Uta-Renate BLUMENTHAL: Hugh of Die and Lyons, Primate and Papal Legate, in: Scripturus Vitam. Lateinische Biographie von der Antike bis in die Gegenwart. Festgabe für Walter Berschin zum 65. Geburtstag, hg. v. Dorothea WALZ, Heidelberg 2002, S. 487–495; Anders BERGQUIST: The Papal Legate: Nicholas Breakspear’s Scandinavian Mission, in: Adrian IV, the English Pope (1154–1159). Studies and Texts, hg. v. Brenda BOLTON/Anne J. DUGGAN, Aldershot 2003 (Church, Faith and Culture in the Medieval West), S. 41–48; Ludwig FALKENSTEIN: Wilhelm vom Champagne, Elekt von Chartres (1164–1168), Erzbischof von Sens (1168/69–1176), Erzbischof von Reims (1176–1202), Legat des apostolischen Stuhles, im Spiegel päpstlicher Schreiben und Privilegien, in: ZRGKanAbt 89 (2003) S. 107–284; DERS.: Guillaume aux Blanches Mains: archevêque de Reims et légat du Siège Apostolique (1176–1202), in: RHE 91 (2005) S. 5–25; Damian J. SMITH: The Iberian Legations of Cardinal Hyacinth Bobone, in: Pope Celestine III (1191–1198). Diplomat and Pastor, hg. v. John DORAN/Damian J. SMITH, Aldershot 2008 (Church, Faith and Culture in the Medieval West), S. 81–112. 15 Vgl. MALECZEK: Papst (wie Anm. 5) mit Erwähnung der gesamten älteren Literatur zum Kardinalat. Zu Kurie und Kanzlei vgl. die neueren Darstellungen von Georg MAY: Ego N.N. Catholicae Ecclesiae Episcopus. Entstehung, Entwicklung und Bedeutung einer Unterschriftsformel im Hinblick auf den Universalepiskopat des Papstes, Berlin 1995 (Kanonistische Studien und Texte 43); Frank M. BISCHOFF: Urkundenformate im Mittelalter. Größe, Format und Proportionen von Papsturkunden in Zeiten expandierender Schriftlichkeit (11.–13. Jahrhundert), Marburg a. d. L. 1996 (elementa diplomatica 5); Rudolf HIESTAND: Die Leistungsfähigkeit der päpstlichen Kanzlei im 12. Jahrhundert mit einem Blick auf den lateinischen Osten, in: Papsturkunde und europäisches Urkundenwesen. Studien zu ihrer formalen und rechtlichen Kohärenz vom 11. bis 15. Jahrhundert, hg. v. Peter HERDE/Hermann JAKOBS, Köln u.a. 1999 (ADipl Beih. 7), S. 1–26; Stefan HIRSCHMANN: Die päpstliche Kanzlei und ihre Urkundenproduktion (1141–1159), Frankfurt a. M. 2001 (Europäische Hochschulschriften 3/913); Przemysław NOWAK: Die Urkundenproduktion der päpstlichen Kanzlei 1181–1187, in: ADipl 49 (2003) S. 91–222; Bernard BARBICHE: Diplomatie, diplomatique et théologie: les préambules des lettres de légation (XIIIe–XVIIe siècle), in: Inquirens subtilia diversa. Dietrich Lohrmann zum 65. Geburtstag, hg. v. Horst KRANZ/Ludwig FALKENSTEIN, Aachen 2002, S. 123–132. Geschichte des Kardinalats im Mittelalter, hg. v. Jürgen DENDORFER/Ralf LÜTZELSCHWAB, Stuttgart 2011 (Päpste und Papsttum 39). 16 WEISS: Urkunden (wie Anm. 5); DERS.: Die Legatenurkunde des 11. und 12. Jahrhunderts zwischen Papst- und Herrscherurkunde, in: Papsturkunde und europäisches Urkundenwesen. Studien zu ihrer formalen und rechtlichen Kohärenz vom 11. bis 15. Jahrhundert, hg. v. Peter HERDE/Hermann JAKOBS, Köln u.a. 1999 (ADipl Beih. 7),

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nisse lassen sich in vielerlei Hinsicht für eine historische Analyse nutzbar machen17, sie betreffen mit etwa 120 berücksichtigten Kardinälen (von denen bisher 592 Urkunden bekannt sind) höchstens ein Drittel aller zwischen 1049 und 1198 mit der Legatenwürde ausgestatteten Personen.

2. Perspektiven der Erforschung des Legatenwesens Neuere Forschungsansätze zur Kommunikation, zur Medialität oder zum Rituell-Zeremoniellen, die sich für das Gesandtschaftswesen generell aufdrängen, sind für die Erforschung des Botenwesens in jüngerer Zeit facettenreich aufgenommen worden18, für das Legationswesen aber bisher nur sporadisch19. Für das 12. Jahrhundert muss diese Zurückhaltung mit der geringen Aussagekraft

S. 27–38; DERS.: Legatenurkunde und Papsturkunde, in: Hundert Jahre Papsturkundenforschung, Bilanz – Methoden – Perspektiven. Akten eines Kolloquiums zum hundertjährigen Bestehen der Regesta Pontificum Romanorum vom 9.–11. Oktober 1996 in Göttingen, hg. v. Rudolf HIESTAND, Göttingen 2003, (AAG, 3. Folge 261), S. 335–350 mit sieben Nachträgen. In der zweiten Auflage des Handbuchs von Thomas FRENZ: Papsturkunden des Mittelalters und der Neuzeit, akt. Aufl., Stuttgart 22000 (Historische Grundwissenschaften in Einzeldarstellungen 2), S. 115, ist den Legatenurkunden immerhin eine halbe Seite gewidmet. 17 Vgl. Claudia ZEY: Gleiches Recht für alle? Konfliktlösung und Rechtsprechung durch päpstliche Legaten im 11. und 12. Jahrhundert, in: Rechtsverständnis und Konfliktaustragung im Mittelalter, hg. v. Stefan ESDERS, Köln u.a. 2007, S. 93–119. 18 Vgl. Jürg ZULLIGER: „Ohne Kommunikation würde Chaos herrschen“. Zur Beobachtung von Informationsaustausch, Briefverkehr und Boten bei Bernhard von Clairvaux, in: AK 78 (1996) S. 251–276; Bernhard SIEGERT: Vögel, Engel und Gesandte. Alteuropas Übertragungsmedien, in: Gespräche – Boten – Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter, hg. v. Horst WENZEL, Berlin 1997 (Philologische Studien und Quellen 143), S. 45–62; Horst WENZEL: Boten und Briefe. Zum Verhältnis körperlicher und nichtkörperlicher Nachrichtenträger, in: DERS. (wie oben) S. 86–105; Stephan FREUND: Boten und Briefe. Formen und Wege bayerischitalienischer Kommunikation in Früh- und Hochmittelalter, in: Bayern und Italien. Politik, Kultur, Kommunikation (8.–15. Jahrhundert). Festschrift für Kurt Reindel zum 75. Geburtstag, hg. v. Heinz DOPSCH/Stephan FREUND/Alois SCHMID, München 2001 (ZBLG Beih. 18, Reihe B), S. 55–103; Volker SCIOR: Veritas und certitudo oder: Warten auf Wissen. Boten in frühmittelalterlichen Informationsprozessen, in: Das Mittelalter 11 (2006) Heft 1: Engel und Boten, S. 110–131. 19 In den jüngsten Sammelbänden zu Inszenierung und Ritual spielen Themen aus dem Bereich des geistlichen und weltlichen Gesandtschaftswesens keine Rolle: Die Welt der Rituale. Von der Antike bis heute, hg. v. Claus AMBOS u. a, Darmstadt 2005; Inszenierung und Ritual in Mittelalter und Renaissance, hg. v. Andrea VON HÜLSENESCH, Düsseldorf 2005 (Studia humaniora 40).

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der Quellen zu diesen Fragen begründet werden20, für das 13. Jahrhundert mit den fehlenden Vorarbeiten, die zugleich eine sinnvolle Eingrenzung des umfangreichen Stoffs ermöglichen könnten. Die bisher vorliegenden Beiträge haben daher eher einen eklektischen Zugriff auf das einschlägige Quellenmaterial des 13. Jahrhunderts mit deutlicher Bevorzugung der normativen Quellen21. Ma Tapio Salminen orientierte sich in seinem bereits vor über 20 Jahren publizierten Beitrag zum Wesen der päpstlichen Repräsentation durch Legaten nahezu ausschließlich am Dekretalenrecht und dessen gelehrter Aufarbeitung und ging nur auf wenigen Seiten auf die äußeren Repräsentationszeichen (Kleidung, Insignien) und damit auf den performativen Aspekt der Legatentätigkeit ein22. Ausgewählte Empfehlungs- und Beglaubigungsschreiben der Päpste waren für Thérèse Bœspflug neben dem Dekretalenrecht die Grundlage ihrer Überlegungen zur Begrifflichkeit sowie zum Wesen und zu den Grenzen von ‚Repräsentation’ als von den Päpsten kontrollierter Stellvertretung durch

20 Zu dem einzigen bemerkenswert frühen Zeugnis zum äußeren Erscheinungsbild eines päpstlichen Legaten in Thangmars Vita Bernwardi vgl. SALMINEN (wie Anm. 5) S. 351. 21 Für einen streng kanonistisch-normativen Zugang zur Thematik stehen in jüngerer Zeit die Arbeiten von: Richard A. SCHMUTZ: Medieval Papal Representatives: Legates, Nuncios and Judges Delegate, in: Post Scripta. Essays on Medieval Law and the Emergence of the European State in Honor of Gaines Post, hg. v. Joseph R. STRAYER/Donald E. QUELLER, Rom 1972 (Studia Gratiana 15), S. 441–463; Robert Charles FIGUEIRA: The Canon Law of Medieval Papal Legation. A Thesis presented to the Faculty of the Graduate School of Cornell University in Partial Fulfillment for the Degree of Doctor of Philosophy, (Diss. Masch.) New York 1980 (Ann Arbor Microfilms, Michigan 1980); DERS.: The Classification of Medieval Papal Legates in the „Liber Extra“, in: AHP 21 (1983) S. 211–228; DERS.: Decretalists, Medieval Papal Legation, and the Roman Law of Offices and Jurisdiction, in: Res publica litterarum. Studies in the Classical Tradition 9 (1986) S. 119–135 (auch in: Studi Umanistici Piceni 6 [1986] S. 119–136); DERS.: „Legatus apostolice sedis“: the Pope’s „alter ego“ according to Thirteenth-Century Canon Law, in: Studi medievali 3a serie 27 (1986) S. 527–574; DERS.: The Medieval Papal Legate and His Province. Geographical Limits of Jurisdiction, in: Apollinaris 61 (1988) S. 817–860 (auch in: Plenitude of Power. The Doctrines and Exercise of Authority in the Middle Ages. Essays in Memory of Robert Louis Benson, hg. v. DEMS., Aldershot/Burlington, VT 2006 [Church, Faith and Culture in the Medieval West], S. 73–105); DERS.: Papal Reserved Powers and the Limitations on Legatine Authority, in: Popes, Teachers, and Canon Law in the Middle Ages, hg. v. James Ross SWEENEY/Stanley CHODOROW, Ithaca (New York)/London 1989, S. 191–211; DERS.: Subdelegation by Papal Legates in Thirteenth-Century Canon Law: Powers and Limitations, in: In Iure Veritas. Studies in Canon Law in Memory of Schafer Williams, hg. v. Steven B. BOWMAN/Blanche E. CODY, Cincinnati 1991, S. 56–79; DERS.: Papal Reserved Powers − Some Decretist Texts, in: Grundlagen des Rechts. Festschrift für Peter Landau zum 65. Geburtstag, hg. v. Richard H. HELMHOLZ u. a. (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, NF 91), Paderborn u.a. 2000, S. 477–490. 22 SALMINEN (wie Anm. 5).

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die Legaten23. Pascal Montaubin hat zur Untersuchung der Reiseumstände der Legaten überdies noch zeremonielle Zeugnisse, teilweise aus dem 14. und 15. Jahrhundert, herangezogen24. Damit sind vielversprechende Wege für die weitere Analyse des päpstlichen Legatenwesens aufgezeigt. Dass sie fast ausnahmslos ins 13. Jahrhundert und darüber hinaus weisen, ist vor allem der Quellenlage geschuldet. Auch wenn deren systematische Erschließung schon rein quantitativ eine Herausforderung darstellt, werden sich bei entschlossenem Zugriff zumal auf das edierte Material weitere Einblicke in die strukturellen und zeremoniellen Umstände öffnen. Analog etwa zu den wertvollen Erkenntnissen, die sich aus dem Register Gregors VII. zu Theorie und Praxis des Legatenwesens am Beginn der Reformära gewinnen lassen, gewährt das Register Innozenz’ III. tiefe Einblicke in die Entwicklung der Institution zu Beginn der von Juristenpäpsten geprägten Ära. Welches Pontential in der Durchdringung des urkundlichen bzw. brieflichen Quellenmaterials liegt, konnte Werner Maleczek im Rahmen zweier größerer Untersuchungen zum Frieden stiftenden Papsttum und zur Bedeutung des Papsttums für die Universitätsgründungen im 13. Jahrhundert aufzeigen25. In beiden Bereichen waren selbstverständlich Kardinallegaten mit entsprechendem Kenntnis- und Erfahrungsschatz die ausführenden Organe. Die Universitäts- und Bildungsgeschichte sind ein weiteres bisher noch wenig beackertes Feld für die Legatenforschung26. Während Maleczek das Beziehungsgeflecht zwischen dem Papsttum und den französischen, englischen und italienischen Universitäten beleuchtete, zeigte Ingo Fleisch in seiner Monographie die Schlüsselrolle der päpstlichen Legaten im westiberischen Raum auf 27. Für diese Region könnten sich auch für das 12. Jahrhundert mit dem weiteren Voranschreiten der Arbeiten an der Iberia Pontificia noch Verfeinerungen des derzeitigen Forschungsstandes ergeben28. 23 Thérèse BŒSPFLUG: La représentation du pape au moyen âge. Les légats pontificaux au XIIIe siècle, in: MEFR 114 (2002) S. 59–71. 24 MONTAUBIN (wie Anm. 11). 25 Werner MALECZEK: Das Frieden stiftende Papsttum im 12. und 13. Jahrhundert, in: Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter, hg. v. Johannes FRIED, Sigmaringen 1996 (VuF 43), S. 249–332; Werner MALECZEK: Das Papsttum und die Anfänge der Universität im Mittelalter, in: RHMitt 27 (1985) S. 85– 143. 26 Zu den Beziehungen zwischen dem Papsttum bzw. dem Kardinalat und den hohen Schulen von Paris vgl. weiterhin vor allem die Arbeiten von Peter CLASSEN: Studium und Gesellschaft im Mittelalter, hg. v. Johannes FRIED, Stuttgart 1983 (MGH Schriften 29). 27 Ingo FLEISCH: Sacerdotium - Regnum – Studium. Der westiberische Raum und die europäische Universitätskultur im Hochmittelalter. Prosopographische und rechtsgeschichtliche Studien, Berlin 2006 (Geschichte und Kultur der iberischen Welt 4). 28 Die in Lissabon veranstaltete Tagung „El papado limitado. Legados – jueces – limites“ (wie Anm. 2) diente der Standortbestimmung des Unternehmens unter dem speziellen

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Ein weiterer ebenfalls von Werner Maleczek jüngst aufbereiteter Zweig der Legatenforschung betrifft die ostentative Seite der repräsentativen Vollmachten: die Siegel der Kardinäle bzw. der Kardinallegaten29. Diese zunächst bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts publizierte Studie wird Maleczek selbst fortführen, um aus einer reicheren Überlieferungslage heraus die ikonographischen Entwicklungen zu verfolgen und den Siegelgebrauch im historischen Kontext zu analysieren. Vorarbeiten existierten praktisch nicht, denn ebenso wie die Legatenurkunden wurden auch die Legatensiegel in der hilfswissenschaftlichen Forschung stark vernachlässigt. Der Versuch, eine bestimmte Richtung zu prognostizieren, in welche die Erforschung des päpstlichen Legatenwesens in den kommenden Jahren gehen wird oder gehen sollte, würde schon an der Vielfalt der derzeit verfolgten Forschungsansätze scheitern. Bewährte geographische und prosopographische Ansätze werden vertieft, neuere medienwissenschaftliche Ansätze werden aufgegriffen. Beachtlich und erfreulich zugleich ist dabei die Internationalität der Forschung und der rege Austausch unter den Forscherinnen und Forschern. Hélène Millet und Pascal Montaubin gelang es für ihre Legatentagung in Paris im Februar 2009, 27 Forscherinnen und Forscher aus zehn Ländern zusammenzuführen und zahlreiche Aspekte des päpstlichen Legatenwesens erörtern zu lassen30. Internationalen Werkstattcharakter haben ebenfalls die vor allem von Maria Pia Alberzoni initierten Arbeitstreffen in Mailand zur Erforschung des Legatenwesens und der delegierten Gerichtsbarkeit. Nach einer ersten Sichtung des Themenspektrums im Jahr 200931 ging es bei der Zusammenkunft im Frühjahr 2011 um die Bedeutung der päpstlichen Legaten und der delegierten Richter für die Kreuzfahrerherrschaften. Damit wird ein weiterer Aspekt berührt, der in der internationalen Forschungsperspektive bisher nur eine marginale Rolle gespielt hat, nämlich die Frage nach der Bedeutung der päpstlichen Legaten für den inner- und außereuropäischen Kultur- und Wissenstransfer.

Blickwinkel ‚Legaten und delegierten Richter‘. Zum Planungs-und Bearbeitungsstand vgl. und < http://www.papsturkunden.gwdg.de/Akademieprojekt/___ Iberia _____/___iberia_____.html>. 29 Werner MALECZEK: Die Siegel der Kardinäle. Von den Anfängen bis zum Beginn des 13. Jhs., in: MIÖG 112 (2004) S. 177–203. 30 „Les légats pontificaux. Paix et unité de l’Eglise, de la restructuration grégorienne à l’aube du Concile de Trente (mi XIe – mi XVIe siècle)“ (wie Anm. 2). 31 „Legati e delegati: le carriere e gli ambiti di azione (secoli XII–XIII) / Päpstliche Legaten und Delegaten: Forschungsstand und Forschungsfragen (12.–13. Jahrhundert)” (wie Anm. 2)

II. Homogenisierungsprozesse in den Regionen

Der Nordwesten Frankreichs. Die Kirchenprovinzen Rouen und Tours HARALD MÜLLER UND JÖRG PELTZER Gut 1000 Kilometer trennten den Nordwesten Frankreichs, Normandie, Anjou, Maine, Touraine und Bretagne, von Rom. Trotzdem lässt sich ein dichtes Beziehungsgeflecht zwischen dem dortigen Klerus und der sich festigenden Kurie erkennen. Art und Anlässe der Kontakte, ihre Trägergruppen und die Richtungen ihrer Impulse liefern Aufschlüsse über Intensität und Charakter dieses Beziehungsgeflechts. Dazu sind zunächst die geographische und politische Situation sowie die Quellenüberlieferung der untersuchten Region zu skizzieren. Anhand der überlieferten Papsturkunden lässt sich eine quantitative Tendenz für die Beziehungsintensität erkennen, auch lassen sich erste inhaltliche Schwerpunkte aus dem urkundlichen Material herausarbeiten. Stärker auf den personalen Austausch zwischen Kurie und Regionen gerichtet sind Beobachtungen zum Besuch der Laterankonzilien und zu einzelnen Karrieren, wechselweise von Kurialen, die in Frankreich Fuß fassten, und von Klerikern aus der Normandie und Bretagne, die mit römischen Ämtern ausgezeichnet wurden. Ein zentrales Thema der Interaktion zwischen Kurie und Region ist im Falle der Normandie das Kirchenrecht. Hier ist der Rezeption älterer kanonistischer Sammlungen im französischen Nordwesten ebenso nachzugehen wie der kräftigen Implementierung und gleichzeitigen Fortentwicklung des Dekretalenrechts durch die rege Tätigkeit vom Papst delegierter Richter und durch ein äußerst produktives Interesse an Rechtsmaterien in der Normandie. Über die Sammlungsbefunde hinaus soll aber auch exemplarisch gezeigt werden, wie vom Papst formulierte Normen in den Rechtsalltag fern von Rom integriert wurden. Der Reiz eines solchen Überblicks kann nicht in der Vollständigkeit liegen. Die Überlieferungslage und das durch die Zeiten wechselnde Interesse der Forscher bestimmen in erheblichem Maße die Erkenntnismöglichkeiten. Über begrenzte Befunde und Schlaglichter ist ein Bild zu entwerfen, das eher Tendenzen und Schwerpunkte zeigt als ein geschlossenes Panorama. Man muss sich zudem darüber im Klaren sein, dass eine Untersuchung, die nach Spuren römischen Einflusses in der Ferne sucht, diese Spuren zwangsläufig betont. Wenn wir Kontakte auflisten und Wirkungszusammenhänge zwischen Rom und dem französischen Nordwesten beleuchten, verschwinden die nicht erfolgten, nicht erwähnten oder gescheiterten Interaktionen aus dem Betrach-

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tungshorizont. Diese Beobachtung verdient aus methodischen Gründen Beachtung, weil es sicherlich auch Desinteresse an Rom oder Widerstand gegen seine Vorgaben gegeben hat. Selten aber wird solches in den Quellen zum Thema erhoben, und auch in einer Darstellung wie dieser kann der negativen Seite kaum ein angemessener Platz zugewiesen werden. Die Chance aber, zumindest ein grobes Profil einer Region in ihrem Verhältnis zur römischen Kurie zu entwerfen, scheint den Verfassern verlockender als vor dem mehr als provisorischen Charakter möglicher Aussagen zu kapitulieren. Im Folgenden liegt nicht zuletzt wegen der umfangreicheren Vorarbeiten der Schwerpunkt der Analyse auf der Normandie. Der immer wieder auf die Verhältnisse im Groß-Anjou gerichtete vergleichende Blick soll dabei vor zu kurzsichtigen Schlussfolgerungen schützen. Grundsätzlich gilt, dass die hier durchgeführte Untersuchung die facettenreiche Beziehung zwischen Kurie und dem Nordwesten Frankreichs zwischen dem späten 11. und dem frühen 13. Jahrhundert nur stichprobenartig in den Blick nehmen kann. Die Studie soll folglich mehr anregen als abschließen.

1. Geopolitisches Den Nordwesten Frankreichs bedeckten die beiden Kirchenprovinzen Rouen und Tours. Sie erstreckten sich über ein politisch heterogenes Gebiet. Die Provinz Rouen mit dem Erzbistum und den sechs Suffraganen Evreux, Lisieux, Bayeux, Sées, Coutances und Avranches war in etwa deckungsgleich mit dem Herzogtum der Normandie. Der Herzog, spätestens seit der Eroberung Englands 1066 einer der mächtigsten Männer Westeuropas, war die bestimmende Figur im Herzogtum, auch wenn seine Autorität ein leichtes OstWest-Gefälle aufwies1. Als Patron zahlreicher Klöster und Inhaber der Temporalia aller sieben normannischen Bistümer war er eng mit der normannischen Kirche verknüpft und spielte für lange Zeit eine zentrale Rolle in ihrer Politik. Das Erzbistum Tours und seine beiden Suffragane Le Mans und Angers waren Hauptorte der Grafschaften Touraine, Maine und Anjou. Der wichtigste politische Akteur in diesem Gebiet war der Graf des Anjou, der 1044 die Touraine und 1110 Maine seiner Herrschaft hinzufügen konnte2. Im Folgenden wird 1

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Aus der reichen Literatur zur Geschichte der Normandie sei nur genannt David BATES: Normandy before 1066, London 1982; Daniel POWER: The Norman Frontier in the Twelfth and Early Thirteenth Centuries, Cambridge 2004 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought; Fourth Series 62); François NEVEUX: La Normandie des ducs aux rois (Xe–XIIe siècle), Rennes 1998. Vgl. Jacques BOUSSARD: Le comté d’Anjou sous Henri Plantagenêt et ses fils (1151– 1204), Paris 1938 (Bibliothèque de l’école des hautes études; IVe section, sciences historiques et philologiques 271); Josèphe CHARTROU: L’Anjou de 1109 à 1151. Foulques de Jérusalem et Geoffroi Plantagenêt, Paris 1928; Olivier GUILLOT: Le comte d’Anjou et son entourage au XIe siècle, 2 Bde., Paris 1972; Bruno LEMESLE: La société

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dieses Gebiet der Einfachheit halber als Groß-Anjou bezeichnet. Im Vergleich zum normannischen Herzog war die Position des Grafen gerade in den beiden neu hinzugewonnen Grafschaften deutlich schwächer. Dies galt auch für seine Stellung bezüglich der Kirchen der Region. So hielt er zwar die Temporalia der Bistümer von Le Mans und Angers, Tours jedoch verblieb in der Hand des französischen Königs3. Die übrigen neun Suffragane von Tours (Nantes, Rennes, Vannes, Quimper, Dol, St. Malo, St. Brieuc, Tréguier und Léon) erstreckten sich über das Herzogtum der Bretagne. Die Autorität des Herzogs war hier vergleichweise schwach ausgeprägt. Am stärksten war sie im Südosten um Nantes, Vannes und Quimper. Hier war auch sein Einfluss auf das kirchliche Leben am größten. Im Westen hingegen gaben die lokalen Herren den Ton an4. Rangen die Herzöge der Normandie und der Bretagne sowie der Graf des Anjou zwischen 1050 und 1150 miteinander um Einfluss in der Region, so gelangten ihre Herrschaften Mitte des 12. Jahrhunderts in die Hand der Angeviner. 1135 starb Heinrich I., König von England und Herzog der Normandie. Im Zuge der Auseinandersetzungen um seine Nachfolge eroberte 1135–36 Gottfried Plantagenêt, Graf des Anjou, im Namen seiner Frau Matilda, der Tochter Heinrichs, die Normandie. 1154 folgte ihr Sohn Heinrich II. auf dem englischen Thron und vereinigte damit das Groß-Anjou, die Normandie und England in einer Hand. 1158 kam die Grafschaft von Nantes hinzu. Acht Jahre später, 1166, zwang Heinrich Conan IV., Herzog der Bretagne, abzudanken und einer schließlich 1181 vollzogenen Eheschließung zwischen Heinrichs Sohn Gottfried und seiner Tochter Konstanze zuzustimmen5. Die angevinische Herrschaft über den Nordwesten Frankreichs war jedoch nicht von allzu langer Dauer. Gottfried verstarb 1186 und seine Witwe Konstanze übernahm die Regierungsgeschäfte. In den Jahren 1202 bis 1203 schließlich verlor Heinrichs jüngster Sohn Johann jeglichen Einfluss über die Bretagne6. Im Osten eroberte der französische König Philipp II. Augustus 1204 die Nor-

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aristocratique dans le Haut-Maine (XIe–XIIe siècle), Rennes 1999; Richard E. BARTON: Lordship in the County of Maine c. 890–1160, Woodbridge 2004. Vgl. Marcel PACAUT: Louis VII et les élections épiscopales, Paris 1957 (Bibliothèque de la société d’histoire ecclésiastique de la France), S. 64–65, 80. Die 1199 anvisierte Abtretung der regalia von Tours durch Philipp II. an den angevinischen König Richard I. realisierte sich aufgrund von Richards Tod nicht, vgl. Chronica Rogeri de Hovedene, hg. v. William STUBBS, 4 Bde., London 1868–1871 (RS 51), Bd. 4, S. 80f. Judith A. EVERARD: Brittany and the Angevins. Province and Empire 1158–1203, Cambridge 2000 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought; Fourth Series 48). Vgl. z. B. David CROUCH: The Reign of King Stephen, 1135–1154, Harlow 2000; Marjorie CHIBNALL: The Empress Matilda. Queen Consort, Queen Mother and Lady of the English, Oxford 1991; Wilfred L. WARREN: Henry II, Yale 42000; Christopher HARPER-BILL/Nicholas VINCENT (Hg.): Henry II. New Interpretations, Woodbridge 2007; John GILLINGHAM: The Angevin Empire, London 22001. EVERARD (wie Anm. 4) S. 146–175.

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mandie sowie 1202–1206 Anjou, Maine und Touraine – Zugewinne, die 1214 durch den Sieg Philipps in der Schlacht von Bouvines bestätigt wurden7.

2. Quellenlage Die Quellenlage des Untersuchungsraums ist sehr unterschiedlich. Die Situation bezüglich historiographischer und urkundlicher Quellen ist für die Normandie und das Groß-Anjou sehr viel besser als für die Bretagne. Aus diesem Herzogtum liegen lediglich ein paar dürre Klosterannalen und eine vergleichsweise geringe Anzahl von Kartularen vor8. Damit aber sinkt die Überlieferungschance für päpstliche Schreiben beträchtlich. Dies bedeutet auch, dass Argumentationen e silentio für die hier behandelten Fragen schlechterdings nicht möglich sind. Konkreter formuliert: Die heutige Abwesenheit beziehungsweise geringe Zahl päpstlicher Privilegien kann nicht grundsätzlich als Beleg für eine Ferne bretonischer kirchlicher Einrichtungen von der Kurie gewertet werden9. Es liegt auf der Hand, dass vor dem Hintergrund dieser Quellenlage das Herzogtum im Folgenden kaum ins Gewicht fallen wird. Im Unterschied zur Bretagne liegt für die Klöster, Stifte und Domkirchen des Groß-Anjou und der Normandie eine reichhaltige urkundliche Überlieferung vor, sei es in Form von Originalen oder zeitnah angefertigten Kartularen10. 7 John W. BALDWIN: The Government of Philip Augustus. Foundations of French Royal Power in the Middle Ages, Berkeley 1986, S. 191–219. 8 EVERARD (wie Anm. 4) S. 3–6. Hubert GUILLOTEL: Cartulaires bretons médiévaux, in: Les cartulaires. Actes de la table ronde organisée par l’Ecole nationale de chartes et le G.D.R. 121 du C.N.R.S. (Paris, 5–7 décembre 1991), hg. v. Olivier GUYOTJEANNIN/Laurent MORELLE/Michelle PARISSE, Paris 1993 (Mémoires et documents de l’école des Chartes 39), S. 325–341, mit einer Liste bretonischer Kartulare auf S. 336– 340; Papsturkunden in Frankreich. Neue Folge, V. Touraine, Anjou, Maine und Bretagne, hg. v. Johannes RAMACKERS, Göttingen 1956 (AAG phil.-hist. Kl., 3. Folge 27), S. 48–56. 9 So vertritt Hubert GUILLOTEL dezidiert die These, dass die gregorianische Reform die Bretagne nicht später als anderswo erreichte, Hubert GUILLOTEL: Bretagne et papauté au XIe siècle, in: L’église de France et la papauté (Xe–XIIIe siècle), hg. v. Rolf GROSSE, Bonn 1993 (Studien und Dokumente zur Gallia Pontificia 1), S. 265–286; Hubert GUILLOTEL: Combour. Proto-histoire d’une seigneurie et mis en oeuvre de la réforme grégorienne, in: Family Trees and the Roots of Politics. The Prosopography of Britain and France from the Tenth to the Twelfth Century, hg. v. Katherine S. B. KEATSROHAN, Woodbridge 1997, S. 269–298. Für den Osten des Herzogtums dürfte dies zweifellos zutreffen. 10 Zu den Kartularen vgl. Caroline BOURLET u. a.: Répertoire des microfilms des cartulaires français consultables à l’IRHT, section de diplomatique, Orléans/Paris 1999; David SPEAR: Research Facilities in Normandy and Paris. A Guide for Students of Medieval Norman History. Including a Checklist of Norman Cartularies, Greenville 1993, S. 28–53.

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Hier ist, bei aller notwendigen Vorsicht, eine statistische Auswertung des Urkundenmaterials möglich. Für die Normandie haben wir eine solche Analyse unternommen. Anders als die Urkundenüberlieferung nehmen die historiographischen Zeugnisse in ihrer Dichte in dem hier betrachteten Zeitraum ab. Liegt mit dem Werk des Benediktinermönchs Ordericus Vitalis für die Normandie eine sehr detaillierte und gut informierte Chronik für die Jahrzehnte um 1100 vor11, so muss man sich für die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts mit den sehr viel knapperen Ausführungen Roberts von Torigny begnügen12. Fast gänzlich versiegt die normannische und angevinische Geschichtsschreibung dann um 1200. Lediglich knappe Mitteilungen einzelner kirchlicher Institutionen kommentieren die ereignisreichen Jahre dieser Zeit13.

3. Die Normandie und die Kurie im Spiegel der Papsturkunden Es ist ein probates Mittel, die Beziehungen zwischen der Kurie und geistlichen Institutionen oder Einzelpersonen anhand der Papsturkunden darzustellen14. Dies für eine Region zu unternehmen und zudem über einen Zeitraum von mehr als 150 Jahren im Hochmittelalter hinweg, ist allerdings ein gewagtes Unterfangen15. Zeitlich wie räumlich ist die Überlieferungslage höchst unterschiedlich und von vielen Zufällen bestimmt; vom Fehlen der Kartulare in der Bretagne war bereits die Rede. Die Verzeichnung päpstlicher Dokumente in den Regestenwerken des 19. Jahrhunderts, allen voran Jaffé und Potthast, ist als Basis ebenso unumgänglich wie unzulänglich. Erst die Bände der neueren, nach Ländern geordneten Regesta pontificum Romanorum werden hier eine

11 The Ecclesiastical History of Orderic Vitalis, hg. v. Marjorie CHIBNALL, 6 Bde., Oxford 1969–1980 (Oxford Medieval Texts). 12 Chronica Roberti de Torigneio, abbatis monasterii Sancti Michaelis in Periculo Maris, in: Chronicles of the Reigns of Stephen, Henry II and Richard I, hg. v. Richard HOWLETT, 4 Bde., London 1884–1889 (RS 87), Bd. 4. 13 Zum Beispiel die Chroniken von Rouen und Tours, E chronico Rotomagensi, in: RHF 18 (1894) S. 357–362, S. 331–343; Recueil de chroniques de Touraine, hg. v. André SALMON, Tours 1854 (Collection de documents sur l’histoire de Touraine 1). 14 Zum Beispiel Tilmann SCHMIDT: Pommerns Beziehungen zum Papsttum im Spiegel der Papsturkunden, in: Tausend Jahre pommersche Geschichte, hg. v. Roderich SCHMIDT, Köln 1999, S. 145–164; Jochen JOHRENDT: Papsttum und Landeskirchen im Spiegel der päpstlichen Urkunden (896–1046), Hannover 2004 (MGH Studien und Texte 33). 15 Vgl. die zeitlich enger begrenzte Aufstellung nach Ländern bei Stefan HIRSCHMANN: Die päpstliche Kanzlei und ihre Urkundenproduktion (1141–1159), Frankfurt am Main 2001 (Europäische Hochschulschriften III/913), S. 199–201; unklar bleibt, ob er die Normandie zu England rechnet.

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neue Grundlage schaffen, doch liegen sie als Italia und Germania pontificia weitgehend, als Gallia pontificia aber erst ansatzweise vor. Für die Normandie bleiben immer noch Jaffé und Potthast für einen Überblick von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zum Pontifikat Innozenz’ III. das Maß der Dinge, vermehrt insbesondere um die Papsturkunden-Edition von Johannes Ramackers, die Verzeichnung der Urkunden Innozenz’ für England, die für den Nordwesten Frankreichs aufschlussreiche kanonistische Überlieferung und schließlich ein breites Spektrum von Untersuchungen zur Kirchengeschichte der Region, die gelegentlich seinerzeit unbekannte Schriftstücke aus der päpstlichen Kanzlei zu Tage fördern oder verlorene Stücke erschließen lassen16. Insbesondere diese letzte Gruppe ist kaum systematisch im Blick zu behalten. Auch endet das Aktionsgebiet von Klerikern und Institutionen aus der Normandie nicht an der Grenze des Herzogtums. Zuletzt wäre zu klären, in welchem Umfang man Deperdita einbezieht – ein Problem, das insbesondere im Zusammenhang mit der delegierten Gerichtsbarkeit virulent wird, da die päpstlichen Mandate nach Ingangsetzung des Prozesses ihren Wert verloren und daher selten erhalten sind. Der Versuch, die Papsturkunden für normannische Empfänger zunächst quantitativ zu erfassen, ist also schon aus diesen Gründen mit grundsätzlichen methodischen Problemen behaftet. Keinesfalls sind daher die in der folgenden Grafik für den Zeitraum von 1060 bis 1216 ermittelten Zahlenwerte abschließend zu betrachten17. Mehr als eine tendenzielle Annäherung an die Urkundenfrequenzen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu erreichen.

16 Philipp JAFFÉ: Regesta pontificum Romanorum ab condita ecclesia ad annum post Christum natum 1198, Editionem secundam curaverunt Ferdinand KALTENBRUNNER (anno 64–590), Paul EWALD (anno 590–882), Samuel LOEWENFELD (anno 882–1198), I–II, Leipzig 1885–1888 (ND Graz 1956) [künftig JL + Nummer]; August POTTHAST: Regesta Pontificum Romanorum inde ab anno post Christum natum MCXCVIII ad annum MCCCIV, I–II, Berlin 1874–1875 (ND Graz 1957) [künftig POTTHAST + Nummer]; Papsturkunden in Frankreich. Neue Folge, II: Normandie, hg. v. Johannes RAMACKERS, Göttingen 1937 (AAG phil.-hist. Kl., 3. Folge 21); The Letters of Pope Innocent III (1198–1216) concerning England and Wales. A calendar with an appendix of texts, hg. v. Christopher CHENEY/Mary CHENEY, Oxford 1967; DIES.: The Letters of Pope Innocent III. Additions and corrections, in: BIHR 44 (1971) S. 98– 115; thematisch bezogen, aber flächendeckend Harald MÜLLER: Päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit in der Normandie (12. und frühes 13. Jahrhundert), Bonn 1997 (Studien und Dokumente zur Gallia pontificia 4). 17 Die Auszählung beginnt mit dem Pontifikat Alexanders II. Die relevanten Jahre Nikolaus’ II. weisen keine normannischen Betreffe auf.

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Für das 11. Jahrhundert zeigt die Auszählung der Regestenwerke und einschlägigen Editionen einen gleichmäßig niedrigen Wert von Papsturkunden für normannische Adressaten. Um die Wende zum 12. Jahrhundert steigt die Frequenz an, es bleibt gleichwohl bei eher sporadischen Kontakten. Im vierten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts ist nochmals ein Anstieg zu verzeichnen, doch bringen erst die 1140er Jahre einen nachhaltigen Aufschwung. Bis zum Schisma von 1159, so legt der Blick auf das Diagramm nahe, erfolgte eine kontinuierliche Festigung der urkundlichen Beziehungen zwischen dem Papsttum und der Normandie. Dann aber erfolgt ein Einbruch. Die Schwierigkeiten, päpstliche Litterae vor 1189 zuverlässig zu datieren, da darin nur das Tagesdatum im römischen Kalender als Ausstellungstermin genannt wird, machen in Zeiten anschwellender Zahlen päpstlicher Justizbriefe eine präzise Zuordnung schwierig18. Doch nimmt man alleine die Stücke mit zuverlässiger Datierung, wird eine frappierende Entwicklung deutlich. Zwischen 1160 und 1169 halbiert sich deren Zahl in etwa. Erst im darauf folgenden Jahrzehnt wird wieder ein 18 Für die vorliegende Aufstellung wurden die unpräzise datierten Urkunden jeweils in die Mitte des eingegrenzten Datierungszeitraums gesetzt, im Falle von Jahrzehntüberschreitungen gleichmäßig auf die betreffenden Säulen des Diagramms verteilt.

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Wert erreicht, der das Niveau vor dem Einbruch sogar geringfügig übertrifft. Möglicherweise hat dieser deutliche Rückgang mit dem sogenannten alexandrinischen Schisma zu tun, denn immerhin sinkt gerade die Zahl der exakt datierten Urkunden, nicht also der einfachen Litterae, sondern der Privilegierungen. Es wäre denkbar, dass die lange Zeit ungeklärte Parteinahme des englischen Königs hier auch zu abwartendem Verhalten bei den normannischen Urkundenempfängern geführt hat, auch wenn mit Neufmarché 1159 die Lage zugunsten Alexanders III. geklärt schien und der Klerus Nordwestfrankreichs 1163 fast geschlossen Alexanders Konzil in Tours besuchte; über eine einleuchtende Erklärung dieses Befundes wird nachzudenken sein19. Aufschluss kann nur eine detaillierte Untersuchung der Empfänger und Materien in dieser Zeit liefern. Mit jeweils rund 100 Dokumenten aus der päpstlichen Kanzlei liefern die drei letzten Jahrzehnte des 12. Jahrhunderts ein vergleichsweise homogenes Bild, wobei sich zum Ende des Jahrhunderts ein leichter Anstieg erkennen lässt und zudem aufgrund der nun präziseren Datierungsgewohnheiten bei den Litterae die Schwankungsbreite unsicherer Datierungen sinkt. Dass in der Auszählung unter Innozenz III. die Urkundenüberlieferung mit normannischen Betreffen gegenüber seinem Vorgänger sinkt, obwohl nun zusätzlich die päpstlichen Register überliefert sind, muss seine Ursache nicht allein in politischen Schwierigkeiten zwischen der römischen Kurie und dem König von Frankreich haben, zu dessen Hoheitsbereich die Normandie seit 1204 gehörte. Stattdessen ist in Erinnerung zu rufen, dass die Regesten bei Potthast, anders als bei Jaffé, praktisch ausschließlich auf Urkunden rekurrieren, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts schon irgendwo gedruckt vorlagen und kaum annähernd den tatsächlichen Bestand abbilden dürften20. In der Summe ist festzuhalten, dass die Kirchen der Normandie insbesondere von 1140 an den Kontakt mit Rom suchten und von der Mitte des Jahrhunderts an, abgesehen von Rückschlägen in den 1160er Jahren, auf einem weitgehend stabilen Niveau hielten.

19 Auch für das Schisma zwischen Innozenz II. und Anaklet II. sind auffällige Entwicklungen zu beobachten. So klafft eine Lücke zwischen 1132 und 1139. In dieser Zeit ist fast ausschließlich Erzbischof Hugo von Rouen als Adressat päpstlicher Schreiben nachweisbar. Eine dichtere Folge päpstlicher Privilegien für normannische Kirchen ist erst ab 1140 feststellbar. Hatte man sich im Schisma zurückgehalten? Hier sind wohl auch die politischen Wirren nach dem Tod Heinrichs I. in Betracht zu ziehen. Vgl. die Parallelen, die Jochen JOHRENDT: Der Sonderfall vor der Haustür – Kalabrien und die Kurie, in: Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie. Das universale Papsttum als Bezugspunkt der Kirchen von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III., hg. v. Jochen JOHRENDT/Harald MÜLLER, Berlin/New York 2008 (Neue AAG 2), S. 235–258, herausgearbeitet hat. 20 Vgl. dazu die Kritik von Ludwig FALKENSTEIN an dem ausschließlich auf den bei POTTHAST verzeichneten Papsturkunden beruhenden Buch von Raymonde FOREVILLE: Le pape Innocent III et la France, Stuttgart 1992 (Päpste und Papsttum 26), in: ZRGKanAbt 81 (1995) S. 449–465.

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Die Musterung des Urkundenmaterials zeigt innerhalb dieser normannisch-päpstlichen Kontakte eine deutliche quantitative Vorrangstellung der Erzdiözese Rouen gegenüber den Suffraganen. Einzelne beim Papsttum hochangesehene Metropoliten und nicht zuletzt die Rolle Rouens als Zentrum der Kanonistik haben hierzu ihren Beitrag geleistet21. Dabei wirkte sich das kanonistische Interesse gleich in doppelter Weise aus. Es stimulierte die Produktion päpstlicher Litterae und erhöhte durch deren Eingliederung in die Rechtssammlungen zugleich die Überlieferungsquote. Eine Unterscheidung nach Inhalten der Papsturkunden ist schwierig, da in einem Schriftstück oftmals mehrere Sachverhalte (Besitzbestätigung, Abtswahl, Schutz, Zehntfreiheit o. ä.) angesprochen werden. Bei den Mandaten handelt es sich oft um punktuelle Probleme, die sich nur in unbefriedigender Weise einem Oberthema zuordnen lassen22. Aus diesem Grunde sei hier die Aufnahme in den päpstlichen Schutz beziehungsweise die Bestätigung eines solchen Privilegs herausgegriffen, um die Konjunkturen der Rombeziehungen normannischer Kirchen im Zeitraum exemplarisch zu illustrieren23. Zwischen 1062 und 1130 sind nur vier Schutzprivilegien überliefert: 1068 auf Betreiben Lanfrancs für St-Etienne in Caen, 1099 für Ste-Foix in Conches, 1103 für Fécamp, 1119 indirekt für Ste-Trinité in Savigny. Es folgen 1123 Le Bec und 1126 die Kirche von Evreux24. Die Reise Innozenz’ II. in das nördliche Frankreich bescherte 1131 Notre-Dame du Désert und dem von Regularkanonikern betriebenen Hospital von Falaise Schutzurkunden, beide noch bevor Erzbischof Hugo eine umfangreiche Bestätigung der Rechte und Besitzungen für die Kirche von Rouen mit dem ausdrücklichen Hinweis erhielt, er habe sich den Ansprüchen Anaklets II. wacker entgegengestellt25. Erst 1140, nach neun Jahren, wird die Reihe der Schutzprivilegien wieder aufgenommen, dann aber in dichter Folge. Beginnend mit Fécamp 1140 erhalten bis zum Ende des Pontifikats Eugens III. (1153) folgende Institute Privilegien, welche die Aufnahme in den päpstlichen Schutz oder dessen Bestätigung zum Inhalt haben: 1142 die Bischofskirchen von Evreux, Mortemer, St-Wandrille26; nach dem Tod Innozenz’ II. bemühen sich erfolgreich um ein solches Privileg: 1144 Fécamp, Le Bec, Ardenne, Foucarmont, St-André-en-Gouffern und Savigny27; 21 Vgl. HIRSCHMANN (wie Anm. 15) S. 215f. und unten bei Anmerkung 125. 22 Vgl. für einen Eindruck der Bandbreite die Aufstellung der Streitgegenstände bei MÜLLER: Delegationsgerichtsbarkeit (wie Anm. 16) Bd. 1, S. 116–179. 23 Zum päpstlichen Schutz vgl. Ludwig FALKENSTEIN: La papauté et les abbayes françaises aux XIe et XIIe siècles. Exemption et protection apostolique, Paris 1997; für die frühere Zeit zuletzt JOHRENDT: Papsttum (wie Anm. 14) S. 147–167. 24 JL 4644, 5802, 5957, 6738 (Mitteilung an mehrere Bischöfe), 7062, 7240. 25 JL 7442, 7473. Das Privileg für die Kirche von Rouen ist JL 7487, den Schluss des häufig gedruckten Stückes bietet RAMACKERS: Papsturkunden Frankreich II (Anm. 16) S. 66f., Nr. 11. 26 JL 8188, 8189, 8206. 27 JL 8557, 8579, 8603, 8670, 8673, 8675.

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1145 kommen St-Lô, La Luzerne und St-Martin in Sées in den Genuss des päpstlichen Schutzes28; 1146 folgen nochmals Mortemer, St-Wandrille, das Domkapitel und die Kirche von Coutances mit je einer eigenen Urkunde sowie Ste-Barbe-en Auge29; 1147 Jumièges, L’Estrée, Fécamp und La Trappe30; 1148 Savigny, Notre-Dame in Eu, Troarn sowie erneut die Kirche von Rouen31. Mont St-Michel kann 1150, das Frauenkloster St-Sauveur in Evreux und Conches jeweils 1153 ein Schutzprivileg in das heimische Archiv einordnen. Es lässt sich anhand dieser dichten Folgen gut erkennen, dass in der Frage des päpstlichen Schutzes eine Intensivierung der Beziehungen zwischen der Normandie und der Kurie in den 1140er Jahren einsetzt; der Befund ordnet sich zwanglos in die allgemeine Beurteilung ein32. Bemerkenswert bleibt jedoch die Lücke, die sich zwischen dem Frankreichaufenthalt Innozenz’ II. im Jahr 1131 und der verstärkten Überlieferung von Schutzprivilegien ab 1140 zeigt. Erst nachdem die römischen Verhältnisse dauerhaft geklärt worden waren, scheint der apostolische Stuhl für normannische Klöster und Stifte an Attraktivität gewonnen zu haben. Neben der Bischofskirche von Evreux und den alten Benediktinerabteien Fécamp und St-Wandrille stand die 1134 südöstlich von Rouen gegründete Zisterzienserabtei Mortemer in der ersten Reihe der Petenten. Angesichts der These, dass Innozenz sich in seinem Kampf um die Kathedra Petri in hohem Maße auf Zisterzienser und Prämonstratenser gestützt habe33, ist festzuhalten, dass in der Normandie erst unter den Nachfolgern Innozenz’ die Regularkanoniker (St-Lô, Ste-Barbe-en-Auge, Notre-Dame in Eu), in geringerem Maße Prämonstratenser (Ardenne, La Luzerne) und Zisterzienser (Mortemer, L’Estrée) in den päpstlichen Schutz strebten. Mit Foucarmont, St-André-en-Gouffern, Savigny und La Trappe sind jedoch – teilweise

28 JL 8716, 8719, 8803. Ob auch das unspezifisch als Privileg bezeichnete JL 8735 für Bernai den päpstlichen Schutz enthielt, bleibt offen. 29 JL 8857, 8867, 8868, 9631, 8964. JL 9631 ist nur abschriftlich und ohne Datum überliefert, dürfte aber gleichzeitig mit JL 8868 ausgefertigt worden sein; Papsturkunden Frankreich II (Anm. 16) S. 35. Zu JL 8868 für Coutances vgl. Jörg PELTZER: Conflits électoraux et droit canonique. Le problème de la valeur des votes lors des élections épiscopales en Normandie au Moyen Âge centrale, in: Tabularia ‘Études’ 6 (2006) S. 91–107 (http://www.unicaen.fr/mrsh/craham/revue/tabularia/print.php?dossier= dossier6&file=02peltzer.xml, zuletzt eingesehen am 28. März 2011), dort S. 96–98. 30 JL 9018, 9129, 9173. 31 JL 9198, 9228, 9234, 9424, 9683, 9729. 32 Vgl. HIRSCHMANN (wie Anm. 15) S. 215f. Ein ähnlicher Verlauf ist für die delegierte Gerichtsbarkeit konstatiert worden; dazu unten bei Anmerkung 113. 33 Vgl. dazu Hubertus SEIBERT: Autorität und Funktion. Das Papsttum und die neuen religiösen Bewegungen in Mönch- und Kanonikertum, in: Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts, hg. v. Ernst-Dieter HEHL/Ingrid H. RINGEL/Hubertus SEIBERT, Stuttgart 2002 (Mittelalter-Forschungen 6), S. 207–241.

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noch im Gewand des Benediktinerordens – Klöster darunter, die sich 1147 im Gefolge von Savigny dem Zisterzienserorden anschlossen34. Üblicherweise beließ man es nicht bei einem einzelnen Schutzprivileg, sondern bemühte sich um Bestätigung durch den jeweils aktuellen Papst. Schon in der hier vorgestellten Stichprobe sind einige Institute mehrfach vertreten. Den Weg an die Kurie trat man allerdings nicht bei jedem Amtswechsel an, sondern erledigte solche Aktualisierungen dann, wenn sich eine Gelegenheit bot. Dementsprechend sind Schutzprivilegien aus dem gesamten Beobachtungszeitraum überliefert, verteilen sich jedoch zeitlich und im Hinblick auf einzelne Institute quantitativ ungleich. Ein abschließender Blick auf den Pontifikat Lucius’ III. (1181–1184) soll zur Verdeutlichung genügen. In den Genuss des päpstlichen Schutzes kamen die Benediktiner aus Valmont, St-Aubin und St-Ymer-en-Auge, das Hospital in Lisieux sowie erneut Savigny. Vier neue Namen für die Kurie und ein alter Bekannter, denn die Zisterzienser aus Savigny erhielten im Umfeld des Schutzprivilegs weitere Urkunden35. Die Urkundenüberlieferung eröffnet bei systematischer Zusammenstellung also durchaus Einblicke in die Intensität der Kontakte zwischen den Kirchen der Normandie und den römischen Bischöfen. Die bei der Auszählung entstehenden Kurven verlangen nach sachgerechter Erklärung. Allzu weit sollte man jedoch bei der Interpretation aufgrund der Zufälligkeit der Überlieferung nicht gehen. Angesichts der geringen absoluten Zahlenwerte können bereits wenige verlorene oder übersehene Urkunden das Bild nachhaltig verzerren. Ob man den Kontakt zu Rom suchte und wie erfolgreich man dabei war, lässt sich für eine ganze Region anhand der Papsturkunden nur begründet abschätzen. Ein ähnlich sicherer Boden, wie ihn manche Klöster dank einer zeitlich weit gespannten, dichten Dokumentation in ihren Archiven bieten, ist für politische Großräume kaum zu gewinnen.

4. Päpstliche Legaten und Konzilien Während die französischen Kirchen am Ende des Pontifikats Gregors VII. als dem Papsttum und seinen Legaten vollends geöffnet erscheinen, gilt die Normandie in dieser Hinsicht als verschlossener Raum. Das mag überraschen, hatte Herzog Wilhelm doch vor der Eroberung Englands nicht nur Zustimmung oder Stillhalteversprechen des Kaisers und des französischen Königs Heinrich I. eingeholt, sondern auch von Alexander II. den apostolischen favor 34 Dazu Mary SUYDAM: Origins of the Saviniac Order. Savignys Role Within the Twelfth-Century Monastic Reform, in: RevBén 86 (1976) S. 94–108; Francis R. SWIETEK/Terrence M. DENEEN: The Episcopal Exemption of Savigny. 1112–1184, in: ChH 52 (1983) S. 285–298; DIES.: Pope Lucius II. and Savigny, in: Analecta cisterciensia 39 (1983) S. 3–25. 35 JL 14509, 14698, 14889,14739, 15107. Zu Savigny ferner JL 14939, 15275, 15330.

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erbeten und diesen nach dem Bericht des Wilhelm von Poitiers in Gestalt eines päpstlichen Banners auch erhalten. Alexander wird dabei nicht nur als höchst würdiger Pontifex beschrieben, sondern ausdrücklich als kluger Lenker, dem die Gesamtkirche (ecclesia universa) gehorche36. Nach der Eroberung entzog sich Wilhelm strikt jeglicher päpstlichen Einflussnahme auf seinen Herrschaftsbereich und wirkte damit vorbildhaft auf seine Nachfolger. Explizite, teils mit massiven Drohungen versehene Einreiseverbote für päpstliche Legaten in das Territorium des normannischen Herzogs sind für die Jahre 1061/62 und 1192 bezeugt. Bis zur Eingliederung der Normandie in das französische Königreich 1204 scheint die Situation sich nur graduell geändert zu haben37. Synoden unter dem Vorsitz eines päpstlichen Legaten fanden dort selten statt. 1128 versammelte Matthäus von Albano die normannischen Bischöfe38, 1144 Kardinalbischof Imar von Tusculum, ehe er nach England weiterreiste39. Die Weihe der Kathedrale von Sées am 21. März 112640 und die politisch wie liturgisch bedeutsame Verlegung der herzoglichen Grablege nach Fécamp (1162) wurden jedoch beide im Beisein päpstlicher Legaten vollzogen, so dass von einer völligen Abschottung gegen dieses päpstliche Instrument der Fernintervention wohl nicht auszugehen ist41. Auch wenn es nicht zur dauerhaften 36 Wilhelm von Poitiers, Gesta Wilhelmi ducis Normannorum et regis Anglorum. Histoire de Guillaume le Conquérant, hg. v. Raymonde FOREVILLE, Paris 1952, S. 152– 154. Ebd., S. 153: …papa Alexander, dignissimus cui obediret quemque consuleret ecclesia universa. Die Übersendung des Banners ebd., S. 154. Vgl. Gregors VII. Gehorsamsforderung an Wilhelm vom 8. Mai 1080; Das Register Gregors VII., hg. v. Erich CASPAR, Berlin 1920/1923 (MGH Epp. sel. 2), S. 505–507 VII/25 (= JL 5168). 37 Rudolf HIESTAND: Les légats pontificaux en France du milieu du XIe à la fin du XIIe siècle, in: GROSSE: L’Église (wie Anm. 9) S. 59, 69, 73. Zur Einreiseverweigerung im Jahr 1192 durch den Seneschall William FitzRalph und Vertreter des auf dem Kreuzzug weilenden englischen Königs vgl. Wilhelm JANSSEN: Die päpstlichen Legaten in Frankreich vom Schisma Anaklets II. bis zum Tode Coelestins III. (1130–1198), Köln 1961 (Kölner historische Abhandlungen 6), S. 139–142. 38 Siehe dazu unten bei Anm. 47. 39 JANSSEN (wie Anm. 37) S. 41. 40 Theodor SCHIEFFER: Die päpstlichen Legaten in Frankreich vom Vertrage von Meersen 870 bis zum Schisma von 1130, Berlin 1935 (ND Vaduz 1965) (Historische Studien 263), S. 220, der das Zurücktreten Giralds von Angoulême hinter den Metropoliten bei der Weihehandlung in Sées als Indiz seines geminderten Einflusses in der Normandie wertet. HIESTAND (wie Anm. 37) S. 75. 41 Zweite Legationsreise Heinrichs von Pisa, Kardinalpresbyter von SS. Nereo ed Achilleo; vgl. Stefan WEISS: Die Urkunden der päpstlichen Legaten von Leo IX. bei Coelestin III. (1049–1198), Köln/Weimar/Wien 1995 (Beiheifte zu den RI 13), S. 224; weitere Stücke für normannische Empfänger sind im Umfeld nachzuweisen. Vgl. zur Legationsreise, die Heinrich an den Hof des englischen Königs führte, JANSSEN (wie Anm. 37) S. 72, 77f. Öfters verweilten Legaten auf der Reise nach und von England jeweils in der Normandie und wurden dort punktuell tätig, z. B. 1176 Kardinaldiakon Hugo von S. Angelo oder 1189 Kardinalpriester Johannes von S. Marco; vgl. JANSSEN (wie Anm. 37) S. 108, 135–137; WEISS (wie oben) S. 265–267, 284.

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Ausbildung einer Legation des Erzbischofs von Rouen für seine Kirchenprovinz kam, so ist mit Hugo von Amiens doch immerhin ein normannischer Metropolit mit der Legatenwürde ausgezeichnet worden. 1134–1135 agierte er als päpstlicher Legat im südlichen Frankreich und war nach Innozenz’ II. Konzil in Pisa 1135 so sehr mit päpstlichen Aufgaben beschäftigt, dass Heinrich seine Abwesenheit von Rouen beklagte42. Aufrufe des Papstes oder seiner Legaten, Konzilien zu besuchen, erreichten in der Regel auch die Bischöfe Nordwestfrankreichs43. Als 1095 Papst Urban II. zum Konzil nach Clermont einlud, waren die Bischöfe von Bayeux, Evreux und Sées persönlich anwesend, die übrigen normannischen Bischöfe hatten immerhin Vertreter geschickt44. Allerdings waren sie nicht bereit, wegen eines Konzils den Zorn ihres Herzogs zu provozieren. 20 Jahre später nahmen sie lieber die Exkommunikation durch den päpstlichen Legaten Kuno von Palestrina in Kauf, als gegen den Willen Heinrichs I. die von Kuno anberaumten Synoden von Beauvais, Soissons und Reims zu besuchen45. Doch steht Heinrichs Regierungszeit keineswegs für eine Eiszeit der normannisch-päpstlichen Beziehungen. Als Calixt II. 1119 ein Konzil nach Reims einberief, erlaubte Heinrich seinen Prälaten den Besuch, untersagte ihnen aber, dort in irgendeiner Sache gegeneinander Klage zu führen46. 1128 kam es gar zu der bereits erwähnten Synode des päpstlichen Legaten Matthäus von Albano, der ersten Synode seit 1055, die ein päpstlicher Legat im Herzogtum abhalten durfte, und das erste Mal überhaupt, dass der Legat gegenüber der normannischen Kirche eine Vorrangstellung ausübte47. Es ist gut möglich, dass sein Verwandter Hugo von Amiens, Abt von Reading und späterer Erzbischof von Rouen, der so-

42 Zur Legation siehe JANSSEN (wie Anm. 37) S. 32–34; Luchesius SPÄTLING: Die Legation des Erzbischofs Hugo von Rouen (1134/35), in: Antonianum 43 (1968) S. 195– 216; zu Pisa und Heinrichs Ärger: Orderic (wie Anm. 11) 6, Buch 13, S. 442. 43 Zu Konzilien als Einheit stiftende Faktoren und den Möglichkeiten diesbezüglicher Analyse vgl. Johannes HELMRATH: Partikularsynoden und Synodalstatuten des späteren Mittelalters im europäischen Vergleich, in: AHC 34 (2002) S. 57–99. 44 Orderic (wie Anm. 11) 5, Buch 9, S. 18f. 45 Heinrich BÖHMER: Kirche und Staat in England und in der Normandie im XI. und XII. Jahrhundert. Eine historische Studie, Leipzig 1899, S. 275. HIESTAND (wie Anm. 37) S. 73. 46 Orderic (wie Anm. 11) 6, Buch 12, S. 252–277; BÖHMER (Anm. 45) S. 275; vgl. Robert SOMERVILLE: The Councils of Pope Calixtus II: Reims 1119, in: Proceedings of the Fifth International Congress of Medieval Canon Law, Salamanca, 21–25 September 1976, hg. v. Stephan KUTTNER/Kenneth PENNINGTON, Vatikanstadt 1980 (MIC C 6), S. 35–50. 47 SCHIEFFER (wie Anm. 40) S. 54, 194–233, bes. S. 230–231; Raymonde FOREVILLE: The Synod of the Province of Rouen in the Eleventh and Twelfth Centuries, in: Church and Government in the Middle Ages, hg. v. Christopher N. L. BROOKE u. a., Cambridge 1976, S. 19–39, S. 22–24. HIESTAND (wie Anm. 37) S. 73.

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wohl an der Kurie als auch am königlichen Hof großes Vertrauen genoss, bei Heinrich ein gutes Wort für Matthäus eingelegt hatte48. Vier Jahre später, auf dem 2. Laterankonzil von 1139, glänzten die normannischen Bischöfe durch Abwesenheit49. Sicherlich war es für sie leichter, Konzilien in Reims oder auch in Clermont zu erreichen, als den weiten und beschwerlichen Weg nach Rom auf sich zu nehmen. Ein sehr viel größeres Reisehindernis aber waren die politischen Wirren, die das anglo-normannische Reich nach dem Tod Heinrichs I. 1135 in Atem hielten. König Stephan erlaubte wegen der turbatio seines Reiches lediglich fünf englischen Bischöfen und vier Äbten die Reise nach Rom50. Die gänzliche Abwesenheit normannischer Bischöfe mag ebenfalls in herrscherlichen Maßnahmen begründet gewesen sein. Erzbischof Hugo war ein ausgesprochener Anhänger König Stephans. Sein Widerstand und der anderer normannischer Bischöfe gegen ihren neuen Herrn Gottfried Plantagenêt ist gut dokumentiert51. Vielleicht verhinderte Gottfried ihre Reise, zumal das Thema der englischen Thronfolge in Rom wohl zur Debatte stand52. Als unter veränderten politischen Vorzeichen Papst Alexander III. 1163 während seines Exils in Frankreich zu einem Konzil nach Tours einlud, waren mit Ausnahme des kürzlich verstorbenen Bischofs von Bayeux sämtliche normannischen Bischöfe vertreten53. Sie setzten damit ein deutliches Zeichen ihrer Positionierung im Schisma. Ihr Besuch auf dem dritten Laterankonzil 1179 war hingegen weniger beeindruckend. Trotz der Vorbereitungen Alexanders III., dessen Gesandter Octavian 1178 in die Kirchenprovinz Rouen gereist war, um die dortigen Kirchenführer auf das Konzil einzuladen54, machte sich offensichtlich nur eine Minderheit der normannischen Bischöfe auf den langen Weg nach Rom. Auf dem Konzil ist nur der schon greise Bischof von Evreux, Ägidius, nachweisbar. Von einem zweiten, Bischof Heinrich von Bayeux, wissen wir, dass er zumindest nach Rom aufge48 Zu seiner Laufbahn David SPEAR: The Personnel of the Norman Cathedrals during the Ducal Period, 911–1204, London 2006 (Fasti ecclesiae Anglicanae), S. 198; zu seiner Verwandtschaft mit Matthäus siehe Thomas WALDMAN: Hugh of Amiens, Archbishop of Rouen (1130–64), Diss. masch. Oxford 1970, S. 4; zur englischen Kirche unter Heinrich I. siehe Martin BRETT: The English Church under Henry I, Oxford 1975 (Oxford Historical Monographs). 49 Georgine TANGL: Die Teilnehmer an den allgemeinen Konzilien des Mittelalters, Weimar 1922, S. 207. 50 Reginald L. POOLE: The English Bishops at the Lateran Council of 1139, in: EHR 28 (1923) S. 61–63. 51 Vgl. William of Malmesbury, Historia Novella. The Contemporary History, hg. v. Edmund KING, übers. v. Kenneth R. POTTER, Oxford 1998 (Oxford Medieval Texts), S. 48–50; The Letters of Peter the Venerable, hg. v. Giles CONSTABLE, 2 Bde., Cambridge Mass. 1967 (Harvard Historical Studies 78), 2, S. 256. 52 Siehe dazu: Letters of Peter the Venerable (wie Anm. 51) S. 252–256. 53 Robert SOMERVILLE: Pope Alexander III and the Council of Tours, Berkeley 1977 (Center for Medieval and Renaissance Studies), S. 28. 54 Chronik Torigny (wie Anm. 12) S. 279f.

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brochen war55. Erst das von Innozenz III. von langer Hand geplante vierte Laterankonzil von 1215 war auch von den normannischen Bischöfen gut besucht. Angeführt von Erzbischof Robert reiste eine Gruppe von insgesamt vier Prälaten nach Rom56. Blicken wir ins Groß-Anjou, ergibt sich kein radikal anderes Bild. Wer 1095 nicht nach Clermont kommen konnte, erhielt ein Jahr später die Gelegenheit, sämtliche Informationen aus erster Hand zu erhalten, als Urban II. in Tours eine Synode abhielt, wo er die Beschlüsse von Clermont wiederholte57. Knapp 70 Jahre später war Tours wieder, wie schon erwähnt, Schauplatz eines Kirchentreffens, das den angevinischen Klerus in direkten Kontakt mit dem Papst brachte. Auf den im Lateran abgehaltenen Konzilien waren die Bischöfe des Groß-Anjou zwar nicht in voller Stärke, aber doch regelmäßig anwesend. Ulger, Bischof von Angers, war mit großer Wahrscheinlichkeit in Pisa 1136 und vielleicht auf dem zweiten Laterankonzil58, einer seiner Nachfolger, Ralph de Beaumont, auf dem dritten. Aus der Bretagne waren die Bischöfe von StBrieuc und Léon angereist. Der Erzbischof der Provinz, Bartholomäus von Tours, hatte sich auch auf den Weg gemacht, ehe ihn eine Krankheit zur Umkehr zwang59. 1215 sind der Metropolit der Provinz, Johann de Faye, sowie

55 Zu Ägidius siehe Raymonde FOREVILLE: Latran I, II, III et Latran IV, Paris 1965 (Histoire de conciles œcuméniques VI), S. 389. Für Heinrich siehe eine Urkunde des Dekans des Domkapitels von Bayeux, Wilhelm, vom 31. Dezember 1178: …quod cum dominus vir Henricus Bajocensis episcopus ad concilium Romae profecturus vices suas in episcopatu Bajocensi nobis comisisset …, Alençon, AD Orne H 1956. Zur Einladung des normannischen Klerus nach Rom durch die päpstlichen Subdiakone Oktavian und Albertus de Summa vgl. JANSSEN (wie Anm. 37) S. 109f. 56 FOREVILLE: Latran I (wie Anm. 55) S. 392. 57 Orderic (wie Anm. 11) 5, Buch 9, S. 28f. Zum Einfluss der gregorianischen Reform in der Erzdiözese von Tours vgl. Jean-Marc BIENVENU: La réforme grégorienne dans l’archidiocèse de Tours, in: Histoire religieuse de la Touraine, hg. v. Guy-Marie OURY, Tours 1975, S. 75–91. 58 The Historia pontificalis of John of Salisbury, hg. v. Marjorie CHIBNALL, Oxford 1986, S. 83f. An Ulgers Beteiligung am Konzil von Pisa gibt es kaum Zweifel. Ob er seine Verteidigung der Ansprüche Matildes auf die Thronfolge Heinrichs allerdings bei dieser Gelegenheit oder in Rom 1139 oder gar in Pisa und in Rom lieferte, ist unklar, siehe Letters of Peter the Venerable (Anm. 51) 2, S. 252–256. 59 FOREVILLE: Latran I (wie Anm. 55) S. 389 (Ralph). Epistolae Alexandri III papae, in: RHF 15 (1878) S. 744–977, S. 970, Nr. 412; Epistolae Stephani Tornacensis episcopi, in: RHF 19 (1880) S. 282–306, S. 287f., Nr. 12. Bartholomäus’ Krankheit mag vorgeschoben worden sein, vgl. Jörg PELTZER: Canon Law, Careers and Conquest. Episcopal Elections in Normandy and Greater Anjou, c. 1140–c. 1230, Cambridge 2008 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought; Fourth Series 71), S. 68 Anm. 270. Chronik Torigny (wie Anm. 12) S. 280, berichtet unter den Ereignissen des Jahres 1178, dass der Bischof von Tréguier auf dem Weg nach Rom ausgeraubt und so schwer verletzt wurde, dass er schließlich seinen Verwundungen erlag. Selbst wenn es sich hier nicht um die Reise zum Laterankonzil gehandelt haben sollte, unterstreicht

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die vier bretonischen Bischöfe von Nantes, St-Brieuc, Tréguier und Léon in Rom nachweisbar60. Ein merklicher Unterschied zur Normandie bestand allerdings in der wesentlich geringeren Rolle des Grafen in diesen Angelegenheiten. Von Reiseverboten durch den Grafen zum Beispiel ist nichts bekannt. Auch scheinen die Herrschaftsverhältnisse der Normandie zumindest in der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraums den Umgang der Bischöfe mit den gemeinsam gefassten Beschlüssen stärker beeinflusst zu haben als im GroßAnjou. Das zumindest suggeriert die unterschiedliche Rezeption der Beschlüsse von Clermont: Nachdem die normannischen Bischöfe aus der Auvergne in ihre Provinz zurückgekehrt waren, veröffentlichten sie auf einer 1096 in Rouen veranstalteten Provinzialsynode eine Reihe der in Clermont verabschiedeten canones61. Grundsätzlich erkannten sie also die Autorität des Konzils an, für die gesamte Christenheit verbindliche Regelungen zu treffen. Auch kamen sie ihrer Funktion als Multiplikatoren solcher Entscheidungen in ihren Provinzen und Diözesen nach. Und doch sahen sie offensichtlich Bedarf, die Beschlüsse den regionalen Gegebenheiten anpassen zu müssen. Wurde in Clermont noch die Investitur von Bischöfen und Äbten durch den Herrscher untersagt, fehlte dieser Passus gänzlich in den in Rouen promulgierten Dekreten. Festgelegt wurde lediglich, dass kein Laie Priester ohne die Zustimmung des Bischofs in eine Kirche einsetzen oder sie ihm entziehen sollte. Auch bezüglich der Kriterien für einen geeigneten Kandidaten für das Bischofsamt nahmen sie Änderungen vor. Sie unterließen die Publikation des Beschlusses, dass geeignete Kandidaten zum Zeitpunkt ihrer Wahl mindestens Priester oder Diakon sein mussten und Subdiakone nur mit päpstlicher Erlaubnis gewählt werden durften62. Diese Entscheidungen wurden bewusst gefällt, sie waren nicht das Ergebnis mangelnder Aufmerksamkeit oder fehlenden Erinnerungsvermögens. In seinem Bericht über das Konzil von Clermont listet Ordericus Vitalis die Konzilsbeschlüsse auf63. Sie hatten also ihren Weg mit den Rückkehrern vom Konzil in die Normandie gefunden. Ordericus’ Liste zeigt aber auch, dass die Modifikation der Beschlüsse bereits ihren Anfang in Clermont genommen haben könnte. So enthält sie das Investiturverbot, aber nicht das Verbot, dem König oder einem anderen Laien die Treue zu schwören. Auch ist der Idoneitätskanon leicht abgewandelt. Subdiakone zählten hier neben Priestern und Diakonen zu den Graden, die als wählbar galten64. In beiden Fällen mögen

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diese Nachricht zum einen die Gefährlichkeit eines solchen Unterfangens und zum anderen die Verbindung des bretonischen Episkopats mit der Kurie. FOREVILLE: Latran I (wie Anm. 55) S. 392. Orderic (wie Anm. 11) 5, Buch 9, S. 18–25. Ebd.; zu den Beschlüssen von Clermont siehe Robert SOMERVILLE: The Councils of Urban II. Decreta Claromontensia, Amsterdam 1972 (AHC supplementum 1), S. 73 c. 4, S. 77 c. 19. Orderic (wie Anm. 11) 5, Buch 9, S. 10–15, 18–21. Ebd.; SOMERVILLE (wie Anm. 62) S. 78 c. 20, S. 83–98.

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diese Varianten dem Überlieferungszufall geschuldet sein. Es ist aber auch denkbar, dass sie schon auf in Clermont gemachte Notizen zurückgehen. Trifft dies zu, so wird deutlich, wie schwierig es war, gemeinsam getroffene Beschlüsse gleichförmig in alle Winkel der Christenheit zu tragen. Wie dem auch gewesen sein mag; bei ihren Beratungen, welche der Dekrete wie in der Normandie zu publizieren waren, berücksichtigten die normannischen Bischöfe offensichtlich die Interessen des Herzogs. Es war noch nicht allzu lange her, dass Wilhelm der Eroberer 1080 auf dem Konzil von Lillebonne unangefochten und im Einklang mit dem normannischen Klerus die Leitungsfunktion des Herzogs in kirchlichen Angelegenheiten manifestiert hatte65. 16 Jahre später war die Führungsrolle des Herzogs immer noch fest im Bewusstsein des normannischen Klerus verankert. Sie sahen keinen Anlass, seine institutionelle Verknüpfung mit der normannischen Kirche zu lösen oder substantiell zu verändern66. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums hatte sich allerdings die Situation geändert; betrachtet man die Rezeption der Dekrete des Konzils von 1215, so fällt die Rolle des Herzogs nicht mehr ins Gewicht. Zum einen übte der neue Herr der Normandie, der französische König Philipp II. Augustus, in dieser Hinsicht keinen besonderen Druck aus. Zum anderen, und wahrscheinlich entscheidender, hatte sich der Kommunikationsraum so sehr verdichtet, dass eine nur partielle Veröffentlichung der Dekrete wie in Tours 1216/17 oder in Rouen 1224 die Kenntnis der übrigen Beschlüsse kaum beeinträchtigte67. Einen wesentlichen Beitrag lieferten dazu die intensiven, zweieinhalbjährigen Vorbereitungen des Vierten Laterankonzils68. In der Normandie veranstaltete der päpstliche Legat Robert de Courson 1214 eine Provinzialsynode, auf der

65 David C. DOUGLAS: William the Conqueror, New Haven 31999, S. 321, 331–335. 66 Ein Mönch wie Ordericus Vitalis erwartete von seinem Herzog in der Umsetzung von Konzilsbeschlüssen voranzugehen, Orderic (wie Anm. 11) 5, Buch 9, S. 25; vgl. PELTZER: Canon Law (wie Anm. 59) S. 24. 67 Les statuts synodaux français du XIIIe siècle. I. Les statuts de Paris et le synodal de l’Ouest (XIIIe siècle), hg. v. Odile PONTAL, Paris 1971 (Collection de documents inédits sur l’histoire de France 9), S. 166–168; Les conciles de la province de Tours. Concilia provinciae Turonensis (XIIIe–XVe siècles), hg. v. Joseph AVRIL, Paris 1987 (SHM 13), S. 115–125; Les statuts synodaux français du XIIIe siècle V. Les statuts synodaux des anciennes provinces de Bordeaux, Auch, Sens et Rouen (fin XIIIe siècle), hg. v. Joseph AVRIL, Paris 2001 (Collection de documents inédits sur l’histoire de France 28), S. 185, der auch auf die unterschiedliche Anlage der Promulgationen von Tours und Rouen aufmerksam macht; Raymonde FOREVILLE: La réception des conciles généraux dans l’église et la province de Rouen au XIIIe siècle, in: Droit privé et institutions régionales. Etudes historiques offertes à Jean Yver, hg. v. der Société d’Histoire de Droit et des Institutions des Pays de l’Ouest de la France, Paris 1976, S. 243–253, S. 245. 68 Concilii quarti Lateranensis constitutiones, in: Constitutiones concilii quarti Lateranensis una cum commentariis glossatorum, hg. v. Antonio GARCIA Y GARCIA, Vatikanstadt 1981 (MIC A 2), S. 1–118, S. 8–11.

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die päpstliche Linie in Kernbereichen bekannt gemacht wurde69. Auf dem Konzil selbst wurde mit Konstitution 6 der Weg der Verbreitung und Umsetzung der Konzilsbeschlüsse in der Kirche gewiesen. Auf jährlich abzuhaltenden Provinzialsynoden sollten die Regeln des kanonischen Rechts und insbesondere die Beschlüsse des Konzils wiederholt und eingeschärft werden70. In Tours und mit leichter Verzögerung in Rouen ist dies zum Teil umgesetzt worden. Die Teilnehmer des Konzils, von allein 1200 Äbten und Bischöfen ist die Rede, waren zweifellos zentrale Vermittler der Konzilsdekrete in die Regionen der Kirche. In Anbetracht der Tatsache aber, dass die Dekrete selbst in Regionen, aus denen keine Konzilsbesucher nachweisbar sind, in kürzester Zeit greifbar waren71, muss von vielfältigen Kanälen der Diffundierung ausgegangen werden. Inwieweit die Kurie selbst Initiativen ergriff, um die Texte zirkulieren zu lassen, ist dabei unklar72. Vielleicht spielten die Universtäten hier eine wichtige Rolle73. Auf jeden Fall war in einem solch dichten Kommunikationsraum das Informationsmonopol der Konzilsteilnehmer stark reduziert. Ihr Spielraum für eigenständige, von den Beschlüssen deutlich differierende Interpretationen war sehr eng geworden.

5. Kuriale Karrieren: Kardinalate und Kanonikate Bei seinen Studien zu den Papsturkunden in Nordwestfrankreich konnte Johannes Ramackers das Wirken eines Schreibers aus der päpstlichen Kanzlei im Dienst der Domkirche von Le Mans wahrscheinlich machen. Der unbekannte Kanzlist kam, so Ramackers plausible Vermutung, im Gefolge des Kardinalle-

69 Les statuts synodaux français du XIIIe siècle V (wie Anm. 67) S. 184f.; FOREVILLE: Réception (wie Anm. 67) S. 243–253, S. 244. 70 Concilii quarti Lateranensis constitutiones (wie Anm. 68) S. 53, c.6. 71 Thomas WETZSTEIN hat in diesem Zusammenhang auf Kanon 50 (Festsetzung der unzulässigen Verwandtschaftsgrade bei Eheschließungen) hingewiesen, der bereits 1217 in eine isländischen Gesetzessammlung Eingang gefunden hatte; Thomas WETZSTEIN: Wie die urbs zum orbis wurde. Der Beitrag des Papsttums zur Entstehung neuer Kommunikationsräume im europäischen Hochmittelalter, in: JOHRENDT/MÜLLER: Römisches Zentrum (wie Anm. 19) S. 47–75, S. 70. 72 GARCÍA Y GARCÍA geht davon aus, dass die Kurie die Texte in alle Welt versandte; Concilii quarti Lateranensis constitutiones (wie Anm. 68) S. 19f. Stefanie UNGER: Generali concilio inhaerentes statuimus. Die Rezeption des Vierten Lateranum (1215) und des Zweiten Lugdunense (1274) in den Statuten der Erzbischöfe von Köln und Mainz bis zum Jahr 1310, Mainz 2004 (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 114), S. 43–48, kann sich dem nicht anschließen und sieht in den Konzilsteilnehmern die Multiplikatoren der Konzilsdekrete. So schon Marion GIBBS/Jane LANG: Bishops and Reform, 1215–1272, with Special Reference to the Lateran Council of 1215, Oxford 1934, S. 113. 73 Angedeutet in UNGER (wie Anm. 72) S. 45f.

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gaten Octavian nach Le Mans, der dort im Dezember 1186 Station machte74. In diesem Fall ergab sich eine vielleicht zufällige personelle Verbindung zwischen Kurie und Untersuchungsgebiet als Ergebnis struktureller Verflechtungen. Mittelfristig aber wurden die Domkapitel Gegenstand gezielter päpstlicher Personalpolitik. Als das Domkapitel von Bayeux 1205 zum zweiten Mal antrat, um einen Nachfolger des im November 1204 verstorbenen Bischofs Heinrich zu wählen, fielen einige der Stimmen auf den Kandidaten Saxo, päpstlicher Subdiakon und Domherr von Bayeux75. Obgleich nicht näher bekannt ist, wie Saxo sein Kanonikat bekam, liegt die Vermutung nahe, dass seine Verbindungen nach Rom von Vorteil waren. Saxo jedenfalls gehört zu den frühen Fällen von päpstlichen Klerikern, die eine normannische Domherrenstelle bekamen. Andere sollten folgen76. Und obgleich päpstliche Provisionen in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts kein dominierendes Phänomen waren, spürten die Domkapitel den zunehmenden Einfluss aus Rom. Auf dem Konzil von Bourges 1225 wandten sie sich gegen den Vorschlag Papst Honorius’ III., ein Kanonikat in jeder Kathedrale für die Finanzierung der Kurie zu reservieren. Sie argumentierten damit, dass der päpstliche Einfluss den Ablauf der Wahlen stören würde, die dann mangels Beschluss an die Kurie devolvieren würden, wo der Papst schließlich ihm gefällige Kandidaten bestimmen würde77. Dies 74 RAMACKERS: Papsturkunden in Frankreich V (wie Anm. 8) S. 8f.; seine Vermutung aber, dass es sich dabei um den Kantor P., Aussteller der 1188 von der Hand eines Schreibers der päpstlichen Kanzlei verfassten Urkunde, handeln könnte, scheint irrig. Bei dem Kantor handelte es sich um Peter Clarel, Bruder Bischof Reginald Clarels und dessen Nachfolger als Kantor des Kapitels; Liber controversarium Sancti Vincentii Cenomannensis ou second cartulaire de l’abbaye de Saint-Vincent du Mans, hg. v. André CHÉDEVILLE, Paris 1969, Nr. 67; Nécrologe-obituaire de la cathédrale du Mans, hg. v. Gustave BUSSON/Ambroise LEDRU, Le Mans 1906 (AHM 7), S. 62. Die Clarels waren fest im Domkapitel von Le Mans verwurzelt; PELTZER: Canon Law (wie Anm. 59) S. 187. Es gibt keine Hinweise auf besonders enge Kontakte zur Kurie. Folglich trifft auch Ramackers’ Annahme, dass Kantor und Erzdiakon Paganos Garot, in dessen Urkunde von 1191 der Schreiber wieder nachweisbar ist, ein und dieselbe Person waren, nicht zu. 75 Christopher CHENEY: Decretals of Innocent III in Paris, B.N. MS LAT. 3922A, in: DERS.: The Papacy and England. 12th–14th centuries, London 1982, Nr. 4, S. 149–163, Nr. 92, S. 161f.; ausführliche Diskussion dieser Wahl bei PELTZER: Canon Law (wie Anm. 59) S. 138–141. 76 Vgl. Hermann BAIER: Päpstliche Provisionen für niedere Pfründen bis zum Jahre 1304, Münster 1911 (Vorreformationsgeschichtliche Forschungen 7), S. 227–243, bes. S. 226f.; für Chartres siehe Pascal MONTAUBIN: Les collations pontificales dans le chapitre cathédral de Chartres au XIIIe siècle, in: Monde médiéval et société chartraine. Actes du colloques international organisé par la ville et le diocèse de Chartres à l’occasion du 8e centenaire de la cathédrale de Chartres 8–10 septembre 1994, hg. v. Jean-Robert ARMOGATHE, Paris 1997, S. 285–299. 77 Richard KAY: The Council of Bourges, 1225. A Documentary History, Aldershot 2002 (Church, Faith and Culture in the Medieval West), S. 175–231 und Dokument I, S. 270–289.

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war, zumindest was die normannischen Verhältnisse anging, eine recht einseitige Sicht der Dinge. Die immer wieder entstehenden, schließlich an der Kurie verhandelten Wahlstreitigkeiten dieser Jahre sind kaum auf aktives päpstliches Betreiben zurückzuführen. Interne Auseinandersetzungen waren hierfür in der Regel der Grund. So war die 1231 von Papst Gregor IX. angeordnete Translation des Bischofs von Le Mans, Mauritius, nach Rouen die Folge des Wahldisputs, der im Kapitel nach dem Tod Erzbischofs Theobald aufgetreten war. In seiner Entscheidung folgte Gregor letztlich der Auswahl der von ihm zunächst mit der Entscheidung des Falls beauftragten Delegaten78. Auch wenige Jahre später, als mit Peter de Collemezzo der erste Bischof auf einen normannischen Stuhl kam, der seine Karriere hauptsächlich im päpstlichen Dienst gemacht hatte, stand eine kapitelinterne Auseinandersetzung am Anfang79. Nach dem Tod von Erzbischof Mauritius konnten sich die Domherren von Rouen wieder nicht auf einen Kandidaten einigen. Erneut landete der Fall vor Gregor, der wiederum Delegaten mit der Untersuchung beauftragte. Es kam schließlich zur Neuwahl, bei dem Kompromissäre mit Peter einen der delegierten Richter zum neuen Erzbischof bestimmten. Peter selbst nahm seine Wahl erst nach expliziter päpstlicher Aufforderung an und wurde im August 1237 zum neuen Erzbischof von Rouen geweiht80. Blickt man in die andere Richtung und fragt nach prominenten Karrieren von Klerikern aus dem Untersuchungsgebiet an der Kurie, so gilt grundsätzlich, dass weder die Normandie noch das Groß-Anjou zu den hauptsächlichen Einzugsgebieten päpstlicher Kleriker gehörte. Eine Karriere am päpstlichen Hof war nicht die erste, nächstliegende Option für den lokalen Klerus. In Anbetracht der hervorragenden Bedeutung von räumlicher Nähe zwischen Herrschaftszentrum und Rekrutierungsgebiet sowie der jeweils eigenen Vernetzungen der Päpste und Kardinäle ist dieser Befund nicht weiter überraschend81. 78 Les Registres de Grégoire IX. Recueil des bulles de ce pape, tome 1: texte, année I à VIII (1227–1235), hg. v. Lucien AUVRAY, Paris 1896 (Bibliothèque des écoles françaises d’Athènes et de Rome. Série 2, Registres et lettres des Papes du XIIIe siècle 9,1), Nr. 655. Für die Möglichkeit, dass schon 1220 bei der Wahl von Gervasius zum Bischof von Sées, päpstlicher Einfluss eine Rolle gespielt haben könnte, siehe PELTZER: Canon Law (wie Anm. 59) S. 133–134. 79 Ausführlich diskutiert in: PELTZER: Canon Law (wie Anm. 59) S. 92–99. 80 Les Registres de Grégoire IX. Recueil des bulles de ce pape, tome 2: texte, année IX à XII (1235–1239), hg. v. Lucien AUVRAY, Paris 1907 (Bibliothèque des écoles françaises d’Athènes et de Rome. Série 2, Registres et lettres des Papes du XIIIe siècle; 9,21), Nr. 2796, 3281; Vincent TABBAGH: Diocèse de Rouen, Turnhout 1998 (Fasti ecclesiae Gallicanae 2), S. 84. 81 Zur Dominanz der italienischen Kardinäle im 12. Jahrhundert siehe zum Beispiel: Barbara ZENKER: Die Mitglieder des Kardinalkollegiums von 1130–1159, Würzburg 1964; Marcel PACAUT: Alexandre III. Étude sur la conception du pouvoir pontifical dans sa pensée et dans son œuvre, Paris 1956 (L’église et l’état au Moyen Âge 11), S. 266–273; Volkert PFAFF: Die Kardinäle unter Papst Coelestin III. (1191–1198), in: ZRGKanAbt 72 (1955) S. 58–94; Werner MALECZEK: Papst und Kardinalskolleg von

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Trotzdem blieb der Aufstieg in ein Kardinalat möglich. Die folgenden Beispiele stehen allerdings mehr für die Mobilität des Klerus und die vielfältigen Lebenswege, als dass sie etwas über das spezifische Verhältnis zwischen Kurie und Nordwestfrankreich aussagten. Kardinal Bernhard stammte zwar aus Rennes, war aber Zisterziensermönch in Clairvaux, als ihn Papst Eugen III. 1152 zum Kardinaldiakon von SS. Cosma e Damiano ernannte82. Matthäus von Angers, den Alexander III. 1178 zum Kardinalpriester von S. Marcello promovierte, lehrte kanonisches Recht in Paris. Ob er auch in Angers wirkte, ist unsicher83. Im Fall von Roland, Kardinaldiakon von S. Maria in Porticu, führte der Weg zunächst aus seiner Heimat Pisa in die Normandie, wo er 1162 Dekan des Domkapitels von Avranches wurde. 1177 wurde er zum Bischof von Dol gewählt84. Sein letztlich erfolgloser Einsatz für die Etablierung von Dol als von Tours unabhängiges Erzbistum für die Bretagne führte ihn für geraume Zeit an den päpstlichen Hof85. Dort erhob ihn Papst Lucius III. 1185 zum Kardinal86. Im selben Jahr machte Lucius einen weiteren Kleriker mit Verbindungen nach Dol zum Kardinal: Ralph Nereth wurde Kardinaldiakon von S. Giorgio in Velabro. Drei Jahre später erhob ihn Clemens III. zum Kardinalpresbyter von S. Prassede. Ralph, den Robert von Torigny als seinen sehr geschätzten Freund bezeichnete, einen Mann von großer Ehrlichkeit, Gelehrtheit und Religiosität, kam wahrscheinlich über Roland in Verbindung zur Kurie87. Jedenfalls sind er und sein Bruder Hugo Nereth, der spätere Archidiakon und Bischof von Coutances, 1184 als Kanoniker von Dol in einer Urkunde des Bischof-Elekten bezeugt88. Inwieweit die jeweiligen Kardinalate spezifische Auswirkungen auf den Nordwesten Frankreichs hatten, ist kaum präzise einzuschätzen. Sie mochten sowohl als Anlaufstation für Anliegen aus der Region dienen als auch der Ku-

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1191 bis 1216. Die Kardinäle unter Coelestin III. und Innozenz III., Wien 1984 (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom Abt. 1, 6). Johannes M. BRIXIUS: Die Mitglieder des Kardinalskollegiums von 1130–1181, Berlin 1912, S. 53. Ebd., S. 64; Giraldi Cambrensis opera, hg. v. John S. BREWER u. a., 8 Bde., London 1861–1891 (RS 21), Bd. 1, S. 48. SPEAR: Personnel (wie Anm. 48) S. 7. Epistolae Alexandri III papae (wie Anm. 59) S. 969f., Nr. 411 [= JL 13503; WH –]. Chronik Torigny (wie Anm. 12), S. 310; vgl. JAFFÉ (wie Anm. 16) Bd. 2, S. 432; zum Datum seiner Ernennung siehe PELTZER: Canon Law (wie Anm. 59) S. 149 Anm. 363. Wie vorige Anm. Chronik Torigny (wie Anm. 12), S. 310; JAFFÉ (wie Anm. 16) Bd. 2, S. 431; zu seinen Aktivitäten als Kardinal siehe Werner MALECZEK: Das Pieve Casorate im Streit mit der Zisterze Morimondo. Ein Beitrag zur päpstlichen delegierten Gerichtsbarkeit unter Innozenz III., in: MIÖG 105 (1997) S. 361–392; Werner MALECZEK: Die Siegel der Kardinäle. Von den Anfängen bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts, in: MIÖG 112 (2004) S. 177–203, 197. Paris, BNF Lat. 5430A, S. 55, 192.

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rie Auskünfte über lokale Gegebenheiten liefern. Glaubt man einer auf 1181 datierten Dekretale Lucius’ III., hatte Erzbischof Bartholomäus von Tours durch Kardinal Matthäus beim Papst anfragen lassen, welche Konsequenzen es für ihn habe, dass er seiner 1174 erfolgten Wahl mit Geld nachgeholfen hatte. In seiner Antwort legte Papst Lucius Bartholomäus den Amtsverzicht nahe89. Über die Hintergründe dieses Vorgangs ist nichts weiter bekannt. Es spricht allerdings wenig dafür, dass Bartholomäus selbst sieben Jahre nach seiner Amtserlangung und während des schwelenden Konflikts um den Status von Dol den Papst mit einer für ihn selbst derart kompromittierenden Sache konfrontierte90. Möglicherweise handelte es sich hier gar um einen Schachzug seiner Gegner an der Kurie, um ihn beim Papst zu diskreditieren und seinen Rückzug zu erzwingen. Wenn dem so war, ging der Plan nicht auf. Nichts weiter ist in dieser Affaire bekannt. Bartholomäus blieb im Amt; der Informant Kardinal Matthäus verstarb 118291. In den 1180er Jahren bestanden die vielleicht engsten personalen Verknüpfungen zwischen der Kurie und dem Untersuchungsgebiet. Dies wirkte sich insbesondere im Fall Dol aus, dessen Ansprüche an der Kurie durch Roland und vielleicht auch durch Ralph Nereth immer wieder vertreten wurden. Lucius III. hatte ein offenes Ohr für ihr Anliegen und belebte die schon von seinem Vorgänger Alexander III. eingeleitete Untersuchung wieder, ohne sie jedoch zu einem Abschluss bringen zu können92. Er starb 1185 und als zwei Jahre später Kardinal Roland verschied, hatte das bretonische Bistum seinen wichtigsten Fürsprecher verloren93. Mit dem Tod Ralph Nereths 1190 riss eine weitere wichtige Verbindung zur Kurie ab94. 1199 entschied Innozenz III. schließlich den Fall zugunsten von Tours95. 89 X 5.3.23 [= JL 14547; WH 645; RI 4/4/4/1 Nr. 1138]. 90 Zu den Ansprüchen Dols siehe George CONKLIN: Les Capétiens et l’affaire de Dol de Bretagne, in : RHEF 78 (1992) S. 241–263. 91 BRIXIUS (wie Anm. 82) S.63. 92 Epistolae Alexandri III papae (wie Anm. 59) S. 970, Nr. 412; S. 971f., Nr. 414 [= JL 13660; WH –]; Recueil des actes de Philippe Auguste, tome I: années du règne 1 à 14, publ. par Henri-François DELABORDE, Paris 1916 (RHF Chartes et diplômes) Nr. 136; vgl. ebd., Nr. 148f. Zu den päpstlichen Untersuchungskommissionen siehe Die Register Innocenz’ III., Bd. 2: 2. Pontifikatsjahr 1199/1200: Text, hg. v. Othmar HAGENEDER/Werner MALECZEK/Alfred A. STRNAD, Rom/Wien 1979 (Publikationen der Abteilung für historische Studien des Österreichischen Kulturinstituts in Rom, Abt. 2, 1, 2), S. 150–171 Nr. 79 (82) [= POTTHAST 726]; Lucii III papae epistolae et privilegia, in: Migne PL 201, Sp. 1317f., Nr. 188 [= JL 15234; WH –; RI 4/4/4/2 Nr. 1735]; Epistolae Alexandri III papae (wie Anm. 59) S. 975–977, Nr. 419 [= JL 14371; WH –]. Eine Aufstellung der Prozessdokumente bei MÜLLER: Delegationsgerichtsbarkeit (wie Anm. 16) Bd. 2, S. 23f., Nr. 104, vgl. auch ebd. Bd. 1, S. 147f. 93 Chronik Torigny (wie Anm. 12) S. 310; JAFFÉ (wie Anm. 16) Bd. 2, S. 493, 536. 94 Zum Todesdatum vgl. JAFFÉ (wie Anm. 16) Bd. 2, S. 536. 95 Register Innozenz’ III., Bd. 2 (wie Anm. 92) S. 150–171, Nr. 79 (82) [= POTTHAST 726].

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6. Rezeption und Gestaltung des kanonischen Rechts Schon die Betrachtung der Konzilsbesuche hat deutlich gemacht, dass die Kirchenmänner der Normandie und des Groß-Anjou an den allgemeinen Entwicklungen der Kirche Teil hatten. Dies galt besonders für das kanonische Recht. Es ist durchweg das Bemühen festzustellen, sich informiert zu halten. Dabei war die Entwicklung nicht gleichförmig. Im Groß-Anjou scheint die Auseinandersetzung mit dem kanonischen Recht zumindest in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts mit größerer Intensität geführt worden zu sein als in der Normandie. Drei, vielleicht vier Abschriften der pseudoisidorischen Dekretalen entstanden im Groß-Anjou im 11. Jahrhundert96. Die Bibliothek des Klosters von St-Aubin in Angers zählte unter anderem die Briefe von Fulbert und Ivo von Chartres, das «Decretum» des Burchard von Worms, die Dekrete der im November 1078 abgehaltenen Synode Gregors VII. und Teile der in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts kompilierten sogenannten Sammlung in vier Büchern («Collectio quattuor librorum») zu ihren Beständen. Manche der Abschriften wurden wahrscheinlich sogar in St-Aubin selbst hergestellt97. Auch im benachbarten Le Mans beschäftigte man sich mit der Materie. Der Bischof der Stadt, Hildebert von Lavardin (1096–1125), schrieb an seinen walisischen Amtskollegen von St David’s, dass er ihm seine Dekretalensammlung schicken werde, sobald er sie fertig gestellt habe98. In den ersten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts scheinen sich dann die Unterschiede zwischen der Normandie und dem Groß-Anjou mehr und mehr nivelliert zu haben. Die von der Forschung bisher Ivo von Chartres zugeschriebenen Sammlungen, das «Decretum» und die «Panormia», sowie die eng verwandte «Tripartita» begannen in der Normandie zu zirkulieren99. In beiden 96 Schafer WILLIAMS: Codices Pseudo-Isidoriani. A palaeographico-historical study, New York 1971 (MIC C 3) S. 33f., 41, 54f., 69f., 125–132; Jean VEZIN: Les Scriptoria d’Angers au XIe siècle, Paris 1974 (BEHE IVe section, sciences historiques et philologiques 322), S. 143, Anm. 1; Lotte KÉRY: Canonical Collections of the Early Middle Ages (ca. 400–1140). A Bibliographical Guide to the Manuscripts and Literature, Washington 1999 (History of Medieval Canon Law 1), S. 100–114. 97 Diese Werke fanden sich in der Bibliothek von St-Aubin Mitte des 12. Jahrhunderts. Da sie alle im 11. Jahrhundert erstellt wurden, ist es möglich, dass sie sich schon um 1100 in St-Aubin befanden, siehe VEZIN (wie Anm. 96) S. 32–34, 57f., 263–265, 274f.; zum «Decretum» Burchards siehe KÉRY: Canonical Collections (wie Anm. 96) S. 133–155; zur Sammlung in vier Büchern siehe Diversorum patrum sententie sive collectio in LXXIV titulos digesta, hg. v. John T. GILCHRIST, Vatikanstadt 1973 (MIC B 1), S. XVII, LXI/II; DERS.: The Manuscripts of the Canonical Collection in Four Books, in: ZRGKanAbt 69 (1983) S. 64–120; KÉRY: Canonical Collections (wie Anm. 96) S. 210–213. 98 Ven. Hildeberti epistolae’, in: Migne PL 171, Sp. 141–312, lib. 2, Nr. 27. Ob Hildebert jemals seine Sammlung fertig stellte, ist nicht bekannt. 99 Lynn BARKER: Ivo of Chartres and the Anglo-Norman Cultural Tradition, in: AngloNorman Studies XIII. Proceedings of the Battle Conference 1990, hg. v. Marjorie

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Regionen ist dann das «Decretum Gratiani» relativ rasch nach seiner Kompilation zu finden. Der Bischof von Le Mans, Wilhelm de Passavant, besaß zum Beispiel eine Kopie100, genauso wie sein Amtskollege von Bayeux, Philipp von Harcourt101. Philipp nannte außerdem die «Decreta» der Bischöfe Burchard und Ivo, Ivos Briefe sowie Materialien zum römischen Recht sein Eigen. 1163 vermachte er seine Bibliothek dem Kloster von Bec102. Von dort wiederum liehen sich andere Klöster Werke aus, die sie dann abschrieben. So kopierte man im Kloster Lyre Gratian, die Briefe Ivos und die Briefe Hildeberts von Lavardin, die ebenfalls in Bec vorhanden waren103. Zu diesem durchaus repräsentativen Nebeneinander von vorgratianischem und gratianischem Material passt auch der Befund paläographischer Untersuchungen, dass manche der in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts angefertigten Abschriften der pseudoisidorischen Dekretalen ihren Ursprung in normannischen scriptoria hatten104. Ein wichtiger Stimulus für die Beschäftigung mit dem kanonischen Recht ging von den entstehenden Universitäten aus. Gerald von Wales berichtet, dass der „berühmte Doktor“ Roger der Normanne, Domherr von Rouen seit etwa 1165 und Dekan des dortigen Kapitels von 1199 bis zu seinem Tod 1200105, in Paris seinen Vorlesungen zu Gratians «Decretum» gelauscht habe (zwischen

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CHIBNALL, Woodbridge 1991, S. 15–33, bes. S. 24–27. Zur Tripartita siehe Martin BRETT: Urban II and the Collections Attributed to Ivo of Chartres, in: Proceedings of the Eighth International Congress of Medieval Canon Law. San Diego, University of California at la Jolla. 21–27 August 1988, hg. v. Stanley CHODOROW, Vatikanstadt 1992 (MIC C 9), S. 27–46; Betty BRANCH: Willermus Peccator et les manuscrits de Fécamp 1100–1150, in: CCMéd 26 (1983) S. 195–207, S. 203; Martin BRETT: Canon Law and Litigation. The Century before Gratian, in: Medieval Ecclesiastical Studies in Honour of Dorothy M. Owen, hg. v. Michael J. FRANKLIN/Christopher HARPERBILL, Woodbridge 1995 (Studies in the History of Medieval Religion 1), S. 21–40, S. 37, Anm. 58; KÉRY: Canonical Collections (wie Anm. 96) S. 244–260. Eine Neubewertung der Rolle Ivos in der Kompilation der «Panormia» ist von Christof Rolker vorgenommen worden, Christof ROLKER: Canon Law and the Letters of Ivo of Chartres, Cambridge 2009 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought; Fourth Series 76). Die Arbeit Rolkers konnte in diesem Beitrag nicht mehr angemessen berücksichtigt werden. Nécrologe-obituaire de la Cathédrale du Mans (wie Anm. 74) S. 22. Henri OMONT: Catalogue général des manuscrits des bibliothèques publiques de France, 64 Bde., Paris 1886–1989, Bd. 2, S. 396. Zu Philipps Rolle in der delegierten Gerichtsbarkeit siehe unten bei Anm. 115. OMONT, Catalogue (wie Anm. 101) S. 385–399. Geneviève NORTIER: Les bibliothèques médiévales des abbayes bénédictines de Normandie. Fécamp, Le Bec, Le Mont Saint-Michel, Saint-Evroul, Lyre, Jumièges, Fécamp, Saint-Wandrille, Saint-Ouen, Caen 1966, S. [123]–[142]; OMONT (wie Anm. 101) Bd. 2, S. 379–383. WILLIAMS (wie Anm. 96) S. 6f., 20f., 29f., 42, 125–32. SPEAR: Personnel (wie Anm. 48) S. 204, 261.

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etwa 1176 und 1179)106. Roger hatte zuvor in Bologna hauptsächlich römisches Recht studiert und in Paris die artes gelehrt107. In der französischen Metropole wurde er auch durch seine Debatte mit Petrus Cantor um den BecketStreit bekannt108; ein Hinweis darauf, dass die Auseinandersetzung zwischen König Heinrich II. und dem Erzbischof von Canterbury grundsätzlich das Interesse des normannischen Klerus am kanonischen Recht verstärkt haben dürfte. Das Studium des kanonischen Rechts, das Schärfen der Argumente in Debatten und der Erwerb von Rechtsbüchern dienten nicht nur dem Selbstzweck oder der reinen theoretischen Beschäftigung mit der Materie. All dies hatte auch einen ganz erheblichen praktischen Hintergrund. Es war kein Zufall, dass zwei Bischöfe, Philipp von Harcourt und Wilhelm von Passavant, Gratians Werk besaßen. Es war, wie ein unbekannter Schreiber in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts der Chronik Robert von Torignys hinzufügte, von Nutzen in kirchlichen Gerichten109. Die Bischöfe als oberste Richter ihrer Diözesen konnten auf Gratian und andere Sammlungen als Entscheidungshilfe in der täglichen Gerichtspraxis zurückgreifen.

6.1 Delegierte Gerichtsbarkeit Eine ganz entscheidende Rolle in der Rezeption, aber auch in der Entwicklung des kanonischen Rechts spielte die delegierte Gerichtsbarkeit, die in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts einen rasanten Aufschwung nahm110. In zunehmender Häufigkeit wurde vor dem Papst Klage erhoben, der seinerseits die Entscheidung speziell für diesen Fall ausgewählten Richter übertrug. Diese Richter waren meist in geographischer Nähe zu den streitenden Parteien beheimatet. Ausgestattet mit der Autorität eines päpstlichen Auftrags waren sie in 106 Giraldi Cambrensis opera (wie Anm. 83) Bd. 1, S. 46; Robert BARTLETT: Gerald of Wales 1146–1223, Oxford 1982 (Oxford Historical Monographs), S. 133. 107 Giraldi Cambrensis opera (wie Anm. 83) Bd. 1, S. 46. Das Studium der beiden Rechte war eng miteinander verknüpft, vgl. Ingrid BAUMGÄRTNER: Was muss ein Legist vom Kirchenrecht wissen? Roffredus Beneventanus und seine Libelli de iure canonico, in: Proceedings of the Seventh International Congress of Medieval Canon Law. Cambridge, 23–27 July 1984, hg. v. Peter LINEHAN, Vatikanstadt 1988 (MIC C 8), S. 223– 245. 108 John W. BALDWIN: A Debate at Paris over Thomas Becket between Master Roger and Master Peter the Chanter, in: SG 11 (1967) S. 119–132; Beryl SMALLEY: The Becket Conflict and the Schools. A Study of Intellectuals in Politics, Oxford 1973, S. 201f. 109 Chronik Torigny (wie Anm. 12), S. XXXIX–XLI, 118 und Anm. 2. Dem Schreiber war auch bekannt, dass der Bischof von Verona, Omnebene, eine abgekürzte Version des «Decretum Gratiani» verfasst hatte. 110 MÜLLER: Delegationsgerichtbarkeit (wie Anm. 16). Vgl. auch den Beitrag zu diesem Thema im vorliegenden Band.

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der Lage, die umstrittenen Sachverhalte vor Ort zu untersuchen, dabei Einsicht in die Dokumente zu nehmen und Zeugen zu befragen. In der delegierten Gerichtsbarkeit verbanden sich auf diese Weise die Geltungskraft eines höchstrichterlichen Urteils – über dem Papst gab es keine Appellationsinstanz – mit den praktischen Notwendigkeiten einer lokalen Prozessführung. Sie allein vermochte in den meisten Fällen die zügige und angemessene Beurteilung eines Konfliktes zu gewährleisten. In sachlichen Fragen wie der Gestaltung des Verfahrens orientierten sich die delegierten Richter an den Vorgaben des kanonischen Rechts. Sie benutzten das sogenannte römisch-kanonische Zivilverfahren, das freilich gerade durch die Anwendung in solchen Gerichtsverfahren im Laufe des 12. Jahrhunderts seine entscheidenden Konturen erhielt. Rechtsund Verfahrensfragen gelangten in großer Zahl aus den Regionen an die päpstliche Kurie, wo sie vom Papst entschieden und für andere Prozesse mustergültig wurden. Nicht wenige Dekretalensammlungen gingen aus Handapparaten delegierter Richter hervor111. Sie waren gleichermaßen Anwender wie Gestalter des Kirchenrechts, wichtige „Treibriemen für die Durchsetzung des universalen Jurisdiktionsprimats“112 und des Austauschs zwischen der römischen Kurie und den Regionen. Für die Normandie lässt sich die Entwicklung dieses Phänomens gut verfolgen. Zwischen 1094 und 1216 sind rund 600 urkundliche Zeugnisse zu verzeichnen, die sich auf 386 Prozesse verteilen113. Bis in die Zeit um 1140 111 Vgl. Charles DUGGAN: Papal Judges Delegate and the Making of the ‘New Law’ in the Twelfth Century, in: Cultures of Power. Lordship, Status, and Process in TwelfthCentury Europe, hg. v. Thomas N. BISSON, Philadelphia 1995, S. 172–199 (ND in: Charles DUGGAN: Decretals and the Creation of ‘New Law’ in the Twelfth Century. Judges, Judgments, Equity and Law, Aldershot 1998 [Collected Studies Series 607] Nr. 1, mit ders. Seitenzählung); Lotte KÉRY: Dekretalenrecht zwischen Zentrale und Peripherie, in: JOHRENDT/MÜLLER: Römisches Zentrum (wie Anm. 19) S. 19–45, hier S. 20, 24, 32; Harald MÜLLER: Gesandte mit beschränkter Handlungsvollmacht. Zu Struktur und Praxis päpstlich delegierter Gerichtsbarkeit, in: Aus der Frühzeit europäischer Diplomatie. Zum geistlichen und weltlichen Gesandtschaftswesen vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, hg. v. Claudia ZEY/Claudia MÄRTL, Zürich 2008, S. 51. Auf den Umstand, dass Zentren rechtlicher Aktivität oftmals auch eine hohe Konzentration päpstlicher Dekretalenempfänger aufweisen, hat zuletzt aufmerksam gemacht: Peter LANDAU: Kanonistische Ergänzungen zur Germania und Bohemia pontificia. Päpstliche Dekretalen an Empfänger im Reich zwischen 1140 und 1198, in: Sacri canones servandi sunt. Ius canonicum et status ecclesiae saeculis XIII–XV, hg. v. Pavel KRAFT, Prag 2008 (Opera Instituti historici Pragae, series C – Miscellanea 19), S. 241–257, hier S. 257. Zu den kirchenrechtlichen Sammlungen im Nordwesten Frankreichs unten bei Anm. 122. 112 Werner MALECZEK: Rezension zu MÜLLER: Delegationsgerichtsbarkeit (wie Anm. 16), in: DA 55 (1999) S. 333. 113 Daten und Nachweise bei MÜLLER: Delegationsgerichtsbarkeit (wie Anm. 16) Bd. 1, S. 31–47, komprimiert bei Harald MÜLLER: Die Urkunden der päpstlichen delegierten Richter. Methodische Probleme und erste Erkenntnisse am Beispiel der Normandie, in: Hundert Jahre Papsturkundenforschung. Bilanz – Methoden – Perspektiven. Akten

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bleiben die Belege für eine delegierte Rechtsprechung des Papstes jedoch vereinzelt. Man wird dies nicht allein auf die spärlichere Gesamtüberlieferung dieser früheren Zeit zurückführen können. Vielmehr entspricht der Befund zumindest im Hinblick auf die ersten Belege den generellen Tendenzen für diese Gerichtsbarkeit im westlichen Europa. Zudem ist mit einer gewissen Abschottungstendenz der normannischen Herzöge gegenüber päpstlichen Einflüssen zu rechnen114. Erstmals für die Jahre zwischen 1140 und 1150 lässt sich eine breitere, beinahe serielle Nutzung der päpstlichen Gerichtsbarkeit feststellen, möglicherweise auch bedingt durch die gegenläufigen Entwicklungen eines nach dem Schisma erstarkten Papsttums und eines nach dem Tod Heinrichs I. im Inneren geschwächten normannischen Herzogtums. Diese Implementierung nahm ihren Ausgang in der Diözese Bayeux und war eng verbunden mit der Person des dortigen Bischofs Philipp von Harcourt. Philipp war bemüht, die Rechte seiner Diözese wiederherzustellen, besaß ein deutliches kirchenrechtliches Interesse115 und nutzte zur Durchsetzung seiner Ziele Rom und die päpstliche Kurie. Bei einer visitatio ad limina erwirkte der Bischof im März 1145 ein Mandat Eugens III., das die Äbte von Fécamp und Troarn zur Beachtung der bischöflichen Rechte aufforderte; offenbar hatten sich hier autonom verstandene Rechtsbereiche der Klöster gebildet. Weil das Mandat unbeachtet blieb, kam es zu einem Gerichtsverfahren, das sich in der Sache noch ausweitete und das der Papst dem Erzbischof Hugo von Rouen zur Entscheidung übertrug. Die vermutlich unterlegenen Mönche lernten aus der Kontroverse, die päpstliche Gerichtsbarkeit für ihre Zwecke zu nutzen. Zumindest sind aus den Jahren 1147 bis 1149 mehrere Zeugnisse des Eingreifens delegierter Richter aus dem Umfeld der beklagten Abteien erhalten. Von der Mitte des 12. Jahrhunderts an stieg die Zahl der Prozesse deutlich. Zwischen 1170 und 1216 lässt sich ein Mittelwert von rund 60 Prozessen pro Jahrzehnt ablesen. Auch wenn dies nur vage Größenordnungen sind, die uns die Überlieferung nach Jahrhunderten der Verluste zuteilt, so lässt sich auf der Basis dieser Zahlen doch abschätzen, dass normannische Kläger das päpstliche Gericht zunehmend routiniert in Anspruch nahmen. Flankierende Zeugnisse in Briefen und nicht zuletzt die wachsende Zahl prozessbezogener Dekretalen aus dem französischen Nordwesten und deren Sammlungen dokumentieren zusätzlich die Verankerung dieser Form der Jurisdiktion im Rechtsleben der Region. Während für die Phase der Etablierung zwischen 1140 und 1150 die Hinweise auf delegierte päpstliche Gerichtsbarkeit ausschließlich aus der Diözese Bayeux stammen, sind nunmehr Kläger und Beklagte aus allen Diözesen der eines Kolloquiums zum Hundertjährigen Bestehen der Regesta Pontificum Romanorum vom 9.–11. Oktober 1996 in Göttingen, hg. v. Rudolf HIESTAND, Göttingen 2003 (AAG phil.-hist. Kl., 3. Folge 261), S. 360–363 mit S. 371. 114 HIESTAND (wie Anm. 37) S. 54–80, hier S. 69–73. 115 Siehe dazu oben bei Anm. 102, 109.

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Kirchenprovinz Rouen beteiligt. Deren soziale Schichtung erstreckt sich vom Bischof bis zum einfachen Seelsorgepriester hinab, der auf dem Umweg über Rom die Ausstattung seines Benefiziums und damit seine persönliche finanzielle Versorgungslage zu verbessern suchte. Dem entspricht die inhaltliche Bandbreite der Kontroversen116. Die formale Beanstandung einer Bischofswahl steht neben dem Streit um die Vorrechte einer Abtei, neben wirtschaftlich motivierten, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen dem Domklerus und der Stadtgemeinde von Rouen117, neben einer Vielzahl von Kontroversen um Kirchen, Pfründen, Patronatsrechte und Zehnten, deren Prozesskosten den Wert des umstrittenen Objekts mitunter bei weitem überschritten haben dürften. Auch die als Richter eingesetzten Personen spiegeln den erfolgreichen Einwurzelungsprozess der Jurisdiktion. War in der frühen Phase um die Mitte des 12. Jahrhunderts der Bischof von Rouen die mit Abstand bevorzugte Adresse päpstlicher Delegationsmandate gewesen, so weitete sich der Personenkreis zunächst langsam. Bis zum Pontifikat Lucius’ III. wurde fast immer mindestens ein Bischof mit der Durchführung eines Prozesses betraut. Danach aber begegnen in wachsender Zahl auch Domkanoniker, Äbte und andere Kleriker, wobei die Archidiakone auffällig häufig sind118. Da die Streitparteien erheblichen Einfluss auf die Auswahl der Richter besaßen, dokumentieren die Namen und Ränge der päpstlichen Delegaten, in welcher Breite der römischkanonische Zivilprozess in der Normandie zum Einsatz kam.

6.2 Auf der Suche nach Antworten: Rechtsexperten und Dekretalensammlungen Das tägliche Geschäft der Rechtsprechung brachte manche Unklarheiten in der Interpretation des Rechts mit sich, provozierte juristische Klarstellungen und weckte den Bedarf nach handhabbaren Unterlagen zum Einsatz im Gericht. Man suchte zunächst mit den vor Ort verfügbaren iuris periti nach Ant-

116 Zu den Streitgegenständen MÜLLER: Delegationsgerichtsbarkeit (wie Anm. 16), 1, S. 116–179. Zum taktisch motivierten Prozess DERS.: Benefizienversprechen normannischer Abteien in Prozessen vor päpstlichen Delegaten (12. – Anfang 13. Jahrhundert), in: Proceedings of the Tenth International Congress of Medieval Canon Law, Syracuse, New York, 13–18 August 1996, hg. v. Kenneth PENNINGTON/Keith H. KENDALL (MIC C 11), Vatikanstadt 2001 (erschienen 2002), S. 331–360; Harald MÜLLER: Streitwert und Kosten in Prozessen vor dem päpstlichen Gericht – eine Skizze, in: ZRGKanAbt 87 (2001) S. 138–164. 117 Harald MÜLLER: Rouen contra Rouen. Der Konflikt zwischen Bürgern und Kathedralkapitel am Ende des 12. Jahrhunderts im Spiegel der Papsturkunden, in: Licet preter solitum. Ludwig Falkenstein zum 65. Geburtstag, hg. v. Lotte KÉRY/Dietrich LOHRMANN/Harald MÜLLER, Aachen 1998, S. 67–90. 118 MÜLLER: Delegationsgerichtsbarkeit (wie Anm. 16) 1, S. 203–210.

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worten119. Blieb die Suche aber erfolglos, holte man – bezeichnend für das enge Zusammenwachsen des kirchlichen Kommunikationsraums – Rat von außen ein. Dies konnten die Universitäten sein, wie im Jahre 1223, als Gottfried von Loudun, Domherr von Angers und später Kantor und Bischof von Le Mans, Pariser Rechtsgelehrte um Auskunft bezüglich eines umstrittenen Zehnten bat120. Häufig aber wandte man sich direkt an den Papst, dessen Antwort ja Rechtssicherheit versprach. So erhielt zum Beispiel der Bischof von Angers, Ralph de Beaumont, von Papst Clemens III. zwischen 1187 und 1191 die Auskunft, dass Entscheidungen innerhalb der Kirche grundsätzlich nach dem Prinzip der sanior et maior pars zu fällen seien121. Dieses Fragen, dieses Wissenwollen, dieses Streben nach den neuesten Informationen zeichnete verantwortlich für die großen systematischen Dekretalensammlungen, die seit den 1180er Jahren im Groß-Anjou und in der Normandie angefertigt wurden122. Sehr wahrscheinlich in Tours entstand um 1185 die Sammlung «Bambergensis». Sie basierte unter anderem auf der Sammlung «Appendix Concilii Lateranensis», die kurz nach dem dritten Laterankonzil zusammengestellt wurde und einer der wesentlichen Multiplikatoren der Dekrete des Konzils war. Die «Bambergensis» selbst erreichte rasch nach ihrer Fertigstellung die Rechtsschule in Bologna123. Tours war offensichtlich ein sehr gut vernetztes Zentrum des kanonischen Rechts, dessen Produkte auch außerhalb der eigenen Mauern großes Interesse fanden. Zur gleichen Zeit begann man auch in Rouen, intensiv Dekretalen systematisch zu sammeln. Die Initiative hierzu ging wahrscheinlich von dem neuen, 1185 geweihten Erzbischof Walter von Coutances aus, der seine Karriere am angevinischen Hof gemacht hatte und erst 1183 zum Bischof von Lincoln gewählt worden war124. Die jüngere Forschung hat die Rouennaiser Sammlungen, die heute in der Bibliothèque nationale de France in Paris aufbewahrt

119 Vgl. Migne PL 215, Sp. 1489f., Nr. 176 [= POTTHAST 3538]; Migne PL 227, Sp. 276f., Nr. 239 [POTTHAST 2359]. 120 Paris, BNF Collection Housseau, 6, Nr. 2567. 121 2 Comp. 3.9.1 [= JL 16554; WH 523abc]. 122 Vgl. grundsätzlich zu dieser Problematik KÉRY: Dekretalenrecht (wie Anm. 111) S. 19–45, zu den Sammlungen der Normandie S. 33–37. 123 Walter DEETERS: Die Bambergensisgruppe der Dekretalensammlungen des 12. Jahrhunderts, Bonn 1956, S. 33f. erwägt Angers oder Tours als Entstehungsort; Peter LANDAU: Die Entstehung der systematischen Dekretalensammlungen in der europäischen Kanonistik des 12. Jahrhunderts, in: ZRGKanAbt 65 (1979) S. 120–148, hier S. 133–137, plädiert für Tours. 124 Zur Karriere Walters siehe Peter LANDAU: Walter von Coutances und die Anfänge der anglo-normannischen Rechtswissenschaft, in: „Panta rei”. Studi dedicati a Manlio Bellomo, hg. v. Orazio CONDORELLI, 5 Bde., Rom 2004, 3, S. 183–204; Jörg PELTZER: Henry II and the Norman Bishops, in: EHR 119 (2004) S. 1202–1229, 1222–1225 mit weiteren Hinweisen.

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werden (ms. Lat. 3922A), intensiv untersucht125. Auf eine ausführliche Darstellung kann deshalb an dieser Stelle verzichtet werden. Einige knappe Hinweise genügen, um die angewandte Arbeitsweise zu illustrieren. Den Grundstock bildete die französische «Collectio Francofurtana»126, die in Folge systematisch durch neues Material ergänzt wurde. Diese Ergänzungen bildeten ihrerseits wieder systematische Sammlungen, die von der Forschung mit «Rotomagensis prima», «secunda» und «tertia» bezeichnet werden. Sie nahmen ihr Material aus ganz unterschiedlichen Quellen. «Rotomagensis prima» zog ihren Inhalt unter anderem aus der «Appendix Concilii Lateranensis»127. Die etwas spätere «Rotomagensis secunda» hingegen verarbeitete das 1190 zusammengestellte «Breviarium extravagantium» (= «Compilatio prima») Bernhards von Pavia sowie weiteres Material, zum Beispiel aus den Sammlungen Rainers von Pomposa und des englischen Kanonisten Gilbert128. Die «Rotomagensis tertia» wiederum besteht aus Exzerpten der päpstlichen Register. Die jüngste Dekretale dieser Sammlung datiert vom 25. Mai 1207129. Wahrscheinlich wurde das in «Rotomagensis tertia» aufgelistete Material kurze Zeit später in Rom erhoben, sei es im Auftrag Rouens oder durch einen Spezialisten aus Rouen selbst. Ob der 1207 verstorbene Erzbischof Walter dies noch veranlasste, ist ungewiss. Das Interesse an den neuesten Dekretalen überdauerte auf jeden Fall seinen Tod. Eine Liste mit den bisher noch nicht verarbeiteten Dekretalen der Sammlung Rainers von Pomposa enthält einen Appendix mit Dekretalen Innozenz’ III. Das jüngste dieser Schreiben datiert vom 8. August 1213130. Aber Rouen war nicht der einzige normannische Ort, an dem systematische Dekretalensammlungen erstellt wurden. Unabhängig von Tätigkeiten an der Metropolitankirche entstanden im Herzogtum zwei weitere Sammlungen,

125 Christopher CHENEY/Mary CHENEY: Studies in the Collections of Twelfth-Century Decretals. From the Papers of the late Walther Holtzmann, Vatikanstadt 1979 (MIC B 3), S. 135–207; CHENEY: Decretals of Innocent III (wie Anm. 75); LANDAU: Dekretalensammlungen (wie Anm. 123) S. 125, 137–43; Stanley CHODOROW: An Appendix to Rainier de Pomposa’s Collection, in: BMCL 3 (1973) S. 55–61; PELTZER: Canon Law (wie Anm. 59) S. 61–62; KÉRY: Dekretalenrecht (wie Anm. 111) S. 35– 37. 126 Zu dieser Sammlung nun Die Collectio Francofurtana: eine französische Decretalensammlung. Analyse beruhend auf Vorarbeiten von Walther HOLTZMANN, hg. v. Peter LANDAU/Gisela DROSSBACH, Vatikanstadt 2007 (MIC B 9). 127 CHENEY/CHENEY: Studies (wie Anm. 126) S. 138, 147, 164f.; LANDAU: Dekretalensammlungen (wie Anm. 123) S. 125. 128 CHENEY/CHENEY: Studies (wie Anm. 126) S. 138f., 166; LANDAU: Dekretalensammlungen (wie Anm. 123) S. 125. 129 CHENEY: Decretals of Innocent III (wie Anm. 75) S. 149–63; CHENEY/CHENEY: Studies (wie Anm. 126) S. 136f. 130 CHENEY/CHENEY: Studies (wie Anm. 126) S. 140f., 166; CHODOROW (wie Anm. 126) S. 55–61.

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die «Sangermanensis» und die «Abrincensis prima»131. Die «Sangermanensis» wurde um 1198 kompiliert und basierte auf der «Compilatio prima», der in Reims 1187 entstandenen Sammlung «Brugensis» und der Sammlung «Tanner» (England, 1187–1191)132. Die «Sangermansis» diente ihrerseits wieder als Quelle für die «Abrincensis prima», die kurze Zeit später zusammengestellt wurde. Während «Sangermanenis» als eigenständige Sammlung angelegt wurde, diente «Abrincensis prima» zur Ergänzung der «Compilatio prima»133. Über den Entstehungsort und die Kompilatoren dieser Sammlungen liegen leider keine sicheren Informationen vor. «Abrincensis prima» ist in einer Handschrift überliefert, die einst der Bibliothek des Klosters von Mont St-Michel gehörte134. Das Manuskript enthält noch weiteres kirchenrechtliches Material, so die «Generalia» des englischen Kanonisten Richard Mores und seinen «Apparatus» zur «Compilatio prima». Außerdem finden sich ein stark gekürzter Gratian und eine von «Abrincensis prima» unabhängige Sammlung, die Christopher Cheney «Abrincensis secunda» taufte135. Der übrige, nicht später als 1234 zu datierende Inhalt der Handschrift hat einen deutlichen Schwerpunkt auf westnormannischen Angelegenheiten. Es ist deshalb gut vorstellbar, dass dieses Werk im Westen der Normandie, vielleicht gar auf dem Mont St-Michel selbst zusammengestellt wurde. Über den Ursprungsort der «Abrincensis prima» sagt dies allerdings noch wenig aus. Wenn man angesichts der Unabhängigkeit von den Rouennaiser Aktivitäten aber einen westnormannischen Ursprung für «Sangermanensis» und «Abrincensis prima» in Betracht zieht, so liegt 131 Hierzu Heinrich SINGER: Neue Beiträge über die Dekretalensammlungen vor und nach Bernhard von Pavia, Wien 1913 (SAW. PH 171, 1); Walther HOLTZMANN: Die Dekretalensammlungen des 12. Jahrhunderts. 1. Die Sammlung Tanner, in: Festschrift zur Feier des zweihundertjährigen Bestehens der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. II. Philologisch-historische Klasse, hg. v. der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin 1951, S. 83–145; Christopher CHENEY: Three Decretal Collections before Compilatio IV: Pragensis, Palatina I, and Abrincensis II, in: DERS.: Papacy (wie Anm. 75) Nr. V, S. 464–483. 132 Die «Sangermanensis» befindet sich heute in Paris, BNF Lat. 12459; SINGER (wie Anm. 132) S. 80–116; Singers Ergebnisse bezüglich der Quellen der Sangermanensis sind von Walther HOLTZMANN auf neue Grundlagen gestellt worden, ‘Sammlung Tanner’ (wie Anm. 132) S. 83–145. Allerdings ist Holtzmanns Annahme, dass «Tanner» normannischen und nicht englischen Ursprungs sei, von Peter Landau wieder revidiert worden, LANDAU: Dekretalensammlungen (wie Anm. 123) S. 144–146; zur «Brugensis» siehe Ludwig FALKENSTEIN: Zu Entstehungsort und Redaktor der Collectio Brugensis, in: CHODOROW: Proceedings (wie Anm. 99) S. 117–160. 133 SINGER (wie Anm. 132) S. 77, 80–116; LANDAU: Dekretalensammlungen (wie Anm. 123) S. 146. 134 Die Handschrift befindet sich heute in Avranches: Bibliothèque Municipale, ms. 149. 135 CHENEY: Three Decretal Collections (wie Anm. 132) S. 466–472; Stephan KUTTNER: Repertorium der Kanonistik (1140–1234). Prodromus corporis glossarum, Vatikanstadt 1937 (StT 71), S. 222–226, 264, 323, 417f.; LANDAU: Dekretalensammlungen (wie Anm. 123) S.125; OMONT (wie Anm. 101) Bd. 10, S. 68–73.

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die Versuchung nahe, sie mit Nikolaus von Laigle in Verbindung zu bringen. Nikolaus kam 1198 als Magister der Domschule nach Avranches. Er ist sehr wahrscheinlich mit dem Oxforder Kanonisten gleichen Namens zu identifizieren136. Ist diese Identifizierung korrekt, so böte seine Laufbahn eine plausible Erklärung für die rasche Verbreitung der englischen Sammlung «Tanner» in der Normandie. Zumindest aber macht sie deutlich, dass in Avranches das Wissen und die Fähigkeit, kanonistisches Material zu bearbeiten, vorhanden war. Diese knappen Beschreibungen der Sammlungen belegen nicht nur das große Interesse an und den Zugang zu den neuesten Entwicklungen im Kirchenrecht, sie zeigen auch, dass lokale Zentren der Kanonistik im Groß-Anjou und der Normandie bestanden, die ihrerseits zur Weiterentwicklung des kanonischen Rechts beitrugen. Das Abebben der Sammeltätigkeit nach 1200 kann dabei keineswegs als Rückschritt gewertet werden. Im Gegenteil, die Anfertigung der «Abrincensis prima» als Ergänzung zur «Compilatio prima» lag im Trend der Zeit zu Sammlungen von überregionaler Bedeutung137. In Rouen akzeptierte man diese Entwicklung etwas später, aber hier hatten die Kanonisten ja auch über Jahre ein eigenes, wohldurchdachtes Korpus angelegt, das den eigenen Erfordernissen immer wieder angepasst wurde.

6.3 Die Implementierung von Normen Die Rechtspraxis steht im Zentrum des letzten Abschnitts dieses Beitrags. Anhand der Translation des Bischofs Wilhelm de Chemillé von Avranches nach Angers soll gezeigt werden, wie neue Normen vor Ort implementiert wurden. Gegen Ende 1197 oder Anfang 1198 wurde wahrscheinlich auf Betreiben König Richards I. die Translation Wilhelms von Avranches nach Angers beschlossen138. Was zunächst wie eine problemlose Angelegenheit aussah, entwickelte sich bald zu einem Präzedenzfall des Kirchenrechts. Denn der 1198 gewählte Papst Innozenz III. hatte seine eigenen, ganz dezidierten Ansichten über den korrekten Ablauf einer Translation. Laut Innozenz kam die Entscheidung über die Notwendigkeit und den Nutzen des Wechsels eines Bischofs 136 Zu Nikolaus von Laigle siehe Diana E. GREENWAY: Fasti ecclesiae Anglicanae 1066– 1300. V: Chichester, London 1996, S. 4, 8f., 41; Stephan KUTTNER/Eleanor RATHBONE: Anglo-Norman Canonists of the Twelfth Century. An Introductory Study, in: Traditio 7 (1949–1951) S. 279–358, hier S. 317–321; James A. BRUNDAGE: The Crusade of Richard I: Two Canonical Quaestiones, in: Speculum 38 (1963) S. 443–452, insbes. 447f.; PELTZER: Canon Law (wie Anm. 59) S. 65, 161–164. 137 Vgl. z. B. Kenneth PENNINGTON: Decretal Collections 1190–1234, in: The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, 1140–1234, hg. v. Wilfried HARTMANN/Kenneth PENNINGTON, Washington 2008 (History of Medieval Canon Law 6), S. 293–317. 138 Für die Hintergründe siehe PELTZER: Canon Law (wie Anm. 59) S. 156, 202f.; zum Folgenden vgl. ebd., S. 156–161.

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von einem Bistum zu einem anderen ausschließlich dem Papst zu, denn nur er konnte kraft der ihm durch Gott verliehenen Autorität die Ehe lösen, die der Bischof mit seiner Kirche einging139. Bestand der Wunsch nach einer Translation, so musste sie beim Papst postuliert werden. Innozenz war entschlossen, seinen Standpunkt durchzusetzen. Als er hörte, dass die Erzbischöfe von Rouen und Tours, Walter und Bartholomäus, Wilhelms Translation ohne päpstliche Genehmigung durchgeführt hatten, beauftragte er den Erzbischof von Bourges mit der Untersuchung der Angelegenheit. Falls sich die Nachricht bewahrheite, sollte der Erzbischof seine Amtskollegen von ihrem Recht suspendieren, Bischöfe bestätigen und weihen zu können, und er sollte Wilhelm untersagen, seine Tätigkeiten als Bischof von Angers aufzunehmen140. So kam es, und die beiden suspendierten Erzbischöfe schickten umgehend Boten nach Rom, um sich zu entschuldigen. Sie erklärten, dass sie weder böswillig gehandelt hätten noch dass ihnen bekannt gewesen wäre, dass sie damit gegen ein päpstliches Vorrecht verstoßen würden. Ihre Entscheidung sei aufgrund der dringenden Notwendigkeit und des offensichtlichen Nutzens gefällt worden141. Necessitas und utilitas waren die beiden Motive, die das kanonische Recht für die Translation eines Bischofs anführte. Die entsprechenden Texte fanden sich bei Gratian in Causa 7, Quaestio 1. Diese Texte ließen allerdings viel Spielraum in der Frage, wer über die Notwendigkeit und den Nutzen zu befinden hatte. In Rouen hatte Erzbischof Walter vielleicht weiteres Material zu seiner Verteidigung zur Hand. Die schon erwähnte Handschrift BNF Lat. 3922A enthielt auch Teile von Gratians «Decretum», die in den ersten Jahren des 13. Jahrhunderts, also unmittelbar nach der 1199 zum Abschluss gekommenen Translation Wilhelms, eingetragen wurden142. Abgeschrieben wurden auch einige Texte der Causa 7, Quaestio 1, darunter c. 35 und c. 36, die jeweils kurze Passagen aus einem angeblichen Brief Papst Pelagius’ II. zitieren, in dem Notwendigkeit und Nutzen als Gründe für eine Translation angeführt werden. Diese Texte wurden durch eine weitere Passage des Briefs ergänzt, die 139 Die Forschung hat die Entwicklung des innozentianischen Arguments gründlich aufgearbeitet, Kenneth PENNINGTON: Pope and Bishops. The Papal Monarchy in the Twelfth and Thirteenth Centuries, Philadelphia 1984, S. 15–17, 89f., 95–99; Sebastian SCHOLZ: Transmigration und Translation. Studien zum Bistumswechsel der Bischöfe von der Spätantike bis zum Hohen Mittelalter, Köln 1992 (Kölner historische Abhandlungen 37), S. 206–208. 140 Die Register Innocenz’ III., Bd. 1: 1. Pontifikatsjahr 1198/99: Texte, hg. v. Othmar HAGENEDER/Anton HAIDACHER, Graz/Köln 1964 (Publikationen der Abteilung für historische Studien des Österreichischen Kulturinstituts in Rom Abt. 2, 1, 1), S. 175– 178 Nr. 117 [= POTTHAST 108]. Vgl. auch MÜLLER: Delegationsgerichtsbarkeit (wie Anm. 16), 1, S. 146, ebd. 2, S. 42f. Nr. 205. 141 Register Innozenz’ III., Bd. 1 (wie Anm. 141) S. 669–671 Nr. 447 und S. 765–768 Nr. 530 (532) = 3 Comp. 1.5.2 = X 1.7.2 [= POTTHAST 575]. 142 CHENEY/ CHENEY: Studies (wie Anm. 126) S. 141.

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am unteren Rand der Handschrift eingefügt wurde und die besagt, dass ein Erzbischof eine Translation vornehmen konnte143. Dieser Textteil ist bei Gratian nicht enthalten. Ein Kenner des kanonischen Rechts hatte sich offensichtlich auf die Suche nach Stellen gemacht, die das erzbischöfliche Translationsrecht belegten. Diese spezielle Stelle zog er höchstwahrscheinlich aus den pseudoisidorischen Dekretalen, als deren Teil der gesamte Brief Pelagius’ im 9. Jahrhundert entstand144. Die falschen Dekretalen erlebten im späten 11. und 12. Jahrhundert eine Renaissance und waren im Untersuchungsgebiet leicht verfügbar145. Wann genau die Zusammenstellung des Rechtsgelehrten Rouen erreichte, ist nicht zu bestimmen. Die Tatsache aber, dass sie dort unmittelbar nach der Affäre um Wilhelms Translation vorhanden war, lässt die Vermutung zu, dass sie schon während der Angelegenheit zur Verfügung stand. Vielleicht wurde sie gar in Rouen oder Tours selbst erarbeitet. Neben der Erarbeitung einer auf kanonischem Recht basierenden Verteidigungslinie haben die beiden Erzbischöfe möglicherweise auch ihre praktische Erfahrung ins Feld geführt. Die ihnen bekannten Fälle ließen den Papst keineswegs als einzige Entscheidungsautorität erscheinen. Zwar wurde 1163 der Wechsel Gilbert Foliots von Hereford nach London postuliert146, doch bleibt fraglich, ob Walter und Bartholomäus dies als einzig möglichen Weg einer Translation erinnerten. Weitere Bistumswechsel dürften ihre Wahrnehmung dieses Vorgangs geprägt haben. Über den Ablauf der Wechsel des Joscius von 143 Paris, BNF Lat. 3922A, fol. 15rb. Der angebliche Pelagius-Brief an Erzbischof Benignus ist ediert von Karl-Georg Schon http://www.pseudoisidor.mgh.de/html/301.htm (zuletzt besucht am 20.1.2010); ältere Edition in: Decretales Pseudo-Isidorianae et Capitula Angilramni, hg. v. Paul HINSCHIUS, Leipzig 1863, S. 725–730. 144 Paris, BNF Lat. 3922A, fol. 15rb unterer Rand (In eckigen Klammern sind die Varianten bzw. in einem Fall [hoc] ein hier fehlendes Wort nach Schons Edition angegeben; die Zeichensetzung folgt Schons Edition): Qua propter [Quapropter], karissime, hiis [his] apostolicis fultus auctoritatibus, muta episcopum causa necessitatis aut utilitatis, super quo nos consulere noluisti [voluisti]; et alios fratres nostros, quibus [hoc] faciendum necessitas aut utilitas compulerit, agere doce, quia hoc, quod tibi soli scribimus, generaliter omnibus tenere mandamus, quia, sicut potestatem habes episcopos et sacerdotes regulariter titulari et ordinare, ita, ut praedictum est, causa necessitatis aut utilitatis habes et mutare ac de titulo ad titulum transferre [translatare], licet de minori ad maiorem urbem mutandus sit. Hoc tamen summopere praevidendum est, ne causa arrogantie aut avaricie umquam fiat, quia hii [hi] a predictis canonibus dapnantur [damnantur], non illi, qui necessitate aut utilitate maiorum consilio et sana ac pura et deo placita intentione hoc faciunt. Für eine detaillierte Analyse siehe PELTZER: Canon Law (wie Anm. 59) S. 157f. Zu den Pseudo-Isidorischen Fälschungen siehe Horst FUHRMANN: Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen. Von ihrem Auftauchen bis in die neuere Zeit (MGH Schr. 24/1–3), 3 Bde., Stuttgart 1972–1974, 1, S. 167– 196, bes. S. 189. 145 WILLIAMS (wie Anm. 96) S. 3–93, 123–132; FUHRMANN (wie Anm. 145) 1, S. 168– 194. 146 Adrian MOREY/Christopher N. L. BROOKE: Gilbert Foliot and his Letters, Cambridge 1965, S. 99 mit Anm. 1; SCHOLZ (wie Anm. 140) S. 198–201; PENNINGTON: Pope and Bishops (wie Anm. 140) S. 91–93.

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St-Brieuc nach Tours (1157) oder Rotrous von Evreux nach Rouen (1164/65) liegen leider keine näheren Informationen vor147. Besser steht es für die Wechsel Baldwins von Worcester nach Canterbury (1184), Hubert Walters von Salisbury ebenfalls nach Canterbury (1193) und, besonders wichtig, Walters eigenen Wechsel von Lincoln nach Rouen (1184). In allen Fällen erfolgte der Wechsel aufgrund der Wahl des jeweiligen Domkapitels, nicht durch Postulation148. Die Vorgänger Papst Innozenz’ III. legten keinen besonderen Wert auf die Etablierung der Postulation als einzig gültiges Verfahren bei Bistumswechseln. Für sie war wichtig, dass ihnen die Wahl des transferierten Bischofs zur Konfirmation vorgelegt wurde149. Aus dieser Perspektive können die Wechsel nach Canterbury beziehungsweise Rouen durchaus als Bestätigung eines exklusiven päpstlichen Rechts, Bistumswechsel zu autorisieren, interpretiert werden. Es ist aber durchaus denkbar, dass Bartholomäus und Walter diese Vorgänge anders gedeutet haben. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts etablierte sich das Papsttum als zuständige Instanz für die Bestätigung erzbischöflicher Wahlen150. So wie der Erzbischof die Wahl eines Suffragans auf die Richtigkeit des Ablaufs und die Eignung des Kandidaten zu untersuchen hatte, oblag es dem Papst, Wahl und Eigenschaften eines zukünftigen Erzbischofs zu überprüfen. Es ist also möglich, dass die Bestätigungen der Wahlen Baldwins, Huberts und Walters durch Lucius III. beziehungsweise Coelestin III. lediglich als Wahrnehmung ihrer Funktion als übergeordnete kirchliche Instanz betrachtet wurde. Von diesem Standpunkt aus gesehen war der Umstand, dass sie transferiert wurden, lediglich ein weiterer Punkt, den Päpste bei der Bestätigung der Wahl zu untersuchen hatten, aber nicht der alleinige Grund, weshalb die Wahl ihnen vorgelegt wurde. Gemäß dieser Logik war an einer von Erzbischöfen autorisierten Translation eines Bischofs von einem Bistum zu einem anderen nichts auszusetzen. Denn hier nahmen sie schlicht ihre Pflichten als nächsthöhere Instanz war. Innozenz III. akzeptierte die von Walter und Bartholomäus vorgebrachten Entschuldigungen. Er betrachtete necessitas und utilitas als gültige Gründe für einen Bistumswechsel und er mag sich der Inkonsistenzen des kanonischen Rechts bewusst gewesen sein. Vor allem aber hatte er Interesse an einem möglichst konfliktarmen Verlauf der Angelegenheit. Als beide Erzbischöfe seinen Standpunkt annahmen und Wilhelm persönlich in Rom erschien, um seine Translation zu postulieren, hatte Innozenz jeden Grund zur Zufriedenheit. Im 147 Vgl. PELTZER: Canon Law (wie Anm. 59) S. 76–78 (Rotrou), 173f. (Joscius). 148 Lucii III papae epistolae et privilegia, in: Migne PL 201, Sp. 1300f., Nr. 173 [= JL 15117; WH –; RI 4/4/4/2 Nr. 1266]; CHENEY: Decretals of Innocent III (wie Anm. 75) S. 72 und oben Anm. 79; PENNINGTON: Pope and Bishops (wie Anm. 140) S. 94f. 149 SCHOLZ (wie Anm. 140) S. 205f. 150 Robert BENSON: The Bishop-elect. A Study in Medieval Ecclesiastical Office, Princeton 1968, S. 180–185.

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Dezember 1198 hob er die Teilsuspendierungen von Bartholomäus und Walter auf151; im Januar 1199 befahl er in einem Brief (Inter corporalia) an das Domkapitel von Angers, Wilhelm als neuen Bischof anzunehmen152. Sowohl in den Schreiben an die Erzbischöfe als auch an das Kapitel von Angers erläuterte der Papst ausführlich seine Sicht der Dinge153. Innozenz’ III. entschiedenes und doch geschicktes Vorgehen zeigte unmittelbare Wirkung. Der Fall Wilhelms von Chemillé war noch nicht abgeschlossen, da starb der Bischof von Poitiers, Ademar. Kandidat für seine Nachfolge war der Bischof von Nantes, Mauritius von Blason. Das Schicksal der Amtskollegen von Tours und Rouen vor Augen wandten sich die Erzbischöfe von Bourges und Bordeux sowie das Domkapitel von Tours direkt an Innozenz

151 Register Innozenz’ III., Bd. 1 (wie Anm. 141) S. 669–671 Nr. 447 [= POTTHAST 451]. 152 Register Innozenz’ III., Bd. 1 (wie Anm. 141) S. 765–769 Nr. 530 (532) = 3 Comp. 1.5.2 = X 1.7.2 [= POTTHAST 575]. 153 In der Rouennaiser Sammlung finden sich einige der Dekretalen Innozenz’ III. bezüglich der Translation von Bischöfen. Sie sind allerdings nicht unter einer Rubrik zusammengestellt. Innozenz’ Brief an den Bischof von Bamberg und den Magister der Domschule von Mainz, Licet in tantum, ist in Rotomagensis tertia enthalten, Register Innozenz’ III., Bd. 2 (wie Anm. 92) S. 516–519 Nr. 266 (278) = 3 Comp. 1.5.4 = X 1.7.4 = 3 Rot. 54, Paris, BNF Lat. 3922A, fo. 124ra–b [= POTTHAST 942]. Innozenz’ Brief an den Erzbischof von Bourges Ne si universis universa findet sich in der Liste der Dekretalen Rainers von Pomposa, Nr. 6, Paris BNF Lat. 3922A, fol. 237rb–vb. Ne si universis universa enthielt mit Cum ex illo generali ein weiteres Schreiben Innozenz’, das in die «Compilatio tertia» und dann in den «Liber extra» unter der Rubrik De translatione episcopi aufgenommen wurde, Register Innozenz’ III., Bd. 1 (wie Anm. 141) S. 77f. Nr. 50 = 3 Comp. 1.5.1 = X 1.7.1 [= POTTHAST 52]. Rainer war einer der ersten Kanonisten, der einen Abschnitt zur Translation mit Dekretalen Innozenz’ III. anlegte, Prima collectio decretalium Innocentii III, in: Migne PL 216, Sp. 1173–1272, Sp. 1197–1201, 5.1, 5.2. Neben Ne si universis universa enthielt Rainers Sammlung noch den Brief Innozenz’ III. an das Domkapitel von Angers, Inter corporalia. Dieses Schreiben, in dem unter anderem das fehlerhafte Verhalten der beiden Erzbischöfe ausgeführt wurde, wurde nicht mit in die Sammlung in Rouen aufgenommen. Es genügte dem Kompilator vielleicht, dass schon in Ne si universis universa auf das mögliche Vergehen der beiden Metropoliten hingewiesen wurde. Eine Vertiefung dieser für Rouen wenig vorteilhaften Angelegenheit war sicherlich nicht in seinem Interesse. Der umstrittene Wechsel Wilhelms von Chemillé von Avranches nach Angers schlug sich zumindest indirekt noch in einem weiteren Schreiben Innozenz’ nieder, das in die Sammlung aufgenommen wurde. Es handelte sich hierbei um einen Brief an das Domkapitel von Avranches, in dem der Papst die Wahl des Nachfolgers Wilhelms in Avranches, Wilhelm Tolomeus, für ungültig erklärte, nicht weil sich die gegen seine Eignung vorgebrachten Anschuldigungen bestätigt hätten, sondern weil die Wahl erfolgt sei, während der Fall Wilhelms von Chemillé noch in der Schwebe war; BNF Lat. 3922A, fol. 147ra–va = Reg. Innozenz’ III., Bd. 2, S. 25–27, Nr. 18 [= POTTHAST 630].

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und postulierten Mauritius’ Translation. Innozenz gestattete diese aufgrund ihrer necessitas und utilitas154. Steht das Beispiel der Translation für die Durchsetzung einer päpstlichen Vorgabe in der Region, so ist es keinesfalls repräsentativ für die Entwicklung, Homogenisierung und Implementierung des kanonischen Rechts. Hierbei handelte es sich vielmehr um Prozesse des Austauschs und gegenseitiger Stimulation zwischen Kurie, Zentren der Kanonistik und der Kirche vor Ort. Regionale Rechtsgewohnheiten mussten dabei nicht auf der Strecke bleiben. Als sich 1231 das Domkapitel von Bayeux nicht auf einen neuen Bischof einigen konnte, brachten die Wähler den Fall vor Papst Gregor IX.155 Einer der Streitpunkte war die Wahlberechtigung des Domherrn Guido. Während die eine Partei argumentierte, dass Guido, der in Belleville nahe Lyon lebte, sich zu weit entfernt von Bayeux aufhielt, um das Wahlrecht auszuüben, argumentierte die andere Seite, dass gemäß der Gewohnheit der gallikanischen Kirche abwesende Kanoniker aus dem gesamten französischen Königreich zusammengerufen werden müssten. Gregor folgte dieser Argumentation in diesem Punkt und kurze Zeit später nahm Raymond de Peñafort Gregors Entscheidung in den «Liber extra» auf. Aus einer gewohnheitsrechtlichen Regelung wurde so verbindliches, von Kurie approbiertes kanonisches Recht. Durch die Formulierung, Sanktionierung und Approbierung spielte das Papsttum eine entscheidende Rolle in der Gestaltung des Kirchenrechts. Aber es war kein autarkes System, welches das Recht aus sich selbst generierte, um es dann innerhalb der Kirche durchzusetzen. Die Impulse zur Weiterentwicklung des Rechts kamen von vielen Seiten, nicht zuletzt von den Schulen und den vielen ‚Winkeln’ der Kirche selbst, aus denen unzählige Anfragen die Kurie immer wieder zu grundsätzlichen Entscheidungen geradezu nötigten156. Die großen Konzilien der Zeit stehen für diese wechselseitigen Prozesse. In Person der Bischöfe und Äbte kamen hier die Teile der Kirche zusammen, um gemeinsam mit dem Papst die Ausrichtung der Kirche und damit auch Fragen des Rechts zu besprechen und zu beschließen. In diese Diskussionen konnten sie ihre verschiedenen Erfahrungen und möglicherweise Positionen einbringen. So übten die Konzilien in ihren Entscheidungsfindungsprozessen auch eine wichtige Konsens stiftende Funktion innerhalb der Kirche aus157. 154 Register Innozenz’ III., Bd. 1 (wie Anm. 141) S. 719–721 Nr. 490–492 [= POTTHAST 489–491]. 155 Les registres de Grégoire IX, hg. v. Lucien AUVRAY, Nr. 741 = X 1.6.55 [= POTTHAST 9544]. 156 KÉRY: Dekretalenrecht (wie Anm. 111) S. 20–23, summarisch ebd. S. 44f.: „ein dialektischer Prozess“; vgl. auch Jörg PELTZER: Master Arnulf, Archdeacon of Rouen, Unlicensed Pluralism, and Idoneitas. Defining Eligibility in the Early Thirteenth Century, in: Haskins Society Journal 19 (2008) S. 51–64. 157 Zu Konzilien als Versammlungsort der Kirche allgemein siehe Jürgen MIETHKE: Formen der Repräsentation auf Konzilien des Mittelalters, in: Politische Versammlungen und ihre Rituale. Repräsentationsformen und Entscheidungsprozesse des Reichs und

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Conclusio Zur absolutistischen Durchsetzung ihrer Vorstellungen und Prärogativen fehlten den Päpsten des hohen Mittelalters die umfassenden Zwangsmittel. Sie mussten mehr noch als die Herrscher Europas mit ihren enger begrenzten und militärisch kontrollierbaren Untertanenverbänden darauf setzen, dass ihre Position von theologischer, historischer und auch rationaler Autorität getragen wurde. Es mag daher banal erscheinen, wenn man den Prozess des Zusammenwachsens der lateinischen Kirche, ihrer inneren Homogenisierung durch Ausrichtung auf ein römisches Zentrum als ein Geben und Nehmen charakterisiert. Gerade im Beispiel des nordwestlichen Frankreichs tritt aber dieser dialogische Prozess besonders zu Tage. Erweist schon die Auszählung der Urkunden und die Frequenz der päpstlichen Gerichtsbarkeit im 12. Jahrhundert insbesondere die Normandie als einen Rom zwar geographisch fernen, gleichwohl intensiven Beziehungsraum, so lässt die inhaltliche Perspektive, unter der die Kontakte betrachtet wurden, den wechselseitigen Charakter deutlich zu Tage treten. Dies gilt zum Beispiel für die personellen Verflechtungen. Kuriale Karrieren, die in Nordwestfrankreich ihren Ursprung hatten oder die über Nordwestfrankreich führten, waren nicht häufig. Erst mit dem beginnenden 13. Jahrhundert wurden solche Verbindungen intensiver. Lassen sie sich aber nachzeichnen, wie im Fall Rolands von Dol, so zeigt sich, dass sie nicht in erster Linie dem Zugriff Roms auf die Provinz dienen mussten, sondern umgekehrt lokalen Interessen an der Kurie eine kraftvolle Stimme verleihen konnten. Noch klarer tritt der regionale Impuls in der Rechtsprechung und Rechtsentwicklung zu Tage. Ohne die lokale, individuelle Initiative, Streitfälle nach Rom zu tragen, hätte es die Kurie zweifellos sehr viel schwerer gehabt, ihre Autorität so kraftvoll zu entwickeln, wie dies im 13. Jahrhundert erreicht wurde. Rechtskonflikte und Rechtsanfragen boten den Päpsten geradezu die Gelegenheit, ihren Standpunkt zu formulieren und dessen Übernahme zu fördern. Dass die Ausweitung und Homogenisierung des römischen Autoritätsbereiches gelangen, lag auch daran, dass die Kurie sich der Regionalität der Kirche nicht verschloss. Hier lassen die Quellen es einmal zu, den Prozess zu verfolgen. Auch noch so geringfügige Fälle wurden verhandelt oder delegiert; lokale Rechtstraditionen dabei nicht per se verworfen, sondern geprüft und gegebenenfalls gar zu universaler Geltung erhoben. Das Zusammenspiel zwischen lokaler, individueller Initiative und kurialer Entscheidung war für Rechtssprechung und Normentwicklung im 12. Jahrhundert konstituierend. der Kirche im späten Mittelalter, hg. v. Jörg PELTZER/Gerald SCHWEDLER/Paul TÖBELMANN, Ostfildern 2009 (Mittelalter-Forschungen 27), S. 21–36, mit weiteren Hinweisen. Vgl. auch die Hinweise in: Die Konzilien von Pisa (1409), Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449), Institution und Personen, hg. v. Heribert MÜLLER/Johannes HELMRATH, Ostfildern 2007 (VuF 67).

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Besonders im Bereich der Rechtsentwicklung ist es deshalb angebrachter, weniger von einem (zumindest latent hierarchisch konzipierten) Dialog zwischen Zentrum und Peripherie zu sprechen als von einem Miteinander verschiedener Zentren unterschiedlicher Strahlkraft; Rouen steht hier n e b e n Bologna oder Rom. Nicht unbeachtet bleiben dürfen die wechselnden Phasen der Entwicklung. Ein straffes landeskirchliches Regiment der normannischen Herzöge hemmte im 11. und beginnenden 12. Jahrhundert die Romkontakte des Klerus. Dass einigen päpstlichen Legaten der Zugang zur Normandie verwehrt wurde, deutet in dieselbe Richtung. Doch es wäre falsch, die Abschottung gegenüber Rom allein der herrscherlichen Politik anzulasten. Es war der normannische Klerus, der im ausgehenden 12. Jahrhundert Personen, die an das päpstliche Gericht appellierten, den Weg nach Rom zu verstellen suchte. Eine Provinzialsynode in Rouen versuchte, dieses altbekannte Übel 1190 auf dem Verordnungswege abzustellen158. Mit Widerständen in unterschiedlicher Form ist also stets zu rechnen, auch wenn sie in den Quellen selten deutlich aufscheinen. Politische, kirchenorganisatorische und auch persönliche Konstellationen wirkten unmittelbar auf die Beziehungen zwischen Rom und den Regionen ein. Nicht zu übersehen ist jedoch, dass solche speziellen Konstellationen in einen allgemeinen Kommunikationsraum eingebettet waren, der kontinuierlich dichter wurde. Auch ohne direkte persönliche Vermittlung gelangten kuriale Nachrichten an ihr Ziel, fanden Konzilskanones ihren Weg in Regionen, ohne dass die Zwischenträger im einzelnen namhaft zu machen wären. All dies – die individuelle, interessengeleitete Abschirmung ebenso wie das allgemein offene Ohr für päpstliche Direktiven – spricht für die wachsende Selbstverständlichkeit im Austausch mit der römischen Zentrale. Eine lineare oder sogar zielgerichtet auf die Zentralisierung der lateinischen Kirche zulaufende Interpretation der Befunde ist indes zu vermeiden. Dies gilt umso mehr, als eine Vielzahl der im Rahmen des Gesamtprojekts als notwendig erachteten Untersuchungsfelder in diesem Beitrag gar nicht bearbeitet werden konnten. Weder zur Liturgie noch zur Heiligsprechung, zu den Urkundenformularen, zu Binnenstruktur von Klosterverbänden und vielem anderen mehr konnte an dieser Stelle beigetragen werden. Manche Frage bleibt zudem unbeantwortet, weil die Quellen fehlen. So wünschenswert es etwa wäre, die Verbindung der Erzbischöfe mit Rom anhand des Pallienempfangs zu verfolgen, so ernüchternd ist die Quellenlage diesbezüglich. Nur zweimal wird in einer Papsturkunde das Pallium zum Thema erhoben. Das erste Mal in einem Schreiben Alexanders III., noch dazu in einem für das Gesamtprojekt wenig erhellenden Sinne: Alexander III. verbot Erzbischof Rotrou von Rouen, sein Pallium einem anderen Erzbischof auszuleihen, der ohne ein solches Rouen besuchte. Das Rangzeichen des Metropoliten sei personengebunden 158 MÜLLER: Delegationsgerichtsbarkeit (wie Anm. 16) Bd. 1, S. 29f. Für den gesamten thematischen Rahmen vgl. ebd. S. 25–31.

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und im Todesfall mit seinem Träger zu bestatten159. Die zweite Erwähnung stammt aus dem Jahr 1184, als Lucius III. dem Kapitel von Rouen die Wahl Walters von Coutances bestätigte und die Übersendung des Palliums, um die das Kapitel gebeten hatte, per Boten ankündigte160. Vor dem Hintergrund solch lückenhafter Nachrichten bleibt genau zu überlegen, in welchem Verhältnis überlieferungsbedingte Fehlanzeigen zum tatsächlichen Ausbleiben bestimmter Phänomene stehen. Der hier vorgelegte Versuch eines Gesamtbilds beschreibt den Austausch zwischen dem französischen Nordwesten und der Kurie zweifellos noch nicht dicht genug. Aber er erlaubt einige grundsätzliche Aussagen und lädt zu weiteren Detailstudien und Überlegungen ein. Vor allem aber eröffnet er erstmals die Gelegenheit, auf einer breiteren Materialbasis und in einem größeren Betrachtungsumfang Vergleiche anzustellen mit anderen Regionen der lateinischen Christenheit. Erst durch die Konfrontation mit den Befunden aus anderen geographischen oder politischen Räumen, seien sie ähnlich oder deutlich anders konstruiert als die Normandie, Groß-Anjou und die Bretagne, wird man den eigentümlichen Charakter dieser Beziehungen zu Rom und damit die Rolle der Region in der Formierungsphase einer universalen lateinischen Christenheit bewerten können.

159 X 1.8.2, 1174 V 11, JL 17657, WH 386e. Die Dekretale ist identisch mit JL 12377, die von den Kanonisten in sechs Segmente zerteilt und genutzt wurde (WH 386a–f). Der Text findet sich als Ganzes in: Migne PL 200, Sp. 943–945 Nr. 1074. Vgl. dazu Ludwig FALKENSTEIN: Wilhelm von Champagne, Elekt von Chartres (1164–1168), Erzbischof von Sens (1168/69–1176), Erzbischof von Reims (1176–1202), Legat des apostolischen Stuhles, im Spiegel päpstlicher Schreiben und Privilegien, in: ZRGKanAbt 120 (2003) S. 107–284, hier S. 169–171 mit Anm. 227. 160 Migne PL 201, Sp. 1300f., Nr. 173 [JL 15117; WH –; RI IV, 4,2, Nr. 1266]. Eine rekonstruierende Detailstudie zu dieser Form der Rombeziehung auf der Basis des reicheren Reimser Materials bietet Ludwig FALKENSTEIN: Zu verlorenen päpstlichen Schreiben und Privilegien: Palliumverleihungen an die Erzbischöfe von Reims (8.–12. Jahrhundert), in: Eloquentia copiosus. Festschrift für Max Kerner zum 65. Geburtstag, hg. v. Lotte KÉRY, Aachen 2006, S. 181–224.

Zentrum und Peripherie? Das universale Papsttum und die Kirchenprovinz Narbonne im Hochmittelalter: 1050–1215 URSULA VONES-LIEBENSTEIN Die Ausbildung der Kirchenprovinz Narbonne und die Rolle des Papsttums Seit dem dritten nachchristlichen Jahrhundert sind in Narbonne Christen bezeugt1. Eine Kirchenorganisation mit fester Hierarchie und Metropolitansitz in Narbonne ist aber frühestens seit dem 5. Jahrhundert nachweisbar2. In der Notitia Galliarum, die um 400 aus verwaltungstechnischen Gründen angelegt wurde3, werden fünf Städte genannt, die zur Provinz Narbonne zählten: die

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So Gregor PREDEL: Vom Presbyter zum Sacerdos: Historische und theologische Aspekte der Entwicklung der Leitungsverantwortung und Sacerdotalisierung des Presbyterates im spätantiken Gallien, Münster 2005 (Dogma und Geschichte 4), S. 25, unter Verweis auf den Brief 68 des Cyprian von Karthago (Sancti Cypriani Episcopi Epistolarium, hg. v. Gerhard Frederic DIERCKS, Turnhout 1996 [CCSL III, C], Ep. 68,1, S. 463), wo sich die entsprechende Stelle jedoch nicht findet; André DUPONT: Les Cités de la Narbonnaise Première depuis les invasions germaniques jusqu’à l’apparition du consulat, Nîmes 1942, hier S. 101–103; Jean-Remy PALANQUE: Les évêchés de Narbonnaise Première à l’époque romaine, in: Annales de l’Université de Montpellier et du Languedoc Méditerranéen-Roussillon 1 (1943) S. 177–186; Elie GRIFFE: La Gaule chrétienne à l’époque romaine, 3 Bde., Paris 21964–1965; Reinhold KAISER: Bischofsherrschaft zwischen Königtum und Fürstenmacht. Studien zur bischöflichen Stadtherrschaft im westfränkisch-französischen Reich im frühen und hohen Mittelalter, Bonn 1981 (Pariser Historische Studien 17), S. 290f., der auf die Existenz einer frühchristlichen Coemeterialkirche bei Saint-Paul verweist. So Aline ROUSSELLE: Aspects sociaux du recrutement ecclésiastique au IVe siècle, in: MEFRM Antiquité 89 (1977) S. 333–370, hier S. 336f., wo sie anführt, dass es für Narbonne selbst vor dem 5. Jahrhundert keinen Beleg für eine Kirchenorganisation gibt, obwohl dies vielfältig angenommen wurde, z. B. zuletzt noch von PREDEL (wie Anm. 1) S. 26. Theodor E. MOMMSEN, in: MGH AA 9, Berlin 1892, S. 552–612. Vgl. Jill HARRIES: Church and State in the Notitia Galliarum, in: The Journal of Roman Studies 68 (1978) S. 26–43.

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civitates Toulouse, Nîmes, Béziers, Lodève und das castrum Uzès4. Der erste aus einem Papstbrief bekannte Bischof von Narbonne ist Hilarius, der zwischen 417 und 422 erwähnt wird5. Als der römische Heermeister Rikimer Septimanien den Westgoten überließ, um ihre Unterstützung zu gewinnen6, öffnete Graf Agrippinus 462 dem zum magister militum per Gallias ernannten Bruder König Theoderichs II. die Tore Narbonnes7, womit die Westgoten den Landweg von Italien nach Spanien beherrschten. Da sein Nachfolger Eurich (466–484) wie in Aquitanien auch in Septimanien danach strebte, den Arianismus durchzusetzen, blieben viele Bistümer längere Zeit unbesetzt8. Nach der Niederlage der Westgoten gegen die Franken in der Schlacht von Vouillé (507) wurden zwei Suffragane der Narbonnensis Prima anderen Kirchenprovinzen unterstellt: Toulouse kam zu Bourges und Uzès zu Arles9. Als Folge davon verlagerte sich das Zentrum des Westgotenreiches von Toulouse nach Toledo und nach dem 587 erfolgten Übertritt König Rekkareds zum Katholizismus nahmen die Bischöfe der Narbonnensis Prima nicht länger an den Konzilien in Arles sondern vielmehr an den Reichskonzilien in Toledo teil10 und übernahmen die westgotische Liturgie11. Zwischendurch 4 Vgl. dazu Paul-Albert FÉVRIER/Xavier BARRAL I ALTET: Province ecclésiastique de Narbonne (Narbonensis prima), Paris 1989 (Topographie chrétienne des cités de la Gaule des origines au milieu du VIIIe siècle 7), S. 12, die darauf verweisen, dass diese in allen Handschriften erscheinen, in manchen jedoch noch zusätzlich Elne, Agde und Maguelonne aufgeführt werden. 5 BARRAL I ALTET / FEVRIER (wie Anm. 4) S. 20; Louis DUCHESNE: Fastes épiscopaux de l’ancienne Gaule, 3 Bde., Paris 21907–1915, hier Bd. 1, S. 303. 6 Vgl. zu Ricimer Dirk HENNING: Periclitans res publica: Kaisertum und Eliten in der Krise des Weströmischen Reiches 454/5 – 493 n. Chr., Stuttgart 1999 (Historia: Einzelschriften 133), S. 75. 7 Michel ROUCHE: L’Aquitaine. Des Wisigoths aux Arabes. 418–781, naissance d’une région, Paris 1979, S. 34; HENNING (wie Anm. 6) S. 86, S. 153 Anm. 188, S. 224 und Anm. 18. 8 Vgl. zur kirchlichen Lage in der Narbonnensis unter westgotischer Herrschaft Ralph W. MATHISEN/Hagith S. SIVAN: Forging a New Identity: The Kingdom of Toulouse and the Frontiers of Visigothic Aquitania (418–507), in: The Visigoths. Studies in Culture & Society, hg. v. Alberto FERREIRO, Leiden u.a. 1998 (The Medieval Mediterranean 20), S. 1–62, hier S. 37–44, bes. S. 41f.; Emilienne DEMOUGEOT: La Septimanie dans le royaume wisigotique de la fin du Ve s. à la fin du VIIe s., in: Gaule mérovingienne et monde méditerranéen, Lattes 1988 (Actes des IX Journées d’Archéologie Mérovingienne), S. 16–39. 9 BARRAL I ALTET/FÉVRIER (wie Anm. 4) S. 12, die auch darauf verweisen, dass das Bistum Arisitum, das zur civitas von Nîmes zählte, ebenfalls unter fränkische Herrschaft kam. 10 Acht Bischöfe der Narbonnensis unterzeichneten 587 die Akten des III. Toledanum, José VIVES: Concilios visigotícos e hispano-romanos, Madrid 1963, S. 185–188. In der Divisio Wambae werden als Suffragane der Narbona metropolis sowohl Elne als auch Carcassonne neben Béziers, Agde, Maguelonne, Nîmes und Lodève angeführt, vgl. Luis

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wurde das Bistum Narbonne aufgeteilt und die Bistümer Elne und Carcassonne neu geschaffen. Nach der Eroberung des Westgotenreiches durch die Mauren wurde Narbonne 719 zum Sitz eines Wali. Über vierzig Jahre lang, bis zur Rückeroberung durch die Franken, ist kein Name eines katholischen Bischofs belegt. Erst nach 769 ist ein gewisser Daniel bezeugt, der durch seine Teilnahme an einem Konzil in Rom erste Kontakte zur römischen Kirche knüpfte12. Unter seinem Nachfolger Nebridius, der dem Kreis um Benedikt von Aniane zuzurechnen ist13, kam es zur Reorganisation der Kirchenprovinz. 813 wurde Nebridius erstmals als Erzbischof bezeichnet14. Zu dieser Zeit, als die Franken unter Ludwig dem Frommen Katalonien, aber nicht Tarragona, die Metropole der Tarraconensis, zurückerobert hatten, stellte sich die Frage der Zugehörigkeit der restaurierten Bistümer Barcelona, Girona, Urgell und Vich, die von dem Barceloneser Grafen Wifred dem Haarigen schließlich im Sinne der Herrschaftsfestigung zugunsten von Narbonne

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VAZQUEZ DE PARGA: La División de Wamba. Contribución al estudio de la historia y geografía eclesiasticas de la Edad Media española, Madrid 1943, S. 28, 30, 84f., wobei in manchen Überlieferungen noch Toulouse und Collioure hinzugefügt werden. BARRAL I ALTET/FÉVRIER (wie Anm. 4) S. 13 betonen, dass wir seit dieser Zeit anders als im Rest Südfrankreichs über gut dokumentierte Bischofslisten verfügen. Odilo ENGELS: Schutzgedanke und Landesherrschaft im östlichen Pyrenäenraum (9.– 13. Jahrhundert), Münster i. W. 1970 (SFGG, 2. Reihe 14), S. 29; Pablo C. DÍAZ: Monasticism and Liturgy in Visigothic Spain, in: FERREIRO (wie Anm. 8) S. 169–200, bes. 191–200; Michel GROS: Les Wisigoths et les liturgies occidentales, in: L’Europe héritière de l’Espagne Wisigotique, hg. v. Jacques FONTAINE/Christine PELLISTRANDI, Madrid 1992, S. 126f; Ludwig VONES: La sustitución de la liturgia hispana por el rito romano en la Península Ibérica, in: Manuscritos litúrgico-musicales: De los orígines visigóticos a la transición franco-romana. Siglos X–XII, hg. v. Susana ZAPKE, San Sebastián 2007, S. 43–60. Concilia aevi Karolini, Bd. 2,1, hg. v. Albert WERMINGHOFF, Hannover/Leipzig 1906 (MGH Conc. 2/1). Vgl. in diesem Sinne ENGELS: Schutzgedanke (wie Anm. 11) S. 28; Ramon d'ABADAL I DE VINYALS: Catalunyà Carolíngia I. El domini carolíngi a Catalunya I, hg. v. Jaume SOBREQUÉS I CALLICÓ, Barcelona 1986 (Memòries de la Secció Històrico-Arqueològica 35), S. 97; zuletzt Wilfried HARTMANN: Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien, Paderborn 1989, S. 84–86. Élie GRIFFE: Histoire religieuse des anciens pays de l’Aude, Paris 1933, S. 96–103. Anscari Manuel MUNDÓ I MARCET: Nebridius in: Gran Enciclopèdia Catalana 10 (1972) S. 472, glaubt, dass er zum Hofe Karls des Großen gehörte und sieht in ihm einen Freund Alkuins und des Kanzlers Helisachar. Ursula VONES-LIEBENSTEIN: Katalonien zwischen Maurenherrschaft und Frankenreich. Probleme um die Ablösung westgotisch-mozarabischer Kirchenstrukturen, in: Das Frankfurter Konzil von 794, hg. v. Rainer BERNDT, Mainz 1997, S. 447–498, hier S. 472.

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entschieden wurde15. Bis Ende des 11. Jahrhunderts sollten die katalanischen Bistümer zur Narbonnensis Prima zählen16. Dies zeigt aber auch, wie schwierig es ist, den räumlichen Rahmen dieser Untersuchung abzustecken. Im Verlauf dieses Abschichtungsprozesses griffen päpstliche Legaten verschiedentlich entscheidend ein, wie überhaupt in diesem vom Frankenreich und seinem kapetingischem Nachfolger losgelösten Reichen die Tendenz bestand, das Papsttum als übergeordnete Instanz anzurufen oder, wie Odilo Engels es für den östlichen Pyrenäenraum formulierte, den Königsschutz durch den Papstschutz abzulösen17. Charakteristischerweise wird am Ende unseres Untersuchungszeitraums der umgekehrte Prozess festzustellen sein und nach dem Albigenserkreuzzug und dem wachsenden Einfluss des französischen Königs im Languedoc, bis zur Festschreibung dieses Zustandes im Vertrag von Corbeil am 11. April 125818, der Papstschutz durch den Königsschutz abgelöst werden19. 15 Ebd., S. 482–501. 16 Zuletzt Ludwig VONES: Kardinal Rainer von San Clemente als päpstlicher Legat in Katalonien und Südwestfrankreich. Politische und diplomatische Aspekte, in: Aspects diplomatiques des voyages pontificaux, hg. v. Bernard BARBICHE/Rolf GROSSE, Paris 2009 (Studien und Dokumente zur Gallia Pontificia 6), S. 203–217. 17 ENGELS: Schutzgedanke (wie Anm. 11) S. 230: „Der Papstschutz trat damit endgültig in die Nachfolge des Königsschutzes, um die klösterlichen Rechtsverhältnisse im Rahmen der vorgegebenen Norm zu legitimieren“. Vgl. auch DERS.: Königsschutz und Papstschutz in Katalonien (10. und 11. Jahrhundert), in: L'Église de France et la Papauté Xe–XIIIe siècle) (=Actes du XXVIe colloque historique franco-allemand, Paris, 17–19 octobre 1990), hg. v. Rolf GROSSE, Bonn 1993, S. 392–407. 18 Odilo ENGELS: Der Vertrag von Corbeil (1258), in: SPFGG GA 19 (1962) S. 114–146 (ND in: DERS.: Reconquista und Landesherrschaft. Studien zur Rechts- und Verfassungsgeschichte Spaniens im Mittelalter, hg. v. Erich MEUTHEN/Ludwig VONES, München-Wien-Zürich 1989 [Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, NF 53], S. 203–236); DERS.: El rey Jaime I de Aragón, y la política internacional del siglo XIII, in: Jaime I y su época. X Congreso de Historia de la Corona de Aragón. Ponencias, Zaragoza 1979, S. 213–240 (übersetzt als: König Jakob I. von Aragón und die internationale Politik, in: DERS.: Reconquista und Landesherrschaft [wie oben] S. 237–260); DERS.: Corbeil, Vertrag von, in: LexMa 3 (1984) Sp. 222. Die Akten eines 2008 in Corbeil anlässlich des Vertragsabschlusses gehaltenen Kongresses finden sich in: Mémoires de la Société de Paris et de l’Ile-de-France 60 (2009).Vgl. dazu Salvador CLARAMUNT RODRÍGUEZ: El tractat de Corbeil (1258). Fi de l’Expansió vers el Nord, in: Catalunya i els tractats internacionals, Barcelona 2003, S. 29–36. 19 Diese Entwicklung setzte zur Zeit des französischen Königs Ludwigs VII. ein, der Schutzprivilegien, zugänglich in: Histoire Générale du Languedoc avec des notes et des pièces justificatives, hg. v. Claude DEVIC/Joseph VAISSETE, 16 Bde., Toulouse 21876– 1892 [künftig HGL], und Études sur les actes de Louis VII, hg. v. Achille LUCHAIRE, Paris 1885 [künftig Reg. Nr. X], für Toulouse (HGL V, Sp. 1175, Nr. 601 v. 1154/55, Reg. Nr. 339), Maguelonne (HGL V, Sp. 1193–1196, Nr. 610; Reg. Nr. 340 v. 1154, Nr. 366 v. 1156, Nr. 446 v. 1161), Narbonne (HGL V, Sp. 1207–1209, Nr. 618 v. 1157; Reg. Nr. 387, Nr. 520 v. 1165), Nîmes (HGL V, Sp. 1209f., Nr.

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Der Raum war herrschaftlich stark zergliedert. Während das Roussillon mit dem Bischofssitz Elne traditionnel mit Barcelona verbündet und nach dem Tod des letzten Grafen an das Königreich Aragón gefallen war20, war der Rest der Kirchenprovinz keineswegs unter der Herrschaft des Grafenhauses von Toulouse vereint. Vor allem im 12. Jahrhundert bildete die Familie der Trencavel, Vizegrafen von Carcassonne, Albi, Nîmes und Béziers, eigene Machtschwerpunkte aus und verstand es, den Konflikt zwischen Toulouse und Barcelona für ihre eigenen Interessen zu nutzen21. Die Vizegrafen von Narbonne tendierten eher zu Barcelona hin22, die Herren von Uzès aus dem Geschlecht der Posquières schlossen sich enger an Toulouse an23. Die Herrschaft Montpellier wiederum fiel nach der Heirat der Maria von Montpelliers (1204) mit Peter II. von Aragón24 letztendlich durch eine Entscheidung des Papsttums

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619 v. 1157; Reg. Nr. 388), Uzès (HGL V, Sp. 1199–1201, Nr. 613 v. 1156; Reg. Nr. 367), Agde (GC VI, Instr. Sp. 326, v. 1173; Reg. Nr. 649 und 650), Lodève (HGL V, Sp. 1262–1264, Nr. 650; Reg. Nr. 389 v. 1157, Reg. Nr. 461), SaintGuilhem-du-Désert (Reg. Nr. 456 v. 1162) und Saint-Gilles (Reg. Nr. 473, Nr. 582 v. 1169) ausstellte. Auch hier spielte die Haltung des Papsttums keine unerhebliche Rolle, da sowohl Eugen III. als auch Hadrian IV. und Alexander III. Graf Gausfred III. die Legitimierung seiner Kinder aus der Beziehung zu einer ungenannten Konkubine, der adultera, verweigerten. Gausfred III., der Ermengard, die Tochter Vizegraf Bernhard Attons von Béziers geheiratet hatte, verstieß sie, nachdem sie ihm einen Sohn und Erben geschenkt hatte, vgl. Pierre PONSICH: Els Comtes de Rosselló fins del 1172, in: El Rosselló, Barcelona 1993 (Catalunya Romànica 14), S. 31–33, hier S. 33. Zu den Trencavel vgl. nun v.a. die Untersuchungen von Hélène DEBAX: La féodalité languedocienne XIe–XIIe siècles. Serments, hommages et fiefs dans le Languedoc des Trencavel, Toulouse 2003; Claudie AMADO: Les vicomtes de Béziers et d’Agde – déploiment lignager et bipolarité du pouvoir, in: Vicomtes et vicomtés dans l’Occident médiéval, hg. v. Hélène DEBAX, Toulouse 2008, S. 21–31; Elaine GRAHAM-LEIGH: ‚The proconsul ruling the city called Carcassonne’. Memory, Title and the Trencavel Viscounts, 1068–1209, in: Historical Research 75 (2002) S. 170–187. Vgl. Thierry STRASSER: La maison vicomtale de Narbonne aux Xe et XIe siècles, in: Annales du Midi 204 (1993) S. 489–507; Jacqueline CAILLE: Ermengarde, vicomtesse de Narbonne (1127/29–1196/97). Une grande figure féminine du midi aristocratique, in: La femme dans l'histoire et la société méridionale (IXe–XIXe siècles), Actes du 66e congrès de la Fédération Historique du Languedoc Méditerranéen et du Roussillon (Narbonne, 15–16 octobre 1994), Montpellier 1995, S. 9–50; DIES.: Vicomtes et Vicomté de Narbonne des origines au début du XIIIe siècle, in: DEBAX: Vicomtes (wie Anm. 21) S. 47–60. So zog Decan de Posquières mit Raimund von Saint-Gilles ins Heilige Land und die Tochter seines Sohnes, Faydide de Posquières, heiratete den Grafen von Toulouse, Alphonse Jourdain. Zu ihrem avunculat bei Raimund V. von Toulouse, dem Sohn der Faydide, vgl. Laurent MACE: Les comtes de Toulouse et leur entourage XIIe–XIIIe siècles. Rivalités, alliances et jeux de pouvoirs, Toulouse 2000, S. 89–93, S. 382 Anm. 55–57. Vgl. dazu Johannes VINCKE: Der Eheprozess Peters II. von Aragón (1206–1213), mit Veröffentlichung der Prozessakten, in: SFGG GAKGS 5 (1935) S. 108–189.

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an die Katalanen – weigerte sich doch Innozenz III. die Kinder Wilhelms VIII. von Montpelliers aus seiner Beziehung zu Agnes von Kastilien als legitim anzuerkennen25. In der angrenzenden Grafschaft Melgueil dagegen hatte das Papsttum schon seit Ende des 11. Jahrhunderts seine Stellung stark ausbauen können, seit Graf Peter von Melgueil 1085 seine Grafschaft dem Heiligen Petrus übertragen hatte26. Gleichzeitig wurde der Bischofssitz von Maguelonne exemt und der Bischof sollte gegen Ende unseres Berichtszeitraums 1215 von Papst Innozenz III. sogar die Grafschaft Melgueil zu Lehen erhalten27. Die nahe gelegene Abtei Saint-Gilles blieb trotz aller Versuche einer Eingliederung in die Kongregation von Cluny schließlich ebenso exemt28 und wurde zu einer Stütze des Reformpapsttums und festen Station der Päpste auf ihren Reisen nach Frankreich29. Die starke Zergliederung des Raumes in den anderthalb Jahrhunderten, von 1055, der ersten Absetzung Erzbischof Guifreds von Narbonne, bis 1209, dem Beginn des Albigenserkreuzzugs, bedingte zudem, dass man nicht von einer einheitlichen Politik sprechen kann und dass die Motive, die zu einer Kontaktaufnahme mit dem Papsttum führten, vielfältiger Natur waren. Ein Motiv, wenn auch mit wechselndem Schwerpunkt zieht sich allerdings wie ein roter Faden durch die Beziehungen zwischen der Narbonnensis und dem Papsttum, der Vorwurf der Häresie, womit im 11. Jahrhundert noch die Simonie30, im 12. Jahrhundert dann die Lehre der Katharer gemeint war.

25 Vgl. dazu die Dekretale Innozenz’ III. Per Venerabilem, in der er sich nicht für die Legitimierung der Kinder des Herrn von Montpellier für zuständig erklärte, weil dieser noch einen weltlichen Herrn über sich habe, womit der französische König gemeint war. Durch diese Entscheidung fiel die Herrschaft an Maria von Montpellier, Wilhelms VIII. einziger Tochter aus seiner Ehe mit Eudoxia von Byzanz. 26 Johannes FRIED: Der päpstliche Schutz für Laienfürsten. Die politische Geschichte des päpstlichen Schuzprivilegs für Laien (11.–13. Jh.), Heidelberg 1980 (AAH, phil.-hist. Kl., Jg. 1980, 1), S. 72–74; Alfons BECKER: Papst Urban II. (1088–1099), 2 Bde., Stuttgart 1964– 1988 (MGH Schr. 19), Bd. 2, S. 206–209. 27 Am 14. April 1215, MIGNE PL 217, Sp. 249, Nr. 209. Vgl. Daniel LE BLEVEC/Thomas GARNIER: L‘évêché de Maguelone au Moyen Age: actes de la journée d’études du 13 décembre 2001, Montpellier 2005 (Monspeliensia medievalia 2). 28 Ulrich WINZER: S. Gilles. Studien zum Rechtsstatus und Beziehungsnetz einer Abtei im Spiegel ihrer Memorialüberlieferung, München 1988 (Münstersche MittelalterSchriften 59), S. 52–96. 29 Ursula VONES-LIEBENSTEIN: L’abbaye de Saint-Gilles et les comtes de Toulouse. L’impact des voyages pontificaux en France, in: BARBICHE/GROSSE (wie Anm. 16) S. 97–116. 30 Audientes excommunicationem sanctae Ecclesiae Romanae, a domino Nicolao papa secundum auctoritatem canonicam nostras ad partes destinatam, simoniacam heresim terribiliter ferientem, HGL V, Sp. 519f., hier 519, Nr. 263. Bei der Übertragung der Abtei Saint-André de Sorrèze an Abt Durandus von Saint-Victor in Marseille durch Bischof Frotard von Nîmes und seinen Neffen, Vizegraf Raimund von Nîmes und Albi.

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Quellensituation und Quellengrundlage Auf Grund der politischen Verhältnisse war die Narbonnensis bis hin zum Albigenserkreuzzug oft in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt. Ein Übriges geschah während des Hundertjährigen Krieges, als Söldnerbanden das Languedoc ebenso wie die anderen französischen Provinzen verwüsteten31, während der Religionskriege, die Frankreich in der Reformationszeit erschütterten32 und natürlich in der Französischen Revolution, wo viele Dokumente verlorengingen. Was die Papsturkunden betrifft, so ist auch hier nur eine Auswahl auf uns gekommen, häufig in Form von Chartularüberlieferung33. Bis dato verfügen wir über die Edition der Chartulare der Kathedralkapitel von Agde34, Béziers35, Lodève36, Maguelonne37 und Nîmes (bis 1156)38, der Benediktinerabteien von Aniane und Saint-Sauveur de Gellone39, von Saint-Gilles40, Lézat41, La Gras-

31 Heinrich Seuse DENIFLE: La désolation des églises, monastères, hôpitaux en France vers le milieu du XVe siècle, 2 Bde., Paris 1897–1899, Bd. 2, 1, S. 437, für die Zeit von 1363–1366, HGL IX, S. 753–779. 32 Vgl. Pierre-Jean SOURIAC: Une société dans la guerre civile. Le Midi toulousain au temps des troubles de Religion, 1562–1596 (Diss. masch.) Université de Paris IVSorbonne 2003, 3 Bde. 33 Vgl. dazu jetzt Les Cartulaires méridionaux. Actes du colloque organisé à Béziers les 20 et 21 septembre 2002 par le Centre historique de recherches et d’études médiévales sur la Méditerranée occidentale, hg. v. Daniel LE BLEVEC, Paris 2006 (Etudes et rencontres 19). 34 Cartulaire de l’Église d’Agde: cartulaire du chapitre, hg. v. Julien ROUQUETTE, Montpellier 1923; Le cartulaire de chapitre cathédral Saint-Etienne d’Agde hg. v. Raymonde FOREVILLE, Paris 1995 (Documents, Études et Répertoires 47, hg. v. IMRT). 35 Cartulaire de Béziers (Livre noir) (816–1209), hg. v. Julien ROUQUETTE, Paris 1918– 1922. Erschienen ist nur der erste Band, die Urkunden des zweiten Bandes finden sich in der Revue historique du diocèse de Montpellier 5 (1913–1914) S. 175–179, S. 213–219, S. 510–518; 6 (1914–1919) S. 30–37, S. 174–189, S. 290–322, S. 390–430. 36 Livre vert: Cartulaire de l’Eglise de Lodève, hg. v. Julien ROUQUETTE, Montpellier 1923. 37 Bullaire de l'Église de Maguelone: 1030–1216, hg. v. Julien ROUQUETTE/Augustin VILLEMAGNE, 2 Bde., Montpellier 1911–1914; Cartulaire de Maguelone, hg. v. DIES., 2 Bde., Montpellier 1912–1924; vgl. auch Paul MARCHEGAY: Cartulaires français en Angleterre, in: BEC 16 (1855) S. 97–138. 38 Cartulaire du chapitre de l'église cathédrale Notre-Dame de Nîmes (834–1156), hg. v. Eugène GERMER-DURAND, Nîmes 1874; Alain VENTURINI: Les cartulaires des anciens évêchés d'Uzès et de Nîmes, in: LE BLEVEC (wie Anm. 33) S. 21–31. Pierre CHASTANG: Lire, écrire, transcrire. Le travail des rédacteurs de cartulaires en BasLanguedoc (XIe–XIIIe siècles), Paris 2001 (CTHS - Histoire 2). 39 Cartulaires des abbayes d’Aniane et de Gellone publiés d’après les manuscrits originaux, publ. par Léon CASSAN/Edouard MEYNIAL, Montpelliers 1898–1900. 40 Bullaire de l’abbaye de Saint-Gilles, hg. v. Étienne GOIFFON, Nîmes 1882.

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se42, des Chorherrenstifts von Saint-Sernin de Toulouse43 und der Johanniterkommende von Saint-Gilles44, während die Chartulare der Kathedralkapitel von Toulouse, Elne, Uzès und Narbonne, der Benediktinerabteien von Arlessur-Tech, Saint-Pons-de-Thomières, Saint-Pierre de Psalmodi, Saint-Michel de Cuxà, Saint-Pierre de Moissac und der Chorherrenstifte Saint-Paul de Narbonne, Notre-Dame de la Quarante und Notre-Dame de Cassan entweder verschollen sind oder auf eine Edition warten45. Es ist schwierig, anhand dieser Quellenlage den Anteil der Empfängerüberlieferung zu bestimmen, zumal die Bearbeitung der Gallia pontificia für die Kirchenprovinz Narbonne noch nicht soweit fortgeschritten ist, dass schon endgültig abgeklärte Regesten vorliegen würden. Was die zeitliche Streuung der Papsturkunden betrifft, so fallen die weitaus meisten Urkunden in die Pontifikate Alexanders III. und Innozenz III. Als nächster folgt, wenn auch mit gebührendem Abstand Hadrian IV., dessen Tätigkeit als Sanrufianer Prior von Melgueil ihn schon früh mit den Verhältnissen im Languedoc vertraut gemacht hatte46. Es folgen Urban II., Paschalis II. und Innozenz II., die jeweils auf ihren Reisen oder im Exil die Narbonnensis berührten, ebenso wie Gelasius II., der allerdings nicht so viele Urkunden ausstellte. Relativ häufig für Empfänger in der Narbonnensis urkundeten auch Kalixt II., Eugen III., Lucius III. und Coelestin III., während von Gregor VII, Honorius II., Anastasius IV. und Urban III. nur wenige Urkunden vorliegen

41 Cartulaire de l'abbaye de Lézat, hg. v. Paul OURLIAC/Anne-Marie MAGNOU, 2 Bde., Paris 1984–1987 (Collection de documents inédits sur l'histoire de France. Section d'histoire médiévale et de philologie 17, 18). 42 Recueil des chartes de l'abbaye de La Grasse (779–1119), hg. v. Elisabeth MAGNOUNORTIER/Anne-Marie MAGNOU, Paris 1996 (Collection de documents inédits sur l'Histoire de France. Section d'histoire médiévale et de philologie 24); Recueil des chartes de l'abbaye de La Grasse (1117–1279), hg. v. Claudine PAILHES, Paris 2000 (Collection de documents inédits sur l'histoire de France. Section d'histoire médiévale et de philologie 26). 43 Cartulaire de l'abbaye de Saint-Sernin de Toulouse: 844–1200, hg. v. Célestin DOUAIS, Paris/Toulouse 1887; Cartulaire de Saint-Sernin de Toulouse, hg. v. Pierre GERARD/Thérèse GERARD, Toulouse 1999. 44 Cartulaire du Prieuré de Saint-Gilles de l'Hôpital de Saint-Jean de Jérusalem, 1129– 1210, hg. v. Daniel LE BLEVEC/Alain VENTURINI, Turnhout/Paris 1997 (Documents, Etudes et Répertoires 68, hg. v. IMRT, publiés par l’Institut de recherche et d'histoire des textes 68). 45 Einen Überblick über die Edition aller französischen Chartulare und dazugehörige Studien bietet jetzt das Répertoire des cartulaires médiévaux et modernes, URL: . 46 Vgl. dazu Ursula VONES-LIEBENSTEIN: Saint-Ruf und Spanien. Studien zur Verbreitung und zum Wirken der Regularkanoniker von Saint-Ruf in Avignon auf der Iberischen Halbinsel (11. und 12. Jahrhundert), 2 Bde., Paris/Turnhout 1996 (Bibliotheca Victorina 6), S. 246f.

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und Privilegien Lucius II. ganz fehlen. Von den Gegenpäpsten sind gar nur zwei Urkunden zugunsten weltlicher Fürsten überliefert.

1. Die Häresie der Simonie – die Reaktion des Papsttums 1056 fand iussu domini papae Victoris und sancti Petri auctoritate47 an den Iden des September die erste Legatensynode in der Narbonnensis statt, zu deren Leitung der Papst die Erzbischöfe Raimbald von Arles und Pontius von Aix bestimmt hatte48 und bei der es vor allem um die Durchsetzung der Grundziele der Kirchenreform ging: den Ausschluss laikalen Einflusses, das Zölibat der Kleriker, die Stärkung bischöflicher Rechte und vor allem die Ausrottung der simoniacam haeresim49 in jeglicher Form. Elisabeth Magnou-Nortier betont zu Recht, dass jetzt die Exkommunikation als geistliche Strafe für alle angeführten Verfehlungen angedroht wurde und erstmals davon die Rede war, dass man dem römischen Papst und dem Apostelfürsten Petrus Gehorsam schulde50. Die hier angeschnittenen Probleme sollten die Legaten und die von ihnen einberufenen Synoden bis Ende des 12. Jahrhunderts immer wieder beschäftigen. Das plötzliche Eingreifen des Papsttums in der Narbonnensis, nachdem in den Jahrhunderten zuvor nur selten Kontakte bezeugt sind51, stand sicher im Zusammenhang mit der Klage des Vizegrafen Berengar von Narbonne gegen Erzbischof Wifred52. Ohne hier auf die Klage selbst oder deren Datierung ein47 MANSI 19, Sp. 847–853, hier Sp. 847; Theodor SCHIEFFER: Die päpstlichen Legaten in Frankreich: vom Vertrage von Meersen (870) bis zum Schisma von 1130, Berlin 1935 (Historische Studien 263), S. 58f. 48 Vgl. Elisabeth MAGNOU-NORTIER: La société laïque et l’Église dans la province ecclésiastique de Narbonne (zone cispyrénéenne) de la fin du VIIIe à la fin du XIe siècle, Toulouse 1974 (Publications de l’Université de Toulouse-Le Mirail, série A, 20), S. 461f. 49 MANSI 19, Sp. 847. 50 MANSI 19, Sp. 849, im Kanon XII über jene, die Ehebruch oder Inzest begehen, bzw. einen Meineid leisten: monemus per domini obedientiam, & Petri apostolorum principis, & domini Victoris, & nostram. 51 Augustin FLICHE: Premiers résultats d’une enquête sur la réforme grégorienne dans les diocèses français, in: Comptes-rendus de l’Académie des inscriptions et belles-lettres 88 (1944) S. 162–180, hier S. 169, spricht von „rapports espacés et lointains“. 52 MANSI 19, Sp. 850–853. Vgl. die Übersetzung des Textes und den Kommentar in: Documents de l’Histoire du Languedoc, hg. v. Philipp WOLFF, Toulouse 1969, S. 86– 94. MAGNOU-NORTIER (wie Anm. 48) S. 463–468, glaubt, die Klage wäre zuerst vor dem Konzil von Arles 1059 vorgebracht und dann erst dem Papst selbst vorgetragen worden. Dem widerspricht jedoch ein Satz dieser Klage, in dem Berengar betont, Wifred sei von Papst Viktor II. auf einer Synode von 120 Bischöfen als Simonist exkommuniziert worden. Da Papst Viktor II. bereits am 28. Juli 1057 starb, kann es sich nur um das Konzil von Florenz von 1056 handeln, vgl. bereits in diesem Sinne Etienne BALUZE, in: MANSI 19, Sp. 854. Die Datierung der Quaerimonia Berengars weist viele

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gehen zu wollen, sei nur angemerkt, dass der Vizegraf, der von Erzbischof Wifred nach langem Streit exkommuniziert und dessen Ländereien mit dem Interdikt belegt worden waren, sich zunächst an ein Provinzialkonzil in Arles, der Nachbarprovinz der Narbonnensis gewandt hatte, wie dies bis zu diesem Zeitpunkt üblich war53. Erst als dieses Konzil nicht in seinem Sinne urteilte, appellierte er an den Papst und erklärte sich sogar bereit, seine Sache in Rom selbst zu vertreten54. Man kann also feststellen, dass die Initiative hier in Form eines Appells an das Papsttum von der Peripherie ausging, wobei der Vizegraf kaum absehen konnte, welche Folgen dieser Schritt auch für seine eigene Familie haben sollte55.

1.1 Legatensynoden Während auf den vorher stattfindenden Provinzialkonzilien unter Leitung des Erzbischofs von Narbonne, wie z. B. dem Konzil von Narbonne 1054, auf dem 9 Bischöfe persönlich anwesend waren und die Bischöfe von Urgell und Uzès Vertreter entsandt hatten56, vor allem Fragen des Gottesfriedens und der Ausschaltung laikalen Einflusses auf das Kirchengut im Mittelpunkt standen57,

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Probleme auf, da hier auch die Translation der Reliquien der Heiligen Justus und Pastor aus Spanien nach Narbonne erwähnt wird, die erst 1058 stattfand, vgl. dazu die Chronik von Saint-Paul de Narbonne, HGL V, Sp. 38, Nr. 9; Hartmut HOFFMANN: Gottesfriede und Treuga Dei, Stuttgart 1964 (Schriften der MGH 20), S. 98; Odilo ENGELS: Bischofsherrschaft und Adel in Südfrankreich und Katalonien während des Hochmittelalters, in: Die früh- und hochmittelalterliche Bischofserhebung im europäischen Vergleich, hg. v. Franz-Reiner ERKENS, Köln u.a. 1998, S. 259–285, hier bes. S. 281–284; Anke KRÜGER: Südfranzösische Lokalheilige zwischen Kirche, Dynastie und Stadt vom 5. bis zum 16. Jahrhundert, Stuttgart 2002, S. 243f. Zur Quaerimonia und ihren Folgen vgl. auch DÉBAX: Féodalité (wie Anm. 21) S. 50f., mit weiteren Literaturangaben dazu in Anm. 181. Siehe MAGNOU-NORTIER (wie Anm. 48) S. 466. Ad ultimum vero exclamvi sanctum Petrum et judicium domni apostolici, ut irem coram eo, et in ejus manu ei affirmarem directum, MANSI 19, Sp. 853. Nach dem Tode Erzbischof Wifreds wurde Bischof Peter von Rodez aus der Familie der Vizegrafen von Narbonne zu dessen Nachfolger bestimmt, eine Wahl, die jedoch vom Papst als simonistisch nicht anerkannt wurde, siehe dazu unten Anm. 66. MANSI 19, Sp. 827–832: anwesend waren die Bischöfe Berhard von Béziers, Gunther von Agde, Rostagnus von Lodève, Arnald von Maguelonne, Frotard von Nîmes, Wifred von Carcassonne, Berengar von Girona, Wifred von Barcelona und Wilhelm von Albi. Es fehlten die Bischöfe von Toulouse und Uzès. MAGNOU-NORTIER (wie Anm. 48) S. 459–461. So bestimmten die Kanones XIII und XIV, dass Laien weder Synodalabgaben, noch Primitien oder Oblationen behalten oder Kirchenlehen in irgendeiner Form mindern sollten (Sp. 830). In Kanon XVII wird ausdrücklich betont, dass die Güter, die für die Führung einer vita communis des Kathedralkapitels bestimmt sind: ut commune ibi viverent, nicht entfremdet werden dürfen (S. 830). Im selben Jahr fand auch unter Leitung der Erzbischöfe Wifreds von Narbonne und Raimbald von Arles in Barcelona eine

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wurden diese Themen zwar auch auf den folgenden Legatensynoden behandelt, im Wesentlichen ging es jetzt jedoch um Fragen der Kirchenreform, wie Simonie, Priesterehe oder Verbesserung der Seelsorge58. Neben der Behandlung von Streitigkeiten zwischen einzelnen Klöstern bestand eine der Aufgaben dieser Synoden in der Bekanntgabe der Beschlüsse päpstlicher Konzilien59. Der Schwerpunkt der Legatentätigkeit fiel in die Zeit vor 1119, in der elf Synoden abgehalten wurden.

1.2 Bischofsabsetzungen Eine der Maßnahmen, die vom Papsttum oder von Legaten in seinem Auftrag ergriffen wurden, um Simonie und laikalen Einfluss auf Bischofsbesetzungen auszuschalten, war die Absetzung von Bischöfen, ein gerade in der Frühzeit oft verwandtes Instrumentarium, nachdem Gregor VII. im Dictatus papae verfügt hatte, dass dieses Recht einzig dem Papst zustehe60. Dass dies im Rahmen von Synoden geschah, zeigt das Beispiel Erzbischof Wifreds von Narbonne, der nach den Klagen Vizegraf Berengars nicht nur von der Synode von Florenz sondern auch von zwei Fastensynoden in Rom für abgesetzt erklärt wurde61. Zwar fungierte er bis zu seinem Tode 1079 weiterhin als Erzbischof von Narbonne und konnte 1077 sogar den Zusammentritt einer Legatensynode in Girona verhindern62, aber Gregor VII. versuchte alles, um seine Absetzungssentenz durchzusetzen. So exkommunizierte er Bischöfe, die weiterhin Kontakt mit dem Narbonnenser Kirchenfürsten unterhielten, wie Berengar von

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weitere Synode statt, die die Entfremdung von Kirchengut in diesem Bistum betraf, MANSI 19, Sp. 832–834. FLICHE (wie Anm. 51) S. 164, spricht von einer „réforme morale“, mit dem Ziel jeglichen Einfluss der Laienfürsten auf die Besetzung der Stellen geistlicher Amtsträger auszuschalten. Dies betont ausdrücklich der Kardinallegat Richard von Albano, als er sich in einem Schreiben an Bischof Amelius von Toulouse auf das dort abgehaltene Konzil bezieht, quod ibidem cęlebravimus, instituta domini pape quę in Trecensi concilio de decimis, et oblationibus et possessionibus ęclesiarum pertractaverat, nos e x p r e c e p t o e i u s recensuimus; DOUAIS (wie Anm. 43) S. 196–198, Nr. 282, hier S. 197. Kenneth PENNINGTON: Pope and Bishops. The Papal Monarchy in the Twelfth and Thirteenth Centuries, Philadelphia (Pen.) 1984, S. 77, mit der Angabe von Quellen und Literatur; SCHIEFFER (wie Anm. 47) S. 238f., zur Bedeutung des dictatus papae für die Ausbildung des Legateninstituts. Auf der Fastensynode von 1079 Februar 11 heißt es: excommunicati sunt in eadem synodo sine spe recuperationis archiepiscopus Narbonensis …, Das Register Gregors VII., ed. Erich CASPAR, Berlin 1920/1923 (MGH Epp. sel. 2), VI/17a, S. 429. Die von Amatus von Oloron einberufenen Synode sollte schließlich in Besalú unter dem Schutz des dortigen Grafen zusammentreten, vgl. VONES-LIEBENSTEIN: SaintRuf (wie Anm. 46) S. 69–74, mit weiteren Literaturhinweisen; SCHIEFFER (wie Anm. 47) S. 110f.

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Agde (1068–1093)63, ließ aber gleichzeitig nichts unversucht, um Wifred ab ipso mortis aeternę limine revocare64. Der Nachfolger Wifreds, Bischof Peter von Rodez aus der Familie der Vizegrafen von Narbonne, konnte nicht auf Dauer Exkommunikation und Absetzung durch das Papsttum ignorieren65. Als sein Rückhalt in der eigenen Familie schwächer wurde, zog er sich in das Benediktinerkloster Moissac zurück66. Aus welchen Gründen Erzbischof Bertrand von Montredon (1097– 1106) vom Papst abgesetzt wurde, geht aus der Klageschrift seines Nachfolgers, Richard von Millau, gegen Vizegraf Aimerich II. von Narbonne nicht hervor67. Der Vorwurf der Simonie sollte dagegen im Zusammenhang mit der Absetzung der Bischöfe Rostagnus von Lodève (1054–1068), Bertrand von Maguelonne (1061–1080) und Frotard II. von Nîmes (1027–1077) angeführt werden68. Erfolgreich gegen einen solchen Vorwurf konnte sich nur Artald II. von Elne (1087–1096) zur Wehr setzen. Nachdem sich Erzbischof Dalmatius von Narbonne geweigert hatte, diesen Bischof aus der Familie der Vizegrafen von Castellnou zu weihen, begab sich dieser 1088 nach Rom, um sich von dem Vorwurf der Simonie vor Urban II. zu reinigen. Angesichts des fortgesetzten Widerstands von Dalmatius beauftragte Urban II. schließlich den Kar63 Berengar von Agde war 1076 exkommuniziert worden, weil er Beziehungen zu Wifred von Narbonne unterhielt und 1077 von der Exkommunikation gelöst worden. Wahrscheinlich wollte er seine Romtreue unter Beweis stellen, indem er an der Synode in Besalú teilnahm, vgl. Register Gregors VII., ed. CASPAR (wie Anm. 61) III/10a, S. 269: Agathensem episcopum Berengarium, quia Nerbonensi episcopo excommunicato communicavit et vices episcopales pro illo fecit, excommunicamus. Vgl. auch André CASTALDO: L’Église d’Agde (Xe–XIIIe siècle), Paris 1970 (Travaux et Recherches de la Faculté de Droit et des Sciences économiques de Paris. Série Siences historiques 20), S. 38 Anm. 3. 64 Aus dem Schreiben des Papstes an Bischof Berengar von Girona von 1079 Jan. 2, Register Gregors VII., ed. CASPAR (wie Anm. 61)VI/16, S. 421–423, hier S. 422. 65 So wurde er erstmals auf der römischen Fastensynode von 1080 März 7 exkommuniziert, Register Gregors VII., ed. CASPAR (wie Anm. 61) VII/14a, S. 481: sententiam depositionis et excommunicationis … datam in … Petrum olim Rotonensem episcopum nunc autem Narbonensis ecclesię invasorem. Und wiederum auf einer weiteren Fastensynode im Februar 1081 verurteilt, Register Gregors VII., ed. CASPAR (wie Anm. 61) VIII/20a, S. 544: in qua inter cętera sententiam depositionis archiepiscoporum Arelatensis et Narbonensis atque excommunicationis per legatos apostolicę sedis promulgatam dominus papa his qui aderant collaudantibus firmavit. 66 Vgl. CAILLE: Vicomtes (wie Anm. 22) S. 57f.; Jean DUFOUR: Les Évêques d’Albi, de Cahors et de Rodez. Des origines à la fin du XIIe siècle, Paris 1989 (Mémoires et documents d’histoire médiévale et de philologie 3), S. 82–84. 67 HGL V, Sp. 860–865, Nr. 461, hier Sp. 860: Romane sede juditio depositus est. Eine Übersetzung der Klage von 1119 ins Französische findet sich bei MAGNOU-NORTIER (wie Anm. 48) S. 639–644. 68 Siehe die Gründe bei FLICHE (wie Anm. 51) S. 166f. Auch für die Absetzung des Bischofs von Lodève, Deodatus von Caylus (1100–1102), wird als Begründung Simonie angeführt, vgl. Ernest MARTIN: Histoire de la ville de Lodève depuis ses origines jusqu’à la révolution, 2 Bde., Paris 1900, Bd. 2, S. 332.

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dinallegaten Rainer von San Clemente mit einer Untersuchung des Falles, die offensichtlich zugunsten des Bischofs von Elne ausfiel, der seit 1091 im Vollbesitz seiner Würde erscheint69. Erst gegen Ende unserer Zeitspanne sollte der Vorwurf der Simonie im Zusammenhang mit Bischofsabsetzungen wieder auftauchen, dann aber vom Kampf gegen die Häresie der Katharer überschattet werden.

1.3 Mitsprache des Papsttums Schon kurz nach dem Tod Erzbischof Wifreds und der Inbesitznahme des Bischofsstuhls von Narbonne durch Bischof Peter von Rodez muss Gregor VII. erkannt haben, dass es nur einen Weg gab, seine eigenen Kandidaten in Narbonne durchzusetzen: er musste bei der Ernennung ein Mitspracherecht haben. So wurde Abt Dalmatius von La Grasse zum Erzbischof von Narbonne bestimmt, selbst wenn er fünf Jahre brauchen sollte, bis er von seinem Stuhl Besitz ergreifen konnte. Sein Nachfolger Bertrand von Montredon, der 1096 von Urban II. selbst zum Bischof von Nîmes geweiht worden war, wurde a Romano papa cleroque ac populo, comprovintialibus quoque episcopis … ad archiepiscopatum Narbonensem translatus70, und nach seiner Absetzung wurde Abt Richard von Saint-Victor in Marseille wiederum : in ejusdem aecclesie regimen a domno apostolico illius temporis Paschali II° communi totius cleri & populi consilio ac petitione promotus71. Die Wahl des Abtes von La Grasse, Berengar von Narbonne, zum Erzbischof dieser Stadt sollte sogar vorab Hadrian IV. ad examen apostolice sedis vorgelegt werden, bevor er inthronisiert wurde72. In einem anderen Bischofssitz der Narbonnensis, Maguelonne, das seit der Übertragung der Grafschaft Melgueil an den Heiligen Stuhl 1085 – allerdings vorbehaltlich der Rechte des Narbonnenser Metropoliten73 – exemt war, untersagte Urban II. künftig jeden Einfluss weltlicher Machtträger auf die Bi-

69 MIGNE PL 151, Sp. 314, Nr. 29; Pierre PONSICH: Els Bisbes d’Elna anteriors al 1300, in: El Rosselló, Barcelona 1993 (Catalunya Romànica 14), S. 57. 70 HGL V, Sp. 860, Nr. 461. 71 Ebd.; MAGNOU-NORTIER (wie Anm. 48) S. 556, kommentiert dies folgendermaßen: „A l’antique coutume de l’éléction épiscopale cum clero et populo, le parti grégorien a réussi à substituer un droit nouveau: l’élection, pourrait-on dire, cum papa romano, et clero et populo“. 72 JL 10182; Wilhelm WIEDERHOLD: Papsturkunden in Frankreich. Reiseberichte zur Gallia Pontificia: Gascogne. Guienne und Languedoc, in: NGG Beih., Göttingen 1913. (ND in: Papsturkunden in Frankreich, mit einem Register von Louis DUVALARNOULD, 2 Bde., Rom 1985 [Acta Romanorum Pontificum 7–8]), Bd. 2, S. 711– 911, hier S. 91f. (801f.), Nr. 44. 73 So findet sich im Privileg Urbans II. für Bischof Gottfried von Maguelonne von 1088 Dez. 14 diese Formel: salva Narbonensis metropolitani auctoritate ac reverentia, MIGNE PL 151, Sp. 293f., hier 294 [= JL 5375].

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schofswahl74. Zumindest zeitweise vermochte er diese Linie durchzusetzen: die nachfolgenden Bischöfe bis Jean de Montlaur (1160–1190) wurden vom Kathedralkapitel gewählt75. Im Bistum Nîmes wurde Aldebert von Posquières, der sich beim Tode seines Vorgängers 1141 gerade in Rom befand, sogleich von Innozenz II. zum neuen Bischof geweiht76, im Bistum Lodève setzte Alexander III. ohne Mitwirkung des Domkapitels den Abt von Aniane, Gaucelin Raimund von Montpeyrous, zum Bischof ein77.

1.4 Wahl und Einsetzung romtreuer Bischöfe Zumindest für die Zeit Urbans II. kann man feststellen, dass wie in Maguelonne die Bischöfe Gottfried (1080–1104) – der die vita communis im Domstift einführte78 - und Walter (1104–1121) – der die Consuetudines von Saint-Ruf übernahm79 - auch in den anderen Diözesen der Narbonnensis reformeifrige Bischöfe an die Macht kamen, die nicht aus dem Hochadel genommen wurden – zu dem nach der Definition von Claudie Amado die Grafen, Vizegrafen und jene Adligen zählten, die über mehrere Burggrafschaften und Einnahmen aus öffentlichen Rechten, wie Zöllen, Bergwerken oder Marktabgaben, verfügten80 - sondern aus Familien, die mit diesem eng verbündet waren. So seien in Béziers Matfred III. von Cazouls (1077–1096)81, der sein Kapitel regulierte82, von Graf Raimund von Saint-Gilles den Verzicht auf dessen Spolienrechte

74 Ebd., Sp. 294: Quia vero saepius contingere solet, ut, invito clero et populo, saeculares potestates nequiter nituntur inthronizare personas, decernimus atque censemus ut te qui episcopus es, vel tuorum quolibet obeunte, institutione pontificis nullum sibi honorum, nullum fas potestas quaelibet arroget saecularis, sedis secundum canonum statuta constituatur, quem clerus et populus gratis communi consilio et sine pravitate elegerit; Vgl. dazu BECKER (wie Anm. 26) Bd. 1, S. 208f. 75 FLICHE (wie Anm. 51) S. 176. 76 HGL IV/1, S. 277; WINZER (wie Anm. 28) S. 313–316. 77 HGL IV/ 1, S. 289, 1162 Jan. 3 in Tours. 78 Gottfried von Maguelonne war von Erzbischof Dalmatius von Narbonne geweiht worden, GCN VI, Sp. 72. Seine enge Beziehung gerade zu Urban II. zeigt auch die Tatsache, dass er ihn auf seiner Reise in Frankreich nach der Teilnahme am Konzil von Clermont noch weiter bis Limoges begleitete und im Limousin die Weihe der Kirche des Augustinerchorherrenstiftes Aureil, das Saint-Ruf nahestand, vollzog, vgl. die Weiheurkunde in: Cartulaires des prieurés d’Aureil et de l’Artige en Limousin, hg. v. Gaston DE SENNEVILLE, in: B.S.A.H. Limousin 48 (1900) S. 1–500, hier S. 33, Nr. 53. 79 Vgl. seine Schreiben zur Verteidigung des ordo antiquus bei Charles DEREINE: SaintRuf et ses coutumes aux XIe et XIIe siècles, in: RB 59 (1949) S. 161–182, hier S. 170– 174; WINZER (wie Anm. 28) S. 306–308, zum Nekrologeintrag in Saint-Gilles. 80 AMADO: Vicomtes (wie Anm. 21) S. 28. 81 Vgl. zu seiner Herkunft und seiner Beziehung zu den Vizegrafen von Narbonne AMADO: Vicomtes (wie Anm. 21) S. 28f. 82 GCN VI, Instr., Sp. 132; ROUQUETTE: Béziers (wie Anm. 35) S. 121–124, hier S. 123, Nr. 92: clericis Sancti Nazarii in communia. Vgl. Henri VIDAL: Episcopatus et pou-

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erwirkte83 und eifrig die Restitution von Zehnten und entfremdetem Kirchengut betrieb, und Arnald von Lévezon (1096–1121)84 angeführt, der nachmalige Erzbischof von Narbonne, in Carcassonne Peter II. (1083–1101)85, der die vita communis in seinem Domstift einführte86 und dafür eine Bestätigungsurkunde Urbans II. erhielt87, in Agde die Bischöfe Berengar (1068–1093) und Bernhard Deodat (1096–1122)88, in Nîmes die Bischöfe Peter Ermengold (1080/1084 – n. 1090), der ebenfalls die regulierte Lebensform in seinem Kapitel einführte89, Bertrand von Montredon (1095–1097), der von Urban II. selbst geweiht wurde90 und Raimund I. Wilhelm (1097–1112) aus der Familie der Viguiers von Montpellier, der von Urban II. zusammen mit anderen zum Schiedsrichter im Streit zwischen Saint-Victor und Psalmodi bestimmt wurde91 und den Regularkanonikern von Saint-Ruf eine Kirche übertrug92, in Toulouse Isarn von Lavaur (1071–1105), der die Kathedrale Saint-Étienne neu erbaute und dort und in Saint-Sernin die regulierte Lebensweise einführte93, in Lodève Bernard III. von Prévenchères (1077–1099), der auf dem ersten Kreuzzug starb94 und in

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voir épiscopal à Béziers à la veille de la Croisade Albigeoise (1152–1209), Montpellier 1951, S. 23–25, zur Reform des Domstifts. HGL V, Sp. 685–687, Nr. 359. Er wurde von Erzbischof Dalmatius von Narbonne geweiht, GCN VI, Sp. 72. Vgl. zu ihm den Kommentar zum Nekrologeintrag bei Axel MÜSSIGBROD: Das Necrolog von Saint Pons de Thomières, in: Vinculum Societatis. Joachim Wollasch zum 60. Geburtstag, hg. v. Franz NEISKE/Dietrich POECK/Mechthild SANDMANN, Sigmaringendorf 1991, S. 83–117, hier S. 107. Ein Zeichen dafür ist, dass diesem Kapitel von da an ein Prior vorstand, wie auch aus einer Schenkung von 1089 Febr. 6 zugunsten von Conques hervorgeht, HGL V, Sp. 709f., Nr. 373. JL 5565; Jean BECQUET: L’évolution des chapitres cathédraux: régularisations et sécularisations, in: Le Monde des chanoines (XIe–XIVe s.), Toulouse 1989 (Cahiers de Fanjeaux 24), S. 19–39, hier S. 21. Da auch er von Bischof Dalmatius von Narbonne geweiht wurde (GCN VI, Sp. 72), ist sein Regierungsantritt zwei Jahre früher als üblich anzusetzen. Vgl. CASTALDO (wie Anm. 63) S. 10f., bezüglich seiner reichen Schenkungen zugunsten des Domkapitels. VONES-LIEBENSTEIN: Saint-Ruf (wie Anm. 46) S. 459f. Étienne GOIFFON: Catalogue analytique des évêques de Nîmes, Nîmes 1879 (ND Nîmes 2002), S. 23f.; WINZER (wie Anm. 28) S. 309f. WINZER (wie Anm. 28) S. 312f. VONES-LIEBENSTEIN: Saint-Ruf (wie Anm. 46) S. 458–461. Elisabeth MAGNOU: L’introduction de la Réforme grégorienne à Toulouse (fin XIe– début XIIe siècle), Toulouse 1958 (Cahiers de l’Association Marc Bloch de Toulouse 3); DIES.: Le chapitre de la cathédrale Saint-Étienne de Toulouse (fin XIe–début XIIe siècle), in: La Vita Comune del Clero nei secoli XI e XII, 2 Bde., Mailand 1962 (Atti della settimana di Studio, Mendola 1959. Miscellanea del Centro di Studi Medioevali 3), S. 110–114. MARTIN (wie Anm. 68) Bd. 2, S. 332; Marie-Hyacinthe LAURENT: Bernard de Prévenchères, in: DHGE 8 (1912) Sp. 677.

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Elne Ermengold (1097–1109), der die Einführung von Regularkanonikern in Sant Joan in Perpignan begünstigte95.

2. Die Ausrichtung der Narbonnensis auf Rom hin Zwei entscheidende Fakten trugen dazu bei, dass nun auch seitens der Peripherie der Wunsch auf eine möglichst enge Anbindung an Rom bestand. Zum einen die Neuordnung der Kirchenprovinz, die nach den Anstrengungen des Barceloneser Grafen, Berengar Raimunds II., zur Rückeroberung von Tarragona, dem ehemaligen Sitz des katalanischen Metropolitanverbandes in den 90er Jahren des 11. Jahrhunderts anstand96, zum anderen das Fehlen einer übergeordneten weltlichen Instanz aufgrund der herrschaftlichen Zersplitterung der Kirchenprovinz Narbonne. Die Übertragung der Grafschaft Melgueil an den Heiligen Petrus trug zudem dazu bei, dass das Papsttum hier einen Machtsstützpunkt erhielt. Interessanterweise tauchen von da an in der Narbonnensis auch Hinweise auf die Regierungszeit von Päpsten in den Datierungszeilen auf97 und in vereinzelte Nekrologe98 werden die Namen von Päpsten auf-

95 Pierre PONSICH: Els Bisbes d’Elna anteriors al 1300, in: El Rosselló, Barcelona 1993 (Catalunya Romànica 14), S. 57; André CONSTANT: Entre Elne et Gérone: Essor des chapitres et stratégies vicomtales (IXe–XIe siècle), in: DÉBAX: Vicomtes (wie Anm. 21) S. 169–187, hier S. 185f. 96 Lawrence J. MCCRANK: La restauración canónica e intento de reconquista de la sede Tarraconense, 1076–1108, in: CHE 56–57 (1977/79) S. 145–245. 97 HGL V, Sp. 633f., Nr. 327/I: sedis Romae pontificatum tenente domno Gregorio papa zu 1077; Sp. 634, Nr. 327/II; Sp., 644f. Nr. 334/II: Gregorio papa in Roma, cui subjacet universalis Ecclesia zu 1079; Sp. 885, Nr. 471/III: presidente in cathedra Romana Calisto papa zu 1120; Sp. 911–912, Nr. 484 zu 1123; Sp. 1082–1084, Nr. 564: in cathedra & apostolatu Romano residente honestissimo Eugenio zu Nov. 1145; Sp. 1090–1092, Nr. 568/II: zu Aug. 1147. 98 Die meisten Nekrologe der Narbonnensis sind immer noch nicht ediert. Einen ersten Überblick darüber bietet Jean-Loup LEMAITRE: Les Obituaires des chapitres cathédraux du Languedoc au Moyen Age, in: Le monde des chanoines (XIe–XIVe s.), Toulouse 1989 (Cahiers de Fanjeaux 24) S. 117–149. Für ausführliche Informationen ist DERS.: Répertoire des documents nécrologiques français, 2 Bde. und 2 Suppl. Bde., Paris 1980, 1987–1992 (Recueil des Historiens de la France: Obituaires 7), heranzuziehen.

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genommen99. Bischof Bremond von Béziers spricht 1129 sogar davon, mihi a Domino et beato Petro apostolo tradita est potestas100.

2.1 Die Abspaltung der Kirchenprovinz Tarragona Dabei war die Struktur der Kirchenprovinz Narbonne im ausgehenden 11. Jahrhundert grundlegend erschüttert worden: seit 1088 war Bischof Berengar Seniofred von Vic nicht nur bestrebt, die Würde eines Erzbischofs von Tarragona mit seinem Sitz zu vereinigen, sondern auch eine Loslösung der vier katalanischen Bistümer Barcelona, Vic, Girona und Urgell von der Metropole Narbonne zu erreichen. Einem päpstlichen Legaten, Rainer von San Clemente, dem späteren Paschalis II., blieb es dann vorbehalten, eine Lösung zu finden. Auf zwei Synoden, in Toulouse und Saint-Gilles, wurde beschlossen, Bischof Berengar im Sinne Urbans II. die Metropolitanstellung von Tarragona zu bestätigen101. Narbonne wurde nach dem Tod Erzbischof Dalmatius‘ durch die Übertragung der Primatialgewalt über die Narbonnensis Secunda entschädigt102.

2.2 Der Erzbischof von Narbonne als ständiger Legat Wie andere Metropoliten auch – man denke nur an Hugo von Die-Lyon oder Guido von Vienne – wurden die Erzbischöfe von Narbonne von Dalmatius (1080–1097) bis Berengar (1156–1162) – vom Papsttum als ständige Legaten vor Ort verwandt. Jedoch waren sie in Ausübung ihrer Legatengewalt seit den 30er Jahren des 12. Jahrhunderts auf ihre eigene Kirchenprovinz beschränkt. So fungierte Erzbischof Arnald von Lévezon, der noch von Honorius II. zum apostolischen Legaten ernannt worden war, als solcher sogar nur in seiner eigenen Bischofsstadt, als er 1134 ein Konzil nach Narbonne einberief, um der Piratenplage im Bistum Elne einen Riegel vorzuschieben103. Auf einem im 99 So die Nekrologe von Saint-Gilles, wo die Päpste von Gregor VII. bis Innozenz II., mit Ausnahme von Viktor III. und Honorius II. aufgeführt sind, sowie drei Päpste des 13. Jahrhunderts (1265–1276) – Clemens IV., Gregor X. und Innozenz V - und von Saint-Pons de Thomières, wo der Päpste von Alexander II. bis Gelasius II., mit Ausnahme von Viktor III. gedacht wird; WINZER (wie Anm. 28) S. 215–229; MÜSSIGBROD (wie Anm. 85) S. 96, 99, 100, 102, 105. 100 ROUQUETTE: Béziers (wie Anm. 35) S. 183, Nr. 136; vgl. VIDAL (wie Anm. 82) S. 16. 101 VONES: Kardinal Rainer (wie Anm. 16) S. 211–216. 102 Ebd., S. 216f.; JL 5688; vgl. auch Horst FUHRMANN: Studien zur Geschichte mittelalterlicher Patriarchate (III. Teil), in: ZRGKanAbt 41 (1955) S. 95–183, hier S. 95–99, der betont, dass Paschalis II. den Primat noch zweimal bestätigte, JL 5808 und 6157. 103 Wilhelm JANSEN: Die päpstlichen Legaten in Frankreich vom Schisma Anaklets II. bis zum Tode Coelestins III. (1130–1198), Köln/Graz 1961 (Kölner historische Abhandlungen 6), S. 157f., bezeichnet ihn deshalb als „Legaten zweiten Ranges“.

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gleichen Jahr in Montpellier stattfindenden Konzil erschien er nur als Beisitzer, die Einberufung nahmen die von Innozenz dazu abgeordneten Legaten Erzbischof Hugo von Rouen104 und Kardinaldiakon Guido vor105. Selbst Berengar von Narbonne, der von Hadrian IV. als Legat für die Provinzen Narbonne, Arles und Aix bezeichnet wurde, übte seine Legatengewalt nur einmal außerhalb seiner Kirchenprovinz aus106. Die Erzbischöfe nach ihm führten den Legatentitel nicht mehr. Ob die Tatsache, dass Walter von Maguelonne sich 1125 als Legat bezeichnete107, darauf hinweist, dass auch die Bischöfe von Maguelonne als Inhaber eines exemten Bischofssitzes diese Funktion ausüben sollten, muss einstweilen dahingestellt bleiben.

2.3 Das Papsttum von Ort 2.3.1 Reisen der Päpste: von Urban II. bis Alexander III. Eine Besonderheit der Kirchenprovinz von Narbonne ist es auch, dass die Päpste sie relativ häufig auf ihren Reisen besuchten. Abgesehen von der Reise Johannes VIII. ins Frankenreich108, handelte es sich um die Reisen der Päpste Urban II. (Aug. 1095 – Juli 1096)109, Paschalis II. (Jan. 1106 – Nov. 1107), Gelasius II. (Sept. 1118 – Jan. 1119), Kalixt II. (März 1119 – März 1120)110, Innozenz II. (Sept. 1130 – März 1132) und Alexander III. (1161–1165). Einer der Gründe dafür lag in praktischen Erwägungen. Sowohl die Abtei SaintGilles als auch das Bistum Maguelonne, die beide exemt waren und damit in einer besonderen Beziehung zum Papsttum standen, waren zu See von Italien aus leicht erreichbar. Dabei kam es nicht nur zur Abhaltung von Konzilien (Urban II. 1096 in Nîmes und Kalixt II. 1119 in Toulouse) sondern auch zu Kirchweihen (Urban II. weihte die Kathedrale von Valence (1095 Aug. 5), die Abteikirche von La Chaise-Dieu (1095 Aug. 18), einen Kreuzaltar in Moissac (1096, Anfang Mai), die Kathedrale Saint-Sernin in Toulouse (1096 Mai 24), die Insel von Ma104 Vgl. dazu Luchesius SPÄTLING: Die Legation des Erzbischofs Hugo von Rouen (1134/35), in: Antonianum 43 (1968) S. 195–216, hier S. 207–209. 105 JANSEN (wie Anm. 103) S. 32–34. 106 Ebd., S. 158. 107 SCHIEFFER (wie Anm. 4) S. 226. 108 Vgl. dazu Dorothee ARNOLD: Johannes VIII. Päpstliche Herrschaft in den karolingischen Teilreichen am Ende des 9. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. u.a. 2005 (Europäische Hochschulschriften 23/797), S. 109–115. 109 Alfons BECKER: Le voyage d’Urbain II en France, in: Le concile de Clermont de 1095 et l’appel à la croisade, Rom 1997 (Collection de l’École française de Rome 236), S. 127–140; DERS. (wie Anm. 26), Bd. 2, S. 435–457; René CROZET: Le voyage d’Urbain II et ses négotiations avec le clergé de France (1095–1096), in: Revue historique 179 (1937) S. 271–310. 110 WINZER (wie Anm. 28) S. 85–88.

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guelonne mit der Kathedrale und dem Klaustrum der Kanoniker (1096 Juni 29), die Kathedrale von Nîmes (1096 Juli 6) und den Hochaltar der Abtei Saint-Gilles (1096 Juli 15); Gelasius II. weihte die Kirche von Saint-Silvestre de Teillan im Bistum Nîmes (1118)111, Kalixt II. einen Altar in Saint-Sernin de Toulouse (1119 Juli 15). Aber nicht nur Kirchen wurden geweiht: Urban II. weihte bei seinem Aufenthalt in Nîmes Bertrand von Montredon, den nachmaligen Erzbischof von Narbonne, zum Bischof dieser Stadt und Alexander III. weihte kurz nach seiner Landung bei Montpellier nicht nur den frisch gewählten Erzbischof von Narbonne, Pontius von Arsac112, sondern auch den Hauptaltar der Kathedrale von Maguelonne. Natürlich wurden bei diesen Gelegenheiten auch Privilegien eingeholt, Besitzungen bestätigt, Streitsachen zwischen Klöstern geschlichtet oder an Geistliche vor Ort zur Entscheidung delegiert, einzelne Klöster an übergeordnete Kongregationen wie Cluny oder Saint-Victor in Marseille unterstellt oder aus deren Verband gelöst. All die Fragen, die sonst nur durch einen Aufenthalt der betroffenen Parteien an der Kurie geklärt werden konnten, wurden so vor Ort einer Lösung zugeführt. 2.3.2 Entsendung von Legaten Nach der intensiven Legatentätigkeit in der gregorianischen und nachgregorianischen Zeit berührten päpstliche Legaten im 12. Jahrhundert die Narbonnensis meist nur auf der Durchreise zu Legationen in Spanien. So vor allem Kardinal Hyazinth von S. Maria in Cosmedin, der Ende März 1154 auf der Hinreise nach Spanien in Narbonne einen Streit schlichtete113 und auf der Rückreise im Mai 1155 dort ein Konzil abhielt114 1172 berührte er dann auf der Hinreise Montpellier115, um 1174 auf der Rückreise in Narbonne Station zu machen116. Diese Situation sollte sich erst ändern, als die Ketzerbekämpfung seit 1178 zu einem immer dringlicheren Problem wurde. 2.3.3 Bestimmung von delegierten Richtern Was die Institution der delegierten Richter betrifft, so steckt deren Erforschung in der Narbonnensis noch in den Anfängen, so dass ein Gesamtüberblick nicht möglich ist. Allerdings bediente sich das Papsttum dieser Einrichtung 111 Ursula VONES-LIEBENSTEIN: Le faux privilège de Gélase II pour Psalmodi ou SaintSilvestre de Teillan, une église convoitée, in: L’acte pontifical et sa critique, hg. v. Rolf Grosse, Paris 2007 (Studien und Dokumente zur Gallia Pontificia 5), S. 87–109. 112 MIGNE PL 200, Nr. 73, Sp. 144; HGL IV/1, S. 250. 113 Vgl. Paul Fridolin KEHR: Papsturkunden in Spanien. Vorarbeiten zur Hispania pontificia: I Katalanien, Berlin 1926 (AAG, phil.-hist. Kl., NF 18, Nr. 2), S. 339, Nr. 66, ein Streit zwischen dem Regularstift N.-D. de la Quarante und dem Domkapitel. 114 JANSEN (wie Anm. 103) S. 59. 115 CASSAN/MEYNIAL (wie Anm. 39) S. 467, Nr. 545; GCN VI, Instr. 283, Nr. 19; JANSEN (wie Anm. 103) S. 89. 116 HGL VIII, S. 435, Nr. 90; GCN VI, Instr. 141.

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auch hier schon seit der gregorianischen Zeit, selbst wenn der Begriff als solcher nie auftaucht. So berichtet die Notitia definitionis, dass sich die Mönche von Psalmodi an Urban II. mit der Bitte gewandt hätten, sie von der gewaltsamen Unterwerfung unter die Kongregation von Saint-Victor in Marseilles zu befreien. Dieser habe daraufhin die Erzbischöfe von Narbonne und Aix und die Bischöfe von Nîmes und Maguelonne als Schiedsrichter eingesetzt, die zugunsten von Psalmodi entschieden117. Als weiteres Beispiel sei die Schlichtung eines Streites zwischen Psalmodi und Saint-Ruf um den Besitz der Kirche Saint-Silvestre de Teillan angeführt, mit der Papst Hadrian IV. 1155 Bischof Aldebert von Nîmes und den römischen Subdiakon Raimund de Arenis beauftragte118 und die er später bekräftigte119. 1196 bestätigte Cölestin III. einen Vertrag zwischen dem Kapitel von Maguelonne und den Templern von Montpellier, der vor dem Erzbischof von Arles ausgehandelt worden war a domno Celestino papa III delegato, wobei auch die Namen der Richter aufgeführt werden, die den Beistand bildeten120. Ab 1214 taucht dann in Privat- oder Legatenurkunden immer häufiger der Sammelbegriff legati vel delegati Apostolice sedis auf121.

2.4 Ad limina Besuche Eine weitere Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit dem Papsttum stellten die ad limina Besuche dar. Waren es in der Frühzeit noch hauptsächlich weltliche Würdenträger, die causa orationis nach Rom pilgerten122, so lagen im 12. Jahrhundert meist andere Gründe vor, wieso man eine so beschwerliche und meist mit erheblichen Kosten verbundene Reise auf sich nahm, wie die Einholung von Besitzbestätigungen und Schutzprivilegien, die schon seit dem 9. Jahrhundert von Klöstern der Narbonnensis zur Absicherung ihrer Rechte und Besit-

117 MAGNOU-NORTIER (wie Anm. 48) S. 492f.; GCN VI, Sp. 474, HGL IV, S. 507; WINZER (wie Anm. 28) S. 245 Anm. 4; Paul SCHMIDT: Die Entstehung des Marseiller Kirchenstaates, in: Archiv für Urkundenforschung 10 (1928) S. 176–207 (auch in: 11 (1930) S. 138–152), hier 10, S. 202. 118 VONES-LIEBENSTEIN: Faux Privilège (wie Anm. 111) App. Nr. 5, S. 108f. 119 Archives Départementales du Gard H 109; WIEDERHOLD (wie Anm. 72) Bd. 1, S. 284–172, S. 108f. (S. 354f.), Nr. 29. 120 WIEDERHOLD (wie Anm. 72) S. 198–201 (S. 908–911), Nr. 150. 121 HGL VIII, Sp. 644, Nr. 172, Sp. 649f., Nr. 174, Sp. 821, Nr. 245/III, Sp. 845, Nr. 257/ III, Sp. 885, Nr. 271 (Vertrag von Paris), Sp. 905, Nr. 280. 122 So machten zum Beispiel Vizegraf Matfred von Narbonne und seine Gattin Adalais 966 ihr Testament ad diem quo cupiunt pergere Romam, HGL V, Sp. 255–257, Nr. 115. Vgl. auch HGL V, Sp. 314–316, Nr. 149 zu 990 Febr. 28, Sp. 331–335, Nr. 156 zu 998, Sp. 476f., Nr. 238/II zu 1054: ad Romam causa orationis profectus, Sp. 620–622, Nr. 320 zu 1075: Romam oraturus peciit consilio & auctoritate domni pape.

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zungen in Rom eingeholt worden waren123. Im 12. Jahrhundert suchten nun auch vermehrt Bischöfe für ihre Kirchen und Domstifte um Privilegien in Rom nach124. 2.4.1 Einholung des Palliums Zu den wichtigsten Gründen für einen Besuch ad limina gehörte die Einholung des Palliums, zu der der Erzbischof von Narbonne entweder selbst oder durch einen Vertreter verpflichtet war. Bereits zu 914 ist überliefert, dass Erzbischof Agio von Narbonne das Pallium erhielt, allerdings wurde ihm dies von Papst Johannes X. übersandt125. Von Erzbischof Wifred weiß man nicht, ob er das Pallium erhielt, ebensowenig wie von Peter von Narbonne, der ja schon bald nach seiner Wahl exkommuniziert und abgesetzt worden war, aber dessen Nachfolger und Rivale, Abt Dalmatius von La Grasse, der 1080 von Gregor VII. zum Erzbischof von Narbonne bestimmt wurde, hielt sich Ende 1080 in Rom auf126, wie aus zwei Schreiben Gregors VII. an die Grafen von Barcelona, Raimund Berengar II. und Berengar Raimund II.127 sowie an Vizegraf Aimerich I. von Narbonne128, mit der Bitte, seinen Kandidaten zu unterstützen, hervorgeht. Dalmatius wird wohl kaum ohne das Pallium ins Languedoc zurückgekehrt sein, selbst wenn er sich dort erst 1086 durchsetzen konnte129. Dem Nachfolger des Dalmatius bestätigt Urban II. in einem Schreiben von 1097 zusammen mit der Metropolitangewalt über die Narbonnensis secunda auch das Recht, das Pallium an bestimmten Tagen zu tragen130, ohne 123 MAGNOU-NORTIER (wie Anm. 48) S. 400–403, führt elf Besitzbestätigungen und Schutzprivilegien vor dem 11. Jahrhundert an. 124 So liegen Privilegien von Eugen III. vor für Saint-Nazaire in Béziers (JL 9716) und Narbonne (JL 9719), WIEDERHOLD (wie Anm. 72) S. 82–84 (792–794), Nr. 38; S. 84–86 (794–796), Nr. 39. Und von Hadrian IV. für Narbonne (JL 10218) und Agde, WIEDERHOLD (wie Anm. 72) S. 92f. (S. 802f.), Nr. 45; S. 93–95 (803–805), Nr. 46. 125 HGL V, Nr. 40, Sp. 132f., hier Sp. 133: pallium, & usum pallii vestro metropolitano Agio, ut vestra petivit dilectio, misimus, quia nulli Ecclesiae hoc, quod illi juste competit, denegamus. 126 JL 5191 von 1080 Dez. 23 an die Grafen Raimund Berengar II. und Berengar Raimund II. von Barcelona, mit der Bitte Erzbischof Dalmatius quem tandem canonice et secundum Deum electum et ordinatum meruit accipere (S. 537) gegen Petrus, den pervasor der Kirche von Narbonne zu unterstützen. Vgl. die Edition der Urkunde im Register Gregors VII., ed. CASPAR (wie Anm. 61) VIII/16, S. 537f., wo sie fälschlich als an die Grafen Raimund und Bertrand von Saint-Gilles adressiert erscheint; vgl. auch JL 5223 an den Vizegrafen Aimerich sowie Klerus und Volk von Narbonne, Une lettre inédite de Grégoire VII, in: BEC 35 (1874) S. 433f., ein undatierter Brief Gregors VII., an die Mönche von La Grasse, in dem er davon spricht: Cum autem Deo annuente, archiepiscopatum suum habuerit in pace, ipse ad nos veniet. 127 JL 5191. 128 JL 5192. 129 Vgl. zur Datierung und dem politischen Hintergrund in Narbonne VONESLIEBENSTEIN: Saint-Ruf (wie Anm. 46) S. 166 und 176. 130 MIGNE PL 151, Sp. 495f., Nr. 224.

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etwas darüber auszusagen, wie Bertrand von Montredon das Pallium erhalten hatte. Es ist auch nicht bekannt, ob weitere Narbonnenser Metropoliten das Pallium selbst in Rom holten. 2.4.2 Streitfälle zur Entscheidung vor der Kurie Übergriffe adliger Herren auf Kirchenbesitz, wie die Streitigkeiten des Grafen Alfons Jourdain von Toulouse mit der Abtei Saint-Gilles131, Besitzstreitigkeiten zwischen Klöstern132, Bestrebungen einzelner Klöster wie Saint-Gilles133 oder Psalmodi134, sich aus der Umklammerung größerer Kongregationen wie Cluny oder Saint-Victor in Marseilles zu lösen oder Missachtung der bischöflichen Stellung135 wurden in Rom vorgetragen und entschieden oder wieder an Richter im Languedoc zurückverwiesen136. Da das Papsttum die einzige übergeordnete Macht darstellte, an die man sich im Streitfall wenden konnte, gingen die Appelle dabei primär von der Peripherie aus. So beklagte sich Erzbischof Dalmatius von Narbonne darüber, dass Vizegraf und Volk von Narbonne ihm immer noch die schuldige Ehrfurcht wie auch die ihm zustehenden Rechte und Abgaben vorenthielten137. Ähnliche Gründe veranlassten auch Bischof Wilhelm von Béziers sich nach Rom zu begeben, um von Hadrian IV. ein Privileg zu erwirken, das sein Kirchenvolk zur Zahlung von Zehnten und Oblationen verpflichtete und bestimmte, dass

131 Siehe VONES-LIEBENSTEIN: Saint-Gilles (wie Anm. 29) S. 115; MIGNE PL 180, Sp. 1051f., Nr. 34: Privileg Eugens III. zugunsten von Abt Albert von Saint-Thibéri in seinem Streit mit Graf Alfons Jourdain von Toulouse, den er dem Papst vorgtragen hatte: veniens ad praesentiam nostram filius noster Albertus … gravem in praesentia nostra querelam deposuit (Sp. 1051). 132 WIEDERHOLD (wie Anm. 72) S. 151f. (S. 861f.), Nr. 151, schreibt Alexander III. Abt Petrus von Saint-Martin de Canigou, dass alle Streitigkeiten seines Klosters mit La Grasse vor dem Papst unmittelbar auszutragen seien, weil Saint-Martin ein Zinskloster des Hl. Stuhles sei, in presentia Romani pontificis uel illius cui ipse mandauerit (S. 152). 133 WINZER (wie Anm. 28) S. 52–96; MAGNOU-NORTIER (wie Anm. 48) S. 504–509. 134 Vgl. oben Anm. 117. 135 JL 10355; WIEDERHOLD (wie Anm. 72) S. 96 (S. 806), Nr. 48, für Bischof Wilhelm von Béziers venientem ad apostolorum limina et nostram presentiam, mit der Aufforderung an Äbte, Kleriker und Volk von Béziers ihm den schuldigen Gehorsam und die ihm zustehenden Abgaben nicht vorzuenthalten. 136 So beauftragte beispielsweise Papst Urban II. 1089 Rainer von San Clemente damit, einen Streit zwischen Dalmatius von Narbonne und Abt Pontius von Saint-Pons de Thomières zu schlichten, der seine Metropolitanrechte im katalanischen Bereich missachtete. Er betonte dabei ausdrücklich, Dalmatius sei in Begleitung Bischof Bertrands von Barcelona nach Rom gereist, um sich darüber zu beschweren, MIGNE PL 151, Sp. 313, Nr. 30: veniens si quidem ad nos … frater noster Narbonensis archiepiscopus … plurima adversa contra Tomoriensem abbatem conquestus est. Vgl. auch den Brief Urbans II. an Abt Frotard von Thomières, ebd. Sp. 315, Nr. 31. 137 MIGNE PL 151, Sp. 316, Nr. 32.

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die cura animarum nur mit seiner Zustimmung erteilt werden dürfe138. Interessant ist in diesem Zusammenhang der ausdrückliche Hinweis Hadrians IV. auf die statuta canonum et Sanctorum Patrum decreta, die dieses Recht des Bischofs bestätigen würden139. Aus einem Privileg Innozenz II. für die Abtei Joncels geht hervor, dass die mit dem Kloster Psalmodie erzielte concordia … in nostro Lateranensi palatio facta war140. Auch der Wunsch, von einer Exkommunikation durch den Ortsbischof gelöst zu werden, konnte dazu führen, dass man sich nach Rom begab, um seine Sache persönlich vor dem Papst zu vertreten. Die Sonderstellung der Grafschaft Melgueil bedingte, dass Graf Raimund in diesem Zusammenhang dem Papst persönlich den Lehenseid für die Grafschaft leistete141.

2.5 Die Narbonnensis und die Universalkirche 2.5.1 Teilnahme an allgemeinen Konzilien Seit Dalmatius von Narbonne nahmen die Erzbischöfe relativ regelmäßig an allgemeinen Konzilien teil. So waren sie auf den vier Laterankonzilien ebenso vertreten wie auf den Konzilien von Clermont (1095), Toulouse (1119) und Clermont (1130), die in ihrer Nähe stattfanden, nicht dagegen in Piacenza (1095), Reims (1131, 1148), Tours (1163), Verona (1184) oder Paris (1212). Ladungsschreiben sind zu keinem dieser Konzilien erhalten. Seit Piacenza (1095) ist auch der Bischof von Maguelonne, dessen Bistum seit 1085 exemt war, fast auf jedem allgemeinen Konzil anwesend, nur nicht auf den Konzilien Innozenz II., zu dem Bischof Raimund I. (1129–1158) offensichtlich kein gutes Verhältnis hatte142.

138 139 140 141

WIEDERHOLD (wie Anm. 72) S. 96f. (S. 806f.), Nr. 48. ROUQUETTE: Béziers (wie Anm. 35) S. 253, Nr. 188. JL 8001; WIEDERHOLD (wie Anm. 72) S. 58–60 (S. 768–770), Nr. 21, hier S. 59. HGL V, Sp. 760f., Nr. 404: hier wird geschildert, wie es zum Streit zwischen Bischof und Graf kam, wie der Graf exkommuniziert wurde und der Bischof nach Rom ging, um dort sein Recht zu suchen & non multo post comes Raimundus eum secutus est (Sp. 760). Nachdem der Bischof seine Klagen vorgetragen habe, habe der Graf in Gegenwart eines relativ großen, namentlich aufgeführten Gefolges aus Melgueil und Maguelonne auf die zu Unrecht erhobenen Abgaben verzichtet fecitque domino papae hominium & accepit comitatum suum per manum ejus (Sp. 761). Die offizielle Einigung mit dem Bischof erfolgte erst wieder zu Hause in Maguelonne, in Gegenwart derselben Zeugen, worauf der Graf eine Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela antrat, die ihm möglicherweise als Buße auferlegt worden war. 142 Vielleicht hing dies damit zusammen, dass Innozenz II. Wilhelm VI. von Montpellier so offensichtlich begünstigte, vor allem in seinem Streit mit den Einwohnern von Montpellier. Vgl. die vielen päpstliche Priviliegien und Briefe des Papstes und seiner unmittelbaren Nachfolger in dieser Angelegenheit, ROUQUETTE/VILLEMAGNE: Bullaire (wie Anm. 37) S. 44–65, Nr. 27–44. Erst Anastasius IV. sollte wieder ein Privileg

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2.5.2 Verhalten während der Papstschismen Wie verhielt sich der Episkopat der Narbonnensis während der beiden Papstschismen des 12. Jahrhunderts? Trotz der Aussage von Lucien Merlet143, Anaklet II. habe viele Anhänger in Südfrankreich gefunden, kann man für die Narbonnensis feststellen, dass die meisten Bischöfe dem Beispiel des Erzbischofs von Narbonne, Arnald von Lévezon, folgten und Innozenz II. anerkannten144. Selbst Raimund I. von Maguelonne, der kein Anhänger dieses Papstes war, wandte sich nicht Anaklet II. zu. Wie im übrigen Frankreich folgte auch hier der Adel dem Beispiel des Episkopats. Nicht nur Wilhelm VI. von Montpellier, der, wie bereits geschildert, die volle Unterstützung dieses Papstes genoss und von ihm sogar den Titel eines miles sancti Petri erhielt145, stand von Anfang an auf Seiten von Innozenz, sondern auch Alfons Jourdain von Toulouse wandte sich nicht offen gegen ihn, selbst wenn er 1135 auf dem Konzil von Pisa wegen seiner Streitigkeiten mit der Abtei Saint-Gilles exkommuniziert wurde146. Auch im Schisma nach der Doppelwahl Alexanders III. und Viktors IV. stand der Episkopat geschlossen hinter Alexander III. Einzig der Graf von Toulouse wandte sich dem kaiserlichen Papst Paschalis III. zu, weil dieser bereit war, seine Ehe mit Konstanze von Frankreich zu lösen147. Jedoch blieb diese Haltung nur ein Zwischenspiel. Allgemein lässt sich feststellen, dass die Stellung des Episkopats in den 70er Jahren des 12. Jahrhunderts im Languedoc wenig gefestigt war, da er die Unterstützung des Adels weitgehend eingebüßt hatte, der ihn als Konkurrent um die Macht betrachtete148.

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zugunsten des Bischofs von Maguelonne und seiner Kirche ausstellen, ebd., S. 75–77, Nr. 53. Eugène DAURIAC: Document du douzième siècle émané d’un évêque d’Angoulême, légat du Saint-Siège, et relative au diocese d’Alby, Angoulême 1850. Vgl. dazu Ursula VONES-LIEBENSTEIN: L’attitude des évêques de la Narbonnensis face au schisme d’Anaclet, in: Schismes, dissidences, oppositions. La France et le Saint-Siège avant Boniface VIII, hg. v. Bernard BARBICHE/Rolf GROSSE, Paris 2012 (Studien und Dokumente zur Gallia Pontificia 7), S. 9–29. MIGNE PL 179, Sp. 134, Nr. 95: te sicut hominem et fidelem nostrum, ac specialem B. Petri militem … sub B. Petri tutelam protectionemque suscipimus. JANSEN (wie Anm. 103) S. 33; WINZER (wie Anm. 28) S. 295. Hélène DEBAX: Stratégies matrimoniales des comtes de Toulouse (850–1270), in: Annales du Midi 100 (1988) S. 131–149, hier S. 143. Vgl. Myriam SORIA: Les violences anti-épiscopales dans la province de Narbonne (fin XIIe –début XIIIe siècle): des manifestations anticléricales? in: L’Anticlericalisme en France méridionale (milieu XIIe – début XIVe siècle), Toulouse 2003 (Cahiers de Fanjeaux 38), S. 161–179, hier S. 163f.

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3. Die Häresie der Katharer – das Papsttum ergreift die Initiative Während des Pontifikats des Narbonnenser Erzbischofs Pontius von Arsac, der von Alexander III. selbst geweiht worden war, setzte das allmähliche Übergreifen häretischer Bewegungen auf das Languedoc ein. Pontius selbst verurteilte auf einer Bischofsversammlung in Capestang, an der auch die Bischöfe von Maguelonne, Carcassonne und Agde teilnahmen149, zum wiederholten Male die als boni homines bezeichneten Häretiker150 und wandte sich 1172 sogar in einem Brief an Ludwig VII. von Frankreich, mit der Bitte, ihm gegen die Häretiker zu Hilfe zu kommen151. Der englische Chronist Gervasius von Canterbury berichtet, Graf Raimund V. von Toulouse habe sich selbst 1177 an das Generalkapitel der Zisterzienser mit der Bitte um Hilfe gegen die haeresis foeditatem gewandt152, woraufhin Abt Heinrich von Clairvaux Alexander III. gebeten habe, einem geplanten Kreuzzug Heinrichs II. von England und Ludwigs VII. gegen die Albigenser den Kardinallegaten Petrus von S. Grisogono als geistlichen Führer beizugeben153. Obwohl dieser Plan scheiterte, war damit die Richtung für das Vorgehen gegen die Katharer vorgegeben. Auf dem 3. Laterankonzil wurden sie verurteilt und dazu aufgerufen, gegen sie mit Waffengewalt vorzugehen, wofür die gleichen Ablässe und anderen Vergünstigungen wie für einen Kreuzzug ins Heilige Land gewährt wurden154. Nach einer Pause von fast zwanzig Jahren, in denen die Christenheit mit dem 3. Kreuzzug beschäftigt war, berief dann im Dezember 1195 Magister Michael als päpstlicher Legat eine Synode in

149 Siehe eine Schenkungsurkunde des Berengar von Salella zugunsten von Cluny vom 17. Juli 1166, wo sie alle als Zeugen unterzeichnen, HGL V, Sp. 1303, Nr. 668/I. 150 Er war auch 1163 in Tours anwesend, wo es im 4. Konzilskanon hieß: in partibus Tolosae damnanda haeresis dudum emersit, quae paulatim more cancri ad vicina loca se diffundens, per Guasconiam et alias provincias quamplurimos jam infecit, HGL IV/1, S. 250; HGL VIII, Sp. 341. 151 BOUQUET XIV, S. 159. 152 Gervasius de Canterbury: Opera Historica, hg. v. William STUBBS, London 1879 (RS 73,1), S. 270f.; JANSEN (wie Anm. 103) S. 104; HGL VI, S. 77f; Robert MOORE: Les Albigeois d’après les chroniques angevines, in: La Croisade albigeoise. Actes du colloque du Centre d’Etudes Cathares. Carcassonne 4, 5, et 6 octobre 2002, hg. v. Michel ROQUEBERT, Balma 2004, S. 81–90, hier S. 82; Michel ROQUEBERT: L’épopée cathare, 4 Bde., Toulouse 1970–1989, Bd 1, S. 82–84; Christine THOUZELLIER: Catharisme et Valdéisme en Languedoc à la fin du XIIe et au début du XIIIe siècle, Marseille 1982, S. 19f.; Jean-Louis BIGET: „Les Albigeois“: remarques sur une dénomination, in: Inventer l‘hérésie? Discours polémiques et pouvoirs avant l’Inquisition, hg. v. Monique ZERNER, 2 Bde., Nizza 1998, S. 219–256, hier S. 238–240. 153 BOUQUET XV, S. 959f.; JANSEN (wie Anm. 103) S. 103f.; HGL VI, S. 78–85. 154 Conciliorum oecumenicorum decreta, hg. v. Josepho ALBERIGO u.a., Bologna 31973, S. 224, can. 27; BIGET (wie Anm. 152) S. 242f.

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Montpellier ein, an der alle Bischöfe der Narbonnensis teilnahmen und wo über die Ketzergesetzgebung verhandelt wurde155. Wenig später wurde 1199 in dem päpstlichen Schreiben Vergentis in senium Häresie mit Majestätsverbrechen gleichgesetzt, als Verbrechen gegen die Majestät Gottes und seines Stellvertreters auf Erden, des Papstes156. Damit wurde sie zu einem Verbrechen, das friedlos machte, und zwar nicht nur den Ketzer selbst, sondern auch alle, die mit ihm in Berührung kamen157. Zwar sollte es noch einige Jahre dauern, bevor Innozenz III. die lateinische Christenheit zum Kreuzzug gegen die Albigenser aufrief, aber das Grafenhaus von Toulouse, das den Kampf gegen die Ketzer ursprünglich in den politischen Auseinandersetzungen mit den Vizegrafen von Albi-Béziers und den Königen von Aragón zu seinen Gunsten einsetzen wollte, sah sich schließlich des Mordes an einem päpstlichen Legaten bezichtigt158 und auf dem 4. Laterankonzil in der Person Graf Raimunds VI. abgesetzt.159 König Peter II. von Aragón wiederum, der noch am 11. November 1204 in Rom dem Papst den Lehenseid für sein Reich geleistet und von ihm gekrönt worden war160, Peter II., der noch im März 1198 sehr strenge Erlasse gegen die Häretiker veröffent155 JANSEN (wie Anm. 103) S. 148; MANSI XXII, S. 668ff. 156 Vgl. u. a. Monique ZERNER: Question sur la naissance de l’affaire albigeoise, in: L’écriture de l’Histoire, hg. v. Claudie DUHAMEL-AMADO/Guy LOBRICHON, Paris 1996, S. 427–444; Pilar JIMENEZ-SANCHEZ: Les Catharismes. Modèles dissidents du christianisme médiéval (XIIe –XIIIe siècles), Rennes 2008, S. 278; zu dem später in die Dekretalensammlung aufgenommenen Vergentis Othmar HAGENEDER: Studien zur Dekretale „Vergentis“ (X V,7, 10). Ein Beitrag zur Häretikergesetzgebung Innocenz‘ III., in: ZRGKanAbt 49 (1963) S. 138–173; Marco MESCHINI: Innocenzo III e il Negotium Pacis et Fidei in Linguadoca tra il 1198 e il 1215, Rom 2007 (Atti della Accademia nazionale dei Linceri. Classe du Scienze Morali, storiche e filologiche. Memorie serie IX, 20, Fasc. 2), S. 367–906, hier S. 477–492; Jacques CHIFFOLEAU: Sur le crime de majesté médiéval, in: Genèse de l'Etat moderne en Méditerranée. Approches historiques et anthropologiques des pratiques et des représentations. Actes des tables rondes internationales tenues à Paris les 24, 25 et 26 septembre 1987 et les 18 et 19 mars 1988, Rom 1993 (Collection de l'Ecole française de Rome 168), S. 183–213. 157 Die Literatur, die sich mit dem Häresiebegriff beschäftigt, ist fast unüberschaubar. Vgl. zuletzt MESCHINI (wie Anm. 156) S. 385–415, speziell zur Konzeption Innozenz III. ebd., S. 417–460, mit ausführlichen Literaturhinweisen und einem Überblick über die Ketztergesetzgebung bis Innozenz III., ebd., S. 460–492. 158 Jacques PAUL: Le meurtre de Pierrre de Castelnau, in: L’anticléricalisme en France méridionale (milieu XIIe–début XIVe siècles), Toulouse 2003 (Cahiers de Fanjeaux 38), S. 257–288; MESCHINI (wie Anm. 156) S. 534–545; ROQUEBERT: L’épopée (wie Anm. 152) S. 211–219. 159 Die Literatur zum Albigenserkreuzzug ist in den letzten Jahren immer mehr angewachsen. Als einige wenige seien hier nur angeführt ROQUEBERT: L’épopée (wie Anm. 152); Jörg OBERSTE: Der „Kreuzzug“ gegen die Albigenser. Ketzerei und Machtpolitik im Mittelalter, Darmstadt 2003; ROQUEBERT: Croisade (wie Anm. 152). 160 Damian J. SMITH: Innocent III and the Crown of Aragon. The Limits of Papal Authority, Aldershot 2004 (Church, Faith and Culture in the Medieval West), S. 43–78.

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licht hatte161, fiel am 12. September 1213 in der Schlacht von Muret gegen das Heer der Kreuzfahrer162. Wieso kam es zu dieser Entwicklung, die letztendlich sowohl für den Adel als auch für den Episkopat den Verlust der Eigenständigkeit bedeutete, sei es durch die politische Eingliederung in das französische Königreich, sei es durch die kirchenpolitische Ausrichtung der Peripherie auf das Zentrum hin? Feststeht, dass der Appell an das römische Zentrum von der Peripherie ausging, sowohl vom Episkopat in der Person des Erzbischofs von Narbonne, als auch vom Adel in der Person Graf Raimunds V. von Toulouse und Wilhelms VIII. von Montpellier. Die Folgen waren zunächst unabsehbar. Durch die Entsendung von Legaten, von Predigern zentralisierter Orden wie der Zisterzienser und Dominikaner, die Absetzung von Bischöfen und schließlich den Aufruf zum Kreuzzug und die Absetzung Raimunds VI. von Toulouse sah sich die Narbonnensis jeglicher Handlungsfreiheit beraubt. Das zur Hilfe gerufene Papsttum, das unter Innozenz III. eine neue Konzeption von seiner Stellung entwickelte, mit dem Anspruch als Stellvertreter Christi auf Erden, dessen Autorität für sich in Anspruch zu nehmen163 und die plenitudo potestatis innerhalb der Kirche zu besitzen164, bewirkte eine nicht beabsichtigte und nicht vorhersehbare tiefgreifende Umgewichtung der vorhandenen Machtstrukturen.

3.1 Eingriffe des Papstes in die Zusammensetzung des Episkopats165 Schon zu Beginn seines Pontifikats hatte Innozenz III. deutlich gemacht, dass er Translationen und Absetzungen von Bischöfen als päpstliche Prärogative

161 BIGET (wie Anm. 152) S. 249; Ludwig VONES: Krone und Inquisition. Das aragonesische Königtum und die Anfänge der kirchlichen Ketzerverfolgung in den Ländern der Krone Aragón, in: Die Anfänge der Inquisition im Mittelalter. Mit einem Ausblick auf das 20. Jahrhundert und einem Beitrag über religiöse Intoleranz im nichtchristlichen Bereich, hg. v. Peter SEGL, Köln u.a. 1993 (Bayreuther Historische Kolloquien 7), S. 195–233; SMITH (wie Anm. 160) S. 33–36. 162 SMITH (wie Anm. 160) S. 138–141; Martín ALVIRA CABRER: El Jueves de Muret (12 de Septiembre de 1213), Barcelona 2002; DERS.: Le jeudi de Muret: aspects idéologiques et mentaux de la bataille de 1213, in: ROQUEBERT: La Croisade (wie Anm. 152) S. 197–207. 163 PENNINGTON (wie Anm. 60) S. 13–42, spricht von der „divine authority of the pope“. 164 Ebd., S. 43–74, bes. 43f. 165 ROQUEBERT: L’épopée (wie Anm. 152) Bd. 1, S. 145, spricht von „epuration“, von Säuberung, in seinem Kapitel über die ersten Bischofsabsetzungen im Languedoc, ebd., S. 145–154. Betroffen waren die Bischofsstühle von Fréjus, Carcassonne, Béziers, Vence, Viviers, Agde, Toulouse, Auch, Valence, Rodez, Narbonne, Arles und Marseilles, also neben denen Narbonnensis auch andere Bischofssitze Südfrankreichs, die im Machtbereich der Grafen von Toulouse oder derer von der Provence lagen.

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sah166. Als Stellvertreter Christi auf Erden, sah er sich allein befugt, die Ehe zwischen einem Bischof und seinem Bistum zu lösen. Da er meistens nicht persönlich anwesend sein konnte, fungierten Legaten als seine Stellvertreter167. Man hat diese Haltung als „anti-épiscopalisme“168 bezeichnet, aber sie war vor allem den Bischöfen der Kirchenprovinz Narbonne neu und fremd. In den Kreuzzugschroniken, die meist von nordfranzösischen Zisterziensern verfasst wurden, wird ein sehr düsteres Bild diese Episkopats gezeichnet169. Die Vorwürfe lauteten fast immer auf Vernachlässigung der bischöflichen Pflichten oder Unfähigkeit gegen Häretiker vorzugehen170. So schrieb Innozenz III. bereits 1200 plorat Ecclesia in provincia Narbonensi et lacrymae ejus in maxillis ejus, in nocte adversitatis et oppressionis ipsius171. Der Grund dafür lag wohl in einer unterschiedlichen Auffassung von Peripherie und Zentrum vom Amt und Aufgabenbereich eines Bischofs. In den folgenden Jahren setzte, wie Géraldine Paloc es formulierte, eine „période de substitution de l’autorité pontificale à celle du métropolitain méridional“ ein172. Sah der südfranzösische Episkopat und an seiner Spitze Erzischof Berengar von Narbonne seine Aufgabe besonders darin, die materielle Basis für eine geordnete Verwaltung und Seelsorge im Bistum zu schaffen173, so bestand für Innozenz III. vor allem die 166 PENNINGTON (wie Anm. 60) S. 15–33, 75–114, der ausführlich auf die Rolle des Bologneser Rechtsgelehrten Huggocio und dessen Definition päpstlicher Vorrechte eingeht, worunter er auch episcoporum deposition, episcoporum abrenunciatio, episcoporum mutatio, episcoporum exemptio a potestate alterius und episcoporum restutio zählt, ebd., S. 82 Anm. 22. 167 Ebd., S. 79, mit dem Verweis darauf, dass noch im 12. Jahrhundert diese Angelegenheiten meist auf örtlichen Bischofssynoden entschieden wurden. 168 Géraldine PALOC: L’ « anticléricalisme de l’intérieur »: l’Affaire Bérenger de Narbonne (1203–1212) in: L’anticléricalisme en France méridionale (milieu XIIe – début XIVe siècles), Toulouse 2003 (Cahiers de Fanjeaux 38), S. 355–373, hier S. 357. 169 Siehe mit Beispielen BIGET (wie Anm. 152) S. 250f. 170 MESCHINI (wie Anm. 156) S. 513. 1209 auf dem Legatenkonzil von Avignon ist die Rede von der negligentia der Bischöfe, nec populis suae gubernationi commissis evangelizant evangelicam disciplinam, Mansi 22, Sp. 785. Vgl. zu weiteren Belegen Elaine GRAHAMLEIGH: Hirelings and Shepherds: Archbishop Berenguer of Narbonne (1191–1211) and the Ideal Bishop, in: EHR 116 (2001) S. 1083–1102, hier S. 1085. 171 MIGNE PL 214, Sp. 903–906, hier Sp. 904. 172 PALOC (wie Anm. 168) S. 364. Vgl. auch Pilar JIMENEZ-SANCHEZ: Le Catharisme futil le véritable enjeu religieux de la croisade? in: ROQUEBERT: Croisade (wie Anm. 152) S. 143–155, hier S. 151. 173 So fand Berengar seine Diözese in einem desolaten finanziellen Zustand vor und erst als es ihm 1204 gelang, bestimmte Adlige nahe bei Narbonne zur Zahlung von Zehnten zu verpflichten, konnte er in der Kathedrale 3 Priester einsetzen, vgl. in diesem Sinne GRAHAM-LEIGH: Hirelings (wie Anm. 170) S. 1094, die betont, dass er auch ebenso effektiv die Finanzen von Montearagón und Lérida saniert hatte. Wie wichtig die ausreichende materielle Grundlage war, hatte beispielsweise schon Ende des 11. Jahrhunderts Bischof Matfred von Beziers erkannt, als er die Reform seines Kathedralkapitels in Anriff nahm, siehe oben Anm. 82.

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Pflicht des Bischofs, die spirituellen Grundlagen für die Ausübung des christlichen Glaubens bereitzustellen174, das heißt Verkündigung des Glaubens175, Seelsorge176 und Ketzerbekämpfung177. Zu ersten Konflikten kam es, als Erzbischof Berengar von Narbonne, der illegitime Sohn Graf Raimund Berengars IV. und Onkel König Peters II. von Aragón, einen Eid darauf ablegen sollte, die Maßnahmen der Legaten gegen die Ketzer vorbehaltlos zu unterstützen. Er lehnte dies ab, weil er es als Eingriff in seine Rechte verstand178. Von den zisterziensischen Kreuzzugslegaten der Untätigkeit angesichts der Ausbreitung der Häresie179 ebenso beschuldigt, wie der Simonie und der Vernachlässigung seiner bischöflichen Pflichten, schrieb Innozenz III. von ihm cujus Deus nummus est … qui habens cor suum ubi est thesaurus suus180. 1212 wurde er schließlich auf Befehl Innozenz III. für abgesetzt

174 Innozenz III. schrieb zu den Aufgaben eines Bischofs in seinem vor 1198 verfaßten Traktat De sacro altaris mysterio, MIGNE PL 217, Sp. 779, cap. IX: Differt autem inter episcopos et presbyteros, quia ad omnes sacerdotes communiter pertinet, catechizare, baptizare, praedicare, conficere, solvere et ligare. Sed specialiter ad pontifices spectat, clericos ordinare, virgines benedicere, pontifices consecrare, manus imponere, basilicas dedicare, degradandos deponere, synodos celebrare, chrisma conficere, vestes et vasa consecrare. 175 Deshalb kam nun auch der Predigt ein so entscheidender Stellenwert zu. Nachdem die Legaten in Frühjahr 1206 Zisterzienser damit beauftragt hatte, THOUZELLIER (wie Anm. 152) S. 199. Diese erzielten keine großen Erfolge, daher kam es im Sommer 1206 zu einem Treffen der Legaten mit dem Bischof Diego von Osma und dem Subprior seines Domstifts, Dominikus, die beschlossen, eine neue Form der Predigtätigkeit aufzunehmen und in Armut in der Nachfolge Christi durchs Land zu ziehen, vgl. ROQUEBERT: L’Épopée (wie Anm. 152) S. 183–200; THOUZELLIER (wie Anm. 152) 200–204. 176 Immer wieder tauchte der Vorwurf auf, die Bischöfe würden ihre Diözesen nicht visitieren, vgl. GRAHAM-LEIGH: Hirelings (wie Anm. 170) S. 1089, 1101. 177 MESCHINI (wie Anm. 156) S. 439, der betont, wie entscheidend für Innozenz III. die Zusammenarbeit mit seinen Legaten bei der Ketzerbekämpfung war. So fand beispielswiese 1204 unter Vorsitz von Peter II. von Aragón, Bischof Berengar von Carcassonne und den päpstlichen Legaten Peter von Castellnau und Radulf in Carcassonne ein Verfahren gegen Häretiker statt, Elaine GRAHAM-LEIGH: The Southern French Nobility and the Albigensian Crusade, Woodbridge 2005, S. 64f. 178 GRAHAM-LEIGH: Hirelings (wie Anm. 170) S. 1092f.; PALOC (wie Anm. 168) S. 359. 179 Bereits am 26. Nov. 1204 hatte Berengar von Narbonne an den Papst gegen das Vorgehen der Legaten protestiert, die ihn abgesetzt und daran gehindert hätte, sich in Rom gegen die falschen Anschuldigungen zu rechtfertigen, HGL VIII, Sp. 509–511, Nr. 124. 1206 begab er sich dann nach Rom und erreichte eine vorläufige Einigung, MESCHINI (wie Anm. 156) S. 514. Es muss offen bleiben, ob er 1212 starb, bevor er abgesetzt werden konnte. GRAHAM-LEIGH: Hirelings (wie Anm. 170) S. 1088, glaubt, mit Verweis auf die spanische Forschung, dass er vorher starb. 180 MIGNE PL 214, Sp. 903–906, hier 905: Schreiben Innozenz’ III. an den Legaten Giovanni di San Paolo, Kardinalpresbiter von S. Prisca. Vgl. GRAHAM-LEIGH: Hirelings (wie Anm. 170) S. 1084f., die die Vorwürfe des Papstes gegen Berengar auflistet.

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erklärt. In nur kurzem Abstand folgte die Absetzung der Bischöfe von Agde181, Béziers182 und Viviers sowie schließlich auch des Bischofs von Toulouse, Raimund von Rabasten183. Wie Berengar von Narbonne war auch in Béziers der Konflikt zwischen dem Bischof, Wilhelm von Rocozels (1199–1205), und den Legaten ausgebrochen, weil dieser sich weigerte, den Grafen von Toulouse zur Bekämpfung der Ketzer aufzufordern184. Allerdings hatte er schon vorher versucht, dem Einfluss des Papsttums entgegenzuwirken, als er die Templer darauf verpflichtete, auf die Exemtion einer ihrer Kommenden zu verzichten, selbst nicht durch alicuius Pape decreto vel decretali nec ullo ejusdem rescripto vel indulgentia185. Er wurde 1205 durch Peter von Castellnau abgesetzt und kurz darauf von den Bürgern von Béziers erschlagen186. Ersetzt wurden die abgesetzten Bischöfe meistens durch Angehörige des Zisterzienserordens187, wie zum Beispiel in Narbonne durch den Abt von Cîteaux und päpstlichen Legaten Arnald Amalrich oder in Toulouse durch den ehemaligen Troubadour und jetzigen Abt der Zisterze Le Thoronet, Fulco von Marseille188. 181 Bischof von Agde war Raimund von Montpellier, der 1205 beschuldigt wurde, durch dilapidatione, naufragio et simonia seiner Kirche geschadet zu haben, MIGNE PL 215, Sp. 642–644; Die Register Innozenz III., hg. v. Othmar HAGENEDER u.a., 10 Bde., Bd. 1 Graz/Köln 1964, Bd. 2–10 Rom/Wien 1977–2007 (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom, 2), hier Bd. 6, S. 403–405 [künftig Reg. Inn. III.]. Er konnte sich jedoch letztendlich vor dem Papst rechtfertigen, ROQUEBERT: L’épopée (wie Anm. 152) Bd. 1, S. 150. 182 Bischof von Béziers war Wilhelm von Rocozels (1199–1205), der von den Legaten abgesetzt wurde, weil er sich weigerte, sie auf ihrer Fahrt gegen den Grafen von Toulouse zu begleiten und die Konsulen von Béziers als Häretiker zu exkommunizieren, MIGNE PL 215, Sp. 272f.; GRAHAM LEIGH: Nobility (wie Anm. 177) S. 79. Wilhelm wurde im März 1205 von einem unzufriedenen Diener ermordet, vgl. dazu Myriam SORIA: Des évêques malmenés. Innocent III et les violences anti-épiscopales en Languedoc, in: Innocenzo III – Urbs et Orbis. Atti del Congresso Internazionale Roma, 9–15 settembre 1998, 2 Bde., hg. v. Andrea SOMMERLECHNER, Rom 2003 (Istituto storico italiano per il medio evo, Nuovi Studi Storici 55/1–2 = Miscellanea della Società romana di storia patria 44/1–2), Bd. 2, S. 1008–1030, hier S. 1027; VIDAL (wie Anm. 82) S. 79f. 183 Vgl. zu seiner Absetzung wegen Simonie ROQUEBERT: L’épopée (wie Anm. 152) Bd. 1, S. 150f. Raimund gehörte noch 1209 einer Abordnung Raimunds VI. von Toulouse in Rom an, PAUL (wie Anm. 158) S. 274. 184 HGL IV, S. 265. 185 VIDAL (wie Anm. 82) S. 66; nach dem Livre noir der Kathedrale von Béziers, S. 511, Nr. 345; nach der Edition von ROUQUETTE: Béziers (wie Anm. 35), deren zweiten Band ich leider nicht einsehen konnte. 186 SORIA: Violences (wie Anm. 148) S. 166. 187 MESCHINI (wie Anm. 156) S. 513. 188 Vgl. zu ihm, der später ein begeisterter Anhänger des Simon von Montfort werden sollte, Gérard GOUIRAN: « Tragediante »? Pis encore: jongleur! or De l’art de déconsidérer un adversaire: la présentation de l’évêque Folquet de Marseille par l’Anonyme de

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Die Eingriffe des Papsttums oder seiner Legaten vergrößerten noch den Abstand zwischen Adel und Episkopat oder zwischen dem Bischof und den Bewohnern seiner Bischofsstadt, zumal viele der neu eingesetzten Bischöfe den Vormarsch des Kreuzfahrerheeres begrüßten. Die Eingriffe der Legaten in die Rechte des Episkopats hatten zur Folge, dass Honorius III. 1220 ihre Befugnisse dahingehend einschränkte, dass es ihnen nicht länger zustehen sollte, Bischöfe abzusetzen189.

3.2 Die Entsendung von Legaten und Predigern Die Entsendung päpstlicher Legaten erfolgte in zwei Phasen: Als erster wurde 1178 der Abt von Clairvaux, Heinrich von Marcy, zusammen mit einer Gruppe hoher geistlicher Würdenträger, zu denen auch der Kardinalpriester von S. Crisogono, Peter von Pavia, zählte, als Legat ins Languedoc entsandt190. Nachdem er auf dem 3. Laterankonzil zum Kardinalbischof von Albano promoviert worden war191, kehrte er 1181 noch einmal ins Languedoc zurück und predigte dort nicht nur gegen die Ketzer, sondern sammelte auch selbst Bewaffnete um sich und nahm schließlich nach kurzer Belagerung die Stadt Lavaur in der Vizegrafschaft Béziers ein, wo sich zwei Katharerbischöfe aufhielten192. Bevor er nach Rom zurückkehrte, setzte er den Erzbischof von Narbonne, Pontius von Arsac, der der ersten Legation angehört hatte, wegen Kontakten zu Häretikern ab193 und ernannte an seiner Stelle den Bischof von Poitiers, Jean des Bellesmains194.

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La chanson de la Croisade albigeoise, in: L’anticléricalisme en France méridionale (milieu XIIe–début XIVe siècles), Toulouse 2003 (Cahiers de Fanjeaux 38) S. 111–133. HGL VIII, Nr. 211/II, Sp. 739 zu 1220: eo duntaxat excepto, ut ad depositionem episcoporum manum sine nostra speciali licentia non extendas. Vgl. dazu Beverly Mayne KIENZLE: Henry of Clairvaux and the 1178 and 1181 Missions, in: Heresis 28 (1997) S. 63–87; BIGET (wie Anm. 152) S. 240–242; JANSEN (wie Anm. 103) S. 114f.; GRAHAM-LEIGH: Nobility (wie Anm. 177) S. 75. Der englische Chronist Roger von Hoveden berichtet in der Chronica, hg. v. William STUBBS, 4 Bde., London 1868–1871 (RS 51, 1–4), Bd. 2, S. 150–166, als einziger von dieser Legation. Zur Frage, inwieweit er Einfluss auf Kanon 27 „de haeretici“ des III. Lateranum nahm, der eine Verteidigung des christlichen Glaubens mit Waffengewalt vorsah, jedoch unter Leitung des örtlichen Episkopats vgl. Helmut ROSCHER: Papst Innozenz III. und die Kreuzzüge, Göttingen 1969 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 21), S. 216–218. ROQUEBERT: L’épopée (wie Anm. 152) S. 91f. Vgl. zu den Gründen für diese Absetzung Fredric L. CHEYETTE: Ermengard of Narbonne and the World of the Troubadours, Ithaca (N.Y.)/London 2001, S. 319f.; THOUZELLIER (wie Anm. 152) S. 37. Jean de Bellesmains wurde nur kurze Zeit später zum Erzbischof von Lyon gewählt und zog es vor, diesen Sitz einzunehmen. Vgl. zu seinem Vorgehen gegen die Wal-

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Nach dem Regierungsantritt Innozenz III. setzte eine zweite Phase ein, in der Legaten mit sehr weitreichenden Befugnissen entsandt wurden195: Ut autem injunctae vobis, non tam nostrae quam divinae, legationis officium possitis melius et liberius exercere, plenam vobis in Aquensi, Arelatensi et Narbonensi provinciis, et vicinis etiam dioecesibus, si quae sunt haereticorum labe pollutae, concedimus facultatem destruendi, disperdendi et evellendi …196. Die Legaten waren fast ausschließlich Angehörige des Zisterzienserordens197. Zu nennen wären vor allem der Abt von Cîteaux, Arnald Amalrich198, und der Mönch von Fontfroide, Peter von Castelnau199. In ihren Aufgabenbereich fiel es, in Religionsgesprächen die Katharer zum rechten Glauben zurückzuführen200, die Häresie auszurotten, ad extirpandam hereticam pravitatem201 und für die Friedenssicherung, wenn nötig mit Gewalt, zu sorgen202. Die Lage eskalierte, als – mit oder ohne Wissen Raimunds VI. von Toulouse – Peter von Castelnau Ende Januar 1208 ermordet wurde. Die Ex-

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denser dort Michel RUBELLIN: Église et société chrétienne d’Agobard à Valdès, Lyon 2003 (Collection d’Histoire et d’Archéologie médiévales 10), bes. S. 387–389. Zu den einzelnen Legationen vgl. MESCHINI (wie Anm. 156) S. 443–446; Heinrich ZIMMERMANN: Die päpstliche Legation in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Vom Regierungantritt Innozenz`III. bis zum Tode Gregors IX. (1198–1241), Paderborn 1913 (Veröffentlichungen der Sektion für Rechts- und Sozialwissenschaften der Görres-Gesellschaft 17); ROQUEBERT: L’épopée (wie Anm. 152) Bd 1, S. 155–161. Schon 1195 hatte Coelestin III. Legaten plena potestas garantiert, JL 17274; Gaines POST: Studies in Medieval Legal Thought: Public Law and the State (1100–1322), Princeton 1964 (Clark 32008), S. 104 Anm. 58. MIGNE PL 215, Sp. 358–360, Nr. 76, hier Sp. 360; Reg. Inn. III., VII/77 (wie Anm. 181) S. 122–126. Vgl. dazu GRAHAM-LEIGH: Hirelings (wie Anm. 170) S. 1092. Beverly Mayne KIENZLE: Cistercians, Heresy and Crusade in Occitania, 1145–1229: Preaching in the Lord's Vineyard. Woodbridge/Rochester (N.Y.) 2001; OBERSTE (wie Anm. 159) S. 44; MESCHINI (wie Anm. 156) S. 510–512. Zu Arnald Amalrich vgl. Raymonde FOREVILLE: Arnauld-Amalric, Archevêque de Narbonne (1196–1225), in: Narbonne, archéologie et histoire (XLVe Congrès de la Fédération historique du Languedoc méditerranéen et du Roussillon), 3 Bde., Bd. 2: Narbonne au Moyen-Age, Montpellier 1973, S. 129–146; Martin ALVIRA CABRER: Le vénérable Arnaud Amaury: Image et réalité d´un cistercien entre deux Croisades, in: Heresis 32 (2000) S. 3–35. Vgl. zu seiner Person und seinem Ruf als brillianter Prediger in sermone facundus PAUL (wie Anm. 148) S. 263f. Religionsgespräche mit den Katharern, an denen beispielsweise Peter von Castelnau teilnahm, fanden in Béziers und Montréal (März 1207) statt, vgl. PAUL (wie Anm. 148) S. 264. Reg. Inn. III., VII/77 (wie Anm. 181) S. 124; vgl. dazu MESCHINI (wie Anm. 156) S. 633, zu den Maßnahmen zur Ausrottung der Häresie zählte auch die Verurteilung von Verdächtigen und die Konfiszierung ihres Besitzes. So wurde Raimund VI. von Toulouse von Peter von Castelnau exkommuniziert und sein Land mit dem Interdikt belegt, weil er sich weigerte, die Einhaltung des Friedens zu beschwören, vgl. PAUL (wie Anm. 148) S. 265–267.

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kommunikation Raimunds, seine Gesandtschaft nach Rom und seine Buße auf den Stufen der Abteikirche von Saint-Gilles, verbunden mit weitreichenden Versprechungen und Sicherheiten sind wohl bekannt. Waren es die Legaten, allen voran Arnald Amalrich, die letztendlich eine Aussöhnung des Grafen mit der Kirche, so wie sie Innozenz III. wünschte, hintertrieben? Auf Raimunds Wunsch hin wurden neue Legaten entsandt203, zu einem Zeitpunkt allerdings, zu dem Innozenz III. längst entschlossen war, nicht länger gegen die Häretiker selbst vorzugehen, sondern vor allem gegen jene, die sie unterstützten204, zu einem Zeitpunkt, da der Kreuzzug schon beschlossene Sache war.

3.3 «la croiciata innocenziana, cistercense e montfortiana»205 Im Oktober 1208 rief Innozenz III. zum Kreuzzug gegen die Ketzer in Südfrankreich auf, deren Leitung die päpstlichen Legaten übernehmen sollten206, nachdem der französische König dies abgelehnt hatte207. Vorausgegangen waren mehrere Schreiben Innozenz III. an Philipp II. August, in denen er ihn zunächst aufgefordert hatte, die Adligen des Languedoc zum Kampf gegen die Häresie aufzufordern (1204) und dann selbst mit einem Heer zum Kampf gegen die Häresie nach Septimanien zu ziehen (1207)208. Als das Kreuzfahrerheer, dem sich viele nordfranzösische Adlige und hohe geistliche Würdenträger anschlossen, schließlich aufbrach, ging es nicht mehr darum, die Häresie zu bekämpfen, sondern jene, die sie förderten, indem sie sie nicht bekämpften209. Deshalb wurden auch die Besitzungen der Besiegten den Kreuzfahrern übertragen und ihr Anführer, Simon de Montfort, nacheinander vom Papst mit den Vizegrafschaften Albi und Béziers210 und dann der Grafschaft Toulouse belehnt. 203 Ebd., S. 275. 204 Monique ZERNER: Le déclenchement de la croisade albigeoise. Retour sur l’affaire de paix et de foi, in: ROQUEBERT: Croisade (wie Anm. 152) S. 127–142, bes. S. 139f. 205 MESCHINI (wie Anm. 156) S. 569. 206 MIGNE PL 215, Sp. 1469–1471, Nr. 156–159. Vgl. zur Datierung ROSCHER (wie Anm. 191) S. 227–231. 207 MESCHINI (wie Anm. 156) S. 566f., S. 626–631. 208 Ebd., S. 553–568; ROSCHER (wie Anm. 191) S. 222–224. 209 MESCHINI (wie Anm. 156) S. 573: „i nemici della crociata … furono precisamente i nobili linguadociani che permettevano all’eresia di prosperare a dispetto di tutte le misure prese dalle gerarchie ecclesiastiche.“ 210 MIGNE PL 216, Sp. 151f., Nr. 122; MESCHINI (wie Anm. 156) S. 601–605, 611. Vgl. zu Simon de Montfort Christine WOEHL: «Volo vincere cum meis vel occumbere cum eisdem». Studien zu Simon de Montfort und seinen nordfranzösischen Gefolgsleuten während des Albigenserkreuzzugs (1209–1218), Frankfurt a. M. 2001 (Europäische Hochschulschriften 3/906). Im Januar 1211 leistete Simon von Montfort Peter II. von Aragón den Lehenseid für die Vizegrafschaften Béziers und Carcassonne, ROQUEBERT: L’épopée (wie Anm. 152) Bd. 1, S. 373.

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Zwar hatte noch 1208 Philipp II. August dem Papst geschrieben, Raimund VI. von Toulouse könne nach der geltenden Rechtsgrundlage nicht als Häretiker verurteilt werden211, und Innozenz III. hatte 1212 Arnald Amalrich und dem Bischof von Uzès mitgeteilt, dass Raimund VI. weder der Häresie noch des Mordes an Pierre de Castelnau schuldig befunden worden wäre, selbst wenn er dessen verdächtig wäre: non intelligimus qua ratione possemus adhuc alii concedere terram eius, que sibi vel haeredibus suis abjudicata non est212. Dennoch lief seit der Exkommunikation Raimunds VI. durch Pierre de Castelnau im April 1207 und deren Bestätigung durch Innozenz III. im Mai diesen Jahres213 alles auf eine Herrscherabsetzung hinaus. Vollzogen wurde diese schließlich auf dem 4. Laterankonzil, wo Simon von Montfort, der militärische Anführer des Kreuzfahrerheeres mit der Grafschaft Toulouse belehnt wurde214. Drei Jahres später sollte er unter den Mauern von Toulouse sterben. Seinem Sohn Amalrich gelang es nicht, sein Erbe zu bewahren. Das Ziel des Kreuzzugs aber, die Vernichtung der Ketzer, war nicht erreicht, erst die Einführung der Inquisition sollte hier zum Erfolg führen.

Schluss Zentrum und Peripherie: für die politische und kirchenpolitische Stellung der Narbonnensis erwies sich dieser Gegensatz als richtungsweisend. Suchte man zunächst die Unterstützung des Papsttums zur Absicherung der eigenen Macht- und Besitzansprüche, so kehrte sich dieses Verhältnis im Laufe des 12. Jahrhunderts um, vielleicht auch weil ein Antagonismus zwischen romorientiertem Episkopat und romfernem Adel entstand. So führte das Eingreifen des Papsttums durch die Ausrufung des Albigenserkreuzzuges schließlich zum Verlust der politischen Eingeständigkeit der Narbonnensis und letztendlich zu ihrer Eingliederung in das Königreich Frankreich. Damit verlor aber auch das Papst211 HGL VIII, S. 558: Sciatis quod a viris litteratis et illiustratis didicimus quod id de jure facere non potestis, quousque idem de heretica pravitate fuerit condempnatus, vgl. dazu GRAHAMLEIGH: Nobility (wie Anm. 177) S. 67f., über die Schwierigkeit den Grafen von Toulouse anhand der vorgegebenen Konzilsbeschlüsse zu verurteilen; ROSCHER (wie Anm. 191) S. 227. 212 MIGNE PL 216, Sp. 614, vgl. dazu GRAHAM-LEIGH: Nobility (wie Anm. 177) S. 60; Kenneth PENNINGTON: Pro Peccatis Patrum Puniri: A Moral and Legal Problem of the Inquisition, in: Popes, Canonists and Texts 1150–1550, Aldershot 1993, S. 1–21, bes. S. 2. 213 ROQUEBERT: L’épopée (wie Anm. 152) S. 201–204. MESCHINI (wie Anm. 156) S. 581, überschreibt ein Kapitel sogar mit „Lo scopo della prima crociata albigense: abbattere Raimondo VI de Tolosa“. 214 MESCHINI (wie Anm. 156) 660–664. Allgemein zu den Folgen des Kreuzzugs für den Adel vgl. Jean-Louis BIGET: La dépossession des seigneurs méridionaux. Modalités, limites, portée, in: ROQUEBERT: Croisade (wie Anm. 152) S. 261–299.

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tum seine Möglichkeiten, dort entscheidend einzugreifen. Solange die Initiative von der Peripherie ausging und das Papsttum nur darauf reagierte, wuchs sein Einfluss ständig, sobald jedoch das Zentrum der Peripherie seinen Willen aufzwang, ging sein geistiger Einfluss dort verloren.

Papsturkunden für die Narbonnensis Gregor VII Urban II. Paschalis II. Gelasius II. Kalixt II. Honorius II. Innozenz II. Anaklet II. Coelestin II. Lucius II. Eugen III. Anastasius IV. Hadrian IV. Alexander III. Viktor IV. Paschalis III. Lucius III. Urban III. Gregor VIII. Clemens III. Coelestin III. Innozenz III.

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Lombardos, qui utiles nobis extiterunt admodum et devoti, non possumus non amare Aspekte päpstlicher Zentralisierung in der Lombardei im 11. und 12. Jahrhundert NICOLANGELO D’ACUNTO Bereits in zwei früheren Aufsätzen habe ich mich mit den Beziehungen des Apostolischen Stuhls und der Lombardei beschäftigt1. Dabei bin ich vor allem auf die Grenzen eingegangen, auf die das Papsttum nach Maria Pia Alberzoni bei dem Versuch stieß, „die Beziehung zwischen Papst und Bischof in eine einzige Richtung zu lenken, um dadurch dem Apostolischen Stuhl die unangefochtene Zentralität bei der Führung der Kirche zu sichern“2. Aus meinen bisherigen Überlegungen ging hervor – und ich hoffe, mit einiger Klarheit –, dass man sich bei der Annäherung an das Phänomen Zentralisierung notwendigerweise freimachen muss von gewohnten Vorstellungen einer linearen und zwangsläufigen Entwicklung. Was in den verschiedenen Kontexten stattdessen zum Vorschein kommt, sind die einzelnen Steine eines Mosaiks, die wir lediglich durch Abstraktion und a posteriori in ein festes Interpretationsschema einfügen können. Dieses wird stets von einer mehr oder minder offenkundigen teleologischen Richtung geprägt und durch diese verzerrt sein.

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2

Nicolangelo D’ACUNTO: Chiesa romana e chiese della Lombardia: prove ed esperimenti di centralizzazione nei secoli XI e XII, in: Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie. Das universale Papsttum als Bezugspunkt der Kirchen von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III., hg. v. Jochen JOHRENDT/Harald MÜLLER, Berlin/New York 2008 (Neue AAG 2), S. 207–233; DERS.: Institutionalisierung und Zentralisierung. Die Römische Kirche und die Kirche der Lombardei im 11. und 12. Jahrhundert, in: Institution und Charisma. Festschrift für Gert Melville zum 65. Geburtstag, hg. v. Franz FELTEN/Annette KEHNEL/Stefan WEINFURTER, Köln u. a. 2009, S. 183– 191. Für die Übersetzung danke ich Markus Krumm (München). Maria Pia ALBERZONI: Vercelli e il papato, in: Vercelli nel secolo XII. Atti del quarto congresso storico vercellese, Vercelli 2005, S. 79–136, hier: 80: „... imprimere al rapporto papa-vescovi una direzione univoca, così da garantire alla sede apostolica l’assoluta centralità nel governo della Chiesa“; mit umfangreichen Literaturangaben.

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Grenzen der päpstlichen Zentralisierung in der Lombardei Ohne den Nutzen von Kategorien wie Zentralisierung, Zentrum und Peripherie abstreiten zu wollen, sollten wir uns der Komplexität der Phänomene bewusst bleiben, die wir mit Hilfe dieser Kategorien beschreiben wollen. Die zahlreichen Versuche des Apostolischen Stuhls, die Wirksamkeit des eigenen Handelns zu steigern und den Anspruch des päpstlichen Primats gegenüber den Kirchen der Lombardei und der gesamten Christianitas auch in der Praxis effektiv umzusetzen, waren letztlich ein Experiment. Daraus ergeben sich zwei Fragen, die mir aus dieser Perspektive als wesentlich erscheinen. Sie betreffen die Akteure, die in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der päpstlichen Zentralisierung in der Lombardei für relevant erachtet werden. Erstens: Der Versuch lohnt sich, das Papsttum des 11. und 12. Jahrhunderts gewissermaßen zu de-ontologisieren und stattdessen von einzelnen Päpsten zu sprechen? Immerhin wurde die historische Entwicklung des Papsttums, selbst was seine ‚zentralen‘ Strukturen betrifft, sehr stark von äußeren Umbrüchen beeinflusst – insbesondere in der von Schismen und erzwungener Distanz zu Rom geprägten Zeit. Daraus ergibt sich ein Itinerar, das in keiner Weise dem des 13. Jahrhunderts gleicht, als es den Päpsten spürbar gelang, neuralgische Punkte des Kirchenstaates unter ihre Kontrolle zu bringen.3 Ähnliche Überlegungen lohnen sich für die Lombardei. Mit dieser ist nicht etwa eine kohärente Region gemeint; vielmehr ist sie eine Art Rahmen, innerhalb dessen sich ähnliche Institutionen greifen lassen, die allenfalls vordergründig als homogen erscheinen. Tatsächlich widersetzte sich die kommunale Entwicklung jedwedem Homogenisierungsversuch, nicht allein hinsichtlich der weltlichen, sondern auch der kirchlichen Institutionen. Deren dynamische Entwicklung schlug sich zugleich in einem zuvor ungekannten Klima des Partikularismus nieder, das durch die Krise des Reiches und der Anerkennung der städtischen Autonomie befördert wurde.

Die Quellen Mit diesen Beobachtungen sind wir bereits in der pars destruens der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der päpstlichen Zentralisierung, während mein Erkenntnisinteresse auf den nächsten Seiten den Instrumenten der Zentralisierung und den vielfältigen Strategien gilt, mit denen das Papsttum die 3

Agostino PARAVICINI BAGLIANI: La mobilità della curia romana nel secolo XIII. Riflessi locali, in: Società e istituzioni dell’Italia comunale: l’esempio di Perugia (secoli XII–XIV). Congresso storico internazionale (Perugia, 6–9 novembre 1985), Bd. 1, Perugia 1988, S. 155–278; DERS.: La mobilità della corte papale nel secolo XIII, in: Itineranza pontificia: la mobilità della Curia papale nel Lazio (secoli XII–XIII), hg. v. Sandro CAROCCI, Rom 2003 (Nuovi studi storici 61), S. 3–80.

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eigene Position als dauerhafter und unumgehbarer Vermittler zu festigen sowie als Bezugspunkt der gesamten Kirche auszubauen suchte. Dabei werde ich meine Analyse nicht auf die Lombardei im mittelalterlichen Sinn des Begriffs beschränken – der eine durchaus beachtliche Homogenität eignet4 –, sondern vielmehr auf den Raum, den Kehr als Lombardei innerhalb der noch größeren Liguria sive provincia Mediolanensis5 definiert hat. Ich werde allein die Diözesen Mailand, Pavia, Lodi, Cremona, Brescia, Bergamo und Como betrachten. Diese Gruppe von Diözesen war im hier gewählten Beobachtungszeitraum, – den ich gleich umreißen werde – vor identische Probleme gestellt und von durchaus ähnlichen politischen und religiösen Institutionen geprägt; sie rechtfertigen daher eine Gesamtanalyse des Einflusses, den die Instrumente der päpstlichen Zentralisierung auf die Region haben sollten. Um ein Beispiel e contrario zu geben: Mir scheint, dass die Diözese Genua, obwohl sie bis zum Ende des anakletianischen Schismas Teil der Kirchenprovinz Mailand war, eine Reihe institutioneller Eigenarten aufwies, die unsere Analyse verfälschen würde6. Der Systematik Kehrs entspricht auch die gewählte zeitliche Eingrenzung, die mit dem Pontifikat des Patareners Anselm von Baggio, also Papst Alexanders II. (1061–1073)7, beginnt und mit dem Jahr 1198 endet. Diese Eingrenzung erklärt sich vor allem aus dem Umstand, dass die Sammlung des für die Geschichte der betreffenden Diözesen im 13. Jahrhundert verfügbaren urkundlichen Materials eine Bestandsaufnahme verlangen würde, die nicht nur die ohnehin schon gewaltige, von Potthast zusammengetragene Materialfülle berücksichtigte8, sondern ebenso die zahlreichen päpstlichen Privilegien, die bei Potthast unberücksichtigt blieben und sich in den lokalen Archiven befinden. Zudem reicht der Umfang der für unser Problem potenziell in Frage kommenden Quellen weit über die Grenzen der päpstlichen Überlieferung hinaus und würde etwa die beinah unübersehbare Menge notarieller Quellen aus der Lokalüberlieferung mit einschließen9. Schwer einzuschätzen ist überdies der Beitrag der kommunalen Quellen, nicht nur der urkundlichen, sondern auch der erzählenden, allen voran Chroniken und Briefe, die in der Region der scriptores in urbibus wertvolle Hinweise liefern, um das an sich bereits dichte Bild, das sich aus den päpstlichen Privilegien 4 5 6 7

8 9

Giancarlo ANDENNA: Storia della Lombardia medievale, Turin 1999, S. 47–75. IP 6/1. Als Gesamtdarstellung vgl. Valeria POLONIO: Istituzioni ecclesiastiche della Liguria medievale, Roma 2002 (Italia Sacra 67). Vgl. Tilmann SCHMID: Alexander II (1061–1073) und die römische Reform-Gruppe seiner Zeit, Stuttgart 1977 (Päpste und Papsttum 11); Cinzio VIOLANTE: Alessandro II, in: DBI 3 (1961) S. 176–183, erneut abgedruckt und mit aktualisierter Bibliographie in: Enciclopedia dei papi, 2, Roma 2000, S. 178–185. POTTHAST. ALBERZONI: Vercelli (wie Anm. 2) S. 79–136; Laura BAIETTO: La giustizia pontificia nei conflitti fra chiese locali e comuni fra la seconda metà del secolo XII e l’inizio del XIII: linguaggi, procedure e rapporti di potere, in: Società e storia 31 (2008) S. 3–36.

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ergibt, noch besser zu kontextualisieren. Meines Erachtens ist das Wissen um lokale Kontexte und einzelne Ereignisse weniger abstrakt und kann daher die rein quantitative Analyse der überlieferten und erwähnten Privilegien unterstützen. Die hier verfolgte Methode können wir dennoch im weitesten Sinne als quantitativ bezeichnen. Sie hat ein erhebliches Potential, denn sie erlaubt, die wissenschaftliche Auseinandersetzung auf eine sichere Grundlage zu stützen: Die Ergebnisse mögen zwar keine statistische Relevanz beanspruchen; sie erlauben jedoch, die Überlieferung in ihrer Gesamtheit zu erfassen und sich vom spezifischen Textinhalt einzelner Privilegien zu lösen. An dieser Stelle scheint mir eine Tabelle hilfreich, welche die zunehmende Anzahl päpstlicher Urkunden für die lombardischen Diözesen zeigt. Jahre 1020–1029 1030–1039 1040–1049 1050–1059 1060–1069 1070–1079 1080–1089 1090–1099 1100–1109 1110–1119 1120–1129 1130–1139 1140–1149 1150–1159 1160–1169 1170–1179 1180–1189 1190–1199

Datierbare Urkunden 1 0 1 1 6 31 2 13 11 8 19 27 40 22 15 24 75 43

Unsicher zu datierende Urkunden 0 2 0 9 14 9 11 23 16 10 22 28 65 33 14 78 115 37

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Daraus ergibt sich folgende Grafik:

Ich habe die den Untersuchungen dieses Bandes zugrunde liegende Zeitspanne bis auf das Jahr 1020 ausgedehnt, um zu zeigen, wie der Pontifikat des Lombarden Alexander II. (1061–1073) mit dem ersten bedeutenden Anstieg unseres Materials zusammenfällt. Die Auseinandersetzung zwischen der Pataria und Erzbischof Guido da Velate eröffnete dem Apostolischen Stuhl neue Handlungsmöglichkeiten; er konnte sich in die Mailänder Ereignisse einschalten und auf diese Weise die Kommunikation mit den lombardischen Diözesen intensivieren, trotz aller Schwierigkeiten, die damit verbunden waren, den Widerstand der ambrosianischen Kirche zu überwinden10. Der Pontifikat Alexanders II. hebt sich umso deutlicher ab, wenn man bedenkt, dass die umfangreiche Überlieferung in den siebziger Jahren vor allem auf einen Überlieferungszufall zurückzuführen ist, nämlich auf das Register Gregors VII.; diese wirklich herausragende (im doppelten Wortsinn) Überlieferung enthält fast alle päpstlichen Dokumente, die in dieser Zeit für die Lombardei ausgestellt wurden. Daher lässt sich sagen, dass die Intensität der Beziehungen nicht so sehr vom Druck der Peripherie herrührt; vielmehr erklärt sie sich aus dem Handeln des Zentrums, und das bedeutet des Apostolischen Stuhls, dessen Anspruch auf Hegemonie über die gesamte Christianitas sich seit

10 Vgl. dazu D’ACUNTO: Chiesa romana (wie Anm. 1) S. 211–213.

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Gregor VII. ins Übermaß steigerte und die ihren Niederschlag in einem großen Ausstoß an brieflichen Anordnungen fand. Ein deutlicher Rückgang der Überlieferung ist im folgenden Jahrzehnt zu verzeichnen. Es begann mit der Zustimmung der Bischöfe zum kaiserlichen Gegenpapst, Clemens (III.), auf der Synode von Worms im Jahr 1080, was nicht bedeutet, dass die Diözesen die Kommunikation mit dem Papsttum abgebrochen hätten; sie unterhielten diese lediglich mit dem ‚falschen‘ Papst, also mit Wibert von Ravenna – Clemens (III.), der in den Jahrzehnten nach dem Investiturstreit sogleich einer regelrechten archivalischen damnatio memoriae verfiel, selbst in den Diözesen, die mit ihm und Kaiser Heinrich IV. den intensivsten Kontakt gepflegt hatten11. Die Plausibilität dieser These wird noch durch das Anwachsen der päpstlichen Überlieferung im Jahrzehnt nach dem so genannten Wormser Konkordat (1122) unterstrichen; in dieser Zeit erreicht die Kurve abermals das Niveau der siebziger Jahre des 11. Jahrhunderts (die Gründe dafür habe ich bereits dargelegt). Besonderes Gewicht kommt dabei dem bemerkenswerten Urkundenbündel Calixts II. zu: Aus den fünf Jahren seines Pontifikats, sind 31 Urkunden erhalten oder werden zumindest erwähnt (6,2 pro Jahr), während sein Vorgänger Paschalis II. (42 Dokumente in 18 Jahren) im Schnitt auf gerade einmal 2,3 Urkunden pro Jahr kommt. Das ‚Ergebnis‘ für Calixt II. erklärt sich aus den wieder aufgenommenen Beziehungen zwischen Kirchen der Lombardei und der römischen Kirche nach Ende des Investiturstreits: Allein zwölf Urkunden dieses Papstes datieren auf das Jahr 1123, das Jahr nach dem ‚Wormser Konkordat‘. Diesmal geht die Intensität der Beziehungen wohl auf den Druck der Peripherie zurück, also aus dem Bemühen von Kirchen und Klöstern um Bestätigungsprivilegien, die ihre wieder aufgenommenen Beziehungen zum römischen Papsttum belegen wollten. Wieder anders verhält es sich mit den Urkunden, die während des anakletianischen Schismas im großen Stil von Innozenz II. ausgestellt wurden. Wer auch nur ein wenig mit der klösterlichen Archivüberlieferung – nicht nur der lombardischen – vertraut ist, weiß, dass in vielen Klöstern das Privileg Innozenz’ II. häufig die älteste originale Papsturkunde des Archivs darstellt – ein Beleg für die große Kanzlei-Tätigkeit dieses Papstes. Im vorliegenden Fall war es freilich die anfängliche Unterstützung des gegnerischen Anaklets II. durch Mailand, die schließlich zur erhöhten Tätigkeit Innozenz’ II. führte, aus dessen Pontifikat in wenig mehr als einem Jahrzehnt 68 Dokumente überliefert sind. Von den unmittelbar nachfolgenden Päpsten, Cölestin II. und Lucius II., sind immerhin mehr als zehn Dokumente pro Jahr überliefert; damit erreichte die päpstliche Kanzlei einen Standard, der sich unter Eugen III. (63 Dokumente in acht Jahren), Anastasius IV. und Hadrian IV. endgültig etablieren sollte. Die bisherigen Beobachtungen bestätigen, was Jochen Johrendt für einen anderen Zeitraum herausgearbeitet hat: die Bestätigungsprivilegien Alexand11 Nicolangelo D’ACUNTO: L’età dell’obbedienza. Papato, impero e poteri locali nel secolo XI, Napoli 2007.

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ers III. zugunsten lombardischer Institutionen. Diese wurden großteils erst nach dem Jahr 1167 ausgestellt12, das heißt zu einer Zeit, als der Unterstützung des alexandrinischen Papsttums durch lombardische Kirchen aufgrund des anhaltenden Konflikts mit Barbarossa noch eine eindeutig politische Bedeutung zukam. Der deutliche Anstieg der Überlieferung im nächsten Jahrzehnt, also den 80er Jahren des 12. Jahrhunderts, erklärt sich einerseits aus der Notwendigkeit, die durch das von Barbarossa geförderte Schisma in die Krise geratene Ordnung wieder herzustellen; andererseits aus dem Willen des Apostolischen Stuhls, sich in die Streitigkeiten zwischen Ortskirchen und Kommunen um die libertas ecclesiae einzuschalten, zu denen es nach dem endgültigen Sieg gegen den Kaiser gekommen war. Die letzten zwanzig Jahre des 12. Jahrhunderts bestätigen den inzwischen anhaltend hohen Standard, sowohl was Ausstoß als auch Aufbewahrung päpstlicher Dokumente anbelangt: So sind beispielsweise unter Lucius III. 58 Dokumente innerhalb von vier Jahren überliefert, im Schnitt also dreizehn pro Jahr. Anders und zweifellos außergewöhnlich stellt sich der Fall des Lombarden Hubert Crivelli dar: Erzdiakon der Mailänder Bischofskirche seit 1168, Kardinal und päpstlicher Legat in der Lombardei bis 1182, war er seit 1183 Bischof von Vercelli und zwei Jahre später Erzbischof von Mailand, ein Amt, das er auch als Papst (1185–1187) nicht aufgab13. Für seinen Pontifikat haben sich 71 Dokumente erhalten oder werden zumindest erwähnt; daraus ergibt sich ein jährlicher Durchschnitt von 35,5 Dokumenten: eine Zahl von beinahe statistischer Relevanz, mit einem fast dreimal höheren Durchschnitt als unter seinen unmittelbaren Vorgängern, unter denen ein ohnehin schon hoher Stand erreicht war. Die beachtliche Zahl päpstlicher Schutzprivilegien unter Urban III. erklärt sich – wie bereits von Annamaria Ambrosiani unterstrichen – aus dem Versuch, die Isolierung aufzubrechen, in die das Papsttum durch den neuen Konflikt mit dem Imperium geraten war. Alte Bindungen mit Kathedralkapiteln und Kanonikern bedeutender Städte wurden neu geknüpft, ebenso mit zahlreichen Klöstern, vor allem denen der Zisterzienser. In dieser Strategie erkannte die Historikerin mit guten Gründen und, wenn auch mit aller Vorsicht, einen weiteren entscheidenden Schritt hin auf dem Weg zur Zentralisierung14. 12 Jochen JOHRENDT: Cum universo clero ac populo eis subiecto, id ipsum eodem modo fecerunt. Die Anerkennung Alexanders III. in Italien aus der Perspektive der Papsturkundenempfänger, in: QFIAB 84 (2004) S. 38–68, hier 63. 13 Annamaria AMBROSIONI: Ecclesiastici milanesi presso la curia romana fino all’età del cardinale Pietro Peregrosso, in: Il Cardinale Pietro Peregrosso e la fondazione francescana di Pozzuolo Martesana (1295–1995), Pozzuolo Martesana 1996, S. 19–29, erneut abgedruckt in DIES.: Milano, papato e impero in età medievale. Raccolta di studi, hg. v. Maria Pia ALBERZONI/Alfredo LUCIONI, Milano 2003, S. 498–509 (das Zitat S. 498). 14 Annamaria AMBROSIONI: Monasteri e canoniche nella politica di Urbano III. Prime ricerche in Lombardia, in: Istituzioni monastiche e istituzioni canonicali in Occidente

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Es handelt sich um eine Tendenz, die insgesamt auf Stabilität ausgerichtet war: Der allmählich formalisierte Prozess von Anfrage und Ausstellung von Privilegien festigte die Beziehung zum Apostolischen Stuhl; diese wurde inzwischen als wesentlich angesehen, denn sie schützte die kirchliche und klösterliche libertas vor dem Zugriff der Kommunen. Die Intensivierung dieser traditionellen Praxis, wurde in den Pontifikaten Gregors VIII. und Clemens’ III. fortgeführt, die in ihrem ersten Amtsjahr je 14 bzw. 17 Bestätigungsprivilegien ausstellten. Die Stabilisierung der Urkundenproduktion auf der einen Seite und die Aufbewahrung der Stücke in der Peripherie auf der anderen, wird ebenso durch die Überlieferung aus dem Pontifikat Cölestins III. bestätigt, aus der sich für die Jahre 1191 bis 1197 gut siebzig Dokumente erhalten haben. Der Umbau der päpstlichen Kanzlei unter Innozenz III. war eine Reaktion auf die inzwischen konstant hohe Nachfrage nach päpstlichen Urkunden durch die Peripherie; notwendigerweise führte sie zur einer festen Form des geschriebenen und vom Empfänger sorgsam aufbewahrten Dokuments. Der Anspruch des Zentrums, des Apostolischen Stuhls, diese Bindungen zu erzwingen und sie in einen neuen ekklesiologischen Rahmen einzufügen, wäre sicherlich anders und schärfer ausgefallen. Was schließlich Wahrnehmung und Beschreibung dieses Wandels anbelangt, so lohnt abermals die Frage, inwiefern die Überlieferung der Register Innozenz’ III. ein anderes Bild von der Beziehung Zentrum-Peripherie vermittelt als die gewöhnliche Überlieferung der Quellen im 12. Jahrhundert.

Päpstliche Zentralisierung und Kommunen in der Lombardei Im hier untersuchten Beobachtungszeitraum trugen gerade politische Entwicklungen und insbesondere der Gegensatz zwischen Kommunen und Barbarossa zur Herausbildung einer Region bei, die in ihrer Eigentümlichkeit deutlich wahrgenommen wurde – wer dächte nicht an die Ausführungen Ottos von Freising über die Lombarden.15 Man muss freilich betonen, dass dieser Konsolidierungsprozess einer Region nicht auf die Zentralität einer Stadt zurückging (wie es für gewöhnlich der Fall ist), sondern vielmehr auf die Herausbildung einer gemeinsamen Front gegen den staufischen Herrscher. Noch nicht einmal die unangefochtene Zentralität Mailands trug dazu bei, einen homogenen (1123–1215). Atti della settima Settimana internazionale di studio (Mendola, 28 agosto–3 settembre), Milano 1980, S. 601–631; Wiederabdruck in: DIES.: Milano (wie Anm. 13) S. 337–372. 15 Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris, hg. v. Georg WAITZ/Bernhard VON SIMSON, Hannover 1912 (MGH SRG [in us. schol.] 46), S. 116. Vgl. dazu jetzt Marino ZABBIA: Tra modelli letterari e autopsia. La città comunale nell’opera di Ottone di Frisinga e nella cultura storiografica del XII secolo, in: BISI 107 (2005) S. 106– 138.

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Raum zu schaffen, weil sich in der Lombardei, wie in ganz Mittel- und Norditalien – wenn auch mit teils erheblichen Modifikationen – ein dichtes Netz städtischer Zentren erhalten hatte; bis in die römische Zeit zurückreichend hatten die meisten dieser Städte ohne wesentliche Unterbrechung kontinuierlich bis in das Hochmittelalter ihre Grundordnung bewahrt, sowohl im kirchlichen als auch im weltlichen Bereich. Für jede dieser Städte lässt sich für das 12. Jahrhundert – wenn auch mit durchaus unterschiedlicher Ausprägung – eine gewissermaßen natürliche Tendenz zur Schaffung eigener Mikroregionen feststellen. Konflikte zwischen den Städten waren daher vorprogrammiert16. Derlei Überlegungen legen die Frage nahe, was es eigentlich bedeutet, dass sich die päpstlichen Zentralisierungsbemühungen angesichts des anhaltenden Fragmentierungsprozesses im kommunalen Italien gleichsam gegen den Strom richteten. Dies blieb für den Prozess der Zentralisierung nicht ohne Bedeutung und sollte uns helfen, sie in ihrer tatsächlichen Reichweite einzuschätzen, und sie vor allem nicht zu überschätzen. Ein Beispiel aus der Geschichte Brescias kann, diese womöglich doch etwas abstrakten Überlegungen klarer zu fassen. Im Jahr 1116 setzte der Mailänder Erzbischof während einer Messfeier in der Lateranbasilika den Bischof von Brescia, Arimannus, ab und weihte an dessen Stelle einen Mann namens Villanus17. Die Stellung des Arimannus, der in der Zeit des Investiturstreits als Kardinal und päpstlicher Legat in der Lombardei tätig gewesen war, war keineswegs unangefochten: Zur nachlassenden Unterstützung seiner Anhänger – einer gewissermaßen natürlichen Konsequenz des nachlassenden Reformeifers, der sich in der Zeit des Konflikts mit dem Kaisertum voll auszuprägen begann – kam noch die sich mächtig durchsetzenden städtischen Ansprüche sowie die Tatsache, dass städtische Führungsschichten hinter Villanus standen. Die lokal forcierte Wiedereinsetzung des Bischofs Villanus – in mancher Hinsicht begünstigt durch den Papst – begrub die universalen (und deutlich zentralistischen!) Ansprüche aus der Zeit der gregorianischen Reform endgültig unter der Decke partikularer Interessen, die der neue Bischof garantieren und repräsentieren sollte; dahinter stand der Druck jener städtischen Kreise, die in der papstnahen Botschaft des Arimannus eine Bedrohung der eigenen Vorherrschaft im Leben der Kommune gesehen hatten. Wie der Fall Brescias demonstriert, ging die Tendenz bei Bischofserhebungen im 12. Jahrhundert in die genau entgegengesetzte Richtung wie sie die Logik der Zentralisierung gefordert hätte; die Wahl des Bischofs bewegte sich zusehends auf der Ebene lokalen Machtausgleichs; innerhalb der städtischen 16 Nicolangelo D’ACUNTO: Oberitalien: Politik, Kommunen, Wirtschaft, in: Verwandlungen des Stauferreichs. Drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa, hg. v. Bernd SCHNEIDMÜLLER/Stefan WEINFURTER/Alexander WIECZOREK, Darmstadt 2010, S. 76–85. 17 Vgl. Nicolangelo D’ACUNTO: La pastorale nei secoli centrali del medioevo: vescovi e canonici, in: A servizio del Vangelo. Il cammino storico dell’evangelizzazione a Brescia. 1. L’età antica e medievale, hg. v. Giancarlo ANDENNA, Brescia 2010, S. 79–81.

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Gesellschaft war der Bischof wenig mehr als eine Komponente unter anderen18. Bischof Villanus beteiligte sich aktiv am Ausbau der im Entstehen begriffenen kommunalen Institutionen. Im Sommer 1132 bezahlte er für sein unentschlossenes und schwankendes Verhalten während des anakletianischen Schismas mit der Absetzung durch Innozenz II. Nichtsdestoweniger wurde er nach seinem Tod in der Kathedrale S. Pietro Maggiore bestattet und ohne Schwierigkeiten in die lokalen series episcoporum aufgenommen. Angesichts solcher Ereignisse stellt sich die Frage nach den Grenzen der Autonomie der lombardischen Diözesen gegenüber dem Papsttum sowie nach dem Gewicht, das dem Urteil der lokalen Bevölkerung bisweilen zukam. Offensichtlich konnte es in der Lebenswirklichkeit vor Ort die Verurteilung eines Bischofs als Schismatiker durch den Apostolischen Stuhl aushebeln. In den Kommunen der Lombardei hatte sich zwischen Führungsschichten und lokalen kirchlichen Institutionen tatsächlich eine Art Zusammenarbeit und Wettstreit herausgebildet, die dem Papsttum keinen unbegrenzten Spielraum ließ; auch konnte es sich nicht an Stelle des Imperiums der Kontrolle der Diözesen bemächtigen. Behindert wurde eine derartige Entwicklung vor allem durch die politische Zersplitterung des kommunalen Italien, allen voran der Lombardei, sowie durch den starken Druck der lokalen Führungsschichten. Dieses Problem wurde jüngst in zwei auf den Pontifikat Innozenz’ III. beschränkten Studien behandelt. Auf Innozenz III. bezieht sich die Studie Maria Pia Alberzonis19. Die umfangreiche und systematische Monographie Laura Baiettos nimmt den Pontifikat dieses Papstes als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen, reicht jedoch bis in die Zeit Gregors IX.20 Das 12. Jahrhundert bietet nach wie vor viele Möglichkeiten für Analysen ‚von unten‘, die von der lokalen Überlieferung ausgehen und sich auf einzelne Städte beziehen. Die größte Aufmerksamkeit galt bislang einem klassischen Thema: den Beziehungen zwischen Papsttum und italienischen Kommunen vor dem Hintergrund der Kriege gegen Friedrich Barbarossa21.

18 Maria Pia ALBERZONI: Città, vescovi e papato nella Lombardia dei comuni, Novara 2001. 19 ALBERZONI: Città (wie Anm. 18) S. 7–110 20 Laura BAIETTO: Il papa e le città. Papato e comuni in Italia centro-settentrionale durante la prima metà del secolo XIII, Spoleto 2007. 21 Vgl. dazu Pier Fausto PALUMBO: Comuni, papato ed impero. I precedenti della tregua di Venezia e della pace di Costanza, in: Studi sulla pace di Costanza, Milano 1984, S. 185–222. Vgl. jetzt auch Hüseyin ERYÜZLU: Die Italienpolitik Friedrich Barbarossas und die Auseinandersetzung mit der Kurie, Hamburg 2009; Johannes BERNWIESER: Ex consilio principum curie. Friedrich Barbarossa und der Konflikt zwischen Genua und Pisa um die Vorherrschaft auf Sardinien, in: Staufisches Kaisertum im 12. Jahrhundert. Konzepte – Netzwerke – Politische Praxis, hg. v. Stefan BURKHARDT u. a. Regensburg 2010, S. 205–227.

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Hier ist gewiss nicht der Raum, um ein Problem dieser Tragweite zu behandeln. Wesentlich bescheidener beschränke ich mich auf den nachfolgenden Seiten auf die Analyse der Intensität der Kommunikation zwischen Papsttum und lombardischen Kommunen anhand der Anzahl päpstlicher Dokumente, die an die Städte versandt wurden: Jahre 1020–1029 1030–1039 1040–1049 1050–1059 1060–1069 1070–1079 1080–1089 1090–1099 1100–1109 1110–1119 1120–1129 1130–1139 1140–1149 1150–1159 1160–1169 1170–1179 1180–1189 1190–1199 Gesamtzahl

Urkunden pro Stadt 0 2 0 6 12 13 4 2 3 2 4 8 5 4 5 10 8 1 89

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Die aufgeführten Zahlen sind in der nachfolgenden Grafik visualisiert.

Die Päpste stellten allgemein relativ wenige Urkunden für Städte aus. Lediglich in den dreißig Jahren zwischen 1060 und 1090 ist die Anzahl einigermaßen hoch, als die städtischen Gemeinschaften sich in dem erwähnten Konflikt um die Pataria befanden. Da sich das Papsttum auf den Konsens der cives stützen konnte, bot sich ihm die erste und konkrete Möglichkeit, im Rahmen des Investiturstreits in die Belange der ambrosianischen Kirchenprovinz einzugreifen22. Die nun verstärkt fassbare Interaktion zwischen Papsttum und Stadt ist zumindest für den Pontifikat Gregors VII. auch durch die Überlieferung seines Registers zu erklären. Dass aus der unmittelbar darauf folgenden Zeit deutlich weniger päpstliche Urkunden an Städte überliefert sind, ist jedoch auf nun tatsächlich weniger intensive Beziehungen zwischen dem Papsttum und den lombardischen Städten zurückzuführen. Nicht nur die lombardischen Bischöfe hingen der kaiserli22 Für den Zusammenhang von städtischer Autonomie und Pataria vgl. Hagen KELLER: Pataria und Stadtverfassung, Stadtgemeinde und Reform. Mailand im ‚Investiturstreit’, in: Investiturstreit und Reichsverfassung, hg. v. Josef FLECKENSTEIN, Sigmaringen 1973 (VuF 17), S. 321–350 und jüngst Olaf ZUMHAGEN: Religiöse Konflikte und kommunale Entwicklung. Mailand, Cremona, Piacenza und Florenz zur Zeit der Pataria, Köln 2001 (Städteforschungen, Reihe A: Darstellungen 58).

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chen Partei an; zeitgleich hatten sich auch Führungsschichten etlicher mittelund norditalienischer Städte auf die Seite Heinrichs IV. geschlagen23. Seit den dreißiger Jahren des 12. Jahrhunderts steigt die Kurve erneut an; dies entspricht einer allgemeinen Intensivierung der Beziehungen zwischen dem Apostolischen Stuhl und der Lombardei. Das anakletianische Schisma und der anschließende Bruch mit dem Kaisertum in der Zeit Barbarossas trugen dazu bei, dass mehr Urkunden an die Städte versandt wurden; ihre Zahl erreichte jedoch niemals ein solches Niveau, dass sie den bisher skizzierten Trend radikal umgestoßen hätte; er war konstant von vergleichsweise niedrigen Zahlen geprägt und wuchs lediglich im Jahrzehnt 1170–1180 auf das Doppelte an. Offensichtlich zogen die durchaus intensiven Beziehungen der in der Societas Lombardiae geeinten Kommunen mit dem Papsttum nicht automatisch eine erhöhte Schriftlichkeit nach sich; vielmehr hingen sie maßgeblich vom direkten und persönlichen Eingreifen päpstlicher Legaten ab, die besonders in der hier betrachteten Zeit aktiv waren24. Die nachfolgende Tabelle zeigt das Verhältnis päpstlicher Urkunden an Städte gegenüber der Gesamtzahl päpstlicher Urkunden für die Lombardei. Jahre 1020–1029 1030–1039 1040–1049 1050–1059 1060–1069 1070–1079 1080–1089 1090–1099 1100–1109 1110–1119 1120–1129 1130–1139 1140–1149 1150–1159 1160–1169 1170–1179 1180–1189 1190–1199 Gesamtzahl

Urkunden an Städte 0 2 0 6 12 13 4 2 3 2 4 8 5 4 5 10 8 1 89

Urkunden insgesamt 0 2 1 10 20 40 13 36 27 18 41 55 105 55 29 102 190 80 824

23 Nicolangelo D’ACUNTO: I vescovi del Regno Italico, in: Matilde di Canossa – il papato – l’impero: storia, arte, cultura alle origini del romanico, hg. v. Renata SALVARANI/Liana CASTELFRANCHI, Milano 2008, S. 116–125. 24 Siehe unten bei Anm. 36 und 37

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Die nachfolgende Grafik visualisiert diese Zahlen.

Das erste und offensichtlichste Ergebnis dieser Zusammenstellung ist der geringe prozentuale Anteil von Urkunden, die für Städte ausgestellt wurden, im Verhältnis zur Gesamtzahl päpstlicher Dokumente für die Lombardei. Es sind tatsächlich nur wenig mehr als 10 % (genauer 10, 8 %). Zu berücksichtigen bleibt jedoch, dass die städtischen Gemeinschaften sehr häufig in der inscriptio päpstlicher Dokumente erwähnt werden, gemeinsam mit anderen Teilen der Stadt, meist kirchlichen Einrichtungen aus demselben lokalen Kontext. Aus diesem Grund lassen sich die Beziehungen zwischen Städten und Papsttum auch anhand von Dokumenten rekonstruieren, die in kirchlichen und religiösen Einrichtungen überliefert sind. Seltener sind hingegen päpstliche Urkunden, die direkt und ausschließlich an die Repräsentanten der weltlichen Institutionen gerichtet waren; überliefert sind sie in den libri iurium der Kommunen, die im 13. und 14. Jahrhundert angelegt wurden25. Diese besondere Gattung hebt das Übergewicht der kirchlichen Tradition (im diplomatischen Sinne des Wortes) in der mittelalterlichen Überlieferung Italiens auf26. 25 Vgl. Antonella ROVERE: Tipologie documentali nei Libri iurium dell’Italia comunale, in: La diplomatique urbaine en Europe au moyen âge. Actes du congrès de la Commission internationale de diplomatique, Gand 25–29 aout 1998, hg. v. Walter PREVENIER/Thérèse de HEMPTINNE, Leuven-Apeldorn 2000, S. 417–436. 26 Paolo CAMMAROSANO: Italia medievale. Struttura e geografia delle fonti scritte, Firenze 1991.

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Der Primat, den kirchliche und klösterliche Archive hinsichtlich der Überlieferung päpstlicher Urkunden für sich beanspruchen dürfen, wird dadurch freilich nicht in Frage gestellt, auch nicht, wenn es sich um Belege für die Beziehungen zwischen Papst und Stadt handelt.

Mittel der Zentralisierung: Legaten, delegierte Richter, Kardinäle vor Ort und Subdiakone Die umfangreiche und kontinuierliche Überlieferung belegt, dass die Beziehungen zwischen der römischen Kirche und den Kirchen der Lombardei zu keiner Zeit erhebliche Einschnitte erlebten, vielleicht noch nicht einmal auf dem Höhepunkt des Investiturstreites, als sich die lombardischen Bischöfe wegen des Bruchs zwischen ‚Reformpapsttum‘ und kaiserlichem Hof scharenweise in den Reihen des Reichsepiskopats wiederfanden27. Solche Beziehungen realisierten sich je nach Zeit und Ort in sehr verschiedenen Instrumenten sowie abhängig von der polyzentrischen Ordnung weltlicher Mächte und kirchlicher und religiöser Institutionen. Eine herausragende und sicherlich die wichtigste Form des Kontakts war die physische Präsenz des Papstes28: Urban II. hielt sich 1095 in der Lombardei auf, Paschalis II. in den Jahren 1106 und 1107, Calixt II. im Jahr 1120, Innozenz II. 1132 und Eugen III. 114829. Nachdem er unter dem Namen Alexander II. den Stuhl Petri bestiegen hatte, kehrte Anselm von Baggio nie wieder in die Lombardei, seine Heimat, zurück; gemeinsam mit Petrus Damiani war er noch im Jahr 1059 von Nikolaus II. als Legat in die Toskana entsandt worden. Bereits bei dieser Gelegenheit wurden mehr noch als die Möglichkeiten die Grenzen der Legaten als päpstlichem Instrument deutlich: Nur mit knapper Not kamen die beiden berühmten Reformer mit dem Leben davon, als die Feinde der Pataria den Mailänder Popolo überzeugten, hinter dem Kampf gegen Simonie und Nikolaitismus verberge sich in Wahrheit ein direkter Angriff auf die Eigenständigkeit der ambrosianischen Kirche30.

27 Vgl. D’ACUNTO: I vescovi (wie Anm. 23). 28 Paul Fridolin KEHR: Nachträge zu den Papsturkunden Italiens, in: NGG, phil.-hist. Kl. 4 (1912) S. 328–334, hier S. 331; Wiederabdruck in DERS.: Papsturkunden in Italien. Reisberichte zur Italia Pontificia, Bd. 5, Nachträge, Città del Vaticano 1977, S. 364– 370, hier S. 367. Die Überlegungen Kehrs wurden aufgegriffen von Maria Pia ALBERZONI: Gli interventi della Chiesa di Roma nella provincia ecclesiastica milanese, in: Das Papsttum und das vielgestaltige Italien. Hundert Jahre Italia Pontificia, hg. v. Klaus HERBERS/Jochen JOHRENDT, Berlin/New York 2009 (AAG, phil.-hist. Kl., NF 5), S. 135–181, hier 141–143. 29 ALBERZONI: Vercelli (wie Anm. 2), S. 84–85. 30 Siehe oben bei Anm. 10.

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Betrachtet man die Tätigkeit der Legaten im 11. und 12. Jahrhundert, ist man geneigt, sich dem Urteil Fabrizio Foggis anzuschließen, der vor einigen Jahrzehnten ausführte: „Im Gegensatz zur Entwicklung in anderen Teilen Europas, wo sich die Forderungen der Kirchenreform und die Dekretalen der Päpste dank der energischen und entscheidenden Hilfe römischer Vikare und Gesandter verbreiteten, entpuppte sich die Tätigkeit der Legaten in Italien – nicht weniger als das direkte Handeln des Papstes – als begrenzt, sie stieß auf Widerstand und war zu einem entschlossenen Vorgehen nicht fähig“31. Der begrenzte Einfluss gregorianischer Initiativen erklärt sich offensichtlich aus der Stärke und Reichweite des Reichskirchensystems, das auf einem dichten Netz von Bischofskirchen und großen Abteien kaiserlicher Obödienz basierte. Dies gilt insbesondere für das 11. Jahrhundert, vor allem für die Zeit des Investiturstreits, als sich in der Lombardei tätige Legaten wie Bernhard von Uberti32, Anselm von Lucca33 und Arimannus von Brescia34 überhaupt nur mit Unterstützung Mathildes von Canossa militärisch behaupten konnten, und dennoch den lombardischen Episkopat, der eng an Heinrich IV. gebunden war, nicht dauerhaft kontrollieren konnten; mit großen Anstrengungen gelang es immerhin noch, die eigenen Diözesen zu behaupten. In den nachfolgenden Jahrzehnten hingegen stellt sich die Situation weniger starr und wesentlich differenzierter dar, beginnend mit dem Schisma des Jahres 1130, als die Partei Innozenz’ II. nach Mitteln suchte, die Städte der Lombardei effektiv an sich zu binden; dabei griff sie auch auf herausragende Persönlichkeiten wie Bernhard von Clairvaux zurück, die sich der in der Geschichtswissenschaft etablierten Typologisierung der Legaten entziehen35. 31 Fabrizio FOGGI: Arimanno da Brescia, legato pontificio in Italia settentrionale alla fine del secolo XI, in: Atti della Accademia nazionale dei Lincei. Memorie. Classe di scienze morali, storiche e filologiche, Serie VIII 31/2 (1988) S. 70: „... al contrario di quanto avvenne in alte parti d’Europa, dove le istanze della riforma ecclesiastica e i decreti dei pontefici si diffusero attraverso il vigoroso e decisivo ausilio di vicari ed emissari romani, in Italia l’azione dei legati papali – non meno di quella, diretta, dei pontefici – si rivelò limitata, contrastata, incapace di un’offensiva frontale“. 32 Vgl. Raffaello VOLPINI: Bernardo degli Uberti, santo, in: DBI 9 (1967) S. 293; I Vallombrosani nella società italiana dei secoli XI e XII (Vallombrosa 1993), hg. v. Giordano MONZIO COMPAGNONI, Vallombrosa 1995 (Archivio Vallombrosano 2), vgl. den Index (S. 303). 33 Vgl. Sant’Anselmo, Mantova e la lotta per le investiture. Atti del convegno internazionale di studi (Mantova 1986), hg. v. Paolo GOLINELLI, Bologna 1987; Sant’Anselmo vescovo di Lucca (1073–1086) nel quadro delle trasformazioni sociali e della riforma ecclesiastica, hg. v. Cinzio VIOLANTE, Roma 1992. 34 FOGGI: Arimanno da Brescia (wie Anm. 31). 35 Pietro ZERBI: San Bernardo di Clairvaux e Milano, in: San Bernardo e l’Italia. Atti del Convegno di studi, Milano, 24–26 maggio 1990, hg. v. Pietro ZERBI, Milano 1993, S. 51–68. Dazu jüngst Claudia ZEY: Die Augen des Papstes. Zu Eigenschaften und Vollmachten päpstlicher Legaten, in: JOHRENDT/MÜLLER: Zentrum (wie Anm. 1), S. 77– 108.

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Gerhard Dunken hat in seinen Arbeiten die politische Wirksamkeit der päpstlichen Legaten aufgezeigt, die sie im Konflikt zwischen Friedrich Barbarossa auf der einen und Alexander III. sowie den in der Societas Lombardorum verbundenen Kommunen auf der anderen Seite entfalteten36. Die detaillierte Zusammenstellung des verfügbaren Materials durch Werner Ohnsorge, die von Marcel Pacaut ergänzt wurde37, stellen die wichtigsten prosopographischen Arbeiten in diesem Zusammenhang dar. Dass sich Alexander III. letztlich behaupten konnte, verdankt sich auch Mitgliedern des hohen ambrosianischen Klerus’, die dem Papst nach der Zerstörung Mailands im Jahr 1162 gemeinsam mit Erzbischof Obert von Pirovano ins Exil nach Frankreich gefolgt waren. Somit konnte selbst noch eine Phase der Schwäche und Unsicherheit des Apostolischen Stuhls, während des Exils Alexanders III., innerhalb kurzer Zeit zur Herausbildung einer geschlossenen und ideologisch gleich gesinnten Gruppe päpstlicher Anhänger führen. Kaum dass die alexandrinische Kurie in die Lombardei zurückgekehrt war, fungierte diese Gruppe – vielleicht zum ersten Mal überhaupt – als Bindeglied der Ortskirchen gegenüber dem Apostolischen Stuhl und förderte auf diese Weise tatsächlich die römische Zentralisierung. Überdies beeinflussten die Schismen das päpstliche Itinerar ganz erheblich: Sie zwangen die Päpste, die eigene Reisetätigkeit zu intensivieren, den Radius ihrer persönlichen Anwesenheit weit über das Maß des frühmittelalterlichen Papsttums hinaus zu erweitern und die Lombardei, wie oben bereits dargelegt, auch persönlich aufzusuchen38. Für die Zentralisierung in der Lombardei standen dem Apostolischen Stuhl im 12. Jahrhundert eine Vielzahl unterschiedlicher Instrumente zur Verfügung, etwa die Übertragung der Legatenfunktion an einzelne Mitglieder der Ortskirchen wie z. B. Galdinus della Sala. Von Alexander III. zum Kardinal erhoben, danach Erzbischof von Mailand und päpstlicher Legat für die Lombardei, zählte zu seinen Aufgaben, die Front der Gegner gegenüber Friedrich Barbarossa zu festigen und die Obödienz der mittel- und norditalienischen Städte gegenüber Rom aufrecht zu erhalten39. Galdino machte sich an die engmaschige Wiedergewinnung der größten Institutionen der Diözese; stützen konnte er sich dabei auf seine Kenntnisse der Gegebenheiten vor Ort; er setzte Vertraute als kirchliche Amtsträger ein, die ihm und Alexander III. persönlich verbunden waren. Das Papsttum experimentierte bei dieser Gelegenheit mit Formen der 36 Gerhard DUNKEN: Die politische Wirksamkeit der päpstlichen Legaten in der Zeit des Kampfes zwischen Kaisertum und Papsttum in Oberitalien unter Friedrich I, Berlin 1931 (Historische Studien 209). 37 Werner OHNSORGE: Die Legaten Alexanders III. im ersten Jahrzehnt seines Pontificats (1159–1169), Berlin 1928; Marcel PACAUT: Les légats de Alexandre III, in: RHE 50 (1955) S. 821–838. 38 Vgl. D’ACUNTO: Chiesa romana e chiese della Lombardia (wie Anm. 1), S. 225–226. 39 Vgl. dazu jüngst Nicolangelo D’ACUNTO: L’arcivescovo Galdino della Sala, in: I giorni che hanno fatto la Lombardia, hg. v. Giancarlo ANDENNA, Legnano 2007, S. 165– 170.

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Interaktion zwischen Zentrum und Peripherie, die später, als die zahlreichen Schwierigkeiten überwunden waren, zu einer üblichen Praxis wurden. Auf diese Weise nahm Galdinus, der formal als Metropolit, tatsächlich aber als langer Arm des Papstes tätig war, die Neudefinition vorweg, die das Metropolitenamt noch erfahren sollte: Ende des 12. Jahrhunderts waren die Leiter der Kirchenprovinzen allesamt formal Legaten des Papstes;40 dadurch trat ihr Profil als Metropoliten in den Hintergrund, das an ihr Amt innerhalb der polyzentrischen Kirchenstruktur gebunden war, wie sie noch für die frühmittelalterliche Kirche typisch war. Das Experiment des Galdinus della Sala war noch in anderer Hinsicht modellbildend: Die Rede ist von den Kompetenzen vor Ort residierender Kardinäle. Als sich die Verhältnisse wieder beruhigt hatten, waren die vor Ort residierenden Kardinäle bereits Teil einer etablierten Praxis. Es handelte sich um Prälaten aus der Lombardei, die sich lange innerhalb der eigenen Kirchenprovinz aufhielten. Während dieser versuchten sie, die Beziehungen zwischen Lombardei und römischer Kirche zu stabilisieren, ohne jedoch die päpstlichen Legaten zu ersetzen, deren eigene Rolle nach Ende des Krieges zwischen Kommunen und Barbarossa stark eingeschränkt war41. Über diese Kardinäle liegt seit kurzem ein ausführliches Verzeichnis vor; es stützt sich auf das Material zum Kardinalskollegium, das zuvor insbesondere Brixius, Zenker und Maleczek als Wegbereiter prosopographischer Studien auf diesem Feld zusammengestellt hatten42. Entstanden ist ein umfangreiches Verzeichnis43, das für den untersuchten Zeitraum (1110–1198) 23 Kardinäle lombardischer Herkunft ausweist. Aus einer übersichtlichen Tabelle, die Maria Pia Alberzoni zusammengestellt hat44, lässt sich entnehmen, dass in den ersten drei Jahrzehnten des untersuchten Zeitraums allein Johannes von Crema die Lombardei im Kardinalskolleg vertrat. Seit 1134 kommen Azzo von S. Anastasia und Ribaldus von S. Maria in Porticu hinzu, doch erst in den nachfolgenden Jahrzehnten wächst die Zahl lombardischer Prälaten: Fünf sind es zwischen 1141 und 1150, sechs zwischen 1151 und 1160, fünf im nachfolgenden Jahr40 Vgl. dazu für das 10. Jahrhundert die Studie von Helmut BEUMANN, Theutonum nova metropolis. Studien zur Geschichte des Erzbistums Magdeburg in ottonischer Zeit, hg. v. Jutta KRIMM-BEUMANN mit einem Geleitwort von Ernst Schubert, Köln u. a. 2000 (Quellen und Forschungen zur Geschichte Sachsen-Anhalts 1), dort bes. S. 108f., der eine ganz ähnliche Situation für das Deutschland des 10. Jahrhunderts und zu Beginn des 11. Jahrhunderts beschreibt. Dort werden alle Erzbischöfe zu päpstlichen Vikaren. 41 ALBERZONI: Vercelli (wie Anm. 2), S. 108–110. 42 Johannes Matthias BRIXIUS: Die Mitglieder des Kardinalskollegiums von 1130–1181, Berlin 1912; Barbara ZENKER: Die Mitglieder des Kardinalskollegiums von 1130 bis 1159, Würzburg 1964; Werner MALECZEK: Papst und Kardinalskolleg von 1191 bis 1216. Die Kardinäle unter Coelestin III. und Innocenz III., Wien 1984 (Publikationen des Historischen Instituts beim österreichischen Kulturinstitut in Rom Abt. 1, 6). 43 ALBERZONI: Interventi (wie Anm. 28) S. 143–147. 44 ALBERZONI: Interventi (wie Anm. 28) S. 179–181.

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zehnt, acht zwischen 1171 und 1180 und sieben zwischen 1181 und 1190. Erst im letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts geht die Zahl wieder auf zwei ‚lombardische‘ Kardinäle zurück. Um diese Zahlen angemessen beurteilen zu können, muss man sie mit der Gesamtzahl der Kardinäle im Kardinalskolleg ins Verhältnis setzen: Im hier untersuchten Zeitraum beträgt deren Zahl stets zwischen zwanzig und dreißig. Daraus ergibt sich ein beachtlicher prozentualer Anteil der lombardischer Kardinäle, der zwischen 25 und 30 % schwankt. Diese Zahlen belegen bereits für sich das zunehmende Gewicht der Lombardei innerhalb der römischen Kurie im 12. Jahrhundert. Es sind deutliche Hinweise auf die immer intensiver gepflegten Beziehungen zwischen dem Apostolischem Stuhl und der Lombardei. Im Laufe dieser Entwicklung bildeten sich einerseits die Instrumente zur Ausgestaltung der Beziehung zwischen Zentrum und Peripherie aus, zu denen gewiss die Kardinallegaten zählen; andererseits lässt sich in ihr der konstante Einfluss der Peripherie greifen, der das Wirken des Zentrums nicht nur prägte, sondern dessen integraler Bestandteil wurde. So veränderte etwa die Aufnahme lombardischer Prälaten die ‚Chemie‘ des Kardinalkollegiums und zwar in einer Zeit, in der sich dessen institutionelles Profil erst noch schärfen und sein eigener Einfluss wachsen sollte, bis es selbst ein wesentlicher und ausschlaggebender Bestandteil der römischen Kirche wurde (selbstverständlich neben dem Papsttum!)45. In dieser Perspektive verstärkte die Krise der Beziehungen zwischen Papstund Kaisertum in der Zeit Friedrichs I. Prozesse von grundlegender Bedeutung für die römische Zentralisierung. Die Dynamik der Beziehungen zwischen Zentrum und Peripherie sowie der Druck, den Papsttum und lombardische Kirchen wechselseitig ausübten, erschwert unsere Wahrnehmung des Phänomens nicht unwesentlich. Es handelt sich nicht mehr um ein rein päpstliches Projekt, das sich in einer Richtung hin zur Peripherie ausdehnte; es handelt sich vielmehr um eine dialektische Beziehung, mit einer ‚Peripherie‘, die das Zentrum mitprägt, in seine innersten Organisationsstrukturen eindringt und seine Natur verändert. Mit der Zentralisierung greifen wir tatsächlich einen ‚römischen‘ Versuch, die lombardischen Diözesen in eine tendenziell homogene Struktur unter päpstlicher Führung zu integrieren. Zugleich bringt der Druck der Peripherie eine immer deutlichere Anpassung der zentralen Strukturen an eine neue und veränderte Situation mit sich, etwa durch die Aufnahme lombardischer Prälaten in das Kolleg der Kardinäle. Deren Bedeutung innerhalb der Kurie nahm im selben Maße zu, wie der Konflikt mit Barbarossa eskalierte und die ‚lombardische‘ und kommunale Frage auf der theoretischen ‚Agenda‘ des Papstes zusehends an Bedeutung gewann. An diesem Beispiel lässt 45 Vgl. Werner MALECZEK: Das Kardinalskollegium von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, in: Pensiero e sperimentazioni istituzionali nella ‘Societas Christiana’ (1046–1250), Atti della sedicesima Settimana internazionale di studio (Mendola, 26–31 agosto 2004), hg. v. Giancarlo ANDENNA, Milano 2007, S. 237–263.

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sich sehr gut nachvollziehen, was es heißt, das Papsttum zu ‚deontologisieren‘ und seine Funktionsweise nicht mehr mit Hilfe eines Schemas künstlicher Kontinuität (trotz zahlreicher unleugbarer Elemente, die solch eine Kontinuität im Laufe der Jahrhunderte garantierten) zu erklären, sondern als konkrete Aufeinanderfolge ständiger Experimente. Zur Kontinuität des Papsttums trugen diese Experimente bei, weil sich die Instrumente veränderten Gegebenheiten anpassten und die Päpste mit ihrer Hilfe auf Notfälle reagieren konnten, die sich immer wieder in der Beziehung zwischen dem Kaisertum und den Städten Mittel- und Norditaliens ergaben. Solche Experimente schufen keine neuen formal-juristischen Strukturen; sie verwirklichten sich vielmehr durch die ‚Wiederverwendung‘, die Anpassung bereits vorhandener Einrichtungen wie etwa des Kardinalats, oder durch Rückgriff auf Personennetzwerke, wie im Fall der Subdiakone der römischen Kirche. Bei diesen handelt es sich um Kleriker, die häufig aus der Lombardei stammten; weil sie ihre Weihe zum Subdiakon direkt vom Papst erhalten hatten, wurden sie mit Aufgaben in der römischen Kirche betraut. Reinhard Elze hatte als erster den Blick auf die Bedeutung dieser Protagonisten für die römische Zentralisierung gelenkt; nicht zufällig hob er die intensive Legatentätigkeit der Subdiakone im 12. Jahrhundert hervor46. Aus dieser Personengruppe, die gewissermaßen verfassungsmäßig an die alexandrinische Sache gebunden war, schöpfte Galdinus della Sala, als er in den Jahren 1167 bis 1170 lombardische Bischöfe ersetzte, die Viktor IV. anhingen; Annamaria Ambrosiani hat dies anhand zahlreicher Quellenbelege herausgearbeitet47. Wenn es tatsächlich die persönliche Weihe durch den Papst war, die sie an den Apostolischen Stuhl band und von der Autorität des Bischofs oder Metropoliten befreite, von dem sie die nächsten folgenden Erhebungen und Weihen ohnehin nicht hätten erhalten können, so machten sie die persönlichen Beziehungen, die sie mit den Städten ihrer Heimat unterhielten, zu besonders nützlichen Bindegliedern zu den Kirchen der Lombardei. Jüngst machte auch Maria Pia Alberzoni auf die aus der Lombardei stammenden Subdiakone der römischen Kirche aufmerksam, „als Exekutoren päpstlicher Anweisungen in Norditalien“48; sie erinnerte daran, dass einige von ihnen (der aus Bergamo stammende Ardizzone da Rivoltella und die beiden aus Piacenza stammenden Lombardus und Petrus Diani) bis zur Kardinalswürde aufstiegen. Weniger herausragend, jedoch für die Zentralisierung keines46 Reinhard ELZE: Die päpstliche Kapelle im 12. und 13. Jahrhundert, in: ZRGKanAbt 36 (1950) S. 145–204; Wiederabdruck in: Päpste – Kaiser – Könige und die mittelalterliche Herrschaftssymbolik. Ausgewählte Aufsätze, hg. v. Bernhard SCHIMMELPFENNIG/Ludwig SCHMUGGE, Collected Studies Series CS 152, London 1982, Nr. II S. 145–204. 47 Annamaria AMBROSIONI: Alessandro III e la Chiesa ambrosiana, in: DIES.: Milano (wie Anm. 13) S. 435–442. 48 ALBERZONI: Interventi (wie Anm. 28) S. 159–174, hier 159: „ ... in quanto esecutori delle direttive apostoliche nell’Italia settentrionale“.

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wegs weniger bedeutsam, waren Fälle, in denen Subdiakone mit Rechtsfällen betraut wurden oder mit Gesandtschaften im Namen des Papstes, den bevorzugten Aufgabenbereichen dieser Kirchenmänner. Zudem erhielten sie umfangreiche Pfründen in den Kathedralkapiteln lombardischer Städte. Dadurch profitierten sie sowohl von der Unterstützung der römischen Kurie als auch der ihrer Anhänger vor Ort. Überzeugende Beispiele kann Alberzoni ebenso für Subdiakone der römischen Kirche anführen, die in der Lombardei unter anderem Titel tätig waren. Ein vollständiges Verzeichnis dieser Subdiakone scheint daher durchaus möglich. In methodologischer Hinsicht zwar kompliziert spricht für die Möglichkeit eines solchen Verzeichnisses die große Zahl nicht allein päpstlicher, sondern auch notarieller und kommunaler Quellen, welche die Überlieferung des mittelalterlichen Italien kennzeichnen; zudem dürfte auch das bereits erschlossene Material noch einige Überraschungen bieten, denn die Würde eines Subdiakons der Kirche wurde nicht immer ausdrücklich genannt, auch nicht bei Personen, von denen wir sicher wissen, dass sie diesem Personenkreis zuzurechnen sind. Tatsächlich kam es gar nicht so selten vor, dass ein Subdiakon sowohl zur römischen als auch einer anderen Ortskirche gerechnet wurde49. Es ist kein Zufall, dass die Subdiakone der römischen Kirche im Verlauf des 12. Jahrhunderts ständig an Bedeutung gewannen, bis im Februar 1198 der Mailänder Erzbischof Filippus da Lampugnano von Innozenz III. die Erlaubnis erhielt, zahlreiche päpstliche Subdiakone in der ambrosianischen Diözese zu weihen. Es war schlechterdings kaum noch möglich gewesen, auf lokaler Ebene Kleriker zu finden, die nicht dem römischen Klerus angehörten50. Das Dokument, von Elze richtig eingeschätzt51, belegt, wie sehr die römische Kirche inzwischen präsent war. Sie hatte zunehmend Personen an sich gebunden, die sich aufgrund ihrer Fähigkeiten besonders verdient gemacht hatten (insbesondere was ihre juristischen Kompetenzen anbelangte) und die von einem im weiteren Sinne politischen Standpunkt aus als absolut vertrauenswürdig galten und das zu einer Zeit, als die Geschichte der Lombardei zunehmend von Laien bestimmt wurde, auch was die Führung kirchlicher Institutionen anbelangt. Der Blickwinkel von der Peripherie ermöglicht es, mit Hilfe der kommunalen und notariellen Überlieferung den Einfluss der römischen Zentralisierung ‚von unten‘ zu beobachten, vor allem bei der juristischen Lösung von Konflikten, die innerhalb der Kirche ausgebrochen waren. Tatsächlich wandten sich seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts lombardische Kirchen und Klöster als letzte Appellationsinstanz immer häufiger an das Papsttum, das auf

49 Vgl. ALBERZONI: Interventi (wie Anm. 28) S.164. 50 Die Register Innocenz’ III. 1. Pontifikatsjahr, 1198/99, bearb. v. Othmar HAGENEDER/Anton HAIDACHER, Graz/Köln 1964 (Publ. der Abt. für hist. Studien des österr. Kulturinst. in Rom II.1.1) Nr. I/22, S. 33–34. 51 ELZE: Kapelle (wie Anm. 46) S. 168–171.

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diese Anfragen mit dem Einsatz der schon erwähnten Kardinallegaten antwortete oder auf die delegierte Gerichtsbarkeit zurückgriff52. Neben dieser doppelten Praxis konnte in derselben Zeit auch das Urteil des Metropoliten und der anderen Suffraganbischöfe angerufen werden, die zuweilen in päpstlichem Auftrag handelten, und an die sich die Parteien bereits in erster Instanz gewandt hatten53 – ein weiterer Beleg für die außergewöhnliche Anpassungsfähigkeit der Instrumente, die vom Papsttum eingesetzt wurden. Mögen sich die Ortskirchen anfangs auch aus rein opportunistischen Gründen an das Papsttum als überregionale Appellationsinstanz gewandt haben, etwa zur Anrufung eines dritten Richters: Dem Apostolischen Stuhl kam auf diese Weise Schritt für Schritt eine völlig neue ekklesiologische Bedeutung zu; ihm eröffneten sich bislang unbekannte und unverhoffte Handlungsspielräume. Gegenüber dieser ständig wachsenden Bedeutung des Papsttums als einer juristischen Instanz, wirkten sich die päpstlichen Versuche, Kontrolle über die Spitze der kirchlichen Hierarchie zu erlangen, weniger erfolgreich aus: Der lombardische Episkopat blieb seiner Tradition bis mindestens 1170 treu und hielt zum Kaiser54. Erst in den letzten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts verschafften die gestiegene Zahl delegierter Richter und die vor Ort residierenden Kardinäle dem Papsttum in den Diözesen grundlegend neue Möglichkeiten.

Teilnahme an päpstlichen Synoden Trotz der geographischen Nähe zum römischen Sitz des Papsttums nahmen Bischöfe und Äbte der Lombardei ausgesprochen selten an Synoden teil, die von den Päpsten im hier betrachteten Zeitraum einberufen wurden. Diese womöglich etwas vorschnelle Behauptung könnte durch eine umfassende Auseinandersetzung mit diesem Aspekt der päpstlichen Zentralisierung belegt werden, doch die überlieferten Synodalakten enthalten im Anhang nur äußerst selten die Aufstellung der Teilnehmer. Deren Anwesenheit kann meist nur durch eine Spurensuche erschlossen werden: durch Untersuchung päpstlicher 52 Für die delegierten Richter vgl. neben der klassischen Untersuchung von Othmar HAGENEDER: Die geistliche Gerichtsbarkeit in Ober- und Niederösterreich, Linz 1967; die sehr gute Synthese von Peter HERDE: Zur päpstlichen Delegationsgerichtsbarkeit im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: ZRGKanAbt 119 (2002) S. 22– 43. Als jüngste Monographie zum Thema vgl. Harald MÜLLER: Päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit in der Normandie (12. und frühes 13. Jahrhundert), 2 Bde., Bonn 1997 (Studien und Dokumente zur Gallia Pontificia 4), hier Bd. 1: Untersuchung. Etwas allgemeiner vgl. auch DERS.: Entscheidung auf Nachfrage: die delegierten Richter als Verbindungsmitglieder zwischen Kurie und Region sowie als Gradmesser päpstlicher Autorität, in: JOHRENDT/MÜLLER: Zentrum (wie Anm. 1) S. 109–131. 53 ALBERZONI, Vercelli (wie Anm. 2) S. 89–95. 54 Vgl. D’ACUNTO: Chiesa romana (wie Anm. 1) S. 220–223.

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Urkunden, die sich an Empfänger in der Lombardei richten und die im Kontext der Papstsynoden ausgestellt wurden. Es handelt sich um dieselbe Methode, mit der die Bearbeiter der Regesta Imperii die kaiserliche Entourage aus den Diplomen erschließen. Zwar fanden die Synoden in der Zeit des Investiturstreits einen deutlichen Niederschlag in der zeitgenössischen Historiographie55; doch für die Versammlungen des 12. Jahrhunderts sucht man derlei meist vergebens. Neben dem Überlieferungsproblem stellt sich bei einer derartigen Analyse auch die Frage, welche Bedeutung der Teilnahme eines Bischofs an einer Synode überhaupt beigemessen werden sollte. Immerhin lässt sich nachweisen, dass die bloße Anwesenheit eines lombardischen Bischofs auf einer Kirchenversammlung kein sicherer Beleg dafür ist, dass die jeweilige Kirche den Direktiven Roms gefolgt wäre. Ausgesprochen bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist eine Episode, die Bonizo von Sutri im «Liber ad amicum» berichtet. Demnach sei auf der Fastensynode, die Papst Nikolaus II. im Jahr 1059 einberufen hatte, der Mailänder Erzbischof Guido da Velate, der bereits mit heftigem Widerstand der Patarener kämpfen musste, von einigen Bischöfen der Mailänder Kirchenprovinz begleitet worden, unter ihnen Adelmannus von Brescia56. Für diese Prälaten gebraucht Bonizo das Epitheton cervicosos tauros: Stiernacken. Sehr wahrscheinlich verwechselt er die Synode von 1059 mit derjenigen des Jahres 1060, in deren Verlauf ein gegen die Simonie gerichteter Kanon beschlossen wurde57. Unter den Bischöfen, die das berühmte Papstwahldekret von 1059 bezeugten, sucht man den Namen Adelmannus tatsächlich vergebens58. Die lombardischen Bischöfe, die Guido da Velate begleiteten – stets nach Bonizo –, leisteten einigen Neuerungen, die Nikolaus II. hinsichtlich der Disziplin des Klerus erlassen hatte, vehementen Widerstand. Die Synode verlangte von ihnen die Übernahme der beschlossenen Maßnahmen gegen Simonie und Nikolaitismus auch auf lokaler Ebene; die cervicosi tauri, nachdem sie in ihre 55 Vgl. jüngst Georg GRESSER: Sanctorum patrum auctoritate: zum Wandel der Rolle des Papstes im Kirchenrecht auf den päpstlichen Synoden in der Zeit der Gregorianischen Reform, in: ZRGKanAbt. 91 (2005) S. 59–73; DERS: Die Synoden und Konzilien in der Zeit des Reformpapsttums in Deutschland und Italien von Leo IX. bis Calixt II. 1049– 1123, Paderborn 2006 (Konziliengeschichte, Reihe A). 56 Bonizonis episcopi Sutrini Liber ad amicum, ed. Ernst DÜMMLER, in: MGH Ldl 1, Hannover 1891, S. 568–620, hier 593f.: Sed non longo post tempore congregavit prefatus pontifex synodum, in qua Guido Mediolanensis episcopus volens nolens sedisse cogentibus Paterinis cognoscitur, ducens secum cervicosos tauros, Longobardos episcopos, id est Cunibertum Taurinensem et Giselmum Astensem et Benzonem Albensem et Gregorium Vercellensem et Ottonem Novariensem et Opizonem Laudensem et Aldemannum Brixinensem. 57 Giovanni MICCOLI: Il problema delle ordinazioni simoniache e le sinodi Lateranensi del 1060 e 1061, in: Studi Gregoriani, V, Roma 1956, S. 33–81. 58 Die Edition findet sich bei Detlev JASPER: Das Papstwahldekret von 1059. Überlieferung und Textgestalt, Sigmaringen 1986 (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 12).

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Diözesen heimgekehrt waren, entsprachen diesem Auftrag nicht, wohl wissend, dass dieses Anliegen der Reformer unvereinbar war mit der Wirklichkeit ihrer Kirchen, in denen Simonie und Nikolaitismus eher die Regel darstellten als die Ausnahme. Wie der Verfasser des «Liber ad amicum» berichtet, unternahm Adelmannus als einziger Bischof der Mailänder Kirchenprovinz den Versuch, die Reformbeschlüsse in seiner Diözese umzusetzen. Als er aus Rom nach Brescia zurückkehrte, ließ er die decreta papae öffentlich verlesen – wofür er von den Klerikern seiner Kirche beinahe zu Tode geprügelt wurde59.

Widerstand gegen die Zentralisierung: die Frage des Palliums Die ganze Episode zeigt – abgesehen davon, dass die bloße Teilnahme an einer Synode noch keineswegs mit der Zustimmung zu den dort gefassten Beschlüssen gleichgesetzt werden sollte –, dass die Kirchen der Lombardei keineswegs gewillt waren, die Peripherie eines Systems zu werden, dessen Zentrum zu sein die römische Kirche für sich beanspruchte. Derlei Widerstand fand seinen symbolischen Ausdruck im Streit mit der Kirche von Ravenna, um den Stuhl direkt zur Rechten des Papstes60, oder im Streit um die Modalitäten der Verleihung des Palliums; der Erzbischof von Mailand hatte das Privileg, das Pallium am eigenen Sitz empfangen zu dürfen, ohne sich nach Rom begeben zu müssen61. Bischöfe der Longobardia sind als Teilnehmer des Pisaner Konzils von Mai bis Juni 1135 bezeugt, zu dem Innozenz’ II. geladen hatte, allen voran die Bischöfe von Piacenza, Cremona, Brescia, Bergamo, Mantua, Novara, Alba, Ivrea, Vercelli, Aqui, Lodi und Tortona62. Der Mailänder Erzbischof, Anselm della Pusterla, war nicht erschienen, schließlich war die Versammlung der Bischöfe, die sich in der toskanischen Stadt eingefunden hatten, gegen ihn, den Anhänger Anaklets II., einberufen worden.

59 Bonizonis Liber ad amicum, ed. DÜMMLER (wie Anm. 56) S. 594: Concilio igitur rite celebrato episcopi Longobardi domum remeantes, cum magnas a concubinatis sacerdotibus et levitis accepissent pecunias, decreta papę celaverunt preter unum, Brixiensem scilicet episcopum; qui veniens Brixiam, cum decreta papę puplice recitasset, a clericis verberatus, fere occisus est. 60 Cinzio VIOLANTE: La pataria milanese e la riforma ecclesiastica, Roma 1955, S. 81–82 und 91–101; Pietro ZERBI: Tra Milano e Cluny. Momenti di vita e cultura ecclesiastica nel secolo XII, Roma 1978, S. 132–136. 61 ZERBI: Tra Milano e Cluny (wie Anm. 60) S. 162–174. Zur Bedeutung des Palliums vgl. nach wie vor Kurt-Bogislav von HACKE: Die Palliumsverleihungen bis 1143, Marburg 1898; für die nachfolgende Literatur vgl. detailliert Paolo TOMEA: Tradizione apostolica e coscienza cittadina: la leggenda di s. Barnaba, Milano 1993, S. 185, Anm. 94. 62 Innocentii II concilium Pisanum, in: Constitutiones et acta publica imperatorum et regum (911–1197), hg. v. Ludwig WEILAND, Hannover 1893 (MGH Const. 1) S. 577.

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Nicht ganz zufällig hatte sich das Problem um die Modalitäten der Übergabe des Palliums genau zur Zeit Erzbischof Anselms della Pusterla (1126– 1135) verschärft. In dieser Phase der Mailänder Geschichte erstarkten die kommunalen Institutionen merklich, während „die mailändische Bürgerschaft die Ehre und das Vorrecht des erzbischöflichen Stuhls zu schützen als ihr eigenes Interesse ansah und im Zusammenhang damit ihre Kontrolle und Kompetenz geltend machen wollte“63. All diese Verstöße mussten zwangsläufig auf den Anspruch des nachgregorianischen Papsttums treffen, die Verfahren für die Übertragung der Bischofs- und Metropolitanwürde zu vereinheitlichen 64. Anselm della Pusterla suchte angesichts der Forderung der päpstlichen Kurie, er möge nach Rom kommen, um das Pallium zu erbitten und zu empfangen, wiederholt nach einer Kompromisslösung. Dieser genügte allerdings nicht, um die Vorbehalte der Mailänder zu beschwichtigen. Sie zwangen ihn dazu, die Stadt zu verlassen und in castellis zu residieren, zumindest solange er sich nicht gänzlich der politischen (und kirchenpolitischen) Ausrichtung der Kommune anpasste, die nunmehr eine echte politische und vor allem wirtschaftliche Macht geworden war und die gegen den harten Widerstand des Papsttums selbständig Initiativen zur Unterstützung des Staufers Konrad ergriffen hatte. Lediglich Erzbischof Robaldus verzichtete darauf, das Pallium im Jahr 1135 in der eigenen Stadt zu empfangen; er hielt sich an das üblicherweise von Rom eingeführte Verfahren, wozu ihn Bernhard von Clairvaux aufgefordert hatte65, mit einem Brief, in dem sich Schmeicheleien und Drohungen vermengten und der zeigt, dass Bernhard die symbolische Bedeutung dieses Verzichts sehr deutlich wahrnahm. Für ihn waren die Reise nach Rom und die Anerkennung des päpstlichen Primats eins66.

Das kanonische Recht als Mittel der Zentralisierung Die zunehmend politische Aufladung der ambrosianischen Kirche im Verlauf des 12. Jahrhunderts bedeutet keineswegs, dass es nicht auch innerhalb der Mailänder Kirche grundsätzlich verschiedene Auffassungen gegeben hätte, noch, dass diese Debatte nicht sehr facettenreich gewesen wäre, vor allem was die Beziehung zwischen ambrosianischer und römischer Kirche anbelangt. Aus juristischer Perspektive übersetzte man diese Heterogenität in die Kompilation kanonistischer Sammlungen auf lokaler Ebene; sie übernahmen eine Reihe 63 ZERBI: Tra Milano e Cluny (wie Anm. 60), S. 164: „... la cittadinanza ambrosiana considerava come interesse proprio la tutela dell’onore e delle prerogative delle cattedra arcivescovile, ed intendeva far valere, in proposito, il suo controllo e la sua competenza.“ 64 ZERBI: Tra Milano e Cluny (wie Anm. 60), S. 163. 65 SAN BERNARDO: Lettere, Bd. 1, 1–210, Milano 1986, ep. nr. 131, S. 614–619. 66 Vgl. San Bernardo e l’Italia (wie Anm. 35).

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zentralistischer Forderungen, die in gregorianischer Zeit in die verstreuten Sammlungen Eingang gefunden hatten. Die Diskussion dieses Problems ist in vollem Gange, vor allem im Licht der jüngsten Ergebnisse der kanonistischen Forschung; diese schränkte die Möglichkeit wesentlich ein, eine spezifisch ‚gregorianische‘ Identität bestimmter Sammlungen herauszuarbeiten, Überlegungen, wie sie noch im 19. Jahrhundert, dem ‚Goldenen Zeitalter‘ der historischen Forschung zur Reformzeit des 11. Jahrhunderts, angestellt wurden67. Doch bei aller Vorsicht, zu der die moderne kanonistische Forschung mahnt, bleibt eines außer Frage unhinterfragt: Die kanonistische Sammlung des Codex M 11 des Archivio Capitolare von S. Ambrogio, die Giorgio Picasso ediert und untersucht hat, wurde in den Jahren 1128–1135 von den Kanonikern von S. Ambrogio angefertigt, das heißt auf dem Höhepunkt der einvernehmlichen Beziehungen zwischen Mailand und Anaklet II. und zwar durch die ‚ambrosianische‘ Partei. Die Sammlung zeichnet sich dank der Übernahme zahlreicher Kanones aus der Sammlung des Deusdedit durch eine explizite Reflexion über den römischen Primat aus68. Picasso bezeichnete sie als „potentiellen Keim im Herzen der ambrosianischen Kirche während der Trennung von Rom, der mit der Aussöhnung des Jahres 1135 aufgehen sollte“69; die Sammlung belegt zugleich die Vielfalt ekklesiologischer – und im weiteren Sinne politischer – Orientierungen innerhalb ein und desselben städtischen Umfelds, die sich trotz ‚offizieller‘ Richtungs-Entscheidungen und diametral entgegengesetzter Mehrheiten behaupten konnten. Jüngst deutete Lotte Kéry eine weitere Entwicklung als wichtigen Beleg dafür, dass die Beziehungen zwischen Papsttum und Regionen intensiviert wurden: seit dem Pontifikat Alexanders III. wurden vermehrt Dekretalen an die lombardischen Kirchen gesandt70.

Die Mehrdeutigkeit der Patrozinien von Kirchen und Klöstern Entgegen solch romfreundlicher Tendenzen und dem Versuch des Papstes, die ambrosianischen usus et consuetudines zu hinterfragen, verbreitete sich die Legende, der Heilige Barnabas habe die mailändische Kirche noch vor der Ankunft des Heiligen Petrus in Italien gegründet. Diese Legende – wie Paolo Tomea beobachtete – „stellte eine polemische Waffe und Rückendeckung der 67 Als umfassenden und modernen Überblick vgl. Lotte KÉRY: Canonical collections of the Early Middle Ages, ca. 400–1140: A biographical guide to the manuscripts and literature, Washington DC 1999 (History of Medieval Canon Law [1]). 68 Giorgio PICASSO: Collezioni canoniche milanesi del secolo XII, Milano 1969. 69 PICASSO: Collezioni canoniche (wie Anm. 68), S. 184–185: „germe latente nel cuore della Chiesa ambrosiana durante la separazione da Roma, che sarebbe maturato con la riconciliazione del 1135“. 70 Lotte KÉRY: Dekretalenrecht zwischen Zentrale und Peripherie, in: JOHRENDT/ MÜLLER: Zentrum (wie Anm. 1) S. 19–45.

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ambrosianischen Autonomie während der zahlreichen Konflikte mit Rom (zwischen 1089 und 1095) dar“. Noch im Verlauf des 12. Jahrhunderts wurden zahlreiche Mailänder Kirchen auf den Namen des Heiligen Barnabas geweiht; ebenso nahm er in den liturgischen Büchern immer größeren Raum ein71. Petrus-Patrozinien sind nicht gleichzusetzen mit der Gründung von Kirchen und Klöstern strikt römischer Obödienz. Tatsächlich wurden Kirchen und Klöster, die in der mailändischen Kirchenprovinz, welche die Bindung an das Papsttum förderten auch auf Heilige der lokalen ambrosianischen Tradition geweiht. Dies gilt beispielsweise für die erste vallombrosanische Gründung in der Lombardei, S. Barnaba di Gratosoglio bei Mailand, sowie für das ebenfalls vallombrosanische Kloster SS. Gervasio e Protasio, das um 1106/1107 in der Nähe Brescias durch den bereits erwähnten Bischof Arimannus gegründet worden war72. Wie seine Vorgänger hatte Arimannus das Kloster als spätere Grablege gegründet. In dieser Hinsicht war die Gründung typisch für einen Bischof. Das Projekt hatte gleichwohl einen betont neuen Anstrich: Die Vallombrosaner in die Lombardei zu rufen bedeutete, sich an erklärte Gegner der Simonie zu wenden, an Mönche, die ihre Treue gegenüber dem Reformpapsttum immer wieder unter Beweis gestellt und welche die Reinheit des Ritus zum obersten Gebot erhoben hatten. Als sie von Arimannus nach Brescia gerufen wurden, waren die Vallombrosaner vom Apostolischen Stuhl bereits in mancher Hinsicht gezügelt worden. Die Päpste waren sich der Gefahr durchaus bewusst, welche die radikalen Ansichten der Vallombrosaner bargen. Daher hatte das Papsttum nach Möglichkeiten gesucht, ihre Energie zu kanalisieren und ihre Aktionen zu entradikalisieren. Alexander II. und Urban II. hatten sie wiederholt aufgefordert, ihr Engagement gegen simonistische Bischöfe in den Städten einzuschränken; sie sollten gewissermaßen mustergültige Benediktiner werden, wie diese in Klausur leben und sich nicht als Prediger auf den Märkten herumtreiben73. Zeitgleich wurde Bernardus degli Uberti, der Generalabt von Vallombrosa, zum Kardinal erhoben. Er lebte am Hof Mathildes von Canossa und war, um das Reformpapsttum in Norditalien zu vertreten, mit einer Legatentätigkeit betraut worden, ähnlich der des Arimannus von Brescia.

71 TOMEA: Tradizione (wie Anm. 61) S. 53: „durante gli anni di piombo della lunga crisi con Roma (tra il 1089 e il 1095), rappresentò una vera arma polemica a salvaguardia delle autonomie ambrosiane“. 72 Giordano Monzio COMPAGNONI: Fondazioni vallombrosane in diocesi di Milano. Prime ricerche, in: I Vallombrosani nella società italiana dei secoli XI e XII, Vallombrosa, 3–4 settembre 1993. I Colloquio Vallombrosano, hg. v. Giordano Monzio COMPAGNONI, Vallombrosa 1995, S. 203–238. 73 Vgl. Nicolangelo D’ACUNTO: Tensioni e convergenze tra monachesimo vallombrosano papato e vescovi nel secolo XI, in: COMPAGNONI: Vallombrosani (wie Anm. 72) S. 53–81.

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Im Jahr 1098 gelang es Arimannus nicht nur, den kaiserfreundlichen Bischof von Brescia, Obertus Baltrico, zu verdrängen; er versuchte zudem, die monastische Gründung SS. Gervasio e Protasio an das bereits bestehende Kanonikerstift SS. Pietro e Paolo in Oliveto zu binden, das schon dem Namen nach eine deutlich ‚römische‘ Ausrichtung versprach. Nicht zufällig steht am Beginn der Überlieferung aus diesem Kloster ein Privileg Urbans II. aus dem Jahr 109674. In der Urkunde wird zunächst die Fürsprache Arimannus’ erwähnt, bevor der Rechtszustand des Klosters dargelegt sowie Arimannus (zum ersten Mal) die Herrschaft an S. Pietro in Oliveto in Form eines päpstlichen Schutzprivilegs verliehen wurde. Weit davon entfernt, eine bloße Kanzleifloskel zu sein, diente die Intervention Arimannus` und Urbans II. der vollständigen Anerkennung der institutionellen Ordnung des Kanonikerstifts. Es handelte sich um einen regelrechten Brückenkopf der gregorianischen Partei in Brescia. Nicht zufällig sollte denn auch der aus Brescia stammende Kardinal Oddo, päpstlicher Legat und neben dem Mailänder Erzbischof Galdinus della Sala einer der entschiedensten Gegner Barbarossas, ausgerechnet im Kanonikerstift von S. Pietro in Oliveto sein Amt antreten75.

Der päpstliche Einfluss auf den lokalen Heiligenkult Die Geschichte Brescias hält ein bezeichnendes Beispiel bereit, wie weit die Zentralisierung durch Rom gegen Ende der hier untersuchten Periode gehen konnte. Bischof Johannes II. von Fiumicello (1173–1195) versuchte, die Topographie des lokalen Heiligenkults zu ändern, und zwar durch die ‚Wiederauffindung‘ der Körper der Heiligen Faustinus und Iovita. Bereits im 9. Jahrhundert waren sie durch Bischof Rampert zwar in ein Kloster überführt worden, das den beiden Heiligen geweiht war. Allerdings fanden die Kleriker der Kirche S. Faustino ad sanguinem, in deren Nähe sich das Martyrium gemäß der Tradition der beiden Heiligen ereignet haben soll, im August 118776 die enthaupteten Körper der Heiligen Faustinus und Iovita in einem marmornen Sarg. Dabei konnten sie auf die Unterstützung des Bischofs von Brescia, Jo74 Le carte di S. Pietro in Oliveto di Brescia, hg. v. Mirella BARETTA, di n. 1, edizione digitale nell’ambito del Codice diplomatico della Lombardia medievale, http://cdlm. unipv.it/edizioni/bs/brescia-spietro (besucht 20.08.2010). Vgl. Nicolangelo D’ACUNTO: La pastorale nei secoli centrali del medioevo: vescovi e canonici, in: ANDENNA: Servizio (wie Anm. 17) S. 72–79. 75 Cinzio VIOLANTE: La Chiesa bresciana nel medioevo, in: Storia di Brescia, bearb. Giovanni TRECCANI DEGLI ALFIERI, 1, Milano 1963, S. 1057; ALBERZONI: Interventi (wie Anm. 28) S. 150–152. 76 Daniela VECCHIO: Fonti bresciane per la storia di San Faustino, in: San Faustino Maggiore di Brescia, il monastero della città. Atti della giornata di studio (Brescia 2005), hg. v. Gabriele ARCHETTI/Angelo BARONIO = Brixia Sacra. Memorie storiche della diocesi di Brescia, 3a ser., 11 (2006) S. 41.

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hannes’ II. von Fiumicello, zählen. Mit der Wiederauffindung wäre es um die Echtheit der Reliquien geschehen gewesen, die im Kloster SS. Faustino e Giovita aufbewahrt wurden. Dessen Abt griff zu den Waffen, bedrohte cum magna multitudine den Bischof und verbat ihm, sich in die Kirche zu begeben, in der sich der Fund zugetragen hatte sowie den Apostolischen Stuhl anzurufen77. Papst Urban III. unterstützte diese Linie und sprach sich für die Mönche von S. Faustino Maggiore aus. Dies geht aus einem undatierten Dokument hervor, das die Editoren jedoch mit guten Gründen in das Jahr 1187 einordnen, das letzte Pontifikatsjahr des Hubertus Crivelli78. Als früherer Erzdiakon der Mailänder Kirche, als Kardinal und päpstlicher Legat in der Lombardei, als Bischof von Vercelli und Erzbischof von Mailand, wusste er um das innere Gleichgewicht der Kirche von Brescia bestens Bescheid79. Das Eingreifen des Papstes in die Brescianer Belange sollte den Tatendrang Johannes’ von Fiumicello zügeln und entsprach einer allgemeinen Strategie Urbans III., der die Zentralisierung vorantrieb, indem er die Rechte der Bischöfe in ihren Diözesen beschnitt80. Um dieses Ziel zu erreichen und die Isolierung zu durchbrechen, in die ihn der Konflikt mit dem Kaiser gebracht hatte, förderte der Papst die Vergabe päpstlicher Schutzprivilegien an Kathedralkapitel, an Kanoniker bedeutender Städte sowie an zahlreiche Klöster. Somit brach die im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts die vom Papsttum beförderte Tendenz ab, Bischöfe mit allen Rechtstiteln in das allgemeine Projekt der Zentralisierung einzubinden. Aus der Umkehr dieser Tendenz unter Urban III. zogen Klöster wie S. Faustino Maggiore in Brescia ihren Vorteil und riefen den Apostolischen Stuhl gegen Bischof Johannes von Fiumicello an. Der Papst bezeichnete es als indignum pariter et absurdum, den Mönchen von S. Faustino Maggiore die curam pastoralem über die Aufbewahrung der kostbaren Reliquien zu entziehen81; detailliert schilderte er die verschiedenen Versuche Johannes’ II., mit denen dieser sine conscientia nostra gehandelt habe. Nicht die Sache an sich hatte den Papst also beunruhigt; vielmehr war es die Umgehung des Apostolischen Stuhls in einem Augenblick, in dem das Kanonisationsverfahren durch das Papsttum immer stärker monopolisiert wurde, ein Prozess, der unter Innozenz III. endgültig abgeschlossen war. Für eigenständige bi-

77 Ezio BARBIERI/Paola CONCARO/Diana VECCHIO: Carte del monastero di San Faustino Maggiore (1126–1299), in: San Faustino Maggiore (wie Anm. 75) n. 69, S. 357: cucurit abbas Sancti Faustini cum magna multitudine multas minas episcopo inferrendo, et ne ad propositum locum se representaret prohibendo, exinde ad apostolicam audienciam proclamavit. 78 BARBIERI/CONCARO/VECCHIO: Carte (wie Anm. 77) Nr. 60, S. 336–338. 79 Paolo GRILLO: Urbano III, in: Enciclopedia dei papi 2, Roma 2000, S. 311–314. 80 AMBROSIONI, Monasteri e canoniche nella politica di Urbano III (wie Anm. 14) S. 337–372. 81 BARBIERI/CONCARO/VECCHIO: Carte (wie Anm. 77) Nr. 60, S. 337: in ea parte curam vobis pastoralem subtrahere in qua supradictum monasterium vestra et Christiani populi celebritate letatur et speciali preminet dignitate.

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schöfliche Initiativen, die auf die päpstliche Bestätigung verzichteten, sollte in ähnlichen Kontexten kein Raum mehr bleiben. Um das gestörte Gleichgewicht in Brescia wieder herzustellen, befahl Urban III. Johannes von Fiumicello, die in S. Faustino ad sanguinem aufgefundenen „Knochen“ vom Altar zu entfernen, und verbot, sie in irgendeiner Weise zu verehren. Das Fest der Heiligen Faustinus und Iovita sollte am Tag der Translation ihrer Reliquien gefeiert werden, als Bestätigung der Authentizität dieser Reliquien, die in S. Faustino Maggiore aufbewahrt wurden. Kardinal Petrus Diani82, päpstlicher Legat in der Lombardei, bestätigte die Entscheidungen Urbans III. und unterstrich abermals, dass es sich bei den Überresten in S. Faustino ad sanguinem nicht um die der Märtyrer handelte83. Die gesamte Episode zeigt, wie die Zentralisierung im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts eine neue und zuvor unbekannte Wendung nahm. Das Papsttum hatte eine weitere Phase im Laufe seiner fortwährenden Metamorphose erreicht: die beinahe vollständige Assimilierung des Zentrums durch eine Peripherie, genauer: der lombardischen Peripherie, die, wenn auch nur für kurze Zeit, der ‚physische Sitz‘ des Papsttums wurde. Das Papsttum steigerte so zusehends die eigenen Möglichkeiten, in Belange der lombardischen Kirche eingreifen zu können. Die Brescianer Episode lässt sich überdies unter dem Gesichtspunkt der Geschichte des Heiligenkultes betrachten. Das Eingreifen Papst Urbans III. wäre dann gewissermaßen ein Vorläufer der Kanonisation des Homobonus von Cremona durch Innozenz III. im Jahr 1199. In der Geschichte der Kanonisation stellte diese einen echten Wendepunkt dar84.

Zusammenfassung Die Zentralisierung der Lombardei auf Rom hin war alles andere als ein unumgehbarer Prozess. Es war eine oft zähe und stets prekäre Durchsetzung des Papsttums, dem dafür eine große Bandbreite verschiedenster Instrumente zur Verfügung stand, und das von offenkundig negativen Entwicklungen profitierte, wie den Schismen oder den Auseinandersetzungen mit dem Kaisertum. Zusätzlich erschwert wurde dieser Prozess durch eine tausendjährige autokephale Tradition der ambrosianischen Kirche, die keinesfalls einfach in ein System unter römischer Führung integriert werden konnte. Die anderen Diözesen 82 ALBERZONI: Interventi (wie Anm. 28). 83 Angelo BARONIO: Il monastero di S. Faustino nel Medioevo, in: San Faustino Maggiore (wie Anm. 76) S. 78. 84 Vgl.. André VAUCHEZ: Innocent III, Sicard de Crémone et la canonisation de saint Homebon († 1197), in: Innocenzo III. Urbs et orbis; atti del congresso internazionale, Roma, 9–15 settembre 1998, hg. v. Andrea SOMMERLECHNER, 2 Bde., Roma 2003 (Nuovi studi storici 55) Bd. 1, S. 435–455.

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der Lombardei, auch wenn sie in derselben, recht straff organisierten Kirchenprovinz zusammengefasst waren, teilten die ambrosianische Tradition nicht; ihre Aufnahme in das päpstliche System gestaltete sich gewiss einfacher; doch auch diese vollzog sich in einer ständigen Folge von Annäherungen und Abstoßungen; der Ausgang des Prozesses war ebenfalls offen, was eine abschließende Auseinandersetzung lohnt. Im Jahr 1178, nach dem Frieden von Venedig, schrieb Alexander III. an Friedrich Barbarossa, er wolle die verleumderischen Stimmen zum Schweigen bringen, die behaupteten, er habe gegen den Kaiser gehandelt, indem er in facto Lombardorum et Grecorum ... aliter quam deceret gehandelt habe. Der Papst versicherte vielmehr, er werde keine Initiative gegen den honor des Kaisers oder des Reiches dulden. Gleichwohl sei er nicht in der Lage, die Lombardos, qui utiles nobis extiterunt admodum et devoti, nicht zu lieben85. Utiles et devoti – Nützlich und unterwürfig: Die Lombarden waren nach dem Schisma noch stärker an Alexander III. gebunden. Es war die Grundlage für ein neues Band zwischen dem Apostolischem Stuhl und den Kirchen der Lombardei.

85 Const. 1 (wie Anm. 62) S. 584.

Sizilien und Kalabrien – Binnendifferenzierung im Regno? JOCHEN JOHRENDT Rudolf Schieffer zum 31. Januar 2012 Seit der 1091 endgültig abgeschlossenen Eroberung Siziliens durch den Großgrafen Roger, der zuvor allein über den südlichen Teil Kalabriens geherrscht hatte, waren der Sporn des Stiefels und die Insel Sizilien unter einer Herrschaft zusammengefasst1. Unter Roger II. traten in den 20er Jahren des 12. Jahrhunderts auch die nördlichen Teile Kalabriens zu diesem Herrschaftskomplex dazu2. Als Raum war nun nicht nur die Region Kalabrien vereint, sondern ab diesem Zeitpunkt unterstanden Sizilien und Kalabrien ein und demselben Herrscher, seit der Erhebung Rogers II. zum König von Sizilien durch Anaklet II. im Jahre 1130 einem König3. Doch trotz dieser herrschaftlichen Vereinigung vollzog 1

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Vgl. zur Eroberung durch Roger I. jüngst Julia BECKER: Graf Roger I. von Sizilien. Wegbereiter des normannischen Königreichs, Tübingen 2008 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 117), dort die neuere Literatur bequem zusammengestellt, hervorgehoben sei vor allem Graham A. LOUD: The Age of Robert Guiscard. Southern Italy and the Norman Conquest, Harlow 2000 (The Medieval World), S. 146–185. Wenig weiterführend und ohne Bezug auf außeritalienische Forschungen jüngst auch Pasquale HAMEL: L’Invenzione del regno dalla conquista normanna alla fondazione del Regnum Siciliae (1061–1154), Palermo 2009 (Augustali/Pocket 1); zur Errichtung der lateinischen Bistümer auf Sizilien immer noch Erich CASPAR: Die Gründungsurkunden der sicilischen Bistümer und die Kirchenpolitik Graf Rogers I. (1082–1098), Innsbruck 1902. Zur Herrschaft Rogers I. auf Sizilien und in Kalabrien vgl. ferner BECKER: Graf S. 162–168; sowie DIES.: La politica Calabrese dei primi conti Normanni dopo la conquista della Sicilia (1080–1130), in: Archivio storico per la Calabria e la Lucania 73 (2006) S. 47–70, hier S. 49–54; DIES.: Un dominio tra tre culture. La contea di Ruggero I alla fine dell’XI secolo, in: QFIAB 88 (2008) S. 1–33. Vgl. dazu die Bemerkungen bei Jochen JOHRENDT: Der Sonderfall vor der Haustüre: Kalabrien und das Papsttum, in: Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie. Das universale Papsttum als Bezugspunkt der Kirchen von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III., hg. v. Jochen JOHRENDT/Harald MÜLLER, Berlin/New York 2008 (Neue AAG 2), S. 235–258, hier S. 239. Vgl. vor allem Hubert HOUBEN: Roger II. von Sizilien. Herrscher zwischen Orient und Okzident, Darmstadt 22010 (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), dort auch eine aktualisierte Literaturliste auf dem Stand von 2009. Zu Kalabrien als Untersuchungsregion vgl. auch Pietro DALENA: La Calabria in età normanna: aspetti e pro-

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sich die Entwicklung in den beiden Regionen, die im Folgenden miteinander verglichen werden4, nicht gleichartig. Obwohl sie unter einem Herrscher zusammengefasst waren, bewahrten beziehungsweise entwickelten sie Eigenheiten, die sie von einander unterschieden – auch im Verhältnis der Ortskirchen zu Rom5. Die Insel Sizilien bietet sich als eigenständige Region bereits durch ihren geographischen Charakter als Insel an6. Sizilien und Kalabrien haben insofern im Regno eine Sonderstellung, als sie die Ausgangsbasis für die durch Roger II. fortgeführte Expansion bildeten7. Der besondere Reiz eines Vergleiches beider Landschaften im Hinblick auf ihre Ausrichtung auf Rom hin besteht vor allem darin, dass die beiden Regionen im 12. Jahrhundert herrschaftlich zusammengefasst waren, hinsichtlich der kirchlichen Kompetenzen der Herrscher jedoch aus der Perspektive der Päpste unterschiedliche Rahmenbedingungen galten. Waren die normannischen Herrscher darum bemüht, in der Nachfolge Rogers I. das diesem 1098 von Urban II. übertragene Recht der apostolischen Legation zu verstetigen und auch auf die Terraferma auszudehnen, was ihnen im Vertrag von Benevent (1156) mit Modifikationen auch gelang8, so waren die

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blemi, in: Mezzogiorno – Federico II – Mezzogiorno. Atti del Convegno internazionale di Studio promosso dall’Istituto Internazionale di Studi Federiciani, Consiglio Nazionale delle Ricerche, Potenza – Avigliano – Castel Lagopesole – Melfi, 18–23 ottobre 1994, a cura di Cosimo Damiano FONSECA, 2 Bde., Roma 1999, Bd. 1 S. 343– 379, zur kirchlichen Struktur Kalabriens S. 365–379. Dabei können die folgenden Ausführungen auf bereits publizierte Ergebnisse des Netzwerkes zur Region Kalabrien bis zum Jahr 1198 aufbauen, vgl. JOHRENDT: Sonderfall (wie Anm. 2). Für wertvolle Hinweise zu dieser 2008 erschienen Arbeit, die in den Kalabrien und Sizilien vergleichenden Beitrag einfließen, danke ich Rudolf Hiestand und Hubert Houben. Vgl. jüngst zur lateinischen unteritalienischen Kirche Graham A. LOUD: The Latin Church in Norman Italy, Cambridge 2007. Zur Charakterisierung Kalabriens als Untersuchungseinheit vgl. JOHRENDT: Sonderfall (wie Anm. 2) S. 239. HOUBEN: Roger II. (wie Anm. 3) S. 32–43. Zur apostolischen Legation für Roger I. nach wie vor grundlegend Josef DEÉR: Der Anspruch der Herrscher des 12. Jahrhunderts auf die apostolische Legation, in: AHP 2 (1964) S. 117–186 (Wiederabdr. in: Byzanz und das abendländische Herrschertum. Ausgewählte Aufsätze von Josef Deér, hg. v. Peter CLASSEN, Sigmaringen 1977 [VuF 21], S. 439–494), hier S. 118–142 (439–460); BECKER: Graf (wie Anm. 1) S. 145, geht davon aus, dass die Verleihung von Anfang an erblich war, was sich mit der Interpretation der normannischen Herrscher deckt, vermutlich jedoch nicht mit der päpstlichen Interpretation der Vergabe. Als erblich wurde die apostolische Legation der sizilischen Herrscher erst durch den Vertrag von Benevent im Jahre 1156 festgeschrieben. Edition bei Constitutiones et acta publica imperatorum et regum inde ab a. DCCCCXI usque ad a. MCXCVII (911–1197), hg. v. Ludwig WEILAND, Hannover 1893 (MGH Const. 1), Nr. 413 S. 588–590. Legationen nach und Appellationen von Sizilien aus blieben nach dieser Regelung untersagt, vgl. dazu auch Horst ENZENSBERGER: Der „böse“ und der

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Päpste stets um eine Zurückdrängung der Rechte der sizilischen Könige bemüht. Doch erst am Ende des 12. Jahrhunderts, unter Cölestin III., waren die Bemühungen im Zuge der Wirren nach dem Tod Wilhelms II. vor allem hinsichtlich der Bischofseinsetzung von Erfolg gekrönt9. Das gilt grosso modo auch für den Beginn der Herrschaft Friedrichs II. unter der Vormundschaft Innozenz’ III. – auch wenn der Papst sich im Januar 1209, unmittelbar nach dem eigenständigen Herrschaftsantritt des Staufers am 26. Dezember 1208, bei diesem beklagte, dass Friedrich die dem sizilischen König zugestandenen Rechte über die Kirche Unteritaliens zu großzügig auslege10. Berühmt ist das oft zitierte Diktum Johannes von Salisburys, dass Wilhelm II. more tirannorum „gute“ Wilhelm. Zur Kirchenpolitik der normannischen Könige von Sizilien nach dem Vertrag von Benevent (1156), in: DA 36 (1980) S. 385–432, hier S. 399–402. 9 Nach dem Tode Wilhelms II. beanspruchten bekanntlich Constanze, die Gattin Kaiser Heinrichs VI. und Tankred von Lecce die sizilische Krone, zu den Ereignissen vgl. Annkristin SCHLICHTE: Der „gute“ König. Wilhelm II. von Sizilien (1166–1189), Tübingen 2005 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 110), S. 319– 326. Tankred war um Unterstützung durch den Papst bemüht und war als Gegenleistung dafür bereit, auf die Ausübung der apostolischen Legation zu verzichten, vgl. Christoph REISINGER: Tankred von Lecce. Normannischer König von Sizilien 1190– 1194, Köln u. a. 1992 (Kölner Historische Abhandlungen 38), S. 247–250; sowie Pier Fausto PALUMBO: Tancredi conte di Lecce e re di Sicilia e il tramonto dell’età normanna, Roma 1991 (Istituto per la storia del Mezzogiorno, Biblioteca 2), S. 211f.; die Vereinbarung zwischen Tankred und Cölestin III. findet sich ediert bei MGH Const. 1 Nr. 417 S. 593f. Zu den päpstlichen Zielen vgl. Werner MALECZEK: Ecclesiae patrimonium speciale. Sizilien in der päpstlichen Politik des ausgehenden 12. Jahrhunderts, in: Die Staufer im Süden. Sizilien und das Reich, hg. v. Theo KÖLZER, Sigmaringen 1996, S. 29–42, hier S. 37–41. Zusammenfassend bereits DEÉR: Anspruch (wie Anm. 8) S. 118–139 (439– 457); DERS.: Papsttum und Normannen. Untersuchungen zu ihren lehnsrechtlichen und kirchenpolitischen Beziehungen, Köln u. a. 1972 (Studien und Quellen zur Welt Kaiser Friedrichs II. 1), S. 261–265. Die Politik der Kurie gegenüber dem Königreich Sizilien ist auch in Zusammenhang mit einem seit Alexander III. forcierten Ausbau der Herrschaft über den Kirchenstaat zu sehen, der an seiner südlichen Grenze direkt an das Regno angrenzte. Zu den Bestrebungen unter Cölestin III. vgl. zuletzt Brenda BOLTON: Celestine III and the Defence of the Patrimony, in: Pope Celestine III (1191– 1198). Diplomat and Pastor, ed. by John DORAN/Damian J. SMITH (Church Faith and Culture in the Medieval West), Aldershot u. a. 2008, S. 317–353. 10 Vgl. Reg. Inn. III., XI/203 vom 9. Januar 1209. Innozenz III. nimmt darin explizit auf die Zugeständnisse der Kaiserin Konstanze Bezug und ermahnt deren Sohn, sich an diese zu halten. Der konkrete Anlass für das Mahnschreiben des Papstes war der Versuch Friedrichs II., auf die avisierte Wahl des neuen Erzbischofs von Palermo Einfluss auszuüben. Zwar ist nicht klar, wie die Auseinandersetzung zwischen Innozenz III. und Friedrich II. in diesem Punkte endete, doch blieb der Palermitaner Erzstuhl offenbar bis zum Januar 1211 vakant, vgl. Norbert KAMP: Kirche und Monarchie im staufischen Königreich Sizilien, 3 Bde., München 1973–1982 (Münstersche MittelalterSchriften 10/I,1–4), Bd. 3 S. 1127. Zur Sache vgl. auch Gerhard BAAKEN: Ius imperii ad regnum. Königreich Sizilien, Imperium Romanum und römisches Papsttum vom Tode Kaiser Heinrichs VI. bis zu den Verzichterklärungen Rudolfs von Habsburg, Köln u. a. 1993 (Beih. RI 11), S. 177–181.

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über seine Kirche geherrscht habe11, was die moderne Forschung bisweilen mit einem straffen Kirchenregiment umschrieben hat, bei dem die unteritalienischen Herrscher jedoch nicht alleine standen12. Für die Zusammenarbeit der traditionell stark auf den König ausgerichteten unteritalienischen Kirche mit Rom bildete die Vormundschaftsregierung Innozenz’ III. ohne Frage einen deutlichen Einschnitt. Kaiserin Konstanze hatte dem Papst in ihrem Testament die Vormundschaft für Friedrich II. übertragen13. Und als sie am 27. November 1198 noch vor dem vierten Geburtstag des kleinen Friedrich II. starb, trat diese Regelung in Kraft. Der formale Lehnsherr des Königreichs Sizilien wurde dadurch zum Vormund des minderjährigen Königs. Innozenz III. nahm diese Vormundschaft aktiv wahr und griff gestaltend in die unteritalienischen Verhältnisse ein, wobei die Auseinandersetzung mit Markward von Annweiler nur die Spitze des Eisberges darstellt14, bei 11 The Historia pontificalis of John of Salisbury, ed. and transl. by Marjorie CHIBNALL, Oxford 1986 (Oxford Medieval Texts), c. 32 S. 65; vgl. dazu auch LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 255–258. 12 Dass sich bei der Besetzung der Bistümer und beim Kirchenregiment eine ähnlich dominante königliche Position auch in anderen Landeskirchen finden lässt, betont etwa Graham A. LOUD: Royal Control of the Church in the Twelfth-Century Kingdom of Sicily, in: Studies in Church History 18 (1982) S. 147–159, hier S. 148f.; Wiederabdr. in: DERS.: Conquerors and Churchman in Norman Italy (Variourm Collected Studies Series), Aldershot 1999, X S. 147–159, hier S. 148f. 13 Das Testament ist als Text nicht überliefert, vgl. dazu auch die Bemerkungen bei MDH Dep. Ks. 71, dort die Zusammenstellung der Überlieferung. Am ausführlichsten berichten über das Testament die «Gesta Innocentii», Edition bei The Gesta Innocentii III. Text, introduction and commentary by David G RESS-WRIGHT, Ann Arbor 2000, S. 19f. Die Darstellungen der Gesta Innocentii sind nicht immer eindeutig, vgl. jüngst am Beispiel der bisher als Testament Heinrichs VI. interpretierten Passage der «Gesta Innocentii», Matthias THUMSER: Letzter Wille? Das höchste Angebot Kaiser Heinrichs VI. an die römische Kurie, in: DA 62 (2006) S. 85–133. Dass die «Gesta Innocentii» auch ein gegen Markward von Annweiler gerichtetes Werk waren, hat deutlich betont Brenda BOLTON: To important to Neglect: The Gesta Innocentii PP III, in: Church and Chronicle in the Middle Ages. Essay presented to John Taylor, hg. v. Ian WOOD/Graham A. LOUD, London/Rio Grande 1991, S. 87–99. Eine kritische Edition mit einem angemessenen Sachapparat fehlt trotz der Vorarbeiten von Gress-Wright und der großen Bedeutung Innozenz’ III. für die Geschichte Europas bis heute. Jüngst versuchte Giulia BARONE: I Gesta Innocentii III: politica e cultura a Roma all’inizio del Duecento, in: Studi sul Medioevo per Girolamo Arnaldi, hg. v. Giulia BARONE/ Lidia CAPO/Stefano GASPARRI, Roma 2001, S. 1–23, Kardinaldiakon Johannes von S. Maria in Cosmedin als Autor der Gesta namhaft zu machen. 14 Vgl. Nach wie vor grundlegend für die Tätigkeit Innozenz III. auf Sizilien Friedrich BAETHGEN: Die Regentschaft Papst Innozenz III. im Königreich Sizilien, Heidelberg 1914 (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 44); Wolfgang STÜRNER: Friedrich II., Darmstadt 32009 (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), S. 85–105; BAAKEN: Ius (wie Anm. 10) S. 171–177; substanziell wenig darüber hinaus gehend die Ausführungen bei John C. MOORE: Pope Innocent III (1160/61–1216). To root up and to plant, Leiden u. a. 2003 (The medieval Mediter-

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der er Heere aufbot, um sein Mündel Friedrich von Sizilien zu schützen, und den Widerstand gegen Markward organisierte – auch wenn seine Bemühungen nicht immer von Erfolg gekrönt waren15. Dennoch lässt der neue Impetus der päpstlichen Unteritalienpolitik einen engeren Kontakt zu den Kirchen Unteritaliens erwarten, als dies zuvor der Fall war, der sich auch in der Quantität der Urkunden widerspiegeln müsste. Hinzu kommt noch eine mit dem Pontifikat Innozenz’ III. veränderte Überlieferungssituation. Das Epochenjahr 1198 ist für Unteritalien folglich ein doppelter Einschnitt. Denn anders als zuvor können wir nach 1198 – dank der Registerüberlieferung, die uns für den Untersuchungszeitraum abgesehen vom Register Gregors VII. vor Innozenz III. fehlt16 – in wesentlich stärkerem Maße das Wollen des Papstes fassen. Denn dieses kommt in der Regel in Mandaten, in Aufträgen zum Ausdruck, die aufgrund ihrer Zeitgebundenheit in den Empfängerarchiven bekanntlich eine geringe Überlieferungschance haben17. Durch ranean 47), S. 65–68; oder Helene TILLMANN: Papst Innocenz III., Bonn 1954 (Bonner Historische Forschungen 3), S. 111–117. Einen Überblick über die Situation im Königreich Sizilien während der Minderjährigkeit Friedrichs II. bietet auch Ronald NEUMANN: Parteibildungen im Königreich Sizilien während der Unmündigkeit Friedrichs II. (1198–1208), Frankfurt a. M. u. a. 1986 (Europäische Hochschulschriften III/266), S. 17–37. Zu Markward von Annweiler und dessen Wirken nach dem Tod Heinrichs VI. vgl. Jan KEUPP: Dienst und Verdienst. Die Ministerialen Friedrich Barbarossas und Heinrichs VI., Stuttgart 2002 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 48), S. 280–285. 15 Vgl. etwa die lapidare Feststellung von STÜRNER: Friedrich II. (wie Anm. 14) S. 104: „Es verwundert angesichts der Verhältnisse im Regnum Sicilie sicher niemanden, dass die Verfügungen des Papstes offenbar kaum Beachtung fanden.“ 16 Zu den päpstlichen Registern vor Innozenz III. vgl. jüngst Rudolf SCHIEFFER: Die päpstlichen Register vor 1198, in: Das Papsttum und das vielgestaltige Italien. Hundert Jahre Italia Pontificia, hg. v. Klaus HERBERS/Jochen JOHRENDT, Berlin/New York 2009 (AAG, N. F. 5), S. 261–273. 17 Vgl. dazu grundlegend Arnold ESCH: Überlieferungs-Chance und ÜberlieferungsZufall als methodisches Problem des Historikers, in: HZ 240 (1985) S. 529–570; entscheidend für die Überlieferung sind bei den Mandaten ebenso wie bei den Urkunden allgemein der Umgang der Empfänger mit den in ihrem Besitz befindlichen Dokumenten. Das gilt auch für die Überlieferung der Urkunden von Gegenpäpsten. Vorstellungen von einer „systematische[n] Kassierung des Großteils der urkundlichen Überlieferung gegenpäpstlicher Obödienz post scisma“, die nach dem Willen der Kurie vollzogen worden sei, suggerieren einen alles beherrschenden Apparat, der sogar die Überlieferung einzelner Urkunden kontrollieren könnte, so jüngst Kai-Michael SPRENGER: Damnatio memoriae oder Damnatio in memoria? Überlegungen zum Umgang mit so genannten Gegenpäpsten als methodisches Problem der Papstgeschichtsschreibung, in: QFIAB 89 (2009) S. 31–62, Zitat S. 52. In das Bild einer systematischen Kassierung wollen auch die überlieferten Originalurkunden Anaklets II. in Unteritalien nicht passen. Bekanntlich bemühte sich Bonifaz VIII., der über einen weitaus besser ausgebauten Kurienapparat verfügte als die Päpste des 12. Jahrhundert, gezielt um die Rückrufung einzelner Urkunden seines Vorgängers Cölestin V., so etwa des Plenarablasses für S. Maria di Collemaggio, vgl. dazu Reg. Bon. VIII., Nr. 332 u. 815f.

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die mit Innozenz III. einsetzende kontinuierliche Überlieferung der Papstregister wandelt sich die so beschriebene Überlieferungssituation, auch wenn lediglich bis zu 20 Prozent der ausgestellten Urkunden in die Register eingetragen worden sein dürften18. Blättert man die bis zum Registerband 11 für das Pontifikatsjahr 1208/1209 vorgedrungenen Bände der Edition der Register Innozenz III. durch19, so vermittelt der erste Eindruck eine schlagartig gesteigerte Intensivierung der Kontakte zwischen Rom und den Kirchen in Kalabrien und Sizilien. Denn nicht weniger als 87 Stücke sind den Registern zu entnehmen20. Das ist Doch die Interventionen Bonifaz’ VIII. zeigten keinen Erfolg, vgl. dazu Michele MACCARRONE: L’indulgenza del Giubileo del 1300 e la basilica di S. Pietro, in: Roma anno 1300. Atti della IV settimana di studi di storia dell’arte medievale dell’Università di Roma „La Sapienza“ (19–24 maggio 1980), hg. v. Nagiola Maria ROMANICI, Roma 1983, S. 731–752; Wiederabdr. in: Romana Ecclesia Cathedra Petri, hg. v. Pietro ZERBI/Raffaello VOLPINI/Alessandro GALUZZI, 2 Bde., Roma 1991 (Italia Sacra 47 u. 48), Bd. 2, S. 1157–1206, hier S. 1181; Edith PASZTOR: Celestino V e Bonifacio VIII, in: Indulgenza nel medioevo e perdonanza di papa Celestino. Atti del Convegno storico internazionale, L’Aquila, 5–6 ottobre 1984, hg. v. Alessandro CLEMENTI, L’Aquila 1987 (Convegni celestiniani 1), S. 61–78, hier S. 72. Die Urkunde ist noch heute erhalten. Insofern sollte man die Fähigkeiten der Kurie nicht überbewerten und den Akzent für die Bedingungen und die Chance der Überlieferung einzelner Urkunden nach wie vor bei den Empfängern und deren Bedürfnissen belassen. Zu den Revokationen Bonifaz’ VIII. allgemein Alessandra BARTOLOMEI ROMAGNOLI: Le bolle di Celestino V cassate da Bonifacio VIII, in: AHP 37 (1999) S. 61–83; Tilmann SCHMIDT: Critica e revoche di documenti: il pontificato di Bonifacio VIII, un’eredità condizionante, in: Bonifacio VIII. Ideologia e azione politica. Atti del Convegno organizzato nell’ambito dlle Celebrazioni per il VII Centenario della morte, Città del Vaticano – Roma. 26–28 aprile 2004, Roma 2006 (Bonifaciana 2), S. 43–57. 18 Vgl. dazu grundlegend die Arbeiten von Othmar HAGENEDER: Probleme des päpstlichen Kirchenregiments im hohen Mittelalter (Ex certa scientia, non obstante, Registerführung), in: Lectiones eruditorum extraneorum in Facultate philosophica Universitatis Carolinae Pragensis factae 4, Praha 1995, S. 49–77, hier S. 53; DERS.: Die Register Innozenz’ III., in: Papst Innozenz III. Weichensteller der Geschichte Europas, hg. v. Thomas FRENZ, Stuttgart 2000, S. 91–101, hier S. 92f.; sowie DERS.: Die Rechtskraft spätmittelalterlicher Papst- und Herrscherurkunden „ex certa scientia“, „non obstantibus“ und „propter importunitatem petentium“, in: Die Papsturkunde und das europäische Urkundenwesen, Studien zu ihrer formalen und rechtlichen Kohärenz vom 11. bis 15. Jahrhundert, hg. v. Peter HERDE/Hermann JAKOBS, Köln u. a. (ADipl Beih. 7), S. 401–429. 19 Die Registerbände 3 und 4 sind verschollen. Von ihnen sind allein die Rubriken überliefert, aus denen Werner Maleczek die Registerbände mit Hilfe der Empfängerüberlieferung zu rekonstruieren sucht. 20 Bei der Zählung der Stücke bin ich nach den Prinzipien der Pontificienbände verfahren, die bei einem Schreiben an mehrere Personen ein Hauptregest und entsprechende Nebenregesten anlegen. Ein analoges Vorgehen bei der Auswertung der Register ist hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Ergebnisse der aus IP 10 gewonnenen Empfängerüberlieferung und der Registerüberlieferung notwendig. Für die Zahl der Urkunden bedeutet das im konkreten Fall, dass ich etwa bei der Beauftragung von drei dele-

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mehr als doppelt so viel wie im Jahrzehnt von 1180 bis 1189, in dem sich 43 Stücke für sizilische und kalabrische Empfänger fassen lassen21. Hinzu kommen noch mindestens 16 bei Potthast verzeichnete Stücke, die in den Registern nicht enthalten und nur anderweitig überliefert sind22. Doch auch diese 103 Stücke in einem Jahrzehnt dürften noch nicht alles bieten, was in den Archiven der sizilischen und kalabrischen Empfänger zu finden ist, denn das Material ist in seiner Gesamtheit nach 1198 trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – der besseren Quellenlage erheblich schlechter aufbereitet, als dies für den Bereich vor 1198 durch die Italia Pontificia der Fall ist23. Da die Ausführungen dieses Beitrags für die Zeit nach 1198 allein auf gedrucktem Material beruhen, können Sie für die letzten zehn Jahre des Untersuchungszeitraums lediglich eine Skizze sein, ohne den Anspruch zu erheben, das urkundliche Material vollständig erfasst zu haben, was in etlichen Aspekten für die Zeit vor 1198 dank der Aufarbeitung in der Italia Pontificia 10 annähernd möglich ist. Aufgrund der schlechteren Erfassung des Materials nach 1198 ist der Charakter des verfügbaren Quellenkorpus noch zentrumslastiger, als er dies durch das Einsetzen der Registerüberlieferung ohnehin bereits ist24. Das Material scheint daher nicht nur zu explodieren, sondern ebenso seinen Charakter grundlegend zu verändern. Doch wie lässt sich das Material in seiner unterschiedlich aufgearbeiteten Form über die Epochengrenze von 1198 hinweg nutzen, ohne durch die Bedingungen der Überlieferung zu einem gänzlich verzerrten Bild zu kommen, bei dem Innozenz III. im Vergleich zu seinen Vorgängern als der alles beherrschende Papst erscheint? Bildet der Pontifikat Innozenz III. für Sizilien und Kalabrien tatsächlich eine neue Qualität, die sich in der Anzahl der ausgestellten Urkunden widerspiegelt, wie es eine graphische Darstellung der Urkundenzahl in Jahrzehnten suggeriert?

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gierten Richtern davon ausgegangen bin, dass alle drei Richter ein entsprechendes Schreiben erhalten haben. Bisweilen wird die Mehrfachausfertigung in den Registerbänden auch vermerkt, so etwa das Schreiben Reg. Inn. III., II/236, das an 50 unterschiedliche Adressen geschickt wurde, folglich auch 50mal ausgestellt worden war, wie der Eintrag in das Register verdeutlicht, vgl. Reg. Inn. III, II/236 S. 453–456. Zu den Zahlen siehe unten Anm. 26. Potthast 93, 147, 209, 560, 593, 1138, 1462, 1481, 1482, 1483, 1484, 1485, 1592, 1593, 2292 u. 2315. So liegt den Angaben bei Potthast keine systematische Erfassung der Empfängerüberlieferung zugrunde, sondern allein die Zusammenstellung des gedruckten Materials. Im Rahmen der Italia Pontificia dürfte gemessen am erfassten Material nur noch mit geringfügigen Nachträgen zu rechnen sein. Vgl. zum Abschluss der Italia Pontificia jüngst auch den Aufruf von Klaus HERBERS: 100 Jahre Italia Pontificia (1906–2006) – Anregungen zur Abrundung, in: QFIAB 87 (2007) S. 374–379. Die Edition der Register weist nur bei acht Stücken auch eine Empfängerüberlieferung nach, bei Reg. Inn. III., I/106, I/316, I/410, I/411, II/139, IX/157, IX/158 u. XI/4.

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Nach bescheidenen Anfängen in der Mitte des 11. Jahrhunderts kommt es zu einer allmählichen Steigerung, die kurz vor der Jahrhundertwende ihren Höhepunkt erreicht. Die 1130er Jahre bringen jedoch eine erhebliche Reduzierung und in den 40er Jahren des 12. Jahrhunderts sind nur vier Urkunden zu fassen25, ebenso viele wie im Jahrzehnt von 1060 bis 1069. Nach einer erneuten Steigerung der ausgestellten Urkunden kommt es mit der Epochengrenze von 1198 schließlich zu einem eklatanten Sprung, so dass sich die Zahl der überlieferten Papsturkunden nun verdreifacht26. Ist die unteritalienische Kirche, die sich zuvor dem Zugriff der Päpste nicht zuletzt durch die dominante Stellung der sizilischen Könige entzog, nun fest an Rom angebunden? Wand25 Bereits Norbert KAMP: Der unteritalienische Episkopat im Spannungsfeld zwischen monarchischer Kontrolle und römischer „libertas“ von der Reichsgründung Rogers II. bis zum Konkordat von Benevent, in: Società, Potere e popolo nell’età di Ruggero II, Bari 1979 (Centro di studi normanno-svevi, Università degli Studi di Bari, Atti 3), S. 99–132, hier S. 117f., wies darauf hin, dass es Roger II. ab 1140 offenbar gelungen war, die Kontakte zwischen den unteritalienischen Bischöfen und der Kurie zu unterbinden. 26 Die Zahlen sind im einzelnen für die dargestellten Jahrzehnte: 3 (1050–1059); 4 (1060–1069): 8 (1070–1079); 9 (1080–1089); 22 u. 3 undatierte (1090–1099); 21 (1100–1109); 20 (1110–1119); 29 (1120–1129); 18 (1130–1139); 4 u. 2 undatierte (1140–1149); 18 (1150–1159); 23 u. 3 undatierte (1160–1169); 20 u. 4 undatierte (1170–1179); 39 u. 3 undatierte (1180–1189); 32 und eine undatierte (1190–1198) und 103 (1198–1209).

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ten sich die unteritalienischen Prälaten ab 1198 wesentlich häufiger aus eigenem Antrieb an Rom? Ein genauer Blick auf die Urkundenarten bewahrt davor, die aufgeworfene Frage vorschnell zu bejahen. Denn die Register überliefern erstaunlich stark das Wollen des Papstes – immerhin sind 24 der 87 Stücke Mandate. Hinzu kommen noch zwölf Informationsschreiben des Papstes, in denen Innozenz III. von sich aus Geistliche oder Weltliche über sein Handeln informiert. Ein nicht unbeträchtlicher Teil dieser Stücke ist durch die Vormundschaftsregierung des Papstes für den minderjährigen Friedrich II. bedingt, welche die Energien des Papstes band, so dass er in einem Brief von 1206 an den immer noch minderjährigen Friedrich II. seiner Hoffnung Ausdruck gab, dass die für Innozenz III. mühselige und kostspielige Vormundschaftsregierung bald ein Ende habe27. Auch über den Tod Markwards von Annweiler hinaus tritt Innozenz III. in seinen Briefen als tadelnder, mahnender oder befehlender Papst in Aktion, der sich intensiv um die Verhältnisse in Unteritalien bemühte. Gleichwohl ist auch deutlich zu erkennen, dass ein erheblicher Teil der Mandate nicht kirchliche Belange betrifft. Vielmehr steht die Absicherung der Königsherrschaft Friedrichs II. in einem Großteil der Schreiben Innozenz’ III. im Vordergrund. Das Königreich Sizilien wird damit zwar ein „Interessensraum“ der Kurie, doch vor allem in Hinblick auf die politische Entwicklung28. Die Dimension des so beschriebenen Einblicks in das päpstliche Wollen, der mit der Überlieferung der päpstlichen Register möglich ist, wird zumal durch die Gegenüberstellung der Überlieferung vor und nach 1198 deutlich. Sind für das erste Jahrzehnt Innozenz’ III. – in dem sogar zwei Registerbände fehlen – 24 Mandate überliefert, so sind es für den gesamten Untersuchungszeitrum bis 1198 lediglich 14 Stücke, die durch die Empfängerüberlieferung auf uns gekommen sind. Der von Innozenz ausgesprochene Tadel, sein Mahnen und Befehlen lässt erkennen, wie schnell man in Rom auf bestimmte Entwicklungen reagierte, was voraussetzt, dass man rasch informiert wurde. Doch wie reagierte man auf diesen Tadel, dieses Mahnen und Befehlen vor Ort, und veränderten die unteritalienischen Kirchen aufgrund dieser permanenten Handlungsanweisungen ihr Verhältnis zu Rom? Waren die Schreiben des Papstes gleichsam eine einseitige Kommunikation, bei der eine Verlautbarung nach der anderen die päpstliche Kanzlei verließ, ohne dass dies Folgen gezeitigt hätte, oder war der Effekt doch eine verstärkte Rückkopplung der unteritalienischen Kirchen an 27 So in Reg. Inn. III., IX/157 S. 283 Z. 11–14. 28 Der Begriff des Interessensraumes wird hier im Sinne von Götz-Rüdiger TEWES: Die päpstliche Kurie und die europäischen Länder am Vorabend der Reformation, Tübingen 2001 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 95), S. 135f., benutzt; vgl. auch DERS.: Zwischen Universalismus und Partikularismus: Zum Raumbewußtsein an der Kurie des Spätmittelalters, in: Raumerfassung und Raumbewußtsein im späteren Mittelalter, hg. v. Peter MORAW, Stuttgart 2002 (VuF 49), S. 31–85, hier S. 33f.; sowie allgemein auch Hans-Joachim SCHMIDT: Raumkonzepte und geographische Ordnung kirchlicher Institutionen im 13. Jahrhundert, in: ebd., S. 87–125.

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Rom? Wandten sich die Kirchen Kalabriens, angetrieben vom Stacatto der Mahnungen, nun auch von sich aus häufiger an die Kurie und ließen sich ihre Position von Rom bestätigen? Mit Blick auf die Überlieferung in den päpstlichen Registern heißt das konkret: Wie viele Rechtsbelehrungen, Urkunden-, Rechts- und Papstschutzbestätigungen oder -verleihungen enthält das Material und ebenso, wie häufig wandte man sich nun an die Kurie, um die Entsendung bzw. Beauftragung eines Legaten oder delegierten Richters zu erreichen? Dabei wird die hohe Zahl von 103 Urkunden doch stark relativiert. Denn es fällt sofort auf: Nach 1198 sind kaum Privilegien zu fassen. In den Registerbänden 1 bis 11 sind lediglich fünf Stücke zu fassen, die als klassische Privilegien anzusprechen sind, die dem Empfänger Rechte oder Besitzungen bestätigen oder gewähren29. Bedingt sind dem noch drei weitere Urkunden hinzuzuzählen, in denen Innozenz III. die Aufhebung von Besitzentfremdungen genehmigte30. Mit anderen Worten: Urkunden, die eine Intervention der sizilischen und kalabrischen Empfänger voraussetzten und die im Archiv der Empfänger eine gute Überlieferungschance haben, finden sich in den Registern Innozenz’ III. kaum31. Zu diesen fünf Privilegien aus den Registern kommen noch drei hinzu, die jedoch nicht in den Registern überliefert sind32. Die Zahl von acht Privilegien spricht jedoch kaum für eine durch die Vormundschaftsregierung Innozenz’ III. intensivierte Bindung der Kirchen Siziliens und Kalabriens an Rom. Die Zahl der Privilegien vor und nach der Epochengrenze von 1198 ist hingegen erstaunlich konstant33. In dieser Perspektive erweist sich das Epochenjahr 1198 als weniger einschneidend als gedacht34. Nach diesen Vorbemerkungen zu den Überlieferungsbedingungen und deren Folgen für die Aussagekraft des Materials nun zu den beiden Regionen Sizilien und Kalabrien, die im Folgenden getrennt behandelt werden. Zunächst

29 Reg. Inn. III., I/316, V/29, VI/138, VII/148 u. 149. 30 Reg. Inn. III., I/180, I/250 u. I/294. 31 Erstaunlich ist jedoch, dass nach Ausweis der Registeredition allein das Privileg Reg. Inn. III., I/316 an Ebf. Carus von Monreale auch auf der Empfängerseite überliefert ist. 32 Potthast 93 (an Ebf. Carus von Monreale), 147 (an Ebf. Berard von Messina) u. 209 (an Ebf. Caro von Monreale). 33 Der Befund ist jedoch nicht ohne weiters auf andere Regionen übertragbar. So enthalten die Register Innozenz’ III. etwa für die Regionen Ungarn und Polen erheblich mehr Privilegien, als für den Zeitraum vor 1198 zu fassen sind, siehe dazu auch den Beitrag von Przemyslaw Nowak in diesem Band. 34 Vgl. auch die Beobachtungen von Klaus HERBERS: Päpstliche Autorität und päpstliche Entscheidungen an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert, in: Recht und Gericht in Kirche und Welt um 900, hg. v. Wilfried HARTMANN unter Mitarbeit von Annette GRABOWSKY, München 2007 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 69), S. 7–30, hier S. 9–14 u. 29, der für das 9. Jahrhundert die Konstanz der Nachfrage nach Privilegien hervorhebt, unabhängig von der tagespolitischen Situation in Rom.

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zu Sizilien: Für Sizilien sind zwischen 1046 und 1209 insgesamt 188 Urkunden zu verzeichnen. Die chronologische Verteilung stellt sich wie folgt dar:35

Die Verteilung weicht damit zumindest vor dem letzten Jahrzehnt des Untersuchungszeitraums deutlich von der Urkundenverteilung für den kalabrischen Raum ab, für den mit 218 Urkunden in etwa genauso viele Urkunden vorliegen. Zwar bildet der Pontifikat Calixts II. (1119–1124) auf den ersten Blick keinen vergleichbar tiefen Einschnitt in der Kommunikation zwischen Papst und sizilischer Kirche; doch der Charakter der nach 1123 für sizilische Empfänger ausgestellten Stücke hatte sich im Vergleich zum davorliegenden Zeitraum verändert. Dieser Wandel dokumentiert die Distanz zwischen Papsttum und sizilischen Einzelkirchen, die durch das Zerwürfnis zwischen Roger II. und Calixt II. entstanden war. Denn alle Stücke, die von diesem Zeitpunkt an bis zu den ersten Urkunden Anaklets II. ausgestellt wurden, sind fast aus35 2 (1050–1059), 1 (1060–1069), 2 (1070–1079), 2 (1080–1089), 15 u. 3 undatierte (1090–1099), 2 (1100–1109), 6 (1110–1119), 14 (1120–1129), 15 (1130–1139), 2 u. 2 undatierte (1140–1149), 10 (1150–1159), 16 u. 3 undatierte (1160–1169), 8 u. 4 undatierte (1170–1179), 29 u. 3 undatierte (1180–1189), 15 u. eine undatierte (1190–1198) und 61 (1198–1209). Die Summe der einzeln ausgewiesenen Urkunden des Jahrzehnts von 1198 bis 1209 für Kalabrien und Sizilien übersteigt die Zahl von 103 Urkunden um 20. Dies ist dadurch zu erklären, dass die das gesamte Königreich betreffenden Urkunden in beiden Räumen gezählt wurden, in der Gesamtstatistik jedoch nur einmal erscheinen.

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schließlich politischer Natur und wurden zwischen Papst und Roger ausgetauscht. Mit anderen Worten: Auch zwischen den sizilischen Kirchen und den Päpsten kam es nach dem Bruch zwischen Roger II. und Calixt II. zu einer Art Funkstille, die auf den dominierenden Einfluss des Hauteville zurückzuführen sein dürfte36. Der briefliche oder urkundliche Austausch zwischen dem Papst und den Einzelkirchen endet nach Ausweis der Überlieferung auf Sizilien ebenso abrupt wie in Kalabrien nach 1122/23. Doch vor allem die Stücke Anaklets II. unterscheiden die sizilische Kirche von der kalabrischen, bei der es sofort nach 1122 bis in die 1160er Jahre gleichsam zu einer Kommunikationsunterbrechung zwischen Ortskirchen und Papsttum kam37.

Dass in der Zeit bis 1090 für Sizilien kaum Urkunden zu verzeichnen sind, ist durch die schlichte Tatsache zu erklären, dass die Insel bis zu diesem Zeitpunkt in muslimischer Hand war und sich die noch vorhandenen Kirchen offenbar 36 Vgl. zu den Ursachen und direkten Folgen des Zerwürfnisses zusammenfassend JOHRENDT: Sonderfall (wie Anm. 2) S. 257f. 37 In Zahlen ausgedrückt gestaltet sich die Verteilung der Urkunden wie folgt: 1 (1050– 1059), 3 (1060–1069), 6 (1070–1079), 7 (1080–1089), 12 (1090–1099), 19 (1100– 1109), 14 (1110–1119), 15 (1120–1129), 3 (1130–1139), 2 (1140–1149), 8 (1150– 1159), 7 (1160–1169), 12 (1170–1179), 10 (1180–1189), 17 (1190–1198) u. 62 (1198– 1209). Siehe auch die Bemerkungen bei JOHRENDT: Sonderfall (wie Anm. 2) S. 241 Anm. 22.

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weniger an Rom orientierten. Das Hochschnellen der Urkunden für sizilische Empfänger nach 1090 ist durch den mit der Eroberung der Insel verbunden Regelungsbedarf zu erklären, da hier erst in Abstimmung mit den Päpsten eine neue Metropolitanstruktur geschaffen werden musste38. Zwar kommt es danach auf Sizilien ebenso wie in Kalabrien nicht zu einer dauerhaften und kontinuierlichen Zunahme von Urkunden, doch liegt der harte Einschnitt nicht bereits nach 1122 und dem Zerwürfnis zwischen Roger II. und Calixt II. Vielmehr sind in den 30er Jahren mit 15 Urkunden ebenso viele Stücke wie in den 1120er Jahren (14 Urkunden) nachzuweisen, davon zwölf von Anaklet II. ausgestellt, so dass der Einbruch der Urkundendichte in Italien erst nach dem Tod Anaklets II. erfolgte. Erneut war es die Bistumsorganisation, die hier dafür sorgte, dass Urkunden von Anaklet II. ausgestellt wurden – was in Kalabrien mit einer inzwischen eher gefestigten Kirchenverfassung nicht mehr notwendig war39. Für beide Regionen ist dann in den 1150er Jahren ein erneutes Einsetzen der Urkundenausstellung zu beobachten, was wohl als eine Widerannäherung der Ortskirchen an Rom zu interpretieren ist.

1. Papstreisen und Legationen Kamen die Päpste in der Person Urbans II., Paschalis’ II. und Calixts II. bis 1122 immer wieder nach Kalabrien40, so betrat während des Untersuchungszeitraums kein einziger von ihnen jemals die Insel. Mit anderen Worten: die oberste Spitze der Kirche war in Kalabrien auch persönlich anwesend, auf Sizilien hingegen nie. Päpstliche Reisen, ein wesentliches Instrument für die In38 Vgl. dazu Horst ENZENSBERGER: Die lateinische Kirche und die Bistumsgründungen in Sizilien zu Beginn der Normannenherrschaft http://www.medioevoitaliano.org/ rassegna.2.htm (25.08.2010) (Rassegna Storica online 2, 2000); sowie jetzt auch BECKER: Graf (wie Anm. 1) S. 168–189, die S. 189 den entscheidenden Einfluss Rogers I. betont, dem die Päpste sich auch hinsichtlich der Bistumsorganisation durch die von ihm geschaffenen Fakten beugen mussten; dort auch die weitere Literatur zu den einzelnen Bistümern. 39 Die Anerkennung der von Anaklet II. befürworteten Bistumsgründungen von Lipari und Cefalù erfolgte jedoch nicht unmittelbar, sondern zog sich in den beiden genannten Fällen sogar bis zu Alexander III. hin, vgl. dazu Graham A. LOUD: The Papacy and the Rulers of Southern Italy, 1058–1198, in: The Society of Norman Italy, ed. by Graham A. LOUD/Alex METCALFE, Leiden u. a. 2002, S. 151–184, hier S. 169–175; KAMP: Episkopat (wie Anm. 25) S. 110f. 40 Vgl. JOHRENDT: Sonderfall (wie Anm. 2) S. 245–247; die Bedeutung der Reisen für die Hinführung der unteritalienischen Kirche auf Rom betont LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 208. Zu den päpstlichen Reisen nach Frankreich vgl. jetzt Rolf GROSSE: „Ubi papa, ibi Roma“ – Papstreisen nach Frankreich im 11. und 12. Jahrhundert, in: Päpstliche Herrschaft im Mittelalter. Funktionsweisen – Strategien – Darstellungsformen, hg. von Stefan WEINFURTER, Ostfildern 2012 (Mittelalter-Forschungen 38), S. 313–334.

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tegration der Ortskirchen in die Römische Kirche und deren Ausrichtung am römischen Zentrum, fanden auf Sizilien nie und in Kalabrien nach 1122 nicht mehr statt41. Weihen von Bischöfen und Äbten durch den Papst konnten wesentlich einfacher durchgeführt werden, wenn der Papst vor Ort war – auf diese Weise konnte er mehr Bischöfe und Äbte erfassen. Auch Urkunden waren einfacher zu erwirken, wenn die päpstliche Kanzlei nicht hunderte von Kilometern entfernt war, sondern nur eine Tagesreise oder gar vor Ort42. Dasselbe galt für kirchenrechtliche Fragen hinsichtlich der Situation in der eigenen Kirche – war der Papst vor Ort, so wurden diese Fragen leichter an ihn herangetragen und eröffneten Rom damit die Möglichkeit zu einer normativen Äußerung, die über die aktuelle Situation hinaus mit Bezug auf den Papst Wirkung entfalten konnte. Zwar stellt die Entwicklung der kalabrischen Kirche nach 1122 die Integrationskraft der Reisen in Frage, denn nach dem Zerwürfnis zwischen Roger II. und Calixt II. brachen die Kontakte zwischen der kalabrischen Kirche und Rom fast vollständig ab. Andererseits ist kaum vorstellbar, dass die physische Präsenz des vicarius Petri für die Integration der Ortskirchen nach dem eben beschriebenen Muster keine Wirkung gehabt hätte, und die enge Bindung der kalabrischen Kirche bis 1122 an die Kurie dürfte zu Teilen auch durch die physische Präsenz des Papstes in dieser Region bedingt gewesen sein. Gleichwohl war die Wirkung der Reisen in Kalabrien nicht von einem dauerhaften Erfolg gekrönt43. Doch wie war es um die Wirkung der Legationen bestellt? Sizilien wurde von den Päpsten nicht bereist und auch den päpstlichen Legaten blieb die Insel verschlossen. Denn das 1098 von Urban II. an Roger I. ausgestellte Legationsmandat, das den Zutritt von päpstlichen Legaten auf der Insel ebenso wie Appellationen an die Kurie untersagte, blieb faktisch bis zum Tod Heinrichs VI. in Kraft44.

41 Nach Apulien zog hingegen Anaklet II., der vermutlich am 28. November 1130 in Bari weilte, vgl. LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 224. 42 Zum Zusammenhang von päpstlichen Reisen und der Ausfertigung von Papsturkunden vgl. jüngst am Beispiel Leos IX. Joachim DAHLHAUS: Urkunden, Itinerar und Festkalender. Bemerkungen zum Pontifikat Leos IX., in: Aspects diplomatiques des voyages pontificaux, hg. v. Bernard BARBICHE/Rolf GROSSE, Paris 2009 (Studien und Dokumente zur Gallia Pontificia 6), S. 7–29. Für das 13. Jahrhundert vgl. Tommaso di Carpegna FALCONIERI/Fabio BOVALINO: „Commmovetur sequenti die curia tota“. L’impatto dell’itineranza papale sull’organizzazione ecclesiastica e sulla vita religiosa, in: Itineranza pontificia. La mobilità della Curia papale nel Lazio (secoli XII–XIII), a cura di Sandro CAROCCI, Roma 2003 (Nuovi studi storici 61), S. 101–175. 43 Vgl. JOHRENDT: Sonderfall (wie Anm. 2) S. 247. So betonte auch KAMP: Episkopat (wie Anm. 25) S. 102f., dass die päpstlichen Reisen von keinem dauerhaften Erfolg gekrönt waren. 44 Vgl. JOHRENDT: Sonderfall (wie Anm. 2) S. 237f.; jüngst auch BECKER: Graf (wie Anm. 1) S. 141–151.

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Doch auch die Legationen nach Kalabrien lassen sich – sofern sie in den Quellen Niederschlag gefunden haben – an einer Hand abzählen45. Unter Nikolaus II. und Alexander II. tritt Erzbischof Arnulf von Cosenza als vicarius sanctae Romane ecclesiae auf, ohne dass dessen genauer regionaler Zuständigkeitsbereich zu fassen wäre, unter Urban II. schließlich der Bischof von Cassano. Daneben ist unter Paschalis II. noch Lanuinus, ein Schüler Brunos des Karthäusers, als päpstlicher Legat anzusprechen, jedoch nicht als Vikar. Die weiteren überlieferten Legationen bis 1198 und darüber hinaus wurden ausschließlich von Kardinälen durchgeführt: Unter Calixt II. 1119 von Kardinalpriester Desiderius von S. Prassede, und 1121 drang eventuell auch Kardinalpriester Hugo von SS. Apostoli nach Kalabrien vor. Danach folgt erst wieder 1165 eine Legation des Kardinalbischofs Bernhard von Porto und S. Rufina, der seit dem Ausbruch des alexandrinischen Schismas fest auf der Seite Alexanders III. stand, gemeinsam mit Kardinaldiakon Manfred von S. Gregorio in Velabro. Der für das Regno als Legat ernannte Petrus Capuanus ist hingegen nicht in Kalabrien nachzuweisen46. Von den seit Alexander III. häufiger zu fassenden Legationen in das Königreich scheint Kalabrien offenbar unberührt geblieben zu sein47. Noch eindeutiger stellt sich die Situation bis 1198 für die Insel Sizilien dar. Die durch das Privileg Urbans II. gewährten Rechte einer ständigen Legation des Herrschers nahmen die sizilischen Großgrafen und späteren Könige offenbar intensiv wahr, so dass es nicht verwundert, dass sich auf der Insel Sizilien bis 1198 keine kirchlichen Handlungen eines päpstlichen Legaten nachweisen lassen48. Allein die wohl 1097/98 erfolgte und bei Malaterra überlieferte Ernennung des Bischofs Robert von Troina, der Keimzelle des Bistums und später Erzbistums von Messina, zum Legaten für Sizilien wäre hier anzuführen49. Doch diese Übertragung fand offenbar – obwohl Robert als Vertrauter 45 Bereits LOUD: Control (wie Anm. 12) S. 153, bemerkte, dass die Päpste das ihnen für das Festland zustehende Legationsrecht dort im Vergleich zu anderen Regionen nur sehr sparsam einsetzten. 46 Zu den Legationen in Kalabrien bis 1198 vgl. JOHRENDT: Sonderfall (wie Anm. 2) S. 247–251, dort die einzelnen Nachweise. 47 Von einer neuen Intensität unter Alexander III. für das gesamte Königreich spricht Marcel PACAUT: Papauté, Royauté et épiscopat dans le Royaume de Sicile, in: Potere, società e popolo nell’età dei due Guglielmi. Atti delle quarte giornate normanno-sveve Bari-Gioia del Colle, 8–10 ottobre 1979, Bari 1981 (Centro di studi normanno-svevi, Università degli Studi di Bari, Atti 4), S. 31–61, hier S. 59f. 48 BECKER: Graf (wie Anm. 1) S. 146–149 betont, dass die Verleihung der apostolischen Legation „für Roger I. in seiner kirchenpolitischen Praxis eher von marginaler Bedeutung war“ (S. 147). 49 IP 10 S. 338 Nr. *19 nennt als Zeitpunkt (1097?), während BECKER: Graf (wie Anm. 1) S. 141f. von Frühjahr 1098 ausgeht. Sicherlich verfehlt ist jedoch die Interpretation von ebd., S. 142, dass Robert als legatus natus eingesetzt worden sei. Zunächst ist die Anwendung der Begriffe legatus natus und legatus a latere für die Zeit vor dem ausgehenden 12. Jahrhundert anachronistisch, vgl. bereits Paul HINSCHIUS: System des ka-

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des sizilischen Großgrafen gelten kann50 – nicht das Wohlwollen Rogers I., der auf seine Art darauf reagierte. Er sah hier wohl vor allem einen Widerspruch zu den Legationskompetenzen, die Urban II. Roger I. im Juli 1098 übertragen hatte, und deren Inhalt ihm offenbar bereits zuvor klar war51. Den Widerspruch löste Roger I. auf normannisch-pragmatische Weise, indem er Robert schlicht gefangen nehmen ließ. Aus der Sicht des sizilischen Großgrafen mochte sich durch die Übertragung der Legatengewalt an ihn für seine Kirchenpolitik nichts geändert haben52, doch aus päpstlicher Perspektive war diese Übertragung sicherlich kein Glanzlicht der römischen Zentralisierungsbemühungen und so wundert es nicht, dass die nachfolgenden Päpste sich mehrfach um eine Aufhebung des Privilegs bemüht hatten. Die kirchenpolitischen Konsequenzen des Legationsprivilegs für Roger I. traten im Vergleich zu anderen Regionen deutlich zutage, denn das kirchliche Instrument der Legationen kam auf Sizilien nicht zur Anwendung. Alle Nachrichten über Legaten, die nach Sizilien gingen oder von dort zur Kurie zurückkehrten, betreffen so gut wie ausschließlich politische Angelegenheiten. Ein bezeichnendes Beispiel ist die Reise des Kardinalpresbyters Johannes von S. Anastasia 1169 nach Palermo. Er überbrachte dem Elekten Walter von Palermo das Pallium, doch die Weihe wurde nicht durch den Kardinallegaten, sondern durch die Suffragane Palermos durchgeführt53. Diese geringe Zahl an Legationen sowohl in Kalabrien als auch auf Sizilien ist vielleicht auch zu einem Teil dadurch zu erklären, dass die sizilischen Könige

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tholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland, Bd. 1, Berlin 1869, S. 512f.; doch es geht auch in der Sache fehl. Denn eine dauerhafte Kopplung der Legation auf Sizilien an das Bistum Troina bzw. das Erzbistum Messina ist der Passage bei Malaterra nicht zu entnehmen. Dort heißt es allein: apostolicus jamdudum Robertum, episcopum Traynensem, comite inconsulto, legatum in Sicilia ad exequendum jus sanctae Romanae Ecclesiae posuerat, Gaufredus Malaterra, De rebus gestis Rogerii Calabriae et Siciliae comitis et Roberti Guiscardi ducis fratris eius, ed. Ernesto PONTIERI, Bologna 1925–1928 (Rerum Italicarum Scriptores 5,1), lib. IV c. 29 S. 107 Z. 6f. Zu den engen Bindungen zwischen Roger I. und Robert von Troina vgl. BECKER: Graf (wie Anm. 1) S. 142. Dort findet sich auch der Hinweis, dass Robert von Gregor VII. zum Bischof geweiht worden sei, jedoch ohne Quellenangabe. Für eine vollzogene Weihe gibt es keinen Nachweis. Es ist lediglich die Antwort Gregors VII. auf eine Anfrage überliefert, dass er den Elekten Robert weihen werde, wenn dieser nach Rom käme, vgl. IP 10 S. 337 Nr. 17, Edition bei Das Register Gregors VII., ed. Erich CASPAR, Berlin 1920/1923 (MGH Epp. sel. 2), IX/25, S. 607f. Zu den einzelnen Schritten der Übertragung vgl. zusammenfassend BECKER: Graf (wie Anm. 1) S. 143–145. So völlig zutreffend BECKER: Graf (wie Anm. 1) S. 147, die der „stellvertretenden Legatenfunktion“ Rogers I. eine „eher ... marginale Bedeutung“ für dessen kirchenpolitische Praxis zuweist, zumal der vom Papst verliehene Titel in den Urkunden des Herrschers lediglich eine geringen Niederschlag gefunden habe. Vgl. auch LOUD: Control (wie Anm. 12) S. 147f. IP 10 S. 232 Nr. 32, vgl. die Parallelschreiben. Zur Person Walters vgl. KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 3 S. 1112–1119.

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vor allem in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts den Päpsten wenig Anlass boten, intervenieren zu müssen, da sie sich – in dem ihnen sinnvoll erscheinenden Rahmen – um eine Einhaltung der kirchlichen Normen bemühten und so offenbar auch wenig Missstände vorlagen54. Das Bild scheint sich mit dem Regierungsantritt Innozenz’ III. zu ändern, wobei auch hier in der Mehrzahl der Fälle nicht die Anbindung der unteritalienischen Kirchen an Rom, sondern bedingt durch die Vormundschaft des Papstes für Friedrich II. politische Aktionen aufgrund der aktuellen Lage im Regno im Vordergrund standen55. Es ist davon auszugehen, dass die Legaten jedoch nicht allein politisch tätig waren, sondern stets kirchenpolitische, politische sowie militärische Aktionen miteinander verbanden. Doch ist aufgrund der schlechten Quellenaufarbeitung nicht immer klar, ob die Legaten auch den Weg bis nach Kalabrien oder gar bis Sizilien fanden, und wenn ja, ob sie dann durch Kalabrien gezogen waren56. Dennoch ist die Intensität der Legationen nach 1198 zumal im Kontrast zur davor liegenden Zeit beeindruckend. Zwar ist eine Legation des Kardinalbischofs Octavianus von Ostia und Velletri im Herbst 1198, auf welcher der Legat den Treueid der Kaiserin entgegennehmen sollte, fraglich57. Ebenso ist unklar, wo genau sich der bereits Ende 1198 zusammen mit Kardinaldiakon Gerardus von S. Adriano in der Terra di Lavoro tätige Kardinalpresbyter Johannes de Salerno von S. Stefano in Celiomonte bei seiner erneuten Legation vom November 1199 in das Königreich Sizilien aufhielt58. Doch noch 1199 sind zwei Kardinallegaten sicher auf Sizilien nachzuweisen: Auf der Insel Sizilien ist in der ersten Hälfte des Jahres 1199 der Kardinaldiakon Gregorius de Sancto Apostolo von S. Maria in porticu tätig. Er nimmt die Lehnseide entgegen, verlässt jedoch rasch wieder die Insel, wohl auch auf Druck der königli54 LOUD: Control (wie Anm. 12) S. 154. 55 So bereits resümierend Heinrich ZIMMERMANN: Die päpstliche Legation in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Vom Regierungsantritt Innocenz’ III. bis zum Tode Gregors IX. (1198–1241), Paderborn 1913 (Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland. Veröffentlichungen der Sektion für Rechts- und Sozialwissenschaft 17), S. 175–180. 56 Eine kurze Zusammenstellung der Legationen unter Innozenz III. bietet ZIMMERMANN: Legation (wie Anm. 55), wobei seine Ausführungen, die einen päpstlichen Auftrag bisweilen allzu schnell mit einer Durchführung der Legation gleichsetzen, stets zu überprüfen sind. 57 ZIMMERMANN: Legation (wie Anm. 55) S. 25 Nr. 8 ging noch von einer Legation aus, doch hat Werner MALECZEK: Papst und Kardinalskolleg von 1191 bis 1216. Die Kardinäle unter Coelestin III. und Innocenz III., Wien 1984 (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom Abt. 1, 6), S. 82, darauf hingewiesen, dass im Grunde nicht klar ist, ob Octavianus seine Reise nicht abbrach, als er vom überraschenden Tod der Kaiserin erfuhr, der seine Reise gegenstandslos machte. 58 Vgl. MALECZEK: Papst (wie Anm. 57) S. 108; der Hinweis auf die erneute Legation fehlt bei ZIMMERMANN: Legation (wie Anm. 55) S. 26f.

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chen Familiaren hin59. In Messina stimmte er der Wahl des neuen Erzbischofs I. von Reggio Calabria zu, der in der Forschung traditionell mit Jakobus identifiziert wird60. Dessen Nachfolger als Legat, Kardinalpriester Cinthius von S. Lorenzo in Lucina konnte sich auf Sizilien offenbar besser durchsetzen. Seine im Herbst 1199 beginnende Tätigkeit wurde mit dem Sieg der päpstlichen Truppen über Markward von Annweiler bei Monreale gekrönt61. Bei seiner Reise nach Sizilien zog Cinthius offenbar auch durch Kalabrien und schiffte sich nicht direkt nach Sizilien ein62. Gemessen am politischen Erfolg der Legation sind nur wenige kirchliche Handlungen dieses Legaten bekannt, namentlich eine Urkunde für Joachim von Fiore und die Translation des Bischofs Walter von Palearia nach Palermo63. Er ist erst wieder am 3. Februar 1201 in Rom nachzuweisen64. Zwar fehlen für eine tatsächliche Anwesenheit des Kardinallegaten Roffredus de Insula in der zweiten Jahreshälfte 1202 entsprechende Belege65, doch ab 1204 scheint es eine dauerhafte Präsenz päpstlicher Legaten auf Sizilien gegeben zu haben. Im April 1204 übertrug Innozenz III. Kardinaldiakon Gerardus von S. Adriano die dauerhafte Legation für das Königreich Sizilien. Er scheint ab 1205 für drei Jahre auf der Insel tätig gewesen zu sein. Dort ist er nach dem 20. Juli 1208 auch gestorben66. Doch bereits vor dessen Tod beauftragte Inno59 BAETHGEN (wie Anm. 14) S. 19f.; MALECZEK: Papst (wie Anm. 57) S. 93f.; die Nachträge bei DERS.: Zwischen lokaler Verankerung und universalem Horizont. Das Kardinalskollegium unter Innocenz III., in: Innocenzo III. Urbs et Orbis. Atti del Congresso Internazionale, Roma, 9–15 settembre 1998, a cura di Andrea SOMMERLECHNER, 2 Bde., Rom 2003 (Miscellanea della Società Romana di storia patria 44 = Nuovi Studi Storici 55), hier Bd. 1 S. 102–174, hier S. 134f. Nr. 10, beziehen sich nicht auf Handlungen in oder für Kalabrien oder Sizilien; NEUMANN (wie Anm. 14) S. 125. 60 Vgl. dazu KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 2 S. 921; MALECZEK: Papst (wie Anm. 57) S. 94 mit Anm. 257; NEUMANN: (wie Anm. 14) S. 135 u. 137. 61 BAETHGEN (wie Anm. 14) S. 37–41; zur Gesamtsituation der Jahre 1199/1200 vgl. auch STÜRNER: Friedrich II. (wie Anm. 14) S. 93f. 62 So die Ausführungen in einer Legatenurkunde des Cinthius’ in AASS Mai Bd. 8 S. 125f., dort heißt es: euntes in Siciliam haberemus transitum per Calabriam, vgl. den Hinweis bei MALECZEK: Papst (wie Anm. 57) S. 106 Anm. 376. Insgesamt vgl. BAETHGEN (wie Anm. 14) S. 23f. u. 37f. 63 Vgl. MALECZEK: Papst (wie Anm. 57) S. 106; KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 3 S. 1122f. 64 Potthast 1259, ed. Salzburger Urkundenbuch, gesammelt und bearb. von Willibald HAUTHALER/Franz MARTIN, Bd. 3: 1200–1246, Salzburg 1918, Nr. 537 S. 4–7, die Unterschrift auf S. 6. 65 Ohne klare Belege ZIMMERMANN: Legation (wie Anm. 55) S. 35f. Nr. 24. Der Hinweis auf Potthast 1687 (= Reg. Inn. III., V/37), führt in die Irre, da das Schreiben lediglich die Entsendung bekannt gibt. Auch die weiteren Angaben bei Zimmermann beziehen sich allein auf dieses Stück. 66 MALECZEK: Papst (wie Anm. 57) S. 79; NEUMANN (wie Anm. 14) S. 125f.; ungenau ZIMMERMANN: Legation (wie Anm. 55) S. 36f. Nr. 26. Zu seiner Tätigkeit siehe auch RI 5 Nr. 12326 vom 1. Juli 1208.

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zenz III. zudem den Kardinaldiakon Gregorius de Gualengo mit einer Legation nach Sizilien. Auf der Insel scheint der Legat bereits vor dem Ende des Jahres 1207 angekommen zu sein67. 1209 reiste er offenbar nach Bari, kehrte jedoch noch im selben Jahr nach Sizilien zurück. Seine Legation scheint bis September 1213 gedauert zu haben, als Innozenz III. ihn abberief68. Die knappe Übersicht zeigt eine spätestens seit 1204 dauerhaft vorhandene Präsenz von Kardinallegaten auf Sizilien. Deren Tätigkeit war zumindest nach Ausweis der Schreiben Innozenz’ III. bis zur Mündigkeit Friedrichs II. Ende Dezember 1208 vor allem politischer Natur69. Verglichen mit der Epoche vor 1198 hatte sich die Situation damit radikal verändert. Das gilt in besonderem Maße für die Insel Sizilien, die zuvor ein fast „legatenfreier“ Raum gewesen war und sich nun eines besonders intensiven Einsatzes dieses päpstlichen Instrumentes erfreuen konnte. Die plötzlich gesteigerte Legatentätigkeit war zum einen durch die Vormundschaft Innozenz’ III. möglich geworden, zum anderen jedoch auch dadurch, dass das apostolische Legationsmandat für Sizilien faktisch erloschen war. Sizilien war damit genau ein Jahrhundert nachdem Urban II. die apostolische Legation an Roger I. übertragen hatte wieder zu einem Raum geworden, der den päpstlichen Legaten offen stand. Rom war auf Sizilien und Kalabrien in dieser Perspektive schlagartig präsent.

2. Delegaten Ebenso wie in Kalabrien lassen sich auch auf Sizilien so gut wie keine Delegationen nachweisen. Zu Beginn des Jahres 1111 beauftragte Paschalis II. Erzbischof Roger von Reggio Calabria zusammen mit Bischof Ansger von Catania, Abt Hubert von S. Eufemia und Lanuinus von S. Maria de Turri den Simonievorwurf gegen Erzbischof Walter von Palermo zu untersuchen. Die delegierten Richter stammten damit alle aus dem Herrschaftsbereich Rogers I., jedoch nur einer aus Sizilien, Ansger, der Bischof des damals noch palermitanischen Suffraganbistums Catania70. Damit unterscheidet sich die Situation auf

67 Vgl. dazu MALECZEK: Papst (wie Anm. 57) S. 152. Der Legat wird von ZIMMERMANN: Legation (wie Anm. 55) S. 41f. Nr. 36 irrig mit Gregorius de Crescentio identifiziert, der jedoch erst ab 1216 als Kardinaldiakon von S. Teodoro nachzuweisen ist; zu diesem vgl. MALECZEK: Papst (wie Anm. 57) S. 183f.; der falschen Zuweisung Zimmermanns folgte jedoch NEUMANN (wie Anm. 14) S. 126. Zur Tätigkeit des Gregorius de Gualengo auf Sizilien und in Kalabrien vgl. auch RI 5 Nr. 12347 u. 12352. 68 MALECZEK: Papst (wie Anm. 57) S. 152. 69 Die Mahnung des Papstes an die Empfänger seiner Schreiben, die Legaten zu unterstützen, betonen immer wieder, dass die Tätigkeit der Legaten eine Absicherung der Herrschaft Friedrichs II. zum Ziel hätte. Dieser rote Faden zieht sich auch durch die Mahnschreiben des Papstes an Empfänger im Königreich Sizilien. 70 Vgl. zu dieser Delegation JOHRENDT: Sonderfall (wie Anm. 2) S. 251.

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Sizilien und in Kalabrien von anderen Regionen Unteritaliens71. Und daran scheint sich nach Ausweis der Überlieferung auch im ersten Jahrzehnt nach 1198 nichts grundsätzlich geändert zu haben, da sich nur drei weitere Delegationen über die päpstlichen Register nachweisen lassen72 sowie ohne eine systematische Durchsicht des regionalen Materials drei weitere73. Doch gerade zu den Delegationen würde eine Aufarbeitung aus dem lokalen Archivmaterial vermutlich noch etliche Delegationen nach 1198 zutage fördern74. Dass sich auf der Insel wie auch in Kalabrien nur so wenige Fälle nachweisen lassen, dürfte nicht nur ein Überlieferungsproblem sein, sondern nicht zuletzt auch daran liegen, dass das Instrument der Delegationsgerichtsbarkeit vor Ort mit der königlichen Gerichtsbarkeit in Konkurrenz trat und dabei offensichtlich den Kürzeren zog. Der König und das königliche Gericht, das bei Streitfällen zwischen Geistlichen ausschließlich mit Geistlichen besetzt wurde, waren die erste und nach Ausweis der Quellen auch einzige Stelle, an die sich Geistliche wie Weltliche zur gerichtlichen Klärung eines Streites wandten75. An Rom wandten sich die Geistlichen dieser Region dazu offenbar nicht76. Das bestens ausgebaute Gerichtswesen im Regno in Kombination mit einer beherrschenden Stellung des normannischen Königs in seinem Königreich schloss gleich71 So spricht LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 231, davon, dass Eugen III. damit begann, unteritalienische Prälaten zu delegierten Richtern zu ernennen. Die von ihm ebd., S. 242–251, für Unteritalien konstatierte Zunahme von Delegationsprozessen nach dem Konkordat von Benevent (1156) trifft weder auf Kalabrien noch auf Sizilien zu. 72 Die drei päpstlichen Schreiben an Delegaten sind Reg. Inn. III., I/392 (Ebf. Wilhelm von Reggio Calabria u. Bf. Johannes von Cefalù), VI/219 (Bf. Philipp von Martirano, der Abt von Acquaformosa und der Abt von S. Maria di Corazzo) und X/112 (Ebf. Lukas von Cosenza und Bf. Philipp von Martirano). Die Zahl der tatsächlichen Delegationen könnte nach 1198 wesentlich höher gewesen sein, doch ist das Material nicht im selben Maße aufbereitet wie vor 1198 durch IP 10. 73 Die weiteren drei Delegationen sind zu fassen durch KAMP: Kirche (wie Anm. 10), so die 1198 des Erzbischofs Bartholomäus von Palermo im Jahre 1198, ebd., Bd. 3 S. 1121; ebenso Lorenz von Siracusa und Abt Alexander von S. Spirito in Palermo in einem anderen Fall, ebd. S. 1174; Bischof Bernardus von Belcastro 1207 bei der Untersuchung der Wahl des Bischofs Madius von Cerenzia, ebd. Bd. 2 S. 894. 74 Zur Problematik der Quellenaufarbeitung für die päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit siehe den Beitrag von Harald Müller in diesem Band. 75 Zur Konkurrenz der Delegationsgerichtsbarkeit mit den regulären kirchlichen Gerichten sowie der weltlichen Gewalt vgl. allg. Harald MÜLLER: Entscheidung auf Nachfrage. Die delegierten Richter als Verbindungsglieder zwischen Kurie und Region und Gradmesser päpstlicher Autorität, in: JOHRENDT/MÜLLER: Zentrum (wie Anm. 2) S. 109–131, hier S. 127. Zu konkreten Streitfällen unter Wilhelm II. vgl. SCHLICHTE: König (wie Anm. 9) S. 135–138. Siehe dazu auch unten bei Anm. 81. 76 Vgl. dazu bis 1198 Jochen JOHRENDT: Italien als Empfängerlandschaft (1046–1198): ein Vergleich aus der Perspektive des Urkundenalltags in Ligurien, Umbrien und Kalabrien, in: HERBERS/JOHRENDT: Papsttum (wie Anm. 16), S. 183–213, hier S. 200f. zu Delegationen in Ligurien.

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sam die Lücke, in der das Delegationswesen in anderen Regionen Europas zur Anwendung kam. Dies belegt etwa das Beispiel des Erzbischofs Carus von Monreale, der 1196 vor dem Hof der Kaiserin Konstanze gegen den Abt von S. Maria del Patir prozessierte77.

3. Umsetzung des kanonischen Rechts Hinsichtlich der Umsetzung des kanonischen Rechts auf Sizilien und in Kalabrien sind Aussagen nur mit äußerster Vorsicht zu treffen. Ist allgemein bemerkt worden, dass Italien mit dem Reformpapsttum zu einem Zentrum der Kanonistik wurde78, so scheint dies nicht für Kalabrien und Sizilien zu gelten, die vor der Eroberung durch die Normannen dem griechisch-byzantinischen sowie muslimischen Kulturkreis angehörten, so dass Rechtsschulen oder ähnliche institutionelle Träger des kanonischen Rechts, die überregionale Bedeutung besessen hätten, fehlten79. Auch die Zahl der nachweisbaren Anfragen an Rom aus diesen Regionen ist – vor allem verglichen mit England und dem Nordwesten Frankreichs – äußerst gering80. Dies ist wohl vor allem durch die hohe Effektivität des königlichen Gerichtswesens zu erklären, wie es spätestens seit Wilhelm II. deutlich zu fassen ist81. Wilhelm II. erklärte sich in einem Gesetz (das in mehreren Mandaten zwischen 1170 und 1175 auch konkrete Anwendung fand) – entgegen dem privilegium fori, auf dessen Gültigkeit die Päpste in anderen Regionen stets pochten – auch für die Aburteilung von straffälligen Geistlichen zuständig. Eine Regelung, die unter Wilhelm II. an der Kurie

77 Vgl. KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 3 S. 1192. 78 Vgl. etwa zusammenfassend Wilfried HARTMANN: Der Investiturstreit, München 3 2007 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 21) S. 60f. Zur Bedeutung der italienischen Dekretisten vgl. jüngst Kenneth PENNINGTON/Wolfgang P. MÜLLER: The Decretists. The Italian School, in: The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, 1140–1234. From Gratian to the Decretals of Pope Gregory IX, hg. v. Wilfried HARTMANN/Kenneth PENNINGTON, Washington, D.C. 2008 (History of Canon Law 6), S. 121–173, die in der Reihe der Kanonisten unter den aus Süditalien stammenden Personen lediglich auf den aus einem Beneventaner Geschlecht stammenden Petrus Beneventanus hinweisen, S. 142. Zu diesem vgl. MALECZEK: Papst (wie Anm. 57) S. 172–174. 79 Das Fehlen von „Bildungszentren“ konstatierte bereits Norbert KAMP: Die Bischöfe Siziliens in der Normannenzeit: ihre soziale Herkunft und ihr geistlicher Bildungsweg, in: Abhandlungen der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft 45 (1995) S. 81–103, hier S. 105, in Zusammenhang mit fehlenden Ausbildungsstätten für den bischöflichen Nachwuchs des Königreichs Sizilien. 80 Siehe dazu unten bei Anm. 207. 81 Vgl. dazu SCHLICHTE: König (wie Anm. 9) S. 43–56.

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offenbar keine Proteststürme hervorbrechen ließ und die schließlich in die Konstitutionen von Melfi Eingang fand82. Doch nicht nur bei der Verbreitung wichtiger Konzilsbeschlüsse wie etwa dem Dritten Lateranum muss man für Kalabrien und Sizilien Fehlanzeige erstatten83. Für eine begrenzte Geltung dieser in den beiden Regionen sehr schlecht überlieferten römischen Normen spricht auch die Klage Alexanders III. gegenüber König Wilhelm II., dass dieser für die rasche Wiederbesetzung von vakanten Bischofsstühlen sorgen solle84. Neben der Sorge um die Einhaltung römischer Normen waren es sicherlich auch die vom sizilischen König in der Zeit der Vakanz beanspruchten Einkünfte der Kirche, die Alexander III. zu einer Intervention trieben. Dass dies notwendig wurde, spricht nicht für eine offenbar nur begrenzte Geltung römischer Normen im Regno85. Das gilt vor allem ab der Zeit Wilhelms II. auch für das geistliche Gerichtswesen. Denn ab dieser Zeit sitzt einer geistlichen Kurie am Königshof, an der Streitfälle zwischen Geistlichen verhandelt wurden, auch ein Großhofjustiziar bei, ein offizieller Beamter des Königs, wodurch das königliche Hofgericht auf der Insel Sizilien zu der entscheidenden und zugleich an den königlichen Hof gekoppelten Instanz wurde86. Zudem beanspruchte der König eine allgemeine Appellationsgerichtsbarkeit, für die sich rasch ein System der von diesem und seinen Familiaren delegierten Richtern ausgebildet hatte – die funktional auch die Aufgaben der päpstlichen Delegationsgerichtsbarkeit übernahmen87. Auch wenn die Dimensionen schwer einzuschätzen sind, so sprechen die wenigen Nachweise, die päpstliche Delegaten in den Quellen Kalabriens und Siziliens hinterlassen haben, dafür, dass die königliche Gerichtsbarkeit offenbar nicht nur ein klare Alternative zu der in anderen Teilen Europas intensiv genutzten päpstlichen Delegationsgerichtsbarkeit war, sondern für die überragende Mehr82 Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien, hg. v. Wolfgang STÜRNER, Hannover 1991 (MGH Const. Supplementum 2), I 45 S. 204. Zu den Regelungen unter Wilhelm II. und deren Anwendung in Mandaten vgl. auch ENZENSBERGER: Wilhelm (wie Anm. 8) S. 428f.; LOUD: Control (wie Anm. 12) S. 154. 83 So die freundliche Auskunft von Uta-Renate Blumenthal. 84 Edition des Briefes bei Samuel LOEWENFELD: Epistolae pontificum Romanorum ineditae, Leipzig 1885, Nr. 279 S. 159f. Alexander III. bezog sich mit seiner Forderung auf geltendes kanonisches Recht. Das Dritte Laterankonzil legte in seinem achten Kanon fest, dass alle kirchlichen Ämter innerhalb von sechs Monaten zu besetzen seien, vgl. Lateranum III c. 8, Conciliorum oecumenicorum decreta, curantibus Josepho ALBERIGO et alteris consulante Huberto JEDIN, Bologna 31973, S. 191 Z. 26–29. 85 So Hubert HOUBEN: Die Abtei Venosa und das Mönchtum im normannischstaufischen Süditalien, Tübingen 1995 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 80), S. 67. 86 Vgl. dazu SCHLICHTE: König (wie Anm. 9) S. 43–47, dort auch weitere Literatur. 87 Vgl. dazu ebd., S. 45f. Zum Ausbau und der offenbar auch sehr guten Akzeptanz der königlichen Verwaltung sowie des königlichen Gerichtswesens unter Wilhelm II. vgl. auch Hiroshi TAKAYAMA: The administration of the Norman kingdom of Sicily, Leiden u. a. 1993 (The medieval mediterranean 3), S. 143–162.

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heit der Streitparteien offenbar attraktiver war. Das blieb offenbar auch nach 1198 so, denn das Eingreifen Innozenz’ III., der zumal während seiner Regentschaft im Königreich offenbar immer wieder die Einhaltung kanonischer Grundsätze einforderte, traf beispielsweise hinsichtlich der Prozessordnung in Neapel auf Widerstand88.

4. Exemtion und Papstschutz Exemtionen von Klöstern lassen sich auf Sizilien nicht nachweisen – abgesehen von Monreale, das jedoch insofern ein Sonderfall ist, da offenbar bereits bei der Gründung geplant war, das Kloster zum Erzbistum zu erheben. Alexander III. eximierte das Bistum auf Bitten König Wilhelms II., an den sich die entsprechende Urkunde des Papstes auch richtete89. Zugleich stellte er das Kloster unter den päpstlichen Schutz. Ausgangspunkt der Exemtion sowie der Verleihung des päpstlichen Schutzes war damit ähnlich wie im Falle des Klosters SS. Trinità in Kalabrien (das wie Monreale eine besondere Nähe zu den Hauteville aufwies) der König gewesen, der den Papst um Exemtion und Schutz bat, vermutlich nicht zuletzt um seine Gründung vor den Eingriffen des Diözesanbischofs zu schützen90. Doch stellt Monreale gerade aufgrund seiner Gründungsgeschichte eine absolute Ausnahme im Vergleich zu den anderen sizilischen Bistümern dar. Der einzige weitere Eingriff in die Metropolitanstruktur der Insel, bei der es zur verstärkten Anbindung eines Bistums an Rom kam, ist die Herauslösung Cefalùs aus dem Verband von Messina unter Alexander III. Er erklärte, dass das seinerzeit von Anaklet II. ins Leben gerufene und Messina unterstellte Cefalù nunmehr direkt dem päpstlichen Stuhl unterstehe, mithin exemt sei91, was schließlich auch Clemens III. bestätigte92. Doch dies ist der einzige Eingriff, der als die Exemtion eines bestehenden Bistums zu werten ist, da die Exemtion 88 Vgl. dazu die Bemerkungen bei BAETHGEN (wie Anm. 14) S. 115 mit Anm. 1. 89 IP 10 S. 274 Nr. 1 u. S. 275 Nr. 2. 90 Zu den Motiven Wilhelms II. für die Gründung Monreales vgl. zusammenfassend SCHLICHTE: König (wie Anm. 9) S. 186–196, die auch der älteren These entgegentritt, dass die Gründung Monreales die wirtschaftlichen Ressourcen des Königreichs überbeansprucht habe. Zur Bistums- und Klosterexemtion siehe die Lotte Kéry und Matthias Schrör in diesem Band. Zur Exemtion von Klöstern in Italien vgl. Volkert PFAFF: Die päpstlichen Klosterexemtionen in Italien bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: ZRGKanAbt 72 (1986) S. 76–114, bes. S. 78–89; an französischen Beispielen erarbeitet Ludwig FALKENSTEIN: La papautè et les abbayes françaises aux XIe et XIIe siècles. Exemption et protection apostolique, Paris 1997. 91 IP 10 S. 364 Nr. 2. Innozenz II. hatte die Erhebung Cefalùs zum Bistum durch Anaklet II. nicht anerkannt, zu den Folgen vgl. LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 229. 92 IP 10 S. 366 Nr. 7. Zur Bestätigung der Exemtion unter Honorius III. vgl. Potthast 6967a.

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des Bistums Monreale auf der Exemtion des Klosters aufbaut. Obwohl die Exemtion aus dem Privileg Alexanders III. abzuleiten ist, scheint die Rechtsstellung nicht allgemein anerkannt gewesen zu sein93. Denn Lucius III. forderte zwölf Jahre nach der Exemtion durch Alexander III. wiederum den schuldigen Gehorsam des Bischofs von Cefalù gegenüber dem Erzbischof von Messina94, was in das Bild einer in Rom ausgesprochenen Exemtion, die ein bewusstes Mittel zur Romanbindung war, nicht recht passen will95. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass es Alexander III. bei dem Versuch, seine Weihekompetenzen bei den sizilischen Bistümern auszuweiten, scheiterte96. Vor diesem Hintergrund ist die Exemtion Monreales und Cefalùs weniger als ein Mittel der Romzentrierung zu interpretieren, als vielmehr ein Mittel, um eine kirchliche Institution vor Ort vor Eingriffen anderer kirchlicher Institutionen zu schützen – ohne dabei der Zentralisierung in die Arme zu spielen. War die Exemtion ein offenbar selten von sizilischen Kirchen begehrter Rechtstatus, so ist die Verleihung des Papstschutzes wesentlich häufiger zu fassen97. Er ist insgesamt 21mal nachzuweisen, erstmals in einer Urkunde Urbans II. von 1091 für das Kloster S. Bartolomeo in Lipari, das die Grundlage für das auf Verlagen Rogers II. von Anaklet II. 1131 geschaffene Bistum Lipari-Patti bildete98. Einzig bei dem Kloster S. Georgii in Cavea Grateriae ist eine 93 Der «Liber Censuum» macht zu den sizilischen Bistümern letztlich keine belastbaren Aussagen. Bei Otto VEHSE: Bistumsexemptionen bis zum Ausgang des 12. Jahrhunderts, in: ZRGKanAbt 26 (1937) S. 86–160, wird das Bistum Cefalù unter den 30 von ihm behandelten Bistümern nicht erwähnt. 94 RI 4/4/4/1, Nr. 483. 95 So betonte PACAUT (wie Anm. 47) S. 58f., dass die Exemtion ein verstärkt unter Alexander III. eingesetztes Instrument gewesen sei, dass dazu gedient habe, die unteritalienische Kirche an den Papst zu binden. Lucius III. habe diese Linie fortgesetzt. 96 Siehe dazu unten bei Anm. 150. 97 Eine grundlegende Untersuchung zum Papstschutz – zumal für das 12. und 13. Jahrhundert – scheint nach den neueren Forschungsergebnissen dringend geboten, vgl. dazu etwa die Ergebnisse von Barbara H. ROSENWEIN: Negotiating Space. Power, Restraint, and Privileges of Immunity in Early Medieval Europe, Ithaca 1999, etwa am Beispiel Clunys S. 165–172; im europäischen Vergleich für die 150 Jahre vor 1046 Jochen JOHRENDT: Papsttum und Landeskirchen im Spiegel der päpstlichen Urkunden (896–1046), Hannover 2004 (MGH Studien und Texte 33), S. 147–167, 200–208, 234–237, 253–255 u. 264–267; DERS.: La protezione apostolica alla luce dei documenti pontifici (896–1046), in: Bullettino dell’Istituto storico italiano per il Medio Evo 107 (2005) S. 135–168. 98 Die Urkunde Urbans II., der seinerzeit eine Erhebung zum Bistum noch abgelehnt hatte, ist IP 10 S. 359 Nr. 1. Vgl. zur Urkunde Urbans II. und der Erhebung unter Anaklet II. CASPAR: Gründungsurkunden (wie Anm. 1) S. 99–101; HOUBEN: Roger II. (wie Anm. 3) S. 59; zu den Versuchen Innozenz’ II., die Erhebung auch faktisch zu beseitigen LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 227; zur Geschichte des Bistums jüngst Luciano CATALIOTO: Il Vescovato di Lipari-Patti in età normanna (1088–1194). Politica, economia, società inuna sede monastico-episcopale della Sicilia (Collana di testi e studi storici 12), Messina 2007, S. 77–91.

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Privilegienkette zu vermuten, die auf Innozenz II. zurückgeht und über Lucius II. bis zu Lucius III. reicht99. Alle weiteren Papstschutzprivilegien wurden jedoch erst nach 1169 ausgestellt, so unter Alexander III. für das Kloster Monreale100, die Bistümer Catania101 und Siracusa102 sowie das Kloster SS. Salvatore in Messina103. Unter Lucius III. folgte das – aus dem unter päpstlichem Schutz stehenden Kloster hervorgegangene – Erzbistum Monreale104. Abgesehen von S. Bartolomeo und S. Georgii ist damit für keine Kirche Siziliens ein Papstschutzprivileg überliefert. Diese setzen erst 1169 und damit mit Alexander III. ein. Der Befund für Sizilien, vor allem die chronologische Verteilung der Papstschutzprivilegien, stellt sich anders als für Kalabrien dar. Dort lassen sich 29 Urkunden nachweisen, in denen die Päpste den Papstschutz gewähren. Die Differenz von acht Urkunden sollte nicht überbewertet werden. Aussagekräftig scheit mir hingegen der Zeitpunkt, zu dem die Papstschutzprivilegien ausgestellt wurden. Kann man holzschnittartig für Sizilien sagen, dass der Papstschutz dort ein Phänomen ist, das erst mit Alexander III. auf der Insel Einzug hielt, so lassen sich für Kalabrien etliche Privilegien aus der Zeit davor fassen. So wurde Reggio Calabria die protectio apostolica bereits von Gregor VII. und Eugen III. urkundlich bestätigt105. Auch das Bistum Cassano Ionio erhielt den Papstschutz unter Paschalis II.106, die Kirche S. Salvatore iuxta villam S. Martini sowie das Kloster San Filippo in Gerace von Urban II.107, San Giuliano di Rocca Fallucca von Paschalis II.108, Sambucina von Eugen III.109 und das neu zu gründende Kloster S. Maria von Botrano von Innozenz III.110 Das herausragende Beispiel, das von Paschalis II. bis zu Clemens III. regelmäßig von den 99 IP 10 S. 366 Nr. *1, *2 u. 3. 100 IP 10 S. 274 Nr. 1–3. 101 IP 10 S. 292 Nr. 25 u. 26. 102 IP 10 S. 318 Nr. 73. 103 IP 10 S. 347 Nr. 1. 104 IP 10 S. 276 Nr. 8, S. 277 Nr. 9 u. S. 278 Nr. 11. RI 4/4/4/1 Nr. 479. Vgl. dazu auch die Nachurkunden unter Clemens III., IP 10 S. 279f. Nr. 16–19 u. 21; sowie die Nachurkunde unter Innozenz III. in Reg. Inn. III., I/316 für Ebf. Carus von Monreale. Zur letztgenannten Urkunde vgl. KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 3 S. 1192. 105 IP 10 S. 20 Nr. *11 u. *19. Darauf folgt die Verleihung unter Alexander III. in IP 10 S. 23 Nr. 20. 106 IP 10 S. 27 Nr. 2. 107 IP 10 S. 48 Nr. 1 u. S. 54 Nr. *1. 108 IP 10 S. 84 Nr. 5. 109 IP 10 S. 96 Nr. 2, es folgen Privilegien Alexanders III., Clemens’ III. und Cölestins III., IP 10 S. 97 Nr. *3, 6 u. S. 98 Nr. 8. 110 Vgl. Reg. Inn. III., VII/149. Es ist jedoch unklar, ob diese Gründung, die von Fiore aus erfolgen sollte, tatsächlich vollzogen wurde. Wenn ja, so scheint das Kloster jedoch keine lange Lebensdauer gehabt zu haben, vgl. dazu Francesco RUSSO: Gioacchino da Fiore e le fondazione florensi in Calabria, Napoli 1959 (Collana storica 1), S. 174.

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Päpsten den Papstschutz verliehen erhielt, ist SS. Trinità in Mileto, ein Kloster, das seit den Tagen Rogers I. in besonderer Nähe zu den normannischen Herrschern stand111. Dem stehen zwar acht Empfänger gegenüber, die erst ab dem Pontifikat Alexanders III. den Papstschutz erhalten hatten112. Doch ist nicht zu verkennen, dass die Papstschutzverleihungen bereits vor Alexander III. als gängige Praxis bezeichnet werden können. Das Beispiel des Klosters SS. Trinità zeigt zudem, dass diese Verleihungen offenbar in Kalabrien auch von den normannischen Herrschern gewollt wurden, der Herrscher in diesem Fall die Verleihungen des Papstschutzes nicht behinderte. Ein deutlicher Unterschied zwischen Kalabrien und Sizilien tritt bei der Exemtion zutage. Waren auf Sizilien allein Monreale und Cefalù mit der Exemtion ausgestattet worden, so lassen sich in Kalabrien zwei Bistümer und drei Klöster als Empfänger von Exemtionsprivilegien fassen113. Hinzu kommt noch ein Kloster, bei dem sich die Exemtion als Fälschung erweist, was wiederum ein Indiz dafür ist, dass man in dieser Region um die Exemtion so sehr bemüht war, dass man sogar zum Mittel der Fälschung griff114. Anders als auf 111 Der Papstschutz wurde dem Kloster von Paschalis II., Calixt II., Innozenz II., Eugen III., sowie zweimal von Alexander III. und Clemens III. verliehen. IP 10 S. 145 Nr. 3, S. 146 Nr. 8, S. 147 Nr. *9 u. 11, S. 148 Nr. 14, S. 149 Nr. 15 u. *17. 112 Im Einzelnen sind dies unter Alexander III. das Kloster S. Maria del Carrà im Bistum Nicastro (IP 10 S. 35 Nr. 2), das Bistum Tropea (IP 10 S. 39 Nr. 2), S. Maria de Turri (IP 10 S. 73 Nr. 18, und nochmals unter Cölestin III., ebd. S. 75 Nr. *23) und das Bistum Catanzaro (IP 10 S. 82 Nr. 14). – Unter Lucius III. erhielt das Erzbistum Santa Severina den Papstschutz (IP 10 S. 127 Nr. 2 = RI 4/4/4/1 Nr. 1009). – Unter Clemens III. S. Maria di Bagnara im Bistum Mileto (IP 10 S. 158 Nr. 1, bestätigt durch Cölestin III., ebd. S. 159 Nr. 3). – Unter Cölestin III. folgen das Bistum Bisignano (IP 10 S. 94 Nr. 1) und das Kloster S. Maria del Patir (IP 10 S. 106 Nr. *3). 113 Bei den beiden Bistümern handelt es sich um Cassano Ionio, das zwei Privilegien erhielt, IP 10 S. 27 Nr. 2–3, und Mileto, das insgesamt sechs Exemtionsprivilegien erhielt, IP 10 S. 138 Nr. 3, S. 139 Nr. 5 u. *6, S. 140 Nr. 11 u. *12 u S. 141 Nr. *13. Unter den drei Klöstern erhielt S. Maria Mattina zwei Exemtionsprivilegien, IP 10 S. 91 Nr. 2 u. *3; SS. Trinità in Mileto erhielt acht echte Exemtionsprivilegien, IP 10 S. 145 Nr. 1 u. 3, S. 146 Nr. 8, S. 147 Nr. *9, S. 147 Nr. 11, S. 148 Nr. 14, S. 149 Nr. 15 u. *17; ferner ist für dieses Kloster auch eine Fälschung nachzuweisen, IP 10 S. 147 Nr. †10. Als Exemtionsprivilegien sind wohl auch die vier Urkunden für S. Giuliano di Rocca Fallucca zu werten, IP 10 S. 84 Nr. 5–*8. 114 Dabei handelt es sich um die beiden Stücke für die Zisterze S. Maria Sambucina IP 10 S. 97 Nr. †5 u. S. 98 Nr. †7. Zu S. Maria Sambucina vgl. Theo KÖLZER: La monarchia normanno-svevo e l’Ordine Cistercense, in: I cistercensi nel mezzogiorno medioevale, Atti del Convegno internazionale di studio in occasione del IX centenario della nascita di Bernardo di Clairvaux (Martano – Latino – Lecce, 25–27 febbraio 1991), hg. v. Hubert HOUBEN/Benedetto VETERE, Lecce 1994, S. 91–116; sowie HOUBEN: Venosa (wie Anm. 85) S. 76f. Zu den italienischen Zisterzen vgl. jüngst auch Rinaldo COMBA: I monaci bianchi e il papato in Italia: caratteri e metamorfosi delle identità e idealità cistercensi nella prima metà del XII secolo, in: HERBERS/ JOHRENDT: Papsttum (wie Anm. 16) S. 515–555.

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Sizilien ist die Exemtion damit ein in Kalabrien häufig erbetener Rechtszustand. Im Falle des Bistums Mileto sowie des dortigen Klosters SS. Trinità sind die Normannenherrscher sicherlich die treibenden Kräfte gewesen, die für die Exemtion sorgten115. Und anders als auf Sizilien waren diese Exemtionen keine Neuerung der Kirchenstruktur, die erst unter Alexander III. eingeführt worden war. Fast alle kalabrischen Exemtionen haben ihren Ursprung noch im 11. Jahrhundert116. Wieso war man in Kalabrien um Exemtionen, um eine Herauslösung aus dem normalen Metropolitanverband und unmittelbare Unterstellung unter Rom, interessiert und auf Sizilien nicht? Ausschlaggebend dürften dafür strukturelle Gründe in den Regionen einerseits und andererseits eine Veränderung im Verhältnis von Normannenherrschern zu Rom gewesen sein. Zumindest im Fall von Mileto dürften die Hauteville die treibende Kraft gewesen sein. Die Exemtion in ihrer römischen Ausprägung dürfte den kalabrischen Kirchen jedoch nicht von Anfang an bekannt gewesen sein, doch durch die Autokephalie etlicher griechischer Bistümer war ihnen ein vergleichbarer Rechtsstatus aus der griechischen Kirche bestens bekannt117. Es liegt daher nahe, das im Vergleich zu Sizilien in Kalabrien verstärkte Bestreben um eine Exemtion vor diesem Hintergrund zu betrachten. Auf Sizilien konnte man hingegen auf derartige Erfahrungen nicht aufbauen.

5. Ad-limina Besuche und Pallien Eine Vielzahl der für sizilische Empfänger ausgestellten Urkunden ist den Pallien gewidmet. Dies hängt zum einen mit der neu gegründeten Kirchenstruktur zusammen, die bei Messfeierlichkeiten – bei der genuin priesterlich, bischöflichen Aufgabe – in Form des Palliums zum Ausdruck kommen konnte. Die Forschungen von Zotz haben jedoch ebenfalls gezeigt, dass der Kontakt und der Austausch zwischen den Bischöfen Voraussetzung dafür ist, dass sich Bischöfe um eine Vermehrung der Tage bemühten, an denen sie das Pallium

115 Vgl. BECKER: Graf (wie Anm. 1) S. 162–166 u. 191f. Dass die Exemtionen in der Regel auf die Hauteville zurückzuführen sind, betont auch LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 213. 116 Allein die Exemtion von S. Giuliano di Rocca Fallucca ist nicht vor 1117 zu fassen, vgl. IP 10 S. 84 Nr. 5. 117 Zur Situation der kalabrischen Bistümer vgl. Vera VON FALKENHAUSEN: Untersuchungen über die byzantinische Herrschaft in Süditalien vom 9. bis ins 11. Jahrhundert, Wiesbaden 1967 (Schriften zur Geistesgeschichte des östlichen Europa 1), S. 148– 151; vgl. auch in Bezug auf Apulien und das bewusst von Byzanz eingesetzte Mittel der Autokephalie Axel BAYER: Spaltung der Christenheit. Das sogenannte Morgenländische Schisma von 1054, Köln u. a. 2002 (Beih. zum AK 53), S. 66f.; zur Autokephalie allg. Lorenzo PERRONE: Art. Autokephalie, in: Lex MA 1 (1980) Sp. 1269f.

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tragen durften118. Erst der enge Kontakt der Bischöfe untereinander machte derartige Regelungen sinnvoll, da sie nur dann als ein Element der Konkurrenz zwischen den einzelnen Bistümern eingesetzt werden konnten. Die Nachfrage nach Palliumurkunden ist daher gleichsam ein Indikator für den Zusammenhalt einer Landeskirche, für die Intensität des Austausches in dieser, jedoch ebenso Ausdruck einer offenen Situation, in der die Metropolitanstruktur noch beweglich ist und das Pallium die Absicherung eines Rechtsstatus bedeutet119. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich für Sizilien viele Palliumurkunden nachweisen lassen, da die Metropolitanstruktur hier erst im Entstehen war und selbst nach einer Phase der Verfestigung 1183 durch die Erhebung Monreales zum Erzbistum in unmittelbare Nähe zum Sitz des Erzbischofs von Palermo nochmals verändert wurde120. Nicht weniger als 15 Nummern der Italia Pontificia beziehen sich auf Regelungen zum Pallium für sizilische Empfänger. Bis 1166 sind allein zwei Palliumurkunden für den Palermitaner Erzbischof überliefert121. Die Pallien besaßen offenbar auch im Selbstverständnis der Palermitaner Metropoliten und ihres königlichen Herrn, Rogers II., einen beachtlichen Wert, denn der sizilische König wandte sich 1150 persönlich an Eugen III. und bat diesen um ein Pallium für den Elekten Hugo von Palermo122. Die restlichen Palliumurkunden für andere Bistümer

118 Thomas ZOTZ: Pallium et alia quaedam archiepiscopatus insignia. Zum Beziehungsgefüge und zu Rangfrage der Reichskirchen im Spiegel der päpstlichen Privilegierung des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Festschrift für Berent Schwineköper zu seinem siebzigsten Geburtstag, hg. v. Helmut MAURER/Hans PATZE, Sigmaringen 1982, S. 155–175. Für die Ottonen- und frühe Salierzeit im europäischen Vergleich auch JOHRENDT: Papsttum (wie Anm. 97), S. 220–225, 231f. u. 256f. 119 Vgl. dazu für das 10. und die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts vor allem für die Kirche im Reich nördlich der Alpen im Gegensatz zur französischen Kirche JOHRENDT: Papsttum (wie Anm. 97) S. 231f., sowie Matthias SCHRÖR: Metropolitangewalt und papstgeschichtliche Wende, Husum 2009 (Historische Studien 494), S. 76–80. 120 Auf diese hohe Dynamik wies bereits VEHSE (wie Anm. 93) S. 120–127, hin. Vgl. auch CASPAR: Gründungsurkunden (wie Anm. 1) S. 97–103, in den Wertungen bisweilen mit Vorsicht zu genießen; zur Weiterentwicklung der sizilischen Kirchenorganisation im 12. Jahrhundert vgl. auch KAMP: Episkopat (wie Anm. 25) S. 110f.; LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 234f. 121 Es handelt sich um eine Urkunde zugunsten des Erzbischofs Alcerius von Palermo aus der Kanzlei Gregors VII., IP 10 S. 229 Nr. 20; und für Petrus von Palermo, ausgestellt von Calixt II., IP 10 S. 230 Nr. 24. 122 IP 10 S. 231 Nr. *26. Es ist durchaus denkbar, dass die Bitte um das Pallium in Verbindung mit den Vorbereitungen für eine geplante Herrscherweihe Wilhelms I. stand. Zwar wurde Wilhelm schließlich in einer kirchlichen Zeremonie erhoben, doch Roger II. krönte seinen Sohn offenbar selbst, vgl. HOUBEN: Roger II. (wie Anm. 3) S. 102f. Dennoch war für die Zeremonie ein mit allen Zeichen seiner erzbischöflichen Würde ausgestatteter Metropolit von Palermo vermutlich auch in den Augen Rogers II. von Nöten, um ihr einen würdigen und makellosen Rahmen zu geben, zumal der Normanne

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setzen folglich erst mit Alexander III. ein, für den bis 1171 derartige Privilegien für Messina, Catania, Palermo und Siracusa nachzuweisen sind123. Die weiteren Privilegien verteilen sich unauffällig im restlichen Untersuchungszeitraum und sind teilweise durch die Erhebung Monreales zum Erzbistum bedingt, gleichsam eine Folge der veränderten Kirchenstruktur auf der Insel124. Für das Jahrzehnt nach 1198 lässt sich keine weitere Palliumurkunde nachweisen. Natürlich ist auch in diesem Jahrzehnt mit einem entsprechenden Überlieferungsverlust zu rechnen, da wir insgesamt von sieben Erzbischöfen wissen, dass sie das Pallium erhalten haben, ohne dass sich eine entsprechende Urkunde überliefert hätte. In drei oder vielleicht sogar fünf Fällen erhielten die Erzbischöfe das Pallium direkt aus den Händen des Papstes: Johannes von Catania, der von Alexander III., und Wilhelm von Monreale, der von Lucius III. geweiht worden war, erhielten es im Anschluss an ihre Weihe125. Erzbischof Jakobus von Reggio Calabria holte sich sein Pallium vor dem 17. August 1199 in Rom von Innozenz III. persönlich ab126. Unklar sind die beiden Fälle der Erzbischöfe Richard Palmer und Berardus von Messina. Zwar wurde bei Richard Palmer eine persönliche Entgegennahme des Palliums von Alexander III. im April 1169 vermutet, doch fehlt für diese These eine entsprechende Quellengrundlage127. Wo Berardus von Messina 1198 sein Pallium in Empfang nahm, ist hingegen völlig unklar128. Wiederum in den Pontifikaten Alexanders III. und Innozenz’ III. sind zwei Palermitaner Erzbischöfe zu fassen, denen das Pallium zugesandt wurde: im Jahre 1169 Erzbischof Walter von Palermo, der es durch

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beim Papst nicht um eine Belehnung Wilhelms gebeten hatte und die Herrschaftsübertragung damit formale Mängel aufwies. Für Messina IP 10 S. 340 Nr. 26; für Catania IP 10 S. 292 Nr. 25 u. 26; für Palermo IP 10 S. 232 Nr. 32; für Siracusa IP 10 S. 318 Nr. 73. Das gilt für die Urkunden für den Erzbischof von Monreale, IP 10 S. 276 Nr. 7 u. S. 279 Nr. 15, ebenso wie für das Parallelschreiben zu IP 10 S. 276 Nr. 7 an den Bischof von Catania. Denn dessen Nachfolger wurde der Gebrauch des Palliums untersagt, IP 10 S. 293 Nr. 27. Dasselbe gilt für das Schreiben an den Bischof von Siracusa unter Clemens III., IP 10 S. 319 Nr. 76. Die Weihen werden in den entsprechenden Palliumprivilegien angesprochen, vgl. IP 10 S. 292 Nr. 25 und IP 10 S. 276 Nr. *6 (= RI 4/4/4/1 Nr. 474), vgl. dazu auch KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 3 S. 1187. Das ist dem Schreiben Reg. Inn. III., II/165 zu entnehmen, in dem Innozenz III. Klerus und Volk den neugewälten Erzbischof I (vermutlich Jacobus) empfiehlt und darauf hinweist, dass er das Pallium aus den Händen des Papstes persönlich empfangen habe. Zwar formuliert KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 3 S. 1016, dass Richard in Benevent von Alexander persönlich geweiht worden sei und verweist dazu auf IP 10 S. 318f. Nr. 73, doch das ist dem Privileg nicht zu entnehmen, da es nur die Norm formuliert, dass der Erzbischof von Messina vom Papst persönlich zu weihen sei. Die Nachricht beruht auf Potthast nach 146. Der dort geäußerte Fälschungsverdacht ist nach KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 3 S. 1020 Anm. 74, unbegründet.

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den Kardinalpresbyter Johannes von S. Anastasia erhielt129, und wohl nach 1202 Petrus von Palermo, worüber die «Gesta Innocentii» berichten130. Pallien nehmen daher offenbar nicht nur bei der Überlieferung der mit ihnen verbundenen Privilegien für die sizilische Kirche einen wichtigen Platz ein, sondern auch die Nachrichten über den Empfang der Pallien sind erstaunlich dicht. Mit anderen Worten, die Pallien fanden in der Kirche Siziliens große Beachtung, waren von den Erzbischöfen sowie den direkt Rom unterstellten Bischöfen offenbar besonders begehrt. Die Tatsache, dass etwa dem namentlich nicht bekannten Bischof von Siracusa noch 1188 von Clemens III. der Gebrauch des Palliums untersagt werden musste, obwohl Monreale bereits fünf Jahre zuvor zu dessen neuer Metropole erhoben worden war, verdeutlicht, dass die Kirchenordnung immer noch labil war, so dass vermutlich der Metropolit von Monreale auf jegliche Versuche der Minderung seiner Qualität als Metropolit empfindlich reagierte und nicht zögerte, Rom einzuschalten131. Gerade mit dem vergleichenden Blick auf die Situation in Kalabrien wird die hohe Bedeutung der Pallien für die Kirchen Siziliens deutlich. Mit Reggio Calabria, Cosenza und Santa Severina waren hier immerhin auch drei Erzbistümer vorhanden. Doch lediglich eine am 19. November 1165 von Alexander III. für Erzbischof Roger von Reggio Calabria und eine am 22. März 1184 von Lucius III. für Erzbischof Meleto von Santa Severina ausgestellte Urkunde kommen auf das Pallium zu sprechen132. Und auch die Epochengrenze von 1198 ändert an diesem Befund nichts133. Übertragungen von Pallien an die dortigen Erzbischöfe sind ebenso wenig bekannt. Damit unterscheidet sich die Situation in Kalabrien von derjenigen auf Sizilien erheblich. Reiner Überlieferungszufall? Vielleicht ist die hohe Nachfrage nach Pallien auf der Insel Sizilien angesichts der engen Bindung dieser Kirchen an den Herrscher nicht als Ausdruck der Romnähe und die ausgebliebene Nachfrage in Kalabrien als Ausdruck der Romferne zu interpretieren. Dass ein Erzbischof in Rom um sein Pallium nachsuchte ist an und für sich nicht bemerkenswert, sondern entspricht der Norm, die vor allem durch die Kopplung des Rechtes, Bischöfe zu weihen und Synoden abzuhalten, an das Pallium unter Paschalis II. von Rom propa129 IP 10 S. 233 Nr. *33. 130 Gesta Innocentii, ed. GRESS-WRIGHT (wie Anm. 13) S. 52 Z. 2; vgl. dazu auch KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 3 S. 1126. 131 Der Nachfolger Richard Palmers ist unbekannt, eventuell war das Bistum vakant, erst mit Laurentius ist ab November 1192 wieder ein Bischof namhaft zu machen, vgl. KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 4 S. 1234. 132 IP 10 S. 23 Nr. 20 für Reggio Calabria; IP 10 S. 127 Nr. 2 für Santa Severina (= RI 4/4/4/1 Nr. 1009). Über Meleto weiß man praktisch nichts, vgl. KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 2 S. 882f. 133 Wenn die Aussage von PACAUT (wie Anm. 47) S. 55, dass die Päpste sich intensiv darum bemühten, alle Erzbischöfe des Königreichs mit Pallien auszustatten, zutrifft, so fielen ihre Bemühungen in Kalabrien offenbar auf keinen allzu fruchtbaren Boden.

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giert und vermutlich auch rasch in der gesamten Christianitas akzeptiert worden war134. Das Auffällige ist folglich nicht der Empfang des Palliums an sich, sondern der Umgang der Zeitgenossen damit beziehungsweise der Niederschlag, den das Pallium und sein Empfang in den zeitgenössischen Quellen fanden. Dieser Befund zeigt die Relevanz der Thematik für die Zeitgenossen an135. Denn die Pallien erweisen sich in dieser Perspektive auf der Insel Sizilien als ein Mittel der Binnendifferenzierung, die nicht nur aufgrund der Neuorganisation der Kirchenstruktur notwendig wurde, sondern ebenso durch die große Nähe zum Herrscher. Das vermeintlich römische Instrument stellt sich gerade im Vergleich mit der Kirche Kalabriens als zwar in deutlicher Verbindung mit Rom stehendes Instrument dar, das seine Wirkungskraft jedoch vorrangig im Kreis der sizilischen Kirche zu entfalten hatte und hier von Bedeutung war136. Dass sie in Kalabrien fehlen, ist nicht allein durch den Überlieferungsverlust bei den Palliumurkunden zu erklären, denn auch Nachrichten über den Empfang des Palliums, sei es persönlich in Rom oder durch die Zusendung mit Hilfe eines Legaten oder einer anderen vom Papst beauftragten Person, fehlen für diese Region. Die Ursache dürfte in einer größeren Stabilität der kalabrischen Metropolitanstruktur liegen, die sich seit ihrer Errichtung kaum verändert hatte. Zwar führte die Neugründung und Exemtion des Bistums Miletos zu einer Veränderung, doch diese ist nicht mit den Dimensionen auf Sizilien zu vergleichen. Denn die drei Erzbistümer Cosenza, Reggio Calabria und Santa Severina bestanden während des gesamten Untersuchungszeitraums und bestimmten die kirchliche Struktur Kalabriens137. Hin134 Die Regelung Paschalis’ II. fand auch Aufnahme in den «Liber Extra» vgl. X 1.6.4, ed. FRIEDBERG: CIC, Bd. 2, Sp. 49. Das genannte Verbot findet sich bereits bei Gregor I., erhielt jedoch offenbar erst seit Paschalis II. größere Bedeutung; zur rechtlichen Bedeutung des Palliums vgl. vor allem Rainer MURAUER: Papst, Metropolit, Bischof um 1200. Zur Verzögerung der Weihe des Elekten Heinrich von Straßburg, in: RHM 43 (2001) S. 257–310, hier S. 274–280. 135 Auf die Aussagekraft der Palliumurkunden in diesem Sinne hatte erstmals hingewiesen ZOTZ: Pallium (wie Anm. 118); vgl. auch JOHRENDT: Papsttum (wie Anm. 97) S. 72– 75 u. 231f.; zum Problem der Überlieferung der Palliumurkunden jüngst ab Beispiel der Reimser Kirche Ludwig FALKENSTEIN: Zu verlorenen päpstlichen Privilegien und Schreiben. Palliumverleihungen an die Erzbischöfe von Reims (8.–12. Jahrhundert), in: Eloquentia copiosus. Festschrift für Max Kerner zum 65. Geburtstag, hg. v. Lotte KÉRY, Aachen 2006, S. 181–224. 136 Ähnliches hatte ZOTZ: Pallium (wie Anm. 118) für die Reichskirche vor allem des 10. Jahrhunderts herausgearbeitet. 137 Einen Sonderfall bildet lediglich das griechische Erzbistum Rossano, dem zumindest am Ende des 12. Jahrhunderts keine Suffragane unterstanden, vgl. KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 2 S. 872; zur Entwicklung des Verhältnisses zwischen der griechischen Kirche Unteritaliens und dem Papsttum zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert auch den schon etwas älteren Überblick bei Peter HERDE: Das Papsttum und die griechische Kirche in Süditalien vom 11. bis zum 13. Jahrhundert, in: DA 26 (1970) S. 1–46; Wiederabdr. in: DERS.: Gesammelte Abhandlungen und Aufsätze, Bd. 2/1, Stuttgart

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zu mag noch kommen, dass die Bischöfe Siziliens und hier vor allem die Erzbischöfe stärker als diejenigen Kalabriens auf den Hof ausgerichtet waren, was unter anderem in der Zusammensetzung des Hofes und der Wahrnehmung unterschiedlichster Ämter in der königlichen Zentralverwaltung durch die Bischöfe Siziliens zum Ausdruck kommt, namentlich der Stellung der Bischöfe als Familiaren des Königs138. Die Konkurrenz und das Bedürfnis, sich von Mitstreitern in diesem Gremium absetzen zu können, waren hier ungleich höher als unter den kalabrischen Bischöfen. Die Pallien der sizilischen Erzbischöfe könnten auch aus diesem Grund im Gegensatz zu denjenigen ihrer kalabrischen Kollegen in der Überlieferung so tiefe Spuren hinterlassen haben. Ein Element, das aus römischer Perspektive die Bindung zwischen der Ortskirche und der päpstlichen Zentrale stärken sollte, nutzen die Bischöfe der Insel in dieser Perspektive zur Binnendifferenzierung des sizilischen Episkopates, die offenbar aufgrund der dynamischeren Situation vor allem in ihrer zeremoniellen und zeichenhaften Zurschaustellung notwendiger war als in der Terraferma139. Sonstige Nachrichten über Rombesuche sizilischer und kalabrischer Bischöfe sind spärlich – abgesehen von den Nachweisen zum Dritten und Vierten Laterankonzil140. Hatte Werner Maleczek erst jüngst herausgearbeitet, dass praktisch alle Bischöfe des Reiches nördlich der Alpen im Pontifikat Innozenz’ III. mindestens einmal an der Kurie weilten, so fehlen vergleichbare Studien zu Reichsitalien und dem Königreich Sizilien141. Über den Rombesuch des Abtes

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2002, S. 1–38; sowie eine überarbeitete Version bei DERS.: The Papacy and the Greek Church in Southern Italy between the eleventh and the thirteenth Century, in: LOUD/METCALFE: Society (wie Anm. 39) S. 213–251; allgemein auch André JACOB/ Jean-Marie MARTIN: Die griechische Kirche in Italien (650–1050), in: Die Geschichte des Christentums, Bd. 4: Bischöfe, Mönche und Kaiser 642–1054, hg. v. Gilbert DRAGON/Pierre RICHÉ/André VAUCHEZ, Freiburg u. a. 1994, S. 366–387; sowie jüngst auch die Muslime einschließend LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 494–520. Nach der Reform des Familiarenrates und der Erhöhung der Anzahl der Familiaren auf zehn im Jahr 1168 waren fünf von ihnen Kleriker – dabei spielte der Erzbischof von Palermo, der stets vom König nomminiert wurde, eine herausragende Rolle, vgl. TAKAYAMA: Administration (wie Anm. 87) S. 115–123; DERS.: Familiares Regis and the Royal Inner Council in Twelfth-Century Sicily, in: EHR 104 (1989) S. 357–372, hier S. 361–365; LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 274f. Zur zentralen Stellung des Familiarenkollegs für Sizilien und Kalabrien vgl. auch die schematische Darstellung bei HOUBEN: Roger II. (wie Anm. 3) S. 161; sowie für die Zeit Wilhelms II. die Ausführungen bei SCHLICHTE: König (wie Anm. 9) S. 310–318. Dort war die Kirchenorganisation in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts soweit gefestigt, dass man nicht von einer Erhöhung einfacher Bistümer zum Erzbistum oder Ähnlichem ausging. Siehe dazu unten bei Anm. 197. Werner MALECZEK: Der Mittelpunkt Europas im frühen 13. Jahrhundert. Chronisten, Fürsten und Bischöfe an der Kurie zur Zeit Papst Innocenz’ III., in: RHM 49 (2007) S. 89–157, behandelt im Anhang (S. 141–157) zwar auch andere Regionen Europas, doch Italien bleibt ausgespart.

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Bartholomeus von S. Maria del Patir, der dort vor August 1105 von Paschalis II. für das griechische Kloster ein Privileg erwirkte, erfährt man aus der Vita des Abtes142. Nach 1198 ist die Reise des Erzbischofs Dionysius von Santa Severina anzuführen, der 1205 nach Rom reiste, um seine Wahl durch den Papst bestätigen zu lassen143. Doch dies sind nur einzelne Nachrichten. Gemessen an der vor allem bis in die 1120er Jahre hinein sehr engen personalen Bindung der unteritalienischen Kirche in ihrer Gesamtheit scheint der Austausch durch den Pallienempfang und ad-limina-Besuche zwischen den Kirchen Kalabriens und Sizilien mit Rom gering gewesen zu sein.

6. Weihen Sowohl die Anzahl der Weihen als auch die Anzahl der Urkunden, in denen die Päpste immer wieder festlegten, dass Bischöfe der Insel Sizilien allein von ihnen geweiht werden können, erstaunt. Im Konkordat von Benevent war festgelegt worden, dass der Papst alle Weihen im Königreich Sizilien durchführen dürfe144. Die häufige Betonung dieses Weiherechtes in den einzelnen Urkunden demonstriert den Stellenwert, den die Päpste dieser Regelung zuwiesen145. Und sie kann nur zum Teil durch die Neuorganisation des Kirche Siziliens erklärt werden, bei der die Zuständigkeiten der Metropoliten gegenüber ihren Suffraganen erst abgegrenzt und eingeübt werden mussten. Denn dies galt ebenso für den kalabrischen Raum, in dem wie auf Sizilien eine lateinische Kirche erst neu geschaffen werden musste. Weihen, die allein durch den Papst oder eine von ihm dazu beauftragte Person vorgenommen werden 142 Vita S. Bartholomaei confessortis III c. 24, ed. AASS Sept. Bd. 8, S. 810–826, hier S. 819, vgl. auch LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 215. 143 Vgl. KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 2 S. 885. 144 MGH Const. 1, Nr. 413 S. 588–590, hier S. 589 § 6: Consecrationes et visitationes libere Romana ecclesia in omni regno nostro habebit. Die Forschung hat die Formulierung als ein exklusives Weiherecht des Papstes gedeutet, so etwa PACAUT (wie Anm. 47) S. 39; ebenso SCHLICHTE: König (wie Anm. 9) S. 130. Aus der Formulierung libere habere ist meines Erachtens jedoch kein exklusives Weiherecht abzuleiten, das andere von der Weihe ausschließt. Die typische Formulierung für ein exklusives Weiherecht wäre hingegen cuius episcopus non nisi a Romano pontifice consecrationis munus recipere debet, so etwa formuliert von Alexander III. in IP 10 S. 318 Nr. 73, ed. Migne PL 200 Sp. 583– 586, hier Sp. 583D, für den Bischof Richard von Siracusa. 145 Zu den Weihen für unteritalienische Bischöfe bis 1100 vgl. LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 208–212, der jedoch dafür eintritt, die Weihen vorrangig in ihrem religiösen Kontext zu betrachten, in dem es den Päpsten möglich war, sich als guter Hirte darzustellen. Zur Bedeutung der Weihen vgl. jedoch Rober L. BENSON: The Bishopelect. A Study in Medieval Ecclesiastical Office, Princeton N. J. 1968, S. 96f., sowie die Bemerkungen bei JOHRENDT: Sonderfall (wie Anm. 2) S. 252f.; SCHRÖR: Metropolitangewalt (wie Anm. 119) S. 191–198, und die Bemerkungen von DERS. in diesem Band.

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konnten, sind in Kalabrien für Bischöfe und Äbte bekannt. Doch vermutlich kamen die Äbte und Bischöfe nur in drei Fällen nach Rom – ansonsten scheinen die Weihen bei den Kalabrienreisen der Päpste durchgeführt worden zu sein146. Dies war auf Sizilien nicht möglich, da der Papst nie nach Sizilien gereist war. Die Italia Pontificia verzeichnet 20 Nummern, die sich auf Weihen oder Weiheregelungen beziehen. Lediglich ein einziges Mal beziehen sich die Regelungen auf die Abtsweihe. Cölestin III. bestätigte dem Elekten Berard von Messina am 13. November 1196, dass die Äbte der griechischen Klöster ihre Weihen vom Erzbischof von Messina zu empfangen hätten147. Auch darin unterscheidet sich die Situation auf Sizilien deutlich von der kalabresischen, wo sich Äbte auch in Form einer Fälschung um eine Weihe durch den Papst bemühten – vermutlich um eine größere Eigenständigkeit gegenüber dem Suffraganbischof zu erhalten148. Die Klöster Siziliens scheinen sich nicht im selben Maße wie diejenigen Kalabriens um eine Anbindung an die Römische Kirche bemüht zu haben. Sie traten nicht von sich aus an Rom heran, um durch eine verstärkte Rombindung eine größere Unabhängigkeit von ihrem Diözesanbischof zu erhalten. Dieses mangelnde Bedürfnis, sich durch eine Weihe in Rom abzusichern, ist in den Urkunden auch für die Bischöfe festzustellen. Lediglich im Falle von Catania schrieb Urban II. 1092 fest, dass der Bischof durch den Papst zu weihen sei149. Dieser Befund erstaunt um so mehr, als Alexander III. 1166 in einem Schreiben an König Wilhelm II. von Sizilien anmahnte, dass alle Elekten, die durch den Papst zu weihen seien, auch nach Rom reisten, um dort ihre Weihe zu empfangen150. Allein in den Privilegien für die einzelnen Bistümer findet sich diese Regelung nicht – der Anspruch Alexanders III. scheint daher wohl eher ein allgemeiner gewesen zu sein, als dass er sich auf konkrete Privilegien stützte. Auch die konkrete Umsetzung der Weihe des nächsten Palermitaner Erzbischofs belegt, dass die Weihe dieses Metropoliten durch Rom zwar ein Anspruch des Papstes war, dem man auf der Insel jedoch nicht nachkam, was schließlich auch Alexander III. einsehen musste und die Weihe Walters von Palermo am 22. Juni 1169 durch die Suffragane des Erzbischofs genehmigte. Dem Kardinalpresbyter Johannes von S. Anastasia, sollte bei der Weihe keine tragende Rolle zukommen151. Obwohl diese Beschwerde Alexanders III. deutlich darauf hinweist, dass nicht alle Elekten der von ihm eingeforderten Pflicht nachkamen, so lassen sich doch einige Beispiele zusammentragen, dass sizilische Bischöfe zum Papst reis146 147 148 149 150

JOHRENDT: Sonderfall (wie Anm. 2) S. 256f. IP 10 S. 342 Nr. 31 bzw. S. 348 Nr. 1. Vgl. JOHRENDT: Sonderfall (wie Anm. 2) S. 254f. IP 10 S. 290 Nr. 19. IP 8 S. 51 Nr. *196. Der Brief ist bei Hugo Falcandus überliefert, zur Sache vgl. JOHRENDT: Sonderfall (wie Anm. 2) S. 253f. 151 IP 10 S. 232 Nr. 32 mit den Nebenregesten S. 265 Nr. 12 und S. 271 Nr. 7.

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ten, um dort ihre Weihe zu empfangen. So weihte Urban II. Gerlandus von Agrigento152 und Ansger von Catania153, Alexander III. Johannes von Catania154 und Lucius III. Wilhelm von Monreale155. Möglicherweise weihte Gregor VII. Bischof Robert von Troina/Messina, sollte dieser tatsächlich nach Rom gereist sein156 und bereits Leo IX. hatte Humbert von Silva Candida zum Erzbischof von Sizilien geweiht157, ohne dass dieser jedoch jemals nach Sizilien kam. Abgesehen von Johannes von Catania und Wilhelm von Monreale, erfolgten die Weihen somit bevor Urban II. 1098 Roger I. das Legationsprivileg ausstellte. Alle anderen Weiheregelungen in päpstlichen Privilegien für sizilische Empfänger betreffen die Weihekompetenz der sizilischen Bischöfe. Dies ist zu weiten Teilen durch die Neuorganisation der sizilischen Kirche zu verstehen, jedoch nicht nur. Dies gilt zunächst für die Regelung Anaklets II. vom 27. September 1130, dass der Bischof von Palermo die Weihegewalt über die Bischöfe von Siracusa, Agrigento, Mazara del Vallo und Catania besitze, mithin über seine Suffragane158. Das war nichts ungewöhnliches, zumal die Weihegewalt über seine Suffragane dem Metropoliten kirchenrechtlich zustand159. Ähnlich handelte Anaklet II., als er am 14. September 1131 Cefalù zum Bistum erhob und die Weihe des Bischofs von Cefalù dem zuständigen Metropoliten in Messina übertrug160. Auch dies entsprach den normalen Gepflogenheiten. Bei Catania erstaunt dieser Schritt lediglich, da Urban II. 1092 festgelegt hatte, dass die Bischöfe Catanias allein durch den Papst geweiht werden sollten. Das Privileg Anaklets II. ist insofern zwar als eine „Normalisierung“ der Situation auf Sizilien zu werten, indem er die Sonderstellung Catanias aufhob und dieses wie andere Suffraganbistümer in anderen Kirchenprovinzen in der üblichen Weise an den Metropoliten band. Bemerkenswert bleibt jedoch ein Reflex auf diese Normalisierung unter Alexander III. Denn Alexander knüpfte bewusst an die Politik Urbans II. wieder an, den er in dem dazugehörigen Privileg auch

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IP 10 S. 264 Nr. *8. IP 10 S. 290 Nr. *18. IP 10 S. 291 Nr. *24. IP 10 S. 276 Nr. *6 (= RI 4/4/4/1 Nr. 474). Die Weihe Wilhelms vollzog Lucius III. in Velletri. IP 10 S. 337 Nr. 17. Gregor VII. spricht jedoch lediglich davon, dass er Robert weihen werde, wenn dieser nach Rom komme. Von der Weihe geht aus BECKER: Graf (wie Anm. 1) S. 142 u. 172. Das entsprechende Schreiben Gregors VII. ist JL 5233, ed. Greg. VII. Reg. IX/25 hier S. 608 Z. 20–25. IP 10 S. 186 Nr. *73. Siehe auch unten Anm. 177. IP 8 S. 37 Nr. 137, sowie die Nebenregesten in IP 10 S. 252 Nr. 3, S. 264 Nr. 10, S. 291 Nr. 21 u. S. 318 Nr. 72. Vgl. jüngst zusammenfassend SCHRÖR: Metropolitangewalt (wie Anm. 119) S. 17. IP 10 S. 364 Nr. 1.

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explizit nannte161, weihte Bischof Johannes von Catania persönlich und schrieb fest, dass auch dessen Nachfolger durch den Papst zu weihen seien162. Die Umstrukturierung der sizilischen Kirche durch die Erhebung Monreales zum Erzbistum machte die Frage der Unterordnung und Weihe durch den Palermitaner Hirten jedoch obsolet. Zusammen mit der gescheiterten engeren Anbindung des Palermitaner Erzbischofs ist unter Alexander III. damit ein verstärktes Bemühen zu fassen, die sizilische Kirche durch das Instrument der Weihen wieder stärker an Rom zu binden. Doch dieses Angebot stieß in der sizilischen Kirche offenbar auf wenig Gegenliebe, man war an einer engeren Bindung an Rom offenbar nicht interessiert.

7. Prosopographischer Austausch mit Rom Den Rahmen für den prosopographischen Austausch auf der Ebene der Bischöfe zwischen Rom und den Regionen Sizilien und Kalabrien gab die dominierende Stellung der normannischen Herrscher in ihrer Kirche vor163. Für die über 140 Bischöfe, die das Regno am Ende des 12. Jahrhunderts hatte, war der König nicht nur der entscheidende Bezugspunkt, bis 1198 war es zudem kaum vorstellbar, dass ein Kandidat gegen den Willen des Herrschers erhoben wurde164. Selbst Innozenz III. hatte Kaiserin Konstanze und Friedrich II. ein Zustimmungsrecht zur Wahl zugestanden165. Da die Quellen für die Ebene

161 Migne PL 200 Sp. 495–497 Nr. 495, hier Sp. 496A; Quapropter piae recordationis Urbanus papa ... 162 Zur Weihe IP 10 S. 291 Nr. *24; dass der Bischof von Catania allein vom Papst geweiht werden dürfe, schrieb Alexander III. 1168 und erneut 1171 fest, IP 10 S. 292 Nr. 25 u. 26. 163 Zum Episkopat des Königreichs Sizilien vgl. neben der Studie von KAMP: Kirche (wie Anm. 10), die den Episkopat ab der staufischen Zeit erfasst und prosopographisch mustergültig aufgearbeitet hat, für das 12. Jahrhundert DERS.: Episkopat (wie Anm. 25); DERS.: Herkunft (wie Anm. 79); vgl. PACAUT (wie Anm. 47). 164 Vgl. dazu DEÉR: Papsttum (wie Anm. 1) S. 258f.; KAMP: Episkopat (wie Anm. 25) S. 126–129; ENZENSBERGER: Wilhelm (wie Anm. 8) S. 401–409; LOUD: Control (wie Anm. 12) S. 154f. mit dem illustrativen Beispiel der Erhebung in Valva; SCHLICHTE: König (wie Anm. 9) S. 128–131; die enge Bindung vor allem zwischen dem im Süden des Regno zu verortenden Episkopat und der sizilischen Krone betonte auch DIES.: Chiesa e feudalesimo, in: Nascita di un regno. Poteri signorili, istituzioni feudali e strutture sociali nel Mezzogiorno normanno (1130–1194): Atti delle diciasetttesime giornate normanno-sveve (Bari, 10–13 ottobre 2006), hg. v. Raffaele LICINIO/ Francesco VIOLANTE, Bari 2008 (Centro di studi normanno-svevi, Università degli Studi di Bari. Atti 17), S. 143–176, hier S. 160–162. 165 Vgl. Reg. Inn. III., I/411 sowie das Parallelschreiben I/412 an alle Prälaten des Königreichs Sizilien.

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unter den Bischöfen vor allem für die Zeit vor 1198 spärlich fließen, werde ich mich im Folgenden allein auf die Bischöfe konzentrieren166. Die Normannenherrscher beeinflussten die Zusammensetzung des Episkopates jedoch nicht nur durch die Kontrolle der Wahlen, sondern auch durch ihre für die Bistümer entscheidende wirtschaftliche Rolle, die bis zum Ende der Hauteville und darüber hinaus bestand167. Dieser maßgebliche Einfluss auf die Besetzung der Bistümer war auch Friedrich II. – zumindest am Beispiel von Palermo fassbar – nicht bereit aufzugeben168. Und dem faktischen Einfluss des Königs konnten (oder wollten?) die Päpste offenbar nicht allzu viel entgegensetzen – auf der Insel Sizilien waren ihnen bis 1198 durch die apostolische Legation der Könige die Hände gebunden und in Kalabrien scheint es keine größeren Bemühungen der Kurie um eine verstärkte Kontrolle bei der Bischofserhebung gegeben zu haben. Dieser Befund unterscheidet sich erstaunlicherweise vom Rest des Königreiches, in dem zumindest für die Regierungszeit Wilhelms II. (1166–1189) ein von Pacaut als „systematisch“ bezeichnetes Bemühen Roms um eine Kontrolle der Wahlen zu fassen ist, da die Wahlen nun durch Rom überprüft und die Bischöfe dann bestätigt wurden169. Von der Eignung der Kandidaten her scheinen die Päpste offenbar auch wenig Handlungsbedarf gesehen zu haben, da die normannischen Könige offenbar keine ungeeigneten Personen auf Bischofsstühle hievten170. Zwar ist spätestens mit Wilhelm II. eine Abnahme solcher Bischöfe festzustellen, die Regionen außer166 So erwies sich durch jüngste Forschungen auch die päpstliche Kapelle als ein wichtiges personelles Bindeglied zwischen den Regionen und dem römischen Zentrum. Doch abgesehen von der Dissertation von Reinhard ELZE: Die päpstliche Kapelle im 12. und 13. Jahrhundert, in: ZRGKanAbt 36 (1950) S. 145–204; Wiederabdruck in: Päpste – Kaiser – Könige und die mittelalterliche Herrschaftssymbolik. Ausgewählte Aufsätze, hg. v. Bernhard SCHIMMELPFENNIG/Ludwig SCHMUGGE, Collected Studies Series CS 152, London 1982, Nr. II S. 145–204, fehlen neuere und vor allem prosopographisch ausgerichtete Studien zur päpstlichen Kapelle, die diese Dimensionen erst erschließen. Wie fruchtbar auch regionenbezogene Studien für die päpstliche Kapelle sein können belegte jüngst Maria Pia ALBERZONI: Gli interventi della Chiesa di Roma nella provincia ecclesiastica milanese, in: HERBERS/JOHRENDT: Papsttum (wie Anm. 16) S. 135–181. Unter den Kaplänen der normannischen Könige sind päpstliche Kapläne offenbar fast ausschließlich in der Zeit Friedrichs II. nachzuweisen, vgl. dazu demnächst die Dissertation zur normannisch-staufischen Hofkapelle im Königreich Sizilien (1130–1266) von Lioba Geis (Aachen), der ich für diese Auskunft herzlich danke. 167 Vgl. SCHLICHTE: König (wie Anm. 9), zusammenfassend S. 126. Zu den wirtschaftlichen Zuwendungen der Könige an die Bistümer vgl. jüngst die knappe Zusammenfassung bei Decimae. Il sostegno economico dei sovrani alla Chiesa del Mezzogiorno nel XIII secolo dai lasciti di Eduard Sthamer e Norbert Kamp, hg. v. Kristjan TOOMASPOEG, Rom 2009 (Ricerche dell’Istituto storico germanico di Roma 4), S. 39–52. 168 Siehe oben bei Anm. 10. 169 PACAUT (wie Anm. 47) S. 57. Kritisch zur Sichtweise Pacauts, der stets von einem Antagonismus zwischen Papsttum und sizilischem Königtum ausgeht LOUD: Papacy (wie Anm. 39) S. 179f., sowie SCHLICHTE: König (wie Anm. 9) S. 128f. 170 Dies betont LOUD: Control (wie Anm. 12) S. 153f.

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halb des Regno entstammten171, doch lediglich auf Sizilien ist – wohl aufgrund der engen Verschränkung von Hof und dortigen Bistümern – ein klares Interesse der Herrscher zu erkennen, Personen aus dem eigenen Umfeld zu dortigen Bischöfen zu machen172. Generell ist zu bemerken, dass je nach Bistum für den Untersuchungszeitraum zwischen 30 und 70 Prozent der Bischöfe überhaupt namentlich bekannt sind173, so dass die folgenden Aussagen nicht mehr als grobe Linien aufzeigen können. Vorab ist in jedem Fall zu bemerken, das zumindest bis zum Bruch zwischen Roger II. und Calixt II. die Einsetzung eines dem Papst genehmen Bischofs – etwa in einem exemten Bistum – nicht bedeutet, dass dies nicht auch auf den Willen des Hauteville zurückgehen könnte174. Denn bis zum Bruch gab es offenbar wenig Kritik an den von Roger betriebenen Bischofserhebungen. Vor allem wenn man ganz Unteritalien betrachtet, gab es bis zu Calixt II. einen deutlichen personellen Austausch zwischen Unteritalien und der Kurie. Denn nicht nur, dass etliche der Kardinäle aus Unteritalien stammten, sondern ebenso wurden auch etliche Kardinäle zu Bischöfen in Unteritalien erhoben175. Doch differenziert man den Begriff Unteritalien näher, so wird deutlich, dass dieser Austausch sich nicht auf alle Territorien bezog, die ab 1130 unter einer Königskrone vereint waren. Besonders Montecassino spielt hier eine herausragende und auch eigenständige Rolle, die nicht ohne weiteres mit derjenigen Roms gleichgesetzt werden kann176. Zunächst war vor allem 171 Vgl. KAMP: Herkunft (wie Anm. 79) S. 109; SCHLICHTE: König (wie Anm. 9) zusammenfassend S. 126. Noch bis 1130 war nur ein Bruchteil der Bischöfe Unteritaliens „normannischer“ Herkunft. Etliche Bischöfe kamen vielmehr aus Oberitalien und Deutschland, Vgl. Graham A. LOUD: Church and Churchmen in an Age of Conquest: Southern Italy 1030–1130, in: The Haskins Society Journal 4 (1992) S. 37–53; Wiederabdr. in: DERS.: Conquerors and Churchman in Norman Italy (Variourm Collected Studies Series), Aldershot 1999, VIII S. 37–53, hier S. 44f. 172 LOUD: Control (wie Anm. 12) S. 157. 173 Vgl. dazu für den gesamten unteritalienischen Episkopat KAMP: Herkunft (wie Anm. 79) S. 90. 174 So geht LOUD: Churches (wie Anm. 171) S. 45, davon aus, dass die Bischöfe der exemten Bistümer – für Kalabrien und Sizilien wären dies Bisignano, Mileto, San Marco Argentano und Cefalù – durch den Papst bestimmt wurden. 175 Vgl. LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 218, der vor allem den Austausch mit Montecassino hervorhebt. Doch dies ist wohl weniger auf eine allgemeinen Austausch mit Unteritalien zurückzuführen, sondern auf die engen Bindungen der Päpste in der frühen Zeit der Reform zu diesem Kloster. Für den personellen Austauch zwischen Rom und den unteritalienischen Kirchen im 12. Jahrhundert grundlegend ist immer noch KAMP: Herkunft (wie Anm. 79). 176 Zur Rolle Montecassinos und Roms für Unteritalien vgl. Herbert Edward John COWDREY: The age of abbot Desiderius. Montecassino, the Papacy and the Normans in the 11th and early 12th centuries, Oxford 1983, bes. S. 107–176. Auf die engen Austauschprozesse zwischen Montecassino und Rom hat in Hinblick auf die Formulierung von Papsturkunden zuletzt Florian HARTMANN: Das Enchiridion de prosis et rithmis Alberichs von Montecassino und die Flores rhetorici, in: QFIAB 89 (2009) S. 1–30,

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die monastische Tradition war für den Episkopat Unteritaliens prägend, der sich erst im Laufe des 12. Jahrhundert von diesen Wurzeln entfernte. Und zeitgleich waren auch die personalen Bindungen zwischen Rom und Sizilien sowie Kalabrien eng. Leo IX. und Urban II. erhoben immerhin Personen aus ihrem engsten Umkreis zu Erzbischöfen in diesen Regionen. Leo IX. ernannte Humbert von Silva Candida, der damals noch nicht Kardinal war, zum Erzbischof von Sizilien – ohne dass dieser jedoch die Insel jemals betreten hätte177. Doch die Erhebung zeigt, welche Bedeutung Leo IX. den unteritalienischen Verhältnissen beimaß, da er im Jahre 1050 noch nicht über größere Personalressourcen verfügte, die er nach Belieben einsetzen konnte178. Der erste Kardinal, der als Kardinal zu einem Erzbischof in den beiden Untersuchungsregionen erhoben wurde, war Rangerius, Kardinalpriester von S. Susa, der 1089/1090 von Urban II. zum Erzbischof von Reggio Calabria ernannt wurde,179 auch wenn Urban dafür ursprünglich offenbar seinen ehemaligen Lehrer, den Karthäuser Bruno von Köln, vorgesehen hatte, der jedoch verzichtete und statt dessen die Kartause S. Maria di Turri in Kalabrien gründete180. Hatte Humbert sein anvisiertes Wirkungsfeld Sizilien nie betreten, so gab Rangerius in Reggio Calabria offenbar nur ein kurzes Gastspiel, denn bereits im März 1095 ist in Reggio Rudolf als neuer Erzbischof zu belegen. Rangeri-

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aufmerksam gemacht, nach dessen Studien man Albert von Montecassino für die Entwicklung der päpstlichen Kanzlei sicherlich ein größere Bedeutung wird zuschreiben müssen. IP 10 S. 186 Nr. *73; zu Humbert vgl. auch Rudolf HÜLS: Kardinäle, Klerus und Kirchen Roms: 1049–1130, Tübingen 1977 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 48), S. 131–134. Humbert unterzeichnet eine Urkunde vom 2. Mai 1050 als Humbertus Siciliensis archiepiscopus, ed. Die Konzilien Deutschlands und Reichsitaliens 1023–1059, hg. v. Detlev JASPER, Hannover 2010 (MGH Conc. 8), Nr. 30 S. 288 Z. 11. Zur Sache vgl. auch BECKER: Graf (wie Anm. 1) S. 131 u. 160. Zur Wertung der Erhebung vgl. auch BAYER (wie Anm. 117) S. 57. Erst unter Alexander II. ist die Personaldecke der Reformer etwas größer geworden, vgl. dazu die Bemerkungen bei Tilmann SCHMIDT: Alexander II. und die römische Reformgruppe seiner Zeit, Stuttgart 1977 (Päpste und Papsttum 11), S. 153. HÜLS (wie Anm. 177) S. 207–209 Nr. 2, hier S. 208, geht von der Erhebung Rangerius’ auf der Synode in Melfi im September 1089 aus, während Alfons BECKER: Papst Urban II. (1088–1099), Stuttgart 1964–1988 (MGH Schr. 19), hier Bd. 2 S. 96f., von frühestens 1090 spricht. Er wertet die Erhebung Rangerius’ als bewussten Akt der „Romanisierung“ Unteritaliens und seiner Kirchen durch Rom. Zu ihm vgl. auch Klaus GANZER: Die Entwicklung des auswärtigen Kardinalats im hohen Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte des Kardinalskollegiums vom 11. bis 13. Jahrhundert, Tübingen 1963 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 26), S. 45–49; vgl. allgemein auch LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 216; DERS.: Churches (wie Anm. 171) S. 44; BECKER: Graf (wie Anm. 1) S. 167. Vgl. BECKER: Urban II. (wie Anm. 179) S. 96. Zu Brunos Wirken in Kalabrien vgl. jetzt zusammenfassend BECKER: Graf (wie Anm. 1) S. 202–206. Die engen Beziehungen zu Urban II. blieben offenbar bis zum Tod Urbans II. bestehen.

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us kehrte daher Ende 1094/Anfang 1095 an die Kurie zurück, wo er als Kardinal bis zum Juli 1096 tätig war. Dauerhaft nahm hingegen Arnulf von Cosenza (1059–80) seine Tätigkeit als Erzbischof war. Er stand in engem Kontakt zu den Reformern in Rom181. Doch nach der Jahrhundertwende scheint es keinen weiteren personellen Austausch zwischen Rom und den Kirchen Siziliens und Kalabriens gegeben zu haben. Die so genannte Sizilische Partei im Kardinalskollegium rekrutierte sich – anders als der Name es vermuten lässt – zumindest nicht aus Klerikern, die mit kalabrischen oder sizilischen Kirchen in enger Verbindung stehen182. Römischer Herkunft scheint der nur 1194 belegte Bischof von Cefalù, Benedictus Romanus, zu sein, doch über seinen Werdegang zuvor, seine Beziehungen zum päpstlichen Umfeld oder ähnliches ist nichts bekannt183. Kalabrien und Sizilien nehmen damit beim personellen Austausch mit Rom innerhalb des Königreichs Sizilien eine gewisse Sonderrolle ein. Denn auf ganz Unteritalien bezogen war der personelle Austausch zwischen der Kurie und den dortigen Kirchen verhältnismäßig eng. Man kann dort unter Urban II., Paschalis II. und Calixt II. sogar ein Instrument der Anbindung erkennen, das in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Oberitalien verstärkt eingesetzt wurde: Der Einsatz von Kardinälen, die fest an Ortskirchen gebunden waren184. Doch unabhängig davon, wie man diese Massierung von Kardinälen in der unteritalienischen Kirche werten möchte, ob als bewusst von Rom eingesetztes Instrument oder als eher aus den Regionen heraus gesteuert – die Einsetzung der Kardinäle führte ohne Frage zu einer engeren Anbindung an den Papst. Und erstaunlicher Weise bleiben die Kirchen Siziliens und Kalabriens von dieser neuen Qualität der Bindung unberührt, der Versuch das Modell auch nach Reggio Calabria zu übertragen scheiterte.

8. Päpstliche Kanonisationen So weit ich sehe liegen für den Untersuchungszeitraum keine Kanonisationen vor, die Sizilien direkt betreffen. Es ist erstaunlich, dass die Päpste hier ein Mittel zur Bindung der Ortskirchen an Rom nicht nutzten. Denn etliche der Bischöfe aus der Phase des ausgehenden 11. und beginnenden 12. Jahrhunderts 181 KAMP: Herkunft (wie Anm. 79) S. 95. 182 So betont Loud zwar immer wieder, dass es keine Unterbrechung der kirchlichen Kontakte zwischen Rom und Unteritalien durch die Erhebung Siziliens zum Königreich im Jahre 1130 gab, so etwa LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 231f.; doch auch unter den nach 1159 im Kardinalskollegium anzutreffenden Unteritalienern, ebd. S. 240f., sind keine Personen aus Kalabrien oder Sizilien zu fassen. 183 Zu ihm vgl. KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 3 S. 1048f. 184 Bei der Wertung, dass es sich bei der Erhebung von Kardinälen zu Erzbischöfen und Bischöfen in der unteritalienischen Kirche um eine gezielte Politik der Päpste handelt, meldet LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 216f., Zweifel an.

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wurden in der weiteren Entwicklung ihrer Bistümer zu einem entscheidenden Bezugspunkt der Diözese185. So auch der wohl 1104/5 verstorbene Bischof Gerland von Agrigent, den Urban II. persönlich geweiht hatte und der zum Patron der Agrigenter Kathedrale wurde186. Doch die päpstlichen Kanonisationen spielten bei der Verehrung dieser Bischöfe keine größere Rolle. Für den unteritalienischen Bereich ist hier lediglich Gerhard von Potenza anzuführen, der noch 1121 in der Umgebung Calixts II. in Catanzaro nachzuweisen ist und bereits 1123/24 auf Bitten des Bischofs Manfred von Potenza durch Calixt II. heilig gesprochen wurde187. Ein 1252 unternommener Versuch, den 1072 verstorbenen Bischof Rainerius von Forcone (das 1256 in L’Aquila aufging) durch den Papst heilig sprechen zu lassen, scheiterte188. In der Regel scheint die Verehrung der als heilig geltenden Bischöfe lokal vollzogen worden zu sein, ohne dass der Befund chronologisch jeweils genau aufgearbeitet ist189. Abgesehen vom genannten Fall des Gerhard von Potenza ist kein päpstliches Eingreifen festzustellen.

9. Päpstliche Synoden Auf der Insel Sizilien gab es im Untersuchungszeitraum keine päpstliche Synode – anders als in Kalabrien, wo Calixt II. in Crotone eine Synode abgehalten

185 Eine systematische Untersuchung zu den Patrozinien in Unteritalien fehlt, soweit ich sehe. Doch scheint es keine größere Verbreitung von römischen Patrozinien gegeben zu haben. Ein herausragendes Beispiel für die Präsenz der Päpste durch ein Patrozinium ist ohne Frage das in den Abruzzen gelegene Kloster S. Clemente a Casauria, dessen Klostergeschichte als eine „Fortschreibung der Heiligenvita“ interpretiert wurde von Markus SPÄTH: Verflechtung von Erinnerung. Bildproduktion uns Geschichtsschreibung im Kloster San Clemente a Casauria während des 12. Jahrhunderts, Berlin 2007 (Orbis medievalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 8), so das Kapitel S. 220– 226. Durch die Aktualisierung der Clemensbezüge im 12. Jahrhundert blieb vermittels der Papstreliquien auch Rom in deutlicher Weise in dieser Abtei präsent. 186 Vgl. KAMP: Herkunft (wie Anm. 79) S. 102f. Zur Weihe siehe oben bei Anm. 152. 187 IP 9 S. 484 Nr. *5, vgl. dazu auch Ottfried KRAFFT: Papsturkunde und Heiligsprechung. Die päpstlichen Kanonisationen vom Mittelalter bis zur Reformation. Ein Handbuch, Köln u. a. 2005 (ADipl Beih. 9), S. 73f. Zum Aufenthalt in Catanzaro vgl. Beate SCHILLING: Guido von Vienne – Papst Calixt II., Hannover 1998 (MGH Schr. 45), S. 712. 188 Vgl. KRAFFT (wie Anm. 187) S. 266; KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 1 S. 22. Dass man in diesem Fall die Heiligsprechung durch den Papst forcierte, dürfte nicht zuletzt daran gelegen haben, dass Bischof Thomas von Focrone, der bei Honorius III. die Heiligsprechung betrieb, der päpstlichen Kapelle entstammte und damit der unmittelbaren päpstlichen Umgebung. 189 So ist die Datierung der bei KAMP: Herkunft (wie Anm. 79) S. 103 Anm. 49 genannt sieben und bis auf eine Vita sämtlich in der BHL verzeichneten Viten nicht klar.

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hatte190. Wie die Resonanz der Einladungen bei den Bischöfen Siziliens und Kalabriens ausfiel ist schwer einzuschätzen, da die Quellenlage dürftig ist191. Der erste Besuch eines Bischofs aus Kalabrien und Sizilien auf einer päpstlichen Synode während des Untersuchungszeitraums ist der Besuch von Erzbischof Arnulf von Cosenza auf der Lateransynode des Jahres 1059192. Doch immerhin lassen sich auf dem Laterankonzil Paschalis’ II im März 1112 die Erzbischöfe Johannes von Reggio Calabria, S. Severina – und der griechische Erzbischof von Rossano, sowie Bischof Wilhelm von Siracusa nachweisen193. 1118 in Gaeta war hingegen allein der Erzbischof von S. Severina anwesend194. So schwierig es daher einzuschätzen ist, wie viele unteritalienische Bischöfe etwa nach dem Bruch zwischen Roger II. und Calixt II. auf dem Zweiten Laterankonzil waren, so wird man doch davon ausgehen können, dass der Hauteville einem avisierten Konzilsbesuch der Bischöfe seines Herrschaftsbereiches nicht besonders aufgeschlossen gewesen sein wird195. Zum Dritten Laterankonzil erschienen nicht weniger als 300 Bischöfe196. Das Konzil hatte vor allem nach dem Frieden von Venedig, an dem der sizilische König als Vertragspartei Anteil hatte, die Aufgabe, nach der Zeit des Alexandrinischen Schismas die Einheit der Kirche wieder auf eine breite Basis zu stellen, die Wiederholung eines Schismas so weit möglich durch die Regelung «licet de vitanda» zu vermeiden. Dazu waren aus Unteritalien immerhin 72 oder 73 unteritalienischen Bischöfe 190 SCHILLING (wie Anm. 187), S. 491–497; Georg GRESSER: Die Synoden und Konzilien in der Zeit des Reformpapsttums in Deutschland und Italien von Leo IX. bis Calixt II. 1049–1123, Paderborn u. a. 2006 (Konziliengeschichte, Reihe A: Darstellungen), S. 470. 191 Zur Situation in ganz Unteritalien bis zum Ende des 11. Jahrhunderts vgl. LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 205–208, der in gesteigerten Besuchszahlen einen Ausdruck für den gewachsenen päpstlichen Einfluss in Unteritalien sieht. Unergiebig sind die Ausführungen von GRESSER (wie Anm. 190) S. 515–522, der undifferenziert von „Italienern“ spricht. 192 Belegt ist sein Aufenthalt durch die Unterschrift unter dem dort verabschiedeten Papstwahldekret, Detlev JASPER: Das Papstwahldekret von 1059. Überlieferung und Textgestalt, Sigmaringen 1986 (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 12), S. 117 Z. 304. 193 MGH Const. 1 Nr. 399 S. 570–573, hier S. 573; vgl. dazu LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 205. 194 Le Liber pontificalis. Texte, introduction et commentaire par l’abbé Louis DUCHESNE, Bd. 2, Paris 1892 (Bibliothéque des Écoles françaises d’Athénes et de Rome 3/2) S. 315. 195 Auch auf dem Konzil Innozenz’ II. von 1135 in Pisa lassen sich keine Bischöfe aus Kalabrien und Sizilien nachweisen, MGH Const. 1 Nr. 402. 196 Zur Zahl vgl. Georgine TANGL: Die Teilnehmer an den allgemeinen Konzilien des Mittelalters, Weimar 1922, S. 212; Raymonde FOREVILLE: Lateran I–IV, Mainz 1970 (Geschichte der ökumenischen Konzilien 6), S. 176 mit Bezug auf die Angaben bei Wilhelm von Tyrus und der Chronik von Montecassino. Zum Dritten Laterankonzil jüngst der knappe Überblick bei Anne J. DUGGAN: Conciliar Law 1123–1215. The Legislation of the Four Lateran Concils, in: HARTMANN/PENNINGTON: History (wie Anm. 78) S. 318–366, hier S. 333–341.

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erschienen197, so dass sie fast ein Viertel des versammelten Episkopats stellten. Unter diesen unteritalienischen Bischöfen stammen wiederum zehn aus Sizilien und Kalabrien. Von den fünf damaligen Erzbischöfen fehlten die Erzbischöfe von Palermo und von Santa Severina, während Messina, Reggio Calabria und Cosenza vertreten waren198. Auffallend ist allein, dass sich aus der Reihe der sizilischen Bischöfe neben dem Erzbischof von Messina allein noch Bischof Guido von Cefalù auf den Weg nach Rom gemacht hatte. Das ist deshalb bemerkenswert, da Cefalù zu diesem Zeitpunkt ein exemtes Bistum war und direkt Rom unterstand199. Das gilt auch für Bischof Anselm von Mileto, doch reisten aus Kalabrien noch vier weitere Bischöfe nach Rom, so dass die Reise dieses eximierten Bischofs nicht so auffällig ist200. Insgesamt wird man damit eher eine Zurückhaltung der sizilischen Bischöfe konstatieren dürfen – vor allem im Vergleich zum Vierten Laterankonzil. Denn 1215 blieb die Insel nicht länger außen vor201. Von den wohl 17 Bischöfen aus Sizilien und Kalabrien, die an dem von circa 400 Bischöfen besuchten Vierten Laterankonzil teilnahmen202, stammte die Hälfte aus Sizilien, unter ihnen alle drei Erzbischöfe203. Damit hatten die sizilischen Bischöfe ihre 1179 geübte Zurückhaltung 197 73 Bischöfe nennt Ian Stuart ROBINSON: The Papacy 1073–1198. Continuity and Innovation, Cambridge u. a. 1990 (Cambridge Medieval Textbooks), S. 393; 72 erscheinen bei TANGL (wie Anm. 196) S. 213. 198 Allgemein TANGL (wie Anm. 196) S. 221; die Teilnahme der drei Erzbischöfe Nikolaus von Messina, Thomas von Reggio Calabria und Ruffus von Cosenza ist durch Mansi 22, Sp. 215 u. 462 belegt. Vgl. dazu auch KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 2 S. 831 u. 917. 199 Siehe oben bei Anm. 91. Auch die Anwesenheit Guidos von Cefalù ist durch Mansi 22, Sp. 215 u. 462 zu erschließen, vgl. auch KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 3 S. 1048. 200 Es handelt sich um die Bischöfe Anselm von Mileto, Peregrinus von Umbriatico, Guido von Nicastro, Caradon von Tropea, Philipp grecus von Crotone und Irenus von Strongoli. Neben Mansi 22, Sp. 215 u. 462 vgl. auch KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 2 S. 817, 911, 975 Anm. 8, S. 997, 956 u. 908 Anm. 4. Im Falle von Irenus von Strongoli ist die Nennung in Mansi 22, Sp. 215 u. 462 der einzige Nachweis für die Existenz von Irenus. 201 So bereits TANGL (wie Anm. 196) S. 229. 202 Zu den Zahlen der Teilnehmer vgl. TANGL (wie Anm. 196) S. 229; Neben den genannten 400 Bischöfen ist noch mit 800 sonstigen Klerikern zu rechnen. Hinzu kommt noch die Begleitung der Prälaten, so dass MALECZEK: Mittelpunkt (wie Anm. 141) S. 95, von 5000 Personen als Untergrenze ausgeht, die sich zum Vierten Laterankonzil in Rom einfanden. 203 Nach Kirchenprovinzen und Diözesen geordnet waren dies aus Sizilien die folgenden sieben beziehungsweise acht Bischöfe – mit dem Verweis auf KAMP: Kirche (wie Anm. 10) in Klammern: Ebf. Berardus von Messina (Bd. 3 S. 1021), Bf. Johannes von Cicula von Cefalù (Bd. 3 S. 1054), Ebf. Berardus de Castanea von Palermo (Bd. 3 S. 1131), Ebf. Carus von Monreale (Bd. 3 S. 1194), Bf. Walter von Palearia von Catania (Bd. 3 S. 1213), Bf. Bartholomäus von Siracusa (Bd. 3 S 1239) sowie der namentlich nicht bekannte Bf. von Mazara (Bd. 3 S. 1176 Anm. 31). Unklar ist die Teilnahme von Bf. Anselm von Patti (Bd. 3 S. 1083). Aus Kalabrien waren anwesend: Die

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aufgegeben. Ob dies ein Erfolg der Regentschaft Innozenz’ III. war, ist nicht zu belegen, doch dürfte die Regentschaft zu einer Normalisierung der Lage und damit einem verstärkten Besuch des Konzils beigetragen haben. Da Friedrich II. zu diesem Zeitpunkt auf die Unterstützung Innozenz’ III. für seine nordalpinen Pläne angewiesen war, könnte sich der königliche Einfluss auf die unteritalienische Kirche nun auch positiv auf den Besuch des Vierten Laterankonzils ausgewirkt haben204.

10. Rechtssammlungen Zwar wird man in Zusammenhang mit der Umsetzung des kanonischen Rechtes an die «Collectio Palermitana» denken, die ihren Namen ihrem Aufbewahrungsort im Archiv der Kathedrale von Palermo verdankt. Doch ist nicht klar, wo diese Sammlung entstand und ob sie sich bereits am Ende des 12. Jahrhunderts im Besitz des Kathedralkapitels befand205. Liegen insgesamt wenige Rechtssammlungen vor206, so scheint auch die Nachfrage nach Rechtsauskünften aus den Regionen Sizilien und Kalabrien gering gewesen zu sein. Denn anders als aus den Regionen des Nordwesten Frankreichs und aus England, kamen aus dem gesamten Königreich Sizilien wesentlich weniger Anfragen an den Papst, die dieser in Form einer Respons beantwortete, welche durch den Eingang in eine Dekretalensammlung in das kanonische Recht Eingang gefunden hätten. Von den circa 470 Dekretalen Alexanders III. gingen beiden Ebf. Dionysius von Santa Severina (Bd. 2 S. 855) und Girald von Reggio Calabria (Bd. 2 S. 925) sowie die Bischöfe Bernardus von Belcastro (Bd. 2 S. 894) und Johannes von Tropea (Bd. 2 S. 999). Namentlich nicht bekannt sind die fünf Bischöfe von Isola di capo Rizzuto (Bd. 2 S. 905), San Leone (Bd. 2 S. 907), Bisignano (Bd. 2 S. 811), Gerace (Bd. 2 S. 967) und Nicastro (Bd. 2 S. 975) 204 So TANGL (wie Anm. 196) S. 229, die davon ausgeht, dass Friedrich II. die Bischöfe Siziliens zur Teilnahme am Laterankonzil drängte. 205 Zur «Collectio Palermitana» vgl. Lotte KÉRY: Canonical Collections of the Early Middle Ages (ca. 400–1140): A Bibliographical Guide to the Manuscripts and Literature, Washington, D.C. 1999 (History of Medieval Canon Law 1), S. 277, dort weitere Literatur. Die Handschrift, Palermo, Archivio della Cattedrale, 14, entstand offenbar im 12. Jahrhundert in Frankreich und enthält neben der Abbreviatio Ansegisi et Benedicti Levitae (fol. 71r–112v.) auch die Collectio CCCXLII capitulorum (fol., 118r–128r), vgl. auch Jacqueline RAMBAUD-BUHOT: Un corpus inédit de droit canonique de la réforme Carolingienne à la réforme Grégorienne, in: Humanisme actif. Mélanges d’art et de literature offerts à Julien Cain, 2 Bde., Paris 1968, hier Bd. 1 S. 271–281, S. 273– 275. 206 Eine systematische Untersuchung der kanonistischen Handschriften süditalienischer Provenienz, die über Montecassino und Benevent hinaus geht, steht noch aus. Zu diesen beiden Zentren vgl. etwa die nun gesammelt vorliegenden Beiträge von Roger Edward REYNOLDS: Studies on medieval liturgical and legal manuscripts from Spain and Italy, Aldershot u. a. 2009 (Variorum Collected Studies Series 927).

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lediglich etwa 30 in das gesamte Königreich Sizilien, während nach England über 150 gingen207. Trotz der geringen räumlichen Distanz erweisen sich sowohl Sizilien als auch Kalabrien in dieser Hinsicht als romferne Regionen208. Die Insel wirkt hier noch ferner als Kalabrien. Denn für Kalabrien lassen sich bis 1198 immerhin vier klassische Reskripte fassen, ebenso viele wie für das Jahrzehnt danach209. Doch aus Sizilien sind keine Anfragen überliefert, die eine Rechtsauskunft zur Folge gehabt hätten. Auffallend ist auf der Insel jedoch das 1198 einsetzende Bemühen der Bischöfe, ihre Handlungen hinsichtlich entfremdeter Güter in Rom absegnen zu lassen210. Doch dies dürfte weniger auf eine gesteigerte Romorientierung der sizilischen Bischöfe zurückzuführen sein, als vielmehr auf die Rolle Innozenz’ III. als Vormund für Friedrich II. Denn die starke Konkurrenz der königlichen und kirchlichen Gerichtsbarkeit wie auch der königlichen und päpstlichen Gesetzgebungstätigkeit fand mit dem Pontifikat Innozenz’ III. noch nicht ihr Ende. Es ist kein Zufall, dass der «Liber Extra» in etwa zur selben Zeit abgefasst wurde wie die Konstitutionen von Melfi211. 207 So PACAUT (wie Anm. 47) S. 51. Vgl. zum Zusammenhang zwischen der Verschickung von Dekretalen in Regionen und der Entstehung von Dekretalensammlungen in denselben am Beispiel des Reiches nördlich der Alpen während des Alexandrinischen Schismas Gisela DROSSBACH: Die Entwicklung des Kirchenrechts als raumübergreifendes Kommunikationsmodell im 12. Jahrhundert, in: Zentrum und Netzwerk. Kirchliche Kommunikationen und Raumstrukturen im Mittelalter, hg. v. Gisela DROSSBACH/Hans-Joachim SCHMIDT, Berlin u. a. 2008 (Scrinium Friburgense 22), S. 41–61. 208 Für diese Distanz spricht auch die Zahl der aus den Dekretalensammlungen herauszudestillierenden Urkunden. Für Italien sind dies insgesamt 230 Stücke für das 12. Jahrhundert, von denen jedoch lediglich die in Anm. 209 genannten vier Stücke auf Kalabrien und Sizilien verweisen. Auch in dieser Hinsicht erweisen sich beide Regionen damit als Fernregionen. Zur Zahl der 230 „italienischen Dekretalen“ vgl. Walther HOLTZMANN: Kanonistische Ergänzungen zur Italia pontificia, Tübingen 1959, S. 67f. 209 Vor 1198 wurden ausgestellt: IP 10 S. 112 Nr. *6 (Paschalis II.), S. 114 Nr. 9 u. 10 (Alexander III.) und S. 106 Nr. 2 (Cölestin III.). Aus den Registern Innozenz’ III. stammen die Belege Reg. Inn. III., I/307, I/524, II/139 u. II/251. 210 Vgl. dazu Reg. Inn. III., I/180, I/250 u. I/294. Erstaunlicherweise lassen sich nach dem ersten Pontifikatsjahr Innozenz’ III. derartige Anfragen in den Registern nicht mehr fassen. 211 Martin BERTRAM: Gregorio IX, Innocenzo IV e Federico II. Tre legislatori a confronto, in: „... colendo iustitiam et iura condendo ...“ Federico II legislatore del Regno di Sicilia nell’Europa del Duecento. Atti del convegno internazionale di studi organizzato dall’Universita degli Studi di Messina, Istituto di Storia del Diritto e delle Istituzioni Messina-Reggio, Calabria 20–24 gennaio 1995, hg. v. Andrea ROMANO, Roma 1997 (Atti di convegni. Comitato Nazionale per le Celebrazioni dell’VIII Centenario della Nascita di Federico II 1), S. 11–27. Die Konstitutionen von Melfi stehen jedoch nicht allein, denn auch andere große Gesetzeskodifikationen entstehen noch im 13. Jahrhundert, jedoch nach den Konstitutionen von Melfi. Vgl. etwa die 1265 abgeschlossenen und unter Alfons X. von Kastilien-León ausgearbeiteten «Siete Partidas». Zur Gleich-

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Ergebnisse Anders als erwartet stellt das Epochenjahr 1198 trotz der veränderten Überlieferungssituation und der Vormundschaftsregierung Innozenz’ III. für den minderjährigen Friedrich II. im Verhalten der Urkundenempfänger keinen tieferen Einschnitt dar. Zwar lässt sich durch die Registerüberlieferung nun das päpstliche Wollen stärker fassen als zuvor, doch blickt man auf die von Rom ausgestellten Privilegien, so ergibt sich eine erstaunliche Konstanz im Verhalten der Ortskirchen auf Sizilien und in Kalabrien. In beiden Regionen kommt es nicht zu einer kontinuierlichen Verdichtung der Kommunikation zwischen den Einzelkirchen und dem Papsttum. Denn die Verwerfungen zwischen Roger II. und Calixt II. bilden einen Bruch in der Kommunikation der Ortskirchen mit Rom. Verglichen mit dem restlichen Regno vollzog sich der Bruch in diesen beiden Regionen damit früher als in den anderen Regionen, wo die 40er Jahre den Tiefpunkt des Austausches zwischen Rom und unteritalienischen Kirchen darstellen212. Gerade im Vergleich zu den anderen Regionen des unteritalienischen Herrschaftsraumes wird die dominante Rolle des Hauteville für die Kommunikation der Ortskirchen auf Sizilien und in Kalabrien mit Rom deutlich. Dieser Bruch – gleichsam eine Unterbrechung der scheinbar so teleologischen Entwicklung einer zunehmenden Verdichtung der Beziehungen zwischen Rom einerseits und Kalabrien sowie Sizilien andererseits – macht sich auch bei den Reisen und Legationen bemerkbar, wobei der Blick über die Epochengrenze von 1198 sich als fruchtbar erwiesen hat. Für die Zeit bis 1198 ist für Sizilien sowohl hinsichtlich der Papstreisen als auch von Legationen, die nicht nur politischer Natur waren, Fehlanzeige zu erstatten. In Kalabrien bildet erneut der Bruch mit Calixt II. den Einschnitt – das Instrument der Legationen konnten die Päpste in Kalabrien danach offenbar nicht mehr einsetzen, so dass ab diesem Zeitpunkt Kalabrien wie zuvor bereits Sizilien keine Legaten mehr sah. Das änderte sich jedoch deutlich nach 1198 – was das Fehlen der Legationen in der Zeit zuvor umso sprechender macht. Die massive Präsenz päpstlicher Legaten auf der Insel Sizilien nach 1198 hatte allem Anschein nach vor allem durch die Vormundschaft Innozenz’ III. politische Hintergründe213. Sehr ähnlich ist der Befund auch bei der Anwendung der Delegationsgerichtsbarkeit sowie der personellen Austauschprozesse zwischen Rom und den Regionen. Beide Male erweist sich Sizilien als noch distanzierter von Rom, wobei das Ende des Austausches bereits am Ende des 11. Jahrhunderts festzuzeitigkeit umfangreicher Rechtskodifikationen im 13. Jahrhunderts vgl. auch den knappen Überblick bei Gabriela SIGNIORI: Das 13. Jahrhundert. Einführung in die Geschichte des spätmittelalterlichen Europas, Stuttgart 2007, S. 123–129. 212 KAMP: Episkopat (wie Anm. 25) S. 117f. 213 Die kirchlichen Handlungen der Legaten sind leider noch nicht in gleicher Intensität wie ihre politische Tätigkeit aufgearbeitet.

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machen ist. Auch nach 1198 ändert sich zumindest im Episkopat in dieser Hinsicht nichts. Beachtenswert für die Fragestellung des Netzwerkes nach Instrumenten, die gleichsam in einer Region erprobt und dann auf andere übertragen wurden, ist die Erhebung von Kardinälen zu Bischöfen der unteritalienischen Kirche – bereits ab dem ausgehenden 11. Jahrhundert. Zwar wurde dieses Instrument, mit dessen Hilfe Regionen auch als Interessensräume beschrieben werden können, in Kalabrien und Sizilien nicht eingesetzt, doch kam es in Unteritalien vor allem in einer Zeit zum Einsatz, in der die unteritalienische Kirche für die Päpste offenbar eine große Bedeutung einnahm, was spätestens im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts für Oberitalien galt. So sehr die beiden Regionen sich in ihrem so skizzierten grundsätzlichen Verhalten Rom gegenüber ähneln, so treten doch bei einer Differenzierung der Inhalte deutliche Unterschiede zutage, so bei Papstschutz, Exemtionen, Weihen und Palliumprivilegien. Der Papstschutz fand auf Sizilien praktisch erst seit Alexander III. Anwendung – wobei die geringe Anzahl der Klöster erstaunt, die mit dem Papstschutz bedacht wurden, oder aus der entgegengesetzten Perspektive formuliert: nach diesem nachsuchten. In Kalabrien sind hingegen mehrere Papstschutzverleihungen seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts nachzuweisen. Diese Region stellt sich damit als offen für den Papstschutz dar. Das gilt auch für die Exemtionen, wobei hier ein Nachwirken der griechischen Prägung die Ursache für ein vermehrtes Bemühen um Exemtionen sein könnte. Doch in etlichen Fällen dürfte vor allem die dominante Stellung des Herrschers und dessen besondere Bindung an eine kirchliche Institution für die Exemtion ausschlaggebend gewesen sein, so dass sich Exemtion und Papstschutz in einigen Bereichen als päpstliche Befestigung des von herrscherlicher Seite hergestellten status quo gedeutet werden können214. Unterschiede zwischen den beiden Regionen ergeben sich auch bei den Weihen. Zwar forderte Alexander III. ein weitgehendes Weihevorrecht für den Papst gegenüber den Bischöfen Siziliens ein, doch steht dieses Ansinnen in starkem Kontrast zur Ausformulierung dieses Vorrechtes in den Papsturkunden für sizilische Empfänger, denn in den konkreten Urkunden für sizilische Bischöfe findet sich dieses Weihegebot nicht – im Gegensatz zu den kalabrischen Urkunden. Zudem sind Weiheregelungen für Sizilien bis auf eine Ausnahme allein für Bischöfe zu fassen, während in Kalabrien auch Klöster um eine Weihe des Abtes durch den Papst bemüht waren, im Falle von S. Maria Mattina fertigte man dafür sogar eine Fälschung an. In besonderem Maße kommt der Unterschied zwischen den beiden Regionen bei den Palliumprivilegien zum Ausdruck: Für Kalabrien ist lediglich ein einziges Palliumprivileg überliefert, das 15 Stücken für sizilische Bischöfe gegenübersteht. Der unterschiedliche Befund dürfte durch eine schärfere Konkurrenz der sizilischen Bischöfe untereinander bedingt sein, bei der auch liturgische Vorrechte ein Mittel der Auseinanderset214 Zu ähnlichen Phänomenen im Reich nördlich der Alpen vor der Mitte des 11. Jahrhunderts JOHRENDT: Papsttum (wie Anm. 97) S. 214f. u. 218f.

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zung sein konnten. Nicht zuletzt die beiden Infulprivilegien für das Kloster Monreale und den Abt des Klosters S. Giovanni eremita in Palermo weisen auch in diese Richtung215. Die offene und daher Konkurrenz fördernde Situation auf der Insel Sizilien ist durch die stetig veränderte Kirchenorganisation der Region zu erklären, sowie seit Roger II. die intensivere Bindung der sizilischen Bischöfe an den königlichen Hof, wo sie untereinander in Konkurrenz traten. In dieser Situation war jedwede Absicherung und zeremonielle Demonstration der eigenen Stellung für die Bischöfe und ihre Kirchen geradezu lebensnotwendig. Wie labil die Lage war, musste etwa auch Erzbischof Bartholomäus von Palermo erfahren, den Wilhelm II. – als sich der Erzbischof seinem Plan der Erhebung Monreales zum Erzbistum entgegenstellt – aus dessen Erzbistum verbannte216. Die starke Fixierung der Kirchen Siziliens und Kalabriens auf den König mochte vor allem durch die Erfahrungen des Anakletianischen Schismas noch weiter verstärkt worden sein217. Das führte auch dazu, dass die Konkurrenz Rom die Tür nicht allzu sehr öffnete, um einen maßgeblichen Einfluss auf die Kirche vor allem der Insel Siziliens aber auch Kalabriens zu gewinnen. Dazu mochte auch beigetragen haben, dass der personelle Austausch zwischen den Regionen und der Kurie zumal nach der Wende zum 12. Jahrhundert auf der Ebene der Bischöfe praktisch nicht vorhanden war. Das betrifft nicht nur die Herkunft der Bischöfe, sondern in groben Zügen ebenso deren Besuch der päpstlichen Synoden. Und bis zum Vierten Laterankonzil ist hier besonders von den sizilischen Bischöfen eine reservierte Haltung festzustellen. Denn stellten die unteritalienischen Bischöfe auf dem Dritten Laterankonzil immerhin fast ein Viertel der etwa 300 teilnehmenden Bischöfe, so kamen nur zwei von der Insel Sizilien. Erst 1215 veränderte sich die Situation. 215 IP 10 S. 275 Nr. 2 u. 243 Nr. *1. 216 Vgl. KAMP: Kirche (wie Anm. 10) Bd. 3 S. 1120. Auch dies offenbart den hohen Einfluss des sizilischen Herrschers bis in den Bereich der Kirchenorganisation hinein. Den ottonischen Herrschern war es nicht möglich gewesen, den Widerspruch eines Bischofs gegen ihre Bistumspläne durch dessen Vertreibung aus der Welt zu schaffen, vgl. dazu Ernst-Dieter HEHL: Der widerspenstige Bischof. Bischöfliche Zustimmung und bischöflicher Protest in der ottonischen Reichskirche, in: Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen, hg. v. Gerd ALTHOFF/Ernst SCHUBERT, Sigmaringen 1998 (VuF 46), S. 295–344. 217 KAMP: Episkopat (wie Anm. 25) S. 129: „Die Bischöfe, auch diejenigen offenbar, die sich nur zögernd unter das Joch der neuen Monarchie gebeugt hatten, gewannen in der Zeit Rogers II. einen Erfahrungshorizont, der sie auf Distanz zur römischen Kurie und den dort tonangebenden geistlichen Kräften gehen ließ, wenn ihre staatliche Loyalität angesprochen war.“ Diese Erfahrung spiegelt sich auch bei der Bitte um Urkunden von Seiten der Ortskirchen gegenüber Alexander III. wider, obwohl Wilhelm II. eine der wesentlichen Stützen dieses Papstes war, vgl. dazu Jochen Johrendt: Cum universo clero ac populo eis subiecto, id ipsum eodem modo fecerunt. Die Anerkennung Alexanders III. in Italien aus der Perspektive der Papsturkundenempfänger, in: QFIAB 84 (2004) S. 38–68, hier S. 55f., 62 u. 66f.

Sizilien und Kalabrien – Binnendifferenzierung im Regno?

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Die Erklärung für die mangelnde Attraktivität Roms für die Bischöfe Siziliens und Kalabriens lag in einer effizienten Alternative, welche das normannische Königtum in vielerlei Hinsicht bot. Vor allem durch das gut organisierte Gerichtswesen ist es zu erklären, dass sich nur eine Hand voll Delegationen in diesen Regionen nachweisen lassen, auch nach 1198. Die Appellation an den König war offenbar effektiver, zumal ihm zur Umsetzung des Urteils auch durchschlagskräftigere Mittel zur Verfügung standen218. Dies erklärt wohl auch die mangelnde Überlieferung kanonistischer Sammlungen aus dem unteritalienischen Raum. Ein dialogisches Miteinander von Ortskirchen und Kurie, in dem Rechtsfragen gestellt, beantwortet und auf diese Weise Rechtsauffassungen gemeinsam weiterentwickelt und homogenisiert wurden, fehlte hier. In Kalabrien und Sizilien ergab sich somit eine unterschiedliche Funktion, welche den Päpsten durch die Ortskirchen zugewiesen wurde. Und der Raum, der ihnen dazu blieb, wurde selbst am Ende des 12. Jahrhunderts immer noch maßgeblich durch das Königtum bestimmt. Beide Regionen demonstrieren, dass die Zentralisierung der Kirche keine teleologische Entwicklung war. Zugleich bestand – abgesehen für die Zeit des anakletianischen Schismas – für die Päpste kein Zweifel an der Romtreue des unteritalienischen Episkopates, auch wenn die daraus resultierenden Handlungsmuster nicht auf einen intensiven Austausch zwischen der Kurie und den beiden Regionen hindeuten. Die Folgen der Romorientierung blieben – verglichen mit anderen Regionen Europas – auf einer relativ oberflächlichen Ebene, durchdrangen die Kirche nicht sehr tief. Und sie hinderte die Hirten Siziliens und Kalabriens nicht daran, sich im Falle eines möglichen Konfliktes klar auf die Seite der Normannenherrscher zu stellen – aller Romorientierung zum Trotz219.

218 Vgl. allgemein zur Stellung des Königs als Schutzherr für die unteritalienische Kirche LOUD: Latin Church (wie Anm. 5) S. 286–306. 219 Vgl. KAMP: Episkopat (wie Anm. 25) S. 129.

Das Papsttum und Ostmitteleuropa (Böhmen-Mähren, Polen, Ungarn) vom ausgehenden 10. bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts Mit einer Neuedition von JL 9067

PRZEMYSŁAW NOWAK 1. Die Ausgangslage und Quellen Der Terminus ‚Ostmitteleuropa‘ umschreibt einen Raum, der im frühen Mittelalter im Schnittpunkt ostfränkischer und byzantinischer Einflüsse lag. In diesem Raum erwuchsen neue Herrschaften mit den Dynastien der Přemysliden, Piasten und Árpáden, denen es im Laufe des 10. Jahrhunderts gelang, sich die unumstrittene Anwartschaft auf den Fürstenthron zu sichern. Die Přemysliden regierten in Böhmen und Mähren bis 1306, die Piasten in Polen bis 1370, die Árpáden in Ungarn bis 13011. Der Begriff ‚Hochmittelalter‘ bis zum Ende des 12. Jahrhunderts ist für diese Länder praktisch unbrauchbar, weil wesentliche Unterschiede gegenüber großen Teilen des restlichen lateinischen Europa hinsichtlich der Verfassungs- und Verwaltungspraxis zu beachten sind2.

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Für die Last und Mühe des kritischen Korrekturlesens danke ich Herrn Kollegen Dr. Herwig Weigl (Wien) sehr herzlich. Für wertvolle Hilfe bei der Materialbeschaffung danke ich meinen Kollegen Univ.-Prof. Dr. habil. Stanisław Sroka (Krakau/Kraków), Dr. habil. Dániel Bagi, Dr. Gergely Kiss (beide Fünfkirchen/Pécs), Dr. Rastislav Kožiak (Neusohl/Banská Bystrica), Dr. Pavel Krafl (Brünn/Brno) und vor allem Herrn Archivar Štěpán Kohout, M. A. (Olmütz/Olomouc). Die folgende Studie konnte ich im Rahmen des DAAD-Forschungsstipendiums bei den Monumenta Germaniae Historica in München im Juli/August 2010 zum Abschluss bringen. Nach Abschluss des Manuskriptes im Herbst 2010 konnten die seither erschienenen Bände Bohemia-Moravia Pontificia sowie RI 3/5/2 u. RI 4/4/4/3 nicht mehr eingearbeitet werden. Die stark erweiterte Fassung des zweiten Kapitels mit der Dagome-iudex-Bibliographie von 1960 bis 2012 wird in: StŹródł 51 (2012) erscheinen. Vgl. György GYÖRFFY: Art. Arpaden, in: LexMA 1 (1980) Sp. 1022–1024; Jerzy STRZELCZYK: Art. Piasten, in: LexMA 6 (1993) Sp. 2125f.; Josef ŽEMLIČKA: Art. Přemysliden, in: LexMA 7 (1995) Sp. 186–188. Zur Entwicklung des sog. ‚Zwischeneuropa‘ (Böhmen, Polen, Ungarn, Kiever Rus’) im 10.–12. Jh. jetzt Márta FONT: Im Spannungsfeld der christlichen Großmächte. Mittel- und Osteuropa im 10.–12. Jahrhundert, Herne 2008 (aus dem Ungar. 2005) (Studien zur Geschichte Ost- und Ostmitteleuropas 9), passim. Die frühmittelalterliche

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Daher werde ich in diesem Beitrag die eher geringen Kontakte zwischen dem Papsttum und Böhmen-Mähren, Polen sowie Ungarn vor 1198 miteinander vergleichen. Auch der Pontifikat Innozenz’ III. (1198–1216), der eine neue Phase in den Beziehungen der Kurie zu den drei ostmitteleuropäischen Kernländern eröffnet3, soll in diesem Überblick als Vergleich zu den Ergebnissen zum 12. Jahrhundert herangezogen werden. Zum Königreich Ungarn gehörten zwar auch Kroatien (seit 1102 mit Ungarn vereinigt), Dalmatien (seit 1105) und Bosnien (seit 1137 mehr nominell als faktisch unterworfen), doch muss hier auf die Behandlung dieser katholisch geprägten Regionen Südosteuropas verzichtet werden4.

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Einheit der ost(mittel)europäischen Großregion wurde jedoch meines Erachtens mit der Herrschaft der Goldenen Horde über die Rus’ endgültig zerbrochen. Vgl. u. a. James Ross SWEENEY: Papal-Hungarian Relations During the Pontificate of Innocent III, 1198–1216, Ithaca, NY 1971; DERS.: Innocent III, Hungary and the Bulgarian Coronation: A Study in Medieval Papal Diplomacy, in: Church History 42 (1973) S. 320–334; DERS.: The Problem of Inalienability in Innocent III’s Correspondence with Hungary: A Contribution to the Study of the Historical Genesis of Intellecto, in: Mediaeval Studies 37 (1975) S. 235–251; DERS.: Innocent III and the Esztergom Election Dispute. The Historical Background of the Decretal Bone Memorie II (X. I. 5. 4.), in: AHP 15 (1977) S. 113–137; DERS.: Innocent III, Canon Law, and Papal Judges Delegate in Hungary, in: Popes, Teachers, and Canon Law in the Middle Ages (Fschr. für Brian Tierney), ed. DERS./Stanley CHODOROW, Ithaca/London 1989, S. 26–52; James Ross SWEENEY: Summa Potestas Post Deum – Papal Dilectio and Hungarian Devotio in the reign of Innocent III, in: “The Man of Many Devices, Who Wandered Full Many Ways”. Fschr. in Honor of János M. Bak, ed. Balázs NAGY/Marcell SEBŐK, Budapest 1999, S. 492–498; Katarína ŠTULRAJTEROVÁ: Inocent III. a Uhorsko so špeciálnym zreteľom na Slovensko, in: Studia Archaeologica Slovaca Mediaevalia 3–4 (2000–2001) S. 171–185; Urszula BORKOWSKA: Innocent III and the Countries of the “New Christianity” – Poland and Hungary, in: Innocenzo III – Urbs et Orbis. Atti del Congresso Internazionale Roma, 9–15 settembre 1998, hg. v. Andrea SOMMERLECHNER, 2 Bde., Roma 2003 (Nuovi Studi Storici 55/1–2; Miscellanea della Società romana di storia patria 44/1–2), Bd. 2 S. 1169–1191; Franco-Lucio SCHIAVETTO: Innocenzo III e l’Ungheria, in: ebd. S. 1192–1199; Wojciech IWAŃCZAK: Innocent III and Bohemia, in: ebd. S. 1200–1212; Werner MALECZEK: Der Mittelpunkt Europas im frühen 13. Jahrhundert. Chronisten, Fürsten und Bischöfe an der Kurie zur Zeit Papst Innocenz’ III., in: RHMitt 49 (2007) S. 89–157, hier S. 132f., 155f. Zu den Beziehungen zwischen dem Papsttum und Dalmatien, Kroatien und Bosnien im hohen Mittelalter vgl. zuletzt Lothar WALDMÜLLER: Die Synoden in Dalmatien, Kroatien und Ungarn von der Völkerwanderung bis zum Ende der Arpaden (1311), Paderborn u. a. 1987 (Konziliengeschichte, Reihe A: Darstellungen [4]), S. 51–102, 145–153 u. 158–163; Franjo ŠANJEK: La Réforme Grégorienne en Croatie sous le règne de Démétrius Zvonimir (1075–1089), in: La Riforma Gregoriana e l’Europa. Congresso Internazionale Salerno, 20–25 maggio 1985, 2 Bde., Roma 1989–1991 (StGreg 13, 14), Bd. 2: Comunicazioni, S. 245–251; Vladimir KOŠĆAK: Gregorio VII e la Croazia. Presupposti politico-sociali, in: ebd. S. 253–264; Márta KONDOR: Centralization and the Importance of Legatine Activity under the Pontificate of Alexander III (1159–1181). Case Study on the Archbishopric of Spalato, in: Specimina Nova,

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Die Beziehungen von Böhmen-Mähren, Polen und Ungarn zum Papsttum bis zum Regierungsantritt Innozenz’ III. (1198) finden vor allem in den päpstlichen Privilegien und Briefen (Littterae cum serico beziehungsweise Litterae cum filo canapis) sowie einigen Dekretalen und Legatenurkunden ihren Niederschlag. Schon Paul Fridolin Kehr hat in seinem großen Rechenschaftsbericht auf dem VII. Internationalen Historikerkongress in Warschau »Über die Sammlung und Herausgabe der älteren Papsturkunden bis Innocenz III. (1198)« bemerkt: „Was endlich die übrigen europäischen Länder, die nordischen und östlichen, anlangt, so ist deren Anteil an unserem Urkundenwerk gering, da sie erst spät in näheren Zusammenhang mit Rom getreten sind. Polen hat zwar, wie die berühmte Schenkungsnotiz Miesekos im Cencius lehrt, schon in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts Verbindung mit Rom gesucht; aber seine älteste Papsturkunde ist, da jene Benedikts IX. für Krakau eine Fälschung ist, erst die Bulle Innocenz’ II. für das Erzbistum Gnesen vom Jahre 1136. Aus dem 12. Jahrhundert ist kaum mehr als ein Dutzend auf uns gekommen. Ungarn kann sich einer größeren Zahl, und auch älterer, berühmen, und das gleiche gilt für Kroatien und Dalmatien.“5 Bis heute bleiben die peripheren Gebiete der okzidentalen lateinischen Christenheit dringende Desiderate des Göttinger Papsturkundenwerks beziehungsweise der 1931 institutionalisierten Pius-Stiftung6. Glücklicherweise ist das diplomatische Material für

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Pars 1, Sectio Mediaevalis 3 (2005) S. 61–81; DIES.: Uppsala and Spalato: Parallels and Differences between Two Archbishoprics on the Rims of Western Christendom in the Time of Pope Alexander III (1159–1181), in: ebd. 4 (2007) S. 15–34; Ana MARINKOVIĆ: Celestine III and Dalmatia, in: Pope Celestine III (1191–1198). Diplomat and Pastor, ed. John DORAN/Damian Joseph SMITH, Farnham/Burlington 2008 (Church, Faith and Culture in the Medieval West), S. 179–188 (mit Karte); SWEENEY: Papal-Hungarian Relations (wie Anm. 3) Kap. III.2 S. 71–87 (zum Überfall der Kreuzfahrer auf Zadar/Zara), Kap. IV.1 S. 104–134 (zur Frage der bosnischen Häretiker) u. Kap. VI.4 S. 265–276 (zu den Bischofswahlen in Zadar/Zara und Split); Othmar HAGENEDER: Innocenz III. und die Eroberung Zadars (1202). Eine Neuinterpretation des Br. V 160 (161), in: MIÖG 100 (1992) S. 197–213; Franjo ŠANJEK: Le pape Innocent III et les “chrétiens” de Bosnie et de Hum, in: SOMMERLECHNER: Innocenzo III (wie Anm. 3) Bd. 2 S. 1213–1225. Paul KEHR: Über die Sammlung und Herausgabe der älteren Papsturkunden bis Innocenz III. (1198), Berlin 1934 (SPA, phil.-hist. Kl., Jg. 1934 H. 10), S. 71–92, Zitat S. 80 (ND in: DERS.: Ausgewählte Schriften, hg. v. Rudolf HIESTAND, 2 Bde., Göttingen 2005 [AAG, phil.-hist. Kl., 3. Folge 250], Bd. 1 S. 40–61, Zitat S. 49). Vgl. zuletzt Rudolf HIESTAND: Die Göttinger Akademie als Trägerin eines internationalen Forschungsunternehmens: Das Papsturkundenwerk, in: Die Wissenschaften in der Akademie. Vorträge beim Jubiläumskolloquium der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen im Juni 2000, hg. v. Rudolf SMEND/Hans-Heinrich VOIGT, Göttingen 2002 (AAG, phil.-hist. Kl., 3. Folge 247, math.-phys. Kl., 3. Folge 51), S. 321–341; DERS.: 100 Jahre Papsturkundenwerk, in: Hundert Jahre Papsturkundenforschung. Bilanz – Methoden – Perspektiven. Akten eines Kolloquiums zum hundertjährigen Bestehen der Regesta Pontificum Romanorum vom 9.–11. Oktober 1996 in Göttingen, hg. v. DEMS., Göttingen 2003 (AAG, phil.-hist. Kl., 3. Folge 261), S. 11–44; Klaus

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Böhmen-Mähren fast vollständig7 und für Ungarn teilweise8 in modernen Ausgaben sowie in zwei Regestenwerken für Polen erfasst9. Im Rahmen des Projektes «Regesta decretalium saeculi XII» sind die päpstlichen Dekretalen für Ungarn bereits kritisch ediert und kommentiert worden10. Dem ist jetzt hinzu zu fügen, dass der Empfänger der für Palliumsfragen wichtigen Dekretale Significasti frater karissime Paschalis’ II. (X 1.6.4) nicht mehr in Polen, das heißt Gnesen/Gniezno, zu lokalisieren ist, sondern eindeutig als ein Erzbischof im Königreich Ungarn (eher Gran/Esztergom als Split oder Kalocsa) erkannt

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HERBERS/Markus SCHÜTZ: Bis in den hintersten Winkel. Das römische Zentrum und die europäischen Peripherien – das Göttinger Papsturkundenwerk, in: Erlanger Editionen. Grundlagenforschung durch Quelleneditionen: Berichte und Studien, hg. v. Helmut NEUHAUS, Erlangen/Jena 2009 (Erlanger Studien zur Geschichte 8), S. 241– 254 (mit 6 Abb.). Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae, ed. Gustav FRIEDRICH, Bd. 1 (805– 1197) u. Bd. 2 (1198–1230), Prag 1904–1907, 1912 (künftig zitiert: CDBohem). Ergänzungen bei Jan BISTŘICKÝ: Studien zum Urkunden-, Brief- und Handschriftenwesen des Bischofs Heinrich Zdík von Olmütz, in: ADipl 26 (1980) S. 135–258, hier S. 229–257 (Beilagen Nr. 1–28). Bis zum Regierungsantritt Honorius’ III. (1216) sind noch vier moderne Fälschungen Antonín Bočeks (JL 8692, 8765, 8766 u. 9110) sowie Potthast 2054 u. 2760 zu nennen. Ausserdem werden noch drei Schreiben Eugens III. JL 8976, 9147 u. 9325 von Michał MENDYS: Podejrzane listy Eugeniusza III w sprawach Władysława II, in: KH 38 (1924) S. 68–84 als weitere Fälschungen Bočeks betrachtet, jedoch von BISTŘICKÝ: Studien S. 248 Nr. 21 (JL 8976), S. 250 Nr. 23 (JL 9147) u. S. 252f. Nr. 26 (JL 9325; bei BISTŘICKÝ irrtümlich JL 9334) als echt gedruckt. Zu JL 9147 siehe auch unten Anm. 114. Diplomata Hungariae antiquissima, ed. György GYÖRFFY, Bd. 1 (1000–1131), Budapest 1992 (künftig zitiert: DHung). Zofia KOZŁOWSKA-BUDKOWA: Repertorium polskich dokumentów doby piastowskiej, H. 1: bis zum Ende des 12. Jh., Kraków 1937 (Wiederabdr. – mit einem Vorwort von Bożena WYROZUMSKA – Kraków 2006 [Klasyczne Dzieła Polskiej Historiografii 3]) (künftig zitiert: Repertorium und Nr.); Bullarium Poloniae, hg. v. Irena SUŁKOWSKA-KURAŚ/Stanisław KURAŚ, Bd. 1 (1000–1342), Roma 1982 (künftig zitiert: Bullarium Poloniae mit Bd. und Nr.). Dazu ist noch ein Deperditum Lucius’ III. für Zisterzienserkloster Kolbatz/Kołbacz zu ergänzen, vgl. RI 4/4/4/2 Nr. 2318 (zu 1181–1185). Vgl. Walther HOLTZMANN: Über eine Ausgabe der päpstlichen Dekretalen des 12. Jahrhunderts, in: NAG, phil.-hist. Kl. 1945/1948), S. 15–36; DERS.: Jb. XII. századi pápai levelek kánoni gyűjteményekből, in: Századok 93 (1959) S. 404–417; Decretales ineditae saeculi XII from the papers of the late Walther HOLTZMANN ed. and rev. Stanley CHODOROW/Charles DUGGAN, Città del Vaticano 1982 (MIC B 4) Nr. 91 S. 160–163 u. Nr. 96 S. 169–171; Charles DUGGAN: Decretal Letters to Hungary, in: Folia Theologica 3 (1992) S. 5–31 (ND in: DERS.: Decretals and the Creation of ‘New Law’ in the Twelfth Century: Judges, Judgements, Equity and Law, Aldershot u. a. 1998 [Variorum Collected Studies Series 607], Nr. V, mit einem Druckfehlerverzeichnis). Vgl. auch die „Walther-Holtzmann-Kartei“ (künftig zitiert: WH zusätzlich mit KI-Nummer) im Internet unter . Für die genauen Angaben siehe unten Anm. 82.

Das Papsttum und Ostmitteleuropa

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wurde11. Die Nachrichten aus den (vornehmlich) historiographischen Quellen sind im Rahmen der Papstregesten der Regesta Imperii für die Zeit 911– 102412 und 1024–104613 vollständig zusammengestellt. Weiters ist auch der Pontifikat Lucius’ III. (1181–1185) in dieser Reihe bearbeitet, wobei sich die Regesten hier auf Urkundenregesten beschränken14. Die Quellenarmut vor 1198 kontrastiert mit dem reichen Material aus den Kanzleiregistern (Reg. Vat. 4, 5, 7, 7A und 8) beziehungsweise dem sogenannten Thronstreitregister (Reg. Vat. 6) Innozenz’ III.15

11 JL 6570 für Split, WH 952 (KI 1072), Repertorium (wie Anm. 9) Nr. 22 für Split oder Gran, Bullarium Poloniae (wie Anm. 9) Bd. 1 Nr. 8 für Polen, GP 5/2 S. 495 Nr. 41b für Polen, ed. Martin BRETT: Some New Letters of Popes Urban II and Paschal II, in: JEcH 58 (2007) S. 75–96, hier S. 89–94 Nr. 7 für Gran. Vgl. dazu jüngst Grzegorz RYŚ: O tzw. Liście Paschalisa II raz jeszcze, in: Lex tua in corde meo. Studia i materiały dedykowane Jego Magnificencji Bp. Tadeuszowi Pieronkowi z okazji 40– lecia pracy naukowej, hg. v. Piotr MAJER/Andrzej WÓJCIK, Kraków 2004 (Papieska Akademia Teologiczna w Krakowie, Wydział Teologiczny, Studia 9), S. 465–472; Krzysztof SKWIERCZYŃSKI: Paschal II, Poland and the myths of Polish historiography, in: 1106. Il Concilio di Guastalla e il mondo di Pasquale II. Atti del Convegno per il IX Centenario del Concilio di Pieve di Guastalla, 26 maggio 2006, hg. v. Glauco Maria CANTARELLA/Daniela ROMAGNOLI, Alessandria 2006 (ersch. 2007), S. 35–44, hier S. 40–43; Przemysław NOWAK: Die polnische Kirchenprovinz Gnesen und die Kurie im 12. Jahrhundert, in: Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie. Das universale Papsttum als Bezugspunkt der Kirchen von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III., hg. v. Jochen JOHRENDT/Harald MÜLLER, Berlin/New York 2008 (AAG, phil.-hist. Kl. NF 2; Studien zu Papstgeschichte und Papsturkunden [1]), S. 191–206, hier S. 194 mit Anm. 16 (mit weiterer Literatur). 12 RI 22/5. 13 RI 3/5/1. 14 RI 4/4/4/1 u. 2. 15 Friedrich KEMPF: Die Register Innocenz III. Eine paläographisch-diplomatische Untersuchung, Roma 1945 (Miscellanea Historiae Pontificiae 9) und: Regestum Innocentii III papae super negotio Romani imperii, hg. v. DEMS., Roma 1947 (Miscellanea Historiae Pontificiae 12). Unter der Leitung von Othmar Hageneder erfolgt in Kooperation des Österreichischen Historischen Instituts in Rom und des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung in Wien eine laufende Auswertung der Kanzleiregister Innozenz’ III. sowohl in formal-diplomatischer als auch in allgemein inhaltlicher Hinsicht, wobei die eigentliche Editionsarbeit von einer Reihe wissenschaftlicher Teiluntersuchungen ergänzt wird, vgl. Othmar HAGENEDER: Die Register Innozenz’ III., in: Papst Innozenz III. – Weichensteller der Geschichte Europas. Interdisziplinäre Ringvorlesung an der Universität Passau, 5.11.1997 – 26.5.1998, hg. v. Thomas FRENZ, Stuttgart 2000, S. 91–101; Werner MALECZEK, L’Édition autrichienne des registres d’Innocent III, in: MEFRM 112 (2000) S. 259–272; Othmar HAGENEDER/Andrea SOMMERLECHNER, Die Edition der Kanzleiregister Papst Innocenz’ III. – Eine Bestandsaufnahme, in: MIÖG 115 (2007) S. 112–120.

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2. Das sogenannte «Dagome-iudex-Regest» in der Kanonessammlung des Kardinals Deusdedit Im polnischen Bereich markiert die Regierung des ersten historisch bezeugten Herrschers, Mieszko I. (um 960–992), den Übergang des Landes zum Christentum im Jahr 96616. Die älteste Urkunde über Kontakte Mieszkos I. zum Papsttum ist als Exzerpt in der Kanonessammlung des Deusdedit von 1081– 1086/87 überliefert17. Das sogenannte «Dagome-iudex-Regest» steht innerhalb

16 Henryk ŁOWMIAŃSKI: Baptism and the Early Church Organisation, in: The Christian Community of Medieval Poland, ed. Jerzy KŁOCZOWSKI, Wrocław 1981 (Polish Historical Library 2), S. 27–56 (mit weiterer Literatur). 17 Deusdedit, Liber Canonum, III 199 (149), neu hg. v. Victor WOLF VON GLANVELL: Die Kanonessammlung des Kardinals Deusdedit, Paderborn 1905 (ND Aalen 1967), S. 359; der maßgebliche Druck ist Schlesisches Urkundenbuch, hg. v. Heinrich APPELT, Bd. 1, Wien u. a. 1963–1971, Nr. 2 S. 2f., Text S. 3: Item in alio tomo sub Iohanne XV. papa Dagome iudex et Ote senatrix et filii eorum Misica et Lambertus leguntur beato Petro contulisse unam civitatem in integro, quae vocatur Schinesghe, cum omnibus suis pertinentiis infra hos affines, sicuti incipit a primo latere longum mare, fine Pruzze usque in locum, qui dicitur Russe et fine Russe extendente usque in Craccoa et ab ipsa Craccoa usque ad flumen Oddere recte in locum, qui dicitur Alemure, et ab ipsa Alemura usque in terram Milze, et a fine Milze recte intra Oddere, et exinde ducente iuxta flumen Oddera usque in predictam civitatem Schinesghe. Vgl. dazu die Überblicke zum Stand der Forschung und Literatur bei Repertorium (wie Anm. 9) Nr. 2 (bis 1936); Brygida KÜRBISÓWNA: Dagome iudex – studium krytyczne, in: Początki państwa polskiego. Księga Tysiąclecia, hg. v. Kazimierz TYMIENIECKI, 2 Bde., Poznań 1962 (ND in einem Bd. und mit einem Vorwort von Gerard LABUDA, Poznań 2002 [Poznańskie Towarzystwo Przyjaciół Nauk, Wznowienia 10]), Bd. 1 S. 363–424, bes. S. 397–406 u. S. 419–423 (Dagome-iudex-Bibliographie von 1936 bis 1960) und als Wiederabdr. ohne französische Zusammenfassung in: Brygida KÜRBIS: Na progach historii, 2 Bde., Poznań 1994–2001, Bd. 2: O świadectwach do dziejów kultury Polski średniowiecznej, S. 9–87, bes. S. 52–65 u. S. 81–87; Gerard LABUDA: Stan dyskusji nad dokumentem Dagome iudex i państwem Schinesghe, in: Civitas Schinesghe cum pertinentiis, hg. v. Wojciech CHUDZIAK, Toruń 2003, S. 9–17 (lückenhaft). Vgl. ferner Brygida KÜRBISÓWNA: Art. Dagome iudex, in: SłowStarSłow 1 (1961–1962) S. 311f.; DIES.: Art. Dagome iudex, in: Repfont 4 (1976) S. 99f.; Gerard LABUDA: Art. Dagome-iudex-Dokument, in: LexMA 3 (1986) Sp. 430f.; Christian LÜBKE: Regesten zur Geschichte der Slaven an Elbe und Oder (vom Jahr 900 an), 5 Teile, Berlin 1984–1988 (Osteuropastudien der Hochschulen des Landes Hessen, R. 1: Giessener Abh. zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens 131, 133, 134, 152, 157), hier T. 3 (1986) Nr. 255a S. 65f. (zu 990–992 Mai 25); RI 22/5 Nr. 703 (zu 992 vor Mai); Wincenty SWOBODA: Art. Dagome iudex, in: Wczesna Słowiańszczyzna. Przewodnik po dziejach i literaturze przedmiotu, hg. v. Andrzej WĘDZKI, 2 Bde., Warszawa 2008 (ersch. 2009), Bd. 1 S. 122. Zur Deutung der umstrittenen geographischen Bezeichnung ‚Alemure‘ als ‚Alemane‘, d. h. Deutschland vgl. Andrzej WĘDZKI: Południowo-zachodni zasięg państwa Mieszka I w świetle dokumentu Dagome iudex (Problem identyfikacji Alemure), in: SlAnt 29 (1983) S. 111– 118; DERS.: Art. Alemure*, in: SłowStarSłow 7 (1982) S. 352f.

Das Papsttum und Ostmitteleuropa

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einer Gruppe von Exzerpten aus den römischen Chartae18, die Deusdedit aus den Beständen der Lateranbibliothek und des päpstlichen Archivs am Palatin (cartularium iuxta Palladium)19 eingetragen hat20. Die tabellarische Übersicht der

18 Der bisherige Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zur Charta bei Herbert ZIELINSKI: Art. Charta, in: LexMA 2 (1983) Sp. 1737–1740. Zu den römischen Chartae im frühen Mittelalter vgl. Ecclesiae S. Mariae in Via Lata tabularium, hg. v. Ludo Moritz HARTMANN/Margarete MERORES, 3 Teile, Wien 1895–1913 (mit 44 Tafeln), hier T. 1 S. XXIV–XXXII (De formulis) u. T. 2 (1901) S. XV–XIX (De formulis); Paul Fridolin KEHR: Ueber eine römische Papyrusurkunde im Staatsarchiv zu Marburg, Berlin 1896 (AGG, phil.-hist. Kl. NF 1/1) (mit 2 Tafeln) (ND in: DERS.: Ausgewählte Schriften [wie Anm. 5] Bd. 1 S. 173–198); Mauro LENZI: Tradizione documentaria dei chierici, silenzio dei laici e certezza della storia. Il caso delle tipologie contrattuali nei documenti privati altomedievali rogati nel territorio romano, in: Storiografia 2 (Il potere dei ricordi. Studi sulla tradizione come problema di storia, a cura di Massimo MASTROGREGORI) (1998) S. 193–208; DERS.: Alcune considerazioni sulla forma dei documenti altomedievali di area romana, in: Scritti per Isa. Raccolta di studi offerti a Isa Lori Sanfilippo, a cura di Antonella MAZZON, Roma 2008 (Nuovi Studi Storici 76), S. 549–575; Paolo RADICIOTTI: Copie da papiro nel medioevo romano (con un documento di S. Maria in Trastevere), in: Scripta 2 (2009) S. 159–168 (mit einer Abb.); Cristina CARBONETTI VENDITTELLI: Sicut inveni in thomo carticineo iam ex magna parte vetustate consumpto exemplavi et scripsi atque a tenebris ad lucem perduxi. Condizionamenti materiali e trasmissione documentaria a Roma nell’alto medioevo, in: οὐ πᾶν ἐφήμερον. Scritti in memoria di Roberto Pretagostini. Offerti da Colleghi, Dottori e Dottorandi di ricerca della Facoltà di Lettere e Filosofia, a cura di Cecilia BRAIDOTTI/Emanuele DETTORI/Eugenio LANZILLOTTA, 2 Bde., Roma 2009 (Università degli Studi di Roma «Tor Vergata», Dipartimento di Antichità e Tradizione Classica), Bd. 1 S. 47–69. Zu den römischen Urkundenschreibern im frühen Mittelalter grundlegend Cristina CARBONETTI: Tabellioni e scriniari a Roma tra IX e XI secolo, in: ASRSP 102 (1979) S. 77–156; Cristina CARBONETTI VENDITTELLI: Gli scriptores chartarum a Roma nell’altomedioevo, in: Notariado público y documento privado: de los orígenes al siglo XIV. Actas del VII Congreso Internacional de Diplomática, València, 1986, ed. José TRENCHS ODENA, 2 Bde., València 1989 (Papers i Documents 7), Bd. 2 S. 1109– 1137. Zu den weitgehenden sprachlich-formalen Identität von Papst- und römischer Privaturkunde vgl. Hans-Henning KORTÜM: Zur päpstlichen Urkundensprache im frühen Mittelalter. Die päpstlichen Privilegien 896–1046, Sigmaringen 1995 (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 17), S. 435–439 (Exkurs II: Gemeinsamkeiten zwischen Papsturkunden und Privaturkunden von italienischen Empfänger). 19 Zur Lokalisierung des Chartularium unmittelbar südlich des Titusbogens und nördlich der Vigna Barberini (Palladium) vgl. zuletzt Andrea AUGENTI: Il Palatino nell’alto Medioevo, in: La storia dell’Alto Medioevo italiano (VI–X secolo) alla luce dell’archeologia. Convegno Internazionale (Siena, 2–6 dicembre 1992), a cura di Riccardo FRANCOVICH/Ghislaine NOYÉ, Firenze 1994 (Biblioteca di Archeologia Medievale 11), S. 659–691, hier S. 682–684 u. S. 673 Karte (Abb. 8 Nr. 9). Zur Regio Pallarie bzw. Palladie vgl. auch Étienne HUBERT: «In regione Pallarie» contribution à l’histoire du Palatin au Moyen Âge, in: La Vigna Barberini, Bd. 1: Histoire d’un site. Étude des sources et de la topographie, Roma 1997 (Roma antica 3), S. 89–140.

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Przemysław Nowak

Quellen zeigt den Kontext der Eintragung des sogenannten «Dagome-iudexRegests»: Kapitel III 191

Datierung (705–707) bzw. (731–741)21

III 191 III 192

(855–858?)

III 193

(855–858?)

III 194

(984–985)

III 195 III 196

(1032–1045)

III 197 III 198 III 199 III 200 III 201 III 201

(1049–1054) (1049–1054?) (990–992 Mai 25)

III 202

(847–855) bzw. (1049–1054)22 (1061–1073) 1049 Nov. 18

III 203 III 204

(1073–1085) (um 1070?)

Quelle Johannes VII. bzw. Gregor III., IP 3 S. 294 Nr. *1 u. S. 444 Nr. *1 Notizen, IP 3 S. 263, 367, 373, 443, 457, 485 Benedikt (III.?), IP 3 S. 262 Nr. *2, S. 276 Nr. *1 u. S. 485 Nr. *1, RI 22/5 Nr. 1080 (zu 1012–1024) Benedikt (III.?), IP 3 S. 255 Nr. *2 u. S. 262 Nr. *1, RI 22/5 Nr. 508 (zu 973–974) Bonifaz VII., JL *3825, IP 2 S. 29 Nr. *1 = S. 13 Nr. *19, RI 2 2/5 Nr. 636 Notiz, IP 3 S. 165 Benedikt IX., IP 4 S. 174 Nr. *6, S. 182 Nr. *2 u. S. 221 Nr. *3 (zu 1033–46), RI 3/5/1 Nr. 159 Leo IX., JL *4314, IP 4 S. 174 Nr. *7 = S. 198 Nr. *2 (Leo IX.?), IP 4 S. 174 Nr. *8 «Dagome-iudex-Regest», RI 22/5 Nr. 703 (zu 992 vor Mai) Notiz, IP 4 S. 78f. Gregor VII., JL *5284, IP 4 S. 34 Nr. *3 Guido (Wigo I. [IV. bzw. VI.] der Alte?) und seine Gemahlin Adelheid Leo IV. bzw. Leo IX., IP 6/2 S. 37 Nr. *1 (zu 847–55), RI 1/4/2/1 Nr. 92 (zu 847–855) Alexander II., JL 4726, IP 4 S. 272 Nr. 1 Leo IX., JL 4201, GP 2/2 S. 283 Nr. 1

20 Deusdedit, Liber Canonum, III 191 (149), neu hg. v. WOLF VON GLANVELL (wie Anm. 17) S. 353: Hęc itaque, quę secuntur, sumpta sunt ex tomis Lateranensis bybliothecę. Et quoniam quedam propria nomina patrimoniorum in eisdem thomis alia ex toto alia ex parte nimia uetustate consumpta sunt: in loco proprii nominis, quod uel ex toto uel ex parte nullatenus legi potuit, appositum est theta, de qua poeta dicit: O multum ante alias infelix littera theta. Zur Bedeutung von ‚tomus‘ in der Aufstellung bei Deusdedit vgl. Rudolf SCHIEFFER: Tomus Gregorii papae. Bemerkungen zur Diskussion um das Register Gregors VII., in: ADipl 17 (1971) S. 169–184; CARBONETTI VENDITTELLI: Sicut inveni in thomo carticineo (wie Anm. 18) S. 58–61 (ohne Kenntnis von Schieffer). 21 Zur Neudatierung III c. 191, 192 u. 193 vgl. Wilhelm KURZE: Notizen zu den Päpsten Johannes VII., Gregor III. und Benedikt III. in der Kanonessammlung des Kardinals Deusdedit, in: QFIAB 70 (1990) S. 23–45. 22 RI 1/4/2/1 Nr. 92 Kommentar: „Der Text könnte auch Leo IX. zugeschrieben werden, denn einige Deusdedit-Handschriften schreiben IX., manche dagegen IIII., und auch die Handschriften des Liber Censuum wechseln. Eine genauere Eingrenzung der Datierung ist nicht möglich.“

Das Papsttum und Ostmitteleuropa Kapitel III 205

Datierung (998 Apr. 22)

III 206 III 207 III 207

(946–955) (955–964) (996–999)

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Quelle Gregor V., JL *3880, JL *3881, GP 2/1 S. 152 Nr. 12, RI 2 2/5 Nr. 825 Agapit II., JL *3666, IP 4 S. 33 Nr. *1, RI 22/5 Nr. 191 Johannes XII., JL *3699, IP 4 S. 34 Nr. *2, RI 22/5 Nr. 255 Gregor V., IP 2 S. 10 Nr. *4, RI 22/5 Nr. 744

Diese und andere Verpachtungen der päpstlichen Patrimonien, die Deusdedit im dritten Buch seiner Sammlung unter dem Titel De rebus ęcclesię zusammenstellt, entsprechen zwei Vertragstypen, nämlich der Emphyteuse, die meistens auf drei Generationen abgeschloßen war, und der Libellarpacht, die in Rom auf höchstens 29 Jahre beschränkt war23. Das sogenannte «Dagome-iudexRegest» ist allerdings keine Pachturkunde, denn es handelt sich dabei um die Schenkung Mieszkos I. (Dagome iudex) und seiner Frau Oda (Ote senatrix) gemeinsam mit ihren Söhnen Mieszko und Lambert, in welcher der gesamte Gnesener Besitzkomplex in genau beschriebenen Grenzen der römischen Kirche übereignet wird (civitas Schinesghe cum omnibus suis pertinentiis infra hos affines). Zu diesem Exzerpt lässt sich weiter feststellen, dass es in die Form einer römischen Schenkungsurkunde gekleidet ist24. Nähere Angaben über die Ursache dieser Besitzübertragung an die römische Kirche während des Pontifikats Johannes’ XV. (985–996) enthält das Exzerpt nicht. Als ihr Ziel lässt sich meines Erachtens die Arrondierung der Territorien für die minderjährigen Söhne Mieszkos I. aus der Ehe mit Oda, Tochter des Markgrafen Dietrich von der sächsischen Nordmark, gegen die Ansprüche Bolesław Chrobrys (des Tapferen), des ältesten Sohnes des Herzogs Mieszko I. aus der Ehe mit Dobrawa, Tochter des Herzogs Boleslav I. von Böhmen, annehmen25. In der Tat ist Oda 23 Vgl. Federico MARAZZI: I “Patrimonia Sanctae Romanae Ecclesiae” nel Lazio (secoli IV–X). Struttura amministrativa e prassi gestionali, Roma 1998 (Nuovi Studi Storici 37), S. 206–235; Mauro LENZI: Forme e funzioni dei trasferimenti dei beni della Chiesa in area romana, in: MEFRM 111 (Les transferts patrimoniaux en Europe occidentale, VIIIe–Xe siècle (I). Actes de la table ronde de Rome, 6, 7 et 8 mai 1999, éd. Régine LE JAN) (1999), S. 771–859, bes. S. 788–802. 24 Vgl. Schlesisches UB (wie Anm. 17) Bd. 1 Nr. 2 S. 2 Vorbemerkung: „Dem Stil nach dürfte diese älteste Urkunde eines polnisches Herrschers von einem römischen Notar verfaßt sein; dafür sprechen die Titel iudex und senatrix, der Ausdruck in integro und die Art, wie die Grenzbeschreibung aufgebaut ist ... Am wahrscheinlichsten ist es, daß die Gesandten den Auftrag hatten, die feierliche Übereignung des Reiches Mieszkos an den heiligen Petrus in Rom in rechtsgültiger Form zu vollziehen und daß man seitens der römischen Kirche die Forderung stellte, der Rechtsakt müsse durch eine Urkunde bekräftigt werden. Diese wurde vielleicht, berühmten Vorbildern folgend, am Grabe des heiligen Petrus niedergelegt. Bei einer derartigen Entstehungsgeschichte des Dokuments sind allerdings Entstellungen der mündlich angegebenen slawischen Namen durch den römischen Schreiber von vornherein in Rechnung zu stellen.“ 25 Vgl. dazu das treffende Zitat von Karl JORDAN: Das Eindringen des Lehnwesens in das Rechtsleben der römischen Kurie, in: AUF 12 (1931) S. 13–110, hier S. 67 (Wieder-

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mit den minderjährigen Söhnen bald nach dem Tod Mieszkos I. (25. Mai 992) durch Bolesław Chrobry aus dem Land vertrieben worden26. Aus der Regierungszeit Bolesław Chrobrys (992–1025) besitzen wir zwei Erwähnungen eines Zinses, die sich wahrscheinlich mit dem sogenannte «Dagome-iudex-Regest» verbinden lassen27. Außer diesen Erwähnungen sind keine weiteren Nachrichten über die polnischen Zinszahlungen an den heiligen Stuhl aus dem 11.–12. Jahrhundert bekannt.

abdr. als selbständiger Schrift mit einem Nachtrag von 1971, Darmstadt 1971 [Libelli 325], S. 55): „Keineswegs war es ein Lehnsverhältnis, wohl nur Schutzverhältnis, wie es zwischen der Kurie und geistlichen Anstalten im 10. Jahrhundert immer häufiger wurde und auch weltlichen Personen gegenüber zwar seltener, aber doch wiederholt vorkam.”; vgl. auch die Beispiele des päpstlichen Bannschutzes für adeligen Witwen und Waisen bei Johannes FRIED: Formen päpstlichen Schutzes für Laienfürsten (9. bis 13. Jahrhundert), in: Proceedings 5. IntKongrMK, Salamanca, 21–25 September 1976, ed. Stephan KUTTNER/Kenneth PENNINGTON, Città del Vaticano 1980 (MIC C 6), S. 345–359, hier S. 348 Anm. 12; DERS.: Der päpstliche Schutz für Laienfürsten. Die politische Geschichte des päpstlichen Schutzprivilegs für Laien (11.–13. Jh.), Heidelberg 1980 (AAH, phil.-hist. Kl., Jg. 1980, Abh. 1), S. 44 Anm. 30 u. S. 56–58. Die Auseinandersetzung mit den anderen Positionen in der Forschung bei Gerard LABUDA: Prawne i polityczne aspekty dokumentu Dagome iudex, in: Studia nad początkami państwa polskiego, 2 Bde., Poznań 1987–1988 (Uniwersytet im. Adama Mickiewicza, Historia 139, 140), Bd. 2 S. 240–263. Zu den genealogischen Angaben grundlegend Kazimierz JASIŃSKI: Rodowód pierwszych Piastów, Warszawa/Wrocław o.J. [1992] (ND – mit einem Nachwort von Tomasz JUREK – Poznań 2004 [Poznańskie Towarzystwo Przyjaciół Nauk, Wznowienia 19]), S. 54–70 (Mieszko I., Dobrawa und Oda), 80–94 (Bolesław Chrobry), 100f. (Mieszko) u. 104f. (Lambert). 26 Thietmar von Merseburg, Chronicon IV 58, ed. Robert HOLTZMANN, Berlin 1935 (ND München 1996) (MGH SRG NS 9), S. 196 Z. 35f. u. S. 198 Z. 1–5: Sed anno dominicae incarnationis DCCCCXCIIo, regni autem tercii Ottonis Xo et VIII. Kal. Iunii prefatus dux [Miseco] iam senex et febricitans ab exilio hoc ad patriam transit, relinquens regnum suimet plurimis dividendum, quod postea filius eiusdem Bolizlavus, noverca et fratribus expulsa excecatisque familiaribus suis Odilieno atque Pribuvoio, vulpina calliditate contraxit in unum. Vgl. dazu LÜBKE: Regesten (wie Anm. 17) T. 3 Nr. 270 S. 90f. (zu 992 nach Mai 25). 27 Zum ersten Mal bezeichnet Brun von Querfurt im berühmten Brief an den römischdeutschen König Heinrich II. den Polenherzog als tributarius S. Petri, ed. DHung (wie Anm. 8) Bd. 1 Nr. 7 S. 44–48 (zu 1009 Anfang), die Erwähnung S. 47 Z. 19f. Danach berichtet Thietmar von Merseburg, Bolesław Chrobry habe sich durch den Überbringer eines Briefes beim Papst beklagt, dass er wegen dauernder Feindseligkeiten Heinrichs II. den dem Apostelfürsten versprochenen Zins nicht entrichten könne, vgl. Thietmar von Merseburg, Chronicon VI 92, ed. HOLTZMANN (wie oben) S. 384 Z. 16–19; vgl. dazu Repertorium (wie Anm. 9) Nr. 4a (zu 1013 vor Herbst), RI 22/5 Nr. 1098 (zu 1012).

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3. Die Gründung und Organisation der Landeskirchen28 Das Bistum Prag konstituierte sich in den Jahren 973–976 nach den Verhandlungen zwischen dem böhmischen Herzog Boleslav II., Papst Benedikt VI., Kaiser Otto I. und Bischof Wolfgang von Regensburg29. Die böhmischmährische Kirche, das heißt die Bistümer Prag und Olmütz30, blieb zwar formell im Verband der Mainzer Metropole, und zwar bis zur Gründung des Erzbistums Prag im Jahr 1344, in der Praxis war die Landeskirche jedoch unabhängig. Der Mainzer Erzbischof ernannte stets die von den Přemysliden bestimmten Bischöfe31. Die Etablierung der europäischen Zivilisation um die Jahrtausendwende entfaltete vor allem in Polen und Ungarn ihre stärkste Wirkung32. Bolesław Chrobry der Große († 1025) und Stephan der Heilige († 1038) haben durch die Königserhebung sowie die Schaffung eigener Kirchenprovinzen eine entscheidende Rolle für die Herrscherdynastien der Piasten und der Árpáden gespielt. Die Errichtung der Kirchenprovinz Gnesen erfolgte im Zuge der Übereinkunft zwischen Kaiser Otto III. und Herzog Bolesław Chrobry am Grab des heiligen Adalberts im März 100033. Der Erzbischof Radim28 Zum Begriff ‚Landeskirche‘ vgl. zuletzt Jochen JOHRENDT: Papsttum und Landeskirchen im Spiegel der päpstlichen Urkunden (896–1046), Hannover 2004 (MGH Studien und Texte 33), S. 6–9. 29 Peter HILSCH: Der Bischof von Prag und das Reich in sächsischer Zeit, in: DA 28 (1972) S. 1–41, hier S. 6–16. 30 Die öfters angeführte Erwähnung eines mährisches Bischofs auf einer Mainzer Provinzialsynode im Jahr 976 ist in einer seit dem 19. Jh. verschollenen, vermutlich im 12. Jh. fabrizierten Urkunde mit (wahrscheinlich) echter Vorgabe enthalten, vgl. UB des Stifts St. Peter und Alexander zu Aschaffenburg, hg. v. Matthias THIEL, Bd. 1 (861– 1325), Aschaffenburg 1986 (Veröffentlichungen des Geschichts- und Kunstvereins Aschaffenburg 26) Nr. 8 S. 27–39 (die Erwähnung auf S. 37: Morauiensi), und die erste gesicherte Erwähnung findet man im Jahr 1063, vgl. die Belege bei Gerold MEYER VON KNONAU: Jbb. des Deutschen Reiches unter Heinrich IV. und Heinrich V., 7 Bde., Leipzig 1890–1909 (Jbb. der Deutschen Geschichte 14/1–7) (ND Berlin 1964– 1965), hier Bd. 1 S. 351 Anm. 89. 31 Vgl. vor allem Egon BOSHOF: Mainz, Böhmen und das Reich im Früh- und Hochmittelalter, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 50 (1998) S. 11–40 (mit weiterer Literatur). 32 Zur epochalen Zäsur allgemein etwa Aleksander GIEYSZTOR: L’Europe nouvelle autour de l’an Mil. La papauté, l’empire et les „nouveaux venus“ con una prefazione di Krzysztof ŻABOKLICKI, un’introduzione di Girolamo ARNALDI e una bio-bibliografia dell’autore, Roma 1997 (Unione Internazionale degli Istituti di Archeologia, Storia e Storia dell’Arte in Roma, Conferenze 13). 33 Vgl. jüngst Roman MICHAŁOWSKI: Zjazd gnieźnieński. Religijne przesłanki powstania arcybiskupstwa gnieźnieńskiego, Wrocław 2005 (Monografie Fundacji na Rzecz Nauki Polskiej), S. 90–260; dazu Gerard LABUDA: Zjazd i synod gnieźnieński roku 1000 w nowym oświetleniu historiograficznym, in: Cognitioni gestorum. Studia z dziejów

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Gaudentius, der bereits als archiępiscopus sancti Adelberti martyris am 2. Dezember 999 eine Gerichtsurkunde in Rom unterschrieb34, wurde mit Erlaubnis Papst Silvesters II. (licentia Romani pontificis) auf der Synode in Gnesen eingesetzt. Zudem wurden ihm neu errichtete Suffraganbistümer unterstellt: Kolberg/Kołobrzeg unter Bischof Reinbern, Krakau/Kraków unter Poppo und Breslau/Wrocław unter Johannes. Das Bistum Posen/Poznań wurde dem neuen Metropolitanverband nicht eingegliedert. Sein Bischof Unger hatte der Gründung des Erzbistums Gnesen unter dem Erzbischof Radim-Gaudentius, dem Halbbruder des Märtyrers Adalbert, die zu Lasten seiner bisherigen kirchlichen Jurisdiktionsgewalt in Polen ging, widersprochen35. Nach dem Bericht in der ersten polnischen Chronik des Gallus Anonymus von 1113–1115/16, die wahrscheinlich auf dem verschollenen «Liber de passione s. Adalberti martyris» beruht, bestätigte Silvester II. durch Privileg die Vollmacht, die Otto III. in Gnesen Bolesław Chrobry zur Organisation der polnischen Kirche erteilt hatte36. Die päpstliche Zustimmung zur Errichtung der Metropole Gran und średniowiecza dedykowane Profesorowi Jerzemu Strzelczykowi, hg. v. Dariusz Andrzej SIKORSKI/Andrzej Marek WYRWA, Poznań/Warszawa 2006, S. 163–184. 34 RI 2/3 Nr. 1336, ed. MGH DD O III Nr. 339 S. 767–769, hier S. 769 Z. 20f.; Cesare MANARESI: I placiti del “Regnum Italiae”, 3 Bde. in 5 Teilen, Roma 1955–1960 (Fonti 92, 96*, 96**, 97*, 97**), Bd. 2/1 Nr. 254 S. 437–441, hier S. 441 Z. 27f. 35 Eine Quellenzusammenstellung mit Kommentar zur Gnesener Synode im März 1000 bietet jetzt Ernst-Dieter HEHL, in: MGH Conc. 6/2, Hannover 2007, Nr. 61 S. 585– 592; vgl. dazu auch Gerard LABUDA: Die Gründung der Metropolitanorganisation der polnischen Kirche auf der Synode in Gnesen am 9. und 10. März 1000, in: ActaPol Hist 84 (2001) S. 5–30. 36 Chronicon et gesta ducum sive principum Polonorum Anonymi Galli I 6, ed. Karol MALECZYŃSKI, Kraków 1952 (MPH NS 2) S. 20 Z. 3–7: Insuper etiam in ecclesiasticis honoribus quicquid ad imperium pertinebat in regno Polonorum, vel in aliis superatis ab eo [Boleslao] vel superandis regionibus barbarorum, sue suorumque succesorum potestati concessit, cuius paccionis decretum papa Siluester sancte Romane ecclesie privilegio confirmavit. Vgl. dazu Repertorium (wie Anm. 9) Nr. 4, RI 22/5 Nr. 913. Die Interpretation dieser Passage ist in der Forschung umstritten, vgl. Johannes FRIED: Otto III. und Boleslaw Chrobry. Das Widmungsbild des Aachener Evangeliars, der „Akt von Gnesen“ und das frühe polnische und ungarische Königtum. Eine Bildanalyse und ihre historischen Folgen, Stuttgart 22001 (zuerst 1989), S. 147 Anm. 71, mit einem Nachtrag, S. 180; Jürgen PETERSOHN: Der Akt von Gnesen im Jahre 1000 und die Errichtung des Bistums Salz-Kolberg. Zur historischen Substanz eines Jubiläums, in: Baltische Studien NF 87 = 133 (2001) S. 24–35, hier S. 26 Anm. 10; Gerard LABUDA: Zakres uprawnień władczych nad Kościołem polskim nadanych przez cesarza Ottona III księciu Bolesławowi Chrobremu w Gnieźnie w roku 1000, in: Rocz. Hist. 64 (1998) S. 7–12; Dariusz (Andrzej) SIKORSKI: Jakie uprawnienia mieli cesarze do władania polskim Kościołem przed rokiem 1000? Na marginesie pewnej koncepcji Gerarda Labudy, in: CPH 54/1 (2002) S. 429–442; Gerard LABUDA: Jakie uprawnienia kościelne przekazał cesarz Otton III księciu Bolesławowi Chrobremu na synodzie/zjeździe gnieźnieńskim w roku 1000? Po raz drugi, in: ebd. 56/2 (2004) S. 363–381; Dariusz Andrzej SIKORSKI: Dyskusji o uprawnieniach kościelnych przekazanych przez cesarza Ottona III ciąg dalszy. Odpowiedź na replikę Gerarda Labudy, in: ebd. 58/1 (2006) S. 255–

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zur Übertragung der Königswürde an Stephan den Heiligen ist nur durch indirekte Überlieferung zu erschließen. Dass in Anwesenheit Kaiser Ottos III. und Papst Silvesters II. auf der großen Versammlung in Ravenna zu Ostern 1001 in diesen Fragen wichtige Entscheidungen getroffen worden sind, ist eine ansprechende Vermutung37, wobei die Frage der Datierung der Königskrönung Stephans des Heiligen entscheidend ist, die jedoch in der Forschung auf Grund der unklaren Quellenlage umstritten ist und entweder im Jahr 1000 oder 1001 angesetzt wird38. Die Bistumsgründungen in der Regierungszeit Stephans I. von Ungarn (997–1038) können wir in drei Phasen (997–1003, 1009, 1030) gliedern39. Das Bistum Wesprim/Veszprém (gegründet 997/1000) und das Erzbistum und die Kirchenprovinz Gran40 mit den Bistümern Raab/Győr und vermutlich Siebenbürgen/Erdély41 sind in der ersten Phase (1001/1003), die Bistümer Kalocsa, Fünfkirchen/Pécs42, Erlau/Eger in der zweiten Phase, und das Bistum Csanád in der dritten Phase errichtet worden. Erst unter dem Nachfolger Stephans I., dem aus Venedig stammenden Peter Orseolo (1038– 1041, 1044–1046), soll das Bistum Waitzen/Vác in dessen erster Regierungs-

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271; Gerard LABUDA: Jakie uprawnienia władcze otrzymał Bolesław Chrobry od Ottona III na zjeździe gnieźnieńskim w roku 1000? Po raz ostatni, in: ebd. 59/2 (2007) S. 365–376. Zum «Liber de passione s. Adalberti martyris» vgl. jüngst Dániel BAGI: Królowie węgierscy w Kronice Galla Anonima, Kraków 2008 (RozprAkadKrakówFilol 108), S. 75–84. RI 2/3 Nr. 1407c, RI 22/5 Nr. 942. RI 2/3 Nr. 1422b (zu 1001 Aug. 15 oder 17), RI 22/5 Nr. 948 (zu 1001 Aug. 15); vgl. dazu László VESZPRÉMY: The Invented 11th Century of Hungary, in: The Neighbours of Poland in the 11th Century, ed. Przemysław URBAŃCZYK, Warsaw 2002 (ersch. 2003), S. 137–154, hier S. 139. Einen guten Überblick bieten Gyula KRISTÓ: The Bishoprics of Saint Stephen, King of Hungary, in: In honorem Paul Cernovodeanu, ed. Violeta BARBU, Bucureşti 1998, S. 55–66 (mit Karte) und sein Schüler László KOSZTA: L’organisation de l’Église chrétienne en Hongrie, in: Les Hongrois et L’Europe: conquête et intégration, hg. v. Sándor CSERNUS/Klára KOROMPAY, Paris/Szeged 1999 (Publications de l’Institut Hongrois de Paris), S. 293–311, hier S. 297–306. Zur Gründung der Kirchenprovinz Gran vgl. DHung (wie Anm. 8) Bd. 1 Nr. 4 S. 22– 24 (zu 1001 Apr.), RI 22/5 Nr. 949 (zu 1001 Aug.). Erst im 17. Jh. wurde ein Privileg Silvesters II. über die Errichtung der Graner Kirchenprovinz gefälscht, vgl. JL †3909, RI 22/5 Nr. †943, ed. Harald ZIMMERMANN: Papsturkunden 896–1046, 3 Bde., Wien 1984–1989 (Bd. 1 u. 2 in 2. rev. Aufl., Wien 1988–1989) (DÖAW, phil.-hist. Kl., 174, 177, 198; Veröffentlichungen der Historischen Kommission 3, 4, 5), hier Bd. 2 Nr. †382 S. 737–740 (zu 1000 März 27). Siehe unten Anm. 46. Die Gründungsurkunde des Bistums Fünfkirchen/Pécs vom 23. August 1009, ed. DHung (wie Anm. 8) Bd. 1 Nr. 9/I S. 54–58, hier S. 58 Z. 2f.: ... nos [Stephanus Hungarie rex] cum consensu sanctissimi apostolici et in presencia eius nuncii Azonis episcopi ... Der Papstlegat Azzo ist wohl identisch mit dem Kardinalbischof Azzo II. von Ostia (um 1009–1016) und Bibliothekar der römischen Kirche, vgl. RI 22/5 Nr. 1034, 1119 u. 1166.

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zeit errichtet worden sein43. Die Errichtung des Bistums Bihar wird neuerdings dem Ungarnkönig Andreas I. (1046–1060) zugeschrieben44. Unter dem Ungarnkönig Ladislaus I. dem Heiligen (1077–1095) wurden der Bischofsitz Bihar nach (Groß-)Wardein/(Nagy-)Várad/Oradea45, sowie vermutlich der siebenbürgische Bischofsitz von Dobokavár/Dăbîca nach Weißenburg/ Gyulafehérvár/Alba Iulia verlegt46 und das Bistum Zagreb um 1091 errichtet47. Sein Nachfolger Koloman der Bücherfreund beziehungsweise der Buchkundige (1095–1116) hat das Bistum Neutra/Nyitra/Nitra in den Jahren 1114–1116 erneuert, das jedoch nur einen Bruchteil seines ehemaligen Territoriums aus der Zeit des Großmährischen Reichs umfasste48. Schließlich wurde das Bistum 43 László KOSZTA: La fondation de l’évêché de Vác, in: Specimina Nova, Pars 1, Sectio Mediaevalis 1 (2001) S. 87–105 (mit Karte). 44 Ebd. S. 99. 45 Vgl. KRISTÓ: Bishoprics (wie Anm. 39) S. 63; KOSZTA: L’organisation (wie Anm. 39) S. 304. 46 Kristó: Bishoprics (wie Anm. 39) S. 58; ders.: Geschichte des frühen Siebenbürgens (895–1324), Herne 2005 (aus dem Ungar. 2002) (Studien zur Geschichte Ungarns 7), S. 95, 98f. Zum ersten nachweisbaren siebenbürgischen Bischof, Franco von Alba Iulia (slawisch Belgrad) (um 1071–nach 1081) und nicht, wie in der Forschung oft vermutet, von Belgard an der Persante/Białogard in Hinterpommern, Biograd na Moru/Zaravecchia bei Zadar/Zara bzw. vom serbischen Belgrad (Griechisch Weißenburg), vgl. Jan Leśny: Franco – episcopus Bellegradensis, in: Rocz. Hist. 59 (1993) S. 19–31. Im Gegensatz zur ungarischen Historiographie hat auch Leśny, meines Erachtens mit Recht, die Errichtung des siebenbürgischen Bistums mit dem Sitz in Weißenburg/Gyulafehérvár/Alba Iulia erst um 1071 angesetzt, vgl. ebd. S. 25f. 47 Zur Errichtung des Bistums Zagreb vgl. Klaus-Detlev Grothusen: Entstehung und Geschichte Zagrebs bis zum Ausgang des 14. Jahrhunderts. Ein Beitrag zum Städtewesen Südosteuropas im Mittelalter, Wiesbaden 1967 (Osteuropastudien der Hochschulen des Landes Hessen, R. 1: Giessener Abh. zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens 37), S. 91–93. 48 Vgl. Richard Marsina: Nitrianske biskupstvo a jeho biskupi od 9. do polovice 13. storočia, in: Historický časopis 41 (1993) S. 529–542, hier S. 536f.; ders.: Obnovenie Nitrianskeho biskupstva na prelome 11. a 12. storočia, in: Kresťanstvo v dejinách Slovenska, hg. v. Mária Kohútová, Bratislava 2003, S. 17–26. Noch in den Eschatokollen zweier im Original überlieferter Empfängerausfertigungen für die Benediktinerabtei St. Hippolit auf dem Berg Zobor bei Neutra von 1111 und 1113 ist nur der Graner Metropolit zusammen mit den elf Bischöfen von Knin, Kalocsa, Fünfkirchen/Pécs, Erlau/ Eger, Siebenbürgen/Erdély, Wesprim/Veszprém, Waitzen/Vác, Raab/Győr, Bihar bzw. Wardein/Várad, Csanád und Zadar/Zara aufgezählt, vgl. Richard Marsina: Codex diplomaticus nec non epistolaris Slovaciae, Bd. 1, Bratislava 1971, Nr. 68 S. 63f., hier S. 64 Z. 9–15 u. Nr. 69 S. 64–67, hier S. 67 Z. 26–32; DHung (wie Anm. 8) Bd. 1 Nr. 138/I S. 382f., hier S. 383 Z. 33–39 u. Nr. 142/I S. 391–396, hier S. 396 Z. 6– 12; Chartae antiquissimae Hungariae: 1001–1196, ed. György Györffy, Budapest 1994 (Monumenta Medii Aevi), Textbd. Nr. 9 S. 36f., hier S. 37 Z. 18–20 u. Nr. 10 S. 38– 41, hier S. 41 Z. 48–50 und die Faksimiles. Zum Sitz des Bischofs Manasses in Knin und nicht, wie es in einer späteren Abschrift heißt, Zagreb, vgl. ders.: Die Anfänge der ungarischen Kanzlei im 11. Jahrhundert, in: ADipl 30 (1984) S. 88–96, hier S. 95.

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Kalocsa um die Mitte des 12. Jahrhunderts zur zweiten ungarischen Metropole erhoben49. Insgesamt bleibt die päpstliche Beteiligung an Erz- und Bistumsgründungen in Ostmitteleuropa auf Grund der Quellenlage im Dunkel.

4. Die päpstlichen Kanonisationen In der Forschung ist die Kanonisation des Prager Bischofs, Preußen-Missionars und Märtyrers Vojtěch-Adalbert († 997) durch Papst Silvesters II. von 999 umstritten50, weil für diese angebliche zweite päpstliche Kanonisation nach Ulrich von Augsburg (993)51 kein einziger Beleg nachweisbar ist. Sicheren Grund erreicht man erst mit der Kanonisation der Märtyrer Benedikt von Benevent52 und Johannes (beide aus Pereum) und ihrer slawischen Gefährten, der Brüder Isaak und Matthäus sowie des Dieners Christin, für die Brun von Querfurt bei Johannes XVIII. (1004–1009) eintrat53. Hierzu hat noch Otfried Krafft kürzlich festgestellt: „Es würde sich um eine gemeinschaftliche Heiligsprechung handeln, wie sie sonst im Mittelalter jedenfalls seitens der Päpste nicht vorkam.“54 Im Jahr 1083 kam es in Ungarn zu einer Reihe von Kanonisationen in Form von Reliquienerhebungen, welche die Eremiten Zoerard-Andreas († um 1030/34) und Benedikt, den Märtyrerbischof Gerhard von Csanád († 1046)

49 Vgl. László KOSZTA: Az esztergomi és a kalocsai érsekség viszonya a 13. század elején, in: Magyar Egyháztörténeti Vázlatok 3 (1991) S. 73–88 (Wiederabdr. in: Kalocsa történetéből, hg. v. DEMS., Kalocsa 2000, S. 29–50). 50 Für die päpstliche Kanonisation Adalberts von Prag plädiert jüngst Gerard LABUDA: Kanonizacja św. Wojciecha, in: KH 112/3 (Festgabe Stanisław Trawkowski) (2005), S. 33–40 im Gegensatz zu Otfried KRAFFT: Papsturkunde und Heiligsprechung. Die päpstlichen Kanonisationen vom Mittelalter bis zur Reformation. Ein Handbuch, Köln u. a. 2005 (ADipl Beih. 9), S. 25 Anm. 33. 51 KRAFFT: Papsturkunde (wie Anm. 50) S. 18–25. 52 Zu ihm vgl. Zelina ZAFARANA: Art. Benedetto da Benevento, santo, in: DBI 8 (1966) S. 420–423 (ND in: DIES.: Da Gregorio VII a Bernardino da Siena. Saggi di storia medievale con scritti in ricordo di Zelina Zafarana, a cura di Ovidio CAPITANI/Claudio LEONARDI/Enrico MENESTÓ/Roberto RUSCONI, Perugia/Firenze 1987 [Quaderni del “Centro per il Collegamento degli Studi Medievali e Umanistici nell’Università di Perugia” 17], S. 397–400). 53 Brun von Querfurt, Vita quinque fratrum eremitarum [seu] Vita vel Passio Benedicti et Iohannis sociorumque suorum (BHL Nr. 1147) c. 21, ed. Jadwiga KARWASIŃSKA, in: MPH NS 4/3, Warszawa 1973, S. 71 (1. Redaktion): ... rediens frater ille Romam, cum martyrium eorum ibi nunciaret, ipso interrogante, papa procul dubio iussit eos in loco sanctorum martyrum haberi et honorari. Vgl. dazu RI 22/5 Nr. 995 (zu 1004 Mitte); FRIED: Otto III. (wie Anm. 36) S. 117 Anm. 252. 54 KRAFFT: Papsturkunde (wie Anm. 50) S. 25 Anm. 35.

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sowie König Stephan I. und seinen Sohn Emmerich († 1031) betrafen55. Leider ist die päpstliche Zustimmung zur Reliquienerhebung, die zur Christianisierung Pannoniens beitrug, nur durch indirekte Überlieferung zu erschließen56. Unter Innozenz III. (1198–1216) sind vier Kanonisationen sicher belegt, nämlich Homobonus Tucengo, Kaufmann aus Cremona (1198/99), Kaiserin Kunigunde, Witwe Heinrichs II. (1200), Gilbert von Sempringham, Gründer einer Kongregation von Kanonikerstiften und Nonnenklöstern (1202), und Bischof Wulfstan von Worcester (1203)57. Im Fall des Prokop von Sázava († 1053) soll hingegen eine Heiligsprechung stattgefunden haben, die angeblich am 4. Juli 1204 durch den Legaten Kardinalpresbyter Guido von S. Maria in Trastevere ausgeführt wurde58. Krafft konstatiert dazu: „Während seine Beteiligung chronologisch so kaum möglich ist, enthält die Schilderung des Verfahrens einige Elemente, die typisch für die Zeit Innocenz’ III. sind. Allerdings benutzt die maßgebliche Quelle [die Prokopvita (BHL Nr. 6952)] den Begriff Kanonisation als Synonym für eine Translatio, womit eine delegierte Heiligsprechung hierbei auszuschließen ist. Eine Kulterlaubnis mit Genehmigung der als sicher zu betrachtenden Translatio oder gar eine päpstliche Kanonisation sind nicht ganz unwahrscheinlich.“59 Ein Überblick über die päpstlichen Kanonisationen bis Innozenz’ III. zeigt, dass außer den heiligen fünf Eremitenbrüdern alle andere Fälle aus Polen, Ungarn und Böhmen in der Forschung umstritten sind.

5. Die älteren Papsturkunden und kanonistischen Ergänzungen Im Zeitalter des Reformpapsttums hat die päpstliche Kanzlei Register geführt, aber nur eine Pergamenthandschrift des Registers Gregors VII. (Reg. Vat. 2) blieb erhalten, ein Codex, in dem zwei von 17 Händen die Romanesca verwendeten, eine Schriftart, die in Rom und seiner weiteren Umgebung gebräuchlich war60. Dafür ist nun eine geringe Zahl von Papstbriefen der Vor55 Gábor KLANICZAY: Holy Rulers and Blessed Princesses. Dynastic Cults in Medieval Central Europe, Cambridge 2002 (aus dem Ungar. 2000) (Past and Present Publications), S. 123–131. 56 DHung (wie Anm. 8) Bd. 1 Nr. 82 S. 241f. (zu 1083 Jan.–Juni), hier bes. bei Hartwig, Vita (III) s. Stephani regis Hungariae (BHL Nr. 7921) c. 24, ed. Emma BARTONIEK, in: SSrerHung 2, Budapest 1938 (ND 1999), S. 433 Z. 8–11: ... ex Romane sedis institutione apostolicis litteris sancitum est, ut eorum corpora elevari deberent, qui in Pannonia Christiane fidei semina iacientes, sua eam predicatione vel institutione ad deum convertissent. Vgl. dazu KRAFFT: Papsturkunde (wie Anm. 50) S. 64 mit Anm. 33. 57 KRAFFT: Papsturkunde (wie Anm. 50) S. 214–254. 58 Ebd. S. 261f. 59 Ebd. S. 262. 60 Zur Natur des Registers Gregors VII. vgl. Hartmut HOFFMANN: Zum Register und zu den Briefen Papst Gregors VII., in: DA 32 (1976) S. 86–130 (mit 4 Tafeln), sowie

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gänger Gregors VII. vor allem in die Kanonessammlung des Kardinalpresbyters Deusdedit von S. Pietro in Vincoli und in die «Collectio Britannica» eingegangen61. Deusdedit hat im dritten Buch der Sammlung, die Papst Viktor III. (1086–1087) gewidmet ist, ein Exzerpt aus einer römischen Charta (tomulus) über eine Mitrenverleihung durch Nikolaus II. (1058–1061) für den böhmischen Herzog Spytihněv II. (1055–1061) aufgenommen62. Aus römischer Perspektive ging es in diesem Fall gleich wie bei dem sogenannte «Dagomeiudex-Regest» um finanzielle Einkünfte und um Gewinnung von Einfluss in den bisher vernachlässigten Gebieten. Das Register Gregors VII. enthält 357 Briefe, von denen 14 Stücke an den böhmischen Herzog Vratislav II., die Bischöfe Jaromir-Gebhard von Prag und Johannes von Olmütz sowie die mährischen Herzöge Otto von Olmütz und Konrad von Brünn, acht Schreiben an die ungarischen Könige beziehungsweise Königinnen (Salomon und seine Gemahlin Judith, Géza I., Ladislaus I. und seine Gemahlin Adelheid von Schwaben), sowie den Erzbischof Nehemias von Gran und ein Brief an den polnischen Herzog Bolesław II. gerichtet sind63. Hans-Eberhard HILPERT: Zu den Rubriken im Register Gregors VII. (Reg. Vat. 2), in: DA 40 (1984) S. 606–611. Hoffmann verweist darauf, dass die Hände M und P, beide wenig schön, aus dem Romanescabereich kommen, vgl. Hartmut HOFFMANN: Italienische Handschriften in Deutschland, in: DA 65 (2009) S. 29–82, hier S. 59. Merkwürdigerweise ist das Register Gregors VII. bei Paola SUPINO MARTINI: Roma e l’area grafica romanesca (secoli X–XII), Alessandria 1987 (Biblioteca di Scrittura e civiltà 1) nicht erörtert, vgl. die Besprechung von Hartmut HOFFMANN, in: DA 44 (1988) S. 260f. 61 Vgl. Tilmann SCHMIDT: Alexander II. (1061–1073) und die römische Reformgruppe seiner Zeit, Stuttgart 1977 (Päpste und Papsttum 11), S. 220–235 (Anh.: Das Register Alexanders II.). 62 Deusdedit, Liber Canonum, III 279 (150), neu hg. v. WOLF VON GLANVELL (wie Anm. 17) S. 385: Speciocneus dux Boemię accepit licentiam a papa Nicolao sibi portandi mitram et promisit se daturum omni anno C libras argenti de terra sua sub nomine census. Vgl. dazu Josef ŽEMLIČKA: Mitra českých knížat, in: Sborník Společnosti přátel starožitností 3 (1992) S. 17–22; Dieter HÄGERMANN (†): Das Papsttum am Vorabend des Investiturstreites. Stephan IX. (1057–1058), Benedikt X. (1058) und Nikolaus II. (1058– 1061), Stuttgart 2008 (Päpste und Papsttum 36), S. 195. 63 Für böhmisch-mährische Empfänger: Erich CASPAR: Das Register Gregors VII., Berlin 1920–1923 (MGH Epp. sel. 2/1–2), I/17 S. 27f. von 1073 Juli 8 (JL 4788), I/38 S. 60f. von 1073 Dez. 17 (JL 4812), I/44 S. 67f. von 1074 Jan. 31 (JL 4821), I/45 S. 68f. von 1074 Jan. 31 (JL 4822), I/59 S. 86f. von 1074 März 18 (JL 4836), I/61 S. 89f. von 1074 März 18 (JL 4838), I/78 S. 111f. von 1074 Apr. 16 (JL 4859), II/6 S. 133f. von 1074 Sept. 22 (JL 4879), II/7 S. 135f. von 1074 Sept. 22 (JL 4880), II/8 S. 137f. von 1074 Sept. 22 (JL 4881), II/53 S. 197f. von 1075 März 2 (JL 4934), II/71 S. 231f. von 1075 Apr. 17 (JL 4953), II/72 S. 232f. von 1075 Apr. 17 (JL 4954), VII/11 S. 473–475 von 1080 Jan. 2 (JL 5151). Für ungarische Empfänger: ebd., I/58 S. 85f. von 1074 März 17 (DHung [wie Anm. 8] Bd. 1, Nr. 66 S. 192f.; JL 4835), II/13 S. 144–146 von 1074 Okt. 28 (DHung Bd. 1, Nr. 68 S. 194f.; JL 4886), II/44 S. 180–182 von 1075 Jan. 10 (DHung Bd. 1, Nr. 70 S. 198f.; JL 4921), II/63 S. 218f. von 1075 März 23 (DHung Bd. 1, Nr. 71 S. 200f.; JL 4944), II/70 S. 229f. von 1075 Apr. 17 (DHung

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Diese Briefe zeigen deutlich, dass Gregor VII. ganz gezielt und bewusst bereits zu Anfang seines Pontifikats daran ging, auch mit den Herrschern der Randgebiete des Abendlandes Verbindung aufzunehmen64. Die Zahl der überlieferten Papsturkunden für das 12. Jahrhundert (bis 1198) ist auf rund 20.000 zu schätzen65. Zu den Jahren 1141–1159 und 1181– 1187 haben sichere statistische Untersuchungen die Schwerpunkte der mengenmäßigen Überlieferung der Papsturkunden eindeutig im heutigen Frankreich, Italien und Deutschland bestätigt66. Die relativ geringen Anteile an Papsturkunden für die peripheren Gebiete der lateinischen Christenheit mit Ausnahme Englands und Spaniens erklären sich in erster Linie mit der Entfernung zwischen Papst und Petent. Einen entscheidenden Faktor stellt aber auch die Dichte kirchlicher und klösterlicher Institutionen dar, die den Hauptanteil

Bd. 1, Nr. 72 S. 202f.; JL 4952), IV/25 S. 339f. von 1077 Juni 9 (DHung Bd. 1, Nr. 75 S. 220f.; JL 5036), VI/29 S. 441f. von 1079 März 21 (DHung Bd. 1, Nr. 77 S. 223f.; JL 5120), VIII/22 S. 564f. (zu 1081 nach März 15) (DHung Bd. 1, Nr. 80 S. 227; JL 5202). Für Herzog Bolesław II. von Polen: CASPAR: Register, II/73 S. 233– 235 von 1075 Apr. 20 (JL 4958). Vgl. Herbert Edward John COWDREY: Pope Gregory VII, 1073–1085, Oxford u. a. 1998 (Oxford Historical Monographs), S. 443–448 (zu Ungarn), 448–451 (zu Böhmen), 451f. (zu Polen). 64 Vgl. die Zusammenstellung sämtlicher Briefe Gregors VII. an die Herrscher seiner Zeit bei Rudolf SCHIEFFER: Gregor VII. und die Könige Europas, in: Riforma (wie Anm. 4), Bd. 1: Relazioni, S. 189–211, hier S. 192f. Anm. 21–35, mit irrtümlicher Nennung eines Königs von Russland (ebd. S. 193 bei Anm. 30), die auf die Adresse in einem Brief Gregors VII. Demetrius rex Ruscorum zurückgeht; dieser lässt sich jedoch mit dem Kiewer Fürsten Izjaslav-Dmitrij Jaroslavič identifizieren, vgl. CASPAR: Register (wie Anm. 63) II/74 S. 236f. von 1075 Apr. 17 (JL 4955); vgl. dazu Jean-Pierre ARRIGNON: A propos de la lettre du pape Grégoire VII aux prince de Kiev Izjaslav, in: Russia Mediaevalis 3 (1977) S. 5–18 (mit weiterer Literatur). Zur Verwendung der Titulatur ‚rex‘ durch die päpstliche Kanzlei im Briefverkehr mit den russischen und litauischen Fürsten in der Hoffnung auf deren künftige Unterstellung unter den Heiligen Stuhl vgl. Irena SUŁKOWSKA-KURAŚ/Stanisław KURAŚ: List Paschalisa II do arcybiskupa polskiego w świetle zasad dyplomatyki papieskiej oraz recenzji i emendacji tekstów, in: Roczniki Humanistyczne 34/2 (Cultura et societas christiana. Fschr. für Jerzy Kłoczowski) (1986 [ersch. 1992]) S. 308–318, hier S. 312f. 65 Vgl. Frank Michael BISCHOFF: Urkundenformate im Mittelalter. Größe, Format und Proportionen von Papsturkunden in Zeiten expandierender Schriftlichkeit (11.–13. Jahrhundert), Marburg a. d. L. 1996 (Elementa diplomatica 5), S. 15; Rudolf HIESTAND: Die Leistungsfähigkeit der päpstlichen Kanzlei im 12. Jahrhundert mit einem Blick auf den lateinischen Osten, in: Papsturkunde und europäisches Urkundenwesen. Studien zu ihrer formalen und rechtlichen Kohärenz vom 11. bis 15. Jahrhundert, hg. v. Peter HERDE/Hermann JAKOBS, Köln u. a. 1999 (ADipl Beih. 7), S. 1–26, hier S. 4. 66 Vgl. Stefan HIRSCHMANN: Die päpstliche Kanzlei und ihre Urkundenproduktion (1141–1159), Frankfurt a. M. u. a. 2001 (Europäische Hochschulschriften III/913), S. 200 mit dem Balkendiagramm (Abb. 22); Przemysław NOWAK: Die Urkundenproduktion der päpstlichen Kanzlei 1181–1187, in: ADipl 49 (2003) S. 91–122, hier S. 110 mit dem Balkendiagramm (Abb. 5).

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der Petenten bilden67. Bis zur Regierungszeit König Bélas III. (1172–1196) sind in Ungarn die beiden Erzbistümer Gran und Kalocsa und zehn Bistümer sowie vierzehn königliche Benediktinerabteien68, sieben Kollegiatstifte (Stuhlweißenburg/Székesfehérvár, Altofen/Óbuda, Titel, Dömös, Arad, Preßburg/Pozsony/Bratislava, Raab/Győr) und sechs Zisterzienserklöster (Cikádor 1142, Egres/Igriş 1179, Zirc 1182, Pilis und Sankt Gotthard/Szentgotthárd 1184, Pásztó 1191)69 gegründet worden. Zu dieser Zeit umfasste die polnische Kirchenprovinz Gnesen die Suffraganbistümer Posen, Krakau, Breslau (alle schon 1000 vorhanden), Płock (um 1076), Lebus/Lubusz und Kruschwitz/ Kruszwica-Leslau/Włocławek (um 1124) sowie Wollin/Wolin-Kammin/ Kamień Pomorski (1140), das schon 1188 unmittelbar dem Papsttum unterstellt wurde70. Zwischen 1136 und 1186 hatten das Erzbistum Gnesen sowie die Bistümer Wollin, Leslau, Breslau und schließlich Krakau päpstliche Schutzprivilegien erhalten71. Ähnlich wie in den anderen Landeskirchen steht 67 HIRSCHMANN (wie Anm. 66) S. 206. 68 Zur Geschichte und den rechtlichen Beziehungen zwischen dem Papsttum und den vom König gestifteten 13 Benediktinerabteien (Martinsberg/Pannonhalma, Fünfkirchenwardein/Pécsvárad, Zalavár, Bakonybél, Tihany, Sechshard/Szekszárd, Sankt Benedikt am Gran/Garamszentbenedek/Hronský Beňadík, Somogyvár, Zobor, Báta, Szentjobb/Sâniob, Abtsdorf/Kolozsmonostor/Cluj-Mănăştur, Földvár) im 11.–13. Jh. grundlegend Gergely KISS: The exemption of the royal Benedictine monasteries in Hungary in the 11th–13th centuries, in: Specimina Nova, Pars 1, Sectio Mediaevalis 2 (2003) S. 25–63; DERS.: Abbatia regalia (sic) – hierarchia ecclesiastica. A királyi alapítású bencés apátságok egyházjogi helyzete a 11–13. században, Budapest 2006 (METEM Könyvek 51), passim. 69 Ein Überblick bei László KOSZTA: Die Gründung von Zisterzienserklöstern in Ungarn 1142–1270, in: Ungarn-Jahrbuch 23 (1997) S. 65–80. 70 Vgl. Józef SZYMAŃSKI: Art. Organizacja Kościoła: IV. Polska, in: SłowStarSłow 3 (1967) S. 508–511 (mit Karte und Lit.); Jerzy KŁOCZOWSKI: La province ecclésiastique de la Pologne et ses évêques, in: Le Istituzioni ecclesiastiche della ‘Societas Christiana’ dei secoli XI–XII: Papato, cardinalato ed episcopato. Atti della quinta Settimana internazionale di studio, Mendola, 26–31 agosto 1971, Milano 1974 (Miscellanea del Centro di studi medioevali 7), S. 437–444 (ND in: DERS.: La Pologne dans l’Eglise médiévale, Aldershot/Brookfield 1993 [Variorum Collected Studies Series 417], Nr. II). 71 Innozenz II. für das Erzbistum Gnesen: JL 7785, Repertorium (wie Anm. 9) Nr. 31, Bullarium Poloniae (wie Anm. 9) Bd. 1 Nr. 41 (1136 Juli 7), ed. Olga ŁASZCZYŃSKA: Najstarsze papieskie bulle protekcyjne dla biskupstw polskich, T. 1: Bulla gnieźnieńska z 1136 r., Poznań 1947 (Biblioteka źródeł historycznych 5); Innozenz II. für das Bistum Wollin: JL 8102, Repertorium Nr. 37, Bullarium Poloniae Bd. 1 Nr. 11 (1140 Okt. 14), ed. Klaus CONRAD: Pommersches Urkundenbuch, Bd. 1 (786–1253), Köln/Wien 21970 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern 2/1) Nr. 30 S. 32–34; vgl. dazu Gerard LABUDA: Początki biskupstwa wolińskiego w bulli papieża Innocentego II z dnia 14 X 1140, in: Archiwa, Biblioteki i Muzea Kościelne 61 (1992) S. 15–28; Eugen III. für das Bistum Leslau: JL 9222, Repertorium Nr. 47, Bullarium Poloniae Bd. 1 Nr. 15 (1148 Apr. 4), ed. Max PERLBACH: Pommerelisches Urkundenbuch, Bd. 1, Danzig 1882, Nr. 2 S. 1f.; Hadrian IV. für das Bis-

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der päpstliche Schutz bei polnischen Empfängern, mit Ausnahme des Krakauers Bistums, in großer Nähe zur Besitzbestätigung. Im Privileg Urbans III. für Bischof Fulco (Pełka) von Krakau (1186–1207) sind der erste Platz nach dem Gnesener Erzbischof in der Sitzordnung und die Konsekration des Gnesener Erzbischofs durch den Bischof von Krakau festgelegt72. Für das Bistum Lebus ist die erste Papsturkunde aus den Kanzleiregistern Innozenz’ III. bekannt73. Die böhmisch-mährische Kirche mit den Bistümern Prag und Olmütz gehört zum Mainzer Metropolitanverband, aber nur sehr selten sind päpstliche Schreiben in böhmischen Angelegenheiten an die Mainzer Erzbischöfe adressiert worden74. Die Überlieferung der Papsturkunden für Böhmen-Mähren und Polen in 20 Dezennien zeigen unten die folgenden Diagramme75, aber die genaue Zahl der Papsturkunden für Ungarn lässt sich wegen der noch nicht erschienenen Ausgaben der Diplomata Hungariae antiquissima, Bd. 2 (1132– 1196) und der Diplomata Hungariae antiqua (1197–1300) nicht feststellen76.

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tum Breslau: JL 10040, Repertorium Nr. 58, Bullarium Poloniae Bd. 1 Nr. 20 (1155 Apr. 23); ed. Karol MALECZYŃSKI: Codex diplomaticus nec non epistolaris Silesiae, Bd. 1, Wrocław 1951–1956, Nr. 35 S. 84–102, APPELT: Schlesisches UB (wie Anm. 17) Bd.1 Nr. 28 S. 19–21; Urban III. für das Bistum Krakau siehe unten Anm. 72. JL 15528, Repertorium (wie Anm. 9) Nr. 110, Bullarium Poloniae (wie Anm. 9) Bd. 1 Nr. 27 (1186 Febr. 4), ed. Franciszek PIEKOSIŃSKI: Kodeks dyplomatyczny katedry krakowskiej ś. Wacława, Bd 1, Kraków 1874 (Monumenta medii aevi historica res gestas Poloniae illustrantia 1), Nr. 3 S. 6–8; vgl. dazu Stanisław SZCZUR: Kościół krakowski a Stolica Apostolska we wczesnym średniowieczu, in: Analecta Cracoviensia 32 (2000) S. XLIII–LXVI, hier S. XLIX–LVI. Potthast 695, Repertorium (wie Anm. 9) Nr. 147, Bullarium Poloniae (wie Anm. 9) Bd. 1 Nr. 41 (1199 Mai 8), ed. Othmar HAGENEDER/Werner MALECZEK/Alfred A. STRNAD: Die Register Innocenz’ III., Bd. 2: 2. Pontifikatsjahr, 1199/1200. Texte, Rom/Wien 1979 (Publikationen des Österreichischen Kulturinstituts in Rom Abt. 2, 1, 2), Brief II/54 (56). CDBohem (wie Anm. 7) Bd. 1 Nr. 68 S. 70–72 (JL 4837); CDBohem Bd. 2 Nr. 1 S. 1 (Potthast 75), Nr. 9 S. 8f. (Potthast 850), Nr. 12 S. 9f. (Regest) (Potthast 1028), Nr. 43 S. 39f. (Potthast 2188), Nr. 65 S. 60f. (Potthast – ), Nr. 81 S. 75f. (Potthast 3561). Die Verteilung in Zahlen für Böhmen und Mähren lautet: bis 1069 keine Urkunde, bis 1079 14 Urkunden, bis 1089 eine Urkunde, bis 1099 eine Urkunde, bis 1139 keine Urkunde, bis 1149 25 Urkunden, bis 1159 eine Urkunde, bis 1169 keine Urkunde, bis 1179 eine Urkunde, bis 1189 drei Urkunden, bis 1199 sieben Urkunden, bis 1209 25 Urkunden, bis 1219 34 Urkunden. Die Verteilung in Zahlen für Polen lautet: bis 1069 keine Urkunde, bis 1079 eine Urkunde, bis 1129 keine Urkunde, bis 1139 eine Urkunde, bis 1149 vier Urkunden, bis 1159 drei Urkunden, bis 1169 keine Urkunde, bis 1179 zwei Urkunden, bis 1189 vier Urkunden, bis 1199 zwölf Urkunden, bis 1209 43 Urkunden, bis 1219 78 Urkunden. Vgl. László SOLYMOSI: Rapport sur la situation de la diplomatique en Hongrie. Le bilan du XXe siècle et l’état de l’année 2005, in: ADipl 52 (2006) S. 517–529, hier S. 521f.

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unsicher zu datierende Urkunden

Jahr

datierbare Urkunden

Aus dem 12. Jahrhundert sind die ersten Papsturkunden im Original erhalten. In Ungarn handelt es sich um ein feierliches Schutzprivileg Paschalis’ II. für die Benediktinerabtei Martinsberg/Pannonhalma von 110277, in Böhmen um ein feierliches Privileg Lucius’ II. für das Kollegiatkapitel St. Peter und Paul in Vyšehrad bei Prag von 114478 und in Polen um ein feierliches Schutzprivileg Eugens III. für das Regularkanonikerstift Tremessen/Trzemeszno von 114779. Einen Sonderfall in (kopialer) Überlieferung stellt allein Bischof Heinrich Zdík von Olmütz (1126–1150) mit 23 Papstbriefen dar, davon fünf von Innozenz II., zwei von Lucius II. und 16 von Eugen III.80. Vom Beginn des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhundert sind rund 130 päpstliche Originalurkunden für die 77 78 79 80

JL 5926, ed. DHung (wie Anm. 8) Bd. 1 Nr. 117 S. 331–334 (1102 Dez. 8). JL 8568, ed. CDBohem (wie Anm. 7) Bd. 1 Nr. 136 S. 138–140 (1144 Apr. 11). Siehe Anhang. Vgl. BISTŘICKÝ: Studien (wie Anm. 7) S. 137–140 (Verzeichnis von Zdík empfangenen und ihn betreffende Schriftstücke); HIRSCHMANN (wie Anm. 66) S. 111, 208f. Zu Heinrich Zdík vgl. Maria WOJCIECHOWSKA: Art. Henryk Zdík, in: SłowStarSłow 2 (1964) S. 206–208 (mit einer Abb.); Peter HILSCH: Art. Heinrich Zdik in: LexMA 4 (1989) Sp. 2085.

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ungarische Empfänger erhalten, allerdings nur 14 Stücke aus dem 12. Jahrhundert.81 Bemerkenswert ist auch die hohe Zahl der päpstlichen Dekretalen für Adressaten in Ungarn (bei Alexander III. 11 von über 700)82. Im Gegensatz zu 81 László SOLYMOSI: Der Einfluß der päpstlichen Kanzlei auf das ungarische Urkundenwesen bis 1250, in: HERDE/JAKOBS (wie Anm. 65) S. 87–96, hier S. 88 mit Anm. 5. Hierzu sind noch mehr als 500 Schreiben von Gregor VII. bis Innozenz IV. (1073– 1254) in kopialer Überlieferung bekannt, ebd. S. 88f. mit Anm. 6. 82 Paschalis II. für den Erzbischof von Gran: JL 6570 für Split, WH 952 (KI 1072), ed. BRETT: Some New Letters (wie Anm. 11) S. 89–94 Nr. 7 (zu um 1105); vgl. auch oben Anm. 11; Alexander III. für den Erzbischof Lukas von Gran: JL –, WH 87 (KI 98), ed. CHODOROW/DUGGAN: Decretales (wie Anm. 10) Nr. 96 S. 169–171 (zu 1159–81); dazu DUGGAN: Decretal Letters (wie Anm. 10) S. 10–12 Nr. 3 (zu 1162); Alexander III. für den Erzbischof Lukas von Gran: JL –, WH 730 (KI 826), ed. CHODOROW/DUGGAN: Decretales Nr. 91 S. 160–163 (zu ?1181); dazu DUGGAN: Decretal Letters S. 10–12 Nr. 3 (zu 1167–68); Alexander III. für den Erzbischof Lukas von Gran: JL 11308, WH 387 (KI 437), ed. Walther HOLTZMANN: Die Register Papst Alexanders III. in den Händen der Kanonisten, in: QFIAB 30 (1940) S. 13–87, hier S. 21–23 Nr. 1 (Regest und Kommentar) u. S. 81–84 (Text); DERS.: Jb. XII. századi pápai levelek (wie Anm. 10) S. 408–410 Nr. 1 (zu 1167 Sept. 20 – 1168 Sept. 19); dazu DUGGAN: Decretal Letters S. 10–12 Nr. 3; Alexander III. für den Erzbischof von Kalocsa: JL –, WH 616 (KI 694), ed. Walther HOLTZMANN: Papst Alexander III. und Ungarn, in: Ungarische Jahrbücher 6 (1926) S. 397–426 (Wiederabdr. in: DERS.: Beiträge zur Reichs- und Papstgeschichte des hohen Mittelalters. Ausgewählte Aufsätze, Bonn 1957 [BHF 8], S. 139–167), hier S. 399f. (S. 141f.) Nr. 1, DERS.: Jb. XII. századi pápai levelek S. 410f. Nr. 2 (zu 1163/4–1172); dazu DUGGAN: Decretal Letters S. 22f. Nr. 9; Alexander III. für den Bischof von Raab/Győr: JL 13970 (abc) u. JL 12411 (d), WH 276 (KI 304), DUGGAN: Decretal Letters S. 17–19 Nr. 6 (zu 1174 Oct. 25 – 1175 Oct. 10); Alexander III. für den Erzbischof Lukas von Gran: JL –, WH 919 (KI 1031), ed. HOLTZMANN: Papst S. 401–403 Nr. 3 (S. 143–145), DERS.: Jb. XII. századi pápai levelek S. 413f. Nr. 5 (zu um 1179 März); dazu DUGGAN: Decretal Letters S. 13f. Nr. 4; Alexander III. für den König von Ungarn: JL –, WH 531 (KI 597), ed. HOLTZMANN: Papst S. 403 (S. 145) Nr. 4, DERS.: Jb. XII. századi pápai levelek S. 414f. Nr. 6 (zu um 1179 März); dazu DUGGAN: Decretal Letters S. 13f. Nr. 4; Alexander III. für die ungarischen Suffraganbischöfe, Propsten, Äbte, Magnaten, Klerus und Laien: JL –, WH 1029 (KI 1156), ed. HOLTZMANN: Papst S. 401 (S. 142f.) Nr. 2, DERS.: Jb. XII. századi pápai levelek S. 412 Nr. 4 (zu um 1179 März); dazu DUGGAN: Decretal Letters S. 13f. Nr. 4; Alexander III. für den König von Ungarn: JL –, WH 690 (KI 783), ed. HOLTZMANN: Jb. XII. századi pápai levelek S. 415 Nr. 7 (zu 1162–81); dazu DUGGAN: Decretal Letters S. 8 Nr. 1 (zu 1172–81); Alexander III. für die Erzbischöfe von Gran und Kalocsa: JL 14104, WH 136 (KI 152): (a) Coniugatus in monasterium + (b) Sane si coniugati, ed. HOLTZMANN: Jb. XII. századi pápai levelek S. 411f. Nr. 3 (zu 1159–1179); dazu DUGGAN S. 9 Nr. 2; Alexander III. für die Empfänger im Bistum Neutra/Nyitra/Nitra: JL –, WH 1088 (KI 1220), ed. DUGGAN: Decretal Letters S. 19f. Nr. 7 (zu 1159–1181); Lucius III. für den Erzbischof von Gran: JL 15196 u. 15213, WH 14 (KI 16) u. WH 309 (KI 341), RI 4/4/4/2 Nr. 2313, ed. HOLTZMANN: Jb. XII. századi pápai levelek S. 415–417 Nr. 8 (zu 1181–1185), DUGGAN: Decretal Letters S. 14–17 Nr. 5; Cölestin III. für den Bischof Waitzen/Vác: JL 16623, WH 374 (KI 422), ed. HOLTZMANN: Jb. XII. századi pápai levelek S. 417 Nr. 9 (zu 1191 Nov.

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Ungarn sind aus Polen nur zwei Dekretalen Cölestins III. für den Bischof Fulco (Pełka) von Krakau83 und aus Böhmen vielleicht nur eine Dekretale Lucius’ III. für den Bischof von Prag bekannt84. In dem Pontifikat Innozenz’ III. nimmt Erzbischof Heinrich Kietlicz von Gnesen (1199–1219) eine besondere Stellung als Empfänger päpstlicher Schreiben ein, der im Januar 1207 während seines ersten Aufenthalts in Rom 25 Briefe in polnischen geistlichen und weltlichen Angelegenheiten erhielt85.

6. Die ältesten Kanones- und Dekretalensammlungen Die Durchsetzung des kanonischen Rechts erfolgte in Ungarn schon in der Regierungszeit Stephans I. (997–1038), obwohl dort keine der vorgratianischen Kanonessammlungen erhalten ist. Ausnahmen sind ein Einblattfragment der pseudoisidorischen Dekretalen wahrscheinlich der Kurzform A2 vom zweiten oder letzten Drittel des 10. Jahrhunderts, vielleicht aus einem Skriptorium in Belgien und Frankreich (oder auch Italien)86, ein Fragment der «Dio-

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5 – 1192 Jan. 9); dazu DUGGAN: Decretal Letters S. 20f. Nr. 8 (zu 1191 Nov. 5 – 1192 Juni 9). JL 17663, WH 430 (KI 485), Bullarium Poloniae (wie Anm. 9) Bd. 1 Nr. 30 (zu 1193 Jan. 21 – März 12); JL 17662, WH 1040a (olim 539) (KI 607, 1169, 1170) (zu 1193 [Apr. 14 – Mai 23]), Bullarium Poloniae Bd. 1 Nr. 36 (irrtümlich zu 1193 Apr. 14– 23). Die Dekretale Ex tuarum intelleximus continentia litterarum Lucius’ III. (Bullarium Poloniae Bd. 1 Nr. 26 für den Bischof von Krakau?) ist eher dem Bischof von Chur zuzuordnen, vgl. JL 15169, GP 2/2 S. 95 Nr. 35, WH 511 (KI 574), RI 4/4/4/2 Nr. 2077; Peter LANDAU: Kanonistische Ergänzungen zur Germania und Bohemia Pontificia. Päpstliche Dekretalen an Empfänger im Reich zwischen 1140 und 1198, in: Sacri canones servandi sunt. Ius canonicum et status ecclesiae saeculis XIII–XV, ed. Pavel KRAFL, Praha 2008 (Opera Instituti historici Pragae C 19), S. 241–257, hier S. 246f. Nr. 5. JL 15188 für Paris, WH 581 (KI 655) für Prag, RI 4/4/4/2 Nr. 2131 für Paris; vgl. dazu jüngst LANDAU: Ergänzungen (wie Anm. 83) S. 248 Nr. 7 für Prag. Allerdings kannte Landau noch nicht die Bemerkungen in RI 4/4/4/2 Nr. 2131. Bullarium Poloniae (wie Anm. 9) Bd. 1 Nr. 59–83, ed. Andrea SOMMERLECHNER/Othmar HAGENEDER/Christoph EGGER/Rainer MURAUER/Herwig WEIGL: Die Register Innocenz’ III., Bd. 9: 9. Pontifikatsjahr, 1206/1207. Texte und Indices, Wien 2004 (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturforum in Rom Abt. 2, 1, 9), Briefe IX/214–234 (216–236), 236–237 (238–239) u. 239 (241). Vgl. Wojciech BARAN-KOZŁOWSKI: Arcybiskup gnieźnieński Henryk Kietlicz (1199–1219). Działalność kościelna i polityczna, Poznań 2005 (Poznańskie Studia Historyczne [12]), S. 94–119. Budapest, Központi Papnevelő Intézet Pálos Könyvtár [Paulinerbibliothek des Zentralpriesterseminars], Sign. S. Fr. l. m. 49. Die Datierung laut einer freundlichen Mitteilung von Herrn Prof. Dr. Hartmut Hoffmann (Göttingen) per E-Mail am 28. 3. 2009, für die herzlich gedankt sei. Sichere Aussagen zur Schriftheimat des Fragments sind nach paläographischen Kriterien schwer möglich, da die Schrift kaum besondere

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nysio-Hadriana» aus dem 11. Jahrhundert, die italienisch sein könnte87, sowie ein Einblattfragment des Burchardschen Dekrets, das etwa gegen Ende des 11. Jahrhunderts, am wahrscheinlisten in Oberitalien beziehungsweise im regnum Burgundiae, entstanden ist88. Auf Grund der neuesten Untersuchung von Vincent Múcska können wir jedoch vorsichtig annehmen, dass das Dekret des Bischofs Burchard von Worms bis ins frühe 12. Jahrhundert die direkte Vorlage für die ungarische kirchliche Gesetzgebung war89. Eine Handschrift, die einzelne Bücher der «Collectio XII partium» zusammen mit solchen des Dekrets des Bischofs Burchard von Worms überliefert, und drei Exemplare der «Collectio Tripartita», die dem Bischof Ivo von Chartres († 1115) zugewiesen wird, aus den Domkapitelbibliotheken Gnesen, Krakau und Olmütz stellen die ältesten erhaltenen Kanonessammlungen in OstMerkmale aufweist. Vgl. Fragmenta latina codicum in Bibliotheca Seminarii Cleri Hungariae Centralis, rec. László MEZEY, Budapest 1988 (Fragmenta codicum in bibliothecis Hungariae 1/2), S. 56f. u. Taf. 25 (Ausschnitt) mit der Lokalisierung in Deutschland und der Datierung auf die 2. Hälfte des 9. Jh., korrigiert von Bernhard BISCHOFF (†): Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), bearb. v. Birgit EBERSPERGER, T. 1: Aachen-Lambach, Wiesbaden 1998 (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Veröffentlichungen der Kommission fur die Herausgabe der mittelalterlichen Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz), S. 166 auf das 10. Jh. Vgl. auch Horst FUHRMANN: Stand, Aufgaben und Perspektiven der Pseudoisidorforschung, in: Fortschritt durch Fälschungen? Ursprung, Gestalt und Wirkungen der pseudoisidorischen Fälschungen. Beiträge zum gleichnamigen Symposium an der Universität Tübingen vom 27. und 28. Juli 2001, hg. v. Wilfried HARTMANN/Gerhard SCHMITZ, Hannover 2002 (MGH Studien und Texte 31), S. 227–262, hier S. 251 Anm. 59. Dieses Fragment ist bei Lotte KÉRY: Canonical Collections of the Early Middle Ages (ca. 400–1140). A Bibliographical Guide to the Manuscripts and Literature, Washington, D.C. 1999 (History of Medieval Canon Law [1]) nicht verzeichnet. 87 Budapest, Eötvös Loránd Tudományegyetem Egyetemi Könyvtár [Bibliothek der Eötvös-Loránd-Universität], Sign. U. Fr. l. m. 85. Die Datierung und die Schriftheimat laut einer freundlichen Mitteilung von Herrn Prof. Dr. Hartmut Hoffmann (Göttingen) per E-Mail am 10. 3. 2010, für die herzlich gedankt sei. Vgl. Fragmenta latina codicum in Bibliotheca Universitatis Budapestinensis, rec. László MEZEY, Budapest 1983 (Fragmenta codicum in bibliothecis Hungariae 1/1), S. 100f. u. Taf. 27. Dieses Fragment ist bei KÉRY (wie Anm. 86) nicht verzeichnet. 88 Ödenburg/Sopron, Berzsenyi Dániel Evangélikus Gimnázium (Líceum) [Evangelische Dániel-Berzsenyi-Gymnasium/Lyzeum], Fragm. 68, Burchard von Worms, Decretorum libri XX, lib. VIII cc. 39, 42, 44 u. 45. Die Datierung und die Schriftheimat gemäß freundlicher Mitteilung von Herrn Prof. Dr. Hartmut Hoffmann (Göttingen) per E-Mail am 14. 5. 2009 und Herrn Dr. Rudolf Pokorny (MGH München) per E-Mail am 28. 5. 2009, wofür herzlich gedankt sei. Vgl. Mittelalterliche lateinische Handschriftenfragmente in Sopron, hg. v. Edit MADAS, Budapest 2006 (Fragmenta et codices in bibliothecis Hungariae 5), S. 90 Nr. 68 u. Abb. 14. Dieses Fragment ist bei KÉRY (wie Anm. 86) nicht verzeichnet. 89 Vincent MÚCSKA: Uhorsko a cirkevné reformy 10. a 11. storočia, Bratislava 2004 (Acta Historica Posoniensia 4, Monographiae 1), passim.

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mitteleuropa dar90. Die Krakauer Handschrift mit der «Tripartita», der «Institutio canonicorum Aquisgranensis», dem «Martyrologium Bedae Venerabilis» und den «Ordines Romanae ecclesiae» wurde in einem Skriptorium wohl in Nordfrankreich geschrieben und ist sicher um 1110 entstanden. Die präzise Datierung ermöglichen zwei Verzeichnisse des Krakauer Domschatzes von 1101 und 1110, die eine Hand – neben einem Nachtrag eines zweites Schreibers im Verzeichnis von 1110 – unter dem Bischof Maurus von Krakau (1110– 1118) auf das letzte Folium geschrieben hat. Die Krakauer «Tripartita» ist eine Zwischenredaktion, entsprechend anderen Kopien aus Fécamp (Diözese Rouen) und Vorau (Diözese Salzburg), und ist demnach die älteste datierbare Handschrift der überarbeiteten Fassung dieser Kanonessammlung. Die Gnesener «Tripartita» ist höchstwahrscheinlich unter dem Erzbischof Jakob so genannt von Żnin (1124/27–1148) ins Land gekommen. Sie gehört zu der unvollständigen süddeutschen Tradition91. In diesem Kontext sei es nochmals wiederholt, dass gemäß Martin Bretts Studien zur handschriftlichen Überlieferung der «Tripartita»92 keinesfalls ein Exemplar vom päpstlichen Legaten Galo, Bischof-Elekt von Beauvais und Freund Ivos von Chartres, 1103 nach Polen gebracht und dann als Archetypus für die «Tripartita» aus den Domkapitelbibliotheken zu Gnesen und Krakau benutzt wurde93. Von zwei weiteren kanonistischen Handschriften nimmt die Forschung an, dass sie im durch den Bischof Heinrich Zdík (1126–1150) errichteten Olmützer Skriptorium entstan90 KÉRY (wie Anm. 86) S. 142, 156, 245. 91 Kraków, Archiwum Krakowskiej Kapituły Katedralnej, Ms. 84; Gniezno, Archiwum Archidiecezjalne – Biblioteka Katedralna, Ms. 25. Zur Beschreibung den beiden Codices vgl. jüngst Przemysław NOWAK: The Manuscripts of the Collectio Tripartita in Poland, in: Bishops, Texts and the Use of Canon Law around 1100. Essays in Honour of Martin Brett, ed. Bruce Clark BRASINGTON/Kathleen Grace CUSHING, Aldershot/Burlington 2008 (Church, Faith and Culture in the Medieval West), S. 91–109 (mit 10 ganzseitigen Abb. des Ms. 84, fol. 1r, 85v–86r, 153r, 171r, 185r/v–186r, 249r/v); dazu die Abbildungen in: Specimina Palaeographica, ed. Stanisław KRZYŻANOWSKI, Kraków 1913, Tafel III u. IV (Ms. 84, fol. 25r und zwei Auschnitte mit den Verzeichnissen des Krakauer Domschatzes von 1101 und 1110); Źródła kultury duchowej Krakowa, hg. v. Elżbieta MACIOŁ, Kraków 2007 (Ausstellungskatalog), S. 36–39 Nr. I/7 (3 ganzseitigen Farbabb. des Ms. 84, fol. 1r und 249r/v S. 37–39); Ars scribendi. O sztuce pisania w średniowiecznej Polsce, hg. v. Leszek WETESKO, Gniezno 2008 (Ausstellungskatalog), S. 70f. Kat. 6 (2 Farbabb. des Ms. 25, S. 289, 388 Konsanguinitätstafel u. S. 389). Aufgrund der freundlichen Mitteilung von Herrn Prof. Dr. Hartmut Hoffmann (Göttingen) per E-Mail am 2. 12. 2009 muss ich meine frühere Vermutung über die Schriftheimat der Krakauer «Tripartita» am Niederrhein zurückziehen, vgl. Przemysław NOWAK: Źródła (wie oben) S. 36; DERS.: The Manuscripts (wie oben) S. 95 Anm. 25 u. S. 99; DERS.: Kirchenprovinz (wie Anm. 11) S. 198 (Rheinland). 92 Vgl. das Handschriftenverzeichnis der «Tripartita» in der Einleitung zur vorläufigen Edition von Martin BRETT und Przemysław NOWAK im Internet unter in der Fassung vom 9. November 2009. 93 NOWAK: Kirchenprovinz (wie Anm. 11) S. 197f.

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den sind. Nach den paläographischen Untersuchungen von Miroslav Flodr lässt sich annehmen, dass die Handschrift der «Collectio XII partium» zusammen mit dem «Decretum Burchardi» (Sign. CO.202) von einem Schreiber und die Handschrift der «Tripartita» (Sign. CO.205) von neun Schreibern, davon drei als Rubrikatoren, geschrieben wurde. Beide Codices gehören auch zu den am besten ausgestatteten und ausgeführten Handschriften des Olmützer Skriptoriums94. Die Entstehungszeit den beiden Codices hat Jan Bistřický auf die erste Periode des Bestehens des Skriptoriums in den Jahren 1139–1141 präzisiert95. Es war eine Periode, in der Bischof Zdík nach seiner Rückkehr aus Jerusalem 1138 beziehungsweise nach seiner Rückkehr vom zweiten Laterankonzil (1139) neue Anregungen mitgebracht hatte96. In der Handschrift der «Tripartita», welche die letzte Stufe in der Überlieferung darstellt97, hat ein erfahrener Schreiber des Skriptoriums, der auch die Bischofsurkunden geschrieben hat, noch Abschriften der Urkunden des Wormser Konkordats von 1122 (Vorsatz, verso a-b), der Beschlüsse des Konzils von Reims von 1131 (fol. 101va/vb), eines Briefs des französischen Königs Ludwig VI. über die Doppelwahl von 1130 (fol. 202ra)98, eines Briefs von Innozenz II. an die deutsche Kirche vom 20. Juni 1130 (fol. 202ra/rb; JL 7413) und schließlich eines Briefs des Erzbischofs Adalbert I. von Mainz über die Übertragung des Bischofssitzes in Olmütz (fol. 202rb)99 sowie in einer zweiten kanonistischen Handschrift die Präambel zur

94 Zemský archiv v Opavě, pobočka Olomouc, Sbírka rukopisů Metropolitní kapituly u sv. Václava Olomouc, CO.202 und CO.205. Vgl. Miroslav FLODR: Skriptorium olomoucké. K počátkům písařské tvorby v českých zemích, Praha 1960 (Opera universitatis Brunensis, Facultas philosophica 67 [eigtl. 65]), S. 66–76, 121–124, 247–254 mit den Abb. 6–27. Zu den beiden Codices vgl. auch Miroslav BOHÁČEK: Nejstarší právnické rukopisy v Olomoucké kapitulní knihovně, in: Sborník Krajského vlastivědného musea v Olomouci 4 (1956–1958) S. 327–337. Zur Beschreibung CO.202 vgl. noch Jörg MÜLLER: Untersuchungen zur Collectio Duodecim Partium, Ebelsbach 1989 (Münchener Universitätsschriften, Juristische Fakultät, Abh. zur rechtwissenschaftlichen Grundlagenforschung 73), S. 42–44. 95 BISTŘICKÝ: Studien (wie Anm. 7) S. 198–204 u. 221. 96 Ebd. S. 204. 97 Vgl. im Handschriftenverzeichnis der «Tripartita» unter der Sigle L in der Einleitung zur vorläufigen Edition von BRETT/NOWAK (wie Anm. 92). 98 Zu diesem Brief vgl. Timothy REUTER: Zur Anerkennung Papst Innocenz’ II. Eine neue Quelle, in: DA 39 (1983) S. 395–416. 99 Dieser Brief ist auch in der Handschrift CO.202, fol. 225vb übeliefert, vgl. CDBohem (wie Anm. 7) Bd. 1 Nr. 114 S. 115f. (zu vor 1131 Juni 30); Mainzer UB, bearb. v. Manfred STIMMING, Bd. 1: Die Urkunden bis zum Tode Erzbischof Adalberts I. (1137), Darmstadt 1932 (ND 1972) (Arbeiten der Historischen Kommission für den Volksstaat Hessen), Nr. 577 S. 494 (zu 1131). Andere Datierung, aber ohne Begründung, bei BISTŘICKÝ: Studien (wie Anm. 7) S. 137 Nr. 9 (zu 1130 März 1 – 1137 Dez. 8).

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Priesterweihordnung (fol. 225vb–226rb) nachgetragen100. Über die Herkunft dieses Schreibers konstatiert Bistřický: „Seine Schrift und die äußere Gestaltung der von ihm geschriebenen Urkunden weisen gemeinsame Züge mit Urkunden des Mainzer Erzbischofs Adalberts I. auf, insbesondere mit den Stücken seiner Notare Adelhard, Propst zu St. Severus in Erfurt, und Heinrich, Propst in Jechaburg, was wohl zu bedeuten hat, daß der Olmützer Schreiber direkt aus der Kanzlei des Erzbischofs von Mainz, Zdíks Metropoliten, herkam.“101 Die Krakauer Domkapitelbibliothek verwahrt noch eine hochinteressante oberitalienische Handschrift vom Ende des 12. Jahrhunderts mit einer frühen Fassung der «Compilatio prima» («Breviarium extravagantium» des Bernhard von Pavia) und dem Glossenapparat des Petrus Hispanus, der «Collectio decretalium Cracoviensis», einem Commentum des Azo zum Digestentitel ‚De diversis regulis iuris antiqui‘ (D. 50.17), den Authentiken (mit Glossen) und dem Ordo iudiciarius ‚Olim edebatur actio‘ des Rodoricus Modicipassus (mit Glossen), sowie den Nachträgen vom Anfang des 13. Jahrhunderts, nämlich den Werken des Johannes Bassianus («Arbor actionum», die Summa de actionibus ‚Quicumque vult‘, die Summa de accusationibus ‚Quoniam omnium legislatorum‘) und dem Titel ‚De actionibus‘ (4.6) der erster Fassung der «Summa Institutionum» des Azo102. Adam Vetulani vermutet, dass Ivo 100 Zu den Nachträgen des sog. Schreibers I in den Handschriften CO.202 und CO.205 vgl. BISTŘICKÝ: Studien (wie Anm. 7) S. 201. 101 Jan BISTŘICKÝ: Das Urkundenwesen der Olmützer Bischöfe des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Die Diplomatik der Bischofsurkunde vor 1250. Referate zum VIII. Internationalen Kongreß für Diplomatik, Innsbruck, 27. September – 3. Oktober 1993, hg. v. Christoph HAIDACHER/Werner KÖFLER, Innsbruck 1995, S. 131–137, Zitat S. 132. Zur Herkunft des sog. Schreibers I vgl. auch DERS.: Studien (wie Anm. 7) S. 175–177 u. die Abb. 1–5 nach S. 256; DERS.: Graphische Symbole in den ältesten böhmischen Urkunden, in: Graphische Symbole in mittelalterlichen Urkunden. Beiträge zur diplomatischen Semiotik, hg. v. Peter RÜCK, Sigmaringen 1996 (Historische Hilfswissenschaften 3), S. 595–606, hier S. 595 mit den Abb. 2–5 auf S. 597–599. 102 Kraków, Archiwum Krakowskiej Kapituły Katedralnej, Ms. 89. Vgl. Adam VETULANI: Pomniki średniowiecznej literatury prawniczej w Ms. 89 Krakowskiej Kapituły Katedralnej, Wrocław 1950 (Sprawozdania Wrocławskiego Towarzystwa Naukowego 5, Dodatek 2); eine französische Fassung: Un manuscrit bolonais du chapitre cathédral de Cracovie, in: Eos 48/2 (Symbolae Raphaeli Taubenschlag dedicatae, Bd. 2) (1956 [ersch. 1957]) S. 389–409 (ND in: DERS.: Institutiones de l’Eglise et canonistes au Moyen Age. De Strasbourg à Cracovie. Recueil d’études éd. Wacław URUSZCZAK, Aldershot/Brookfield 1990 [Variorum Collected Studies Series 334], Nr. VII mit Addenda, S. 3f.); DERS.: Collectio Cracoviensis. Z badań nad redakcją średniowiecznych zbiorów przepisów prawnych, in: StŹródł 8 (1963) S. 49–82 (mit 4 Abb.); DERS./Wacław URUSZCZAK: Collectio Authenticarum dans le Ms 89 de la Bibliothèque du Chapitre cathédral de Cracovie, in: RDC 30 (1980) S. 364–381; Gérard FRANSEN: Les diverses formes de la ‘Compilatio prima’, in: Scrinium Lovaniense. Mélanges historiques Étienne van Cauwenbergh, Gembloux 1961 (Université de Louvain, Recueil de travaux d’histoire et de philologie 4/24), S. 235–253 (ND in: DERS.: Ca-

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Odrowąż, der Kanzler des Krakauer Herzogs Leszek des Weißen, diese Handschrift von seinen italienischen Studienaufenthalt im Jahr 1209 nach Krakau mitgebracht hat103. Hier interessiert uns vor allem die «Collectio Cracoviensis». Sie gehört zu den so genannten „primitiven“ Sammlungen, die vollständige Dekretalentexte ohne thematische Ordnung bieten104. Die «Collectio Cracoviensis» enthält insgesamt 105 Dekretalen, davon 78 Clemens’ III. und Cölestins III., darunter auch eine Dekretale Cölestins III. für den Bischof Fulco (Pełka) von Krakau105. Die Sammlung ist durch Vetulani auf das Ende des 12. nones et Quaestiones. Évolution des doctrines et système du droit canonique, hg. u. mit einer Einl. vers. v. Antonio GARCIA Y GARCIA, 3 Bde., Goldbach 2002 [Bibliotheca Eruditorum 25], Bd. 1/1: Manuscrits juridiques et collections canoniques, S. 95*–113*); DERS.: La tradition manuscrite de la ‘Compilatio prima’, in: Proceedings 2. IntKongrMK, Boston College, 12–16 August 1963, ed. Stephan KUTTNER/John Joseph RYAN, Città del Vaticano 1965 (MIC C 1), S. 55–62 (ND in: DERS.: Canones 1/1 S. 123*–130*); Gero DOLEZALEK: Verzeichnis der Handschriften zum römischen Recht bis 1600. Materialsammlung, System und Programm für elektronische Datenverarbeitung, 4 Bde., Frankfurt a. M. 1972, hier Bd. 1: Grundverzeichnis I (AachenMontserrat) o. S. (mit Lit.); Linda FOWLER-MAGERL: Ordo iudiciorum vel ordo iudiciarius. Begriff und Litteraturgattung, Frankfurt a. M. 1984 (Ius commune, Sh. 19; Repertorien zur Frühzeit der gelehrten Rechte [1]), S. 76–80, 96–102, 178f. Zum englischen Kanonisten Rodoricus Modicipassus als Verfasser des Ordo iudiciarius ‚Olim edebatur‘ vgl. André GOURON: Qui a écrit l’ordo «Olim edebatur»?, in: Initium 8 (2003) S. 65–84 (ND in: DERS.: Pionniers du droit occidental au Moyen Âge, Aldershot/Burlington 2006 [Variorum Collected Studies Series 865], Nr. XIII mit Addenda, S. 3f.); vgl. auch Peter LANDAU: Rodoicus Modicipassus – Verfasser der Summa Lipsiensis?, in: ZRGKanAbt 92 (2006) S. 340–354, hier S. 350f. 103 Adam VETULANI: Opory wobec prawa rzymskiego w dawnej Polsce, in: Analecta Cracoviensia 1 (1969) S. 372–387, hier S. 377. Ivo Odrowąż ist in Saint-Victor in Paris (vor 1198 und um 1215), sowie 1209 am Rechtsstudium an der kurzlebigen Universität von Vincenza nachweisbar, später als Bischof von Krakau (1218–1229), vgl. Roman GRODECKI: Art. Iwo (Iwan bzw. Jan) Odrowąż, in: PSB 10 (1962–1964) S. 187–192; Jacek MACIEJEWSKI: Episkopat polski doby dzielnicowej 1180–1320, Kraków u. a. 2003, S. 232f. In einer Handschrift des Buchs Leviticus mit der Interlinearglosse des Anselm von Laon und der Marginalglosse der Glossa ordinaria (Kraków, Archiwum Krakowskiej Kapituły Katedralnej, Ms. 66) ist noch ein Bücherverzeichnis aus dem 12./13. Jh. überliefert, das in der Forschung Ivo Odrowąż zugeschrieben wird, vgl. Zofia BUDKOWA: Księgozbiór polskiego uczonego z XII/XIII wieku, in: StŹródł 1 (1957) S. 109–118 (mit 3 Abb.); vgl. dazu auch eine ganzseitige Farbabbildung, in: Źródła (wie Anm. 91) S. 94–96 Nr. II/10 (Farbabb. S. 95). 104 Zu den „systematischen“ und „primitiven“ Sammlungen insgesamt jetzt: Charles DUGGAN: Decretal Collections from Gratian’s Decretum to the Compilationes antiquae. The Making of the New Case Law, in: The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, 1140–1234. From Gratian to the Decretals of Pope Gregory IX, hg. v. Wilfried HARTMANN/Kenneth PENNINGTON, Washington, D. C. 2008 (History of Medieval Canon Law [3]), S. 246–292. 105 VETULANI: Collectio Cracoviensis (wie Anm. 102) S. 59 Nr. 9 (JL 17663); vgl. dazu DERS.: Nowe źródło do historii staropolskiego prawa małżeńskiego, in: CPH 4 (1952) S. 126–163, mit einem Nachtrag von Zofia KOZŁOWSKA-BUDKOWA: W sprawie dia-

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Jahrhunderts datiert, obwohl eine Dekretale Innozenz’ III. Nuper a nobis an den Bischof von Breslau auf Rasur geschrieben ist106. Nach der Textfortsetzung der «Collectio Cracoviensis» auf dem ersten Folium ist noch ein Verzeichnis der Kelche des Krakauer Domschatzes von 1252 eingetragen107. Ein Überblick auf die älteste erhaltene handschriftliche Überlieferung des kanonischen Rechts in Ostmitteleuropa hat deutlich gezeigt, dass die Vorlagen mit den konziliaren und päpstlichen Gesetzgebung nicht direkt aus Rom rezipiert wurden.

7. Die Legaten Über die päpstlichen Legaten in Ostmitteleuropa besitzen wir neben sechs Legatenurkunden für böhmische, polnische und ungarische Empfänger108 lediglich kurze Nachrichten in Papstbriefen, ungarischen Urkunden sowie in den historiographischen Quellen. Zu Beginn der 1070er Jahre waren die Legaten Rudolf sowie Bernhard109 und Gregor110 mit den Streitigkeiten zwischen dem Herzog Vratislav II. von Böhmen und dessen Bruder Bischof Jaromir-Gebhard von Prag und ebenso zwischen diesem und dem Bischof Johannes von Olmütz befasst111. Als nächste ist die Legation des Kardinalbischofs Johannes von Tusculum als Überbringer des von Papst Innozenz II. dem Propst in Vyšehrad bei Prag verliehenen Rechts zur Verwendung von Mitra und Sandalen aus dem Jahr 1133 zu nennen112. Ausführlicher wird in den Quellen die Legation des Kardinaldiakons Guido (Pisanus) von Castro Ficeclo nach Böhmen und Mähren (1142–1146)

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kona Wita, S. 160f. (Wiederabdr. in: Z badań nad kulturą prawniczą w Polsce piastowskiej, Wrocław u. a. 1976, S. 35–74, ohne Nachtrag). Siehe auch oben Anm. 83. VETULANI: Collectio Cracoviensis (wie Anm. 102) S. 59 Nr. 8 (mit dem Incipit Tertius ut ultimus) u. S. 72. Zu diesem Brief Innozenz’ III. für den Bischof (Jarosław) von Breslau vgl. auch Potthast 700, Repertorium (wie Anm. 9) Nr. 148, Bullarium Poloniae (wie Anm. 9) Bd. 1 Nr. 42 (1199 Mai 16), ed. HAGENEDER/MALECZEK/STRNAD: Die Register Innocenz’ III. (wie Anm. 73) Brief II/63 (66). Ein Verzeichnis der Kelche des Krakauer Domschatzes von 1252, ed. August BIELOWSKI, in: MPH 1 (1864, ND 1960), S. 378. Vgl. Stefan WEISS: Die Urkunden der päpstlichen Legaten von Leo IX. bis Coelestin III. (1049–1198), Köln u. a. 1995 (Beih. zu J. F. Böhmer, RI 13), S. 93 (Kap. IX, 7 Nr. †1), S. 147f. (Kap. XII, 15 Nr. 1), S. 155f. (Kap. XIV, 5 Nr. 1), S. 281 (Kap. XX, 29 Nr. 1), S. 288 (Kap. XXII, 2 Nr. 1 u. 1a). Zu ihm vgl. Rudolf HÜLS: Kardinäle, Klerus und Kirchen Roms 1049–1130, Tübingen 1977 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 48), S. 245f. Zu ihm vgl. HÜLS (wie Anm. 109) S. 249. Zu den Legationen nach Böhmen während der Pontifikate Alexanders II. und Gregors VII. vgl. Otto SCHUMANN: Die päpstlichen Legaten in Deutschland zur Zeit Heinrichs IV. und Heinrichs V. (1056–1125), Marburg 1912, S. 17–22. Reinhard WENSKUS: Zu einigen päpstlichen Legationen nach Böhmen und Mähren im 12. Jahrhundert, in: ZKG 70 (1959) S. 141–146, hier S. 143–146.

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beleuchtet. Der Legat trat als Friedensvermittler zwischen Herzog Vladislav II. von Böhmen und den mährischen Verwandten Konrad von Znaim, Vratislav von Brünn und Otto von Olmütz hervor und war mit der Verbesserung der Kirchenzucht, besonders mit der Bekämpfung der Simonie und der Einhaltung des Zölibats befasst113. Danach ist die Legation des Subdiakons Johannes als Überbringer eines Papstbriefes Eugens III. an den Bischof Heinrich Zdík von Olmütz mit der Einladung zu einer Synode nach Trier zum 21. März 1148 (JL 9147) zweifelsfrei bezeugt114. Im Jahr 1197 versuchte Kardinaldiakon Petrus Capuanus von S. Maria in Via lata, wieder die Einhaltung der Kirchendisziplin in Böhmen und Polen einzufordern115. 1204 wurde noch der Subdiakon und Kapellan T. beauftragt, die nötigen Untersuchungen wegen der Errichtung eines Metropolitansitzes in Böhmen vorzunehmen116. Im Gegensatz zu Böhmen und Mähren sind päpstliche Legationen nach Polen wesentlich häufiger nachzuweisen. Aus einem Brief Gregors VII. an Herzog Bolesław II. wissen wir von päpstlichen Legaten, die dieses Schreiben höchstwahrscheinlich nach Polen mitgebracht haben117. Nach einer Vermutung Skwierczyńskis waren sie bei der Reorganisation der polnischen Kirchenprovinz und der Errichtung des Bistums Płock für Masowien 1075 tätig, jedoch nicht bei der Königskrönung Bolesławs II. (25. Dezember 1076), wie die

113 Vgl. Luchesius SPÄTLING: Kardinal Guido und seine Legation in Böhmen-Mähren (1142–1146), in: MIÖG 66 (1958) S. 306–330, mit den Ergänzungen bei Peter HILSCH: Die Bischöfe von Prag in der frühen Stauferzeit. Ihre Stellung zwischen Reichs- und Landesgewalt von Daniel I. (1148–1167) bis Heinrich (1182–1197), München 1969 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 22), S. 40–52 u. S. 234–238. Zu seinem Brief vgl. WEISS (wie Anm. 108) S. 147f. (Kap. XII, 15 Nr. 1) (zu 1143 Sept. 24 – Okt. 27). 114 JL 9147 zählen MENDYS: Podejrzane listy (wie Anm. 7) S. 77f. und WENSKUS (wie Anm. 112) S. 141 zu modernen Fälschungen Antonín Bočeks († 1847), zuletzt aber als echt gedruckt bei BISTŘICKÝ: Studien (wie Anm. 7) S. 250 Nr. 23 ([1147] Okt. 11). 115 Werner MALECZEK: Papst und Kardinalskolleg von 1191 bis 1216. Die Kardinäle unter Coelestin III. und Innocenz III., Wien 1984 (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom Abt. 1, 6), S. 117–124, bes. S. 119; DERS.: Petrus Capuanus. Kardinal, Legat am Vierten Kreuzzug, Theologe († 1214), Wien 1988 (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom Abt. 1, 8), bes. S. 86–92; DERS.: Pietro Capuano. Patrizio amalfitano, Cardinale, Legato alla Quarta Crociata, Teologo († 1214), edzione riveduta ed aggiornata dall’autore, traduzione e cura di Fulvio DELLE DONNE, Amalfi 1997 (Biblioteca Amalfitana 2), bes. S. 60–68. Zu seiner Deperditum vgl. Repertorium (wie Anm. 9) Nr. 139 (zu 1197 Mai–1198 Jan.). 116 Heinrich ZIMMERMANN: Die päpstliche Legation in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Vom Regierungsantritt Innocenz’ III. bis zum Tode Gregors IX. (1198–1241), Paderborn 1913 (Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland. Veröffentlichungen der Sektion für Rechts- und Sozialwissenschaft 17), S. 57 Nr. 13b. 117 JL 4958, ed. CASPAR: Register (wie Anm. 63) II/73 S. 233–235 (1075 Apr. 20).

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ältere Literatur angenommen hat118. Im 12. Jahrhundert sind wieder päpstliche Legaten in Polen anwesend: Galo, Bischof-Elekt von Beauvais (danach Bischof von Paris, 1104–1116)119, Kardinalbischof Aegidius von Tusculum120, Kardinalpresbyter Humbald von SS. Giovanni e Paolo121, Guido von Crema, Kardinaldiakon von S. Maria in Porticu (später Gegenpapst Paschalis [III.])122, Rainald123, Kardinaldiakon Johannes Malabranca von S. Teodoro124 und Petrus Capuanus125. Sie haben sich mit Bischofsabsetzungen (1104), der Kirchenorganisation im christianisierten Pommern und der Errichtung der Bistümer Lebus und Kruschwitz-Leslau (um 1124), den Besitzbestätigungen für das Benediktinerkloster Tyniec bei Krakau (um 1125) und für Propst Bernhard der Stiftskirche des heiligen Adalbert in Tremessen/Trzemeszno (1145), mit einer politischen Intervention zwischen dem Seniorherzog (princeps) Władysław II. dem Vertriebenen (1138–1146) und seinen jüngeren Brüdern sowie einem Streit zwischen dem Bischof Gethco von Krakau und dem Abt Calixt des Breslauer Vinzenzstiftes über den Zehnt eines Dorfes (um 1179) und mit den Reformen in der Landeskirche von allgemeiner Geltung wie Priesterzölibat, Simonie und Ehegesetzen befasst126. Seit dem Pontifikat Alexanders III. (1159–1181) avancierte das Árpádenkönigreich Ungarn in den Beziehungen der Kurie zu einem der wichtigsten 118 Krzysztof SKWIERCZYŃSKI: Recepcja idei gregoriańskich w Polsce do początku XIII wieku, Wrocław 2005 (Monografie Fundacji na Rzecz Nauki Polskiej), S. 42–56. 119 Zu ihm vgl. T. DE MOREMBERT (= Henri TRIBOUT DE MOREMBERT): Galon, in: DHGE 19 (1981) Sp. 911. 120 Zu ihm vgl. HÜLS (wie Anm. 109) S. 142f. Zu seiner Legatenurkunde vgl. Repertorium (wie Anm. 9) Nr. 26 (zu 1123 Mai–1125 Jan.); WEISS (wie Anm. 108) S. 93 (Kap. IX, 7 Nr. †1) (zu 1123 Ende–1125 Anf.). 121 Zu ihm vgl. Barbara ZENKER: Die Mitglieder des Kardinalskollegiums von 1130 bis 1159, Würzburg 1964, S. 136 (als Legat nach Polen nicht vermerkt). Zu seiner Anwesenheit in Deutschland und Polen im Zeitraum von 1144/45 vgl. Claudia ZEY: Zum päpstlichen Legatenwesen im 12. Jahrhundert. Der Einfluß von eigener Legationspraxis auf die Legatenpolitik der Päpste am Beispiel Paschalis’ II., Lucius’ II. und Hadrians IV., in: Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts, hg. v. Ernst-Dieter HEHL/Ingrid Heike RINGEL/Hubertus SEIBERT, Stuttgart 2002 (Mittelalter-Forschungen 6), S. 243–262, hier S. 252f. Anm. 69. Zu seiner Legatenurkunde vgl. Repertorium (wie Anm. 9) Nr. 44 (zu 1146 März 2); WEISS (wie Anm. 108) S. 155f. (Kap. XIV, 5 Nr. 1) (zu 1145 März 2). 122 Zu ihm vgl. ZENKER (wie Anm. 121) S. 56–59. 123 Zur Probleme mit der Identifizierung vgl. WEISS (wie Anm. 108) S. 281 Anm. 234. Zu seiner Legatenurkunde vgl. Repertorium (wie Anm. 9) Nr. 107 (zu [1168–85] Jan. 13) mit der Datierungskorrektur auf der S. 97 (157) (zu 1176–1179); WEISS (wie Anm. 108) S. 281 (Kap. XX, 29 Nr. 1) (zu [1168–85] Jan. 13). 124 Zu ihm vgl. MALECZEK: Papst (wie Anm. 115) S. 88f. 125 S. oben bei Anm. 115. 126 Einen guten Überblick bieten SKWIERCZYŃSKI: Recepcja (wie Anm. 118) S. 278–289 mit Ergänzungen NOWAK: Kirchenprovinz (wie Anm. 11) S. 195–205.

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Länder in den Randgebieten des Abendlandes. Diese besondere Stellung bestätigt die große Zahl der päpstlichen Legaten, nämlich Kardinalpresbyter Teuzo von SS. Giovanni e Paolo, der nachweislich im Herbst 1091 Ungarn für Papst Urban II. und nicht, wie die ältere Forschung annahm, Kardinalpresbyter Teuzo inc. tit. für den Gegenpapst Wibert-Clemens (III.) bereist hat127, Kardinalpresbyter Augustin von SS. Quattro Coronati für Dalmatien und Ungarn (1103)128, Kardinalbischof Kuno von Praeneste/Palestrina (1111)129, Kardinalpresbyter Dietrich von S. Crisogono (1115)130, Petrus de Mizo, Kardinaldiakon von S. Eustachio (1161)131, Kardinalpresbyter Johannes Anagninus von S. Marco zusammen mit den Subdiakonen Theodin und Vitellius (Ende 1163/ Anfang 1164)132, Manfred von Lavagna, Kardinaldiakon von S. Giorgio in Velabro (1168/69)133, Kardinalbischof Walter von Albano (1176)134, Kardinalbischof Theobald von Ostia (Ende 1186/Anfang 1187)135, Gregor de Sancto

127 DHung (wie Anm. 8) Bd. 1 Nr. 88 S. 266–268 u. Nr. 89 S. 269; vgl. dazu Gergely KISS: „Teuzo sancte Romane Ecclesie legatus ... Teuzo cardinalis” (Adalékok az I. László-kori pápai-magyar kapcsolatok történetéhez), in: „Magyaroknak eleiről”. Ünnepi tanulmányok a hatvan esztendős Makk Ferenc tiszteletére, hg. v. Ferenc PITI, Szeged 2000, S. 265–276. 128 Zu ihm vgl. HÜLS (wie Anm. 109) S. 203. Zu seiner Legatenurkunde vgl. WEISS (wie Anm. 108) S. 57 (Kap. VII, 5 Nr. 1). 129 Zu ihm vgl. Charles DEREINE: Art. Conon de Préneste, in: DHGE 13 (1956) Sp. 461–471; HÜLS (wie Anm. 109) S. 113–116; Peter SEGL: Art. Kuno, Kardinalbischof von Praeneste, in: NDB 13 (1982) S. 300f.; Dieter GIRGENSOHN: Art. Conone, in: DBI 28 (1983) S. 25–32. Zu seiner Legatensynode in Ungarn vgl. WALDMÜLLER: Synoden (wie Anm. 4) S. 137–139. 130 Zu ihm vgl. HÜLS (wie Anm. 109) S. 175f. (als Legat nach Ungarn nicht vermerkt). Annalista Saxo ad a. 1115, ed. Klaus NASS, Die Reichschronik des Annalista Saxo, Hannover 2006 (MGH SS 37), S. 551 Z. 13–16: Ad hec quendam cardinalem Romanum nomine Dietericum legatione in Pannonias functum per nuntios assciscunt, quo etiam prescripti concilii actionem et per ipsam inperatoris exconmunicationem predicante tam Adelgotus Magedaburgensis archiepiscopus quam ceterarum ecclesiarum presules reconciliationem recipiunt ... 131 Zu ihm vgl. ZENKER (wie Anm. 121) S. 176f. Zur Legation vgl. Werner OHNSORGE: Die Legaten Alexanders III. im ersten Jahrzehnt seines Pontifikats (1159–1169), Berlin 1928 (Historische Studien 175) (ND Vaduz 1965), S. 115f. 132 Zu ihm vgl. MALECZEK: Papst (wie Anm. 115) S. 70f. Zur Legation vgl. OHNSORGE (wie Anm. 131) S. 118. Die Tätigkeit Alberts de Morra, Kardinalpresbyter von S. Lorenzo in Lucina als päpstliches Legat in Ungarn 1165–1167 (ebd. S. 119) ist zweifelhaft, vgl. HOLTZMANN: Register (wie Anm. 82) S. 23 Anm. 1. 133 OHNSORGE (wie Anm. 131) S. 122f. 134 Zu ihm vgl. ZENKER (wie Anm. 121) S. 39. Zur Versammlung in Raab/Győr vgl. WALDMÜLLER: Synoden (wie Anm. 4) S. 170f. Zu seinen Legatenbriefen vgl. WEISS (wie Anm. 108) S. 267 (Kap. XX, 18 Nr. 1 u. 2). 135 Zu ihm vgl. Elfriede KARTUSCH: Das Kardinalskollegium in der Zeit von 1181–1227. Ein Beitrag zur Geschichte des Kardinalates im Mittelalter, Wien 1948, S. 411–413 (als Legat nach Ungarn nicht vermerkt). Zu seinen Legatenurkunden vgl. WEISS (wie

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Apostolo, Kardinaldiakon von S. Maria in Porticu (1192)136, Gregor de Crescentio als Kardinaldiakon von S. Maria in Aquiro (1199/1200) und danach als Kardinalpresbyter von S. Vitale (1207)137 sowie Kardinalpresbyter Leo Brancaleoni von S. Croce in Gerusalemme nach Bulgarien über Ungarn (1204)138. Ausserdem erhielt im Jahr 1152 Propst Gerhoch von Reichersberg († 1169) den Auftrag zu einer Legation in die duo magna regna, Ungarorum videlicet atque Rutenorum, aber wegen der Feindschaft des ungarischen Königs Géza II. (1141–1162) trat er die Reise nicht an139.

8. Schlussbetrachtung Bis zum ausgehenden 12. Jahrhundert sind im diplomatischen beziehungsweise kanonistischen Material enge Kontakte zwischen den Päpsten und den Bischöfen Jaromir-Gebhard von Prag (1068–1090)140, Heinrich Zdík von Olmütz (1126–1150) und Erzbischof Lukas von Gran (1158–1181) nachweisbar. Heinrich Zdík im Jahr 1139 und Erzbischof Andreas I. von Kalocsa 1179 sind als

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Anm. 108) S. 288 (Kap. XXII, 2 Nr. 1 u. 1a); SOLYMOSI: Einfluß (wie Anm. 81) S. 89 mit Anm. 7. Zu ihm vgl. MALECZEK: Papst (wie Anm. 115) S. 93f. mit den Ergänzungen bei DERS.: Zwischen lokaler Verankerung und universalem Horizont. Das Kardinalskollegium unter Innocenz III., in: SOMMERLECHNER: Innocenzo III (wie Anm. 3) Bd. 1 S. 102–174, hier S. 134f. Zu ihm vgl. MALECZEK: Papst (wie Anm. 115) S. 90–92. Gregor starb 1207 auf der Legation, ebd. S. 341. Zu seinen Legationen nach Ungarn vgl. ZIMMERMANN: Legation (wie Anm. 116) S. 30 Nr. 18 u. S. 40f. Nr. 33. Vgl. hierzu ausführlich mit weiteren Nachweisen Günter PRINZING: Das Papsttum und der orthodox geprägte Südosten Europas 1180–1216, in: HEHL/RINGEL/SEIBERT: Papsttum (wie Anm. 121) S. 137–184, hier S. 170–172. Gerhoch von Reichersberg, Prologus ad Psalmum LXV, ed. Ernst SACKUR, in: MGH L. d. L. 3, Hannover 1897 (ND 1995), S. 493 Z. 15–24: Quam vero illi [Eugenio papae] fuerit accepta nostrae parvitatis persuasio, illud sine dubio erat pro indicio, quod nostrae humilitatis personam postea destinavit pro aecclesiasticae fidei ac disciplinae seminibus mittendis in duo magna regna, Ungarorum videlicet atque Rutenorum, quo tamen venire non potuimus propter offensam regis Ungarici, pridem per nos increpati et ob hoc nobis irati. Illius igitur tanquam alterius Herodis seu Pharaonis devitantes incidere manus cruentas, legationis ministerium nobis iniunctum non potuimus exequi, eo quod scriptis nostris missis in Ungariam tetigeramus predicti crudelitatem Herodianam. Sic dilato et ablato legationis ministerio in personam nostram per Eugenium papam destinato ille beata morte obiit (1153 Juli 8); vgl. dazu Peter CLASSEN: Gerhoch von Reichersberg. Eine Biographie, Wiesbaden 1960, S. 137–141. Zu ihm vgl. Peter HILSCH: Familiensinn und Politik bei den Přemysliden. JaromirGebhard, Bischof von Prag und Kanzler des Königs, in: Papsttum, Kirche und Recht im Mittelalter. Fschr. für Horst Fuhrmann zum 65. Geburtstag, hg. v. Hubert MORDEK, Tübingen 1991, S. 215–231.

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erste Teilnehmer aus Ostmitteleuropa bei den Laterankonzilien anwesend141. Erst unter Erzbischof Heinrich Kietlicz von Gnesen (1199–1219) wurden enge Beziehungen zwischen der römischen Zentrale und der polnischen Landeskirche gepflegt. Schließlich hat Heinrich Kietlicz gemeinsam mit den Bischöfen Vinzenz von Krakau, Lorenz von Breslau, Barto von Kujawien (KruschwitzLeslau) und Lorenz von Lebus in Begleitung von Gelehrten (u. a. Archidiakon Aegidius von Breslau, Janusz von Pogorell, Kanzler Ivo Odrowąż des Krakauer Herzogs Leszek des Weißen) am vierten Laterankonzil (1215) teilgenommen142. Päpstliche Dekretalen sind für die Erzbischöfe Lorenz (1104/1105– 1116) und Lukas von Gran (1158–1181) und andere ungarische Geistliche und Weltliche insbesondere aus dem Pontifikat Alexanders III. (1159–1181) überliefert, weiters für den Bischof Fulco (Pełka) von Krakau (1186–1207). Last but not least standen im Mittelpunkt der Legatentätigkeit in Ostmitteleuropa die Errichtung von Bistümern, die Lösung schwieriger Streitfälle, Besitzbestätigungen und die Einschärfung der Verbote von Simonie und Nikolaitismus. Dabei waren die Legaten zugleich die Vermittler des päpstlichen Primats in die peripheren Gebiete der okzidentalen lateinischen Christenheit.

141 Vgl. Georgine TANGL: Die Teilnehmer an den allgemeinen Konzilien des Mittelalters, Weimar 1932 (ND Darmstadt 1969), S. 206 u. 214 (die Andreas nicht nähre identifizieren konnte); Jerzy KŁOCZOWSKI: Solus de Polonia ... Polacy na soborach powszechnych XII–XIII wieku, in: Cultus et cognitio. Studia z dziejów średniowiecznej kultury (Fschr. für Aleksander Gieysztor), Warszawa 1976, S. 259–265, hier S. 261. 142 Wojciech BARAN-KOZŁOWSKI: Skład polskiej delegacji na obrady Soboru Laterańskiego IV, in: KH 110/3 (2003) S. 15–20.

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Anhang Papst Eugen III. nimmt das Regularkanonikerstift in Tremessen/Trzemeszno unter dem Propst Bernhard in den päpstlichen Schutz und bestätigt alle Besitzungen und Rechte. Paris, 1147 Mai 31 Orig.: Gniezno, Archiwum Archidiecezjalne, Sign. Dypl. Tr. 2 [A]. 42,5 cm h. x 42 cm br. Plika 2,9 cm. RV 15. Jh.: Bulla Eugenii pape (mit einem Nachtrag aus dem 16. Jh.:) suscipientis monasterium Tremesnense sub protectionem s. Petri. 15. Jh.: Bulla Eugenii pape (mit einem Nachtrag aus dem 17. Jh.:) III in qua sub protectionem s. Petri ecclesiam Tremesnensem suscipit. 16. Jh.: † II. Bull. 16. Jh.: Scrinio I. 16. Jh.: Registrata in Nova Metrica fol. 6to. 18. Jh.: Specificat Strzelno. Stempel (gestrichen): Reichsarchiv Posen ‫ ۄ‬Tremessen ‫ ۄ‬AugustinerChorherrenstift ‫ ۄ‬Abt.: (Platz frei gelassen) Zg.: 28/41 ‫ ۄ‬Nr. 2. – Kopien: Bydgoszcz, Archiwum Państwowe, Klasztor kanoników regularnych w Trzemesznie, Sign. 28 (Transsumpt Urbans V aus dem Orig. von 1365 Apr. 21) [B]; Città del Vaticano, Archivio Segreto Vaticano, Reg. Aven. 159 fol. 494v–495r [C]; ebd., Reg. Vat. 254 fol. 56r–v n. 331. – Drucke: Augustin THEINER: Vetera Monumenta Poloniae et Lithuaniae, Bd. 1, Rom 1860, Nr. 851 S. 633–634 (nach C); (Ignacy ZAKRZEWSKI): KDW 1 (1877) Nr. 15 S. 20–21 (nach B) mit einem Nachtrag in KDW 3 (1879) S. 773f. (die Kardinalsunterschriften nach einer heute verschollenen Abschrift Stanisław Żegockis von 1691) = Franciszek PIEKOSIŃSKI: Monumenta medii aevi diplomatica ius terrestre polonicum illustrantia, Kraków 1897 und in: DERS.: Studia, rozprawy i materiały z dziedziny historii polskiej i prawa polskiego, Bd. 1, Kraków 1897, Nr. 13 S. 65–67 bzw. 293–295 (ohne Nachtrag). – Faks.: Ars scribendi (wie Anm. 91) S. 79 Kat. 13 (stark verkleinert). – Zit.: Paul KEHR: Das Erzbistum Magdeburg und die erste Organisation der christlichen Kirche in Polen, Berlin 1920 (AAB, phil.-hist. Kl., Jg. 1920 Nr. 1), S. 11f. Anm. 2 (Nachdr. in: DERS.: Ausgewählte Schriften [wie Anm. 5] Bd. 2 S. 1100–1166, hier S. 1110); Stefan HIRSCHMANN: Die päpstliche Kanzlei und ihre Urkundenproduktion 1141–1159, Phil. Diss. Düsseldorf 2000 (Mikroform Ketsch/Rhein 2000), S. 743f. Nr. 1456 (als Kopie bezeichnet). – Regesten: Stanisław SMOLKA: Mieszko Stary i jego wiek, Warszawa 1881 (Nachdr. 1959) bzw. Kraków 2009, Nr. 8 S. 471 bzw. S. 446; Repertorium Nr. 46; Bullarium Poloniae 1 Nr. 13; JL 9067. Alle bisherigen Drucke gehen auf die Sekunderüberlieferung zurück und bringen das Eschatokoll verstümmelt. Das Original befand sich gemeinsam mit dem Transsumpt Urbans V. vom 21. April 1365 vormals im Pfarrarchiv von Tremessen/Trzemeszno, vgl. Jan ŁUKOWSKI: Archiwum trzemeszeńskie, in: Roczniki Towarzystwa Przyjaciół Nauk Poznańskiego 11 (1881) S. 303–414, hier S. 312, 314, 316, 328. 1941/42 wurde das Pfarrarchiv in das Reichsarchiv Wartheland Posen verlagert. Nach

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dem Ende des Krieges wurden die Tremessener Urkunden aus Deutschland nach Moskau mitgenommen. Nach der Restitution 1958 wurden sie zwischen dem Archiv der Erzdiözese Gnesen/Gniezno (217 Urkunden aus dem 12. und 15.–18. Jh.) und dem Staatsarchiv Posen/Poznań (um 50 Urkunden aus dem 13. und 14. Jh.) aufgeteilt. 1970/71 verlagerte man die Tremessener Urkunden aus dem Staatsarchiv Posen/Poznań in das Staatsarchiv Bromberg/Bydgoszcz. (Für die schriftliche Mitteilung über die Geschichte der Bestände des ehemaligen Pfarrarchives von Tremessen/Trzemeszno sei Dr. Marcin Hlebionek, Thorn/Toruń, herzlich gedankt.) Freundlicherweise stellte mir Dr. Piotr Rabiej eine Reproduktion der Urkunde zur Verfügung (Fotografiesammlung mittelalterlicher Urkunden bis 1500 der Abt. Historische Hilfswissenschaften der Jagiellonen-Universität Krakau, Sign. 392 IV). Der Text folgt A, die Textstellen in Klammern sind unleserlich (Löcher) und aufgrund der Edition in KDW ergänzt. EUGENIUS EPISCOPUS SERUUS SERUORUM DEI. DILECTIS FILIIS BERNARDO PREPOSITO CREMOCENSIS ECCLESIE EIUSQUE FRATRIBUS TAM PRESENTIBUS QUAM FUTURIS REGULAREM VITAM PROFESSIS IN PERPETUUM. ‫ ۄ‬Quotiens illud a nobis petitur, quod rationi et honestati conveniens esse dinoscitur, animo nos decet libenti concedere et petentium desideriis congruum impertiri suffragium, ut ‫ ۄ‬fidelis et pia devotio celerem consequatur effectum. Eapropter, dilecti in domino filii, vestris iustis postulationibus clementer annuimus et prefatam ‫ ۄ‬ecclesiam, in qua divino mancipati estis obsequio, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti privilegio communimus. Statuentes ut quascumque ‫ ۄ‬possessiones, quecumque bona eadem ecclesia in presentiarum iuste et canonice possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione regum vel principum, oblatione ‫ ۄ‬fidelium seu aliis iustis modis Deo propitio poterit adipisci, firma vobis vestrisque successoribus et illibata permaneant. In quibus hec propriis duximus expri‫ۄ‬menda vocabulis: Cremesen1 cum hominibus et pertinentiis suis, villam Quetissou2 cum foro, capella in Lonsitia3 cum omnibus ad eam pertinentibus, Wasnou4 forum cum ‫ ۄ‬villa, in Zbar5 forum cum villa, Luben6 cum lacu, Velatou7 cuma lacu, Camen lacus cum duabus villis superiacentibus8, Streleno9, Pilchutkou10, Palenda11, ‫ ۄ‬Mlodeiouo12, Woglouo13, Chomese14 cum lacu. Decernimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat prefatam ecclesiam temere, perturbare aut eius possessiones auferre vel abl‫ۄ‬atas retinere, minuere aut aliquibus vexationibus fatigare, sed omnia integra conserventur eorum, pro quorum gubernatione et sustentatione concessa sunt ‫ ۄ‬usibus omnimodis profutura, salva sedis apostolice auctoritate et diocesanorum episcoporum canonica iustitiab. Si qua ‫ ۄ‬igitur in futurum ecclesiastica secularisve persona hanc nostre constitutionis paginam sciens contra eam ‫ ۄ‬temere venire temptaverit, secundo tertiove commonita, si non satisfactione congrua emendaverit, potestatis honorisque sui ‫ ۄ‬dignitate careat reamque se di[v]ino iudicio existere de perpetrata iniquitate cognoscat et a sacratissim[o] corpore et sanguine Dei et domini ‫ ۄ‬nostri Iesu [Christi] aliena fiat atque in

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extremo examine distric[te u]ltioni subiaceat. Cunctis ‫ ۄ‬autem eidem loco iustitiac servantibus sit pax domini nostri Iesu Christi, quatenus [et hi]c fructum ‫ۄ‬ bone actionis percipiant et apud districtum iudicem premia eterne pacis inveniant. ‫ ۄ‬AMEN. AMEN. AMEN. R.d Ego Eugenius catholicę ęcclesię episcopus ss. BV. † Ego Albericus Ostiensis episcopus ss. † Ego Wido presbyter cardinalis sancti Grisogoni ss. † Ego Humbaldus presbyter cardinalis tituli sanctorum Iohannis et [Pauli] ss. † Ego Gilbertus indignus sacerdos tituli sancti M[arci] ss. † Ego Wido presbyter cardinalis tituli sanctorum Laurentii et Damasi ss. † Ego Julius presbyter cardinalis tituli sancti Marcelli ss. † Ego Otto diaconus cardinalis sancti Georgii ad Velum aureum ss.e † Ego Octavianus diaconus cardinalis sancti Nicholai in carcere Tulliano ss.e † Ego Johannes Paparof diaconus ca[rdinalis] sancti Adriani ss. † Ego Gregorius diac[onus ca]rdinalis sancti Angeli ss. † Ego Jacintus diaconus cardinalis sancte [M]arie in Cosmydyn ss. Datum Parisius per manum Hugonis presbyteri cardinalis, agentis vice donni Guidonis dicte Sancte Romane ecclesie diaconi cardinalis et cancellarii II Kal. Iunii, indictione X, incarnationis dominice anno M°.C°.XL°.VII°., pontificatus donni EUGENII pape III anno III. B. dep.15 ______________ a

Danach eine Rasur. b iustia A. c iusta A. d Mit nachgezeichnetem Kreuz und der päpstlichen Devise Fac mecum Domine signum in boum. e In der Kolumne für die Subskriptionen der Kardinalbischöfe eingetragen. f sic A.

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Trzemeszno (Lkr. Gniezno). Kwieciszewo (Lkr. Mogilno), 8 km sö. von Mogilno. Zur St. Marienkapelle bei Łęczyca mit dazugehörgien Gütern vgl. Stanisław ZAJĄCZKOWSKI: O posiadłościach klasztoru trzemeszeńskiego w Łęczyckiem w XII wieku na tle początków Łęczycy, in: Rocz. Hist. 30 (1964) S. 53–85. Waśniów (Lkr. Ostrowiec Świętokrzyski), 11 km sw. von Ostrowiec Świętokrzyski. Zur Marktsiedlung Zbarz vgl. Stanisław URBAŃCZYK/Jan LEŚNY: Art. Zbarz, in: SłowStarSłow 7 (1982) S. 96f. (mit Karte und Lit.). Lubiń (Lkr. Gniezno), 5 km nö. von Trzemeszno. Wylatowo (Lkr. Mogilno), 6 km s. von Mogilno. Kamieniec See mit den Dörfern Kamieniec und Kamionek, vgl. Słownik geograficzny Królestwa Polskiego i innych krajów słowiańskich 15/2 (1902) S. 50. Strzelno (Lkr. Mogilno). Pikutkowo (Lkr. Włocławek), 4 km ö. von Brześć Kujawski. Palędzie Kościelne (Lkr. Mogilno), 7 km w. von Mogilno.

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Młodojewo bei Strzelno, höchstwahrscheinlich vereinigt mit Młyny nach 1361, vgl. Dariusz KARCZEWSKI: Dzieje klasztoru norbertanek w Strzelnie do początku XVI wieku, Inowrocław 2001, S. 138f., 156 u. S. 316f. Karte 2 u. 3. Vielleicht Węglewo (Lkr. Pobiedziska), 4 km. n. von Pobiedziska, vgl. Stanisław KOZIEROWSKI: Badania nazw topograficznych na obszarze dawnej zachodniej i środkowej Wielkopolski, 2 Bde., Poznań 1921–1922 (Roczniki Poznańskiego Towarzystwa Przyjaciół Nauk 47 [1920] – 48 [1921]), hier Bd. 2 S. 450. Chomiąża Szlachecka (Lkr. Żnin), 6 km ö. von Gąsawa. Reste der grünen Seidenfäden sind erhalten.

Das Papsttum und das Erzbistum Salzburg (1060–1216) RAINER MURAUER 1. Untersuchungsgegenstand und Untersuchungszeitraum Die drastisch verstärkte Überlieferung von urkundlichen und erzählenden Nachrichten ab etwa 1060 nach einigen fast nachrichtenlosen Jahrzehnten lässt es plausibel erscheinen, die Darstellung mit Erzbischof Gebhard (1060–1088) zu beginnen. Allein bei Papsturkunden über die Verleihung des Palliums, die verhältnismäßig gut dokumentiert sind, lohnt sich ein Blick weiter zurück. Einen markanten Wendepunkt setzt die außergewöhnlich lange Regierungszeit Erzbischof Eberhards II. (1200–1246), der – rechnet man seine vierjährige Tätigkeit als Bischof des Salzburger Suffraganbistums Brixen (1196–1200) hinzu – genau ein halbes Jahrhundert dem Episkopat angehörte1. Da Eberhards Amtszeit weit über den im Netzwerk gesetzten Rahmen hinausgeht, ist es aus pragmatischen Motiven durchaus angemessen, den Schlussstrich im Jahre 1216 zu ziehen, welches das Ende des Pontifikats Innozenz’ III. markiert, wenngleich dieses Jahr für Salzburg keine entscheidende Zäsur setzt. Neben dem Erzbischof als politischem und religiösem Zentrum des Sprengels und seinem Domkapitel ist großes Augenmerk auf die zahlreichen Klöster der Benediktiner, Zisterzienser, Kartäuser und (Augustiner-)Chorherren zu legen. Eine Sonderrolle spielt das 1070/72 gegründete Eigenbistum Gurk, das für einige Jahrzehnte nicht einmal über ein eigenes Territorium verfügte und dessen Oberhirte vom Erzbischof ernannt wurde. Erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts begannen die Loslösungsbestrebungen, getragen vom Gurker Domkapitel, welches das Recht auf die Wahl seines Bischofs beanspruchte und eine Gleichstellung mit den übrigen Suffraganen Salzburgs (Passau, Freising, Regensburg und Brixen) anstrebte. Die Dichte der Überlieferung im inneralpinen Raum kann sich keinesfalls mit jener in Regionen südlich der Alpen messen, weshalb es unumgänglich ist, nicht nur im Original überlieferte Stücke, sondern auch kopial überlieferte in die Betrachtung einzubeziehen. Trotzdem bleibt das Material – insbesondere für die Klöster – überaus lückenhaft. 1

Christine STÖLLINGER: Erzbischof Eberhard II. von Salzburg (1200–1246), Wien 1972 (phil. Diss.); zur Herkunft Eberhards (geboren um 1170) aus dem Geschlecht der Edelfreien von Regensberg (Thurgau) ebd. S. 1–15.

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2. Überblick über die Papsturkunden Für den Untersuchungszeitraum 1070–1216 sind insgesamt 309 Papsturkunden bekannt, die an Empfänger in der Erzdiözese Salzburg beziehungsweise in dessen Eigenbistum Gurk adressiert waren. Davon sind 189 (also mehr als 60%) im Original erhalten, die restlichen Stücke sind entweder durch kopiale Überlieferung auf uns gekommen oder nur dadurch bekannt, dass sie in einer anderen Urkunde erwähnt werden oder ihre Existenz wenigstens zu erschließen ist; dies trifft häufig bei päpstlichen Delegationsreskripten zu, die verloren sind, aber in einer Beurkundung des Urteils genannt werden. In der Regel darf davon ausgegangen werden, dass jeder Adressat eines Papstschreibens – vor allem von Mandaten – ein Exemplar desselben erhielt, es also oft mehrere „Originale“ gab, was insbesondere für die statistische Auswertung von Belang ist. Allerdings sind längst nicht alle diese Stücke überliefert, sondern meist nur eine Ausfertigung. Zusätzliche Probleme ergeben sich, wenn das betreffende Mandat nicht im Archiv eines der Adressaten überliefert ist, sondern in jenem des Begünstigten, der das Mandat wahrscheinlich impetriert hat2. In einem derartigen Fall ist es mehr als fraglich, ob die Adressaten jeweils ein eigenes Exemplar erhielten, oder ob ihnen nicht lediglich der Begünstigte das Schreiben vorgelegt hat. Da jedoch viele Schreiben gar nicht mehr im Original erhalten sind, müssen derartige Überlegungen im spekulativen Bereich bleiben und wurden daher – unter bewusster Inkaufnahme dieser Unschärfe – für die Statistik nicht berücksichtigt. Nach Jahrzehnten unterglie-

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Ziemlich eindeutig ist dies bei einem Mandat Innozenz’ III. für die (Dom-)pröpste von Salzburg und Berchtesgaden (1213), das wohl über eine Klage von Abt und Konvent von Michaelbeuern impetriert wurde und nur im Archiv dieses Klosters überliefert ist. Zudem hat Innozenz dem Kloster zwei Tage später ein Schutzprivileg ausgestellt. Nichts liegt also näher als die Annahme, dass ein nach Rom entsandter Vertreter Michaelbeuerns das Mandat zusammen mit dem Privileg mitgenommen hat. Dr.: Salzburger Urkundenbuch, hg. v. Willibald HAUTHALER/Franz MARTIN, Bde. 1–4, Salzburg 1916–1933, hier Bd. 3 S. 166 Nr. 661. Ein Delegationsreskript desselben Papstes für die Äbte von St. Lambrecht und Admont und den Dompropst von Gurk ist allein im Archiv einer Streitpartei, dem Benediktinerstift Seitenstetten, nicht aber bei den Adressaten überliefert, Urkundenbuch des Benedictiner-Stiftes Seitenstetten, ed. P. Isidor RAAB, Wien 1870 (Fontes rerum Austriacarum 2/33), S. 28 Nr. 20. Ein auf Klage des Klosters Viktring hin ergangenes Delegationsreskript Innozenz’ III., das an den Erzbischof von Salzburg und den Archipresbyter von Völkermarkt adressiert war, ist in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu drei Privilegien/Bestitzbestätigungen für Viktring (März 1202) ausgestellt worden; am ehesten hat ein Abgesandter Viktrings auch das Delegationsreskript empfangen und den beiden Adressaten vorgelegt (Dr.: Monumenta Ducatus Carinthiae [in Hinkunft: MDC] Bd. 1–4/1, hg. v. August von Jaksch, Klagenfurt 1896–1906, hier Bd. 4/1 S. 4–9 Nr. 1527–1530).

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dert ergibt sich auf dieser Grundlage folgende Verteilung der Papsturkunden (einschließlich der Kardinalsurkunden)3:

120 Stücke sind an die Salzburger „Zentrale“ adressiert; zahlenmäßig steht, wie nicht anders zu erwarten, der Erzbischof an der Spitze: Er wird bei 100 Papsturkunden als Empfänger genannt, 35 davon sind im Original überliefert. Inhaltlich sind diese Schreiben breit gestreut; sieben betreffen Verleihungen des Papstschutzes, sechsmal werden ihm andere Vorrechte verliehen. Fünfmal geht es um die Würde des ständigen Legaten in der gesamten Kirchenprovinz. Siebenmal wird der Erzbischof zu päpstlichen Synoden zitiert. So häufig wie kein anderer Kleriker wird er als päpstlich delegierter Richter eingesetzt, insgesamt sind sechzehn Delegationsreskripte überliefert beziehungsweise können erschlossen werden. Hervorzuheben sind ferner sechs Papstschreiben, die sich mit dem Alexandrinischen Schisma beschäftigen, welches auch ein Schisma im Erzbistum nach sich zog. Darüber hinaus sind weitere 50 Mandate zu verzeichnen, auf deren Inhalt weiter unten noch eingegangen wird. Hinzu kom3

Die Zahlen sind im Einzelnen: 1070–1080: drei Urkunden, 1081–1090: keine Urkunde, 1091–1100: eine Urkunde, 1101–1110: vier Urkunden, 1111–1120: zwei Urkunden, 1121–1130: elf Urkunden, 1131–1140: 16 Urkunden (davon 12 ab 1138), 1141– 1150: 31 Urkunden, 1151–1160: 20 Urkunden, 1161–1170: neun Urkunden, 1171– 1180: 49 Urkunden, 1181–1190: 40 Urkunden, 1191–1200: 39 Urkunden, 1201– 1210: 59 Urkunden, 1210–1216: 25 Urkunden.

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men 19 Schreiben, die an das Domkapitel oder an eines seiner Mitglieder adressiert waren, zehn davon sind Besitzbestätigungen. Die dominante Stellung des Erzbistums gegenüber seinem Eigenbistum wird schon durch den Zahlenvergleich mehr als deutlich. Der Gurker Bischof wird nur bei 13 Papsturkunden als Empfänger genannt. Das erst 1131 gegründete Domkapitel wiederum erhielt insgesamt 15 auf uns gekommene Papsturkunden im Untersuchungszeitraum, also nur unwesentlich weniger als das Salzburger Kollegium. Durch den langen Streit um das Recht zur Wahl eines Gurker Bischofs, welche zwischen dem Domkapitel und dem Salzburger Erzbischof jahrzehntelang umstritten war (circa 1145–1232)4, geriet das Domkapitel in den Fokus der Kurie, wo beide Parteien ihre Ansprüche geltend zu machen versuchten. Den Höhepunkt und zumindest vorläufigen Abschluss erreichte der Streit unter Innozenz‘ III.; neun der 15 Papsturkunden gehen auf ihn zurück, weil Gurker Prokuratoren ihre Aufenthalte an der Kurie auch zur Erledigung anderer Angelegenheiten nutzten: So erneuerte Innozenz fast zeitgleich mit der Bestätigung des Kompromisses über die Bischofswahl den Papstschutz für das Gurker Domkapitel und bestätigte die Schenkungen mehrerer Salzburger Oberhirten (1208)5. Nahezu jedes Kloster im Salzburger Diözesansprengel erhielt Papsturkunden, wobei die Zahlen der überlieferten Stücke stark voneinander abweichen. Insgesamt 149 Papsturkunden haben Empfänger in den Salzburger Klöstern und Stiften erhalten, sei es, dass der Abt, Propst oder eine andere Dignität genannt wird oder das Stück an den gesamten Konvent adressiert war. In dem kleinen Sprengel der Gurker Diözese gibt es kein Kloster. Die unterschiedlichen Zahlen mögen mit der unterschiedlichen Bedeutung der verschiedenen Institutionen zu tun haben, sicher aber auch mit dem Schicksal eines Klosters und seines Archivs in den folgenden Jahrhunderten. Besonders häufig bedacht wurden das steirische Benediktinerstift Admont, wo wir 15 überlieferte Papsturkunden zählen können, St. Paul im Lavanttal mit 13 und das AugustinerChroherrenstift Berchtesgaden mit zwölf. Demgegenüber ist etwa aus Rein, Vorau oder Frauenchiemsee nur je eine Papsturkunde erhalten geblieben. Besonders intensiv bemühten sich die Klöster naturgemäß um den Papstschutz, vom Benediktinerstift Millstatt kennen wir sieben Schutzprivilegien, aus St. Paul im Lavanttal sogar acht. St. Peter im Salzburg, das mit dem Erzbistum am engsten verbundene Kloster, kann hingegen nur mit zwei überlieferten Schutzprivilegien aufwarten. Alles in allem erscheinen die zahlenmäßigen Unterschiede aber zu gering, um daraus Schlüsse über besondere Papstnähe oder Papstferne einer Institution ziehen zu können.

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Zu diesem Streit ausführlich Rainer MURAUER: Die Geistliche Gerichtsbarkeit im Salzburger Eigenbistum Gurk, Wien/München 2009 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 52). Siehe unten S. 415f. Kap. 11.2.

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Kleriker, die keinem Kloster oder Stift als Mönch oder Chorherr angehörten, also Pfarrer, Archidiakone, Archipresbyter, tauchen nur dann aus dem Dunkel der Anonymität auf, wenn sie ein päpstliches Delegationsreskript erhielten. Am häufigsten wurde – wenig überraschend – der Erzbischof von Salzburg als delegierter Richter eingesetzt; immerhin sind acht Reskripte, die ihn in dieser Funktion benennen, entweder im Original oder kopial überliefert; noch einmal so viele können aus Erwähnungen in anderen Urkunden (Urteile, weitere Delegationen in derselben Sache) erschlossen werden. Neben dem Erzbischof ist der Abt von Raitenhaslach hervorzuheben, der immerhin in sechs Delegationsreskripten genannt wird, die alle aus den Pontifikaten Cölestins III. und Innozenz’ III. stammen. Aber auch die Archidiakone von Pürgg, Friesach, Völkermarkt und Zeltschach, die Archipresbyter von Pürgg und Völkermarkt sowie die Pfarrer von Fischau am Steinfeld, Wiener Neustadt, St. Veit, Molzbichl und Tiffen finden sich unter den delegierten Richtern. Vor der Regierungszeit Erzbischof Konrads I. (1106–1147) ist die Zahl der Papsturkunden minimal, ab den zwanziger Jahren des 12. Jahrhunderts sehen wir einen langsamen, aber fast stetigen Anstieg6, der zweimal in charakteristischer Weise unterbrochen wird. Für beide Einschnitte lassen sich plausible kirchenpolitische Gründe anführen. Zwar sind aus den dreißiger Jahren 16 Urkunden zu eruieren, immerhin fünf mehr als im vorangegangenen Jahrzehnt, aber zwölf dieser 16 Stücke sind auf 1138 oder später zu datieren, also auf den Zeitraum nach dem Ende des Schismas zwischen Papst Innozenz II. (1130–1143) und dessen Gegenpapst Anaklet II. Zeiten der Wirren wirken sich offenbar ungünstig auf die Rom-Kontakte und den Urkundenausstoß aus. Die sechziger Jahre des 12. Jahrhunderts zeigen ein gegenüber den Jahrzehnten davor und danach signifikant verringertes Aufkommen von Papsturkunden, gar eine Halbierung gegenüber den fünfziger Jahren, was man wiederum getrost den politischen Wirren der Zeit zuschreiben darf. Erzbischof Eberhard I. (1147–1164) unterhielt in den ersten Jahren seiner Amtszeit noch exzellente Kontakte zu König Konrad III. (1138–1152), mit dem er mehrmals zusammentraf. Die Verschärfung der Auseinandersetzung zwischen Regnum und Sacerdotium unter Konrads Nachfolger Friedrich I. (1152–1190) zwang auch den Erzbischof zu einer Positionierung. Nach dem Zerwürfnis zwischen Kaiser und päpstlichen Gesandten auf dem Reichstag zu Besançon (1157), welches aus dem Standpunkt Papst Hadrians IV. (1154– 1159), Friedrich habe das Kaisertum vom Papst als Lehen empfangen, resultierte7, nahm Eberhard in Übereinstimmung mit dem deutschen Episkopat zu6 7

Das letzte Jahrzehnt (1210–1216) muss wegen seiner Unvollständigkeit natürlich unter einem anderen Blickwinkel gesehen werden. Zur Sache vgl. Walter HEINEMEYER: beneficium non feudum sed bonum factum. Der Streit auf dem Reichstag zu Besançon 1157, in: ADipl 15 (1969) S. 155–236. Allge-

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nächst für den Kaiser Partei8. Nach Hadrians Tod (1159) und der Wahl Alexanders III. (1159–1181) beziehungsweise des kaiserfreundlichen Gegenpapstes Viktor IV. sah sich der Erzbischof mit einem Schisma konfrontiert. Trotz seiner Parteinahme für Alexander, wodurch er auch in einen Gegensatz zur Mehrheit des deutschen Episkopats geriet, konnte der Erzbischof einen offenen Konflikt mit dem Kaiser vermeiden9. An Eberhards Seite verblieben Roman I. (1131–1167), der Bischof des Eigenbistums Gurk, und Hartmann von Brixen, während sich Regensburg eindeutig auf die kaiserliche Seite stellte, Passau und Freising wiederum neutral blieben. Im Gegensatz zu anderen Kirchenprovinzen, die sich relativ geschlossen für die eine oder andere Partei entschieden, war Salzburg also dreifach gespalten10. Dem Konzil von Pavia, das von Friedrich einberufen war, um Viktor IV. zum rechtmäßigen Papst erklären zu lassen, wusste sich Eberhard durch manche Täuschungsmanöver zu entziehen11. Anfang der sechziger Jahre funktionierte die Kommunikation zwischen Papst und Erzbischof noch, wie das in der Admonter Briefsammlung überlieferte Schreiben Alexanders III. nachweist, mit welchem er Eberhard über die Exkommunikation des Kaisers und des Gegenpapstes informierte12. Der Nachfolger Eberhards, Erzbischof Konrad II. (1164–1168), musste den nördlichen Teil seiner Erzdiözese aufgeben und sich nach Friesach und Admont zurückziehen, wo er – fern von seinem Bischofssitz – 1168 starb13. Unter Konrads Nachfolger Adalbert III. wurde die kaiserliche Einmischung noch massiver14. Auf einem Regensburger Reichstag (1174) wurde der Erzbischof gar abgesetzt und ein Gegenerzbischof installiert, Propst Heinrich von Berchtesgaden. Adalberts geistliche Funktionen waren hiervon – da die Bischofsweihe natürlich gültig blieb – nicht betroffen. Das lokale Schisma fand

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mein zum Verhältnis zwischen Friedrich und den Päpsten Johannes LAUDAGE: Alexander III. und Friedrich Barbarossa, Köln/Weimar/Wien 1997 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, Beih. zu J. F. Böhmer RI 16). Constitutiones et acta pubica imperatorum et regum I: 911–1197, ed. Ludwig WEILAND, Hannover 1893 (MGH Const. 1), S. 229–235, Nr. 164–168. Vgl. Günther HÖDL: Das Erzstift Salzburg und das Reich unter Kaiser Friedrich Barbarossa, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 14 (1974) S. 37– 55. Ebd. S. 39. Heinz DOPSCH: Salzburg im Hochmittelalter. Die äußere Entwicklung, in: Geschichte Salzburgs. Stadt und Land, Bd. 1: Vorgeschichte – Altertum – Mittelalter, 1. Teil, hg. v. Heinz DOPSCH, Salzburg 21983, S. 229–336, hier S. 278f. S. u. Kap. 3. 6 mit Anm. 73. Susanne WACH: Erzbischof Konrad II. Ein Beitrag zu seiner Biographie, Wien 1965 (phil. Diss.), S. 136f. Christoph EGGER: Quellen zur Frühgeschichte des Schismas von 1159 im bayerischösterreichischen Raum: ein unbekannter Brief Gerhochs von Reichersberg?, in: MIÖG 112 (2004) S. 163–176. Roman DEUTINGER: Die Dietramszeller Kirchweihe von 1160 und die Formierung der alexandrinischen Partei in Bayern, in: Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte 47 (2003) S. 33–50.

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ein Ende zeitgleich mit dem Alexandrinischen Schisma. Der Friedensschluss von Venedig zwischen Papst und Kaiser (1177) zog die Resignation beider Erzbischöfe nach sich, die Neuwahl fiel auf Kardinal Konrad von Wittelsbach, der auf das Erzbistum Mainz verzichtet hatte15. Schon in den siebziger Jahren ist aber eine drastische Vermehrung der Papsturkunden zu konstatieren. Der Einschnitt durch das Epochenjahr 1198 – die völlig veränderte Überlieferungschance für Papsturkunden durch den Beginn der fast lückenlos im Vatikanischen Geheimarchiv erhaltenen Serie von Papstregistern – verändert die Zahlenbilanz tatsächlich; die Zahl der aus dem Pontifikat Innozenz’ III. überlieferten Urkunden ist größer als die aus den Jahren davor, jedoch ist dies zum geringsten Teil auf das Vorhandensein der Kanzleiregister zurückzuführen16. Lediglich ein Delegationsreskript in der Ehesache des Böhmenkönigs Otakar I. ist ausschließlich durch die Überlieferung im Register auf uns gekommen; ferner ein Mandat für Erzbischof Eberhard II., über den Babenbergerherzog Leopold VI. gegebenenfalls Bann und Interdikt zu verhängen17. Bei allen anderen Urkunden Innozenz’ III. für unseren Untersuchungsraum liegt eine Empfängerüberlieferung vor. Generell ist die Zahl der erhalten gebliebenen Delegationsreskripte unter Innozenz III. viel größer als davor, was als Indiz für die verstärkte Anwendung dieses Instruments zur Untersuchung von lokalen Streitfällen gewertet werden darf, weniger als Hinweis auf eine verbesserte Überlieferungschance einzelner Stücke, die ja nach Durchführung des Auftrages beziehungsweise Ende des Prozesses rechtlich obsolet wurden. Insgesamt ist unter Innozenz III. nur eine leichte Zunahme von Papsturkunden zu konstatieren, ein mindestens so großer Einschnitt scheint die Beendigung des oben erwähnten Alexandrinischen Schismas zu sein, in welches auch das Erzbistum Salzburg verwickelt worden war. Die Überlieferungschance von Privilegien (im Original) ist wesentlich größer als die von Mandaten aller Art, etwa Delegationsreskripten. So sind sechs der sieben Schutzprivilegien für den Erzbischof von Salzburg im Original erhalten, aber nur sechs von 16 Urkunden, in welchen der Erzbischof als Delegat mit einem päpstlichen Auftrag bedacht wird. Bei den Klöstern verhält es sich im Prinzip ähnlich; zehn der elf Privilegien für das Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal sind im Original überliefert (das elfte ist übrigens eine – ebenfalls erhaltene – Fälschung), fünf von sieben Schutzprivilegien für Millstatt (wie auch für St. Lambrecht). Für die Chorherrenstifte gilt ein ähnlicher Befund wie für die Mönchsklöster: Sechs von acht Privilegien für Baumburg, alle fünf für Berchtesgaden sind im Original erhalten. Bei Klöstern, deren Urkundenbe15 Zu den politischen Ereignissen DOPSCH: Salzburg im Hochmittelalter (wie in Anm. 11) S. 284–296. 16 Zu den päpstlichen Registern vor Innozenz III. vgl. Rudolf SCHIEFFER: Die päpstlichen Register vor 1198, in: Das Papsttum und das vielgestaltige Italien. Hundert Jahre Italia Pontificia, hg. v. Klaus HERBERS/Jochen JOHRENDT, Berlin/New York 2009 (AAG, N. F. 5), S. 261–273. 17 Dr.: MIGNE PL 216, Sp. 150, Nr. 120 (1209).

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stand generell sehr klein ist, ist die Stichprobe der überlieferten Urkunden wenig bis gar nicht aussagekräftig Andererseits ist von den insgesamt sieben uns bekannten Schreiben, die einen Salzburger Erzbischof zu einer päpstlichen Synode luden, und von drei weiteren, die einen anderen Kleriker aus dem Diözesangebiet nennen, kein einziges im Original erhalten geblieben. Von den sechzehn Delegationsreskripten für den Erzbischof sind nur sechs im Original überliefert, zwei weitere auf kopialem Wege, und acht können aus Erwähnungen in anderen Schreiben erschlossen werden. Etwas abweichend ist der Befund für das Zisterzienserstift Raitenhaslach, dessen Abt sechsmal als delegierter Richter nominiert wurde, wobei nicht weniger als fünf der entsprechenden päpstlichen Reskripte im Original erhalten blieben. Mehr als der Zufall der Überlieferung kann auch daraus nicht herausgelesen werden. Die für das Amt des delegierten Richters Ausersehenen sind in der Regel die Spitzen eines Bistums (Bischof, Dompropst, Domdekan) oder einer Klostergemeinschaft, also Äbte und Pröpste. Von den weiteren Dignitäten taucht nur der Dekan von Berchtesgaden auf.

3. Papsturkunden für die Erzbischöfe von Salzburg Die ersten erhaltenen Papsturkunden aus unserem Untersuchungszeitraum betreffen das schon mehrfach dargestellte einschneidende Ereignis, die Gründung des Eigenbistums Gurk unter Alexander II. im Jahre 107018 und die damit in ursächlichem Zusammenhang stehende Mahnung seines Nachfolgers Gregor VII. an Erzbischof Gebhard, Gurk mit Zehnten auszustatten (1075)19.

3.1 Pallienverleihungen Die Verleihung der für die Befugnisse eines Metropoliten zentralen Insignie gab den Anlass für regelmäßige Kontaktaufnahmen zwischen Salzburg und Rom. Es sei daher gestattet, bei diesem Thema über den eigentlichen Untersuchungszeitraum hinauszugreifen. Nicht jede Pallienverleihung ist überliefert, aber ist gibt doch eine stattliche Anzahl von entsprechenden Urkunden. Schon für den ersten Metropoliten, Arn (785–821), ist eine Verleihungsurkunde überliefert. Der Inhalt des an einigen Stellen verderbten Stückes wird durch die annalistische und chronikale Überlieferung gestützt20. 18 Dr.: Salzburger UB (wie Anm. 2) Bd. 2 S. 169–171 Nr. 102; Reg.: GP 1 S. 17f. Nr. 40. 19 Dr.: Das Register Gregors VII., ed. Erich CASPAR, Berlin 1920–1923 (MGH Epp. sel. 2/1–2), II/77 S. 240f. (1075 Juni 17); Salzburger UB (wie Anm. 2) Bd. 2 S. 177f. Nr. 109; Reg.: GP 1 S. 19 Nr. 43. 20 Dr.: Salzburger UB (wie Anm. 2) Bd. 2 S. 2–4 Nr. 2a (kopiale Überlieferung); Reg.: GP 1 S. 8 Nr. 7. Vgl. z. B. Annales Iuvanenses maiores ad a. 798, ed. Harry BRESS-

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Für die spätkarolingische Epoche sind Urkunden über Palliumsverleihungen nahezu lückenlos erhalten geblieben, so von Papst Eugen II. für Erzbischof Adalram (821–836) von 82421, von Gregor IV. für Liupramm (836–859) von 83722, von Nikolaus I. für Adalwin (859–873) von 86023. Erzbischof Thietmar (873–907) erhielt das Pallium 877 von Papst Johannes VIII.24 Nach der vernichtenden Niederlage des bayerischen Heeres in der Schlacht von Preßburg gegen die Ungarn, in der auch Erzbischof Thietmar fiel (907), verlor das Erzbistum den größten Teil seines slawischen Missionsgebietes und fast alle dort erworbenen Besitzungen25. Auch die schriftliche Überlieferung ging offenbar drastisch zurück, zwischen 909 und 940 ist überhaupt keine Urkunde für Salzburger Empfänger überliefert; somit ist auch keine Bestätigung über einen zu vermutenden Palliumsempfang durch die Erzbischöfe Pilgrim I. (907–923), Adalbert I. (923–935), Egilolf (935–939) und Herold (939/940–958) zu bekommen. Auch die eigentliche Palliumsverleihung an Erzbischof Friedrich I. (958–991) ist nicht überliefert, allerdings erlaubte ihm Papst Johannes XII. 962, das Pallium, das ihm möglicherweise schon 958 verliehen worden war, an vier weiteren Festtagen zu tragen26. Von der Palliums-

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LAU, in: MGH SS 30/2, Leipzig 1934, S. 727–744, hier S. 736; Conversio Bagoariorum et Carantanorum ad a. 798, ed. Fritz LOSEK: Die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und der Brief des Erzbischofs Theotmar von Salzburg, Hannover 1997 (MGH Studien und Texte 15), S. 114, sowie das Schreiben Papst Leos III. an Karl den Großen bzw. die bayerischen Bischöfe über diesen Vorgang: Salzburger UB (wie Anm. 2) Bd. 2 S. 4f. Nr. 2b, S. 5–7 Nr. 2c. Dr.: Salzburger UB (wie Anm. 2) Bd. 2 S. 19f. Nr. 7b (kopiale Überlieferung); Reg.: GP 1 S. 10 Nr. 13. Dr.: Salzburger UB (wie Anm. 2) Bd. 2 S. 27–29 Nr. 13 (kopiale Überlieferung); Reg.: GP 1 S. 10 Nr. 14. Dr.: Salzburger UB (wie Anm. 2) Bd. 2 S. 35f. Nr. 19 (kopiale Überlieferung), Reg.: GP 1 S. 11 Nr. 17. Dr.: Salzburger UB (wie Anm. 2) Bd. 2 S. 45 Nr. 24b (im abschriftlich überlieferten Register Johannes’ VIII. erhalten); Reg.: GP 1 S. 12 Nr. 24. Vgl. Dietrich LOHRMANN: Das Register Papst Johannes’ VIII. Neue Studien zur Abschrift Reg. Vat. 1, zum verlorenen Originalregister und zum Diktat der Briefe, Tübingen 1968 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 30). Die Registerhandschrift ist in das 11. Jahrhundert zu datieren. Zur Schlacht vgl. Annales Iuvanenses maximi ad a. 907, ed. Harry BRESSLAU, in: MGH SS 30/2, Leipzig 1934, S. 727–744, hier S. 742. Zur Teilnahme der bayerischen Bischöfe an der Schlacht Friedrich PRINZ: Klerus und Krieg im frühen Mittelalter, Stuttgart 1971 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 2) S. 143f. Dr.: Salzburger UB (wie Anm. 2) Bd. 2 S. 86–89 Nr. 49 = Die Papsturkunden 896– 1046, bearb. v. Harald ZIMMERMANN, 3 Bde., Wien 21988–1989 (DÖAW, phil.-hist. Klasse 174, 177 u. 198), Bd. 1 S. 277–279 Nr. 152 (kopiale Überlieferung); Reg.: RI 2/5 Nr. 277; GP 1 S. 14 Nr. 31. Heinz DOPSCH: Die Zeit der Karolinger und Ottonen, in: DERS.: Geschichte Salzburgs (wie in Anm. 11) Bd. 1 S. 157–228, hier S. 208 datiert die Pallienverleihung ohne Wenn und Aber ins Jahr 958; mangels Quellen muss dies dennoch Spekulation bleiben.

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verleihung an Friedrichs Nachfolger Hartwig (991–1023) durch Papst Johannes XV. im Jahre 993 haben wir wieder urkundliche Nachricht27. Während aus der kurzen Amtszeit Bischof Gunthers (1023–1025), des Kanzlers Kaiser Heinrichs II., keine Nachrichten überliefert sind, ist die Palliumsverleihung für Thietmar II. (1025–1041) durch Papst Johannes XIX. (1026) auf uns gekommen. Wie die meisten frühen Papsturkunden für Salzburger Empfänger ist sie nicht im Original, sondern nur in den sogenannten Salzburger Kopialbüchern überliefert, daher in manchen Passagen fragwürdig; insbesondere ist die Datierung verderbt28. Für die frühsalische Zeit ist erneut das Fehlen von Papsturkunden zu konstatieren, somit ist auch die Verleihung des Palliums an Erzbischof Balduin (1041–1060) nicht dokumentiert. Über die Übergabe des Palliums an Gebhard berichten die Gesta episcoporum Salisburgensium; hier erfahren wir auch, dass Gebhard offenbar nicht persönlich vor Papst Alexander II. erschien, sondern der (Dom-)propst Wezilin ihm 1062 das Pallium überbrachte29. Die erste im Original überlieferte Papsturkunde für Gebhard ist übrigens auf das Jahr 1070 datiert, als ihm Alexander II. die Erlaubnis erteilte, in seinem Sprengel ein Bistum zu gründen, und ihm dabei das Recht einräumte, Einsetzung, Investitur und Weihe des neuen Bischofs selbst vorzunehmen30. Hinsichtlich Gebhards Nachfolger Thiemo (1090–1098) schweigt die urkundliche Überlieferung erneut; die Vita des Passauer Bischofs und päpstlichen Legaten Altmann (1065–1091) berichtet, dass Papst Urban II. ihm das Pallium gesendet habe, damit er es Thiemo übergebe31 – der zweite Nachweis einer indirekten Verleihung des Palliums über einen päpstlichen Mittelsmann, ohne 27 Dr.: Salzburger UB (wie Anm. 2) Bd. 2 S. 114f. Nr. 62 = ZIMMERMANN: Papsturkunden (wie Anm. 26) Bd. 1 S. 623f. Nr.