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German Pages 544 [548] Year 2001
R o m und das Reich in der Hohen Kaiserzeit Band II
R o m und das Reich in der Hohen Kaiserzeit 44 v. Chr. - 260 n. Chr. Band II Die Regionen des Reiches herausgegeben
von Claude Lepelley unter Mitwirkung von Pierre Cabanes Joseph Mélèze Modrzejewski Daniel Nony Marie-Thérèse Raepsaet-Charlier Maurice Sartre Patricia Southern Michel Tarpin John Wilkes Aus dem Französischen und Englischen übersetzt von Peter Riedlberger
Κ · G · Saur München · Leipzig 2001
Titel der Originalausgabe: R o m e et l'intégration de l'Empire Tome 2. Approches régionales du Haut-Empire romain 4 4 av. J . - C . - 2 6 0 a p . J . - C . Presses Universitaires de France I e édition: 1998 Herausgeber Claude Lepelley Verfasser Pierre Cabanes Professor an der Universität Paris X Claude Lepelley Professor an der Universität Paris X Joseph Mélèze Modrezejewski Professor an der Universität Paris I, Dozent an der E P H E (4. Sektion) Daniel Nony Dozent an der Universität Paris I Marie-Thérèse Raepsaet-Charlier Professorin an der Freien Universität Brüssel Murice Sartre Professor an der Universität François-Rabelais, Tours Patricia Southern Dozentin an der Universität Newcastle-upon-Tyne Michel Tarpin Dozent an der Universität Grenoble II John Wilkes Professor am University College, London
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme R o m und das R e i c h der Hohen Kaiserzeit : 4 4 v. Chr. - 2 6 0 n. Chr.. - München ; Leipzig : Saur Eiheitssacht.: R o m e et l'intégration de l'Empire < d t . > Bd. 2. R e g i o n e n des Reiches / hrsg. von Claude Lepelley. Unter Mitw. von Pierre Cabanes... Aus dem Franz. und Engl, übers, von Peter Riedelberger. - 2001 ISBN 3-598-77449-4 © 2001 der deutschen autorisierten Ubersetzung by Κ.G. Saur Verlag G m b H . München und Leipzig Printed in Germany Alle R e c h t e vorbehalten. All Rights Stricdy Reserved. Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlages ist unzulässig. Satz: bsix - information exchange G m b H , Braunschweig Karten, Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer" G m b H , 9 9 9 4 7 Bad Langensalzen
Vorwort zur deutschen Ausgabe Die beiden Bände von Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeil erschienen u r sprünglich in der R e i h e Nouvelle Clio auf Französisch. Ich freue mich sehr, daß sie n u n m e h r deutschsprachigen Lesern durch die ausgezeichnete Ubersetzung von Peter Riedlberger zugänglich sind. Das Ziel der Autoren war in gewisser Weise, das „Geheimnis des Reiches" zu verstehen, u m das berühmte TacitusWort aufzugreifen, j e d o c h in einem weiteren Sinn als bei d e m römischen Historiker. Dieser dachte dabei an die Herrschaftsform, den angeblichen republikanischen Prinzipat, hinter dem sich der monarchische Absolutismus verbarg. D i e sen Aspekt hat J o h n Scheid in den Anfangskapiteln des ersten Bandes behandelt und dort in unnachahmlicher Weise die Ambiguitäten und Widersprüchlichkeiten dieses politischen Systems aufgezeigt D o c h wollten die Autoren auch verstehen, wie über die Jahrhunderte ein Staat mit universalem Anspruch trotz b e grenzter (aber letztlich effizienter) Mittel existieren konnte. Diese umfassende Fragestellung ließ sich nur unter Einbeziehung zahlloser Detailstudien angehen. Von großer Bedeutung waren etwa die Ergebnisse der Prosopographie, der wir unser Wissen über die Karrieren von Senatoren u n d R i t t e r n im Dienst des Kaisers verdanken Die präzisen und wissenschaftlich strengen Kapitel aus der Feder von François Jacques beschreiben, wie diese administrativen Strukturen funktionierten, aufgrund derer die Verwaltung des Reiches mit einem sehr kleinen Kreis von Führungspersonal — wenigen hundert Senatoren und R i t t e r n - erfolgen konnte. Ein anderes Ergebnis der jüngeren Forschung ließ uns die Verwaltung auf der unteren Ebene verstehen. Gemeint sind die Arbeiten, die den zentralen Platz der Stadt herausgestellt haben. Alle Angelegenheiten von ausschließlicher lokaler Bedeutung wurden auf die Städte abgewälzt, deren A u t o n o m i e und Dynamik während der ganzen H o h e n Kaiserzeit viel größer blieben, als frühere Historikergenerationen glaubten. Eine weitere Stärke des ersten Bandes besteht in der gelungenen Herausarbeitung des eigentümlichsten Aspekts römischen Staatsmannskunst: R o m verstand, sich die Loyalität der lokalen Eliten zu sichern, die die erlittenen Brutalitäten der Eroberungszeit durch R o m vergaßen und sich d e m römischen System verschrieben, in dem sie bald das römische Bürgerrecht erreichten und, im Falle von besonders einflußreichcn und reichen Persönlichkeiten, in den R i t t e r - und Senatorenstand, d. h. in die Führungsschicht des Reiches, vorstießen. D e r französische Originaltitel Rome et l'intégration de l'Empire betont diese Entwicklung hin zur communis patria, die die Kraft hinter d e m Kaiserregime und das wahre „Geheimnis des Reiches" ist, d. h. das Geheimnis seines Erfolges und seiner Langlebigkeit. Beide Bände ergänzen sich und wollen auf dieselben Fragen Antwort geben. D e r erste Band hat das riesige römische Imperium als ganzes behandelt und konnte so nicht all die Besonderheiten der einzelnen R e g i o nen beachten. Dies soll im vorliegenden zweiten Band geschehen. M o m m s e n hat als erster eine solche Gesamtschau des Reiches vorgelegt. In unserer neuen Gesamtschau haben n e u n Experten zahlreiche Regionalstudien, die unser Bild der Provinzen des römischen Reiches stark verändert haben, zu-
VI
Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II
sammengefaßt. Hier werden die Schicksale der einzelnen Völker betrachtet, die im römischen Reich lebten, und die Verschiedenartigkeit der Formen ihrer tiefen oder auch oberflächlichen Integration ins römische System. Hierbei folgt das vorliegende Werk den Grundprinzipien der Reihe Nouvelle Clio, die mit L'histoire et ses problèmes untertitelt ist. Sie wurde in den 1960er Jahren von dem Mediävisten Robert Boutruche und dem Byzantinisten Paul Lemerle ins Leben gerufen. Sie wollten mit ihrer Reihe fortgeschrittenen Studenten einen dreifachen Dienst leisten: eine Zusammenfassung der großen historischen Fragestellungen auf Basis der jüngsten Ergebnisse der Forschung; eine umfassende, aber genau ausgewählte Bibliographie, auf deren Grundlage der Leser seine Kenntnisse rasch erweitern kann; eine Darstellung der „Probleme", d. h. der offenen und umstrittenen Fragen, die von zukünftigen Forschern angegangen werden müssen, die vielleicht in ihrer Studienzeit aus eben dieser Reihe lernten. Als Nachfolger der beiden Gründer versuchen Jean Delumeau und ich heute, dieses Unternehmen auf andere Bereiche der Geschichtswissenschaft auszudehnen, ohne dabei die ursprünglichen Prinzipien der Reihe aus den Augen zu verliehren, von deren Nützlichkeit wir überzeugt sind
Paris, im März 2000
Claude Lepelley
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
V
1 Italien, Sizilien und Sardinien 1. 1 1.1.1 1.1.1.1 1.1.1.2 1. 1. 1. 3 1. 1. 1 . 4 1.1.2 1.1.2.1 1. 1. 2. 2 1.1.3 1. 1.3. 1 1. 1. 3. 2 1.1.4 1.1.4.1 1. 1. 4. 2 1. 1. 4. 3 1.1.4.4 1.1.5 1. 1. 5. 1 1. 1. 5. 2 1. 1. 5. 3 1. 1. 5. 4 1. 1. 5. 5 1.1.6 1. 2 1.2.1 1.2.2 1. 2. 3 1. 3 1.3.1
1
Italien 3 Definition und Status 3 Der Name Italien 3 Italiens Grenzen 5 Die augusteischen Regionen 6 Das ius Italicum und die Privilegien Italiens 8 Tota Italia: Einheitlichkeit und Verschiedenartigkeit des kaiserzeitlichen Italien 11 Die italische Einheitlichkeit 11 Regionale Unterschiede und Widerstände gegen die Vereinheitlichung 14 Die städtische Autonomie 16 Eine begrenzte, aber reelle Autonomie 17 Städtische Wahlen 18 Gab es eine „Provinzialisierung"? 20 Die kaiserlichen Verwaltungsinstanzen 21 Der Kaiser und die Städte 25 Die Stadtkuratoren 26 Autonomie oder Abhängigkeit? 28 Demographie und Wirtschaft 29 Die Bevölkerung Italiens 30 Gab es eine Bevölkerungskrise? 33 Die Bodennutzung und die „Krise der Landwirtschaft" . 35 Die Produkte der italischen Polykultur 40 Die Orte des Warenumschlags 44 Gab es ein „italisches Handelsbilanzdefizit"? 45 R o m : Der Kaiser und seine Stadt 47 Die spezielle Organisation 47 Korn für R o m 50 Die große Baustelle 52 Die Provinz Sizilien 58 Natürliche Gegebenheiten und Kulturen 58
Vili
Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II
1. 3. 2 1. 3. 3 1.3.4 1. 4 1.4.1 1.4.2 1. 4. 3
Die Aufrechterhaltung des Provinzstatus und die Koloniegründungen Die Siedlungen und die Bodennutzung Die Romanisierung Die Provinz Sardinien Die Beziehungen zu R o m Die Romanisierung Das sardische Korn
Bibliographie 2 Afrika 2.1 2. 1. 1 2.1.1.1 2.1.1.2 2. 1. 1 . 3 2. 2. 2. 2.
1. 1. 1. 1.
2 2. 1 2. 2 2. 3
2. 1. 3 2. 1. 3. 1 2. 1. 3. 2 2.1.3.3 2. 1. 3. 4 2.1.4 2. 1. 4. 1 2.1.4.2 2.1.5 2. 2 2.2.1 2. 2. 2 2. 2. 3 2.2.3.1 2.2.3.2
58 61 64 65 65 67 68 70 79
Africa Proconsularis und Numidien Caesar und Augustus (47 ν. Chr. - 14 η. Chr.) Die Kolonisation Die Provinzialorganisation Die Armee und die Unterwerfung der südlichen Randgebiete Die Prokonsularis von Tiberius bis Traian (14-117) . . . . Kriege und Eroberungen von Tiberius bis Nero Die Politik der Flavier Der Abschluß der Eroberung und die Fixierung des Limes unter Traian Die Blüte der Prokonsularis von Hadrian bis Caracalla (117-217) Die wirtschaftliche Blüte Die Hochstufung peregriner Städte zu Gemeinden römischen Typs Die Bedeutung des Munizipalisierungsprozesses Die Sozialstruktur Die afroromanische Kultur Literatur und Kunst Religionen Das römische Afrika im 3. Jh Mauretania Caesariensis und Mauretania Tingitana . . . . Das Vasallenreich Mauretanien Die Annektierung Die begrenzte Okkupation Mauretania Caesariensis Mauretania Tingitana
81 82 82 84 86 87 87 88 89 92 92 97 99 100 102 102 103 105 107 107 109 110 110 110
Inhaltsverzeichnis
IX
2. 2. 3. 3
Roms Beziehungen zu den Stämmen
110
2.2.4
Eine partielle Romanisierung
112
Bibliographie 3 Die spanischen Provinzen
114 121
3.1 3. 2
Das Wirken von Caesar und Augustus Zwei friedliche Jahrhunderte
121 125
3. 3
Das Heer Hispaniens
129
3. 4 3.5
Das Straßennetz Die Wirtschaft
130 131
3. 5. 1 3. 5. 2 3.5.3
Der Münzumlauf Die wirtschaftliche Entwicklung Der Bergbau
131 132 133
3. 5. 4 3. 5. 5
Das Olivenöl Das Garum
135 135
3.5.6 3. 5. 7 3. 5. 8
Der Wein Die Keramikgefäße Die Produzenten
136 137 137
3. 6
Die Veränderungen der Halbinsel
138
3. 7
Fazit
144
Bibliographie 4 Gallien und Germanien
145 151
4. 1 4. 1. 1 4. 1. 2
Eroberung und Urbanisation Die Narbonensis Die Drei Gallien
151 156
4. 1. 3
Die beiden germanischen Provinzen
165
4.1.4 4.2
Die Alpen Die Verwaltung und die Institutionen
172 174
4. 2. 1
Die Provinzen
174
4. 2. 2 4. 2. 3 4. 2. 4 4.3 4.4
Die civitates Die munizipalen Institutionen pagus, vicus, canabae, curia Die Religion Die Gesellschaft
177 180 181 183 186
4. 5 4. 6
Die Wirtschaft Die Romanisierung
190 194
Bibliographie
195
X
Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II
5 Britannien 5. 1 5. 1. 1 5.1.1.2 5. 1. 1 . 3 5.2 5. 2. 1 5.2.2 5. 2. 3 5. 2. 4 5. 2. 5 5. 2. 6 5. 3 5.3.1 5. 3. 2 5. 3. 3 5. 3. 4 5. 3. 5 5.3.6 5. 4
211 Quellen Literarische Quellen Epigraphische Quellen Archäologische Quellen M i l i t ä r - u n d Ereignisgeschichte Eroberung und anfängliche Besiedlung D e r Boudicca-Aufstand Die Eroberung von Wales und Nordbritannien Agricola und Schottland Grenzen: Die Hadriansmauer und die Antoninusmauer Von Septimius Severus bis Carausius Das zivile Leben Die Entwicklung der Städte Die Kolonien Die Zivitashauptorte Small towns Die vici Die Villen Die Romanisierung
Bibliographie 6 Die Donauprovinzen 6. 1 6.2 6. 2. 1 6.2.2 6. 2. 3 6. 2. 4 6. 6. 6. 6. 6. 6. 6.
2. 2. 2. 2. 2. 2. 2.
5 5. 5. 5. 5. 6 7
1 2 3 4
6. 2. 7. 1
Einleitung: Die geographischen Grundlagen Die Zeit der Eroberung Der römische Balkan vor ca. 10 v. C h r Das bellum Pannonicum und der Vormarsch zur Donau . . Der Pannonische Aufstand Die Annektierung von Thrakien und die Provinz Mösien Die Strukturen der Macht Die Provinzen Legions- und Auxiliarlager Römische Kolonien Militärstraßen Die indigenen Völker zur Zeit der Eroberung Gesellschaft und Wirtschaft unter der julisch-claudischen Dynastie Peregrine Gemeinwesen
211 213 214 214 214 219 221 222 225 228 232 232 233 233 234 235 236 237 238 247 247 251 251 253 255 257 259 259 261 263 265 265 268 268
Inhaltsverzeichnis
Die römischen Munizipien und die griechischen Städte Mösiens 6. 2. 7. 3 Handel und Siedlungen 6. 3 Die Donaugrenze und die Romanisierung unter den Flaviern und den Antoninen 6. 3. 1 Die flavischen Kriege an der Donau 6. 3. 2 Die Eroberung Dakiens 6. 3. 3 Die Donaugrenze unter Hadrian und Antoninus Pius . . 6. 3. 4 Die Provinzialverwaltung 6. 3. 5 Städtegründungen 6. 3. 6 Siedlungen und Wirtschaft 6. 3. 6. 1 Der Handel 6. 3. 6. 2 Städte 6. 3. 6. 3 Villen und ländliche Besiedlung 6. 3. 6. 4 Die Bergwerke 6. 3. 6. 5 Produktion 6. 3. 6. 6 Die Gesellschaft 6. 3. 6. 6. 1 Die Rekrutierung 6. 3. 6. 6. 2 Bestattungsbräuche 6. 3. 6. 6. 3 Die Religionen 6. 4 Blüte und Krise im 3. Jh 6. 4. 1 Die Germanen- und Sarmatenkriege unter Marc Aurel 6. 4. 2 Septimius Severus und der Aufstieg der Illyriciani 6.4.3 Siedlungen 6. 4. 3. 1 Siedlungen an der Grenze 6. 4. 3. 2 Die Ausbreitung der Städte 6. 4. 3. 3 Villen und Domänen 6. 4. 4 Die Gesellschaft 6. 4. 4. 1 Einwanderung 6. 4. 4. 2 Latein und Griechisch 6. 4. 4. 3 Die provinziale Kultur 6. 5 Die Barbareninvasionen und der Zusammenbruch der Donaugrenze
XI
6. 2. 7. 2
Bibliographie 7 Griechenland und die Kyrenaika 7. 1 7.2 7. 3
Die Provinz Makedonien Die Situation in Griechenland ab 146 v. Chr Thrakien
270 272 275 276 277 279 280 282 285 285 286 288 289 290 290 290 291 292 292 292 294 297 297 299 301 301 301 302 303 303 306 309 309 311 312
XII
Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II
7. 7. 7. 7. 7. 7.
4 5 6 7 8 9
7.9.1 7. 9. 2 7. 9. 3 7. 9. 4 7.10 7.11 7.12 7.13 7.13.1 7. 13. 2 7.13.3
Die Kyrenaika Die Reorganisation von 27 v. Chr Die Provinz Epeiras (108 η. Chr.) Administrative Unterteilungen innerhalb der Provinzen Kolonien und freie Städte Die soziale und wirtschaftliche Situation Griechenlands im 1. und 2. Jh Der Zustand zu Beginn der Kaiserzeit Die allmähliche Erholung Das Wiederaufleben der Städte Bedeutende Familien Griechenlands Die Politik der Kaiser gegenüber einzelnen Städten . . . Die städtische Politik während der Hohen Kaiserzeit . . Das Panhellenion Religion und Kaiserkult Der städtische Kult Der provinziale Kult Das Christentum
Bibliographie 8 Die anatolischen Provinzen 8. 1 8.1.1 8. 1. 2 8. 1. 3 8. 2 8. 2. 1 8. 2. 2 8. 2. 3 8. 2. 4 8. 3 8. 3. 1 8. 3. 1. 1 8.3.1.2 8. 3. 2 8. 3. 3 8. 3. 4
Die Etappen der Provinzialisierung Der Orient nach Actium Die Integration der Vasallenstaaten von Augustus bis Vespasian Reorganisation und Eroberungen von den Flaviern bis Aurelian Verwaltung und Verteidigung Die Zielsetzungen Die Standorte der Armee Die Organisation der Provinzen Steuern und Tribut Die Städte und die Ausbreitung des Griechentums . . . . Städtegründungen Die Kolonien Die poleis Die städtische Politik Die städtischen Finanzen Die Honoratiorenschicht
313 313 314 314 316 318 318 320 321 322 323 328 330 331 332 333 335 336 341 341 344 347 348 348 349 351 353 355 355 355 357 359 363 364
Inhaltsverzeichnis
8. 3. 5 8. 3. 6 8. 4 8. 4. 1 8. 4. 2 8. 4. 3 8.4.4 8. 4. 5 8. 5 8. 5. 1 8.5.2 8. 6
Das Volk und die städtische Wirtschaft Städtische Rivalitäten Das ländliche Anatolien Ressourcen und Produktion Die Eigentumsverhältnisse Arbeitskraft und Bewirtschaftung Das Leben auf dem Land Dörfliche Gemeinschaften Handel und Verkehr Straßen, Häfen und Händler Geld und Handel Kultur und Religion
Bibliographie 9 D e r semitische Orient
XIII
366 368 371 371 373 376 378 379 380 380 381 383 386 399
9. 1 9. 1. 1 9. 1. 2
Die Bevölkerung Die Semiten Griechen, R ö m e r und andere Fremde
9. 2 9. 2. 1 9. 2. 2 9. 2. 3 9. 2. 4 9. 2. 5 9. 2. 6 9.3 9.3.1 9. 3. 2 9.4 9.4.1 9.4.1.1 9.4.1.2 9.4.1.3 9.4.2 9. 4. 3 9.5 9.5.1 9. 5. 2 9. 5. 3
Die einzelnen Etappen und Formen der Integration Das augusteische Syrien 402 Die Vasallenstaaten 403 Die Integration der Vasallenstaaten bis 106 405 Von Traían bis Zenobia: Eroberungen und Teilungen . . 406 Die Garnison 408 Der Kaiserkult 409 Die Welt der Städte 409 Die Verbreitung der polis 409 Das Leben der Städte 411 Das flache Land 413 Besitz und N u t z u n g des Bodens 413 Die Kaiserdomänen 413 Landbesitz von Heiligtümern 413 Privatbesitz 414 Dörfer und Dorfgemeinschaften 415 Die N o m a d e n 417 Produktion und Handel 418 Landwirtschaftliche Techniken und Produktion 418 Die Bedeutung des Handwerks 419 Der Handel 420
399 401
XIV
9. 6 9. 6. 1 9. 6. 2 9.6.3 9. 7 9. 7. 1 9.7.2 9.7.3 9. 7. 4 9.7.5 9. 7. 6 9. 7. 7 9.7.8
Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II
Sprachen, Kulturen, Religionen 422 Der Erfolg der griechischen Kultur 422 Indigene Sprachen und Arabisierung 423 Die Kulte 424 Die Krisen Judäas 428 Herodes und seine Nachfolger 428 Die Rückschläge der Direktverwaltung 430 Agrarische Strukturen und soziale Hierarchie 432 Messianismus und eschatologische Erwartungen 433 Vom Brigantentum zum allgemeinen Aufstand von 66 . 435 Die Reorganisation Palästinas 438 Der Bar-Kosiba-Aufstand (132-135) 439 Die Neuorganisation des Judentums 441
Bibliographie 10 Ägypten 10. 1 10. 1. 1 10.1.2 10.1.3 10. 2 10. 2. 1 10.2.2 10. 2. 3 10. 3 10.3.1 10.3.2 10. 3. 2. 1 10. 3. 2. 2 10.3.2.3 10. 3. 2. 4 10.3.3 10.4 10. 4. 1 10. 4. 2 10. 4. 3 10. 4. 3. 1 10. 4. 3. 2 10.4.3.3
443 457
Die Sonderstellung Ägyptens Das Ende der Lagiden Kaiserliche Provinz oder kaiserliche Domäne? Das augusteische Statut Ägyptens Das kaiserzeitliche Ägypten Von Augustus bis zu den Flaviern Das Goldene Zeitalter der Adoptivkaiser Von den Severern bis Gallienus Der Aufbau der Provinzverwaltung Die Zentralorgane Die griechischen Städte Alexandria Ptolemais Naukratis Antinoopolis Die Chora Gesellschaft und Wirtschaft Bürger und Nichtbürger Produktion und Handel Besteuerung, Liturgien, Geldumlauf Steuern Liturgien Geldumlauf
457 457 459 463 465 465 469 470 473 473 477 477 479 479 479 481 483 483 486 489 489 491 492
Inhaltsverzeichnis
10.5 10.5.1 10.5.2 10. 5. 3 10.6 10. 6. 1 10.6.2 10. 6. 3 10.7
XV
Integration und Widerstand 492 Die römisch-alexandrinischen Auseinandersetzungen . . 492 Reichsrecht und Volksrecht 494 Caracallas Edikt und seine Auswirkungen 499 Heiden, Juden, Christen: Krieg und Frieden 501 Tempel, Priester, Kulte 501 Blüte und Untergang des ägyptischen Judentums 504 Die Entstehung der alexandrinischen Kirche 508 Fazit: Eine nicht vollständige Integration 510
Bibliographie
511
Fazit
519
Register
525
1 Italien, Sizilien und Sardinien Von Michel Tarpin Das Quellenmaterial zu Italien ist weit umfangreicher als zu j e d e m beliebigen anderen Teil des Reiches. Fast alle Autoren, deren Werke uns überliefert sind, waren entweder Italiker oder Provinziale, die in R o m lebten. So gut wie alle D o k u m e n t e zur Wirtschaftsgeschichte stammen aus Italien: Finanzielle Aufzeichnungen auf Täfelchen, die unter der Asche des Vesuv überdauert haben, Abhandlungen über den Ackerbau und ein Beispiel der Verwaltung eines Gutshofs aus der Feder des jüngeren Plinius. Die schnellen Fortschritte der italienischen Archäologie nach dem Zweiten Weltkrieg und die surveys, d. h. intensive Prospektionen, haben unsere Kenntnis über die N u t z u n g des Bodens stark erweitert. Die italische Epigraphie ist die ertragreichste des ganzen Imperiums: R o m allein liefert m e h r Inschriften als die gallischen u n d germanischen Provinzen zusammen. Paradoxerweise findet dieser Materialreichtum k a u m Interesse in der m o d e r n e n Forschung, die das kaiserzeitliche Italien weitgehend ignoriert. Das unlängst erschienene Werk von T. W. Potter [9] und das von der Ecole française de R o m e 1992 organisierte Kolloquium [6] sind in dieser Hinsicht Ausnahmen. Das italische Material wurde vor allem für thematische Studien in größerem R a h m e n benutzt: Staatsrecht, Wirtschaft, ländlicher R a u m etc. C h a rakteristischerweise behandeln die großen Zusammenfassungen das republikanische Italien, dann die Institutionen der Kaiserzeit im allgemeinen und in den einzelnen Provinzen. Die Forschung beschränkt sich im wesentlichen auf den ökonomischen Niedergang eines von den Provinzen in den Hintergrund gedrängten Italiens u n d den Verlust der Autonomie der Städte zugunsten der „Zentralmacht". Die Haltung der m o d e r n e n Forscher reflektiert ein antikes i n stitutionelles Problem, das E. Lo Cascio [8, S. 132] prägnant beschrieben hat: „Italien ist in gewisser Weise negativ charakterisiert, als das, was nicht R o m u n d nicht (oder: noch nicht) Provinz ist: Es gibt keine politisch-administrative Struktur, die es mit d e m Z e n t r u m der Macht verknüpft u n d die die lokale E b e ne der municipia überschritten hätte" [vgl. Eck, in: 6, S. 329-351]. Italien war weder eine Provinz n o c h das Z e n t r u m das Reiches; es will sich nicht einordnen lassen. Aber es existierte dennoch u n d spielte eine wichtige Rolle, nicht nur im Diskurs der kaiserlichen Propaganda, sondern auch real innerhalb des Reiches. N o c h im 3. und 4. Jh. stammten ein Großteil der Senatoren aus Italien [Jacques, in: 4]. M a n m u ß sich also fragen, was Italien war, wie es seine Einheit definierte u n d w o r i n es sich von den Provinzen unterschied, insbesondere von den N a c h barinseln Sizilien und Sardinien, die in der H o h e n Kaiserzeit nie Teil Italiens waren, ja sogar zu den am wenigsten romanisierten Provinzen des Westens gehörten.
2
R o m und das R e i c h in der H o h e n Kaiserzeit, Band II
Regionengrenzen nur u n g e f ä h r b e k a n n t [ ; ; ; ; ; ; : } h ö h e r als 500 m 0
50
100 km
Taormina: moderner Name
Camuium: antiker Name
Italien, Sizilien und Sardinien in der H o h e n Kaiserzeit (Hintergrund Vallardi Industrie
nach L'Atlante
Grafiche, Lainate
mondiale, (Mailand),
1994)
1 Italien, Sizilien und Sardinien
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1. 1 Italien 1 . 1 . 1 Definition und Status 1 . 1 . 1 . 1 Der Name Italien Im Gefolge von Hekataios von Milet [FgrH 80-85] und einer Tradition, die mindestens ins 5. Jh. v. Chr. hinaufreicht, erinnert Strabon [5. 1. 1] daran, daß der N a m e Italien bei den „Alten" allein Bruttium bezeichnete, also den Teil Italiens, der an die von den griechischen Städten Kalabriens erschlossene Region grenzte [Bernardi 14, 34f.]. Erst im 4., ja vielleicht erst zu Beginn des 3. Jh.s (Fall von Tarent) nahm R o m den Namen Italien auf, um ihn im R a h m e n seiner imperialistischen Propaganda zu verwenden [Scherling 25, Sp. 1249; Catalano, in: Studi Volterra, IV, Mailand 1971, S. 807; früherer Ansatz bei Campanile 15, S. 305f., doch ohne überzeugendes Argument]. Dieses neue Italienkonzept paßte das römische Fallrecht im juristischen und religiösen Bereich den territorialen Realitäten an, die sich aus den Eroberungen ergeben hatten: So durfte der pontifex maximus Italien nicht verlassen [Gabba 21, S. 13; vgl. Liv. 28. 38. 12]. Italien war weniger ein einheitliches und geschlossenes Verwaltungsgebiet (es konnte italische Exklaven geben) als vielmehr ein religiöser Raum, der durch die Auspizien definiert wurde, die man dort vornehmen konnte [Catalano 21, S. 530f.]. Italien wurde vom Meer begrenzt, was erklärt, weswegen Sizilien und Sardinien Provinzen blieben [Catalano 21, S. 536]. Parallel zu dieser politischreligiösen Begriffsbildung wirkte die Vorstellung, daß die gesamte Halbinsel bis zu den Alpen eine geographische Einheit formte, und dies trotz der offensichtlichen Unterschiedlichkeit des Bodens und des Klimas [vgl. Haussmann, in: Storia d'Italia, Turin 1972]. Die ersten Belege hierfür finden sich bei Cato dem Alteren und Polybios, aber diese Vorstellung wird vermutlich ins 3. Jh. v. Chr. zurückgehen. Die erste Karte Italiens datiert übrigens ans Ende des 3. Jh.s [Cato, frg. 85 Peter; Polyb. 6. 17. 2; Giardina 6, S. 47-49; Bernardi 14, S. 40; Catalano 17, S. 544]. Schließlich führten nach den Erfahrungen der Pyrrhoskriege die gallischen und punischen Bedrohungen, die 225 (Telamón) und 218 (Einfall Hannibals und Verrat des hellenisierten Kampaniens) ihren Höhepunkt erreichten, zu der (von R o m gewollten) Entstehung des Bewußtseins einer italischen Kulturgemeinschaft, die sich gegenüber fremden Kulturen definierte und durch die Opferung je eines gallischen und griechischen Paares auf dem forum Boarium ausgedrückt wurde [S. Mazzarino, Il pensiero storico, S. 213fF.; vgl. Liv. 22. 39, R e d e des Fabius Maximus]. Damit erklärt sich wohl auch das kaiserzeidiche Fortleben eines engeren Italienbegriffs, der die Zisalpina (gallisch), Großgriechenland (griechisch) und manchmal sogar Etrurien (nicht-italisch) ausschloß. Die Etrusker sahen sich gegenüber den mit den Trojanern identifizierten R ö mern manchmal als Griechen [Giardina, in: 6, S. 73; Cracco Ruggini 18, S. 35f.]. Das Zusammenspiel dieser drei Elemente — imperialistischer Diskurs, der immer genauer definierte geographische Begriff, die Entstehung eines kulturellen Bewußtseins — führte unter der katalysatorischen Wirkung der Agrar-
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frage zur Bildung einer ersten politischen Einheit namens „Italien", und zwar paradoxerweise durch die gegen R o m verschworenen Bundesgenossen [Susini, in: 1, S. 131]. Erst nach dem Tod Caesars und wahrscheinlich unter seinem Einfluß glich sich das politische Italien mit einiger Verzögerung dem Italien der Geographen an, indem es sich bis zu den Alpen ausdehnte [Bernardi 14, S. 40]. Dieses einheitliche Konzept übertraf die Summe der Stadtterritorien bei weitem. Die augusteische Propaganda nahm sich seiner an und machte aus ganz Italien die natürliche Verlängerung Roms. Der Quellenmangel erlaubt keine genaue Aussage über die Entwicklung des Status von Italien im allgemeinen und schon gar nicht über den der Zisalpina zwischen dem Bundesgenossenkrieg und Augustus. 90 ν. Chr. verlieh die lex Iulia den Bundesgenossen einschließlich der Zispadaner und der latinischen Kolonien der Transpadana das Bürgerrecht, während die restliche Transpadana das latinische Recht 89 v. Chr. durch eine lex Pompeia erhielt [Cassola, in: Die Stadt in Oberitalien, Mainz 1991, S. 17-44] (allerdings sind die Daten und die genauen Bestimmungen dieser Gesetze umstritten). Manche Historiker berufen sich auf Asconius [Pis. 3 Clark] und nehmen an, daß dieses latinische Recht zur Gründung von latinischen Titularkolonien geführt habe, doch die Beweise fehlen, und A. Degrassi zählt die latinischen Städte der Transpadana nicht zu den latinischen Kolonien [Kornemann, R E 4 (1900) s. ν. colonia; Cardinali 16, S. 102; Galsterer, in: La valle d'Aosta, Aosta 1987, S. 82; Bandelli, in: 2, S. 260-264; Degrassi, in: V. Ussani, Guida allo studio della civiltà romana, Neapel 1952, S. 317-327]. Damals seien auch die zu unbekannter Zeit unterworfenen Alpenstämme an die venetischen Kolonien „attribuiert" worden [LafH, „Adtributio" e „contributio", Pisa 1966]. Gleichwohl blieb die Zisalpina eine Provinz mit Garnison, während Sullas Reformen aus Italien ein demilitarisiertes Gebiet gemacht hatten. 65 v. Chr. wurde das Vorhaben, die Transpadana einzugliedern, nicht realisiert [Cass. Dio 38. 39]. Erst zwischen 49 und 42 v. Chr. erfolgte die Integration der Zisalpina in zwei Etappen: 49 v. Chr. verlieh Caesar das Bürgerrecht den Transpadanern und den Zisalpinern, soweit sie es noch nicht hatten [Cass. Dio. 41. 36; Tac. ann. 11. 24; Cie. Orat. 10. 34], was wahrscheinlich durch eine lex Iulia und nicht durch eine lex Roscia geschah, die U. Laffi [Athenaeum 74 (1986) 5-44] mit dem Gesetz von Ende 42 v. Chr. identifiziert, durch das die Provinz Zisalpina abgeschafft wurde. Jedenfalls vergrößerte man nach dem Sieg von Philippi Italien durch die Integration der Transpadana bis zu den Alpen [App. civ. 5. 3; Cass. Dio 48. 12]. Die neuen Munizipien wurden damals nach dem schon für die Munizipien Italiens verwendeten Prinzip organisiert, das wir teilweise durch die „Tafel von Herakleia" kennen. Die unzuverlässig datierten Fragmente von Este und Veleia, die Gesetze oder Ausführungsbestimmungen enthalten, zeigen, daß diese Integration die Anwendung des römischen Rechts und eine Begrenzung der juristischen Kompetenzen der lokalen Magistrate mit sich brachte. Im großen und ganzen veränderte sich Italien danach nicht mehr. A. Giardina hat sogar die Idee einer Zweiteilung Italiens in der Spätantike angezweifelt, indem er darauf hinwies, daß es zwar zwei
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Vikare gab, Italien aber faktisch nur eine Diözese bildete; man habe sich nur die Arbeit mittels zweier Versorgungsbezirke geteilt [Giardina, in: 4, 1, S. 1-30; Diskussion durch J. Arce, in: 6, S. 399-409], 1 . 1 . 1 . 2 Italiens Grenzen Die Herausbildung einer politischen Einheit „Italien" führte zur Definition eines abgegrenzten R a u m s , der ihr entsprach [Nicolet, in: 6, S. 377]. Aus religiösen G r ü n d e n sah man im M e e r u n d in Flüssen die Grenzen Italiens. 49 v. Chr., als Caesar gegen R o m marschierte, waren das noch A r n o und R u b i k o n . Sulla hatte diese beiden Flüsse als Grenze der Provinz Zisalpina festgelegt. Zwischen ihnen bildete der Apennin die Grenze; ob Italien an seinem Fuß oder auf dem Grat endete, wissen wir nicht Qullian 22, S. 122], vielleicht bildete sogar das Massiv insgesamt die Grenze [vgl. Gabba, in: Le Alpi e l'Europa, Mailand 1975, S. 88]. Die Eingliederung der Zisalpina 42 v. Chr. verschob die Grenze auf den Var im Westen u n d die Arsa (in Istrien, rund 30 k m westlich von Rijeka) im Osten, denn laut Strabon [5. 1. 1] gehörte Polla zu Italien. Das Jahr dieser Verschiebung ist nicht bekannt. Gegen Nissen, Detlefsen u n d T h o m s e n , die zwischen 8 v. Chr., d e m D a t u m der Vergrößerung des Pomeriums (eine attraktive, aber unbewiesene Hypothese), u n d dem Ende der Herrschaft des Augustus schwankten, hat A. Degrassi [19, S. 54-59] die Zeit zwischen 18 u n d 12 v. Chr. vorgeschlagen, indem er darauf hinwies, daß die Quellen auf ein D o k u m e n t zurückzugehen scheinen, das zu Lebzeiten Agrippas verfaßt wurde. Die Wahl von Var u n d Arsa war, wenngleich sie das politische mit dem geographischen Italien eins werden ließ, dennoch etwas willkürlich, da das östlich v o m Var u n d damit in Italien gelegene Nizza weiterhin von Marseille abhing, während Antibes, westlich vom Var gelegen, laut Strabon [4. 1. 9] italisch war. Im Osten scheint die Lage konfus gewesen zu sein. Aus der Tatsache, daß Plinius der Altere [nat. 3. 130 u n d 139] zweimal dieselben sechs liburnischen Städte auflistet, hat man bisweilen geschlossen, daß sich diese Städte in Italien befunden hätten, ehe sie nach der Abfassung von Agrippas Liste ihre Z u g e h ö rigkeit zu Italien verloren, aber weiterhin den Status italischen Bodens behielten. Eine andere B e m e r k u n g desselben Autors [nat. 3. 127] über den Formio (rund 12 k m von Triest), „die alte Grenze des [von Caesar?] vergrößerten Italien, heute aber [die Grenze] Istriens" macht die ganze Sache nicht einfacher. A. Degrassi legt die Grenze seit 18-12 v. Chr. auf die Arsa, indem er d a r a u f h i n weist, daß sich seit augusteischer Zeit das Lager der legio XVApollinaris in E m o na befand, was nicht mit der Demilitarisierung Italiens zusammenpassen würde, und daß Plinius [nat. 3. 147] E m o n a in Pannonien piaziert. Cl. Nicolet [42, S. 93] datiert die Grenzziehung auf die Zeit nach den Siegen von Drusus und Tiberius über die Alpenvölker, was historisch gut passen würde. A. Degrassi schlägt vor, die Integration der liburnischen Städte mit der Q u a d e n - u n d M a r komanneninvasion von 167-168 in Zusammenhang zu bringen, da zu Beginn des 2. Jh.s ein Prokurator der alimenta per Transpadum, Histriam, Liburniam belegt ist [19, S. 112-130]. Kurz: Keine D e u t u n g kann befriedigen, weil entweder zu
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erklären bleibt, w a r u m die Grenze zum Nachteil Liburniens nach Istrien verschoben wurde, oder aber, w a r u m die liburnischen Städte das italische R e c h t sehr früh erhielten, ohne dabei ganz an Italien angegliedert zu werden. D e r Verlauf der Uberlandgrenze zwischen Arsa und Var ist teilweise genauso schwierig zu rekonstruieren. Gegen M o m m s e n und Zippel, die d e m Save-Tal zuneigten, schlug A. Degrassi [19, S. 86; vgl. Scherling 25, S. 1250] vor, daß sie der Gratlinie der Julischen Alpen gefolgt sei. Jedoch scheint die dafür angeführte Passage bei Vellerns Paterculus [2. 110. 4] nur zu besagen, daß sich Nauportus (Vrhnika, südwestlich von Ljubljana) zum Zeitpunkt des pannonischen Aufstandes (6 n. Chr.) in Italien befand. Diese beiden Ansätze differieren also u m rund 30 km. Zwischen den Julischen Alpen und d e m Var folgte die Linie wohl teilweise d e m Fuß des Bergmassivs, wie Strabon schreibt [5. 1. 3], Auf der Seite der Kottischen Alpen, deren Hauptstadt Susa nahe der Ebene liegt, steht dies fest. Die Grenze verlief durch Ocellum, d. h. genau an der Grenze des Massivs. Für ihren weiteren Verlauf im Osten dachte C. Jullian an die Kammlinie [22, S. 124; ihm folgt J. Prieur, A N R W II. 5. 2, S. 636, doch vgl. Susini, in: 1, S. 131], was gut zu der Grenze zwischen den Pöninischen Alpen und Italien passen würde, die in geringer Entfernung v o m Großen St. Bernhard verläuft, u n d zu der Grenze zwischen Italien und Rätien, die R . Frei-Stolba [ A N R W II. 5. 1, S. 317f.] über die Gipfel der Berge Lema, Tamaro, Ceneri und M o r m o n t a na verlaufen läßt. Allerdings kann das Gebiet von Bellinzona weder Rätien noch Italien sicher zugeordnet werden. Die Lage in Venetien ist kompliziert. Plinius legt zahlreiche Alpenvölker wie die Carni nach Italien u n d schließt die Beschreibung der Alpenvölker mit den Worten haec est Italia [nat. 3. 38. 127 u n d 138]. D o c h wissen wir aus anderen Quellen, daß die Anauni, Sinduni, Tuliasses und wohl auch die Laebactes, Camuni und Trumpilini nicht römische Bürger waren, sondern rechtlich von den römischen Kolonien in Italien abhingen (Triest u n d Brescia) [ILS 206, 6680; zur Art dieser Abhängigkeit, vgl. die gegensätzlichen Ansichten von Laffi, „Adtributio" e „contributio", Pisa 1966 u n d von Bertrand, in: Cahiers du Centre G. Glotz, 2 (1991) 127-164]. Es ist aber unwahrscheinlich, daß die Trumpilini Staatssklaven waren, wie G. Tibiletti annimmt [Storie locali, Pavia 1978, S. 109]. W i e d e r andere, wie die Rundictes, waren offensichtlich überhaupt nicht attribuiert. M a n darf wohl vermuten, daß sich diese Stämme in Italien befanden [Zaccaria, in: 1, S. 316f.], aber daß sie, weil 49 v. Chr. noch nicht unterworfen, das Bürgerrecht nicht erhalten hatten. Cl. N i c o let folgert, daß in Italien jeder Bürger war, mit der Ausnahme „einiger rückständiger attributi" [42, S. 93; vgl. Susini, in: 1, S. 131]. Es gab kein Gesetz, das die Stellung der Italiker hinsichtlich des römischen Bürgerrechts definiert hätte. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Existenz von Italien als politischer Einheit nicht in Frage steht, diese aber offenbar nicht auf einer rigiden R e g e l u n g basierte.
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1. 1. 1 . 3 Die augusteischen Regionen In der Kaiserzeit setzte sich Italien aus elf Regionen zusammen, deren Wesen und Funktion uns größtenteils verborgen bleiben [Thomsen 49]. Mitunter wurde angenommen, daß die Einrichtung dieser Regionen ein erstes Eindringen der „Zentralmacht" in das Leben der Städte bedeutete. E. Gabba [34, S. 26] beispielsweise erwägt, ob nicht eine Verbindung zwischen diesen Regionen und dem Plan einer direkten Besteuerung besteht, den Augustus dann doch nicht in die Tat umsetzte. Aber Cassius Dio [56. 28. 6] sagt ausdrücklich, daß es sich dabei nur um eine politische Drohung und nicht um einen ernsthaften Plan handelte, das tributum wieder einzuführen. Nicht einmal das Datum dieser Einteilung steht sicher fest, trotz Plinius dem Alteren, der sie Augustus zuschreibt. Die ersten acht Regionen befinden sich nämlich südlich von Rubikon und Magra. Es wird also eine erste Aufteilung vor Augustus gegeben haben, der man später die drei Regionen der Zisalpina hinzufügte [Cardinali 16, S. 105]. Leider gibt es keine Spur dieser „Regionen" in republikanischer Zeit (in Zusammenhang mit einer Wahl spricht Q. Cicero von der Italia tributim descripta [Comm. Pet. 30. 5]). Cl. Nicolet vermutet dennoch aufgrund einiger Indizien, daß die Zensusbücher der Städte schon relativ früh in ethnischen Verbänden gesammelt worden seien. Augustus habe diesen Usus nur noch formalisiert, indem er den Regionen die Nummern gegeben hätte [Nicolet 42, S. 91 f.]. Diese Regionen besaßen anscheinend weder eine politische noch eine administrative, finanzielle oder juristische Bedeutung [Tibiletti 50, S. 918], Das Wort regio selbst hat keine präzise Bedeutung. Die Hauptfunktion der Regionen war wohl, die Zusammenfassung der Zensusdokumente zu erleichtern, denn spätestens seit 45 v. Chr. (terminus ante quam der Tafel von Herakleia [Nicolet 42, S. 79; Lo Cascio, in: Athenaeum 78 (1990-92) 315f.]) wurde der Zensus in den einzelnen Munizipien bzw. Kolonien durchgeführt und die Ergebnisse in R o m gesammelt. Demnach hätten die Regionen eine rein statistische Rolle gespielt [Cardinali 16, S. 105; Tibiletti 50, S. 918], Darauf deutet auch eine Inschrift, die einen Magistrat erwähnt, der anläßlich des Vespasianszensus zur Durchführung der Zählung in eine Region geschickt worden war [AE 1968, 145]. Cl. Nicolet stellt fest, daß der liber coloniarum (ein Fachbuch, das im 4. Jh. auf der Grundlage älterer Dokumente verfaßt wurde) Listen verwendet, in denen die Städte regionenweise zusammengestellt sind [Nicolet 42, S. 88]. Kurz: Selbst wenn Augustus eine bestimmte administrative Absicht verfolgt hätte, besaßen die Regionen zu keiner Zeit eine andere Funktion als die von statistischen Archivierungseinheiten. Wenn spezielle Verwaltungseinheiten eingerichtet wurden, um indirekte Steuern zu erheben, Wege instand zu halten oder alimentaStiftungen zu betreuen, so geschah dies in einem anderen geographischen R a h men. Gleichwohl darf man die politische Bedeutung des Zensus keinesfalls unterschätzen [Susini, in: 1, S. 133], Es nimmt nicht wunder, daß die Bezirke der iuridici sich aus mehreren Regionen zusammensetzten, denn diese Männer brauchten für ihre Aufgaben eine genaue Kenntnis der Kataster und des privaten wie öffentlichen Eigentums. Zu anderen Verwaltungszwecken wurden die
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entsprechenden Bezirke j e nach Fall pragmatisch aufgeteilt. N a c h welchen Kriterien die R e g i o n e n definiert wurden, ist unklar. G. Tibiletti [50, S. 918] meint, Augustus hätte alte kulturelle Unterschiede respektiert und so der Lokalgeschichte seine Reverenz erwiesen, denn Strabon [Bücher 5 und 6] bezeichnet die R e g i o n e n mit E t h n o n y m e n . A u ß e r d e m habe das administrative „Projekt" des Maecenas eine völkerweise Aufteilung Italiens vorgesehen [Cass. D i o 52. 22. 1], Allerdings stimmen die (im übrigen nicht besonders gut bekannten) Grenzen der R e g i o n e n nicht genau mit den historischen Grenzen der großen italischen Kulturgruppen überein. Unlängst hat G. Susini [in: 1, S. 135; vgl. Potter 9, S. 18-21] eine komplexe D e u t u n g dieser R e g i o n e n vorgeschlagen: Sie seien nach wirtschaftlichen und sprachlichen Kriterien gebildet worden und hätten so der Zersplitterung der Munizipien entgegengesteuert, ohne ihnen j e doch einen administrativen R a h m e n aufzuzwängen. 1. 1. 1 . 4 Das ius Italicum u n d die Privilegien Italiens Die Gleichsetzung bestimmter Städte in den Provinzen mit italischen G e m e i n den durch das sogenannte ius Italicum, das „italische R e c h t " , hilft uns, die Sonderstellung Italiens innerhalb des Reiches zu begreifen. Z u m ersten Mal ist das italische R e c h t bei Plinius dem Alteren belegt [nat. 3. 139]. Es scheint unter Augustus geschaffen worden zu sein, indem man eine alte religiöse Praxis formalisierte, die erlaubte, ein Stück erobertes Land außerhalb der Halbinsel fur „italisch" zu erklären, u m dort z. B. Auspizien v o r n e h m e n zu können [Serv. Aen. 2. 178; Catalano 17]. M a n verwendete das italische R e c h t , u m diejenigen Städte rechtlich in Italien zu behalten, die durch Grenzverschiebungen an eine Provinz angegliedert w u r d e n [von Premerstein 26, Sp. 1239; Giardina, in: 6, S. 63], oder u m bestimmten Städten eine Gunst zu erweisen [Degrassi 19, S. 100]. Später war es ein nur v o m Kaiser vergebenes Privileg, mit d e m die j u lisch-claudische Dynastie, die Flavier u n d die Antoninen sparsam, die Severer freigebiger umgingen [Dig. 50. 15]. Das italische R e c h t erhielten Kolonien, seltener Munizipien (häufiger nach Hadrian), ja sogar latinische Gemeinden, wie man in d e m umstrittenen Fall von Antibes vermuten darf [Strabon 4. 1 . 9 ; Plin. nat. 3. 4. 35]. Anstatt mit A. Chastagnol [ILN II 26f.] anzunehmen, daß Strabon an dieser Stelle nicht wörtlich g e n o m m e n werden darf, ist es naheliegender anzunehmen, daß das Territorium von Antibes als italischer B o d e n galt (das ist der Unterschied zu Nizza), was aber n o c h lange nicht bedeuten muß, daß alle E i n w o h n e r deswegen gleich römische Bürger hätten sein müssen. Die genaue Bedeutung des italischen Rechts ist umstritten. Insofern der provinziale G r u n d u n d Boden nur Eigentum des römischen Volkes (bzw. des Prinzeps in der Kaiserzeit) sein kann, ist es für Individuen ausgeschlossen, solchen vollberechtigt, ex iure Quiritium, zu besitzen. Das italische R e c h t machte n u n einen Teil dieses Grundes zu italischem Land, so daß der Vollbesitz u n d die damit zusammenhängenden gesetzmäßigen Verkaufsformen, mancipatio und usucapió, möglich w u r d e n [Gai. 2. 27; 2. 31; Grom. 35 u n d 62f. L.; Nicolet, in: 6, S. 391-393; von Premerstein 26; Mazzarino 23], M a n n i m m t gemeinhin auf der
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Grundlage einer Passage des Juristen Paulus [Dig. 50. 15. 8. 7] u n d eines Satzes von Plinius dem Alteren [3. 139] an, daß das italische R e c h t auch die Steuerbefreiung [von Premerstein 26, Sp. 1245] einschloß. D o c h ist Paulus' Text nicht sehr klar, u n d wie man Plinius verstehen will, hängt von der Plazierung eines Kommas ab. S. Mazzarino [23, S. 363f.] Schloß daraus, daß einige Gemeinden italischen Rechts sehr wohl direkte Steuern abfuhren mußten. Laut Cassius Dio [56. 28. 6] habe Augustus 13 η. Chr. mit der Wiedereinführung einer B o d e n steuer gedroht, u m eine fünfprozentige Erbschaftssteuer durchzusetzen. Agennius Urbicus [Grom. 62. 23-25 L] unterscheidet klar zwischen italischem R e c h t u n d immunitas, aber kein Gromatiker erwähnt einen italischen ager tributarius. Offensichtlich war Italien also von direkten Steuern auf den G r u n d befreit, es gab aber keine prinzipielle Ausnahme, wie W. Simshäuser annimmt [48, S. 405]. Folglich schloß das italische R e c h t vielleicht keine Steuerbefreiung ein, aber man betrachtete sie de facto als ein ständiges Privileg des italischen Bodens. Die R e a k t i o n e n des Jahres 13 n. Chr. zeigen zur Genüge, wie sehr das tributum Angst machte u n d daß die Italiker j e d e andere F o r m der Besteuerung dieser vorzogen, die man z u d e m für entehrend hielt, da sie ja die Italiker auf die Stufe von Provinzialen gestellt hätte. Auch gab es keine allgemeine Zensuserhebungen m e h r nach denen von Claudius u n d Vespasian [Plin. nat. 7. 162], Cl. N i c o let verweist ferner darauf, daß in Italien kein portorium belegt ist, aber das war kein echtes Privileg, denn die Waren w u r d e n beim Verlassen der Provinzen verzollt, u n d es bestand kein Grund, dies n o c h ein zweites Mal zu tun [Nicolet, in: 6, S. 383-391]. A. von Premerstein [26, Sp. 1248] nimmt an, daß das italische R e c h t einen dritten Aspekt hatte, nämlich das R e c h t , sich a u t o n o m zu verwalten. Darüber wird später noch mehr zu sagen sein, aber Italien besaß in der Tat in der H o h e n Kaiserzeit keine Provinzialverwaltung [zuletzt Eck, in: 6, S. 329-351]. Fest steht jedenfalls, daß der B o d e n der Gemeinde, die diesen Status erhielt, mit einem Teil Italiens identifiziert w u r d e und das römische R e c h t in diesem Gebiet A n w e n d u n g fand. A. v. Premerstein benutzt diese Identifizierung des Bodens zur Erklärung der Tatsache, daß sich Städte gleichzeitig in der zehnten italischen R e g i o n und außerhalb Italiens befanden [Plin. nat. 3. 130 u n d 139]: Die Städte italischen Rechts seien zu Italien gezählt worden und nicht zu der Provinz, in der sie sich geographisch befanden [von Premerstein 26, Sp. 1246; Degrassi 19, S. 100]. Diese Hypothese u m so verführerischer, als die Listen der italischen Städte in dem Kapitel der Digesten k o m m e n , das dem Zensus gewidmet ist [Dig. 50. 15; Simshäuser 48, S. 405]. Beweisen läßt sie sich j e d o c h leider nicht. Die einzig wirklich sichere K o m p o n e n t e des ius Italicum ist die Identifikation eines Territoriums mit italischem Grund, mit allen Begleiterscheinungen in rechdicher und sozialer Hinsicht, wie Tacitus [ann. 13. 30. 1] betont [Susini, in: 1, S. 131]. Cl. Nicolet meint, man müsse in Italien wohnhaft sein u n d wohl auch dort seine origo haben, u m städtische Magistraturen ausüben zu k ö n n e n [Nicolet, in: 6, S. 395]. Die glänzende Karriere von Valerius Asiaticus, der aus Vienne stammte, wäre demnach eine Ausnahme gewesen (aber das Problem ist schwierig [Giardina, in: 6]).
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Eines der sicheren Privilegien Italiens war, nicht von der Anwesenheit von Truppen belastet zu werden [Nicolet, in: 6, S. 280f.; Tac. hist. 2. 12. 3], Mit der Ausweitung Italiens bis zu den Alpen w u r d e das Prinzip der Demilitarisierung, das schon für das suüanische Italien gegolten hatte, auf die ganze Halbinsel ausgedehnt [Tibiletti 50, S. 921; Simshäuser 48, S. 406], Sueton [Aug. 49. 1; bestätigt durch Tac. ann. 4. 5. 1-4] sagt ausdrücklich, daß Augustus die Truppen auf die Provinzen aufteilte, seine spanische (30 v. Chr.), dann seine germanische (nach der Varusniederlage von 9 n. Chr.) Leibwache auflöste und in R o m nur drei Kohorten behielt, während er die anderen in Nachbarstädten stationierte. So blieben auf italischem Boden, außer der römischen Garnison (Kohorten der vigiles, cohortes urbanae, Prätorianerkohorten), nur die Soldaten der kleinen stationes, die Tiberius gegen das R ä u b e r u n w e s e n aufgestellt hatte [Suet. Tib. 37. 2], Diese sind archäologisch nicht nachgewiesen und scheinen nicht sonderlich effektiv gewesen zu sein. Schäfer bewaffneten sich nämlich, und selbst auf den Verkehrsstraßen war man seines Lebens nicht sicher [Varrò rust. 2. 10. 1-3; Prop. 1. 21; Plin. epist. 6. 25]. Dazu kamen noch die Flotten von Misenum (tyrrhenisches Meer) und Ravenna (Adria), deren Besetzung vor allem aus Provinzialen, Freigelassenen und Sklaven bestand. Diese Armeekorps mit begrenzter Mannschaftsstärke waren unmittelbar dem Kaiser unterstellt, und sie spielten mitunter eine politische Rolle, zumal im 1. Jh., als die Flotte ein Gegengewicht zur Macht der Prätorianer darstellte [D. Kienast, Untersuchungen zu den Kriegsflotten der römischen Kaiserzeit, 1966; vgl. G. Alföldy, in: G n o m o n 39 (1967) 604-609]. D e r Kaiser konnte seine Truppen einsetzen, u m U n r u h e n in italischen Städten niederzuschlagen, so Tiberius in Pollentia [Suet. Tib. 37. 5] oder N e r o in Puteoli [Tac. ann. 13. 48]. Aber insgesamt gab es kaum Soldaten auf italischem Boden. Als z. B. 24 n. Chr. ein Sklavenaufstand in Apulien ausbrach, m u ß t e der dort anwesende Quästor auf zufällig anwesende Marinesoldaten zurückgreifen, ehe die von Tiberius entsandten Soldaten eintrafen [Tac. ann. 4. 27]. Augustus stationierte Truppen in Nachbarprovinzen nahe der G r e n ze zu Italien, damit diese im Bedarfsfall rasch eingreifen konnten. Tacitus läßt durchblicken, daß Augustus Italien nicht aus Vertrauen, sondern aus Prinzip (oder gar Mißtrauen?) demilitarisiert habe [Tac. ann. 4. 5. 5]. Italien blieb eine Zeitlang das Rekrutierungsgebiet für Elitetruppen, u n d die städtischen und prätorianischen Kohorten, die aus römischen Bürgern bestanden, wurden vorzüglich mit M ä n n e r n aus Zentralitalien ergänzt [Tac. ann. 4. 5. 5; Forni 59]. Septimius Severus, der den Prätorianern nach den Vorfällen von 193 mißtraute, ließ die II Parthica in den Albanerbergen bei R o m Quartier beziehen [SHA Sev. 6. 11]. Die Demilitarisierung Italiens geschah nach unseren Quellen auf einen kaiserlichen Beschluß hin und nicht als Folge einer lex oder eines Senatsbeschlusses. Die Demilitarisierung beließ den Städten gleichwohl eine gewisse Verteidigungsfähigkeit, wie man beim Bürgerkrieg von 69 u n d zumal 238 bei der R ü c k k e h r von Maximinus Thrax feststellen kann, den der Senat zugunsten der Gordiane für abgesetzt erklärt hatte. Der ausgewöhnlich heftige Widerstand von
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Aquileia (das freilich eine der größten Städte Italiens war) zeigt einen Organisationsgrad u n d Ausbildungsstand, den m a n Zivilisten k a u m zutrauen würde, die in unseren Q u e l l e n gemeinhin als v o m langen Frieden verweichlicht dargestellt werden [Herodian. 7. 8. 5f. u n d 8. 2-6; S H A M a x i m . 21-23]. Vermutlich u n terhielten die Städte Italiens W a c h - u n d Schutztruppen, wie sie für die bätische Kolonie U r s o bekannt sind [CIL II 5439, §3]. A u c h die iuvenes, die in Kollegien organisierten j u n g e n M ä n n e r der Landstädte, scheinen eine wichtige R o l l e bei der Verteidigung Italiens gegen den abgesetzten Kaiser gespielt zu haben. W i r stoßen hier auf ein wichtiges E l e m e n t der A u t o n o m i e der Städte (zumal angesichts der offiziellen Demilitarisierung), das nur zu Zeiten schwerer Krisen f ü r uns quellenmäßig greifbar wird. Ein letztes Privileg ist zu n e n n e n , das eine Hierarchie zwischen R o m u n d Restitalien schuf. Das sogenannte ius trium liberorum, d. h. die Vergünstigungen, die die Eltern dreier Kinder erhielten, galt in dieser F o r m nur für R o m : In Italien m u ß t e m a n vier Kinder haben u n d in den Provinzen fünf, u n d dies war vielleicht schon seit Augustus so [Nicolet, in: 6, S. 393f., vgl. C o d . Iust. 5. 66. 1],
1 . 1 . 2 Tota Italia: Einheitlichkeit u n d Verschiedenartigkeit des kaiserzeitlichen Italien Das eigendiche Wesen Italiens, abgesehen v o m juristischen Konzept der terra Italia, bleibt für uns unklar. Insbesondere das Band, das die Italiker z u s a m m e n hielt, ist schwer auszumachen. A. Giardina [in: 6] ist der U n b e s t i m m t h e i t des Konzepts „Italien" in einem Artikel mit d e m sprechenden Titel „Die unvollendete Identität Italiens" nachgegangen. N a c h E. Gabba [21, S. 24] gab es in der Antike kein italisches Nationalbewußtsein, sondern nur ein moralisches Band. Andere Historiker vertraten n o c h minimalistischere Einstellungen: T h . M o m m sen, U. von W i l a m o w i t z - M o e l l e n d o r f f u n d G. D e Sanctis [vgl. Nicolet 42, S. 74] glaubten, Italien sei nicht m e h r als das U m l a n d R o m s gewesen. C. Jullian sah in der augusteischen Organisation die Vorzeichen einer Provinzialisierung. Jüngst vertrat T. W. Potter [9, S. 60] die Ansicht, für Hadrian sei Italien eine Provinz w i e die anderen gewesen. Gleichwohl war das augusteische Italien zwar keine N a t i o n im m o d e r n e n Sinne des Wortes, aber d o c h m e h r als ein Propagandaschlagwort. A u c h w e n n Velleius Paterculus' Feststellung [2. 15. 2], nach der die Italiker homines eiusdem gentis et sanguinis waren, auf die offizielle Propaganda zurückzugehen scheint, gab es hinter d e m Begriff tota Italia eine Realität, die m a n gern näher b e s t i m m e n würde. 1. 1 . 2 . 1 D i e italische Einheitlichkeit D e r Ausdruck tota Italia, der sich schon bei Cicero [ad Q . fr. 4; D e d o m o 75] findet, erhielt seinen vollen Sinn erst unter Augustus (aber Caesar [civ. 1. 35] hatte bereits die Belagerung v o n Marseille durch die auctoritas Italiae gerechtfertigt). Cicero m e i n t damit die Eliten der Kolonien u n d M u n i z i p i e n Italiens u n d der Zisalpina, w ä h r e n d der (angeblich spontane) Eid auf Octavian i. J. 32 v.
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Chr. und in geringerem Maße seine Wahl zum Pontifex Maximus [R. gest. 10. 2; 25. 2] in der Tat eine kohärente politische Einheit voraussetzten [Syme, R o man Revolution, S. 284ff.]. Zu dieser kam es zu Augustus' Zeit u m so einfacher, als der Prozeß der kulturellen Vereinheitlichung, der mit der römischen Herrschaft begonnen hatte, sich seit dem Bundesgenossenkrieg beschleunigte. In den republikanischen Inschriften von Delos läßt sich nicht zwischen R ö m e r n und Italikern unterscheiden. Alle werden als Italicei bezeichnet, und alle schreiben auf Latein [Campanile 15, S. 310]. Italici erscheinen aber nur außerhalb von Italien [Giardina, in: 6, S. 66-70]. Das Lateinische wurde zur Sprache, die die Italiker zumindest literarisch und epigraphisch benutzen. Diese Sprache dominierte die Halbinsel [Verg. Aen. 12. 837; Cracco Ruggini/Cracco 18, S. 22]. Während die kaiserliche Kanzlei für den Orient bestimmte Dokumente anstandslos ins Griechische übersetzte, wurde von allen Italikern erwartet, Latein zu verstehen. Zu Claudius' Zeiten beschränkte sich das Leseverständnis des Etruskischen auf einen kleinen Kreis von Gelehrten, aber die Sprache war noch nicht ausgestorben. Die großen Autoren aus dem Umfeld des Etruskers Maecenas waren Italiker — Vergil (Mantua), Livius (Padua), Horaz (Venosa), Ovid (Sulmona), Properz (Umbrien) —, doch sie schrieben nur auf Latein, das zur einzigen Sprache literarischer Produktion geworden war [Plin. nat. 3. 39-42]. Diese kulturelle Vereinheitlichung setzte sich vor allem in den höheren Sozialschichten durch [Plin. epist. 9. 23. 2] und hatte schon unter Augustus die Grenzen Italiens weit überschritten [Cassola, in: 6, S. 423]. Aus einigen wenigen Zeugnissen wissen wir, daß auch das einfache Volk Latein sprach, wenn auch mitunter fehlerhaft [V. Väänänen, Le latin vulgaire des inscriptions pompéiennes, Berlin 1959; Mazzarino, L'Impero romano, S. 350-354]. Auch die Vermischung der Bevölkerung wird eine große Rolle bei der kulturellen Vereinigung Italiens gespielt haben. Bereits zu Zeiten der Republik hatten der Handel (der z. B. viele Latiner nach Kampanien zog ) und besonders die große Kolonialbewegung, die zwischen 42 und 29 v. Chr. rasch anwuchs, sowie — vielleicht - einige größere D e portationen zur Vereinigung Italiens beigetragen, da so zahlreiche Menschen und insbesondere die durch die Gußform der römischen Legionen gegangenen Veteranen verpflanzt wurden. In bestimmten Regionen wie etwa dem Pizenum ließ die Eroberung das alte Sozialgefüge verschwinden [Gasperini/Paci, in: 58, II, S. 206; Gaggioti, in: 58, II, S. 250], Legionäre aus dem Samnium erhielten Land in der Poebene zugewiesen. Später traten manche von ihnen wieder in Octavians Dienst und bekamen anderswo neues Land. L. Keppie schätzt, daß nach Philippi (42 v. Chr.) rund 36 000 Veteranen in Italien Land erhielten. Nach Naulochos (36 v. Chr.) wurden erneut 20000 Mann entlassen, die aber wohl nicht alle in Italien angesiedelt wurden [App. civ. 5. 129]. Nach Actium (31 v. Chr.) dürften es 120000 gewesen sein [diese Zahl ist umstritten: Brunt 66, S. 338], wovon rund 50000 ihr Land in Italien erhielten [Keppie 37], Insgesamt läßt sich abschätzen, daß etwa hunderttausend Mann [von 300 000: R . gest. 3. 3], die zum größten Teil aus Zentralitalien stammten, zwischen 42 und 29 v.
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Chr. an andere Stelle verbracht wurden, insbesondere in die Poebene. O n o m a stik und Epigraphik belegen diese umfangreiche Verschiebungen [vgl. ζ. Β.: H. Gabelmann, Römische Grabbauten der frühen Kaiserzeit, Aalen 1979; G. A. Mansuelli, Genesi e caratteri della stela funeraria Padana, S. 365fF.]. Die Vereinheitlichung der Verfassungen, die mit dem Bundesgenossenkrieg begonnen hatte, aber nur sehr langsam erfolgte und ziemlich häufig erst unter Augustus ihren Abschluß fand, und die fortschreitende Integration der italischen Notabein in die römische Aristokratie [58, II] haben dazu beigetragen, die Italiker zu einer Einheit werden zu lassen. Auch Prosperität und Friede begünstigten die von der Zentralmacht gewünschte Vereinheitlichung der Städte [Lloyd, in: 90, S. 233f.; Gualtieri/Polignac, in: 90, S. 185, 198; Gros/Torelli 134; Somella 142]. Die große städtebauliche Welle der augusteischen Zeit veranlaßte die lokalen Adeligen, die dominante städtische Ideologie und Symbolik zu übernehmen, insbesondere die mit dem Kaiserkult in Zusammenhang stehenden Baulichkeiten [Bejor, in: 11,3; Letta 38; Zanker 171], aber auch die Aquädukte [Potter 9, S. 144] und den Gebrauch von Marmor und von formalen Richtlinien, die in R o m aufgestellt worden waren [Torelli, in: 11, 1, S. 64; Somella 142; Zanker 143; Hölscher 136], Dies geschah u m so schneller, als Augustus und seine Umgebung in den italischen Städten häufig eingriffen - zumal in den 28 von ihm gegründeten Kolonien — und auch in der Provinz, so wie Caesar, was der republikanischen Tradition widersprach [Suet. Aug. 46; Kienast, Augustus, Darmstadt 1988, S. 343]. Der Urbanismus der neuen Städte zeigt bei einer geschickten Anpassung an die lokalen Gegebenheiten eine strenge Einheitlichkeit, die auf einem modularen System basiert, das man z. B. in der Anlage der zisalpinen Augusta-Stidte (Bagiennorum, Praetoria, Taurinorutn) erkennen kann. Damals wurden auch vielen Städten Umwallungen finanziert [Mansuelli 137; Somella 142; Cracco Ruggini, in: 2; Rebecchi 139]. Die Aufteilung einiger Städte in vici, ja sogar in regiones [Camodeca, in: Puteoli 1 (1977) 62-98] folgt dem römischen Vorbild. Zahlreiche Foren — sie waren das wesentliche Element des augusteischen Urbanen Schmucks — sind gepflastert und mit Inschriften aus Bronzebuchstaben geschmückt [G. Alföldy, Studi sull'epigrafia augustea e tibenana di Roma, R o m 1992; Zanker, in: 6, S. 263]. Dies trug auch zur Vereinheitlichung der Metrologie bei. In anderen Regionen zeigt die Übernahme bis dahin unbekannter Monumentalbauweisen die Integration in ein kohärentes Ganzes [Torelli, in: 58, II, S. 169; Gabba, in: Studi Class. Orient. 21 (1972) 73ff.]. Die enge Verwandtschaft zwischen den korinthischen augusteischen Tempeln verrät eine weitreichende Verbreitung (sogar über Italien hinaus) der Ergebnisse, die man auf der Großbaustelle R o m gewonnen hatte, wobei diese Entwicklung bereits vor Augustus begonnen hatte [Gros, Aurea templa, R o m 1976; Torelli, in: 11, 4, S. 55-58]. Die formale Ähnlichkeit zwischen den Gräbern von Caecilia Metella in R o m und von C. Ennius Marsus in Sulmona, die beide vom Augustusmausoleum auf dem Marsfeld abgeleitet sind, ist ein frappierendes Beispiel dafür [Coarelli/Thébert, in: M E F R A 100 (1988-2) 790-798; von Hesberg, Monumenta, Mailand 1992]. Die Foren waren überfüllt mit M o -
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n u m e n t e n zu Ehren der herrschenden Familie [Zanker 169], wie dies zahlreiche Statuengruppen [Cogitore, in: M E F R A 104 (1992-2) 817-870] und Statuen lokaler Notablen zeigen, die gemäß sozialen Kriterien einheitlich gestaltet waren [Sanzi di M i n o u. a., Gentes et principes, Chieti 1993]. Die zahllosen G r a b m o n u m e n t e entlang der Straßen, auf denen die Familien die Ehrentitel der neuen Gesellschaft zur Schau stellten — senatorische Magistraturen, ritterliche Karrieren im Dienst des Kaisers oder standardisierte Munzipalämter - , dies n o c h dazu in Latein, in der konventionellen, mit Abkürzungen gespickten Sprache: das zeigt die U b e r m a c h t des einheitlichen kulturellen Modells [Susini, in: 1, S. 133; Susini, compitare per via, in: Alma Mater Studiorum 1988, I, 1, S. 105-116; von Hesberg/Zanker, R ö m i s c h e Gräberstraßen, M ü n c h e n 1987; Gabelmann, R ö m i s c h e Grabbauten der frühen Kaiserzeit, Aalen 1979; Toynbee, Death and burial in the R o m a n world, L o n d o n 1971]. W i e es A. Bernardi ausdrückt: D e r Italiker war gewohnt, sich überall zu Hause zu fühlen [Bernardi 14, S. 48f.]. N e b e n den materiellen Fakten verfugten Etrusker und Italiker (und auch die Griechen Italiens u n d Siziliens) über ein System interaktiver Mythen, mit denen sie jenseits der Geschichte ihre Gemeinschaft finden konnten. Als Claudius 48 d e m Senat vorschlug, seine R ä n g e den reichen Galliern mit Bürgerrecht zu öffnen, widersprachen ihm die patres mit der consanguinitas Italica und nicht etwa mit juristischen Argumenten [Tac. ann. 11. 23. 2-3; vgl. App. civ. 1. 9. 35; Giardina, in: 6, S. 23-36]. Diese Haltung erklärt auch, w a r u m die ab dem 2. Jh. v. Chr. mit gallischen Stämmen geschlossenen Verträge Klauseln enthielten, die verboten, Angehörigen dieser Völker das Bürgerrecht zu gewähren [Cie. Balb. 14. 32; Frei-Stolba, in: A N R W II. 5. 1, S. 312-316]. 1. 1. 2. 2 Regionale Unterschiede und Widerstände gegen die Vereinheitlichung Bei der Beschreibung eines öffentlichen Auftritts von N e r o unterscheidet Tacitus [ann. 16. 5. 1] zwischen dem enthusiastischen Volk von R o m und den zornigen Bürgern der Munizipien. Damit zeigt er uns die Grenzen der sozialen und kulturellen Vereinheitlichung. Wenn man Aulus Gellius [11. 7. 4] Glauben schenken will, sprach man in rückständigen Landstrichen n o c h etruskisch [Giardina, in: 6, S. 51-55]. Die geringe Zahl von Senatoren, die aus dem äußersten Süden Italiens (Apulien, Kalabrien, Lukanien) stammten, zeigt, daß die sozialen u n d wirtschaftlichen Gegebenheiten sehr unterschiedlich waren [Camodeca, in: 58, II]. Archäologisch läßt sich nachweisen, daß die althergebrachten Kulturen nicht mit einem Schlag verschwanden, als die Kaiserzeit begann [Potter 9]. So hatten die Alpenstämme der Trumpilini und der Sabini n o c h einige Zeit ihre principes [CIL V 4893, 4910], Die Arusnates verwendeten für ihre sakralen Inschriften ein Vokabular, das dem Lateinischen sehr fern stand. U n t e r der julisch-claudischen Dynastie trugen einige Transpadaner immer n o c h Fibeln, demnach also gallische Kleidung und nicht die Toga. Die in großer Zahl erhaltenen G r a b m o n u m e n t e verraten bisweilen lokale Besonderheiten. In Pompeii ζ. Β. finden sich bis zum Untergang der Stadt 79 n. Chr. grob a n t h r o p o m o r p h e Grabstelen und
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Kenotaphe in F o r m runder Bänke, die für diese Stadt typisch sind [Zanker 169], Dies u n d manch anderes zeigt, daß die lokalen Traditionen in bestimmten B e reichen fortbestehen konnten. Manchmal läßt sich ein dezidiertes Beharren auf einer eigenen kulturellen Identität feststellen, das nicht Ausfluß eines passiven Konservativismus ist, sondern tatsächlich den Willen zeigt, die E r i n n e r u n g an eine unabhängige Vergangenheit bzw. Unterschiede zu anderen G r u p p e n zu bewahren [Giardina, in: 6, S. 60-63], Die Clusini Veteres u n d Novi sowie die Aretini Veteres und Fidentiores waren allesamt römische Bürger, aber die N a m e n drücken aus, daß sie nicht zur selben Zeit in Clusium/Chiusi bzw. Aretium/Arezzo angesiedelt wurden. Beide Gruppen, Einheimische u n d Kolonisten, klammern sich an das ihnen gehörige Stück Geschichte [Keppie 37, S. 102f.]. Zumal in Etrurien war man sich b e wußt, einer anderen Kultur als der R o m s anzugehören, was zu Rivalitäten zwischen Einheimischen und den N a c h k o m m e n der Kolonisten führte. Dies zeigen der Titel praetor Etruriae und M o n u m e n t e wie das Elogium des Spurina, das an etruskische Siege über die „Latiner" im 4. Jh. v. Chr. erinnert [Torelli, Elogia tarquiniensia, Florenz 1975; Torelli, in: Mélanges P. Leveque 5, 1990, S. 355f.]. Einige Städte zeigten ihr Festhalten an einer unabhängigen Vergangenheit mit traditionellen Titeln. So behielt man in Caere/Cerveteri den Diktator, obwohl man zwei D u u m v i r n an der Spitze der Stadt erwarten sollte. 32 v. Chr. galt in Interamnia Nahars immer noch eine lokale Ära, die mit der G r ü n d u n g des Orts begann [CIL X 4170 = ILS 157]. D e r Titel foederati, den manche Städte noch im 3. Jh. n. Chr. führen, verrät eine Ablehnung der Vereinheitlichung der Städte, die nach dem Bundesgenossenkrieg erfolgte. Das foedus hatte seinen eigentlichen Inhalt verloren, ein Titel wie municipium foederatum Capenatensium b e d e u tet zu dieser Zeit nur noch, daß irgendwann vor langer Zeit besonders gute B e ziehungen zu R o m bestanden hatten [AE 1954, 167; vgl. Gell. 16. 13]. Im Jahr 210 begab sich Septimius Severus nach C a m e r i n u m , u m ein foedus zu erneuern, das nur n o c h eine E r i n n e r u n g aus archaischen Zeiten war [ILS 432], und noch im 3. Jh. nennt sich F o r u m Clodi Präfektur, wahrscheinlich u m daran zu erinnern, daß die ersten Foroclodienses echte R ö m e r u n d nicht naturalisierte Einheimische waren [AE 1979, 216], Dies alles zeigt, daß trotz der scheinbaren Einheit u n d der Propaganda von der Integration der Besiegten (schon bei Polybios) häufig die E r i n n e r u n g an die historische Erniedrigung aufblitzte. Auch R o m selbst frischte die E r i n n e r u n g bisweilen wieder auf [Giardina, in: 6, S. 39-47] : Das carmen saeculare des Horaz enthält eine Anspielung auf die U n t e r werfung der Latiner (d. h. Italiker), u n d Vergil besingt zur gleichen Zeit die etruskischen und griechischen Verbündeten des Aneas und seine italischen G e g ner. Auch Appian [Rhomaika, pr. 4] h o b später hervor, daß Italien R o m unterworfen ist. Die R ö m e r selbst legten großen Wert darauf, sich von den Italikern zu unterscheiden, zunächst durch den Trojamythos, später durch eine gelehrte Tradition, die aus d e m Lateinischen einen äolischen Dialekt machte [Dion. Hal. 1. 90; Giardina, in: 6, S. 51, S. 75-85]. D e r antike Diskurs über Italien war ge-
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prägt von Widersprüchen, Gegensätzen und Spannungen. Italien war erst dann ganz entstanden, als das Römertum Italiens Grenzen weit überschritten hatte.
1 . 1 . 3 Die städtische Autonomie Wir kamen bereits darauf zu sprechen, daß A. von Premerstein glaubte, eines der Privilegien des italischen Bodens sei das Recht der Städte auf autonome Verwaltung gewesen. E. Gabba [34, S. 26f.] schreibt im selben Sinne, daß Italien „ein Komplex von Munizipien und Kolonien war, die weitgehend mit administrativer Autonomie versehen waren und die auch in der Lage waren, politische Initiativen zu ergreifen, die über lokale Fragen hinausgingen". Für ihn war die Verbindung zwischen den italischen Städten ideeller und moralischer Natur. Gleichermaßen definiert G. Cardinali [16, S. 104], gefolgt von H. Galsterer [in: La valle d'Aosta e l'arco Alpino, Aosta 1987, S. 79], das kaiserzeidiche Italien als ein „Agglomerat von Städten ohne Bedarf an gemeinsamer Verwaltung". G. Tibiletti [50, S. 918f.] spricht von einem „System weiter Autonomien". F. Jacques verteidigt seine These von der absoluten Respektierung der städtischen Autonomie während der Hohen Kaiserzeit, indem er schreibt: „Im Westen definierte sich die Identität nicht gegen, sondern in R o m . " [36, S. 797, 800]. Er stützt sich dabei auf das Fehlen von Gesetzen, die die Vorrechte der Städte begrenzt hätten. W. Eck [32, S. 6; in: 6, S. 329-351] glaubt, daß Italien nach dem Bundesgenossenkrieg in Einheiten mit Zentralort (die Städte) aufgeteilt wurde, die in ihrer Verwaltung autonom gewesen seien. Man muß sich nicht der radikalen Haltung von C. Jullian [36] anschließen, demzufolge die augusteische Organisation in sich den Keim der „Provinzialisierung" Italiens getragen habe. W. Simshäuser [48, S. 402] glaubt, daß es aufgrund der Integration in R o m keine Stadtstaaten mehr gegeben habe, daß aber Italien Privilegien besessen habe, vor allem das Fehlen eines provinzialen Regiments und eine günstigere Wirtschaftssituation. G. Susini [in: 1, S. 131] geht die Frage unter einem anderen Blickwinkel an und erinnert daran, daß die augusteische Organisation die „Erweiterung des von den Magistraten der Hauptstadt regierten Territoriums" beendete. Die ganze Schwierigkeit resultiert daraus, daß das Konzept der lokalen Autonomie der italischen Städte nicht auf expliziten Texten basiert, sondern auf der Interpretation einer Reihe von Fakten, die zunächst widersprüchlich erscheinen. Deswegen sollte man, anstatt über die Existenz einer lokalen Autonomie zu diskutieren, die man zunächst einmal definieren müßte, die Frage weiter fassen und untersuchen, wie sich die Situation der italischen Städte gegenüber der Zentralmacht wandelte, innerhalb der man zwischen Senat und Kaiser trennen muß [Jullian 36, S. 88], Im politischen Diskurs bedeutet das Wort „Freiheit" das republikanische senatorische Modell. Faktisch scheint es keine „Verfassung" Italiens gegeben zu haben. Laut Cassius Dio [52. 19] habe sich die Frage gestellt, ob man die Halbinsel einem provinzialen Regime unterstellen solle; er berichtet von einem diesbezüglichen Projekt des Maecenas, das Augustus aber abgelehnt habe. Dieser berühmte Text muß mit Vorsicht betrachtet werden. Die Maecenasrede ist
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tiefgreifend bearbeitet, w e n n nicht frei erfunden. Auf der anderen Seite gibt es keinen Hinweis auf ein Gesetz, das positiv die A u t o n o m i e der Städte garantiert und ihre Grenzen festgelegt hätte. 1. 1 . 3 . 1 Eine begrenzte, aber reelle Autonomie Die Städte besaßen natürlich keinerlei Autonomie in Fragen des Krieges oder auswärtiger Beziehungen, was eine selbstverständliche Konsequenz der Eroberung war, u n d auch bei den privilegiertesten italischen foederati sah dies nicht anders aus. Daß bei der Teilung von 27 v. Chr. Italien beim Senat blieb [Tac. ann. 13. 4. 2; Suet. Tib. 24; Simshäuser 48, S. 403], bedeutet keine U n t e r w e r fung, im Gegenteil: Dies ist der Beweis für den Respekt des Kaisers vor den Privilegien Italiens. Laut Tacitus hat Augustus darauf verwiesen, daß sich Italien und die Provinzen des römischen Volks an das Gericht der Konsuln w e n d e n sollten. Das heißt einerseits, daß das Problem im wesentlichen ein juristisches war, andererseits, daß er den republikanischen Zustand beibehalten wollte. N u n wissen wir durch die lex de Gallia Cisalpina, die wohl die in ganz Italien geltende Rechtslage widerspiegelt, daß nur wichtige Angelegenheiten in R o m verhandelt wurden. Die lokalen Magistrate besaßen eine Machtdelegation (oder eine teilweise Aufrechterhaltung ihrer alten Privilegien?), u m kleinere Fälle zu entscheiden (in Veleia, bis 15000 Sesterzen) [Laffi, in: Athenaeum 74 (1986) 22-24]. Vom Kaiser ist nicht die R e d e , auch w e n n sein Bild in den Städten allgegenwärtig war. W i r wissen also u m die Existenz einer jurisdiktioneilen A u t o nomie, die begrenzt, aber reell war. Die Tatsache, daß der Kaiser Magistrat einer Stadt sein konnte u n d somit dort jurisdiktionelle Funktionen ausüben konnte, bedeutet keinesfalls eine Einmischung. Gemeinhin delegierte er einen lokalen Notabein auf seinen Platz, der wie ein ganz gewöhnlicher D u u m v i r handelte. A u ß e r d e m erfolgte die N o m i n i e r u n g des Kaisers zum munizipalen Magistrat stets auf Wunsch der Stadt und nicht auf den des Kaisers. D e n Städten stand es frei, über den Einsatz ihrer Geldmittel zu verfügen, d. h. der Einkünfte aus öffentlichen Ländereien u n d der Vermietung von Flächen der Stadt, wie man dies bei der Inschrift der merides in Orange sieht, aber auch der Geldsummen, die Notabein der Stadt als Geschenk z u k o m m e n ließen, u n d einiger indirekter Steuern [dies ist umstritten: D e Ligt 74, S. 208-211]. Gerade wegen der U n f ä higkeit der D e k u r i o n e n , mit diesem öffentlichen Budget vernünftig umzugehen — u n d wegen der von staatlicher Seite erdachten Lösungen — wissen wir von diesem Aspekt der städtischen Freiheit [Jacques 35]. S. Mrozek glaubt, daß das Verschwinden der öffentlichen Verteilungen in den italischen Städten in der Mitte des 3. Jh.s den Niedergang der städtischen Autonomie widerspiegelt [Mrozek 122; Kritik von Garnsey, J R S 79 (1989) 232], Die Städte scheinen eine weitgehende kultische A u t o n o m i e besessen zu haben [Bd. I, S. 135]. Die Existenz einer aktiven u n d a u t o n o m e n städtischen Politik wird ferner durch den erbitterten Widerstand der italischen Städte gegen Kaiser Maximinus im Jahr 238 belegt, die durch die Aktivität der „pseudo-politischen" [Zanker, in: 6, S. 273-275] Institutionen (gemeint sind die Kollegien der iuvenes und die Kor-
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porationen) möglich wurde. Dies waren Versammlungs- und Organisationseinheiten innerhalb der einzelnen Städte. Die Frage nach der Autonomie stellt sich also weder mit modernen Begrifflichkeiten (nationale Unabhängigkeit) noch im Sinne der Griechen. Übrigens verwendete man in der Antike nicht den Begriff Autonomie, sondern das viel flexiblere Wort „Freiheit". Bei den m o d e r n e n Betrachtern schwankt die Bewertung dieser Autonomie j e nachdem, ob man sie juristisch (F.Jacques) oder faktisch (C. Jullian) betrachtet. Beispielsweise wurde das Fehlen einer direkten Besteuerung (tributum) in Italien als Beweis der Freiheit angesehen. D o c h hat C. Jullian daran erinnert, daß der Tribut nie offiziell abgeschafft — Augustus hatte mit seiner Wiedereinf ü h r u n g gedroht [Cass. Dio. 56. 28. 6], und zweimal erhob N e r o direkte Steuern [Suet. N e r o 44. 3; Cass. Dio 62. 18. 5] —, sondern nur ausgesetzt wurde und daß die von den Italikern bezahlten indirekten Steuern ihnen wahrscheinlich genauso teuer kamen wie der alte Tribut [Jullian 36, S. 63-70], Gleichwohl wäre es falsch, mit C. Jullian anzunehmen, daß Augustus schon die „Provinzialisierung" Italiens vorbereitet habe. Keine antike Quelle läßt sich so interpretieren. •Plausibler ist die Annahme, daß man angesichts einer schwierigen Situation (der Senat konnte sich nicht u m alle Probleme der Städte kümmern) vorzog, einen pragmatischen Kompromiß einzugehen, indem man den in die römische Bürgerschaft integrierten Gemeinden das R e c h t gab, eine eigene Verwaltung zu behalten, die begrenzt und weitestgehend standardisiert war, so daß die K o m p e tenzen der römischen Autoritäten (Krieg und Frieden, Staatseinkünfte, Bürgerrecht etc.) nicht angetastet wurden. Die Autonomie der Städte definierte sich in gewisser Weise negativ, d. h. die Freiheit, sich u m all das zu k ü m m e r n , was den Staat nicht interessierte. Freilich war das nicht viel: Pisa konnte mehrere Monate ohne D u u m v i r n auskommen [CIL X 1421; Tibiletti 50, S. 923], und die Provinzialisierung unter Diocletian scheint kaum Protest hervorgerufen zu haben [Giardina, in: 6]. 1. 1. 3. 2 Städtische Wahlen W i r messen heute die Freiheit eines Staates daran, ob er Wahlen kennt oder nicht. Die von der Aristokratie kontrollierten römischen Wahlen wären d e m nach Beweis einer, wenn auch begrenzten, Freiheit. Gleichwohl hat F. Jacques [35] gegen T h . M o m m s e n und W. Liebenam zu R e c h t zum einen d a r a u f h i n g e wiesen, daß die antike italische Gesellschaft zutiefst aristokratisch war und daß das Volk kaum jemals bei den Wahlen von Bedeutung gewesen sein dürfte, zum anderen, daß wir in den Quellen auch noch im 3. und sogar im 4. Jh. Beispiele finden, wie das einfache Volk seinen Willen durchsetzte. Er versuchte außerdem aufzuzeigen, daß der Wettbewerb u m städtische Amter nie wirklich verschwand und daß man die juristischen Texte, die Zwangsnominierungen im Fall von Kandidatenmangel vorsehen, nicht überinterpretieren darf; dies sei nur eine vorsorgliche Klausel gewesen. Es sind deswegen so verschiedene Interpretationen möglich, weil die Quellen für die städtische Politik wenig umfangreich und in ihrer Aussage stark umstritten sind.
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D i e berühmteste Gattung sind die pompejanischen Wahlgraffiti [Mouritsen 41; Franklin 164], M a n c h e n Historikern beweist allein ihre schiere Zahl (rund 2800), daß die politische Debatte u n t e r den Flaviern n o c h sehr lebendig war. Das ist auch die Position von R . A. Staccioli [167], der d e n n o c h festhält, daß diese Inschriften m i t u n t e r an k a u m frequentierten Stellen v o r k o m m e n u n d daß ihre Erhaltung über mehrere Jahrzehnte überraschen m u ß , w e n n sie nicht (auch?) die R o l l e eines Treuebeweises gegenüber d e m jeweiligen Kandidaten hatten. Ausgehend von den Arbeiten von P. Castren [161] u n d J. L. Franklin [164] stellte W. J o n g m a n [166, S. 275-329] fest, daß die programmata von P o m peii nicht an Wahlplakete erinnern: Es gibt keinen politischen Slogan, sondern nur eine E m p f e h l u n g (dignum est), deren Werbeeffekt beschränkt ist, da erstens sich die Graffiti vor allem u m das Haus des Kandidaten konzentrieren u n d zweitens es allein bei der Adilität K o n k u r r e n z mit zwei Kandidatenpaaren f ü r zwei Posten gab, w ä h r e n d gewöhnlich n u r zwei Duumviratskandidaten fur die b e i den Posten zur Wahl standen. A u ß e r d e m erlaubt die Analyse einer einzigartigen Inschrift [das Album der D e k u r i o n e n von Canusium (Apulien) i m Jahr 223: C I L I X 338, Chelotti 29] aufzuzeigen, daß es eine soziale D e t e r m i n a t i o n für städtische Karrieren gab, w ä h r e n d u m g e k e h r t viele D e k u r i o n e n aus evidenten d e m o graphischen G r ü n d e n niemals zu einer Magistratur k o m m e n k o n n t e n u n d das besonders für eine Stadt wie Pompeii gilt, w o es nur zwei (statt drei) Magistraturen gab [Jongman 166, S. 312-325; Jacques 35, S. 456-496]. D i e in diesem A l b u m erscheinenden N a m e n w u r d e n verschieden interpretiert. Weil r u n d 40% der pedani ( D e k u r i o n e n , die keine Magistratur inne hatten) dieselben Gentilnam e n w i e Magistrate tragen, glaubte F. Jacques, daß es sich dabei u m Söhne v o n Magistraten handelte, die mittelfristig gewählt w e r d e n sollten. D i e pedani sind aber zu zahlreich, als daß sie alle hätten gewählt werden k ö n n e n , u n d sie haben keine onomastische B e z i e h u n g zu den quinquennales, die die Elite der Ratsversammlung bildeten. D a h e r interessierte sich W. J o n g m a n m e h r f ü r die praetextati (junge M ä n n e r aus guter Familie, die an den Sitzungen teilnehmen durften, ehe sie sich zur Wahl stellen konnten), v o n denen drei Viertel dieselben N a m e n u n d P r a e n o m e n tragen w i e Magistrate. Daraus Schloß er, daß die pedani D e k u r i o n e n o h n e Aufstiegschancen waren, w ä h r e n d auf die praetextati von besserer A b k u n f t eine Karriere wartete [Jongman 166, S. 312-328]. D i e onomastische B e z i e h u n g der pedani zu D u u m v i r n k ö n n t e sich dadurch erklären, daß sozial weniger h o c h stehende Verwandte aus familiärer Gunst ins A l b u m eingetragen w u r d e n , u m das Klanoberhaupt zu unterstützen. D i e Starrheit städtischer Karrieren wird durch ein anderes, weniger bekanntes D o k u m e n t gestützt: die Fasten der K o l o nie v o n Venusia in Südsamnium f ü r die Jahre 3 5 - 2 8 v. Chr. [CIL IX 422]. Vier der zwölf b e k a n n t e n Quästoren gelangten z u m Duumvirat, w ä h r e n d die Adilen die Quästur nicht bekleidet hatten u n d ihre Karriere nicht fortsetzten. Es gab also zwei Karrieren mit zwei Geschwindigkeiten, u n d pro Jahr w u r d e n vier neue Magistrate gewählt: zwei Quästoren (die m e h r oder weniger für das D u u m v i r a t bestimmt waren) u n d zwei Adilen (die in eine Karrieresackgasse gerieten), was für die Ergänzung des ordo ausreichte, wobei Todesfälle durch Itera-
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tion der wichtigsten D u u m v i r n ausgeglichen wurden, ζ. B. während des Q u i n quennats [Aberson/Tarpin, in: Basilicata, Venosa 1990, S. 55f.]. Mehrere Adilen, die zu gentes mit D u u m v i r n gehören, kann man auch hier für Mitglieder weniger gut gestellter Seitenlinien halten, die j e d o c h dazu vorgesehen waren, den Fortbestand der Familie zu sichern, falls es keinen direkten Erben gab [dieses Prinzip hat F.Jacques, in: 4, bei senatorischen Familien in R o m untersucht]. Damit könnte man auch eine Beobachtung von M . Cébeillac [in: 58, II, S. 69] erklären, der feststellte, daß lokale Notabein bei ihrer A u f n a h m e in den Senat in ihren lokalen A m t e r n von Verwandten ersetzt wurden, die also darauf vorbereitet gewesen sein müssen. Die Ergänzung des ordo gab auch Söhnen von Freigelassenen die Möglichkeit, D e k u r i o n e n zu werden. Meistens blieben sie pedani, u n d nur ihre Söhne gelangten eventuell zu Magistraturen. So erneuerte sich langsam die Elite Italiens [Demougin, in: 6, S. 358-376]. Die Exklusivität der städtischen Karrieren bedeutet weder einen A u t o n o m i e verlust der Städte noch, daß das Volk in der lokalen Politik seine Rolle gänzlich verloren hätte. Erstens hatten auch die lokalen Aristokratien der Republik keineswegs die Gewohnheit, j e d e n aufzunehmen oder ihre ererbte Macht zu teilen, u n d zweitens zeigen die von F. Jacques gesammelten (wenn auch nicht sehr zahlreichen) Beispiele, daß das Volk die Möglichkeit behielt, einen i h m besonders wichtigen Kandidaten durchzusetzen, und dies nötigenfalls auch gegen den Willen der D e k u r i o n e n . Auch erforderte die Aufrechterhaltung der öffentlichen O r d n u n g , daß die Magistrate die W ü n s c h e des Volkes respektierten, das seine Anliegen bei den Feierlichkeiten an den Versammlungsorten (Theatern, A m phitheatern) z u m Ausdruck bringen konnte. Unsere m o d e r n e Sicht der D e m o kratie erschwert es, ein System zu erfassen, in d e m sich nicht der Einzelne, sondern die soziale Gruppe, die Berufs Vereinigung oder die Nachbarschaftsgruppe ausdrückte, wie dies die programmata von Pompeii zeigen [Staccioli 167]. O b wohl die Wahlen o h n e Gegenkandidaten meist nur symbolischer Natur gewesen sein dürften, könnten sie durchaus als Test der Popularität einer Familie gegenüber einer anderen fungiert haben, denn das römische Wahlsystem sah eine Hierarchie der Gewählten nach ihrer Stimmenzahl vor, wie man dies z. B. aus der lex Malacitana ersieht. Aus archäologischer Perspektive gibt es j e d o c h H i n weise auf ein gewisses Desinteresse am öffentlichen Leben: Galt das bauliche Interesse anfänglich d e m zentralen F o r u m und den Tempeln (unter Augustus), w u r d e n mit der Zeit die O r t e der Spektakel und des Vergnügens wichtiger [Zanker, in: 6, S. 259-284].
1 . 1 . 4 Gab es eine „Provinzialisierung"? N u n wollen wir uns diejenigen Quellenzeugnisse ansehen, die auf eine B e schneidung der lokalen A u t o n o m i e hinweisen. U. Laffi [in: Athenaeum 74 (1986) 26-29] hat daraufhingewiesen, daß bestimmte jurisdiktionelle Befugnisse, die die lex de Gallia Cisalpina noch den lokalen Magistraten gibt, bei den Autoren der Digesten in die Kompetenz des Prätors fallen [Dig. 2. 1. 12]. Das
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ist ein eindeutiger Hinweis auf den R ü c k g a n g der jurisdiktionellen A u t o n o m i e der Städte in den zweieinhalb dazwischenliegenden Jahrhunderten. M a n hat j e doch die Spuren der „Provinzialisierung" Italiens vor allem in der Schaffung von kaiserlichen Verwaltungsinstanzen gesucht, die zwar wohlbekannt sind [Eck 32; Eck, in: 6, S. 329-351], deren Bedeutung aber hinsichtlich der Respektierung (bzw. Mißachtung) der städtischen A u t o n o m i e und italischen Freiheit noch zu untersuchen wäre. Abgesehen von den unter Diocletian am Ende des 3. Jh.s eingesetzten correctores ist keine dieser Instanzen mit irgendeiner Institution der Provinzialadministration vergleichbar. Die Eingriffe der Kaiser waren pragmatisch und sollten auf bestimmte konjunkturelle Probleme antworten, nicht aber eine zentrale Verwaltung Italiens schaffen. M a n kann hinsichtlich dieser Instanzen zwei verschiedene Haltungen einnehmen. Einerseits die von W. Eck, der die neuen Institutionen gemäß dem Grad der Einmischung in die lokale A u t o n o m i e klassifiziert und so zu einer m e h r oder weniger chronologischen O r d n u n g gelangt. E Jacques [35] n i m m t als Bewertungskriterium die Rolle des Kaisers u n d die Achtung der „Freiheit" Italiens, d. h. des von A u g u stus festgelegten Prinzips, nach d e m der Senat fur die Halbinsel zuständig ist. In j e d e m Fall müssen die konkreten Grenzen dieser italischen Verwaltungsinstanzen betrachtet werden.
1. 1 . 4 . 1 Die kaiserlichen Verwaltungsinstanzen Die Einkünfte des römischen Staates setzten sich aus direkten Steuern, indirekten Steuern u n d den Erträgen des öffentlichen Vermögens zusammen. Im h o c h kaiserzeitlichen Italien gab es die Erträge des öffentlichen Vermögens (oder dessen, was davon übrig war) weiterhin, aber der Tribut, eine direkte Steuer auf Personen oder Grund, ist nicht mehr belegt. U m die Staatskasse zu füllen und die Bedürfnisse von A r m e e u n d Leibgarde befriedigen zu können, griff A u g u stus auf indirekte Steuern zurück, die nicht ganz so unpopulär wie direkte waren. Seine Nachfolger folgten ihm darin, und das Projekt Neros, alle Zölle abzuschaffen, u m d e m Mißbrauch der Steuerpächter Einhalt zu gebieten, blieb nur ein f r o m m e r Wunsch [Tac. ann. 13. 50]. Z u den Zöllen und der alten vicésima libertatis (5% auf Freilassungen, von Caracalla auf 10% erhöht, von Macrin wieder auf 5% gesenkt) fügte Augustus eine centesima rerum venalium (1% auf Versteigerungen - diese Steuer scheint nur begrenzte A n w e n d u n g gefunden zu haben [De Ligt 74, S. 208]), eine vicésima quinta venalium mancipiorum (4% auf Sklavenverkäufe) u n d eine vicésima hereditatum (5% Erbschaftssteuer), die nur Bürger, u n d damit in erster Linie Italien, traf. Die Erhebung der Freilassungssteuer w u r d e nach d e m republikanischen Verfahren Steuerpächtervereinigungen überlassen. Im „Prokurator der Freilassungssteuer" (spätestens ab 79 ernannt) läßt sich allenfalls ein Beamter vermuten, d e m die Kontrolle der Steuerpächter oblag [Eck 32, S. 117]. Die E r h e b u n g der vicésima hereditatum, die 6 n. Chr. zur Finanzierung des aerarium militare eingerichtet u n d durch eine lex Iulia von 13 offiziell wurde, unterstand drei Präfekten prätorischen Rangs u n d war offensichtlich komplizierter. Plinius der Jüngere [epist. 7. 14] schreibt zwar, daß
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man diese Steuer an Pächter entrichtete, aber seit der Mitte des 1. Jh.s sind Prokuratoren und kaiserliche Sklaven belegt. Spätestens seit Vespasian gab es in R o m einen ranghohen Prokurator, in dessen Kompetenzbereich sich Italien befand. Spätestens unter Antoninus Pius erhielten die Prokuratoren jeweils große territoriale Bezirke, die keine direkte Beziehung zu den augusteischen R e g i o nen hatten. Die Einfuhrung einer neuen Steuer und ihr Erhebungsmodus sind keine Übergriffe auf die Autonomie der Städte. Das aerarium militare, das Augustus für die Ausbezahlung der Veteranen eingerichtet hatte, war mit den militärischen Kompetenzen des Kaisers verknüpft. Es handelt sich dabei nicht um eine Aneignung städtischer Zuständigkeiten, sondern um eine Neuschöpfung, die von Beamten mit eng begrenzter Kompetenz verwaltet wurde. Die Wartung der Straßen war während der Bürgerkriege stark vernachlässigt worden. Daher forderte Augustus von den Triumphatoren, Geld aus ihrer Beute für die Ausbesserung der Wege zu verwenden [Suet. Aug. 30. 1], Beispiele hierfür sind jedoch rar, vermutlich gab es auch nur wenige. Wohl deswegen übernahm Augustus 20 v. Chr. es selbst, die Wege auszubessern und neue zu erbauen, wobei ihm Kuratoren prätorischen Ranges unterstützten [Cass. Dio 54. 8; Suet. Aug. 37]. W. Eck [32, 26f.] konnte zeigen, daß der Kaiser die Verantwortung für die Straßen durch Gesetz oder Senatsbeschluß außerhalb des Rahmens der Magistraturen (Konsulat und Zensur) erhielt. Die curatores viarum, die seit 11 v. Chr. belegt sind [Frontin. aqu. 101], wurden wahrscheinlich wie die curatores aquarum vom Kaiser in Absprache mit dem Senat ernannt. Die Zahl dieser B e amten und ihre Amtszeit, soweit es sich dabei überhaupt um Konstanten handelt, sind seit Th. Mommsen umstritten [Eck 32, S. 41-44], Nur wenige curatores sind bekannt. Diese sind (jedenfalls bei den größeren Straßen) fast ausschließlich Senatoren und meistens gewesene Prätoren, wobei sich jedoch eine Hierarchie j e nach Bedeutung der einzelnen Straßen feststellen läßt. Für die großen Arbeiten anläßlich des Baus der via nova Traiana wurde ein Konsular ernannt [CIL X 6321; III 12117], Das Amt dieser Kuratoren galt innerhalb von Bezirken, durch die der fragliche Weg lief. Diese Bezirke hatten keinerlei Beziehung zu den augusteischen Regionen. Es gab einen Kurator der via Aemilia, einen der via Appia, einen für die viae Aurelia, Cornelia, triumphalis etc. Insgesamt sind rund ein Dutzend Bezirke belegt, keiner jedoch für die Transpadana, Venetien oder Histrien, obwohl die Kaiser dort mehrere neue Straßen bauten. Es gibt keine Meilensteine im Namen von Kuratoren. Sie handelten also durch Delegation einer Autorität, die nur diejenige des Kaisers sein konnte. Zumindest im Prinzip teilten sich Kaiser und Senat die Kosten [Cass. Dio 53. 22. 1], Meilensteine mit dem Vermerk ex senatus consulto bezeichnen vom Senat bezahlte Wege. Nach Claudius begegnen jedoch keine mehr, und Statius rechnet zu Zeiten Domitians den Erhalt der Straßen zu den großen Posten im kaiserlichen Budget. Es gab also einen allmählichen Ubergang von der Senatskasse hin zu der des Kaisers, was allgemein in der Verwaltung der Staatsfinanzen festzustellen ist. Der Kaiser, der sich um die italischen Wege kümmerte, schob in diesem Bereich den Senat vor, der j a zumindest formell für Italien verantwortlich
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blieb. Die Kaiser vermieden nach Möglichkeit, Freigelassene oder ritterliche Beamte mit solchen Aufgaben zu betrauen, da dies einen Verlust von „Freiheit" für die Italiker bedeutet hätte. Die lokalen Gemeinden waren keineswegs ganz von dem Unterhalt der Straßen entbunden. Einige wenige Quellen zeigen, daß sie genau definierte Verantwortlichkeiten hatten. Siculus Flaccus ζ. B. schreibt, daß sich die G e m e i n d e w e ge in der Verantwortung der Grundbesitzer befinden [Grom. 146, 7-9 L], u n d zwei Inschriften [AE 1947, 41 u. 42] erwähnen, daß die Teatini Marrucini und die Frentani Histonenses am Erhalt der via Claudia Valeria mitwirkten. D e r M o d u s der Kompetenzverteilung zwischen Staat u n d Städten ist nicht bekannt. Gegen T h . Pekáry [Untersuchungen zu den römischen Reichsstraßen, B o n n 1968, S. 162] behauptet W. Eck [32, S. 79], daß der Anteil der Gemeinden deutlich geringer war. Die M i t w i r k u n g der Städte erklärt wahrscheinlich Marc Aurels Entscheidung [SHA Marcus 11. 9], die Straßenkuratoren dazu zu autorisieren, über diejenigen zu urteilen (oder vor den Stadtpräfekten zu bringen), die m e h r als das festgelegte Vektigal verlangt hatten. Diese R e g e l u n g erinnert an die lex Quinctia von 9 v. Chr., die ähnliche Befugnisse den curatores aquarum verliehen hatte [Frontin. aqu. 129]. Dies klingt nach einem Eingriff in die Autorität der lokalen Magistrate, denn die örtliche Justiz war Sache der D u u m v i r n . Waren aber die Schuldigen eben diese, brauchte es natürlich eine Instanz über ihnen, und die von der lex de Gallia Cisalpina festgelegte Kompetenzgrenze der lokalen Magistrate von 15 000 Sesterzen wird häufig bei solchen Vergehen überschritten worden sein. Das Eingreifen der kaiserlichen Autorität in das Leben der italischen Gemeinden war also ziemlich beschränkt. Z u d e m vollzogen Senatoren von mindestens prätorischem R a n g die Rechtsprechung, Männer, die also schon jurisdiktionelle Funktionen in R o m erfüllt hatten. Die von Nerva und Traían ins Leben gerufenen alimenta-Stifhingen waren auf Italien beschränkt, dessen Geburtenrate erhöht werden sollte. Zuweilen wurde in den alimenta eine F o r m der Unterstützung von kleinen und mittleren Gutshöfen vermutet. Diese These hat R . D u n c a n Jones erfolgreich angegriffen [in: E c o n o m y (1974) 294ff.]: Alle Quellen sprechen von einer finanziellen Hilfe zugunsten von armen Familien. Es ist unklar, ob die Grundbesitzer die Kredite überhaupt aus freien Stücken nahmen oder dazu genötigt wurden. Ein ähnliches P h ä n o m e n ist die Ausweitung der frumentationes in R o m auf Kinder, was der R e k r u t i e r u n g dienen sollte [Plin. paneg. 26. 3]. Traían prägte ferner M ü n z e n mit der Legende Italia rest(ituta). Das Prinzip der alimenta ist einfach: D e r Kaiser verlieh an Grundbesitzer einen Geldbetrag, dessen H ö h e nach d e m Wert ihres Grundbesitzes variierte (zwischen einem Viertel u n d einem Drittel seines Wertes [Duncan Jones, in: E c o n o my (1974) 333ff.]). Dafür wurde auf unbefristete Zeit ein Zins bezahlt, mit d e m arme Kinder der betreffenden Stadt ernährt w u r d e n (der Zinssatz ist in Veleia mit seinen großen D o m ä n e n höher als in Benevent). So entstanden Stadt für Stadt nach uns unbekannten Kriterien alimenta. Zunächst betraute Traian Senatoren (wohl konsularischen Ranges) mit der Aufsicht. Vielleicht schon gleich-
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zeitig w u r d e n lokale quaestores alimentorum in den G e m e i n d e n ernannt. 136 n. Chr. ist der erste praefectus alimentorum belegt, der zugleich auch curator viae Flaminiae war [ILS 1061]. So k ü m m e r t e sich der curator u m die alimenta der Städte, die entlang seiner Straße lagen. Die Rolle der Präfekten bestand darin, in den Städten über den geregelten Ablauf der Institution zu wachen u n d insbesondere die Bezahlung des Zinses durch die Grundbesitzer sicherzustellen, was darauf hinweist, daß er wie die curatores aquarum u n d die curatores viarum jurisdikdonelle Kompetenzen besaß [Eck 32, S. 179-181]. W. Eck hat daraufhingewiesen, daß die Alimentapräfekten eine wichtige verfassungsmäßige Verschiebung einleiten. D e m n a c h stellten diese Präfekten zum ersten Mal eine Instanz zwischen den Städten und dem Kaiser dar [Eck 32, S. 182]. Die Alimentapräfekten widersprechen damit der ex-negativo-Definition Italiens von E. Lo Cascio [S. 1] und stellen in der Tat den ersten Schritt auf eine Provinzialisierung Italiens dar, auch w e n n ihr Betätigungsfeld eng begrenzt war. Jedoch auch hier war man sorgsam bemüht, diese wichtigen Amter Senatoren anzuvertrauen, u m die Fiktion von der Autorität des Senats über die Halbinsel aufrechtzuerhalten. M a n mischte sich nicht in die traditionellen Kompetenzen der Gemeinden ein, sondern schuf eine neue Funktion, die von lokalen Beamten unter der Kontrolle der R e p r ä sentanten des Geldgebers ausgeübt wurde, was legitim erscheinen konnte. Die letzte G r u p p e von kaiserlichen Gesandten hält man bisweilen für die abschließende Etappe der Provinzialisierung Italiens. Die Institution der iuridici erschien unter Marc Aurel [SHA Marcus 11. 6], griff jedoch das von Hadrian gegebene Vorbild auf, der vier Konsulare (darunter den späteren Kaiser Antoninus Pius) für die Rechtsprechung in Italien ernannt hatte [SHA Hadrian 22. 13], vielleicht nach republikanischem Modell [App. civ. 1. 38. 172], Hadrians consulares haben sonst keine Spur in den Quellen hinterlassen, u n d sie w u r d e n anscheinend bald wieder abgeschafft. Die iuridici sind besser bekannt. Jeder dieser R i c h t e r operierte in einem Sprengel, der mit geringen Anpassungen ein bis drei augusteische R e g i o n e n (aus offensichtlichen zensitären Gründen) umfaßte. M a n hat versucht, die Entwicklung dieser Sprengel nachzuvollziehen [Corbier 30], aber die geringe Zahl von Inschriften, die üblichen Beschränkungen der Epigraphik und die Variabilität der Missionen der iuridici machen diesen Versuch sehr hypothetisch [Eck 32, S. 251-254]. W i e ihr N a m e zeigt, bestand die w e sentliche Aufgabe der iuridici in der Rechtsprechung, sie konnten aber auch z. B. eine in ihrer Anwesenheit v o r g e n o m m e n e Adoption gültig machen. N a c h allem, was wir wissen, näherte sich ihre Rolle der des städtischen Prätors an, der für die Rechtsprechung in R o m zuständig war (trotz der Übergriffe von Stadtund Prätoriumspräfekt in diesen Bereich, zumal ab dem Ende des 2. Jh.s). N u n waren aber sämdiche iuridici zuvor Prätoren gewesen. W. Eck [32, S. 260f.] schließt daraus (und aus dem Fehlen widersprechender Quellen), daß die K o m petenz der iuridici nicht durch eine Obergrenze des Streitwerts limitiert war. Sie stellten demnach eine Dezentralisierung der höchsten Justiz dar. D e n n die Kompetenz der lokalen Gerichte war durch die H ö h e des Streitwerts b e schränkt, was bedeutet, daß vor der Einsetzung der iuridici j e d e r wichtige Prozeß
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nach R o m gebracht werden mußte, da vor Ort kein höherer Magistrat vorhanden war. In dieser Hinsicht waren also die Italiker gegenüber den Provinzialen im Nachteil, deren Statthalter Gerichtsreisen unternahmen. Vielleicht muß man die Anwesenheit eines Prokonsuls bei einem Prozeß in Mailand zu Beginn u n serer Zeitrechnung als Reflex von punktuellen Versuchen werten, dieses Problem der Justiz in Italien außerhalb R o m s zu lösen [Suet. gramm. 30. 6]. Wie dem auch sein mag, die Existenz der iuridici bedeutet nicht an sich eine Verringerung der Vorrechte der lokalen Magistrate. Die Bezirke, für die die Richter zuständig waren, waren zu groß, als daß sie sich um kleinere Fälle hätten k ü m mern können, derer sich die Duumvirn annehmen konnten. Auch bedeutet das Eingreifen der iuridici bei Nahrungskrisen nicht, daß die Versorgung in ihre Z u ständigkeit gefallen wäre. Es war eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, daß ein Aristokrat, der sich mit großen Kompetenzen in einer von Hunger bedrohten Stadt befand, ihr zu Hilfe kam, unabhängig von jeder institutionellen Zuständigkeit. Wenn sich der Staat durch die iuridici um die Bürger der Landstädte kümmerte, so tat er dies mit alten Rechten und offensichtlich, ohne die wenigen Bereiche der Autonomie in Frage zu stellen, die R o m nach dem B u n desgenossenkrieg den Städten gelassen hatte. Daß man Italiens Würde respektierte, zeigt sich auch bei der von F. Jacques konstatierten Tatsache, daß viele iuridici in gewisser Weise Spezialisten für Italien waren. So war M. Fabius Magnus Valerianus in der 70er Jahren des 2. Jh.s η. Chr. der Reihe nach Stadtkurator, Straßenkurator und iuridicus [Jacques 32, S. 76-78]. 1. 1 . 4 . 2 Der Kaiser und die Städte Wenn auch in juristischer Hinsicht die Autonomie der Städte bei den meisten administrativen Maßnahmen respektiert wurde, so kann nicht geleugnet werden, daß der Kaiser faktisch immer mehr in die Verwaltung Italiens eingriff [Lo Cascio, in: 8, 2.2, S. 125]. Sein großes Vermögen erlaubte ihm, den Städten beispielsweise bei Hungerkrisen zu Hilfe zu kommen [SHA Marcus 11.3] und bei ihrer Ausschmückung mitzuwirken. Eine Studie hat die bauliche Tätigkeit Hadrians in 21 Städten erfaßt [Boatwright, in: Chiron 19 (1989) 250-269], Augustus war als Bauherr noch aktiver, doch fehlt hierzu eine Monographie [Kienast, Augustus, Darmstadt 1982, S. 344-348]. Der Kaiser agierte dabei wie ein Patron, ohne dabei unbedingt diesen Titel zu führen. Ferner treffen wir sehr bald auf das Phänomen, daß Städte oder Gemeinwesen, die Verwaltungs- oder Rechtsprobleme (auch solche privatrechtlicher Natur) haben, sich lieber an die kaiserliche Kanzlei denn an den Senat wenden, wie dies das Beispiel von Vardagate zeigt [Tibiletti 50, S. 924]. Umgekehrt konnte sich der Kaiser dazu entschließen, seine Macht in den Städten einzusetzen. Unter den Flaviern geschah es im Namen des Kaisers (ex auctoritate), daß ein Tribun kam, um den Kataster zu kontrollieren und der Stadt unrechtmäßig von Individuen okkupierte Ländereien zurückzugeben [CIL X 1018]; diese Aufgabe sollte später unter die K o m petenzen der iuridici fallen. Auffällig ist das Zusammenspiel eines Senators und Magistrats des römischen Volkes und der kaiserlichen auctoritas (ein Schlüsselbe-
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griff des neuen Regiments). Es geschah über diese u n d nicht über sein Imperiu m (das ihm weitreichende Befugnisse in den Provinzen gab), daß der Kaiser den italischen Städten zu Hilfe kam. Im Bereich der Rechtssprechung ließ sich die Präsenz des Kaisers indirekt erfahren. D u r c h die kaiserlichen Reskripte, die Präzedenzfälle schufen, w u r d e der Kaiser immer mehr zur Rechtsquelle. Dies galt für alle Gemeinden römischen Rechts. So verboten Marc Aurel u n d Lucius Verus den D e k u r i o n e n , den Kornpreis festzulegen und unterhalb des Preises der Annona zu verkaufen [Dig. 48. 12. 3 = 50. 1. 8]. Es ist unbekannt, ob der Senatsbeschluß, durch den Claudius seinen Prokuratoren das R e c h t gab, gerichtliche Entscheidungen zu treffen, was bis dahin Angelegenheit des Prätors gewesen war, auf Italien ausgeweitet wurde [Tac. ann. 12. 60; Suet. Claud. 12. 3], A priori konnten diese Entscheidungen nur die Kaiserdomänen betreffen, aber mit den Untersuchungen über die Anauni, Tulliasses und Sinduni wurden kaiserliche Prokuratoren betraut. 1. 1. 4. 3 Die Stadtkuratoren Vielleicht schon unter Domitian (Lucius Caesennius Sospes? [ILS 1017]) oder Nerva [Ulp. dig. 43. 24. 3. 4], sicher unter Traian treten die Stadtkuratoren in Erscheinung [Jacques 35; Camodeca 28], Sie erhielten ihre Befugnisse durch einen Brief des Kaisers (curator rei publicae ex epistula imperatoris) für einen Zeitraum, der mehrere Jahre umfassen konnte. Es handelte sich u m Senatoren (besonders in Latium u n d Kampanien, w o die römische Aristokratie große Güter besaß), aber auch u m Ritter der Prokuratorenlaufbahn oder sogar u m einfache Stadthonoratioren. Gewöhnlich stammten sie nicht aus der Stadt, in der sie die Stadtkuration bekleideten, aber häufig aus einer der Nachbargemeinden. M ö g licherweise legten die Städte oder ihre Patrone dem Kaiser N a m e n der gewünschten Kandidaten vor. Angesichts der allgemeinen Uberrepräsentation der Senatoren in den Inschriften Schloß W. Eck [32, S. 195], daß sie wohl unter den Stadtkuratoren in der Minderheit waren, was einen Unterschied zu den bislang besprochenen Funktionen darstellt. Der Anteil der Senatoren scheint j e d o c h seit Marc Aurel z u g e n o m m e n zu haben [Camodeca 28, S. 489]. Bis Antoninus Pius sind die Kuratoren nicht sehr zahlreich, und diese Einrichtung w u r d e anscheinend nie auf alle Städte Italiens ausgeweitet. Es handelte sich in j e d e m einzelnen Fall u m eine punktuelle Maßnahme, die mit den Schwierigkeiten einer b e stimmten Stadt zusammenhing. Die Kuratoren k ü m m e r t e n sich in erster Linie u m die öffentlichen Finanzen, wie dies auch die Mission von Plinius dem J ü n geren in Bithynien gewesen war. Häufig geht es u m den öffentlichen Besitz, der von den D e k u r i o n e n und Magistraten gewöhnlich nachlässig verwaltet wurde. W i r besitzen ein konkretes Zeugnis für den Ablauf einer Kuration in Caere/ Cerveteri. D o r t schrieben die D e k u r i o n e n mit viermonatiger Verspätung einen Brief an ihren Kurator, nachdem sie ein Stück öffentlichen Landes an einen kaiserlichen Freigelassenen zum Bau des Hauses der augustales vergeben hatten. Auch der Kurator antwortete erst einen M o n a t später. Die Kontrolle der Finanzen von Caere geschah also aus der Distanz und war nur locker. Gleichzeitig
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mit den Stadtkuratoren traten die curatores kalendarii auf, die wahrscheinlich auch vom Kaiser ernannt wurden (bzw. in den Provinzen von den Statthaltern) [Eck 32, 228f.]. Wie sie sich zu den Stadtkuratoren verhielten, ist unbekannt, aber ihre Mission war der ihren recht ähnlich, denn ihnen oblag, wie ihr Name angibt, die Kontrolle der öffentlichen Einkünfte. Gegen Ende des 3. Jh.s wandelte sich ihr Amt zu einem munus personale, das auf Verlangen der Stadt ausgeübt wurde. Die Rolle der Kuratoren wurde in der Forschung aufgrund der begrenzten Quellenbasis verschieden interpretiert. Einige sahen in ihnen den ersten unmittelbaren Eingriff des Kaisers in die Belange der Stadt, d. h. einen Angriff gegen die städtische Autonomie. Andere meinten, daß sie lediglich eine Hilfeleistung des Kaisers an Städte in Schwierigkeiten waren. So wird betont, daß zahlreiche Kuratoren nach der Erfüllung ihrer Aufgabe in diesen Städten zu Patronen gewählt wurden [Jacques 35; Camodeca 28, S. 489]. Differenzierter hat E. Lo Cascio [in: 8, 2. 2, S. 135] daraufhingewiesen, daß zwar die Rolle der lokalen Magistrate nicht in Frage gestellt wurde, daß es aber auch keinen Unterschied zwischen den Kuratoren in den Provinzen und denen in Italien gab. Folglich habe es seit diesem Zeitpunkt eine Tendenz gegeben, Italien an das Reich anzugleichen. Der reale Machtumfang der Kuratoren ist kaum bekannt. Man hält sie häufig fur „Unternehmensberater" ohne echte exekutive Befugnisse. Gleichwohl hatten sie ein Wörtchen mitzureden, wenn es um die Zuweisung von öffentlichen Land ging. Erst nach Gallienus kümmerten sie sich um öffentliche Gebäude, und erst dann erscheinen sie allein auf Inschriften, auf denen bis dahin die traditionelle Formel l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum) dominiert. Doch selbst ohne auf das Beispiel Ephesos zurückzugreifen (wo der Kurator die Abrechnungen der Magistrate der letzten 20 Jahre prüfen und dem Kaiser Bericht erstatten mußte [AE 1932, 50]), finden sich in den Rechtstexten genaue Anweisungen, die zeigen, daß die Kuratoren exekutive Vollmachten haben konnten. So oblag es ihnen, verkaufte öffentliche Ländereien (die im Prinzip unveräußerbar waren) zurückzufordern, selbst wenn der Käufer gutgläubig war [Dig. 50. 8. 11. 2], Es stand ihnen frei, stattdessen eine Pacht für usurpiertes Gemeindeland zu verlangen, j e nachdem, was das Beste für die Stadt war. Dies folgte einem Prinzip, das zuerst für die praesides der Provinzen formuliert worden war: „besser die öffentlichen Einkünfte vermehren" [Dig. 50. 10. 5. 1], Der Kurator war also ein kaiserlicher Mandatsträger, der seinen Dienst in die Interessen der Stadt stellte. Sein Amt war es, die Defizite der städtischen Verwaltung zu beheben und nicht von vorne herein die Kompetenzen der Magistrate zu beschneiden. Keine unserer Quellen präsentiert einen Kurator als Oberhaupt der lokalen Verwaltung [Eck 32, S. 226], Auch verweist uns das Beispiel der Rückforderung öffentlicher Ländereien auf bereits angesprochene frühere Verhältnisse, wo kaiserliche Gesandte ex auctoritate principis handelten. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat es kein Gesetz gegeben, das einen neuen juristischen Rahmen für Italien definierte, um das Eingreifen der Kuratoren zu ermöglichen. Ihre Vollmachten dürften durch den stets möglichen Rückgriff auf die Rechtsprechung der Magi-
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strate R o m s begrenzt gewesen sein. Die Kuratoren belegen weniger die Infragestellung der städtischen A u t o n o m i e als vielmehr die chronische Inkompetenz der Lokalhonoratioren. Vor kurzem hat D. Wittacker [in: 6] ein interessantes Verständnis der Funktion der Kuratoren vorgeschlagen: Sie hätten das Desinteresse der lokalen Eliten an ihren Städten ausgeglichen; der Kaiser habe so R i t t e r und Senatoren dazu verpflichtet, in die Städte Italiens zu investieren. 1. 1. 4. 4 A u t o n o m i e oder Abhängigkeit? Diese Beispiele zeigen die häufiger werdenden Eingriffe des Kaisers in das Territorium, das ursprünglich d e m Senat überlassen worden war. Aber fast immer treffen wir auf Senatoren, was bedeutet, daß formal der Staat und nicht allein der Kaiser aktiv war. Das Eingreifen des Staates auf italischem Boden war legitim, denn Italien war nichts anderes als ein erweitertes R o m , das durch die E r o b e r u n g der Autorität der römischen Magistrate unterworfen worden war [J.M . Bertrand, in: Cahiers du centre G. Glotz 2 (1991) 127-133], Mehrere Texte zeigen, wie unzertrennbar R o m u n d Italien erschienen [z. B. Cass. Dio 57. 2. 5; 60. 33. 3b; 65. 1. 4; Gaius 3. 121a]. Als der Senat 58 n. Chr. einen Streit zwischen Volk und ordo von Puteoli löste, indem er eine Prätorianerkohorte dorthin schickte [Tac. ann. 13. 48], war dies kein Machtmißbrauch: D e r ager Romanus unterstand dem Senat. Einige Kaiser, wie Marc Aurel [SHA Marcus 11. 2], achteten ferner darauf, daß sie so viele Amter wie möglich mit Senatoren besetzten, u m die Fiktion der augusteischen Aufteilung zu bewahren, nach der Italien der Zuständigkeit des Senats unterstand. Im Bereich der Rechtsprechung stellte der Beginn der Kaiserzeit keinen Bruch dar. D e r entscheidende Einschnitt war der Bundesgenossenkrieg gewesen. Damals hatten die Bundesgenossen einen großen Teil ihrer A u t o n o m i e verloren, als sie direkt dem Senat unterstellt wurden. Die Rolle der kaiserlichen Gesandten war zunächst sehr b e schränkt, es gab in der H o h e n Kaiserzeit keinen Magistrat oder kaiserlichen Beamten, der mit der Verwaltung eines bestimmten Bezirkes oder gar Italiens betraut gewesen wäre. Es erfolgte keine regelmäßige Kontrolle der städtischen Verwaltung [Tibiletti 50, S. 921 f.]. Es gab nicht einmal eine echte verwaltungsmäßige Aufteilung Italiens. Jede Verwaltungsinstanz besaß ihre eigenen Bezirke, die nach empirischen Kritierien bemessen waren. D o c h die Mentalitäten änderten sich, u n d es dürfte schon etwas zu sagen haben, daß Hadrian Italien unter den 26 Personifikationen von Reichsregionen erscheinen ließ, die gegen Ende seiner Herrschaft auf M ü n z e n gesetzt w u r d e n [Potter 9, S. 60; Cracco R u g g i n i 18, S. 23; Boatwright, in: C h i r o n 19 (1989) 270] (Es ist unbekannt, ob Italien neben den Provinzen auf den Reliefs des Hadrianstempels erschien.). Die Frage nach der Autonomie der italischen Städte kann also nicht entschieden werden, jedenfalls nicht bei unserer m o d e r n e n Konzeption des Begriffs. Faktisch m u ß man zugeben, daß die nach dem Bundesgenossenkrieg entstandene Situation sich zunächst k a u m veränderte. Dagegen war die Ungleichheit in der Beziehung zwischen R o m und den Städten offenkundig. Die Prosopographie der Senatoren ist dafür der deutlichste
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Beleg. Erstens waren die Senatoren von Bürden in ihren Heimatstädten befreit [Dig. 50. 1. 22. 5; 50. 1. 23 pr.], was die Gemeinden um große Ressourcen zugunsten von R o m beraubte, wo ein neuer Senator seinen Platz einzunehmen hatte. Man kann häufig ein Desinteresse der Senatoren gegenüber der Bautätigkeit in ihren Herkunftsstädten feststellen [Zanker, in: 6, S. 259-284; Segenni 109, S. 19]. Das Patronat, das Senatoren oft ausübten, ehe sie überhaupt in den Senat gelangten [Camodeca, in: 58, II, S. 114], war zwar wichtig für die Städte, stellte aber dennoch keine lokale finanzielle Investition dar. D. Wittacker [in: 6, S. 140-142] betont, daß Plinius der Jüngere als lokaler Euerget eine Ausnahme darstellt: Nervas Appelle [Plin. epist. 10. 8. 1] scheinen ohne Wirkung geblieben zu sein. In der Kaiserzeit gibt es zudem immer weniger italische Neusenatoren nicht-römischer Herkunft, was eine soziale Abkapselung der italischen Städten bedeutet [mehrere Beispiele in 58, II]. In Latium konnte nur eine so große Stadt wie Praeneste während der ganzen Hohen Kaiserzeit Senatoren stellen [Licordari, in: 58, II, S. 12], Die Anziehungskraft, die R o m seit dem Bundesgenossenkrieg (und auch schon vorher) auf die Eliten der Städte ausübte, schwächte die Städte finanziell wie politisch. Sie erklärt teilweise das schnelle Nachlassen der Bautätigkeit nach Augustus [Zanker, in: 6, S. 259-284]. Man stellt ferner einen fortschreitenden Rückgang, schließlich ein Verschwinden im 3. Jh. von größeren Stiftungen (über 10000 Sesterzen) fest, während gleichzeitig die Erhöhung der Sportein auf eine Inflation hinzuweisen scheint [Andreau, in: 6, S. 197]. So erklärt sich, warum die Triester die reichsten ihrer adtributi in ihren Dekurionenstand aufnehmen wollten, um so die öffentlichen Lasten besser zu verteilen [ILS 6680; Jacques, Les cités de l'Occident romain, Paris 1990, Nr. 41].
1 . 1 . 5 Demographie und Wirtschaft Seit langem versuchen Althistoriker, ihre Studien auf statistische Grundlagen zu stellen. Die geringe Zahl an quantitativen Angaben hat dazu gefuhrt, daß sich diese Forschungen auf Bereiche beschränken, für die einige Daten vorliegen, d.h. im wesentlichen auf die Zahl der römischen Bürger, die durch einige Zensusdaten erhellt wird (die aber fast sämtlich republikanischer Zeit sind) und den Kornhandel, der mit der Annona verbunden war. Dazu kommen unsichere Schätzungen auf der Basis von Zahlen aus den Werken von Landwirtschaftsschriftstellern, v. a. aus Cato und Columella. Diese Studien sind deswegen so schwierig, weil in der Antike statistischen Daten nicht derselbe geradezu sakrosankte Wert beigemessen wurde wie heute, so daß man sie häufiger nachträglich „korrigierte". Die Ergebnisse unterliegen damit zahlreichen möglichen Fehlerquellen, und die so erzielten Daten sind, um es mit Cl. Nicolets Worten zu sagen, „etwas karikaturistisch" [69, S. 30]. Man muß ferner im Hinterkopf behalten, daß zahlreiche Schlußfolgerungen auf aufeinanderfolgenden Schätzungen aufbauen: So läßt sich mühelos zeigen, daß die Rechnung, mit der P. Brunt [66, S. 126] abschätzen will, daß ungefähr 40% des italischen Grundes für die Le-
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bensmittelerzeugung eingesetzt wurde, unbrauchbar ist: Wenn wir für jede seiner Schätzungen eine Fehlermarge von auch nur + 10% annehmen (was das absolute Minimum ist) und seine Hypothesen bezüglich des zweijährigen Fruchtwechsels und der italischen Bevölkerung akzeptieren (letztere ist aber eher falsch), erhalten wir ein Endergebnis zwischen 31% und 52%, was eine viel zu große Spanne ist, u m darauf eine sinnvolle historische Argumentation aufzubauen. Im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Ansicht gibt es keinen Ausgleich von Fehlermargen in einer Statistik. Das Ergebnis wird sich stets in einem Bereich befinden, dessen Ausdehnung die günstigsten Schätzungen einerseits und die ungünstigsten andererseits abstecken. Die Mitte dieses Bereichs ist statistisch um keinen Deut wahrscheinlicher als die äußersten Grenzwerte. Die Abschätzung der Bevölkerung von Pompeii zeigt deutlich die Schwächen dieser Berechnungsmethode: Je nach Autor hatte die Stadt zwischen 7 000 und 20 000 Einwohnern [Jongman 168, S. 108-111]. In gleicher Weise vernachlässigen Studien, die mit den Kalorienwerten von Nahrungsmitteln arbeiten (und dabei die FAO-Berichte mitunter überstrapazieren), erstens die großen Unterschiede, die ein und dieselbe Getreideart aufweisen kann, zweitens die Tatsache, daß sich der Nährwert nicht auf den Kaloriengehalt reduzieren läßt [V. Silano u. a., Improvement of nutritional quality of food drops, R o m 1981]. U n d schließlich wissen wir nur sehr wenig über die tatsächliche Zusammensetzung der antiken Getreidearten. Man könnte die Reihe der Beispiele, die zur Vorsicht mahnen, beliebig fortsetzen. Kurzum: Man darf nie vergessen, daß alle quantitativen Ergebnisse aus dem Bereich der antiken Wirtschaft mit Vorsicht betrachtet werden müssen. Das verbietet aber natürlich nicht, vernünftig über die wenigen zahlenmäßigen Quellen zu sprechen. Die wichtigsten sind die Zensus. Die Ergebnisse von J. Beloch und P. Brunt, die man lange Zeit als definitiv ansah, müssen neu überdacht werden, was jüngst weitgehend von E. Lo Cascio übernommen wurde. 1. 1 . 5 . 1 Die Bevölkerung Italiens Wir besitzen für die Republik etliche Zensuszahlen, dagegen aber nur wenige Daten für die Kaiserzeit, weil der Zensus nicht lange regelmäßig durchgeführt wurde. N u r Claudius und Vespasian bekleideten vor der ewigen Zensur des D o mitian das Amt des Zensors. Außerdem gab es bereits zu Zeiten der Republik eine große Zahl von Bürgern außerhalb Italiens, weswegen es nicht unproblematisch ist, aus der Gesamtzahl der Bürger auf die Bevölkerung Italiens zu schließen. Dazu kommt noch eine besondere Schwierigkeit bei den augusteischen und späteren Zensus. Die Res Gestae des Augustus geben 4 063 000 Personen für den Zensus von 28 v. Chr. an, dagegen waren es 70/69 v. Chr. nur 910 000 Bürger. Der Zuwachs ist beeindruckend, und die augusteische Zensuszahl würde bedeuten, daß Italien zur Zeitenwende eine Gesamtbevölkerung von 12 bis 15 Millionen Menschen gehabt hätte, was ein Viertel bzw. ein Drittel der heutigen Bevölkerung wäre. Diese Zahlen erschienen vielen zu hoch, und P. Brunt [66] nahm eine niedrigere Schätzung vor (die auf den Forschungen
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von J. Beloch [65] u n d m o d e r n e n demographischen Studien basiert), nämlich 4 bis 4,5 Millionen Freie u n d 3 Millionen Sklaven. Das ergäbe zusammen nur ein Siebtel bis ein Sechstel der heutigen Bevölkerung oder 50-60% der Bevölkerung im 16.-17. Jh. [Jongmann 168, S. 72]. Folgt man P. Brunt, so hieße das, daß das kaiserzeitliche Italien nur schwach bevölkert war, zumal w e n n man die außerordentlichen städtischen Konzentrationen dieser Zeit berücksichtigt. Es bleibt zu klären, inwieweit die Voraussetzungen, nach denen das antike Italien soviel schwächer besiedelt war als das des 19. Jh.s, korrekt sind. A m Ende des 16. Jh.s ernährte die italienische Halbinsel jedenfalls 11-12 Millionen Menschen [Beloch 65, S. 488], J. Beloch [65] versuchte die zwischen 7 0 / 6 9 und 28 stark angewachsene Zahl durch die A n n a h m e zu erklären, daß Augustus auch Frauen u n d Kinder gezählt habe (dagegen Nissen, S. Mazzarino u n d T. Frank), während die früheren Z e n sus nur die capita civium gezählt hätten, d. h. erwachsene, männliche Bürger. Ihm folgten P. Brunt (dessen Sichtweise nicht überzeugen kann: „ M a n m u ß B e lochs Interpretation akzeptieren, auch w e n n es an positiven Beweisen fehlt"), ebenso F. D e Martino, Cl. Nicolet und viele andere [Brunt 66, S. 113-120; D e Martino, Storia economica, S. 235; Nicolet, R o m e et la conquête du m o n d e méditerranéen, I, S. 79-85; Nicolet 69, S. 46; Gallo, in: 11, 3, S. 247]. U n t e r A n n a h m e eines mittleren Fehlers von 20-25% (zu hoch laut F. D e Martino [Storia economica, S. 176], der 10% vertritt) bei den Zensuszählungen (eine u n populäre Aktion, der wohl viele Bürger zu e n t k o m m e n suchten) schätzt P. Brunt die Gesamtzahl der Bürger zum Zeitpunkt des Todes von Augustus auf zwischen 5 924 000 u n d 6 1 7 1 0 0 0 (bei einer offiziellen Zahl von 4 937 000). Akzeptiert man einen Anteil von einem Viertel für M ä n n e r im waffenfähigen Alter, der für mehrere nicht-römische Völker belegt ist, stellt man fest, daß es kaum ein Wachstum der Bürgerschaft zwischen 7 0 / 6 9 und 28 gegeben hat (das ist Belochs Folgerung [65, S. 489]). N i m m t man dagegen einen Anteil von rund 35% an [Beloch 65, S. 483; B r u n t 66, S. 117], so hätte es trotz der Bürgerkriege einen beachtlichen Zuwachs gegeben, der sich durch die Einbürgerung von Gemeinwesen (z. B. in Transpadanien 49 v. Chr.) u n d durch zahlreiche Freilassungen erklärte. D e r Zensus des Claudius von 47 n. Chr. gibt eine Gesamtzahl von 5 984 000 Bürgern an u n d somit eine Million m e h r als 14 n. Chr., die sich wohl größtenteils durch Freilassungen und Naturalisierungen erklärt. Aber man kann angesichts einer so großen Zahl nicht ein demographisches Wachstum innerhalb der Bürgerschaft ausschließen. E. Lo Cascio [in: 6, S. 91-125] hat gezeigt, daß Brunts Zahlen ein starkes demographisches Schrumpfen in Italien b e deuten würden, eine sehr geringe Bevölkerung Transpadaniens und eine große Z u n a h m e des Anteils der erwachsenen M ä n n e r zwischen 70 und 28 v. Chr., was nicht sehr realistisch ist. Er rät daher zu dem naheliegenden Verständnis der Quellen: Zählte der Zensus von 28 v. Chr. die capita civium, w ü r d e man eine Bürgerbevölkerung von rund 13 5 0 0 0 0 0 für 28 v. Chr. u n d 16 400 000 für 14 n. Chr. erhalten, wovon rund 10% außerhalb Italiens gelebt hätten. M a n erhielte so ein mittleres Wachstum der italischen Bevölkerung in der G r ö ß e n o r d -
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nung von 4,1 Promille inkl. Freilassungen, damit etwas weniger als 3 Promille demographisches Wachstum, was zu einer Gesellschaft dieser Entwicklungsstufe passen würde. Man muß also nicht mehr eine riesige Sklavenzahl unterstellen, um zu einem realistischen Gesamtergebnis zu kommen. Die von J. Beloch geschätzte Sklavenzahl, 2 Millionen [65, S. 483-485, 489] (dagegen Nissen, der 5-6 Millionen annahm), ist möglich, aber es gibt leider keine einzige brauchbare Quelle, und die Vermutung von P. Brunt - rund 3 Millionen - [66, S. 124; 67, S. 95] basiert auf einem Vergleich mit den amerikanischen Südstaaten um 1850 (ein Drittel Sklaven) und der Voraussetzung, daß das Modell der „großen Sklavenvilla" weite Anwendung in Italien fand. Wenn es auch sicher etliche Großgrundbesitzer mit einer großen Zahl von Sklaven gab, dürfen die stets angeführten Beispiele C. Caecilius Isodorus, der 4116 Sklaven besaß (aber sicher nicht alle in Italien), oder Pedanius Secundus, der 400 Sklaven (rhetorische Zahl) allein in seinem römischen Haus hatte [Plin. nat. 33. 135; Tac. ann. 14. 43], wohl nicht vorschnell verallgemeinert werden. G. Alfoldy erinnert daran, daß der Preis der Sklaven ihren Ankauf (abgesehen von einigen günstigen Zeiten) beschränkte [Alfoldy, Römische Sozialgeschichte, S. 122]. Damit ferner die Sklaven zahlreich blieben, hätte es wenig Freilassungen geben dürfen. Nun beschränkte die augusteische Gesetzgebung die Freilassungen auf ein Fünftel der Sklaven-familiae, was bedeutet, daß mancher einen größeren Anteil freilassen wollte. Kurzum: Die Größe der italischen Sklavenbevölkerung kann nicht erfaßt werden, nicht einmal ungefähr, wenn man nicht in einer Diskussion Position bezieht (der der Produktion durch Sklaveneinsatz), die nur dann gelöst werden könnte, wüßte man die Zahl der Sklaven! Trotz der Klagen antiker Schriftsteller wird es weiterhin zahlreiche freie Bewohner des flachen Landes gegeben haben, wie E. Lo Cascio gezeigt hat [in: 6, S. 91-125; Capogrossi Colognesi, in: 4, 1, S. 344], Paradoxerweise besitzen wir ausgerechnet für Rom, wo die Zahlen am extremsten sind, brauchbare Informationen. Die Diskussion ist noch nicht abgeschlossen, aber die jüngsten Studien haben sich zumindest hinsichtlich der Größenordnung verständigt. Verschiedene Ansätze wurden mit mehr oder weniger Erfolg verfolgt. Die Berechnung auf der Basis der 1 790 domus und 44 602 insulae, die sich in den Regionenverzeichnissen finden, führt zu dem zu hohen Ergebnis von rund 4 Millionen Einwohnern [Kritik bei Harvey 68, S. 184]. Dagegen sind die eng beieinanderliegenden Zahlen von J. Beloch (800 000) und P. Brunt (750000, davon 500000 Bürger) [66, S. 116; 67, S. 97] vielleicht etwas zu niedrig. Damit hätte R o m kaum mehr Einwohner als Antiochia (600000 [Plin. nat. 6. 30. 122]). F. De Martino [Storia economica, I, S. 175-182] nimmt ein Maximum von 750000 Freien und mindestens 100 000 Sklaven an, insgesamt also eine etwas höhere Schätzung. Er lehnt es ab, die Zahlen der Empfänger von Getreidespenden zu verwenden, die bei vielen anderen modernen Historikern herangezogen werden. Die höchste dieser Zahlen, 320000 Empfänger, wird zweimal erreicht, 46 und 5 v. Chr. Da es sich dabei nur um erwachsene Männer, freigeborene wie freigelassene, handelt, muß man von ei-
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ner Mindestbevölkerung von etwa 900 000 Personen ausgehen, wozu noch die Sklaven kämen, die von den Verteilungen ausgeschlossen waren (auch wenn es viele Betrüger gab), und eine geringe Zahl von reichen Einwohnern, die nicht an den Verteilungen teilnahmen. Die Schätzungen variieren, die von G. E. Rickman [72, S. 263] liegt beispielsweise zwischen 750 000 und 1 Million, aber es ist wohl kaum übertrieben, von einem augusteischen R o m mit mehr als 1 Million Einwohnern auszugehen [Garnsey/Salier, T h e R o m a n Empire, Berkeley 1987, S. 83]. Es wäre interessant, den Anteil der Bürger zu bestimmen. Die Quellen berichten, daß Caesar 46 v. Chr. einen recensus unternahm, der die Zahl der Getreideempfänger auf 150000 senkte. Oft wird angenommen, daß der recensus eine geschlossene und feste Liste der Empfänger erstellen sollte [ζ. B. Rickman 126, S. 176; Fraschetti 150, S. 259; Virlouvet, in: 121, S. 46-62; Virlouvet 128], aber eine genaue Lesung der Quellen brachte E. Lo Cascio [in: Athenaeum 78 (1990-2) 303, 306-318; vgl. van Berchem 118, S. 22] dazu, darin eher einen lokalen Zensus nach dem durch die „Tafel von Herakleia" bekannten Modell zu sehen, mit dem die Liste der in R o m ansässigen Bürger erstellt werden sollte, so daß alle Unberechtigten von den Verteilungen ausgeschlossen wurden. Möglicherweise umfaßte diese Zahl sogar nur die Freigeborenen. Man kann für diesen Zeitpunkt die Zahl der Bürger (oder Freigeborenen), die offiziell in R o m wohnten, auf etwa 500 000 schätzen, was viel Platz läßt für die servile bzw. zugewanderte Bevölkerung, ohne daß aber die Freigeborenen von ihr erdrückt worden wären. Allein das Personal der senatorischen und kaiserlichen Häuser könnte etwa 100 000 Sklaven umfassen (wir kennen namendich fast 200 für die vier Generationen allein der Familie der Volusii Saturnini zwischen 20 und 97 [Buonocore 54]). P. Brunts Ansicht, daß zwei Drittel der römischen Arbeiterschaft Sklaven oder Freigelassene waren, ist vielleicht etwas hochgegriffen. Allerdings geben die Inschriften einen wesentlich höheren Anteil an Freigelassenen [Staccioli, in: 62, S. 210]. E. A. Mayer [61] will dieses Phänomen dadurch erklären, daß die epigraphische Hinterlassenschaft eines Einzelnen umfangreicher wird, wenn er sozial aufgestiegen ist: Freigelassene legten großen Wert darauf, daß ihr Bürgerrecht bekannt wurde. 1. 1. 5. 2 Gab es eine Bevölkerungskrise? Unsere Quellen stimmen sämtlich darin überein, daß Italien seit dem Ende der Republik demographisch schrumpfte. Man hat nach Spuren dieser Entvölkerung gesucht [Carandini, in: 3, S. 250]. Es gibt sie, aber ihre Interpretation ist umstritten. Cl. Nicolet glaubt, daß es einen wahren Kern bei diesem Leitmotiv der kaiserzeitlichen Literatur gibt, daß man aber andererseits die Vorstellung einer dramatischen Entvölkerung Inneritaliens aufgeben müsse. Zumindest ein Teil der einen Million Einwohner, die zwischen 14 und 47 mehr gezählt wurden, wird in Italien gewohnt haben [Nicolet 69, S. 51, 54; Gallo, in: 11, 3]. P. Brunt [66, S. 130] hält dagegen an einer großen Krise fest und erinnert an die Schwierigkeiten, nach dem Untergang der varianischen Legionen Ersatz in Italien zu rekrutieren, und an das Ende der Aushebungen unter Tiberius. Aber es
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ist nicht sicher, ob die Rekrutierungsschwierigkeiten ein direkter Reflex der demographischen Entwicklung waren. G. Forni [59, S. 381-386] hat die H e r kunft der Legionäre untersucht und festgestellt, daß es eine regelmäßige Verschiebung der Hauptrekrutierungsgebiete für die Legionen des Okzidents gab, von Italien (insbesondere Zentral- und Norditalien) unter Augustus zu den stark romanisierten Provinzen (z. B. Bätika und Narbonensis), dann, seit den Flaviern, zu den Drei Gallien u n d den weiter entfernten Provinzen. Dies deutet d a r a u f h i n , daß die R e k r u t i e r u n g eher von kulturellen Veränderungen u n d dem Lebensstandard abhing. Die A r m e e zahlte schlecht, Beute war selten, und die Legionslager am Limes boten ein wenig attraktives Leben. Die Klagen der pannonischen Meuterer von 14 n. Chr. sind in dieser Hinsicht sehr deutlich [Tac. ann. 1. 17]. Außerdem w u r d e n neue Legionen immer in Italien aufgestellt, und in Notzeiten gab es Aushebungen in Italien [Forni 59, S. 382]. Gleichwohl zeigt die Bevölkerungsgesetzgebung seit Augustus, daß die Machtzentrale ein Problem der Bürgerbevölkerung in Italien sah. Caesar, der Bürgern zwischen 20 und 60 verbot, länger als drei aufeinanderfolgende Jahre von Italien fernzubleiben [Suet. Iul. 42. 1], versuchte so, einen Bevölkerungsschwund durch Emigration zu verhindern. Erfolglos waren Kolonisten in Tarent u n d Antium angesiedelt worden [Tac. ann. 14. 27. 2], u m diese öden O r t e wieder zu bevölkern. Schließlich sieht man die alimerita-lnsúíute Traians, die man mitunter für eine wirtschaftliche M a ß n a h m e m o d e r n e n Typs hielt (Hilfe für die Landwirtschaft durch niedrig verzinste Kredite [Potter 9, S. 123]), heute als Fördermaßnahme für die Geburtenrate in armen Milieus, u m so die R e k r u t i e r u n g von Legionären in Italien zu ermöglichen. E. Lo Cascio meint, daß die alimenta erlaubten, eine (gemessen an der carrying capacity Italiens) sehr große Bevölkerung zu ernähren [in: 6, S. 123], Bis zu einem gewissen Grad bestätigt die Archäologie die fortschreitende Entvölkerung eines Teils von Italien. So zeigen etwa die Grabungen auf dem ager Cosianus in Südetrurien, daß auf eine Phase intensiver Bewirtschaftung (bis zu den Flaviern) eine Periode des Rückgangs u n d der fortschreitenden Aufgabe von Gehöften folgte [Ricci, in: 4; M c C a n n u. a. 80], Möglicherweise ging die Z u n a h m e der luxuriösen villae maritimae an manchen Küsten mit d e m R ü c k gang der landwirtschaftlichen Bebauung einher, wie dies in Südlatium der Fall war. Gleichzeitig w u r d e n die großen, sehr gefragten Weine aus der U m g e b u n g des ager Falernus verstärkt angebaut [Arthur, in: 90, S. 157], u n d in einigen R e gionen wurden die bis dahin u n b e w o h n t e n R a n d z o n e n besiedelt [Lo Cascio, in: 6, S. 112f.]. Die Vorstellung des antiken Bevölkerungsschwundes ist keine statistische, sondern eine subjektive. Die R ö m e r sahen, wie viele Kleinstädte in Latium zugunsten R o m s aufgegeben wurden und zu einfachen Dörfern herabsanken [Strab. 5. 3. 2 und 5]. Cosa in Etrurien oder Gabii bei R o m wurden schon im 1. Jh. v. Chr. teilweise verlassen, während sich in der Nähe große Villen entwickelten [Coarelli 147, S. 168; Torelli, Etruria, R o m / B a r i 1980, S. 195; Gagioti, in: 58, II, S. 257]. N o r b a in Latium hatte sich von den Zerstörungen von 82 v. Chr. nicht mehr erholt u n d wird von Strabon nicht einmal genannt
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[Licordari, in: 58, II, S. 11]. Der Fall der Kolonie Lucus Feroniae, die immer mehr unter den Einfluß der Villa der Volusii Saturnini geriet, ist bekannt [Torelli, Etruria, R o m / B a r i 1980, S. 31 f.]. Aber bei diesen Beispielen geht es um die Aufgabe von Städten, die ihren Seinsgrund durch den U m z u g ihrer Bewohner nach R o m oder in die Villen verloren hatten [Patterson, in: P B S R 55 (1987) 115-146; nuancierter bei Arthur, in: 90, S. 158]. Man kann auf dieser Grundlage nicht auf einen Bevölkerungsrückgang in Italien schließen. Andere Faktoren wurden angeführt, die das Phänomen eines demographischen Schwundes auf dem Land erklären könnten, so z. B. eine klimatische Verschlechterung (nördlich der Alpen belegt), die zur Aufgabe der weniger guten Äcker geführt habe, oder die Folgen der Erosion, die von der Uberbewirtschaftung erzeugt worden sei [K. Greene, Archaeology of the R o m a n Economy, London 1986, S. 82-86; Frayn 101, S. 117; Tac. ann. 4. 6. 6.; Colum. 1. pr. 18], Möglicherweise brachte die Unsicherheit oder die Urbanisierung [Lloyd, in: 90] die Bauern dazu, in bestimmten Regionen in den Städten zu leben, was sich archäologisch durch das Verschwinden zahlreicher ländlicher Siedlungsstellen zeigen würde, ohne daß aber deswegen die Bebauung aufgegeben worden wäre [Potter 9, S. 120]. Vielleicht muß man so die Ergebnisse von P. Arthur interpretieren, der in seinem Prospektionsbereich in Südlatium 138 sites mit Keramik aus dem 1. Jh. registriert, 80 mit solcher aus dem 2. und 3. Jh., 27 für das 4. und das frühe 5. Jh. und nur fünf für das Ende des 5. und das 6. Jh.s (diese Zahlen müssen entsprechend der Uberrepräsentanz der Keramik korrigiert werden) [Arthur, in: 90, S. 157f.]. Jüngst hat E. Lo Cascio eine Rekonstruktion des demographischen Verlaufs in Italien vorgeschlagen, die sowohl zu den Surveyergebnissen passen würde als auch demographisch kohärent wäre. Demnach sei die Bevölkerung in der Hohen Kaiserzeit angesichts der pax Augusta mit einer geringen Wachstumsziffer von etwa 3 Promille gestiegen, und zwar bis zur Seuche, der Marc Aurel zum Opfer fiel. Rechnet man mit 20% Verlust, so hätte es etwa 75 Jahre gebraucht, um dies wieder auszugleichen. Aber neuerliche Epidemien in der Mitte des 3. Jh.s hätten die italische Bevölkerung lange unter ihrem Maximum gehalten [Lo Cascio, in: 6, S. 123-125]. Diese sehr attraktive Hypothese bedarf noch einer Bestätigung, aber sie vermag vordergründig sich widersprechende Quellen elegant zu versöhnen. 1. 1. 5. 3 Die Bodennutzung und die „Krise der Landwirtschaft" Die Ausgrabung und Publikation der Villa von Settefinestre (bei Cosa) haben dazu beigetragen, die Diskussion über die Nutzung und Bewirtschaftung des Landes am Ende der Republik erneut zu entfachen [Carandini 93]. Die Ergebnisse von Carandini scheinen den Schriften Catos und Columellas eine archäologische Bestätigung zu verschaffen. Mehrere Quellen zeigen, daß sich vor allem im 1. Jh. v. Chr. gewaltige Domänen bildeten und daß diese Tendenz in der Kaiserzeit weiterbestand [Arthur, in: 90]. Neulich hat M . Torelli in Nachfolge von J. C. Toynbee erneut behauptet, daß Lukanien nach den Verwüstungen durch Hannibal in die Hände reicher R ö m e r gelangte, die dort riesige D o m ä -
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nen etablierten [Torelli, in: Da Leukania a Lucania, S. XVIII - X X V I I ] . Aber die Surveys haben gezeigt, daß es selbst in den Regionen weiterhin eine traditionelle ländliche Besiedlung gab, wo man sie am wenigsten erwartet hätte, wie etwa in Lukanien [Gualtieri/De Polignac, in: 90, S. 201; Patterson, in: 90, 5. 178; Lloyd, in: 90, S. 235]. So konnte man in der Provinz Caserta ein enges Netz von kleinen Bauernhöfen nachweisen, die Güter von außen kaufen konnten, mithin also einen Uberschuß erzielen mußten [Lloyd, in: 90, S. 238]. Die Diskussion über die Entwicklung der Latifundien muß also nuancierter geführt werden [De Martino, Storia economica, S. 219; Brunt 67, S. 104; Potter 9], In erster Linie haben die Surveys gezeigt, daß jede R e g i o n ein anderes Profil aufwies [Vera, in: 6, S. 239-248]: Nähe zu R o m [Carandini 94], zum Meer oder zu einem schiffbaren Wasserlauf, Reliefstruktur etc. [Small, in: 90, S. 204-222]. Der gegenwärtige Forschungsstand zeigt ausgedehnten Bodenbesitz, darunter den des Kaisers, der immer weiter wuchs [Bracco 91], sowie große Unterschiede zwischen Regionen, in denen große, spezialisierte Villen saßen, und anderen, in denen es eine zerstreutere Bewirtschaftungsform gab (was aber nicht die Bildung großer Domänen ausschließt, die mehrere kleine Höfe umfaßten). Schließlich ist es klar, daß das italische Land seit dem Ende des 1. Jh.s nur noch geringes Interesse fand, was den Kaiser dazu zwang, Maßnahmen gegen die übermäßige Aufgabe von landwirtschaftlichen Nutzflächen zu ergreifen. In unseren Quellen finden sich keine Flächenangaben über den Landbesitz von Großgrundbesitzern, aber der Umfang einiger Vermögen läßt auf gewaltige Domänen schließen, niemals jedoch in der Größe wie in Afrika [Plin. nat. 18. 6. 35; Alföldy, Römische Sozialgeschichte, S. 84fF.]. Z u den am häufigsten zitierten Beispielen gehören Caecilius Isodorus, der bei seinem Tod 3 600 R i n derpaare, 257 000 Stück Kleinvieh und 60 Millionen Sesterzen hinterließ, und Cornelius Lentulus, dessen Vermögen 400 Millionen Sesterzen erreichte (aber diese Summen waren sicherlich auch außerhalb Italiens investiert) [Plin. nat. 33. 10. 135; Sen. de Ben. 2. 27. 1; Tac. ann. 13. 30. 2]. Diese gigantischen Vermögen gehörten in der Regel Senatoren oder Rittern, seltener Freigelassenen, und kamen manchmal schon in der Republik vor [Demougin 56, S. 131f.; D e Martino, Storia economica, S. 220]. Vielleicht gab es in der Folgezeit einen leichten Niedergang, denn das höchste Privatvermögen zu Beginn des 2. Jh.s betrug nur 288 Millionen Sesterzen [Plut. Vita pubi. 15. 3]. Neben diesen Sonderfällen kennt man „mittlere" Vermögen, wie das des Persius, der 2 Millionen Sesterzen, seine Bibliothek und seine Ländereien hinterließ; Plinius der Jüngere besaß ungefähr 20 Millionen Sesterzen. Der Kaiser, ursprünglich ein Großgrundbesitzer unter anderen [Tac. ann. 4. 6. 8], beeilte sich, der größte unter ihnen zu werden, größtenteils durch Konfiskationen und mehr oder weniger freiwillige Erbschaften (die Position von V. A. Sirago [111], nach dem die Kaiserdomäne seit Augustus bestand, ist umstritten). Traian war Besitzer von rund 10% des Landes in Benevent und 1% in Veleia [Bd. I, S. 180], während der ager publiais 10% bzw. 22% darstellte [Duncan Jones, Structure and scale, 1992, S. 121]. Aber taktische Heiraten und wirtschaftliches Geschick ermöglichten nach wie vor den
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Erwerb großer Vermögen. Die vielleicht aus Volcei stammenden Bruttii hatten unter den Antoninen und Severern Güter in Casilinum, Tegianum, Venusia, Grumentum, Trebula Mutuesca und Amiternum sowie Residenzen in Antium und R o m [Camodeca, in: 58, II, S. 119]. Die Agrar- und Finanzkrise von 33 ermöglichte geschickten Spekulanten den Aufbau großer Domänen [Bellen 73, S. 228f.; Demougin 56, S. 117-123]. Prospektionen und Grabungen belegten die schnelle Entwicklung der großen Villen im 1. Jh. v. Chr., zumal in Südetrurien und bestimmten Teilen Latiums und Kampaniens [Attolini u. a., in: 90, S. 149; Rossiter, Roman farm building in Italy, Oxford 1978], Anscheinend war der Boden Italiens unter Augustus optimal genutzt. Daß es keine augusteischen Koloniegründungen in Italien nach 29 v. Chr. gab, erklärt L. Keppie mit dem Fehlen guten Landes. Die Kolonie Aosta konnte 25 v. Chr. auf den soeben erbeuteten Ländereien der Salasser gegründet werden. Wenn die Namen der fundi auf den Alimenta-Tafeln Domänen augusteischer Zeit entsprechen, so wäre man von 323 zu 52 Besitzern in Veleia, von 98 zu 50 in Benevent gekommen [Patterson, in: P B S R , 55 (1987) 146; De Martino, Storia economica, S. 238], F. De Martino Schloß daraus, daß das Phänomen im Norden ausgeprägter war. Aber der Einzug von mehreren Familien aus Benevent in den Senat [Camodeca, in: 58, II, S. 109] bedeutet, daß es auch dort eine große Vermögenskonzentration gab. Das Phänomen war also allgemein. Andere Quellen sprechen eher fur das zumindest zeitweilige Weiterbestehen des Kleinbesitzes. Als Augustus 600 Millionen Sesterzen für die Ansiedlung von Veteranen in Italien ausgab [R. gest. 1. 3, 18], d. h. eineinhalbmal das Vermögen des reichsten Zeitgenossen Senecas, wirkte er entscheidend an der Neuverteilung des Bodens mit. Jedoch erfolgten die meisten Deduktionen im Norden, sie änderten also nichts am Großgrundbesitz in Latium und Kampanien [Keppie 35; De Martino, Storia economica, S. 219]. Die Surveys zeigen, daß Villen in bestimmten Regionen Ausnahmen blieben. Dies war in der Nähe von Siena der Fall [Barker, in: 11, 2, S. 160; diverse Beispiele in 90]. Südlich der Kolonie Venusia blieb die indigene Siedlungsstruktur erhalten [Small, in: 90, S. 212f.]. Selbst in Kampanien gab es ziemlich kleine Anwesen. Die Grabungen der Vesuwillen ergaben sehr unterschiedliche Größen — etwa 15 bis 250 iugera, also etwa 4 bis 60 ha — , während es um Cosa ungefähr 500 iugera (ca. 125 ha) sind [Jongman 168], Das markanteste Phänomen der Geschichte der antiken italischen Landschaft ist die schnelle Aufgabe von Regionen, die am Ende der Republik noch prosperierten [Carandini, in: 6, S. 167-174; Potter 9, S. 123f.]. Nero konnte Veteranen in Kampanien ansiedeln, Vespasian in Rieti, Hadrian in Sora, und auch die Siedlungen von Tarent und Antium dürfen nicht vergessen werden, auch wenn dort die Kolonisten nicht bleiben wollten [Keppie 35, S. 83, 210f.; Boatwright, in: Chiron 19 (1989) 238-243; Tac. ann. 14. 27. 2], Das bekannteste Beispiel ist das des ager Cosanus, das die Villa von Settefinestre illustriert. Die Villa betrieb Weinanbau in großem Stil im 1. Jh. v. Chr., der sich rasch ausdehnte und bis zu den Flaviern florierte, dann aber rasch seinem Niedergang entgegensah. Die Eigentümer wendeten sich anderen Erwerbsquellen zu (Skia-
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ven- und Schweinezucht), ehe der Platz unter den Severern verlassen wurde [Carandini 93; Ricci, in: 4, 3, S. 83-88]. Der Hafen von Cosa wurde zugunsten einer großen (kaiserlichen?) Residenz aufgegeben; ein ähnlicher Prozeß findet sich in Sinuessa [d'Arms 52; McCann u. a. 80; Arthur, in: 90, S. 158]. Seit dem 2. Jh. konnte sich die Villa nicht mehr selbst versorgen [Ricci, in: 4, S. 85-87]. In der Folge erlebte die Region eine Verödung weiter Landstriche [Attolini u. а., in: 90, S. 151]. Ebenso gab es in Südlatium eine Verlagerung der Amphorenwerkstätten von der Küste ins Landesinnere [Arthur, in: 90, S. 157]. Zugegebenermaßen waren die Küstenregionen ungastlich und der Ackerbau bedurfte kostenintensiver Arbeiten [Attolini u. a., in: 90, S. 142]. C. Zaccaria sieht in der Zisalpina die epigraphischen Spuren der Verarmung von Gemeinwesen [in: 2, S. 129-162], Im allgemeinen scheint der Ertrag des italischen Bodens zurückgegangen zu sein, trotz einer als günstiger angenommenen Besteuerung (aber die Wiedereinführung von direkten Steuern unter Diocletian führte nicht zu Reaktionen der Gutsbesitzer, die demnach wohl über entsprechende Margen verfugten). Daß Traian verlangte, daß die Kandidaten für senatorische Amter ein Drittel ihres Vermögens in italisches Land investierten [Plin. epist. 6. 19. 4; Vera, in: б, S. 243], zeigt uns, daß sie ihr Geld lieber anderswo anlegten, d. h. in Land in den Provinzen (Plinius schreibt, daß nun der Moment gekommen sei, italisches Land abzustoßen und sich in den Provinzen einzukaufen) oder im Handel oder Geldgeschäft. In Petrons Satyricon wird ein reicher Freigelassener erwähnt, dessen riesiges Vermögen zum Zeitpunkt seines Todes bar vorlag [Petron. 43], Als Marc Aurel den Anteil für provinziale Senatoren auf ein Viertel senkte, nahm er auf das Unbehagen der Senatoren Rücksicht, prestigeträchtiges, aber nicht lohnendes Land kaufen zu müssen [SHA Marcus 11. 8], Das Desinteresse der R e i chen an italischem Boden zeigt sich auch in Erlässen von Domitian, Nerva und Pertinax, Ödland zu kultivieren. Domitian vergab subseciva (nicht-katastrierte Randgebiete) an Besetzer, Nerva führte wieder Kolonistendeduktionen in Italien durch, und Pertinax verlieh denjenigen, die kaiserliches Ödland in Italien oder den Provinzen kultivieren wollten, eine zehnjährige Steuerbefreiung [Grom. 8. 22 = 111. 6; 20. 22; 54.11 = 82. 2 L; Herodian. 2. 4. 6; De Martino, Storia economica, S. 244]. Welchen Einfluß die Aufgabe der Landwirtschaft auf die Entwicklung des Forstbestandes hatte, ist umstritten [Meiggs, in: 72, S. 189f., 194], Die Surveys zwingen jedoch dazu, die ländliche Verödung differenziert zu betrachten [Potter 9, S. 123]. Denn dort, wo Qualitätsprodukte erzeugt wurden, wie die berühmten Weine Kampaniens, scheinen die Villen nicht verschwunden zu sein. Ferner zeigt das Beispiel von Plinius dem Jüngeren [Rosafio 108], daß man in Italien mit der Landwirtschaft durchaus noch Geld verdienen konnte, wenn man seinen Grund gut verwaltete. Dies zeigt auch die Vorherrschaft der Italiker innerhalb des Senats und das Uberleben zahlreicher senatorischer Familien während des 3. Jh.s [Jacques, in: 4, 1, S. 96-99]. Schließlich scheinen einige Gutshöfe, deren Wohlstand nicht auf einer Monokultur basierte, gut überlebt zu haben. So halten sich in Saturnia (nicht weit von Cosa) die Villen, die die größte Kontinuität mit der etruskischen Bodennutzung ha-
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ben, noch im 4. und 5. Jh. Anscheinend konnten sie sogar exportieren [Attolini u. a., in: 90, S. 151]. In der Region von Capena und Sutri in Etrurien wurden im 1. und 2. Jh. neue Gebiete erschlossen [Coluzza/Regoli, in: D. d. A. 4. 1 (1982) 54ff.]. Bei drei Surveys in der Basilikata und in Lukanien stellte man einen Rückgang der Siedlungsdichte erst seit der Mitte des 2. Jh.s fest (oder sogar noch später [Vera, in: 6, S. 241]), und man muß auf die Goten und Langobarden des 6. Jh.s warten, um eine massive Verschiebung der Siedlungsstellen beobachten zu können [Small, in: 90, S. 204-222]. Auf der Basis einer Formulierung von Plinius dem Alteren [nat. 18. 6. 35], latifundia perdidere Italiam, wollte man den Niedergang der italischen Landwirtschaft der „Krise der Sklavenvilla" anrechnen [Carandini, in: Giardina 3, 2, S. 252; Lo Cascio, in: 8, 4, S. 330ff.], die gebrechlich und in ihrem Wachstum begrenzt war, „unelastisch", wie L. Capogrossi Colognesi [in: 4, 1, S. 359] formulierte. Tatsächlich belegen die Quellen über Veränderungen in den Beziehungen zwischen Eigentümern und Bauern (es gab übrigens keine Sklavenaufstände mehr) die Schwäche des Typus der catonischen Villa. Das wohlbekannte Beispiel der toskanischen Villa von Plinius dem Jüngeren [Rosafio 108] darf nicht allzu schnell verallgemeinert werden, es ist aber dennoch erhellend. Plinius kaufte günstig eine Domäne, die der Vorbesitzer rasch zum Bankrott geführt hatte, indem er Gerät und Sklaven säumiger Pächter konfisziert hatte. U m dieses Gerät zu ersetzen, war Plinius zur Investition gezwungen. Bald kam er zu einem Verwaltungssystem, das mit einer Gewinnbeteiligung der Bauern arbeitete, die er durch seine vertrauenswürdigeren Sklaven überwachen ließ. Die Ernteteilungspacht, die Plinius verwendete, unterschied sich vom System der festen Pacht nicht allein dadurch, daß die Pacht variabel war, sondern auch dadurch, daß der Bauer, der sich kein Bargeld mehr besorgen mußte, seine Produktion diversifizieren konnte (die dann insgesamt durch den Eigentümer verkauft wurde: Plinius verkaufte seine Ernten vor Ort), was zu größerer Stabilität führte. Man hat mehrfach betont, daß der freie (und servile) Kolonat wahrscheinlich älter ist und einen größeren Umfang hatte, als es auf den ersten Blick nach unseren Quellen aussehen würde [Hör. Sat. 2. 7. 118; Plin. epist. 1. 14. 1-3], die sich nicht sonderlich für diese gleichermaßen freien und gebundenen Individuen interessierten [Capogrossi Colognesi, in: 4, 1, S. 325-365; Vera, in: 6, S. 239-248; Brunt 66, S. 103], Es sei noch einmal daran erinnert, daß die Krise nicht nur den Ackerbau betraf. Bestimmte Produktionszweige haben sie noch stärker zu spüren bekommen (z. B. die aretinische Keramik) [Carandini, in: 3]. Wahrscheinlich amortisierten sich große spekulative Investitionen, die leicht möglich waren, solange reiche Kriegsbeute die Zinsen drückte (4% im Jahr 29 statt dem offiziellen Satz von 12% [Suet. Aug. 41. 1; Cass. Dio 51. 21. 5]), nicht mehr so leicht, als die Zinssätze stark anstiegen, wie es unter Tiberius geschah [Bellen 73]. Es geht bei der „Krise" der italischen Landwirtschaft also weniger um die Form der Bewirtschaftung als vielmehr um eine große Veränderung bei den Formen der Geldgewinnung in der Kaiserzeit — der Zustrom von Beutekapital trocknet aus — und die Verlagerung der Produktionszonen hin zu den gro-
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ßen Verbrauchszentren [Wittacker, in: 6, S. 253f.]. Zusätzlich darf man mit E. Lo Cascio zwei zusätzliche Entwicklungen annehmen: Zunächst eine intensive Monokultur auf den besten Ackern, die zur Ausdehnung der Nahrungsmittelkulturen zwang, die für das Funktionieren der Villa unerläßlich waren [Plin. nat. 18. 38], dann den Verlust der externen Märkte und des Kapitalzustroms (Beute, Tribut), der gleichfalls die Rückkehr zu Nahrungsmittelkulturen bedingte [Lo Cascio, in: 6, S. 119-121]. Man sieht, die „Krise" der italischen Landwirtschaft war vor allem eine Krise der Exportmonokultur. Unsere Sicht wird behindert durch den Anteil der Amphoren am archäologischen Material und durch die Tatsache, daß der Eigenverbrauch für uns nicht faßbar ist. Manche ziehen es deswegen vor, mit E. Le Roy Ladurie von „Agrarzyklen" statt von „Krise" zu sprechen [Vera, in: 6, S. 240]. 1. 1. 5. 4 Die Produkte der italischen Polykultur Die italische Landwirtschaft basierte auf den drei klassischen mittelmeerischen Produkten, Getreide, Ol, Wein, was eine Verteilung der Arbeit über das Jahr hin ermöglichte [Fentress, in: 11, 2, S. 139; K. Greene, The archaeology of the Roman Economy, London 1986, S. 87; Jongman 166, S. 87; Spürr 113]. Die Polykultur stellte also aus praktischer Hinsicht ein rationales Verfahren dar, was den Bauern kaum entgangen sein wird. Diese Verschiedenartigkeit brachte einen literarischen Topos hervor, der die Vormacht des von Natur aus autarken Italien rechtfertigen sollte [z. B. Varrò rust. 1. 2. 3; Dion. Hal. ant. 1. 36]. In der Tat finden wir fast überall Spuren der Produktion (in variablen Proportionen) dieser Produkte. Zusätzlich wurden noch andere Produkte angebaut (Obst z. B.), und man hielt Vieh. Die Uberreste der Villen des Südsamnium belegen eine zusätzliche Produktion von verschiedenen Getreidesorten, Schafen und Schweinen. Wein und Ol waren aus klimatischen Gründen schwach vertreten [Lloyd, in: 90, S. 180-193; Frayn 110], Allzu häufig wird übersehen, daß die antiken Agronomen die Ansicht vertraten, daß Höfe zunächst einmal autark sein müssen, und zwar auch dann, wenn man eine intensive Monokultur neben der Subsistenzpolykultur betreibe. Die Krisen der ersteren werden zweitere nicht so stark betroffen haben. Abgesehen von den großen Villen dürfte die Subsistenzpolykultur die Regel gewesen sein, wie das etliche Grabungen zeigen, wo nichts auf Weiterverkauf hindeutet [Frayn 100; von Freyberg 87, S. 41], Selbst die große von Plinius erworbene Domäne produzierte mehrere Produkte [Rosafio 108, S. 69]. Außerdem sollte man die Kleinproduktion aus Gärten und städtischen Grünflächen nicht unterschätzen, wie W. F. Jashemski [165] gezeigt hat. Es ist schwierig, sich eine genaue Vorstellung von der Stellung des Getreides innerhalb der italischen Landwirtschaft zu machen. Jedenfalls läßt sich der Einzelfall Rom, das ohne Importe nicht auskommen konnte, nicht auf die ganze Halbinsel verallgemeinern, zumal der Landtransport den Getreidepreis alle 450 km verdoppelte [Brunt 67, S. 97]. Man nimmt heute an, daß die Selbstversorgung die Regel war [Lo Cascio, in: 6, S. 91-125; Spurr 113; von Freyberg 87,
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S. 40]. Horaz [epist. 1. 12. 28] spricht von reichen Ernten in Italien, w e n n auch zugegebenermaßen in einem propagandistischem Diskurs. W i e dem auch sein mag: Das Getreide, die Hauptnahrungsquelle (Ernährungskrisen hingen immer mit Getreidemangel zusammen), stellte zweifellos die Masse der italischen landwirtschaftlichen Produktion dar, u n d man hat vor kurzem seine Rolle in den R e g i o n e n neu bewertet, w o man ein klares Vorherrschen des Weinanbaus vermutet hatte [Jongman 166, S. 99-149; Vera, in: 6, S. 246], Selbst R o m hing teilweise von der italischen Produktion ab: Bei schlechten Ernten in Italien gab es H u n g e r in R o m [Suet. Aug. 42. 3; Cass. Dio 55. 26. 1; Bellen 73, S. 220], Die Bedeutung, die die Historiker dem Weizen (zumal triticum durum) beimaßen, führte zur Vernachlässigung anderer Getreidearten, wie Gerste oder Hirse. N e u e r e Forschungen [Spurr 112] haben gezeigt, daß Hirse noch in der Kaiserzeit angebaut wurde, w e n n auch in geringeren M e n g e n als in der Republik. Die Widerstandskraft der Hirse gegen die Unbillen der Witterung u n d ihr niedriger Preis im Anbau machten sie zu einem beliebten Nahrungsmittel für die A r m e n wie die coloni und die städtische Plebs [Col. 2. 9. 17; Plin. nat. 18. 117]. Eine interessante Passage von Seneca [epist. 86. 16] bringt zwei häufig vergessene Produkte der italischen Subsistenzwirtschaft zusammen: B o h n e n und Hirse, die abwechselnd angebaut wurden. Die Bedeutung der Hülsenfrüchte, die viel proteinreicher und leichter anzubauen sind als Getreide u n d den B ö d e n weniger Nährstoffe rauben, m u ß wohl ebenfalls überdacht werden. M a n kann z. B. an die B o h n e n denken, die die Cominii von Minturnes verkauften [AE 1922, 123], Die überall gefundenen italischen A m p h o r e n (auch solche, die mit billigem Wein gefüllt waren) belegen den R a n g des Weinbaus in der Landwirtschaft der Halbinsel. Erklärt wird dies durch die lateinischen A g r o n o m e n Cato, Varrò und Columella, die den Wein unter die ertragreichsten Kulturen rechnen, w e n n man die Mittel zum Investieren hat. Columellas äußerst optimistische Ansicht m u ß j e d o c h differenziert betrachtet werden. Seine theoretische Berechnung geht von einer exzellenten Ernte in einer Periode hoher Nachfrage aus — was ja an sich schon widersprüchlich ist - und vernachlässigt die laufenden Kosten der Villa [Colum. 3. 3. 8-13; Rosafio 108; D e Martino, Storia economica, S. 233f.; Tchernia 114, S. 198-212; Jongman 166, S. 132]. Was Columella wegläßt, war von großer Bedeutung in der Diskussion zwischen den Verfechtern der intensiven Weinkultur u n d den Skeptikern. U m die Sache der Befürworter zu unterstützen, schönt der A g r o n o m die Zahlen [möglicherweise ein ironisches Echo dieser Diskussion bei Petron. 43]. Kurz nach Columella n a h m Plinius der Altere [nat. 18. 6. 37f.] eine vorsichtigere Position ein u n d erinnerte an den Fall eines gewissen L. Tarius R u f u s , der unter Augustus 100 Millionen Sesterzen in eine große D o m ä n e investierte und sich damit ruinierte. Der R ü c k g a n g der finanziellen R e n d i t e des Weins erklärt, w a r u m sich immer wieder die Aufgabe von Anbauflächen archäologisch nachweisen läßt. W ä h r e n d sich die großen Weine Kampaniens, wie der Falerner, deren R u f hervorragend war, bis ins 2., ja 3. Jh. halten konnten [Panella/Tchernia, in: 6, S. 146f.; Arthur, in: 90, S. 157; Panella,
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in: 72, S. 251-259; Tchernia 114, S. 160], vermochten Weine mittlerer und geringer Qualität nicht länger mit den billigeren Produkten der nahen Provinzen zu konkurrieren. Aber man m u ß dies differenziert sehen [Desbat/Savay-Guerraz, in: Gallia 47 (1990) 203-213]. Mit der Veränderung der Behältnisse allein läßt sich nicht erklären, warum die Zahl der italischen Amphoren in Gallien zu Beginn der Kaiserzeit immer weiter abnahm. Außerdem finden sich bereits u n ter Augustus importierte Amphoren in R o m [Tchernia 114, S. 138-157]. Unter den Antoninen stellten die italischen Amphoren nur 26% des Bestands in Ostia dar [Panella/Tchernia, in: 6; Fentress, in: 11, 1, S. 144], Man muß also unterscheiden zwischen den teuren und gefragten Qualitätsweinen, die häufig noch in der Kaiserzeit exportiert wurden, und den „Tafelweinen", die nur dann rentabel waren, wenn der Ertrag bei geringen Eigenkosten hoch war. Normale Weine wurden zu 20 Sesterzen die Amphore verkauft. Columella geht von einem theoretischen Verkaufspreis von 60 Sesterzen aus. Plinius erwähnt einen Opimius, der 121 v. Chr. 100 Sesterzen kostete und in der Kaiserzeit dann Phantasiepreise (um die 1000 Sesterzen) erzielte (6% Wertzuwachs im Jahr). Der Falerner kostete etwa viermal so viel wie ein einfacher Wein [Mart. 12. 76; C o lum. 3. 3. 8; Plin. nat. 14. 56; CIL IV 1679], Die pompejanischen Weine waren wohl nicht so gut, wie manchmal angenommen wurde [Jongman 166, S. 102-104]. Das Verschwinden eines Teils des italischen Weinanbaus gegen Ende des 1. oder zu Anfang des 2. Jh.s hatte wohl mehr mit den Schwierigkeiten des risikoreichen spekulativen Anbaus als mit einer „Krise der Sklavenvilla" zu tun. Dies wird auch durch die Tatsache gestützt, daß man seit einigen Jahren eine Verlagerung der Weinanbaugebiete feststellen kann. Die Analyse der A m phorenreste zeigt das Entstehen neuer Produktionsgebiete: das innere Zentralitalien (von Tiberius bis zu den Severern), die Ämilia (von den Flaviern bis zum Beginn des 3. Jh.s), die Adriaküste, deren Produktion die Zeit über anscheinend konstant blieb, und vor allem Bruttium, das Italien im 3. Jh. wieder zum Weinexporteur machte [Panella/Tchernia, in: 6; Vera, in: 6, S. 244]. Domitians Erlaß, der die Pflanzung neuer Weinstöcke in Italien verbot und die Zerstörung von Weinstöcken in den Provinzen anordnete, wurde oft als Prototyp moderner protektionistischer Maßnahmen betrachtet. In Wirklichkeit war dies eine R e a k tion auf die übermäßige Ausbreitung des Weins. Sueton [Dom. 7. 2] sagt ausdrücklich, daß es deswegen zu dieser Anordnung (die übrigens nicht durchgesetzt wurde) gekommen war, weil es in einem Jahr eine Hungersnot gab, während gleichzeitig Wein im Ubermaß produziert wurde. Es sollte nur die italische Landwirtschaft ins Gleichgewicht gebracht werden und der Vorrang des Lebensmittelanbaus gesichert werden [Nicolet 69, S. 99]. Man hörte also nicht mit dem Weinanbau in Italien auf, aber sein Ertrag war nicht ausreichend, um den Erhalt eines übermäßig großen Anbaus zu rechtfertigen. Die lokale Produktion im kleinen Format, die seit kurzem in Pompeii belegt ist und wohl auch sonst überall vorgekommen sein wird, dürfte sich gehalten haben [Jashemski 165]. Varrò räumt der Schafzucht eine gewichtige Stelle ein. Wolle war der Hauptbestandteil antiker Stoffe, und der Verzehr von Schafsfleisch war weit höher als
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heutzutage, auch wenn keine genaue Zahl genannt werden kann [Frayn 101]. Außerdem konnten Schafe in vielen kärglichen Landschaften der Halbinsel (wie im Tavoliere Apuliens) gehalten werden. Es gab Herden mit mehr als 1 000 Stück Vieh. Den Winter verbrachten die Tiere in den Ebenen, den Sommer auf den Bergen. Die „kleine" Herde Varros (etwa 700 Tiere) war im Sommer auf dem Gebiet von Rieti, im Winter in Apulien [rust. 2. 2. 9; 10. 11; Thompson 115]. Die Wolle konnte während der Auftriebs bzw. Abtriebs gewaschen werden [Frayn 101, S. 148f.; Patterson 105]. Eine berühmte Inschrift aus Sepino berichtet von der Auseinandersetzung zwischen den Prokuratoren der kaiserlichen Herden und dem ordo der Stadt während des Durchzugs der großen Herden Marc Aurels [Corbier 96]. In der Zisalpina wurde keine Transhumanz betrieben: Die durchziehenden Hirten waren bei den Ansässigen wenig beliebt. Der Codex Theodosianus [9. 30. 1-5] untersagte ihnen den Besitz von Pferden und schränkte damit ihre Mobilität empfindlich ein. Die calles, die Transhumanzwege, wurden (nicht zuletzt aus fiskalischen Gründen) von Quästoren kontrolliert [Tac. ann. 4. 27. 2; Cass. Dio 55. 4. 4]. Die Theoretiker (z. B. C o lumella) interessierten sich mehr für die Stalltierhaltung. Der Wollhandel ließ Städte wie Luceria, einen großen samnitischen Markt, wachsen. Strabon [5. 1. 7] erwähnt Paduas Textilproduktion; dank dieser hätten 500 Bürger den Ritterzensus erreicht (400 000 Sesterzen). Dagegen wird man schwerlich W. O. Moeller [82] folgen können, daß Pompeii ein großes Zentrum der Wollherstellung und des internationalen Wollhandels gewesen sei, so daß bis zu 10% der Bevölkerung in diesem Bereich Beschäftigung gefunden hätten. Diese Hypothese beruht auf einer systematischen Uberinterpretation der wenigen Quellen und des dünnen archäologischen Materials [Frayn 101, S. 166; Jongman 166, S. 157-186]. Bestimmte Wollsorten waren sehr geschätzt und erzielten hohe Preise, wie die Wolle von Tarent oder Altinum in Venetien (200 Denare pro Pfund ungewaschener Wolle in Diocletians Maximal tarif). Die Schafe von Tarent trugen angeblich Mäntel zum Schutz ihrer Wolle [Varrò rust. 2. 2. 18; M o rel 104], Anscheinend exportierte Italien noch am Ende des 3. Jh.s Wolle [Frayn 101, S. 163f.]. Schafe stellten zwar den größten Anteil im italischen Viehbestand, aber der Anteil des Schweinefleisches an der Ernährung stieg während der Kaiserzeit, und mit ihm sicher auch die Bedeutung der Schweinezucht. F. De Martino hat zu Recht daraufhingewiesen, daß die Schweinezucht bei C o lumella einen wichtigeren Platz einnimmt als bei seinen Vorgängern. Die Schweinezucht war nicht mehr Monopol der Zisalpina, wie noch Polybios und Strabon vermuten lassen [Giardina, in: 4, S. 18; Gallo, in: 11, 3]. Die Entwicklung der Villa von Settefinestre bestätigte diese Tendenz. Im 2. Jh. wandten sich ihre Eigentümer dieser Produktion zu. Aurelians Erlaß, Schweinefleisch zu den Verteilungen des öffentlichen Korns hinzuzufügen, illustriert sehr schön, daß dieses Tier zu einer wesentlichen Quelle günstiger tierischer Proteine geworden war. Täglich wurden ca. 8 bis 10 t Schweinefleisch in R o m verteilt [Barker, in: 11, 1, S. 155]. In gewissen Teilen Italiens, zumal im Süden, scheint die Schweinezucht zu einer bedeutenden Einnahmequelle geworden zu sein, was dazu
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führte, daß die Wälder gewinnbringend genutzt werden konnten, so in Sila [Small, in: 90, S. 208]. Die Rinderzucht blieb von geringer Bedeutung. Das Rind war vor allem ein Zugtier; man aß es nur, wenn es alt geworden war oder man es geopfert hatte [Barker, in: 11, 1, S. 160]. Dagegen darf man Milchprodukte nicht als Quelle speicherbarer Proteine vernachlässigen [Varrò rust. 11. 1-4; Barker, in: 11, 1, S. 154f.]. Butter verwendete man zwar nicht (außer zur Salbung von Kindern), dagegen schätzte man Käse. Martial nennt drei Käsesorten, die man in der engeren Umgebung R o m s erzeugte und erwähnt einen Vestiner Käse, der als Fleischersatz dienen konnte. In R o m räucherte man Käse zur Haltbarmachung [Mart. 13. 30-33]. Varrò teilt verschiedene Milchsorten nach Nahrhaftigkeit und Verdaulichkeit ein und beschreibt mehrere Käsearten, die zum sofortigen Verzehr oder zum Ausreifen bestimmt waren [Varrò rust. 2. 11. 1-4]. Auch wurden gallische Käse importiert [Plin. nat. 11. 239-241], Daneben wurden noch andere landwirtschaftliche Produkte in Italien erzeugt. Singvögel und seltene Fische waren Luxusprodukte. Die Agronomen wiesen der Geflügelzucht einen wichtigen Platz zu. Auch den Honig darf man nicht vergessen, den einzigen Süßstoff der Antike, der in größerer Menge produziert wurde, als die (fast nicht existenten) archäologischen Reste vermuten lassen [Barker, in: 11, 1, S. 157]. Es ist wohl nicht nur ironisch (gegen Columella?) , wenn Petron seinen Trimalchio sagen läßt, daß er Bienen aus Athen importiert habe, um seinen Viehbestand zu verbessen [Petron. 38]. 1. 1. 5. 5 Die Orte des Warenumschlags All diese Produkte, sofern sie nicht an der Stätte ihrer Produktion verbraucht wurden oder für den Fernhandel bestimmt waren, gelangten in einen lokalen und regionalen Verteilungskreislauf, für den wir kaum Quellenmaterial besitzen, was um so bedauerlicher ist, als er eine wichtige Rolle in der Wirtschaft des kaiserzeitlichen Italiens gespielt haben muß [De Ligt 74; Frayn 76; Andreau, in: 8, II.2; Gabba 77], Märkte für die ortsansässige Bevölkerung fanden regelmäßig statt und waren von sehr begrenzter Dauer, manchmal nur einen Tag lang [Dig. 33. 1. 20], Der große Markt von Campi Macri (bei Modena) dagegen, wo Vieh und wohl auch Wolle aus der Region verhandelt wurde, zog Kunden aus mehreren hundert Kilometern Umkreis an [Varrò rust. 2. pr. 6], Gleiches galt für den Oktobermarkt von Cremona. Kalender verzeichneten die Daten und Orte der großen Märkte [CIL X I V 3025]. Mächtige Gutsbesitzer baten mitunter um die Erlaubnis, auf ihrem Land Märkte abhalten zu dürfen, was für die Nachbarstädte eine große Konkurrenz bedeuten konnte. Der Fall von L. Bellicus Sollers im Jahr 105 zeigt, daß diese Märkte von großer finanzieller Bedeutung für die Städte waren [Plin. epist. 5. 4 und 13]. Plinius der Jüngere beweist, daß die Großgrundbesitzer ihre Ernte auch ohne Märkte verkaufen konnten. Er selbst nämlich veräußerte seine ganze Ernte vor Ort an anreisende Großhändler und handelte auch schon mal den Preis nach, wenn die Ernte weniger gut als erwartet ausgefallen war [Rosafio 108], Die Frage nach den Orten des Warenumschlags und der Interaktion zwischen Stadt und Land hinsichtlich Produkt!-
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on u n d Verbrauch steht im Z e n t r u m der Weberschen T h e o r i e von der verbrauchenden Stadt, die erst jüngst von D. Wittacker erneut verteidigt wurde [in: 6; Lo Cascio, in: 8, 4]. D a ß die Produktion ohne die Städte auskam und nur in den Villen geschah, ist j e d o c h eine völlig willkürliche Behauptung. Das Beispiel von Cosa und seinem ager zeigt, daß die Wechselbeziehung Stadt - Land enger war, als Wittacker glauben will. Selbst w e n n die Stadt für den Warenumschlag überflüssig gewesen wäre, so bleibt sie doch der O r t des Kontakts zwischen ländlichem Produzenten und städtischem Verbraucher u n d der O r t , an d e m sich die Bauern mit ihrem Eigenbedarf eindeckten [Varrò rust. 16. 4 u n d 20. 3]. 1 . 1 . 6 Gab es ein „italisches Handelsbilanzdefizit"? Die jüngsten Ergebnisse der Archäologie bestätigen einen Gemeinplatz der antiken Literatur. Italien exportierte immer weniger und importierte immer m e h r [zuletzt: 8]. Die afrikanische (und auch gallische) Keramik übertrumpfte bald die lokale Produktion. Gallische und andere Weine ersetzten die aus Etrurien. Das spanische O l gewann die Oberhand. Diese Liste ließe sich noch fortsetzen. N a c h m o d e r n e n Vorstellungen hätte diese Entwicklung auf Dauer zum Bankrott Italiens fuhren müssen, aus d e m ja immer m e h r Geld abfloß [von Freyberg 87; Potter 9, S. 169]. Möglicherweise war sich der römische Staat des Problems dieser Importe bewußt, denn die Ausfuhr von Gold w u r d e (zumindest am Ende der Republik) eingeschränkt [Cie. Flacc. 67; in Vat. 12], aber die Vorstellung von einer römischen „Goldflucht" findet heute kaum m e h r Anhänger [Veyne 86]. Vielmehr scheint es so, als sei der ganze Handel, Import wie Export, rückläufig gewesen. Schiffswracks zeigen einen R ü c k g a n g des Mittelmeerhandels seit dem Ende des 1. Jh.s, was sich dann im 2. Jh. verschärft [von Freyberg 87, S. 43; Potter 9, S. 157], Es ist ferner keineswegs selbstverständlich, daß die M e chanismen der m o d e r n e n Marktwirtschaft auf das kaiserzeitliche Italien übertragen werden können. O h n e sich auf die reichlich unfruchtbare Debatte zwischen „Modernisten" u n d „Primitivisten" einzulassen [die E. Lo Cascio hervorragend zusammengefaßt hat: 8, 2.2; Nicolet 69, S. 33-40; Potter 9, S. 152; von Freyberg 87; Andreau, in: 6], müssen doch ein paar Punkte herausgegriffen werden: W i r wissen nicht, wie hoch der Anteil der verbrauchten Güter war, der über den Markt lief. D. Wittacker hat vermutet, daß rund 40% der Einwohner R o m s über landwirtschaftliche Produkte verfugten, die nicht über den Markt gegangen waren [Wittacker, in: O p u s 4 (1985) 49-75], u n d diese Zahl könnte noch höher sein. Auf dem Land wird sie regelmäßig 90% überschritten haben. Viele importierte Güter w u r d e n nicht bezahlt oder w u r d e n mit den Steuern verrechnet, die die „Exporteure" zu begleichen hatten: Das ägyptische K o r n kostete den Kaiser nur den Transport. Cl. Nicolet hat vorgerechnet, daß zwischen 58 und 45 v. Chr. das öffentliche K o r n von R o m zu Durchschnittspreisen kaum 2% der Steuerschuld allein der Provinz Asien ausmachte [69, S. 97f.]. Kunstwerke, die von manchen Forschern als wichtiger Posten im kaiserlichen Budget angesehen werden, waren in der Kaiserzeit weniger bedeutsam (Hadrian stattete seine Villa in Tivoli teilweise mit Kopien und Pasticcios aus) u n d w u r d e n o h n e -
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hin meist im Krieg erobert oder später geraubt [Tac. ann. 16. 23. 1], Ihre Kosten waren also relativ. Der großzügig in R o m verbaute Marmor stammt aus den kaiserlichen Steinbrüchen, seine Kosten waren damit sehr gering. Außerdem war seine Produktion nicht von einzelnen Bestellungen abhängig [Ward Perkins, in: 72, S. 325-338]. Wir wissen nichts über den Geldfluß zwischen italischen Industriellen, insbesondere den Keramikproduzenten, und ihren Filialen in Gallien und Germanien [Potter 9, S. 163f.]. Zwei weitere Punkte sollten nicht vergessen werden. Erstens: Das Reich besaß eine Einheitswährung, Ungleichgewichte in der Handelsbilanz konnten also nicht durch lokale Entwertungen ausgeglichen werden, wenn auch die Wechselkurse zwischen den einzelnen Metallen mitunter schwankten [Crawford, in: JRS 60 (1970) 43; Andreau, in: 6, S. 182f.]. Die Provinzialen mußten also exportieren, um ihre Steuerschuld begleichen zu können. Zweitens war das Geld ein Metallgeld. Nun befanden sich die Minen seit Tiberius in der Hand des Kaisers [Suet. Tib. 49. 5], der ihren Ertrag vollständig erhielt, wenn sie direkt verwaltet wurden, und einen hohen Anteil (die Hälfte in Vipasca), wenn sie verpachtet waren [Domergue, L'Etat romain et le commerce des métaux, in: Entretiens d'archéologie et d'histoire, S. Bertrand-de-Comminges 1994, S. 99-113; Stat. silv. 3. 3. 85-105]. Anders formuliert: Italien importierte zwar Metall, aber dieser Import stellte eine Bereicherung dar und bedeutete keine Kapitalflucht [Nicolet 69, S. 78; Tchernia, in: 6, S. 254-256]. Der Kaiser verfügte über gewaltige finanzielle Mittel. Tiberius konnte anläßlich einer Konjunkturkrise 33 n. Chr. 100 Millionen Sesterzen auf den Markt werfen und hinterließ zum Zeitpunkt seines Todes mindestens 2,7 Milliarden Sesterzen [von Freyberg 87; Bellen 73] (aber die wirtschaftlichen Folgen dieser Thesaurierung müssen katastrophal gewesen sein). In Italien konnten später noch sehr reine Münzen geprägt werden. So schlug Domitian zwischen 82 und 85 Denare mit sehr hohem Silbergehalt (zwischen 97,8 und 98,2% Silber, anstelle von weniger als 90% früher) [Carradice/ Cowell, in: Metallurgy in numismatics 1 (1980) 168-173]. Die Münzprägung erlaubte somit, die italische Handelsbilanz in einem gewissen Maß abzugleichen, besonders bei den überteuerten Münzmetallen [Andreau, in: 6, S. 182f. ; von Freyberg 87, S. 96]. Allerdings besitzen wir kein Wrack eines Silber- oder Goldtransporters, während Blei-, Zinn- und Kupferhandel wohlbelegt sind [Domergue, in: Epigrafia della produzione e della distribuzione, R o m 1994, S. 61-91], Kurzum, die Anwendung moderner Begrifflichkeiten und Konzepte auf das antike Italien ist schwierig, wenn nicht sogar gefährlich [Andreau, in: 6; Potter 9, S. 171; Carandini, in: 3, S. 259f.]. Es scheint festzustehen, daß der Reichtumszuwachs des augusteischen Italien bald nachließ, was aber wahrscheinlich nicht nur an dem Ungleichgewicht des Warenumschlags mit dem Reich lag, sondern auch an politischen Veränderungen, wie dem Ende der Kriege und damit des Beutezuflusses und der Entstehung großer Konzentrationen von Verbrauchern (insbesondere durch das Heer) in den Provinzen [Lo Cascio, in: 8, 2.2, S. 314, 320, 323; Garnsey/Saller, The Roman Empire, Berkeley 1987, S. 51-63]. Der Ansatz von H. U. von Freyberg [87], der dem Kapi-
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talfluß eine wesentliche Bedeutung beimißt, ist sehr unkonventionell. Wann genau die italische Handelsbilanz negativ wurde, läßt sich freilich nicht bestimmen. Von Freybergs Vorschlag - seit Beginn der Herrschaft des Augustus — kann in jedem Fall als Diskussionsgrundlage dienen [Andreau, in: 6, S. 185].
1. 2 Rom: Der Kaiser und seine Stadt Abgesehen von seiner politisch privilegierten Position war R o m schon allein durch seine Größe und Einwohnerzahl eine Ausnahme. Einst ein Stadtstaat u n ter vielen war es zu einer Metropole geworden, die keine Einheit mehr mit ihrem Territorium bildete [Lo Cascio, in: 8, II.2, S. 126]. Auch die städtische Plebs nahm im Reich eine Sonderstellung ein [Nicolet, in: M E F R A 97 (1985-2) 799-839]. Augustus war sich dieser Veränderungen bewußt und wollte seine Macht politisch absichern. So verstärkte er diese Tendenz noch, indem er R o m eine besondere Organisationsform gab, die vom Rest Italiens (und vom Senat) unabhängig war. Auch profitierte R o m von der Fürsorge des Kaisers, der der immer unruhigen Plebs Gastmähler, Lebensmittel und Bargeld gab [Yavetz, Plebs and Princeps, Oxford 1969]. Er verschönerte die Stadt, errichtete die Baulichkeiten, die für die städtische Politik notwendig waren, und schuf neue Freizeitmöglichkeiten. Dennoch ist es übertrieben, in R o m nur eine parasitäre Metropole zu sehen. Zahlreiche Produkte, insbesondere Terrakotten, wurden dort hergestellt. Man hat 160 verschiedene handwerkliche Tätigkeiten nachweisen können Qongman 166, 185].
1. 2. 1 Die spezielle Organisation Die Größe R o m s führte zu Verwaltungsproblemen, die Augustus nicht ignorieren konnte. Die einschneidendste seiner Maßnahmen, die Einrichtung der Stadtpräfektur i. J. 26 v. Chr., bewies, daß er R o m schon zu diesem frühen Zeitpunkt in besonderer Weise zu verwalten gedachte. Der erste Inhaber dieses Amts, der Republikaner Valerius Messalla Corvinus, gab es wieder ab, weil er es wenig bürgerlich fand [Tac. ann. 6. 11]. Regelmäßig wurde dieses Amt erst ab 27 n. Chr. besetzt. Der Präfekt stellte einen Ersatz für den Kaiser dar. Zunächst handelte er ziemlich diskret, erhielt aber zunehmend die jurisdiktioneilen K o m petenzen der höheren Magistrate und wurde schließlich unter den Severern der Vorsitzende des obersten italischen Gerichtshofs. Ihm unterstanden die drei cohortes urbanae [Freis, Die „Cohortes urbanae", Bonn 1967]. Aber die Kontrolle der Stadt war nicht Augustus' einziges Problem. Da es keine Präzedenzfälle für die Verwaltung einer solchen Metropole gab, ging er pragmatisch vor, wann immer sich neue Probleme ergaben. Die Versorgung der Stadt mit Wasser und Korn mußte sichergestellt werden, man hatte Brände zu bekämpfen und die Gebäude instand zu halten, was der Kaiser aus politischen Gründen nicht mehr siegreichen Feldherrn übertragen wollte. Zunächst zahlte Augustus aus eigener
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Tasche, ζ. B. als er im Jahr 28 v. Chr. 82 Tempel restaurieren ließ, und er setzte die Kompetenzen von M. Vipsanius Agrippa ein. Dieser bekleidete 33 v. Chr. als Konsular die Adilität. Er setzte die Aquädukte instand, ließ neue errichten und stattete R o m mit zahlreichen Brunnen aus. Dazu organisierte er eine Gruppe von 200 Sklaven aus seinem eigenen Haushalt. Seine Aktivität reichte weit über das Ende seiner Amtszeit hinaus, nämlich bis zu seinem Tod 12 v. Chr. [J.-M. Roddaz, Marcus Agrippa, R o m 1984]. Augustus, Agrippas Erbe, Übertrag dieses Personal dem Staat und ernannte ab 11 v. Chr. hochrangige Konsulare zu Wasserkuratoren. Der berühmteste Inhaber dieses Amts war Generationen später Frontin, der eine Abhandlung über die Aquädukte R o m s verfaßte [Eck, in: Wasserversorgung im antiken R o m , München 1982, S. 63-77]. Agrippas Tod raubte Augustus auch eine wichtige Stütze im Bereich der Instandhaltung der Gebäude. Anstatt sich dieser Aufgabe selbst anzunehmen, zog er es (zu unbekannter Zeit) vor, zunächst eine dafür verantwortliche Kommission einzurichten, später einen einzelnen Kurator der öffentlichen Gebäude. Der erste bekannte Amtsinhaber Q. Varius Geminus (unter Tiberius) war prätorischen Ranges. Seit Claudius waren diese Kuratoren ausnahmslos Konsulare, was eine Respektsbezeugung für ein Amt war, dessen realer Einfluß ziemlich gering war: Die Inschriften nennen kaum öffentliche Sklaven, sondern fast ausschließlich Sklaven der familia Caesaris. Zunächst hatte Augustus das Amt eines curator locorum publicorum iudicandorum geschaffen, was die Schwierigkeiten zeigt, von Einzelnen veräußerte Teile des öffentlichen Besitzes wiederzuerlangen. Diese Funktion wurde unter Tiberius in das Amt des Gebäudekurators integriert [Kolb 154]. R o m wurde häufig von verheerenden Bränden heimgesucht. Ein Vorbild hatte Egnatius Rufus gegeben, der während seiner Adilität 26 v. Chr. seine eigenen Sklaven zur Brandbekämpfung eingesetzt hatte. Augustus, der Egnatius Rufus 19 v. Chr. hatte hinrichten lassen, schuf 6 n. Chr. eine feste Feuerwehr, die vigiles, die in sieben Kohorten eingeteilt waren (je eine für zwei Regionen) und einem ritterlichen Präfekten unterstanden [Cass. Dio 55. 26]. Dieser Präfekt gewann im 2. Jh. an Bedeutung, als ihm die fia-Organisationen unterstellt wurden [Dig. 1. 15; Panciera 153]. Im Gegensatz zu den Prätorianern und den Soldaten der cohortes urbanae konnten Freigelassene in die R e i hen der vigiles eintreten (sie erhielten die civitas nach sechs, später drei Jahren Dienst), aber die meisten vigiles waren Freigeborene. Eine Abteilung dieses Corps stand in Ostia, vermutlich seit Claudius [Suet. Claud. 25], obwohl die erste Phase der Kaserne in domitianische Zeit datiert (vielleicht waren die vigiles nach dem Brand von 64 nach R o m zurückgerufen worden [Sablayrolles, Libertinus miles, R o m 1996; Pavolini, La vita quotidiana a Ostia, R o m / B a r i 1991, S. 205]). U m die Flußschiffahrt zu erleichtern, hatte Augustus das Tiberbett reinigen lassen. Seit 15 n. Chr. kümmerte sich darum eine Kommission von drei Konsularen, die curatores alvei Tiberis et riparum. Alle diese Verwaltungsposten haben gemeinsam, daß sie der Autorität des Kaisers unterstanden, der damit seinen Anspruch unterstrich, sich persönlich um die Stadt zu kümmern.
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Die R ö m e r hatten nicht nur Vorrechte, sie m u ß t e n auch bestimmte Bürden tragen. O h n e auf die m e h r oder weniger phantastischen Steuern und Abgaben einzugehen, die sich Caligula ausgedacht hatte [Suet. Cal. 40. 1], sei auf die b e rühmte Steuer Vespasians auf den von den Gerbern verwendeten U r i n verwiesen [Suet. Vesp. 23. 5] u n d insbesondere auf die Zölle ansarium u n d foricularium, die an den Toren R o m s auf Waren erhoben wurden, die man in die Stadt brachte. Anscheinend wurden sie 74 von Vespasian eingerichtet, vielleicht nach einen augusteischen Vorbild. Die Zollposten hätten sich laut J. Le Gall an das P o m e r i u m gehalten [Palmer, in: 72, S. 217-225; Le Gall, in: Points de vue sur la fiscalité antique, Paris 1979, S. 121-126]. Das neue R e g i m e n t brauchte die Unterstützung der Massen. Deswegen w u r den die alten republikanischen Feiern allmählich durch Zeremonien ersetzt, die die großen Ereignisse der Kaiserfamilie begingen. M e h r als der Rest des R e i ches lebte R o m nach d e m R h y t h m u s der Siege u n d Reisen von Augustus und der Amtsantritte seiner N a c h k o m m e n [Fraschetti 150], Z u r Vervollständigung dieser ideologischen M a c h t ü b e r n a h m e reorganisierte Augustus (der seit 12 v. Chr. Pontifex Maximus war) die Stadt [abgeschlossen 7 v. Chr.; das D a t u m ist umstritten, das Quellenmaterial widersprüchlich: vgl. die entgegengesetzten Positionen von Fraschetti 150 u n d Niebling, in: Historia 5 (1956)]. Er erweiterte das Pomerium, die religiöse Grenze R o m s (Claudius tat dies nach der E r oberung Britanniens), u n d unterteilte die Stadt in 14 R e g i o n e n , die jeweils eine bestimmte Zahl von vici (Vierteln) umfaßten, die magistri hatten, deren Aufgaben uns zum größten Teil unbekannt sind. Sie hatten Verantwortlichkeiten bei der Feuerprävention [Cass. Dio 55. 8. 6]. Vielleicht besaßen sie auch lokale P o lizeibefugnisse u n d hielten die Einwohnerlisten ihrer Viertel auf dem neuesten Stand. Jedenfalls dienten die vici als R a h m e n des dynastischen Kults der Lares Augustales, hinter denen sich die Familienlaren von Augustus verbergen, die den Vestalinnen anvertraut waren [Tarpin L D P 1, N . 6; dagegen: Zanker 143; Fraschetti 150], und die nicht (wie man lange glaubte) eine Metamorphose der alten republikanischen Laren darstellten. D u r c h diesen Kult identifizierte sich die römische Plebs mit der Klientel oder der Familie des Kaisers in einem sehr engen persönlichen Band, was n o c h verstärkt w u r d e durch den Kult des kaiserlichen genius. Dies erklärt übrigens auch das Schrumpfen der Klientelbeziehungen zwischen städtischer Plebs und römischer Aristokratie, wie man z. B. bei Martial sieht, und das fortschreitende Verschwinden von Atriumhäusern in R o m . Laut A. Fraschetti wären die magistri vici eine Erfindung von Augustus, aber diese T h e o r i e ignoriert eine Inschrift [CIL VI 1324 = ILLRP 704], die Magistrate eines vicus in den 60er oder 40er Jahren v. Chr. erwähnt. Inschriften, zumal die „Fasten der magistri vici" zeigen ein schnell wachsendes Desinteresse der städtischen Plebs an der wri-Magistratur im 1. Jh., was übrigens parallel geht zu einem allgemeinem Desinteresse am Kaiserkult, das P. Zanker [169] in P o m peii festgestellt hat. Z u einem k a u m näher bestimmbaren Zeitpunkt, spätestens unter Traían, aber vielleicht schon unter Domitian, wurde eine Kampagne zur Restauration der w'a-Kapellen u n t e r n o m m e n , u n d erneut w u r d e n die magistri
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regelmäßig e r n a n n t , w i e dies die „kapitolinische Basis" zeigt [CIL VI 975]. D i e R e g i o n e n , die anfänglich P r ä t o r e n , Adilen o d e r Volkstribunen u n t e r s t a n d e n , w u r d e n spätestens u n t e r H a d r i a n d e m vigiles-Präfekt unterstellt u n d k a m e n so u n t e r die u n m i t t e l b a r e A u t o r i t ä t des Kaisers [Panciera 153; Panciera, in: 13].
1 . 2 . 2 K o r n fur R o m R o m s B e v ö l k e r u n g w a r s c h o n seit l a n g e m zu g r o ß , als daß sie sich allein v o n der E r n t e des U m l a n d e s hätte e r n ä h r e n k ö n n e n . D i e antike E r n ä h r u n g auf der G r u n d l a g e des Getreides b e d e u t e t e , d a ß m a n aus d e n P r o v i n z e n (weiter Seetransport w a r billiger als mittellanger Landtransport) das K o r n i m p o r t i e r e n m u ß t e , das m a n f ü r die kostenlosen Verteilungen u n d d e n freien M a r k t b r a u c h t e . In republikanischer Z e i t hatte dieses Versorgungssystem Krisen erlebt, was dazu g e f u h r t hatte, d a ß das Volk 57 v. C h r . P o m p e i u s e i n e S o n d e r m i s s i o n ü b e r t r a g e n hatte. D i e gleiche Situation ergab sich 2 2 v. C h r . n a c h U b e r s c h w e m m u n g e n . Augustus l e h n t e damals die D i k t a t u r ab, die i h m das Volk a n getragen hatte, aber er akzeptierte e i n e cura annonae, d e r e n g e n a u e K o m p e t e n z ausstattung uns n u r teilweise b e k a n n t ist [Cass. D i o 54. 1], H . Pavis d'Escurac glaubt, d a ß dieses A m t d e n ganzen Bereich der Verpfleg u n g u m f a ß t e , also kostenlose Verteilungen u n d freien M a r k t [Pavis d'Escurac 44, S. 12-17; z u m Ablauf der Verteilungen: Virlouvet 128], Jedenfalls ist klar, daß Augustus die Verteilungen kontrollierte, d e n n er v e r r i n g e r t e die Z a h l der E m p f ä n g e r auf etwas m e h r als 2 0 0 0 0 0 i m J a h r 2 v. C h r . [Virlouvet, in: 121; V i r l o u v e t 128]. A b e r die M e c h a n i s m e n , m i t d e n e n die Z a h l der E m p f ä n g e r kontrolliert w u r d e (die in d e r Folge auf etwas m e h r als 150 0 0 0 sank), k ö n n e n n u r h y p o t h e t i s c h r e k o n s t r u i e r t w e r d e n . A u g u s t u s d a c h t e sogar an die Abschaff u n g des kostenlosen K o r n s , m u ß t e aber d e m W i d e r s t a n d des Volkes n a c h g e b e n [Suet. A u g . 42]. U m d e n Senat n i c h t v o r d e n K o p f zu stoßen, unterstellte m a n die Verteilungen zwei, später (18 v. Chr.) vier g e w e s e n e n P r ä t o r e n , die anfangs curatores frumenti, d a n n praefecti frumenti dandi h i e ß e n . Angesichts n e u e r S c h w i e rigkeiten schuf Augustus 6 η. C h r . eine n e u e K o m m i s s i o n v o n zwei Konsularen, die S p e k u l a t i o n e n v e r h i n d e r n sollten. Dieses einjährige A m t , das mindestens einmal w i e d e r b e s e t z t w u r d e , erlaubte n i c h t d e n Verzicht auf k o m p e t e n t e F a c h leute. D a h e r w u r d e z w i s c h e n 8 u n d 14 n. C h r . die ritterliche P r ä f e k t u r der A n n o n a n a c h d e m Vorbild der wjjifes-Präfektur eingerichtet. D e r h o h e B e a m t e , der diesen Posten m e h r e r e Jahre lang bekleidete, hatte als H a u p t a u f g a b e , die Verträge zwischen d e m Staat u n d d e n S p e d i t e u r e n auszuhandeln, d e n n es gab k e i n e staatliche Transportflotte [Pavis d'Escurac 44, S. 2 7 - 2 9 ; L o Cascio, in: 11, 1, S. 2 4 0 - 2 4 2 ] . M i t einigen A n p a s s u n g e n (wie der S c h a f f u n g des A m t e s des r i t t e r lichen procurator Minuciae, der m i t d e n P r ä f e k t e n f ü r die K o r n v e r t e i l u n g e n z u s a m m e n a r b e i t e t e ) f u n k t i o n i e r t e dieses System w ä h r e n d der ersten b e i d e n J a h r h u n d e r t e ziemlich gut. D i e H a n d l u n g s m ö g l i c h k e i t e n der senatorischen aediles ceriales, die m a n seit Caesars Z e i t e n b e i b e h a l t e n hatte, w a r e n d u r c h die E i n r i c h t u n g der P r ä f e k t u r ziemlich geschmälert w o r d e n . Aus einer Petron-Passage [Sa-
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tyr. 44] läßt sich schließen, daß sie die Preise auf dem freien Markt der Stadt überwachten. Ein in Ostia sitzender Quästor kontrollierte die Ankunft der G ü ter u n d wohl auch die Arbeit der mensores frumentarii, der Kornmesser. Claudius ersetzte ihn durch zwei Prokuratoren [Houston, in: 72, S. 157-162]. Dieser Kaiser richtete auch die porticus Minucia frumentaria ein, w o die Kornempfänger j e den M o n a t ihre R a t i o n erhielten. Pro Schalter waren dies rund 150 Personen am Tag [Lo Cascio, in: 11, 1, S. 248; R i c k m a n , in: Città e architettura nella R o m a imperiale, Odense 1983, S. 105-107; CIL VI 220, 10223-10225, X I V 4499-4515]. Vorher hatten die Verteilungen im Flaminiuszirkus, in den Saepta, ja sogar in der villa publica stattgefunden [Virlouvet, in: 13, S. 175-189; Virlouvet 128]. Die dominante Position des Kaisers im Bereich der Versorgung erklärt sich nicht nur aus der chronischen Unfähigkeit des Senats, sondern auch dadurch, daß ein Großteil des importierten Korns aus dem Fiskus und von den Kaiserdomänen stammte [Lo Cascio, in: 11, 1, S. 229]. In Krisenzeiten machte das Volk nur den Kaiser und nicht den Senat verantwortlich [Rickman 126, S. 152]. D e r Kaiser griff auch persönlich bei den Lieferanten ein, w e n n es Schwierigkeiten gab. Bei solchen M a ß n a h m e n handelte es sich u m finanzielle Anreize oder Entschädigungen, falls die Ladung verloren ging, (so unter Claudius) oder die G e w ä h r u n g von Privilegien (so unter Hadrian). Autoritäre oder bürokratische Verordnungen scheint es nicht gegeben zu haben [Lo Cascio, in: 11, 1, S. 243]. Dies erinnert daran, daß die Stadt in erster Linie vom Korn auf dem freien Markt lebte und die Verteilungen nur einen Teil der Bedürfnisse abdeckten. Die Verantwortung des Kaisers für die Versorgung R o m s brachte zuerst Claudius, w e n n auch nur mit mäßigem Erfolg, dann Traian dazu, einen richtigen Hafen in Ostia zu bauen; zuvor hatten die großen Frachter auf offener See entladen werden müssen. Es läßt sich festhalten, daß es keine wirkliche G e treideverwaltung gab, sondern nur einige Ämter, die dafür zu sorgen hatten, daß die nötigen M e n g e n in R o m ankamen [Rickman, in: 72, S. 268-272]. W i r besitzen nur wenige Angaben für die M e n g e des importierten Korns und die erzielten Preise, und die bekannten Zahlen werden sehr unterschiedlich interpretiert. Die Daten bei Cicero k ö n n e n kaum extrapoliert werden, da der Kontext ein ganz anderer ist [Rickman 126, S. 170]. Die Schätzungen der letzten Zeit schwanken zwischen 150 000 und 400 000 t pro Jahr, man sieht daran die Unsicherheit der Forscher [Garnsey/Saller, T h e R o m a n Empire, S. 83ff.; von Freyberg 87, S. 42f.]. Wenn man dem häufig angezweifelten Zeugnis der Epitome de Caesaribus glauben will, hätte Ägypten unter Augustus 20 Millionen modii, also rund 175 Millionen Liter geliefert (die U m r e c h n u n g in Kilogramm führt zu großen Unsicherheitsmargen) [Epit. de Caes. 1.6]. Laut Flavius Josephus [bell. lud. 2. 16. 4] hätte R o m unter Vespasian das Dreifache erhalten, wovon zwei Drittel aus Afrika stammten. Diese Zahl erschien manchen Historikern zu hoch, den anderen zu niedrig [Lo Cascio, in: 11, 1, S. 236; Casson, in: 62, S. 23]. M a n m u ß unser Unwissen über die Bevölkerungsgröße von R o m und die angelegten Vorräte [SHA. Sept. Sev. 23. 2] berücksichtigen. Vorräte werden oft aufgrund der Verderblichkeit des Getreides verloren gegangen sein
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[Rickman 125]. Z u einem unbekannten Zeitpunkt legte man die Menge, die j e d e m Empfänger im M o n a t kostenlos ausgegeben wurde, auf fünf modii (rund 43,75 Liter) fest, was einer Gesamtausschüttung von etwa 8,75 Millionen Litern im Monat entspricht [auf der Grundlage von Sali. hist. 3. 48 (61). 19], Das reichte für die Gesamtbevölkerung nicht aus, weswegen ein freier Markt nötig war. U b e r den ist wenig bekannt, aber dort m u ß mindestens die doppelte M e n ge dessen verhandelt worden sein, was kostenlos verteilt w u r d e [Sirk 127; R i c k man, in: 72, S. 263; Casson, in: 72, S. 22f.; R i c k m a n 125, S. 171]. Hinzu k o m m e n noch die R a t i o n e n für die Garnison von R o m u n d das Verwaltungspersonal. Da die Seefahrt auf eine kurze Zeit beschränkt war, u n t e r n a h m e n die ägyptischen Schiffe oft nur eine H i n - u n d R ü c k f a h r t (ungefähr zwei Wochen Hinfahrt und ein bis zwei M o n a t e R ü c k w e g [Rickman, in: 72, S. 266]) und fanden sich oft in großer Zahl im Hafen. Im Jahr 62 gingen 200 Schiffe in Claudius' Hafen unter [Tac. ann. 15. 18. 3], was nach einer mittleren Schätzung ein Viertel der Jahresverpflegung bedeuten w ü r d e [Lo Cascio, in: 11, 1]. Einige Papyri zeigen zudem, daß die Hafenarbeiten lange dauern konnten: 12 Tage zwischen Ankunft und Entladung, dann noch einmal zwei W o c h e n bis zur G e n e h migung der Abfahrt [Hunt, Selected Papyri, I, 113]. In R o m selbst, w o die H a fenanlagen fast 2 k m auf beiden Tiberufern einnahmen [Castagnoli, in: 72], dienten zahlreiche private, später kaiserliche Depots als Kornspeicher [Rickman 125], D e r Lagerpreis in den horrea von Puteoli ist durch ein pompejanisches T ä felchen bekannt, nämlich ein Sesterz im M o n a t für etwa 75 t Waren. Es handelte sich also nur u m einen symbolischen Preis [Casson, in: 72, S. 26]. Die spätantiken Regionenverzeichnisse nennen 35 horrea in R o m , die sich wahrscheinlich größtenteils beim Aventin befanden. Was wir aus den wenigen einschlägigen Papyri über den Getreidepreis wissen, ist, daß er an den Produktionsorten großen saisonalen Schwankungen unterlag [Duncan Jones, Structure and scale, 1992, S. 145-151]. Die Aufgabe von Präfekt und Kaiser bestand darin, Versorgungskrisen in R o m zu verhindern. So bezahlte 19 n. Chr. Tiberius den H ä n d lern einen Ausgleich von zwei Sesterzen pro modius, damit sie das Korn zu ein e m akzeptablen Preis ans Volk verkaufen konnten [Rickman 126, S. 147], D e r Kaiser konnte die Marktpreise nicht willkürlich festlegen, aber er hatte sie zumindest dadurch m e h r oder weniger im Griff, daß er seine eigenen Vorräte auf den Markt werfen konnte. Aber mitunter kam es dennoch zu Problemen: 32 n. Chr. führte der h o h e Getreidepreis zu U n r u h e n [Tac. ann. 6. 13. 1; Lo Cascio, in: 11, 1, S. 246]. W i r wissen über die Marktpreise für K o r n in R o m eigentlich nichts. Trotz einiger Unklarheiten ist die Zahl der Empfänger öffentlichen G e treides besser bekannt. Die Verteilungen unter Augustus gingen an 100 000 bis 320 000 Personen. Er scheint eine endgültige Zahl von 150 000 festgelegt zu haben, die noch 202 n. Chr. belegt ist [Cass. Dio 55. 10. 1; 76. 1. 1; Virlouvet 128, S. 187; R i c k m a n 126, S. 176-184],
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1. 2. 3 Die große Baustelle Das Ende der Kämpfe um die Magistraturen und der persönlichen Triumphe bedeutete auch das Ende der Triumphalbauten. Das Taurusamphitheater und die Portikus des Marcius Philippus i. J. 29 sowie das Baibustheater von 13 v. Chr. sind die letzten Beispiele [Suet. Aug. 28. 4-5]. U m die Popularität der M a gistrate zu beschränken sowie die eigene zu sichern und auch um ein Minimum an Planmäßigkeit zu gewährleisten, nahm Augustus das öffentliche Bauwesen in seine Hand, wobei er seiner engeren Umgebung (zumal Agrippa) die Verantwortung fur bestimmte Gebäude oder Stadtbezirke übertrug. Das Marsfeld ζ. B. wurde faktisch zu den kaiserlichen Gütern geschlagen. Sofort nach dem Tod Caesars gab Augustus seinen Bauten ein „römisches", bürgerliches Aussehen, um sich von der monarchischen Konnotation der letzten Arbeiten des Diktators zu distanzieren. Sein urbanistisches Modell war weniger ambitioniert, dafür pragmatischer als das Caesars [Coarelli, in: 5, S. 68-80]. Das Mausoleum, mit dessen Bau wahrscheinlich schon vor Actium begonnen wurde, ist sichtbar römisch geprägt, wenn auch seine Monumentalität eher an Alexander den Großen denken läßt [H. von Hesberg, in: 5, S. 245-250; Coarelli/Thébert, in: M E F R A 100 (1988-2) 790-798]. Der öffentliche Nutzen und die Frömmigkeit standen bald im Zentrum von Augustus' Bautätigkeit [Coarelli, in: 11, 1, S. 29f.]. 28 v. Chr. wurden 82 Tempel restauriert, wobei die Namen der Stifter belassen wurden [R. gest. 20. 4]. Die Ausschmückung des Forums, was die Verschleierung der Macht der alten großen Familien erlaubte, sollte R o m eine urbane Eleganz verleihen, die seiner Macht entsprach [Coarelli, Il foro romano, 2, R o m 1992]. Die Einweihung des Augustusforums [Nr. 44] im Jahr 2 v. Chr. gab der neuen Dynastie einen unvergleichlichen Propagandaort, der in explizit „römischem" Stil gehalten war [Ganzert/Kockel, in: 5, S. 149-199; Zanker, Il foro di Augusto, R o m 1984; E. La R o c c o (Hg.), I luoghi del consenso imperiale, R o m 1995]. Formal griff das Augustusforum, dieses größte patrizische Atrium aller Zeiten, auf eine aristokratische Spache zurück, deren Symbolik teilweise nur Eingeweihten verständlich war. In diesem Sinne und auch darin, daß er Foren und Tempel bevorzugte, zeigte sich Augustus noch ganz als Mann der Republik [Hölscher 136]. Die Ambiguität war also die Regel. Der Architekt des neuen Regiments verkleidete mit (freilich italischem) Marmor die traditionellen Bauwerke, ganz wie das Kaiserreich sich mit den Formen der Republik verkleidete [Zanker 143]. Das erste öffentliche Bad Roms wurde im Namen Agrippas [Nr. 22] und nicht Augustus' gebaut, um das Märchen von der Restauration der R e publik zu bewahren. Dieselbe Tendenz läßt sich in den italischen Städten feststellen, wo man Foren, Tempel und Orte des öffentlichen Lebens (Kurien, Basiliken) errichtete [Zanker, in: 6, S. 259-284]. Seine Nachfolger waren teilweise sparsamer, wie Tiberius, der das Prätorianerlager [Nr. 69] errichtete und Milliarden von Sesterzen ansparte, teilweise eher persönlichen Ausgaben zugetan, wie Caligula, der ein Vermögen für Vergnügungen ausgab, oder Nero, der sich den Luxus einer gigantischen Villa, der domus aurea, inmitten der Stadt leistete
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[bedeckte die Nr. 47, 49-51, 58-64] und damit ein Laster der römischen Aristokratie ins Maßlose steigerte, das schon Varrò gegeißelt hatte [rust. 1. 13. 6-7; Steinby 158, II, S. 49-64]. N u r Claudius, der neue Aquädukte, die porticus Minucia frumentaria für die Getreideverteilungen [Nr. 26?; Virlouvet 128, S. 373-380] u n d einen Hafen in Ostia baute, wandte sich ganz im Sinne von Augustus dem öffentlichen Interesse zu. Die Flavier betrieben eine explizite Politik des Gemeinnutzes, indem sie die domus aurea teilweise abreißen ließen, u m Platz zu gewinnen für das erste steinerne Amphitheater R o m s , das Kolosseum [Nr. 58], sowie fur die Titusthermen [Nr. 59] und das Paxforum [Nr. 46; C o n forti/Diebner, Anfiteatro flavio, R o m 1988]. Ferner m u ß t e das Kapitol [Nr. 39] restauriert werden, das 69 abgebrannt war. Domitian, der letzte Kaiser dieser Dynastie, entfaltete eine Bautätigkeit in der G r ö ß e n o r d n u n g des Augustus [es fehlt an einer Monographie]. Er restaurierte das 80 n. Chr. zerstörte Marsfeld. D o r t erbaute er ein Stadion [Nr. 11, heutige Piazza Navona] und ein O d e o n [Nr. 23]. Anläßlich des Neuaufbaus abgebrannter Stadtviertel legte er wie N e r o urbanistische N o r m e n fest, an die man sich aber nicht hielt. Er verband A u g u stusforum u n d Paxforum durch ein langes u n d enges F o r u m [Nr. 45], das Nerva weihte und dessen Schmuck vom augusteischen Klassizismus geprägt war [Meneghini, Il foro di Nerva, R o m 1991]. Er veränderte den Kaiserpalast [Nr. 51] erheblich, baute auf dem alten F o r u m [Nr. 41] einen Tempel fur Vespasian und Titus u n d errichtete auf d e m Quirinal das templum gentis Flaviae [R. Paris (Hg.), D o n o Hartwig, R o m 1994]. Es ist schwierig, die Stellung der kultischen G e bäude innerhalb des Bauprogramms von Domitian einzuschätzen. Sie scheint gewichtig zu sein u n d damit m e h r auf das Vorbild des Augustus denn auf das von N e r o oder sogar Vespasian oder Titus zu verweisen, die in erster Linie den O r t e n der Vergnügungen große Bedeutung beigemessen hatten. U m zu einer weniger monarchischen Politik zurückzukehren, betrieben die ersten Adoptivkaiser eine aktive Baupolitik im öffentlichen Bereich. Traian übertrug seinem Architekten Apollodoros von Damaskus die Errichtung des größten Forums der Stadt [Nr. 43]. Das war das letzte kaiserliche Forum, aber das erste, das sich als öffentlicher R a u m darstellte, indem der Tempel in einen Annex zurückgedrängt w u r d e [Hölscher 136]. Das Ganze w u r d e mit der b e r ü h m t e n Traianssäule mit ihren historischen Reliefs geschmückt u n d mit einem großen Markt vervollständigt, der sich über mehrere Etagen zog. D e r Kaiser finanzierte seinen M i t bürgern ferner einen großen Thermenbereich [Nr. 60], vielleicht die ersten großen Kaiserthermen (wir wissen zuwenig über die Titusthermen). A u c h O s t ia baute er fast ganz wieder auf (aber vielleicht hatte schon Domitian mit den Arbeiten begonnen [Pavolini, La vita quotidiana a Ostia, R o m / B a r i 1986]) u n d konstruierte dort den ersten echten permanenten Hafen (die Anlage von Claudius hatte sich als unbrauchbar erwiesen). Hadrian vollendete die Bauten in Ostia, wandte sich aber in R o m einer Prestigepolitik zu, indem er die Stadt mit zwei repräsentativen Bauten versah: mit d e m Pantheon, auf dem er Agrippas N a m e n ließ [Nr. 13], und d e m Tempel von Venus u n d R o m a [Nr. 49], der ebenso gigantisch wie häßlich war. Apollodoros von Damaskus kostete es an-
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geblich das Leben, dies dem Kaiser u n d Architekten gesagt zu haben. U m nicht als zweiter N e r o zu erscheinen, ließ er sich seinen Palast außerhalb von R o m errichten. Dort, in Tivoli, konnte er sich zur Entspannung zurückziehen, aber auch seinen Amtsgeschäften nachgehen [Boatwright 144]. Die letzten Antonine waren offensichdich der Meinung, daß R o m genug ausgebaut sei. Erst die Severer an der Wende vom 2. zum 3. Jh. verfolgten wieder eine öffentliche Bautätigkeit, indem sie zahlreiche Gebäude wiederherstellten, die beim Brand vom 191 zerstört worden waren, und das Septizonium (nur durch alte Zeichnungen b e kannt), die Caracallathermen [Nr. 73], das Quirinalsserapeum [Nr. 65; der größte Tempel R o m s ] , den Heliogabaltempel auf dem Palatin [Nr. 50?] u n d den letzten Aquädukt R o m s , die aqua Alexandriana, hinzufügten. Das war die letzte große Bauphase. N u r Aurelian ist mit der Stadtmauer und dem templus Solis [Nr. 8] im 3. Jh. eine Ausnahme vor der Zeit von Diocletian [Thermen, Nr. 67], Maxentius [Basilika, Nr. 47] u n d Konstantin [Thermen, Nr. 66]. Es ist schwierig, ein kontinuierliches Programm zu erkennen, und vielleicht gab es keine kohärente Politik des Kaiserregimes, sondern nur Improvisationen der einzelnen Kaiser, j e nach den politischen Planungen u n d den verfügbaren Mitteln. Die severische forma urbis verrät die O h n m a c h t der Kaiser, die Bebauung R o m s planmäßig zu gestalten [Staccioli, in: 62, S. 214]. Das Kaiserregime ermöglichte große Bauten, die vorher nicht zu verwirklichen gewesen wären. Das Kolosseum, das die Zeitgenossen staunen ließ, hatte nur durch eine in der Republik undenkbare Konzentration finanzieller Mittel gebaut werden können. In den zwei Jahrhunderten läßt sich eine Entwicklung (übrigens in ganz Italien) feststellen: An Bedeutung gewannen die O r t e des Vergnügens, insbesondere die T h e r m e n (zu Beginn des 4. Jh.s zählten die Regionenverzeichnisse 11 große Bäder u n d 856 kleine), die das Volk den Luxus großer Villen mitten in der Stadt erleben ließen [ D u r e t / N é r a u d a u 149, S. 257; Zanker, in: 6], während die B e deutung der O r t e traditioneller Kulte und der Theater sank. Dies zeigt das langfristige Scheitern von Augustus' religiöser und öffentlicher Restauration. Die Begeisterung für die T h e r m e n führte sogar zum Import von Feuerholz aus Afrika [Meiggs, in: 72, S. 194], Ein kurzer Blick auf eine Karte zeigt den stetig wachsenden R a u m , den die kaiserlichen Bauten einnahmen. Allein die Caracallathermen bedeckten wahrscheinlich eine größere Fläche als alle republikanischen Tempel zusammen. R o m war die bevorzugte Baustelle der Kaiser, u n d dort zeigten sie die Formen, in die sie ihre Macht kleiden wollten. D e r Gegensatz zwischen den Bauten Neros und Vespasians ist offensichtlich. Domitians Bautätigkeit w u r d e n o c h nicht gründlich aufgearbeitet. Die Motive des Dekors oder die Wahl eines besonderen Gebäudetyps drückte nicht die F o r m des R e g i ments aus — dieses wandelte sich immer weiter zum Absolutismus - , sondern zeigte lediglich den Stil des jeweiligen Kaisers u n d die dominanten moralischen Werte seiner Zeit. R o m war das Z e n t r u m der römischen Architektur: Was hier entstand, w u r d e im ganzen R e i c h kopiert [Gros, La France gallo-romaine, Paris 1991],
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1. 3 Die Provinz Sizilien 1. 3. 1 Natürliche Gegebenheiten und Kulturen Die Ausdehnung der größten Insel des Mittelmeers wurde von den Autoren der Antike deutlich unterschätzt. Dagegen war ihre besondere Lage — ganz nah an Italien und 150 km vor Afrika - offensichtlich. Eine von Plinius dem Alteren [nat. 3. 8. 86] referierte Quelle meint, daß Sizilien früher mit Bruttium zusammenhing. Die Verschiedenartigkeit des Reliefs und die Fruchtbarkeit des B o dens erklären die Anziehungskraft der Insel. Während große fluviale Ebenen (wie z. B. die von Catana) selten waren, gab es zahlreiche Hügelregionen, die für den Getreideanbau sehr günstig waren. Mehrere griechische Städte waren dort entstanden. Der Ätna (heute etwas mehr als 3 300 m hoch) war gleichermaßen permanente Bedrohung (es gibt allerdings keinen Bericht über einen größeren Ausbruch in der Antike) und Quelle des Wohlstands für die Bauern, die die reichen vulkanischen Böden der Region von Enna bearbeiteten. Es gibt noch zuwenig palynologische Untersuchungen, als daß man eine Beschreibung der antiken Umwelt versuchen könnte, folgt man aber den literarischen Quellen, so war Sizilien viel bewaldeter als heute. Möglicherweise war das antike Klima etwas feuchter. Die Entwaldung begann zwar wahrscheinlich schon in römischer Zeit, nahm aber erst ab dem 16. Jh. ein katastrophales Ausmaß an [Wilson 185, S. 7], Die Fruchtbarkeit des antiken Sizilien steht fest: Plinius der Altere [nat. 18. 70] beschreibt ein Frühlingsgetreide, und die ersten Analysen von Makroresten führten bereits zur Identifizierung von vier verschiedenen triticumSorten (Zerealiengruppe, die Weizen und Dinkel umfaßt). Für den Olbaum besitzen wir nur wenige Belege. Doch die Verpachtung des Zehnten auf Q l impliziert die Existenz einer größeren Qlproduktion. Bestimmte sizilische Weine waren geschätzt, wie der von Taormina, den man auch exportierte. Das Mesopotamium aus Gela kam bis Vindonissa (Windisch in der Schweiz). Martial [13. 117] rühmt alten Messinawein. Siziliens Spezialisierung auf Getreide war eine Konstante während der ganzen Antike. Das Klima und die Bodenbeschaffenheit boten dafür die idealen Voraussetzungen, wozu die entsprechenden politischen Interessen Roms kamen, das auch nach der Eroberung Ägyptens nicht auf das Korn Siziliens verzichten konnte, wenn auch, so E. Gabba, die Fixierung eines festen Stipendium durch Caesar oder Augustus die Monokultur geschwächt habe.
1. 3. 2 Die Aufrechterhaltung des Provinzstatus und die Koloniegründungen Strabon [6. 1. 15] fährt nach seiner Beschreibung Italiens mit Sizilien fort, ohne eine klare Grenze zu ziehen. Dies entspricht seinem gewöhnlichen Vorgehen, Inseln im Anschluß an das Festland zu behandeln. Da sich Italien per definitionem nicht über das Meer ausdehnen konnte, blieben die beiden ersten römischen Provinzen Sizilien und Sardinien während der ganzen Hohen Kaiserzeit Provin-
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zen und wurden nie Teil Italiens. Sizilien war nicht, wie man mitunter liest, „ein externer Bezirk Italiens" [Finley 174, S. 154]. Erst durch die R e f o r m e n von Diocletian und Constantin wurde Sizilien Teil der Diözese Italia Suburbicaria unter einem corrector bzw. (später) unter einem consularis. Auch Sardinien, Korsika und Rätien wurden damals zu Italien geschlagen. Daß Sizilien die einzige Provinz war (Claudius dehnte dies später auch auf die Narbonensis aus), in die sich Senatoren ohne Erlaubnis begeben konnten [Tac. ann. 12. 23. 1] bedeutet lediglich, daß sich dort viele senatorische Domänen befanden und Sizilien nicht als politisches Risiko angesehen wurde. Die Aufrechterhaltung des Provinzstatus während der Kaiserzeit bedeutete auch den Fortbestand der Steuern, die vielleicht die Form eines Stipendium annahmen, das unter Augustus (i. J. 27 nach G. Mangarano) oder möglicherweise schon unter Caesar (nach G. d e mente) festgesetzt worden war. Es ist unbekannt, ob es in Naturalien oder bar erhoben wurde [Wilson 185, S. 35; Finley 174, S. 153; Mangarano 177, S. 451; d e m e n t e 171, S. 461]. In jedem Fall bedeutete dieses Stipendium nicht das Ende der Getreideausfuhren. Im Gegensatz zu vielen anderen Provinzen wurden während der Republik keine Kolonien auf Sizilien gegründet, und es gab keine Versuche, durch die Vergabe von bevorzugten Rechtsstellungen die Integration zu fördern, wie man es im Fall der Zisalpina getan hatte, obwohl diese viel später unter R o m s Einfluß geraten war. Taormina datierte einen Vertrag in Aneas' Zeiten [Mangarano, Par. Pass. 29 (1974) 395ff.] und die Centuripini und die Segestani erklärten sich für Verwandte der Lanuvini [Cie. Verr. 2. 5. 83; Mangarano, R e n d . Accad. Napoli 38 (1963) 23-44], Erst Caesar verlieh kurz vor seinem Tod den sizilischen Städten das latinische Recht, sehr zum Unwillen Ciceros. Kurz danach gab Antonius den Siziliern das römische Recht, wobei er sich auf die Planungen des toten Diktators berief, dessen Archive er besaß [Cie. Att. 14. 12. 1], Die Städte begannen daraufhin, Münzen zu prägen, die Duumvirn nannten. Es gab sogar, was für Sizilien die große Ausnahme ist, einige Münzen mit lateinischer Legende [Mangarano 177, S. 448]. Die Annullierung der Verordnungen des Antonius durch den Senat Ende 4 4 / 4 3 blieb ohne Auswirkungen, zumal sich Sex. Pompeius, der letzte lebende Sohn des Pompeius, auf Sizilien und Sardinien festgesetzt hatte [App. civ. 4. 84-86; Cass. Dio 48. 17. 4-19]. Ihm schlossen sich entflohene Sklaven an, aber auch Proskribierte und die Gegner der Triumvirn, so daß Sex. Pompeius bald ein buntscheckiges, aber schlagkräftiges Heer auf die Beine stellen konnte, das auf Seeraub ausging und aus dem Land lebte. Sardinien übergab ein Untergebener des Sex. Pompeius an Octavian, doch Sizilien leistete Widerstand. 36 v. Chr. beschlossen die Triumvirn, dem ein Ende zu machen, und vernichteten die Truppen des Sex. Pompeius in einem blutigen Gefecht, an dem mehrere Dutzend Legionen teilnahmen. M. I. Finley schätzt die Truppenstärke auf rund 200 000 Mann und 1 000 Schiffe. R . Syme nennt die Zahl von 40 Legionen, G. Mangarano und G. d e m e n t e gehen von 45 Legionen aus [Finley 171, S. 149; Syme, R o m a n revolution, S. 233; Mangarano 176, S. 450; d e m e n t e 171, S. 465], Die Sieger kannten keine Gnade. Messina wurde zur
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Plünderung freigegeben, 3 0 0 0 0 Sklaven an ihre Besitzer zurückgegeben, 6 0 0 0 gekreuzigt [Oros. 6. 18. 33]. Man deportierte die Einwohner von Taormina und Lipari. Zusätzlich zu den üblichen Steuern setzte man eine Entschädigung von 1 6 0 0 Talenten, also 4 6 0 0 0 0 0 Denaren, fest [Appian civ. 5. 129; Diod. 16. 7. 1; Mangarano 178, S. 14]. Diese gigantische Summe reichte aber nicht einmal für die Geldzahlung aus, die Octavian seinen Soldaten leistete: Jeder Kampfteilnehmer erhielt 5 0 0 Denare [Mangarano 176, S. 450]. Nach Octavians Sieg war Sizilien, so die Quellen einhellig, verarmt und von Räubern geplagt. In den folgenden Jahren wurden einige Kolonien auf der Insel gegründet. Dies geschah also in Sizilien später als in Afrika, Spanien, Gallien oder Makedonien. D i e Frage nach dem Status der sizilischen Städte nach Naulochos ist heftig umstritten. Keine Quelle sagt explizit, daß Octavian das von Caesar verliehene latinische R e c h t wieder abgeschafft habe. Deswegen nehmen zahlreiche G e lehrte an, daß Sizilien insgesamt latinisch blieb [Mangarano 177, S. 451f.; d e mente 171, S. 466], außer den Kolonien und den oppida civium Romanorum von Messina und Lipari. G. Mangarano [178, S. 10] erklärt damit die geringe Zahl von Senatoren und Legionären sizilischer Herkunft, aber dies würde sich auch nicht anders verhalten, wenn die Städte peregrin gewesen wären. Unsere Hauptquelle (der manchmal die Inschriften widersprechen) ist die Liste bei Plinius dem Alteren [nat. 3. 8 6 - 9 4 ] , die fünf Kolonien (Taormina, Catana, Syrakus, Termini Imerese und Tindari), drei Gemeinwesen Latinae condicionis (Centuripini, Netini, Segestani) und steuerpflichtige oppida nennt. Nimmt man diesen Text wörtlich (wie M . I. Finley [174, S. 152], E. Gabba [Del buon uso della ricchezza, Mailand 1988, S. 169] und R . J . A. Wilson [185, S. 35-37]), heißt das, daß die meisten sizilischen Städte nach dem kurzfristigen Besitz des latinischen und römischen Rechts wieder peregrin wurden. Andere Historiker, die einer Korrektur von K. J . Beloch [Die Bevölkerung der griechisch-römischen Welt, Leipzig 1886, S. 327] folgen, glauben, daß alle Städte latinisch waren und daß Centuripe, Neto und Segesto zusätzlich immunes waren [Mangarano 178, S. 18-21; Mangarano 177, S. 452], d. h. von direkten Steuern befreit. Es ist freilich methodisch fragwürdig, einen syntaktisch einwandfreien Satz zu verändern. Plinius' Liste, mit all ihren Fehlern, basiert auf zwei offiziellen Dokumenten, nämlich der Reichskarte und den „Kommentaren" Agrippas [Plin. nat. 3. 5. 46]. Folgt man Plinius, so gab es einerseits Kolonien (römischen Rechts), nämlich Taormina, das vielleicht schon 3 6 v. Chr. gegründet wurde [Mangarano 178, S. 14; Finley 174, S. 152 und Wilson 185, S. 35 sind zurückhaltend] und wo man einen römischen Kalender fand, der sich vor 19 v. Chr. datieren läßt, Catana, Syrakus, Termini Imerese (entstanden durch Deduktion der 20. Legion?) und Tindari, die 21 v. Chr., während Augustus' Aufenthalt in Sizilien [Cass. D i o 54. 7. 1], gegründet wurden, sowie Palermo, das nach dem Zeitpunkt der Redaktion der Pliniusliste entstand (vielleicht 14 v. Chr.). Dazu kommen drei latinische Städte, nämlich Centuripe (das für Octavian Partei ergriffen hatte), Neto und Segesta, ferner steuerpflichtige oppida (die meisten Städte) und zwei oppida civium Romanorum, Messina und Lipari. Man hat vorgeschlagen,
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diese oppida avium Romanorum mit Munizipien [Mangarano 178, S. 152; d e mente 171, S. 467] oder conventus civium Romanorum zu identifizieren [L. Teutsch, Das Städtewesen in Nordafrika, Berlin 1962, S. 27-51], aber keine dieser beiden Lösungen kann befriedigen. Vielleicht waren diese Orte einfach nur Gemeinwesen römischer Bürger außerhalb Italiens ohne formelle Koloniegründung (seit der Ankunft der Mamertiner im 3. Jh. war Messina ein Ort römischer Bürger gewesen). Die Hypothese des Status eines „römischen Munizipiums" für Lipari und Messina kann nicht überzeugen. G. d e m e n t e [171, S. 467] glaubt, daß es sich bei Messina um eine „Wiedergutmachung" handele und daß in Lipari dieser Status die Folge der Deportation der Einwohner gewesen sei (es habe also eine Deduktion gegeben, um sie zu ersetzen). Doch wurden beide Städte gleichermaßen als verräterisch angesehen, und in keiner Quelle ist von einer Steuerbefreiung die Rede. Ferner wurde das sardinische Cagliari, das stets treu und von Anfang an caesarisch war, ein oppidum civium Romanorum. Es ist natürlich möglich, daß der Status einiger Städte schnell verändert wurde. Wir kennen Widmungen der Munizipien Halaesa und Haluntium an Augustus sowie Münzen der Munizipien Agrigent und Lilybaion (das heutige Marsala) . In Tripi (einer nicht identifizierten Stadt) sind Duumvirn seit dem Ende des 1. Jh.s belegt. Umgekehrt gibt es keinerlei Belege für Bulen in der Kaiserzeit (jedoch ist das inschriftliche Material sehr gering) [Wilson 185, S. 42f.]. Fest steht nur: Vespasian deduzierte Kolonien in Palermo (das vielleicht schon unter Augustus kolonisiert wurde) und Segesta, und Lilybaion erhielt den Titel Kolonie wahrscheinlich i. J. 193. Die Frage nach dem Status der sizilischen Städte ist ziemlich kompliziert. Allein epigraphische Neufunde könnten zu einem klareren Bild führen. Bei der Teilung von 27 v. Chr. fiel Sizilien, das man für befriedet hielt und deswegen nicht mit Truppen ausstattete, an den Senat. Seine Statthalter waren Prokonsuln prätorischen Ranges, denen Quästoren zur Seite standen. G. Clemente [in: Sartori 180, S. 282] hat daraufhingewiesen, daß die Statthalter der hohen römischen Aristokratie angehörten, was die Bedeutung zeigt, die man der Provinz beimaß. Möglicherweise besaßen diese Aristokraten private Interessen als Großgrundbesitzer. Auch Prokuratoren sind belegt, was die Ausdehnung der Kaiserdomänen und die Wichtigkeit dieser Getreideprovinz in der kaiserlichen Politik zeigt.
1. 3. 3 Die Siedlungen und die Bodennutzung Die Städte Siziliens erlebten in den letzten Jahren der Republik und mehr noch zu Beginn der Kaiserzeit tiefgreifende Veränderungen. Möglicherweise trug die Gründung von Kolonien in sieben Städten zu dieser Entwicklung bei, wie Strabon [6. 1. 6] feststellt. Wieviele Veteranen deduziert wurden, ist unbekannt. P. A. Brunt [66, S. 331] schlägt 3 000 Siedler fur Taormina vor, aber das ist nur eine Hypothese, denn Augustus [R. gest. 28] liefert ausschließlich Gesamtangaben. R . J. A. Wilson [185, S. 39] hält diese Zahl für inkompatibel mit den kulti-
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vierbaren Flächen in der Umgebung. Nach G. Mangarano waren die Kolonisten in ihren Zielstädten in der Minderheit. E. Gabba meint, daß die Kolonien zur Wiederbevölkerung einiger griechischer Städte, die unter dem Krieg gelitten hatten, gedient hätten, ohne daß sie einen Bevölkerungszuwachs gebracht hätten [Gabba, Del buon uso della ricchezza, Mailand 1988, S. 166]. Es gibt ferner keine Belege für Landzuweisungen an Veteranen in Sizilien (außer in Himera/ Termini Imerese [CIL X 7349]). Die Bautätigkeit konzentrierte sich auf die neuen Kolonien sowie auf Lilybaion, das zwar diesen Status nicht besaß, aber ein wichtiges Verwaltungszentrum war [Belvedere 170, S. 348]. Umgekehrt verfielen einige griechische Städte seit der Mitte des 1. Jh.s und wurden später aufgegeben oder verloren ihren Status als Stadt und gelangten unter die Kontrolle einer größeren Nachbarstadt [Mangarano, in: 58, II, S. 373]. Morgantina, Megara Hyblaea, Leontinoi und Camarina verschwanden um die Mitte des 1. Jh.s. Solunto wurde wenig später aufgegeben, vielleicht, weil man in die Ebene umzog. Pausanias [5. 23. 6; Mangarano 177, S. 453] vermerkt, daß von den beiden Hybla genannten Städten die eine zu einem D o r f der Catanier, die andere aufgegeben und Bestandteil des Territoriums von Catana geworden sei. Die Ergebnisse der Schweizer Grabungen in Monte lato sind repräsentativ für eine solche Stadtentwicklung. Das Theater wurde in augusteischer Zeit renoviert, diente aber schon seit tiberischer Zeit als Wohnbereich. Das Buleuterion wurde bald nach Augustus zugemauert. Seit der Mitte des 2. Jh.s verfielen die Tempel, ohne daß die Stadt ganz aufgegeben worden wäre. Wahrscheinlich kann man daraus schließen, daß sich die Siedlungsgewohnheiten in der Kaiserzeit rasch veränderten. So verkleinerte sich die urbane Siedlung in Castello di Marianopoli, während im Umland Dörfer und Gehöfte entstanden. Dank der pax Augusta wurde die defensive Funktion zahlreicher Städte im Binnenland hinfällig, und die Menschen zogen es wohl vor, sich an den Orten des Anbaus und der Tierzucht anzusiedeln. Es könnte also eine Veränderung der Siedlungsgewohnheiten gegeben haben, man muß nicht notwendigerweise einen demographischen Niedergang annehmen [Wilson 185, S. 144-155]. Wenn Städte günstig lagen oder einen privilegierten Status besaßen, hielten sie sich gut, wie etwa Centuripe, wo noch im 2. Jh. viel gebaut wurde [G. Libertini, Centuripe, Catana 1926]. Man wollte die hadrianischen Münzen von 123 mit der Legende restitutor Siciliae mit einem zumindest teilweise kaiserlich finanzierten Bauprogramm in Zusammenhang bringen [ d e m e n t e 171, S. 469; Belvedere 170, S. 363], Doch wenn es dieses Bauprogramm gab, so hat es kaum archäologische Spuren hinterlassen, wenn man von der Instandsetzung der Theater von Taormina und Catana absieht [Belvedere 170, S. 364-370]. Die Kolonien sowie Messina, Lilybaion und Agrigent blieben auch in der Kaiserzeit große Städte. Syrakus, die bei weitem größte sizilische Stadt, hatte rund 280 ha und erreichte damit die Größe von Trier (285 ha), aber Catana mit 128 ha war gerade so groß wie Paestum (126 ha) und kleiner als Nîmes (220 ha), und Lilybaion (77 ha) war kaum größer als die Kleinstadt Pompeii (64 ha) [Wilson 185, S. 171].
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Die schwache städtische Entwicklung zusammen mit der Bedeutung Siziliens als Kornproduzent [zu Unrecht bezweifelt von G. d e m e n t e 171, S. 472] läßt ein Wachstum der ländlichen Besiedlung vermuten. N a c h dem archäologischen Forschungsstand läßt sich das Modell der „großen Sklavenvilla" kaum auf Sizilien anwenden, und genauso unwahrscheinlich ist, daß der Getreideanbau seit der augusteischen Kolonisation der Wein- bzw. Olproduktion gewichen ist [Mangarano 177, S. 451; Gabba, Del b u o n uso della ricchezza, Mailand 1988, S. 170]. Die Quellen widersprechen sich. N a c h Cicero dominierte der mittlere Besitz zumindest in der R e g i o n von Leontinoi [Duncan Jones, in: Finley, Studies in R o m a n property, Cambridge 1976, S. 13f.; Duncan Jones, Structure and scale, 1992, S. 127f.], während D i o d o r von großen D o m ä n e n spricht. Bei Heraklea Minoa konnten Surveys eine durchschnittliche H o f g r ö ß e von 38 ha ausmachen, was aber nicht ausschließt, daß große D o m ä n e n mehrere Bauernstellen umfaßten. Bei Himera scheint die Konzentration nach der Mitte des 1. Jh.s ν. Chr. stattgefunden zu haben [Wilson 185, S. 21]. Laut G. Mangarano [in: 58, II, S. 373] hat sich die agrarische Struktur Siziliens (hauptsächlich kleine und mittlere Betriebe) in der Kaiserzeit nicht gewandelt „trotz einiger Flecken privater oder kaiserlicher latifundia Im gleichen Sinne stellt J. R . A. Wilson fest, daß die Sklavenrevolten zwangsläufig die Existenz großer D o m ä n e n implizieren, obwohl er davon ausgeht, daß das latifundium nie die dominante Bewirtschaftungsform war. Aber: Sklavenrevolten waren in der Kaiserzeit äußerst selten. E. Gabba [Del b u o n uso della ricchezza, Mailand 1988, S. 172] glaubt, daß der größte Teil des Grundbesitzes in den H ä n d e n abwesender Großgrundbesitzer lag, zu denen insbesondere auch der Kaiser gehörte. A. Giardina weist darauf hin, daß die D o k u m e n t e verschieden interpretiert werden müssen, j e nachdem ob es sich u m ausgedehnte landwirtschaftliche Betriebe oder große Viehzuchten handelt. Er stellt somit die Verbindung in Frage, die man zwischen den seltenen Belegen von Senatoren u n d der Lokalisierung großer D o m ä n e n gezogen hat, und meint stattdessen, daß sich die reichen Grundbesitzer in dem Dreieck H i m era-Lilybaion-Palermo niederließen und an anderer Stelle große D o m ä n e n b e saßen [Giardina, Palermo in età imperiale romana, S. 235f.]. D e r Kaiser verfügte zweifellos über den größten Grundbesitz, allein schon wegen der Konfiskation des Landbesitzes von Sex. Pompeius u n d der Erbschaft von Agrippa, dessen große sizilische D o m ä n e n berühmt waren [Hör. epist. 1. 12. 1]. Caligula erbte zusätzlich das Land eines anderen Sex. Pompeius, des Konsuls von 14 n. Chr. Einige kaiserliche Prokuratoren dieser D o m ä n e n erfüllten auch an anderer Stelle Funktionen, die mit der Kornversorgung R o m s zusammenhingen [Clemente 171, S. 469], Mehrere große Villen sind bekannt, wie die b e r ü h m t e spätantike Villa von Piazza Armerina, bei denen ein großer Saal mit Säulen als Kornspeicher identifiziert wurde. R e i h e n von dolia, die man in kleineren H ö f e n fand, sieht man auch als O r t e der Kornaufbewahrung an. Das zweitwichtigste Produkt Siziliens war die Wolle [Strab. 6. 2. 7]. Ihre Herstellung ist n o c h im 4. Jh. belegt, es gibt aber keinen entsprechenden Eintrag in Diocletians Maximaltarif. Die Bedeutung der Schafe innerhalb der sizili-
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sehen Viehzucht belegen die Knochenfunde des Hofs von Castagna (zweite Hälfte des 1. und 2. Jh.s) in der Provinz Agrigent, wo Schafe und Ziegen 73% des Tierbestands ausmachten. Die riesigen Domänen entstanden vielleicht weniger für den Getreideanbau als vielmehr für die Schafszucht, um den großen kaiserlichen Herden als Weidefläche zu dienen. Eine Inschrift von ca. 100 n. Chr. nennt den magister magnus ovium von Domitia Longina, der Witwe D o m i tians [AE 1985, 483]. 261 n. Chr., während der großen Reichskrise, wird ein „Quasisklavenkrieg" erwähnt, in den vielleicht Sklaven und Freie involviert waren [SHA Gallien. 4. 9], Die spärlichen Quellen zeigen insgesamt, daß Sizilien trotz seiner Außenseiterstellung im Vergleich zu Italien und den romanisierten Provinzen des römischen Okzidents bis zur Spätantike eine Blütezeit erlebte. Seine privilegierte Situation als Hort des Friedens bis zum Vandaleneinfall 440 n. Chr. steigerte den Wohlstand. Für Ausonius gehörten Catana und Syrakus zu den 17 wichtigsten Städten des Reiches, auch wenn sie erst am Ende seiner Liste erscheinen.
1. 3. 4 Die Romanisierung Die Romanisierung Siziliens war sehr begrenzt. Offensichtlich fiel kaum kaiserliche Gunst auf diese Insel. Einige Monumente augusteischer Zeit sind bekannt, aber wer sie finanziert hat, ist unbekannt. Immerhin zeigt das Beispiel Syrakus, wo ein Amphitheater und ein Bogen (Bauformen, die der sizilischen Architekturtradition fremd sind) errichtet wurden, daß man zumindest in den großen Städten das römische Modell durchsetzen wollte. Doch erst unter Hadrian gab es römische Theater und Theater-Odeon-Ensembles [Belvedere 170]. Die Sizilier blieben technisch rückständig. So übernahmen sie das opus caementicium erst unter Augustus, d. h. mehr als 100 Jahre nach seiner Einfuhrung in Italien, und auch danach wurde diese Bauweise nie systematisch verwendet. Auf dem Land blieb sie sehr selten [Wilson 185, S. 22]. Der Ziegelbau in Taormina scheint eine Ausnahme zu sein. Atriumhäuser sind sogar in der Kaiserzeit noch selten, Peristylhäuser griechischen Stils dagegen häufig. Z u Ciceros Zeiten galt noch der griechische Kalender [Cie. Verr. 2. 2. 52. 129], Vor allem die Fortexistenz des Griechischen zeigt, daß die Insel von der großen Akkulturationsbewegung ausgeschlossen blieb, die in den westlichen Provinzen so erfolgreich war. Wenn auch die Anwesenheit von Italikern schon sehr früh belegt ist, z. B. durch die lateinischen Ziegelstempel von Monte lato von ca. 130 v. Chr. [Wilson 185, S. 27], dominierte dennoch die griechische Kultur. Als am Ende des 1. Jh.s die ersten Senatoren sizilischer Herkunft in die Kurie einzogen, handelte es sich dabei hauptsächlich um Nachkommen von Italikern. Es gab so gut wie keine sizilischen Legionäre [Mangarano, in: 58, II, S. 374], G. Mangarano [179] stellt fest, daß das Lateinische nur für offizielle Inschriften und die Markierungen auf den Rängen des augusteischen Amphitheaters von Syrakus verwendet wurde. Man trifft manchmal auf griechische Translitterationen des Lateinischen. N o c h im 3. oder 4. Jh. ließen die Bürger der Kolonie Taormina in R o m eine griechische
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Inschrift anbringen. In der Katakombe S. Giovanni in Syrakus (ca. 350-450) gibt es nur eine lateinische Inschrift, aber n e u n griechische [Finley 174, S. 166]. Auch das Christentum gewann nur langsam an Einfluß. Selbst im 4. Jh. sind die Zeugnisse noch spärlich. Alle diese Indizien zeigen die ländliche Natur Siziliens u n d seine Rolle als einfacher RohstofFproduzent, in der R o m es beließ.
1. 4 Die Provinz Sardinien Sizilien u n d Sardinien besitzen auf den ersten Blick zahlreiche Gemeinsamkeiten. Die beiden größten Inseln des westlichen Mittelmeers sind einander nahe u n d haben das bewegte Relief sowie das Klima gemeinsam. Aber die sardischen Küstenebenen galten als ungesund [Strab. 5. 2. 7; Tac. ann. 2. 85. 2]. Auch hatte es keine griechische G r ü n d u n g auf Sardinien gegeben. Das erklärt nach J. R . A. Wilson [195] zumindest teilweise die urbane Rückständigkeit der Insel und die Existenz einer großen indigenen Bevölkerungsgruppe, die jeder Assimilierung ablehnend gegenüberstand. W ä h r e n d die R ö m e r in Sizilien ihre Verwaltung dem griechischen Modell anpaßten u n d dabei teilweise der lex Hieronica folgten, betrieben sie auf Sardinien - wie schon die Karthager - eine brutale Ausbeutungspolitik. M a n m u ß also zwischen den beiden Provinzen trennen, wie dies übrigens auch die Schriftsteller der Antike tun. Da die Archäologie auf Sardinien erst seit sehr kurzer Zeit intensiv betrieben wird, müssen wir uns im w e sentlichen noch mit den klassischen Quellen des Historikers begnügen, also mit den literarischen Texten und einigen wenigen Inschriften.
1 . 4 . 1 Die Beziehungen zu R o m Einer sehr umstrittenen Tradition zufolge wären die Kontakte zwischen R o m und den Sarden sehr alt, da der erste römisch-karthagische Vertrag von 5 0 8 / 7 v. Chr. den R ö m e r n erlaubte, auf Sardinien Handel zu treiben [Polyb. 3. 22]. Ein anderer umstrittener Text [Diod. 15. 24. 2] erwähnt die Entsendung von 500 Kolonisten nach Sardinien im Jahr 386 oder 3 7 8 / 3 7 7 v. Chr. [Meloni 191, S. 452; Mastino, in: 1, S. 34], während der zweite römisch-karthagische Vertrag dies den R ö m e r n doch untersagte. Archäologische Forschungen der letzten Zeit haben Terrakotten latialen und kampanischen Typs zutage gefordert, was zumindest auf Handelsbeziehungen hinweist [Moscati, in: 1, S. 17]. 258 v. Chr. triumphierte L. Cornelius Scipio, der Konsul des Voijahres, de Poenis et Sardinia). R o m konnte in den 230er Jahren wiederholt über die Sarden triumphieren, was zeigt, daß die Insel nicht befriedet war. 227 v. Chr. w u r d e Sardinien Provinz u n d zusammen mit Korsika einem Prätor unterstellt, o h n e daß die binnenländische Bevölkerung völlig unterworfen worden wäre, denn wir hören von Revolten in den Jahren 181-176 u n d 111 v. Chr. (M. Caecilius Metellus) [Meloni 191, S. 458]. D e r sprichwörtliche Ausdruck Sardi venales („Sarden kann man kaufen") [Cie. fam. 7. 24. 2 und öfter] läßt auf die Brutalität der Besatzung schließen. Auf Sardinien scheint es im Gegensatz zu Sizilien keine „befreundete
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u n d freie" Stadt gegeben zu haben [Meloni 191, S. 461], Allerdings stand C a gliari seit der Landung von T. Manlius Torquatus 215 v. Chr. treu zu R o m [trotz Florus 1. 22. 35], u n d Italiker siedelten sich auf der Insel an, wie die berühmte Inschrift der auf Sardinien wohnhaften Falisker zeigt [CIL XI 3078]. Caesar hielt es nicht für zweckmäßig, den Sarden dieselben Privilegien wie den Siziliern zu geben, obwohl Cagliari schon 49 v. Chr. auf seine Seite getreten war [Cass. D i o 41. 18. 1; App. civ. 2. 6. 40]. Im Jahre 46 landete er auf Sardinien; wohl bei diesem Anlaß gründete er das Munizipium Kaiares/Cagliari als Dank für die Unterstützung während des Bürgerkriegs. Vielleicht richtete er damals auch eine Kolonie in Turris Libisonis/Porto Torres ein [Mastino, in: 1, S. 35]. Sardinien beteiligte sich kaum am Bürgerkrieg nach Caesars Tod. 40 v. Chr. nahm Sex. Pompeius die Insel ein, sein Legat Menodoros lieferte sie 38 v. Chr. den Triumvirn aus. Die Sarden scheinen während des Konflikts keine einheitliche Position bezogen zu haben. Die Provinz erschien 27 v. Chr. ausreichend befriedet, u m sie dem Senat zu überlassen. Zahlreiche Belege für kaiserliche Freigelassene zeigen jedoch, daß der Kaiser umfangreiche Güter auf der Insel besaß. Die großen D o m ä n e n der Atta, einer Freigelassenen des Nero, w a ren sicherlich zuvor kaiserlich gewesen. W i e in republikanischer Zeit bildeten Sardinien u n d Korsika eine gemeinsame Provinz unter einem Prätor. 6 n. Chr. führten U n r u h e n z u m Eingreifen von Augustus, der Truppen unter einem R i t ter entsandte. 19 zog Tiberius die Legionäre vielleicht zurück und entsandte strafweise 4 000 j u n g e Juden, die man aus R o m vertrieben hatte, „damit sie die R ä u b e r bekämpfen", wobei man auf den schnellen Tod der gepreßten Soldaten im ungesunden Klima hoffte. Claudius ersetzte den Prolegaten durch einen Präfekten. Vielleicht wurden damals Sardinien u n d Korsika getrennt, w e n n auch der erste Prokurator Korsikas erst 69 belegt ist [Vismara, in: Studi Laura Breglia, 1987, S. 61 f.]. Möglicherweise endete unter Claudius auch die militärische B e satzung. 67 gab N e r o Sardinien als Ersatz für das als frei erklärte Griechenland an den Senat zurück, der 69 wegen Auseinandersetzungen zwischen Berghirten und Bauern in der Ebene einen Prokonsul in Begleitung eines proprätorischen Legaten, eines proprätorischen Quästors und seines Verwaltungspersonals entsandte [Meloni 191, S. 468; Mastino, in: 1, S. 36]. Aber als Griechenland an den Senat zurückfiel (wohl 73), machte Vespasian Sardinien wieder zur kaiserlichen Provinz und unterstellte es einem procurator Augusti et praefectus. Dieser ritterliche Beamte war von duzenarischem R a n g u n d üblicherweise ein ehemaliger hoher Offizier. Belege für Magistrate sind selten, aber es gibt einen Prokonsul wohl unter Traían. A m Ende des 2. Jh.s findet sich wieder ein procurator Augusti et praefectus. Spätestens 227 w u r d e er procurator Augusti praeses provinciae Sardiniae und gelangte unter Aurelian zu dem Ehrentitel perfectissimus. Zwei wichtige Fakten lassen sich konstatieren. Erstens war die Provinz dem Kaiser so wichtig, daß er sie durch die Entsendung hoher Magistrate oder ritterlicher Beamter streng überwachte. Zweitens war Sardiniens Kontrolle schwierig, was nicht zuletzt die Garnison der Insel zeigt [Meloni 191, S. 480]. Vermutlich w u r d e das unzugängliche Z e n t r u m der Insel nie wirklich von R o m beherrscht. D o c h steht
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das von den Kaisern gezeigte Interesse an der Aufrechterhaltung der Ordnung in scharfem Gegensatz zu der schwachen Entwicklung der sardischen Städte. Offensichtlich schien die Romanisierung der Insel nie opportun. Wie bei Sizilien wirft der Text von Plinius dem Alteren [nat. 3. 7. 85] mehr Fragen auf, als er Antworten gibt. Die Liste der Städte scheint einer hierarchischen Ordnung zu folgen [Meloni 192, S. 493; Mastino, in: 1, S. 35]. Am Anfang die nicht urbanisierten Völkerschaften, dann folgen die Städte und schließlich die einzige Kolonie, Turris Libisonis/Porto Torres. Die Namen erscheinen wie bei Ptolemaios [3. 3. 6] in der ethnischen Form. Turris Libisonis ist eine colonia Iulia, d. h. eine Gründung von Caesar oder von Octavian vor 27 v. Chr. Turris Libisonis zeigt die Besonderheit, daß man dort keine Spuren der Karthager gefunden hat und daß dort die außerordendich große Zahl von 23 Kurien belegt ist [CIL X 7953; Bd. I, S. 274]. Dazu kommt Uselis/Usellus, colonia Iulia Augusta, das von Ptolemaios [3. 3. 2] als Kolonie genannt wird. P. Meloni schließt aus dem Fehlen dieser Stadt in der Pliniusliste, daß es sich um ein julisches (latinisches?) Munizipium handelte, das ohne Kolonenzuzug augusteische Kolonie geworden sei [Meloni 192, S. 510]. Tharros (am Kap S. Marco) könnte auch den Koloniestatus besessen haben. Neben den Kolonien wurden drei Orte von P. Meloni [190, S. 512] als Munizipien römischer Bürger ausgemacht: Calares/Cagliari, Sulci/S. Antioco und Nora. Aber der Status von Nora kann nicht mit dem von Cagliari gleichgesetzt werden, wenn man den Text von Plinius nicht allzu gezwungen interpretieren will. Im Fall von Sulci ist das Munizipium epigraphisch belegt, nicht jedoch bei Nora. Plinius bezeichnet Cagliari als oppidum civium Romanorum. Eine Inschrift von 83 n. Chr. nennt ein municipium C[...], was man zu C[aralit(anorum)] ergänzt. Der Beleg eines princeps civitatis noch zu Beginn des 3. Jh.s [CIL X 7808] scheint die Fortexistenz eines sardisch-punischen Gemeinwesens neben der römischen Gemeinde zu belegen. Bosa und Olbia waren vielleicht auch Munizipien [Meloni 192, S. 495]. Traían gründete Forum Traiani/Fordongianus auf dem punischen Thermalbad Aquae Hypsitanae, dort, wo sich Hochland und Ebene treffen und wo die Bergbewohner vorbei mußten, wenn sie in die Oristhene wollten. Den Rest der Insel nahmen steuerpflichtige einheimische Städte (die aber vielleicht einen hohen Einwandereranteil hatten) und kaum zu kontrollierende Völkerschaften ein. In B i tia gab es noch gegen Ende des 2. oder zu Beginn des 3. Jh.s Sufeten [Wilson 195, S. 226],
1. 4. 2 Die Romanisierung Die offenkundigsten Zeichen der Romanisierung sind gewöhnlich die Urbanisierung nach römischem Vorbild und die Erlangung privilegierter Rechtsstellungen, durch die indigene Gemeinwesen allmählich an Italien assimiliert wurden. In diesen beiden Hinsichten war Sardinien sehr rückständig, wozu noch eine sehr geringe Entwicklung des Straßennetzes [Meloni 191, S. 473] und eine dürftige Verbreitung des Lateinischen kamen, das sich, nach den Inschriften zu
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schließen, auf die Küsten beschränkte [Secchi, in: 187, VII, S. 644], Laut Plinius dem Alteren und Strabon [5. 2. 7, aber wohl nach älterer Quelle] gab es in Z e n tralsardinien Stämme ohne Städte, die nicht unterworfen waren und vom R a u b lebten [Meloni 191, S. 469f.; Mastino, in: 1, S. 35f.]. P. Meloni hat vorgeschlagen, diese Völker mit einigen Namen in Verbindung zu bringen, die auf Grenzsteinen erscheinen, und sie als adtributi der Küstenstädte zu betrachten [Meloni 190, S. 540], Aber an anderer Stelle erwägt er, in den Ethnonymen dieser Steine die Namen „ländlicher Völker, die den Namen des latifundium übernehmen", zu sehen [Meloni 191, S. 462], W i r haben keinen Beleg für eine adtributio in Sardinien, und der Gebrauch eines Ethnonyms als Bezeichnung für eine große Domäne wäre überraschend. J . R . A. Wilson [195, S. 237] will auf diesen Steinen eine Bestattungssymbolik erkennen. Man sieht, es handelt sich um schwer zu interpretierende Zeugnisse, und allein die Archäologie wird uns über die Völkerschaften Zentralsardiniens aufklären können. R o m brachte neue Architekturformen nach Sardinien, z. B . im Bereich der öffentlichen Monumente. R . J . A. Wilson [195, S. 2 2 2 - 2 2 5 ] stellt fest, daß die Beispiele aus republikanischer Zeit selten sind. Cagliari etwa habe ein TempelTheater-Ensemble erhalten, das direkt von Bauten aus Latium inspiriert sei. D o c h erst in der Kaiserzeit wurden einige Städte Sardiniens mit öffentlichen Bauten (u. a. Thermen) ausgestattet, die in kleinerem Maßstab den römischen Bauwerken folgen. D o c h derzeit sind nur wenige Beispiele bekannt. Die Z i e gelbauweise kam erst gegen Ende des 1. Jh.s η. Chr. auf die Insel — während das opus Africanum sich hielt —, und das typisch italische Atrium-Peristyl-Haus war wie die insula unbekannt [Wilson 195, S. 231], D e r Haupttempel der Insel, der des Sardus Pater (ein kaum bekannter Gott, der Sohn des Herakles, d. h. des Melqart, sein soll) in Antas, wurde zwar als ionischer italischer Tempel 2 1 3 - 2 1 7 umgestaltet, aber er bezieht den älteren punischen Kultort ein [Wilson 195, S. 227; Meloni 191, S. 484f.]. Die Tatsache, daß die für Sardinien charakteristischen Nuraghen (vorgeschichtliche kreisförmige Bauten aus mörtellos geschichteten Steinblöcken) weiter bewohnt wurden, zeigt den kulturellen K o n servativismus der Völkerschaften Zentralsardiniens. Häufig wurden Nuraghen in der Kaiserzeit als Speicher benutzt und durch rechteckige Anbauten ergänzt. So entstand in einigen Fällen eine villa rustica [Pala, in: 187, VII, S. 550], Das bezeichnendste Indiz für die Rückständigkeit Zentralsardiniens ist die belegte Siedlungskontiuität in einigen Höhlen [Lilliu, in: 187, VII, S. 422],
1 . 4 . 3 D a s sardische K o r n D i e R o l l e des sardischen Getreides in der römischen Wirtschaft wird verschieden interpretiert. G. R i c k m a n [126, S. 107] folgt Flavius Josephus, demzufolge Afrika zwei Drittel des römischen Korns geliefert habe und das fehlende Drittel aus Ägypten gekommen sei. Deswegen bezweifelt er die Bedeutung der Insel für die Annona trotz der Angabe Strabons [5. 2. 7], daß die Insel sehr getreidereich gewesen sei. Wenn auch dieses Korn eine quantitativ geringe R o l l e nach
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der Eroberung Afrikas u n d zumal Ägyptens spielte (P. Meloni [191, S. 401] schätzt die sardische Steuer auf ein Drittel der sizilischen), blieb es nah und damit billig. Die Frachter konnten mehrere Fahrten in einer guten Saison unternehmen, während die alexandrinische Flotte selten m e h r als einen H i n - u n d R ü c k w e g bewältigen konnte. Die strafweise Entsendung von 4 000 j u n g e n J u den nach Sardinien 19 n. Chr. „zur B e k ä m p f u n g des Räuberunwesens" wird von G. Marasco [in: 187, VIII, S. 649-659] als Beweis dafür angesehen, daß Sardinien eine wesentliche Rolle in der Kornversorgung in kritischen Zeiten einnahm. Diese Episode gehört nämlich in die Zeit des Tacfarinas-Aufstandes, der wahrscheinlich die afrikanische Produktion verminderte, während gleichzeitig Germanicus die Kornspeicher Alexandrias d e m Volk öffnete u n d damit möglicherweise die Exportmengen Ägyptens verringerte. O b w o h l schon seit langem Weizen auf Sardinien angebaut w u r d e (man kennt mehrere Sorten seit der späten Jungsteinzeit [Piga/Porcu, in: 187, VII, S. 572]), scheint seine Kultur im Vergleich zur Viehzucht bei den in unseren Quellen als primitive R ä u b e r b e schriebenen Völkern weniger wichtig gewesen zu sein [Varrò rust. 1. 16. 2]. Angeblich hatten die Karthager alle Fruchtbäume fällen lassen und bei Todesstrafe die Neupflanzung untersagt. Botanische Analysen (die j e d o c h zugegebenermaßen noch recht rar sind) haben bislang weder Ö l - n o c h Weinbau nachweisen k ö n n e n [Piga/Porcu, in: 187, VII, S. 574]. In einer Anekdote aus der Vita des C. Gracchus [Plut. C. Gracchus 2. 5; Gell. 15. 12. 4] brachten die in Sardinien eingesetzten Offiziere ihren Wein selbst mit (und transportierten dann in den leeren A m p h o r e n die Beute ihrer Räubereien zurück), was gefundene A m p h o r e n belegen, die aus Italien oder R h o d o s stammen. Vielleicht w u r d e aber doch die R e b e zumindest begrenzt in der Kaiserzeit kultiviert, denn M a r tial [9. 2. 6] erwähnt einen schlechten sardischen Wein. Eine Weinkultur in b e grenztem U m f a n g wird heute vermutet [Mastino, in: 1, S. 37], Die besondere Rolle des Korns in der sardischen Landwirtschaft und die Brutalität der Eroberungskriege ließ viele Historiker die Entwicklung von latifundia seit republikanischer Zeit vermuten (so insbesondere P. Meloni u n d A. Mastino). Die Katastrierung eines Teils der Insel möglicherweise schon am Ende des 2. Jh.s ν. Chr. w u r d e als Bestätigung der vollständigen Enteignung unmittelbar nach der Eroberung interpretiert [Mastino, in: 1, S. 36f.]. Aber während unbestritten ist, daß der Kaiser Großgrundbesitzer war, sind große private D o mänen, so wahrscheinlich sie auch in bestimmten R e g i o n e n sein mögen, bislang k a u m belegt. M a n hat auch darauf hingewiesen, daß zahlreiche Nuraghen in fruchtbaren R e g i o n e n weiterbestanden haben und daß folglich die R o m a n i sierung nicht zur Aufgabe der indigenen Plätze geführt habe, wie es hätte geschehen müssen, wäre das Modell der „großen Sklavenvilla" zum Tragen gek o m m e n . Auch hat ein Survey u m F o r u m Traiani keine Spuren der römischen Siedlungsweise nachweisen können. S. L. Dyson und R . J. R o w l a n d Jr. [in: 187, VII, S. 525-532] schließen daraus, daß eine gemischte Wirtschaft fortbestand, die in die römische Marktwirtschaft integriert war. Die Entwicklung
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kleiner Bauernstellen aus bereits existenten Nuraghen läßt vermuten, daß die kleinen und mittleren Höfe nicht verschwanden. Der Kornanbau war nicht Sardiniens einzige Ressource. Die Züchter in den Bergzonen werden Tauschwaren besessen haben, wenn sie mit den Ackerbauern der Ebene zusammentrafen. Neben Rindern (der Rindfleischkonsum war seit der Eisenzeit hoch, und das R i n d war in Porto Torres während der Hohen Kaiserzeit der wichtigste Fleischlieferant), dürfen die Schafe nicht vergessen werden. Möglicherweise wurde viel Wolle über die Küstenstädte exportiert [Piga/ Porcu, in: 187, VII, S. 579f.]. Ferner besaß Sardinien Salinen (schon im 2. Jh. v. Chr. ist ein Salinenpächter belegt [CIL X 7856]) und einige Bergwerke, insbesondere silberhaltiges Blei, aber auch Eisen und Kupfer [Meloni 191, S. 471; Wilson 195, S. 240], Zwei Bleibarren mit kaiserlichem Stempel lassen vermuten, daß die sardischen Minen wie die meisten Minen im R e i c h dem Kaiser gehörten. Dagegen wurde ein Großteil der handwerklichen Güter importiert, vor allem aus Italien und Afrika (Keramik), aber anscheinend kaum aus Sizilien. Die bolli, Markierungen auf Ziegeln, zeigen, daß sogar dieses Schwergut zumindest teilweise aus Italien eingeführt wurde [Wilson 195, S. 228, 232-236]. Insgesamt scheint der Handel mit dem Westen gering gewesen zu sein. Paradoxerweise ist die Zweitälteste Provinz R o m s auch eine derjenigen, die am stiefmütterlichsten behandelt wurde. Trotz der Nähe zu Italien unternahm kein Kaiser jemals eine Romanisierung der Insel. R o m sorgte für R u h e , bezog Rohstoffe aus Sardinien und verkaufte Fertigprodukte auf die Insel.
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[172] d e m e n t e G., Considerazioni sulla Sicilia nell'impero romano (3 sec a. V. - 5 sec. d. C ) , Kokalos 26-27 (1980-81) 192-219. [173] Coarelli F. und M. Torelli, Sicilia (guide archeologiche Laterza), Bari 1984. [174] Finley M. I., Das antike Sizilien, München 1979. [175] Holloway R . R., The archaeology of ancient Sicily, London 1991. [176] Mangarano G., Per una storia della Sicilia romana, ANRW I. 1 (1972) 442-461. [177] Mangarano G., La provincia romana, in: R. Romeo (Hg.), Storia della Sicilia, 1-2, Neapel 1979, S. 442-461. [178] Mangarano G., La Sicilia da Sesto Pompeo a Diocleziano, ANRW II. 11. 1 (1988) 3-89. [179] Mangarano G., Greco nei pagi e latino nelle città della Sicilia „romana" tra I e VI sec. d. C., in: L'epigrafia del villagio, Faenza 1993, S. 543-594. [180] Sartori F., Storia costituzionale della Sicilia antica, Kokalos 26-27 (1980-81) 263-291. [181] Stone III S. C., Sextus Pompey, Octavian and Sicily, AJA 87 (1983) 11-22. [182] Strove J. N„ Imperial Sicily. Some aspects, Classicum 15 (1989) 29-32. [183] Villari L., Ibla Geleate, la villa romana di Piazza Armerina, R o m 1985. [184] Wilson R . J. Α., Trade and industry in Sicily during the Roman Empire, ANRW II. 11. 1 (1988) 207-305. [185] Wilson R . J. Α., Sicily under the Roman Empire. The archaeology of a Roman province, 36 BC - AD 535, Warminster 1990. [186] Kokalos. [Diese Zeitschrift wird vom Institut für Alte Geschichte der Universität Palermo herausgegeben. Dort finden sich regelmäßig archäologische Berichte und Zusammenfassungen für einzelne Fundorte.]
Sardinien [187] L'Africa romana. [Akten der jährlichen Kongresse in Sassari. In jedem Band finden sich ein paar Vorträge zu Sardinien]. [188] Manconi D. und G. Pianu, Sardegna (Guide archaeologiche Laterza), Bari 1981. [189] Meloni P., L'amministrazione della Sardegna da Augusto all'invasione vandalica, R o m 1958. [190] Meloni P., La Sardegna romana, in: A. Boscolo (Hg.), Storia della Sardegna antica e moderna, 3, Sassari 1975. [191] Meloni P., La provincia romana di Sardegna, I, secoli I—III, ANRW II. 11. 1 (1988) 451-490. [192] Meloni P., La Sardegna romana. I centri abitati e l'organizzazione municipale, ANRW II. 11. 1 (1988) 491-551. [193] Rowland Jr R. J., The archaeology of Roman Sardinia. A selected typological inventory, ANRW II. 11. 1 (1988) 740-875. [194] Thomasson Β., Zur Verwaltungsgeschichte der Provinz Sardinien, Eranos 70 (1972) 72-81. [195] Wilson R. J. Α., Sardinia and Sicily during the Roman Empire, Kokalos 26-27 (1980-81) 219-242.
2 Afrika Von Claude Lepelley Afrika nannte man in lateinischer Sprache das Land, welches die Griechen als Libyen zu bezeichnen pflegten, also den am Mittelmeer gelegenen Streifen des Kontinents nördlich der Sahara und westlich von Ägypten. Der östliche Teil dieses Gebiets, die Kyrenaika, soll uns hier nicht interessieren, die zwar zur Welt der Berber gehörte, die aber seit der griechischen Kolonisation im 7. Jh. v. Chr. eng mit der hellenischen Welt verbunden war [S. 313]. Die Westgrenze der Kyrenaika, Philaenorum Arne tief in der Großen Syrte gelegen, ist vom Atlantik 2 600 km Luftlinie entfernt, wobei die Breite der fruchtbaren Zone von einem schmalen Küstenstreifen entlang der Großen Syrte bis an die 400 km im heutigen Tunesien schwankt. Dieses große Land hatte eine ethnisch homogene B e völkerung. Die Autochthonen sprachen verschiedene miteinander verwandte Sprachen, welche die Menschen der Antike libysch, wir berberisch nennen. Seit dem 9./8. Jh. v. Chr. war der Einfluß der karthagischen Kultur sehr groß gewesen und hatte den Berberkönigreichen Numidien und Mauretanien, die ab dem 3. Jh. v. Chr. an Bedeutung gewannen, seinen Stempel aufgedrückt. Die Geschichte des römischen Afrika erstreckt sich über mehr als acht Jahrhunderte, von der Annektierung des karthagischen Territoriums 146 v. Chr. nach dem Dritten Punischen Krieg bis zur Einnahme Karthagos durch die islamischen Araber 698 n. Chr. Hier beschränken wir uns auf die drei Jahrhunderte zwischen der Annektierung des numidischen Königreichs durch Caesar 46 v. Chr. bis zu den Krisen der zweiten Hälfte des 3. Jh.s. Wie in anderen Teilen des Reiches fiel auch in Afrika in diesen Zeitabschnitt die Eroberung, die Organisation und die Nutzung des Landes einserseits sowie die zunehmende Romanisierung der Bevölkerung andererseits. Gleichwohl lassen sich auf den ersten Blick Besonderheiten feststellen, die diese Region vom Rest des römischen Okzidents unterscheiden: die Fortexistenz von berberischen Stammesgruppen in den südlichen Zonen und den Gebirgen des mauretanischen Westens, die bis zum Ende der römischen Herrschaft eine sehr fremdartige Kultur behielten; der zeitliche Rückstand in der Urbarmachung und der Romanisierung, die erst im 2. Jh. erfolgreich war, also erst viel später als in Gallien oder Spanien. Dazu kommt noch das lange und zähe Uberleben der karthagischen Traditionen, insbesondere der punischen Sprache und der Religion. Diese Punkte haben moderne Historiker dazu verleitet, die Romanisierung Afrikas zu unterschätzen. Man beschrieb sie als dünnen Firnis, der über den alten Traditionen gelegen habe, „römisch" sei nur ein kleiner Teil der Bevölkerung gewesen, der sich aus den Nachkommen der europäischen Einwanderer und einer kleinen Minderheit latinisierter Autochthoner zusammengesetzt habe. Unschwer erkennt man darin die anachronistische Projektion der Erfahrungen aus der Kolonialgeschichte des Maghreb im 19. und 20. Jh., wo tatsächlich eine streng geschiedene Minderheit von Einwanderern über die Masse der au-
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tochthonen Bevölkerung herrschte. Wären die Verhältnisse im römischen Afrika vergleichbar gewesen, so wäre diese Region ein unerklärlicher Sonderfall innerhalb der römischen Welt gewesen. Die Frage nach der Romanisierung Afrikas muß sehr differenziert angegangen werden, denn j e nach Zeit und Ort herrschten sehr unterschiedliche Gegebenheiten vor. Halten wir gleich zu Beginn fest, daß im Osten, in Africa Proconsularis, der Integrations- und Romanisierungsprozeß tiefgreifend war, doch daß er selbst dort erst seit der Antoninenzeit so richtig in Gang kam. Eine unzulässige Vermengung von Gegebenheiten völlig unterschiedlicher Regionen und Zeiten hat in modernen Arbeiten häufig zu Vereinfachungen und falschen Verallgemeinerungen geführt. Es scheint daher geraten, Africa Proconsularis und Numidien einerseits, Mauretanien andererseits jeweils fur sich zu betrachten. Die jeweilige Entwicklung der beiden Teile des römischen Afrika erweist sich als derart verschieden, daß ihre gleichzeitige Betrachtung die historischen Perspektiven verzerren müßte. Das Quellenmaterial zum römischen Afrika ist insgesamt außergewöhnlich umfangreich, doch die literarischen Quellen, die zu den Punischen Kriegen, zum Iugurtha-Krieg und den Bürgerkriegen der untergehenden Republik sehr ergiebig sind, werden für die Zeit ab Augustus spärlicher. Erst mit dem Ende des 2. Jh. s bietet der christliche Schriftsteller Tertullian wiederum umfangreiches Textmaterial. Diese Lücke in der Dokumentation konnte glücklicherweise durch die Entdeckung von Tausenden von Inschriften und mannigfaltigen archäologischen Uberresten geschlossen werden. Sammlung, Analyse und Interpretation dieses umfangreichen Materials ermöglichen seit der Mitte des 19. Jh.s die fortschreitende Aufdeckung dieser vergessenen Geschichte.
2. 1 Africa Proconsularis und Numidien Ein Jahrhundert liegt zwischen der Zerstörung Karthagos 146 v. Chr. am Ende des Dritten Punischen Krieges und der Annektierung des Königreichs Numidien 46 v. Chr. auf Beschluß Caesars am Ende seines Krieges gegen die nach Afrika geflüchteten Pompejaner und ihren Verbündeten, den Numiderkönig Iuba. Die Republik hatte großangelegte Eroberungskriege im Orient und in Spanien geführt. In Afrika hatte sie sich mit einem Brückenkopf von 20 000 bis 25 000 km 2 im Nordosten des heutigen Tunesien begnügt, der dem Territorium entsprach, das Karthago bis zu seiner Zerstörung behalten hatte. So konnte R o m die sizilische Meerenge kontrollieren und ein Auge auf das benachbarte numidische Königreich haben. Der jugurthinische Krieg (113-105) machte deutlich, daß die Republik die Entstehung eines allzu mächtigen Staates südlich des Mittelmeeres nicht hinnehmen wollte. Doch ansonsten ließ man den Vasallenreichen Numidien und Mauretanien zu dieser Zeit weitgehend freie Hand. Das Scheitern des Kolonisationsversuchs durch Gaius Gracchus (123-121) zeigte das geringe Interesse des Senats an dieser Region. Da keine Kolonisation stattfand, wurde den Indigenen nur begrenzt Land weggenommen. Große senatorische Besitzungen, aus denen später Kaiserdomänen wurden, entstanden gleich-
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wohl und produzierten Korn. Die Baumwirtschaft, zumal der Ölanbau, der in punischer Zeit sehr wichtig gewesen war, ging stark zurück, ebenso der Handel, obwohl sich sehr viele italische Kaufleute in Numidien und in der Provinz aufhielten. Mommsen sagte über die Provinz Afrika: „Eine Geschichte hat sie u n ter der Republik nicht"; das römische Regiment nannte er „die Leiche [...] h ü ten" [Mommsen, Römische Geschichte, Bd. 5, S. 623]. Wenn auch überspitzt formuliert, beschreibt dies das fehlende Interesse sehr gut. Erst seit 46 v. Chr. wandte sich der römische Imperialismus Afrika ernsthaft zu.
2. 1. 1 Caesar und Augustus (47 ν. Chr. - 14 η. Chr.) 2. 1. 1. 1 Die Kolonisation Im Herbst 47 v. Chr. begab sich Caesar nach Afrika, u m dort mit seinen p o m pejanischen Gegnern zu kämpfen, die sich u m Cato geschart hatten und die Unterstützung des Numiderkönigs Iuba genossen. Der Sieg von Thapsus im Februar 46 und die darauf folgenden Selbstmorde von Cato und Iuba machten Caesar zum Herrn über die kleine römische Provinz Afrika. Sofort legte der Diktator Zeugnis ab von der Kühnheit seiner politischen Vorstellungen, indem er das numidische Königreich als Provinz Africa Nova annektierte. Ihr erster Statthalter, der Historiker Sallust, ließ sich wahrscheinlich in der Stadt Sicca Veneria/Le Kef nieder, das man das „Neue Cirta" nannte. Cirta (das spätere C o n stantine) war die Hauptstadt des Königreichs Westnumidien, dessen König Mastenissa von einem kampanischen Abenteurer namens Sittius, der eine Privatarmee im Dienste des Königs Bocchus II. von Mauretanien kommandierte, in die Flucht geschlagen worden war. Der Condottiere wurde zum Verbündeten Caesars, besetzte ganz Westnumidien, das ihm der Diktator als Fürstentum überlassen hatte, und wies dort seinen Leuten Land zu. Caesar beschloß, in Afrika römische Kolonien zu gründen und im besonderen Karthago wieder aufzubauen. Als Führer der Popularenpartei nahm er damit das Vorhaben des Gaius Gracchus wieder auf, das der Senat vereitelt hatte. Die Gründung fand kurz nach der Ermordung des Diktators am 15. März 44 v. Chr. statt. Man entsandte 3000 Kolonisten aus Italien. Fünf Hafenstädte der Region um Karthago wurden zu Lebzeiten Caesars oder bald danach zu römischen Kolonien: vier u m Kap Bon (Curubis/Korba, Clupea/Kelibia, Neapolis/Nabeul, Carpis/Mraïssa) und eine im Osten (Hippo Diarrhytus/Bizerte). Caesars Ermordung führte zu neuen Bürgerkriegen, von denen auch Afrika nicht verschont blieb. Nach vier unruhigen Jahren, in denen Sittius den Tod fand und sein Fürstentum von Cirta verschwand, fielen die beiden afrikanischen Provinzen 40 v. Chr. an den Triumvirn Lepidus, der sie bis zu seinem Bruch mit Octavian und seiner Absetzung 36 v. Chr. beherrschte. Er verstand sich nicht mit den Kolonisten von Karthago, denen er, wie es scheint, ein Ubergreifen auf das 146 v. Chr. verfluchte Gebiet vorwarf. Das endgültige Eintreten von Afrika in die Machtsphäre von Octavian 36 ν. Chr. bedeutete für die Region
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das Ende der Bürgerkriege und die Fortfuhrung des caesarischen Programms durch den Adoptivsohn des Diktators. Noch bevor Octavian 27 ν. Chr. den Namen Augustus erhielt, festigte und stärkte er die Gründungen Caesars. Die spektakulärste Handlung war eine neue Deduktion der Kolonie Karthago (29 v. Chr.). Die Verfluchung des punischen Bodens wurde feierlich aufgehoben. Die Stadt konnte sich bis zum Meer ausdehnen und erhielt ein neues Kontingent von 3000 Kolonisten. Die julische Kolonie Karthago erhielt ein riesiges Territorium, die pertica. Die karthagischen Bürger, die zerstreut siedelten oder in weiter entfernten Städten lebten (so lag ζ. B. Thugga/Dougga, das zur neuen Provinz gehörte, 100 km weit weg im Landesinneren), wurden in den pagi organisiert. Die Kolonisten, die seit der Zeit des Marius einzeln installiert worden waren, erhielten so eine offizielle Rechtsstellung. Karthago wurde mit verschiedenen Privilegien ausgestattet, vor allem mit einer Steuerbefreiung [Poinssot 111]. Augustus ließ ein riesiges Stadtgebiet von mehr als 300 ha vermessen, dessen Straßenfuhrung in weiten Teilen der der punischen Stadt folgte. Auf der Akropolis von Byrsa wurde ein gewaltiger Platz von 190 χ 165 m für ein Forum durch immense Terrassierungsarbeiten geschaffen, wie jüngste Ausgrabungen gezeigt haben [Gros 57], Diese bewiesen aber auch, daß die Stadt lange Zeit von bescheidener Größe blieb und daß sie im 1. Jh. den riesigen augusteischen Umfang nicht ausfüllen konnte. Erst im 2. Jh., in antoninischer und severischer Zeit, wurde Karthago zu einer reichen Metropole, zu der zweiten Stadt des römischen Westens. Diese langsame Entwicklung ist fur das ganze römische Afrika typisch. In Cirta wurde die de-facto-Kolonie der Anhänger des Sittius zu einer offiziellen colonia lulia, die mit einem sehr großen Territorium versehen wurde: Das Gebiet von Cirta entspricht in etwa einem Quadrat von ungefähr 100 km Seitenlänge, was einem Flächeninhalt entspricht, der eher an die riesigen gallischen Städte als an die kleinen afrikanischen Einheiten erinnert. Die dortigen Orte und Dörfer (castella; pagi) wurden Cirta unterstellt. Spätestens unter Traian erhielten drei Städte den Titel Kolonie (Rusicade, Chullu und Milev). Gleichwohl brachte ihnen diese Ehrung kaum Autonomie im Inneren der sogenannten „Konföderation der vier Kolonien". Dieses sehr außergewöhnliche Gebilde besaß große Unabhängigkeit gegenüber der Provinzialverwaltung. Die onomastischen Studien von H.-G. Pflaum [102, 103] haben gezeigt, daß man dort mit dem römischen Bürgerrecht sehr freigebig umging. Augustus gründete Kolonie um Kolonie, denn er mußte den zahllosen Veteranen der Bürgerkriegsarmeen Land verschaffen: Acht oder neun augusteische Kolonien wurden in Africa Proconsularis zusätzlich zur Erweiterung Karthagos und zur „Legalisierung" Cirtas gegründet. Die wichtigste war Sicca Veneria/Le Kef mit einem großen Territorium und abhängigen Dörfern (castella). Uthina, Thuburbo Minus und Maxula ergänzten den Kreis der kleinen Kolonien, die Caesar um Karthago gegründet hatte. Diese Koloniegründungen zeigen das Interesse, das der römische Staat nunmehr an seiner afrikanischen Provinz hatte, und sie fungierten (wie auch die pagi und die anderen von Karthago abhängigen
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Siedlungen) als Keimzellen der Latinisierung. Man m u ß jedoch festhalten, daß Augustus kaum M ü h e auf die Romanisierung der Afrikaner verwandte. Gemeinschaften von Siedlern, deren Onomastik ihre Herkunft und ihre Aufteilung erkennen läßt [Lassère 74], wohnten mit Autochthonen zusammen, denen sie einen Teil ihres Bodens wegnahmen. Die damalige Blüte des römischen Afrika hatte also einen kolonialen Charakter, „kolonial" im modernen Sinne des Wortes. Einige Fakten deuten jedoch auf eine andere Entwicklung hin. So erhielten drei Städte den Status eines Munizipiums, der sie ohne den Zuzug von Kolonisten zu römischen Gemeinden machte: Mustis, schon seit caesarischer Zeit, wie einige meinen [Beschaouch 6, S. 149f.; Gascou 52, S. 141], die wichtige Hafenstadt Hippo Regius/Annaba (das frühere Bone) und die alte Stadt Utica, die Hauptstadt der Provinz in republikanischer Zeit. Zugegebenermaßen lebten in diesen Städten aber bereits Gruppen römischer Bürger (Kaufleute oder, im Falle von Mustis, Nachkommen der Kolonisten, die Marius nach dem IugurthaKrieg viritan angesiedelt hatte). N o c h folgenreicher war, daß Augustus bei der Organisation der Provinz zahllose Siedlungen und Dörfer als (peregrine) Städte anerkannte. Der ältere Plinius, dessen Informationen sich zumeist auf die augusteische Epoche beziehen, spricht von 30 freien Städten, doch sehr viel mehr besaßen den Status einer Stadt, wenn sie auch tributpflichtig und grundsätzlich der Provinzialverwaltung unterworfen waren. Dank der Inschriften kennen wir eine große Zahl dieser Städte, die eine Verfassung punischen (mit Magistraten namens Sufeten) oder libyschen Typs (der Rat der „elf Ersten", der undecimprimi) hatten. Plinius der Ältere [nat. hist. 5. 29; vgl. Desanges 31, S. 276-281] sagt, daß in dieser Provinz 516 Gemeinwesen R o m unterstanden. Natürlich könnten darunter auch Stämme sein, doch zumeist wird es sich um städtische Siedlungen und Dörfer gehandelt haben. Die Epigraphik bestätigt dies: Im Norden der Prokonsularis wimmelte es nur so vor Städten. Indem die augusteische Organisation eine wenn auch nur embryonale Autonomie gewährte, bahnte sie der späteren Entwicklung den Weg. Einige peregrine Städte punischer Verfassung erlebten seit dieser Epoche einen großen Aufschwung. Das bekannteste Beispiel ist Lepcis Magna, die große Stadt an der tripolitanischen Küste, wo die Romanisierung bereits weit gediehen war und die herrschende Schicht seit dieser Zeit prächtige Monumente stiftete. 2. 1. 1 . 2 Die Provinzialorganisation Seit der Ankunft des Lepidus (40 v. Chr.) unterstanden die alte und die neue Provinz (Africa Ve tus und Africa Nova) ein und derselben Autorität. 36 v. Chr. übertrug Octavian ihre Verwaltung einem Statthalter konsularischen Ranges. 27 v. Chr. wurde diese Vereinigung durch die Einrichtung die große Provinz Africa Proconsularis offiziell, die alle Länder von den fernen Grenzen der Kyrenaika im Osten bis zur Grenze mit dem mauretanischen Königreich westlich von Numidien umfaßte (diese Grenze war die Amsaga, heute Oued el-Kebir). Vermudich löste Karthago damals Utica als Provinzhauptstadt ab. Bei der Tei-
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lung von 27 ν. Chr. fiel Afrika an den Senat, der diese Provinz durch einen konsularischen Prokonsul verwalten ließ. Die Prokonsuln von Afrika waren die einzigen Statthalter einer senatorischen Provinz mit Garnison: Bis Caligula dies 39 n. Chr. änderte, befehligten sie die Armee von Afrika, was in Anbetracht der langsamen und schwierigen Unterwerfung des südlichen Grenzgebiets ihrer Provinz [S. 86f.] keine Sinekure war. Der Senat bestimmte einen der amtierenden römischen Quästoren dazu, den Prokonsul zu begleiten und ihm in finanziellen und steuerlichen Belangen zur Seite zu stehen. Der Prokonsul selbst wählte seine Legaten unter den Senatoren prätorischen Ranges aus (manchmal finden sich auch Quästorier oder, am anderen Ende des Spektrums, Konsulare). Sie unterstützten ihm bei seinen juristischen, administrativen und militärischen Aufgaben. Anscheinend lag die Zahl dieser Legaten ursprünglich bei drei, wie in der prokonsularischen Provinz Asien. Doch wie A. Chastagnol und A. Beschaouch gezeigt haben, sank ihre Zahl im Jahr 39 auf zwei, als Caligula dem Prokonsul das Kommando über die Truppen nahm, u m es einem Abgesandten des Kaisers, dem Legaten der legio III Augusta, zu übergeben. Es gab immer drei Legaten, doch einer von ihnen unterstand ab diesem Zeitpunkt nicht mehr dem Prokonsul, sondern dem Kaiser [Chastagnol 20; Beschaouch 8]. Seit augusteischer Zeit ist ein ritterlicher Prokurator belegt, der für die Verwaltung der kaiserlichen Güter in Afrika zuständig war. Wie auch anderswo manifestierte R o m seine Herrschaft über den Boden durch die Erstellung eines Katasters, der in den Boden gezogen wurde, doch war dies in Afrika ganz besonders spektakulär. Seit republikanischer Zeit in Africa Vetus, seit der Zeit der Triumvirn oder des Augustus in Africa Nova, unter Tiberius in den südlichen Landstrichen teilten die Landvermesser das ganze Territorium bis zum Süden des heutigen Tunesien in rechteckige centuriae von rund 50 ha ein, wobei gebirgige und bewaldete Flächen unberücksichtigt blieben (die subseciva). Die Parzellen wurden mit parallelen Linien innerhalb eines gigantischen Schachbretts abgegrenzt, so daß es während der Operation zwangsläufig zu einer Neuverteilung der Grundstücke und Gehöfte kam. Die Grenzen wurden durch Wege, Erddämme und mörtellos aufgehäufte Steine markiert. Ihre Spuren sieht man noch heute vom Flugzeug aus. So konnte dieser antike Kataster durch die Luftbildarchäologie entdeckt werden [Caillemer/Chevallier 14, 15; Trousset 130], Die meisten katastrierten Gebiete blieben ohne Kolonistenzuzug. Die Katastrierung diente nicht einer möglichen Kolonisierung, sondern sie sollte die Veranlagung der Bodensteuer ermöglichen und die genaue Bemessung von Grundbesitz erlauben. Alle Autoren der ersten Jahrhunderte vor und nach der Zeitenwende erwähnen die Bedeutung des Getreideanbaus. Der ältere Plinius [nat. hist. 5. 24; vgl. Varrò rust. 1. 44] berichtet von Rekordernten, bei denen das Korn mehr als den hundertfachen Ertrag brachte. Der Olivenbaum, der ab dem 2. Jh. Afrika reich machte, scheint in dieser Zeit ohne größere wirtschaftliche Bedeutung gewesen zu sein. Sallust [lug. 17. 5] und Plinius der Altere [nat. hist. 15. 3] erwähnen Afrikas Armut an Bäumen, was angesichts der späteren Entwicklung über-
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raschen muß. Flavius Josephus schreibt unter Vespasian [bell. lud. 2. 16. 4], daß Afrika zwei Drittel des römischen Jahresbedarfs an Getreide lieferte, während Ägypten das letzte Drittel beisteuerte. Seit dem ersten Jahrhundert des Kaiserreichs war Afrika also der wichtigste Lieferant fìir die Annona R o m s , d. h. für die kostenlosen Getreidezuteilungen an die Plebs. Das legt nahe, daß die Grundsteuer (tributum solí) zumeist in Naturalien entrichtet wurde. Seit claudischer Zeit läßt sich die Existenz einer mächtigen Vereinigung von navicularii nachweisen. Das waren Schiffer, die das afrikanische Getreide nach R o m brachten [Cagnat 13]. Die indirekten Steuern blieben lange Steuerpächtergesellschaften, den „vier öffentlichen Pachten Afrikas", anvertraut, doch im 2. Jh. übern a h m ein ritterlicher Prokurator die Erhebung dieser Steuern. 2. 1. 1. 3 Die A r m e e und die U n t e r w e r f u n g der südlichen Randgebiete N a c h der Auflösung der Bürgerkriegsarmeen beließ Augustus zwei Legionen in Afrika [Le Bohec 77, S. 340]. Ab 6 n. Chr. war es nur noch eine, die den N a m e n legio III Augusta erhalten hatte [Le Bohec 77, S. 337-340]. Bereits vor dem Tod des Augustus lag sie in Ammaedara/Haïdra, w o sie bis in flavische Zeit verblieb. Sie w u r d e dann (wohl 75) weiter in den Westen, nach Theveste/Thébessa, verlegt, u m dann sich dann endgültig in Südnumidien, im Lager von Lambaesis, stationiert zu werden, w o eine Teilunterbringung ab 81 n. Chr. belegt ist [Fentress 44; Le Bohec 77, S. 653]; die vollständige Verlegung fand u m 115-117 statt [Le Bohec 77, S. 369]. D e r Legion standen Auxiliareinheiten zur Seite, deren Gesamtstärke etwas höher lag [Le Bohec 77, S. 369]. Insgesamt umfaßte das afrikanische H e e r kaum m e h r als 12 000 M a n n (die nach der Annektierung Mauretaniens im Jahr 39 n. Chr. dorthin verlegten Einheiten nicht gerechnet). Seit augusteischer Zeit war sie mit der U n t e r w e r f u n g bzw. Sicherung der G e biete des Südens beschäftigt. Die reichen u n d urbanisierten R e g i o n e n des N o r dens haben der Autorität R o m s keinen nennenswerten Widerstand entgegengesetzt, was auch für das durch Caesar annektierte Königreich N u m i d i e n gilt. Anders im Süden. Südlich der R e g i o n von Cirta, westlich von Thysdrus und Byzacium, südlich des Gebietes von Ammaedara und Madaura lebten Berberstämme, die sich, ob sie n u n N o m a d e n waren oder nicht, gegenüber den n u m i dischen Königen in einer nur formalen, recht vagen Abhängigkeit befunden hatten. M a n nannte die B e w o h n e r der Steppen und der Halbwüste Gätuler. Einige Stämme waren groß u n d mächtig, wie etwa die Musulamier in den Steppen zwischen den heutigen Ländern Tunesien und Algerien oder auch die Garamanten des Fezzan. Die Städte der tripolitanischen Küste fürchteten die Einfalle der Nasamonen aus der libyschen Wüste. Diese Stämme blieben für die Ackerbauern und Städter des Nordens gefährliche Nachbarn. Die ungeheuren Steppen waren den R ö m e r n in jeder Hinsicht fremd. Das galt auch für das Klima u n d die reiche tropische Fauna (Löwen, Panther, Elefanten), die die „Bestien" für die Spiele im Amphitheater lieferte. Gleichwohl wollte Augustus von Anfang an die römische Autorität in der Prokonsularis bis zum Saum der W ü s t e klar sichtbar wissen (dies versuchte
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R o m in Mauretanien niemals). Es mußte also zu Konflikten kommen, und deren Spuren finden sich in den Jahren 33-19 v. Chr. in den Triumphalfasten, die sechs Triumphe verzeichnen, die afrikanische Statthalter in R o m feiern konnten. Die Quellen geben Einzelheiten über den Feldzug des Prokonsuls Cornelius Baibus (der 19 v. Chr. triumphierte) gegen die Gätuler in Südnumidien und die Garamanten des Fezzan an; diese Militäraktion führte das römische Heer mitten in die Sahara [Desanges 28; er zeigt, daß die Hypothese eines Marschs bis zum Niger nicht haltbar ist]. Neuerliche Kriege fanden zwischen 4 v. Chr. und 6-8 n. Chr. statt. 4 n. Chr. gelang es den Nasamonen sogar, den Prokonsul L. Cornelius Lentulus in einen Hinterhalt zu locken und zu töten [Desanges, in: Mélanges Marcel Renard, Brüssel 1969, Bd. II, S. 197-213]. Die Details all dieser Feldzüge sind wenig bekannt, doch ihre schiere Zahl zeigt, daß die Besetzung der südlichen Gebiete bis zum Rand der Sahara ein langes und schwieriges Unternehmen war, das Augustus nur begann und das seinen Abschluß erst unter Traian, ein Jahrhundert später, fand. In augusteischer Zeit konnte es nur darum gehen, Gegner einzuschüchtern, die durch ihre Beweglichkeit kaum greifbar waren und deren Entschlossenheit sich bald im Tacfarinas-Krieg unter Tiberius zeigen sollte.
2. 1. 2 Die Prokonsularis von Tiberius bis Traian (14-117) Die Annektierung des Königreichs Mauretanien 39 n. Chr. war eine Etappe von höchster Wichtigkeit in der Geschichte der römischen Herrschaft über Afrika [S. 109]. Dagegen zeigten die vier ersten Nachfolger des Augustus wenig Interesse an der Prokonsularis und gründeten dort weder Munizipien noch Kolonien. Gleichwohl wuchsen die kaiserlichen Domänen beträchtlich, indem die Ländereien abgeurteilter Senatoren konfisziert wurden. Der ältere Plinius [hist, nat. 18. 7. 35] behauptet, daß Nero sechs Senatoren töten ließ, „die die Hälfte Afrikas besaßen", was zwar übertrieben sein dürfte, aber den Umfang ihrer Besitzungen ahnen läßt. 2. 1. 2. 1 Kriege und Eroberungen von Tiberius bis Nero Das einschneidendste Ereignis dieser Periode war der Aufstand des Tacfarinas unter Tiberius, dessen Verlauf wir dank Tacitus gut kennen [ann. 2. 52; 3. 20, 32; 4. 23], Der Numider Tacfarinas hatte im römischen Heer als Auxiliarsoldat gedient. Zunächst Anfuhrer einer Räuberbande, brachte er es an die Spitze des mächtigen Volkes der Musulamier und konnte sich der Unterstützung von Maurenstämmen, die aus dem Westen zugewandert waren, und einiger südsaharischer Völker versichern. Sieben Jahre lang (17-23) hielt er die römischen Truppen in einem Krieg in Schach, der sich über den ganzen Süden der Prokonsularis und Mauretaniens ausdehnte. Es mußte erst aus Europa eine zweite Legion nach Afrika verlegt werden, ehe man die Revolte niederschlagen konnte. W i e J.-M. Lassère [75] gezeigt hat, löste diesen blutigen Konflikt nicht die Kolonisation aus, die sich auf die nördlichen Zonen beschränkte, sondern
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der Wunsch der römischen Autorität, diese Halbnomaden und ihre Wanderungen zu kontrollieren. Diese Absicht zeigt sich besonders in dem damals gerade abgeschlossenen Bau einer strategischen Straße, die Ammaedara, den Legionsstandort, mit Capsa/Gafsa und Tacape/Gabès verband [Trousset 30]. Die freiheitsliebenden Stämme ertrugen die mitunter schikanöse Kontrolle, die ihren Bewegungsfreiraum stark einschränkte, nur schwer. N o c h 45 mußte sich der Prokonsul Galba mit den Musulamiern" auseinandersetzen. Galba, der ephemere Kaiser von 68, war von Claudius - und nicht vom Senat - zum Prokonsul ernannt und mit dem Militärkommando versehen worden, das eigentlich seit einem Beschluß von Caligula 37 dem kaiserlichen Legaten der legio III Augusta zustand. Nach der endgültigen Unterwerfung der Musulamier wurden viele von ihnen in römische Auxiliareinheiten übernommen. Sie wurden gut behandelt: Sie erhielten ein sehr großes Territorium zu beiden Seiten der algerischtunesischen Grenze, das von traianzeitlichen Grenzsteinen markiert wurde. O f fensichtlich waren sie damit zufrieden, jedenfalls gab es keine weiteren Aufstände. Im Süden des heutigen Tunesien stand das Gebiet bis zum Saum der Wüste nunmehr unter römischer Kontrolle. 2.1. 2. 2 Die Politik der Flavier Wie. Marcel Le Glay [81] gezeigt hat, erlebte die Romanisierung in der Epoche der flavischen Dynastie (69-96) einen neuen Schub, während sie zuvor, in der Zeit der vier ersten Nachfolger des Augustus, stagniert hatte. Die territoriale Expansion wurde weitergeführt. 81 ist ein Detachement der legio III Augusta in Lambaesis, dem späteren Hauptquartier, nachgewiesen. Lambaesis liegt 180 km westlich von Theveste, am Fuße des Aurès. R o m scheint also das bis dahin vernachlässigte, von Nomaden und Halbnomaden bewohnte Südnumidien besetzt zu haben. W i r hören von keinen besonderen Schwierigkeiten. Dagegen traf die tripolitanische Küste im Jahr 86 ein brutaler Uberfall der Nasamonen, eines Sahara-Stamms der Großen Syrte, der sich weigerte, Tribut zu zahlen. Zwar töteten sie die Repräsentanten R o m s und konnten sich eines Lagers bemächtigen, doch bald unterlagen sie, und viele von ihnen wurden getötet. Ein Mosaik von Zliten in Tripolitanien vom Beginn des 2. Jh.s zeigt gefangene Nasamonen, die in einem Amphitheater Raubtieren vorgeworfen werden [Picard 105, S. 287f.]. Diese Ereignisse zwangen das Reich, ein Verteidigungssystem für Tripolitanien auszuarbeiten und insbesondere eine Küstenstraße zu bauen, die 97 abgeschlossen wurde. Z u m ersten Mal seit Augustus wurden von den Flaviern in der Prokonsularis Städte römischen oder latinischen Rechts gegründet. Ammaedara wurde nach der Verlegung der Legion nach Theveste Kolonie, und im Norden des Musulamierlandes gründete man die Kolonie Madaura. Drei alte Städte wurden hochgestuft: Bulla Regia wurde Munizipium, ebenso Lepcis Magna, das einstweilen trotz des latinischen Rechts seine punischen Institutionen behielt (also auch Sufeten). Hippo Regius war vielleicht die erste afrikanische Stadt, die es zur Titularkolonie brachte [Gascou 52, S. 164; dagegen Desanges 31, S. 201-203]. Diese
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Erhebungen (zu denen vielleicht noch Sufetula/Sbeitla hinzuzufügen wäre) w a ren noch wenig zahlreich, aber mit ihnen begann ein folgenreicher Prozeß. Vespasian begründete den Landtag der Provinz Afrika [Deininger 26; Kotula 73], der jährlich den Kaiserkult unter dem Vorsitz des Provinzpriesters feierte. Die Delegierten der Städte konnten dort ihr Urteil über den scheidenden Prokonsul aussprechen u n d gegebenenfalls einen Prozeß gegen ihn einleiten. W i e wir noch sehen werden, w u r d e unter Vespasian ein Agrargesetz namens lex Mandarla promulgiert, das für den landwirtschaftlichen Aufschwung Afrikas von größter Bedeutung war. 2. 1. 2. 3 D e r Abschluß der Eroberung u n d die Fixierung des Limes unter Traían Erst zu Beginn des 2. Jh.s, unter Traían (98-117), fand die Eroberung des Landes (abgesehen von Mauretanien) zwischen M e e r und Wüste ihren Abschluß. D a mals w u r d e die militärische O k k u p a t i o n Südnumidiens vollendet: Die Grenze verlief südlich des Aurès, die legio III Augusta w u r d e u m 115-117 [Le Bohec 77, S. 369] in Lambaesis, nördlich des Gebirges, stationiert. Verglichen mit Gallien, das Caesar in nur acht Jahren vollständig unterworfen hatte, oder Spanien, dessen letzte Widerstandsnester zu Beginn von Augustus' Prinzipat bezwungen wurden, gab es in Afrika eine auffällige Verzögerung. Ursache dafür war die Schwierigkeit, Stämme zu unterwerfen, die in den Steppen u n d den H a l b w ü sten zu Hause waren und deren Lebensart dieser U m g e b u n g angepaßt war. J e doch läßt sich festhalten, daß Africa Proconsularis (inklusive Numidien) nach dem Abschluß dieser langen Eroberung eine Ära des Friedens bis ins 5. Jh. erleben durfte, die stark mit den wiederholten U n r u h e n kontrastierte, unter den Mauretanien immer wieder zu leiden hatte. Die Beziehungen zwischen R o m und den unterworfenen Stämmen entwickelten sich positiv: W i r haben bereits auf den Fall der Musulamier hingewiesen, u n d genauso geschah es unter Septimius Severus mit den Garamanten des Fezzan. M a n lehnt heutzutage die T h e o rie ab, die N o m a d e n hätten sich an den R a n d der Sahara zurückgezogen oder wären in eng begrenzten Gebieten untergebracht worden [so meinte Gsell 61; dagegen Trousset 129]. Freilich wollte die römische Autorität ihre Wanderungen u n d ihre Grenzübertritte kontrollieren, aber die Tatsache, daß wir während mehr als drei Jahrhunderten von keinen Schwierigkeiten in diesen R e g i o n e n hören, zeigt, daß dieses Zusammenleben keine besonderen Probleme bereitete [Trousset 129; Vorwort von M . Euzennat, S. 5-7]. D e r im 2. Jh. stark forcierte Olanbau [S. 95] in der Zentralprokonsularis, in Südnumidien und, unter den Severern, in Innertripolitanien n a h m den Hirtennomaden gewiß viel Land, aber die Stämme w u r d e n seßhaft u n d paßten sich den neuen wirtschaftlichen Bedingungen an. U n t e r Traian w u r d e die Südgrenze also endgültig festgelegt. Entlang der Großen Syrte verläuft sie nahe am Meer. In Tripolitanien entfernt sie sich im Durchschnitt 150 k m ab der H ö h e von Bou N j e m . Im Süden des heutigen Tunesien verläuft sie zwischen den Schotts und der Nordgrenze des großen östli-
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chen Erg. In N u m i d i e n zieht sie sich zwischen den vorsaharischen Schotts und der Südkante der Nemenchas u n d des Aurès hin. Danach biegt sie wieder nach N o r d e n , an den Zabbergen entlang, auf das Schott El H o d n a zu. Die archäologische E r k u n d u n g [Trousset 129; Rebuffat 114, 115] u n d die Luftbildarchäologie [Baradez 2] konnten die Reste von Straßen, Forts u n d linearen Sperren (Mauern und Graben) nachweisen, die diesen limes bildeten. Von B o u N j e m bis H o d n a sind es 1120 k m Luftlinie. Diese außerordentlich lange Grenze blieb bis zur Vandalenzeit, d. h. bis zum 5. Jh., stabil. Septimius Severus sollte eine R e i h e von Vorposten in der Sahara einrichten: B o u N j e m , das antike Gholaia oder Golas, in Tripolitanien [Rebuffat 112]; Ghadamès, das antike Cydamus, die Hauptstadt der Garamanten, im Fezzan; Castellum D i m m i d i im Süden der Berge von Ouled Nail [Picard 106], Diese Stellungen wurden nach der Mitte des 3. Jh.s geräumt, u n d man kehrte zur antoninischen Grenze zurück. W i r kamen bereits auf die geringe Zahl der Soldaten sprechen, die an dieser extrem langen Grenze dienten: eine Legion mit Hilfstruppen, also rund 10 000 M a n n . Hadrian erwähnt in seiner inschriftlich überlieferten R e d e an die T r u p pen von Lambaesis aus d e m Jahr 128 n. Chr., daß zahlreiche Soldaten in weit entfernten Posten stationiert waren. Zusätzlich war die Defensivbarriere auffällig schwach, sie war m e h r ein symbolisches als ein wirkliches Hindernis. Die Militärposten fungierten wohl nur als Polizei der Saharagrenze und kontrollierten die Wanderbewegungen der N o m a d e n . D e r Historiker Herodian [7. 9. 1] sah die Aufgabe dieser Garnisonen darin, die Plünderungszüge zu verhindern, die die saharischen und mauretanischen Stämme von Zeit zu Zeit unternahmen. Ein solcher Auftrag erforderte wüstentaugliche Einheiten, weswegen Auxiliaren eingesetzt wurden, die man in Syrien, einer geographisch vergleichbaren R e gion, rekrutiert hatte: Palmyrenische Bogenschützen sind in der Mitte des 2. Jh.s belegt, R e i t e r aus Emesa unter Caracalla. H e u t e glaubt man nicht mehr, daß im Aurès feindliche Stämme lebten. In den Tälern des Aurès gab es zahlreiche römische Siedlungen und dort w u r d e viel Land bewirtschaftet, doch w u r d e n k a u m Militärstützpunkte gefunden [ M o rizot 96], W i e die Städte der Prokonsularis waren auch die numidischen Städte ohne U m m a u e r u n g (so auch das am Fuße des Aurès gelegene Timgad) und schienen keine Angriffe zu furchten. Im Schutze eines relativ schwachen Verteidigungssystems lebten die Prokonsularis u n d N u m i d i e n im Frieden. Seit der Zeit des Tacfarinas-Krieges hatte es keinen Widerstand mehr gegen die römische Herrschaft gegeben, der eine Spur in den Quellen hinterlassen hätte. D e r Kontrast zu Mauretanien war in dieser Hinsicht recht groß. Jedoch stellten die U n r u h e n , unter denen Mauretanien oft zu leiden hatte, eine dauerhafte Bedroh u n g auch Numidiens dar, weswegen die Legion im Westen dieser Provinz lag. Besonders gefährlich war die Situation im 3. Jh. während des Aufstandes, der Mauretania Caesariensis in den Jahren 253-260 erschütterte u n d in dessen Verlauf die aufständischen Stämme auch in N u m i d i e n einfielen [Salama 122], Wohlgemerkt: Diese Gefahr kam aus d e m mauretanischen Westen, nicht d e m saharischen Süden.
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Der Romanisierungsprozeß war bis Traían ähnlich gemächlich verlaufen wie die Eroberung. Traían deduzierte in Afrika die letzten Veteranenkolonien. In Siidnumidien entstanden die Kolonie Thamugadi/Timgad, die i. J. 100 durch die Legion errichtet wurde, und das Munizipium Diana Veteranorum/Zana, das eine numidische Gemeinde und eine Gruppe von Veteranen umfaßte [Gascou 52, S. 174f.]; etwas weiter im Westen Theveste/Tébessa, nach dem Abzug der Soldaten; Thelepte/Fériana wurde an der Nordgrenze der tunesischen Steppen gegründet. Im Westen der R e g i o n von Cirta, nahe der mauretanischen Grenze, deduzierte Nerva oder Traian die Kolonie Cuicul/Djemila. Traian u n terstützte auch die Romanisierung einiger peregriner Städte: H a d r u m e t u m / Sousse wurde Titularkolonie, ebenso Lepti Minus/Lemta. Calama/Guelma, Thubursicu Numidarum/Khemissa und Cillium/Kasserine wurden Munizipien. Lepcis Magna, das seit Vespasian latinisches Munizipium gewesen war, stieg zur Titularkolonie auf, und der letzte Sufet (dessen Enkel Septimius Severus es bis zum römischen Kaiser bringen sollte) wurde zum ersten Duumvir der neuen römischen Kolonie. Spätestens unter Traian erhielten die drei wichtigsten O r t e der R e g i o n von Cirta neben Cirta selbst — Rusicade/Skikda, C h u l l u / C o l lo, Milev/Mila — den Titel Kolonie, ohne daß aber deswegen die Verbindung zu Cirta (contributio) gelöst worden wäre. Traians Afrikapolitik war gewiß gewagt und energisch, aber man kann mit J. Gascou [52, S. 178f.] sagen, daß er nur eine „selektive und autoritäre R o m a n i sierung" betrieb. Die Siedlungen in Grenzzonen dienten in erster Linie strategischen Zwecken. N a c h einer langen Phase der Stagnation (die die Flavier bereits zögerlich beendet hatten) war er wieder zur augusteischen Politik zurückgekehrt, jedenfalls eher, als daß er die radikale Veränderung nach seiner Zeit vorweggenommen hätte. Eine begrenzte Zahl von Städten (rund 15 — abgesehen natürlich von den Veteranenkolonien) hatte den Status einer römischen G e meinde erhalten (Munizipium oder Titularkolonie). D e n Kaisern des 1. Jh.s scheint wenig an der Romanisierung der Afrikaner gelegen zu haben. Spanien etwa hatte von Vespasian das latinische R e c h t erhalten, und die Zahl der spanischen Munizipien nahm seit den Flaviern stark zu. Im 1. Jh. läßt sich eine Renaissance der punischen und numidischen Kunsttraditionen in bestimmten Regionen, so z. B. der von Mactar, feststellen. Beispiele hierfür sind die schönen Stelen, die angeblich aus La Ghorfa stammen und von denen man heute weiß, daß sie in der R e g i o n von Mactar entstanden [M'Charek 94]. Die beiden Kulturen scheinen damals parallel existiert zu haben, ohne sich zu einer afroromanischen Kultur zu vereinen. Die Langsamkeit der Romanisierung zeigt eine Konstante: die Vitalität der punischen Traditionen, an denen viele Afrikaner zäh festhielten. Man hat sogar behauptet, daß der punische Einfluß nach der Zerstörung Karthagos genauso stark war wie zuvor und daß das Afrika des 1. Jh.s mehr punisch als römisch war [Le Glay 81], Lepcis Magna war von den Flaviern zum Munizipium erhoben worden, behielt aber seine Sufeten bis zur Erhebung zur Titularkolonie unter Traian. In Afrika läßt sich kein Prozeß feststellen, der mit dem in Gallien vergleichbar wäre, w o die
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keltischen Traditionen schnell aufgegeben wurden, die die Indigenen selbst als barbarisch ansahen. Man könnte die Haltung vieler Afrikaner eher mit der der Griechen vergleichen, die stolz und eifersüchtig während der ganzen Hohen Kaiserzeit an den Traditionen der hellenischen Stadt festhielten und sich nicht für den Status eines Munizipiums interessierten, dem sie den der freien Stadt vorzogen (wie bereits erwähnt, nennt Plinius der Altere 30 freie Städte in Afrika). Erst im Laufe des 2. Jh.s lösten sich die Afrikaner immer mehr von den punischen Traditionen und paßten sich an die römische N o r m und die dominante lateinische Kultur an. Gleichwohl hatte die Romanisierung bereits große Fortschritte in Afrika gemacht. Selbst in Städten mit starker punischer Tradition ersetzte das Lateinische das Neupunische auf den Inschriften, die Personen trugen immer häufiger lateinische Namen, selbst wenn sie das römische Bürgerrecht nicht hatten. Man sieht dies in Mactar aus der domitianzeitlichen Mitgliederliste des («fettes-Vereins [Picard 107, S. 77-81], Dort führten die Söhne (obwohl peregrin) häufig lateinische Namen, während ihre Väter noch punische Namen trugen. Damals begann langsam der Prozeß der Romanisierung und des wirtschaftlichen Aufschwungs, der erst im 2. Jh., ab Hadrian, einschneidend werden sollte.
2. 1. 3 Die Blüte der Prokonsularis von Hadrian bis Caracalla (117-217) Die hundert Jahre zwischen dem Regierungsantritt Hadrians und dem Tod Caracallas brachten eine tiefgreifende und radikale Veränderung des römischen Afrika. Der Reichtum nahm durch die systematische Urbarmachung des Landes beträchtlich zu, die Städte erlebten eine Glanzzeit, die Romanisierung gewann an Fahrt. Bis zur Herrschaft Traians waren die Hauptsorgen der kaiserlichen Autorität in der Prokonsularis gewesen, die Eroberung zu vollenden, Veteranenkolonien zu installieren, große senatorische und kaiserliche Domänen anzulegen und die Getreidekultur zur Versorgung R o m s auszudehnen. Es handelte sich also mehr um eine Herrschaft von außen als um eine Integration der Indigenen, und so erfolgte die Romanisierung der afrikanischen Eliten nur langsam und mit begrenztem Erfolg [Pflaum 104]. Erst seit Hadrian (117-138) geschah eine nachhaltige Integration, und zwar aufgrund der identischen Interessen von kaiserlicher Macht und afrikanischen Eliten. Nach diesem Zeitpunkt entstand keine einzige weitere Veteranenkolonie. Die Armee rekrutierte kaum mehr Soldaten von außerhalb, sie ergänzte sich fast ausschließlich aus Afrikanern [Le Bohec 77, S. 494-506]. Vor allem nahmen die Hochstufungen von Städten zu Munizipien und Titularkolonien stark zu. Anhand dieser durch die Inschriften bekannten Fakten läßt sich die Romanisierung gut bemessen. 2. 1. 3. 1 Die wirtschaftliche Blüte Vor dem 2. Jh. nahm Afrika nur einen sehr bescheidenen Platz (zumal verglichen mit Gallien oder Hispanien) in der Wirtschaft des römischen Westens ein.
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Bis zu diesem Zeitpunkt wurde vor allem Getreide und numidischer M a r m o r aus Simitthu (Chemtou), den Strafgefangene in dem großen kaiserlichen Steinbruch abbauten [Khanoussi 71], exportiert. Allerdings fand sich tripolitanisches O l sogar in Pompeii. Die spätere Prosperität w u r d e nur dadurch ermöglicht, daß das Land unter römischer Ägide langsam vereinigt wurde, seit Augustus eine stabile Verwaltung erhielt und in dauerhaftem Frieden leben konnte. Wichtig war auch die Getreideflotte, die den gesamten Italienhandel erleichtert haben wird. Seit flavischer Zeit entstand die afrikanische Agrargesetzgebung, der später eine entscheidende Rolle z u k o m m e n sollte. Die grandiose E n t w i c k lung Afrikas im 2. Jh. beruhte auf den Voraussetzungen, die in dieser Phase geschaffen wurden. Eine Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufschwung war die Verfügbarkeit von Arbeitskraft. Dies war dank der h o h e n Bevölkerung der Prokonsularis u n d dem anhaltenden demographischen Aufschwung gegeben. Nördlich der W ü s t e n u n d Steppen war die Besiedlung des antiken Afrika dicht, selbst in den bergigen Z o n e n ; darauf deutet jedenfalls die hohe Zahl antiker R u i n e n hin, die bei archäologischen Prospektionen entdeckt wurden. In Nordtunesien gab es H u n d e r t e von Städten u n d Dörfern, u n d durch Inschriftenneufunde lernen wir regelmäßig neue kennen [Desanges 32], Richard Duncan-Jones [35, S. 259-277] schätzt die Bevölkerung von mittelgroßen Städten auf 6 0 0 0 - 15 000 M e n schen. Die Ausdehnung des bebauten Territoriums und die Errichtung neuer Viertel [für Cuicul: Février 47] sowie die U r b a r m a c h u n g von Berg- u n d Steppengebieten [S. 94] unter den Antoninen u n d vor allem den Severern sind gleichermaßen Indizien für den neuen R e i c h t u m u n d die Bevölkerungszunahme. J . - M . Lassère schätzt das demographische Wachstum Afrikas zwischen der E r oberung u n d der Severerzeit auf 70% [74, S. 565-596]. G . - C h . Picard [105, S. 55-61] beziffert die Bevölkerung des römischen Afrika am Ende der H o h e n Kaiserzeit auf sieben bis acht Millionen Menschen. Im 2. Jh. diversifizierte sich die landwirtschaftliche Produktion Afrikas u n d erlebte eine außerordentliche Blüte, die wir dank jüngsten archäologischen Forschungen immer genauer erfassen können. Die juristische Grundlage dieser Entwicklung ist bereits seit einem Jahrhundert bekannt, als in Nordtunesien zwischen 1879 u n d 1906 einschlägige Inschriften gefunden wurden. Es handelt sich u m vier große Texte, die die N u t z u n g von Kaiserdomänen durch indirekte Bewirtschaftung, d. h. durch Pächter einzelner Parzellen, zum Inhalt haben. Die älteste Inschrift, diejenige von Henchir Mettich, war unter Traian entstanden und bietet den Text der sogenannten lex Mandaría. Sie legte fest, daß B a u ern nicht-katastrierte Flächen („subseciva") bewirtschaften durften, wobei ihnen zwei Drittel der Ernte blieben, während ein Drittel an den Eigentümer bzw. Pächter des Landes ging. Z u d e m m u ß t e n die Bauern jährlich einige Tage Frondienste auf der D o m ä n e leisten. Im Gegenzug kamen sie so an Land, das u n b e fristet in ihrem Besitz blieb u n d das sie vererben konnten. Als mögliche E m p fänger des letzten Drittels werden nicht nur Pächter und kaiserliche Verwalter, sondern auch Grundbesitzer (domint) genannt, die lex Manciana war also auch
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für Domänen in Privatbesitz gültig [Flach 48, 49; Kolendo 72], Eine zweite Inschrift, gefunden in Ain-Jemala, gehört in hadrianische Zeit [Carcopino 17]. Hier erbitten und erhalten Bauern Parzellen von einer Kaiserdomäne, wobei sie sich auf die lex Mandaría und ein hadrianisches Gesetz über unkultiviertes Land berufen. Olivenbäume, Weinstöcke und andere Fruchtbäume durften auf Land gepflanzt werden, das bis dahin Wald, Buschwerk oder Sumpf gewesen war. D e r Besitz auf Lebenszeit war garantiert, ebenso die erbliche Weitergabe, aber wiederum unter der Bedingung, daß ein Drittel der Ernte abgegeben wurde, sobald die Pflanzung Frucht trug (d. h. bei Oliven nach zehn Jahren). Der hadrianische Text fand sich auch auf einer weiteren Inschrift (gefunden in Ain Ouassel), die unter Septimius Severus verfertigt worden war. Das System der Manciana war also über all die Jahre hinweg angewandt worden. Manciana-Lindereien werden noch in den Tablettes Albertini, notariellen Aufzeichnungen aus dem Vandalenreich, erwähnt. D i e vierte Inschrift, die von Souk-el-Khemis, gibt eine Beschwerde wieder, die Manciana-Bzuem einer Kaiserdomäne gegen den Pächter und den Prokurator bei Kaiser Commodus einreichten. Die beiden kaiserlichen Vertreter hatten gewaltsam versucht, die Abgaben und die Zahl der Frontage zu erhöhen. C o m modus gab ihnen in seinem Reskript R e c h t und verfügte, daß es bei sechs Tagen Fron pro Jahr bleibe, so wie es die lex Mandana festlegte. Dieser Konflikt zeigt, daß der Status der Manciana-Bzuem so privilegiert war, daß seine Inhaber ihn im Falle einer Bedrohung entschlossen verteidigten. D i e Mandana-Bauern werden auf diesen Inschriften coloni genannt, nicht im Sinne der Bürger einer Kolonie („Kolonisten"), sondern in dem von kleinen Landpächtern („Kolonen"). Dieses Bewirtschaftungssystem scheint in Afrika vorgeherrscht zu haben, möglicherweise griffes auf vorrömische Gepflogenheiten zurück. W i e S. Gsell in einer epochemachenden Arbeit gezeigt hat [59], spielte Sklaverei bei der Bewirtschaftung der afrikanischen Domänen nur eine marginale Rolle. Nur wenige Ausnahmen sind belegt, so die tripolitanischen Domänen der Pudentilla, der Gattin des Schriftstellers Apuleius, auf denen Hunderte von Sklaven arbeiteten [Apul. apol. 93]. Freilich bestand das Verwaltungspersonal (procurators, actores) stets aus Sklaven bzw. Freigelassenen, und zwar sowohl auf privaten wie auch kaiserlichen Domänen. Das hadrianische Gesetz über unkultivierten Boden zeigt die Sorge um die Urbarmachung der Kaiserdomänen, insbesondere in den saltus. Das waren riesige Domänen im Bergland, dessen Hänge und Täler sich nicht für den Getreideanbau eigneten. So erlebte die afrikanische Baumwirtschaft in der Antoninenzeit einen großen Aufschwung, im Norden auf den Hängen der Hügel, im Süden in den Steppen. Zwei gut erforschte R e g i o n e n zeigen diese Entwicklung: das Tal oued T i n e zwischen Medscherda und den Ebenen Nordtunesiens [Peyras 100, 191], wo man im 2. J h . von einer primitiven Landwirtschaft zu einer entwickelten Baumwirtschaft überging, und die R e g i o n Kasserine, 2 5 0 km weiter im Süden, wo ausgedehnte Olivenpflanzungen die extensive Viehzucht ersetzten [Hitchner 63, 64], D i e zahlreichen Spuren von antiken Ölmühlen, die
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teilweise riesig waren (so in Bir Sgaoun, nahe Tébessa), zeigen den Umfang der Produktion [Champs-Fabrer 16]. Es handelte sich um eine spekulative Kultur, die für den Export, insbesondere nach Italien, gedacht war [Mattingly 92]. Auch das ferne Tripolitanien profitierte von dem neuen Reichtum, wie R . RebufFat [114] gezeigt hat, aber erst so richtig ab Septimius Severus. Große wüste Zonen (vor allem Täler) wurden in dieser Zeit urbar gemacht, und ihre Kultivierung hielt bis zur Invasion der Vandalen im 5. Jh. an. Zu Beginn des 2. Jh.s konnte sich Juvenal noch über die miserable Qualität afrikanischen Öls lustig machen [5. 88]. Doch änderte sich dies. Afrika wurde der wichtigste Lieferant für Ol aller Qualitätsstufen für den Westen des römischen Reiches. Dies ging so weit, daß afrikanische Öl am Ende des 2. Jh.s die Vormachtstellung des hispanischen Öls auf dem römischen Markt brach. Der Transport des Korns der Annona zu den italischen Häfen (Puteoli, Ostia) durch die Vereinigungen der navicularii führte zu einem intensiven und regelmäßigen Seehandel ab Karthago und den anderen afrikanischen Häfen. Dieser wird im 2. Jh. auch dem Export der anderen afrikanischen Produkte (Öl, Wein, Transportamphoren dieser Produkte, Qualitätskeramik) zugute gekommen sein. Vom Ende der punischen Zeit bis zum 1. Jh. n. Chr. wurde Luxuskeramik aus Italien importiert. In der zweiten Hälfte des 1. Jh.s begann Afrika mit der Produktion einer eigenen Qualitätskeramik, die ihren Höhepunkt am Anfang des 2. Jh.s erlebte. Die unlängst gemachte Entdeckung, daß die terra sigillata chiara A, C und D aus Afrika stammt, die Identifizierung dieser Typen und ihre Chronologie haben sowohl die Archäologie als auch die Wirtschaftsgeschichte des römischen Afrika einen großen Schritt weitergebracht [Hayes 62, 62a]. A. Carandini [19] hat gezeigt, daß die Blüte dieser Industrie zeitlich mit der der Landwirtschaft parallel ging. Herstellung und Export kulminierten in der zweiten Hälfte des 2. und zu Beginn des 3. Jh.s, was zugleich die Zeit der massiven Ausdehnung der afrikanischen Baumwirtschaft (und auch des Städtewesens) ist. Die identifizierten Werkstätten befanden sich in der Region von Karthago und, in der Byzazene, in der Zone von Kairouan. Afrikas verzierte Halbluxuskeramik wurde in den ganzen Mittelmeerraum exportiert, und so können wir anhand ihrer Präsenz die afrikanischen Handelsrouten verfolgen [Panella 97; Fentress/ Perkins 46]. Unter den letzten Antoninen und Severern war die Vorherrschaft der afrikanischen terra sigillata in Ostia erdrückend. Sie ersetzte im Lauf des 2. Jh.s die gallische Produktion auf den Märkten des westlichen Mittelmeerraums, und im 3. Jh. drang sie in den Orient ein. Der Export ging nach 230 etwas zurück [Fentress/Perkins 46], um im 4. Jh. wieder zu alter Stärke zu finden. Die Krise des 3. Jh.s stellte also keinen Bruch dar, weder für die Hersteller der afrikanischen Keramik noch für die Produktion und den Export des Olivenöls. Auch der Export der afrikanischen Terrakottalampen war im Laufe des 2. Jh.s auf dem Höhepunkt [Pavolini 99]. Die Töpferwaren waren nicht gerade Afrikas wichtigstes Exportprodukt, aber sie sind Indiz (und Teil) der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung [Carandini 19]. Ausgehend von dieser Keramik und den Transportamphoren für Öl und
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Wein konnte Clementilla Panella [97] zeigen, daß im 2. Jh. eine wichtige H a n delsachse zwischen R o m (und damit Zentralitalien) u n d Afrika entstand. D e r Absatzmarkt Italien ließ Afrika sehr reich werden, was sich insbesondere an der Entwicklung der Städte beobachten läßt. A u c h die Wirtschaftsgeschichte des römischen Afrika w u r d e von den K o n troversen der „Modernisten" und „Primitivisten" begleitet [Bd. I, S. 317-321; 413f.]. G . - C h . Picard, der von einer „wirtschaftlichen R e v o l u t i o n " spricht [105, S. 55-100], vertritt den modernistischen Standpunkt. P. D. A. Garnsey u n d vor allem C. R . Whittaker [Trade in the Ancient Economy, L o n d o n 1983] sind einflußreiche Vertreter der primitivistischen Sichtweise. Sie weisen auf die Kontinuitäten auf d e m Land hin und spielen die Veränderungen während der Kaiserzeit samt ihren wirtschaftlichen Auswirkungen herunter. Diese Sichtweise hat D. Mattingly [92] vehement angegriffen, indem er zu bedenken gab, daß sich die riesigen Olpflanzungen u n d zahllosen Ö l m ü h l e n Zentraltunesiens nur mit einer spekulativen Produktion, die für den Export bestimmt war, erklären lassen. Auch kann man nur so das Aufblühen der Städte verstehen. Ein kostspieliger Urbanismus setzt entsprechende finanzielle Möglichkeiten voraus. Der wirtschaftliche Aufschwung Afrikas im 2. Jh. kann nicht ernsthaft bezweifelt werden, er wird durch die Fülle des archäologischen Materials gesichert. Bemerkenswert ist besonders der Synchronismus im 2. und zu Beginn des 3. Jh.s verschiedener Phänomene, die durch unterschiedliche Quellen belegt sind: die Blüte der Städte, die Ausdehnung der Olivenkultur u n d der wachsende O l export, der Aufschwung der Keramik u n d ihre Verbreitung im Mittelmeerraum (Wichtig waren sicherlich auch andere Produkte, die weniger Spuren in unserer D o k u m e n t a t i o n hinterlassen haben, so die Textilien, die angesichts der in Afrika weitverbreiteten Schafzucht zweifellos bedeutsam waren. Es gab in mehreren Städten basilicae vestiariae, d. h. Stof&närkte, was die Bedeutung des Textilhandels zeigt.). Grabungen der letzten Zeit haben ergeben, daß Karthago erst im 2. Jh. eine bevölkerungsreiche Metropole w u r d e (mit Sicherheit mehr als 1 0 0 0 0 0 Einwohner [Die Schätzung von Gros 57 mit 60 000 E i n w o h n e r n ist zu gering, da er die kleinen Leute, die in winzigen Behausungen lebten, nicht berücksichtigt.]) und daß die großen M o n u m e n t e in Karthago (abgesehen von der Akropolis von Byrsa und ihrem Forum) erst in dieser Zeit errichtet wurden. Was für die Hauptstadt gilt, läßt sich bei fast allen Städten beobachten. N e h m e n wir das Beispiel Thamugadi (Timgad in Südnumidien). W ä h r e n d die traianische Kolonie dort ursprünglich ein D u t z e n d Hektar bedeckte, n a h m die besiedelte Fläche letztendlich rund 50 ha ein [Courtois 25]. M a n kann zwei wichtige Phasen bei dieser Ausdehnung feststellen, die eine unter Antoninus Pius, die andere unter Septimius Severus, als die größten M o n u m e n t e gebaut wurden, so auch das riesige Kapitol (In Timgad und vielen anderen Städten gab es im 4. Jh. eine n o c h malige Ausdehnung der Stadt, als das römische Afrika eine letzte Phase großer Prosperität erlebte.). Die Grabungen von A. M a h j o u b i m Belalis Maior ( H e n chir El Faouar) in der Nordprokonsularis konnten die Geschichte einer Kleinstadt aufdecken, die ohne U n t e r b r e c h u n g vom 3. Jh. v. Chr. bis zu den ersten
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Jahrhunderten der Araberzeit bewohnt war. Belalis wurde in der Zeit zwischen Hadrian und Septimius Severus eine echte Stadt mit Monumenten römischen Stils. Die Geschichte dieser Kleinstadt ist charakteristisch und dürfte der vieler anderer kleiner Orte entsprechen [Mahjoubi 89, 90]. Nach dem Zeugnis der Inschriften stand das römische Afrika unter Septimius Severus und Caracalla (193-217) auf seinem Höhepunkt. Damals wurden die prächtigsten Bauten errichtet und die Euergesien waren am zahlreichsten und großzügigsten. Ein Zeitgenosse, der chrisdiche karthagische Schriftsteller Tertullian, hat die severische Blütezeit Afrikas in markanten Worten beschrieben. Er spricht von „den Furchen, die den Wald gebändigt haben, den Sandflächen, die nunmehr besät sind, den trockengelegten Sümpfen, den Herden, die die wilden Tiere verjagt haben". Er behauptet, daß es „heute mehr Städte gibt, als es früher Häuser gab: Uberall sind Völker, überall sind Städte, überall ist Leben!" [De anima 30. 3; Lepelley 84]. Trotz aller Rhetorik: Die objektive Grundlage seiner Worte haben Epigraphik und Archäologie erwiesen. 2. 1. 3. 2 Die Hochstufung peregriner Städte zu Gemeinden römischen Typs In dieser Periode gewann auch der Prozeß der rechtlichen Romanisierung an Fahrt. Epigraphisch sind elf Städte auf dem Gebiet des heutigen Tunesien bekannt, die unter Hadrian (117-138) Munizipien wurden [Gascou 52, S. 180-192; Dupuis 36, S. 129], Eine von ihnen war Turris Tamalleni, der alte Hauptort des Stammes der Nybgenier im Süden des Schotts Fejej, was zeigt, daß sich der Munizipalisierungs- und Urbanisierungsprozeß nicht auf den N o r den beschränkte. Ebenso wurde die alte punische Stadt Gightis am Golf von Gabès unter Hadrian (eher als unter Antoninus Pius [Chastagnol 20a]) Munizipium, und die Anfuhrer des Stammes der Cinithier, der einst mit Tacfarinas verbündet war, erhielten das Bürgerrecht dieser Stadt. Drei Städte mit ehrwürdiger punischer bzw. numidischer Vergangenheit wurden unter Hadrian Titularkolonien: Zama Regia, Bulla Regia und Utica, ferner drei weniger berühmte Städte (Lares, Thaenae und Canope). Mactar blieb zwar peregrine Stadt, erhielt aber das latinische Recht und romanisierte seine Insitutionen [Beschaouch 10]. Insgesamt wissen wir damit um die Hochstufung von 18 Städten in 21 Jahren — das sind mehr Erhebungen als in der ganzen Zeit seit Caesar, d. h. in den vergangenen 150 Jahren. Zehn dieser Städte befanden sich im Nordosten der Prokonsularis, im Umland von Karthago, wo die peregrinen Städte unter dem Einfluß der Metropole und der anderen Veteranenkolonien standen. Diese Hochstufungen stellten für die Peregrinen also eine Befreiung dar [Gascou 52, S. 191]. Es liegt nahe, daß die Integration der Afrikaner ins R ö m e r t u m auf eine dezidierte politische Entscheidung Hadrians hin erfolgte. Keine einzige Gründung einer römischen oder latinischen Gemeinde ist für die lange Herrschaft des Antoninus Pius (138-161) belegt, der sich hier wie auch sonst mit dem Erhalt des Erreichten zufrieden gab und keine neuen Initiativen ergriff. N u r dem Munizipium Gigthis gab er das Latium maius, eine ha-
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drianische Erfindung, die allen D e k u r i o n e n , u n d nicht nur den Magistraten, das volle römische Bürgerrecht gab [Chastagnol 20a]. U n t e r Marc Aurel und C o m modus (161-192) ging die Entwicklung wieder weiter. Vier Städte w u r d e n T i tularkolonien, so auch Mactar in den Dorsale-Bergen, das bis dahin peregrine Stadt geblieben war, doch stark romanisiert war und von Hadrian das latinische R e c h t erhalten hatte. Vier Munizipien entstanden im Nordosten der Provinz. Die peregrine Stadt Thugga (Dougga) erhielt das latinische R e c h t von Marc Aurel und nannte sich dann civitas Aurelia Thugga [Beschaouch 10a], D e r karthagische pagus Thugga erhielt gleichzeitig echte Autonomie u n d konstituierte sich in einer Art „Doppelstadt" neben der civitas. Dies war ein erster Schritt in R i c h tung auf die Fusion u n d damit auch auf die Zerstörung von „Großkarthago". In Südnumidien w u r d e die Siedlung u m das Lager von Lambaesis unter Marc Aurel Munizipium, ebenso diejenigen neben d e m Lager von Gemellae in der Halbwüste. Spätestens seit Hadrian ü b e r n a h m der Legat der legio III Augusta die Funktion eines Provinzstatthalters in dieser R e g i o n , die Septimius Severus endgültig von der Prokonsularis abtrennte. Die Provinz N u m i d i e n umfaßte nur den Westen des alten Königreiches, während der Osten bei der Prokonsularis verblieb, w o er die „Diözese" des prokonsularischen Numidiens (oder H i p p o - N u midien) bildete. D e r H ö h e p u n k t der römischen Munizipalisierung fällt in der Prokonsularis unter Septimius Severus (193-211). Durch die Inschriften wissen wir von der G r ü n d u n g von zwei Titularkolonien u n d mindestens acht Munizipien. Mehrere dieser Munizipien lagen auf d e m Territorium der pertica Karthagos. Im Fall von Thugga, der sicher nicht singulär war, vereinigte sich die ehemalige peregrine Stadt mit der ehemaligen karthagischen Dépendance (dempagws). Septimius Severus hatte also Karthagos abhängige Einheiten abgetrennt, aus denen die neuen Munizipien wurden. Die dort w o h n e n d e n karthagischen Bürger u n d die romanisierten Eliten der peregrinen Gemeinden waren zu einer G r u p p e verschmolzen. M a n hat vermutet, daß die Bezeichnung „freies Munizipium", die einige dieser Städte tragen (so Thugga), auf die „Befreiung" von Karthago hinweisen soll. D o c h wie François Jacques [68] zeigen konnte, bedeutet dieses „frei" vielmehr, daß die Privilegien der „freien" Kolonie Karthago (d. h. insbesondere die Steuerbefreiung, die schon die Karthager in der pertica besessen hatten) auf die neuen Munizipien ausgedehnt wurden. Drei wichtige Städte, Karthago, Utica und Lepcis Magna, erhielten unter Septimius Severus oder Caracalla das italische R e c h t , womit für sie alle steuerlichen Vorrechte Italiens galten. Septimius Severus starb 211, und schon im nächsten Jahr gab sein Sohn Caracalla allen Freien im R e i c h das römische Bürgerrecht. A priori könnte man erwarten, daß in der Folge Hochstufungen peregriner Städte zu Munizipien oder Kolonien aufhörten, da das Bürgerrecht, das man früher auf diesem Weg hatte gewinnen können, n u n m e h r ohnehin alle Provinzialen besaßen. D o c h im G e genteil geriet der Prozeß keineswegs ins Stocken, sondern beschleunigte in Afrika bis Gallienus (260-268) immer weiter. In der Prokonsularis und in N u midien (seit Septimius Severus eine eigenständige Provinz, in der der Legionsle-
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gat zugleich Statthalter war) entstanden in dieser Periode zehn Titularkolonien und sechzehn Munizipien [Gascou 52, S. 233-318]. Ihren B e w o h n e r n reichte es nicht, als Personen das römische Bürgerrecht zu besitzen, sie wollten auch, daß ihre Gemeinden offiziell durch einen solchen Status u n d die entsprechenden römischen Institutionen in die römische Kultur integriert wurden. B e m e r kenswerterweise hielt dieser sowohl von den Provinzialen als auch von den A u toritäten erwünschte Prozeß an, als das R e i c h in große Schwierigkeiten geriet. U n t e r Valerian und Gallienus (253-268), als sich die Lage in Europa und im O r i e n t dramatisch zuspitzte, gab es in Afrika zwei Hochstufungen zur Titularkolonie [darunter Thugga; Christol 22], zwei zum Munizipium u n d die Verleih u n g der vollen A u t o n o m i e an Städte, die zuvor von Cirta seit der Auflösung der Konföderation abhängig gewesen waren [Gascou 52, S. 262-264]. Dies zeigt nicht nur die anhaltende Dynamik der Romanisierung, sondern auch, daß Afrika von den Auswirkungen der Krise weit weniger betroffen war als die meisten anderen R e g i o n e n des R ö m i s c h e n Reiches [Dupuis 37]. Es ist nicht unvorstellbar, daß im 3. Jh. alle Städte der Prokonsularis in den R a n g einer römischen Gemeinde aufstiegen. Die Inschriftenneufunde, die in Tunesien auch heute noch zahlreich sind, lassen uns regelmäßig von neuen Erhebungen in der Zeit zwischen Hadrian und Gallienus erfahren [Desanges 32].
2. 1. 3. 3 Die Bedeutung des Munizipalisierungsprozesses Die starke Z u n a h m e der römischen bzw. latinischen Gemeinden in der P r o k o n sularis war ein politischer und juristischer Prozeß, den die Kaiser seit Hadrian förderten, zugleich aber auch Ergebnis u n d Ausdruck einer soziokulturellen Entwicklung. Zunächst läßt sich daran der erworbene R e i c h t u m ersehen, denn eine römische Stadt zu sein, kostete die Bürgerschaft und insbesondere die F ü h rungsschicht viel Geld. Archäologisch läßt sich zeigen, daß sich diese Städte mit einer Urbanistik römischen Stils ausstatteten, die die traditionellen Baulichkeiten umfaßte (Forum, Portiken, Tempel, T h e r m e n , Aquädukte, Brunnen, T h e a ter). Das setzt entsprechende finanzielle Möglichkeiten voraus, und zwar entweder bei der Stadt oder bei den Honoratioren, die Euergesien stifteten. Eine Stadt konnte nur dann zur römischen Gemeinde aufsteigen, w e n n es eine ausreichend große G r u p p e von Notabein gab, die die zensitären Voraussetzungen erfüllten, u m D e k u r i o n e n zu werden, und das Geld hatten, die summa honoraria, die man Magistraten abverlangte, zu bezahlen. Städte w u r d e n nicht dazu gezwungen, Munizipium oder Kolonie zu werden. Ganz im Gegenteil m u ß t e man fur solche Erhebungen vorstellig werden, m ä c h tige Patrone einschalten und Gesandtschaften z u m Kaiser schicken, was alles inschriftlich belegt ist. Sowohl die Adaption des römischen Urbanismus (was ein Alltagsleben römischen Stils nach sich zog) als auch das B e m ü h e n u m Veränderung der Rechtsstellung waren weitgehend spontane Formen der Integration. Die Kaiser antworteten auf solche Anfragen dann bejahend, w e n n die betreffende Gemeinde in der Lage war, das komplexe römische Stadtmodell [Bd. I, S. 273-293] zu übernehmen, reich genug, sich mit d e m notwendigen urbanisti-
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sehen Schmuck zu versehen, und ihre herrschende Elite bereits romanisiert war und über ausreichend Geld verfügte. Die Munizipalisierung verstärkte natürlich die Romanisierung, aber letztere mußte ersterer, wie gesagt, vorausgehen. Ein solcher Prozeß implizierte die weitgehende Aufgabe der vorherigen Kulturtradition. So enden im 2. Jh. die neupunischen Inschriften, diese Sprache war danach nur noch ein ruraler Dialekt. „Koloniale" (im modernen Sinne) Verhältnisse waren also in der Prokonsularis im 2. Jh. verschwunden. Es gab nicht mehr die Gesellschaft der privilegierten Einwanderer neben der indigenen Gesellschaft, sondern nur noch eine Elite, die angesichts der hohen Zahl der Städte groß war und in der sich die Nachkommen der Kolonisten des 1. Jh.s mit den viel zahlreicheren romanisierten Afrikanern vermischten. Das Volk auf dem Lande war von der Romanisierung weit weniger betroffen, im Gegensatz zu den kleinen Leuten in den Städten, die täglich von den Annehmlichkeiten des Urbanismus profitierten. Im 2. Jh. machte Africa Proconsularis gegenüber dem resdichen römischen Westen den Abstand in der Integration wett, der sich im vorhergehenden Jahrhundert hatte beobachten lassen. 2. 1. 3. 4 Die Sozialstruktur Sowohl das schnelle Wirtschaftswachstum als auch die immer intensiver werdende Romanisierung führten zu tiefgehenden Veränderungen der Sozialstruktur. Die wichtigste Folge war die Beseitigung der „kolonialen" (wiederum im modernen Sinne) Kluft zwischen den Indigenen und den Nachkommen der Einwanderer im 2. Jh. Die immer weitere Verbreitung des römischen Bürgerrechts bzw. des latinischen Rechts führte zu einer Mischung dieser beiden Elemente und zur Geburt einer afroromanischen Gesellschaft. Eines der deutlichsten Zeichen dieser Mischung ist die große Schwierigkeit der Historiker, die ethnische Herkunft von Afrikanern zu bestimmen, deren ausnahmslos lateinische Namen dabei keine Hilfe sind [Lassère 74]. Der Cirtaer Redner Fronto, Lehrer Marc Aurels und Suffektkonsul i. J. 143, stammte nach eigener Aussage von „libyschen Nomaden" ab (wahrscheinlich mütterlicherseits). Etwas später erklärte der Schriftsteller Apuleius aus der Kolonie Madaura stolz [apol. 24], halb Numider, halb Gätuler (so nannte man die Bewohner des Wüstensaums) zu sein. Man darf annehmen, daß die Afrikaner, die in den römischen Senat gelangten, von italischen Einwanderern abstammten, sofern sie aus Kolonien wie Karthago oder Cirta kamen, und ihre Abkunft von Indigenen herleiteten, wenn ihre Herkunftsstädte ursprünglich nicht römisch waren, wie Bulla Regia oder Uzappa. Zur Zeit Hadrians nahmen die Aufnahmen von Afrikanern in den Senat stark zu [Corbier 24; Le Glay 82]. Vermutlich stellten die afrikanischen Senatoren unter Marc Aurel und Commodus ungefähr 15% des Rates, d. h. rund 100 clarissimi. Aus ihren Rängen stammte der Kaiser Septimius Severus. Zahlreiche Afrikaner stiegen in den Ritterstand auf. Wenn sie auch mehrheitlich in ihren Städten blieben [Duncan-Jones 34], so traten doch auch viele als Offiziere und Prokuratoren in den Dienst des Kaisers. Man hat 162 gezählt
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[Jarrett 69], zumeist stammen sie aus der Prokonsularis und d e m Gebiet von Cirta. Z u r Antoninen- und Severerzeit hatte es also ein Teil der afrikanischen Elite in die Führungsschicht des Reiches gebracht, w o diese M ä n n e r eine w i c h tige Rolle spielten. Die Thronbesteigung von Septimius Severus i. J. 193 krönte den Aufstieg der Afrikaner. Die Vielzahl der Städte u n d die fortschreitende r ö mische Munizipalisierung brachte zahlreiche Honoratioren dazu, Magistraturen zu bekleiden, durch die sie juristische und administrative Kompetenzen erwarben u n d sich so teilweise für ritterliche prokuratorische Karrieren qualifizierten. Diesen Beamten standen Rechtsgelehrte zur Seite, deren Zahl immer mehr zunahm. Schon in traianischer Zeit nannte Juvenal Afrika die „ N ä h r m u t t e r der Advokaten" [7. 148f.]. Freilich liegt hier der Stereotyp des streidustigen Afrikaners zugrunde, doch in der Tat besaßen viele Afrikaner eine große Kompetenz in R e c h t und Verwaltung, was die kaiserliche Autorität zu nutzen wußte. So war der größte Jurist hadrianischer Zeit, Salvius Iulianus, dem der Kaiser die Niederschrift des edictum perpetuum [Bd. I, S. 85] übertrug, wahrscheinlich ein Afrikaner aus H a d r u m e t u m [SHA Didius Iulianus 1.2]. In der afrikanischen Gesellschaft gewann die soziale Kluft zwischen honestiores und humiliores immer m e h r an Bedeutung u n d ersetzte allmählich den U n t e r schied zwischen römischen Bürgern u n d Peregrinen. Die Kategorie der honestiores umfaßte Senatoren, Ritter, Veteranen und die Ratsherren der zahllosen Gemeinden, die in Städten römischen oder latinischen Rechts D e k u r i o n e n hießen. In wirtschaftlicher Hinsicht war die letzte Gruppe alles andere als h o m o gen. Selbst unter den Honoratioren ein und derselben Stadt gab es wenig bemittelte D e k u r i o n e n knapp oberhalb der Zensusgrenze u n d steinreiche G r o ß grundbesitzer, die häufig dem Ritterstand angehörten u n d von denen man euergetische Großzügigkeiten erwartete. Ebenso kann man die zumeist u n b e deutenden Honoratioren der zahlreichen Kleinstädte nicht mit den großen Persönlichkeiten vergleichen, die im R a t von Karthago oder einer anderen wichtigen Stadt saßen. M a n kann dies an der H ö h e der Ehrengelder sehen, die Magistrate u n d öffentliche Priester zahlten: 30 000 Sesterzen in Karthago, 20 000 in Cirta, aber nur 3 000 in einer Kleinstadt wie T h u b u r b o Maius [Duncan-Jones 35, S. 345-380], D e r zunehmende Wohlstand ermöglichte zahlreichen Menschen, sozial aufzusteigen. W i r sprachen schon von den Afrikanern, die in den Senat und den Ritterstand gelangten, aber man darf auch die kleinen Leute nicht vergessen, die es zu städtischen Notabein brachten. D e r berühmteste Einzelfall ist der U n bekannte, den man den „Ernter von Mactar" nennt und der durch sein Versepitaph aus d e m 3. Jh. bekannt ist [CIL VIII 11824; D 7457]: Als kleiner G r u n d besitzer, wandernder Arbeiter in der Landwirtschaft, dann C h e f einer Truppe von tagelöhnenden Erntehelfern, machte er ein Vermögen, kaufte eine D o m ä n e und w u r d e Magistrat („Zensor", d. h. D u u m v i r quinquennalis) in seiner H e i matstadt Mactar. Auf der Inschrift zeigt er die Großspurigkeit eines Parvenus. Sein Fall ist beispielhaft für viele andere, denn die großflächige U r b a r m a c h u n g des Landes ermöglichte vielen Menschen, reich zu werden und sozial aufzustei-
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gen. Die Bauern, die auf kaiserlichen oder privaten Domänen den Status von Manciana-Kolonen erwarben, mußten sich mit dem geringen Wohlstand zufrieden geben, den ihnen die zwei Drittel der Ernte gewährten, die ihnen blieben. Doch die Entschlossenheit, mit der sich die Pächter von Souk-el-Khemis [S. 94] wehrten, zeigt, daß sie ihre Vorrechte keineswegs für wertlos hielten. An Sklaven gab es Domestiken in den städtischen Häusern und Handwerker in den Werkstätten. Auf dem Land erscheinen Sklaven und Freigelassene epigraphisch vor allem als Verwalter von kaiserlichen und privaten Domänen. Sklaven, die in der Landwirtschaft arbeiten mußten, waren auf einigen Domänen sicher zahlreich, werden jedoch gewöhnlich nur selten in den Quellen erwähnt. Eine Ausnahme sei erwähnt: Pudentilla, Apuleius' Frau, ließ mehrere tausend Sklaven auf ihren tripolitanischen Ländereien arbeiten (Die Schätzung geht von dem Faktum aus, daß sie jedem ihrer Söhne anstandslos 400 Sklaven geben konnte [Apul. apol. 93. 4; Pavis d'Escurac 98].). Gleichwohl war in Afrika die Bedeutung der Sklaverei für die Landwirtschaft wesentlich geringer als in Italien [Gsell 59]. Der Anteil der Sklaven an der Gesamtbevölkerung war sicher äußerst gering. Freie Arbeiter haben nach allem, was wir wissen, dominiert: kleine Grundbesitzer, die selbst ihr Land bearbeiteten, Pächterkolonen, ob nun Manciana oder nicht, wandernde Tagelöhner. Anscheinend profitierten auch die kleinen Leute vom Wachstum des afrikanischen Reichtums in der antoninisch-severischen Zeit. In diese Periode fällt der Höhepunkt des Euergetismus in den Städten, wovon das städtische Volk sehr profitierte, unter anderem durch die Lebensmittelverteilungen. In der Nordostprokonsularis erlaubte die hohe Städtedichte den Landbewohnern, ohne weite Wege an den Vorteilen des römischen Urbanismus teilzuhaben. Dort waren die einzelnen Städte nur wenige Kilometer getrennt, und häufig wohnten die Bauern in den Städten [Sherwin-White 126]. Das fast vollständige Fehlen von Zeugnissen über Sozialrevolten legt die Existenz eines relativen Gleichgewichts nahe. Gleichwohl scheint die schlimme Unterdrückung, in der laut Augustin die Bauern von Hippo-Numidien zu Beginn des 5. Jh.s leben mußten, wohl keine Entwicklung der Spätantike zu sein. In dieser Zone geringer Städtedichte war die Romanisierung des flachen Landes gering. Dort sprachen zu Augustins Zeit die Bauern noch Punisch. Auch die Gruppen in den südlichen Steppen, die das Stammessystem bewahrt hatten, wurden weiterhin als Barbaren angesehen, ob sie nun nomadisierten oder seßhaft waren. Sie blieben weitgehend von R o m a nisierung und neuem Reichtum ausgeschlossen. Das glanzvolle Bild, das Epigraphik und Archäologie vermitteln, kaschiert solche Realitäten.
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2. 1. 4 Die afroromanische Kultur 2. 1. 4. 1 Literatur u n d Kunst D e m j u n g e n Dichter Florus m i ß g ö n n t e Kaiser Domitian bei den Kapitolinischen Spielen einen Preis, weil er Provinzialen im allgemeinen u n d Afrikaner im besonderen nicht leiden konnte [Vergilius orator an poeta 1], Auch in diesem Bereich änderte sich vieles mit Hadrian, der, wie oben bereits erwähnt, den H a drumeter Juristen Salvius Iulianus mit der Abfassung des edictum perpetuum b e auftragte. Marc Aurels Lehrer war der Cirtaer R e d n e r Fronto. D e r größte afrikanische Schriftsteller der H o h e n Kaiserzeit war Apuleius, der u m 125 als Sohn eines reichen Honoratiors in Madaura geboren wurde. Sein Hauptwerk, die „ M e t a m o r p h o s e n " oder „Der goldene Esel" (um 170), ist ein R o m a n , in dem sich phantastische Abenteuer und mystische Reflexionen über den Isiskult m i schen. Apuleius erwarb sich eine h o h e Reputation durch populärplatonische Abhandlungen. W ä h r e n d er als berühmter Vortragsredner in Karthago lebte, verfaßte er die florida, in denen er das intellektuelle Leben in der afrikanischen Metropole beschreibt. W i e man sieht, fiel die kulturelle Blüte Afrikas zusammen mit dem H ö h e p u n k t von Landwirtschaft u n d Städtewesen. In zahlreichen Städten öffneten damals Grammatik- und Rhetorikschulen, wo die Söhne der Lokalaristokraten in der lateinischen Literatur unterrichtet wurden. Die Versepitaphe mit ihren zahlreichen Vergilzitaten und -reminiszenzen [Gsell 60], die selbst in abgelegenen Städten gefunden wurden, bezeugen die weite Verbreitung der Bildung, ganz wie das b e r ü h m t e Mosaik mit Vergil zwischen zwei M u sen, das in H a d r u m e t u m (Sousse) gefunden w u r d e u n d sich heute im M u s e u m von Le Bardo befindet. Einige Städte statteten sich mit einer öffentlichen Bibliothek aus, so Timgad im 3. Jh. dank der Großzügigkeit eines Euergeten. Ein Honoratior aus Thubursicu N u m i d a r u m ließ auf die Grabsteine seiner beiden j u n g verstorbenen Söhne schreiben, daß sie „in beiden Sprachen unterwiesen" waren, d. h. in Latein und Griechisch. Auf der anderen Seite erlebte die alte punische Kultur ihren unerbittlichen Niedergang. W i e schon erwähnt, verschwinden die Inschriften in dieser Sprache im 2. Jh. Die peregrinen Städte, die im 1. Jh. die Rückzugspunkte dieser Tradition waren (Thugga, Mactar), erscheinen im darauffolgenden Jahrhundert vollständig romanisiert. Die Kunstform, die man in Afrika mit Vorliebe pflegte, war das mehrfarbige Bodenmosaik mit floralen [Germain 55] oder figürlichen Motiven. Die zahlreichen Vorlagen, die von phantasievollen Künstlern geschaffen wurden, gehören in den Bereich des Stils, den G . - C h . Picard [105, S. 287-296] den „afrikanischen Barock" genannt hat. Viele dieser Mosaiken stammen aus der A n t o n i n e n und Severerzeit, aber wir wissen heute, daß eine große Zahl (darunter die schönsten) nicht vor d e m 4. Jh. entstanden sind. W i e auch in anderen Bereichen, gab es hier in Afrika eine Kontinuität zwischen dem 2. u n d dem 4. Jh.
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Es sei abschließend noch daraufhingewiesen, daß in Afrika mit Tertullian die christliche lateinische Literatur entstand. D a r a u f werden wir später n o c h zu sprechen k o m m e n . 2. 1 . 4 . 2 R e l i g i o n e n D i e R e l i g i o n e n im römischen Afrika wurden oft behandelt, nicht zuletzt aufg r u n d des reichen Quellenmaterials: S o wird mit Tausenden von Stelen O p f e r n an B a a l - H a m m o n gedacht, der in der römischen Zeit zu Saturn mutierte [Standardwerk v o n Marcel Le Glay 79, 80]. D a s archäologische und epigraphische Material klärt vor allem über die indigenen, mehr oder weniger romanisierten Kulte auf. Sie zeigen das vorrömische Substrat, das in der R e l i g i o n überdauert hat. D i e römische R e l i g i o n scheint sich zunächst auf die italischen G e m e i n schaften beschränkt zu haben, d. h. vor allem auf die K o l o n i e n und die Militärlager. Ihr Einfluß in den Städten nahm proportional zur R o m a n i s i e r u n g zu u n d führte häufig zur Errichtung eines Kapitols auf d e m F o r u m . Würdenträger b e kleideten die Priestertümer A u g u r und Pontifex in den K o l o n i e n u n d M u n i z i pien, und sie b e g i n g e n die R i t e n des offiziellen Kults im römischen Stile. Selbst in den noch peregrinen Städten drückte sich die Treue zu R o m schon sehr früh im Kaiserkult aus. Diesen Kult begingen die Flamines auf städtischer, die provinzialen Priester auf provinzialer Ebene. M i t der römischen R e l i g i o n zeigte man vor allem seine Zugehörigkeit zur römischen Kultur, egal, ob man diese Kultur nun ererbt oder erworben hatte. D i e eigentliche Religiosität der Afrikaner wandte sich dagegen im wesendichen an die traditionellen Götter. Getreu ihrem Prinzip, nie mit den G ö t t e r n K r i e g zu führen, respektierten die R ö m e r die punischen Gottheiten peinlich genau. In Karthago errichtete man einen riesigen Tempel für die Stadtgöttin Tanit, die die R ö m e r „ d i e H i m mlische" (Caelestis) nannten. D i e phönikischen Gottheiten waren schon vor Zeiten mit griechischen Göttern identifiziert worden. N u n m e h r setzte man Esm u n und Äskulap, Schadrapa u n d Bacchus (Liber Pater), Melqart u n d Herkules gleich [Picard 108]. D i e wichtigste Gottheit des punischen Afrika, Baal H a m m o n , selbst schon aus einem Synkretismus mit einer Berbergottheit hervorgegangen, w u r d e mit Saturn identifiziert. E r behielt zahllose Gläubige in den Städten und auf d e m Land. N u r Menschenopfer waren streng verboten. D i e Tempel bewahrten im 1. J h . ihre alte Anlage mit einem Opferplatz unter freiem H i m m e t (Tophet), auf d e m Stelen standen, die an Opferhandlungen erinnnerten, u n d einfachen Kapellen, in denen sich Kultstatuen befanden. I m 2. J h . errichtete man für die traditionellen Gottheiten Tempel römischen Stils, denen ein Portikushof vorgeschaltet war. D o c h die hohen M a u e r n , die u m die Anlagen liefen, stellten einen Unterschied zu den Tempeln für die römischen Götter dar, die öffentliche Plätze dominierten. Eine Inschrift aus T h u b u r b o Maius zählt die Handlungen auf, die drei Tage lang vor d e m Betreten des Tempels v o n Äskulap (Esmun) verboten waren: Geschlechtsverkehr, öffendiches Baden, Haareschneiden, G e n u ß v o n Schweinefleisch oder B o h n e n . Es war ferner untersagt, innerhalb des heiligen Bezirks Schuhe zu tragen [Inscr. lat. d'Afr. 225]. A u f Sa-
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turnstelen aus Nicivibus (N'gaous in Südnumidien) [CIL VIII 18630; AE 1931, 58-60; Le Glay 80, S. 68-75] berichten Inschriften des 2. Jh.s von den Opfern, die Eltern römischen Bürgerrechts für die Gesundheit ihrer Kinder darbrachten, „Leben für Leben, Blut für Blut, Atem für Atem". Diese Opferungen werden auf den lateinischen Inschriften mit dem punischen Wort „Molkomor" bezeichnet, was die Ersatzopferung eines Lammes anstelle eines Kindes bedeutet. Hier sind wir sehr weit von der römischen Religion entfernt. Gleichwohl läßt sich verfolgen, wie sich die afrikanischen Kulte während der antoninischen-severischen Zeit immer weiter romanisierten. Im Bereich der Tempelarchitektur wurde dies bereits erwähnt, Gleiches gilt für die Saturnsäulen, deren Schmuck immer römischer wurde: Den Gott stellte man im römischen Stil dar, den Dedikanten in der Toga, die Stele war wie eine Tempelfassade gestaltet. Die Koexistenz der traditionellen Kulte und der römischen Religion war durch den offenen Charakter des Polytheismus problemlos. Ein Anhänger von Baal-Saturn sah nur Vorteile darin, auch Iuppiter Capitolinus oder vielleicht auch irgendeine orientalische Gottheit, in deren Kult er initiiert war, zu verehren. Allerdings fanden die orientalischen Kulte in Afrika nur geringe Verbreitung. Beim Christentum sah dies ganz anders aus. Dieses breitete sich seit der zweiten Hälfte des 2. Jh.s schnell in Afrika aus und bediente sich von Anfang an der lateinischen Sprache, während sich die wenigen christlichen Gemeinden andernorts im Westen lange Zeit fast ausschließlich aus orientalischen Zuwanderern griechischer Sprache rekrutierten. Der Karthager Tertullian hat ein umfangreiches Werk hinterlassen, das zwischen 197 und ca. 220 entstand. Als wortmächtiger und origineller Schriftsteller [J.-C. Fredouille, Tertullien et la conversion de la culture antique, Paris 1972] stellte er seine Leidenschaft und sein Wissen in den Dienst der neuen Religion, indem er sie gegen Angriffe verteidigte, zumal während der Verfolgung, die Prokonsuln unter Septimius Severus durchführten [Monceaux 95], Tertullian beschreibt eine große (vielleicht übertreibt er ein wenig) und aktive christliche Gemeinde, die Mitglieder aus allen sozialen Schichten zählte und in vielen verschiedenen Städten organisiert war. Schon 216 kamen zu einem Konzil 70 afrikanische Bischöfe. Etwas später, 256, konnte Cyprian, Bischof von Karthago, 90 Bischöfe zusammenrufen. Die Schriften Cyprians sind wichtige Zeugnisse für die Verfolgungen, die die afrikanischen Kirchen unter Decius (250-251) und Valerian (257-258) trafen. Marcel Le Glay [79, S. 487] hat festgestellt, daß die Zahl der Saturnstelen seit der Mitte des 3. Jh.s zurückgeht, und bringt dieses Phänomen in Zusammenhang mit der schnellen Ausbreitung des Christentums in den Städten und auf dem Land, bis tief nach Numidien hinein, was auf Kosten der alten Kulte geschah. Jedenfalls läßt sich festhalten, daß das lateinische Christentum in Afrika, und nicht in Italien, Gallien oder Hispanien entstand und daß die afrikanischen christlichen Denker Tertullian, Cyprian und später Augustin ihm seinen eigenen Geist und seinen spezifischen Charakter gaben. Dies war mit Sicherheit der
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R o m und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II
wichtigste Beitrag der afroromanischen Zivilisation zur späteren Kultur des W e stens
2. 1. 5 Das römische Afrika im 3. Jh. W i e bereits mehrfach erwähnt, gab es zwischen Afrika u n d d e m Rest des römischen Westens eine größere Zeitverschiebung hinsichtlich der Entwicklung. Erst unter Hadrian erlaubte d e m Land eine außerordentliche Blüte der W i r t schaft und der Romanisierung, seinen Rückstand aufzuholen und sogar eine dominante Position im Westen zu erlangen. N a c h dem Zeugnis des umfangreichen epigraphischen und archäologischen Materials, das durch den Zeitgenossen Tertullian bestätigt wird [Lepelley 84], datiert Afrikas H ö h e p u n k t unter die Severer, in die letzten Jahre des 2. u n d das erste Drittel des 3. Jh.s. D o c h dann geriet das R e i c h in große Schwierigkeiten, als es mit einer R e i h e von Invasionen zu kämpfen hatte. D u r c h das Mittelmeer vor den Germaneneinfällen geschützt und fern der Persergefahr, blieb Afrika weitgehend verschont, m u ß t e aber dennoch Rückschläge durch verschiedene Nebeneffekte der Krise h i n n e h men: die Instabilität der kaiserlichen Zentrale, die Währungsprobleme, der wachsende fiskalische Druck. W i r wissen von zwei dramatischen Ereignissen, die sich damals abspielten u n d die scharf mit der R u h e der beiden vorausgegangenen Jahrhunderte kontrastieren. Die überhöhten Steuerforderungen eines Prokurators des Soldatenkaisers Maximinus (235-238) führten zu einer Revolte afrikanischer Notabein, die 238 in Thysdrus den betagten Statthalter Gordian zum Kaiser ausriefen. Die legio III Augusta unter ihrem Legaten Capellianus b e endete dieses Abenteuer blutig. Jedoch führte die Unterstützung, die der r ö m i sche Senat der Revolte geleistet hatte, nach einem kurzen Bürgerkrieg zur Eliminierung von Maximinus und zur Thronbesteigung des j u n g e n Gordian III., des Enkels von Gordian I. [SHA, Gordiani Tres 7-16; Herodian. 7. 4-10]. So w u r d e die legio III Augusta aufgelöst, was die Verteidigung Afrikas gefährdete. Dies wurde bei d e m zweiten schlimmen Ereignis deutlich, der gefährlichen R e bellion, die zwischen 253 und 260 in Mauretanien ausbrach. Die aufständischen Stämme konnten bis N u m i d i e n vordringen, sogar bis nach Calama (Guelma) in der westlichen Prokonsularis, nach dem Zeugnis einer R e i h e von H o r t e n , die auf dem Staatsgebiet des gesamten heutigen Algerien vergraben wurden [Bénab o u 3, S. 214-231; Salama 122]. Die Legion w u r d e wieder aufgestellt, doch ließ sich die Gefahr erst nach mehreren Jahren eindämmen. Das war das erste Mal seit Tacfarinas, also seit 230 Jahren, daß N u m i d i e n u n d die Prokonsularis von einer ernsthaften Gefahr heimgesucht wurden. Die H ö h e der Steuern, mit denen die Kriegsführung an der G e r m a n e n - und der Perserfront finanziert wurde, führte zur Verringerung der finanziellen M ö g lichkeiten, was durch die Inflation (Wertverfall des Silbergeldes) noch verschlimmert wurde. Die afrikanischen Exporte litten unter der Verarmung der europäischen Absatzmärkte. Jedoch gingen sie weiter, wie sich aus der Verbreitung der terra sigillata chiara über den ganzen Mittelmeerraum ergibt. Inschriften,
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die die Errichtung von Monumenten und euergetische Stiftungen nennen, werden nach 230 seltener, verschwinden jedoch nicht. Man hat sogar eine Art „Renaissance" in Afrika unter Gallienus festgestellt, was im ganzen Römischen Reich dieser Zeit völlig singular ist [Dupuis 37]. Wie oben bereits erwähnt, erstrebten in dieser Zeit zahlreiche afrikanische Städte den Status eines Munizipiums oder einer Titularkolonie. Für die Jahre 260-280 fehlt es fast ganz an Inschriften, was wahrscheinlich einer Krisenzeit entspricht, doch seit den 280er Jahren, insbesondere ab 286 unter Diocletian, beginnt die Bautätigkeit wieder [Lepelley 83, S. 85-89], Wir können also festhalten, daß Afrika nur wenig unter der Krise des 3. Jh.s litt und daß diese Periode dort keinen wirklichen Bruch darstellt. Dieser Punkt ist sehr wichtig, denn dies bedeutet, daß die Prosperität des flachen Landes und der Städte, der Umfang des Exports und das Wachstum des Reichtums sowie das blühende intellektuelle Leben sich nicht auf die hundert Jahre zwischen Hadrian und Caracalla beschränkten. Afrikas Entwicklung war verspätet, aber nachhaltig, und hielt in der Spätantike an. Archäologen haben festgestellt, daß Regionen wie das Tal oued Tine [Peyras 100, 101] oder die Ebenen der Region von Cillium (Kasserine) [Hitchner 63, 64] zwischen dem 2. und dem 5. Jh. ohne Unterbrechung intensiv und methodisch bewirtschaftet wurden. Davor und danach wurden diese Zonen mit primitiven Methoden kultiviert, bzw., wie in Cillium, von Hirtennomaden genutzt. Der Umfang der Städte ging nach der Krise des 3. Jh.s keineswegs zurück, genauso wenig wie ihre Bevölkerung oder die Pracht ihres Urbanismus. Manche erlebten im 4. Jh. sogar eine neue Ausdehnung [Février 47; Duval 39, 40; Lepelley 83], Was die wirtschaftliche Prosperität angeht, insbesondere hinsichtlich der Landwirtschaft und der Exporte [Tchernia/Zevi 128] und hinsichtlich der Dynamik des städischen und auch des kulturellen Lebens, gab es für das römische Afrika keinen Bruch zwischen dem 2. und dem 4. Jh., ja sogar dem ersten Drittel des 5. Jh.s. Der Kontrast zwischen dem 2. und dem 4. Jh. ist daher in vielen Bereichen viel geringer als der zwischen dem 1. Jh. und der antoninisch-severischen Zeit. Die Kontroversen der Archäologen, ob manche Mosaiken ans Ende der Hohen Kaiserzeit oder ins 4. Jh. gehören, sind ein weiteres Beispiel fur diese Kontinuität [Picard 105, S. 306-308], Die Blüte des römischen Afrika und besonders die seiner Städte ab Hadrian war kein ephemeres und oberflächliches Phänomen, sondern erstreckte sich mit seinen Auswirkungen über mehrere Jahrhunderte.
2. 2 Mauretania Caesariensis und Mauretania Tingitana 2 . 2 . 1 Das Vasallenreich Mauretanien „Mauretanien" hieß eine sehr ausgedehnte Region, die den ganzen zentralen und westlichen Maghreb umfaßte, von der Amsaga (oued el Kébir) östlich von Serif bis zum Atlantikufer, was heute dem Algérois, Oranien und Marokko ent-
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spricht. Die Küstenstädte waren phönikische oder punische Gründungen. Zur Zeit des Iugurthakrieges existierte ein Berberkönigreich, dessen Herrscher Bocchus den Römern den zu ihm geflohenen Numiderkönig auslieferte. Während des Bürgerkriegs zwischen Caesar und den Pompejanern herrschten dort zwei Könige, Bocchus II. über Ost-, Bogud über Westmauretanien. Als Verbündete Caesars profitierten sie von seinem Sieg. Bocchus II. erhielt numidisches Land im Osten bis zur Amsaga, die erst damals zur numidischen Grenze wurde. Eine Erhebung der Tingitaner führte zum Sturz von Bogud und zur Annektierung des Ostreichs durch Bocchus II., der über das vereinigte Mauretanien bis zu seinem Tod 33 v. Chr. herrschte. Die nächsten sieben Jahre wurde das Königreich direkt durch Octavian verwaltet, der dort 25 v. Chr. Iuba II., den Sohn des mit Caesar verfeindeten Numiderkönigs, einsetzte (bis 24 n. Chr.). Mauretanien erschien den Römern stets als fernes Randland. Noch zu Beginn des 5. Jh.s konnte Augustinus schreiben, daß „Mauretanien nicht einmal Afrika genannt werden will". Die Römer standen seit früher Zeit in enger Verbindung zum karthagischen Umland und zu Numidien, doch lange ignorierten sie die Länder weiter im Westen, außer die Küsten, vor allem diejenige an der Straße von Gibraltar war für sie wichtig. Zwischen der Küste und dem weitgehend unbekannten Hinterland lag das hohe Gebirgsmassiv des Tellatlas (von der Kabylei bis zum Rif). Moderne Historiker nannten dieses Hinterland mehrfach „den Wilden Westen des römischen Afrika". Während der Jahre seiner Direktverwaltung (33-25 v. Chr.) hatte Octavian Augustus 13 Veteranenkolonien gegründet. Sieben lagen an der Küste, von Igilgili (Djidjelli oder Jijel) und Saldae (Bougie oder Béjaïa) an der Küste der Kabylei, bis Tingi (Tanger) an der Meerenge [Gascou 54]. Drei lagen im Landesinneren, im heutigen Algérois. Die drei letzten wurden im äußersten Westen gegründet, im heutigen Marokko. Diese Kolonien entstanden aufgrund der Notwendigkeit, die zahllosen entlassenen Veteranen der Bürgerkriegsheere unterzubringen. Nachdem das mauretanische Königreich wieder entstanden war, bildeten diese Kolonien Enklaven; vielleicht wurden sie administrativ an die hispanische Provinz Bätika angeschlossen. Nach der Niederlage und dem Tod seines Vaters Iuba von Numidien war Iuba II. in R o m in der Umgebung Octavians erzogen worden. Er heiratete Kleopatra Selene, die Tochter von Antonius und Kleopatra [S. 459]. Er war ein im Lateinischen, Griechischen und Punischen belesener Mann und verfaßte wissenschaftliche Werke, die leider verloren sind. Seine Herrschaft währte fast ein halbes Jahrhundert (25 v. Chr. - 24 n. Chr.), und er bewährte sich als treuer Verbündeter Roms. Seine Hauptstadt loi (Cherchel) nahm den Namen Caesarea an. Er machte aus ihr eine bedeutende Stadt, die gemäß den Prinzipien des hellenistisch-römischen Urbanismus gestaltet und von einer 4460 m langen Umfassungsmauer umgeben war [Leveau 86, 87], die für die Siedlung viel zu groß war, als daß sie dem Schutz vor eventuellen Einfallen der benachbarten maurischen Stämme gedient hätte. Statuen hellenistischen Typs mit einer für Afrika außerordendichen Qualität fanden sich in Caesarea. Vielleicht stammen einige von ihnen aus Iubas Zeit [Boucher-Colozier 11 ; dagegen aber Chamoux
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21, der mit guten Argumenten fur das 2. Jh., besonders die hadrianische Zeit, plädiert]. Diese Statuen sowie die (späteren) wunderschönen Mosaiken, die man in dieser Stadt fand, zeigen den R e i c h t u m der herrschenden Schichten. Die Autorität des Königs über die Stämme im Süden war nur formal. 6 n. Chr. kam es zu einem Aufstand [Cass. D i o 40. 28], der vielleicht von der U n z u friedenheit der Bevölkerung angesichts der Servilität Iubas gegenüber R o m ausgelöst wurde. Die Rebellion wurde v o m Prokonsul Cossus Cornelius Lentulus niedergeschlagen, der triumphale Ehren und den Beinamen Gaetulicus erhielt. Mauren schlossen sich auch d e m Tacfarinas-Aufstand (17-23) an. D e r Krieg dehnte sich bis an die Grenzen des Königreichs aus. Iuba ließ seine Truppen auf Seiten der R ö m e r kämpfen und prägte 18 n. Chr. Münzen, die seinen Sieg über den aufständischen N u m i d e r feierten. Iuba II. tat nicht viel mehr, als die römische Politik treu auszuführen. W i e im Fall der orientalischen Vasallenreiche hatte Augustus es für besser gehalten, aus dieser abgelegenen u n d schwer zu verwaltenden R e g i o n keine Provinz zu m a chen. So war ein Satellitenstaat eingerichtet worden, dem man aber nur eine äußerst beschränkte A u t o n o m i e gelassen hatte [Coltelloni-Frannoy 23a].
2. 2. 2 Die Annektierung Im Lauf des 1. Jh.s w u r d e n die orientalischen Vasallenreiche der R e i h e nach annektiert, sobald die Kaiser diese Zwischenstellung nicht mehr für o p p o r t u n hielten. So hätte längerfristig auch das Schicksal Mauretaniens ausgesehen, doch geschah alles viel abrupter, als 39 n. Chr. in Lyon König Ptolemaios, Sohn und Nachfolger Iubas II., auf Befehl Caligulas ermordet wurde. D e m M o r d folgte die Annektierung Mauretaniens und ein entschlossener Aufstand der Mauren unter Aidemon, einem Freigelassenen des Königs. Als Claudius i. J. 41 den T h r o n bestieg, blieb ihm dieses Vermächtnis seines Vorgängers. D e r Krieg dauerte mehrere Jahre, u n d die römische A r m e e unter den kaiserlichen Legaten m u ß t e die Stämme bis südlich des marokkanischen Plateaus verfolgen. Die große Stadt Volubilis, die eine punische Verfassung hatte, schlug sich auf die Seite R o m s u n d stellte eine Miliz auf. Die Bürger dieser Stadt zogen die römische O r d n u n g der Herrschaft der aufständischen Stämme vor. Z u m Dank verlieh Claudius der Stadt den Status eines Munizipiums römischer Bürger [IAML 448]. N a c h dem Ende des Kriegs organisierte Claudius die Provinz. Das alte K ö nigreich w u r d e in zwei Provinzen aufgeteilt, Mauretania Caesariensis im Osten mit der Hauptstadt Caesarea/Cherchel und Mauretania Tingitana im Westen mit der Hauptstadt Tingi/Tanger. Statthalter war jeweils ein ritterlicher P r o k u rator mit allen richterlichen, administrativen u n d militärischen Befugnissen eines Statthalters einer kaiserlichen Provinz. Dieses System fand nur in Provinzen Anwendung, die zu klein und zu unwichtig waren, als daß man ihretwegen einen Senator entstandt hätte (wie auch die kleinen Alpenprovinzen [S. 173f.]). Die Armee, die in dieser niemals ganz befriedeten R e g i o n stets notwendig
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blieb, bestand aus Auxiliareinheiten. Diese rudimentäre Verwaltung w u r d e bis zur Spätantike nicht ausgebaut, was zeigt, daß R o m diesen R e g i o n e n niemals dieselbe Bedeutung beimaß wie der Prokonsularis und N u m i d i e n .
2. 2. 3 Die begrenzte Okkupation 2. 2. 3. 1 Mauretania Caesariensis R o m versuchte niemals, die versteppten H o c h e b e n e n im Inneren zu besetzen. D e r Limes entstand südlich der einzelnen Ketten des Tellatlas und nicht am Saum der Sahara wie in den östlichen Provinzen Afrikas. Daher besaß das r ö m i sche Afrika (wie das heutige Osterreich) die F o r m eines Delphins mit dem Kopf nach Osten. Die Caesariensis erstreckte sich von Westen nach Osten über rund 700 km, und ihre Südgrenze entfernte sich (außer im äußersten Osten in der Gegend von Sétif) nirgends mehr als 50 k m von der Küste. Die Grenze zum unabhängigen Hinterland bildete das Tal des Chélif von Miliana bis Ai'n-Temouchent, w o sich das Verteidigungssystem von Traian bis Hadrian nachweisen läßt. Weiter im Osten befand sich die Grenze etwas weiter im Inneren, südlich des kabylischen Massivs. Z u r Zeit von Septimius Severus w u r d e der Limes weiter nach Süden vorgeschoben. Danach umfaßte die Provinz die Berge von H o d na und Ouarsenis, so daß die Grenze mit ihrer dahinter liegenden Straße (praetentura) und den Militärposten n u n m e h r am Nordsaum der H o c h e b e n e n verlief, was strategisch wesentlich befriedigender war. Trotz dieser bedeutenden Flächenzunahme bedeckte die Caesariensis immer noch nur einen schmalen R a n d des Algérois u n d Oraniens. Inschriftlich sind belegt: sechs Reiteralen, 16 K o horten, vier numeri [Benseddik 4],
2. 2. 3. 2 Mauretania Tingitana Die Tingitana war mit der Caesariensis nur durch einen sehr schmalen Küstenstreifen verbunden. Sie scheint m e h r mit Hispanien als mit d e m Rest Afrikas in Verbindung gestanden zu haben. Sie umfaßte nur den N o r d e n des heutigen Marokko, die R i f - Z o n e und den Nordteil des marokkanischen Plateaus, d. h. das Becken des Sébou. Der Limes begann am Atlantik etwas südlich von Rabat (nahe dem Munizipium Sala) u n d verlief südlich von Meknès und Fès. Er traf im Nordosten die Mulucha (Moulouya), den Grenzfluß zur Caesariensis [Euzennat 42]. Mächtige Stämme lebten südlich dieser Grenze u n d verblieben außerhalb des Reiches. Archäologen fanden Spuren zahlreicher militärischer A n lagen, so von rund einem D u t z e n d Lager, die sich über die ganze Provinz verteilen. Gleichsam war das ganze Land befestigt, was darauf hindeutet, daß Gefahr nicht nur von außerhalb der Grenze drohte. Dieses System w u r d e gleich nach der Eroberung oder wenig später errichtet [RebufFat 116].
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2. 2. 3. 3 R o m s Beziehungen zu den Stämmen In dieser Z o n e lebten zahlreiche Maurenstämme. Einige von ihnen, wie die Quinquegentaneer der großen Kabylei oder die Zegrensen am Südhang des Rif, w o h n t e n innerhalb der Provinzgrenzen, andere lebten jenseits des Limes. Die Bavaren w o h n t e n an der Grenze der Caesariensis, südlich der Ouarsenis, die Baquaten nördlich des mittleren Atlas. Bei den Völkern, die Teil des R e i ches waren, setzten die R ö m e r die Häuptlinge (principes) ein. Mehrfach sind Militärs nachgewiesen, die als Stammespräfekten bestimmte Völker regierten [Leveau 88]. Es gab diplomatische Beziehungen zu den Völkern jenseits der Grenze. Eine R e i h e von Inschriften aus der Zeit zwischen 140 u n d 280, die insbesondere in Volubilis gefunden wurden, bezeugen Treffen zwischen tingitanischen Statthaltern u n d baquatischen Fürsten und ihre friedlichen Beziehungen [IAM IL 348-350, 356-361; Frézouls 50; Bd. I, S. 215]. Trotz aller diplomatischen Anstrengungen gab es Konflikte. 118 und 122 hatte es Hadrian mit Aufständen von Mauren zu tun, die sich vielleicht aufgrund der Hinrichtung ihres Landsmannes Lusius Quietus erhoben hatten, der einer der großen Generäle Traians gewesen war [SHA Hadrian 5. 2 und 12. 7; vgl. S. 439]. Wohl unter Hadrian plünderten die Baquaten die Küstenkolonie Cartennae (Ténès) in der Caesariensis [CIL VIII 9663; D 6882]. U n t e r A n t o n i nus Pius kam es zu einem großen Aufstand. Eine Inschrift aus Sala in der T i n g itana von 144 dankt dem Präfekten M . Sulpicius Felix dafür, die Stadt durch eine Verstärkung der Mauern geschützt u n d den Zugang zu den Feldern und zum Wald durch Militäreskorten ermöglicht zu haben [IAM IL 307; Carcopino 18, S. 200-230]. Die U n r u h e n n a h m e n zu und wuchsen sich zu einem Krieg aus, der den Kaiser dazu zwang, beide Provinzen gemeinsam durch einen Senator verwalten zu lassen. D e n n nur Senatoren konnten Legionstruppen k o m mandieren [Bd. I, S. 145], und man hatte Verstärkungen von der legio III Augusta und anderen, in Europa stationierten Legionen anfordern müssen. In dieser Zeit entstanden die mächtigen Befestigungen von Tipasa, was zeigt, daß auch die Caesariensis bedroht war. Die Auseinandersetzungen gingen bis 150 weiter. Andere U n r u h e n sollten folgen. I. J. 171 überquerten Mauren (vielleicht vom Rif) die Straße von Gibraltar u n d plünderten Südspanien; einige Jahre später gab es eine weitere Invasion [S. 126]. Die kaiserliche Autorität reagierte nicht nur durch militärische Gewalt, sondern auch durch Diplomatie, wie einige der „Friedensaltäre" von Volubilis zeigen, die in dieser Zeit nach Verhandlungen mit den Baquaten errichtet w o r den waren [Frézouls 50]. Z u m Dank für seine Unterstützung verlieh zwischen 161 u n d 169 Marc Aurel einem Clanchef aus d e m Stamm der Zegrensen (südlich des Rif) samt seiner Familie das römische Bürgerrecht. Dies wissen wir aus der b e r ü h m t e n „Tafel von Banasa", auf der die b e r ü h m t e Klausel „unter Erhalt des Stammesrechts" (salvo iure gentis) überliefert ist. Das bedeutet, daß die N e u bürger ihr Gewohnheitsrecht behielten und keineswegs zur Romanisierung gezwungen waren [IAM IL 94; Seston/Euzennat 124, 125; Bd. I, S. 230f.]. Diese Politik trug Frucht, und die Situation in Mauretanien scheint insgesamt ruhiger
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geworden zu sein. Jedoch weiß die Historia Augusta noch von Feldzügen gegen die Mauren unter C o m m o d u s zu berichten. Die Entwicklung der östlichen und westlichen Provinzen Afrikas verlief also keineswegs parallel. Die Antoninenzeit war für die Prokonsularis und Numidien eine Ära des Friedens und eines außerordentlichen Aufschwungs der Wirtschaft und des Städtewesens. Daß die Städte nicht umwallt waren und sich keine Garnisonen außerhalb der Limesregion fanden, zeigt deutlich den tiefen Frieden, der in den Ostprovinzen herrschte. Der Kontrast zu den beiden Mauretanien, besonders zur Tingitana, ist frappierend. Jedoch hat R . Rebuffat [113] zu Recht darauf hingewiesen, daß Stadtmauern auch ein Zeichen städtischen Wohlstands sein können und daß die Tingitana einen urbanistischen und wirtschaftlichen Aufschwung erlebte, den es wohl kaum gegeben hätte, wenn sich die Provinz in einem permanenten Belagerungszustand befunden hätte. Es gibt keine ernsthaften Hinweise auf Unruhen in Mauretanien unter Septimius Severus. Dieser Kaiser baute den tripolitanischen Limes massiv aus und etablierte südlich der östlichen Provinzen vorgeschobene Militärposten. Auch in Mauretania Caesariensis verlegte er den Limes nach südlich der Ouarsenis an die Grenze der Steppen, womit er die Fläche der Provinz verdoppelte. Die neue Grenzstraße erlaubte eine wesendich effizientere Kontrolle der Bewegungen der Indigenen. Bis 253 gibt es nur wenige Hinweise auf militärische Operationen in den mauretanischen Provinzen. Jedoch berichtet eine Inschrift von der Niederwerfung von Unruhen in der Caesariensis i. J. 227, nahe Auzia. Erst unter Valerian kam es zu einer gefährlichen Erhebung, wie einige Inschriften bezeugen [Salama 122; Bénabou 3, S. 214-231], Der Krieg dauerte bis 260. Begonnen hatten ihn die Bavaren, die im südlichen Oranien lebten, doch allmählich schlossen sich immer mehr Stämme der Revolte an. Die Kassierung der legio III Augusta durch Gordian III. 238 n. Chr. (neu aufgestellt 254) hatte eine schnelle Niederschlagung verhindert. N e u war, daß die Aufständischen mit ihren Einfállen bis nach Numidien vorstießen, wo es zu Kämpfen kam und Horte vergraben wurden [Salama 122]. Während der Jahre 255-258 erhielt der ritterliche Statthalter der Caesariensis das Sonderkommando eines militärischen Oberbefehlshabers über sämtliche afrikanische Provinzen [H.-G. Pflaum, Carrières procuratoriennes équestres, S. 908-923], was das geographische Ausmaß der Revolte zeigt.
2. 2. 4 Eine partielle Romanisierung Seit der Annektierung hatte Kaiser Claudius versucht, die neuen Provinzen zu romanisieren, indem er Urbanismus und Munizipalisierung förderte. In der Tingitana entstand die Kolonie Lixus, und eine neue Deduktion erfolgte in Tingi/Tanger. Volubilis wurde römisches Munizipium, ebenso vermutlich Sala. In der Caesariensis erhielt die Hauptstadt Caesarea den R a n g einer Titularkolonie. Tipasa wurde latinisches, Rusuccuru/Dellys römisches Munizipium. Nach Oppidum N o v u m im Chélif-Tal wurde eine neue Kolonie deduziert. Eine sol-
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che Politik war in einer gerade erst eroberten Provinz gewagt. Claudius' N a c h folger setzten sie nicht ganz so entschlossen fort. Icosium/Algier erhielt unter den Flaviern den R a n g einer latinischen Kolonie, eine schon damals archaische Rechtsstellung. Nerva gründete im Osten, nahe der numidischen Grenze, die Veteranenkolonie Sitifis/Sétif u n d vermudich eine weitere benachbarte Kolonie (Mopth[...])_ Im 2. Jh. läßt sich in Mauretanien kein Prozeß beobachten, der der außerordentlichen urbanistischen und munizipalen Blüte der Prokonsularis entsprechen würde. Immerhin gründete Hadrian das Munizipium C h o b a an der Küste der Kabylei u n d erhob Tipasa in den R a n g einer Titularkolonie. Auzia, ebenfalls in der Caesariensis, das zu unbekannter Zeit Munizipium geworden war, erhielt von Septimius Severus den R a n g einer Kolonie [Gascou 152, S. 180f., 207f.]. Insgesamt sind in den beiden Mauretanien 17 Veteranenkolonien aus der Zeit zwischen Augustus u n d Nerva bekannt, sowie etwa 15 Städte, die zu Munizipien oder Titularkolonien hochgestuft w u r d e n (mehrere von ihnen waren urbanisierte Militärposten). Diese Bilanz ist bescheiden, vergleicht man sie mit der Situation in der Prokonsularis und in N u m i d i e n ab dem 2. Jh. Auch die Zahl der Städte in Mauretanien blieb gering. Zumeist waren sie nur römische Kulturinseln in einer Berberumgebung. Die Studien von Philippe Leveau über das bergige Hinterland von Caesarea/Cherchel zeigen, wie jenseits des Stadtterritoriums auf d e m Küstenplateau u n d dem inneren Becken mit seinen w/Zae-Resten die Bergbewohner weiterhin wie ihre Vorfahren in Stämme gegliedert waren u n d in Dörfern lebten [Leveau 86, 87]. Die Präsenz zahlreicher Militärposten innerhalb der Provinzen (und nicht nur am Limes), besonders am Fuße der Berge, zeigt das Gefühl der beständigen Unsicherheit. D o c h die beiden Provinzen lebten während all der Jahrhunderte der Kaiserzeit nach dem römischen System, der Kriegszustand war keineswegs permanent und einige Gebiete blühten sogar auf [Rebuffat 113], wie die R u i n e n von C a e sarea, Tipasa und Volubilis belegen. Letztendlich hatte die Romanisierung gewisse Auswirkungen auf diese Randregionen, ohne daß sie aber jemals dieselbe Dynamik wie in den östlichen Provinzen Afrikas gewann. Die Geschichte der Stadt Aitava (Ouled M i m o u n in der R e g i o n von Tlemcen, Mauretania Caesariensis) ist ein gutes Beispiel. Die Bevölkerung bestand aus seßhaften Westbavaren, die R e g i o n w u r d e erst unter Septimius Severus Teil des Reiches. Ab 220 ist eine Stadt belegt, und die lateinischen Inschriften n e h m e n stark zu. Die E i n w o h n e r trugen N a m e n römischer Bürger, doch die städtischen Institutionen blieben peregrin. Die Angehörigen der herrschenden Schicht heißen priores oder principes, ein Kollegium von zehn M ä n n e r n (decemprim) scheint die Exekutive ausgeübt zu haben. Nach allem, was wir wissen, hatte die Stadt ihre traditionellen Berberinstitutionen bewahrt (und sollte sie bis ins 4. Jh. weiter behalten), obwohl man die lateinische Sprache und die römische Onomastik übern o m m e n hatte [Marcillet-Jaubert 91; Lepelley 83, Bd. II, S. 522-534]. In Altava, Auzia und Volubilis sind zahlreiche Grabinschriften nach der lokalen mauretanischen Ära datiert, die mit der Annektierung von 39 v. Chr. beginnt.
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D o r t starben im 6. Jh., ja sogar im 7. Jh. (also unmittelbar vor der arabischen Invasion) Menschen, die immer noch lateinische N a m e n und teilweise sogar einen kaiserlichen Gentilnamen (Iulius, Flavius, Ulpius) trugen. Die Stadt Volubilis und ihr U m l a n d waren schon seit dem Ende des 3. Jh.s v o m R e i c h aufgegeben worden. D e n n o c h konnten sich dort das Lateinische und das Leben römischen Stils im allgemeinen mehrere Jahrhunderte lang halten. Z u Beginn dieses Kapitels stellten wir eine schwierige Frage: Stellte Afrika einen Sonderfall innerhalb des römischen Westens dar, war die Romanisierung nur ein dünner Firnis über den unveränderlichen berberischen bzw. punischen Traditionen? Was die Prokonsularis und N u m i d i e n angeht, so haben wir gesehen, daß der Prozeß der wirtschaftlichen Entwicklung u n d der Romanisierung zwar später begann als etwa in Hispanien oder Gallien, dafür aber eine große und nachhaltige Kraft im 2. Jh. erlangte, so daß der östliche Teil Afrikas von diesem Zeitpunkt an nicht m e h r als sonderlich verschieden von den anderen Provinzen lateinischer Sprache angesehen werden kann. Die Berberstämme, die ihre traditionellen Strukturen in den Steppen des Südens und den vorsaharischen Z o n e n bewahrten, stellten im 2. u n d 3. Jh. keine Bedrohung m e h r für das afrikanische R ö m e r t u m in der Prokonsularis u n d in N u m i d i e n dar — sie markierten lediglich die Grenze. In den mauretanischen Provinzen sah die Situation ganz anders aus. Die Steppen beider Provinzen u n d der Süden des kultivierbaren Plateaus der Tingitana befanden sich jenseits des Limes, die Berge w a ren gleichsam Rückzugsorte vor der Romanisierung, über viele Stämme übte R o m kaum m e h r aus als eine Art Protektorat. Es gab einen großen Kontrast zwischen diesen R e g i o n e n einerseits und den anderen Provinzen des römischen Westens, Africa Proconsularis inbegriffen. Das eigentliche römische Afrika mit seinen unzähligen Städten bildete im Osten ein R e c h t e c k von r u n d 480 k m Länge und 230 k m Breite, das ungefähr Tunesien und dem algerischen Constantinois entspricht, d. h. einem Drittel des heutigen Maghreb unter Ausschluß der ariden Z o n e n . Die echte Grenze der Romanisierung Afrikas war eine geographische. Die Blüte der Prokonsularis hatte sozusagen eine Verlängerung Italiens nach Süden erlaubt. D e r im 4. Jh. schreibende Biograph Aurelius Victor meint, daß niemand Septimius Severus an der Spitze des römischen Staates übertreffen habe [Caes. 20. 6], Aurelius Victor war Afrikaner, u n d er drückte damit den Stolz seiner Landsleute angesichts der Thronbesteigung des afrikanischen Kaisers i. J. 193 aus. Schon beim Karthager Tertullian, einem Zeitgenossen, klingt dies an [De Pallio 2. 7; Lepelley 84]. Diese Herrschaft u n d die Präsenz einer einflußreichen Gruppe von Afrikanern im Senat dieser Periode stellte eine Art U m k e h r u n g des Imperialismus dar, eine Art Revanche für die lange zurückliegende Niederlage Karthagos gegen R o m .
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Bibliographie Spezialbibliographien Für die Publikationen vor 1956 kann man auf die von C. Courtois erstellte Bibliographie zurückgreifen, die in Ch.-A. Julien, Histoire de l'Afrique du Nord, Bd. I, Paris 1956, S. 280-322 erschien. Die von M. Le Glay in der Zeitschrift Libyca. ArchéologieEpigraphie (Algier) publizierten Bibliographien decken die Jahre 1952-1960 ab. Die seit 1960 erschienenen Publikationen sind in der Bibliographie de l'Afrique antique verzeichnet, die bis 1985 von J. Desanges und S. Lancel erstellt wurde und seitdem von J.-M. Lassère und Y. Le Bohec fortgesetzt wird. Die ersten drei Chroniken erschienen im Rahmen des Bulletin d'archéologie algérienne, seit 1977 werden sie von der Ecole française de R o m e herausgegeben. Dieses Hilfsmittel ist von grundlegender Bedeutung. Inschriftensammlungen • Corpus Inscriptionum Latinarum, vol. VIII, Berlin 1881-1916. [CIL] • Inscriptions latines d'Afrique, von R. Cagnat und A. Merlin, Paris 1923. [ILAfr] • Inscriptions latines d'Algérie, 3 Bde. erschienen, von S. Gsell und H.-G. Pflaum, Paris/Algier 1922-1976. [ILAlg] • Inscriptions latines de la Tunisie, von Α. Merlin, Paris 1944. [ILTun] • Inscriptions of Roman Tripolitania, von J. M. Reynolds und J. B. Ward-Perkins, London 1955. [IRT] • Inscriptions antiques au Maroc, II: Inscriptions latines (M. Euzennat, J. Marion, J. Gascou), Paris 1982. [IAM-L] Spezialzeitschriften • Africa, Tunis 1966ff. • Antiquités africaines, Aix-en-Provence 1967fF. [Ant. afr.] • Bulletin archéologique du Comité des Travaux historiques et scientifiques, Paris 1887ff. [BCTH] • Bulletin d'archéologie algérienne, Algier 1962fF. [erscheint derzeit nicht] • Bulletin d'archéologie marocaine, Rabat 1956ff. • Karthago, Tunis, später Paris 1950fF. • Libya Antiqua, Tripolis 1964ff. • Libyca - Archéologie et épigraphie, Algier 1954-1961. • Libyan Studies, London 1969ff. Handbücher, Kongreßbände, Artikelsammlungen • S. Gsell, Histoire ancienne de l'Afrique du Nord, 8 Bde., Paris 1913-1928. [nur Bd. 8 behandelt die Kaiserzeit direkt] • S. Gsell, Études sur l'Afrique antique, Lille 1981. • H.-G. Pflaum, Afrique romaine, études épigraphiques, Paris 1978. • G.-Ch. Picard, La civilisation de l'Afrique romaine, Paris 2 1990. • die internationalen Kolloquien über die Geschichte und Archäologie Nordafrikas des Comité des Travaux historiques et scientifiques; sechs Kongreßbände sind bislang erschienen (1981-1995). • die Reihe L'Africa Romana, hg. v. A. Mastino, Universität Sassari (Akten der jährlichen Kongresse seit 1983). • L'Afrique dans l'Occident romain, hg. v. M. Lenoir und C. Pietri, R o m 1990.
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Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II
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Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II
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R o m und das Reich in der H o h e n Kaiserzeit, Band II
[103] Pflaum H . - G . , O n o m a s t i q u e de Cirta, in: Afrique romaine, Paris 1978, S. 161-198. [104] Pflaum H . - G . , La romanisation de l'ancien territoire de la Carthage p u n i q u e à la lumière des découvertes épigraphiques récentes, Ant. afr. 4 (1970) 75-117. [= Afrique romaine, Paris 1978, S. 300-344]. [105] Picard G . - C . , La civilisation de l'Afrique romaine, Paris 2 1990. [106] Picard G . - C . , Castellum D i m m i d i , Algier 1947. [107] Picard G . - C . , Civitas Mactaritana [= Karthago 8 (1957)] [108] Picard G . - C . , Les religions de l'Afrique antique, Paris 1954. [109] Picard G . - C . u. a., Pagus Thuscae et Gunzuzi, C R A I 1963, S. 124-130. [110] Poinssot C., Les ruines de Dougga, Tunis 1958. [111] Poinssot C., Immunitas perticae Carthaginiensis, C R A I 1962. S. 65-76. [112] R e b u f f a t R . , D e u x ans de recherche dans le sud de la Tripolitaine, C R A I 1969, S. 189-212. [weitere wichtige Forschungsberichte: C R A I 1972, S. 319-339; C R A I 1975, S. 395-505], [113] R e b u f f a t R . , Enceintes urbaines et insécurité en Maurétanie Tingitane, M E F R A 86 (1974) 501-522. [114] R e b u f f a t R . , U n e zone militaire et sa vie é c o n o m i q u e : le „limes" de Tripolitaine, in: Armées et fiscalité dans le m o n d e antique, Paris 1977, S. 395-419. [115] R e b u f f a t R . , La frontière romaine en Afrique: Tripolitaine et Tingitane, K t e m a 4 (1979) 225-247. [116] R e b u f f a t R . , L'implantation militaire romaine en Maurétanie Tingitane, Africa R o m a n a 4 (1986 [1987]) 31-78. [117] R e b u f f a t R . , Les fermiers du désert, Africa R o m a n a 5 (1987 [1988]) 33-68. [118] R e b u f f a t R . , N o m a d i s m e et archéologie, in: L'Afrique dans l ' O c c i d e n t romain, R o m 1990, S. 231-247. [119] R o m a n e l l i P., Storia delle province r o m a n e dell'Africa, R o m 1958. [120] R o m a n e l l i P., Topografia e archeologia dell'Africa romana, Turin 1970. [121] Salama P., Les voies romaines de l'Afrique du N o r d , Algier 1951. [122] Salama P., Vues nouvelles sur l'insurrection maurétanienne dite de 253: le dossier numismatique, in: L'armée et les affaires militaires, Bd. II, Paris 1991, S. 455-470. [123] Saumagne C., Le Byzacium protoromain: villes libres, stipendiarii, liberi Massinissae, Cahiers de Tunisie 2 (1963) 48-62. [124] Seston W. u n d M . Euzennat, La citoyenneté romaine au temps de M a r c Aurèle et de C o m m o d e d'après la Tabula Banasitana, C R A I 1961, S. 317-324. [= W. Seston, Scripta Varia, S. 77-84] [125] Seston W. u n d M . Euzennat, U n dossier de la chancellerie romaine, la Tabula Banasitana, C R A I 1971, S. 468-490. [= W. Seston, Scripta Varia, S. 85-107] [126] S h e r w i n - W h i t e A. N., Geographical factors in R o m a n Algeria, J R S 34 (1944) 1-10. [127] Soyez J., Les centuriations romaines en Algérie orientale, Ant. afr. 10 (1976) 107-180. [128] T c h e r n i a A. u n d F. Zevi, Les amphores de Byzacène au Bas-Empire, Ant. afr. 3 (1969) 173-214. [129] Trousset P., R e c h e r c h e s sur le „Limes Tripolitanus" du chott El-Djerid à la f r o n tière tuniso-libyenne, Paris 1974. [130] Trousset P., Les bornes du Bled Segui: n o u v e a u x aperçus sur la centuriation r o maine du Sud tunisien, Ant. afr. 12 (1978) 125-177.
3 Die spanischen Provinzen Von Daniel Nony Die Quellen zu den spanischen Provinzen sind sehr ungleichmäßig gestreut. Das Bellum Hispaniense im caesarischen Corpus, Strabons drittes Buch u n d Pli— nius der Altere liefern zahlreiche Informationen über die zweite Hälfte des 1. Jh.s v. Chr. und die erste Hälfte des 1. Jh.s η. Chr., bieten aber nicht viel Auskünfte zu den letzten Kriegen gegen die Einheimischen. Florus und Cassius Dio k ö n n e n in dieser Hinsicht schwerlich die verlorenen Bücher des Livius ersetzen [7]. Die großen, inschriftlich überlieferten Gesetze stammen aus der Zeit zwischen Caesar (Urso [CIL II 5439]) u n d Domitian (Irni [16; AE 1986, 333]), die lokale Münzprägung, der wir zahllose Beamtennamen verdanken, endet mit Claudius [22]. Aus der Epoche der Antoninen u n d Severer besitzen wir zwar viel Material — massenweise Scherben, zahlreiche Weihinschriften —, doch ist dieses wenig aussagekräftig. Ausnahmen sind ζ. B. das hadrianische R e g l e m e n t von Vipasca [62] oder das Senatusconsultum (?) von Italica über Gladiatoren [CIL II 6278]. Kaisereide sind von Augustus bis Caligula belegt [17], man hat ein paar kaiserliche Schreiben gefunden, in der Bätika w u r d e n unter Tiberius zwei Senatusconsulta publiziert [15; 18], u n d es traten zahlreiche tesserae hospitales zu Tage [89; 92; S. 142], Die meisten Inschriften sind kurz, ihre Datierung ist genauso wie die des archäologischen Materials (Keramik, Münzen, Mosaiken, Bauwerke etc.) häufig nicht sehr genau. Dazu k o m m t noch, daß die Q u e l lenlage j e nach R e g i o n sehr verschieden ist, so daß wir über die Bätika, zu r ö mischer Zeit die reichste Provinz, am wenigsten wissen. W ä h r e n d der A u f schwung der spanischen Provinzen bis zum Ende der Flavier unbestritten ist, kann man für die Folgezeit geteilter M e i n u n g sein: Die einen sprechen für die Zeit nach Hadrian von Ermattung u n d Dekadenz, während andere dagegen halten, daß glückliche Völker keine Geschichte haben [96].
3. 1 Das Wirken von Caesar und Augustus Sowohl Caesar (Statthalter des Jenseitigen Spaniens 61 v. Chr., Bürgerkriegsfeldzüge von 49 u n d 45 v. Chr.) als auch Augustus (Feldzug von 45 v. Chr., Aufenthalt von 27-25 v. Chr.) kannten Hispanien gut [}. H a r m a n d 33, S. 183-203]. Die Politik Caesars w u r d e zunächst von den Triumvirn, dann von Augustus allein fortgesetzt. Die Kontinuität über dieses kritische Dreivierteljahrhundert hinweg k ö n n t e die administrative Stabilität der spanischen Provinzen über fast drei Jahrhunderte erklären helfen. Für Caesar u n d Augustus stellten sich auf der Halbinsel zwei große Herausforderungen: die zahlreichen p o m pejanischen Klientelen (die 43 v. Chr. noch immer Sextus Pompeius unterstützten [E. Gabba 33, S. 132-155]) und der nach wie vor nicht unterworfene Nordwesten, der 49 v. Chr. sieben Legionen in Spanien band. Caesar hatte an der ganzen Atlantikküste bis zum Kap Finisterre Krieg gefuhrt und wohl 61
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Provinzen, Straßen und Städte des römischen Spanien (1—3. Jh.)
Provinzgrenze
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v. Chr. eine Linie von Stützpunkten am Tagus eingerichtet, ehe er verschiedenen Gemeinden Privilegien verlieh, indem er ihnen den R a n g eines Munizipiums gewährte (Olisipo/Lissabon u n d Gades/Cádiz) oder Kolonien gründete (so Urso, wohl zwischen 49 und 44 v. Chr.). Zwischen Caesars E r m o r d u n g und Augustus' Eintreffen 27 v. Chr. vergingen die Jahre nicht ereignislos: Lepidus gründete die Kolonie Celsa und vertrieb Sextus Pompeius. Von 34 bis 28 gab es fast jährlich Feldzüge gegen die Kantabrer u n d Asturen. In den Folgejahren, 27-13 v. Chr., k ü m m e r t e sich Augustus u m Spanien. Seine Vertreter setzten seine Politik bis zu seinem Tod fort. U n t e r Augustus fand die Eroberung des Nordwestens ihren Abschluß, die Asturen und Kantabrer m u ß t e n zwischen 26 u n d 19 v. C h r kapitulieren. Es w a ren dies sehr schwierige Feldzüge, die Augustus zunächst persönlich führte und dann an Agrippa übertrug, der sie erfolgreich beendete [34; 37; 46]. Marcellus und Tiberius verdienten sich hier ihre ersten Sporen. Sechs oder sieben Legionen waren im Einsatz. Die U n t e r w e r f u n g war begleitet von systematischen Massakern, Massenversklavungen und Zwangsumsiedlungen. Später hören wir nie wieder von Schwierigkeiten in dieser R e g i o n , mit einer kleinen Ausnahme unter N e r o [ILS 2648]. Zwischen 16-13 v. Chr. wurde die Provinzeinteilung neu geordnet [Etienne 42], vor allem durch die Beschneidung des jenseitigen Spaniens, aus dem die Bätika entstand. Das jenseitige Spanien verlor zwei Drittel seines alten Umfangs. Seine Grenze war nicht mehr der Atlantik, sondern die M ü n d u n g des Anas/ Guadiana. Die Bätika gehörte zu den „Provinzen des römischen Volkes", die wir „senatorisch" nennen und die keine Garnison hatten. Sie w u r d e von einem prätorischen Prokonsul verwaltet, dessen Prätur fünf Jahre zurücklag. Er erhielt dieses A m t durch Losentscheid, seine Aufgabe war die Rechtsprechung. Ihm stand ein Quästor zur Seite, der für den Haushalt des Statthalters und die Einziehung der römischen Steuern zuständig war. Indem Augustus diese Provinz dem römischen Senat oder, genauer, einem Mitglied des Senats, das direkt mit ihm verkehrte, überließ, gab er der Saturnskasse die Erträge der reichsten und am dichtesten besiedelten R e g i o n der Halbinsel. Plinius schreibt ihr 175 Städte zu, die n o c h nicht alle entdeckt sind. D u r c h das tiefe Pflügen der Acker und den Einsatz von Metalldetektoren findet man jedes Jahr weitere von ihnen. Z e n t r u m der Bätika war das Tal des Baetis/Guadalquivir, an das zwei Bergmassive grenzen, die Sierra Morena im Nordwesten und die Sierra Nevada im Südosten; doch auch der Küstenstreifen zu beiden Seiten der Straße von Gibraltar war wichtig. Diese felsige Küste, an der einst die ältesten griechischen u n d p h ö nikischen Niederlassungen Spaniens entstanden waren, w u r d e zum conventus Gaditanus der Kaiserzeit, der auch die Städte des bergigen Landesinneren u m faßte, dessen Straßen größtenteils zur Küste führten. A m Baetis lagen drei G e richtsbezirke, zuerst der conventus Hispalensis, der sich weit in den Westen, bis zum Anas hin, erstreckte; flußaufwärts dann der conventus von Astigi und schließlich der conventus der Provinzhauptstadt C o r d u b a / C ó r d o b a [10]. Die Zentralorte, in denen die Gerichtstage abgehalten wurden, scheinen die w i c h -
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tigsten Städte der Provinz gewesen zu sein, während Baelo [Sillières 25a], Italica [Caballos R u f i n o 44], Munigua [Coarelli 116] und Malaca eher kleine Zentren waren, die besonders gut erforscht sind oder deren archäologische Reste beeindrucken. Die Bätika war vor den R ö m e r n von den Tartessiern, den Kelten und den Puniern besiedelt worden. Die Turdetanier der Bätika [Strab. 3. 2. 15] hatten sich für die lateinische Sprache u n d den römischen Lebensstil entschieden. In augusteischer Zeit gab es ein Dutzend Kolonien mit einem vielleicht mehr klientelhaften denn militärischen Charakter (Hispalis, Corduba, Asido, Urso etc.). Dazu kamen etwa dreißig Städte mit Priviligien (so Gades). Die Organisation Lusitaniens hing vor allem mit der riesigen, 25 v. Chr. gegründeten Veteranenkolonie Emerita Augusta (Mérida) zusammen. Die drei vielleicht von Claudius eingerichteten conventus dieser neuen kaiserlichen Provinz mit einem legatus Augusti propraetore prätorischen Ranges scheinen drei R e gionen mit jeweils eigenem Charakter zu entsprechen [40]. D e r conventus Pacensis mit der caesarischen Kolonie Pax Iulia (Beja) als Hauptort war mit seinen Algarvehäfen (Lacobriga, Balsa, Ossonoba) und seinen von der Landwirtschaft geprägten Städten (Ebora/Evora, Pax Iulia) auf den Plateaus gleichsam eine Fortsetzung der Bätika jenseits des Anas. Die Atlantikküste konnte nur die M ü n d u n g des Sado mit Salaria/Alcacer do Sal verweisen. D e r conventus Scallabitanus, der im Süden durch die Serra da Arrabida begrenzt wurde, umfaßte vor allem den Unterlauf des Tajo mit dem caesarischen Munizipium Olisipo u n d der caesarischen Kolonie Scallabis (Santarem). Im N o r d e n , etwas abseits von der unzugänglichen Küste, lag im Schutz der Serra da Estrela u n d der Serra do C a ramulo eine R e i h e von kleinen indigenen Städten wie C o n i m b r i g a / C o n d e i x a a velha [24] oder A e m i n i u m / C o i m b r a . Im Binnenland umfaßte der große conventus Emeritensis die eigentlichen Lusitanier, die bis Caesar erbitterten W i d e r stand gegen R o m geleistet hatten, u n d die nicht weniger kriegerischen Vettonen. Zwischen Anas und Tajo gab es neben einigen indigenen Städten wie A m mala die voraugusteischen Kolonien Metellinum/Medellin u n d N o r b a Caesarina/Cáceres. N e b e n der neuen Hauptstadt Emerita standen zwei indigene Zentren, Caesarobriga/Talavera de la R e i n a u n d Augustobriga/Talavera la Vieja. Die Provinz war einheitlich keltisch besiedelt. Die römische Eroberung lag n o c h nicht lange zurück, ein Jahrhundert bei der Südhälfte, eine Generation bei der Nordhälfte. Ursprünglich fast frei von Städten, war diese Provinz gleichsam ein weites unberührtes Land, das nur auf Bauern u n d Hirten zu warten schien. Emerita war extrem groß angelegt worden (20 000 ha) und sollte wahrscheinlich sukzessiv Deduktionen erhalten. Die Bodenschätze der Provinz waren bekannt: Im Süden gab es Kupfer, im N o r d e n Gold. Die dritte Provinz war die riesige kaiserliche Hispania Citerior oder Tarraconensis, die einem legatus Augusti konsularischen Ranges unterstand. Auch dort gab es vielleicht schon seit Augustus wandernde Gerichtstage und damit conventus als Unterbezirke. Deijenige der Hauptstadt Tarraco/Tarragona war (abgesehen von den galizischen) der kleinste u n d umfaßte einen Teil des Pyrenäen-Absatzes auf beiden Seiten des Perthus. In i h m befanden sich vor allem die Küstenstädte bis
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Valencia, südlich des Ebrodeltas [9], wie Emporiae/Ampurias, Dertosa/Tortosa und Sagunt. Augustus gründete dort die Kolonie Barcino/Barcelona [J.-N. Bonneville, R E A 80 (1978) 35-71]. Die Hauptachse des conventus Caesaraugustanus war der Ebro, sein Hauptort die Militärkolonie Caesaraugusta/Saragossa. Er erstreckte sich im Norden über zwei Drittel des Pyrenäen-Absatzes, bis nach Bidassoa mit Ilerda/Lérida, Osca/Huesca, Iacca/Jaca, Pompaelo/Pamplona und weiter nach Süden bis Complutum/Alcalá de Henares einschließlich Bilbilis/ Bambola [Dolç 113]. Der südlichste conventus, der Carthaginiensis, besaß kaum Zugang zur Küste und nur einen großen Hafen, nämlich Carthago Nova/Cartagena. Er streckte sich weit hinein bis Toletum/Toledo und Avela/Avila. Augustus fugte ihm einen Teil der Bätika hinzu, nämlich die Gegend von Castulo/ Cazlona und Acci/Guadix, eine von Räubern geplagte Bergregion, die aber von höchster Bedeutung für die Landverbindung zum Baetistal war. Daher legte man Militärkolonien in Acci und Libisosa an, zusätzlich zu der von Ilici/Elche [Llorens 23]. Der vierte der großen conventus, der von Clunia, war nicht von den griechischen bzw. iberischen Einflüssen der vorhergehenden Epoche geprägt, sondern durch und durch keltisch besiedelt. In seinem Südteil beinhaltete er das obere Becken des Duero und umfaßte neben der kantabrischen Kordilliere einen langen Küstenstreifen am Golf von Biscaya, wo es kaum städtische Zentren gab (Segovia, Pallantia, Septimanca). Im Kantabrerland wollte man die Indigenen in Iuliobriga zusammenfassen. Asturien und Galizien erhielten eine Sonderbehandlung. Die erst jüngst eroberten, bergigen Gebiete wurden in drei conventus eingeteilt, deren Zentrum jeweils eine neu gegründete Stadt war, Asturica Augusta/Astorga bei den Asturen, Lucus Augusti/Lugo und Bracara Augusta/Braga bei den Kalläkern [Tranoy 37; Le R o u x 46]. Caesar und Augustus gründeten in der Tarrakonensis neun Militärkolonien, etliche Munizipien (Emporiae, Herda, Osca, Turiaso, Sagunt etc.) sowie indigene Städte. Sie gingen dabei sehr differenziert vor. Man trennte zwischen dem Nordwesten, über den noch die Legionen wachen mußten, und den Mittelmeerregionen, die sich bereits assimilierten [Vittinghoff 30]. Auch hier versuchte man, wie in der Bätika, die pompejanischen Klientelen mit Bindungen zur julischen Dynastie und ihrer Umgebung zu ersetzen [z. B. Emporiae: J . - N . Bonneville, R E A 88 (1986) 181-200], So läßt sich die Gründung von Barcino in einer bereits relativ stark urbanisierten Region verstehen.
3. 2 Zwei friedliche Jahrhunderte Sieht man von ein paar Raubzügen und einem kurzen Feldzug gegen die Kantabrer ab, scheinen die spanischen Provinzen von Augustus bis Marc Aurel in Frieden gelebt zu haben. Auf den hadrianischen Münzen räkelt sich die Hispania neben einem Kaninchen, hält einen Olivenzweig in der Hand und stützt sich auf einem kleinen Berg ab, der auf den Bergbau hinweisen dürfte. Die Ereignisse von 6 8 / 6 9 führten zu Rekrutierungen, Truppenbewegungen und der Überwachung der Küste, aber nicht zu mehr. Die Halbinsel wurde durch einen
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Kaiserbesuch geehrt — Hadrian in Tarragona —, aber auch das nur im R a h m e n einer reichsweiten Inspektionsreise, und Hadrian zeigte nur sehr begrenztes Interesse an der Provinz (Ausbesserung der via Augusta und Verschönerungen in Italica, das Kolonie wurde) [Caballos R u f i n o 44]. D e r Frieden endete mit der Invasion der Mauri (171-173), die sich später wiederholte (um 177). Neue B e drohungen, vielleicht sogar einen Einfall, gab es unter Septimius Severus. Die Auxiliareinheiten von Mauretania Tingitana setzten den Mauri (vom Rif?) über die Meerenge nach und retteten die Bätika (und Siidlusitanien?), wo Italica und Singili(a) Barba ihre Dankbarkeit gegenüber C. Vallius Maximianus, dem Statthalter von Mauretania Tingitana um 177, bekundeten [CIL II 1120, 2015]. Die Verlegung der Quästur des Septimius Severus zu Beginn seiner senatorischen Karriere (um 171) scheint daraufhinzudeuten, daß die Bätika kurzfristig keine senatorische Provinz war. Im Norden gab es Truppenbewegungen während der Bürgerkriege, die Septimius Severus' erste Jahre begleiteten (wohl 197). In Spanien wie überall im R e i c h folgte eine Säuberungsaktion gegen die Anhänger des Clodius Albinus. Als 2 3 8 Maximinus durch den Senat ausgeschaltet wurde, blieb der Statthalter der Citerior, Decius Valerianus (der spätere Kaiser Decius?) dem Soldatenkaiser möglicherweise über dessen Tod hinaus treu. D e r vorsichtige Wortlaut einer Stiftung in Corduba vom 25. März 2 3 8 [CIL II 2 7, 234] zeigt eine abwartende Haltung. Die Entstehungszeit der conventus ist strittig [Dopico Cainzos 39]. Die B e schreibung Plinius' des Alteren von der Aufteilung der spanischen Provinzen hat dazu beigetragen, daß man sie häufig in flavische Zeit setzt. In derselben Zeit erhielt auch Asturien-Kalläkien seine verwaltungsmäßige Organisation mit einer permanenten Legion [Tranoy 37], einer eigenen Prokuration und dem Verschwinden des praefectus Callaeciae. Diese Neuerungen der nordwestlichen conventus veranlaßten Forscher, ähnliche R e f o r m e n für die ganze Halbinsel anzunehmen. Jedoch gab es laut Strabon [3. 4. 20] seit augusteischer Zeit feste Orte für regelmäßige Gerichtssitzungen, was vielleicht auch durch eine Inschrift gestützt wird [AE 1984, 553], Weniger als 4 0 Inschriften erwähnen conventus in der Tarrakonensis, keine in der Bätika, ebenso in Lusitanien, und Plinius macht keinerlei nähere Angaben über ihre Entstehungszeit. In diesem Bereich wie auch anderen (Munizipalisierung, Garnison, Prokurationen etc.) hat die Flavierzeit laufende Entwicklungen vorangetrieben und vielleicht zur Erstarrung gebracht, anstatt wirkliche Neuerungen zu schaffen. W i e dem auch sein mag, spätestens unter Tiberius besaß die Tarrakonensis verschiedene feste Orte für die Gerichtstage. Unter Nero hielt Galba Gerichtssitzungen in Cartagena und in Clunia ab. Dies bestätigt die Angaben Strabons. Caracalla schuf vermutlich eine neue Provinz Callaecia, indem er ein Stück der Tarrakonensis abtrennte. D e r belegte Titel Hispania Nova Citerior Antoniniana bezog sich vielleicht auf die ganze Tarrakonensis. Wenn es die Teilung gab, was wahrscheinlich ist [Tranoy 37], endete sie vielleicht schon bald nach dem Tod Caracallas, denn zwischen 2 3 8 und 241 war Rutilius Pudens Crispinus legatus Augusti propraetore Hispaniae Citerioris et Callaeciae [AE 1929, 158], Unter M a -
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x i m i n u s ist d e r Statthalter D e c i u s Valerianus in der ganzen Tarrakonensis belegt, v o n Braga bis Navarra u n d der M i t t e l m e e r k ü s t e . M a n hat die A u s w a h l k r i t e r i e n f ü r die e n t s a n d t e n Statthalter g e n a u u n t e r sucht, u m so das Interesse der Zentralgewalt an Spanien zu b e s t i m m e n [Alföldy 82]. W i e in republikanischer Z e i t w u r d e n auch u n t e r Augustus g r o ß e P e r s ö n lichkeiten in die i m m e r n o c h stark militärisch belegte Tarrakonensis entsandt, so Paullus Fabius M a x i m u s u n d C n . C a l p u r n i u s Piso. In der Folge behielt dieser Posten zwar seine E h r e n s t e l l u n g u n d blieb f ü r g e w e s e n e K o n s u l n reserviert, d o c h k a m e n d o r t h i n (mit A u s n a h m e Galbas, d e r d o r t gleichsam i m Exil war) n u r S e n a t o r e n zwar h o h e n R a n g e s , die aber zumeist a m E n d e ihrer Karriere standen. A u s n a h m e n sind T i . Plautius Silvanus Aelianus ( u m 7 0 - 7 3 ) , der später Stadtpräfekt w u r d e , u n d der b e r ü h m t e Jurist L. O c t a v i u s C o r n e l i u s Salvius Iulianus Aemilianus ( u m 160-164). E i n g r o ß e r Militär ist zu n e n n e n , A. C o r n e l i u s Palma F r o n t o n i a n u s ( u m 100-103), Traians General, der später in Syrien k o m m a n d i e r t e u n d A r a b i e n eroberte. In diese K a t e g o r i e g e h ö r e n auch Traianus D e cius (?) 2 3 8 u n d natürlich R u t i l i u s P u d e n s Crispinus. In Lusitanien w a r e n die Statthalter w i e in der Tarrakonensis m e h r e r e J a h r e i m A m t , aber die g e w e s e n e n P r ä t o r e n , die nach E m e r i t a entstandt w u r d e n , w a ren selten g r o ß e Persönlichkeiten. A u s n a h m e n : O t h o (als g e w e s e n e r Quästor!) v e r b r a c h t e d o r t ein langes Exil, u n d P. Septimius Geta e r r e i c h t e ein zweites Konsulat (jedoch w a r sein B r u d e r Septimius Severus). C . U m m i d i u s D u r m i u s Q u a d r a t u s , 37 n. C h r . Statthalter, w u r d e später syrischer Legat, u n d C . C a e s o nius M a c e r R u f i n i a n u s , u m 2 0 0 auf diesem Posten, w u r d e P r o k o n s u l v o n A f r i k a u n d comes v o n Severus Alexander. In die Bätika k a m j e d e s J a h r ein d u r c h das Los e r m i t t e l t e r n e u e r P r o k o n s u l p r ä t o r i s c h e n R a n g e s , d e r z u v o r o f t Legionslegat gewesen war. W i r k e n n e n n u r w e n i g e Statthalter, u n d diese n u r deswegen, weil sie später abgeurteilt w u r d e n o d e r aber zu h ö c h s t e n E h r e n aufstiegen. Z u Spitzenstellungen gelangten M . U l pius Traianus, der Vater des Kaisers Traian u n d späterer asiatischer P r o k o n s u l u n d syrischer Legat, Baebius M a c e r , Stadtpräfekt 117 n. C h r . sowie P. C o r n e l i u s Anullinus, z u m z w e i t e n M a l K o n s u l 199 n. C h r . u n d Stadtpräfekt. A u c h w a r ein b e r ü h m t e r G r i e c h e hier Statthalter: A r r i a n aus N i k o m e d i a [S. 383]. Insgesamt w u r d e n die Statthalterschaften in d e n spanischen P r o v i n z e n an Persönlichkeiten verliehen, die m a n e h r e n wollte. D a b e i h a n d e l t e es sich e n t w e der u m die blassen M i t g l i e d e r a n g e s e h e n e r S e n a t o r e n f a m i l i e n o d e r u m S e n a t o ren der ersten o d e r z w e i t e n G e n e r a t i o n , die der Kaiser f ü r fähige K ö p f e m i t m e h r ziviler als militärischer E i g n u n g hielt. D e m ein J a h r a m t i e r e n d e n Statthalter der Bätika stand ein gleichfalls ein J a h r a m t i e r e n d e r Q u ä s t o r u n d ein Legat p r ä t o r i s c h e n R a n g e s zur Seite. G e n a u s o , n u r o h n e Q u ä s t o r , w a r es in Lusitanien, w ä h r e n d d e m tarrakonensischen Statthalter drei Legaten zur Seite standen [Strab. 3. 4. 19f.]. H a u p t a u f g a b e all dieser r ö m i s c h e n S e n a t o r e n w a r die R e c h t s p r e c h u n g . D i e erfolgreiche R o m a n i s i e r u n g Asturien-Kalläkiens zeigte sich u n t e r H a d r i a n in der E r n e n n u n g eines e i g e n e n juristischen Legaten. Censitores-Legaten w u r d e n anläßlich v o n Z ä h l u n g e n e r -
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nannt. Insgesamt sind wenige N a m e n bekannt, und wir kennen diese M ä n n e r nicht näher. Die politische Bedeutung solcher Legaten war geringer als die der theoretisch ranggleichen Legionslegaten. Bei den R i t t e r n kann man eine regelmäßige Z u n a h m e ihrer Zahl feststellen. Die Prokuration der Tarrakonensis wurde seit den Flaviern durch eine zweite für Asturien-Kalläkien ergänzt, u n d in derselben Provinz ist zusätzlich eine Prokuration für die vicésima hereditatium belegt. A u c h Lusitanien und die Bätika b e saßen jeweils einen kaiserlichen Prokurator, aber in der Bätika k ü m m e r t e er sich (zumindest anfänglich) allein u m die Güter des Kaisers. Für die vicésima hereditatium gab es einen gemeinsamen Prokurator für beide Provinzen. Gelegentlich wirkten Ritter bei Zählungen mit. U n t e r Marc Aurel w u r d e die Prokuration des kalendarium Vegetianum eingerichtet. Die Steuern w u r d e n nur anfänglich durch publicani eingezogen. Die direkte Steuererhebung w u r d e zu Beginn des 3. Jh.s ausgeweitet. Freigelassene u n d sklavische Prokuratoren verwalteten die Kaiserdomänen (so auch die Bergwerke) als Untergebene ritterlicher Prokuratoren [Le R o u x 50; C h r i s t o l / D e m o u g i n 51]. Die berühmtesten der rund sechzig namentlich bekannten ritterlichen Prokuratoren sind Plinius der Ältere und der spätere Prätoriumspräfekt M . Bassaeus R u f u s . W e n n wir von Hispanien in den Texten lesen, geht es häufig u m Kriminalfälle. U n t e r Tiberius wurde L. Calpurnius Piso von einem Bauern ermordet. U n t e r Claudius w u r d e C. U m b o n i u s Silo dafür bestraft, daß er 4 3 / 4 die Versorgung der mauretanischen A r m e e nicht sichergestellt hatte. D u r c h Plinius den Jüngeren kennen wir die Prozesse gegen die ehemaligen bätischen Statthalter Baebius Massa (90/1 im Amt) und Caecilius Classicus (97/8 im Amt). L. C o r nelius Priscianus, Statthalter der Tarrakonensis unter Antoninus Pius, entzog sich 145 n. Chr. der Anklage wegen Usurpation [SHA Ant. 7. 4] durch Selbstmord. Die Briefe von Vespasian an die Saborenses [ILS 6092] und der von Titus an die Muniguenses [AE 1962, 288] weisen auf die Rolle des bätischen Statthalters bei der Veranlagung und Erhebung der Steuer hin. Das kaiserliche Interesse zeigt sich auch im Brief Domitians in der Anlage der lex Irnitana [AE 1986, 333], in den Kommentaren Hadrians zur Bitte seiner Mitbürger in Italica u m den Koloniestatus und in der Sorge, die eine mysteriöse Italica adlectio, die die Halbinsel ausbluten ließ, Marc Aurel verursachte [SHA Marc. 11. 7]. Mit C y prians Briefen (um 250), Bischof in Karthago während Decius' Christenverfolgung, haben wir wieder Informationen über die Tätigkeit lokaler Verantwortungsträger. In einer Schrift [epist. 67. 6] k o m m t ein duzenarischer Prokurator anläßlich der Apostasie des Bischofs Martialis von Emerita vor. Die Biographien von Galba und O t h o von Sueton u n d Plutarch sowie Tacitus erwähnen am R a n d e die Funktionen der Statthalter u n d ihrer Adjutanten, aber unter den b e sonderen Bedingungen der Herrschaft Neros u n d der Krise von 68 ( O t h o verwaltete Lusitanien zehn Jahre lang, Galba acht Jahre lang die Tarrakonensis). Die kaiserlichen Prokuratoren werden als besonders hartherzig dargestellt und k ö n n e n sich Galbas Autorität entziehen, während der Befehlshaber seiner Garde ihn zur Revolte veranlaßt. Als tarrakonensischer Statthalter war Galba in erster
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Linie Richter. Er hielt Gerichtstage in Cartagena ab, dort w u r d e n Freilassungen vor i h m vorgenommen, und in Clunia g r i f f e r nach d e m Purpur.
3. 3 Das Heer Hispaniens 49 v. Chr. stand Caesar einer pompejanischen Garnison von sieben Legionen gegenüber. Diese hohe Militärpräsenz erklärt sich durch die nach wie vor nicht unterworfenen Kantabrer und Asturen. Augustus zog sechs oder (wahrscheinlicher) sieben Legionen für die asturisch-kantabrischen Kriege zusammen, schickte aber noch während seiner Herrschaftszeit drei oder vier zu anderen Fronten (vor allem nach Germanien), so daß es unter Tiberius nur noch drei Legionen gab [Strab. 3. 4. 19f.; Tac. ann. 4. 5. 2]: die legío IVMacedonica bei den Kantabrern und die beiden Legionen VI Victrix u n d X Gemina bei den Asturen, also alle drei in der Tarrakonensis. D e r U m f a n g der Auxiliartruppen ist nicht genau bekannt, aber nach Analogie zu anderen Provinzarmeen dürfte er sich zwischen 6 000 und 9 000 M a n n bewegt haben, was in der S u m m e 21 000 bis 2 8 0 0 0 M a n n für das hispanische H e e r ergibt. Caligula zog die IV Macedonica ab (für seine Britannien-Invasion?), was die Garnison auf vielleicht ca. 2 0 0 0 0 M a n n senkte. Da auch N e r o eine Legion wegverlegte (die X Gemina), blieb Galba 68 nur eine Legion, die VI Victrix, dazu zwei Alen und drei Auxiliarkohorten [Suet. Galb. 10. 2]. Nach seiner Usurpation h o b der neue Kaiser in H i spanien Auxiliartruppen sowie eine weitere Legion aus, die VII Galbiana oder Hispana, was sein H e e r zahlenmäßig verdoppelte. Galba ließ die VI Victrix auf der Halbinsel zurück. Z u ihr gesellte sich später die X Gemina, die die Vitellianer zur Straße von Gibraltar gesandt hatten, u m die othonischen Truppen in Mauretanien zu überwachen. N a c h der ersten Schlacht von Bedriacum w u r d e die erst neronische, dann othonische I Adiutrix von Vitellius zusätzlich nach H i spanien verlegt. Alle drei Legionen schlossen sich Vespasian an, der sie 70 an die R h e i n f r o n t schickte. Einige Jahre später, zwischen 73 u n d 79, kam die legio VII (nun Gemina) in die Tarrakonensis zurück u n d bezog im Gebiet der Asturen, in Legio/León Quartier. Sie stellte zusammen mit den Auxiliartruppen bis zum 4. Jh. die Garnison Hispaniens dar. Mit der ala II Flavia Hispanorum in Rosinos de Vidríales, der cohors I Celtiberorum zwischen Lugo u n d La C o r u ñ a u n d den beiden cohortes I und II Gallicae, die eine bei den Kantabrern, die andere bei den Kalläkern, und vielleicht der cohors Lucensium wird diese Garnison nicht m e h r als 9 000 M a n n betragen haben. Flavius Josephus [bell. lud. 2. 375] wunderte sich bereits i. J. 68 über die n u merische Schwäche dieses Truppencorps, u n d es gibt heute eine lebhafte Diskussion [Syme 33; R o l d á n Hervas 45; Le R o u x 46, 47] über seine Rolle, seine R e k r u t i e r u n g u n d seinen Einfluß. Die Legion leistete ihren Beitrag in F o r m von Vexillationen, als der spätere Kaiser Traían den Saturninusaufstand am R h e i n i. J. 89 [S. 169] niederschlug. Detachments kämpften in Traians Dakerkriegen, Hadrians britannischen Feldzügen u n d den Kriegen in Afrika unter
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Antoninus Pius, vielleicht auch in den Germanenkriegen von Marc Aurel und Alexander Severus. Abteilungen dieser Legionen gehörten zu der Orientarmee, die in die Niederlage Valerians 260 η. Chr. zog. Vor Ort stellte die Armee die Garde des tarrakonensischen Statthalters und Personal für die Behörden der Provinzhauptstädte Tarragona und Mérida. Vielleicht agierte sie unter Nero auch als Polizei im Inneren und an den Küsten. Ihre Ergänzung (abgesehen von den Auxiliaren und der Aushebung von 68) geschah theoretisch reichsweit, wurde aber unter den Antoninen zunehmend auf Hispanien beschränkt. Neben diesen Standardaufgaben hatten die Legion und die Auxiliartruppen von der julisch-claudischen bis zur severischen Dynastie wohl auch einen spezifischen Auftrag, nämlich die Kantabrer und Asturen nicht nur zu überwachen, sondern auch zur Zwangsarbeit in den Goldminen des Nordwestens zu zwingen. Die Armee leistete einen direkten Beitrag zur Goldförderung, indem ihre Ingenieure die künstlichen Bauten, Straßen und Aquädukte planten. Als romanisierender Faktor war die Armee lokal (in Kantabrien, Asturien und Galizien) sehr wichtig, indem sie als eine Gemeinschaft von mehreren tausend Menschen den Indigenen die römische Lebensart nahebrachten. Aber auch auf Reichsebene diente die römische Armee der Romanisierung der Halbinsel. Hispanien stellte nämlich mindestens zwölf Alen und sechzig Kohorten, vor allem unter Augustus und im 1. Jh. n. Chr., doch noch unter den Antoninen wurden Auxiliare und Legionäre rekrutiert. Eine gewisse Zahl von Soldaten und Zenturionen kehrte nach dem Ablauf der 20-25 Jahre Dienstzeit in ihre hispanische Heimat zurück. Sie waren dann von der römischen Disziplin geprägt, sprachen Latein und hatten (besaßen sie es nicht schon zuvor) das römische Bürgerrecht. Sie stellten einen Teil der Führungsschicht, die die Integration ermöglichte.
3. 4 Das Straßennetz Die Küstenschiffahrt war von großer Bedeutung (so schon Strabon) und wurde auch im Golf von Biscaya betrieben. Von den Häfen Tarraco, Valentia und Carthago Nova aus liefen Schiffsrouten nach Italien. Als Zwischenstation dienten die Balearen, das Ziel war Etrurien und Ostia. Für Schiffe, die die Meerenge von Gibraltar verließen, war die Küste von Mauretania Caesariensis das Ziel. Von Cap Finisterre aus segelte man zum Ärmelkanal und zu den Mündungen von Gironde und Loire. Die Verbindungen zum östlichen Mittelmeerraum liefen über Sizilien. Die durch zahlreiche Wracks belegte Küstenschiffahrt wurde sowohl im Golf du Lion als auch an den afrikanischen Küsten entlang betrieben. Die Wasserläufe waren von großer Bedeutung, vor allem der Ebro, der bis Miranda schiffbar war, der Baetis/Guadalquivir, schiffbar bis Corduba, der Anas/Guadiana, schiffbar bis Emerita, die große Tajo-Mündung und die kleineren Mündungen von Sado und Duero. Der Landverkehr war in Altkastilien und León relativ bequem, wie auch südlich der Sierra de Guadarrama. Die Hauptbar-
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rieren stellten die Pyrenäen mit ihrer Fortsetzung, den kantabrischen Kordilleren, und die Massive im Nordwesten und Süden (insbesondere um die Sierra Morena und die Sierra Nevada) dar. Die enormen Marschstrecken Caesars 49 und 45 v. Chr. wurden durch diese guten Verkehrsverhältnisse ermöglicht. Zwischen Perthus und Gades verlief eine alte Straße, der Heraklesweg. A u gustus und seine Nachfolger bauten sie als via Augusta aus. Ihr hügeliger Verlauf zwischen Carthago Nova und Corduba verband zwei Provinzen. Diese Straße war eine Staatsstraße, eine via militaris [Sillières 48, 49], Forschungen der letzten Zeit zeigen, wie schwach das Straßennetz im hispanischen Süden ausgebaut war. A m M e e r gab es eine Straße parallel zur Küste. Eine große R o u t e lief von Hispalis/Sevilla nach Emerita (mit einer Direktverbindung zwischen Emerita und Corduba), der camino de la plata des 16. Jh.s. Von Emerita führte diese Straße weiter nach Salamanca und erreichte Asturica Augusta. Auch dies war eine Staatsstraße. Am dichtesten war das Straßennetz im Nordwesten. Z u m augusteischen Dreieck Asturica Augusta - Bracara Augusta — Lucus Augusti, das fortwährend ausgebaut wurde, kamen weitere Wege, die bisweilen die ursprünglichen Trassen verdoppelten und diesen Sektor besser an die Küste und an Lusitanien anschlossen. In dieser Provinz geschah die verkehrsmäßige Erschließung einiger Städte im Zentrum durch den Bau von Brücken wie der von Alcantara, über die man schnell in die Provinzhauptstadt und zum Gerichtsort Emerita gelangen konnte. D e r Hauptzugangsweg vom Mittelmeer zum Nordwesten war die Straße Caesaraugusta — Asturica Augusta gewesen, die nach der Eröffnung des Passes von Roncevaux durch eine Straße Bordeaux - Astorga ergänzt wurde, deren Bedeutung seit dem 3. J h . kontinuierlich zunahm. Innerhalb der Halbinsel gab es damit fünf Verkehrsknoten, die wie eine Fünf auf dem Würfel angeordnet waren, Asturica Augusta, Emerita, Castulo, Caesaraugusta und Toletum/Toledo in der Mitte. Insgesamt scheinen die Wege und vor allem die großen Straßen in den kaiserlichen Provinzen Lusitanien und Tarrakonensis wesentlich besser gepflegt worden zu sein als in der senatorischen Provinz Bätika, wo die via Augusta, die K ü stenschiffahrt und der Baetis ausgereicht zu haben scheinen. Mit Zugtierkolonnen konnte man letztlich überallhin gelangen. Das gut unterhaltene Straßennetz der R ö m e r diente vor allem strategischen Zwecken und war für Militär und Administration gedacht.
3. 5 Die Wirtschaft 3. 5. 1 D e r Münzumlauf D i e Münzgeschichte Hispaniens wirft noch zahlreiche Fragen auf, obwohl bereits viel geleistet worden ist. Während der Republik waren die lokalen Silberprägungen im Diesseitigen Spanien zahlreich, aber zu Beginn des 1. Jh.s wurden sie eingestellt. Die große Zahl von Denaren der römischen Republik hängt mit den fortwährenden Feldzügen zusammen, während lokale Kupferemissionen
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auf den Beginn der Steuererhebung in zahlreichen Städten hinweisen. Für die augusteische Zeit nimmt man drei militärische Silberprägestätten in Hispanien an, von denen aber nur eine sicher ist. Es handelt sich dabei u m die von E m e r i ta, die im Z u s a m m e n h a n g mit den Kriegen im Nordwesten zu sehen ist, sie existierte aber nur kurz. Einige Städte in allen drei Provinzen [Villaronga 22] f u h ren mit der Prägung von Kupferscheidemünzen fort, u n d die augusteischen G r ü n d u n g e n (Ilici [Llorens 23], Caesaraugusta, Emerita, Corduba etc.) erhielten die explizite Erlaubnis zur Prägung von M ü n z e n . Bis zum Beginn der H e r r schaft Caligulas waren einige Prägestätten sehr produktiv. Diese M ü n z e n sind die wichtigsten Quellen für die Beziehungen zur Kaiserfamilie und die Prosopographie der lokalen D u u m v i r n . Mit Claudius enden die Lokalprägungen endgültig, aber wie in Gallien tolerierte dieser Kaiser den Umlauf von Imitaten der offiziellen Asse. Bis zu den großen Entwertungen im 3. Jh., die zur Aufgabe des wertlosen Geldes führten, ist das Material eher d ü n n u n d unterscheidet sich nicht sonderlich von dem der Nachbarprovinzen. Was aber selbst angesichts der mageren Münzausbeute an den Fundorten (Belo, Conimbriga, Clunia etc.) [59, 60, 61] klar wird, ist die tiefgreifende Monetarisierung der Gesellschaft seit augusteischer Zeit, was mit dem kaiserlichen und lokalen Steuerwesen in Zusamm e n h a n g stand. Hispanien u n d Afrika erhielten ab 193 eine Bronzeprägung aus R o m , die sich nicht in Gallien findet. Das erklärt sich wohl aus dem engen Verhältnis Hispaniens zu Italien und den Häfen R o m s . Daß es fast keine M ü n z h o r te julisch-claudischer, flavischer, antoninischer und severischer Zeit gibt, zeigt den tiefen Frieden dieser Provinzen, ist aber, zusammen mit der mäßigen Ausbeute an M ü n z e n bei Grabungen für dieselbe Periode, ein großes Problem für die Numismatiker. Jedoch belegen epigraphische Erwähnungen oft erheblicher S u m m e n einen normalen Geldumlauf. Aus diesem Bereich gibt es weder A n zeichen für einen Aufschwung noch für einen Niedergang der hispanischen Wirtschaft. D e r Bedarf an Gold-, Silber- und Kupfergeld w u r d e durch die Z e n tralregierung befriedigt, u n d zwar von Claudius bis Valerian fast ausschließlich durch die Produktion der Prägestätte von R o m . Die Emissionen der Revolte von 68 waren quantitativ sowohl für aurei als auch für Denare und Scheidemünzen aus Kupfer sehr gering.
3. 5. 2 Die wirtschaftliche Entwicklung Die Wirtschaftsgeschichte, ein ohnehin schwieriges u n d j e d e m klaren Urteil widerspenstiges Gebiet, reduziert sich in Hispanien wie auch sonst oft auf die Gegenüberstellung kurzer Passagen aus einigen wenigen Autoren, die aus der Entfernung für ein italisches (v. a. Plinius der Altere u n d Martial) oder griechisches (Strabon) Publikum schreiben, mit einem Berg von Scherben, die m a n c h mal Stempel u n d aufgemalte Inschriften tragen (bei Ol-, Wein- und G a r u m g e fäßen), und einigen Dutzend Bleibarren, einem N e b e n p r o d u k t der Silberforder u n g [van Nostrand 52; Vazquez de Prada 53]. Die Erforschung der Produktionsorte der Amphoren, der Brennöfen und des Tons geben einen Aus-
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gangspunkt, Müllkippen an den O r t e n des Verbrauchs weisen zu den Exportzielen, unterseeische Prospektionen führten zu geschlossenen Funden, den Schiffsladungen, u n d man m u ß all diese Indizien zusammennehmen, u m einen ganz ungefähren Eindruck zu erhalten. D e m g e m ä ß ist der Getreideanbau schwer einzuschätzen, höchstwahrscheinlich diente er vor allem d e m lokalen Verbrauch. Ahnliches könnte man wohl fur die Schafs-, Ziegen-, R i n d s - und Schweinezucht sagen. N u r die Pferdezucht lieferte vielleicht (für die Bedürfnisse der A r mee?) größere Uberschüsse. Die asturischen Pferde waren in R o m geschätzt. Die Zoelae in Asturien bauten H a n f a n [Plin. nat. 19. 20], der sich in R o m großer Beliebtheit erfreute. An Exportgütern der Halbinsel [Colls 54; Liou 55, 56; Bost 58] sind für die ganze H o h e Kaiserzeit die drei Metalle, das O l u n d das G a r u m zu nennen, und, weniger bedeutend, der Wein. Ü b e r die Importe informieren Scherben von L u xuskeramik aus Italien u n d Gallien. D e r Binnenhandel läßt sich durch den U m lauf von Marmor, Amphoren, feinwandiger Keramik und hispanischer terra sigillata fassen. Insgesamt ist nur ein Teil der Produkte für uns nachweisbar.
3. 5. 3 Der Bergbau Die Haupteigenschaft Hispaniens in den Augen der Griechen (Polybios, Poseidonios von Apamea, Strabon etc.) war sein R e i c h t u m an Metallen, die abgebaut und exportiert wurden. Es gab die drei Metalle Gold, Silber und Kupfer, dazu Quecksilber und farbige Salze. Strabons Beschreibung ist teilweise veraltet, u n d die archäologische Forschung konnte zwar viel beitragen, nicht aber alle Fragen beantworten, weil die häufig in trockenen u n d bergigen R e g i o n e n gelegenen Bergbaureviere k a u m Landwirtschaft besaßen und somit auch keine Städte hervorbringen oder ernähren konnten, in denen sich Inschriften gefunden hätten. Das Silber, das zur Zeit der Republik so wichtig gewesen war, sei der R e g i o n von Cartagena später ausgegangen. Die gestempelten Bleibarren (ein N e b e n produkt der Galenitverhüttung) zeigen, daß der Niedergang im 1. Jh. n. Chr. kontinuierlich erfolgte. Die Gegend von Jaén, die von Castulo/Linares sowie die Sierra Morena im allgemeinen, bis Vipasca/Aljustrel in Lusitanien, lieferten weiter Silber. Kupfererz w u r d e vor allem in der R e g i o n von Huelva am Alentej o über die Provinzgrenzen hinweg kontinuierlich abgebaut. Z i n n gab es in der Estremadura, in Nordlusitanien und im Nordwesten. Eisengruben fanden sich an vielen O r t e n (z. B. in Ardituri im Baskenland oder in Munigua in der Bätika), dienten aber meist nur der lokalen Nachfrage [Domergue 63]. In augusteischer Zeit befanden sich die M i n e n in Privatbesitz. Bald w u r d e n sie j e d o c h Eigentum des römischen Staates. Dies geschah progressiv, mitunter durch Konfiskationen. Dies ist für die Montes Mariant schon unter Tiberius b e legt. Erwähnungen von kaiserlichen Prokuratoren (Sklaven u n d Freigelassene) beweisen dies. Auch Privatleute wirkten an Abbau und Verkauf mit. Die Marken u n d Graffiti auf Bleibarren einer vor der Küste Korsikas verlorenen Ladung [Bernard/
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Domergue 64] zeigen, daß diese Barren von Händlern bei den Gießereien abgeholt und dann wahrscheinlich von Hispalis/Sevilla aus weiterverschifFt wurden. Das hadrianische Reglement von Vipasca [Domergue 62] regelt den Abbau durch Privatpersonen in einer Kaiserdomäne. Der Staat besaß keine Gießereien und berechnete seine Einkünfte nach der Menge des abgebauten Minerals oder der wiederaufbereiteten Schlacke. Diese Mine scheint repräsentativ zu sein für die anderen Gruben Südhispaniens. Sie war stets aktiv und unterstand am Ende des 2. Jh.s einem Sklaven- oder freigelassenen Prokurator [Le Roux 50; Christol/Demougin 51]. Diese traditionellen Bergwerke, ein Erbe aus republikanischer Zeit, hatten nichts mit denen des Nordwestens gemein, wo R o m nach der Unterwerfung der Indigenen mit dem Goldabbau begann. Neben den uns weitgehend unbekannten Goldseifen der Flüsse gab es Minen mit Schächten und Galerien sowie oberirdischen Terrassen zum Zerstoßen (was in Mörsern mit Steinhämmern geschah) und Waschen. Am spektakulärsten waren jedoch die riesigen Tagebaugruben in den alluvialen Terrassen. Die bekannteste, die von Las Médulas, ist ein Kreis, in dem die roten Felsnadeln und Klippen einen Kastanienwald überragen. Dort wurden 300 Millionen Tonnen alluviales Material abgebaut. Ein ganzes Netz von Leitungen brachte das Wasser ringsum aus bis zu 40 km Entfernung. Rund 50 dieser gigantischen Gruben ließen sich identifizieren. Domergue [63] hat sich insbesondere des Abbaus im Duerotal angenommen, dessen Ablauf er rekonstruieren konnte, indem er vor Ort eine Passage aus Plinius, der unter Vespasian Augenzeuge war, interpretierte. Es gab bereits eine indigene Tradition, Erz abzubauen und dies an Ort und Stelle mit Hilfe von künstlichen Wasserläufen zu waschen. Die kaiserlichen Autoritäten gaben dieser Technik eine neue Dimension, indem sie eine große Zahl von Aquädukten benutzten und durch geschickte Unterminierungen (vielleicht von Militäringenieuren durchgeführt) Einstürze hervorriefen. Der Goldgehalt war schwach und unregelmäßig (1-7 g pro Tonne alluviales Material), und so scheint der Einsatz von bezahlter Arbeitskraft ausgeschlossen. Der Unternehmer muß also der Kaiser gewesen sein, der gezwungene Arbeiter einsetzte, die er mit Truppenabteilungen überwachen ließ. Diese Arbeiter waren vielleicht verurteilte Verbrecher oder Sklaven, aber höchstwahrscheinlich auch Indigene, Asturen, die man hier gewaltsam zu einer harten und lebensgefährlichen Arbeit zwang [Florus 2. 33. 60]. Zu Plinius' Zeiten [nat. 33. 78] förderte man jährlich 6,5 t Gold in Lusitanien (Goldseife?) und in Galizien, doch nach zwei Jahrhunderten, unter den Severern, endete die Förderung, und im 4. Jh. lieferte das wichtigste Revier der Antike kein Metall mehr, blieb aber stark bevölkert und reich. Unklar ist, ob die allgemeine Vergabe des römischen Bürgerrechts unter Caracalla zum Ende der Zwangsarbeit führte.
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3. 5. 4 Das Olivenöl Seit augusteischer Zeit gelangte das hispanische (genauer: fast ausschließlich bätische) Ö l in den Mittelmeerhandel [65], Sein Behältnis, die Amphore Dressel 20 (die nicht wiederverwendbar war?), erlaubt, die Handelswege anhand der Wracks u n d der Ausgrabungen zu verfolgen [Colls 54; Liou 55; L i o u / D o mergue 56]. Ab der flavischen Zeit dominierte es ein Jahrhundert lang den Handel. Im letzten Drittel des 2. Jh.s verlor es Boden gegenüber dem afrikanischen O l [Mattingly 68; S. 95], wie sich dies in Ostia feststellen läßt, doch sein Anteil am Handel blieb bis 260 hoch [58]. Die Existenz eines unzerstörbaren Indikators, der Terrakotta-Amphore, erlaubte die Erstellung von Verbreitungskarten von Athen bis zur Nordsee [Remesal R o d r i g u e z 67; Jacques 69]. Besonders viel Material haben wir in R o m mit dem M o n t e Testaccio [Rodriguez Almeida 66] sowie in Pompeii und Ostia. Die häufig vor der Brennung eingeprägten Marken und bisweilen auch die Analyse des Tons erlauben heute von Corduba bis Sevilla, den ganzen Lauf des Baetis und des Genil (unterhalb von Astigi/Ecija) entlang, die Fabrikationsorte zu identifizieren [Ponsich 76]. In vielen Fällen waren die Amphorenhersteller wahrscheinlich mit den O l p r o d u z e n ten identisch, aber die Tatsache, daß die aufgemalten Inschriften fast immer verloren sind, verbietet definitive Aussagen. Diese Inschriften beziehen sich häufig auf Transporteure und Händler. In diesem Forschungsbereich ist noch viel zu tun, wie auch bei der Chronologie der Produktion, ihrer geographischen A u f teilung und den Handelsrouten. Die Handelsroute an der Atlantikkiiste entlang ist immer noch am wenigsten bekannt, darf aber wohl als gesichtert gelten. Diese spekulative Kultur führte zur Bereicherung der Notabein mit Landbesitz in der Bätika. Sie ist ein G r u n d für die Prosperität dieser R e g i o n am G u a dalquivir. Lassen sich diese Notabein identifizieren? Es gibt lokale Vermögen, die den Ritterzensus, ja sogar den senatorischen Zensus [Jacques 79] überstiegen, und die in bestimmten Fällen auch den Kaiser (durch Erbschaften oder Konfiskationen) zum Produzenten werden ließen. Vielleicht auf diesem Wege gelangte diese Produktion im 2. Jh. in die römische Annona, u n d Septimius Severus bezog aus Bätika u n d Afrika das Ol, das er für die kostenlosen Verteilungen brauchte. Dagegen ist es k a u m wahrscheinlich, daß es eine spezielle Olabgabe für die annona militaris gegeben hat [Remesal R o d r i g u e z 67]. Das Ö l war ein Produkt von größter Bedeutung in der Mittelmeerwelt [vgl. die R e z e p t e von Apicius] und gleichzeitig Luxus u n d Symbol einer bestimmten Vorstellung von Zivilisation in entfernteren R e g i o n e n (was bereits im hispanischen N o r d westen beginnt). Das erklärt den U m f a n g seiner Produktion u n d seiner Verbreitung.
3. 5. 5 Das Garum G a r u m war eine Würzsoße, die durch die Selbstverdauung von Fischinnereien entstand u n d dessen Produktion in Hispanien einen besonderen Platz einnahm.
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Man stellte es schon vor Beginn der Kaiserzeit an den Mittelmeerküsten der Halbinsel von der Sucro-Mündung bis über die Straße von Gibraltar hinweg her, ζ. B. in Baelo [Ponsich/Taradell 70]. Da diese Industrie in Cartagena mit den Salzgärten verknüpft war, wurde auch sie an die Pächter der Salzgärten vermietet [Etienne 71]. Diesesgarum sociorum hatte in Italien einen exzellenten R u f [Plin. nat. 31. 93f.; Mart. 13. 102]. Diese zu Zeiten der Flavier blühende Industrie scheint keinen Niedergang vor dem Ende des 4. Jh.s erlebt zu haben. Daneben wurden auch Fischkonserven in Salzlake hergestellt, wie man ja neben den Olamphoren auch Olivenkonversen produzierte. Trotz der möglichen Konkurrenz durch afrikanisches (v. a. aus Mauretanien) und gallisches Garum (an der Languedoc-Küste, in Antibes und auch an der Atlantikküste) entwickelte sich diese Produktion an den Küsten Lusitaniens, an den Mündungen von Sago [in Troia: Etienne 72] und Tejo bei Olisipo [40, S. 123-147]. Die Verbreitung der Garumamphoren, die Luxusgüter waren, erstreckt sich weit über den ganzen römischen Okzident, von England und Lyon bis zu den Garnisonen an der Donau. W i e Olivenöl oder Wein war Garum ein Symbol des Römertums. Die Bedeutung der Fischsalzereien und Garumproduktionszentren erklärt die Prosperität des bätischen Baelo. Das Vermögen einiger Produzenten, z. B. in Troia, scheint beträchtlich gewesen zu sein. Laufende Forschungen, die durch den auffälligen Charakter dieser Anlagen (abgedichtete, in Batterien angeordnete Becken) erleichtert werden, geben diesem Handwerk, das den Geschmack für die veredelte Fäulnis bediente, einen immer gewichtigeren Platz.
3. 5. 6 Der Wein Der Wein ist, wie in Gallien, ein Vermächtnis der Griechen und der Römer. Doch dauerte es bis vor kurzem, ehe die spärlichen literarischen Erwähnungen [insbesondere Mart. 13. 118] durch Funde illustriert werden konnten. Man konnte den Inhalt zweier Amphoren — Dressel 1-4 und Pascual - bestimmen und durch Zufallsfunde ihre Zielgebiete herausfinden. Ausgrabungen von Brennöfen wiesen den Weg zu ihren Produktionsgebieten [73]. Seit dem 2. Jh. v. Chr. hatte sich der Weinanbau in der Tarrakonensis ausgeweitet, und diese Region (genauer: Läetanien) exportierte vor allem in der zweiten Hälfte des 1. Jh.s v. Chr. und während des 1. Jh.s η. Chr., ζ. Β. nach Toulouse oder Lyon. Im vespasianischen Ostia machte der läetanische Wein 15% des Imports aus. Doch auch in anderen Regionen wurde Wein angebaut, nämlich in der spanischen Levante (Sagunt), auf den Balearen und wahrscheinlich auch in der Bätika. O f fen ist, wieviel in Hispanien selbst verbraucht und wieviel exportiert wurde. Als Zeichen von Kultur und R ö m e r t u m trank man Wein auf der ganzen Halbinsel. Der Weinanbau breitete sich in allen drei Provinzen aus, um die lokale Nachfrage zu befriedigen. Nach der Flavierzeit lassen sich Exporte kaum mehr nachweisen.
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3. 5. 7 Die Keramikgefiße Auf der ganzen Halbinsel wurde einfache Keramik (Geschirr und Baumaterial) für die lokale Nachfrage produziert. Ihre Erforschung macht immer mehr Fortschritte [ζ. B. in Conimbriga, 24, V]. Im Bereich der Feinkeramik löste die lokale Fabrikation ab dem 1. Jh. n. Chr. die Importe ab. Feinwandige Schalen und Becher kamen am Ende der Republik und in augusteischer Zeit zu einem geringen Teil aus Lyon und Montans (Funde auf den Balearen und in Katalonien), zum größeren aus Zentralitalien (in denselben R e gionen, sowie in der spanischen Levante und in der Bätika). Ab Tiberius' Herrschaft gab es eine lokale Produktion auf den Balearen, in Emerita und in der Bätika. Die bätische Keramik wurde größtenteils an die narbonensische Küste exportiert und ab Claudius auch nach Mauretania Tingitana. Unter den Flaviern und Traian findet sich dieses Geschirr in den römischen Nordwestprovinzen. Danach lassen sich Produktion und Export kaum noch nachweisen [Mayet 74]. Zunächst importierte man terra sigillata aus den Werkstätten von Arezzo, Lyon und vor allem La Graufesenque, ehe die Importe von der heimischen Produktion verdrängt wurden. Wir kennen heute zwei Produktionszentren sicher, nämlich Tritium Magallum (Tricio) in der Tarrakonensis und Andujar in der Bätika. Ein weiteres, kleineres existierte vielleicht in Pompaelo/Pamplona. Die Blüte ist seit der zweiten Hälfte des 1. Jh.s η. Chr. offensichtlich. Unter den Antoninen war die Produktion umfangreich, verkümmerte aber dann [Mayet 75]. Man exportierte nach Mauretanien, besonders in die Tingitana. Die Ergebnisse der hispanischen Keramikforschung der letzten Jahrzehnte haben unsere Kenntnisse über die Handelsbeziehungen und die Produktion (Tonanalysen) beträchtlich erweitert.
3. 5. 8 Die Produzenten Wir besitzen heute zwar genauere Informationen über die Erzeugnisse, doch der Ablauf der Produktion und die Identität der Produzenten sind nach wie vor unklar. Eine große Garumfabrik im lusitanischen Troia gehörte einem einzelnen, doch in einer Kleinstadt wie Baelo wird man eher an mehrere Kleinunternehmer denken. Stellten die Amphorenfabrikanten zugleich auch den Inhalt, d. h. Ol oder Wein, her? Da wir von Umfüllvorgängen wissen, ist das Verhältnis der auf die Amphoren gemalten Angaben zu den vor der Brennung aufgedrückten Marken nicht einfach zu klären. Man kann die Wiederverwendung nicht ausschließen, außer bei den Olamphoren, die keine andere Flüssigkeit mehr beinhalten konnten. Bei den Bleibarren deutet genauso viel, auf große Notabein hin, wenigstens in augusteischer Zeit (so in Cartagena), wie auf kleine Leute, die im Reglement von Vipasca belegt sind. Es steht fest, daß die Olproduzenten Großgrundbesitzer waren. Gilt das auch für die Weinerzeuger?
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Die Villenforschung [Gorges 77] erweitert sowohl unsere Kenntnisse über die Aneignung des Bodens (auch ein Aspekt der Romanisierung) als auch über die landwirtschaftliche Produktion. Den Gutshof (villa) gab es auf der ganzen Halbinsel, jedoch mit geringerer Dichte in Asturien-Kalläkien. Am Ende der republikanischen Zeit war die Zahl der Gutshöfe noch klein; sie waren von geringer Größe und befanden sich vor allem in den Ebenen der Mittelmeerküste. Im 2. Jh. n. Chr. verbreiteten sie sich weit ins Innere hinein und erlebten keinerlei Zerfall im 3. Jh., ehe einige von ihnen (z. B. Sào Cucufate in Lusitanien [Alarcäo u. a. 78]) im 4. und 5. Jh. so prächtig wie nie zuvor ausgebaut wurden. Es zeigt sich, daß sich die Verwendung des Bodens, den sie kontrollierten, veränderte. Die größten Höfe in der Estremadura scheinen zunächst viel Viehzucht betrieben zu haben, ehe sie den Getreideanbau forcierten [Aguilar Saenz/Guichard 80], Die Beziehungen zwischen den Gebäuden und dem Land sind schwer festzustellen, zumal in den Regionen mit besonders fruchtbarem Boden, der sich fur Getreide, Wein und Olbaum eignete. In der Bätika fand die Olproduktion wohl hauptsächlich in den villae statt, und man wird dort, wie in Lusitanien, regelmäßig Sklaven eingesetzt haben. Zenturiationen bei den Koloniegründungen dürften eine bessere Einschätzung des kleinen und mittleren Besitzes erlauben, der wahrscheinlich auch im Nordwesten vorherrschte. Möglicherweise waren in den anfänglich ödesten Regionen (z. B. Innerlusitanien) villae und Kolonisation die wichtigsten Faktoren für die Bevölkerungszunahme. Das Phänomen ist in der ölerzeugenden Bätika nicht ganz so klar, wo sich am Ende des 2. Jh.s eine gewisse Schlaffheit der Städte, einhergehend mit der Olmonokultur, durch die Abwesenheit der Großgrundbesitzer (Kaiser? Senatoren?) erklären könnte. Die Angaben Columellas, Plinius des Alteren und Martials über die landwirtschaftliche Produktion Hispaniens sind in diesem Punkt nicht sehr präzise. Die Münzmotive, die im 1. Jh. v. Chr. im Diesseitigen Spanien fast ausschließlich Verwendung fanden (Fische, Ähren, Trauben), lassen sich in ihrer wirtschaftsgeschichtlichen Bedeutung nur schwer bewerten.
3. 6 Die Veränderungen der Halbinsel Ein wichtiger Bereich bleibt uns fast ganz verborgen, die Demographie. Strabon und Plinius zeigten sich erstaunt über die große Zahl der Gemeinden. Augustus verringerte durch Attributionen die Zahl seiner Ansprechpartner und verbesserte die Verwaltung des Landes, das sich nach Strabons Ansicht wie aus Dörfern bestehend darstellte. Die flavische Munizipalisierung führte bei der Verfolgung ihres Ziels, Ratsversammlungen mit mehr als 60 Dekurionen zu schaffen (vgl. das Gesetz von Imi), wahrscheinlich zu Umgliederungen. Außerdem ist klar, daß einige Städte seit dem 1. Jh. v. Chr. einen Niedergang erlebten, so E m p o riae, das Barcinos Erfolg zum Opfer fiel, und Celsa, dem es gegenüber Caesaraugusta nicht besser erging. Doch in der H o h e n Kaiserzeit sind Anzeichen für Niedergang die Ausnahme, und die Blüte ist vorherrschend, zumindest bis
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Traían. Dies gilt aus Sicht der Archäologen wie der Epigraphiker, und dies wird aus fast allen Monographien ersichtlich, die sich der großen Metropolen (Tarragona, Barcino, Emerita, Hispalis, Corduba) und der kleineren Hauptorte (Conimbriga, Olisipo, Munigua, Baelo, Segovia) angenommen haben. Das flache Land scheint dichter besiedelt worden zu sein, und die Höfe vom villa-Ύγρ verbreiteten sich über die ganze Halbinsel. Dieser Wohlstand war wahrscheinlich auch an einen demographischen Aufschwung geknüpft, der jedoch nur schwer zu beziffern ist. Plinius [nat. 3. 18] spricht von 285 000 (freien) Menschen in 24 Städten im conventus von Bracara Augusta, 240000 in 22 Städten in dem von Asturica Augusta und 166 000 in 15 Stämmen in dem von Lucus Augusti. In dieser noch wenig urbanisierten Region hätte es demnach in flavischer Zeit fast 700 000 Freie in rund 60 Gemeinwesen gegeben. In Lusitanien, das weniger als 50 Städte zählte, aber wesentlich stärker urbanisiert war, gab es mindestens genauso viele Menschen. Die Bätika mit ihren mehr als 170 Städten dürfte mehr als zwei Millionen freie Bewohner gehabt haben. In der Tarrakonensis war die Bodennutzung nicht ganz so dicht, aber in ihren 189 Städten werden gleichfalls mehr als zwei Millionen Freie gelebt haben. Die Abschätzung der Zahl der Sklaven ist unmöglich, ihre Zahl war aber, nach den epigraphischen Belegen zu schließen, nicht gering. Ein Minimum von sechs Millionen Einwohnern für die Halbinsel anzunehmen, ist nicht übertrieben, und selbst eine Zahl von acht Millionen erscheint glaubhaft. Städte hatten rund 5 000 bis 10 000 freie Einwohner, von denen etwa ein Drittel die Zentralsiedlung bewohnte. Die Verwaltung besorgten eine Ratsversammlung mit ca. 60 bis 100 Dekurionen, die dem R a t auf Lebenszeit angehörten, und sechs jährlich gewählte Magistrate. Dieses Modell gilt für die Mehrheit der Städte, wobei es aber zahlreiche lokale Varianten gab. Metropolen wie Gades, Hispalis, Corduba, Emerita, Carthago Nova und Tarraco könnten 20000 bis 40 000 Bewohner gehabt haben. Es ist unklar, ob die Urbanisierung einen demographischen Schub nach sich zog. In Hispanien gab es, wie auch sonst, „Städte" ohne echten Zentralort, und manchmal vernachlässigte eine Stadt den Erhalt oder den Bau einer m o n u m e n talen Ausstattung, war ohne Monumente oder bestand zu weiten Teilen aus Ruinen. Diese Erfahrung machten die Ausgräber von Baelo in der Baetica [Sil— lières 25a, 96]. N u n muß man aber mit den Indizien arbeiten, die zur Verfügung stehen, und Monumente sind klarer erkennbar als die sich verlierenden Spuren traditioneller Siedlungen ohne öffendiche Bauten griechisch-römischen Gepräges. So gesehen, ist die Zahl „römischer" Monumente sehr groß, aber da es keine vollständigen Listen gibt, kann man schwerlich Bilanz ziehen. Die Erforschung der Bau- und Grabinschriften ist ein weiteres wesentliches Element bei der Einschätzung der Übernahme römischer Kultur. Schon zu Strabons Zeiten war der Triumph des Lateinischen in der Bätika offensichtlich. Der Begriff togati weitete sich auf die gesamte Halbinsel aus, auf lokaler Ebene durch die Ratsversammlungen der landbesitzenden Provinznotabeln [Le R o u x 43], Diese kümmerten sich häufig u m den monumentalen
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Schmuck ihrer Stadt, soweit es die Finanzen der Stadt und des Notabeinstandes erlaubten. Der Urbanisierungsdichte und dem epigraphischen Reichtum der bätischen Täler und Küste steht eine losere Siedlungsweise in Lusitanien und in der inneren und westlichen Tarrakonensis gegenüber. Zahllose Kleinstädte im Süden kontrastierten mit den großen Gemeinden, deren romanisierte Sozialeliten monumentale Bauten errichten konnten: Siarum, Salpensa und Irni sind wegen ihrer zufällig erhaltenen Inschriftentafeln bekannt, während sich der R u h m von Toledo, Segovia und Ebora auf ihre heute erhaltenen Monumente gründet. Den ersten Rang nehmen die großen Kapitalen Tarraco, Corduba und Emerita ein. Dann folgen die aufgegebenen Städte wie Baelo, Munigua, Conimbriga oder Clunia, wo sich epigraphische Ausbeute und monumentaler Schmuck die Waage halten. Die derzeitige Bilanz ist im Vergleich zum Rest des Römischen Reiches wenig eindrucksvoll. Doch abgesehen von den Orts-, Götter- und Personennamen gibt es nach der julisch-claudischen Dynastie wenig Überbleibsel aus der punischen, griechischen, iberischen und keltischen Vergangenheit, sieht man vielleicht von Galizien ab. Die Munizipalisierung ist aufgrund der spektakulären Entdeckungen der Stadtrechte von Urso, Salpensa, Malaca und Irni zweifellos das bevorzugte Forschungsgebiet im Bereich des römischen Hispanien. Gehen wir noch einmal ihre Etappen durch. Zu Caesars Zeit gab es verbündete peregrine Städte (Gades, Sagunt, Malaca, Tarragona) neben freien Städten (Astigi, Ostippo, Singiii) und einer latinischen Kolonie, die vielleicht Munizipium geworden war (Carteia, vielleicht auch Italica). Im Falle von Valencia und Corduba ist dies recht zweifelhaft. Die Gründung von Städten für die Einheimischen ist in Graccuris und in Pompaelo belegt. Metellinum könnte eine römische Militärkolonie gewesen sein. Caesar, die Triumvirn und Augustus griffen massiv ein, indem sie das latinische und römische Stadtrecht vergaben. Es gab römische Kolonien, die vor allem für Soldaten gedacht waren (in Lusitanien: Emerita, Norba Caesarina, Scallabis, Pax Iulia; in der Bätika: Hispalis, Corduba, Hasta, Astigi, Urso, Ucubi, Tucci; in der Tarrakonensis: Acci, Libisosa, Salaria, Valencia?, Caesaraugusta, Barcino). Einige Städte stiegen zu römischen Munizipien auf (in Lusitanien: Olisipo; in der Bätika: Nertobriga, Gades, Asido, Iliberris; in der Tarrakonensis: Castulo, Bilbilis, Dertosa, Herda, Aeso, Celsa, Emporiae). Neue Städte für die Eingeborenen wurden gegründet (Augustobriga und Caesarobriga bei den Vettonen, Iuliobriga bei den Kantabrern, Bracara Augusta und Lucus Augusti bei den Kalläkern, Asturica Augusta bei den Asturen) und vielen Städten das latinische Recht verliehen (laut Plinius an 18 Städte in der Tarrakonensis). Zwei Drittel der Städte in den drei Provinzen blieben steuerpflichtig. In den nächsten 75 Jahren scheint es kaum Veränderungen gegeben zu haben. Claudius gründete ein Munizipium in Baelo, was in Zusammenhang mit der Eroberung Mauretaniens stand, und Galba erhob Clunia zur Kolonie. Vielleicht führte er einen Plan Galbas aus, als Vespasian den drei hispanischen Provinzen das latinische Recht verlieh, was aber nicht bedeutete, daß all ihre Städte damit automatisch zu latinischen Munizipien wurden. Einige erhielten Munizipalgesetze, teilweise
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vielleicht schon von Vespasian, sicher dann unter Domitian. Diejenigen von Salpensa, Malaca u n d Irni sind am besten erhalten, aber man fand auch Fragmente in anderen Städten, u n d Inschriften nennen flavische Munizipien. In der Bätika gab es mindestens 18 flavische Munizipien (plus elf wahrscheinliche), in Lusitanien eines (dazu sechs oder m e h r mögliche) und neun in der Tarrakonensis (und zwei wahrscheinliche). N e b e n diesen Städten, die sämtlich eine aus R o m entsandte Charta erhielten, gab es vielleicht auch andere Städte, die den Titel Munizipium annahmen, ohne eine Charta zu besitzen (z. B. diejenigen, die die Brücke von Alcantara bauten). Einige Städte waren stolz auf ihren Titel Flavia, wie Conimbriga, Aquae Flaviae, Iria Flavia, waren aber keine Munizipien. Eine Kolonie entstand am Golf von Biscaya, Flaviobriga, deren Erfolg zweifelhaft ist. Die provinzweite Verordnung von Vespasian 7 3 / 4 und ihre Fortsetzung durch Domitian erkannten den Fortschritt der Romanisierung an u n d gaben ihr n e u en Schwung. „ M u n i z i p i u m " u n d die E r w ä h n u n g von D u u m v i r n , D e k u r i o n e n etc. bedeutete in allen hispanischen Provinzen Aufstieg, Assimilation und Integration, nicht aber den Bruch mit der lokalen Vergangenheit. W i e P. Le R o u x [43] treffend formuliert hat, akzeptierten die Städte, ihre Geschichte in dem R a h m e n fortzusetzen, den ihnen die kaiserliche Autorität setzte. Die Kaiser, die aus Hispanien stammten — Traian, Hadrian, Marc Aurel - scheinen den Provinzen k a u m neue Privilegien verliehen zu haben. Italica verdankte Hadrian (der aus dieser Stadt stammte) den Aufstieg zur Titularkolonie, m u ß t e aber auch Kritik von ihm einstecken, als man u m weitere Ehrenzeichen u n d Steuerprivilegien bat. Die Beteiligung der Hispanier am Reichsregiment begann schon sehr früh. Caesar u n d Augustus förderten die Karriere von Cornelius Baibus aus Gades, der 40 v. Chr. das Suffektkonsulat erreichte und 19 v. Chr. einen Triumph für seinen Feldzug gegen die Garamanten in Afrika feierte. Die julisch-claudischen Kaiser hatten Hispanier in ihrer U m g e b u n g (z. B. die beiden Seneca und ihr Kreis), u n d unter den Flaviern gab es im römischen Senat eine verschworene Gruppe, der Traian seine Thronbesteigung i. J. 98 verdankte. D o c h müssen einige Vorbehalte gemacht werden: Die julisch-claudischen Kaiser forderten die Gallier genauso sehr wie die Hispanier, doch die Ereignisse von 68-70 haben wohl dazu beigetragen, die Zahl und den Einfluß der Senatoren aus den Drei Gallien zu verringern. Außerdem waren sehr viele Hispanier die N a c h k o m m e n italischer Kolonisten, die auf der Halbinsel angesiedelt wurden, z. B. Hadrian, der wie Traian aus Italica stammte. Ferner führte die zunehmende Integration der griechischen Eliten seit Domitian dazu, daß sich die Ergänzung des Senats anders gestaltete. D e n n o c h bleibt das Faktum der hispanischen H e r k u n f t der drei wichtigsten Adoptivkaiser (Ein Urgroßvater Marc Aurels stammte aus U c u bi [32]). Dagegen war der Niedergang drastisch, und dafür war zumindest teilweise die Antipathie Hadrians verantwortlich. Eine leider korrupte Passage der Historia Augusta [Marc. 1 1 . 7 ] scheint darauf anzuspielen, daß Hispaniens Kapazitäten, Senatoren zu stellen, erschöpft waren. Fabius Clio aus der Bätika war eine glänzende Ausnahme unter Septimius Severus.
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Die hispanischen Senatoren stammten hauptsächlich aus der Bätika, später auch aus Südlusitanien u n d von den Mittelmeerküsten der Tarrakonensis [Le R o u x 86; Caballos R u f i n o 87]. Ein Ausnahme war der edetanische Rivale (?) Traians, Cornelius Nigrinus [Alföldy/Halfmann 85]. Beim Ritterstand waren es ungefähr dieselben Herkunftsregionen, die sich j e d o c h weiter in die Nordtarrakonensis hinein erstreckten. Labitolosa, Caesaraugusta u n d die Kantabrer stellten Ritter, ebenso Castulo an der Grenze der Bätika [Pflaum, in: 32]. Das M a ß der Integration ist kaum durch die Betrachtung der Senatoren und Ritter aus Hispanien faßbar. Die Munizipalisierung u n d ihr Ersatz, das latinische R e c h t , sind wesentlich bessere Indizien, ebenso die Entwicklung des Kaiserkults, der sich unter der julisch-claudischen Dynastie verbreitete u n d d e m die Flavier eine endgültige F o r m gaben. Die Frage nach dem Einfluß der Hispani in R o m erweist sich immer m e h r als falsch gestellt, denn die Familienbündnisse zwischen den zu R ö m e r n gewordenen Notabein waren bedeutsamer als ihre urspüngliche H e r k u n f t [Syme 88]. Dagegen m ü ß t e n die Beziehungen innerhalb der herrschenden Schichten auf der Halbinsel m e h r Interesse finden [Alföldy 84]. Die Beziehungen zu den Vertretern der römischen Autorität waren im Vergleich zu anderen Provinzen nicht außergewöhnlich u n d gehörten in den normalen Bereich der Patronage und der Empfehlungen (vgl. die Briefe von Plinius d. J.). Dagegen zeigt eine besondere Art von epigraphischen Zeugnissen, die tesserae hospitales [Mangas 89; Etienne 92], den Stellenwert von Beziehungen, die nicht in den gewöhnlichen R a h m e n der römischen Verwaltung paßten. N e b e n Patronagebeziehungen gab es Beziehungen zwischen einer indigenen Gemeinschaft u n d einer anderen G e meinde, einem einzelnen Peregrinen oder einem R ö m e r . Selbst w e n n eine solche Einzelperson nur ein Lokalhonoratior war, zeugen die Beziehungen von Ungleichheit und m e h r von der Suche nach Schutz als nach einem Partner. Diese in allen drei Provinzen v o r k o m m e n d e n Marken sind während der julischclaudischen Dynastie sehr zahlreich, u n d auch unter den Antoninen gibt es noch viele. Sie unterstützen die Integration ins kaiserliche System und scheinen sie nie behindert zu haben. Das Bewußtsein einer Provinzgemeinschaft, das sich klar in j e d e r der drei Provinzen ausdrücken könnte, als unter den Flaviern j e d e Provinz ein concilium erhielt, läßt sich nur schwer definieren. Zwischenstädtische Beziehungen, die normalerweise aus E h e n u n d Erbschaften resultierten, gab es auf der Ebene der Personen, während die Provinz vor allem ein administratives Konzept blieb. Hier wie auch sonst im R e i c h besaß das concilium das R e c h t (das es auch gebrauchte), pflichtvergessene Statthalter anzuklagen. D e r Begriff Hispania in administrativen Zusammenhang erscheint 68 in Galbas Münzprägung, aber das war ein Appell zur Mobilisierung, der von oben, von Seiten der römischen A u torität kam, und Hispania auf Hadrians M ü n z e n gliedert sich in die Galerie der R e g i o n e n ein, ohne besonderes Gewicht zu haben. 68 n. Chr. folgten die Hispani, ob nun römische Bürger oder Peregrine, dem Mobilisierungsaufruf Galbas, wie schon zu Zeiten der Republik, doch hinter der Revolte steckten römische
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Beamte und Militärs, nicht Indigene, wie bei den Galliern und Germanen von 68-70. W i e sah dies bei der Organisation der Abwehr der Maureninvasion unter Marc Aurel und beim Bürgerkrieg von 196/7 und dem von 238 aus? Wir wissen nichts, und das scheint eher auf Passivität der Hispanier hinzudeuten. Das „munizipale" Leben im weiteren Sinne, mit seinen lokalen Akteuren, den Euergesien, dem Leben und Sozialaufstieg der Freigelassenen läßt sich dank der Epigraphik nachvollziehen [90; 95; 97; 98 bis 101]. Dort zeigen sich typische Städte des römischen Reiches [94; 96; Le R o u x 43]. Die Beziehungen zwischen concilium und Kaiserkult [Etienne 102; Fishwick 103; Etienne 104] vor den Flaviern sind alles andere als klar, und man kann Le R o u x [105] folgen, nach dem es ständig neue Modifikationen gab, wobei der Ausgangspunkt der Kaiserkult in den einzelnen Gemeinwesen war (außer vielleicht in Galizien seit Augustus' Prinzipat). Die (größten?) Städte der Bätika baten Tiberius vergeblich um die Organisation des Kaiserkults in einem Heiligtum. Das concilium findet sich in den Quellen seit Augustus, der Kult erscheint erst unter Vespasian. In Lusitanien gab es anscheinend Provinzpriester unter Claudius, doch der augusteische oder tiberische Altar in Emerita ging eher auf eine lokale Initiative der Kolonie zurück. In Tarraco jedenfalls hatte eine lokale Initiative zur Errichtung des Kaiseraltars gefuhrt, und auch dort sind provinziale flamines vor Vespasian nicht belegt, während das concilium schon unter Tiberius erwähnt wird [Alföldy 84], Die Systematisierung des Kaiserkults in den Hauptstädten der drei hispanischen Provinzen muß nach der derzeitigen Quellenlage den Flaviern zugeschrieben werden. Doch nach dieser Dynastie schweigen die literarischen Quellen mehr oder weniger. Man muß sich mit den Inschriften zufrieden geben, die die provinzialen concilia und den Kaiserkult in den Provinzhauptstädten und (jedoch nur selten und nur in der Tarrakonensis) in den Hauptorten der conventus belegen. Wie auch in anderen Regionen suchte man nach lokalen Besonderheiten im Bereich der Religion [107; 108; 110; 111; 112]. Für ganz Spanien lassen sich kaum allgemeine Aussagen machen, doch regionale Eigenarten sind feststellbar. Uberall nahmen die indigenen Gottheiten die Nomenklatur der römischen Götter an. In der Bätika triumphierten das römische Pantheon und die römischen Priesterschaften. Die phönikischen Kulte wurden assimiliert, in Gades wurde Melqart zu Hercules. Das Orakel wurde noch zu Beginn des 3. Jh.s konsultiert, so von einem Statthalter, den Caracalla dafür umbringen ließ. An der Mittelmeerküste der Tarrakonensis sieht es genauso aus, und auch dort lassen sich keine phönikischen, griechischen oder iberischen Einflüsse feststellen, außer (bei den beiden ersteren Kulturen) innerhalb der Religion der Römer. Dieser intensiv romanisierten Hälfte der Halbinsel steht der keltische Teil gegenüber. Das Heiligtum von Endovellicus in Lusitanien hatte ein großes lokales Publikum, da es sich um eine Orakelgottheit handelte. Doch das gewöhnliche Pantheon nahm Anleihen in R o m , die am meisten verehrte Gottheit war Iuppiter [Peeters 106]. Laren, Genien und Nymphen waren in der Volksreligion sehr
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beliebt. Hinter ihnen verbergen sich lokale Gottheiten, die auch mit keltischen Namen häufig vorkommen. Die orientalischen Religionen [Garcia y Bellido 109] kamen über die Häfen, und die lange Liste von Gottheiten zeigt den allgemeinen Erfolg zu Beginn des 3. Jh.s, wenn auch diese Sekten jeweils nur einen geringen Teil der Bevölkerung umfaßten: ein Isisheiligtum in Baelo, ein Kybele-Felstempel in Carmo, Tauroboliumsaltäre in Corduba und die Mithräen in Mérida illustrieren diese Verbreitung. Die Orientalisierung des Felsheiligtums von Panoias in Galizien (Portugal) [Tranoy 37, S. 306-340] unter der Patronage eines clarissimus zeigt, wie die neuen Religionen aktiv den alten Synkretismus verdrängten. Die Nekropolen weisen auf römische Vorstellungen und Riten hin. Vom Christentum wissen wir vor allem durch die Verfolgungen unter Decius (Korrespondenz Cyprians) und Valerian. Unter letzterem kam es zum Martyrium des Fructuosus in Tarraco, während das Problem der lapsi nach der Deciusverfolgung dazu führte, daß wir heute von Bischöfen und Gemeinden in León und Asturica (Bischof Basilides) und Emerita (Bischof Martialis) wissen. Die dortigen Christen scheinen in engem Kontakt zu dem römischen Bischof und dem karthagischen, Cyprian, gestanden zu haben. Was die Literatur angeht, so erweist sich die Diskussion über das „Hispaniertum" der beiden Seneca als sinnlos. Der Dichter Martial [Dolç 113] liebte zwar seine Heimat Bilbilis, zog R o m aber vor, und sah die Rückkehr in sein Heimatland als Verbannung an. Bei der Kunst (die durch einen Prachtband bestens erschlossen ist [Trillmich 124]) läßt sich nachvollziehen, wie sich die Halbinsel für Einflüsse aus Italien und dem Osten öffnete. Vitruv war kein Unbekannter für die Erbauer der Kryptoportiken von Aeminium/Coimbra oder von Conimbriga [Alarcäo 114], Praeneste und Tibur können mit dem Tempel von Munigua in Zusammenhang gebracht werden [Coarelli 116], und die Darstellungen des kosmologischen Mosaiks von Emerita erschließen sich durch die neuplatonische Philosophie [Quet 118]. Kulturell am bedeutsamsten waren vielleicht die Kapitalen, doch das macellum von Baelo am Ende des 1. Jh.s [Didieijean 115] oder die Mosaiken der domus von Conimbriga vom Beginn des 3. Jh.s beweisen, daß sich auch die weniger großen Gemeinden prächtig entwickeln konnten. Die Zahl der bekannten Mosaiken nimmt ständig durch Neufunde zu, und die Analysen werden immer umfassender [119; 120; 121], doch die Datierungen sind zumeist ungenau, und diese Gattung war vor allem in der Spätantike wichtig. Dagegen gehören die vielen Bronzen eher in die Periode der Hohen Kaiserzeit [Arce 122].
3. 7 Fazit Eine Gesamtbetrachtung der hispanischen Provinzen über die drei Jahrhunderte der Hohen Kaiserzeit hinweg ist immer noch reichlich lückenhaft. Unsere wachsenden Kenntnisse in allen Bereichen geben Hoffnung für die kommenden
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Jahre. D o c h viele scheinbare Gewißheiten wurden wieder in Frage gestellt. B e i spiele hierfür sind die Organisation von Kaiserkult und Straßennetz, die Verbreitung des latinischen Bürgerrechts, die Bedeutung der Munizipalisierung, die soziopolitische Bedeutung der Hispani im römischen Senat oder das U b e r leben der indigenen Kulte. In vielen Bereichen könnten durch systematisches Quellenstudium fundierte Hypothesen aufgestellt werden. Beispielsweise sei an die verschiedenen Arten der ländlichen Besiedlung, die Organisation der Ö l und Weinproduktion, die Existenz einer wirtschaftlichen und politischen Flaute in der zweiten Hälfte des 2. Jh.s η. Chr. oder an die Gründe für das E n d e der Goldforderung in den galizischen Bergwerken zu Beginn des 3 . Jh.s gedacht. M a n sieht die Hispanier als Musterbeispiel von Provinzialen, die ganz ins R e i c h integriert waren, die ganz R ö m e r waren. Dieses Modell einer erfolgreichen Integration würde heute eine weitergehende Betrachtung verdienen.
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4 Gallien und Germanien Von Marie-Thérèse Raepsaet-Charlier Gallien und das römische Germanien werden von Mittelmeer, Atlantik, Nordsee, Rhein und Alpen begrenzt. Diese Region ist gekennzeichnet von einer großen geographischen Vielfalt. Die ganz unterschiedlichen Landschaften bedingen recht verschiedene Lebens- und Produktionsweisen. Demgegenüber läßt sich eine weitgehende ethnische Einheitlichkeit in der Bevölkerung feststellen. Die keltischen Wanderungen hatten im Verlauf mehrerer Jahrhunderte all diese Gegenden erreicht. Der natürliche Reichtum der Ackerbauflächen, die reichen Vorkommen an Rohstoffen und die guten Verkehrsverbindungen hatten diesen Ländern den geeigneten Rahmen zur Entwicklung gegeben. Diese nahm erst unter der römischen Herrschaft großen Aufschwung. Wichtige Faktoren waren dabei die Grenzheere mit ihrer großen Kaufkraft, die regelmäßigen Kontakte zu Britannien und die Exportmöglichkeiten im Mittelmeerraum. R o m intensivierte seinen Einfluß auf die gallischen und germanischen Völker in mehreren Phasen (im wesentlichen vom 2. Jh. v. Chr. bis zum 1. Jh. n. Chr.) und traf dabei auf ganz unterschiedliche Entwicklungsstufen: von den griechischen Kolonien und ihrem hellenisierten Hinterland im Süden über eine Vielfalt von politischen, wirtschaftlichen, materiellen und kulturellen Zwischenstufen bis zu Belgium im Norden, wo die Urbanisation noch kaum begonnen hatte. Nachdem sich die römische Herrschaft etabliert hatte, unterschieden sich die institutionellen und administrativen Status der Provinzen und civitates nach dem militärischen Charakter der Gegend sowie dem Grad der Latinisierung und R o manisierung der civitates. Allmählich wurde aber der Einfluß des griechisch-römischen Städtewesens überall spürbar und erzeugte eine trotz regionaler Unterschiede einheitliche gallo-römische Zivilisation.
4. 1 Eroberung und Urbanisation 4 . 1 . 1 Die Narbonensis Obwohl Gallia transalpina bereits in den Jahren 125-121 erobert worden war [Goudineau, in: 2, S. 4 9 7 - 4 9 9 und S. 679-699; in: 8, S. 471-487], wurde es nicht vor Pompeius als Provinz organisiert. Durch diese erste lex provinciae, die der erste Statthalter Fonteius wohl 7 4 - 7 2 v. Chr. festlegte [Cie. Font. 13, 14, 26 zu den Enteignungen, die man aufgrund der pompeianischen „Konzessionen" vornahm; Christol, in: 18, S. 211-219], erfolgte die offizielle Anerkennung bzw. juristische und territoriale Definition der gallischen Gemeinwesen (der civitates) als konstituierende Elemente der Provinz, wie sich dies etwa bei den Volken-Arekomikern belegen läßt [Christol/Goudineau 45], Vor Caesar wurde dorthin eine einzige römische Kolonie deduziert, Narbo i. J. 188 [Veil. 1. 15
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R o m und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II
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R o m und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II
bereits als vollständig angesehen (die interne Befriedung [bell. Gall. 3. 11] w u r de Legaten übertragen, so P. Crassus [bell. Gall. 3. 20-27] in Aquitanien [Bost, in: 54, S. 21-39]), traf 52 v. Chr. der Aufstand in Zentralgallien Caesar unvorbereitet [Harmand, in: 2, S. 499-505 u n d 700-726; Goudineau 64], ehe dieser die Eroberung 51 durch einige Feldzüge gegen Belger und Kadurker endgültig abschließen konnte. Die folgenden Bürgerkriegsereignisse gehören in den B e reich der römischen Innenpolitik, und Caesar selbst war bei der Organisation u n d Urbanisierung der Gallien nicht sonderlich aktiv. Das wichtigste Resultat seiner Feldzüge (sieht man einmal von der Schaffung der Provinz Gallia Cornata ab) waren die endgültige Sedentarisierung der Kelten (durch das Scheitern der letzen Wanderung, der der Helvetier) u n d die Beseitigung des germanischen Drucks (bis zur zweiten Hälfte des 2. Jh.s). Eine einzige Kolonie, die im Bereich des späteren römischen Germanien lag, w u r d e vielleicht von Caesar gegründet, w e n n man sich van Berchems [90, S. 15, 50-52, 258] Ansicht zu eigen macht: N y o n , Colonia Iulia Equestris. Diese Kolonie sei, so van Berchem, 5 0 / 4 9 (statt 4 5 / 4 4 durch Ti. Claudius N e r o nach der traditionellen Chronologie [Frei-Stolba 95a]) mit Legionsveteranen (Reitern?) und vielleicht auch Indigenen gegründet worden. Dies würde die späteren Beziehungen zwischen Notabelnfamilien aus N y o n und Vienne erklären, w e n n man zusätzlich annimmt, das Caesar dort „zuverlässige" Allobrogen ansiedelte und nicht Helvetier, denen er das Land wegnahm [Fischer 189]. N y o n lag an strategischer Stelle am Genfer See und schützte den Verkehr zwischen Gallien und Italien (schließlich waren die Alpenregionen teilweise noch nicht unterworfen). Es war also eine strategische Entscheidung, was N y o n von den G r ü n d u n g e n in der Transalpina unterscheidet [zu den dortigen Grabungen: Morel/Amstad 244]. Auf dem Territorium der Drei Gallien im engeren Sinne nahm Caesar keine einzige G r ü n d u n g vor. Ursache dafür war wahrscheinlich das von Pompeius und dem Senat erzwungene plötzliche Ende seines Aufenthalts. Das Leben der Indigenen folgte dann seinem m e h r oder weniger durcheinandergekommenen traditionellen Lauf, j e nach R e g i o n und d e m Ausmaß der Zerstörungen (wie in Avaricum [bell. Gall. 7. 28] oder bei den Eburonen [bell. Gall. 6. 43; Galsterer 195]). Einige Stämme erhielten privilegierte Rechtsstellungen, so die R e m e r u n d Lingonen, die wie die Häduer zu civitates foederatae wurden. Die lokalen Eliten, die häufig Teil des Klientelnetzes waren [Vittinghoff 1/690], .in der römischen A r m e e dienten [bell. Gall. 1. 39, 3. 59; Ferdière/Villard 188] und durch individuelle Bürgerrechtsverleihungen schnell integriert wurden, behielten ihre Autorität, w e n n auch eine gewisse Parzellisierung der Macht nach der N i e d e r lage erkennbar ist, insbesondere durch die starke Z u n a h m e der Oppida [Colin/ Buchsenschutz, in: 59, S. 191-208; 56], zumal im N o r d e n [Roymans 84]. W ä h r e n d Caesar in Italien war und gegen Marseille kämpfte, wechselten sich die Legaten in der Provinz ab: D. Iunius Brutus Albinus in den Jahren 48-46 (Bellovakeraufstand), 45 A. Hirtius, der einer der wichtigsten Akteure der E r o b e r u n g gewesen war. Ihm folgte L. Munatius Plancus, der eine bedeutende
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Rolle bei den Koloniegründungen Äugst (bei Basel) und Lyon spielte. Die erste G r ü n d u n g von 4 4 / 4 3 , colonia Raurica, die später noch das Epitheton Augusta erhielt, hatte vielleicht schon bei den caesarischen Planungen eine Rolle gespielt, w u r d e aber in der Triumviratszeit in einem militärischen Kontext v o r g e n o m men, als rätische Stämme eingebrochen waren [Frei-Stolba 95a; van Berchem 90]. 43 v. Chr. erhielt L. Munatius Plancus v o m Senat (möglicherweise auf C i ceros Eingreifen hin) die Erlaubnis, in einer römischen Kolonie die von den Allobrogen aus der gescheiterten latinischen Kolonie Vienne veijagten Kolonisten anzusiedeln, u n d zwar am Zusammenfluß von R h o n e und Saône. Dies war die Geburtsstunde der Kolonie L u g d u n u m / L y o n [Cass. Dio 46. 50; Goudineau 201, 202]. K ö n n e n vielleicht die Gräben auf d e m Plateau der Sarra mit einem provisorischen Lager der Kolonisten in Zusammenhang gebracht werden [Gallia 45 (1988) 49-66]? Die G r ü n d u n g e n Lyon, Nyon, Äugst und Saint-Bertrand k o n frontieren uns mit dem Problem [Desbat 173], daß die literarischen Quellen für die Koloniegründung ein D a t u m angeben, das nicht mit den vorläufigen Ergebnissen der archäologischen Forschung übereinstimmt. Abgesehen von N y o n und Äugst (auf dem Gebiet des späteren O b e r g e r m a nien) war Lyon also die einzige römische Siedlungskolonie im gallischen R a u m . Die Politik von Augustus setzte m e h r auf die Integration der Notabein als auf eine Herrschaft von außen. Gallien, das erst Antonius, dann Octavian zufiel, wurde von Legaten verwaltet [Thomasson 38, S. 29-39], von denen der w i c h tigste in administrativer u n d urbanistischer Hinsicht M . Vipsanius Agrippa [Roddaz 1/111] war. W ä h r e n d seiner beiden Aufenthalte sowie denjenigen von Augustus erhielt die caesarische Eroberung eine konkrete Form. Agrippas W i r ken hatte zwei Phasen, eine triumvirale (40-38/7) u n d eine augusteische (20-19/8), u n d bis zu einem gewissen Grad lassen sich die Prinzipien der beiden Phasen differenzieren. Die wichtigste Aufgabe von Agrippa und den anderen Legaten war die Pazifizierung der Provinz (mehrere lokale Revolten m u ß t e n niedergeschlagen werden) und die Stabilisierung der Eroberungen am R h e i n . In ziviler Hinsicht war der Haupterfolg des ersten Agrippaaufenthalts die K o n zeption u n d der Beginn des Baus eines Straßennetzes, was eine großangelegte geographische A u f n a h m e voraussetzt [Nicolet 1/594]. Die großen Linien dieses Netzes sind uns durch Strabon [4. 6. 11] bekannt, der klar sagt, daß vor allem die großen Völker verbunden u n d Truppenverschiebungen erleichtert werden sollten. „ L u g d u n u m befindet sich im Z e n t r u m des Landes, ganz wie eine Fluchtburg, da es am Zusammenfluß der Flüsse liegt und allen Landesteilen nahe ist. Deswegen hat Agrippa von dort aus die Straßen gebaut: die durch die Cevennen bis zu den Santonern und Aquitanien; die zum R h e i n ; drittens die zum Meer, die zu den Bellovakern und den Ambianen führt, viertens die in die Narbonensis und zur Küste von Marseille." Agrippa k ü m m e r t e sich auch u m die Reorganisation der gallischen Stämme in civitates, was eine Voraussetzung für die römische Art der Provinzverwaltung war. Aufgrund der mangelhaften Quellenlage ist es j e d o c h außer in einigen Ausnahmefällen sehr schwierig, die
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Gründungen einer der beiden Statthalterschaften Agrippas bzw. den Augustusaufenthalten von 27 und 16-13 zuzuweisen. Der am besten dokumentierte Fall einer sehr alten Gründung ist Saintes (Mediolanum Santonum), wo neuere Grabungen die Existenz von Wohnvierteln seit den 40er Jahren nachgewiesen haben. Diese wahrscheinliche Neugründung entstand an einem Angelpunkt des Straßensystems, dort, wo die Straße von Lyon zum Meer die Charente überquerte [Maurin, in: 66, S. 45-59; 1/722; Vernou/Buisson, in: 52, S. 154-163]. Wie bereits erwähnt, ist das archäologische Material von einem gegebenen Fundort zumeist jünger als das historische Gründungsdatum. So läßt sich bei einigen Städten annehmen, daß sie so alt wie Saintes sind, aber ein zwingender Beweis fehlt. Erwähnt seien Limoges am Fluß Vienne und Clermont-Ferrand [Desbordes 176, 52], Man hat auch an Bordeaux gedacht, das alte Emporion Burdigala, das zum Hauptort der BiturgenVivisker wurde, als die R ö m e r diesen Stamm an die Girondemündung umsiedelten [so Maurin, in: 66, S. 45-59]. Der neue O r t entstand über einer Vorgängersiedlung [Barraud/Gaidon, in: 52, S. 43-48]. Man könnte u. a. auch an Besançon [Chouquer 155], Feurs [Vaginay/Guichard 305] und Bourges [ R o u m e goux, in: 52, S. 48-58] denken. Gerade im Vergleich mit der urbanistischen Entwicklung der Südprovinz fällt auf, daß Agrippa zu diesem Zeitpunkt in den Drei Gallien noch nicht nach der programmatischen Baupolitik des augusteischen Prinzipats verfuhr. Auch rückt Cassius Dio [53. 22. 5] die eigendiche Organisation der Drei Gallien nicht vor 27 v. Chr. Man beschränkte sich zumeist auf die Modernisierung existenter Siedlungen, insbesondere der oppida, die die römischen Garnisonen beherbergten und eine zentrale Rolle bei der ersten Romanisierung darstellten [Metzler 241]. Dies zeigt beispielsweise das Straßennetz im Land der Viromanduer: In der ersten Ausbauphase führte die Straße nach Vermand, dem alten oppidum, während die späteren Straßen (so diejenige nach Boulogne, dessen strategische Bedeutung sich gerade herausbildete) sich in der neuen Stadt Augusta Viromanduorum (Saint-Quentin) kreuzten [Raepsaet-Charlier 70, S. 176; Fichtl 60], Bei seinem zweiten Aufenthalt führte Agrippa die großen Projekte fort, die er 20 Jahre zuvor begonnen hatte. Dazu gehörte insbesondere der Weiterbau des ausgedehnten Straßennetzes, das auf die in den Ebenen und Tälern entstandenen neuen Hauptorte hin ausgerichtet war. Diese neuen Zentren ersetzten die meisten alten oppdia oder übernahmen zumindest ihre politische Funktion (das Standardbeispiel ist Bibracte-Autun [Rebourg, in: 66, S. 99-106; Goudineau 203]). Agrippa mußte auch militärisch aktiv werden, insbesondere im Rheinland, und wohl zu dieser Zeit (und nicht während seiner ersten Statthalterschaft [Vittinghoff 16]) brachte er die Ubier auf das linke Rheinufer und siedelte sie als oppidum Ubiorum an der Stelle des späteren Köln an [Galsterer 195], dort, wo die heutige Straße aus Bavay endet [Raepsaet-Charlier 258]. Er reorganisierte auch das alte Territorium der dezimierten Eburonen und Atuatuker zur civitas der Tungrer. Möglicherweise wurden dabei auch keltisch-germanische Elemente aus Rheinnähe dortin verbracht sowie Reste der lokalen Bevöl-
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kerung föderiert (so die Kondruser) [Raepsaet-Charlier 261]. Das erste Straßennetz des Hauptorts Atuatuca/Tongern und die erste städtische Siedlung [Vanderhoeven 306], die vielleicht auf eine militärische Niederlassung folgte (wie einige Siedlungen in Nordgallien) [Mertens, in: 20, S. 155-168; Wightman 71; T h o e n , in: 88, S. 49-59], gehören in die Zeit u m 15 v. Chr. Auch w e n n bisweilen a n g e n o m m e n wird, daß Augustus erst während seines Aufenthalts in Gallien 16-13 v. Chr. [Cass. D i o 54. 19. 1, 25. 1] die Drei Gallien endgültig organisierte, so steht doch fest, daß die U m w a n d l u n g der gallischen Stämme in civitates u m ein städtisches Z e n t r u m , die die Gallier mit Hilfe der teilweise romanisierten Eliten an die römischen Institutionen heranfuhren konnte [Bedon 129], schon 27 v. Chr. geplant und durch Volkszählungen (und vielleicht auch Katastrierungen) vorbereitet wurde. M a n ü b e r n a h m dabei nicht einfach die vorherigen Strukturen, sondern schwächte allzu mächtige Stämme, löste traditionelle Bündnisse auf und vermied allzu kleine Einheiten [Drinkwater 58]. So m u ß man wohl die Integration der Mandubier zu den Lingonen [Mangin, in: 236, S. 33] oder den H ä d u e r n interpretieren oder die Organisation Südaquitaniens mit seiner Neugliederung in rund ein Dutzend Städte oder auch die Schaffung der civitas der Tungrer. W i r wissen allerdings nicht, weshalb man so kleine Einheiten wie die Silvanekten bestehen ließ [Wightman 71; Chastagnol 17, S. 37f.]. W ä h r e n d der rund 15 Jahre nach 27 v. Chr., in denen die Teilung [für die geographischen Prinzipien: Goudineau 65; seine These einer neuen Aufteilung unter Tiberius bleibt unsicher] der Gallia Cornata in drei kaiserliche Provinzen, ihre neue Zählung [Liv. perioch. 138] u n d die Weihung des Altars am Zusammenfluß von R h o n e und Saône durch Drusus 12 v. Chr. stattfand [Fishwick 105], kam es also wohl zur Einrichtung aller civitates u n d ihrer Hauptorte [zur schwierigen Frage der Grenzfestlegung, s. Chastagnol 17, S. 37-47; Desbordes 175; Raepsaet-Charlier 261]. Die Archäologie konnte fur die meisten O r t e nachweisen, daß die Festlegung des Straßennetzes u n d der Bau der wichtigsten öffentlichen Gebäude in die augusteische Zeit fällt [3; 52; 53; 62; 66; 112; King 4; Gros 5; Bayard/Massy 128]. Handelt es sich dabei u m römische G r ü n d u n g e n aus d e m Nichts oder w u r den gallische Wohnbereiche weiterverwendet? Dies ist j e nach R e g i o n unterschiedlich, j e nachdem wie die gallische Vorurbanisierung aussah. Es gab nur wenige neue Städte in Aquitanien, Zentral- u n d Ostgallien [s. aber Aupert/Sablayrolles, in: 52, S. 284f.], wobei man aber die Fälle berücksichtigen m u ß , w o sich das neue Z e n t r u m etwas weiter v o m oppidum entfernte (wie Limoges — Villejoubert oder Trier — Titelberg). Da es kaum Z u z u g von außen gab, lassen sich Kontinuitäten in vielen Bereichen feststellen, w e n n auch in streng urbanistischer Hinsicht dieses P h ä n o m e n vielleicht übertrieben wird (jedoch gesichert in Bourges, Besançon und Feurs), denn die augusteische Zeit hatte überall einschneidende Wirkungen. D e r keltische N a m e der Zentralsiedlungen hilft bei dieser Fragestellung nicht weiter [Goudineau, in: 3, S. 99]: Bagacum und M e diolanum Santonum sind neue Städte [Thollard 299], nicht aber D u r o c o r t o r u m
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[Bull. Soc. arch, champ. 85 (1992) 283-287] u n d Avaricum. Allerdings sind alle Städte neu, die einen römischen N a m e n (und insbesondere einen kaiserlichen N a m e n , der auf Patronage hindeutet) tragen, wie etwa Augusta Treverorum [115; Heinen 212] oder Caesaromagus/Beauvais [Desachy 212]. Häufig ersetzten sie eine vorrömische Siedlung: Augusta Suessionum trat an die Stelle von Villeneuve-Saint-Germain [Debord, in: 53, S. 27-40], A u g u s t o d u n u m / A u t u n ersetzte Bibracte, auch der oben zitierte Fall Augusta V i r o m a n d u o r u m gehört hierher. Eine nicht geringe Zahl von sogenannten „sekundären" Siedlungen, d. h. N i c h t - H a u p t o r t e n [allgemein: 28; Narbonensis: Leveau 232], können in ganz Gallien ebenfalls mit dem oben genannten Prozeß unter Augustus in Zusamm e n h a n g gebracht werden, insbesondere diejenigen, die an den großen R o u t e n lagen. Beispiele sind Liberchies und Braives zwischen Bavay u n d Tongern [Raepsaet-Charlier 258], Dalheim zwischen Trier u n d Metz [Krier 218], Z a bern auf der Straße Straßburg — Metz [Lafon, in: 28 (Atlas), S. 155f.], Aoste (Isère) auf der Straße von Vienne nach Genf [Rougier 274], oder diejenigen Städte, die sich aus einem gallischen O r t entwickelten, wie Alesia [Mangin 235; in: 236, S. 28-60], Malain [Roussel, in: 236, S. 63-78] oder Genf [78; J S G U F 77 (1994) 53-70], Das P h ä n o m e n der größeren Ausdehnung solcher Siedlungen erfolgte j e d o c h etwas später, unter Tiberius [Lenzburg: Niffeler 246; Vidy-Lausanne: Paunier 251; Rezé-Ratiatum: Deschamps u. a. 177] und vor allem unter Claudius [Bourgogne u n d Franche-Comté: Mangin, in: 28, S. 45-79; Lothringen: Massy, in: 28, S. 103-112; Aquitanien: Mangin/Tassaux, in: 52, S. 461-496]. Im augusteischen Gallien begann also ein allgemeiner Prozeß der Urbanisierung, der in den meisten R e g i o n e n im 2. Jh. seinen H ö h e p u n k t erreichte [23], w e n n auch einige civitates in der Lugdunensis (z. B. in Armorika) u n d in der nördlichen Belgica (ζ. Β. die Menapier) davon nicht erfaßt w u r d e n und w ä h rend der ganzen H o h e n Kaiserzeit einen eher ländlichen Charakter bewahrten. Auch w e n n Südgallien insbesondere aufgrund seiner viel älteren B e r ü h r u n g mit d e m intellektuellen Konzept der Stadt u n d ihrer baulichen Ausgestaltung in F o r m der griechischen Kolonien, seiner Hellenisierung u n d seiner Romanisierung eine meist erfolgreichere Urbanisierung erlebte, m u ß man sich hüten, die R e g i o n e n Galliens systematisch nach Zahl, Status und Schmuck ihrer Städte oder der Anzahl der gefundenen Inschriften zu hierarchisieren [Goudineau, in: 3, S. 382-390; France 6, S. 85, 91]. N e u e r e Funde (ζ. B. in Tongern, T h é rouanne, Troyes, Vieux oder in Aquitanien) zeigen nämlich, daß unsere diesbezüglichen Erkenntnisse Frucht des Zufalls oder der Forschungsintensität sein k ö n n e n . Die Bedeutung und Prosperität der sekundären Siedlungen müssen auch als Kontrapunkt gegen allzu verkürzte urbanistische Vergleiche der gallischen Provinzen mit anderen Provinzen des Reiches dienen. Wohl in denselben Jahren gewährte Augustus das latinische R e c h t bestimmten Städten Aquitaniens wie den Convenen, die früher zur Transpadana gehört u n d diesen Status vermutlich früher schon gehabt hatten (und vielleicht auch
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den R a n g einer Kolonie [einer caesarischen?: Wolff 1/731, S. 50]): so den Auskern, die an der Grenze zu der am stärksten romanisierten Provinz lebten. Will man Strabon glauben [4. 2. 2], erhielten andere Städte Aquitaniens dasselbe Privileg, wir k ö n n e n sie jedoch nicht identifizieren [Chastagnol, ILA Santons, S. 10; 17, S. 182; vielleicht die Kuben-Biturigen?: CIL XIII 1194], N a c h der Weihung des Lyoner Altars, der G r ü n d u n g der Provinzialversammlung u n d der Wahl des Hohepriesters begann Drusus seine siegreichen G e r m a nenfeldzüge, die Teil der ehrgeizigen Offensivpolitik des Augustus war [Wells 94]. Tiberius setzte diese Politik nicht fort. Die Entwicklung der Drei Gallien unter der julisch-claudischen Dynastie hing unmittelbar mit dieser neuen Politik zusammen. N a c h d e m die Eroberungsprojekte aufgegeben worden waren und der R h e i n endgültig zur Grenze geworden war, beschleunigte sich die D e militarisierung Galliens, vor allem nach dem Aufstand von 21 [Tac. ann. 3. 40]. (Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß der Monumentalbogen von Orange wohl nicht mit diesem Ereignis zusammenhängt, sondern eher, wie andere Bögen in R o m und dem Rest des Reiches — Saintes, Mainz [73; Lebek 228] — zu Ehren des 19 verstorbenen Germanicus errichtet w u r d e n [Gros 207].) Diese Krise wurde insbesondere durch die Z u n a h m e der Steuerlast der freien u n d föderierten Städten ausgelöst [Alföldy 29]. Die beiden Anfuhrer des Aufstandes kamen aus solch privilegierten Städten, Iulius Sacrovir von den H ä d u e r n und Iulius Florus aus Trier. Sie gehörten zu den lokalen Eliten, die früher von Caesar und Augustus begünstigt worden waren, dann aber unmittelbar unter Tiberius' neuer Politik zu leiden hatten. Im folgenden Jahrzehnt wurden die meisten Lager im Inneren Galliens aufgegeben [Redde, in: 88, S. 41-48], einige Niederlassungen bestanden j e d o c h bis in flavische Zeit [Reddé 266]. Die nächsten Kaiser versuchten, die Integration der Führungsschicht zu fördern. Caligula beschäftigte sich vor allem mit der Narbonensis u n d Germanien [außer was Konfiskationen und Hinrichtungen angeht: Cass. Dio 59. 22]. D e r in Lyon geborene Claudius k ü m m e r t e sich ganz besonders u m Gallien, wie zumal die Verleihung des ius honorum von 48 zeigt, was uns epigraphisch und durch Tacitus überliefert ist [Tac. ann. 11. 24; CIL XIII 1668; Fabia 1/869], Dadurch war der Zugang zum Senat lokalen Honoratioren möglich, w e n n sie das römische B ü r gerrecht besaßen u n d die ersten Stufen des sozialen Aufstiegs auf Provinz- und Reichsebene g e n o m m e n hatten. Vielleicht war die G e w ä h r u n g des ius honorum nur Teil eines umfassenden Gesamtkonzepts [Chastagnol 1/667; 17, S. 181-190]. N a c h verschiedenen institutionellen und onomastischen Indizien zu schließen, breitete sich im Laufe des 1. Jh.s in Gallien das latinische R e c h t aus, wodurch der Zugang zum Bürgerrecht erleichtert wurde. Auch dürfte es Claudius gewesen sein, der Trier zur latinischen Titularkolonie erhob (oder geschah dies schon unter Augustus?). U m die Jahrhundertmitte erweiterte er das Straßennetz nach Britannien und baute den Hafen von Boulogne aus, w o erste Baumaßnahmen auf Drusus [gegen R ö s g e r / W i l l 272] und Caligula [Raepsaet-Charlier 70, S. 98] zurückgehen. In dieser Epoche entwickelten sich auch die Städte [52; Thollard
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299], und viele Dörfer entstanden neu oder wuchsen, deren wirtschafdiche und bauliche Aktivitäten sich archäologisch und epigraphisch nachweisen lassen. Die große Krise, die das Reich 68/69 ergriff, hatte einschneidende Auswirkungen auf das unmittelbar betroffene Gallien. Als sich Iulius Vindex, aquitanischer Adliger und Statthalter der Lugdunensis, gegen Nero erhob, gelang es ihm, Häduer, Sequaner und Arverner auf seine Seite zu ziehen, während andere Städte und insbesondere die Rheinlegionen kaisertreu blieben. Dies führte im Frühling 68 zur Schlacht von Besançon, in der Vindex' Armee kurz vor Galbas Triumph und Neros Selbstmord vernichtend geschlagen wurde. Während die Rheinarmee Vitellius zum Kaiser ausrief, Galba in R o m den Tod fand und Otho von den Prätorianern auf den Schild gehoben wurde, mußten die gallischen Städte sehr große Verluste und Zerstörungen hinnehmen, doch der Krieg brachte denen, die jeweils im Lager des momentanen Siegers waren, institutionelle Priviliegien wie das Bürgerrecht oder den Koloniestatus. Die Lage wurde noch komplizierter, als mit Vespasian ein weiterer Thronkandidat auftauchte und der Bataveraufstand begann [S. 168f.], der Italien und die Rheingrenze bedrohte. Schließlich gelang es den Remern, die Städte zu überzeugen, sich auf die Seite der Römer zu stellen bzw. auf dieser zu bleiben [Tac. hist. 4. 69], während Petillius Cerialis an der Grenze die Aufständischen bezwang und mit Vespasian der allgemeine Frieden ins Reich zurückkehrte. Während der 25 Jahre andauernden Flavierherrschaft erlebte Gallien eine Zeit intensiver Bautätigkeit. Dabei ging es nicht nur um Wiederaufbau und euergetische Ausschmückung, sondern auch um einen angesichts der Expansion der Städte neu durchdachten Urbanismus [Gros 5] und die Entwicklung des Kaiserkults in seinen neuen Formen. Von den Flaviern bis zu der Krise und den Invasionen des 3. Jh.s erlebte Gallien eine große Blüte, zumal unter den Antoninen (es sei an die Verbindungen von Plotina und Antoninus Pius mit Nîmes und an die Stiftungen Hadrians erinnert [SHA Hadr. 10. 1, 12. 2]), was sich in institutioneller Hinsicht durch einige Hochstufungen zu latinischen Kolonien manifestierte [Vittinghoff 16; Chastagnol 17]. Beispiele sind die Vellavier [vielleicht schon eine julisch-claudische Kolonie: CIL XIII 1577 = ILA Vellaves 25], die Segusiaver [colonia Flavia CIL XVII 346 = XIII 8917], die Vidukasser, die Moriner, die Elusaten, wohl auch die Mediomatriker. Eine genaue Chronologie dieser Privilegien ist jedoch nicht möglich [Wolff 1/731]. Ab dem letzten Drittel des 2. Jh.s gibt es jedoch Hinweise darauf, daß sich die bebaute Fläche in bestimmten Städten wie Tours, Angers [Provost 69] oder Amiens [Bayard/ Massy 128] verkleinerte, wenn auch weiterhin große Bauten errichtet wurden. Der Friede in Gallien wurde während des 2. Jh.s nur selten bedroht. Im Norden mußten die Einfälle der Chauker um 175 durch den belgischen Legaten (und späteren Kaiser) Didius Iulianus zurückgeworfen werden. Auch der Kampf um den Thron zu Beginn der Herrschaft von Septimius Severus traf Gallien. Der britannische Statthalter Clodius Albinus erklärte sich mit seiner Provinz unabhängig und trug den Krieg nach Gallien [S. 229]. 196 (oder 197) belagerte er
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Trier, das die legio XXII Primigenia aus Mainz entsatzte [CIL XIII 6800]. Im Februar 197 w u r d e er endgültig bei Lyon besiegt.
4. 1. 3 Die beiden germanischen Provinzen Wenn auch einige Militärlager am R h e i n oder in der N ä h e Rätiens (z. B. Neuss oder Dangstetten [73; 79]) in die Jahre 1 6 / 5 v. Chr. gehören, kann man die G e schichte des römischen Germanien durchaus mit Drusus' K o m m a n d o von 12-9 v. Chr. beginnen lassen [von Petrikovits 92; Rüger, in: 8, S. 524-528; 74; 77; 78; 79; 81]. D e n n zu diesem Zeitpunkt w u r d e n höchstwahrscheinlich die Garnisonen Galliens teilweise verlegt u n d die rheinischen Bezirke von der Belgica abgetrennt, die vor Tiberius einer einzigen Statthalterschaft Germania magna u n terstellt wurden, was zur offensiven Politik gegenüber d e m rechtsrheinischen Germanien paßt [Thomasson 38; Wells 94; R ü g e r 1/701], Die Lollius-Niederlage von 16 v. Chr. [Cass. Dio 54. 20. 4-6] hatte gezeigt, daß die germanischen Bezirke n o c h keineswegs gesichert waren u n d daß die Einrichtung einer p r o vinzialen Z o n e mit militärischer Besatzung zwischen R h e i n u n d Elbe einen besseren Schutz fur Gallien bieten würde, während man sich gleichzeitig zum Schutz Italiens an die endgültige Eroberung der Alpen machte u n d die Grenze an der D o n a u fixierte (Feldzüge von Tiberius und Drusus gegen Räter und Vindeliker 1 6 / 5 v. Chr.). Das Hinterland für die Feldzüge des Drusus bildeten die bereits organisierten Territorien der Tungrer und Ubier. D o r t errichtete man die Ara Ubiorum, einen Altar des Kaiserkults, der dem Lyoner Altar entsprach [Fishwick 1/474] und offensichtlich für die noch zu erobernde Provinz gedacht war. Drusus sicherte seine strategischen Positionen durch castella u n d custodiae an R h e i n und Mosel [darunter wahrscheinlich Maastricht und N a m u r : Raepsaet-Charlier 258], ehe er den Feldzug begann. Diesen führte er mit massivem Einsatz von Flotten [Rösger/Will 272], deren Fahrt er insbesondere durch den Bau der Jossa Drusiana (Vecht) erleichterte, die bei Vechten den K r o m m e R i j n mit dem Zuiderzee (heute das vom M e e r abgetrennte Ijsselmeer) verband. Die zahlreichen Legions- u n d Auxiliarlager von Drusus am R h e i n (Nijmegen, Xanten, Asberg, Neuss, Bonn, Mainz, Windisch?, Straßburg? [Bog a e r s / R ü g e r 76; Frei-Stolba 95a; Schönberger 85; Pferdehirt 83; 88] und an der Lippe (Oberaden) [73] entwickelten sich größtenteils zu Legionslagern oder w u r d e n als solche neu errichtet. Drusus u n t e r n a h m Offensiven über die N o r d see und die Täler von Lippe und Main (ausgehend von den Lagern Vetera und Mainz, die zusammen mit den Flottenbasen Vechten und B o n n seine H a u p t stützpunkte darstellten) und erreichte Weser u n d Elbe. Er starb aber 9 v. Chr. durch einen Unfall (Kenotaph in Mainz, wahrscheinlich der Eichelstein [Frenz 193], w o er einen Kult erhielt [Lebek 229]). Sein Bruder Tiberius und andere Legaten führten seine Feldzüge fort, zwar stets siegreich, aber ohne dauerhaften Landgewinn (es gab auch taktische Veränderungen: Oberaden wurde durch Haltern u n d Anreppen ersetzt [73]).
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Der Legat P. Quinctilius Varus wurde von dem Cherusker Arminius in eine Falle gelockt [von Petrikovits 93, I, S. 424-443] und samt seinen drei Legionen i. J. 9 n. Chr. im Teutoburger Wald vernichtet [Caelius-Kenotaph, CIL XIII 8648; 93, I, S. 102-106]. Dieser Verlust traf Augustus schwer, der seine letzten Jahre darauf verwandte, das linke Rheinufer zu verstärken und neu zu organisieren. Gleichwohl veranlaßte er auch die siegreichen Expeditionen von Germanicus, dem Sohn des Drusus, der zu Beginn der Herrschaft des Tiberius verlorene Feldzeichen zurückgewann. Tiberius gab den Plan, Germaniens zu erobern, auf [Lehmann, in: 87, S. 217-228; 230], und seitdem erhielten die Bezirke Unter- und Obergermanien (die man nicht „Militärterritorien" nennen sollte [Vittinghoff 16]) getrennte Legaten [Eck 1/638], die in der Nähe von Ara Ubiorum bzw. in Mainz residierten. Nach der tiberischen Reorganisation der Jahre 16/7 bewachten acht Legionen [Schönberger 85] mit einer entsprechenden Anzahl Auxilien die Grenze [Alföldy 1/567; Oldenstein-Pferdehirt 82; ritterliche Offiziere bei D e vijver, 1/847 u. Suppl. 2 von 1994]: Ihre Kastelle standen entlang des Rheins [74; 76; 79; 81]. Die Legionen [Namen der Legaten bei Alföldy 1/568] lagen in den dauerhaften Basen Vetera/Xanten ( VAlaudae und XXI Rapax) und Köln (I und X X Valeria Victrix) sowie jenseits der Provinzgrenze, dem Vinxtbach, in Mainz ( X I V Gemina und XVI Gallica), Straßburg (II Augusta) und Windisch (XIII Gemina). Es gab zwar vorerst keine weiteren Koloniegründungen, doch die Anstrengungen Caesars und der Triumvirn, civitates zu organisieren (Helvetier, Lingonen, Sequaner) wurden von Agrippa (Tungrer, Ubier wahrscheinlich mit den Sunukern) sowie Drusus und Germanicus fortgesetzt (Bataver [Bogaers 141; Haalebos 210; Plin. nat. 4. 106; Tac. Germ. 29. 1; CIL XIII 8771; gegen z. B. Will 312], Kugerner wohl zusammen mit den 8 v. Chr. unterworfenen und installierten Sugambrern [Vittinghoff 16] und den Bätasiern, Tribokern, Nemetern und Vangionen). Auch die allmähliche Entwicklung von Siedlungen in der Nähe von Militäranlagen, die sich schon seit Drusus feststellen läßt [Raepsaet-Charlier 258], wurde schnell wichtiger, entweder als Legiom-canabae wie in Straßburg [Frézouls 80] oder Mainz [S. 170] oder aber als vici bei Auxiliarkastellen [z. B. 76]. Diese sogenannte militärische Urbanisierung war in diesen Regionen wichtig für die Seßhaftwerdung der indigenen Bevölkerung, die Integration der Eliten (die auch von den Karrierechancen angezogen wurden), die Einwanderung (deren Umfang kaum abschätzbar ist), die Latinisierung, die Romanisierung [s. jedoch Liertz 233a] und das wirtschaftliche Wachstum, das von den Bedürfnissen der Truppen hervorgerufen wurde [Strobel, in: 26, S. 45-54], Caligula und nach ihm Claudius richteten ihre Offensiven gegen Britannien, was zur Neuverteilung der Legionen führte (Verlegung der Legionen X X Valeria Victrix und II Augusta auf die Insel; Ablösung der XXI Rapax in Xanten durch die XV Primigenia; Aufgabe des Legionslagers Köln zugunsten von Bonn und Neuss) und 50 n. Chr. zur Gründung der colonia Claudia Ara Agrippinensis (die später sogar das ius Italicum erhielt [dig. 1. 15. 8. 2]) an der Stelle des oppidum
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Ubiorum und des Lagers [Tac. ann. 12. 27. 1-2; Galsterer, in: 26, S. 9-15]. Kurz zuvor, 47 n. Chr., hatte Corbulo während seines Kommandos über die untergermanische Armee die Frisen neuorganisiert, indem er ihnen senatum, magistrates, leges gab [Tac. ann. 11. 19. 1] (vielleicht handelte es sich u m die Frisiavonen Zelands [gegen Will 312], die so zusammen mit den Marsakern als civitas konstituiert wurden, indem man ihnen einen Teil des Bataverlandes übertrug). W ä h rend desselben Feldzugs ließ der römische Feldherr einen Kanal zwischen R h e i n und Maas graben, der seinen Namen trug {fossa Corbulonis/Vliet) „und die Fährnisse des Ozeans umging." [Tac. ann. 11. 20. 2], Ferner gründete er Praetorium Agrippinae/Valkenburg und installierte möglicherweise die civitas der Kanninefaten mit dem Hauptort Voorburg [Bogaers 114]. In die Wirren der Jahre 68/69 waren auch die germanischen Bezirke verkickelt, deren Heere gegen Vindex zogen. Später erklärten sie sich gegen Galba und proklamierten den untergermanischen Legaten Vitellius zum Kaiser, der nach der Plünderung von Metz [Tac. hist. 1. 63] und des Landes der Helvetier (die sich unterwarfen und so Aventicum schützten) gegen Italien zog und O t h o schlug, der in der Zwischenzeit an Galbas Stelle getreten war (Schlacht von Bedriacum 69 n. Chr.). Der Bataveraufstand unter Civilis machte die Lage noch unübersichdicher. Strebten sie nur, wie man allgemein annimmt, nach Unabhängigkeit [Dyson 35, S. 152-161; Schmitt 283], oder waren sie Parteigänger Vespasians [Walser 39, S. 86-128], oder wollten sie nur eine Befriedung der R e gion und eine Rückkehr zu ihrem früheren Status mit besonderer militärischer Rekrutierung und Steuerbefreiung [Flaig, in: 19, S. 45-60]? Jedenfalls schlossen sich die Kanninefaten und einige rechtsrheinische Germanenstämme dem Aufstand an, nachdem einige römische Kastelle erobert und Xanten eingeschlossen worden war. Als die Nachricht von Vitellius' Tod und das Durcheinander in Italien bekannt wurden, schlossen sich auch einige Gallier (insbesondere Treverer und Lingonen) den Aufständischen an. Sie nahmen Vetera, Köln sowie Mainz und riefen zusammen mit freien Germanen ein gallisches Kaiserreich auf dem Territorium der Belgica und der beiden Germanien aus — wenn man dies Tacitus glauben will und seine Aussagen nicht einfach als flavische Propaganda zurückweist [Urban 89; Heinen 212]. Doch die gallisch-römischen Städte blieben romtreu, und im Reich setzte sich Vespasians Partei durch. Mucian entsandte den Legaten Petillius Cerialis, um den Aufstand am R h e i n niederzuwerfen. Der erledigte diesen Auftrag sehr schnell und setzte dann nach Britannien über, wo er die Eroberung durch einen Angriff auf die Briganten fortsetzte [S. 221 f.]. In diesen Auseinandersetzungen hatten die R ö m e r viele Menschenleben verloren, zahlreiche Lager waren zerstört worden. Die Militärstützpunkte wurden in der Folgezeit wieder aufgebaut, der Verlust an Mannschaften erzwang eine weitreichende Neudislozierung der Truppen. Die neugegründete II Adiutrix lag einige Jahre in Nijmegen, in der Nähe des zerstörten Batavodurum [Bogaers 141], ehe sie durch die X Gemina ersetzt wurde. Die XXII Primigenia bezog in Xanten Quartier, die VI Victrix in Neuss, die XXI Rapax in Bonn, die I Adiutrix und die XIV Gemina in Mainz, die Vili Augusta erst
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in Mirebeau [Redde 266], dann in Straßburg, die XI Claudia in Windisch. Die /, die VAlaudae, die IVMacedonica, die XV Primigenia und die XVI Gallica waren im Krieg untergegangen oder kassiert worden [85]. Auch die Organisation der Auxiliartruppen wurde verändert. R o m hütete sich seitdem vor ethnisch h o m o genen Truppen [Alföldy 1/567, S. 81-104; dagegen Strobel 291]. Vespasian gründete die Colonia Pia Flavia Constans Emerita Helvetiorum Foederata in Avenches (mit Veteranenzuzug, wie das „Emerita" im Name zeigt), die römisches [Frei-Stolba 95a; Chastagnol 17, S. 136-138] oder latinisches [van Berchem 90, S. 141-150; Gascou 48] Recht besaß. Die Deduktion ging einher mit einer u m fangreichen urbanistischen Umgestaltung und aufwendigen öffentlichen Bauten [Paunier, in: 23, S. 33-61]. Diese Periode stellt eine wichtige Etappe in der Geschichte Obergermaniens dar. Die Feldzüge des Cn. Pinarius Cornelius Clemens 72-74 n. Chr. im N e k kartal und im Süddeutschland, wo R o m s Präsenz zuvor sehr schwach gewesen war [Asskamp 122; Zimmermann 316], und diejenigen Domitians im Dekumatenland [Strobel 290] i. J. 83, die ihm den Beinamen Germanicus einbrachten, erweiterten das Gebiet Obergermaniens erheblich. Die Grenze zwischen R h e i n und Donau war seitdem wesentlich besser geschützt. Ein neues Defensivkonzept war der Limes, der im Lauf des Jahrhunderts verschiedene Verstärkungen erhielt [Baatz 1/571] (Auxiliarkastelle, Aussichtsposten und Wachttürme entlang einer Linie mit Palisaden und Graben). Auf diese Eroberungen folgte die U m wandlung der Bezirke Unter- und Obergermanien in echte Provinzen mit den Hauptstädten Köln und Mainz. Dies geschah 84 [Strobel 290] oder, eher, 85 n. Chr. (das Jahr der censoria potestas Domitians). 89 n. Chr. erhob sich der obergermanische Statthalter L. Antonius Saturninus, was wahrscheinlich zur Kassierung der XXI Rapax führte [Bérard 136]. Auch die unlängst unterworfenen Chatten rebellierten. Später, nachdem sich Domitian erfolglos an der Eroberung Dakiens versucht hatte, nahm er vermutlich in Germanien wie in Britannien Veränderungen an der Truppenbelegung vor, die ihre für die Hohe Kaiserzeit zumeist definitive Form erst unter Nerva und Traian finden sollte. Während des kurzen Intervalls 95-97 scheint die Region der Südgrenze unter weiteren internen Probleme [Nuber, in: 1/519, S. 226-234] bzw. germanischem Druck gelitten zu haben, was der Beiname Germanicus vermuten läßt, den die beiden ersten Adoptivkaiser 97 erhielten, wobei Traian zu diesem Zeitpunkt designierter Erbe und Statthalter von (wahrscheinlich) Obergermaniens war [Eck 1/638, S. 45f.]. Die Legionsgarnison wurde auf zwei Divisionen je Provinz verkleinert [die Chronologie ist unklar: Strobel 292; Bérard 136]. Untergermanien hatte in Bonn die I Minervia, die Domitian für seinen Chattenfeldzug ausgehoben hatte, sowie in Xanten die VI Victrix (ab ca. 120: die XXX Ulpid). Obergermanien verfugte in Straßburg über die Vili Augusta sowie in Mainz über die XXII Primigenia. Die Legionslager Neuss und Windisch wurden aufgegeben. In Nijmegen bestand die Garnison nach der Verlegung der Legion nach Pannonien u m 102-104 nur noch aus einer vexillatio, nur während einiger Jahre unter Hadrian kehrte kurzzeitig eine Legion zurück (IX Hispana) [76].
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D e r wichtigste O r t im oberen Neckartal war Rottweil mit seinem vespasianzeitlichen Lager [Sommer, in: 23, S. 119f., 286] und seiner Zivilsiedlung, die den N a m e n Arae Flaviae erhielt, was vielleicht bedeuten könnte, daß man es, wie einst das O p p i d u m der Ubier im N o r d e n , zum Sitz des Kaiserkults von (Ober-) Germanien auserkoren hatte. Erhielt Rottweil den Status eines Munizipiums, der 186 belegt ist [AE 1981, 691; Filtzinger, in: 19, S. 23-43], schon 74 [Filtzinger, in: 19, S. 23-43]? Das ist in einer noch nicht organisierten Z o n e sehr unwahrscheinlich. Handelte es sich u m eine Gunst Domitians [Planck, in: 79, S. 117-121] oder Traians [Wilmanns 1/702], oder m u ß man in der Munizipalisierungsbewegung, die sich in der Mitte des 2. Jh.s in den beiden Germanien feststellen läßt, den Kontext sehen? Auch Mainz verdient besondere Aufmerksamkeit [Vittinghoff 16; von Petrikovits 93, I, S. 339-354; Bérard 135], da es ein bezeichnendes Beispiel für die Lücken unserer Kenntnisse und die großen Schwierigkeiten ist, die die U r b a n i stik und die Institutionen munizipalen Typs in Germanien bereiten, und das selbst an O r t e n , in denen viele Inschriften gefunden w u r d e n . Mogontiacum entstand aus d e m zivilen vicus, der sich seit der julisch-claudischen Zeit am Flußufer neben den Legions-canabae [noch 255 belegt: CIL XIII 6780] entwickelt hatte. Mogontiacum war spätestens seit Claudius das caput viae der Meilensteine [CIL XIII 9145f. = XVII 573, 572] u n d w u r d e später Hauptstadt der Provinz [z. B. AE 1964, 148]. Mainz war in Viertel (vici) gegliedert, besaß ein Kollegium der Haruspizes u n d dürfte den Status eines Munizipiums erhalten haben (was aber nicht explizit belegt ist). Jedoch stellt sich die Frage nach der A u t o n o mie u n d der civitas von Mainz, denn es ist nicht sicher, daß es vor dem 3. Jh. Vorort w u r d e [vgl. Wolff 1/731, S. 113-155; Bernhard, in: 77, S. 60f. zum Problem der benachbarten Caeracates und Aresaces, die in Städte oder pagi organisiert waren, und den damit zusammenhängenden Fragen der Ausdehnung der Vangionen und der römischen Aufteilung des ehemaligen Territoriums der Treverer]. In den germanischen Provinzen kam es nach den Verheerungen der Kriege zu intensiver Bautätigkeit [74; 77; 79; 81], die in der ersten Hälfte des 2. Jh.s n o c h verstärkt wurde. In den eben erst erworbenen Gebieten wurden die Städte ausgebaut [z. B. Wiesbaden: Czysz 163] u n d Militärbauten am Limes errichtet [74-79], im U m l a n d entstanden Zivilsiedlungen [Sommer 86], auf den aufgegebenen alten Armeestandorten wuchsen neue Städte (z. B. N i d a - H e d d e r n h e i m ) [von Petrikovits 93, II, S. 17-54], Dörfer entstanden an den Wegen u n d auch an anderen O r t e n (so Baden-Baden, das als Heilbad gegründet wurde, w o h i n aber auch Soldaten kamen u n d w o vielleicht sogar Militär stationiert war [79; Riedel 268]), die aber selten ausschließlich zivilen Charakter hatten (so Sumelocenna [79] u n d Dieburg [74]). Ein besonders wichtiger Einzelfall ist Traians G r ü n d u n g von kurz nach 100 neben dem Lager Vetera. Die colonia Ulpia Traiana [Galsterer, in: 26, S. 9-15] entstand aus der benachbarten Zivilsiedlung, einem O r t der Kugerner namens (vermutlich) C i b e r n o d u r u m [AE 1984, 650]. M a n baute eine Prestigestadt mit
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großen Bauten, Umwallung, Forum, Kapitol, Amphitheater, T h e r m e n , Flußhafen u n d Tempel. Die Fläche von 73 ha war in regelmäßige insulae gegliedert [81]. Ferner verlieh Traian indigenen Siedlungen Privilegien (ius nundinarumì Steuerbefreiung?) — so ζ. B. Ulpia Noviomagus, der neuen Siedlung von N i j megen nach dem Bataveraufstand [Bogaers 141] - und k ü m m e r t e sich, vielleicht schon seit seiner Statthalterschaft, u m die administrative Organisation [Wilmanns 1/702; Vittinghoff 16; Eutrop. 8. 2. 2.; Oros. 7. 10. 3] der von Domitian eroberten Gebiete. Daß die dort neugegründeten civitates den Beinamen Ulpia trugen, ist sicher nicht bedeutungslos [Galsterer-Kröll 1/709]: die civitas Ulpia Taunensium u m N i d a / H e d d e r n h e i m , die civitas Ulpia Mattiacorum u m A q u a e / Wiesbaden, die civitas Ulpia Sueborum Nicrensium [Speidel/Scardigli 288] u m Lop o d u n u m / L a d e n b u r g und (vermutlich) die civitas Auderiensium u m Dieburg [Med... ?]. Es läßt sich ferner annehmen, daß Traian diesen civitates ebenso wie anderen, die in früher eroberten R e g i o n e n lagen, das latinische R e c h t verlieh. W i r k ö n n e n nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand keinen genaueren H i n t e r grund für diese doch recht wahrscheinliche Vergabe benennen. Auch Hadrian k ü m m e r t e sich u m diese Gebiete. So erhielt der Vorort der Kanninefaten, Voorburg, 120 n. Chr. ein Privileg und nannte sich seitdem F o r u m Hadriani [Bogaers 141]. Dieser insgesamt u m die Sicherheit des Reiches bemühte Kaiser n a h m technische und bauliche Verbesserungen am Limes [Baatz 1/571, S. 74-79] und den Lagern in Germanien vor, von denen einige zum ersten Mal in Stein errichtet und deutlich vergrößert w u r d e n (z. B. die Saalburg). Antoninus Pius gab d e m obergermanischen Limes einen neuen Verlauf, der das Territorium der Provinz etwas vergrößerte und zur Verschiebung der Auxiliarlager und damit zu einer weiteren Urbanisierung führte. U m 155 (das genaue D a t u m ist umstritten [Alföldy 119; Speidel 287]; die außergewöhnliche Entdeckung des Benefiziarierheiligtums von Osterburken [114] hatte auch Auswirkungen auf diese Frage) zog man durch eine außerordentliche Leistung der römischen Feldmesser [Chouquer/Favory 33, S. 77] den neuen Limes schnurgerade 29 k m östlich des Neckartales, das zuvor als Grenze gedient hatte [79], Was Antoninus Pius im Bereich der Städtestatus unternahm, ist nicht überliefert, aber wahrscheinlich führte er das Werk seiner Vorgänger fort, denn Voorburg erhielt vor 162 den R a n g eines (latinischen) Munizipiums und den Beinamen A(elium) oder A(urelium) [Bogaers 141]. Jedenfalls war die Zeit der Adoptivkaiser entscheidend für die administrative Entwicklung Germaniens. Damals sind erstmalig mehrere Munizipien belegt (Rottweil, Voorburg, N i j m e g e n [Bogaers 141], Tongern [Raepsaet-Charlier 263], wohl auch Worms [AE 1978, 534]), von denen keines nach dem gegenwärtigen Stand der Quellen zuverlässig vor die Mitte (allenfalls vielleicht das zweite Viertel) des 2. Jh.s datiert werden kann. Es läßt sich eine Tendenz zur Hochstufung z u m Munizipium (was vielleicht viel häufiger [Vittinghoff 16, S. 84f.] vorkam, als wir heute belegen können) und eine zweite Phase, in der das latinische R e c h t verliehen wurde, erkennen. Das latinische R e c h t erhielten civitates im Süden, die dann den Beinamen Aurelia annahmen: civitas Aurelia G[...] zwischen Neckar u n d dem vorgeschobenen Li-
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mes (Vorort: Öhringen oder Bad Cannstadt, vicus Da[...J), civitas Aurelia Aquensium mit Baden-Baden. Beide Gemeinden könnten sogar unter Marc Aurel oder Antoninus Pius gegründet worden sein, obwohl die Urbanisierung der letzteren Gemeinde bis zu den Flaviern oder den ersten Jahren des 2. Jh.s zurückreicht. Andere civitates in der Umgebung, die civitas Alisinf...] (Vorort Bad Wimpfen) und die civitas Sumelocennensis (Vorort Rottenburg; entstand es aus dem gleichnamigen saltus, der noch im 2. J h . belegt ist [CIL X I I I 6365]?), scheinen auch spät entstanden zu sein und dürften ihre Entstehung der relativen D e militarisierung der R e g i o n durch die Verschiebung des Limes verdanken [Wilmanns 1/702], Insgesamt bleiben viele Fragen zum obergermanischen Städtewesen offen. W i r kennen oft weder die Namen noch die Grenzen der einzelnen Städte. Nicht einmal ihre Zahl steht sicher fest. Die Herrschaft Marc Aurels war durch die Zunahme des germanischen Drucks geprägt. Germanische Einfälle mußten mehrfach zurückgeschlagen werden, so Angriffe der Chauken im Norden oder der Chatten im Zentrum. Gleichzeitig wurden die Schwierigkeiten an der Donau größer (was 1 7 4 - 1 7 9 anscheinend zur Vereinigung von Obergermanien und Rätien zu einem einzigen Kommando führte [Dietz 179]). Unter Commodus wüteten die Banden des Maternus im Elsaß [Alföldy 117]. Auch mußten die Rheinarmeen im ausgehenden 2. J h . mehrfach Germanenangriffe zurückschlagen. D o c h insgesamt waren die zweite Hälfte des 2. Jh.s und die erste Hälfte des 3. Jh.s die Jahre der großen städtischen Entwicklung [23] und des sozialen Aufstiegs der Eliten. Unter den Severern wurden die Schwierigkeiten größer. Caracalla konnte 2 1 3 einen Vorstoß der Alamannen zurückwerfen, was die Grenze für etwa 20 Jahre sicherte. Jedoch kam es unter Severus Alexander zu einer erneuten Invasion, der der Rhein-Donau-Limes nicht standhalten konnte [74-79]. Nach einigen episodenhaften Siegen von Maximinus und Gallienus wurde der Limes in den Jahren 2 5 9 / 2 6 0 ganz aufgegeben [Nuber 247]. 4 . 1 . 4 Die Alpen Schon Caesar hatte versucht, den Großen St. Bernhard zu öffnen [bell. Gall. 3. 1-6]. D e r Paß von M o n t Genèvre war für ihn passierbar, da er gute Beziehungen zu dem lokalen König Donnus von Susa unterhielt, dem er sogar das römische Bürgerrecht verliehen hatte. Danach kümmerte sich erst Octavian zwischen 3 5 - 3 3 v. Chr. um diese R e g i o n e n , die trotz Schwierigkeiten stets überquerbar gewesen waren, sofern die Einheimischen entsprechend bezahlt wurden [van Berchem 90; Prieur 9 6 - 9 7 ] . Abgesehen von dem Interesse, die eroberten Gebiete zu verbinden und freien Verkehr zwischen ihnen zu gewährleisten, diente die Eroberung der Alpenhöhen vor allem dem Schutz Italiens. So galten die ersten Feldzüge auch Dalmatien und dem Schutz von Aquileia [Ablauf und Chronologie umstritten: Frei-Stolba 95a; Wells 94; Walser 100], 2 8 - 2 5 v. Chr. wurde ein erbitterter Feldzug gegen die Salasser im Aosta-Tal geführt. Dort wurde die zur Transpadana gehörende Colonia Praetoria gegründet. D e r
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Kleine St. Bernhard w u r d e ausgebaut, was einen Zugang zu den Keutronen der Tarentaise eröffnete, die schon auf die Seite R o m s getreten waren. Danach richtete sich die Aufmerksamkeit auf Rätien u n d N o r i k u m , die von Tiberius u n d Drusus 1 6 / 5 v. Chr. erobert wurden. Dabei w u r d e auch das Vallee Pennine u n terworfen u n d der Große St. Bernhard (Summus Poeninus) [Walser 98] eingen o m m e n . D o n n u s ' Nachfolger Cottius erhielt wohl u m 10 den Titel „Präfekt" der k a u m urbanisierten Stämme, die man in „civitates" umtaufte u n d unter seine Autorität stellte [CIL V 7231 = ILS 94]. Die ligurischen Stämme der Küste waren i. J. 14 unter nicht näher bekannten Umständen unter römische Herrschaft g e k o m m e n [Cass. Dio 54. 24], 7 / 6 ν. Chr. ließ Augustus das Denkmal von La Turbie, d e m Gipfelpunkt der über die Alpen fuhrenden via lulia Augusta, errichten, das die U n t e r w e r f u n g aller Alpenstämme feierte. M a n richtete nach und nach vier kleine prokuratorische Provinzen ein [Prieur 96]. Claudius reorganisierte die R e g i o n des Großen St. Bernhard, indem er die vier existierenden Städte zu einer einzigen civitas des Wallis zusammenlegte. Sie entsprach der Provinz Alpes Poeninae, erhielt latinisches R e c h t [Plin. nat. 3. 135] und hatte als Hauptort Octodurus/Martigny, neugegründet unter dem N a m e n F o r u m Claudii Vallensium. Derselbe Kaiser richtete wahrscheinlich auch die Provinz Alpes Graiae ein (Alpes Atractianae ab dem 2. Jh.) [Walser 99; Bérard 95]. Auch sie besaß latinisches R e c h t , ihr Hauptort war Axima/Aime, als F o r u m Claudii C e u t r o n u m neugegründet. Später legte Septimius Severus die Alpes Graiae u n d die Alpes Poeninae zu einer prokuratorischen Provinz mit N a m e n Alpes Poeninae zusammen. Die Kottischen Alpen wurden nach dem Tode von Cottius II. (unter Nero) zu einer prokuratorischen Provinz mit der Hauptstadt Susa. Ebenso erging es den Alpes Maritimae [Rivet 51], die zunächst einem Präfekten in C i m i e z / C e melenum unterstanden hatten. Auch sie erhielten das latinische R e c h t [Tac. ann. 15. 32], doch verblieb dort bis ins 2. Jh. eine kleine Garnison. W i e in der Narbonensis verwendete man in den Alpenregionen das System der attributio [Bd. I, S. 268; Chastagnol 17, S. 123-125], d. h. man gliederte Stämme, die zu wenig urbanisiert oder zahlenmäßig zu schwach waren, als daß man sie als eigene civitates mit städtischem Z e n t r u m hätte konstituieren k ö n n e n [Prieur 96], an größere Städte an (in der Narbonensis z. B. an Nîmes u n d vielleicht auch an Vienne). Die genauen Modalitäten sind j e d o c h unklar [Bd. I, S. 268; Chastagnol 17, S. 123-125]. Belegt sind die Attributionen von Alpenvölkern an zisalpine Städte [z. B. ILS 206; Frézouls 1/672] und, durch Galba, an die civitas Digne in der Narbonensis. Digne verwaltete diese Territorien, es gab aber keine vollständige Fusion (die Bewohner werden in den Quellen danach unterschieden, ob sie aus Digne selbst oder den attribuierten Gebieten stammen [ILN D i gne, S. 265f.]), bis schließlich im Lauf des 2. Jh.s eine Neuorganisiation vorgen o m m e n u n d das Gebiet zur Provinz Alpes Maritimae geschlagen wurde. Es ist unbekannt, ob gleichzeitig oder erst unter Diocletian die civitates E m b r u n und Barcelonnette von den Kottischen Alpen zu den Meeralpen transferiert w u r d e n [Notitia Galliarum 17],
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4. 2 Die Verwaltung und die Institutionen 4. 2. 1 Die Provinzen Das ganze gallisch-germanische Gebiet teilte sich auf vier gallische, zwei germanische und vier Alpenprovinzen auf, deren Entstehungszeiten u n d Status unterschiedlich waren [Bd. I, S. 180-200; Thomasson 38 für Fasten und Literatur]. Die Narbonensis, die aus der alten Transalpina entstanden war (abzüglich der Konvener), ging auf Augustus zurück u n d war seit 22 v. Chr. eine prätorische senatorische Provinz [Fasten: Pflaum 1/642], Die Drei Gallien (zuvor hieß dieses Gebiet Gallia Cornata) entstanden entweder 27 v. Chr., 22 v. Chr. oder w ä h rend des Aufenthalts von Augustus 16-13 ν. Chr. Sie umfaßten die drei prätorischen kaiserlichen Provinzen Aquitanien, Lugdunensis u n d Belgica. Aquitaniens Hauptstadt war ursprünglich vielleicht Saintes [Maurin 1/722], später n a h m Bordeaux diese Stelle ein [Etienne 184]. Möglicherweise w u r d e Poitiers im 2. Jh. Hauptstadt [Picard 252]. D e r Statthalter der Lugdunensis residierte in Lyon, die Hauptstadt der Belgica war R e i m s [Raepsaet-Charlier 260; eine Verlegung nach Trier schon in der H o h e n Kaiserzeit ist nicht erwiesen]. Von der Belgica w u r d e n erst militärisch, dann administrativ die Bezirke (bis Domitian), später die konsularischen kaiserlichen Provinzen (wohl 84/85) [Fasten: Eck 1/638] Untergermanien (Hauptstadt Köln) und Obergermanien (Hauptstadt Mainz) abgetrennt. Die provinziale Zugehörigkeit bestimmter Stämme scheint geschwankt zu haben [Wightman 71], so die Lingonen [Wightman, in: 1/514, II, S. 207-217] und die Tungrer, die seit der H o h e n Kaiserzeit zu Untergermanien zu gehören scheinen [Raepsaet-Charlier 263]. Die Alpenprovinzen wurden von R i t t e r n verwaltet [Fasten: Prieur 1/96; Bérard 95]. Dies ist wohl der rechte M o m e n t , u m die Organisation des Kaiserkults zu besprechen, w e n n man sich vergegenwärtigt, daß diese religiöse Praktik, die für den Ablauf der öffentlichen Kulte und den Ausdruck der Loyalität des Reichs gegenüber der Zentralmacht fundamental war [Fishwick 1/474; Scheid, Bd. I, S. 134f.], auf provinzialer Ebene zusammen mit dem Zusammentreten der Provinzversammlung ausgeübt wurde. Die früheste Einrichtung eines Kaiserkults im Westen war die G r ü n d u n g u n d Weihung der Ara Romae et Augusti am Z u sammenfluß von Saône u n d R h o n e [zur Form: Turcan 304; Fishwick 190; zu jüngeren archäologischen Forschungen: Tranoy/Ayala 301], die Versammlung des ersten concilium Galliarum mit Delegierten der verschiedenen Städte der Drei Gallien (einer römischen F o r m der alten gallischen Versammlungen, die bei Caesar [bell. Gall. 7. 63] belegt sind) und die Wahl des ersten sacerdos in der Person des Häduers C. Iulius Vercondaridubnus [Cass. Dio 54.32. 1; Liv. Perio d i . 139] 12 v. Chr. durch Drusus. U n t e r Tiberius finanzierten santonische N o tabeln [ILTG 217] das Amphitheater des Bundesheiligtums, in dem im R a h m e n des Kults Spiele und Spektakel stattfanden. So wurde Lyon, die römische Kolonie in unmittelbarer N ä h e des Altars, die Bundeshauptstadt der gallischen Provinzen. D o r t befand sich auch die römische Finanzverwaltung und eine M ü n z -
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Stätte [Frézouls 9, S. 473f.]. Die politische Rolle der Delegiertenversammlung gegenüber den Statthaltern [Pflaum 1/641; Deininger 1/636] sowie ihre administrativen Funktionen dürfen nicht unterschätzt werden. Allerdings sind uns die Organisation und die Aktivitäten dieser Institution weitgehend unbekannt [Fishwick 1/474, I, S. 1], Der Hohepriester (sacerdos Romae et Augusti ad Aram quae est ad confluentem; dieser Titel erfährt oft leichte Veränderungen) leitete die Versammlung u n d die Zeremonien. Ihn wählten die Delegierten der rund 60 gallischen Städte, Honoratioren, die alle Ehrenämter in ihrer civitas bekleidet und mitunter den Ritterstand erreicht hatten [Maurin 1/722]. Auch andere Ämter sind belegt: iudex arcae Galliarum, allectus arcae Galliarum, inquisitor Galliarum, iudex arcae ferrariarum, über die man nicht m e h r als das weiß, was der N a m e selbst aussagt: Es existierte eine Bundeskasse u n d eine Bergwerksverwaltung. Einige Forscher glauben, daß es einen eigenen Kaiserkult für das caesarische Aquitanien südlich der Garonne gegeben habe. Diese Institution sei die G r u n d lage der spätantiken (und sicher nicht domitianzeitlichen) Novempopulana gewesen. Das Z e n t r u m sei Saint-Bertrand-de-Comminges gewesen, der Kult habe einen eigenen Flamen gehabt. Diese Hypothese steht aber auf sehr wackligen Beinen [Maurin 1/722; Fabre/Bost 186; dagegen: Chastagnol 17, S. 30]. D e n nächsten Schritt stellte die G r ü n d u n g von Ara U b i o r u m unter Augustus dar, die wahrscheinlich w i e d e r u m Drusus vornahm [Fishwick 1/474; R ü g e r 1/ 701, S. 20]. Ara U b i o r u m entstand an der Stelle des späteren Köln, das nach der Koloniegründung Colonia Claudia Ara Agrippinensium hieß. Es war dazu ausersehen, Sitz des Kaiserkults der noch zu erobernden Provinz Germanien zu werden. Tatsächlich konnte es diese Funktion später nur für die beiden germanischen Bezirke w a h r n e h m e n [aber Lebek 229], vielleicht sogar nur für U n t e r germanien, w e n n Arae Flaviae/Rottweil wirklich Sitz eines obergermanischen Kaiserkults war, den Vespasian oder Domitian gegründet hätte. D o c h diese H y pothese basiert allein auf dem Ortsnamen. Einer dieser beiden Kaiser zeichnet verantwortlich für die Einrichtung des Kaiserkults der Narbonensis in Narbonne. Die am stärksten romanisierten Provinzen, wie die Narbonensis oder die Bätika, für die der Senat zuständig geblieben war, erhielten erst spät einen administrativ organisierten Kaiserkult. Zuvor hatte sich der Kaiserkult seit den ersten Jahren des Prinzipats auf lokaler Ebene entwickelt. Ausgangspunkt waren dabei meistens die Koloniegesetze, häufig kam es auch zur Beigesellung mit einer lokalen Gottheit. In den großen Städten des Südens hatten oft dynastische Tempel das F o r u m dominiert, wie die Maison carrée in Nîmes oder der Augustus-Livia-Tempel in Vienne [Gros 5], W i r k e n nen den ersten provinzialen Flamen der Narbonensis (Q. Trebellius R u f u s aus Toulouse) und der teilweise lückenhafte Text der lex deflamonio provinciae Narbonensis [CIL XII 6038; Neuedition AE 1987, 749; Williamson 313]. Die traditionelle Zuweisung an Vespasian [Fishwick 1/474] wurde mit interessanten (aber keineswegs zwingenden) Argumenten zugunsten Domitians in Frage gestellt [Pailler 249]. Der Text des Gesetzes unterrichtet uns über die Organisation und die Aufgaben der Priester. Auch erfahren wir von der Existenz einer Gruppe
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von „ehemaligen Flamines", die in der provinzialen Aristokratie den obersten R a n g einnahmen. Die Inschrift informiert ferner über den Inhalt der Feiern, zu denen auch die ludi et spectacula publica gehörten. Das erklärt u. a. den Aufschwung der Amphitheater in der Flavierzeit, die auf einer unbebauten, innerstädtischen Fläche [Nîmes: Bessac u. a. 139] oder auf der niedergelegten U m wallung [Arles: Heijmans/Sintès 211] errichtet wurden. Hadrian reformierte den Kaiserkult im ganzen Reich, so auch in Lyon, wo er einen Tempel errichten ließ [Fishwick 1/474]. Die neuen Weihungsformeln, die sich zu dieser Zeit verbreiteten [Raepsaet-Charlier 108], könnten ein weiteres Indiz in dieser Richtung darstellen [Chastagnol 152], W i r wissen einiges über die Prosopographie und den Ablauf des Kaiserkults in den vier gallischen Provinzen, wobei allerdings die Beteiligung der Lyoner im dunkeln bleibt [AE 1979, 403; Priesterfasten der Narbonensis: Pflaum 1/642; der Drei Gallien: Maurin 1/722 und 54, S. 109-124; ferner Chastagnol 17; Demougin 169], Was aber die Germanien angeht, so sind wir bei vielen Fragen auf Spekulationen angewiesen. In Obergermanien ist sogar der O r t des Provinztempels unklar, und nur ein einziger Priester, der in Ara Ubiorum aktiv war, ist namentlich bekannt. Es handelt sich um den Cherusker Segimundus [Tac. ann. 1. 57. 2]. Andere belegte sacerdotales, wie Dativius Victor, der den Bogen von Mainz stiftete [CIL XIII 11810], waren wohl eher lokale Priester. Gleich nach der Provinzgründung lieferten die drei Volkszählungen, die von 27, die durch Drusus und die durch Germanicus die Grundlagen für das fiskalische System. Wahrscheinlich wurden auch Katastrierungen und Zenturationen vorgenommen [Chouquer/Favory 32] (von Anfang an oder fortschreitend mit der Urbarmachung), und zwar durch die Vertreter des Zensus oder der Städte, selbst in den Regionen ohne Kolonien (z. B. bei den R e m e r n [Jacques/Pierre 214] oder den Biturigen [Querrien 254]). Ihr Zweck - außer bei einer Koloniededuktion - dürfte eher administrativ als politisch gewesen sein, doch ist die Frage umstritten [Chouquer/Favory 33; C h o u q u e r / d e Klijn 156]. Die Finanzorganisation der Provinzen wies Schwankungen in der Verteilung der Prokuratoren auf [Pflaum 1/623, 1/854]. Unter der julisch-claudischen Dynastie gab es anfänglich zwei Beamte, einen für die Narbonensis - dort nahm er die Finanzverwaltung zusammen mit dem Quästor wahr - , der andere für die Gallia C o rnata (dieser Begriff hielt sich in diesem Kontext bis zu den Flaviern). Unter Claudius wurde die Belgica und die beiden germanischen Bezirke abgetrennt und einem eigenen Prokurator unterstellt (diese duzenarische Prokuration übte übrigens Tacitus' Vater aus), der wahrscheinlich damals schon in Trier residierte [Heinen 212], Seit Domitian blieben die beiden neugegründeten germanischen Provinzen fiskalisch unter der Autorität des belgischen Prokurators, während der andere den Titel „Prokurator der Lugdunensis und Aquitaniens" annahm. Man begegnet auch Prokuratoren, die Kaiserdomänen verwalteten, wie z. B. diejenige im tractus oder saltus Sumelocennensis. Volkszählungen, die Grundlage der Besteuerung, wurden von besonderen konsularischen Legaten durchgeführt, den censitores, die periodisch ernannt wurden und neben den prätorischen
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Statthaltern standen [Jacques 1/591; Thomasson 38, S. 85-96]. Sie aktualisierten die Listen u n d Kataster mit Hilfe der regionalen Prokuratoren. Im Laufe der H o h e n Kaiserzeit w u r d e n einige Steuerpachten abgeschafft; stattdessen organisierten ritterliche Beamte eine halbdirekte Eintreibung (ζ. B. bei der XXa hereditatium, die in zwei Sprengein organisiert war). Erwähnt werden m u ß noch die Quadragesima Galliarum [De Laet 1/611]. Dieser von Augustus [France 37] eingeführte Zoll von 2,5% galt fur die Zone, die dieses Kapitel behandelt (Narbonensis, Drei Gallien, beide Germanien und Alpenprovinzen). Die Zentrale b e fand sich in Lyon, Außenposten gab es an den Grenzen [Bonn: AE 1930, 29; Saint-Bertrand: CIL XIII 255; Zürich: CIL XIII 5244; Marseille: France/Hesnard 191], in den Alpen [Mennella 238] und in Handelszentren und Verkehrsknotenpunkten wie Trier [Raepsaet-Charlier 259]. Kurz sei die Hypothese erwähnt, nach der die sogenannten Augenarztstempel [Voinot schon unvollständig, s. die Neupublikationen in der AE], die in dieser Z o n e sehr häufig, ansonsten aber im R e i c h außerordentlich selten sind, mit dieser Steuer in Verbindung stehen könnten; d. h., sie hätten die H e r k u n f t der P r o dukte bezeichnet oder einen Beleg für die Bezahlung des Zolls dargestellt [Künzl 220].
4 . 2 . 2 D i e civitates Die gallisch-römischen civitates waren die Grundelemente der Reichsverwaltung [Vittinghoff 16]. M a n hatte sie bei der Eroberung oder der Organisation der Provinz anerkannt bzw. organisiert. Sie konnten verschiedene Rechtsstellungen haben [Bd. I, S. 245f.]. Die meisten waren steuerpflichtig, etliche frei (Nervier, Suessionen, Santonen, Arverner etc.), wenige frei und verbündet (Lingonen, Häduer etc.). N a c h d e m Tiberius die Steuerprivilegien abgeschafft hatte, war j e doch der Gehalt dieser Rechtsstellungen deutlich eingeschränkt. D o c h standen diese Titel weiterhin in h o h e m Ansehen und blieben Teil des offiziellen N a mens [die verbündeten Vokonen: Plin. nat. 3. 37; Goudineau 200; die verbündeten R e m e r : Raepsaet-Charlier 260; die freien Petrukoren: CIL XIII 8895 = XVII 369], A u ß e r d e m gründete man römische Kolonien mit Veteranenzuzug. In republikanischer Zeit entstand so Narbonne, in caesarischer N y o n (?) und Arles, in der Triumviratszeit Äugst, Lyon, Béziers, Orange, unter Augustus Fréjus und Valence (?). In Germanien gründete Claudius Köln, Traian Xanten. Avenches entstand vielleicht unter den Flaviern neugegründet. Die Verwaltung dieser K o lonien erfolgte durch Institutionen römischen Typs, in denen die Veteranen a m tierten. D o c h ist wahrscheinlich, daß zahlreiche einheimische Adlige schon das Bürgerrecht besaßen oder es anläßlich der Koloniegründung erhielten und sich unter die Kolonisten mischten [Christol, in: 24, S. 187-202; 42; Chastagnol 17, S. 131-141; Vittinghoff 1/690; Galsterer, in: 26, S. 9-15], Die Vergabe des latinischen Rechts war schon seit Caesars Zeit in der Narbonensis das häufigste Vorgehen, u m die Integration der Notabein zu erreichen, die dann durch die B e -
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kleidung einer Magistratur das Bürgerrecht erhielten (so vermied man einen abrupten Bruch mit den indigenen Gepflogenheiten [Christol 41; 160]). Hier soll kein weiterer Versuch unternommen werden, das provinziale latinische Recht zu definieren [Bd. I, S. 253ff.]. Nach dem derzeitigen Forschungsstand war es am ehesten das kollektive R e c h t einer Stadt [Wolff 1/731; VittinghofF 16; Chastagnol 17], die deswegen nicht zwangsläufig zur Kolonie (in Gallien) oder zum Munizipium (in Germanien und den Alpenprovinzen) [Galsterer-Kröll 1/710] wurde. Erhielt diese Stadt später den Status einer Kolonie oder eines Munizipiums, so bestätigten die R ö m e r damit die fortschreitende Integration und Latinisierung der civitas und erweiterten die Elite, die an der Verwaltung der Stadt mitwirken konnte [VittinghofFló, S. 55 und 44-47], In der Narbonensis wurden von Caesar, den Triumvirn und Augustus zahlreiche latinische Kolonien gegründet, die zumindest teilweise (Nîmes, Vienne) Zuzug von Auxiliarveteranen erhielten. Im weiteren Verlauf des 1. und während des 2. Jh.s gab es einige Hochstufungen zu latinischen Titularkolonien mitunter sogar zu römischen [Goudineau 201; Gascou 48]. Vienne durchlief alle Etappen: Unter Caesar mißlang dort eine latinische Koloniegründung, die unter Octavian glückte. Caligula erhob Vienne zur römischen Titularkolonie, die später, zu unbekannter Zeit, das ius Italicum erhielt [dig. 50. 15. 8], In den Drei Gallien sah die Situation anders aus. Einige aquitanische Städte hatten das latinische Recht frühzeitig erhalten [S. 162f.], doch insgesamt scheinen die Unterschiede in den Rechtsstellungen und Institutionen zumindest während der ersten Hälfte des 1. Jh.s nicht beseitigt worden zu sein. Das epigraphische und numismatische Material belegt Einzelmagistraturen, die früheren gallischen Amtern gleichen oder von ihnen abgewandelt sind [181], wie den Vergobret der Santonen [ILA Santons 20 und 10?], der Lemoviken [AE 1989, 521] und der Bituriger-Kuber [AE 1980, 633 = 1981, 643], den praetor der B i turiger-Vivisker [CIL X I I I 596-600] und den princeps der Segusiaver [CIL XIII 1645]. Später erscheinen systematisch die Magistraturen (und Priestertümer) des kollegialen Typs mit römischer Bezeichnung, wie die duoviri der Santonen [ILS Santons 21 und 1004, 4], der Lemoviken [ILTG 174], der Nervier [CIL X I I I 3572], der Sequaner [CIL X I I I 1674f.] oder die ungewöhnlicheren IVviri der Ambianer [AE 1982, 716], Die städtischen Verfassungen scheinen sich also dem römischen Modell angepaßt zu haben. O b dies nach und nach oder auf einen Schlag, ob dies von selbst oder auf römischen Druck hin geschah, ist unbekannt. Genauso wenig wissen wir, ob es sich dabei um eine Voraussetzung, eine B e gleiterscheinung oder eine Folge des latinischen Rechts handelt. Diese Idee ist nicht neu - so schon Camille Jullian [1, Bd. IV, S. 246] - , sie hält aber nach wie vor der Prüfung gegen die Quellen stand, wobei jedoch noch immer ein positiver Beweis fehlt. Indizien [WolfFI/731; Galsterer-Kröll 1/710; Chastagnol 17, S. 181-190] sind die Verbreitung der typisch römischen Magistraturen und Priestertümer, die zahlreichen Kolonieerhebungen (daß es sich dabei um Ehrentitel ohne rechtlichen Gehalt handelt, ist eine Behauptung ohne jegliche Quellengrundlage - dergleichen wurde trotzdem mehrfach z. B. für
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Trier behauptet [Krier 217; Heinen 212; vgl. Wolff 1/732; Scheid, in: 103, S. 42-57]) und die Verbreitung des römischen Bürgerrechts, zumal unter den M ä n n e r n , die öffentliche Amter bekleideten. Ferner ist zu beachten, daß kaiserliche Gentilnamen selten, patronymische Gentilnamen aber häufig sind [van Berchem 90, S. 155-164; Chastagnol 17, S. 155-165; Raepsaet-Charlier 262; Wierschowski 308; Bielman]. Erfolgten Bürgerrechtsverleihungen durch ein beneßcium, so nahmen Neubürger gewöhnlich den N a m e n ihres Wohltäters an. Die patronymischen Gentilnamen verweisen dagegen auf einen Automatismus wie das latinische R e c h t , das Magistraten u n d ihren Familien zum Bürgerrecht verhalf. Es gibt weitere Indizien dafür, daß Gallien das latinische R e c h t erhielt. Claudius verlieh den Graischen u n d Pöninischen, N e r o den Meeralpen (und vielleicht auch den Kottischen Alpen) das latinische R e c h t , die Flavier gewährten diesen Status den hispanischen Provinzen [Plin. nat. 3. 30; S. 140f.]. Es wäre demnach verwunderlich, w e n n die gallischen Provinzen von dieser im Westen anscheinend allgemeinen Entwicklung ausgeschlossen geblieben wären [Chastagnol 17, S. 97f.; 181-190]. Es ist zu vermuten, daß Gallien das latinische R e c h t von Claudius gewährt wurde, dem man ja einen allzu großzügigen U m gang mit dem Bürgerrecht vorwarf [Sen. apocol. 9. 4; Cass. Dio 60. 17]. Auch hatte Claudius den Galliern das ius honorum gegeben. Dies zeigt seine besondere Aufmerksamkeit für Gallien, u n d da er auch, wie gerade angeführt, zwei Alpenprovinzen das latinische R e c h t gab, dürfte er auch im Fall von Gallien der Wohltäter sein. Die Kontrahenten der Jahre 68-69 schenkten ihren jeweiligen Parteigängern das römische R e c h t ( O t h o den Lingonen, vielleicht auch den Koloniestatus; Galba den Arvernern, H ä d u e r n und Sequanern) [WolffI/731, S. 87 Anm. 122]. Möglicherweise gab es keine gallienweite Vergabe, sondern die Hochstufungen erfolgten nach u n d nach, im schwächer urbanisierten N o r d e n und Westen vielleicht später. Jedenfalls handelte es sich in dieser Zeit — wie übrigens auch in der Narbonensis - u m das ius Latii minus, wie die Praxis der Bürgerrechtsvergabe bei Mischehen zeigt [Chastagnol 17, S. 51-71; Christol 41]: N u r ein Vater mit Bürgerrecht konnte es vererben. Wohl erst Hadrian verlieh das ius Latii maius mit vollem ius conubii u n d Bürgerrecht für D e k u r i o n e n [Vittinghoff 1/690; C h a stagnol 31; Bd. I, S. 235], N o c h problematischer sind Hypothesen über die Ausbreitung des latinischen Rechts in den germanischen Provinzen [Vittinghoff 16], w o es noch im 1. Jh. verschiedene Rechtsstellungen gab. Tacitus [Germ. 29. 2; hist. 4. 12. 3] bezeugt beispielsweise, daß die Bataver 69 n. Chr. vom Tribut befreit waren, während von Caesar unterworfene civitates anscheinend das latinische R e c h t [Nemeter: CIL XIII 6659] und sogar den titularen (latinischen oder römischen?) Kolonierang erreicht hatten (Lingonen, Sequaner). D o c h im 2. Jh. gibt es selbst in den erst unter den Flaviern romanisierten Z o n e n dieselben Indizien, mit dem U n terschied, daß die civitates dort, wie überall sonst im R e i c h ab Claudius (oder Vespasian?) den R a n g eines latinischen Munizipiums (nicht einer Kolonie wie
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in Gallien) erhielten [Chastagnol 17, S. 123-125; VittinghofF16]. Von Kaisernam e n abgeleitete Attribute in den N a m e n von Siedlungen (Forum Hadriani) u n d ävitates (Ulpia oder Aurelia) weisen auf kaiserliche Patronage oder Erhebungen hin. Es lassen sich nach früheren punktuellen Hochstufungen (Claudius? Flavier?) zwei Phasen annehmen: Traían vergab das latinische R e c h t an U n tergermanien, an die alten civitates Obergermaniens, die es noch nicht hatten, und an die ulpischen civitates. Antoninus Pius oder Marc Aurel verliehen es dann an die aurelischen und andere civitates am Neckar. Diese Phaseneinteilung ist j e doch nicht sicher - vielleicht handelt es sich bei den belegten Beispielen jeweils u m Einzelfálle mit besonderem Kontext und nicht u m Belege für provinzweite Maßnahmen. Übrigens hielt sich neben d e m neuen munizipalen Titel auch das Wort civitas, das wieder zur normalen Bezeichnung wurde, als die Rechtsstellungen unter Caracalla egalisiert w u r d e n [VittinghofF 16, S. 73, 210-212; Galsterer, in: 26, S. 9-15; Wolff 1/732; Frei-Stolba 95a; Chastagnol 17, S. 183],
4. 2. 3 Die munizipalen Institutionen W i r beschränken uns hier auf die Besonderheiten unserer R e g i o n . In der N a r bonensis [Gascou 48, 49] erlaubt ein Merkmal, römische von latinischen Kolonien zu unterscheiden: Erstere werden von D u u m v i r n geleitet, zweitere von Quattuorvirn. So kann man der Entwicklung der Rechtsstellung folgen, selbst w e n n andere Indizien fehlen (während bei Vienne die Hochstufung von Plinius bestätigt wird, besitzen wir für Antibes keine anderen Quellen). In den Städten römischen Rechts treten zu den grundlegenden Magistraturen (Quästur, Adilität, Duumvirat, dieses eventuell quinquennal) lokale Zusatzämter. In den latinischen Kolonien findet sich das Kollegium der IHIviri, dem theoretisch zwei Quästoren zur Seite standen, doch gab es Abweichungen. So konnte man in Nîmes eine niedere Karriere durchlaufen, die entweder Quästur oder Adilität umfaßte [Strab. 4. 1. 12], und eine höhere Laufbahn, die über die Präfektur der Wachen und Waffen [Bd. I, S. 258] zum Quattuorvirat führte. In beiden Arten von Kolonien gab es die römischen Priestertümer (Augurât, Pontifikat u n d Flaminat), wobei der provinziale Flaminat im allgemeinen die K r ö n u n g darstellte. Das Beispiel der Vokonen [Goudineau 200], die als verbündete Stadt das latinische R e c h t erhielten, zeigt, wie sich die Institutionen von den gallischen G e pflogenheiten zu den römischen Standards entwickelten. Dies erinnert bereits an die zahlreichen Varianten u n d Unterschiede, die in den Drei Gallien begegnen [Drinkwater 181], In diesen Provinzen, wie übrigens auch in Germanien (z. B. in der Kolonie Xanten oder in Nida), trifft man in der Regel D u u m v i r n , seltener Quattuorvirn an [merkwürdigerweise begegnen beide Titel bei den Segusiavern, CIL XIII 1624, 1632, und den Sequanern, CIL XIII 5343, 5367, 1674f.; vielleicht gab es eine Veränderung der städtischen Verfassung], Diesen Hauptbeamten halfen Adilen (bei den Tungrern, in Sens und Nida belegt) u n d / oder Quästoren (Metz, Rennes, Saintes). In mehreren Städten gab es auch M a -
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gistrate, die flir die ansässigen römischen Bürger zuständig waren (Bourges, Poitiers, Bavay), die auch in besonderen G r u p p e n zusammengefaßt waren [Mainz: AE 1990, 745], insbesondere provinzialen mit Vertretung in Lyon [AE 1955, 210]. W ä h r e n d die Quinquennalität nicht zweifelsfrei belegt ist [aber CIL XIII 2949, 4030], begegnet (neben besonderen öffentlichen Priestertiimern wie d e m Flamen von Lenus Mars in Trier [Scheid, in: 103, S. 42-57]) der lokale sacerdos Romae et Augusti in Metz [Demougin 168], T h é r o u a n n e [AE 1978, 502], R o d e z [Sablayrolles 277], Amiens [AE 1978, 501], R e n n e s [Chastagnol 17, S. 29-35], seltener die klassischen Priestertümer [Ladage 1/891] wie die Auguren der Lingonen, die Pontifizes von Lyon, die Haruspizes von Mainz, Trier, Speyer [AE 1990, 756 = 757] u n d Bad W i m p f e n [AE 1990, 762], Ferner gab es flaminicae und andere Priesterinnen [Spickermann 289], Für den Kaiserkult hatte eine große Zahl der gallisch-römischen Städte ein Kollegium von seviri augustales, unter denen sich viele Freigelassene finden. Die Sevirn k ü m m e r t e n sich insbesondere u m die Organisation der Spiele [Duthoy 1/906; 34], In allen R e g i o n e n sind D e k u r i o n e n belegt [Rupprecht 1/898] - in den Kolonien [z. B. CIL XIII 7816, 8617; XII 3171], den Munizipien [Bogaers 141] u n d den civitates [z. B. CIL XIII 7062, 7064] —, die die lokale Ratsversammlung bildeten [auch der ordo erscheint mitunter unter diesem N a m e n : z. B. CIL XIII 916, 2669, 3153], Von der Ratsversammlung erlassene Dekrete sind j e d o c h nur selten erhalten [ILN Digne 3].
4 . 2 . 4 pagus, vicus, canabae, curia In den gallischen u n d germanischen Provinzen trifft man auf eigentümliche G e bietskörperschaften u n d Institutionen, die uns im einzelnen unklar sind [WolfF 1/731; 71; Burnand 149; Chastagnol 17, S. 13-28; Tarpin 296, 297], Oer pagus entsprach anscheinend einer gallischen Struktur aus der Zeit vor der römischen Eroberung - im allgemeinen ein kleiner Stamm, der zu schwach war, u m eine civitas zu sein (z. B. die Mandubier oder die Kondruser) - , die sich innerhalb der civitates als Untereinteilung hielt und vielleicht den von den coloni bei einer K o loniegründung verdrängten Indigenen als R e f u g i u m diente [Tarpin 225; allerdings ist diese Hypothese nicht unproblematisch]. D e r Hauptort übertrug d e m pagus sicher religiöse, vielleicht auch fiskalische und zensitäre Befugnisse [Pagusdekrete: CIL XIII 2609]. D e r Pagus war eine territoriale Struktur mit Abmark u n g [CIL XIII 4143]. Er war ein Teil der civitas mit eigenen religiösen Akten, wobei eben diese Akte die Kontrolle des Hauptortes über sein Territorium b e legen. Das epigraphische Material gibt uns Einblicke in die Organisation der pagi, deren Leitung magistri (bei den Biturigen-Viviskern und den Mediomatrikern), praefecti (bei den Vokonen u n d den Allobrogen) oder curatores (in B e d a / Bitburg bei den Treverern) innehatten. Es gab zudem verschiedene Posten wie actor, aedilis etc., die einzelne Stufen der städtischen Karriereleiter darstellen könnten. An bestimmten O r t e n wie z. B. R e n n e s [Chastagnol 17, S. 29-35] oder Trier [Scheid, in: 103, S. 42-57] zeigen sowohl die schriftlichen als auch
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die archäologischen Quellen, daß die pagi keine von der civitas unabhängigen Organismen waren, sondern einen Teil der Aufgaben übernahmen, die der civitas im R a h m e n der öffentlichen Kulte und speziell des Kaiserkults oblagen. D i e ser w u r d e nicht nur im Zentralort, sondern auch auf dem Land begangen, in den sogenannten „ruralen" Heiligtümern (zu U n r e c h t [Jacques, in: 103, S. 58-65] als conciliabula interpretiert), die sich vor allem im 2. Jh. entwickelten. Dabei handelte es sich nicht u m R e f u g i e n der gallischen oder gar druidischen Traditionen, wie man manchmal liest [dagegen Wightman, in: 107, S. 549; Scheid 280, S. 26], sondern eher u m O r t e der öffentlichen Kulte der pagi. Das epigraphische Material dieser O r t e und ihre räumliche Organisation mit Temp e l n ) , Amphitheater u n d Theater besonderen Typs (ohne Szenengebäude), die zugleich der domus divina oder den kaiserlichen numina sowie einer Ortsgottheit geweiht und für ludi et spectacula publica lokaler Ebene vorgesehen waren, w ü r den zu dieser Interpretation passen, die für Aquitanien vorgeschlagen w u r d e [Fincker/Tassaux 61], wo diese ruralen Heiligtümer zahlreich sind (Sanxay, Vendeuvre, Argentomagus, Les Bouchauds etc. [52]). Andere wichtige Anlagen sind Genainville [Mitard 242, mit Forschungsstand], Bois-1'Abbé [Chastagnol 17, S. 37-47], und R i b e m o n t , das auf einem indigenen Heiligtum stand [Brunaux 146], Sie w u r d e n von städtischen Honoratioren gestiftet, die sich gegenüber ihren vicani und pagani als Euergeten erweisen wollten. Die Betrachtung dieser sakralen Anlagen hat uns zum Begriff vicus geführt. Damit werden epigraphisch die benachbarten Siedlungen bezeichnet. Mehrere Interpretationen für diese Körperschaft mit eigener Verwaltung (curatores, seltener magistri [CIL XIII 4132, 4310] u n d Machtbefugnissen [y/omi-Dekrete: CIL XIII 5042, 5233] insbesondere im kultischen Bereich w u r d e n vorgeschlagen. Möglicherweise gibt es eine Verbindung z u m pagus (Hauptort?), denn bisweilen tragen vicus u n d pagus denselben N a m e n [CIL XIII 2541, 2564; ILTG 303 bei den Ambarrern]. M a n hat in den vici durch die R ö m e r gegründete Siedlungen sehen wollen, die der Romanisierung dienen sollten [Tarpin 296]. D a n n m ü ß ten aber die Siedlungen, die sich aus indigenen Plätzen entwickelten und ebenfalls als vici bezeichnet wurden, anders erklärt werden [wie Vertault, CIL XIII 5661; Wederath/Belginum, CIL XIII 7555a; 112; Bram, Passelacq/Gayraud 250]. In R o m war ein vicus ein Stadtviertel mit eigenen Aufgaben (wie K o r n verteilung oder Kultfeiern). Diese Bedeutung (die auch für die Städte Metz, Mainz, Saint-Bertrand, Lectoure belegt ist) k ö n n t e in der Provinz auf die Organisation der civitates angewandt worden sein. A m ehesten läßt sich vicus als grundlegender „kommunaler" Status verstehen, den j e d e Siedlung (ob nun spontan gegründet oder nicht) besaß, die keine besondere Rechtsstellung hatte. Damit läßt sich verstehen, w a r u m in unseren Quellen mit diesem Ausdruck gleichermaßen kleine Dörfer (wie Arlon, Liberchies, Soulosse, Zülpich, Billig oder Dalheim [28; 52]), große Siedlungen (wie Genf, Lausanne oder Néris) und bisweilen sogar Zivitashauptorte bezeichnet werden. Vielleicht hängt dies damit zusammen, daß diese Siedlungen auf oder bei einer Militäranlage gegründet wurden, was insbesondere auf dem rechten R h e i n u f e r häufig v o r k o m m t
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[ζ. B. Aquae Mattiacorum, Nida Taunensium und Lopodunum Sueborum]. Es erscheint legitim, vicus für alle Siedlungen und Dörfer des städtischen Typs zu verwenden, die einen gewissen administrativen Rahmen besaßen (im Gegensatz zu einem einfachen ländlichen Weiler). Würde man den Gebrauch auf die belegten Fälle beschränken [Paunier, in: 28, S. 283f.], bliebe ein Großteil der Siedlungen ohne Bezeichnung und damit in einer kaum befriedigenden institutionellen Leere. Bezüglich der militärischen Urbanisierung muß an die beiden Arten von Siedlungen in der Umgebung von Militärlagern erinnert werden [Vittinghoff 16; Bérard 135 mit unterschiedlicher Interpretation im Detail]: die canabae und die vici. Die canabae legionis sind namentlich beispielsweise in Straßburg und Mainz belegt und stellten eine Zivilsiedlung in unmittelbarer Nähe eines Legionslagers dar [zu den archäologischen Aspekten: von Petrikovits 93, Bd. II, S. 159-183]. Dort begegnen zugewanderte römische Bürger, Veteranen, Indigene mit und ohne Bürgerrecht, die eine eigene Verwaltung hatten (in Germanien nicht so leicht nachweisbar wie an der Donau [S. 298]) und wohl nicht dem Legaten unterstanden [Vittinghoff 16]. Die wahrscheinliche Verbindung zwischen den canabae und den prata oder dem territorium legionis [Bérard 134] ist noch unklar. In einiger Entfernung entstand im allgemeinen zusätzlich ein vicus, der ein eigenes Toponym hatte, das insbesondere in den Itinerarien aufgeführt wurde, und zu einer Stadt aufsteigen konnte. Ebenso begegnen neben den meisten Auxiliarlagern, selbst den kleinen Posten am Limes, Zivilsiedlungen vom vicus-Typ [Sommer 86], die wuchsen (so in Ohringen/vicus Aurelianus [79]) und sich bisweilen in Siedlungen von Stadtgröße verwandelten, wenn die Armee abzog (z. B. Bad Wimpfen [79]). Eine kaum erforschte gallogermanische Instutitution muß noch genannt werden, die möglicherweise nur religiöse Funktionen hatte und vielleicht eine U n terteilung des pagus war für einige Kulte, die den Familien übertragen waren. Es handelt sich um die curia, die mit dem Matronenkult in enger Verbindung stand [Rüger 1/742; Scheid, in: 103, S. 53, der nach der Kompatibilität Kurie — Kolonie fragt].
4. 3 Die Religion Abgesehen vom Kaiserkult, den wir im Rahmen der Institutionen behandelt haben, ist die galloromanische bzw. germanoromanische Religion nur unzureichend bekannt. Gewiß informiert eine umfangreiche Literatur, die hier nur exemplarisch zitiert wird, über die Götter [102; Duval 104, 15; Merten 239; Bourgeois 143; Euskirchen 185; Bauchhenss, in: 23, S. 325-337], die Monumente [Bauchhenss/Noelke 126], die Votive [Deyts 178; R o m e u f 271; Bémont 131], die Heiligtümer [Thévenot 109; Goudineau 106; Mitard 242; 114] und die Bautypen der Tempel [Cabuy 150; Fauduet 187; Trunk 302; Lauffray 226; Follmann-Schulz, in: 23, S. 243-256], Es ist aber schwer, eine Synthese der religiösen Inhalte und Rituale zu benennen, da die Forschung in dieser Hinsicht
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nur geringe Fortschritte gemacht hat [doch s. Derks, in: 22a, S. 111-127]. Denn bis heute haben es die meisten Arbeiten [so Lambrechts 110; Thévenot 111; Hatt 109] versäumt, die galloromanischen Dokumente in ihrem römischen historischen Kontext zu verstehen, d. h. im R a h m e n der religiösen Organisation jeder einzelnen Stadt. Stattdessen sucht man die keltischen oder gar vorkeltischen Traditionen (bis vor kurzem [Brunaux 103, 146] nur in ihrer Form in römischer Zeit bekannt), die sich angeblich hinter diesen Kulten verstecken. Bei dieser Sichtweise, die keltische Religion und gallischen Patriotismus verbindet, ging man sogar soweit, von einem „typischen Phänomen der Gegenromanisierung" zu sprechen, wenn ein Tempel mit rechteckiger cella in ein Podiumsbauwerk klassischen Typs mit pronaos und Peristyl umgebaut wird, und zwar im Herzen einer Stadt, die höchstwahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt den Munizipiumsrang erhielt (Tongern). Die Verfechter dieser Ansicht übersehen die öfFendiche Dimension aller römischen Kulte, gleichgültig, in welcher Provinz sie praktiziert wurden, und die soziojuristischen Mechanismen ihrer Verbreitung. So werden die bei allen öffentlichen Kulten, zumindest in den Kolonien und Munizipien (und vielleicht auch allen Städten latinischen Rechts), rechdich obligatorischen römischen Elemente heruntergespielt oder ganz ignoriert. Daher müssen ausführliche methodische Kritiken [Duval 104; Scheid, in: 103, S. 44; 280; 281; Toulec 300; Euskirchen 185] den Thesen und Theorien entgegengestellt werden, die diese Kulte als „Volkskulte" bezeichnen, bei denen die Götter angeblich „plurifunktionell" und innerhalb eines „orthodoxen" Pantheons fast austauschbar seien. Kurzum: Im Bereich der eigentlichen gallo- oder germanoromanischen Religion gibt es bislang kaum zufriedenstellende Forschungsergebnisse. Diese Religion ist prinzipiell ein Polytheismus, der durch die Zahl und die funktionale Organisation seiner Gottheiten definiert ist, und der sich weder auf ein widersprüchliches Spiel von Widerständen und Einflüssen beschränkte noch auf einen einfachen Transfer der römischen Religion, sondern der vielmehr verstanden werden muß als „die Interpretation neuer Elemente in einer indigenen Tradition, die zur Adaption gedrängt wurde unter Berücksichtigung der verschiedenen Reaktionen und Aktionen der kulturellen Untergruppen" [Toulec 300, S. 82]. Allein unter Berücksichtigung der institutionellen Romanisierung der Kulte läßt sich ein vernünftiges Verständnis des Prozesses der interpretatio gewinnen, denn — zumindest in den Städten römischen oder latinischen Rechts bei den öffentlichen Kulten - wurde die Auswahl und die Adaption der großen Lokalgötter öffentlich durch die Dekurionen und die Magistrate der einzelnen Städte beschlossen, d. h. durch die romanisierte Elite und nicht „aufs Geratewohl, in der Sakristei eines ländlichen Heiligtums, durch drei Barbaren, die den römischen Realitäten feindlich gesonnen waren und sie nicht kannten", wie es J. Scheid trefflich formuliert hat [in: 103, S. 46]. Es geschah mehr als lediglich eine neue „Verkleidung", und diese oft gelehrten Gleichsetzungen können erhellt werden mit Hilfe der Konzepte der römischen Religion (so bei den Treverern im Fall von Lenus Mars oder Pisintus), wenn auch viele Unsicherheiten
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und Ungewißheiten bleiben. Das heißt aber auch, daß die lokale Diversität in der Romanisierung erhalten blieb, denn es gab keine von außen aufgezwungene Fusion, sondern die freie Wahl. Sieht man von den allgemeinen und begrenzten Verpflichtungen ab (kapitolinische Trias und Kaiserkult), nahmen die lokalen Stellen die Auswahl und die Organisation der Kulte frei vor, wobei sie sich das oder die indigenen Pantheen zum Vorbild nehmen konnten, wenn sie Kalender und Liturgie festlegten. Mehrere Ansätze wurden in letzter Zeit erprobt, die zu einer Neuorientierung der Forschung fuhren könnten: die Betrachtung der Kulte in ihrem institutionellem Kontext, civitas für civitas [Raepsaet-Charlier 108, S. 81-84], um nicht anachronistisch „die" Religion entstehen zu lassen; die sorgfältige Trennung zwischen Öffentlichem und Privatem, wie dies J. Scheid für die civitas der Treverer [281; in: 103, S. 42-57] unternommen hat; die Betrachtung einer Gottheit in ihren Formen während der römischen Zeit im Hinblick darauf, die Differenzen und Nuancen j e nach Region und Dedikant herauszuarbeiten, wie dies D. Toulec für Silvanus vorgelegt hat [300], aber auch, um eine chronologische Entwicklung nachzuvollziehen, vom vorepigraphischen Stadium der j u lisch-claudischen Zeit bis zur öffentlichen Anerkennung im 2. Jh., wie sich dies bei den Matronen des Rheinlands vermuten läßt [102]; die Betrachtung der Wahrnehmung des römischen Pantheons durch die Indigenen einer Stadt unter Hervorhebung eines oder mehrerer „nationaler" oder städtischer Kulte wie des Mars der Treverer oder des Herkules der Bataver, wie dies T. Derks [171] unternommen hat. Die textlichen (insbesondere epigraphischen) und archäologischen Quellen müssen erneut systematisch, gründlich und unvoreingenommen durchgesehen werden, um mit allen romantischen Vorstellungen hinsichtlich der Religion aufzuräumen, und zwar sowohl bei den städtischen als auch bei den ländlichen und den Kurheiligtümern [Scheid 280]. Auch ist die Verteilung der Heiligtümer in der civitas, die Identifikation der gemeinschaftlichen, aber privaten Kulte (im Rahmen einer Villa beispielsweise), die Delegationen an pagi, vici, curiae (?) und Familien immer noch weitgehend unerforscht. Auch müßten die regionalen Gegensätze herausgearbeit werden: Während in der Narbonensis und in den alten Kolonien die Gottheiten sehr weitgehend identifiziert werden, waren im Rheinland die der klassischen Tradition fremden Juppitersäulen von großer Bedeutung, die beim römischen Militär verehrt wurden. Die Feiern und Kulte der Armee müssen getrennt von den städtischen Kulten untersucht werden. Die vorschnellen Gleichsetzungen in diesem Bereich haben zu einer Uberschätzung der sogenannten „militärischen Romanisierung" geführt [Liertz 233a]. Die sogenannten „orientalischen" Kulte fanden in Gallien und Germanien großen Anklang [Turcan 1/508, 1/509]. In manchen Städten erlangten sie sogar den Rang öffentlicher Kulte (wie Kybele in Lectoure). Neben dem weitverbreiteten Kybele-Kult [Turcan, in: 101, S. 9-19] (unlängst in Aix [ILN Aix 38] nachgewiesen, in Arras [Jacques/Belot, in: 101, S. 21-34] wahrscheinlich) seien erwähnt: die ägyptischen Kulte in Nîmes [Turcan, in: 107, S. 456-518], Mithras
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(dessen erstes Auftauchen zeitlich unklar ist [Raepsaet-Charlier 108, S. 71-74]), der v. a. in den A r m e e z o n e n verehrt w u r d e [Schwertheim, in: 107, S. 802-804], aber nicht ausschließlich [Deman, in: 101, S. 35-47]. Andere Kulte sind seltener belegt, so die syrischen Götter. Abschließend sei die relativ frühe Christengemeinde in der Lyoner Gegend und ihre Verfolgung von 177 [113] erwähnt. N a c h wie vor ist unklar, was die ascia bedeutet, die auf Grabsteinen insbesondere der R h o n e - u n d Trierer Gegend dargestellt bzw. erwähnt wird. Keine der vorgebrachten Hypothesen [Mattson 237] kann vollständig befriedigen. Im Bereich des Bestattungswesens bleiben die Tumulusgräber, die in b e stimmten R e g i o n e n (Tungrer) entlang der großen Straßen begegnen, unklar. Vielleicht gehen sie auf vorrömische Praktiken zurück. Ansonsten sind große, skulptierte Pfeiler bzw., bei den Städten, Nekropolen üblich.
4. 4 Die Gesellschaft Die Betrachtung der gallo-romanischen Gesellschaft [France 6; Frézouls 9] verlangt eine j e nach R e g i o n u n d Periode differenzierte Sichtweise, u m den verschiedenartigen Situationen auf allen Niveaus von Macht u n d Vermögen gerecht zu werden. Verständnis u n d Definition der sozialen Schichten sind nicht einfach und dürfen nicht auf ein vorgefaßtes Schema reduziert werden, nicht einmal bei den herrschenden Schichten. In der Narbonensis [Christol, in: 24, S. 187-202; 42] spielten die römischen Kolonien eine zentrale R o l l e bei der Ausbildung der Eliten. Wahrscheinlich hing dies mit der Einwanderung von Italikern zusammen. Ihre Familien sowie lokale Notabein (die kulturell u n d institutionell seit der republikanischen Zeit romanisiert waren u n d die bei der G r ü n dung oder kurz danach in die Kolonien integriert wurden) stellten die städtischen Magistrate des 1. Jh.s. Schon seit der julisch-claudischen Zeit war es ihnen gelungen, in den Reichsadel, d. h. in den Ritterstand [Sablayrolles 276] und in geringerem M a ß in den senatorischen Stand, einzudringen. Dieser Aufstieg führte in einem gewissen U m f a n g dazu, daß sich der alte Adel auf die Reichskarriere konzentrierte u n d so bei den lokalen Ä m t e r n Platz machte für andere Familien regionaler oder italischer Abkunft. In den civitates latinischen Rechts, ob n u n Kolonien oder nicht, lief dieser Prozeß nicht so schnell ab. Sieht man von einigen Ausnahmen wie Nîmes, Vienne oder Vaison ab, m u ß man auf das Ende des 1. und das 2. Jh. warten, ehe Mitglieder der städtischen Aristokratien in die höchsten Sphären der römischen Gesellschaft vorstoßen u n d sich die Zusammensetzung der Führungsschicht ändert. Im restlichen Gallien geschah der Aufstieg der lokalen Eliten gewöhnlich n o c h später u n d beschränkter, so j e denfalls nach Ausweis des prosopographischen Materials [Burnand 1/849, Bd. II, S. 387-437; 30; Eck 1/849, Bd. II, S. 539-552; Alföldy 118; Mrozewicz, in: 24, S. 215-221]. Allerdings gibt es hier ein methodisches Problem. Inwieweit ist ein argumentum e silentio bei den Ehreninschriften und ihrer Verteilung in den Drei Gallien und den beiden Germanien gerechtfertigt? Ein Beispiel: Insgesamt sind rund 600 Inschriften aus Köln überliefert, wovon aber nur fünfzehn Magi-
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strate, öffentliche Priester oder Dekurionen betreffen. Nun war aber Köln eine römische Kolonie. Wenn nicht die Uberlieferung besonders ungünstig ist, so wurden zumindest in Köln und vermutlich in der ganzen betrachteten Region generell wenige Inschriften für städtische Würdenträger gesetzt [Eck, in: 26, S. 73-84], Da es an solchen Ehreninschriften fehlt, ist der tatsächliche Umfang des Aufstiegs von gallischen und germanischen Adelsfamilien in die beiden höchsten Stände des Reiches schwer einzuschätzen. Unter den zahlreichen incerti, deren „westliche" Herkunft feststeht, verbergen sich höchstwahrscheinlich auch etliche Senatoren und Ritter aus unseren Provinzen. Wie eng sie mit ihrer Herkunftsregion verbunden blieben, ist unklar. Da es im gallisch-germanischen R a u m an umfangreichen Latifundien oder reichen Bodenschätzen fehlte und das Land zudem von den Plünderungen durch Caligula ausgezehrt war, scheint es an den Vermögensmitteln für den senatorischen Zensus und Lebensstil gemangelt zu haben. In der gesamten untersuchten Region wurden die städtischen Magistrate, öffentlichen Priester und Dekurionen der neuen Städte (und dies sogar teilweise im Falle deduzierter Kolonien) aus der alten indigenen Aristokratie rekrutiert. Diese lokalen Notabein aus dem Boden- und Militäradel stammten wohl von den gallischen équités ab, die Caesar häufig erwähnt. Meistens trugen diese H o noratioren den Gentilnamen Iulius, d. h., daß sie das Bürgerrecht von Caesar oder Augustus erhalten hatten, manche waren aber auch peregrin. Sie stellten die ersten Priester. Die Größe ihres Vermögens spiegelt sich in ihren Euergesien. Es waren die Großgrundbesitzer, die das Fundament und die Stütze der lokalen Führungsschichten darstellten [Wightman 310], und ihre überstädtischen Beziehungen (insbesondere durch Heiraten) [Christol/Janon, in: 138, S. 9-18; Wierschowski 309] zeigen ihre Macht und ihren Aktionsradius. Sie sind über das ganze Land hin belegt [Wierschowski 308]. Auf dem flachen Land, zumal im Süden, finden sich viele Belege für Euergesien und Grabmonumente der Großgrundbesitzer [Christol 160; Burnand 1/879]. Gleichwohl konnten sich aufgrund des hochkaiserzeitlichen Wirtschaftswachstums, das die bereits seit dem 1. Jh. in der Narbonensis nachweisbare soziale Mobilität beschleunigte, andere Formen des Reichtums entwickeln. Händler, Handwerker, Spediteure, von denen einige Freigelassene waren [Christol 157] und sich in corpora organisierten, erlangten vor allem in der Zeit vom Ende des 1. bis zur Mitte des 3. Jh.s den notwendigen Reichtum, um in die Grenzgruppe am Rande des Adels eintreten zu können (seviri augustales und Träger dekurionischer Ornamente) [Christol 158]. In einer der nächsten Generationen konnten sie dann durch die Protektion einer hohen Persönlichkeit oder durch Adoption Zugang zu den honores erhalten [Christol 159; Burnand, in: 24, S. 203-213] oder sogar noch höher aufsteigen [Walser 100, S. 73-80; Picard 252]. Investierten sie ihr Geld in Grundbesitz, um dem schlechten R e n o m mee von Handelsgewinnen zu entgehen, wie oft in Nachfolge von A. Grenier [10] angenommen wird, oder neigte die gallische Mentalität eher dazu, den sozialen Aufstieg dieser Gruppen zu akzeptieren, in Anbetracht des Ranges, den
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in vorrömischer Zeit Händler und Handwerker in der Gesellschaft der oppida e i n g e n o m m e n zu haben scheinen [Metzler 240]? D a n n w ü r d e ihr sozioökonomischer Wiederaufstieg in den R a h m e n einer Neuverteilung von Macht und Vermögen [France 6, S. 102] gehören, die sich vielleicht auch in den engen Banden spiegelt, die insbesondere als Patronageverhältnisse zwischen Korporationen und städtischen Magistraten bzw. provinzialen Priestern geknüpft w u r den [CIL XIII 1709, 1688 = ILS 7020, 7021], Wäre es möglich, daß es keine wirkliche soziale Kluft zwischen den Großhändlern u n d -Spediteuren u n d den Grundbesitzern gab? G e h ö r t e n sie nicht in bestimmten Fällen denselben Familien an, nur daß verschieden investiert wurde, d. h. daß Gewinne aus dem Grundbesitz in den Handel flöß, j e nach Bedürfnissen u n d Gewinnaussichten? O d e r könnten die „Geschäftsleute" nicht jüngere Söhne gewesen sein, die man in U n t e r n e h m u n g e n anderer Art unterbrachte, weil der ehrenhafteste Platz den Altesten gehörte, die das Land ungeteilt behalten sollten? W e n n wir in dieser Hinsicht im Unklaren sind, dann liegt das daran, daß außerhalb der Narbonensis das epigraphische Material über D e k u r i o n e n und M a gistrate unzureichend ist und daß öffentliche Funktionen im Vergleich zu privaten Aktivitäten, insbesondere wirtschaftlichen u n d religiösen (und, in G e r m a nien, militärischen), seltener vermerkt wurden. Daher ist es nur selten möglich, onomastische Zusammenhänge festzustellen, und die geringe Zahl von explizit belegten Berufen, die die munizipale Elite ausübte, erlaubt k a u m sichere Schlüsse. Es gibt Seeleute u n d Händler, die öffentliche Amter bekleideten, und sie erfüllten alle Pflichten ihrer Funktionen, Euergesien u n d Patronate [das b e rühmteste Beispiel ist der Treverer C. Apronius Raptor, CIL XIII 1911, 11179; Krier 217], aber wie hoch war ihr Anteil? Aufgrund der unzureichenden Q u e l lenlage sollte man besser eine zurückhaltende Position einnehmen. W ä h r e n d im 1. Jh. die alte Bodenaristokratie dominierte, waren die Eliten des 2. Jh.s gemischter. Lag das daran, daß die Iulii durch die Niederschlagung des VindexAufstandes hart getroffen worden waren? Vielleicht trifft diese Erklärung in einigen Fällen zu (so für Trier [Heinen 212]), aber sicher nicht für alle R e g i o n e n . M a n darf die Schicht der Grundbesitzer nicht als „Handelsbourgeoisie" ansehen [Grenier 10, S. 539], ebenso wenig kann man aber den Zugang von Neureichen zu diesen Posten grundsätzlich in Abrede stellen. Das Quellenmaterial dafür ist nicht umfangreich [Rupprecht 1/898; Langhammer 1/762, zu ergänzen ζ. B. durch AE 1975, 646, w o der N a m e eher L. Hon(orius) Hilarus ist; Kuhoff 219], es ist aber auch nicht ausfuhrlich genug für diejenigen, die jeden, der keinen B e ruf angibt, als Großgrundbesitzer ansehen wollen. Die Onomastik dieser Personen kann ein zusätzliches Indiz sein: Händler u n d andere freigeborene A n g e h ö rige der Korporationen sind zumeist römische Bürger mit Gentilnamen patronymischer Bildung, was, wie bereits festgestellt [S. 179], für das latinische R e c h t charakteristisch ist. Daher müssen sie das Bürgerrecht durch Magistraturen erlangt haben, die entweder sie selbst oder ihr Vater oder ein Vorfahr bekleideten. Sie müssen also eng mit der Kategorie der städtischen Magistrate (und D e k u r i o nen seit Hadrian) verbunden sein.
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Gleichwohl wird es regionale Unterschiede j e nach der geographischen Position der Zentralsiedlungen gegeben haben, j e nachdem, ob sie an den großen Fluß- oder Straßenachsen lagen oder eher als Zentren der landwirtschaftlichen Produktion fungieren. W i r werden noch auf die wirtschaftliche Position dieser aufsteigenden sozialen Kategorien zurückkommen. Ihre genaue soziologische Verortung ist schwierig. Innerhalb der Führungsschicht gab es Klüfte [Burnand 148], die die komplexen sozialen Beziehungen bezeugen und auf interne Hierarchien wie im römischen Senat hinweisen, ζ. B. zwischen alten und neuen Familien. „Letztendlich scheint jedenfalls klar, daß man sich keine eindeutige und vereinfachende Vorstellung der Zusammensetzung und Entwicklung der galloromanischen Gesellschaft machen kann. Das traditionelle Bild zeigt eine exklusive Gruppe von Landmagnaten und mächtigen Händlerkorporationen in aktiven Städten, was zwar gewiß eine Entsprechung in der Realität hatte, aber es ist ebenso sicher, daß sie mit einer ganzen Palette von dazwischenliegenden und beweglichen Situationen und Randgruppen koexistierten" [France 6, S. 102f.]. Nach Germanien [Strobel, in: 26, S. 45-54], vor allem ins Dekumatenland [Tac. Germ. 29], wanderten Galloromanen ein, die Zugang zur Führungsschicht fanden. Auch einigen Veteranen (aber nicht vielen [Mrozewicz 245]) gelang die Integration in die Elite der germanischen Städte. Wir wissen über die unteren Sozialschichten noch weniger. Die Verteilung der Gehöfte und Villen (vor dem Ende des 2. Jh.s gab es nur wenige große D o mänen [De Boe 165]) läßt vermuten, daß es eine Mittelklasse kleiner Grundbesitzer gab, deren Land vielleicht teilweise durch die Aufteilung des Besitzes der lulii entstanden war, doch Erbteilung und die fortschreitende Urbarmachung von neuem Ackerland dürften vor allem die wesentlichen Faktoren sein. Zu dieser Mittelklasse gehörten auch Handwerker, örtliche Kaufleute, eventuell auch Soldaten und Veteranen, die ihre Prämie gut investiert hatten. Denken wir an den Reichtum des Poblicius von Köln [I. Köln 216] zu Beginn der Kaiserzeit oder den der Cassii von Mainz [AE 1977, 586]. Solche Männer stiegen nicht unmittelbar in den Reichsadel auf, aber ihre Familien waren in den folgenden Generationen ein Reservoir für Berufungen. In den Mittelstand können wir auch einen Teil der Freigelassenen einreihen, deren wichtige Rolle beim Verkauf der Produkte, die auf den Domänen ihres Patrons erzeugt wurden, oder bei seinen Handelsgeschäften [z. B. AE 1983, 721], ja sogar innerhalb der Spediteurkorporationen (insbesondere in der Narbonensis und in Lyon) wohlbekannt ist [Christol 157-159; Krier 217; Schwinden 284]. Auch verfügten sie über die Mobilität [Wierschowski 309], die für das galloromanische Wirtschaftswachstum der H o h e n Kaiserzeit charakteristisch war. In diese Kategorie fallen wohl auch die öffendichen Freigelassenen der Verwaltung, zumal die kaiserlichen Freigelassenen (und Sklaven) der Finanzbehörden [für die Belgica ζ. Β. Raepsaet-Charlier 259]. Aber darf man davon ausgehen, daß sie sich in der örtlichen Gesellschaft engagierten, oder waren sie nur zeitweilig ansässig, je nachdem, wo sie eingesetzt wurden? Man kann sich derzeit kein schlüssiges Bild von den Freigelassenen innerhalb der galloromanischen Gesellschaft machen, da die
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allgemeinen Arbeiten [Daubigney/Favory 164; Lazzaro 227] sie zusammen mit den Sklaven behandeln und ein sozioökonomisches Modell postulieren, das sich „imperialistisch-sklavenhalterisch" [Favory 1/810] nennt — nicht unbedingt eine solide Grundlage für die Untersuchung unserer R e g i o n e n . Je weiter wir in der sozialen Pyramide herabsteigen, desto weniger Material steht uns zur Verfugung. Unsere Texte sprechen im wesentlichen von den R e i chen oder wenigstens Wohlhabenden, dagegen nur selten von den A r m e n , außer indirekt durch die Sklavenhalter, die Bestattungsvereine, die zivilen Graffiti (diese sind zumeist kaum erforscht — Ausnahmen: bei den Santonen u n d in La Graufesenque sowie in Lousonna/Vidy [JSGUF 77 (1994) 95-108] - , sie sind aber die wichtigste Quelle für den Grad der Alphabetisierung). Z u den H a n d werkern und Arbeitern auf den Baustellen, in den Werkstätten oder in der Landwirtschaft haben wir hauptsächlich archäologische Quellen (Produkte, Wohnstätten, Gräber), weniger textliche. Deswegen ist der Grad ihrer Abhängigkeit (Kolonen, Klienten) oder Freiheit schwer abschätzbar. Die Chancen für individuellen Erfolg schwankten wahrscheinlich von Bereich zu Bereich, wie zu allen Zeiten, u n d waren in der Stadt und im D o r f sicher besser als auf dem flachen Land. Nicht-kaiserliche Sklaven sind schlechter faßbar, ausgenommen städtische Domestiken. Sklaven scheinen in der Landwirtschaft eine marginale Rolle e i n g e n o m m e n zu haben, vielleicht aufgrund der geringen Größe der D o mänen, aber w i e d e r u m sei an die strukturellen Schwächen unserer D o k u m e n t a tion erinnert. Die H e r k u n f t der Sklaven war vermutlich geographisch differenziert, es dürften sich unter ihnen Indigene befunden haben, die von germanischen Nachbarvölkern eingekauft wurden. Die Bedeutung der Sklaverei war in der Narbonensis und in Lyon höher als in anderen R e g i o n e n Galliens. Im 3. Jh. (an einigen O r t e n bereits im 2. Jh.) ging die Zahl der Sklaven tendentiell zurück. Inwieweit dieses P h ä n o m e n mit der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung dieser Zeit verknüpft werden kann, ist unklar.
4. 5 Die Wirtschaft W i e j e d e vorindustrielle Ö k o n o m i e basierte auch die gaUoromanische W i r t schaft [France 6, S. 87-99; Frézouls 9] auf der N u t z u n g des Bodens. Die übliche Siedlungsform war normalerweise nicht das D o r f — obwohl natürlich neben städtischen vici auch Bauernweiler belegt sind [Ratei u. a., in: 236, S. 175-197] —, sondern der Einödgutshof, den man gemeinhin villa nennt. Indem man lange Zeit von einigen Villen außergewöhnlicher Pracht ausging (z. B. M o n t m a u r i n , Estrées-sur-Noye, Anthée, Basse-Wavre, Voerendaal, N e n n i g oder Newel), dachte man dabei an eine groß angelegte Einheit mit pars urbana und pars rustica, die eine riesige D o m ä n e dominierte, deren Bewirtschaftung durch Sklaven geschah. D o c h der gaUoromanische Gutshof hat sich aufgrund der verfeinerten archäologischen M e t h o d e n der 25 Jahre [Wightman 1/995; 71; Agache 1/974; 116; D e Boe 165; Ferdière 12; Le Glay 11; Leveau 50] als wesentlich diversifizierter herausgesteUt, j e nach R e g i o n u n d Epoche. Die frühesten Anlagen, die
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sogenannten „gallischen Bauernhöfe" aus Holz und Strohlehm, wurden nicht überall durch feste Bauten mit Dachziegeln und Hypokausten ersetzt. D o c h auch die Villen römischer Konzeption besaßen Teile aus vergänglichem Material. Die großen, umfangreichen Villen waren zumeist das Ergebnis einer ein bis zwei Jahrhunderte währenden Bautätigkeit und hatten sich aus einer kleinen oder mittleren Einheit oder einem indigenen Gehöft entwickelt. Es wäre also falsch, chronologisch zwei Sorten von Höfen zu unterscheiden. Besser geht man von einer Agrarwirtschaft aus, die auf einer ganz unterschiedlichen Palette von H ö f e n basierte, und interpretiert ihre Romanisierung als eine Evolution, die ihre endgültige Form erst gegen Ende des 1., im 2. oder gar im 3. Jh., j e nach R e g i o n , fand. O b diese Höfe Eigentümern, Pächtern oder Abhängigen gehörten, ist unklar. Auch in weniger fruchtbaren Landschaften lassen sich G e höfte nachweisen. Offensichtlich zwang der demographische Druck in vielen R e g i o n e n zur Urbarmachung von neuem Land. So lassen sich auch die verschiedenen Ausrichtungen der katastrierten Z o n e n im Finage [ C h o u q u e r / d e Klijn 156] erklären. Eines der wesentlichen Ergebnisse der jüngsten Forschung ist, daß das ländliche Territorium der meisten civitates überraschend dicht besiedelt war. W ä h r e n d der römischen Zeit fanden neue Techniken und Geräte in die gallische Landwirtschaft Eingang oder wurden verbessert [Raepsaet 256]: Mergelausbringung, Pflug (plaumeratum), Mähmaschine (vallus), Wassermühlen [Amouretti 121], Pressen [Brun 144, 142, 145], Fässer [Desbat 174] und Deichselstange. Bei den kleinen H ö f e n dürfte direkte Bewirtschaftung die Regel gewesen sein. W i e dies jedoch bei den großen D o m ä n e n der Aristokraten aussah, die zumeist in den Städten lebten und Güter in verschiedenen R e g i o n e n hatten, ist unklar. Die Sklaverei scheint wenig verbreitet gewesen zu sein, und außerhalb der Narbonensis lassen sich wenige Freigelassene als Verwalter der Güter ihres Patrons nachweisen. Vermutlich wurden zumeist freie Arbeiter unter der K o n trolle eines Pächters eingesetzt, der reich werden und sozial aufsteigen konnte. Welche Bedeutung dem Kolonat und dem Kliententum in der Landwirtschaft zukam, ist unklar. Auch die Beziehung zwischen Stadt und Land ist in der Forschung umstritten. Eines der traditionellen Schemata - das nicht auf die gallisch-germanischen Provinzen beschränkt ist [Bd. I, S. 317-321, 413f.] - stellt die Stadt als „ökonomischen Parasiten" dar: Sie lebt allein von der Ausbeutung des flachen Landes, der Luxus der Aristokratie wird aus den abgeschöpften Erträgen des Landes finanziert. Die Verbreitung kleinerer Siedlungen über das ganze Territorium [28; 236] sowie die Zahl und Unterschiedlichkeit der landwirtschaftlichen D o m ä n e n raten j e d o c h zu mehr Vorsicht. Besser geht man von einer Symbiose zwischen Stadt und Land aus, wobei sich das Land auch und gerade wegen der städtischen Nachfrage entwickeln konnte. Die Verbreitung der landwirtschaftlichen Produktion (die sich bei Ol [Brun 144] und Wein [Laubenheimer 222] besser verfolgen läßt als bei dem wichtigsten Gut, dem Getreide [Liou/Morel 234]) zeigt eine Ausweitung der Märkte [Remesal-Rodriguez 267; Baudoux 127] sowohl in Gallien als auch in den anderen Provinzen und in
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Italien. Dies läßt auf z u n e h m e n d e n Wohlstand des ländlichen R a u m s schließen, der sich uns auch in der Renovierung, Erweiterung und Dekoration (Malereien [Dumasy 182; Barbet 124], Mosaiken [Stern u. a. 293]) der Bauwerke zeigt. Gleiches gilt für die Nekropolen. Die Vorstellung der ohne Gegenleistung verbrauchenden antiken Stadt ist ein ideologisches Postulat, das auf einer eingeschränkten Sichtweise der antiken Wirtschaft basiert. Dabei werden einige Fakten vernachlässigt: Regelmäßig wird die H ö h e der Ausgaben für euergetische Stiftungen überschätzt, denn solche Stiftungen erscheinen besonders häufig in den überlieferten Inschriften [Eck 36]. Städte hatten eigene Einnahmequellen, nicht zuletzt lokale Abgaben oder Zölle. Geld w u r d e nicht nur mit der Landwirtschaft, sondern auch in anderen Bereichen verdient. Das H a n d w e r k [King 4] (man sollte nicht von „Industrie" sprechen), das sowohl in den Städten als auch in Dörfern produzierte, dürfte eine nicht zu vernachlässigende Einnahmequelle gewesen sein, w e n n man nach d e m Marktanteil und der Verbreitung seiner Produkte schließt. A m wichtigsten ist die Keramik: Dachziegel und Bauziegel [Le N y 231], A m p h o r e n [Laubenheimer 223, 224], Gebrauchsgeschirr [Tuffreau-Libre 303] und Qualitätsgeschirr (terra sigillata) [Bémont/Jacob 132]. Andere Werkstätten und Berufe sind archäologisch, epigraphisch [Frézouls 192] oder durch Reliefs [Redde 265] b e legt. Erwähnt seien Stein [Bedon 1/996], Metall [154; D o m e r g u e 180; D u n i kowski/Cabboi 183], insbesondere Edelmetalle [Cauuet 151; Baratte 123], Holz [153], Glas [81; Sennequier 285], Textilien [Schwinden 284; Deniaux 170; R o che-Bernand/Ferdière 269], Meersalz [Thoen 298; Stuart u. a. 295], Steinsalz (vicus von Marsal) u n d natürlich die kulinarischen Spezialitäten, der menapische Schinken [Will 311], seeländischer Allee [AE 1973, 365 und 375] und andere Pökelwaren [Sanquer/Galliou 279; Galliou/Jones 63]. Alle diese Produkte wurden innerhalb des ganzen Reiches verhandelt. W ä h rend der Kaiserzeit entstanden in Gallien und Germanien große Vereinigungen von indigenen Händlern und Spediteuren [Schlippschuh 282; Kneissl 1/951; Kuhoff 219], deren sozialen Aufstieg wir schon betrachtet haben [Picard 252]. Sie hatten die italischen negotiatores ersetzt, die zur Zeit der Republik in der Transalpina und noch unter der julisch-claudischen Dynastie in Nordgallien [CIL XIII 4481] belegt sind. D e r Fall des nauta Blussus [CIL XIII 7067], der unter Tiberius und Claudius Waren auf dem R h e i n transportierte, sich in Mainz ein lateinisches G r a b m o n u m e n t errichten ließ, einen Sklaven besaß und dessen Sohn die bulla trug, ist ein gutes Beispiel für einen erfolgreichen Spediteur lokaler Herkunft. D e r Flußverkehr [Deman, in: 22, S. 79-106, mit dem Forschungsstand zu den utricularii] war dank des außergewöhnlich günstigen Flußsystems [so schon Strab. 4. 1 . 2 , 14] und der Schiffstechnologie [de Weert 167, 168; D e B o e / H u b e r t 166; R u p p r e c h t 275] wichtig, ebenso die Schiffahrt auf dem Mittelmeer [Christol 157; France/Hesnard 191], der Nordsee [RaepsaetCharlier 257; Stuart u. a. 295] u n d dem Atlantik [Galliou 194; Galliou/Jones 63; Provost 69; Etienne 184; 52] und der Uberlandtransport (seine Beschränkungen aufgrund der angeblich unzweckmäßigen Bespannungstechnik sind w i -
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derlegt [Raepsaet, in: 22, S. 29-48; Amouretti 120]). Die Verbesserungen in diesem Bereich (Wagen mit Deichselstange; modifizierte Schirrung bei Leichttransporten; Reihenbespannung für Schwergüter [Raepsaet 255]) sind gleichfalls wichtige technische Fortschritte dieser Zeit. Die Achse R h o n e - Saône - Mosel - R h e i n stellte eine zentrale R o u t e dar, die der neronische Statthalter Antistius Vetus sogar durch einen Kanal ausbauen wollte [Tac. ann. 12. 53], was j e d o c h mit den technischen Möglichkeiten seiner Zeit nicht zu verwirklichen war. Für den gallischen Südwesten waren Aude und Garonne am wichtigsten [ R o m a n 270]. U b e r Loire [Provost 69; CIL XIII 1709], Maas [Raepsaet-Charlier 25; C I L XIII 8815 = ILS 4757], Escaut u n d Seine [CIL XIII 3026 = ILTG 331] w u r d e ein Großteil der gallischen P r o d u k tion verhandelt. D o c h auch der Neckar [CIL XIII 6450] u n d die zahllosen kleineren Flüsse [Burnand 147] dürfen nicht vergessen werden. Die Straßen waren nicht nur militärische Achsen, viele große Siedlungen hatten keinen Flußzugang und w u r d e n nur durch eine Straße erschlossen. Die Ü b e r q u e r u n g der Alpen [Wyss 315] w u r d e durch das mächtige corpus Cisalpinorum et Transalpinorum mit seinen zahllosen Verästelungen sichergestellt [Walser 100], sie konnte nur mit Wagen und Packtieren erfolgen. Die höheren Kosten des Landtransports w u r d e n durch die höheren Gewinne, die man in großer Entfernung erzielte, ausgeglichen. D e r U m f a n g des nachgewiesenen Handels über die Straße stellt ein zusätzliches Indiz dafür dar, wie gut das Straßensystem ausgebaut war [Raepsaet-Charlier 257]. Die größten Wirtschaftszentren lagen gleichzeitig an Zusammenflüssen u n d Straßenkreuzungen wie Lyon oder waren Verkehrsknoten wie Arles, Bordeaux, Köln und Trier. Die Mobilität der Händler [Wierschowski 309; Krier 217] erklärt, daß die Produkte in Gallien und außerhalb Galliens so weit wandern konnten. Die b e r ü h m t e n Weihinschriften für die G ö t tin Nehalennia aus Seeland [Stuart u. a. 295] zeigen die unterschiedliche H e r kunft der Händler und Spediteure [Mócsy 243], die sich besonders für den Britannienhandel interessierten [Raepsaet-Charlier 257], Wenn auch der Handel in den H ä n d e n der romanisierten Indigenen lag u n d dieser Berufsstand wenig b e schränkt wurde, so gab es dennoch Interventionen von Seiten der zentralen oder lokalen Macht bei der Organisation bestimmter Märkte. Beim Korn läßt sich kaum feststellen, inwieweit freier Handel herrschte oder Z w a n g durch den A n nonapräfekten bzw. seine Agenten ausgeübt w u r d e [Herz 213; Jacobsen 216, die von einer recht strengen Kontrolle ausgehen]. Auch die Städte könnten eingegriffen haben. Beim Salz deuten die Beziehungen zwischen salarti u n d Verwaltung [Will 311; AE 1973, 362; Raepsaet-Charlier 263] auf eine spezielle O r ganisation mit Verpachtung und Versteigerung der Produktion u n d Verkauf innerhalb der Städte hin. Ferner darf die zusätzliche Erweiterung, die die germanischen Provinzen für den Binnenmarkt darstellten, nicht unterschätzt oder als externe Ausbeutung gedeutet werden. Freilich kam es zu einer militärischen u n d zivilen Einwanderung, die die Bedingungen der Entwicklung deutlich veränderten, aber diese R e g i o n e n erlebten auch eine wirtschaftliche Prosperität [Kuhoff 219], von der auch die Indigenen profitierten, die gleicherma-
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ßen integriert und romanisiert waren, wie Epigraphik und Archäologie zeigen. D e r Erfolg der rheinischen Keramik (Rheinzabern) und des Glases (Köln), Produkte, die sehr wichtig auf dem britannischen Markt waren, und der Handel mit dem freien Germanien [Wolters 314; Fulford, in: 21, S. 8 1 - 9 5 ] sind hier wesentliche Faktoren. Das Beispiel der terra sigillata im gallisch-germanischen R a u m [Bémont/Jacob 132] zeigt die ökonomische Entwicklung dieser Provinzen sehr deutlich, auch wenn dieses Produkt im Vergleich zu den insgesamt umgeschlagenen Waren von begrenztem Wert war. Die Adaption der Werkstätten an das Gesetz von Angebot und Nachfrage, die der Umzug der Offizinen nach Norden zeigt (aus Italien nach Lyon um 10 v. Chr., aber vielleicht war der damalige Kontext eher militärisch [Germanenfeldzüge; Raepsaet-Charlier 258], d. h. der Umzug war obligatorisch), vor allem nach La Graufesenque und Südgallien unter Augustus, um allmählich während der Flavierzeit nach Lezoux und ins Zentrum zu wandern, später, zu Beginn des 2. Jh.s, nach Osten, an Maas, Mosel und R h e i n (Argonne, Trier, Rheinzabern), ebenso wie der Umfang der Exporte, die Größe der Absatzmärkte, die Struktur der Märkte mit einem spezialisierten Netz von indigenen Händlern (die negotiatores artis cretariae) [Raepsaet-Charlier 257] sind gute Indizien dafür, daß die galloromanische Wirtschaft ziemlich professionell war, wie im übrigen auch eine ganze R e i h e von Belegen daraufhindeuten, daß einzelne Männer reich werden und sozial aufsteigen konnten [S. 187f.]. Insgesamt — auch der institutionelle Prozeß der Munizipalisierung deutet in diese Richtung — erlebten Gallien und Germanien in der Hohen Kaiserzeit also ein wirtschaftliches Wachstum und einen sozialen Aufstieg, wobei es natürlich lokale Unterschiede beim Grad des Erfolges gab.
4. 6 Die Romanisierung A m Ende dieses kurzen Uberblicks über die Geschichte der gallischen und germanischen Provinzen stellt sich die Frage, wie weit diese R e g i o n e n romanisiert waren. Bisweilen liest man, die gallischen Provinzen (vielleicht mit Ausnahme der Narbonensis) seien niemals völlig mit den Prinzipien und Werten konform gegangen, die im Zentrum der römischen Kultur standen, d. h. vor allem mit der Urbanisierung, der Munizipalisierung und dem Aufstieg der Eliten in den Reichsadel. D i e Romanisierung sei nur teilweise erfolgt und die Integration in die römische Welt durch internen und externen Widerstand limitiert worden. Diese Vorstellung kann wohl revidiert werden. Denn wie gesehen, muß das regionale Ausmaß der materiellen Urbanisierung und institutionellen Munizipalisierung danach überprüft werden, wie unser archäologisches und epigraphisches Quellenmaterial zunimmt. Eine Siedlung wie Tongern, die man früher für rückständig und ärmlich hielt, stellte sich bei einer gründlichen Ausgrabung als eine vollwertige römische Stadt mit augusteischem Straßennetz, Mosaiken, religiöser Anlage im klassischem Stil und civitas-Status heraus. U n d wenn einige R e g i o n e n wie das Tal der Lys anscheinend einen ziemlich ruralen Charakter
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bewahrten, so zeigen Bavay oder Arras, daß man die städtische Entwicklung in Nordgallien nicht unterschätzen darf. Die Institutionen der römischen Stadt scheinen sich in den meisten gallisch-germanischen Gebieten verbreitet zu haben, negiert man nicht a priori die Belege hierfür, wie es bis vor kurzem häufig geschah. Der Erfolg der Stadt, die Durchdringungskraft der städtischen Zivilisation, kann kaum abgeschätzt werden, doch man kann sich vor der Folie der Zeitgeschichte fragen, ob bestimmte Provinzen mit prächtigen Städten nicht eine „Uberstädterung" wiederspiegeln, die keineswegs Zeichen einer erfolgreichen Integration ist. Die Interpretation der Zahl der Ritter und Senatoren, die aus unserem geographischen Raum stammen, ist problematisch. Wie oben gesagt, weist sie vielleicht darauf hin, daß der Reichtum über die Bevölkerungsschichten verteilt war (was auch die Entwicklung der sekundären Siedlungen anzudeuten scheint), aber es muß nochmals betont werden, daß die scheinbare Zahl der Angehörigen des Reichsadels möglicherweise stark durch das epigraphische Material verzerrt wird [S. 187]. Ein anderer Bereich, in dem Gallien einen Sonderweg beschritt, ist nach Meinung mancher Forscher die Religion gewesen, obwohl der Grad ihrer Romanisierung bis heute weitgehend unterschätzt wird. Hervorzuheben ist ferner die kulturelle und intellektuelle Entwicklung in Städten wie Marseille, Bordeaux, Trier oder Autun. Bemerkenswert ist auch, daß sich das Lateinische so sehr verwurzeln konnte, daß es später sogar die Eroberer zur Aufgabe ihrer germanischen Sprachen brachte. Daß das jahrhundertealte Mißtrauen der R ö m e r wegen des terror Gallicus dazu gefuhrt habe, daß die gallischen Provinzen stets eine Sonderrolle innerhalb des römischen Reiches einnahmen, ist eine Erfindung der Geschichtsschreibung. Man wollte so über die Jahrhunderte der römischen Epoche hinweg das Fortleben eines „Keltentums" behaupten und in den indigenen Traditionen eine Widerstandsbewegung gegen die R ö m e r erkennen. Natürlich gab es durchaus gallische Besonderheiten: die zurückhaltendere Epigraphik, die von den indigenen Namen geprägte Onomastik, den Gebrauch der leuga (und nicht der römischen Meile) als Straßenmaß, den besonders dynamischen Handel und die technischen Erfindungen — aber sind das wirklich Indizien für eine begrenzte Romanisierung? Sind diese Besonderheiten einschneidender als diejenigen, die man mutatis mutandis in jeder Kulturregion der römischen Welt finden kann? Die Romanisierung Galliens läßt sich durchaus als bewußte Integration ohne Verlust der Identität verstehen.
Bibliographie (Stand 1997) Spezialbibliographien Vor den 70ern erschienene Werke sind in den Literaturübersichten in A N R W (II. 3-5) erfaßt. In der Chronique gallo-romaine (erscheint in der R E A ) sammelte und besprach P.M. Duval, dann H. Lavagne Neuerscheinungen aus dem galloromanischen Bereich. Für archäologische Neufunde sind die verschiedenen regionalen und thematischen (wie die Chronique de ceramologie de la Gaule von C. Bémont, ebenfalls in R E A ) Berichte zu konsultieren, die in Fachzeitschriften und Jahrbüchern wie Archeologie de la Bourgogne oder
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Archäologie im Rheinland erscheinen. Eine komplette Liste solcher Zeitschriften findet sich in der Archäologischen Bibliographie oder in den Fasti archaeologici. Für Frankreich seien ferner zitiert: • Carte archéologique de la Gaule, Paris 193Iff. [nach Départements, derzeit unter der Leitung von M . Provost] • Guides archéologiques de la France, Paris 1984ff. [bislang erschienen: Alba, Alésia, Argentomagus, Arles, Autun, Bavay, Besançon, Bibracte, les Bolards, Glanum, Limoges, Narbonne, Nîmes, Orange, Saintes, Saint-Romain-en-Gal, Sanxay, Vaison-laRomaine, Bliesbrück-Reinheim). Quellen Eine komplettes R e p e r t o r i u m der historischen und literarischen Quellen bietet • Duval P.-M., La Gaule jusqu'au milieu du V e siècle, 2 Bde., Paris 1971. Ferner: • Klinghöfer H., Germania Latina. Sammlung literarischer, inschriftlicher und archäologischer Zeugnisse zur Geschichte und Kultur Westdeutschlands in der Römerzeit, Düsseldorf 1955. • Howald E. und E. Meyer, Die römische Schweiz. Texte und Inschriften, Zürich 1940. • Lerat L., La Gaule romaine, Paris 2 1986. [Wichtige Texte in frz. Ubersetzung mit Kommentaren] Inschriftensammlungen • Corpus Inscriptionum Latinarum, vol. XII (Narbonensis), Berlin 1888; vol. XIII (Drei Gallien und Germanien), Berlin 1899-1943; vol. XVII (Meilensteine), Berlin 1986. • Espérandieu E., Inscriptions latines de Gaule (Narbonnaise), Paris 1929. • Gascou J. und M. Janon, Inscriptions latines de Narbonnaise (ILN), I: Fréjus, Paris 1985. • Chastagnol Α., Inscriptions latines de Narbonnaise (ILN), II: Antibes, Riez, Digne, Paris 1992. • Wuilleumier P., Inscriptions latines des Trois Gaules (France), Paris 1963. • Fages Br. und L. Maurin, Inscriptions latines d'Aquitaine (ILA). Nitiobroges, Agen 1991. • Maurin L. u. a., Inscriptions latines d'Aquitaine (ILA). Santons, Bordeaux 1994. • R é m y B., Inscriptions latines d'Aquitaine (ILA). Vellaves, Bordeaux 1995. • R é m y B., Inscriptions latines d'Aquitaine (ILA). Arvernes, Bordeaux 1996. • Duval P.-M., Les inscriptions antiques de Paris, Paris 1961. • D e m a n A. und M . - T h . Raepsaet-Charlier, Les inscriptions latines de Belgique (ILB), Brüssel 1985. • Finke H., N e u e Inschriften, B R G K 17 (1927) 1-107, 198-231. • Nesselhauf H., N e u e Inschriften aus dem römischen Germanien und den angrenzenden Gebieten, B R G K 27 (1937) 51-134. • Nesselhauf H . und H . Lieb, Dritter Nachtrag zu CIL XIII. Inschriften aus den germanischen Provinzen und dem Treverergebiet, B R G K 40 (1959) 120-229. • Schillinger-Häfele U., Vierter Nachtrag zu CIL XIII und zweiter Nachtrag zu Fr. Vollmer, Inscriptiones Bavariae Romanae. Inschriften aus dem deutschen Teil der germanischen Provinzen und des Treverergebiets sowie Rätiens und Noricums, B R G K 58 (1977) 447-506.
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4 Gallien und Germanien
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5 Britannien Von Patricia Southern 5. 1 Quellen 5. 1. 1 Literarische Quellen Das literarische und dokumentarische Quellenmaterial über das römische Britannien ist umfangreich, aber über viele einzelne Texte verstreut und insgesamt bruchstückhaft. Britannien erhielt nur wenig Aufmerksamkeit von den griechischen und lateinischen Autoren der Antike, deren Berichte zudem von Vorurteilen und Mißverständnissen beeinträchtigt werden. Schon lange vor der Eroberung unter Claudius hatten die R ö m e r Zugang zu schriftlichen Informationen über Britannien: Caesar schrieb nieder, was er während seiner beiden Landungen von 55 und 54 v. Chr. gesehen und gehört hatte, und Strabon verwendete wenig später dessen Werk als Grundlage für die Britannien-Kapitel seiner Geographie. Nach der Eroberung von 43 n. Chr. nahm das Wissen langsam zu. 83 oder 84, nach der Entscheidungsschlacht in Schottland, umsegelte Agrícolas Flotte die ganze Insel und beendete damit Spekulationen über ihre Größe. Was man während dieser militärischen Expeditionen erfuhr, fand Eingang in die Geographie des Ptolemaios. Dieses Werk entstand erst um 150 n. Chr., doch seine Quellen über Britannien stammen zweifellos aus dem 1. Jh. n. Chr. Es handelt sich dabei um militärische Landvermessungen und das Werk des Marinos von Tyros [S. 422], der Agricola auf seinen Feldzügen begleitete. Ptolemaios scheint weder von der Hadriansmauer noch von der späteren Antoninusmauer in Schottland gehört zu haben, obwohl bereits beide Sperrmauern während der Abfassungszeit seiner Geographie existierten. Die Geographie, wie sie uns heute vorliegt, enthält keine Karte; sie besteht lediglich aus einer Liste von Orts- und Stammesnamen mit ihren jeweiligen Breiten- und Höhengraden, auf deren Grundlage sich dann Karten erstellen lassen. Eines der Hauptprobleme dabei ist, daß Ptolemaios Nordschottland um 90 Grad nach Osten dreht, was bei der Lokalisierung der genannten poleis beträchtliche Probleme verursacht. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, daß er das Wort polis für jeden aufgeführten Platz benutzt, so daß die Unterscheidung zwischen militärischen Anlagen und Zivilsiedlungen mitunter schwierig werden kann, wenn keine zusätzlichen Informationen aus anderen Quellen vorliegen. Solche zusätzlichen Informationen lassen sich manchmal offiziellen Dokumenten späterer Zeit entnehmen, wie etwa dem Itinerarium Antonini aus dem frühen 3. Jh., das fünfzehn größere Straßen in Britannien auflistet, kleinere Wege aber ignoriert. Für den Norden bleibt Ptolemaios die einzige Quelle, da das Itinerarium keine Angaben über Orte jenseits der Nordgrenze macht. Spätere
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Dokumente, wie etwa der Kosmograph von Ravenna oder die Tabula Peutingeriana, bringen für Britannien wenig: der Kosmograph, weil er lange nach der Aufgabe Britanniens schrieb und eine Vielzahl von Quellen verschiedener Zeit und Qualität verarbeitete, die Tabula, weil sie nur für die südöstliche Ecke Britanniens Ortsnamen und Weglängen angibt. Die einschlägigen Abschnitte der Notitia Dignitatum darf man nicht unberücksichtigt lassen, obwohl dieses Handbuch erst im 4. oder gar im 5. Jh. entstand. Die auf Britannien bezüglichen Informationen scheinen aus wesendich früherer Zeit zu stammen, vielleicht schon aus dem 3. Jh., und können bei vorsichtiger Verwendung die militärische Situation an einzelnen Plätzen und an den Grenzen erhellen. Von den Historikern sind Tacitus und Sueton die ergiebigsten Quellen für die Rekonstruktion und das Verständnis der frühen Ereignisgeschichte. Tacitus erhielt wahrscheinlich viele Informationen von seinem Schwiegervater, dem britannischen Statthalter Agricola, aber dies bürgt nicht automatisch für R i c h tigkeit und Genauigkeit seiner Angaben, und seine Werke informieren nur über die Anfänge römischer Herrschaft auf der Insel. Auch Sueton liefert nur Auskünfte bis zum Ende der Regierungszeit Domitians. So sind wir für das 2. und 3. Jahrhundert auf Cassius Dio und Herodian angewiesen. Beide sind Zeitzeugen für die Ereignisse unter der Severerdynastie, aber für die weiter zurückliegende Geschichte müssen sie auf andere, uns nicht erhaltene Historiker zurückgreifen. Viele Autoren erwähnen beiläufig Ereignisse in Britannien, ohne dem heutigen Leser wirklich Einsicht in die Geschicke der Provinz zu gewähren. Für weite Teile der römisch-britannischen Geschichte stehen uns überhaupt keine literarischen Quellen zur Verfügung, für andere dagegen besitzen wir überproportional viel Material. Das kann auch unerwünschte Folgen haben: So wurde etwa die Statthalterschaft Agrícolas überschätzt, weil uns Tacitus' Biographie überliefert ist und viele Ausgrabungen in Nordengland und Schottland seine Feldzüge dokumentieren. 5. 1. 1 . 2 Epigraphische Quellen Während literarische Quellen den allgemeinen Hintergrund liefern, ergänzen Inschriften die Details. Epigraphische Quellen sind insofern literarischen überlegen, als es sich bei einer Inschrift um ein zeitgenössisches Dokument handelt, das nicht von fehlerhaften Abschriften, retrospektiver Bewertung oder mangelndem Verständnis durch spätere Betrachter entstellt ist. Inschriften sind besonders wertvoll für die Erforschung der Geschichte einzelner Orte oder von Ortsgruppen und für die Sozialgeschichte. Grabsteine und Bauinschriften, Weihungen, Graffiti etc. bieten oft die einzigen Informationen, die überhaupt zur Verfügung stehen, denn die meisten Plätze finden sich in der antiken Literatur nicht ein einziges Mal erwähnt. Sämtliche Inschriften des römischen Britannien wurden gesammelt und in den einzelnen Faszikeln des Werkes Roman Inscriptions in Britain publiziert.
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Eine besonders wichtige Art von dokumentarischer Quelle, die irgendwo zwischen den Kategorien „literarisch" und „epigraphisch" einzuorden wäre, sind die Schreibtäfelchen aus dem Kastell Vindolanda/Chesterholm, südlich der Hadriansmauer in Northumberland gelegen. Während sie kaum etwas Bemerkenswertes zur politischen Geschichte beitragen, kann ihre Bedeutung für die Sozial- und Militärgeschichte nicht überschätzt werden. Bis heute wurden mehr als 250 Texte aus der Zeit zwischen 90 und 120 n. Chr. entdeckt, und die meisten von ihnen sind inzwischen analysiert, übersetzt und publiziert [Bowman, im Quellenteil der Bibliographie]. 5. 1. 1 . 3 Archäologische Quellen Weil die anderen Quellen oft dürftig sind, spielt die Archäologie in der römisch-britannischen Forschung eine besonders wichtige Rolle. Sie ist aber nicht die präziseste aller Quellengattungen, und obwohl während der letzten 20 Jahre die Zahl der Grabungen kontinuierlich zunahm, wachsen die Gesamtergebnisse nur langsam an und erfordern beständig Synthesen und Neubewertungen. Die Ausgrabungen konzentrierten sich bis in die 50er und 60er Jahre vor allem auf die Legionslager und Auxiliarkastelle oder auf die berühmten R ö m e r städte, wie etwa London, Colchester, St Albans, Bath, Wroxeter oder Silchester. Erst in letzter Zeit, nach einem radikalen Umdenken, wandte man sich verstärkt der vorrömischen Eisenzeit, den kleineren römisch-britannischen Siedlungen [Burnham/Wacher 123; Rodwell/Rowley 125], den Kastell-via [Sommer 127], den Gutshöfen der Eingeborenen und den Villen [La Bédoyère 138] zu. In städtischen Zentren kommt es häufig zu Notgrabungen, mitunter mit bedeutenden Ergebnissen: So wurde in London ein monumentales Gebäude entdeckt, das man wohl zu Recht als Statthalterpalast identifizierte [Millett 157, S. 90f.]. Die Luftbildarchäologie konnte zahlreiche bis dahin unbekannte Lokationen entdecken und hat auch an bereits erforschten Orten neue archäologische Strukturen aufgezeigt. Doch ohne Grabungen und datierendes Material bleibt die gleichzeitige Nutzung aller Plätze in einem gegebenen Gebiet ungewiß, und selbst bei erwiesener längerfristiger Nutzung kann man so keine Chronologie für die Abfolge der einzelnen Phasen aufstellen. Grabungen und Luftbildarchäologie haben die Erforschung des römischen Britannien wesentlich vorangebracht, so daß die Vorstellungen von der Geschichte der Provinz, wie man sie noch vor 40 Jahren hatte, mittlerweile als völlig überholt gelten:
5. 2 Militär- und Ereignisgeschichte 5. 2. 1 Eroberung und anfängliche Besiedlung Zur Zeit der römischen Eroberung wurde Britannien von keltischsprachigen Stämmen bewohnt, die man grob in mehrere Kulturgruppen einteilen kann. Für den Süden und Westen Englands war die sogenannte hill-fort-Kultur charak-
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teristisch. Die Menschen dieser Gebiete lebten in geschützten Erdumwallungen, die trotz ihres N a m e n s hill-forts keineswegs i m m e r auf Hügeln lagen. Sie besaßen wahrscheinlich eine zentralisierte Sozialorganisation, in der ein Häuptling oder König über eine dreifache Hierarchie aus Adelskriegern, Bauern u n d Handwerkern sowie zahlreichen Sklaven herrschte. O s t - u n d Zentralengland und Teile von Ostschottland w u r d e n von Menschen bewohnt, die in ungeschützten D ö r f e r n u n d Einzelgehöften lebten, während im N o r d e n und N o r d westen verstreute Güter die Regel waren, ohne daß sich soziale Abstufungen ausmachen ließen. Diese Unterschiede in der Organisation spiegeln die U n t e r schiede in Geographie, Klima und Stammeskultur wider. Daneben existierten auch kleinere Gruppen, die sich nicht unter diese Grobkategorien subsumieren lassen, so etwa die Pariser im ösdichen Yorkshire, aber es w ü r d e zu weit fuhren, hier aufj e d e n einzelnen Stamm im Britannien des Jahres 43 n. Chr. einzugehen. N u r im Süden Englands gab es eine zentralisierte Herrschaftsform und Geldwirtschaft, und ebendort befanden sich die wichtigsten Zentren fur den Handel über den Kanal [Cunliffe 16, 17; M a c r e a d y / T h o m p s o n 18]. Lange Zeit über teilten Archäologen die südbritannische Eisenzeit in drei chronologisch aufeinanderfolgende Kulturgruppen ein, die zeitlich mit der Hallstatt-, L a - T è n e - bzw. belgischen Zeit zusammenfielen und die sie einfachheitshalber Α, Β u n d C nannten. M a n glaubte, daß j e d e feststellbare Veränderung in der Lebensweise der britannischen Urbevölkerung durch neue Invasionswellen vom europäischen Kontinent ausgelöst worden sei. N a c h neuen Forschungen ist die Invasionshypothese heute v o m Tisch. D e r U m f a n g des archäologischen Materials hat massiv z u g e n o m m e n , und so k ö n n e n wir heute die Veränderungen in Südbritannien von ca. 600 v. Chr. bis zur Zeit der römischen Eroberungen viel genauer erfassen [Bradley 15]. Fraglos gab es Veränderungen während dieser sechs Jahrhunderte, aber man betrachtet sie heute als indigen und lokal und n i m m t an, daß Fortschritte in der sozialen u n d wirtschaftlichen Organisation sie bewirkt haben. Einflüsse v o m Kontinent wirkten wohl mit, aber nicht in F o r m des Zuzugs fremder G r u p p e n v o m europäischen Festland. Das Augenmerk der Archäologen liegt n u n m e h r auf den wirtschaftlichen und kulturellen Verbindungen zwischen Britannien und dem Kontinent w ä h rend der Eisenzeit. Caesars britannische Invasionen von 55 u n d 54 v. Chr. hatten kaum Einfluß auf die weitere Entwicklung der Insel, da es weder zu permanenten römischen Posten n o c h gar zur Annektierung Britanniens kam. So bemerkenswert sie sind, gehören diese beiden Episoden eher zur Geschichte von C. Iulius Caesar als zu der des römischen Britannien. Erst knapp ein Jahrhundert nach Caesars Invasionen landete wieder ein römisches H e e r auf Britannien. Strabon berichtet, daß britannische Könige gelegentlich Gesandtschaften nach R o m schickten, und Augustus könnte durchaus N u t z e n aus dem Bittgesuch des Atrebatenkönigs Tincommius gezogen haben [R. Gest. 32]. Aber Augustus u n t e r n a h m keine Invasion der Insel. Strabon erklärt, daß es keinen G r u n d für eine Annektierung Britanniens gab, da alle W ü n s c h e R o m s schon so, ohne die kostspielige Statio-
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nierung einer Armee, befriedigt würden. Das archäologische Material belegt umfangreichen Handel zwischen Britannien und den gallischen Häfen, wie ihn schon Caesar beschrieben hatte [Gall. 5. 13]. Italische Amphoren, die einige Zeit vor die claudische Eroberung datieren, wurden nördlich wie südlich der Themse gefunden, und in den Gräbern britannischer Häuptlinge trifft man häufig auf römische Luxusgüter. Grabungen in Hengistbury Head (Dorset) förderten ein großes eisenzeitliches Handelszentrum zu Tage, das Zinn, Eisen, Kupfer und Silber aus Wales, Cornwall und den Mendips über den Kanal exportierte. Der Umschlag weniger haltbarer Güter wie Leder und der archäologisch nicht nachweisbare, aber von Strabon belegte Sklavenhandel wurden zweifellos ebenfalls über Hengistbury abgewickelt [Cunliffe 16; Potter/Johns 7, S. 26ff.]. U n mittelbar vor der Invasion von 43 n. Chr. scheint Hengistbury seine Bedeutung als Handelszentrum an die Häfen von Essex und Südostbritannien verloren zu haben. Vielleicht zum Schutz dieses Handels beschloß Claudius die Landung von 43 n. Chr. Der offizielle Vorwand war ein Hilfeersuchen des Verica, des vertriebenen Königs der Atrebaten, der um Wiedereinsetzung bat. Das kann aber nicht der einzige Grund für die Eroberung gewesen sein. Verica wurde nämlich nicht restauriert, ja, wir hören nicht einmal mehr von ihm. Man hat diverse andere Gründe für Claudius' Invasion vorgebracht, ζ. B. den Zwang, militärischen R u h m zur Festigung seiner Herrschaft zu erwerben. Das mag eine wichtige Rolle bei Claudius' Planungen gespielt haben, doch wirtschaftliche Faktoren scheinen gleichfalls bedeutsam gewesen zu sein. Claudius hatte von Caligula eine bankrotte Staatskasse und hohe Schulden geerbt. Vericas Vertreibung wurde möglicherweise durch ein romfeindliches Element in seinem Königreich veranlaßt, das die wichtigen Handelsbeziehungen hätte gefährden können. Neben Zinn, Eisen, Kupfer und Silber besaß Britannien zweifellos weitere reale oder potentielle Reichtümer, die die R ö m e r auszubeuten hofften. Sklaven, Felle und Jagdhunde werden in den literarischen Quellen zwischen dem 1. und dem 4. Jh. beiläufig erwähnt, und die landwirtschaftliche Fruchtbarkeit belegen regelmäßige Kornausfuhren ins Rheinland [Amm. 18. 2. 3; Lib. or. 18. 82f.]. Die Metallerze waren aus Claudius' Sicht wohl die interessantesten Produkte. Es wird kein Zufall sein, daß die R ö m e r schon drei oder vier Jahre nach ihrer Ankunft Blei in den Mendips förderten. Wenig später bauten sie auch in den M i nen der Pennines Blei ab. Mit der Nutzung der Goldmine von Dolaucothi (Dyfed, Wales) wurde ebenfalls so schnell wie möglich begonnen. Die römische Invasion begann unter keinen guten Vorzeichen. Die Soldaten, die zum größten Teil vom Rhein gekommen waren, hatten offensichtlich wenig Lust, die bekannte Welt zu verlassen, und so mußte eine Meuterei niedergeschlagen werden, ehe die Schiffe in See stechen konnten. Schließlich schiffte sich Aulus Plautius, zuvor pannonischer Statthalter, in Boulogne mit vier Legionen ein, der II Augusta, der IX Hispana, der XIV Gemina und der X X (diese mußte sich ihre zukünftigen Ehrentitel — Valeria Victrix - erst noch während des Boudicca-Aufstands zwanzig Jahre später verdienen). Begleitet wurden sie von
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einer unbekannten Zahl von Auxiliartruppen. Heutige Schätzungen der Gesamtgröße des Invasionsheeres belaufen sich auf etwa 40 000 Mann, doch ist diese Zahl an keiner Stelle wirklich belegt. Die römische Invasionsflotte landete wahrscheinlich in Richborough, wo man die Verteidigungsanlagen eines Brückenkopfes und die Getreidespeicher einer Versorgungsbasis nachgewiesen hat. Da aber nicht das ganze Heer in dieser Basis untergebracht werden konnte, wurden weitere, bislang noch unentdeckte Landungsorte postuliert. Die Britannier zogen sich in die Wälder und Sümpfe zurück, und es folgte eine kurze aktionslose Zeitspanne. Letztendlich bekam es Plautius mit zwei britannischen Anfuhrern zu tun, Caratacus und Togodumnus, die er aber einzeln schlagen konnte. Während es Caratacus gelang, sich nach Wales absetzen, wurde Togodumnus getötet. Es folgte eine zweitägige Schlacht am Fluß Medway, die mit der Flucht der Britannier über die Themse endete. Nunmehr rief Plautius Kaiser Claudius, der mit einem Gefolge von Senatoren, amici und Elefanten (um die Eingeborenen zu beeindrucken) eintraf. Claudius wollte sich seinen Anteil am Kriegsruhm sichern, und sein Feldzug sollte ebensosehr auf die Senatoren wie auf die Britannier wirken. Gegen Ende der ersten Kampagne fiel die wichtige Stadt Camulodunum (Colchester) an die Römer. London war noch kein wichtiger Platz, doch die R ö m e r legten dort um 49 (jedenfalls kurze Zeit nach ihrem Eintreffen) eine Stadt an. Eilig wurde eine Festung in Colchester gebaut und wahrscheinlich mit einigen Auxiliartruppen und einem Teil der legio XX belegt. Für die nächste Etappe der Eroberung schwärmten die Legionen nach Norden und Westen aus. Vor einigen Jahren wurde die Vermutung geäußert, die R ö m e r wollten ursprünglich nur den Südosten Britanniens, nämlich das Territorium hinter dem Fosse Way, erobern. Militärposten säumten diese Straße von Exeter nach Lincoln und verliehen ihr durchaus den Charakter einer Grenze. Dies führte zur vehement vortretenen, aber verfehlten Behauptung, der Fosse Way sei ein früher limes gewesen. In dieser Epoche war dem römischen Oberkommando die Idee einer Grenze noch reichlich fremd. Es wäre ein Anachronismus, den Fosse Way als limes aufzufassen. Den Vormarsch der Legionen während dieser ersten Feldzüge kann man fast nur archäologisch verfolgen [Webster 31, 32, 33]. Die Epigraphik läßt uns so gut wie ganz im Stich, und die Texte sprechen vage von Gefechten, bleiben aber die Ortsnamen schuldig. Ursprünglich rückte die legio IX Hispana an der Ostseite des Landes vor und kam schließlich in Lincoln an, wo irgendwann nach 60 n. Chr. ein Legionslager errichtet wurde. Die Bewegungen der IX Hispana auf ihrem Weg nach Norden können nicht genau dokumentiert werden. Die Luftbildarchäologie entdeckte eine Reihe von frühen Lagern, von denen das bekannteste Longthorpe bei Peterborough ist. Als es sich aber herausstellte, daß es sich dabei um ein Vexillationslager handelte, mußte die These, daß Legionen im Felde als ganze Einheit marschierten und operierten, korrigiert werden. Bald wurde klar, daß Longthorpe ein typischer Vertreter einer ganzen Reihe von Lagern ist, von denen man in Britannien bald mehr entdeckte. Longthorpe war zu
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klein für eine ganze Legion, könnte aber einer gemischen Legions- und Auxiliartruppe als Unterkunft gedient haben, die während der Eroberung der Provinz zeitweise als Kampfverbund operierte. Nach dem Zeugnis der literarischen Quellen richtete sich der römische Vorstoß hauptsächlich nach Westen, gegen Wales. Dies wird von der Archäologie bestätigt. Die legio II Augusta unter ihrem Legaten T. Flavius Vespasianus unterwarf das Gebiet der hill-forts in Südbritannien. Neben Suetons Vespasianbiographie, laut der mehr als zwanzig Oppida erobert wurden, besitzen wir die Ergebnisse der Grabungen vom britannischen hill-fort von Maiden Castle (Dorset), wo man die hastig verscharrten Skelette von Männern, Frauen und Kindern entdeckte. Die meisten hatten Kopfverletzungen erlitten, einem Mann steckte noch ein Ballistabolzen in der Wirbelsäule. Eine erneute Untersuchung der Grabbeigaben hat Hinweise erbracht, daß die Gebeine vielleicht doch nicht in die Zeit der ersten Eroberung gehören, aber die Assoziation mit Vespasian und dem Vorstoß nach Westen ist wohl kaum aus der Welt zu schaffen. Weniger Zweifel besteht an der Frühdatierung (44 n. Chr.) eines römischen Forts, das innerhalb der ursprünglichen Umwallung von Hod Hill errichtet wurde. Hier könnte ein gemischter Legions- und Auxiliarverband gelegen haben. Mit Sicherheit gibt es noch mehr Marschlager, Forts und Vexillationskastelle, die erst noch entdeckt werden müssen und dann über den Verbleib der II Augusta vor ihrer Ankunft im Legionslager Exeter (wohl 55 n. Chr. oder kurz davor gebaut) Aufschluß geben können. Ebenso fand die XIV Gemina irgendwann zwischen 55 und 60 n. Chr. in ihr Lager in Wroxeter. Die Marschlager, die sie auf ihrem Weg aufschlug, sind noch unentdeckt. Der zweite Statthalter der neuen Provinz, Ostorius Scapula, fand sich bald in einen Zweifrontenkrieg verwickelt [Webster 33]. Er drang über den Fosse Way vor, u m gegen Caratacus vorzugehen, der aus der ersten Schlacht gegen Plautius hatte fliehen können. In der Zwischenzeit erhoben sich die Izener, was nicht mit dem späteren und wesentlich gefährlicheren Boudicca-Aufstand verwechselt werden darf. Zu diesem ersten Aufstand kam es wahrscheinlich durch die übereifrige Art und Weise, in der die R ö m e r die Eingeborenen entwaffneten. Scapula dachte wohl, daß anschließend keine Gefahr mehr im Rücken drohen würde, aber das war ein Fehler. In gleicher Vermessenheit hatten die R ö m e r auch die Germanen im Vorfeld der Värus-Katastrophe unterschätzt. Sowohl gegen Caratacus als auch gegen die Izener blieben die R ö m e r erfolgreich [Webster 34]. Caratacus konnte zwar wieder entkommen, diesmal nach Norden, wo er bei der Brigantenkönigin Cartimandua um Zuflucht bat. Doch sie wollte keine Aufstandsbewegung in ihrem eigenen Reich auslösen und lieferte ihn deshalb den R ö m e r n und damit lebenslanger Haft aus. Man nimmt gewöhnlich ohne zuverlässige Belege an, daß Cartimandua als Vasallin der R ö m e r einen Pufferstaat zwischen der neuen Provinz und Schottland regiert habe [Richmond 46]. Gewiß ist jedenfalls, daß die R ö m e r nicht in ihr Gebiet vordrangen, bis in flavischer Zeit eine Rebellion unter Führung ihres Gatten sie aus ihrem Reich vertrieb.
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In den Jahren 49-50 kam es zu Veränderungen in der Truppenbelegung der Provinz. Die legio XX verließ Colchester und ließ dort eine Veteranenkolonie zurück, und Scapula bereitete den Vormarsch nach Südwales zur Unterwerfung der Siluren vor. Ehe er viel erreichen konnte, starb er 52 im Amt. Der nächste Statthalter, Didius Gallus, scheint wenig bewirkt zu haben, außer daß er den Status quo in Wales hielt und nicht näher bekannte Aktivitäten im Norden entfaltete. Die unklare Lage, die nach Claudius' Tod und Neros Amtsantritt herrschte, könnte seine Lethargie erklären. Man hat gemeint, daß Nero zu Beginn seiner Herrschaft den Vormarsch in Britannien beenden oder die Insel gar ganz aufgeben wollte (wie Sueton [Nero 18] andeutet), aber es ist wesentlich wahrscheinlicher, daß der Rückzugsgedanke in die Zeit nach dem BoudiccaAufstand gehört. Neuer Schwung kam 57 mit Quintus Veranius, der erfolgreich gegen die Siluren kämpfte, ehe auch er im Amt verstarb. Uber Veranius' Feldzüge wissen wir fast gar nichts, aber offensichtlich waren die Siluren soweit unterworfen, daß Suetonius sich Nordwales zuwenden konnte, als er 58 eintraf. Er besaß große Erfahrung im Bergkrieg, die er sich in Nordafrika erworben hatte. Tacitus [ann. 14. 30] beschreibt die Entscheidungsschlacht auf Anglesey, der wichtigsten Bastion der Druiden. Lager und Befestigungen, die von den Feldzügen des Suetonius stammen, sind nicht sehr zahlreich, nicht zuletzt deshalb, weil der Boudicca-Aufstand ihn von der Konsolidierung seiner Eroberungen abhielt. Die große Basis von Rhyn Park (bei Chirk) gehörte wohl Suetonius'Armee. Sie ist älter als das Legionslager von Chester und liegt an hervorragender Position für einen Angriff auf Nordwales.
5. 2. 2 Der Boudicca-Aufstand Als der Izenerkönig Prasutagus im Jahr 60 oder 61 verstarb, dachte er wohl, er könne sein Volk schützen, indem die eine Hälfte seines Reiches R o m , die andere aber Boudicca und den beiden gemeinsamen Töchtern vermachte [Webster 30]. Tacitus und Cassius Dio erzählen aus römischer Sicht, was schief lief; den britannischen Standpunkt können wir nur erschließen. Anscheinend war der Prokurator Catus Decianus bei der Eintreibung des römischen Erbes übereifrig, und als Boudicca protestierte, wurde sie von den Soldaten geschlagen und ihre Töchter vergewaltigt. Da brach bei den Izenern die angestaute Frustration über die Erniedrigungen der letzten 20 Jahre durch. Auch ihre Nachbarn, die Trinovanten, erhoben sich; Teile ihres Stammeslandes waren während der Ansiedlung von Veteranen der 20. Legion enteignet worden. Cassius Dio [62. 2] nennt einen weiteren Faktor, nämlich daß die Britannier hohe Schulden bei einem römischen Geldverleiher hatten: Ausgerechnet bei dem ansonsten so aufrechten und untadeligen Seneca! Er forderte sein Geld plötzlich zurück und brachte damit die Eingeborenen in eine Lage, in der sie durch den Aufstand nichts zu verlieren und durch einen möglichen Erfolg alles zu gewinnen hatten. Der Zeitpunkt für die Rebellion hätte nicht besser gewählt sein können. Suetonius und mit ihm wahrscheinlich die Hauptmasse des Heeres war 250
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Meilen weit w e g in Nordwales. Catus Decianus entsandte lediglich 200 Soldaten, wohl alle, die er entbehren konnte, u m die vermeintlich kleinere U n r u h e unter den Izenern niederzuschlagen. Er w u r d e schnell eines Besseren belehrt u n d entfloh nach Gallien. Colchester ging in Flammen auf, während die Veteranen der 20. Legion bis zum letzten M a n n im neu erbauten Tempel des Claudius kämpften. Colchester w u r d e so gründlich vernichtet, daß jede Grabung im Zentralgebiet Spuren eines großen Brandes nachweist. Irgendwann versuchte Petillius Cerialis, Legat der 9. Legion, den Krieg zu beenden, doch ihm standen zu wenig Leute zur Verfügung, u n d er verlor im Gefecht seine ganze Infanterie. I h m selbst gelang mit einigen R e i t e r n die Flucht, und ihm blieb nur die R ü c k kehr zu seiner Basis, wahrscheinlich Longthorpe. Suetonius erhielt über die Katastrophe Nachricht, als er in Nordwales gerade zum Gnadenstreich aushob. Er brach unverzüglich auf, eilte mit der Reiterei nach London und ließ die Infanterie nachrücken. D o c h in Anbetracht der Lage m u ß t e er die zwar harte, aber militärisch richtige Entscheidung fallen, L o n d o n aufzugeben und sich zu den anrückenden Legionen zurückzuziehen. Hinter ihm wurden London und St Albans/Verulamium so gründlich wie Colchester zerstört. Das grausige Schicksal der E i n w o h n e r läßt sich bei Tacitus und Cassius D i o nachlesen. Suetonius wollte alle Truppen sammeln u n d rief so die legio II Augusta aus ihrem Lager im Südwesten, aber ihr provisorischer Kommandant, der praefectus castrorum Poenius Postumus, verweigerte den Abmarsch. Folglich m u ß t e Suetonius mit einer unvollständigen A r m e e eine verzweifelte Schlacht gegen die Scharen der Izener u n d Trinovanten an unbekannter Stelle in den Midlands schlagen. Boudicca w u r d e getötet oder n a h m Gift, es siegte jedenfalls R o m . Poenius Postumus beging Selbstmord. D a n n begannen die Repressalien gegen die Eingeborenen. Suetonius verhängte gegen den Widerstand des neuen Prokurators Iulius Classicianus sehr harte Strafen. Schließlich berief man Suetonius unter dem Vorwand, er hätte den Verlust einiger Schiffe verschuldet, taktvoll ab. Er w u r d e mit allen Ehren empfangen und machte einige Jahre später, im B ü r gerkrieg des Jahres 69, wieder von sich reden. Classicianus u n d der nächste Statthalter, Petronius Turpilianus, b e m ü h t e n sich gemeinsam u m den Wiederaufbau. Keiner von beiden war Militär, u n d so gab es während der nächsten zwei Dekaden keine territorialen Gewinne, bis schließlich die flavischen Kaiser ihre Aufmerksamkeit Britannien zuwenden konnten. Der Wiederaufbau brauchte seine Zeit. M a n sandte 2000 M a n n aus Germanien, u m die dezimierten Einheiten Britanniens zu ergänzen, aber wir wissen weder, w o diese Einheiten Quartier bezogen, noch, wie die A r m e e in der Zeit nach dem Boudicca-Aufstand agierte. Colchesters Wiederaufbau ging nur langsam vonstatten, und die Grabungen lassen vermuten, daß Verulamium rund 15 Jahre stagnierte, ehe man den Schaden repariert hatte. London w u r d e Verwaltungszentrum. Da sich Classicianus' prächtiger Grabstein [RIB 12] in L o n d o n fand, könnte diese Stadt durchaus der Sitz des Prokurators, w e n n nicht des Statthalters, gewesen sein. Britannien verdankte seinen künftigen Wohlstand
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auch Classicianus, Petronius Turpilianus und dem nächsten Statthalters, Trebellius Maximus, der von 63 bis 6 8 / 9 die Provinz verwaltete. Leider wissen wir so gut wie gar nichts über ihre Aktivitäten, Texte wie Grabungen lassen uns im Stich. Einen gewissen Hinweis auf ihren Erfolg stellt die Tatsache dar, daß die Provinz so friedlich war, daß die 14. Legion 66/7 aus Britannien abberufen werden konnte und daß zwei Jahre später kein britannischer Stamm das Chaos von 6 8 / 9 für eine weitere Rebellion zu nutzen versuchte. Während des Bürgerkriegs zwang Roscius Coelius, der kriegerische Legat der 20. Legion, den Statthalter Trebellius Maximus zum Verlassen der Provinz. In der Zwischenzeit wurde die Provinz von einem Legionärskommitee verwaltet, das 8 000 Mann aus allen drei Legionen für Vitellius entsandte. Als der nächste Statthalter, Vettius Bolanus, eintraf, gab es kleinere U n r u h e n im Norden. Die Brigantenkönigin Cartimandua mußte gerettet werden, als ihr Gatte Venu tius sie aus ihrem Reich vertrieb. Nach Tacitus [hist. 3. 45] blieb Venutius der Thron, den R ö m e r n dagegen nur der Krieg. Aber dies war keine Revolte gegen R o m im engeren Sinne. Es handelte sich u m einen internen Konflikt, den die R ö m e r schnell für sich nutzten, sobald einmal der Bürgerkrieg geendet hatte [Higham 44; Branigan 41; R i c h m o n d 46].
5 . 2 . 3 Die Eroberung von Wales und Nordbritannien Die Quellen für diese Eroberungsphase sind dünn. Die Literatur wird fast ausschließlich durch Tacitus vertreten, und seine Angaben lassen sich nur schwer mit dem archäologischen Material zusammenbringen. Tacitus betont die Erfolge seines Schwiegervaters Agricola sehr stark, so daß die Leistungen der beiden vorherigen Statthalter, Cerialis' im Norden (71-73/4) und Frontins in Wales (73/4-77/8), vielleicht absichtlich geschmälert wurden, um Agricola u m so glanzvoller erscheinen zu lassen. Vespasians neuer Statthalter im Jahr 71 war Petillius Cerialis, der vielleicht sein Schwiegersohn war und in jeden Fall zur Flavierpartei gehörte. Er besaß die Qualifikation, als Legionslegat der IX Hispana in Britannien gedient zu haben. Zusammen mit ihm traf eine weitere Legion, die II Adiutrix ein, die in Lincoln zurückblieb, während die alte Legion Lincolns Cerialis auf seinen Nordfeldzügen begleitete [Breeze/Dobson 42]. Er selbst bezog York als Basis, das wenig später Lincoln als Legionslager ablösen sollte. Die Marschlager des Stainmore Pass (entlang der heutigen A 66) markieren die Trasse seines Zugs in nordwestlicher Richtung durch das Brigantenland. Das Lager von R e y Cross ist älter als die römische Straße, und andere Lager sind von ähnlicher Größe und Anlage, so daß man sie für zeitgleich hält. Das Bauholz des ältesten Forts von Carlisle wurde auf etwa 7 3 / 4 datiert. Dies bestätigen auch Münzfunde, Carlisle geht also mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf Cerialis zurück. Möglicherweise führte die Verfolgung der Briganten unter Venutius die R ö m e r über Carlisle hinaus nach Südschottland, wo man derart viele Marschlager entdeckte, daß sie unmöglich alle aus den sechs Schottlandkampagnen Agrícolas stammen
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können. Diese aktuelle T h e o r i e hat die alte Vermutung abgelöst, daß Cerialis beim hill-fort Stanwick (bei Richmond/Yorkshire) auf Venutius u n d seine Briganten traf. Als Sir M o r t i m e r Wheeler dieses hill-fort ergrub, sah es so aus, als wäre es schrittweise vergrößert worden, u m die anwachsenden britannischen Truppen aufnehmen zu können, die sich im Z e n t r u m des Brigantengebiets versammelten. D o c h eine neuerliche Durchsicht des Materials hat diese These auf den Kopf gestellt: M a n geht heute davon aus, daß die Verteidigungsanlagen von Stanwick in ihrer größten Ausdehnung nicht zu verteidigen waren, weswegen das hill-fort verkleinert wurde. Auch der Kontext war wohl ein anderer. Alles übrige an Cerialis' Nordkrieg bleibt im dunkeln, außer daß er laut Tacitus sehr blutig war. Bezeichnend ist jedenfalls, daß Frontin in Wales aktiv sein konnte, ohne von größeren Zwischenfälle im N o r d e n gestört zu werden. Wichtiger noch ist, daß Agricola bei seinem Eintreffen sehr schnell Schottland betreten konnte. All dies weißt d a r a u f h i n , daß Cerialis' Vorgehen vielleicht außerordentlich brutal, jedenfalls aber effizient war: Nordbritannien war entweder unterworfen und friedlich, oder aber weitgehend entvölkert [Hartley 43]. Frontins Silurenkrieg in Südwales ist die am schlechtesten überlieferte Militäroperation in den 70er Jahren [Jarrett 36]. Frontin ist besser bekannt als Autor von Werken über Kriegslisten u n d die Wasserversorgung R o m s , die j e d o c h keinerlei Informationen über seine britannische Statthalterschaft enthalten. Die Siluren waren 20 Jahre früher besiegt worden. Dieser neuerliche Krieg w u r d e also vermutlich von einer anderen Generation getragen, die mit Bitterkeit an die U n t e r w e r f u n g ihrer Väter dachte. Ursache und Verlauf des Krieges sind völlig unbekannt. Wahrscheinlich legte Frontin die beiden Legionslager Caerleon und Chester an, die günstig für die Ü b e r w a c h u n g sowohl Britanniens als auch Wales' liegen [Nash/Williams 40, S. 29-42]. Bedauerlicherweise gibt es dort keine B e lege fur Baumaßnahmen unter Frontin. Gleichwohl n i m m t man an, daß Agricola nur noch das von seinem Vorgänger begonnene Werk vollenden mußte. Ebenso geht man davon aus, daß Frontin oder seine Untergebenen in Lancashire u n d Yorkshire aktiv waren, u n d sei es nur zur Konsolidierung der Eroberungen von Cerialis, aber sichere Beweise fehlen.
5. 2. 4 Agricola und Schottland O h n e Tacitus' Berichte in den Annalen u n d vor allem im Agricola gäbe es nur wenige Belege dafür, daß Agricola überhaupt in Britannien war. N e b e n einer knappen Notiz bei Cassius D i o [66. 20. If.] sind dies zwei gestempelte Bleiröhren aus dem Lager Chester und eine unvollständige Inschrift aus Verulamium. Archäologisch läßt sich zwar nachweisen, daß die römische A r m e e im 1. Jh. in Schottland agierte, aber für den Verlauf der Feldzüge sind wir auf Tacitus angewiesen. Wann Agricola in Britannien ankam - 77 oder 78 -, steht nicht fest. Einige Gelehrte bevorzugen das frühere D a t u m , weil es dann einfacher ist, die kaiserliche Politik mit den Vorstößen und R u h e p e r i o d e n von Agrícolas A r m e e in Schottland zur D e c k u n g zu bringen. Beispielsweise hing Titus' 15. Akklama-
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tion zum Imperator laut Dio mit Ereignissen in Britannien zusammen. Wenn die Frühdatierung richtig ist und Agricola 77 seinen Posten antrat, dann muß es sich bei diesem britannischen Ereignis um den Vormarsch bis zum Fluß Tay handeln, der in der dritten Feldzugssaison erfolgte; die zweite Kampagne kann keinen ähnlich bedeutenden Erfolg aufweisen [Hanson 50, S. 107]. Agrícolas erste Feldzugssaison war kurz, da er im Spätsommer eintraf. Er widmete sich sofort den Unruhen in Nordwales und zog gegen die Ordoviker, die eine römische Reitereinheit vernichtet hatten. Wohin er im nächsten Jahr vorstieß, ist aufgrund der unzureichenden Quellen unklar, man hat Lancashire, den Lake District und Südschottland vorgeschlagen. Tacitus berichtet über die dritte Kampagne ausfuhrlicher, als die Armee den Tay/Tavum erreichte. Am Ende der Saison blieb noch Zeit zur Errichtung einiger Kastelle. Agricola widmete seine vierte Saison der Konsolidierung des Erreichten und baute Forts {praesidia) in dem schmalen Streifen zwischen den Flüssen Clyde/Clota und Forth/Bodotria. Im fünften Jahr gab es eine Schiffsexpedition. Die sechste und siebte Kampagne führten zur Schlacht beim Möns Graupius, der bis heute nicht zuverlässig identifiziert ist und über dessen Lokalisierung viel Tinte vergossen wurde [Maxwell 52]. Dies ist das Gerüst der schottischen Feldzüge. Nur ganz selten können die archäologischen Befunde erfolgreich mit den literarischen Angaben in Einklang gebracht werden. Es steht fest, daß das erste Fort Corbridge (Corbridge-Red House) als Versorgungslager für den Vorstoß nach Schottland errichtet wurde. Vermutlich gab es entsprechende Speicher auch in Carlisle, das günstig lag und per Schiff hätte versorgt werden können. Belege gibt es allerdings keine. In Südschottland gehören große Forts wie Castledykes, Dalswinton und das bedeutende Newstead mit ihren ungewöhnlichen Toranlagen [Curie 48] wahrscheinlich in die frühen Jahre der flavischen Expansion. Die zahlreichen Marschlager kann man keiner bestimmten Phase der Kriege zuordnen, weil es an sicheren Datierungshilfen in diesen nur kurzzeitig bewohnten Anlagen fehlt. Agricola war nur der erste in einer Reihe von Feldherrn, die Schottland angriffen, und jede Armee pflegte Lager bei Einmarsch und Rückzug anzulegen. Die Suche nach den praesidia zwischen Forth und Clyde war nur teilweise erfolgreich. Eine unerwartete Entdeckung war das Fort Elginhaugh, südosdich von Edinburgh. Seine Besatzung bestand wohl aus einer gemischten Kavallerieund Infanterieabteilung von etwa 800 Mann, die aus mehreren Auxiliareinheiten abkommandiert waren [Hanson 50, S. 99, 108]. Trotz seiner Lage südlich des Forth nimmt man an, daß es während der vierten Kampagne entstanden sein muß. Funde belegen, daß die Soldaten mit allen notwendigen Gegenständen ausgerüstet waren und sogar über Luxusgüter verfugten. Es handelte sich bei ihnen also nicht um Teilnehmer eines kleineren und kurzen Feldzugs, auf dem nur wenig Gepäck mitgeführt worden wäre. Nördlich der Forth-Clyde-Landenge sollten Lager und Forts die Fife-Halbinsel absperren. Eine Reihe anderer Befestigungen lag an den südlichen Ausgängen der Täler, die von Strathmore in die Highlands führen. Lager (aber
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keine Forts) umschließen etwas weiter im Norden die Highlands, aber sie hören vor Inverness und dem Moray Firth auf. Einige Archäologen vermuteten, daß diese Region von den Römern besetzt wurde, weil dies aus strategischer Sicht recht sinnvoll gewesen wäre. Doch konnten bislang keine entsprechenden Belege beigebracht werden. Es gibt auch eine große Kontroverse darüber, wer eigentlich die Forts an den Ausgängen der Täler errichtet hat. Manche meinen, daß sich Agricola nicht mit dem Bau von Kastellen aufgehalten habe, solange er noch kämpfen mußte; andere vermuten, daß er die Täler abgesperrt habe, ehe er die britannischen Stämme zur Schlacht zwang, um sie daran zu hindern, hinter ihm die Highlands zu verlassen, während er durch Strathmore zog. Das Legionslager Inchtuthil [Pitts/St Joseph 54], das das Tal des Tays beherrschte, wurde noch vor seiner Fertigstellung aufgegeben und planmäßig abgebrochen. Manche sahen darin einen Beweis dafür, daß dieses Lager nicht auf Agrícolas Konto gehen könne und vielmehr von einem unbekannten Nachfolger angelegt worden sein müsse. Das Ganze wird noch schwieriger aufgrund der Tatsache, daß es an nahezu allen bewachten Talausgängen sowohl Lager als auch Forts gibt. Zu ihnen gehört das wichtige Lager Stracathro, nach dem eine Reihe ähnlicher Lager, deren Eingänge ebenfalls durch eine Clavicula gesichert sind, benannt werden. Eine Clavicula entsteht durch die bogenförmige Verlängerung von Graben und Mauer auf einer Seite des Tores. Sie zwingt den Angreifer, seine rechte, nicht schildgedeckte Seite den Fernwaffen der Verteidiger auszusetzen. Diese Art von Lager findet sich völlig ungleichmäßig über ganz Nordbritannien verteilt. Man kann die Lager vom Stracathro-Typ keinem bestimmten Feldzug zuschreiben, auch nicht dem des Agricola. Tacitus [hist. 1. 2] stellt verbittert fest, daß Britannien unterworfen und dann sofort wieder von Domitian losgelassen worden sei. Man vermutete dahinter eine Ubertreibung zur Diskreditierung Domitians und glaubte, daß der an sich unbestrittene Rückzug der Römer aus Schottland etappenweise über eine längere Zeit erfolgte. Die Wachtürme entlang der Gask Ridge auf der Westseite der Fife-Halbinsel, die sich mit den Türmen der germanischen Grenze vergleichen lassen, sollten in die Rückzugsphase gehören und die nördlichste Ausdehnung des römischen Territoriums markieren. Die Forts Ardoch, Strageath [Frere/Wilkes 49] und Bertha hätten sie unterstützt. Es gab während der flavischen Besetzung von Ardoch und Strageath zwei Phasen, was an Änderungen in der Truppenbelegung denken ließ, die mit den einzelnen Etappen des Rückzugs in Zusammenhang hätten stehen können. Die Theorie vom langsamen Rückzug hat immer noch ihre Anhänger, doch eine Untersuchung der Münzfunde scheint Tacitus darin zu bestätigen, daß die schottischen Eroberungen tatsächlich in sehr kurzer Zeit aufgegeben wurden. Die Bronzeprägung von 86 und 87 stellt den Schlüssel zu diesem Problem dar. In diesen beiden Jahren schlug man sehr viele Münzen, die in die meisten Teile Britanniens gelangten. In den schottischen Forts jedoch fanden sich nur die Münzen von 86, größtenteils prägefrisch, während dagegen keine einzige von 87 zu Tage trat. Dazu kommt, daß in Inchtuthil mehr als eine Million Nägel hastig vergraben wurden, damit sie
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nicht in britannische Hände fielen. Offenbar hat man also die Soldaten schon sehr bald nach der Eroberung massenweise aus Schottland abgezogen. Den plausibelste Grund hierfür stellen die Katastrophen an der Donau dar, wo Domitian irgendwann vor 88 zwei Armeen verlor [S. 276] und nun dringend Verstärkung durch erfahrene Truppen brauchte. U m 90 waren die nördlichsten Forts in Britannien diejenigen zwischen Tyne und Solway entlang der heute als Stanegate bekannten Römerstraße zwischen Carlisle und Corbridge. Dies entsprach im großen und ganzen derselben militärischen Position, die Agricola vorgefunden hatte, als er vor knapp 13 Jahren in der Provinz eingetroffen war. Kein Wunder, daß Tacitus seine Bitterkeit nicht verbergen konnte.
5. 2. 5 Grenzen: Die Hadriansmauer und die Antoninusmauer Unter Traían blieb die militärische Situation in Britannien stabil, während die Donau und später der Osten Schauplatz großer Kriege wurden [S. 277f., 406]. Gegen Ende des ersten Jahrhunderts gab man die meisten Militärposten in den Midlands und an den Grenzen von Wales auf. Die beiden Legionslager Chester und Caerleon blieben erhalten, dazu einige wenige Forts, die vielleicht als Uberwachungsposten, Versorgungslager oder Ubungsgelände dienten. Die südlichen Regionen Britanniens erlebten eine Phase städtischer Entwicklung und wachsender Prosperität. Im Norden sicherten das Legionslager von York und die Kastelle in den Pennines den Frieden des Landes. Die nördlichsten Forts lagen endang dem Stanegate. Da man aber isolierte Funde in einigen der aufgegebenen römischen Lager weiter nördlich fand, nimmt man an, daß in Northumberland und Südschottland Truppen patrouillierten, um diese Gebiete weiterhin zu überwachen. Als Hadrian 117 Kaiser wurde, bekam er es mit mehreren Problemen zu tun, darunter auch nicht näher bekannte Unruhen in Britannien. So entsandte er 118 Q. Pompeius Falco, um sie in den Griff zu bekommen, und 122 besuchte er die Insel selbst. Das Ergebnis seiner Inspektion war die Einrichtung der Grenzbarriere, die wir als Hadrian's Wall oder Hadriansmauer kennen und die genau nördlich des Stanegate, entlang dem anstehenden Basalt des Whin Still, verläuft. Dies ist ein nördlich verlaufender Steilhang, der sich zwischen den Tälern von Tyne und Solway quer über die Pennines erstreckt. Es gibt keine geographisch geeignetere Lage, um eine Grenzbarriere gegen den Norden zu errichten [Breeze 60; Breeze/dobson 61/62]. Die Hadriansmauer erstreckte sich über 70 Meilen von Wallsend am Tyne bis Bowness an der Solway. Sie besteht aus drei Hauptbestandteilen: einem Graben nördlich der Mauer, außer an den Stellen, wo der schroffe Fels ein solches Annäherungshindernis überflüssig macht; der Sperrmauer selbst, mit ihren Türmen, Meilenkastellen und Forts; und dem großen, 20 Fuß breiten und tiefen Graben, den die Archäologan das Valium nennen. So bezeichnete Beda, ein Chronist des 8. Jh.s, diesen Graben, und da dies ein nützlicher Name ist, um die
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beiden Gräben zu unterscheiden, ist er noch heute in Gebrauch. Die römischen Verfertiger von Karten und Itinerarien j e d o c h bezeichneten mit per lineam valli das ganze Wallsystem und nicht nur den südlichen Graben. Die kleineren Befestigungen, T ü r m e im Drittelmeilenabstand u n d M e i lenkastelle j e d e römische Meile, waren in die Hadriansmauer integriert. Dies läßt sich mit der Anlage der Wachtürme u n d Kleinkastelle der römischen G r e n ze in Deutschland vergleichen, und diese Bauten dienten in beiden R e g i o n e n wohl denselben Zwecken, nämlich der Ü b e r w a c h u n g und dem Schutz vor Uberfällen. Jedoch lagen in den meisten römischen Provinzen die Forts, die die Grenze sicherten, etwas hinter der eigentlichen Grenzbarriere (in Deutschland z. B. zwei Kilometer hinter den T ü r m e n und Kleinkastellen). Im Falle der H a driansmauer waren die Forts Bestandteil der Sperre, so daß ihre nördlichen U m wallungen entweder an die Mauer selbst angebaut waren oder leicht aus ihr vorsprangen. D u r c h ihre Erbauung wich man v o m ursprünglichen Plan ab, denn in Chesters, Housesteads und Great Chesters hatte man erst die Fundamente der Mauer und jeweils eines Turmes abgetragen müssen, bevor man die Forts erbauen konnte. In Carrawburgh war das Valium verfüllt, darauf das Kastell errichtet und dann das Valium u m die Außenseiten des Kastells ausgehoben w o r den [Breeze/Dobson 62, S. 46-49; Daniels 64], M a n nimmt an, daß die Mauer ursprünglich von den Stanegate Forts gesichert werden sollte, was sich als unzureichend erwiesen habe. Die Mauer war nicht dazu konzipiert, einem massiven Angriff widerstehen zu können, sondern sollte wohl nur unautorisierte Bewegungen verhindern. M a n kanalisierte den ganzen Verkehr in und aus der Provinz auf überwachte Stellen, wo sich größere Versammlungen verhindern, das Gepäck kontrollieren und Zölle erheben ließen. Dies sind nur Vermutungen, aber ähnliche Systeme sind von anderen Grenzen bekannt. Ein solch solide gebaute Sperre wie der Hadrianswall mit seinen Vorpostenkastellen in Südschottland war offensichtlich auf Dauer angelegt. Nach Hadrians Tod aber beschloß Antoninus Pius, weiter nach N o r d e n vorzurücken, u m das Territorium zwischen der Tyne-Solway-Landenge u n d dem Forth-Clyde-Isthmus hinzuzugewinnen [Breeze 60; Hanson/Maxwell 69; J a r r e t t / M a n n 70]. An der Hadriansmauer entfernte man die Tore der Meilenkastelle und eine R e s t garnison verblieb in den Forts, während Truppen sowohl aus diesen Forts als auch aus den Anlagen in den Pennines nach Schottland verlegt wurden. Literarische Quellen stellen lediglich fest, daß der Statthalter Q . Lollius Urbicus nach einem Sieg über die Britannier eine andere Grenze aus Rasensoden baute. Epigraphische u n d archäologische Quellen belegen Erneuerungsarbeiten im Jahr 139 im Fort Corbridge, das bei allen Schotdandkriegen als Versorgungslager diente, u n d auch im Fort H i g h Rochester, nördlich der Hadriansmauer. M ü n zen von 1 4 2 / 3 feiern einen Sieg der römischen Truppen in Britannien, und Antoninus Pius erhielt eine imperatorische Akklamation. Ansonsten wissen wir nichts von diesen Kriegen. W i e Claudius besaß Antoninus Pius keine militärischen Lorbeeren. Schottland war wahrscheinlich der beste O r t , u m einen Krieg
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auszutragen, denn dort würde es für R o m und das Reich im Falle einer Niederlage kaum gefährlich werden. Bei einem Sieg dagegen könnte der Kaiser die Lorbeeren ernten und damit seine Stellung verbessern; für eine Niederlage w ü r den seine Feldherrn verantwortlich gemacht, und man müßte sich nur auf die Linie der Hadriansmauer zurückziehen. Letztendlich behielten die R ö m e r die Oberhand, und das Ergebnis war die Errichtung der neuen Grenze zwischen Firth of Forth und Clyde. Die Antoninusmauer ähnelte der Hadriansmauer, besaß aber kein Valium [Macdonald 72; Robertson 77], Möglicherweise waren ursprünglich nur einige geräumige, an die Rasensodenmauer angelehnte Forts vorgesehen, die man später durch zusätzliche Kastelle ergänzte. Bis vor kurzem kannte man keine Pendants zu den Meilenkastellen, aber genaue Grabungen haben Spuren von Kleinkastellen aus Rasensoden nachweisen können, insbesondere das von Kinneil bei Falkirk. Nördlich der Rasensodenmauer wurde die Agricolastraße, die an der Westseite der Fife-Halbinsel entlanglief, erneut gesichert, indem man Garnisonen nach Ardoch, Strageath und Bertha legte und so den Forth mit dem Tay verband. Bei der Unterwerfung des Territoriums zwischen den beiden Grenzwällen könnten die R ö m e r Teile der Bevölkerung eingezogen und weggebracht haben. Die numeri Brittonum, die 145 an der antoninischen Grenze in Obergermanien auftauchen, wurden mit den schottischen Feldzügen in Zusammenhang gebracht. Die nächsten Jahrzehnte stellen die dunkelste und am schlechtesten überlieferte Phase der gesamten Geschichte des römischen Britannien dar. U m 155 geschah irgendetwas im Norden, das die Aufgabe der Antoninusmauer und den Rückzug zur Hadriansmauer erzwang. Ein paar Jahre später erfolgte eine kurzzeitige, weniger groß angelegte Wiederbesetzung der Antoninusmauer. Archäologisch ist die erste Aufgabe der Antoninusmauer durch die absichtliche und sorgfältige Vergrabung der Bauinschriften belegt, die während der zweiten Besetzungsphase nicht wieder aufgestellt wurden und so als außergewöhnliche Gruppe von Steininschriften in hervorragendem Erhaltungszustand auf uns gekommen sind. Eine Inschrift, die man im Tyne nahe Newcastle entdeckte, vermerkt die Ankunft von Verstärkungen aus Germanien für alle drei britannischen Legionen unter dem Statthalter Iulius Verus. Während seiner Amtszeit, etwa 157/8, wurden auch Erneuerungsarbeiten an den Forts Birrens (Südschottland) und Brough (Derbyshire) durchgeführt. Die Kastelle in den Pennines wurden wieder bezogen. Einige Forts in Nordengland weisen Brandspuren auf, die jedoch schwierig zu datieren sind und möglicherweise von den R ö m e r n selbst verursacht wurden, als sie einzelne Plätze aufgaben. Gleichwohl mußten auch sie herhalten als Beleg für den sogenannten Brigantenaufstand in der Mitte der 150er Jahre, auf den Pausanias [8. 43. 3f.] kurz anspielt. Er vermerkt beiläufig, daß Antoninus Pius Krieg fuhren mußte, weil die Briganten in Britannien den Bezirk Genunia angegriffen hatten, der den R ö m e r n gehörte. Die meisten dieser Indizen wurden in Frage gestellt, abgelehnt oder anders interpretiert, aber bis jetzt nicht vernünftig erklärt.
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Die Neubesetzung der Antoninusmauer war nur von kurzer Dauer. Die zweite Aufgabe wurde von den Archäologen früher in die 180er Jahre gesetzt, heute datiert man sie in die 160er, als Marc Aurel an der Donau Krieg führte und kampferprobte Truppen benötigte, wie sie in Britannien zur Verfügung standen [Daniels 63]. Der Norden war anscheinend immer noch nicht unterworfen, denn Marcus mußte Calpurnius Agricola „gegen die Britannier" [SHA Marcus 8. 7] entsenden. Dieser Statthalter hinterließ zahlreiche Bauinschriften an der Hadriansmauer und den Penninesforts. Dies alles deutet darauf hin, daß es durchgreifende Neuordnungen bei der Militärbesatzung Nordbritanniens gab, so daß die Linie der Hadriansmauer wiederum die Grenze bildete und von Vorposten im Norden gedeckt wurde. Das Kastell Newstead in Südschottland blieb bis etwa 180 besetzt. Unter Commodus gab es erneut Kriege in Britannien. Cassius Dio schreibt, daß „die Stämme auf dieser Insel die Mauer überquerten, die sie von den Truppen der Römer trennte" [72. 8. 2], was zu großer Verwirrung führte: Welche Mauer ist gemeint, die antoninische oder die hadrianische? Commodus ernannte Ulpius Marcellus zum neuen Statthalter, der 184 einen durch die Münzprägung gefeierten Sieg errang. Commodus erhielt seine siebte imperatorische Akklamation und fügte „Britannicus" seiner ständig wachsenden Titelliste hinzu. Die Lokation der Kämpfe ist völlig offen, und so hat man die unterschiedlichsten Möglichkeiten erwogen, u. a., daß die Antoninusmauer zu dieser Zeit wiederbesetzt war. Trotz seiner Erfolge wurde Ulpius Marcellus abberufen und des Verrats angeklagt. Doch man ließ die Beschuldigungen fallen, und er ging straffrei aus. Nunmehr löste die römische Armee Unruhen in Britannien aus und nicht länger die Urbevölkerung. Ein Legionslegat namens Priscus wurde von den Truppen zum Kaiser auserwählt. Klugerweise wies er diese reichlich gefährliche Ehre zurück. Der neue Statthalter Pertinax, der später selbst Kaiser werden sollte, versuchte, die Soldaten zur R u h e zu bringen. Anfänglich war ihm wenig Erfolg beschieden, er wäre beinahe bei einer Meuterei getötet worden und überlebte nur, weil man ihn für tot hielt und unter einem Leichenhaufen zurückließ. Doch er kam wieder zu sich, bestrafte die Schuldigen und bat dann um seine Abberufung. Sein Nachfolger ist unbekannt. Im Jahr 192, als Commodus ermordet wurde, war Clodius Albinus Statthalter, der eine kleine und letzliche erfolglose Rolle in der Reichsgeschichte spielen sollte.
5. 2. 6 Von Septimius Severus bis Carausius Der Bürgerkrieg von 193 endete mit dem Sieg von Septimius Severus, aber er war noch nicht ganz Herr der Lage. Sowohl Pescennius Niger in Syrien als auch Clodius Albinus, der britannische Statthalter, erhoben Anspruch auf den Thron. Diese Provinzen stellten zwei der prestigeträchtigsten Kommandos überhaupt dar, und Albinus verfügte über eine große Zahl erfahrener Truppen. Vier Jahre lang wurde Albinus mit diplomatischen Manövern hingehalten, bis er sich
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schließlich 197 in Gallien Severus' Armee stellen mußte. Er verlor Schlacht und Leben. Für das Jahrhundert zwischen 197 und 297 existieren kaum literarische oder epigraphische Quellen, gegen die man das archäologische Material prüfen könnte, so daß diese wichtige Phase der Geschichte Britanniens im dunkeln bleibt. Es scheint so, als habe Albinus zahlreiche Einheiten von der Insel mitgenommen, aber es steht nicht fest, aus welchen Kastellen. Die Liste der Truppen, die ihn in seine letzte Schlacht begleiteten, bringt nicht viel, da er einige von ihnen aus anderen Standorten bezogen haben könnte. Vernünftigerweise sollte er die Hadriansmauer und die Garnison im Norden nicht geschwächt haben. Aber er könnte auch Truppenteile abgezogen und nur eine Notbesatzung zurückgelassen haben. Jedenfalls sagt Herodian [2. 15. 1-5], daß überall Frieden herrschte und Albinus nichts von den Stämmen im Norden befürchten mußte, was darauf hindeuten könnte, daß er doch Einheiten von der Hadriansmauer abzog. Fest steht, daß man die Einheiten, die im frühen 2. Jh. an dieser Grenze belegt sind, im 3. Jh. nicht mehr in denselben Forts findet, was vielleicht eine Folge von Albinus' ehrgeizigen, aber erfolglosen Plänen war. Das Jahr 197 wurde lange Zeit als völliges Desaster für Britannien angesehen [Gilliam 67; Gilliam/Mann 68]. Man glaubte, die Nordstämme hätten genau dann angegriffen, als die Grenze am schwächsten bewacht war. Invasionen schottischer Stämme aus dem Gebiet jenseits der Mauer und ein Aufstand der Briganten südlich des Walls wurden postuliert, um die Erneuerung der Forts in den Pennines und an der Hadriansmauer zu erklären [Jarrett/Mann 70], Diese Theorie sollte durch Inschriften aus Corbridge sowie den Forts Bowes und Ilkley (Pennines) [RIB 637, 730, 1163] untermauert werden, die Neubautätigkeit und Reparaturarbeiten durch Septimius Severus' Statthalter Virius Lupus vermerken. Cassius Dios Bemerkung, daß Lupus große Geldbeträge sammeln mußte, um den bedrohlichen Stamm der Mäater im Norden mit Zahlungen ruhig zu stellen, ließ manche denken, das Heer sei fur eine Offensive zu schwach gewesen, was dann wohl von einer nicht lange zurückliegenden Katastrophe verursacht worden wäre. Doch dem muß keineswegs so sein, denn es gehörte zu den üblichen Methoden der römischen Diplomatie, Stämmen jenseits der Grenzen Geldzahlungen zu leisten. Hadrian selbst hatte dieses Kontrollmittel angewendet, und neuere Studien betonen die Parallele zum zeremoniellen Geschenkeaustausch bei den Barbaren. Den Eingeborenen Geldzahlungen zu leisten, mußte nicht notwendigerweise bedeuten, daß sich die Römer in einer Position der Schwäche befanden. Von etwa 205 bis etwa 208/9 hieß der Statthalter Britanniens Alfenius Senecio, dessen Namen man aus vielen Bauinschriften von Kastellen im Norden kennt, besonders von der Hadriansmauer, wo Reparaturen vor Senecios Ankunft nicht belegt sind. Leider weiß man sonst sehr wenig über ihn. Cassius Dio berichtet, daß Statthalter in Britannien Siege für Septimius Severus erfochten, aber nach Herodian mußte ein Statthalter den Kaiser um Hilfe bitten. Sicher ist allein, daß sich Septimius Severus tatsächlich nach Britannien begab und bis zu
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seinem Tod 211 in York Krieg in Schottland führte. Danach beendete Caracalla den Krieg, Schloß Frieden und kehrte nach R o m zurück. Ursache und genauer Verlauf des Krieges sind unklar, und was uns an Material zur Verfugung steht, hilft nicht sehr viel weiter. Forschungen zu Septimius Severus' schottischen Feldzügen [Reed 79] sind nicht einfach, da genaue Datierungshilfen aus Marschlagern und militärischen Hortfunden fehlen und immerzu die Gefahr besteht, Lager und Befestigungen aus der Zeit von Agricola bzw. Antoninus Pius für severisch zu halten. Heute ist allgemein akzeptiert, daß Septimius Severus Corbridge und South Shields als Versorgungslager für seinen Vormarsch nach Norden nutzte und daß er die alten Kastellplätze Newstead (Südschottland) und Cramond (bei Edinburgh) wieder besetzte. Die große Anlage von Carpow am Tay stammt sicher aus der Zeit von Septimius Severus und wurde mit Herodians Hinweisen auf Flußüberquerungen und mit einer Münze von 208, die Truppen bei der Uberquerung einer Brücke darstellt, in Zusammenhang gebracht. Die Vormarschlinie läßt sich wahrscheinlich anhand der Marschlager verfolgen, die an den Highlands vorbeiführen, aber wie es unbeweisbar ist, daß Agricola bis Inverness und zum Moray Firth vordrang, enden alle Spuren von Lagern, die man Septimius Severus zuschreibt, kurz vor dem offensichdichsten aller militärischen Ziele. Die Texte informieren uns, daß die Armee den äußersten Norden erreichte, aber bislang fehlen dafür die archäologischen Beweise. Möglicherweise unternahm Caracalla nach Septimius Severus Tod 211 einen weiteren Feldzug, den uns die ihm feindlichen Quellen vorenthalten, denn er kam erst spät im Jahr in R o m an. Er könnte aber auch zusätzliche Zeit bei der Aushandlung eines haltbaren Friedens verloren haben. Egal wie wenig ihm die Geschichtsschreiber gewogen waren — Caracallas Arrangement hielt. Er annektierte nichts von dem umkämpften Gebiet. Die Hadriansmauer mit den nördlichen Vorposten Bewcastle [Austen 55] und Risingham wurde erneut zur Grenze. Ein offenes Problem ist die Teilung Britanniens in zwei Provinzen, die Herodian auf 197 datiert. Anscheinend aber hat es erst einige Jahre später zwei getrennte Kommandos gegeben, weswegen einige Forscher die Teilung lieber unter Caracalla setzen. Der Verlauf der Grenzlinie zwischen den beiden Provinzen ist unbekannt. Klar scheint, daß Chester und Caerleon mit ihren Legionsgarnisonen zu Britannia Superior gehörten, aber unklar ist, ob York nun Teil von Ober- oder Unterbritannien war. Wenn es zum Kommando des Statthalters von Ober- bzw. Südbritannien gehörte, würde das bedeuten, daß die Verteidigung des Nordens allein den Garnisonen an der Hadriansmauer oblag, was die meisten Forscher nicht glauben wollen. Nordbritannien erhielt einen prätorischen Statthalter, während Oberbritannien von einem Konsular regiert wurde. Beide Statthalterschaften waren weniger prestigeträchtig als die alte Stellung des britannischen Legaten, was wahrscheinlich die Vorsicht der Kaiser bei der Auswahl der Militärkommandanten widerspiegelt, aus denen ja möglicherweise Usurpatoren werden konnten.
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Die Grenzkriege u n d Invasionen, die in den 230er und 240er Jahren das europäische Festland trafen, hatten k a u m Einfluß auf Britannien, das jenseits des Kanals isoliert, aber sicher blieb. Die Insel war Teil des Gallischen Sonderreiches von 260-274 u n d bildete unter Carausius und später Allectus 287-296 einen eigenen Staat [Casey 84; Shiel 85]. W ä h r e n d dieser Zeit prosperierte Britannien. Im N o r d e n blieb die Grenze ruhig. Im Süden erhielten die meisten städtischen Siedlungen zum ersten Mal Mauern, doch zeigen archäologische Forschungen, daß dies langsam und bedächtig, nicht hastig aufgrund irgendeiner Notlage geschah. Die M a u e r n umschlossen große Gebiete, die Größe der Städte w u r d e al-* so nicht für kürzere, leichter zu verteidigende Umwallungen reduziert. Auf dem flachen Land blühten die Villen, die teils neu erbaut, teils erweitert und mitunter reich ausgestattet wurden. Als Carausius sich zum Kaiser erklärte, profitierte er davon, daß Maximian und Diocletian anderswo alle H ä n d e voll zu tun hatten, während er selbst mit seiner Flotte den Kanal samt Boulogne u n d der gallischen Küste beherrschte und starke Verteidigungsanlagen an der Küste ihn vor Piraten genausosehr wie vor kaiserlichen A r m e e n schützten. Außerdem war Carausius kein D u m m k o p f . Eutrop betont seine militärischen Fähigkeiten. Aus all diesen Gründen konnte Carausius sein kleines Kaiserreich sechs Jahre lang halten, eigene M ü n z e n prägen u n d Britannien als der legitime Partner von Diocletian u n d Maximian regieren. N o c h m u ß t e n die beiden Kaiser diese rechtliche Fiktion akzeptieren. Gemeinhin werden die Kastelle des Saxon Shore mit Carausius in Verbindung gebracht. D e r N a m e stammt aus der Notitia Dignitatum, die das K o m mando des Comes litoris Saxonici per Britannias auffuhrt, was den falschen E i n druck erweckt, das System sei als Einheit konzipiert worden und man habe alle Kastelle gleichzeitig errichtet. In Wirklichkeit gab es wahrscheinlich etliche Bauphasen. Vom frühen 2. Jh. an lag die dass is Britannica in Dover, das folglich älter ist als der sogenannte Saxon Shore. In gleicher Weise w u r d e n die Forts im alten Stil von Brancaster und Reculver wahrscheinlich sehr früh errichtet u n d sind vielleicht zeitgleich mit Dover oder nur wenig jünger. Die genaue Entsteh u n g der Forts des 3. Jh.s im neuen Stil, die sich über die südliche und die südöstliche Küste hinziehen, ist unbekannt. Diese großen Kastelle mit ihren dicken M a u e r n und riesigen R u n d t ü r m e n , die in Portchester, Pevensey und Burgh Castle noch sichtbar sind, erinnern m e h r an mittelalterliche Burgen als an römische Militäranlagen. Pevensey, das einen ovalen G r u n d r i ß besitzt und nicht sehr römisch aussieht, könnte als letztes Kastell überhaupt gebaut worden sein u n d gehört wahrscheinlich ins 4. Jh. Die Saxon-Shore-Kastelle w u r d e n also nicht als einheidiches Verteidigungssystem konzipiert. M a n erbaute sie zwischen d e m 2. und dem 4. Jh. und verwendete sie vermutlich zu verschiedenen Zeiten zu verschiedenen Zwecken, j e nach den Erfordernissen des M o m e n t s [Johnson 80, S. 94; Maxfield 82, S. 30-44]. 293 kam das Ende von Carausius. Constantius eroberte Boulogne, was die Invasion Britanniens vorbereitete. Kurz darauf w u r d e Carausius von Allectus ermordet. W i r wissen nichts über den Zustand des britannischen Heeres, aber daß
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es bis zur Invasion noch drei Jahre dauerte, bedeutet, daß Constantius entweder mit großen Problemen zu kämpfen oder zumindest vor dem Feind Respekt hatte. Bei seiner Landung 297 scheint Allectus nur wenig Widerstand geleistet zu haben, und Constantius' Offiziere nahmen London schnell ein, das sie vor den marodierenden fränkischen Truppen des Allectus retteten. Constantius nutze diese Gelegenheit propagandistisch, indem er in der Trierer Münzstätte ein Gedenkmedaillon prägen ließ, das der Welt die Wiedereingliederung Britanniens in das aufstrebende Reich der Tetrarchen verkündete. Er nannte sich redditor lucís aeternae, „Zurückbringer des ewigen Lichts". Man fragt sich allerdings, ob den Bewohnern der prosperierenden Villen und Städte Oberbritanniens ihr Land jemals „dunkel" erschienen war.
5. 3 Das zivile L e b e n 5. 3. 1 Die Entwicklung der Städte Aus zwei Gründen dominiert in Forschungen zum römischen Britannien die Militärgeschichte. Erstens sind die militärischen Fundplätze am gründlichsten erforscht und zweitens behielt Britannien bis zum Ende seiner Zugehörigkeit zum Römischen Reich eine starke Besatzung. Nirgends sonst war die Garnison derart überproportional groß. Weder die Pennines noch Wales wurden entmilitarisiert, was den großen Unterschied zwischen dem zivilisierten Süden und dem unromanisierten Westen und Norden zeigt. Die Verbreitung der Verwaltungszentren, die zunehmende Urbanisierung und die steigende Zahl der Villen ist fast ausschließlich Sache des Südens. Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Provinzen gab es in Britannien keine städtischen Zentren, die Grundlage neuer Städte hätten werden können. Die Oppida besaßen vielleicht im Keim städtische Züge, aber sie waren keine echten Städte im römischen Sinne [Bd. I, S. 239ff., 270]. Selbst wenn neue Gebäude über eisenzeitlichen Vorgängerbauten errichtet wurden, war das ganze Konzept von Forum, Basilika, öffentlichen Bädern etc. ganz neu. Es gab mehrere Arten städtischer Siedlungen. Die Spitzenstellung in der Hierarchie nahmen die coloniae ein. Weniger prestigeträchtig, aber zahlreicher waren die Zivitashauptorte, die als administrative Zentren der Stämme angelegt wurden [Wacher 119]. Danach kamen die sogenannten small towns, die unterschiedlichen Zwecken dienten und schließlich die vici, die um die Kastelle wuchsen. London und Verulamium (St Albans) lassen sich nicht in diese Kategorien einordnen. Trotz der langen Grabungsgeschichte Londons konnte man kaum Spuren eines älteren Forts finden, und es gab an diesem Platz auch keine größere eisenzeitliche Siedlung. London verdankt seine Entstehung dem Handel und sein rasches Wachstum seiner früh erworbenen Stellung als Verwaltungszentrum der Provinz [Marsden 95; Milne 97],
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Verulamium [Frere 114] ist das einzige belegte Munizipium Britanniens und rangierte damit wenig niedriger als eine Kolonie. Seine Magistrate erhielten das römische Bürgerrecht, während die Einwohnerschaft größtenteils indigen war. Verulamium diente zugleich als Zivitashauptort der Katuvellauner.
5. 3. 2 Die Kolonien [Bd. I, S. 259ff.] Es gab vier Kolonien in Britannien. Camulodunum/Colchester wurde sehr früh für die Veteranen der 20. Legion gegründet, vermutlich um 49 [Hull 103], Als die Legionen von Glenum/Gloucester und Lindum/Lincoln abzogen, wurden beide Plätze in Kolonien umgewandelt. Die Datierung ist unklar, jedenfalls waren beide Koloniegründungen am Ende der 90er Jahre abgeschlossen. Die bereits existierende Siedlung von Eburacum/York wurde von Septimius Severus zu Beginn des 3. Jh.s zur vierten Kolonie erhoben. Hier blieb die Legion liegen und behielt ihre große Zivilsiedlung um das Lager (canabae). Die Kolonie war eine eigene Gründung auf der anderen Seite des Flusses Ouse. Es gibt in Chester oder Caerleon keine Belege für ein ähnliches Arrangement. Die Koloniegründungen folgten einer überlegten römischen Politik. In erster Linie dienten sie zur Ansiedlung von Legionsveteranen, die in nicht vollständig romanisierten Gebieten als Militärreserve zur Verfügung standen. Die neuen Städte stellten ferner den Britanniern das Vorbild der römischen Kultur vor Augen. In Kolonien wohnten hauptsächlich römische Bürger, doch werden auch etliche Nichtbürger (incolae) in ihnen gelebt haben. Für alle Einwohner galt das römische Recht. Kolonien wurden von einem Stadtrat (ordo) verwaltet, der aus etwa hundert Mitgliedern, den Dekurionen, bestand. Die militärischen Bauten der Kolonien benutzte man auch noch einige Zeit nach dem Abzug der Armee, bis schließlich die Siedlungen allmählich zu römischen Städten wurden. War diese Entwicklung ganz abgeschlossen, entsprachen die Kolonien dem Standardtyp einer römischen Stadt. Die Anlage der Straßen war regelmäßig, und die üblichen öffentlichen Gebäude nahmen prominente Stellen ein. Die Kolonien hatten zwar einen hohen Status und waren stark romanisiert, aber dies garantierte nicht für wirtschaftlichen Erfolg. Gloucester ζ. Β. scheint nicht annähernd so reich gewesen zu sein wie das nahe Cirencester, der Zentralort der Dobunner, und Lincoln wurde von Leicester, dem Zentralort der Korieltauver, überflügelt.York dagegen, das ja erst spät an bereits etablierter Stelle gegründet wurde, besaß die Vorteile bereits bestehender Handelsbeziehungen und der Nachfrage der zurückgebliebenen Legion, und so prosperierte es [Ottaway 105].
5. 3. 3 Die Zivitashauptorte Die Verbindung dieser Städte mit den Stämmen belegen ihre Namen in römischen Dokumenten und auf Inschriften. Winchester, der Zentralort der Belger, hieß Venta Belgarum; Wroxeter, der Zentralort der Kornovier, hieß Viroconi-
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um Cornoviorum. Die Bevölkerung bestand aus britannischen Ureinwohnern, die ihre Stadt und das zugehörige Territorium nach ihrem eigenen Recht verwalteten und so die etablierten Hierarchien und Gebräuche bewahrten. N u r dann, wenn das indigene Recht in direktem Widerspruch zum römischen Recht stand, griff die römische Autorität ein. Diese Städte folgten in ihrem Straßenplan dem üblichen römischen Schachbrettmuster. Man hat vermutet, daß die Errichtung der wichtigsten Gebäude von den R ö m e r n angeregt, vielleicht sogar mitfinanziert und durch die Hilfe von Militärarchitekten unterstützt wurde, aber diese Theorie wurde in Frage gestellt. Es ist völlig offen, wer die neuen Städte baute und bezahlte. Die neueste Interpretation will, daß die R ö m e r der Entwicklung der Zivilsiedlungen gleichgültig gegenübergestanden hätten, so daß die Städte ihre Entstehung der lokalen Initiative der herrschenden Klassen verdankten, die damit ihre Vormachtstellung in der römischen Form perpetuieren wollten [Millett 157, S. 69-85]. Archäologisch läßt sich ein klarer Fortschritt in der Stadtentwicklung unter den Flaviern und unter Hadrian feststellen. Viele Grabungen haben dies erwiesen, aber wiederum wird damit nur die römische Förderung, nicht Initiative belegt, die wiederum Sache der einheimischen Oberschicht gewesen sein könnte. Es gab wohl auch einen gewissen Wettbewerb unter den Städten, die Pracht der Nachbarorte zu übertreffen. Allgemein kann man feststellen, daß die Städte im römischen Britannien weniger zahlreich und prächtig waren als die in anderen Provinzen. Einige Zivitashauptorte erwiesen sich als Fehlschläge, wie etwa Brough on Humber, dem es nie gelang, auch nur das demarkierte Gebiet auszufüllen [Wacher 120]. Andere, wie Cirencester, prosperierten [McWhirr 116; Reece/Catling 177; Wacher 118]. Dies kann teilweise durch geographische und politische Faktoren erklärt werden, kann aber auch die lokale Initiative (bzw. ihr Fehlen) widerspiegeln. 5 . 3 . 4 Small
towns
Diese Siedlungen sind nicht so leicht klassifizierbar. Sie besitzen keinen regelmäßigen Straßenplan und ihre Ursprünge variieren. Einige liegen auf den Standorten aufgegebener Forts, andere entwickelten sich aus eisenzeitlichen Vorgängersiedlungen, wieder andere wuchsen als Produktionszentren. Ihr Uberleben hing von ihrer Nähe zum schließlich etablierten Netz der Uberlandstraßen und der allgemeinen Prosperität ihrer R e g i o n ab [Burnham 122; Burnham/Wacher 123; R o d w e l l / R o w l e y 125], Viele small towns waren stark funktional ausgerichtet und verfügten nur über wenige große und pächtige Häuser. Dieses Fehlen von Wohnraum läßt sich wahrscheinlich durch die Zunahme der Villen auf dem Land erklären, die normalerweise nicht weit von den Siedlungen entfernt lagen. In ihnen wohnten vermutlich lokale Grundbesitzer oder Großhändler, die ihren Reichtum auch der Siedlung verdankten. Wir haben nicht genug Quellen, um feststellen zu können, ob diese Leute allesamt eingeborene Britannier waren. Wahrscheinlich
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spielten Händler und Unternehmer anderer Herkunft, vielleicht sogar römische Bürger, eine große Rolle bei der Entwicklung der small towns. Einige small towns wiesen wirtschaftliche Spezialisierungen auf. Bath [Cunliffe 100, 101, 102] und Buxton wuchsen um Heilquellen und wurden zu blühenden Badeorten und religiösen Zentren [Burnham/Wacher 123, S. 165-178]. Middlewich in Cheshire lebte vom Salz. Water Newton in Cambridgeshire stellte Keramik und Eisen her. Während des 2. Jh.s blühten die small towns, da die Stabilität Südbritanniens Handel und Produktion begünstigte und beständiges Wirtschaftswachstum ermöglichte. Im ganzen 2. und 3. Jh. ersetzten neue öffentliche Bauten die älteren, schlichten Vorgänger. Auch die Qualität der Wohnhäuser und der materielle Reichtum nahm zu. Die meisten small towns erhielten an der Wende vom 2. zum 3. Jh. Mauern, aber in Britannien war dies mehr eine Modeerscheinung denn Ausdruck der Notwendigkeit, sich verteidigen zu müssen. 5 . 3 . 5 D i e vici Das Wort vicus kann ein Dorf, ein Stadtviertel oder eine Siedlung um ein Kastell [Sommer 127] bezeichnen. In der archäologischen Forschungsliteratur zu den römischen Nordwestprovinzen — Britannien, Germanien - benutzt man es normalerweise nur in der letzten Bedeutung [vgl. aber Bd. I, S. 270ff., 295f. zur sonst üblichen Terminologie]. Man nimmt an, daß alle Forts ihre vici hatten, aber bislang sind nur wenige untersucht worden. Der wohl berühmteste ist in Vindolanda, etwas südlich der Hadriansmauer [Bidwell 56]. Die meisten Gebäude eines vicus lagen an der Straße oder den Straßen, die in das Fort führten. Die Luftbildarchäologie hat gezeigt, daß einige dieser Siedlungen sehr ausgedehnt waren und sich über zwei oder drei Seiten des Kastells erstreckten, aber ohne Grabungen kann man nicht feststellen, ob alle Gebäude zeitgleich waren oder aufeinander folgten, wobei sich das Siedlungsgelände allmählich verschob. Deswegen läßt sich auch die Einwohnerzahl nur schwer schätzten. Grabungen zeigen, daß die Gebäude normalerweise rechteckig waren, wobei die kurzen Seiten zur Straße hin lagen („Streifenhäuser"). Vermutlich waren dies Läden und Tavernen, die im Hinterbereich oder in einem Obergeschoß Wohnräume aufwiesen. Oft wurden sie als Holzbauten errichtet und später in Stein erneuert. Sie besitzen häufig bemerkenswert große Ähnlichkeit zu den militärischen Bauten in den Forts. Dies führte zu Spekulationen, sie könnten von Soldaten mit oder ohne offiziellem Auftrag gebaut worden sein. In Vindolanda wurde ein Gebäude mit H o f als mansio für die Boten des cursus publicus identifiziert. Einiges deutet daraufhin, daß darin im späten 1. oder frühen 2. Jh. ein beneficiarius consularis saß. Sollte das stimmen, würde dies ein Interesse von offizieller römischer Seite am vicus dokumentieren, das sich dann vielleicht auch auf andere vici erstreckt hätte. Die vici von Corbridge und Carlisle blühten und erreichten die Größe von small towns. Carlisle erhielt schließlich den Status des
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Zivitashauptortes der Karvetier und prosperierte noch in nachrömischer Zeit, als seine Bauten und Wasserversorgung Bewunderung hervorriefen. Die Bewohner der vici besaßen eine gemeinsame Identität, wie Inschriften zeigen, in denen sie sich selbst als vicani bezeichnen [RIB 899, 1700]. Man weiß sehr wenig über ihre Rechtsstellung und Herkunft. Viele Einwohner gehörten vermutlich zur britannischen Urbevölkerung und lebten als Händler im vicus. Weitere Bewohner werden die nichtoffiziellen Familien der Soldaten gestellt haben. Vici besaßen wahrscheinlich fast gar keine lokale Autonomie. Die größeren könnten Magistrate zur Erledigung der elementarsten Verwaltungsaufgaben gewählt haben, aber aller Wahrscheinlichkeit nach unterlagen sie der Rechtssprechung der militärischen Autoritäten.
5. 3. 6 Die Villen Das Wort Villa umfaßt unterschiedliche Typen ländlicher Wohnanlagen, vom prächtigen Palast Fishbourne [Cunliffe 136] bis zum Gutshof mit wenigen Z i m mern. Die Funktion einiger Villen ist umstritten. Teilweise werden sie sowohl Gutshöfe als auch die Landsitze einflußreicher Bodenbesitzer, deren Interessen sich auf die Verwaltung der Nachbarstadt konzentrierten, gewesen sein [Todd 141, S. 149-173], Städte wie Villen treten beide zuerst im Südosten auf, was ihre gemeinsame Verbindung zeigt. Möglicherweise lag die Villa von Gorhambury (bei St Albans) auf der Stelle eines indigenen Oppidums, während Verulamium selbst zum Zivitashauptort wurde. Sollte das zutreffen, so dürfte der Besitzer der Villa ein Stammeshäuptling oder Aristokrat mit guten Beziehungen zur neuen Stadt gewesen sein. Bei vielen Villen liegen eisenzeitliche Bauten unter den neuen H ä u sern römischen Stils, was Kontinuität der Eigentumsverhältnisse bedeuten kann. Die einheimische Aristokratie wurde jedenfalls nicht durch zugezogene R ö m e r ersetzt [Partridge 133; Stead/Rigby 134], Villenforschungen stützen sich fast ausschließlich auf die ergrabenen Pläne, die Fragen nach den Bewohnern der Villa nicht beantworten können. Die einfacheren Villen waren rechteckig und besaßen manchmal vorspringende Flügel auf beiden Seiten. Die prächtigeren hatten einen oder mehrere Höfe, und der Wohntrakt kann klar identifiziert werden. Bei mehreren Grabungen wurden Badeanlagen, Küchen, Empfangs- und Speiseräume mit mosaizierten Fußböden und Wandmalereien entdeckt. Nicht ganz so klar ist, wo die Arbeiter und Sklaven lebten, wo Futter und landwirtschaftliche Produktion gelagert und wo Wagen und Tiere untergebracht waren. Eine neuere Arbeit untersuchte die Dorfund Feldstrukturen u m die Villa von Stanwick in Northamptonshire (2. Jh.). Die Häuser der vermuteten Pächter waren aus Stein, einige rund wie ältere Wohnbauten der Eisenzeit, andere dagegen rechteckig. In der Mitte des 2. Jh.s kamen ein oder zwei Gebäude hinzu; der Platz war bis ins 4. Jh. belegt und wurde regelmäßig umgebaut.
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Der Zusammenhang zwischen Villa und Dorf ist seit langer Zeit aus Gallien bekannt, wurde aber bislang in Britannien nicht eingehend erforscht. Die meisten Grabungen haben sich auf die Villa allein konzentriert, und erst in letzter Zeit fanden weiträumige Surveys und Grabungen im Gebiet um die Villen statt. Die ländliche Besiedelung Britanniens ist nicht besonders gut dokumentiert, und ihre Erforschung setzt sehr eingehende Kenntnisse der Landschaft und der antiken Landwirtschaft voraus. Die bisherigen Ergebnisse wurden von Hingley [129] und Miles [131] zusammengefaßt.
5. 4 Die Romanisierung Man findet in Britannien alle äußerlichen Formen der Romanisierung. Sie ist im Netz der Uberlandstraßen erkennbar, im Aussehen der Städte mit ihren öffentlichen Gebäuden, Tempeln, Grabmonumenten und lateinischen Inschriften und im Gebrauch römischer Münzen im Alltagsleben. Ein Besucher aus R o m hätte sich vielleicht lustig gemacht über die exotischen Sitten, die ungelenken und provinziellen Versuche, römische Skulptur zu imitieren, und die unaussprechlichen Namen der lokalen Götter, doch insgesamt hätte er sich in dieser offensichtlich romanisierten Provinz so gut wie daheim und jedenfalls nicht unwohl gefühlt. Latein war die offizielle Sprache von Verwaltung, Recht und Armee. Inwieweit die Einheimischen das Lateinische übernahmen, ist ungewiß. Die Zahl der Inschriften ist im Vergleich zu anderen Provinzen gering, und sie sind mehrheitlich militärischer Natur oder betreffen die zentrale oder lokale Verwaltung, nicht aber Individuen. Obwohl die Ratsherren des ordo einer jeden Stadt Latein für offizielle Inschriften gebrauchten, waren sie selbst wohl zweisprachig. Religiöse Weihungen, Grabsteine, Fluchtäfelchen und Graffiti, die von Zivilisten stammen, sind gleichermaßen auf Latein, aber man darf nicht vergessen, daß neben der Urbevölkerung eine unbekannte Zahl romanisierter Immigranten in Britannien gewohnt hat, so daß man keine vernünftigen Schätzungen über den Anteil der Lateinsprecher oder die Alphabetisierungsrate der Britannier anstellen kann [Mann 155]. In den letzten Jahren wandelte sich die Meinung über den Romanisierungsprozeß, den man früher als geplante Politik der römischen Regierung ansah, die mit Hilfe der Armee in die Tat umgesetzt wurde. Diese Theorie basierte fast ausschließlich auf Tacitus, nach dem Agricola seine Winter damit verbrachte, den römischen Lebensstil zu propagieren. Dies ist der einzige Beleg für einen solchen Prozeß, auf den dann sehr viele Konstrukte aufgebaut wurden [Millett 157, S. 69]. Verbesserungen in der Landwirtschaft und vermutete Produktionssteigerungen sollten direkte Folge des erhöhten Bedarfs der Armee gewesen sein, und die Rolle des Heeres bei der Errichtung der neuen Städte sah man als gesichert an. All dies wird heute in Frage gestellt. Der landwirtschaftliche Reichtum Südbritanniens vor der römischen Eroberung und die Fähigkeit der
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Eingeborenen, sich freiwillig und erfolgreich den Lebensgewohnheiten der R ö mer anzupassen, werden wieder betont. Die vergleichsweise schwache Romanisierung des Nordens betrachtet man heute als Folge des drückenden Einflusses der Armee in einer Region, wo weithin verstreute Stämme schwer kontrollierbar waren und ständige Kontrolle nötig [Millet 157, S. 56-60; R i c h m o n d 158; Salway 159], Obwohl römische Luxusgüter einige aristokratische Zentren wie Traprain Law in Schottland erreichten und mit Isurium Brigantum/Alborough in Yorkshire eine römische Stadt gegründet wurde, lebten die Ureinwohner Nordenglands und Südschottlands weiter in eisenzeitlichen Rundhäusern, in denen der materielle Reichtum gering war. Die römische Kultur konnte nur in den vici Wurzeln schlagen, wo die Bedürfnisse der Armee vorrangig blieben. Diese Situation begünstigte nicht die friedliche Entwicklung des Handels und die Gründung von Städten. Teile des Nordens könnten unter Militärverwaltung gestanden haben, wenn man Inschriften aus Ribchester verallgemeinern darf. Im frühen 3. Jh. hatte der Truppenkommandant des Forts auch das Umland (regio) unter sich. Wir kennen zwei verschiedenen Kommandanten, was belegt, daß dieses System längere Zeit beibehalten wurde. Weitere Beispiele für diese Verwaltungsmethode sind in Britannien nicht bekannt, aber Zenturionen besaßen in anderen Reichsteilen Befugnisse über zivile Territorien [Bd. I, S. 206f.]. In Südbritannien boten sich die fortschrittlicheren, zentral organisierten Gesellschaften für die bevorzugte römische Herrschaftsmethode an, nämlich die Delegation weiter Teile der lokalen Verwaltung auf die örtlichen herrschenden Klassen. Wahrscheinlich wurden nur die Eliten Britanniens romanisiert, während die Bevölkerung weitgehend keltisch blieb. Die Derbheit der römisch-britannischen Kunst nach klassischen Standards bedeutet, daß keltische Ausdrucksformen noch nicht ersetzt waren und auch im Bereich der Religion ist das keltische Substrat deutlich wahrnehmbar. Es scheint so, als hätten R ö m e r ihre Kultur nicht aufgedrängt, sondern sie durch ihr Beispiel gefordert und freiwillige Nachahmung wie dezidierte Ablehnung gleichermaßen akzeptiert. Sie griffen wohl nur dann ein, wenn ein Interessenskonflikt zu befurchten stand. Britannien blieb an der Peripherie des Reiches, sowohl geographisch wie kulturell. Die Fusion der britannischen und germanischen Kulturen im Süden im 5. Jh. und das schnelle Wiederaufleben der indigenen Königreiche in Wales, Cornwall und im Norden, die nach Sprache, Kunst, Religion und Kriegführung ganz keltisch waren, zeigen die außerordentlich geringen Erfolge von 400 Jahren R o manisierung.
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6 Die Donauprovinzen Von J. J. Wilkes
6. 1 Einleitung: Die geographischen Grundlagen Den Lauf von Europas längstem Strom dominieren geologisch junge Gebirgsformationen. Sedimentschichten aus Kalkstein, Lehm und Sandstein, die sich während des Paläozoikums gebildet hatten, haben sich zu einem System von komplizierten Faltungen, einem alpinen Relief, erhoben. Die Alpen teilen sich im Osten. Ihre nördliche Fortsetzung bilden die Karpaten der Slowakei und Rumäniens. Dort wendet sich die Gebirgskette und formt die transsilvanischen Alpen, um in Nordbulgarien als Stara Planina nach Osten abzubiegen. Die südliche Verlängerung der Alpen zieht sich weiter nach Südosten hin, parallel zur Adria. Sie wird von den Julischen Alpen, den Dinariden Ex-Jugoslawiens, den albanischen Hochgebirgen und dem Pindos Zentralgriechenlands gebildet. Zwischen diesen beiden Gebirgssystemen liegt die große ungarische oder pannonische Ebene. Sie wird von der Bakony-Hügelkette durchzogen, die die mächtige Donau zwingt, nördlich von Budapest scharf abzuknicken. Alle Flüsse dieser Region führen ihr Wasser in die Donau, die aus ihrem Karpatenbecken durch die engen Schluchten unterhalb Belgrads in ihr unteres Becken ausbricht. In diesem folgt sie dem Südrand der walachischen Ebene, bevor sie sich in der Dobrudscha nach Norden wendet und dann wiederum nach Osten, ihrem Mündungsdelta und dem Schwarzen Meer entgegen. Etwa nach der Hälfte ihres Laufs entlang der Walachei mündet der Alt, der Hauptstrom Osttranssilvaniens, in sie ein. Der Alt gelangt durch eine enge Schlucht nach Süden, die den Turnu-Rofu-Engpaß über die transsilvanischen Alpen bildet. Sowohl im karpatischen als auch im walachischen Becken, wo niedrige Hügel an den Lauf der Donau heranreichen, besteht ihr rechtes Ufer aus erodierten Klippen. Das andere Ufer ist kaum begehbar, weil sich dort große Sümpfe, Spuren des ehemaligen Donau-Verlaufs, befinden. In ihrem Mittel- und Unterlauf war die Donau nur schwer überquerbar, außer wenn während kalter Wintermonate das Eis als Brücke dienen konnte. Verglichen mit der Donau waren die Flüsse, die in Adria und Ägäis flössen, von untergeordneter Bedeutung. Von ersteren waren nur die Neretwa in der Herzegowina und der Drin, der vom Kosovo und dem Ochridsee nach Albanien fließt, mehr als saisonale Sturzbäche. Doch auch die Täler kleinerer Flüsse waren wichtige Passagen durch die Bergketten. Im Süden verbanden zwei Flußsysteme die Mittelmeerwelt mit Zentraleuropa, der Vardar/ Axios, der über die serbische Morava zur Donau führt, und die bulgarische Maritsa, die den Niederschlag des breiten Beckens zwischen Stara Planina und der Rhodope in die Nordostägäis leitet.
R o m und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II
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MARCOMANNI Castra Regina,
Apollonia
Stadt
EPIRUS
Provinz oder Region
ALAUN!
Volk
Die illyrischen Provinzen (Dalmatien, Pannonien, Norikum) und die Provinzen am Unterlauf der Donau (Mösien, Thrakien, Dakien)
6 Die Donauprovinzen
• Porolissum
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R o m und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II
Die Karstplateaus des dinarischen Kalkgebirges sind durch ihre Vegetationslosigkeit gekennzeichnet. Sie bilden eine durchlaufende Barriere von 70-100 k m Breite zwischen Istrien und Nordgriechenland. Ostlich von M o n t e n e g r o und Nordalbanien, in Südserbien und Mazedonien, befindet sich ein Labyrinth von Flußtälern u n d Schwemmbecken, das von in alle R i c h t u n g e n fließenden Flüssen entwässert wird. Die meisten sind mit dem Morava- (südliche Morava, westliche Morava, Ibar) bzw. d e m Vardarsystem verbunden. Dazu gehören die Becken von Vardar, Kumanovo u n d Kosovo sowie das von Pelagonia, dessen Niederschlag der Crna R e k a in den Vardar führt. Der Südwesten zwischen den Dinariden u n d den Ebenen ist von den Systemen von Drau u n d Save dominiert, die von den Alpen aus nach Osten fließen, u m die D o n a u bei Osijek und Belgrad zu erreichen. In die Save ergießen sich die Flüsse Bosniens, die zwischen den bewaldeten, bis zu 1500 m h o h e n Hügeln fließen, wie Drina, Bosna, Vrbas, Una-Sava und Kupa. Die Drau, die in den österreichischen H o h e n Tauern entspringt, verläßt die Berge bei Maribor und erhält die Wasser des M u r unterhalb von Varazdin. Im N o r d e n werden die ungarische Ebene und das Karpatenbekken von der T h e i ß entwässert, in die die transsilvanischen Hauptflüsse Some§ und More§ m ü n d e n . Die Lößplateaus aus ausgewehtem Sediment, die sich in Ebenen zwischen den großen Strömen erheben, haben k a u m Oberflächenentwässerung, u n d so müssen B r u n n e n tief gegraben werden. Die Donauländer weisen ein großes klimatisches Spektrum auf. Die Ebenen im N o r d e n u n d einige Berggebiete haben W i n t e r kontinentaler Härte und kurze, heiße Sommer. Die Küstenregionen profitieren v o m gnädigeren mittelmeerischen Klima mit langen, heißen S o m m e r n u n d milden, feuchten W i n t e r n . Mit einigen Ausnahmen (wie d e m Kalksteinkarst, der ungarischen Ebene und den h o h e n Bergen) waren die Donauländer in vorgeschichtlicher Zeit bewaldet. Mit zunehmender N ä h e zum Mittelmeer geht diese Bewaldung in die Macchia über, d. h. Buschvegetation aus trockenheitsresistenten Arten. Weiter im N o r den besitzen viele Hochlandgebiete noch heute einen durchgehenden Eichenund Buchenwald, obwohl hier schon seit der Antike Brennstoff u n d Bauholz gewonnen wird. Was die Böden angeht, gehören die Donauländer zu den am wenigsten begünstigten R e g i o n e n ganz Europas. Das Ackerland entstand hauptsächlich durch Erosion und ist arm an Humus. In der Neuzeit w u r d e n viele Sumpfgebiete u n d Mündungsregionen zu landwirtschaftlichen Zwecken entwässert, und durch Bewässerungsanlagen gab es ähnliche Erfolge in der Ebene. Magnum est stare in Danubii ripa. In seinem Panegyricus auf Traian n a h m Plinius der Jüngere [16. 2] die Siege über die Daker jenseits des Flusses vorweg, mit denen er die Schande von Domitians Niederlage u n d K o m p r o m i ß tilgen sollte. Schon seit Jahrhunderten war die D o n a u , deren Unterlauf die Griechen Ister nannten, in den M y t h e n vorgekommen, von denen manche vielleicht eine vage E r i n n e r u n g an epische Reisen in ferner Vorzeit bewahrten. A m bekanntesten war die Sage der Argonauten, die nach einer Version [Apoll. R h o d . ] ihre Fahrt auf der D o n a u vom Schwarzen M e e r zur Adria machten, ein Mythos, dem die falsche, aber sich hartnäckige haltende Idee von einer besonderen N ä h e
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zwischen Pontos und Adria und die Namensgleichheit zwischen Istrier und Istros zugrunde lag. Den römischen Vormarsch zur Donau begann Curio vor 70 v. Chr., ihn beendete Augustus' Stiefsohn Tiberius in Pannonien 12 v. Chr. Aber erst als Claudius das mösische Kommando bis zum Schwarzen Meer ausdehnte (im Gefolge der Annektierung Thrakiens 45 n. Chr.), kam der ganze Lauf des Stroms zwischen Schwarzwald und Delta unter direkte römische Kontrolle. Doch indem Augustus den mittleren Lauf des Flusses gesichert hatte, hatte er die Landroute zwischen Italien und den Ostprovinzen eröffnet. Die große Balkanstraße (Zagreb — Belgrad — Nis — Sofia — Istanbul) war fast vier Jahrhunderte lang die militärische Achse, die das Reich zusammenhielt. Die Bürgerkriege von 69 entschieden Armeen, die sich auf dieser Route bewegten, und das sollte sich bei den großen Auseinandersetzungen wiederholen, die die konstantinischen und valentinianischen Dynastien im 4. Jh. auszufechten hatten. Die mittleren Donauprovinzen Pannonien und (Ober-)Mösien bildeten einen Eckstein im Gebäude der Nordgrenze. Als man nach der Katastrophe von Adrianopel 378 n. Chr. hier die Kontrolle verlor, trennten sich die Interessen der östlichen und der westlichen Hälfte des Reiches, ehe mit dem Tode Theodosius' I. 395 (des letzten Kaisers, der auf dem Landweg zwischen Ost und West reisen sollte) die römische Welt endgültig zwischen seinen Söhnen Arcadius und Honorius geteilt wurde. Die Donauländer an sich hatten wenig, was für das mittelmeerische Reich der Römer interessant war. Doch ihre Eroberung war unumgänglich, damit Augustus' Strategie der Stationierung einer neuen professionellen Armee in verbundenen Kommandos an den Grenzen des Reiches funktionieren konnte. Davor war die Dinariden-Pindos-Kette östlich der Adria eine Barriere zwischen Ost und West. Dies zeigte sich beispielsweise in Brundisium 40 v. Chr., als die Grenze zwischen den Machtsphären Octavians und Antonius' auf Scodra in Illyrien [App. civ. 5. 65] festgelegt wurde.
6. 2 Die Zeit der Eroberung 6. 2. 1 Der römische Balkan vor ca. 10 v. Chr. Nach Caesars Ermordung gab der Senat das Kommando über Illyrien, Makedonien und Achaia an Brutus, der es an Q . Hortensius, den makedonischen Prokonsul, weiterdelegierte. In Illyrien beendete P. Vatinius seine Feldzüge gegen die Delmater erfolgreich und kehrte nach R o m zurück, wo er einen illyrischen Triumph feierte (31. Juli 42 v. Chr.). Obwohl die Republikaner einige Verbündete unter den Illyrern und Thrakern hatten, fand 43 v. Chr. D. Brutus' leichtsinniger Versuch, von Norditalien nach Makedonien durch Illyrien zu marschieren, ein blutiges Ende im Gebiet der Japoden [Cass. Dio 46. 53. 2]. Das Abkommen von Brundisium (1. Oktober 40 v. Chr.) gab Octavian Illyrien und Antonius Makedonien. Antonius ordnete einen Feldzug gegen die illyrischen Parthiner im Hinterland von Dyrrhachium an (unter Asinius Pollio, Triumph
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39 v. Chr.) und weiter im Osten gegen die Dardaner, die ewigen Feinde Makedoniens. Sollte es Siege gegeben haben, so wurden sie jedenfalls nach dem Triumph seines Rivalen totgeschwiegen [Bosworth 10, S. 464-468; Syme 80, S. 18-30], In Illyrien ließ das neuentstehende Dakien unter Burebista die alten römischen Ängste vor Attacken auf Italien aus dem Nordosten wieder aufsteigen [Crisan 16]. Der Augustus nahestehende Livius gibt in seinem Werk den angeblichen Plänen von Philipp V. von Makedonien, die wilden Bastarner und die balkanischen Skordisker zum Einfall nach Italien zu bewegen, weiten R a u m [34. 35; 40. 12]. D o c h vor den 30er Jahren v. Chr. war Burebista tot, sein Reich aufgeteilt zwischen rivalisierenden Kleinkönigen. Als Caesars Erbe zwei Feldzugssaisonen lang gegen Völker rechts der Adria kämpfte, sollte damit Italien vor Angriffen geschützt werden. 35 v. Chr. endete ein Marsch durch das Land der Japoden und Pannonier mit der Eroberung von Siscia (Segesta) an der Save. Daß dort im folgenden Winter 25 Kohorten verblieben, bereitete den weiteren Vormarsch auf Dakien vor. Im nächsten Jahr griff man die Delmater um Salona an, mit denen man seit ihrem Uberfall auf die Armee des Caesarianers A. Gabinius (48 v. Chr.) und ihrer Abwehr des Eroberungsversuchs durch P. Vatinius (45/4 v. Chr.) im Kriege lag. Nach seiner eigenen Darstellung (bei Appian) behauptete Octavian, jede Bedrohung Italiens von den Ostalpen herab bis zu den Grenzen des Territoriums von Scodra beseitigt zu haben. D e m Sieg über die Delmater, den man Anfang 33 v. Chr. nach einer Winterblockade errungen hatte, galt der erste Teil von Octavians dreifachem Triumph (13. August 29 v. Chr.) [Wilkes 88, S. 41-58], Wir hören nach Octavians Feldzügen fast 20 Jahre lang nichts mehr über römische Operationen in Illyrien oder Nordostitalien. Dagegen liefert uns Cassius D i o eine ungewöhnlich ausfuhrliche Beschreibung zweier Feldzüge (29/8 v. Chr.), die der makedonische Prokonsul M . Crassus mit vier Legionen an der unteren Donau durchführte. Die erste Kampagne brachte einen spektakulären Sieg über die Bastarner am Fluß Ciabrus (Tibrica in Nordwestbulgarien), bei dem Crassus König Deldo eigenhändig im Nahkampf tötete. Man bewilligte Crassus einen Triumph, doch der Titel Imperator wurde ihm (zumindest offiziell) verweigert. Überdies gibt es Anzeichen, daß Crassus in Wirklichkeit über Daker siegte und der Bericht später frisiert wurde, um Octavian nicht in Verlegenheit zu bringen. In der zweiten Saison eroberte man in der Dobrudscha römische Feldzeichen zurück, die C . Antonius (Ciceros Kollege als Konsul 63 v. Chr.) dreißigjahre zuvor an die Bastarner verloren hatte. Nach seinem Triumph über Thrakien und die Geten (4. Juli 27 v. Chr.) verschwindet Crassus aus der Geschichte. Nichts deutet darauf hin, daß die zurückerbeuteten Feldzeichen in besonderer Weise ausgestellt wurden. U n d die Bitte um die einzigartig prestigeträchtigen spolia opima fur die Tötung des Königs wurde aus verfassungsrechtlichen Gründen abgeschlagen [Cass. Dio 51. 23. 2-27; Syme 11, S. 308f.; Mócsy 50, S. 511],
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In Thrakien führte der ständige Konflikt zwischen den Odrysen der östlichen Ebenen und den Bessern des bergigen Westens während der frühen Jahre des Augustus mehrfach römische A r m e e n ins Königreich. Die R ö m e r unterstützten den Sapäer Rhoimetalkes (er hatte Antonius vor Actium den R ü c k e n gekehrt), unter dessen langer Herrschaft Silbermünzen nach dem Fuß römischer Denare geprägt w u r d e n [Sullivan 15]. Die Affäre u m M . Primus, der als makedonischer Prokonsul wegen einer nicht verfassungsgemäßen Attacke gegen die Odrysen 22 v. Chr. angeklagt wurde, bleibt im balkanischen Kontext genauso obskur wie in dem der römischen Innenpolitik. Das Eingreifen des Konsulars M . Lollius (19/8 v. Chr.) in Thrakien könnte die Schaffung eines neuen Militärkommandos im Südbalkan markiert haben, das Thrakien und Makedonien umfaßte. Sein Nachfolger war vielleicht L. Tarius R u f ü s (cos. 16 v. Chr.), dessen Auseinandersetzung mit den Sarmaten den ersten bekannten Kontakt der R ö m e r mit diesem iranischen Reitervolk darstellt [Cass. D i o 54. 20. 3; I L G R 230]. Es ist denkbar, daß Tarius' Nachfolger auf diesem Posten Augustus' Stiefsohn Tiberius nach seinem Alpensieg 15 v. Chr. war, der dann die einst gefürchteten zentralbalkanischen Skordisker zu einem Bündnis mit R o m brachte. Vielleicht war es die Konzentration der Balkanarmee im Nordwesten, die dazu führte, daß die Niederschlagung eines größeren Aufstands der Besser L. Piso mit einer A r m e e aus d e m Osten übertragen wurde. Dieser blutige H ö h e p u n k t thrakischen W i derstands gegen die römische Herrschaft dauerte drei Jahre (wohl 12-10 v. Chr.). Auf eine anfängliche römische Niederlage folgte schließlich ein endgültiger Sieg, der dem Befehlshaber triumphale Ehren einbrachte.
6 . 2 . 2 Das bellum Pannonicum und der Vormarsch zur Donau Illyrien gehörte nicht zu den Gebieten, die 27 v. Chr. Augustus unterstellt w o r den waren. Andererseits wissen wir aber auch von keinen Prokonsuln, denen es als Provinz gegeben worden wäre. In einer Zusammenfassung von Ereignissen des Jahres 16 v. Chr. notiert Cassius D i o militärische Operationen von P. Silius Nerva gegen Stämme in den Ostalpen, während seine Legaten Invasionen der N o r i k e r und Pannonier zurückschlugen. Silius' Provinz war eher die Transpadana als Illyrien, das damals im N o r d e n noch nicht bis Liburnien und Istrien reichte. Dieselbe Dio-Passage vermeldet einen Aufstand in Dalmatien, der schnell niedergeschlagen wurde, wohl von einem Prokonsul in Illyrien. Die Landverbindung zwischen Italien u n d Makedonien schuf Tiberius zu Beginn des bellum Pannonicum [Wilkes 88, S. 69-77]. Aufbauend auf frühere Vorstöße von M . Vinicius und M . Agrippa ostwärts, die D r a u - und Savetäler hinunter, überwand Tiberius 12 ν. Chr. die pannonischen Breuker an den U n terläufen dieser Flüsse mit Hilfe der Skordisker, ihrer östlichen Nachbarn. Die U n t e r w e r f u n g der restlichen Pannonier zwischen Save u n d Diñara dauerte vier weitere Kriegsjahre (Tiberius 11-9 und Sex. Appuleius 8 v. Chr.). Die besiegten Pannonier wurden entwaffnet, die waffenfähigen j u n g e n M ä n n e r auf den Sklavenmärkten Italiens verkauft. Tiberius w u r d e ein T r i u m p h zuerkannt, doch nur
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die triumphalen Ehren gestattet. Der Historiker Vellerns [2. 90. 1] vermerkt, daß Tiberius' abschließende Operationen von 9 v. Chr. eine „Rebellion der Dalmatier" beendeten, die 220 Jahre lang gedauert habe, d. h., seit Roms erster Expedition gegen die Illyrer 229 v. Chr. Der Sieg wurde von Augustus in seinen Res Gestae ausfuhrlicher dargestellt [R. gest. 30] : „Ich habe die Völker der Pannonier, zu denen vor meinem Prinzipat niemals ein Heer des römischen Volks gelangt war, durch Ti. Nero, der damals mein Stiefsohn und Legat war, niedergekämpft und der Herrschaft des römischen Volkes unterworfen, und ich habe die Grenze Illyriens ans Ufer der Donau vorgeschoben." U m 9 v. Chr. hatte R o m die Kontrolle über die meisten Völker im Karpatenbecken erlangt. Leider weist die historische Uberlieferung für die Zeit zwischen 9 v. Chr. und 6 n. Chr. große Lücken auf. In dieser Zeit waren dort römische Befehlshaber aktiv, während die Daker erneut Grund zur Besorgnis gaben. Ende 10 v. Chr. verhinderte ein Einfall über die zugefrorene Donau die geplante Schließung des Janustempels. Die römische Antwort könnte der Feldzug des Cornelius Lentulus (vielleicht Nachfolger von L. Piso in einem Balkankommando) gegen dieselben Daker gewesen sein, die sich Crassus 29 v. Chr. ergeben hatten. Lentulus' Nachfolger war möglicherweise der unbekannte Konsular (vielleicht M. Vinicius, cos. 19 v. Chr.), der jenseits der unteren Donau, auch bei den Bastarnern, agierte und Kontakt (nicht unbedingt feindlichen) mit kleineren Stämmen am Westrand der Daker hatte. Die römische Zuversicht in ihre Kontrolle des Beckens von mittlerer und unterer Donau zeigt sich in der Ernennung von Augustus' Enkel C. Caesar zum Kommando des „Heeres am Ister". Cassius Dio berichtet: „Er führte keinen Krieg, nicht, weil es zu keinem kam, sondern, weil er in Ruhe und Sicherheit zu herrschen lernte und die Gefahren anderen auferlegt wurden" [55. 10. 17; Syme 18, S. 26-39]. Obwohl die Daker 6 n. Chr. wiederum angriffen, beanspruchte Augustus den Sieg über sie, erstens durch die Abwehr einer Invasion mit schweren Verlusten und dann durch eine Gegenoffensive, die zur Kapitulation führte. Laut Strabo [7. 3. 11, 13] waren die Daker kurz vor der Aufgabe, hielten aber in der Hoffnung auf germanische Hilfe noch aus. Daher marschierte Domitius Ahenobarbus von der Donau zur Elbe und siedelte die verbündeten Hermunduren westlich der mächtigen Markomannen an, deren vor kurzem erfolgte Einwanderung in Böhmen Roms Position an der oberen Donau bedrohte [Cass. Dio 55. 10a. 2-3], Berichte über römische Aktivitäten auf dem Balkan während dieser Zeit deuten darauf hin, daß die Kontrolle der unteren Donau zeitweise durch den Einsatz einer Flotte intensiviert wurde. Der Legat P. Vinicius, unter dem der Historiker Vellerns als Tribun diente, hielt sich in der griechischen Stadt Kallatis am Schwarzen Meer auf, einer alten Verbündeten Roms, die als Winterquartier gedient haben könnte [AE 1960, 378; Syme 78, S. 68f.; Syme 80, II, S. 533], Mittlerweile dürften die Römer davon erfahren haben, daß neue Völker über die pontischen Steppen nach Westen drängten, die vor den Turbulenzen im fernen Asien flohen. Es hatte schon erste Zusammenstöße mit den Sarmaten gege-
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ben. Bald drängten sich ganze Völker an der unteren Donau und suchten auf die eine oder andere Weise Zugang ins Reich. Am Ende der Herrschaft des Augustus soll Sex. Aelius Catus 50000 Geten erlaubt haben, den Fluß zu überschreiten und sich auf römischem Territorium anzusiedeln [Strab. 7. 3. 10]. Diese Epoche römischer Zuversicht in die Kontrolle der Donauländer endete mit dem Pannonischen Aufstand.
6. 2. 3 Der Pannonische Aufstand Nachdem man zwangsweise die Mannschaften der Däsitiaten und anderer Pannonier als Hilfstruppen für den großen Feldzug von 6 n. Chr. gegen den Markomannenkönig Maroboduus gesammelt hatte, erhoben sich diese Stämme gegen die Härten der römischen Herrschaft. Unter ihren Anführern, den beiden Bato, dem Däsitiaten und dem Breuker, griffen sie in mehreren Richtungen an und bedrohten auch die römischen Kolonien an der Adria, in Norditalien und in Makedonien. Weitere Angriffe wurden verhindert. Siscia wurde von einer fliegenden Kolonne, die Tiberius entsandt hatte, verteidigt, und Sirmium retteten die Balkanarmee und die Reiterei des Thrakerkönigs. Im nächsten Jahr vereinigten sich zwei römische Armeen mit insgesamt zehn Legionen und einer entsprechenden Zahl von Auxilien in Siscia, von wo aus Tiberius die Operationen leitete, bis die Pannonier am Fluß Bathinus (vielleicht die Bosna) am 8. August 8 n. Chr. kapitulierten. Im folgenden Jahr drangen die Römer schließlich ins bosnische Kerngebiet der pannonischen Däsitiaten und Pirusten ein. Der Widerstand endete mit der Aufgabe Batos in Andetrium (Muc), einer delmatischen Festung, die keine 20 km von der Adria entfernt lag. Obwohl Tiberius Anfang 10 n. Chr. zurück in R o m war, konnte er seinen illyrischen Triumph erst am 23. Oktober 12 n. Chr. feiern, da er wegen der Varusniederlage vorher nach Germanien gehen mußte. Der Triumph, die imperatorischen Akklamationen, die triumphalen Ehren für mehrere Unterbefehlshaber und die Errichtung von Triumphbögen in Illyrien konnten nicht darüber hinwegtäuschen, wie teuer dieser „schlimmste aller auswärtigen Kriege seit den Punischen" gekommen war, in dem „so viele Legionen unterhalten werden mußten und so wenig Beute gemacht werden konnte." Knapp zwei Jahre nach seinem Triumph war Tiberius wieder in Illyrien, doch kaum war er eingetroffen, als ihn die Nachricht von Augustus' letzter Krankheit nach Italien zurückrief. [Wilkes 88, S. 69-77; Gruen 32, S. 176-178]. Der Krieg hatte die Loyalität der Legionen in Illyrien äußerst strapaziert. Als Augustus' Tod (19. August 14) dort bekannt wurde, weigerten sich die drei pannonischen Legionen, Befehlen zu gehorchen, ehe sie nicht eine angemessene Belohnung für ihre Mühen in den letzten Kriegen erhielten. Die Unruhen gingen selbst nach dem Eintreffen von Drusus, dem Sohn des Tiberius, weiter, ehe eine Mondfinsternis am 27. September und ein Wetterumschwung die Meuterer in ihrem Lager festsetzten und ihre Moral untergruben. Drusus erhielt bei seiner Rückkehr nach R o m großes Lob für sein Verhalten, obwohl, wie Tacitus [ann. 1. 16-30] bemerkt, die Zugeständnisse,
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die Germanicus dem germanischen Heer gemacht hatte, auf das illyrische ausgeweitet wurden. Am Anfang der Regierungszeit des Tiberius richtete sich die Aufmerksamkeit der Römer in Illyrien auf die Unruhen unter den germanischen Sueben, wo die lange Vorherrschaft des Maroboduus unter den Markomannen zu Ende ging. Zuerst 17 n. Chr. von Arminius herausgefordert, wurde er ein Jahr später von seinem Verwandten Catualda vertrieben und mußte nach Ravenna ins Exil gehen, wo er noch 18 Jahre lebte. Catualda wiederum wurde von den Hermunduren vertrieben; die Römer wiesen ihm Forum Iulii als Ort seines Exils zu. Die Anhänger dieser beiden Stammesfürsten lebten jenseits der Donau in den Ländern zwischen Marus (March) und Cusus (vielleicht der Váh) in der Südslowakei, wo sie Vannius untertänig wurden, dessen dreißigjährige Herrschaft über die Quaden den Römern eine Generation lang Stabilität in dieser Region verschaffte [Tac. ann. 2. 44-46; 3.2; Mócsy 51, S. 40f.]. Während Drusus' Zuständigkeit für Illyrien könnten die sarmatischen Jazygen die Erlaubnis erhalten haben, sich in den Ebenen zwischen Pannonien und Dakien niederzulassen. Allerdings werden sie erst 50 n. Chr. als Söldner von Vannius erwähnt. Drusus feierte am 20. Mai 20 eine Ovation, die ihm im Voijahr für die Aufnahme des Maroboduus und andere Verdienste zuerkannt worden war. Die gelegentlichen Operationen römischer Truppen an der unteren Donau werden in den Tristien und Pontosbriefen des Dichters Ovid erwähnt, der seine letzten neun Jahr im Exil zu Tomis verbrachte. Das Leben dort war hart, die Barbaren anscheinend stets gefährlich nahe. 16 n. Chr. wird der kaiserliche Legat Flaccus dafür gelobt, die Loyalität der Moser gesichert und die Geten fern gehalten zu haben. 12 n. Chr. hatten die Geten die Festung Aegis(s)us (Tulcea) erobert und einen Einfall bis Tomis unternommen. Eine Kolonne aus Thrakien traf ein, und ein römisches Heer fuhr den Strom hinab, um die Festung zurückzuerobern. Einer ähnlichen Bedrohung war auch die Festung Troesmis (Iglita) in der Nordostdobrudscha ausgesetzt [Ovid. Pont. 1. 8; 4. 1; Syme 79, S. 81-83]. Die frühen Jahre Tiberius' sahen auch neue Streitigkeiten unter den Thrakern, nachdem das Reich nach Rhoimetalkes' Tod aufgeteilt worden war (ca. 12 n. Chr.). Nach Augustus' Ableben wurde Kotys, der Sohn des toten Königs, der den reicheren Osten erhalten hatte, von seinem Onkel Rheskuporis aus dem rückständigeren Westen bedroht. Als Kotys trotz einer Warnung von Tiberius im Voijahr getötet wurde, wurde Rheskuporis vor dem Senat des Mordes angeklagt, und zwar durch Antonia Tryphaena, einer energischen Nachfahrin von Mithradates und Antonius. Nach der Verbannung des Rheskuporis nach Alexandria teilte man das Reich zwischen Rhoimetalkes, dem Sohn des Rheskuporis, und den Kindern des ermordeten Kotys, für die der Prätorier Trebellenus Rufus als Regent tätig war. Weitere römische Interventionen erfolgten 21 n. Chr., als Rhoimetalkes in Philippopolis eingeschlossen war, und wieder 26 n. Chr., als römische Truppenaushebungen unter den Thrakern zu einer Erhebung im Haimos führten. Die Herrschaft des Rhoimetalkes war bereits zu Ende, als Kotys, der Sohn des ermordeten Kotys und der Antonia Tryphaena, das König-
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reich seines Vaters übernahm. Seine enge Verbindung und weitläufige Verwandtschaft mit dem Kaiser wurde auf Monumenten in Kyzikos gefeiert, das jenseits des Hellesponts, gegenüber von Thrakien lag, wo die Familie seit der Ermordung von Kotys 19 n. Chr. gelebt hatte. [Tac. ann. 2. 64-67; 3. 38f.; 4. 47-51; Sullivan 75, S. 200-204], Im Gegensatz zur unruhigen Lage in Mösien und Thrakien wissen wir von keinen militärischen Operationen in Illyrien für die Zeit nach 9 n. Chr., doch die R ö m e r blieben wachsam und stets auf der Hut vor Gefahren, die Italien aus dem Nordosten drohten. Tiberius beließ seine Legaten, sämtlich erfahrene Konsulare, lange Zeit im Amt. L. Munatius Plancus war 17 Jahre lang Statthalter Pannoniens, während Dalmatien in dieser Zeit überhaupt nur zwei Statthalter hatte, P. Cornelius Dolabella bis 20 n. Chr. und dann L. Volusius Saturninus. Den Rekord hält Poppaeus Sabinus mit 23 Jahren auf dem Balkankommando. Ihn löste Memmius Regulus ab, der dort ein Jahrzehnt, bis zur claudischen R e organisation von 44 n. Chr., verblieb [Thomasson 81]. Der neue römische Optimismus hinsichtlich Illyriens zeigt sich in der zeitweiligen Verlegung der IX Hispana nach Afrika wegen des Tacfarinaskrieges (22-24 n. Chr.) [S. 87] und in dem endgültigen Abzug derselben Legion, die an der Invasion Britanniens 43 n. Chr. teilnahm [S. 216f.].
6. 2. 4 Die Annektierung von Thrakien und die Provinz Mösien 44 n. Chr. wurde das gemeinsame Balkankommando aus Mösien, Makedonien und Achaia, das zu Beginn von Tiberius' Regierung geschaffen worden war, aufgelöst. Makedonien und Achaia kehrten wieder unter die Verwaltung von Prokonsuln zurück, während Mösien formal als Provinz unter einem konsularischen Legaten eingerichtet wurde. Diese Reorganisation hing natürlich mit der Annektierung Thrakiens nach der Ermordung von Rhoimetalkes zusammen. Die römische Besatzung traf auf Widerstand, und so war die Präsenz von Legionen und die Durchführung von Operationen durch den ersten mösischen Statthalter A. Didius Gallus notwendig. Auch auf der Taurischen Chersones (Krim) mußte Didius Gallus eingreifen. Das dortige Bosporanische R e i c h hatte alte B e ziehungen zu Thrakien. Claudius widerrief sofort die Einsetzung des Polemo von Pontos (eines weiteren Sohnes der Antonia Tryphaena) als König des B o s poranischen Reiches und bestätigte die Position von Mithradates, einem Stiefsohn der Gepaepyris, der Witwe des vorherigen Königs Aspurgus (37/8 n. Chr.). Der anmaßende Stil des neuen Königs führte dazu, daß man ihn durch seinen Halbbruder Kotys ersetzte, dessen Münzprägung 4 5 / 6 nach seiner Einsetzung in der Folge eines Feldzugs des Didius Gallus beginnt. Ein Versuch von Mithradates, sein Reich mit Hilfe der sarmatischen Aorser zurückzugewinnen, wurde durch einen römischen Präfekten und seine im Bosporanischen R e i c h stationierten Auxiliaren durchkreuzt. Obwohl Truppen im Notfall von der unteren Donau herbeigeholt werden konnten, wurde die Krimregion normaler-
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weise von Pontos aus (am Südufer des Schwarzen Meeres) kontrolliert [Tac. ann. 12. 15-21; Gajdukevic 25, S. 338]. Die Lage in Illyrien war unter Claudius u n d N e r o genauso ruhig wie w ä h rend der Herrschaft des Tiberius, sieht man von einer dynastischen Krise unter den germanischen Sueben ab. 42 n. Chr. erhob sich der dalmatische Statthalter gegen Claudius, doch schon nach fünf Tagen ließen ihn seine beiden Legionen im Stich, w o f ü r sie vom dankbaren Kaiser ehrende Beinamen erhielten ( V I I und XI Claudia pia fidelis [Suet. Claud. 13. 2; Cass. D i o 60. 15. 1-2]). Einige Jahre später endete die lange Herrschaft des Vannius über die germanischen Q u a d e n jenseits der D o n a u mit einem Bürgerkrieg. Die R ö m e r versagten den Aufständischen ihre Hilfe u n d sicherten durch die pannonische A r m e e das Flußufer, u m so ihrem alten Klienten zu helfen. N a c h einer verheerenden N i e derlage rettete die römische Flotte Vannius u n d seine Anhänger u n d siedelte sie in Pannonien an. Ihm folgten seine Neffen Sido und Vangio nach, die „sehr b e liebt waren, als sie die Herrschaft erlangten, u n d noch m e h r gehaßt wurden, als sie sie erlangt hatten" [Tac. ann. 12. 29f.]. Diese Episode zeigt, wie genau die R ö m e r solche dynastischen Krisen beobachteten. Sie waren sich sehr wohl der Tatsache bewußt, daß nach d e m Ende einer solchen Auseinandersetzung Aussicht auf eine Generation lang Stabilität bestand. U n t e r den letzten Kaisern der julisch-claudischen Dynastie wurde der D r u c k wandernder Völker entlang der unteren D o n a u stärker. Die inschriftlich überlieferte Karriere des Plautius Silvanus Aelianus, des mösischen Statthalters der mittleren Jahre Neros, bietet uns einen außergewöhnlichen Einblick in die Verhältnisse an der D o n a u [ILS 986]. „Er brachte 1 0 0 0 0 0 M ä n n e r von jenseits der D o n a u herüber, zusammen mit ihren Frauen, Kindern und Häuptlingen bzw. Königen, damit sie Tribut zahlten." Später „erstickte er einen Aufstand der Sarmaten im Keim, obwohl er einen Großteil seines Heeres für den Feldzug nach Armenien hatte abstellen müssen." U n d wieder „führte er Könige, die bis dahin dem römischen Volk unbekannt oder feindlich gesonnen waren, auf sein Flußufer, damit sie den römischen Feldzeichen Verehrung erwiesen. D e n Königen der Bastarner u n d R h o x o l a n e n gab er ihre Söhne, dem der Daker seinen Bruder zurück, die er gefangennommen oder aus Feindeshand befreit hatte. Von einigen von ihnen erhielt er Geiseln." Plautius griff wie sein Vorgänger Didius auch auf der Krim ein: „Er vertrieb auch die Könige der Skythen von der Chersones [bei Sewastopol], die jenseits des Flußes Borysthenes [Dnjepr] liegt, nachdem er ihre Belagerung aufgehoben hatte." Schließlich „steuerte er als erster aus dieser Provinz eine große M e n g e Weizen zur Versorgung des römischen Volkes bei". Seine triumphalen Ehren w u r d e n bis in die frühen Jahre Vespasians aufgeschoben, w o er sie dann mit Zeichen besonderer Gunst erhielt. Dieser Zeitpunkt, zu d e m die R ö m e r schon einige Katastrophen an der unteren D o n a u erlitten hatten, könnte die übermäßige Verklärung von Plautius' Leistungen erklären, die ja offensichtlich k a u m m e h r als eine R e i h e von Verhandlungen gewesen waren [Pippidi 59, S. 287-348; Conole/Milans 14],
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Während seiner letzten Jahre annektierte Nero Bosporos und Pontos und stellte in Italien eine neue Legion für einen Kaukasusfeldzug auf, mit dem er vielleicht der wachsenden Sarmatengefahr Herr werden wollte. W i e groß diese Bedrohung war, zeigte sich im Winter 67/8, als die Rhoxolanen zwei Auxiliareinheiten vernichteten. Im nächsten Jahr überquerten sie den zugefrorenen Strom und fielen in Mösien ein, doch plötzlich taute es, und sie wurden von einer Legion mit ihren Auxiliareinheiten angegriffen und geschlagen. Dieser Sieg wurde am 1. März 69 in R o m bekannt und vom neuen Kaiser O t h o großzügig belohnt [Tac. hist. 1. 19]. Aber ein weiterer Einfall, der etwas später in demselben Jahr erfolgte, traf die truppenlose Provinz, und sogar die Legionslager waren in Gefahr, ehe Mucianus mit den Ostlegionen auf dem Marsch nach Italien rechtzeitig eintraf. Die legio VI Ferrata nahm sich der Invasoren an, die Sarmaten, nicht Daker waren, denn für einen Sarmatensieg erhielt Mucianus später triumphale Ehren [Tac. hist. 3. 46; 4. 4]. Nächstes Jahr (70 n. Chr.) kam es noch schlimmer. Wieder kamen die Sarmaten im Winter, nahmen den Statthalter Fonteius Agrippa gefangen, töteten ihn und verwüsteten die ganze Provinz. Der neue Statthalter konnte nur ein paar versprengte Trupps veijagen. Danach begann die Reorganisation der Verteidigung Mösiens, die eine neue Ära in der Geschichte der römischen Donau markiert [los. bell. lud. 7. 4. 3; Wilkes 89, S. 261-264],
6 . 2 . 5 Die Strukturen der Macht 6. 2. 5. 1 Die Provinzen Während der ersten Jahre des Claudius waren die Donauländer als fünf Provinzen organisiert. D e n Kern stellten die drei großen Kommandos Pannonien, Dalmatien und Mösien dar, die jeweils einem konsularischen Legaten unterstanden und insgesamt über ein Heer von sieben Legionen und entsprechenden Auxiliartruppen verfügten. Im Nordwesten lag das kleinere Kommando N o r i k u m und im Südosten Thrakien, wo einst indigene Dynastien regiert hatten, das aber nun prokuratorischen Statthaltern unterstand. N o r i k u m lag quer zu den niederösterreichischen Tauern, zwischen der oberen Drau und der Donau, und wurde im Westen vom Inntal begrenzt. Zahlreiche enge Schluchten machten Truppenbewegungen schwierig, doch es gab einige breite Flußtäler, in denen große Völkerschaften lebten, insbesondere die Drau bei Klagenfurt, die Mur bei Graz und, nördlich der Wasserscheide, die Traun bei Wels. Die Hauptstraße aus Italien überquerte die Saifnitz und führte nach Kärnten und weiter über die Tauern zur Donau über Neumarkt, Ovilava (Wels) und Lauriacum. Im Westen zweigte eine Straße ab, die über den Brenner ins Eisacktal und ins Pustertal führte. Der Loibl (Lubelj) überquerte die Kärntner Karawanken ins obere Savebecken. Straßen entlang M u r und Drau führten nach Osten, wo sie die pannonische Hauptstraße in Poetovio (Ptuj), dem DrauUbergang, erreichten. Die meisten Tauernpässe sind mehrere Monate im Jahr
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unpassierbar. D e r wichtigste Weg führte über die Katschberg- (1 740 m), R a d stadt- und Luegpässe, zwischen Teurnia u n d Iuvavum (Salzburg). Nördlich der Berge verlief die Hauptstraße von West nach Ost durch die größeren Siedlungen Iuvavum, Ovilava, Lauriacum u n d C e t i u m nach Vindobona jenseits der pannonischen Grenze [Alföldy 2, S. 7-13]. Die R ö m e r zogen die Grenze zwischen N o r i k u m u n d Pannonien entlang dem Ostende der Alpen. Dies beließ einen Teil des norischen Territoriums bei Pannonien, wohl, u m die pannonische Hauptstraße (einen Teil der prähistorischen „Bernsteinstraße") kontrollieren zu können, die zwischen Aquileia und C a r n u n t u m über Emona/Ljubljana, Celeia/Celje, Poetovio/Ptuj und Savaria/ Szombathely verlief. Die Grenze zwischen Pannonien u n d Dalmatien erstreckte sich entlang d e m Südrand des Savetals, was das Ergebnis der strategischen E n t scheidung war, die Straße zwischen Italien u n d d e m Balkan via Illyrien abzusichern. D e r lange Lauf der D o n a u durch U n g a r n begrenzte Pannonien im N o r den u n d Osten zwischen V i n d o b o n a / W i e n und dem Savezufluß in Singidunum/Belgrad, w o Mösien begann. Die wichtigsten Achsen zwischen Italien u n d dem Osten zweigten von der pannonischen Hauptstraße in E m o n a ab, führten die Save hinunter und ab Poetovio an der Drau entlang. Weiter im N o r d e n zweigten zwei größere Straßen ab u n d führten durch N o r d p a n n o n i e n zwischen Poetovio und A q u i n c u m über den Plattensee (Pelso lacus) und ab Savaria den Fluß Arabo (Raab) hinab bis Arrabona (Györ) [Mócsy 51, S. 33f.]. Mösiens Südgrenze folgte weitgehend den nördlichen Hügelausläufern des Haimos. Erst unter Traian gelangte der äußerste Unterlauf der D o n a u ganz in das provinziale System, doch es gab keine Straße zwischen Ratiaria unterhalb des Donaudurchbruchs und Aegyssus in der N ä h e der Deltaspitze. Die geradlinigste Straße z u m ursprünglichen Kerngebiet Mösiens, Moesia et Triballia u m Ratiaria und Oescus, folgte dem Strymon (Struma) bis nach Serdica u n d dann den Iskar hinab bis Oescus. Die längere u n d beschwerlichere Straße folgte dem Gang des Axios (Vardar) und der Morava. Sie m u ß t e etliche Schluchten u m g e hen u n d führte über Scupi/Skopje und Naissus/Nis u n d den Fluß Timavus (Timok) nach Ratiaria [Mócsy 51, S. 44]. In Dalmatien standen seit Ende des 1. Jh.s η. Chr. keine Truppen mehr, es galt als befriedet. Früher, während des Pannonischen Aufstandes von 6-9 n. Chr, war es in den großen Hügelzonen südlich der Save zu heftigen Gefechten gek o m m e n . Im Z u g e der Neuorganisation nach d e m bellum Pannonicum w u r d e die Nordgrenze der Provinz auf den Fluß Arsia (Rasa) in Ostistrien, die Südgrenze auf Lissus (Lezha) an der M ü n d u n g des albanischen D r i n verschoben. Die Grenze zog sich bis zum Scardus mons (Sar planina) ins Landesinnere, was die alte Illyris zwischen D r i n u n d Aous und das Seenland in Makedonien beließ, und wandte sich dann nach N o r d e n , u m entlang dem Westrand des Moravatals, die untere Save hinauf, einer unbekannten Trasse zu folgen [Wilkes 88, S. 18-80]. Die römische Verwaltung der Donauländer folgte militärischen Überlegungen, durch die die Eroberung, Befriedung und Ausbeutung der Indigenen sowie die Sicherheit und Versorgung der Besatzungsarmeen gewährleistet werden
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sollten. Bis 27 ν. Chr. standen Illyrien und Makedonien (zu d e m Achaia gehörte) unter der Verwaltung von Prokonsuln, die aus dem Kreis der gewesenen Konsuln und Prätoren ausgewählt wurden. Danach wurden Makedonien (mit Epeiros u n d Thessalien) sowie Achaia als eigene Provinzen konstituiert, die j e weils einem Prokonsul prätorischen Ranges mit Sitz in Thessalonike bzw. K o rinth unterstanden. Das gleichfalls prokonsulare Illyrien dürfte damals noch im N o r d e n am Titus (Krka) geendet haben, so daß Liburnien immer noch zusamm e n mit Istrien und der Transpadana verwaltet worden wäre. Später, als Liburnien Teil Dalmatiens geworden war, behielt es seine eigene Organisation fur den Kaiserkult bei [CIL III 2810]. Auf dem Balkan errichtete man nach mehreren thrakischen Krisen ein neues Militärkommando mit den makedonischen Legionen. Vielleicht geschah dies unter d e m erfahrenen Statthalter M . Lollius 1 9 / 8 v. Chr. Vermutlich blieb M a kedonien von Prokonsuln verwaltet (allerdings ist keiner bekannt), die aber im N o r d e n im Normalfall keine militärischen Befugnisse m e h r hatten. 15 n. Chr. w u r d e n Makedonien und Achaia, die unter den letzten Kriegen stark gelitten hatten, zu d e m kaiserlichen Balkankommando hinzugefügt. Dies änderte sich erst wieder, als Claudius Mösien als eigene Provinz einrichtete u n d Makedonien und Achaia in prokonsularische Verwaltung zurückgab. N a c h seiner Annektierung kam Thrakien unter einen Prokurator, eine von Claudius bevorzugte F o r m der Verwaltung ehemaliger Vasallenreiche. Die Ehreninschrift, die 33 n. Chr. von den strategoi einem frühen Prokurator gewidmet wurde, zeigt, wie sehr sich diese erbliche herrschende Schicht als Gruppe n u n m e h r mit der römischen Herrschaft identifizierte. Alle bis auf zehn sind römische Bürger, die meisten tragen kaiserliche römische N a m e n , einer den eines römischen Statthalters [AE 1957, 23], Die thrakische Chersones (Gallipoli), Kaiserdomäne seit 12 v. Chr., w u r d e separat verwaltet, während Byzanz an die kleinasiatische Provinz Bithynien fiel. Bald nach der Annektierung T h r a kiens erhielt diese Stadt einen Steuernachlaß zum Dank dafür, daß sie R o m in der Vergangenheit militärisch unterstützt hatte [Tac. ann. 12. 62f.]. Auch N o r i k u m w u r d e von einen prokuratorischen Statthalter verwaltet, der in V i r u n u m im Süden der Provinz residierte. 6. 2. 5. 2 Legions- und Auxiliarlager Sieht man von dem Fall ab, daß ein einzelner Feldzug explizit überliefert ist, wissen wir fast nichts über die militärische Dislozierung vor Augustus' A r m e e reformen. Anscheinend war Aquileia die Hauptbasis für militärische Vorstöße von Nordostitalien nach Pannonien, zumindest bis zum bellum Pannonicum (14-9 v. Chr.), das die Legionen ins Donaubecken vorrücken ließ. Die makedonischen Legionen, wovon es unter d e m Prokonsul Crassus 2 8 / 7 v. Chr. vier gab, dürften in Dardanien gestanden haben, und zwar in Zentren wie Scupi oder Naissus, ehe das kaiserliche Balkankommando eingerichtet wurde. D e r erste Vorstoß einer Legion zum Fluß könnte der der legio V Macedonica bei oder nahe V i r u n u m gewesen sein. Die Lager in Südillyrien, in B u r n u m und Tiluri-
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um, k ö n n t e n nach der Organisation Illyriens 11 v. Chr. eingerichtet worden sein. N a c h 9 n. Chr. standen die drei Legionen Pannoniens in Poetovio ( V I I I Augusta) und vielleicht in E m o n a (XVApollinaris) und Siscia (IX Hispana), die beiden dalmatischen in Tilurium (VII) u n d B u r n u m (XI). Weiter östlich stand eine Legion in Oescus ( V Macedonica) in Moesia et Triballia und die andere wohl in Dardanien (IIII Scythica) [Mócsy 51, S. 42-44; Wilkes 88, S. 92-95], N u r wenige Uberreste dieser frühen Lager sind erhalten. Bislang konnten keine Spuren eines Legionslagers unter der Kolonie E m o n a (in Tiberius' erstem Herrschaftsjahr deduziert) gefunden werden. Weder C a r n u n t u m , w o h i n die XV Apollinaris 1 4 / 5 augenscheinlich verlegt wurde, noch B u r n u m , w o die XI 9 n. Chr. die X X ablöste, haben archäologische Beweise fur eine vorclaudische B e satzung erbracht. D o c h zahlreiche Soldatengrabsteine, auf denen der Titel Claudia pia fidelis fehlt u n d die daher vor 42 n. Chr. gesetzt wurden, beweisen die vorclaudische Anwesenheit der Legionen in Tilurium u n d B u r n u m . In Poetovio k ö n n e n Keramikfunde aus der Zivilsiedlung (canabae) in die augusteische Zeit datiert werden, u n d ein in Siscia aus d e m Fluß geborgener H e l m gehörte einem Soldaten der IX. In Mösien ist eine Felsinschrift beim D o n a u d u r c h b r u c h der erste Beleg (33/4 n. Chr.) der Anwesenheit der IUI Scythica und der V Macedonica. Ein früher Grabstein scheint daraufhin zu deuten, daß die V Macedonica in Oescus stand, andere mögliche Lager (Ratiaria, Naissus) lieferten bislang keine Spuren. Die Veränderungen der Legionsdislozierung in den Donauländern während der restlichen julisch-claudischen Zeit w u r d e n von Ereignissen diktiert, die sich anderswo im R e i c h ereigneten. Die IX Hispana ging 43 n. Chr. nach Britannien, was die pannonische Garnsion auf zwei Legionen verkleinerte. Die Verlegung der VIII Augusta, die 4 4 / 5 von Poetovio zur unteren D o n a u gegangen war u n d von der XIII Gemina aus Germanien ersetzt wurde, vergrößerte die mösische A r m e e auf drei Legionen, wobei die neuangekommene in Novae (Svishtov) stationiert wurde. In den letzten Jahren von Claudius ging die IUI Scythica in den Osten ab u n d w u r d e durch die VII Claudia aus Dalmatien ersetzt, das danach n u r m e h r eine Legion hatte, die schließlich in Viminacium am Eingang z u m D o n a u d u r c h b r u c h stand. Die Armenienkrise 62 n. Chr. zog zwei Legionen von der D o n a u ab, die XVApollinaris aus C a r n u n t u m , die dort von der X Gemina aus Hispanien ersetzt wurde, u n d die V Macedonica, die nicht ersetzt wurde, was die mösische Garnsion auf zwei Legionen verringerte, ehe in Neros letzten Jahren die III Gallica für ihren kurzen Aufenthalt an der unteren D o n a u eintraf [Mócsy 51, S. 48], Die R ö m e r unterhielten von Anfang an Flotten auf der D o n a u u n d ihren wichtigsten Nebenflüssen. O v i d konnte sie auf der unteren D o n a u beobachten, u n d eine Flottille patrouillierte von Tomis aus an der Westküste des Schwarzen Meeres. Weder die R e t t u n g e n des Maroboduus, Catualda oder Vannius von jenseits der D o n a u n o c h die ausgreifenden U n t e r n e h m u n g e n von Didius Gallus u n d Plautius Silvanus Aelianus in Mösien u n d auf der Krim wären o h n e eine Flotte möglich gewesen.
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Inschriftenfunde und archäologische Entdeckungen lieferten neues Material zur Dislozierung von Auxiliareinheiten in den Donauländern. In Dalmatien standen Auxiliarreiterei und -infanterie sowie die Legionen konzentriert in Stützpunkten nahe der Adria. Einige Einheiten befanden sich in den Küstenkolonien und den Legionslagern Tilurium und Burnum. Andere Stationen befanden sich auf der Straße zwischen den Legionslagern, in Promona, Magnum und Andetrium, und in Bigeste nahe Narona [Wilkes 88, S. 135-152; Alföldy 3, S. 239-297]. In Pannonien standen Reitereinheiten an den Hauptstraßen zur Donau, insbesondere an der pannonischen Hauptstraße bei Sala (Zalalövö), Savaria, Scarbantia und Carnuntum. Frühe Keramik im Südosten deutet auf Stützpunkte in Mursa (Osijek) und Sirmium. U m die Mitte des 1. Jh.s waren mehrere Auxiliareinheiten in Lager an die Donauenden anderer Hauptrouten verlegt worden, so Arrabona, Brigetia, Aquincum, Gorsium und Teutoburgium [Mócsy 51, S. 49-51; Visy 85, S. 17f.]. In augusteischer Zeit bestand die ganze Garnison Norikums aus einem Detachement der pannonischen Legion VIII Augusta, das bei der großen südnorischen Siedlung auf dem Magdalensberg stationiert war. Später wurde diese Abteilung durch eine lokal rekrutierte Auxiliareinheit abgelöst. Unter Claudius wurde die Auxiliargarnison Norikums, die 69 n. Chr. aus einer Ala und acht Kohorten bestand, nach Norden ans Donauufer verlegt, nach Lentia (Linz) und Lauriacum im Westen sowie Augustiana (Traismauer) und Zwentendorf im stärker gefährdeten Osten [Alföldy 2, S. 62-66, 104; Kandier/Vetters 40, S. 22f.]. In Mösien könnten Auxiliareinheiten vor den Legionen in den Lagern Singidunum und Viminacium gestanden haben. Hinweise auf eine frühzeitige Belegung ergaben sich auch bei den späteren Forts im Donaudurchbruch in Boljetan und Donji Milanovac. An der unteren Donau nahm man frühe Grabsteine dienender Auxiliarsoldaten als Hinweis auf die Anwesenheit von Reitereinheiten in Augustae (Hurlac), Securisca, Variana, Utus, Oescus und Nikopolis. W ä h rend die Reiter die Flüßübergange bewachten, hielt sich die Infanterie im Hintergrund auf, in Timacum Minus (Ravna) im Timoktal, in Naissus und vielleicht schon in Montana (Mihajlovgrad). Es könnte zumindest eine Reitereinheit in der Dobrudscha nach der Annektierung unter Claudius gegeben haben [Mócsy 51, S. 5If.; Wilkes 89, S. 266f.]. Die julisch-claudische Dislozierung in den Donauprovinzen bestand aus Legionen in den Lagern, von denen aus sie Illyrien erobert hatten, Kavallerieeinheiten am Strom und Infanterie an den Verbindungsstraßen. Unter Claudius und Nero begann ein langsames Vorrücken zum Fluß, aber das Jahr und der Grund für den Erstbezug von Legionslagern (Carnuntum, Viminacium und Novae) bleiben unbekannt. Zumindest aus militärischer Sicht existierte die römische Donaugrenze erst seit den Flaviern. 6. 2. 5. 3 Römische Kolonien Die Installation von Kolonien römischer Bürger in Makedonien und Illyrien begann im Gefolge der Bürgerkriege, nach den Entscheidungsschlachten von
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Pharsalos 48 v. Chr., Philippi 42 v. Chr. und Actium 31 v. Chr. Später gab es nur noch wenige Koloniegründungen, und wenn, dann nur für entlassene Veteranen dieser oder einer benachbarten Provinz. Es läßt sich kein strategisches Schema bei der Plazierung dieser Kolonien ausmachen, allerdings läßt sich eine Bevorzugung von größeren Häfen und Straßen feststellen. Die caesarischen K o lonien Patrai und Korinth waren die wichtigsten Häfen Achaias, was sich auch an ihrer späteren Prosperität zeigt, vergleicht man sie mit dem Fehlschlag Dyme (Neu-Patrai) oder den mäßig erfolgreichen Siedlungen Buthrotum und Byllis [ R P C I, S. 2 4 9 - 2 6 2 ] . Die fünf makedonischen Kolonien entstanden nach dem Bürgerkrieg. Kassandreia und Dion waren Gründungen von M . Brutus, während Philippi von Antonius am O r t der Schlacht eingerichtet wurde. Nach A c tium erlaubte Octavian antonischen Siedlern, die man aus Italien vertrieb, sich in Dyrrhachium, Philippi und anderen Plätzen (vielleicht waren Kassandreia, Pella und Dion darunter) anzusiedeln. D e r außergewöhnliche hohe Status des ius Italicum [S. 8fF.; Band I, S. 265f.] für Dyrrhachium, Kassandreia, Philippi und Dion könnte eine Entschädigung für ihre Vertreibung aus Italien gewesen sein. Dieses Privileg erhielten auch die Siedler von Stobi in Paionien [ R P C I, S. 2 8 7 - 3 1 0 ; Papazoglu 54, S. 3 5 7 - 3 6 1 ; Papazoglu 55]. In Illyrien entstanden einige Kolonien aus vorhandenen Ansiedlungen römischer Bürger (conventus civium Romanorum), von denen einige im Bürgerkrieg auf Caesars Seite gestanden hatten. Zu ihnen gehörten Salona (colonia Martia Iulia), Narona und Epidaurum. D i e neuen Städte erhielten riesige Territorien; das von Salona umfaßte nicht nur mehrere kleinere Siedlungen, sondern auch die Insel Pharos (Hvar), die von einem Präfekten verwaltet wurde. Obwohl sie von kolonialem Charakter waren, besteht Unklarheit über den Status einiger kleinerer Gründungen entlang der Küste des alten illyrischen Königreiches, darunter Risinium (Risan), Acruvium (Kotor), Butua (Budva), Olcinium (Ulcinj), S c o dra (Shkoder) und Lissus. Risinum trug das Epithet Iulium, während Scodra auf einer späteren Inschrift Kolonie genannt wird. Weiter im Norden, in Liburnien, bezeichnete die Kolonie Jader (Zadar) Augustus als ihren Gründer {parens coloniae), so daß der wahrscheinlichste Anlaß für die Ansiedlung die Kaperung der liburnischen Flotte 35 v. Chr. durch Agrippa ist. Zur selben Zeit könnten K o l o nien in Senia (Senj) und in Istrien in Pola und Parentium angesiedelt worden sein, während die etwas ältere Gründung Tergeste (Triest) nach einem verheerenden Überfall der Japoden befestigt wurde [Wilkes 88, S. 192-261; Alföldy 3, S. 2 9 8 - 3 1 0 ] , D i e wegen des Pannonischen Aufstandes verschobenen Entlassungen finden ihren Niederschlag in einigen außergewöhnlich hohen Dienstjahrzahlen, die sich insbesondere auf Grabsteinen von Veteranen finden, die bei dalmatischen Legionslagern angesiedelt wurden. D e r pannonische Soldatenaufstand von 14 n. Chr. wurde verursacht durch die Unzufriedenheit mit den geringen Belohnungen für die langen Jahre im Krieg. Vielleicht waren diese „Belohnungen" die mageren Acker auf dem Territorium der neuen Kolonie Emona, wo die B e f e stigung offensichtlich 1 4 / 5 n. Chr. errichtet wurde. Neue Siedlungskolonien
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entstanden erst wieder unter Claudius, der Savaria in Pannonien, Aequum (bei Sinj) in Dalmatien sowie Apros in Thrakien zur Aufnahme von Veteranen dieser oder benachbarter Provinzen gründete [Mann 46, S. 3 0 - 3 9 ; Sasel-Kos 69, S. 2 3 1 - 2 3 3 ] , 6. 2. 5. 4 Militärstraßen Bis zur Unterwerfung der Pannonier war die römische Landverbindung nach Osten die via Egnatia von Dyrrhachium und Apollonia an der Adria nach Thessalonike, Philippi und Byzanz gewesen, die nach der Annektierung Makedoniens 148 v. Chr. gebaut worden war [Hammond 33, S. 19-58; Collart 13, S. 1 7 7 - 2 0 0 ] . W i e schon im Italien der vorherigen Jahrhunderte folgte auf römische Siege über indigene Völker der Ausbau eines Netzes strategischer Straßen, die man durch die Wälder und über die Berge legte. Der Bau einer solchen Straße konnte etliche Jahrzehnte dauern, wie bei der Strecke über die Ostalpen entlang der Etsch über den Reschen-Scheideck. Diesen Weg hatte zuerst Drusus 15 v. Chr. benutzt, er wurde aber erst während der Herrschaft seines Sohnes Claudius als via Claudia Augusta vollständig ausgebaut [ILS 208]. Abzweigende Straßen in Norikum könnten zu dieser Zeit im R a h m e n derselben Planungen errichtet worden sein. D e r Teil der pannonischen Hauptstraße, der zwischen Aquileia und Emona über die Julischen Alpen führte, wurde 14 n. Chr. in Nauportus (Vrhika) von einer Legionsabteilung ausgebaut [Tac. ann. 1. 20], 2 0 n. Chr. gab es im bergigen Dalmatien schon mindestens fünf größere Straßen. Alle gingen von Salona an der Adria aus, wo der konsularische Legat residierte, und mindestens zwei liefen durch das Land der Pannonier, die jenseits der Dinariden siedelten [Wilkes 88, S. 4 5 2 - 4 5 5 ; Bojanovski 7]. In Mösien bauten 33/4 n. Chr. Soldaten zweier mösischer Legionen an einem Treidelpfad entlang des Südufers des Donaudurchbruchs. Reparaturen mußten unter Claudius und später noch mehrfach durchgeführt werden, was angesichts der Überschwemmungen während der Eisschmelze nicht verwundert [ILIug. 55, 56, 58; Swoboda 16, S. 6 2 - 9 1 ; Petrovic 56]. Die thrakischen Prokuratoren richteten Polizeiposten [ILS 231 und Bd. III.2, Addenda, S. C L X X ; AE 1972, 193] ein, die für die Sicherheit des Verkehrs auf den Straßen über den Haimos sorgen sollten. Die M ü he, die die R ö m e r nach 9 n. Chr. auf den Straßenbau verwandten, zeugt von ihrer neuen Zuversicht.
6. 2. 6 Die indigenen Völker zur Zeit der Eroberung Z u m Zeitpunkt der römischen Eroberung bestand die seßhafte Bevölkerung der Donauländer aus vier Gruppen, den Kelten im Nordwesten, den Illyrern im Westen, den Dakern im Osten und den Thrakern nördlich und südlich der unteren Donau. Die antiken Schriftsteller bieten einige Informationen über ihre Lebensweise, während das archäologische und epigraphische Material viele neue Erkenntnisse zu ihrer materiellen Kultur, ihre sozialen Organisation und ihren
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Sprachen bringt. Die Thraker galten als das älteste Volk der Donauländer, und möglicherweise erstreckte sich ihr Siedlungsgebiet früher viel weiter nach Westen, also in die Region, die in historischer Zeit illyrisches Gebiet war und zu der das Strymontal die Grenze bildete. Ihre westlichsten Stämme waren die Maider, die Dentheleter und die kriegerischen Besser, die die westlichen Ebenen und das Rhodopegebirge bewohnten. Die fruchtbareren östlichen Landschaften Thrakiens waren von den Astern und den Odrysen besetzt, aus denen die Herrscherdynastien kamen. Nördlich des Haimos siedelten die Moser um Ratiaria und die Triballer u m Oescus sowie östlich des Flusses Utus, während die Geten der Dobrudscha, die mit den Dakern verwandt waren, auf der anderen Seite des Flusses lebten. Die Thraker wohnten in befestigten Dörfern und Hügelfestungen. In der klassischen Zeit importierten sie viele griechische Erzeugnisse aus Metall und Keramik. Zahlreiche Produkte fanden sich in den Gräbern mit großen Erdhügeln (tumuli) [Hoddinott 35], von denen man mehr als 15 000 gezählt hat. Im 4. Jh. v. Chr. kamen die Thraker unter die Herrschaft der Makedonen, die dort die ersten Städte anlegten. Danach begann eine stetige Abnahme ihres materiellen Wohlstands, die sich in den folgenden Jahrhunderten beschleunigte, als die hellenistischen Könige u m den Besitz dieses Landes stritten. „Illyrer" hießen ursprünglich nur die nichtgriechischsprachigen Stämme jenseits von Epeiros und Nordwestmakedonien, doch der Name wurde später u. a. auf die Delmater, die Pannonier, die Japoden, die venetischen Liburnier und die Istrier an der Adriaspitze ausgeweitet. Vor allem Personennamen auf kaiserzeitlichen Grabsteinen weisen darauf hin, daß sich die illyrische Besiedlung im Norden bis zum Drautal erstreckte und sich von Istrien im Westen bis zur unteren Save im Osten ausdehnte. Plinius der Altere gibt an, daß der N a m e ursprünglich ein relativ kleines Volk in der Nähe der Küste Nordalbaniens bezeichnete, das als erstes mit den Griechen u m den Beginn des 1. Jahrtausends v. Chr. in Kontakt kam [Wilkes 90]. Laut Strabon [7. 3. 13] „sprechen Daker und Geten dieselbe Sprache", und einige frühe Schriftsteller verwechseln diese zwei Gruppen, ehe in der Mitte des 1. Jh.s v. Chr. die Daker unter Burebista ihre Macht ausdehnten und das Karpatenbecken sowie die untere Donau beherrschten. Im Westen unterlagen ihnen die Taurisker und die keltischen Boier, im Osten beherrschten die Daker die Schwarzmeerstädte von Olbia im Norden bis nach Apollonia im Süden. Caesar soll angeblich einen Feldzug gegen sie geplant haben, doch jede Bedrohung der R ö m e r endete mit dem Tod Burebistas und der Aufteilung seines Reiches unter vier oder fünf rivalisierenden Fürsten. Im Bereich der materiellen Kultur überragten die Daker aufgrund des keltischen Einflusses ihre Nachbarn. Auch begannen sie die transsilvanischen Metallvorkommen nutzen. In hellenistischer Zeit hatten sie Rohstoffe gegen Wein, Ö l und Preziosen exportiert. Mit der großen Zahl römischer Silbermünzen aus dem 1. Jh. v. Chr., die man in Dakien fand, könnten Sklaven von römischen Händlern angekauft worden sein [Daicoviciu 18; Glodariu 29].
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Die keltischen Völker stießen als letzte in die Donauzone vor. Ihr Vormarsch im 5. und 4. J h . v. Chr. ist historisch dokumentiert. Einige Auseinandersetzungen mit Illyrern sind bei griechischen Autoren verzeichnet. Berüchtig wurden sie wegen ihres Einfalls im 3. J h . in den Südbalkan, bei dem sie die makedonische Armee besiegten (279 v. Chr.) und sogar bis nach Delphi kamen. Nachkommen dieser umherziehenden Horden sollen die Skordisker gewesen sein, die im Zentralbalkan während des späten 2. und des frühen 1. Jh.s ν. Chr. ein bedeutender Machtfaktor waren [Papazoglu 53, S. 2 7 2 - 2 7 8 ] . Etliche Ortsnamen keltischer Herkunft - Ratiaria, Durostorum, Noviodunum — bezeugen ihre Präsenz an der unteren Donau. In Pannonien nördlich der Drau nahmen keltische Stämme eine Vormachtstellung ein, unter ihnen die einst mächtigen Boier und die Eravisker am Donauknie [Mócsy 51, S. 2 4 - 3 0 ] . Die Ankunft der Kelten scheint mit dem Ubergang von der früheren (Hallstatt) zur späteren (La Tène) Phase der vorrömischen Eisenzeit zusammenzufallen. Die Kelten verbreiteten unter den Illyrern neue Techniken der Metallbearbeitung [Wilkes 90, S. 137f.]. Die Art dieses Einflusses illustriert Strabons Kommentar [7. 5. 4] über die illyrischen Japoden, die, während „ihre Rüstung keltisch war, tätowiert wie alle anderen Illyrer und Thraker waren." D i e klassische Welt sah die Danubier als völlig rückständig an. Sie kannten weder politische Strukturen noch sonstige Formen gemeinsamen Handelns, benützten kein Geld, waren landwirtschaftlich unbegabt und pflanzten weder O l noch Wein. Sie betranken sich exzessiv und benahmen sich in allen Formen persönlicher Beziehungen barbarisch. Allerdings fanden sich in manchen G e genden Anzeichen griechischen und römischen Einflusses beim Bau und E n t wurfgrößerer Siedlungen. Im Bereich des alten illyrischen Königreiches zeigen viele Hügelsiedlungen den Einfluß griechischer Steinbauweise [Wilkes 90, S. 129-136]. Weiter im Norden beeinflußten die Kulturen der italischen Halbinsel die Kultur der adriatischen Illyrer, insbesondere die der Liburnier und J a poden an der Nordadria. Unter dem Delmatern zeichnete sich die Hauptsiedlung der Riditer (Danilo nahe Sibenik) durch die große Zahl lateinischer Inschriften mit indigenen Namen aus, von denen viele in die Zeit vor der Organisation der Stadt unter den Flaviern gehören [Wilkes 88, S. 240f.]. Die zahllosen Hügelfestungen der R e g i o n erscheinen in den Inschriften als castella [ILIug 1852f.] und unterstanden normalerweise einem lokalen Dynasten (princeps). B e i den Liburniern wurden Hügelbefestigungen während der julisch-claudischen Zeit im Stil römischer Städte ausgebaut [Svic 74, S. 138-140]. Die von Kriegerhäuptlingen geführten Kelten sind für ihre großen, befestigten Siedlungen (oppida) und ihre ausgedehnten Friedhöfe bekannt, in denen sich Waffen, Helme, Rüstungen und Trachtzubehör finden. Bei den Norikern in Kärnten war das oppidum auf dem Magdalensberg (um 100 v. Chr. errichtet) durch einen steinverkleideten Doppelwall (murus duplex) geschützt [Piccottini/ Vetters 58, S. 10-17], Die Hauptsiedlung der Eravisker lag auf dem Budapester Gellerthügel und kontrollierte den Flußübergang. Zu römischer Zeit hatte sie sich über die Abhänge nach unten, zum Fluß hin, ausgebreitet [Bonis 8], Hier
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w u r d e n bis in augusteische Zeit die eraviskischen Silbermünzen geprägt, die r ö mische Denare imitierten. Grabungen in den Orastiebergen Südwesttranssilvaniens haben viele der Burgen entdecken können, auf denen die Herrschaft von Burebista und später Decebalus basierte. D e n Nordzugang ins M u r e r a i überblickte Coresti, das auf einem isolierten, 560 m h o h e n Hügel lag, dort, w o der Fluß Apa die Berge verläßt. Die frühesten Bauphasen hat man in Burebistas Zeit datiert, wie auch bei den anderen Festungen der Gegend (Blidaru, Vîrful lui Hulpe, Piatra Ro$ie, Banita, Capilna). Im Z e n t r u m dieses Komplexes in den Bergen lag Gradi§tea Muncelului, eine große Festung (ca. 4 ha), und eine größere Zahl von Tempeln. Dieses Ensemble hat man mit der dakischen Hauptstadt Sarmizegetusa identifiziert. Die meisten Befunde gehören in die Zeit der letzten Phase dakischer Unabhängigkeit unter Decebalus (ca. 85-105 n. Chr.), doch der Platz war schon unter Burebista ein größeres religiöses Z e n t r u m . Die H e i ligtümer bestanden aus R e i h e n von Holzsäulen auf kreisrunden Andesitbasen, was die Haine imitieren sollte, in denen man die Weihungen an die Götter aufstellte. Die N a m e n der einzelnen Priester des Heiligtums w u r d e n in griechischen Buchstaben auf Stein festgehalten [Mackendrick 45, S. 53-66].
6 . 2 . 7 Gesellschaft und Wirtschaft unter der julisch-claudischen Dynastie 6. 2. 7. 1 Peregrine Gemeinwesen Plinius der Ältere [nat. 3. 141-149] und Strabon [Bücher 2 und 3] beschreiben, wie indigene Gemeinschaften von den R ö m e r n nach der Eroberung umorganisiert wurden. In der späten Republik waren die indigenen illyrischen G e m e i n schaften unter römischer Kontrolle in d e m juristischen Bezirk (conventus) von Narona zusammengefaßt, der 86 einzelne Gemeinwesen zählte. N a c h der Teilung Illyriens u m 9 n. Chr. w u r d e n die Völker Dalmatiens in drei solche Bezirke — Scardona, Salona, Narona — eingeteilt. Scardona war der kleinste u n d u m faßte nur die Japoden und 14 kleinere binnenländische Gemeinden der Liburnier, von denen Plinius nur vier (Lakiniensen, Stulpiner, Burnister und Olbonensen) erwähnenswert fand. In den Salona- und Narona-Bezirken w u r d e die relative G r ö ß e der civitates durch die Zahl der decuriae angegeben, die vielleicht eine Einheit des römischen Zensus darstellten, die man mit einer früheren indigenen Einteilung gleichsetzte. Die Delmater (342 decuriae) des Salona-awventus, die größte civitas der Provinz, saßen im Z e n t r u m des Küstenstreifens, ihr Gebiet erstreckte sich ins Landsinnere bis zu den H o c h e b e n e n der Dinariden. Im Nordwesten lebten zwei große pannonische Gruppen, die Ditionen (239) in Westbosnien u n d die Mäzäer (269) in den Tälern von Save u n d Una. Die kleineren civitates der Sardeaten (52) u n d D e u r e r (25) saßen vielleicht im Vrbastal. Die früher 89 civitates des Naronz-conventus wurden auf 13 reduziert. Die von Plinius aufgelisteten N a m e n lassen ihn an frühere Episoden denken, so die „Vardäer, einst die Plünderer Italiens, heute nur 20 decuriae groß". Viele kleinere
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Stämme des alten illyrischen Königreiches w u r d e n in die civitas der Dokleater integriert, deren Z e n t r u m Doclea (nördlich des Scodrasees) war. Die zentralbosnischen Däsitiaten, die den großen Aufstand von 6 n. Chr. ausgelöst hatten, waren n u n m e h r auf 103 decuriae reduziert. Ihre südlichen Nachbarn, wohl die Narensier (102), waren ein Konglomerat aus vielen Völkern im herzegowinischen Neretwatal. In den Bergtälern des nördlichen M o n t e n e g r o wurden 9 n. Chr. die Pirusten nach langem Kampf als letzter Stamm besiegt. N a c h der E r oberung teilte man sie aus strategischen Gründen in eine Anzahl kleinerer G r u p p e n auf, zu denen die Sikuloter (24), die Keraunier (24) und vielleicht auch die Skirtarer (72) in der N ä h e der makedonischen Grenze gehörten. Das Schicksal der vorkeltischen Skordisker bleibt ein Rätsel. Vielleicht teilte sie die Grenzziehung zwischen Dalmatien, Pannonien u n d Mösien in der R e g i o n südlich und westlich Belgrads in drei verschiedene civitates, in jeder Provinz eine. Es gab die Kelegerer in Mösien, die Dindarer im mittleren Drinatal in Dalmatien und eine civitas der Skordisker in Sirmien zwischen der unteren Save u n d der Drau [Wilkes 88, S. 153-171]. Auch anhand der in Pannonien aufgezählten civitates (ohne decuriae-Angaben) läßt sich R o m s Absicht erkennen, die mächtigeren G r u p p e n in kleinere Einheiten aufzuspalten. Einige dieser civitates tragen N a m e n bekannter Völker, so die Boier, Breuker, Andizeten, Amantiner, Skordisker und Latobiker, aber andere sind nach Ortsnamen benannt, so die Kornakaten nach C o r n a c u m (Sotin an den D o n a u oberhalb Belgrad), die Varkianer nach Varceia und die Osseriaten nach einem O r t im Savetal. Diese stellen die Splitter der einst mächtigen, oben aufgelisteten Stämme dar, während die illyrischen Azaler möglicherweise aus Südpannonien donauaufwärts deportiert worden waren [Mócsy 51, S. 53-56]. In anderen Donauregionen fiel R o m s Neugliederung der indigenen Völker nicht so drastisch aus wie in Illyrien. Die von Plinius [nat. 3. 149] aufgezählten N a m e n — Dardaner, Kelegerer, Triballer, Timacher, Moser, Thraker und Skythen — decken das Gebiet zwischen dem Zentralbalkan und dem Schwarzen Meer ab u n d waren wohl keine offizielle Liste der civitates, wenigstens nicht östlich der Triballer u m Oescus. Die Situation nach Mösiens Konstituierung als Provinz unter Claudius könnte die Grundlage von Ptolemaios' Liste gewesen sein, die sich von der des Plinius unterscheidet und etliche kleinere G r u p p e n nennt, deren Zentren einzelne O r t e entlang der D o n a u sind, die Trikornensen (Tricornum), Pikensier (Pincum), Ötensen (Utus), Dimensen (Dimum), O b utensen (unbekannt), Appiarensen (Appiaria) u n d die Peukiner aus Peuce im Delta. Die erste schriftliche Hinterlassenschaft indigener G r u p p e n im römisch beherrschten N o r i k u m geht der provinzialen Organisation unter Claudius ein halbes Jahrhundert voraus. Es handelt sich u m W i d m u n g e n an die drei f ü h r e n den D a m e n in Augustus' Haushalt, Livia u n d die beiden Julia, aus der Magdalensbergsiedlung in Kärnten. Die acht genannten Völker, Noriker, Ambiliner, Ambidr(aver), Uperaker, Sävaten, Laianker, Ambisont(en) u n d Elveter (Ptolemaios' Liste ergänzt die Alauner), scheinen auf den Süden u n d Westen der Provinz beschränkt zu sein [Alföldy 2, S. 66-70].
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Z u r Zeit des Claudius k ö n n t e es mehr als 80 civitates unter den indigenen Völkern gegeben haben, die erst von den R ö m e r n künstlich geschaffen worden waren. Viele von ihnen blieben noch mehrere Generationen nach der Eroberung unter militärischer Kontrolle, während andere, die nicht unmittelbar in Kriegshandlungen verwickelt gewesen waren, unter ad-hoc-Priiekturen gestellt wurden, so die in Liburnien u n d die Japoden während des Batokrieges von 9 n. Chr. [ILS 2673, 3320]. Die Verwaltung ü b e r n a h m e n höhere Z e n t u r i o n e n und K o m m a n d e u r e von Auxiliareinheiten. So war der höchste Z e n t u r i o der Poetovio-Legion in Pannonien für die Kolapianer [ILS 9199] im Tal der Kolapis (Kupa) zuständig, während der Befehlshaber der Reitereinheit in Arrabona an der pannonischen D o n a u nicht nur Boier [ILS 2737] und Azaler, sondern auch diesen Donauabschnitt verwaltete. Ein lokaler Primipil kontrollierte die pannonischen Mäzäer und Däsitiaten in Norddalmatien [CIL 9. 2564], D e r erste Statthalter (procurator) von N o r i k u m , den Claudius einsetzte, war zuvor höchster Z e n t u r i o der Oescus-Legion gewesen u n d hatte sich u m die civitates von Moesia et Triballia g e k ü m m e r t [ILS 1349]. W i r besitzen keinerlei Zeugnisse darüber, welche Veränderungen die römische Herrschaft auf lokaler Ebene für die indigenen Gemeinden mit sich brachte, doch war wohl eine lange Zeit nach 9 n. Chr. die Militärverwaltung die härteste F o r m römischer Autorität. Alle belegten Rangtitel (wie princeps) [CIL III 2776, 14325-14328, 15064f.; ILIug 185] oder Bezeichnungen sozialer und familiärer Organisation (gens, cognatio, centuria, decurio, decuria) sind römischer H e r k u n f t [Wilkes 88, S. 185-190], w e n n man auch annehmen kann, daß die damit bezeichneten Strukturen eine lange Tradition hatten und in bestimmten Gegenden während der ganzen römischen Zeit fortdauerten. 6. 2. 7. 2 Die römischen Munizipien u n d die griechischen Städte Mösiens W ä h r e n d der julisch-claudischen Zeit beschränkte sich die Organisation römischer Städte unter den lokalen Gemeinschaften auf das venetische Liburnien in Norddalmatien u n d die keltische Bevölkerung Norikums. Plinius der Altere nennt mehrere liburnische Gemeinschaften mit dem italischen R e c h t (ius Italicum). Dies könnte als Entschädigung dafür verliehen worden sein, daß diese Städte zu der neuen kaiserlichen Provinz Liburnien geschlagen wurden, w ä h rend sie zuvor als Teil Nordostitaliens behandelt worden waren [S. 5f.]; Wilkes 88, S. 481-492], Z u dieser Kategorie gehören zwei Gemeinschaften an der istrischen Ostküste (Aluter u n d Flanaten), die Lopser an der Küste südlich von Senia und die Varvariner nahe der Südgrenze zu den Delmatern. Eine ähnliche Erklär u n g ist für die Tributbefreiung (immunitas) der Kurikter u n d Fertinaten auf der Insel Curicta (Krk) und der Asseriaten Südliburniens wahrscheinlich. Zahlreiche eingebürgerte Indigene mit dem Gentilnamen Iulius legen nahe, daß etliche Munizipien in augusteische Zeit gehören u n d daß die meisten Liburnier vor dem Ende der julisch-claudischen Zeit in neue römische Städte organisiert w o r den waren. Die Einrichtung dieser neuen a u t o n o m e n römischen Gemeinden scheint Anlaß zu zahlreichen Territorialstreitigkeiten gegeben zu haben, die aus
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der ursprünglichen Liste von Statthalter Cornelius Dolabella (12-20 n. Chr.), der forma Dolabelliana, entstanden. Die saisonale Wasserknappheit in dieser G e gend führte zu vielen Konflikten. Bei den Statthaltern gingen zahllose B e schwerden ein, woraufhin diese gewöhnlich einen höheren Z e n t u r i o n e n als Schiedsrichter (iudex) abstellten [Wilkes 88, S. 456-459], der zusammen mit einer Abteilung militärischer Landvermesser die Grenze markierte. Z u den Veränderungen, die die keltischen Stämme N o r i k u m s unter Claudius erlebten, gehörte die Einrichtung von fünf der insgesamt acht Munizipien der Provinz [Alföldy 2, S. 81-103]. Die G r ü n d u n g des nahen V i r u n u m auf d e m Zollfeld beendete Handel und Verwaltung auf d e m Gebiet des Magdalensberg (allerdings könnten andere Veränderungen, wie die E i n f ü h r u n g des Staatsmonopols für lokale Eisenarbeiten, zum schnellen Niedergang dieses freien Marktes beigetragen haben). V i r u n u m blieb mehr als ein Jahrhundert lang Sitz der P r o vinzialverwaltung u n d war das bei weitem blühendste Z e n t r u m der Provinz. Teurnia u n d A g u n t u m lagen im oberen Drautal, Teurnia auf einem steil abfallenden Hügel, der den Fluß beherrschte; diese Lage sicherte ihr Uberleben auch in späteren Jahrhunderten. Celeia/Celje im Südosten war aus einem keltischen oppidum an der pannonischen Hauptstraße zwischen E m o n a und Poetovio hervorgegangen, während Iuvavum nördlich der Tauern lag, an der Stelle, an der die Salzach aus ihrer Schlucht hervorbricht. Später kamen noch neue Munizipien hinzu, nämlich das flavische Solva im Murtal nahe Graz u n d die hadrianischen C e t i u m und Ovilava nahe der Donau. Mit der claudischen Urbanisierung N o r i k u m s geschah es j e d o c h zum ersten Mal, daß die Masse der indigenen B e völkerung einer Donauprovinz assimiliert wurde. Z u m Zeitpunkt der Eroberung waren die griechischen Städte an der illyrischen Adriaküste nur noch ein Schatten ihrer selbst. D o c h die claudische Organisation Mösiens brachte eine Gruppe immer noch blühender Griechenstädte an der Schwarzmeerküste in der N ä h e des Donaudeltas in die römische Provinz [Vulpe/Barnea 86, S. 46-67]. Seit den Siegen über Mithradates von Pontos im 1. Jh. v. Chr. gerieten die griechischen Städte der Schwarzmeerküste immer mehr unter römischen Einfluß, und Kallatis, eine von ihnen, Schloß sogar ein formelles Bündnis. Die fünf Städte südlich des Donaudeltas (Istros/Histria, Tomis, Kallatis, Dionysopolis und Odessos) hatten sich zur „Pentapolis des linken Pontosufers" zusammengeschlossen. Bis zur Konstituierung der Provinz Mösien schlugen sie eine gemeinsame lokale W ä h r u n g u n d hielten in Tomis eine Ratsversamlung und ein religiöses Fest unter einem gewählten Pentarchen ab. D e r „Präfekt der Meeresküste", der die Flotte in Tomis befehligte, war der lokale Repräsentant der römischen Autorität, dem immer m e h r Aufgaben hinsichtlich der Sicherheit der Gegend zufielen. Ovid vermittelt das allgemeine Gefühl der Unsicherheit, kann aber auch berichten, wie die Sarmaten mit ihren Wagen friedlich die zugefrorene D o n a u überqueren. Histria weihte einen Tempel an Augustus, während der erste Kaiser noch lebte. D a ß die Griechenstädte n u n mehr Teil der Provinz Mösien waren und dementsprechend Steuern zahlen mußten, kann k a u m erfreulich für sie gewesen sein. U b e r Histria wissen wir
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viel, da sich die frühe Korrespondenz mit den mösischen Statthaltern erhalten hat. Sie findet sich im Anhang zu einem Dokument, das die genaue Ausdehnung des Territoriums dieser Stadt enthält und erneut Histrias Fischerei- und Brennholzsammelrechte bestätigt [ISM I 67f.]. Als an der unteren Donau der neue Steuerbezirk „Thrakisches Ufer" (ripa Thraciae) organisiert wurde, stellten die übereifrigen Vertreter dieser Behörde die Rechte der Histrier, namentlich, was Fischfang und Feuerholzsammeln angeht, in Frage. So mußten die Bürger wiederholt beim Legaten um Schutz bitten, wobei sie anscheinend von den lokalen römischen Präfekten unterstützt wurden. Nebenbei erfahren wir bei dieser Gelegenheit, daß Pökelfisch die wichtigste Einnahmequelle der Stadt war so jedenfalls stellt es ein Statthalter dar. 6. 2. 7. 3 Handel und Siedlungen Vor dem Ende der julisch-claudischen Zeit läßt sich kein römischer Einfluß in der materiellen Kultur der meisten Donauvölker nachweisen. In der Mitte des 1. Jh.s v. Chr. hatten hellenistische und römische Münzen einen weiten Umlauf in den Donauländern, und einige Gruppen unter den Thrakern, Dakern, Illyrern und Kelten münzten selbst. Doch weder erscheinen Importgüter in solchem Volumen noch liegen lokale Prägungen in so vielen verschiedenen Werten vor, als daß dies auf echten Geldhandel hinweisen würde. Die zahlreichen Münzen Dyrrhachiums und Apollonias, die um 100 v. Chr. auftauchen, könnten mit dem römischen Sklavenhandel zusammenhängen. Auf Sklaven basierte die römische Weidewirtschaft, die sich seit den Kriegen im Südwestbalken (Epeiros und Illyrien) entwickelt hatte. Die außergewöhnliche Konzentration römischer Denare in Dakien um die Mitte des 1. Jh.s ν. Chr. könnte auch mit dem Sklavenhandel zusammenhängen, wobei in diesem Fall Burebistas dakisches Reich als Lieferant diente, nachdem das Seeräuberunwesen auf dem Mittelmeer von Pompeius i. J. 67 v. Chr. ausgerottet worden war. Die Menge römischen Silbers augusteischer Zeit, das jenseits des Flusses gefunden wurde, deutet darauf hin, daß sich die Suche nach Sklaven weit hinein erstreckte [Crawford 15, S. 235-237]. Römische Münzen gelangten zuerst mit den Armeen und deren Troß nach Illyrien. Horte entlang der pannonischen Hauptstraße (Emona, Celeia und Poetovio) und um Mursa und Sirmium erklären sich wohl mit der militärischen Präsenz [Kos 42, S. 25-37], Römische Feldzüge könnten auch für die römischen Denare in Hortfunden bei den Delmatern (Bastasi und Livno) u n d j a p o d e n (Ribnica) verantwortlich sein, während Depotfunde in zivilisierteren Gegenden in Küstennähe (Zadar und Krusevo in Liburnien, Capljina und Narona im Neretwatal und Hvar und Gajine auf der Insel Hvar) eher auf stabilere wirtschaftliche Beziehungen hindeuten [Mimik 49], Italiens Handel mit den Donauländern verlief über Aquileia und die Julischen Alpen. Jenseits des Passes war während der späten Republik eine Handelssiedlung (vicus) in Nauportus (Vrhnika) entstanden, wo einst die Kelten dieser Gegend eine Zollstation unterhalten hatten [Sasel 68, S. 500-506; Horvat 36]. Z u sätzlich zum Sklaven-, Vieh-, Leder- und Bernsteinhandel mit dem Baltikum
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war Aquileia auch das Z e n t r u m des Großimports von norischen Metallerzeugnissen. D o r t , in N o r i k u m , war u m 50 v. Chr. ein florierendes römisches Kontor auf einer Terrasse (920 m) unterhalb des Magdalensberg-opptifwrn (1058 m) in Kärnten entstanden. Seine Prosperität dokumentiert die lebensgroße Bronzestatue des keltischen Mars Latobius, die Händler aus Aquileia gestiftet hatten, unter denen sich einer aus der bekannten Familie der Barhii befand. Eisen, Kupfer, Blei, Zink und Messing (eine Kupfer-Zink-Legierung) w u r d e n nicht nach G e wicht, sondern nach bestimmten Produkten quantifiziert (s. u.). Die Fachwerkhäuser der römischen Kaufleute wiesen teilweise eine aufwendige Innendekoration auf. Auf die getünchten W ä n d e einiger Keller, die u m 35 v. Chr. aufgegeben und verfullt wurden, hatte man die Gesamtlisten an Metallarbeiten geritzt: aus Eisen oder Stahl: R i n g e (annuii), Äxte (secures), Ambosse (incudes)·, aus Messing oder Kupfer: Gefäße (cafi), Tassen (cumbae), Platten (disci), Becher (scifi) und Krüge (urcei). U n t e r Augustus w u r d e die Siedlung radikal u m g e f o r m t und diente dann als Z e n t r u m einer römischen Behörde. Teile des Handelsbereichs w u r d e n abgerissen, u m Platz für öffentliche Gebäude zu schaffen. Auf einige W ä n d e w u r d e n informelle Grußbotschaften an Augustus u n d Tiberius eingeritzt. Es findet sich aber auch eine Tiberius-Karikatur, zusammen mit d e m B e richt über ein Opfer. In der N ä h e dieser Gebäude plante man einen großen klassischen Tempel (30 χ 18 m), der nicht fertig war, als die Siedlung aufgegeben wurde. Vielleicht war er für einen neu eingerichteten Kult von R o m a und Augustus gedacht [Alföldy 2, S. 10-14; Piccottini 57]. Frühe römische Siedlungen in den Donauländern hatten wenig Auswirkungen auf die Indigenen und stellten keinesfalls wirtschaftliche Vorboten der politischen Herrschaft dar. An der Neretwa k ö n n t e n einige große Gutshöfe auf Land existiert haben, das man den Delmatern u n d anderen Völkern w e g g e n o m m e n hatte. Im allgemeinen scheinen die Siedlungen an der Küste wenig K o n takt zum Binnenland gehabt zu haben, wie auch in der späteren dalmatinischen Geschichte. Eine Anekdote illustriert die damalige Lage: Ein Sklave Ciceros war entflohen, man n a h m an, er sei zu den Ardäern entkommen. D e r illyrische Prokonsul Vatinius war zuversichtlich, den Sklaven zu finden, „außer w e n n er nach Dalmatien geflohen ist" — eine bemerkenswerte Aussage eines Statthalters, dessen Residenz in Narona nahe der dalmatinischen Küste stand [Cie. fam. 5. 9, 10a, 11], Die Stadtanlage und die zivile Architektur der frühen römischen Städte w a ren keineswegs einheitlich. Narona (Vid) behielt den Charakter einer Handelsniederlassung auf einem Hügel und wurde von vorrömischen M a u e r n u m schlossen. D o c h es besaß einige prächtige Bauten und M o n u m e n t e , die häufig von reichen Freigelassenen finanziert worden waren. Sofern die G r o ß g r u n d b e sitzer überhaupt am städtischen Geschehen teilnahmen, residierten sie in großen, gutausgestatteten Häusern, die sich in der U m g e b u n g während des 1. Jh.s η. Chr. nachweisen lassen [Rapanic 66]. Salona erhielt ein neues Forum, das sich innerhalb eines Straßennetzes mitten in der ursprünglichen römischen Siedlung befand [Clairmont 12, S. 38-82]. Es kann sich j e d o c h in der Pracht
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seiner Architektur nicht mit dem riesigen, zweigeteilten F o r u m mit capitolium (180 χ 130 m) von Jader messen, das einen großen Block in der Mitte des Straßennetzes der Kolonie einnahm [Svic 14, S. 150-152]. Im nahen Aenona befand sich das capitolium innerhalb eines neuen Forums, auf dem mehrere überlebensgroße Statuen aus Carraramarmor standen, die Mitglieder der julisch-claudischen Familie darstellten [Svic 14, S. 153], Das symmetrisch angelegte Straßennetz u n d die Verteidigungsanlagen von E m o n a (524 χ 435 m) erinnern an die augusteischen G r ü n d u n g e n Augusta Praetoria (Aosta) und Augusta Taur i n o r u m (Turin) [Sasel 68, S. 565-568]. Die späteren Veteranenkolonien A e q u u m [Wilkes 88, S. 359] u n d Savaria [Mócsy 51, S. 76-79] waren ebenfalls geplante Städte, wie auch das Munizipium V i r u n u m in N o r i k u m [Alföldy 2, S. 87-89; Vetters 84]. Nicht alle römischen Städte wurden an neuen Stellen angelegt. Im Falle der claudischen Munizipien in Liburnien w u r d e n existente H ö hensiedlungen in römische Städte umgewandelt, wobei insbesondere Asseria (bei Benkovac) u n d Varvaria (Bribir) mit regelmäßigem F o r u m und anderen öffentlichen Bauten, die man in das existente umwallte Gebiet einfugte, hervorzuheben sind. Das Territorium einiger Kolonien in Illyrien wurde vermessen und durch Straßen u n d Wege in Gitter aus rechteckigen centuriae eingeteilt. Die bislang bekannten Systeme (Salona, Jader, Narona, Epidaurum, Pola, Savaria) hatten centuriae-Biöcke von 20 auf 20 actus (ca. 700 m), was eine Fläche von etwa 51 ha (= 200 iugera = 1 0 0 heredia) ergibt und dem Standard der frühen Kaiserzeit entspricht [Bradford 11, S. 175-193; Mócsy 51, S. 78f.]. R ö m i s c h e Städte in den Donauländern zeigen einen römisch-italischen C h a rakter. W ä h r e n d der julisch-claudischen Zeit w u r d e n Ziegel und Dachplatten massenweise in großen Fabriken hergestellt, von denen zumindest eine - Parisiana bei Aquileia — in kaiserlichem Besitz war. Viel Material w u r d e die Adriaküste hinab verschifft, obwohl die A r m e e seit Claudius anfing, ihre eigenen Ziegel und Dachplatten herzustellen und zu stempeln. Die D o n a u a r m e e n brachten bald eine lokale Produktion verzierter Grabsteine hervor, w o f ü r der feine Kalkstein der dalmatinischen Küste benützt wurde. Einige frühe M o n u m e n t e entsprechen den kleinasiatischen „Türsteinen", die vor allem bei den orientalischen R e k r u t e n der legio VII populär waren [Wilkes 88, S. 499-502; Zaccaria 91]. Eine Version, die sowohl bei den Soldaten als auch bei der städtischen Bevölkerung beliebt war, verband die „Fensterportraits" des stadtrömischen Stils mit einer rahmenden Architektur aus Giebel u n d Säulen; darunter befand sich ein gerahmtes Feld für die Grabinschrift [Wilkes 88, Tf. 12, 14], Eine ähnliche K o m position kam in Pannonien und N o r i k u m in Mode, w o keltische u n d römische Begräbnisvorstellungen zusammenflössen [Alföldy 2, Tf. 47f.]. R ö m i s c h e Grabinschriften finden sich auf den kreisrunden Grabsteinen, die für Liburnien typisch sind. Diese indigene Tradition blieb auch in den neuen julisch-claudischen Munizipien lebendig [Wilkes 88, Tf. 22], Was die römische Präsenz für die Indigenen bedeuten konnte, veranschaulicht ein prächtiges Stück Reliefskulptur: Ein bei der dalmatischen Festung Tilurium gefundenes Relief zeigt ein tropaion in F o r m eines aufrecht stehenden Baumstumpfes, an dem Waffen hängen. Unter
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diesem sind zwei indigene Gefangene an den Stamm gefesselt und erwarten ihr Schicksal [Wilkes 88, Tf. 10]. N o c h bevor die Eroberung zum Abschluß gelangt war, w u r d e n Thraker, Illyrer u n d Kelten in die römischen Auxilien rekrutiert, sowohl als Fußtruppen wie als Reiter. Später finden sich in der römischen A r m e e Einheiten, die die N a m e n der Breuker, Delmater und Pannonier tragen [Kraft 43]. Viele M ä n n e r aus Dalmatien dienten in den kaiserlichen Flotten von Ravenna u n d Misenum. Sie stammten anscheinend gleichermaßen aus dem Binnenland wie von den seefahrenden Stämmen der Küste [Starr 71], Es läßt sich vor dem Ende der j u lisch-claudischen Zeit nicht nachweisen, daß der Militärdienst zur Verbreitung der römischen Lebensweise in der R e g i o n beigetragen hätte. Zweifellos gab es Männer, die aus diesen Ländern stammten, ihre H e r k u n f t versteckten und es in der römischen A r m e e weit brachten. D o c h hat kein Statthalter die Donauvölker für ihr eifriges B e m ü h e n u m die römische Kultur gelobt, vielmehr war lange Zeit das Gegenteil der Fall.
6. 3 Die Donaugrenze und die Romanisierung unter den Flaviern und den Antoninen A m Anfang wie am Ende dieser Periode stehen Bürgerkriege, in denen die D o nauarmee jeweils eine entscheidende Rolle spielte: 69 n. Chr. trat sie fur Vespasian ein, 193 η. Chr. h o b sie Septimius Severus auf den Schild. In der dazwischenliegenden Zeit w u r d e n Kelten, Illyrer und Dakomöser in einer lateinischen Provinzialkultur assimiliert, die im Süden von den hellenistischen Traditionen der griechischsprachigen Länder Makedonien und Thrakien beeinflußt wurde. Die Donauprovinzen waren von der Präsenz der A r m e e geprägt. A m Ende der Antoninenzeit befanden sich dort m e h r als ein Drittel aller römischen Legionen (12 von 30: ca. 6 0 0 0 0 Mann) u n d der Auxilien (ca. 8 0 0 0 0 Mann). Die Legionen, die die Donauländer erobert und verteidigt hatten, verlangten von den Kaisern Belohnungen in F o r m von Geldzahlungen u n d Landzuweisungen in eigens gegründeten Kolonien. Die Trennlinie zwischen den römischen H e r r e n und den unterworfenen Indigenen bestand in den Donauländern bis Hadrian. D a n n w u r d e die Rolle der A r m e e neudefiniert, die im wesentlichen statisch war und den Status quo aufrechterhielt, während in Friedenszeiten Training (disciplina) und Manöver die Schlagkraft garantieren sollten. Die provinzialen A r m e e n begannen nunmehr, in ihren Stationierungsgebieten Wurzeln zu schlagen, wobei sie mit den b e nachbarten Zivilsiedlungen durch den Kreislauf von R e k r u t i e r u n g und Entlassung in engem Kontakt standen. Die Jahrzehnte der Stabilität unter Hadrian u n d den Antoninen führten zu einer Interessensidentität zwischen den A r m e e n u n d ihrem Land, was sich im 3. Jh. zeigte, als die Illyriciani von der D o n a u das R e i c h beherrschten.
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6. 3. 1 Die flavischen Kriege an der Donau Die Flavierzeit ist gekennzeichnet durch die zunehmende Stationierung von Auxiliareinheiten, Reitern wie Fußsoldaten, entlang der Donau von Rätien bis zum Schwarzen Meer. Von den sechs Legionen standen bereits vier am Strom, eine in Pannonien (Carnuntum) und drei in Mösien (Viminacium, Oescus und Novae). Die stete Zunahme der Auxiliartruppen in Pannonien, die die Militärdiplome bezeugen, spiegelt sich auch in dem anwachsenden archäologischen Material für den Bau neuer Lager zwischen 70-85 n. Chr. Vespasian, nicht Domitian, müssen wir die Errichtung einer Kette von Lagern entlang des Flusses zuschreiben, aus der sich das spätere Grenzsystem entwickelte. Die Kette setzte sich flußabwärts bis Mösien fort, nicht aber auf der letzten Strecke [Wilkes 89, S. 264-268]. Unterhalb von Appiaria (nahe Orehovo), wo eine Inschrift Bautätigkeiten für das Jahr 76 bezeugt [AE 1957, 307], gibt es keine Belege für römische Lager vor Traian. Eine Ausnahme stellt vielleicht die mösische Flotte dar, deren Basis Noviodunum (Isaccea) in der Nähe der Deltaspitze unter den Flaviern errichtet wurde, wie das Lager der pannonischen Flotte in Taurunum (Zemun) nahe der Savemündung. Dahinter wurden Grenzstraßen erbaut und gewartet, wie der Donautreidelpfad, der unter Tiberius angelegt wurde und wenigstens durch einen Teil der Schluchten unterhalb Belgrads die Fahrt ermöglichte [ILIug 55, 58; Petrovic 56]. Zwischen der Katastrophe von Fonteius Agrippa 70 η. Chr. und der von Oppius Sabinus 85 oder 86 n. Chr scheint es keine Grenzzwischenfälle gegeben zu haben. Die Oppius-Niederlage, die sich vermutlich im Banat zwischen Theiß und Donaudurchbruch ereignete, machte drastisch klar, daß mit Dakien unter Decebalus wieder zu rechnen war. Domitian kam persönlich auf den Kriegsschauplatz, Mösien wurde in zwei konsularische Kommandos geteilt, und man verlegte Legionen aus dem Westen an die Donau, die in Pannonien in Vindobona, Brigetio und Aquincum Quartier bezogen. 86 oder 87 n. Chr. unternahm der Prätorianerpräfekt Cornelius Fuscus einen Feldzug nach Dakien, der mit einer verheerenden Niederlage endete, die man mit der des Varus in Germanien vergleichen kann. Ein anderer Feldzug unter dem erfahrenen Tettius Iulianus war erfolgreicher und konnte einen Sieg bei Tapae erringen, beim Südwestzugang Dakiens. Einen für 89 geplanten Angriff auf Decebalus hat wohl die Rebellion des Saturninus in Germanien vereitelt. Eine bedrohlichere Entwicklung stellte die neuerliche Feindseligkeit der germanischen Sueben und der sarmatischenjazygen jenseits von Pannonien dar. Man Schloß Frieden mit Decebalus, und Domitian konnte sich auf Pannonien konzentrieren. Ein weiterer Rückschlag, die Vernichtung einer Legion durch die Sarmaten, veranlaßte den Kaiser 92 n. Chr., neun Monate lang persönlich an der Front zu kommandieren. Es gelang ihm zwar, die Sarmaten zurückzuwerfen, doch die Schwierigkeiten an der Germanenfront blieben. Irgendwann griffen die Lugier, die hinter den Markomannen und Quaden lebten, mit römischer Kavallerieunterstützung in den Krieg ein. Wir wissen auch, daß der hohe Zenturio C. Velius Rufus eine
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Expedition durch Dakien führte (offensichtlich gemäß der kürzlich geschlossenen Vereinbarung), um die Markomannen, Quaden und Sarmaten anzugreifen [ILS 9200]. 97 η. Chr. gab es einen Sieg über die Germanen jenseits von Pannonien, was als günstiges Omen für die Adoption Traians durch Nerva angesehen wurde [Plin. paneg. 8. 2; Wilkes 89, S. 268-270],
6. 3. 2 Die Eroberung Dakiens Traían verwarf Domitians Einigung mit Decebalus, und zwar eher aus politischen denn aus strategischen Gründen. Nach sorgfältiger Planung verlegte er zusätzliche Truppen an die Donau. 100 n. Chr. war ein neuer Treidelpfad aus dem Fels des unteren Abschnitts des Donaudurchbruchs (Kazan) geschlagen worden, und im folgenden Jahr wurde das Eiserne Tor durch einen drei Meilen langen Kanal umgangen. Traians erster Angriff auf Dakien im selben Jahr durch das Banat von Südwesten her wurde durch einen Angriff auf die untere Donau pariert. Die Reliefs der Traianssäule in R o m zeigen, daß die Sarmaten dabei eine zentrale Rolle spielten. Die römische Antwort war ein Angriff auf Dakien i. J. 102 von der unteren Donau aus, der entweder über das Tal des Alutus (Alt) und den Turnu-Ro§u-Paß oder über den Fluß Jin und den Vulcanpaß geführt wurde. Ein mit Decebalus geschlossener Frieden wurde vom Senat in R o m bestätigt. Als man sich der Tatsache bewußt wurde, daß Flüchtlinge aus dem römischen Herrschaftsbereich zu Decebalus' besten Truppen gehört hatten, verbot man die Aufnahme von Deserteuren und die Verwendung von Soldaten aus dem römischen Territorium [Strobel 13, S. 162-202; Lepper/Frere 44, S. 47-122], Das Ausmaß der Operationen an der unteren Donau spiegelt sich in der militärischen Dislozierung. Die Errichtung eines Reiterlagers in Carsium (Hîrsova), einem zentralen Flußübergang in der westlichen Dobrudscha, war 103 n. Chr. vollendet [ISM 94]. Ein Meilenstein aus Sacidava (Muzait-Dunareni), etwas weiter flußaufwärts, von 103-105 deutet darauf hin, daß sich beim großen Ubergang von Durostorum (Silistra) mindestens eine Kohorte, vielleicht sogar eine Legion befand [Radulescu/Barbulescu 65]. Wahrscheinlich waren sowohl Durostorum als auch Troesmis Legionslager, als die Walachei bis zum Siret nach 105 unter römische Besatzung kam [Poulter 63, S. 521-523], Die Jazygen, die während beider Kriege loyal zu R o m gehalten hatten, waren durch die Einnahme Dakiens 106 einer effektiven Kontolle unterworfen. Traian demonstrierte ihre Schwäche, als er die Rückgabe von Land (Banat?) verweigerte, das Decebalus den Jazygen geraubt hatte [Cass. Dio 68. 10. 3]. Gleichzeitig pflegten die Römer ihre Beziehungen zu den Sarmaten auf beiden Seiten Dakiens sehr sorgfältig. Durch die Teilung Pannoniens 106 [11. Juni: Alföldy 5, S. 30] wurde die Germanenfront (Oberpannonien) von der Sarmatenfront (Unterpannonien) getrennt. Da sich die römische Militärbesatzung in Dakien auf das transsilvanische Plateau beschränkte, könnten sich die Jazygen östlich der Theiß, ihrer ehemaligen Ostgrenze, ausgebreitet haben. Dies war vielleicht die Ursache der Proble-
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me, denen sich der erste Legat von Unterpannonien, P. Aelius Hadrianus, gegenüber sah. Auf der anderen Seite Dakiens lauerte mit den R h o x o l a n e n ein weitaus gefährlicherer Gegner, und so m u ß t e Traian zahlreiche Auxiliareinheiten in der Walachei stationieren, u m ihr Territorium vollständig zu umzingeln [Wilkes 89, S. 273], 105 η. Chr. überschritten Traians A r m e e n die D o n a u auf einer Brücke. Traian führte den Krieg bedächtig und unterwarf nach hartem Kampf schließlich die Daker, während Decebalus den Freitod wählte [Strobel 73, S. 205-219; Lepper/Frere 44, S. 125-184], Zwei Indizien deuten auf den U m f a n g des militärischen Aufgebots hin, das die R ö m e r für diesen Erfolg zusammenzogen. Das Mannschaftsregister (pridianum) v o m 16. September 105 der cohors I Hispanorum, die im makedonischen Stobi unter dem K o m m a n d o von L. Fabius Iustus lag, belegt eine ziemliche Zerstreuung. Manche Soldaten waren in Piroboridava (vielleicht Poiana im Sirettal östlich des Oituzpasses) stationiert, andere in Buridava (Stolniceni, am Alutus südlich des Turnu-Roçu-Passes), wieder andere A b teilungen waren „auf Feldzug jenseits der D o n a u " oder „als Spähtrupp mit d e m Z e n t u r i o unterwegs". Diese Zersplitterung war vielleicht atypisch u n d erklärte sich durch die N a c h w e h e n eines Sommers mit großangelegten Militäroperationen [Syme 18, S. 122-134]. Das zweite Indiz ist das M o n u m e n t von Adamklissi in der Süddobrudscha. Das große Tropaion, das 109 n. Chr. Mars Ultor geweiht wurde, zeigt im Relief Szenen heftiger Gefechte zwischen R ö m e r n und Sarmaten, G e r m a n e n bzw. Dakern. Aufgrund der geographischen Position und der Natur des M o n u m e n t s ist klar, daß es u m Erfolge der A r m e e in Untermösien geht, zumal lokale Gegner, insbesondere die sarmatischen Rhoxolanen, dargestellt werden. Die in der Weihung angesprochene R a c h e könnte sich auf eine frühere Niederlage beziehen, an die in einem nicht weit entfernten Kenotaph erinnert wird, eine rechteckige Struktur, auf der sich die N a m e n von fast 4 000 Toten, aufgelistet nach Einheiten, befunden haben könnten. Früher verband man es mit der Katastrophe des Fuscus 86 u n d 87, aber vielleicht fanden sich hier doch eher die Verluste unter Traian, die insbesondere der dakische Gegenangriff von 102 verursacht hatte [Poulter 63, S. 523-526]. Die Annektierung Dakiens 106 n. Chr. veränderte die Situation der R ö m e r an der D o n a u nachhaltig. Große Armeeverbände wurden zur Verteidigung D a kiens in den Karpatenbogen verlegt, es entstand ein konsularisches K o m m a n d o mit Legionen in Berzobis (Resita) im Banat u n d A p u l u m (Alba Iulia) am Mure? [Lepper/Frere 44, S. 309-314]. Die Sarmaten waren n u n m e h r von römischen Garnisonen eingeschlossen, während an der oberen D o n a u die drei Legionen und die Auxilien Oberpannoniens sowie die norischen Auxilien die germanischen Sueben überwachten. O b w o h l die D o n a u zwischen Viminacium und dem Alt gegenüber Oescus nicht länger die Grenze bildete, wurden an den wichtigsten Flußübergängen Militärbasen beibehalten. Die untere D o n a u war n u n m e h r mit zwei Legionen u n d einer entsprechenden Zahl von Auxilien fest in römischer Hand. Damit war die römische Grenze an der Donaugrenze vollständig installiert.
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6. 3. 3 Die Donaugrenze unter Hadrian und Antoninus Pius Traians Nachfolger behielt das dakische Kernland, zog aber römische Garnisonen aus entblößten Stellungen im Banat und der Walachei im Osten und Westen ab. Probleme mit den Rhoxolanen und Jazygen löste man mit Diplomatie und Geldzahlungen [SHA Hadr. 6. 6], 120 n. Chr. war Dakien in drei Militärkommandos aufgeteilt: Dacia Superior, das Kernland mit den Legionen, unter einem prätorischen Legaten, und zwei kleinere prokuratorische Provinzen, nämlich Dacia Inferior im Südosten gegenüber der Walachei und Dacia Porolissensis im Nordwesten, am Eingang zum SomeçpaB in die ungarische Ebene. Bei dieser Einteilung blieb es bis zu den Germanenkriegen Marc Aurels. Die römischen Militärs wählten ihre Legionslager an der Donau sorgfältig aus. Viele dieser Militärinstallationen sollten später, im Mittelalters und in der Neuzeit, als blühende Städte weiter bestehen. Die pannonischen Lager der Eroberungszeit — Sirmium, Siscia und Poetovio — waren nun Veteranenkolonien. Vier Legionen standen am Fluß, in Vindobona/Wien, Carnuntum/Bad Deutsch Altenburg, Brigetio/Szöny und Aquincum/Budapest. Oberhalb des Donaudurchbruchs standen die obermösischen Legionen im Westen, in Singidunum/Belgrad und Viminacium/Kostolac gegenüber der ungarischen Ebene und dem Banat. Die frühen Lager Scupi/Skopje und Ratiaria/Archar waren unter Domitian bzw. Traian zu Veteranenkolonien geworden. Die dakische Legion lag im zentralen Apulum/Alba Iulia am Fluß Mure?. Die untermösischen Legionen an der unteren Donau standen in Novae/Svishtov, Durostorum/Silistra und Troesmis/Iglita. Zwischen den Legionen wurden alle benutzbaren Ubergänge von Auxiliareinheiten bewacht, wozu zahllose Wachtürme entlang des Ufers errichtet wurden. Die große dakische Garnison lag an den von Apulum ausgehenden Hauptstraßen und an Standorten, die die Pässe durch die Karpaten nach Transsilvani en blockierten. Dahinter befand sich eine große Zahl von Beobachtungsposten und Signalpunkten. Dalmatien hatte zwar seine Legion eingebüßt — sie rückte während der domitianischen Kriege an die Donau vor — behielt aber eine Auxiliargarnison und einen konsularischen Legaten [Maxfield 47, S. 171-193], Hadrian, der die Donau während seines ersten Herrschaftsjahres und mindestens noch einmal während seiner Provinzreisen besucht hatte, sah die Hauptrolle der Armee darin, den Bestand von Verträgen und Klientelabkommen mit den Herrschern grenznaher Völker zu sichern, wozu auch Geldzahlungen und andere Unterstützungsleistungen eingesetzt wurden. Diese neue Rolle zeigt sich auch in der fortschreitenden Aufteilung der Provinzkommandos, wodurch die Beziehungen zu den grenznahen Völkern effektiver gehandhabt werden konnten. Norikum und Oberpannonien gegenüber lebten die Sueben, die sich nunmehr in den Ebenen und Tälern der Slowakei bis zum Donauknie etabliert hatten. Der lange Kontakt mit der römischen Welt hatte ihnen zu einer inneren politischen Stabilität verholfen, die nur gelegentlich durch dynastische Krisen bedroht wurde. Wie gesehen, beobachteten die Römer die Ereignisse aufmerk-
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sam, mußten aber nur selten eingreifen. Meist akzeptierte man das Ergebnis einer inneren Auseinandersetzung, solange man mit dem Sieger zurechtkommen konnte. Als Antoninus Pius den Quaden einen König „gab" (was man als so bedeutend ansah, daß man es auf die Reichsprägung setze), kam es wohl kaum zu militärischen Operationen [Mócsy 51, S. 102f.]. Trotz territorialer Zugeständnisse und einigen Geldzahlungen waren die Römer in ihren Beziehungen zu den Sarmaten weniger erfolgreich. Die Jazygen der ungarischen Ebene blieben umzingelt von den Armeen Unterpannoniens, Obermösiens und zwei der drei dakischen Provinzen (Superior und Porolissensis). Die Bewegungen der R h o xolanen wurden von Untermösien und Unterdakien aus überwacht. Hadrians Veränderungen der trajanischen Strategie erwiesen sich als bemerkenswert erfolgreich, insofern die gefährdetste Grenze des Reiches ein halbes Jahrhundert lang stabil blieb. Einzelheiten lokaler Vorkommnisse sind nicht überliefert. Wir wissen z. B. nicht, wie ein Sarmatenfürst dazu kam, ein, wie es scheint, komfortables Exil auf einer Insel vor Pola in Istrien zu genießen. Sein römisches Bürgerrecht hatte er unter Hadrian erhalten. Vielleicht war er ein prorömischer König gewesen, den sein eigenes Volk vertrieben hatte [ILS 852f.]. Bis zu Marc Aurels Germanenkriegen waren die Römer mit ihren Beziehungen zu den Völkern jenseits der Grenze zufrieden, obwohl das Festhalten an der Flußgrenze auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt war. Die Jahrzehnte des Friedens, die auf den Regierungsantritt Hadrians folgten und die in markantem Gegensatz zu den Regierungen Domitians und Traians standen, brachten den Siedlungen auf beiden Seiten des Flusses einen stetig wachsenden materiellen Reichtum. Der Handel über den Fluß hinweg, den die römischen Autoritäten streng regelten und hoch besteuerten, wurde ein wichtiges Element in der Wirtschaft der Grenzregion. Dieser Zustand der Symbiose endete, als der Druck von weiter entfernten Völkern auf die Germanen und die Sarmaten zunahm. U m deren existente Siedlungsgebiete zu abzusichern, hätte die römische Armee ihren Kordon vorschieben müssen. Das restliche Karpatenbecken durch den Vormarsch der Armee zu sichern, was Marc Aurel zu einem bestimmten Zeitpunkt erwog [SHA Marcus 24. 5; 27. 10], hätte nicht die Zustimmung der Donauarmee gefunden, die enge soziale und wirtschaftliche Beziehungen zu ihrem Stationierungsgebiet entwickelt hatte. Stattdessen kamen Germanen und Sarmaten, verdrängt aus ihren eigenen Siedlungsgebieten, auf der Suche nach neuem Land über die römische Grenze.
6. 3. 4 Die Provinzialverwaltung Am Ende der Antoninenzeit besorgten zehn römische Senatoren die Verwaltung der Donauländer, die in Friedenszeiten, abgesehen vom makedonischen Prokonsul, rund drei Jahre im Amt verblieben. Der Kern der Donauarmee unterstand den vier konsularischen Legaten von Oberpannonien, Obermösien, Untermösien und den Drei Dakien, während in den Provinzen Rätien, Norikum und Unterpannonien mit je einer Legion prätorische Legaten als Statthai-
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ter fungierten. Der prätorische Legat von Thrakien mußte Hilfe von der Donau holen, wenn es innere U n r u h e n gab. Die Größe der Provinz Dalmatien und vielleicht auch ihre Nähe zu Italien erklären die Beibehaltung des konsularischen Ranges ihres Legaten. Allerdings war er in der Regel einer der unbedeutendsten seiner Stufe [Thomasson 81]. Die meisten Statthalter dieser Zeit waren reiche Landbesitzer aus Italien und den Mittelmeerprovinzen, von denen aber nach Hadrian kaum einer zu den bedeutenden Persönlichkeiten der Reichshierarchie gehörte. Sie sind für uns nur noch Namen, die sich auf einem Meilenstein, einem offiziellen Dokument oder einer Bauinschrift in einer Kleinstadt erhalten haben. Es gibt kaum Belege für ihr Eingreifen in lokale Streitigkeiten. Nach Hadrian bot auch der militärische Bereich nur noch wenige Möglichkeiten für selbständiges Handeln. Krisen an den Grenzen und Kriege innerhalb des Reiches änderten diesen friedlichen Z u stand. N u n mußten andere Männer diese Statthalterschaften übernehmen, weniger kultivierte Leute mit größerer militärischer Erfahrung, die sie sich durch den langsamen Aufstieg über die OfEziersränge erworben hatten. Beispiele sind Helvius Pertinax, Sohn eines Freigelassenen und 193 n. Chr. einige Wochen lang Kaiser, oder Valerius Maximianus, dessen Talente ihn weit aufsteigen ließen und ihm um 184 das Konsulat einbrachten. Während seiner langen militärischen Karriere besiegte er sogar den Häuptling der jenseits der Donau sitzenden Naristen im Nahkampf [AE 1956, 124], Für den Großteil der Bevölkerung waren die römischen Statthalter ferne Persönlichkeiten, die man selten sah und an die man sich noch seltener wandte. Weniger fern und viel lästiger waren die kaiserlichen Beamten, die sich um die Steuereintreibung und andere Bürden kümmerten. Provinziale Prokuratoren waren für die staatlichen Einkünfte und die Soldzahlungen zuständig. Andere Prokuratoren waren für spezielle Aufgaben verantwortlich, wie die Erbschaftssteuer und die Abgaben auf Versteigerungen und Freilassungen. Die eigentliche Steuereintreibung befand sich in den Händen von Privatleuten, die in die städtischen Institutionen eingebunden waren. In der Donauzone mit ihren großen Entfernungen, mehreren strategischen Straßen und zahlreichen Militärlagern waren die schwersten Bürden von Seiten des Staates wahrscheinlich die Forderungen und Requisitionen, die mit der Straßenwartung, der Staatspost und dem Schwertransport zusammenhingen. Die Erhebung der Zölle (portoria) war in Bezirken organisiert, die mehrere Provinzen umfaßten. Das portorium publicum Illyrici setzte sich aus Rätien, Norikum, Dalmatien, den beiden Pannonien und Obermösien zusammen, während die Drei Dakien und Untermösien einen eigenen Bezirk bildeten. Die Hauptposten (stationes) dieser Organisation lagen an den Hauptstraßen, durch die der meiste Verkehr in oder aus dem Gebiet erfolgte. Staatspost und Schwertransporte basierten auf einem ähnlichen Bezirk, dem aber Rätien und Dalmatien nicht angehörten [Dobó 20]. Neben den Behörden für Besteuerung, Requisitionen und Pflichtdiensten, wie z. B. größere Brückenbauten, bei denen die örtlichen Gemeinden unter der Aufsicht des Statthalters zusammenarbeiten mußten, gab es noch andere kaiser-
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liehe Abteilungen. Es sind uns keine Quellen über kaiserliche Landgüter und ihre Verwaltung erhalten, doch wir besitzen viel Material über die Kontrolle des Bergbaus und der betroffenen Gemeinwesen in N o r i k u m (Eisen), Dalmatien/ Pannonien (Silber u n d Blei), Dalmatien (Eisen und Gold), Mösien (Kupfer, Silber und Blei) u n d Dakien (Gold) [Dusanic 21; Mrozek 52]. Bis zum Ende der antoninischen Zeit waren große Siedlungen in diesen Gegenden entstanden, von denen einige in entlegenen u n d unzugänglichen Bereichen lagen, die aber dennoch als Städte organisiert wurden. Außer im Fall besonderer Aktivitäten wie etwa Bergbau konzentrierte sich die römische Verwaltung oder jedenfalls ihre höheren Stufen auf einige wenige größere Städte und Militärlager. Die Statthalter von Dalmatien, Thrakien und Untermösien beließen ihre Hauptresidenzen an der Peripherie ihrer Provinzen, Salona an der Adria, Perinth am H e l lespont und Tomis am Schwarzen Meer. Die pannonischen Statthalter residierten in der N ä h e der Legionslager, in C a r n u n t u m in O b e r - u n d in A q u i n c u m in Unterpannonien. Dort, in Aquincum, lag der große Statthalterpalast am U f e r der D o n a u und blickte ins Barbaricum, ein bemerkenswerter Ausdruck des r ö mischen Selbstbewußtseins in der Mitte des 2. Jh.s [Póczky 60]. In Rätien u n d N o r i k u m könnte die Stationierung von Legionen unter Marc Aurel eine ähnliche Entwicklung hervorgerufen haben, doch in beiden Provinzen blieben wichtige Zweige der Provinzialverwaltung in den binnenländischen Zentren Augusta Vindelicum/Augsburg u n d Virunum/Zollfeld.
6. 3. 5 Städtegründungen Aus verschiedenen G r ü n d e n gehörten die Donauprovinzen im Bereich der offiziell initiierten Urbanisierung zu den rückständigsten Z o n e n der römischen Welt. Die unzugängliche Landschaft und die althergebrachte Zersplitterung der Gesellschaft in Dörfer hatten das Wachstum größerer Siedlungen verhindert, und die neuen Strukturen von Macht und wirtschaftlicher Kontrolle werden für Bauern und Hirten wenig anziehend gewesen sein. Vor Hadrian geschah die Urbanisierung in dieser Gegend vor allem durch Kolonien, d. h. man gründete Städte auf erobertem Land, u m damit römische Armeeveteranen zu entlohnen. U n t e r Vespasian entstanden Kolonien in Siscia u n d Sirmium, in denen zumindest teilweise Veteranen der kaiserlichen Flotte aus Italien untergebracht w u r den, in der traditionell viele R e k r u t e n aus Illyrien dienten [Mócsy 51, S. 112-115]. In Mösien gründete man Kolonien für Legionsveteranen: Scupi fur Veteranen der legio VII, D e u l t u m in Thrakien für Veteranen der legio VIII Augusta, die in Novae an der unteren D o n a u stand [Gerov 27, S. 48-59], Scupi w u r d e unter Domitian gegründet (colonia Flavia felix Domitiana), u n d etliche Grabsteine n e n n e n uns die Identitäten der Gründungssiedler (deduetieii) [IMS VI, S. 20-40]. Traian gründete neue Veteranenkolonien an den Plätzen der verlassenen Legionslager Poetovio in Pannonien [Saria 67], Ratiaria in O b e r m ö sien [Giorgetti 28] u n d Oescus in Untermösien [Ivanov 37], sowie in Dakien
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die colonia Ulpia Traiana Dacica, zu der später der Name der alten dakischen Hauptstadt Sarmizegetusa hinzugefugt wurde [ I D R III 2]. In der Flavierzeit legte man nach zwei Generationen Miliärverwaltung die Macht zurück in die Hände des lokalen Adels. Inschriften verzeichnen nun die Namen von indigenen principes, die manchmal ihre civitas beherrschten oder auch auf ihre eigene Festung (castellum) beschränkt waren. Einige Männer dieser Klasse wurden von den R ö m e r n offiziell als praepositus eingesetzt, was normalerweise mit der Vergabe des Bürgerrechts einherging, wie bei dem von Vespasian eingebürgerten Japodenhäuptling [CIL III 1 4 3 2 4 - 1 4 3 2 8 , 15064f.]. Die Organisation römischer Munizipien, die sich das Territorium einer civitas ganz oder teilweise einverleibten, begann unter den Flaviern bei den keltischen und illyrischen Stämmen im Westen und Süden des Donaubeckens. In den Keltengebieten Pannoniens entstanden neue Städte in Noviodunum, Andautonia, Scarbantia [Mócsy 51, S. 135f.] und, in Norikum, in Solva im Murtal [Alföldy 2, S. 9 3 - 9 5 ] . In Dalmatien finden sie sich bei den westlichen Japoden in Arupium und bei den Delmatern in Scardona und Rider. Die Nachkommen der einstigen Herrscher des Königreichs Illyrien um den Scodrasee wurden die Munizipalaristokratie der neuen Stadt Doclea. Jenseits der Dinariden entstanden mindestens drei neue flavische Munizipien, Bistue Vetus im Vrbastal, Bistue Nova im B o s natal und Rogatica im Drinatal [Wilkes 88, S. 2 6 4 - 2 6 6 , 218f., 240f., 2 5 9 - 2 6 1 , 2 7 4 - 2 7 7 , 281], Unter Traian gab es die größten Urbanisierungsfortschritte in der griechischsprachigen Provinz Thrakien, was augenscheinlich Teil einer umfassenderen Neuorgansiation des Ostbalkans nach der Annektierung Dakiens war. Mindestens 13 größere Siedlungen des ehemaligen Königreiches wurden als Städte mit den traditionellen Institutionen von griechischen .poleis organisiert. Viele trugen kaiserliche Namen, Ulpia (siebenmal!), Traianopolis, Augusta Traiana, Plotinopolis, Markianopolis und Hadrianopolis. Die neuen Städte verteilten sich über die ganze Provinz und lagen an größeren Straßen und Flüssen. Im Süden lagen Traianopolis-Deviscus und Ulpia Topirus an der Via Egnatia. Andere fanden sich in den Zentren der Täler von Hebrus, Nestus und Strymon. Zwei größere Städte entstanden nördlich des Haimos, Nikopolis an der Donau und Markianopolis, während im Südosten die alte thrakische Hauptstadt Bizye zur Polis wurde. D i e alten Griechenstädte entlang der Küsten von Agäis und Schwarzem M e e r waren von diesen Veränderungen kaum betroffen, abgesehen davon, daß ihr Territorium vielleicht erweitert wurde [Jones 39, S. 1 8 - 2 3 ; Gerov 27]. Hadrians Besuche an der Donau führten zu bedeutenden Veränderungen in der römischen Organisation. Unter den indigenen Gemeinschaften entstanden etliche neue Städte, von denen einige in abgelegenen Gebieten, weit von größeren Straßen und vorexistenten Siedlungen lagen. Nicht weniger wichtig waren die Veränderungen, die sich bei der Organisation einiger neuer Ansiedlungen ergaben, die entlang der Grenze bei den Militärlagern entstanden waren. Ab diesem Zeitpunkt lassen sich zwei Siedlungstypen unterscheiden. Die „ B u den" (canabae) lagen an den Legionslagern auf Armeeland, und waren so eng
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mit der Einheit verknüpft, daß sie tatsächlich Teil derselben waren. Hadrian bestand auf strikter Beachtung der militärischen Regelungen hinsichtlich solcher Fragen wie Wohnort und Lebensart der höheren Offiziere [SHA Hadr. 10], die anscheinend außerhalb des Lagers einen Lebensstil pflegten, der zu luxuriös war, als daß er sich mit der römischen Disziplin vertragen hätte. Die hohe Bedeutung der militärischen Bereitschaft in Friedenszeiten zeigte sich im Kult der Disciplina Augusti [ R I C II, S. 327, 367]. Hadrian organisierte auch einige der größeren Zivilsiedlungen neu, die in der Nähe der Legionslager entstanden waren, die sich jedoch klar von den canabae unterschieden und gewöhnlich ein oder zwei Meilen flußaufwärts lagen. Die wachsende Prosperität und kosmopolitane Bevölkerung dieser bisher völlig unreglementierten Siedlungen auf indigenem Land wurde ins römische System integriert, als Hadrian sie zu Munizipien machte und sie damit auch hinsichtlich Steuern und Pflichtdiensten ins römische Verwaltungssystem integrierte [Mócsy 51, S. 139]. Die andauernde Prosperität hing mit ihren engen Verbindungen zur Armee und auch den indigenen Völkern der Provinzen zusammen. Ihre Prosperität illustriert ein Ratsmitglied der hadrianischen Stadt Mursa, der seine Ernennung zu einem Priestertum durch den Bau von fünfzig Läden mit davorgelegter Portikus feierte [CIL III 3288]. Ihr Wohlstand ging anscheinend auf Kosten der binnenländischen Kleinstädte, wo nur wenige Bürger fähig oder bereit waren, eine Ratsmitgliedschaft oder eine Magistratur zu übernehmen. Damit m u ß sich die zunehmende Bedeutung permanenter Beamter (wie des Stadtschreibers, scriba) in diesen Kleinstädten erklären. Hadrians Munizipalisierungsprogramm betraf auch Dakien, allerdings scheint keine der dortigen Städte die Prosperität der Donaumunizipien erreicht zu haben. Gegen Ende der Antoninenzeit hatte sich das römische Munizipalsystem über den größten Teil der Donauländer ausgedehnt. Zentren wie Carnuntum, Aquincum, Singidunum und Viminacium an der Grenze neben Legionslagern statteten sich bald mit den Annehmlichkeiten des städtischen Lebens aus. Andere hadrianische Städte in Grenznähe waren Augusta Vindelicum in Rätien, C e tium und Ovilava in N o r i k u m [Alföldy 2, S. 95f.], Mogentiana und Mursella in Oberpannonien, Mursa, Cibalae, Bassiana, Mursella und Gorsium in Unterpannonien sowie Municipium Aelianum in Obermösien [Mócsy 51, S. 142-147]. In Dakien wurden in dieser Zeit Drobeta [Tudor 82] und Napoca [Daicoviciu 17] gegründet. In Untermösien entstanden unter den Antoninen neue Städte nahe den Legionslagern Novae, Durostorum und Troesmis. Ein anderes Munizipium dieser Provinz nannte sich nach Traians berühmtem M o n u m e n t von 109 in der Süddobrudscha Municipium Tropaeum Traiani [Gerov 27]. Eine spätere Gründung war das norische Lauriacum, von dem wir ein Fragment der von Caracalla (211-217) verliehenen Stadtverfassung besitzen [Alföldy 2, S. 273]. Durch die Gründung von etwa 66 neuen Städten nach Hadrians Regierungsantritt blieb keine größere Gruppe außerhalb des Systems lokaler Verwaltung, das auf der Verpflichtung zu städtischen Ämtern basierte, wozu die Verantwortung für die städtischen Dienste, die Steuer und die Justiz gehörte. Rivalitäten um die
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erste Stellung selbst zwischen den alleijüngsten G r ü n d u n g e n scheinen sich in der A n n a h m e von Kaisertiteln u n d des Ehrentitels Kolonie zu spiegeln. In der Mitte des folgenden Jahrhunderts waren zahlreiche der Grenzstädte bei den Legionslagern zu Titularkolonien geworden.
6. 3. 6 Siedlungen und Wirtschaft 6. 3. 6. 1 D e r Handel Die erhöhte Stärke der D o n a u a r m e e n , die neuen römischen Kolonien und die neuen Städte der indigenen Gemeinschaften werden alle zum Wachstum des Güter- u n d Personenverkehrs in u n d aus der R e g i o n beigetragen haben. Die frühere Vorherrschaft italischer Händlerfamilien, die in Aquileia saßen, wich in der flavischen Zeit einem breiteren Handelssystem. D e r Handel mit den westlichen Provinzen n a h m stark zu. Die engen Verbindungen zwischen N o r d o s t italien und den westlichen R e g i o n e n des Donaubeckens bestanden im 2. Jh. fort, doch die längeren Landwege zu den neuen Militärlagern und Grenzstädten an der unteren D o n a u waren augenscheinlich wenig anziehend. Dagegen wurde die D o n a u , auf der die Schiffahrt mit dem Bau eines Treidelpfades durch das Durchbruchstal u n d dank der von Traians Pionieren angelegten U m g e h u n g des Eisernen Tores stark erleichtert wurde, eine wichtige Verbindungsachse entlang der Nordgrenze des Reiches, zwischen Gallien und Germanien und der mittleren u n d unteren Donau. Viele Armee-Einheiten, die während des späten 1. und frühen 2. Jh.s in die Donauregion verlegt wurden, scheinen ihre Verbindungen in den Westen aufrechterhalten zu haben. Wirtschaftlich zeigen sich die Auswirkungen der vergrößerten Armee, die den zivilen Gemeinschaften der Stationierungsgebiete immer m e h r zur Last gefallen sein m u ß , durch das rasche Wachstum der Camps (canabae), in denen Handel und Handwerk bald in offiziellen Assoziationen (collegia) organisiert wurden. Dadurch, daß solche G r u p pen von Anfang an in den canabae präsent waren, dominierte die Wirtschaft der A r m e e u n d der Grenzsiedlungen in dieser R e g i o n . Die traianische Eroberung hatte große Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung der Provinzen. Gerade so wie Pannonien den Völkern Norditaliens Möglichkeiten zu einträglichen Geschäften gegeben hatte, konnte Dakien nun in ähnlicher Weise von Mosern genutzt werden, was zu einer schnellen Z u n a h m e des römischen E i n flusses führte. Sowohl Mösien als auch Dakien zogen nun Einwanderer aus den westlichen Provinzen an, was mit der Militärwirtschaft der R e g i o n zusammenhing. Gleichzeitig fand sich von Anfang an eine große Zahl von Orientalen, die ihr Glück im neueroberten Dakien suchten. Bis zum Ende des 1. Jh.s η. Chr. blieb norditalische terra sigillata ein wichtiges Importgut in den römischen Lagern und Siedlungen im Karpatenbecken. Im allgemeinen scheint der U m f a n g der Importe zur D o n a u in den Jahren 80-130 ein M a x i m u m erreicht zu haben. Danach lösten lokale Produktionszentren die italischen Waren ab. Einige alte Handelsbeziehungen blieben freilich erhalten.
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Viele Grenzgemeinschaften verbrauchten auch weiterhin istrisches Olivenöl. Gleichzeitig gibt es j e d o c h Belege dafür, daß zumindest einige Gruppen, insbesondere die Militärlager, das höher geschätzte spanische O l [S. 135] bezogen. Vielleicht war der militärische Handelsverkehr von den Zöllen befreit. Alles deutet darauf hin, daß bis etwa zur Herrschaftszeit Hadrians das, was man als römische Wirtschaft identifizieren kann, sich weitgehend innerhalb der A r m e e u n d ihrem Umfeld (Veteranen, Troß, Heereshandwerker etc.) abspielte. Selbst die erfolgreichsten neuen Städte der indigenen Bevölkerung scheinen sich dieser Wirtschaft nur langsam angeschlossen zu haben. Diese Vermutung gründet sich auf die geringe Zahl römischer M ü n z e n , die man dort fand, und auf die erhaltenen Inschriften [Mócsy 51, S. 150-153]. Das Volumen des grenzüberschreitenden Handels ist schwerer einzuschätzen. Es kann k a u m Zweifel daran bestehen, daß er bald sowohl in der Wirtschaft der römischen Grenzregion wie auch der freien Völker auf der anderen Seite eine bedeutende Rolle spielte. M a n hat schon vor langem erkannt, daß römische M ü n z e n und Erzeugnisse über die Grenze gelangten, und für die Sueben j e n seits der oberen D o n a u (Böhmen und Slowakei) w u r d e dies unlängst kartographisch dokumentiert [Tabula Imperii R o m a n i M33], In flußnahen Gebieten scheint der römische Einfluß im 2. Jh. besonders groß gewesen zu sein, was feste Gebäude in römischen Stil nahelegen, deren Zweck allerdings unklar bleibt. Auf lokaler Ebene werden die grenzüberschreitenden Kontakte vom Bedarf der römischen A r m e e an N a h r u n g u n d anderen Gütern wie Metallen, Pferden, Maultieren, Leder oder Bauholz dominiert worden sein. D e r U m f a n g des Sklavenhandels kann nicht abgeschätzt werden. Sklaverei ist in der Donauregion während des 2. u n d frühen 3. Jh.s selten belegt. Sie könnte durchaus in bestimmten Teilen der römischen Gesellschaft wichtig geblieben sein (städtisches Handwerk und „Freiberufler"), aber ihre Bedeutung in der Grenzwirtschaft ging anscheinend stetig zurück [Mócsy 51, S. 126-129]. 6. 3. 6. 2 Städte Bis heute ist keine Stadt in den Donauprovinzen ganz ergraben worden, doch hat man genug getan, u m ein verläßliches Bild des physischen Charakters der Veteranenkolonien, der frühen Munizipien, der Ansiedlungen an der Grenze, der kleinen Landstädte in abgelegenen Tälern u n d der urbanisierten Bergwerksorte bieten zu können. U b e r die flavischen Kolonien Siscia u n d Sirmium wissen wir so gut wie nichts [Sasel 68, S. 600-620]. Siscia ist n o c h völlig unerforscht, während Sirmiums Befunde unter den massiven Strukturen des 4. Jh.s η. Chr. liegen, als Sirmium zur kaiserlichen Residenzstadt aufstieg [Mirkovic 48]. Traians neue Kolonie Sarmizegetusa in Dakien entstand 108 im verlassenen Lager der leg IUI Flavia. Ein rechteckiger Wall von 32,5 ha umschloß ein regelmäßiges Straßennetz. Z u den bereits ergrabenen öffentlichen Bauten gehören ein Forum und eine Basilika, aber diese standen im Schatten des angrenzenden Platzes (85 χ 65 m) für die Zeremonien des Kaiserkults, die die vermögenden Augustales vornahmen. Die meisten anderen bekannten Strukturen gehören gleich-
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falls ins 2. J h . , a u c h der angebliche Statthalterpalast u n d eine A r e n a a u ß e r h a l b der U m w a l l u n g , die Sitzgelegenheiten f ü r 5 0 0 0 P e r s o n e n b o t [ D a i c o v i c i u / A l i c u 19]. D i e traianische K o l o n i e O e s c u s an der u n t e r m ö s i s c h e n D o n a u , die nach d e m A b z u g der leg V Macedonica g e g r ü n d e t w u r d e , lag w o h l n i c h t auf der L o k a tion des Legionslagers. D i e u m w a l l t e Stadt hat die F o r m eines u n r e g e l m ä ß i g e n Fünfecks. Es gab ein regelmäßiges Straßennetz, u n d die U b e r r e s t e einiger g r o ß e r öffentlicher B a u w e r k e w u r d e n ins 2. J h . datiert, d o c h gibt es n o c h k e i n e n Gesamtplan [Ivanov 38], In einigen der n e u e n M u n i z i p i e n finden sich E l e m e n t e r ö m i s c h e r Städteplan u n g . D i e süddalmatische Stadt D o c l e a w a r befestigt u n d lag auf e i n e m u n r e g e l m ä ß i g e n Plateau z w i s c h e n d e n Flüssen Z e t a u n d M o r a c a . D i e H a u p t s t r a ß e lief ü b e r eine B r ü c k e , f ü h r t e d u r c h ein Tor u n d e i n e n m o n u m e n t a l e n B o g e n u n d bildete d a n n als 15 m breite, gepflasterte Straße die H a u p t a c h s e der Stadt. E i n i g e der g r ö ß e r e n B a u t e n , die auf diese Straße ausgerichtet sind, w u r d e n w ä h r e n d der f r ü h e n J a h r e des flavischen M u n i z i p i u m s errichtet. D e r T e m p e l der D e a R o m a b e h e r b e r g t e d e n regionalen Kaiserkult, der aus der alten r ö m i s c h e n K o lonie E p i d a u r u m an der Küste in die n e u e Stadt verlegt w o r d e n war. In d e r N ä h e lag n o c h ein a n d e r e r T e m p e l , der v o n e i n e m Peristylhof eingeschlossen w u r de u n d n e b e n eleganten r ö m i s c h e n Stadthäusern lag. Als nächstes B a u w e r k auf der H a u p t s t r a ß e folgte der T e m p e l b e z i r k d e r D i a n a . Ihr T e m p e l w a r m i t d e m der D e a R o m a fast identisch, ein Distylos in antis mit einer Cella u n d einer A p sis in der R ü c k w a n d . A u f derselben Straßenseite in Z e n t r u m s n ä h e lag ein g r o ßes Badehaus, das zwei R e i h e n geheizter R ä u m e b e h e r b e r g t e . Es d ü r f t e w o h l das g r ö ß t e städtische B a d gewesen sein. G e g e n ü b e r d e m Bad, auf der a n d e r e n Straßenseite, b e f a n d sich das städtische Z e n t r u m . Dieses bestand aus e i n e m g e pflasterten F o r u m (65 χ 55 m), das v o n P o r t i k e n u n d Läden (tabernae) u m g e b e n war, a u ß e r i m Westen, w o die Basilika u n d das R a t h a u s (curia) lagen. E i n e I n schrift auf d e m Architrav dieser Fassade besagt, d a ß dieser B a u eine S c h e n k u n g v o n Flavius F r o n t o u n d Flavia Tertulia (offensichtlich H o n o r a t i o r e n der ersten o d e r z w e i t e n G e n e r a t i o n ) w a r u n d d e m G e d e n k e n an i h r e n 15jährigen S o h n Flavius Balbinus d i e n e n sollte, der „alle gesetzlich m ö g l i c h e n A m t e r i n n e h a t t e " . Diese f r ü h e B e g e i s t e r u n g f ü r das r ö m i s c h e Stadtleben k ö n n t e z u r ü c k g e g a n g e n sein, als die A m t s b ü r d e n z u n a h m e n u n d die A n z i e h u n g s k r a f t lokaler A u s z e i c h n u n g e n nachließ. D o c l e a blieb indes das V e r w a l t u n g s z e n t r u m dieser R e g i o n bis in die frühbyzantinische Z e i t [Wilkes 88, S. 2 5 9 - 2 6 1 ; S. 3 6 3 - 3 6 5 ] . M a n k a n n Vergleiche anstellen z w i s c h e n der G e s c h i c h t e v o n D o c l e a u n d der eines a n d e r e n flavischen M u n i z i p i u m s , Solva in N o r i k u m , w o die g r o ß e Z a h l v o n Inschriften ü b e r J a h r h u n d e r t e auf eine stabile Prosperität hinweist. Das b e b a u t e Areal (ca. 600 χ 4 0 0 m) w a r niemals u m m a u e r t , was sich in d e n M a r k o m a n n e n k r i e g e n rächte. E i n S t r a ß e n n e t z teilte die Stadtfläche in regelmäßige Blocks u n t e r s c h i e d licher G r ö ß e ein. Etliche gut ausgestattete Privathäuser h a t t e n eine lange N u t zungszeit, d o c h a u ß e r der n a h e n A r e n a k o n n t e n bislang k e i n e ö f f e n t l i c h e n G e b ä u d e identifiziert w e r d e n [Alföldy 2, S. 93-95].
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Traians Gründung in Thrakien, Nikopolis an der Donau, glich einer hellenistischen Griechenstadt und berherbergte eine kosmopolitische Bevölkerung, was wir aus der großen Vielzahl der religiösen Weihungen wissen. Die Stadt besaß ein regelmäßiges Straßennetz und eine Umwallung. Im Zentrum lag das gepflasterte, von Portiken umgebene Forum (42 m 2 ). Im Westen stand ein R a t haus mit Steinbänken und ein kleines römisches Theater (Odeion), das aus Ziegelgewölbe gebaut war und rund 500 Besuchern Platz bot. Zwischen Theater und Rathaus führte die Hauptstraße (decumanus maximus) zu dem monumentalen Eingang, der 145 n. Chr. Antoninus Pius, seiner Gattin Faustina und Marcus Aurelius Caesar gewidmet worden war. In der ganzen Stadt waren die Straßen gepflastert, und es gab ein umfangreiches Kanalsystem, das vom Wasserüberschuß des Aquädukts gespeist wurde. Weitere Grabungen könnten wichtiges Material zu den Wohngebieten liefern und sollten auch erweisen, inwieweit diese nach demselben traianischen Schema gebaut wurden. Der reiche Architekturschmuck der öffentlichen Bauten in Nikopolis gehört in die hellenistische Tradition Kleinasiens. Viele Fragmente freistehender Skulptur wurden gefunden [Poulter 64], In Markianopolis in Nordostthrakien, das eine umwallte Fläche von ca. 70 ha hatte, haben Grabungen gepflasterte Straßen mit Kanalisation aufgedeckt. Das Straßennetz legte regelmäßige Blocks von Stadthäusern fest. Manche der Häuser scheinen eine ähnliche interne Anlage mit Räumen und Höfen gehabt zu haben [Hoddinott 34, S. 154-156]. Die beiden traianischen Gründungen in Thrakien nördlich des Haimos gehören in die hellenistische Urbanisierungstradition, zeigen aber in ihrer Anlage auch Einflüsse der römischen Kolonien in den westlichen Provinzen. Sie waren wohl dazu gedacht, als zivile Zentren fur die neuorganisierte Grenze entlang der unteren Donau zu dienen. 6. 3. 6. 3 Villen und ländliche Besiedlung In der ländlichen Umgebung von Städten fanden sich viele Spuren von römischen Gebäuden mit gemörtelten Wänden aus Stein und Ziegel und ziegelgedeckten Dächern. Es handelt sich hierbei um die Zentren von Bauernstellen oder größeren Gutshöfen. Diese Funde konzentrieren sich an der Adriaküste, in Norikum und in West- und Südpannonien. Die meisten Höfe scheinen im 1. Jh. erbaut worden zu sein und stehen in den bekannten Siedlungsgebieten der Italiker und Veteranen. Vor dem Ende der Herrschaft Marc Aurels gab es nur wenige ländliche Residenzen römischen Stils, die sicher von wohlhabenden Indigenen bewohnt wurden, obwohl diese Gruppe in Ostpannonien durch reiche Begräbnisse und verzierte Grabsteine gut belegt ist. Die geringen Spuren von Dörfern und anderen ländlichen Siedlungen, die ins 1. und 2. Jh. gehören, bestätigen nur diesen Eindruck. Den einfachen runden und viereckigen Hütten nach zu urteilen, unterlag nicht einmal die indigene Oberklasse römischem Einfluß. Eine Ausnahme bildet hierbei Norikum, wo sich bald nach der Mitte des 1. Jh.s keine Unterschiede mehr zwischen italischen Siedlern und lokaler Führungsschicht feststellen lassen [Mócsy 51, S. 169-176; Alfóldy 2, S. 117-124; Poulter 62, S. 85-90],
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6. 3. 6. 4 Die Bergwerke Metallvorkommen waren eine wichtige natürliche Ressource der Donauländer. Obwohl die Existenz der Metalle schon zum Zeitpunkt der Eroberung unter Augustus bekannt war, wurde anscheinend ein Jahrhundert lang kein Versuch einer systematischen Ausbeutung unternommen. Eine Ausnahme stellte das norische Eisen dar, das bereits im 2. Jh. v. Chr. nach Norditalien verhandelt worden war. Anscheinend erkannte erst Traían das Potential der Donauländer und organisierte den Erzabbau neu, indem er die Förderung verpachtete. Dieses System sicherte bis zur Mitte des 3. Jh.s eine effektive Nutzung. In Norikum waren die Eisenhütten (ferrariae Noricae), deren Produktion fast die Qualität von Stahl erreichte, an Pächter (conductores) vermietet. Deren Vertreter {procuratores) kontrollierten die Schächte sorgsam [Alföldy 2, S. 113f.]. Ahnliche Regelungen finden sich in den beiden größten Bergwerksrevieren an der Grenze zwischen Dalmatien und Pannonien, im Savetal (Eisen) und im Tal der mittleren Drina (Silber und Blei). Nach den Markomannenkriegen wurden diese Minen von ritterlichen Prokuratoren der kaiserlichen Verwaltung beaufsichtigt, die einen Stab lokaler Helfer hatten [Wilkes 88, S. 267-269, 277-280], In Obermösien war die Neuorganisation der Bergwerke durch die Kaiser ähnlich bedeutsam wie die Ankunft der Armee in anderen Regionen. Wichtige Quellen hierfür sind bronzene Scheidemünzen, die unter Traían und Hadrian geprägt wurden und auf der Rückseite die Namen verschiedener Bergwerksreviere nennen: metalla Ulpia, metalla Dardanica, Aelia Pincensia und später Aureliana, die allesamt Silber und Blei förderten [Dusanic 21]. Als Traían und seine Nachfolger die reichen Goldminen in den westdakischen Apuseni-Bergen organisierten, siedelten sie ganze Gemeinden von Bergleuten aus Dalmatien und Mösien um. In Alburnus Maior (Roçia Montana) wurden römische Galerien entdeckt, in denen sich noch Arbeitsgerät fand, das man dort liegen ließ, als die Krise der Markomannenkriege (167 n. Chr.) zur endgültigen Aufgabe dieser Bergwerke zwang. In den Minen gefundene Holztäfelchen aus der Zeit 131-167 n. Chr. liefern lateinische Privatvertäge: Arbeitsverträge, Verkäufe und Verpachtungen mit den entsprechenden Sicherheitsgarantien. Viele Personen, die auf diesen Holztäfelchen oder in Inschriften vorkommen, geben als Herkunftsorte entlegene Gegenden in Dalmatien an. Einige von ihnen kamen offensichtlich mit ihren ganzen Gemeinschaften unter ihren indigenen Anführern (principes). In Nordwestuntermösien wurden die Goldgruben von Montana (Mihailovgrad) unter Militäraufsicht betrieben. Die Vorkommen an Gold, Silber und anderen Mineralien in Makedonien und Thrakien waren schon seit langem bekannt und abgebaut worden, es gibt jedoch keine Hinweise darauf, daß hier eine neue Organisation eingeführt wurde, die sich mit der der Grenzprovinzen vergleichen ließe [Mrozek 52].
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6. 3. 6. 5 Produktion Im frühen 2. Jh. waren römische Formen in den Gegenden, wo sich Einwanderer und Veteranen angesiedelt hatten, weit verbreitet. In anderen Regionen blieben dagegen die traditionellen Formen der vorrömischen La-Tène-Eisenzeit dominant. Lokale Werkstätten, die terra sigillata italischen Stils produzierten, gab es in Siscia, Aquincum und irgendwo an der unteren Donau, doch war das Volumen nie groß und die Qualität der Produkte nicht sonderlich hoch. Der Geschmack der Veteranen und Siedler bestimmte zunächst Produktion und Formgebung der Haushaltskeramik, doch später waren die großen Militärlager entlang des Stroms die dominanten Märkte. Beliefert wurden sie sowohl von den lokalen Produzenten als auch von den Händlern, die entlang der Donau verkehrten [Mócsy 51, S. 176-178; Bonis 9], In der frührömischen Zeit wurde die Steinskulptur bei den indigenen Völkern populär, wenn gleich sie auch in der vorrömischen Zeit nicht völlig unbekannt gewesen war. Es scheinen sich zwei Produktionsformen entwickelt zu haben: größere Werkstätten, die den klassischen italischen Traditionen folgten, und kleine Betriebe, die die indigenen Gruppen bedienten, die von der Produktion der Großbetriebe nicht erreicht wurden. Diese Trennlinie scheint u m die Zeit Hadrians zu verschwinden, als qualitativ bessere Grabsteine und Skulpturen aus Massenproduktion weithin erhältlich wurden. Die klassischen O r n a menttraditionen, die den größten Teil der Donauländer von Italien aus erreicht hatten, blieben in den lateinischsprachigen Provinzen dominant, und für diejenigen, die höchste Qualität wollten und bezahlen konnten, gab es im Mittelmeergebiet ausgebildete Handwerker und Marmor in den größeren Zentren [Mócsy 51, S. 179-181], 6. 3. 6. 6 Die Gesellschaft 6. 3. 6. 6. i Die Rekrutierung Bei der Ergänzung der Donauarmeen läßt sich bei den illyrischen Provinzen (Pannonien, N o r i k u m und Dalmatien) im Westen und Mösien sowie Dakien im Osten jeweils eine gewisse Konstanz feststellen. In Mösien und Dakien geben die Legionsrekruten hauptsächlich römische Kolonien der Region als Herkunft an, Scupi, Ratiaria, Ulpia Traiana und Oescus, wobei sich jedoch hinter diesen offiziellen Angaben (wie sie sich in den Militärarchiven und auf den Grabsteinen fanden) zahlreiche indigene Rekruten verstecken werden, die das römische Bürgerrecht zur formalen Tauglichkeit benötigten [Bd. I, S. 153]. In denselben Provinzen war der Anteil der Orientalen, die in den Auxilien dienten, ziemlich hoch. Das deutet darauf hin, daß es vor Ort wenig dienstwillige Rekruten gab. Vor Hadrian war die Herkunft der pannonischen Armee bunter. Die Legionen bezogen ihre Ergänzungen aus Italien, Gallien und Hispanien, während in den Auxilien Dalmatier, Thraker, Alpenbewohner, Britannier und Germanen dienten. Im allgemeinen rekrutierten sich Auxilien aus der eigenen
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Provinz, sieht man von einigen Spezialisteneinheiten aus Thrakien und Syrien ab, die ihre R e k r u t e n aus der Heimat bezogen. In der Mitte des 2. Jh.s war die R e k r u t i e r u n g von indigenen Dalmatiern und Pannoniern in Auxiliareinheiten der jeweiligen Provinz schon durchaus üblich. Offensichtlich ging man davon aus, daß die meisten Einheiten sich aus den indigenen Völkern in Grenznähe ergänzen konnten. Indigene Städte, die in der flavischen Zeit u n d später entstanden, werden selten als H e r k u n f t von Legionären angegeben. Egal wie nun die tatsächliche H e r k u n f t der R e k r u t e n aussah, es gab jedenfalls eine etablierte Tradition, daß die Legionen sich aus den lokalen Veteranenkolonien rekrutierten. Das könnte eine Zeitlang die offizielle Politik gewesen sein, indem man soviele Kolonien j e Provinz gründete, wie dort Legionen standen. W ä h r e n d der friedlichen Dekaden des 2. Jh.s entwickelte sich die R e k r u t i e r u n g dahingehend, daß der Sprengel so klein wurde, daß man fast schon von einem erblichen Militärdienst der Grenzgemeinden sprechen kann. D e r klare Unterschied zwischen der kolonialen H e r k u n f t der Legionäre und der ethnischen H e r k u n f t der Auxiliaren, wie er sich auf offiziellen D o k u m e n t e n findet, geht vielleicht eher auf bürokratische Traditionen denn auf soziale Unterschiede zurück. Die wichtigste Konsequenz dieser Verbindung zwischen Grenzarmeen u n d lokalen G e m e i n wesen war, daß der römische Staat kein „Veteranenproblem" m e h r hatte, das die römische Republik einstmals destabilisiert hatte. Egal wie nun die Belohnungen u n d Privilegien aussahen, die die Veteranen nach 25 Jahren Dienst erhielten, sie waren jedenfalls damit zufrieden, sich nahe der Lager niederzulassen oder zu ihren Heimatstädten in der U m g e b u n g zurückzukehren [Mann 46, S. 30-41; Mócsy 51, S. 154-159]. 6. 3. 6. 6. 2 Bestattungsbräuche R ö m i s c h e Skulpturtechniken w u r d e n bald dazu eingesetzt, lokalen Vorstellungen von Tod u n d jenseitigem Leben Gestalt zu verleihen. Dazu gehörte die Reise in die nächste Welt auf einem Boot oder vierrädrigem Wagen. M a n fand etliche Gräber mit Keramikgefäßen in Bootsform, u n d einige reiche indigene Begräbnisse der frührömischen Zeit enthalten ganze Wagen. Wagen abzubilden und ins Grab mitzugeben, scheint besonders bei den vermögenden lokalen Familien des frühen 2. Jh.s beliebt gewesen zu sein. Die Produkte der Steinmetzwerkstätten in S ü d n o r i k u m sind besonders während der Flavier- und A n t o n i nenzeit bemerkenswert. Prächtige G r a b m o n u m e n t e mit ausgestalteter Reliefverzierung und Darstellungen der Verstorbenen wurden in den Munizipien V i r u n u m und Solva hergestellt. Das imposante Ensemble von M o n u m e n t e n , das in der N ä h e von Celeia errichtet wurde, braucht keinen Vergleich mit entsprechenden Anlagen aus irgendeiner anderen römischen Provinz zu scheuen [Mócsy 51, S. 147-153; Alfóldy 2, S. 11 Of.]. Bei Illyrern u n d Thrakern war die traditionelle Begräbnisform für die h ö h e r en Schichten eine Erdbestattung unter einem Erd- oder Steinhügel (tumulus). In einigen Gegenden wurde die Erdbestattung durch verschiedene F o r m e n der Verbrennung abgelöst, doch im allgemeinen hatte sich wenig verändert seit den
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bronzezeitlichen Zeremonien, die die homerischen Gedichte beschreiben. Der Brauch, selbst in abgelegenen Regionen skulptierte Grabsteine zu setzten, liefert uns indigene Namen und Nomenklaturregeln, Moden im Bereich der Kleidung, des Schmucks und der Frisur in den keltischen, illyrischen und thrakischen Gemeinwesen, für die fast kein Material aus vorrömischer Zeit erhalten ist [Wilkes 89, S. 241-253], 6. 3. 6. 6. 3 Die Religionen Die frühen Kolonien und die prosperierenden Munizipien zeigten ihre römische Identität und ihre Treue zur geltenden politischen Ordnung durch einen festgelegten religiösen Kanon. Fast jedes bekannte religiöse Monument des 1. und 2. Jh.s ist römischer Natur. Ausnahmen stellen die Bauten der orientalischen Kulte dar, wie der von Mithras, der unbesiegbaren Sonne, eine iranische Gottheit, die den Triumph des Lichts über die Mächte der Finsternis personifizierte. Solche exotischen Kulte mit ihren komplizierten und esoterischen Initiationsriten, die besonders bei den gut ausgebildeten Menschen gut ankamen, erreichten die Donauländer vielleicht zuerst durch die Rückkehr von Armeeabteilungen, die vorübergehend in den Orient abkommandiert worden waren [Vermaseren 83], Diese Kulte blühten hauptsächlich in den größeren Grenzgemeinden wie Aquincum und Carnuntum, finden sich jedoch auch oft im Inneren [Mócsy 51, S. 181]. Die indigenen Kulte der eingeborenen Donaubewohner finden sich seltener auf religiösen Monumenten als keltische oder thrakische Gottheiten. Es gibt jedoch einige Beispiele für die bekannte Identifizierung mit römischen Göttern (interpretado Romana) in Norikum, unter den Venetern in Istrien und Liburnien sowie den benachbarten Japoden [Wilkes 89, S. 245247], Bei den Religionen des römischen Dakien und den lateinsprechenden Gemeinden an der unteren Donau findet sich wenig von indigenen Traditionen. Dies steht in scharfem Kontrast zu den griechischsprachigen Gruppen in Thrakien, deren religiöse Uberzeugungen sich in zahlreichen Abbildungen und inschriftlichen Weihungen an den thrakischen Reitergott manifestieren [Goceva/Oppermann 30].
6. 4 Blüte und Krise im 3. Jh. 6. 4. 1 Die Germanen- und Sarmatenkriege unter Marc Aurel Durch Diplomatie konnte die Aufnahme (receptio) der Sueben ins römische R e i c h nur verzögert, nicht abgewendet werden, und die Aushebung zweier neuer Legionen in Italien (II Italica und III Italica, die später Standlager im norischen Lauriacum/Lorch und dem rätischen Castra Regina/Regensburg bezogen) zeigte, daß sich die R ö m e r der Italien aus dem Nordosten drohenden Gefahr bewußt waren. Der erste Angriff auf die Grenze kam von 6 000 Obiern und Langobarden in der Nähe von Brigetio in Pannonien. Dann marschierten
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die Markomannen und Quaden (wohl 167 n. Chr.) durch Norikum und Pannonien nach Norditalien und zerstörten unterwegs zahllose Städte und Dörfer. Nach ihrer Vertreibung unternahm der Kaiser mehrere Strafexpeditionen gegen ihr Land. 172 n. Chr. mußten die Quaden die Gefangenen und Deserteure sowie das geraubte Vieh zurückgeben und hatten den von den Römern ernannten Furtius als Herrscher zu akzeptieren. Einige Quaden durften anscheinend in Italien bleiben und dort siedeln, doch ansonsten wurde die römische Grenze für sie geschlossen, die römischen Märkte waren ihnen vorübergehend verboten. Im nächsten Jahr mußten die Markomannen ähnliche Bedingungen akzeptieren und hatten zudem einen Landstreifen vor der Flußgrenze zu evakuieren. Diese Maßnahmen erwiesen sich als effektiv, und bald schwächte man die Bedingungen ab. So wurde der Zugang zu Märkten an bestimmten Tagen erlaubt und die Breite des Niemandslandes halbiert. Einige Teile der germanischen Kotiner durften sich in Ostpannonien ansiedeln, wo einer von ihnen Aufnahme in die Prätorianergarde fand [Mócsy 51, S. 183-190]. 174 η. Chr. verlegte Marc Aurel sein Hauptquartier nach Sirmium, von wo aus er die Feldzüge gegen die Sarmaten leitete. 100 000 Sarmaten wurden in andere Teile des Reiches verbracht, und für die, die geblieben waren, war die verbotene Zone doppelt so groß wie die zuerst für die Germanen festgelegte. Drei Jahre später wurde den Jazygen erneut befohlen, sich von der Donau zu entfernen, und sie durften nicht mit Booten auf dem Strom fahren. Gleichzeitig erhielten sie die Genehmigung, an festgelegten Tagen römische Märkte aufzusuchen. Ferner erlaubte man ihnen, wieder Kontakte mit den Rhoxolanen, ihren sarmatischen Verwandten an der unteren Donau, zu unterhalten. Gegen Ende der 170er Jahre glaubten die Römer, daß die endgültige Unterwerfung der Germanen unmittelbar bevorstehe und daß dann eine neue Provinz Markomannien (Slowakei) eingerichtet werden könne. Eine römische Armee verbrachte den Winter 179/80 in Laugaricium (Trencin) an Fluß Váh (Waag), 130 km nördlich der Donau. Man begann feste Standlager zu errichten, die Bäder und andere Einrichtungen besaßen. Doch nach Marc Aurels Tod Anfang März 180 in Vindobona gab man die Annektierungspläne auf. Commodus war offensichtlich mit dem erreichten Grad an Kontrolle zufrieden. Immerhin überwachten auf germanischem Land stationierte Offiziere die inneren Angelegenheiten der Barbaren. So schickte Commodus die Legionen und Auxilien in ihre Lager an der Donau zurück [Mócsy 51, S. 190-193], Nachdem die Römer Germanen und Sarmaten wieder im Griff hatten, wurde die römische Grenze entlang der Donau wieder ganz hergestellt. Entlang der unterpannonischen Sarmatengrenze spielten offenbar offizielle Dolmetscher für Sarmaten, Germanen und Daker eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der neuen, strikteren Grenze. Das Maß an gemeinsamen Interessen der Herrscher auf beiden Seiten des Stroms darf nicht unterschätzt werden. Bevor Septimius Severus mit den Donaulegionen 193 n. Chr. nach Italien zog, hatte er umfangreiche Konsultationen mit den Herrschern der Völker jenseits des Flusses [Herodian. 2. 9-12; SHA Sept. 5. 3]. Gleichzeitig wurde die lokale Uberwa-
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chung des Flusses verschärft. Entlang der ripa Sarmatica südlich von A q u i n c u m w u r d e 185 n. Chr. die neue Politik in Bauinschriften proklamiert (17 Kopien desselben Textes sind erhalten): „[Kaiser C o m m o d u s ] befestigte das gesamte Flußufer mit neuerrichteten Kastellen u n d mit Garnisonen an Stellen, die b e sonders gut für eine U b e r q u e r u n g [des Flusses] durch Banditen (latrunculi) geeignet sind". Möglicherweise w u r d e n diese Befestigungen nie errichtet, denn die Steintafeln verließen niemals die Maurerwerkstatt in Intercisa. Allerdings war bereits der N a m e des amtierenden Statthalters entfernt worden, wohl weil er mit dem Präfekten Perennis im B u n d e gestanden hatte, der seine Macht im selben Jahr verlor [Mócsy 51, S. 196f.]. In den letzten Jahren nahmen die H i n weise zu, daß sich terra sigillata, die vor Marc Aurel nur in den Germanengebieten nördlich Pannoniens vorkam, nun in der ungarischen Ebene verbreitete [Gabler/Vaday 24], Manches deutet darauf hin, daß während dieser Zeit die U n r u h e n in den Donauprovinzen zunahmen. Teilweise m u ß dies mit der großen Last zusammenhängen, die die Kriegsanstrengungen unter Marc Aurel für die Provinzialen bedeutet hatten. N o t wird m e h r Menschen an den R a n d der Gesellschaft gedrängt haben, was sich indirekt in der z u n e h m e n d e n Zahl von Grabinschriften spiegelt, auf denen „von R ä u b e r n getötet" (interfectos a latronibus) steht. Die Z u nahme von Polizeiposten (stationes) entlang der großen Straßen im Inneren, in denen Soldaten (benéficiarii consulares) wachten, zeigt auch die z u n e h m e n d e B e drohung der inneren Sicherheit u n d der Kommunikationslinien. W ä h r e n d der Markomannenkriege w u r d e das Problem im Südbalkan so dringlich, daß eine spezielle Einsatztruppe in das Hügelland an der makedonisch-thrakischen G r e n ze entsandt werden mußte. Eine Passage, nach der Marc Aurel die R ä u b e r Dardaniens in die A r m e e aufnahm, k ö n n t e sich tatsächlich darauf beziehen, daß etliche neue Kohorten (cohortes Aureliae novae) in Mösien rekrutiert u n d in der Bergbauregion Kosmaj südlich von Belgrad stationiert wurden. Diese Truppen n a h m e n lokale Polizeidienste wahr, die zuvor eine Abteilung der oberpannonischen A r m e e durchgeführt hatte, die nunmehr, beim Ausbruch der M a r k o m a n nenkriege, zurückgerufen w u r d e [IMS I, S. 95-120; Mócsy 51, S. 195f.].
6. 4. 2 Septimius Severus und der Aufstieg der Illyriciani W ä h r e n d der Regierungszeit Marc Aurels hatten sich die D o n a u a r m e e n an die Anwesenheit des Kaisers und seines Hauptquartiers gewöhnt. Lange Zeit waren O r t e wie Vindobona, C a r n u n t u m oder Sirmium die Zentren der Macht, von w o aus die ganze römische Welt regiert wurde. Fünf Jahre, nachdem C o m m o dus die D o n a u verlassen hatte, könnten sich einige pannonische Legionen m i ß achtet gefühlt haben. Möglicherweise waren sie zusammen mit dem Statthalter in den Anschlag des Prätorianerpräfekten Tigidius Perennis verwickelt gewesen [SHA C o m m . 13. 5]. Illyrien und Illyriciani sind geographische, nicht ethnische Begriffe. Einst auf die augusteische Provinz bezogen, befanden sie sich n o c h im frühen 3. Jh. im
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allgemeinen Sprachgebrauch. Damit waren nicht nur die illyrischen Provinzen im engeren Sinne, sondern auch Dakien und Obermösien gemeint [Herodian. 1. 9; 2. 8-11, 13-15]. Zwei Jahrhunderte lang, gerechnet ab der augusteischen Eroberung, galten die Donauländer als rückständig und fern von den Zentren der Macht und des Einflusses, w e n n man sie etwa mit Gallien, Hispanien oder (ab Hadrian) den griechischsprachigen Provinzen vergleicht. Die große Zeit der Donauländer kam im frühen u n d mittleren 3. Jh., vor allem während der Militäranarchie zwischen der E r m o r d u n g von Severus Alexander 235 u n d dem Herrschaftsantritt von Diocletian 284. In diesem halben Jahrhundert war die Reichsgeschichte eng mit dieser R e g i o n verknüpft, aus der die kurzlebigen Soldatenkaiser wie Claudius Gothicus, Aurelian u n d Probus hervorgingen, denen die stabilere Herrschaft der Tetrarchen, Constantins und Valentinians (allesamt aus d e m D o n a u r a u m stammend) folgte, deren Dynastien ein geeintes und w i e dererstarktes R e i c h während des größten Teils des 4. Jh.s regierten. D e r A u f stieg der Illyriciani begann lange vor 235, vielleicht schon mit dem Staatsstreich des Septimius Severus im Frühling 193 an der Spitze der Donaulegionen. A m 9. April 193 w u r d e L. Septimius Severus, der aus Lepcis Magna in Tripolitanien stammte und konsularischer Legat von O b e r p a n n o n i e n war, zwei Tage vor sein e m 48. Geburtstag in C a r n u n t u m zum Kaiser ausgerufen [Birley 6, S. 89-107]. Innerhalb weniger W o c h e n marschierten seine drei Legionen zusammen mit Einheiten der anderen D o n a u a r m e e n in voller Bewaffnung in Italien ein. N a c h dem er sich durchgesetzt hatte, löste er sofort die 5000 M a n n starke Prätorianergarde auf, die in R o m stationiert war und hauptsächlich aus Italikern bestand (viele w u r d e n zu Räubern). Seine neue Garde war doppelt so groß und bestand aus Soldaten von der Donau. Innerhalb weniger Jahre w u r d e die danubische Präsenz im Z e n t r u m des Reiches weiter erhöht, indem Severus eine seiner n e u en Legionen (II Parthica) in Albanum, 20 k m von R o m entfernt, einquartierte. Ein Augenzeuge dieser Ereignisse, der Historiker Cassius Dio, beschreibt uns seinen Eindruck von den Danubiern: „[Septimius Severus] füllte die Stadt mit einer bunten Masse von Soldaten, die wild anzusehen, schrecklich zu hören und pöbelhaft im U m g a n g waren." [75 (74). 2. 6], Illyrische Soldaten blieben länger in R o m , denn ein Posten in der Prätorianergarde wurde zur Belohnung für gute Dienste und bedeutete weiteren Aufstieg. D o c h blieb ihre Präsenz für alle B e teiligten unbehaglich. 30 Jahre später hören wir von einem nächtlichen Angriff auf den Prätoriumspräfekten, den großen Juristen Ulpian. Bei einer anderen Gelegenheit endete eine dreitägige, regelrechte Schlacht zwischen der Garde und der Stadtbevölkerung erst, als die geschlagene Soldateska anfing, große G e bäude in Brand zu stecken [Cass. D i o 80. 22]. Cassius Dio selbst bekam kein zweites Konsulat i. J. 229 und w u r d e aus der Stadt gejagt, weil man sich an seine strenge Statthalterschaft in Pannonien erinnnerte [80. 4. 2-5]. D e n Gebildeten erschienen die Danubier als ungeschlacht, d u m m u n d roh, ihnen fehlte die humanitas. Z u älteren Stereotypen kam n u n m e h r die eigene Erfahrung. Die N e u linge konnten sich die Produkte von exzellenten Steinmetzen der Hauptstadt
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leisten, doch ist das Latein ihrer Grabinschriften unbeholfen und voll von Fehlern [Mócsy 51, S. 200f.]. Septimius Severus und seine Dynastie k ü m m e r t e n sich u m die Quelle ihrer Macht u n d scheinen das Regionalbewußtsein der A r m e e und ihrer Landsleute unterstützt zu haben. Bevor der Feldzug nach Italien 193 begann, w u r d e das lokale Priesterkollegium der pannonischen A u g u r n befragt, das Septimius Severus den Sieg prophezeite [SHA Sept. 10. 7]. N a c h dem Sieg über seinen östlichen Rivalen Pescennius Niger kehrte Septimius Severus zur D o n a u zurück. 196 w u r d e sein ältester Sohn Caracalla im mösischen Legionslager Viminacium zum Caesar proklamiert. D e r j u n g e Prinz blieb als Kommandant der D o n a u a r m e e n zurück, als Septimius Severus gegen Clodius Albinus marschierte. N a c h dem Sieg von L u g d u n u m (19. Febuar 197) errichtete ein Legionstribun in der N ä h e des Schlachtfeldes eine Dankesweihung an die göttlichen M ü t t e r n (matres) der Pannonier und Dalmatier, die in der lokalen F o r m der nutrices die Kräfte der Donaulegionen genährt u n d gestärkt hatten [CIL XIII 1766; Alföldy 4, S. 154-157, 162f.]. Als die kaiserliche Familie 202 nach Siegen über die Parther aus Antiochia nach R o m zurückkehrte, glich ihre Reise durch die Donauländer einem Triumphzug. Mit ihnen kehrte die pannonische legio II Adiutrix in ihr Lager A q u i n c u m zurück, u n d man machte U m w e g e entlang der Donau, u m die einzelnen Einheiten in ihren Lagern zu besuchen [Fitz 23, S. 11-13], Die A n w e senheit des Kaisers führte zweifellos zu vielen Veränderungen u n d R e f o r m e n , so vielleicht auch zu d e m kaiserlichen Befehl, eine Straßenstation und ein Marktzentrum (emporium) im thrakischen Pizos zu errichten. Die Inschrift mit den Einzelheiten dieser G r ü n d u n g , die wohl vor allem den Bedürfnissen der A r mee dienen sollte, ist erhalten. So erfahren wir, daß die Ansiedlung von 173 Menschen vorgesehen war. Es gab klare Regeln, wie der O r t verwaltet werden sollte u n d wie die Anlagen zu warten waren [IGBulg 1690]. Ein ähnlicher Ton läßt sich bei anderen Briefen an Donaustädte vernehmen. Das b e r ü h m t e R e skript von Solva von 205 schärfte ein, daß die Privilegien des centenarii-Koilegiums nur fur Personen gedacht waren, die tatsächlich ihre Pflichten als Feuerwehr erfüllten, und daß niemand nur deswegen Mitglied werden dürfe, u m seinen städtischen Verpflichtungen zu entgehen [Weber 87, S. 199; Alföldy 2, S. 161]. In ähnlicher Weise macht ein Brief an die alte griechische Stadt Tyras nördlich des Donaudeltas klar, daß man sie im Verdacht hatte, durch die E r n e n n u n g reicher R ö m e r zu Ehrenbürgern eine Steueroase außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der römischen Steuereintreiber zu schaffen. Deswegen sollten in Z u k u n f t die N a m e n aller Kandidaten für eine solche Ehre dem untermösischen Statthalter vorgelegt werden. Jedoch w u r d e die alte Befreiung der Stadt von Zöllen (porteria) bestätigt [CIL III 781, add. P. 1009 + Nr. 12509 = ILS 423],
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6. 4. 3 Siedlungen 6. 4. 3. 1 Siedlungen an der Grenze Die zivilen Grenzsiedlungen, die in der Nähe der großen Militärlager unter Hadrian und den Antoninen entstanden waren und bis zur Militärkrise im 3. J h . blühten, suchen innerhalb der Donauregion ihresgleichen. Grabungen in den nördlichen Vororten Budapests haben viel von der Osthälfte des Munizipiums (ab 194: Kolonie) Aquincum aufgedeckt. D i e Fläche von ca. 6 5 0 auf 4 4 0 m besteht hauptsächlich aus Häusern, zwischen denen Straßen ungefähr im rechten Winkel verlaufen, wobei aber nichts darauf hindeutet, daß ein regelmäßiges Straßennetz geplant war. Die Hauptstraße war von kommerziellen Gebäuden flankiert, so von einem landwirtschaftlichen Markt (macellum) in Form eines U förmigen Peristyls mit zentralem Kiosk. In der Nähe befanden sich ein Badehaus, einige kleinere Tempel und das große Lokal der Textilhandwerkervereinigung (schola collegii centenariorum), in dem 1931 die Uberreste einer tragbaren Orgel gefunden wurden, die 2 2 8 ein Präfekt des Kollegiums gestiftet hatte. D e n Rest der bebauten Fläche nahmen R e i h e n schmaler Häuser ein, die von engen Straßen getrennt wurden. In ihnen befanden sich verschiedene Werkstätten. Der Platz scheint gegen Ende des 1. Jh.s zum ersten Mal besiedelt worden zu sein, als das Legionslager rund eine Meile flußabwärts errichtet wurde. Als Aquincum zur Stadt aufstieg, errichtete man eine Mauer, die eine Fläche von knapp 3 0 ha einschloß, was offensichtlich größer als die existente Siedlung war. Zur Ausstattung der Stadt gehörte eine Arena mit steinverkleideten Erddämmen. Das Wasser lieferte eine Abzweigung des Aquädukts der Legion [Póczy 60, S. 2 5 5 - 2 5 8 ] , U b e r Carnuntum weiß man nicht so viel, aber wenn die drei isolierten Ausgrabungsflächen Teile derselben Stadt darstellen, dann wäre ihre Fläche von ca. 60 ha doppelt so groß wie die von Aquincum. Im Südosten ergrabene Häuser ähneln sehr den schmalen Streifenhäusern und -Werkstätten von Aquincum. E i nige Straßen waren parallel gezogen, es gibt aber keine Anzeichen für ein geplantes Straßennetz. Die einzige Struktur von öffentlichem Charakter sind die sogenannten „Palastreste" im Südwesten. Es handelt sich dabei um einen K o m plex von großen, hypokaustierten Räumen. Die Funktion dieser R ä u m e ist unklar, aber einiges scheint darauf hinzuweisen, daß sie von einem der reichen Handelskollegien genutzt wurden [Stiglitz 12]. D i e Uberreste des hadrianischen Munizipiums Augusta Vindelicum in Rätien liegen tief unter dem mittelalterlichen und modernen Augsburg. W i r wissen immerhin, daß sich die besiedelte Fläche über 6 0 ha erstreckte und daß es weder ein Straßennetz noch regelmäßige Blocks gab. D i e Holzbauten vom 1. J h . wurden später in Stein erneuert, und unter Hadrian oder Antoninus Pius errichtete man eine Stadtmauer. An großen öffentlichen Bauwerken ließen sich bislang nur ein Bad und eine hypokaustierte, als Statthalterpalast interpretierte Struktur ausmachen, doch sind viele kleine Tempel, Privathäuser und Depots bekannt [Kellner 41]. Ursprünglich
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war das ostpannonische Gorsium (Székesfehérvár) eine Zivilsiedlung in der N ä he eines Auxiliarlagers. N a c h der Teilung Pannoniens unter Traian w u r d e G o r sium das Z e n t r u m des unterpannonischen Kaiserkults. Die Errichtung eines Forums u n d Kapitols am Schnittpunkt der beiden Hauptstraßen war offensichtlich schon begonnen worden, als man unter Hadrian den Status eines Munizipiums erlangte. Auf d e m F o r u m mit Kolonnaden erhob sich der Altar der Provinz (ara provinciae), daneben war ein Gebäude, in d e m sich der Provinziallandtag versammelte [Fitz 22; vgl. aber Alföldy 5, S. 35], Die stetig wachsende G r ö ß e u n d Prosperität der Grenzstädte steht in scharfem Kontrast zur Entwicklung der kleineren Gemeinden im Landesinneren. D o r t schienen die Vergabe des Munzipalstatus und das persönliche Bürgerrecht k a u m einen Anreiz für die Einwohner darzustellen, ihr Geld in städtische Bauten zu investieren. Dies gilt beispielsweise für Delminium, die alte Hauptstadt der Delmater, die die R ö m e r im 2. Jh. v. Chr. e i n g e n o m m e n hatten. Delminiu m war die wichtigste Siedlung in der Ebene von Duvno, ein Karstpolje der dalmatischen Dinariden. Die römische Siedlung lag an einer ebeneren und g ü n stiger gelegenen Stelle unterhalb der alten Hügelfestung nahe Zupanac. Sie w u r d e durch die Uberreste ihres m o d e r n e n Forums (42 χ 32,7 m) identifiziert, einer gepflasterten Fläche, die auf drei Seiten von einer einfachen Wand u m schlossen wird, während auf der vierten Seite Basilika u n d Rathaus standen. D e r große O f e n in der Ecke des Rathauses, eine offensichtlich spätere Zutat, war wohl eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß die öffentlichen Geschäfte während der W i n t e r m o n a t e weitergehen konnten [Wilkes 88, S. 271f., 371f.]. Das munizipale System des 2. Jh.s η. Chr. konnte nicht auf die Zivilsiedlungen (canabae) neben Legionslagern ausgeweitet werden, obwohl sich manche in alle R i c h t u n g e n ausgedehnt hatten und große O r t e mit urbanem Charakter geworden waren. Die Lage der canabae von C a r n u n t u m auf beiden Seiten der Straße, die vom Südtor des Legionslager ausging, kann durch Luftphotographien sichtbar gemacht werden. Einige Siedlungen dieses Typs scheinen eine öffentliche Verwaltung mit R a t u n d Magistraten entwickelt zu haben, es gibt aber keinen Hinweis auf irgendwelche diesbezüglichen öffentlichen Gebäude. W ä h r e n d der Antoninenzeit waren die meisten Gebäude der canabae Holzhütten, die als Kneipen, Läden oder Werkstätten dienten. Als Septimius Severus den Sonderstatus von Militärland, das einst allein für die Versorgung der Legionen bestimmt gewesen war, abschaffte, konnten die darauf errichteten canabae und ihre v e r m ö genden Bürger in das munizipale System mit seinen Pflichten und Bürden einbezogen werden. In A q u i n c u m bestanden die canabae n u n aus vielen großen u n d gutgebauten Privathäusern mit Mosaikböden, Wand- und Deckenmalereien, deren Motive wohl dem Geschmack der Offiziere entsprochen haben. A n dererseits durfte keine dieser Siedlungen eine Umwallung errichten, und trotz all ihres Reichtums waren diese O r t e angesichts der drohenden Gefahren im Krisenfall nicht auf Dauerhaftigkeit angelegt [Mócsy 51, S. 218f.]
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6. 4. 3. 2 Die Ausbreitung der Städte Die Severerzeit ist durch die Z u n a h m e aller Arten von Inschriften charakterisiert, die den wachsenden R e i c h t u m eines relativ breiten sozialen Spektrums in den größeren Grenzsiedlungen u n d dem Hinterland zeigen. Viele Texte sind E h r e n - oder Weihinschriften von religiösen oder profanen Gebäuden. Viele der genannten Personen werden in die lokalen Hierarchien (Magistrat, Rat, collegium etc.) eingereiht, manche gehören aber auch in die militärische bzw. administrative Hierarchie der Provinzen. Einige ältere Munizipien, insbesondere C a r n u n t u m und Aquincum, w u r d e n zu Kolonien hochgestuft, während die alte flavische Kolonie Siscia den Titel Septimia [ζ. B. CIL III 3913] erhielt. Einige der älteren Städte könnten Beihilfen, Kredite oder kaiserliche Stiftungen erhalten haben, u m sich von den Markomannenkriegen zu erholen. Eine solche Stiftung ist durch die Bezugnahme auf ein Kontobuch (kalendarium Septimianum) belegt, in d e m die monatlichen Zinsen in der alten claudischen Kolonie Savaria in Pannonien aufgezeichnet w u r d e n [CIL III 4152]. Städte, die erst in der antoninischen oder severischen Zeit organisiert w u r den, waren tendenziell kleiner und bescheidener in ihrer Urbanen Entwicklung, mit wenigen Anzeichen fur eine aktive, ämterbekleidende Klasse. Eine typische G r ü n d u n g dieser Zeit war Bassiana im Südosten Pannoniens zwischen Sirmium und Singidunum. Luftphotographien zeigen ein regelmäßiges Straßennetz, doch die u m m a u e r t e Fläche betrug lediglich 19 ha [Grbic 31]. Man k o m m t kaum umhin, diesen O r t als nicht m e h r zu betrachten als eine kleine Siedlung an einer wichtigen Straße, der für die lokale Selbstverwaltung u n d Dienstleistungen wie Transport und U n t e r k u n f t zuständig war. Das rätische C a m b o d u n u m (Kempten) war schon lange der Hauptort der keltischen Estioner gewesen, doch seine Entwicklung in der römischen Zeit verdankte es wohl mehr seiner Lage an einem Schnittpunkt der Straßen nach Italien u n d der Donau. N a c h einer frühen Periode des Wohlstands hatte die Siedlung mehrere öffentliche G e bäude erhalten, doch zur Zeit des Aufstiegs zum Munizipium hatte man die Prosperität an die neuen Grenzsiedlungen verloren. Die Hochstufung zur Stadt erfolgte aus verwaltungstechnischen Gründen u n d mag für eine kleine Siedlung mitunter schwere Bürden bedeutet haben, wie die Wartung von wichtigen Straßen auf unwegsamen Gebiet. Gleichwohl wuchs die bebaute Fläche auf 1 000 χ 500 m an [Schleiermacher 70]. M e h r als 2 0 0 0 k m weiter im Osten benannte sich die Siedlung Tropaeum Traiani an der Kreuzung zwischen Tomis und D u r o storum mit ihrer gemischten Bevölkerung aus lokalen Familien u n d römischen Siedlern nach dem großen M o n u m e n t (Adamklissi), das Traian z u m Gedenken an seine Daker- u n d Sarmatensiege hatte errichten lassen. Bis etwa 170 könnte das Areal von einer Abteilung der in D u r o s t o r u m stationierten legio XI Claudia verwaltet worden sein, doch dies änderte sich mit der Vergabe des Munizipalstatus. Die meisten Uberreste innerhalb der umwallten Fläche von ca. 10 ha datieren in die Spätantike, doch es gibt keine Anzeichen dafür, daß das frühere M u nizipium jemals weiter ausgegriffen hätte. Tropaeum Traiani wartete einen strategisch wichtigen Teil des Straßennetzes u n d verschwand bei der Ankunft der
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Slawen am Ende des 6. Jh.s [Poulter 62, S. 83f.]. Eine gewisse Vorstellung vom Elend der zivilen Siedlungen vermittelt schon im 2. Jh. eine Petition an den u n termösischen Statthalter, die ein D o r f an der Hauptstraße in der N o r d d o b r u dscha wegen ungerechtfertigter Bürden und Fronforderungen einreichte. Man drohte wegzulaufen, falls das so weitergehe [ISM I 378]. Ganz ähnliche Beschwerden finden sich in der b e r ü h m t e n Eingabe an Gordian i. J. 238 aus Scaptopara im Westen derselben Provinz. Die heißen Quellen des Dorfes zogen hochrangige Offiziere an, die freie U n t e r k u n f t erwarteten. Auch die Besucher eines nahen Marktes, der jedes Jahr 15 Tage lang dauerte, sowie durchreisende Soldaten erpreßten die Dörfler mit D r o h u n g e n . Bezeichnenderweise w u r d e dem Kaiser dieser Zustand deswegen bekannt, weil ein aus Scaptopara gebürtiger Soldat in der Prätorianergarde zu R o m diente [IGBulg IV 2236]. Daß die städtischen Institutionen in der Donauregion während der A n t o n i nenzeit nur n o c h eine untergeordnete Rolle spielten, ist auch daran ersichtlich, daß die Siedlungen in den Bergbaurevieren, die bis dahin im R a h m e n des Pachtsystems unter direkter kaiserlicher Verwaltung gestanden hatten, solche Einrichtungen erhielten. Mit der Zeit erwarben sich einige Pächter (coloni), die die M i n e n kontrollierten, in denen Sklaven, Strafgefangene oder lokale Bergleute schufteten, große Vermögen. Auf diese k ö n n t e es die R e g i e r u n g abgesehen haben, als man daran schritt, die Bergbaureviere ins munizipale System zu integrieren. M a n erwartete n u n m e h r von den reicheren U n t e r n e h m e r n , ihren Beitrag zu den städtischen Einrichtungen zu leisten, die die kaiserliche Verwaltung nicht aus eigener Tasche bezahlen wollte. In den dardanischen Silberminen w u r d e n einige bereits vorhandene Gebäude, die vielleicht ursprünglich als Lager gedient hatten, zum Z e n t r u m des neuen municipium Dard(anicum) (Socanica im Ibartal) ausgebaut. In den dalmatischen Silbergruben von Domavia im Drinatal k ö n n t e n die Gebäude, die die kaiserliche Verwaltung genutzt hatte, als Basilika und Ratshaus der neuen Stadt verwendet worden sein. Die Gebäude der A n siedlung standen zusammengedrängt auf den steilen Hängen eines engen Tals u n d ließen keine Freiflächen, die für eine öffentliche N u t z u n g geeignet gewesen wären. Das größte Gebäude war das Badehaus, ein Block von mehr als 50 R ä u men, das nach den epigraphischen Funden zu urteilen weiterhin von der kaiserlichen Verwaltung unterhalten wurde, was j e d o c h mit Sicherheit auf Kosten der Gemeinde geschah [Mócsy 51, S. 216f.]. N i c h t nur Grenzstädte u n d Bergwerkssiedlungen in abgelegenen Gegenden w u r d e n nun als Städte organisiert, sondern sogar m o n d ä n e Seebäder. In Ilidza nahe Sarajewo, unweit der Quelle der Bosna in Zentralbosnien, gab es einen Kurort, dessen N a m e nur in der abgekürzten F o r m Aquae S. erhalten ist (Dieses Problem stellt sich übrigens mit etlichen der späteren Munizipien in den D o nauländern.). Ausgrabungen am Ende des 19. Jh.s konnten Teile von verschwenderisch ausgestatteten Kurhäusern (55 χ 50 m) aufdecken, die mit Mosaikböden, Wandmalereien und importierten korinthischen Kapitellen ausgestattet waren. Spätere Grabungen brachten einen Teil eines Gebäudes zu Tage, das das „Sanatorium" gewesen sein könnte. Sich die res publica von Aquae S. als
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Zentralort der Bewohner der umliegenden Hügel vorzustellen, ist nicht ganz einfach. Das Kurbad behielt offensichtlich weiter die Patronage reicher Patienten, zu denen mindestens ein römischer Senator konsularischen Ranges gehörte [Wilkes 88, S. 382f.]. 6. 4. 3. 3 Villen und Domänen Die außergewöhnliche Prosperität der Grenzstädte geht im späten 2. und frühen 3. Jh. einher mit einer zunehmenden Zahl reich ausgestatteter Landhäuser, in denen Gartenbau, Landwirtschaft und Viehzucht betrieben wurde. In Pannonien waren die Hügel um Aquincum mit solchen Häusern übersät. In der Gegend von Brigetio, auf den Straßen, die nach Aquincum und Savaria führten, baute man nach den Markomannenkriegen einige prächtige Häuser. Ahnliche Gebäude wurden auch in der Gegend von Scarbantia erbaut. Die Quelle dieses Reichtums muß eine Verbindung zu den Grenzgemeinden gewesen sein, die mit der Armee und ihrer Bezahlung zu tun hatte. Eine indirekte Folge dieser Sachlage war das Uberleben kleinerer Bauernhöfe, deren Besitzer in der Armee dienten, während ansonsten kleinere Einheiten auf dem Land größeren D o m ä nen weichen mußten. Weiter entfernt von der Grenze entstanden riesige D o mänen, Vorläufer der gewaltigen Güter des 4. Jh.s. Große Villen in einiger Grenzentfernung finden sich um den Plattensee und den Neusiedler See, und im Süden in günstigen Lagen in der Fraska Gora um Sirmium und die MecsekHügel um Pécs. In einem Landhaus in Budalia nahe Sirmium verbrachte der Kaiser Decius seine Kindheit [Aur. Vict. 29. 1; Eutr. 9. 4]. Aus Balaca am Plattensee kommen die beeindruckendsten Uberreste einer Landresidenz der Severerzeit, die qualitativ mit jedem italischen Bauwerk dieser Zeit mithalten kann [Mócsy 51, S. 238-240; Poulter 62, S. 85-90],
6. 4. 4 Die Gesellschaft 6. 4. 4. 1 Einwanderung Die Herkunft vieler Bewohner der Grenzstädte wird durch die zunehmend einheitliche Nomenklatur in den lateinischsprachigen Provinzen verschleiert. Dies ist ein Grund, warum die Anwesenheit zahlreicher syrischer Einwanderer während der Severerzeit so sehr auffällt. Die Verbindungen von Septimius Severus zu diesem Gebiet sind gut dokumentiert. Seine Frau, die Syrerin Iulia Domna, trug den offiziellen Titel „Mutter der Lager" (mater castrorum). Die Stationierung einer großen syrischen Auxiliareinheit in Intercisa, an der Sarmatengrenze südlich von Aquincum, schuf eine zivile und militärische Enklave, deren materielle Kultur syrisch blieb, wie Kulte und Monumente beweisen [Fitz 23]. Einige H i storiker meinten, daß diese orientalischen Soldaten und zivile Händler mit Bedacht von den Kaisern an die Donau gebracht wurden, damit sie dort die lokale Wirtschaft nach den Markomannenkriegen wieder in Gang brächten. Allerdings steht fest, daß Syrer auch schon vor den Markomannenkriegen in dieser
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Region präsent waren und eine führende Rolle spielten. Ein bemerkenswertes Beispiel stellt Domitius Zmaragdus aus Antiochia dar, ein Mitglied des Rates von Carnuntum, der für die Errichtung eines Amphitheaters auf öffentlichem Land bezahlte (Es ist unbekannt, um welches der beiden Ampitheater in Carnuntum es sich handelt.) [CIL III 14359, 2]. Wie und unter welchen Umständen Syrer in die Donauregion kamen, ist unklar, aber ihre Hauptmotivation war sicherlich, die sich bietenden Möglichkeiten der blühenden Grenzstädte zu nützen, als die Region besondere kaiserliche Aufmerksamkeit und Gunst genoß. Einige Familien folgten den Donaulegionen aus dem Osten, die von den Partherfeldzügen von L. Verus und Septimius Severus und dem Bürgerkrieg mit Pescennius Niger zurückkehrten [Mócsy 51, S. 227-230]. Auch jüdische Zuwanderer, die zweifellos Zivilisten waren, sind belegt. U n ter Septimius Severus wurde in Mursa ein Gebetshaus erneuert, und es gab eine Synagoge in Intercisa. In der Umgebung von Aquincum sind viele einzelne Juden belegt, aber keine Gemeinde innerhalb der Stadt [Mócsy 51, S. 228]. In den Grenzstädten Aquincum und Brigetio stiegen syrische Einwanderer in den Kreis der Familien auf, die städtische Magistraturen bekleideten. Bemerkenswert ist auch, daß viele Syrer als Herkunft nicht syrische Großstädte, sondern Dörfer angeben. Möglicherweise hatten sie in der Armee gedient, verbargen aber ihre Militärkarrieren, sobald sie sich an der Donau etabliert hatten. Syrer waren nicht die einzigen Zuwanderer an die Donau (auch Afrikaner sind belegt), aber sie bildeten eigene und konzentrierte Gruppen, die häufig in die Zeit von Septimius Severus datieren. Die meisten anderen kamen im Rahmen ihres Militärdienstes oder einer speziellen Funktion, die Syrer jedoch wollten ihr Glück machen, was einigen auch gelang. 6. 4. 4. 2 Latein und Griechisch Die lateinische Sprache war an der ganzen Donaugrenze dominant. Es sind keine Spuren von vorrömischen Sprachen erhalten. Das Griechische blieb auf den Südbalkan beschränkt und verbreitete sich kaum über die Grenzen des hellenistischen Makedonien und Thrakien hinaus. Wie kürzlich auf der Grundlage der Verbreitung von hauptsächlich römerzeitlichen Inschriften festgestellt wurde [Gerov 26], folgte die Sprachgrenze in etwa dem Verlauf der Südgrenzen der Provinzen Dalmatien, Obermösien und Untermösien. Diese Linie änderte sich während der römischen Zeit wohl überhaupt nie. Urspünglich beschränkte sich das Lateinische an der unteren Donau auf die Militärlager und die zugehörigen Zivilsiedlungen. Traians Neugründungen Nikopolis und Markianopolis in Thrakien nördlich des Haimos behielten ihre griechische Kultur. Doch das Lateinische, wie Grabsteine und religiöse Weihungen zeigen, verbreitete sich allmählich durch Rekrutierung und Veteranenansiedlungen unter den kleineren Siedlungen im Landesinneren. Auch die alten griechischen Kolonien an der Schwarzmeerküste südlich der Donau behielten ihren Charakter. Die Verschlammung der umliegenden Lagunen könnte den allmählichen Niedergang
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von Histria (Istros) bewirkt haben. Die Führungsrolle übernahm Tomis, nun Hauptresidenz des römischen Statthalters von Untermösien. 6. 4. 4. 3 Die provinziale Kultur Es gibt keine Hinweise auf einen organisierten „indigenen Widerstand" in den Donauländern gegen die römische Kultur oder den römischen Lebensstil. Nichts deutet darauf hin, daß das zeitweise auflodernde Räuberunwesen eine Reaktion gegen die römische Autorität war, genauso wenig, wie es dies gegenüber den Mächten darstellte, die seitdem dieses Gebiet regierten. Die meisten indigenen Gruppen (mit Ausnahme der Daker) überstanden die römische Eroberung entweder unbeschadet oder erholten sich innerhalb von einer oder zweier Generationen und übernahmen mehr oder weniger die römische Lebensart. Von den Indigenen, die in Auxiliarverbände eintraten und in der nächsten Generation in die Legionen rekrutiert wurden, stammte die neue Militärklasse ab, die das Reich von einer Machtbasis an der Donau aus während der nächsten Jahrhunderte regieren sollte. Davor stammten die wenigen Männer, die es im 2. Jh. vor den Markomannenkriegen bis zum Ritter oder Senator gebracht hatten, von den Siedlerfamilien der alten Kolonien ab. Verglichen mit den anderen lateinischsprachigen Regionen wie Gallien, Hispanien oder Nordafrika zeichneten sich die Donauländer nicht sonderlich aus. Kein Historiker, kein Dichter, kein Philosoph stammte nachweislich aus dieser Gegend. Typischer waren Männer wie Sex. Iulius Severus, Konsul 127 n. Chr. und Hadrians bester General, den er mit der Niederschlagung des Zweiten Jüdischen Aufstandes (133-135) beauftragte [S. 440f.]. Vorfahren von Septimius Severus gehörten zu den Gründungssiedlern der claudischen Veteranenkolonie Aequum in Süddalmatien [Alföldy 1, S. 116-119],
6. 5 Die Barbareninvasionen und der Zusammenbruch der Donaugrenze Neue Unruhen unter den Donauarmeen zeichneten sich unter Severus Alexander ab, dem letzten Kaiser der severischen Dynastie, der 235 von meuternden Truppen in Germanien ermordet wurde. Davor hatten Danubier, die an der Ostgrenze Dienst taten, verlangt, in den Westen zurückzukehren, nachdem sie von Uberfällen auf ihre Heimat gehört hatten [Herodian. 6. 7], Die Danubier unterstützten den neuen Kaiser Iulius Maximinus vorbehaltlos, der aus dem thrakisch-mösischen Grenzland stammte. Nach dem Sturz von Severus Alexander marschierte er zur Donau und verbrachte die meiste Zeit seiner Herrschaft (235-238) damit, von seinem Hauptquartier in Sirmium aus die Operationen zu leiten [Herodian 7. 8; 8. 6]. Diese Episode markierte Sirmiums Wiederaufstieg zu einem Zentrum strategischer Bedeutung und damit auch zu echter politischer Macht. Diese Rolle behielt es bis zum Ende des Jahrhunderts. In den 240er Jahren wurden Dakien und die untere Donau zunehmend von den Goten
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bedroht, die ins römische Gebiet übersetzen wollten. Sirmium, das an der Kreuzung der danubischen Straßen lag, war das Zentrum, von dem aus fast alle Operationen gegen sie geleitet wurden, entweder durch zentral ernannte Oberbefehlshaber oder durch lokale Usurpatoren (mitunter dieselbe Person), die Anspruch auf den Kaiserthron erhoben und die lokalen Forderungen repräsentierten, dieses Zentrum militärischer Macht weiterhin durch die Ressourcen des Rests des Reiches zu stützen. 247 leitete Kaiser Philippus Arabs persönlich einen Feldzug gegen die Karpen, die Dakien bedrohten. Im nächsten Jahr wurde das zentraldanubische Kommando formal in Sirmium durch Ti. Claudius Marinus Pacatianus wiederhergestellt, obwohl Sirmium weder Legionslager noch Regierungszentrum war. Sein darauf folgender Usurpationsversuch scheiterte zwar, doch diese Episode zeigt wiederum die anhaltende Forderung nach kaiserlicher Präsenz in der Region. Sein Nachfolger war C. Messius Traianus Decius, ein führender Senator, der aus Sirmium stammte. Seine angeblich widerwillige Usurpation nach einem Sieg über die Goten brachte ihn auf den Thron, während seine Armeen nach Italien marschierten und Philippus Arabs absetzten. Decius errang einige lokale Erfolge (in Apulum 250 n. Chr. nannte man ihn „Wiederhersteller Dakiens"), doch seine Herrschaft endete 251, als er und sein Sohn in einer Schlacht gegen die Goten bei Abrittus (Razgrad) in Untermösien getötet wurden. Der Statthalter dieser Provinz, Trebonianus Gallus, nahm den Purpur, doch er wurde bald durch einen effizienteren Feldherrn in Sirmium ersetzt, Aemilius Aemilianus. Nach dessen Tod 253 und Valerians Herrschaftsantritt hören wir nichts mehr von der Donaugrenze bis zu einer Reihe von größeren Einfällen durch die Sueben und Sarmaten über die mittlere Donau in den Jahren 258-260. Dakien erlitt noch Schlimmeres, und seine faktische Aufgabe durch die kaiserlichen Autoritäten scheint in diese Zeit zu gehören. In diesem Chaos entstand wiederum das Kommando von Sirmium durch eine Abfolge von Generälen, die zum Purpur griffen, insbesondere Ingenuus und Regalianus, die einige Erfolge gegen die Sarmaten verbuchen konnten. 260 installierte Gallienus seinen wichtigsten Feldkommandanten Aureolus in Sirmium mit einer Armee, die er aus Britannien und Germanien abgezogen hatte. Dieses Mal wurde die germanische Forderung nach Einlaß ins R e i c h gewährt und Markomannen in Pannonien angesiedelt. Indem Gallienus eine Feldarmee in Sirmium unter einem bedeutenden General statonierte, könnte er das gewährt haben, was die IIlyriciani seit fast einer Generation gefordert hatten. Die Einheiten dieser Armee sind durch eine Münzserie bekannt, die die legiones Illyricianae benennt. Die Konzentration der Truppen im Gebiet der mittleren Donau zeigt sich auch darin, daß die beiden dakischen Legionen, die dort strategisch zu sehr gefährdet waren, ins alte Legionslager Poetovio an der Drau in Südwestpannonien verlegt wurden. Nach einem kurzen Intervall der R u h e bis zu den späten 260ern umgingen die Goten die untere Donau und segelten in die Agäis, um die Städte Griechenlands und Kleinasiens zu plündern. Das Ausmaß des angerichteten Schadens
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spiegelt sich nunmehr im weitverbreiteten Elend der griechischen Welt. Dies könnte der Grund für das hohe Lob des neuen Kaisers Claudius sein, der 268 den Goten auf dem Rückweg im mösischen Naissus eine schwere Niederlage beibrachte. Zuvor war M . Aurelius Claudius aus dem südmösischen Dardanien an die Stelle von Gallienus und Aureolus getreten. Der Regierungsantritt von Claudius Gothicus (ein Siegestitel, den man seinem Namen generell hinzufügt) markiert den Anfang einer Phase, in der die legitime Zentralautorität des R e i ches durch eine aufeinanderfolgende Reihe von Illyriciani ausgeübt wurde, von denen viele aus der Umgebung von Sirmium stammten. Claudius starb 270 n. Chr. in Sirmium an der Pest. Die Illyriciani in Sirmium verwarfen das Votum des Senats für den Bruder des verstorbenen Kaisers und wählten stattdessen den tatkräftigen L. Domitius Aurelianus, der aus Sirmium stammte [Mócsy 51, S. 202-212], Die Invasionen, die die Donauprovinzen unter Decius, Valerian und Gallienus trafen, scheinen katastrophale Auswirkungen auf die prosperierenden Grenzgemeinden gehabt zu haben. Die Wiedererrichtung der Militärbäder im Legionslager Aquincum [CIL III 3525 = 10492] und der Bau eines neuen und kostspieligen Mithräums in Poetovio durch die dakischen Legionen scheinen den Eindruck der Verarmung der Städte zu bestärken [AIJ, S. 144-150, Nr. 311-322], Als die Illyriciani 268 n. Chr. in Sirmium die kaiserliche Autorität an sich rissen, begannen die Bindungen zwischen Armee und Grenzgemeinden schwächer zu werden. Dies wurde unter Aurelian offensichtlich, als die vom R e i c h abgetrennten Gebiete in Ost und West zurückerobert wurden. Die offizielle Evakuierung Dakiens und die Umsiedlung der verbliebenen Truppen und Zivilisten nach Neudakien südlich der Donau war nur die Bestätigung eines Zustandes, der schon 15 Jahre lang vorgeherrscht hatte. Jetzt, da die Illyriciani vom Zentrum aus regierten, entfernten sie sich immer mehr von ihrer danubischen Heimat. Diocletian, Maximian, Galerius, Constantius und Valentinian waren Illyriciani, doch sie zeigten wenig Interesse an ihrer Heimat und den Grenzsiedlungen. Nur die neuen kaiserlichen Hauptstädte Sirmium, Serdica und Thessalonike, die an den Verkehrsachsen lagen, verrieten durch ihre großen Gebäude und Palastkomplexe die Anwesenheit des Kaiserhofs. Die Kaiser zogen sich bald in einen H o f mit orientalischer Pracht zurück, und die Armee war wieder loyal gegenüber der dynastischen Nachfolge, wie sie es in den guten, alten Tagen gewesen war.
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7 Griechenland und die Kyrenaika Von Pierre Cabanes Wenn auch die R ö m e r schon zuvor in Griechenland präsent gewesen waren, so war doch der Sieg von Actium, den der j u n g e Octavian am 2. September 31 v. Chr. über die Flotte von Antonius u n d Kleopatra errang, mit Sicherheit ein Wendepunkt in der Geschichte des europäischen Teils der hellenischen Welt. Außerdem bezeichnet die Schlacht von Actium einen entscheidenden P u n k t auf dem Weg zu der neuen Regierungsform, d e m Prinzipat. D e r neue H e r r der Lage traf hinsichtlich Griechenlands Entscheidungen, die die Strukturen dieser kleinen Welt im Süden der balkanischen Halbinsel dauerhaft verändern sollten. N a c h d e m Sieg des Aemilius Paullus über König Perseus 167 ν. Chr., w o m i t der Dritte Makedonische Krieg endete, wurde Makedonien in vier Bezirke (merides) aufgeteilt, deren Hauptorte Amphipolis, Thessalonike, Pella und Pelagonia waren [Diod. 31. 8. 9, Liv. 45. 29. 9, wohl beide nach Polybios]. Diese vier R e gionen bildeten das makedonische Koinon, das durch das synhedrion, in d e m Delegierte der merides saßen, verwaltet w u r d e [F. Papazoglu 49, S. 53-66]. D e r Aufstand von 149 unter der F ü h r u n g des Andriskos, der sich als Sohn des Perseus ausgab, stellte den Entwurf von Aemilius Paullus in Frage. Die makedonische Provinzialära begann mit dem Herbst 148, dem Zeitpunkt der Niederlage des Andriskos - dann entschloß sich R o m zur Provinzialisierung Makedoniens. Auch im Achaierbund kam es zu U n r u h e n , d e n n Beschlüsse des römischen Senats hätten eine beträchtliche Verkleinerung des achaiischen Koinons nach sich gezogen. D e r römische Sieg sowie die Einnahme und Zerstörung von Korinth durch L. M u m m i u s (146) führten zu einer Reorganisation der römischen Präsenz in Zentral- und Südgriechenland.
7. 1 Die Provinz Makedonien Die antiken Quellen erwähnen die U m w a n d l u n g Makedoniens in eine römische Provinz nicht explizit. Allein der Epitomator des Livius setzt die Verwandlung Makedoniens in eine Provinz ins Jahr 167 [Macedonia in provinciae formant redacta]. Erst 148 w u r d e die römische Provinz Makedonien organisiert. Ihre Grenzen sind nur unzureichend bekannt, zumal im Westen [F. Papazoglou 48, S. 302-369 (mit Karte) u n d É. Deniaux 15, S. 402-404]: Byllis und sein Territorium waren 5 7 / 6 , als Piso Statthalter war, Teil der Provinz Makedonien, denn Cicero nennt die Bullienses neben den Parthini als O p f e r des römischen Statthalters [Cie. Pis. 40, 96; É. Deniaux 14, S. 263-270], Das heißt also, daß ein Teil Südillyriens an der Adria entlang bis in die Provinz Makedonien hineinreichte, wobei die Gebiete der Parauaioi u n d der Atintanes ab 167 zur vierten meris gehörten. Cicero beschuldigt Piso ferner, Dyrrhachium und Apollonia ausgeplündert zu haben [Dyrrhachium et Apollonia exinanita]. Die Kontrolle über diese beiden Städte gab der Provinz Makedonien breiten Zugang zur Adria. M a n kann
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nicht mit Sicherheit sagen, ob der Anschluß dieser westlichen R e g i o n e n an die römische Provinz Makedonien gleichzeitig mit der Provinzorganisation geschah; gewiß ist jedoch, daß R o m ein Interesse daran hatte, die via Egnatia, die Dyrrhachium u n d Apollonia mit Thessalonike verband, vollständig zu kontrollieren. M u ß man bereits 148 Epeiros zur Provinz Makedonien schlagen, wie P. R . Franke meint [22, S. 218]? Das wäre möglich, aber bislang gibt es dafür keinen Beleg.
7. 2 Die Situation in Griechenland ab 146 v. Chr. 146 w u r d e Griechenland oder, u m genauer zu sein, w u r d e n die Gebiete, die am Aufstand an der Seite der Achaier teilgenommen hatten, der Autorität des makedonischen Prokonsuls unterstellt, der der einzige Magistrat war, der regelmäßig in den Balkan entsandt wurde. Griechenland war weder eine eigene Provinz noch Bestandteil Makedoniens. In dem Teil Griechenlands, der den R ö m e r n tributpflichtig war, scheinen ein paar Jahre später die föderalen Strukturen wiederhergestellt w o r d e n zu sein, die R o m nach seinem Sieg aufgelöst hatte [so jedenfalls Paus. 7. 16. 10 - doch der Text des Pausanias enthält zahlreiche Fehler, zumal w e n n er die Existenz eines Statthalters von Achaia schon zu dieser Zeit annimmt, was bei einem Griechen des 2. Jh.s η. Chr., d e m diese Organisation vertraut war, nicht überraschen darf], W i e J . - L . Ferrary [19, S. 206] treffend zusammenfaßt: „Die Verwaltung des steuerpflichtigen Griechenlands wird eine provincia gewesen sein, die regelmäßig demselben Magistrat anvertraut wurde, der die provincia Macedonia erhielt, doch war sie von letzterer geschieden." Man hat Belege dafür, daß der römische Statthalter von Makedonien in dem Jahrhundert nach der Einrichtung der Provinz in Griechenland eingriff. J.-L. Ferrary hat sie gesammelt [18, S. 772f.; 19, S. 186-209]: einen Brief des Prokonsuls Q. Fabius Maximus [Syll.3 684 = R D G E 43] an die Stadt D y m e von 144; der Senat läßt 125 den makedonischen Statthalter den Amphiktyonenrat zusammenrufen, u m über die Aneignung heiliger Ländereien durch delphische H o noratioren zu entscheiden [ R D G E 42]; u n d schließlich den Appell der athenischen dionysiakischen Techniten beim römischen Statthalter der Provinz M a k e donien gegen die Techniten des Isthmos von 118 [Syll.3 704K, 705 = R D G E 15], was beweist, daß der römische Statthalter sogar in die Angelegenheiten des freien, nicht tributpflichtigen Griechenlands eingriff. D e r Mithradates-Krieg blieb für Griechenland nicht folgenlos. Athen stellte sich auf die Seite des Königs, die Lakedaimonier, die Achaier und die Thebaner unterwarfen sich ihm. Die Thraker, Verbündete des Mithradates, plünderten das Heiligtum von D o d o n a , doch ein großer Teil Griechenlands leistete im Vertrauen auf den römischen Statthalter der Provinz Makedonien Widerstand. Sulla zeigte sich während des Krieges in Griechenland grausam: Athen w u r d e zerstört, Böotien verheert, die Schätze von Olympia, Delphi und Epidauros konfisziert; Delphi w u r d e 8 5 / 4 von den Thrakern gebrandschatzt, Delos von den pontischen Truppen geplündert. Sogar die athenische Verfassung w u r d e von
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den R ö m e r n in einer oligarchischeren R i c h t u n g modifiziert. In der Folgezeit w u r d e Griechenland wie Makedonien O p f e r der Unterschlagungen u n d U b e r griffe des L. Calpurnius Piso, so jedenfalls Cicero [Cie. Pis. 40. 96: Achata exhausta, Thessalia vexata, laceratae Athenae ... Locri, Phocii, Boeotii exusti, Acarnania, Amphilochia, Perrhaebia, Athamanumquegens vendita ... Aetolia amissa].
7. 3 Thrakien [s. a. S. 257£, 265f.] Seit dem Tod des Königs Lysimachos (281) u n d der darauf folgenden Kelteninvasion hatte Thrakien nicht m e h r zu einer politischen Einheit gefunden. D o r t fanden sich sehr heterogene Elemente: griechische Städte an der Agäis u n d südlich der D o n a u m ü n d u n g am Schwarzen M e e r sowie indigene ethne, die m e h r oder weniger hellenisiert waren u n d häufig von getischen u n d sarmatischen Stämmen, die über die D o n a u kamen, bedrängt wurden. N a c h der Schlacht von Actium erkannte Octavian die verbündeten Könige Rhoimetalkes I. u n d den Odrysen Kotys V. an, die Thrakien nur teilweise kontrollierten. Es war Aufgabe dieser Vasallenfürsten, die Sicherheit der Provinz Makedonien sicherzustellen. Seit 29 v. Chr. kämpfte der Statthalter der Nachbarprovinz Makedonien, M . Licinius Crassus, gegen die Bastarner, die die D o n a u überquert hatten. Z w i schen 22 und 13 v. Chr. w u r d e n erneut militärische Operationen nötig. N a c h schweren Kämpfen (13-11 v. Chr.) w u r d e die Einheit Thrakiens unter der alleinigen Autorität des Rhoimetalkes wiederhergestellt, nachdem Rhaskuporis, der Sohn von Kotys V., gefallen war. Die Einrichtung der Provinz Mösien [Syme 65] im Jahr 4 n. Chr. endang des D o n a u - U f e r s erlaubte eine effektivere K o n trolle der Nordgrenze durch drei, später zwei Legionen. 13 n. Chr. folgte auf den Tod des Rhoimetalkes I. die Aufteilung des thrakischen Königreiches zwischen seinem Bruder Rhaskuporis III. u n d seinem Sohn Kotys VIII. Ersterer erhob sich nach dem Tod des Augustus 14 η. Chr., weil er sich bei der Aufteilung übervorteilt sah. 19 ließ er seinen Rivalen sowie den Proprätor von Mösien ermorden. Bald danach n a h m man ihn fest, brachte ihn nach R o m und richtete ihn hin. Daraufhin wurde Thrakien zwischen seinem Sohn Rhoimetalkes II. u n d den mindeijährigen Söhnen des Kotys VIII., die unter der O b h u t des P r o prätors Trebellenus R u f u s standen, aufgeteilt. Die Städte der Westküste des Schwarzen Meeres waren seit 13 n. Chr. einem praefectus orae maritimae unterstellt u n d vielleicht Teil der Provinz Mösien. Die Bedrohungen von außen w a ren so groß, daß der mösische Legat die Herrschaft über die gesamte Balkanhalbinsel, auch über die senatorischen Provinzen Achaia u n d Makedonien, erhielt. Caligula festigte die Stellung seines Jugendfreundes Rhoimetalkes III., eines Sohns von Kotys VIII. U n t e r Kaiser Claudius, im Jahr 46, wurde Thrakien annektiert und einem Prokurator unterstellt, d e m Strategen zur Seite standen, die jeweils eine „Strategie", d. h. einen Bezirk, verwalteten. U n t e r Trajan w u r de Thrakien zu einer kaiserlichen prätorischen Provinz. Die fortschreitende U r banisierung erreichte in der zweiten Hälfte des 2. Jh.s ihren Abschluß, als die Strategien durch Städte ersetzt wurden. Ovid, der von 8 v. Chr. bis zu seinem
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Tod 17 n. Chr. als Verbannter in Tomi (dem heutigen Konstanza) lebte, hat eine anschauliche Beschreibung seines Exilortes hinterlassen: „Die hiesige Bevölkerung ist aus Griechen und Geten gemischt, doch übt die Küste größere Anziehungskraft auf die kaum befriedeten Geten aus. Eine große Schar von Sarmaten und Geten kommt und geht zu Pferde." [Ov. trist. 5. 7. 11-14],
7. 4 Die Kyrenaika Die Kyrenaika [A. Laronde 37, S. 1006-1064] erlebte einen weniger abrupten Ubergang von der lagidischen Herrschaft zur Provinzialisierung innerhalb des römischen Reiches. Sie war den R ö m e r n seit der Mitte des 2. Jh.s ν. Chr. durch das Testament des Ptolemäers Physkon [SEG IX 7] versprochen, dann endgültig durch den letzten Lagiden, der in Kyrene herrschte, Ptolemaios Apion (gest. 96), vermacht worden. Die Städte blieben aber frei, R o m beschränkte sich auf die Ausbeutung der königlichen Domänen. 74 v. Chr. [Sali. hist. 2. 43; App. civ. 1. 3. 517-518] wurde die Kyrenaika zu einer Provinz. Als Teil des großen Kommandos, das die lex Gabinia (67) Pompeius im Kampf gegen die Seeräuber übertrug, wurde sie dem Cn. Cornelius Lentulus Marcellinus mit dem Titel eines legatus pro praetore [App. Mithr. 95; Flor. 3. 6. 3, 9] unterstellt. Wann genau Kreta und die Kyrenaika zu einer Provinz vereinigt wurden, ist umstritten. G. Perl [51] wies nach, daß Kreta und die Kyrenaika in den Jahren 52-49 und 44-43 getrennt waren. Antonius faßte sie 40 bis 34 zusammen. Sie scheinen erneut getrennt worden zu sein, als Antonius der Kleopatra Selene im Jahr 34 die Kyrenaika schenkte. Danach bildeten die beiden Regionen, die immerhin durch 300 Kilometer getrennt werden, bis in diokletianische Zeit eine Provinz.
7. 5 Die Reorganisation von 27 v. Chr. 27 v. Chr. wurde Achaia von Makedonien getrennt und zu einer Provinz erhoben. Diese beiden Provinzen, wie auch Kreta-Kyrenaika, unterstanden senatorischer Verwaltung und wurden von einem Prokonsul prätorischen Ranges regiert. Strabon [17. 3. 25] und Cassius Dio [53. 12. 4] ermöglichen uns einigermaßen gesicherte Aussagen über die Grenze zwischen Achaia und Makedonien, wenngleich der wohl korrupte Text Strabons unterschiedliche Interpretationen erlaubt: Achaia umfaßte die Peloponnes und Zentralgriechenland, offenbar auch Thessalien und Epeiros, Makedonien blieb aber ein Zugang zur Adria nördlich von Epeiros, in der Gegend von Apollonia und Dyrrhachium [Fragment 10, Epitome des Strabon]. Wiederholt kam es zu Veränderungen in der Aufteilung der Provinzen zwischen Kaiser und Senat: So erhielt unter Augustus Agrippa 16-13 ein prokonsularisches Imperium über den ganzen Orient, wodurch Achaia aus der senatorischen Verwaltung genommen wurde. In den letzten Jahren vor der Zeitenwende wurde ein Militärkommando auf dem Territorium der späteren Provinz Mösien (4 n. Chr. gegründet) eingerichtet. 15 bis 44 kamen Makedonien und Achaia wieder unter kaiserliche Verwaltung. Poppaeus
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Sabinus verblieb 24 Jahre in der großen Provinz, die Makedonien, Mösien und Achaia umfaßte [Tac. ann. 6. 39. 5], während die Legaten ansonsten gewöhnlich alle drei Jahre ausgetauscht wurden. 4 6 n. Chr., unter Claudius, wurde Thrakien, das zu diesem Zeitpunkt Vasallenkönigreich war, zu einer Provinz. Seine Grenze verlief entlang des Nestos, der es von Makedonien trennte. 67 n. Chr. verkündete Nero in Korinth, wie einstmals T. Quinctius Flamininus, die Freiheit der Griechen, die sich auf alle Gemeinden in der Provinz Achaia erstreckte [vgl. die Inschrift von Akraiphiai, bei M . Holleaux 33, S. 1 6 5 - 1 8 5 , Suet. Nero 24, Plut. Flam. 12, 13] und auch die Steuerfreiheit beinhaltete. Konkret bedeutete dies, daß die Provinz Achaia verschwand und der Senat auf die Einkünfte aus dieser Provinz verzichten mußte. Im Jahr 7 2 hob Vespasian diesen Erlaß auf, und Achaia wurde wieder senatorische Provinz.
7. 6 Die Provinz Epeiros (108 n. Chr.) Die Einrichtung der prokuratorischen Provinz Epeiros wurde teils in das Jahr 67 [durch Ph. Horowitz 34, S. 230f., ihm folgt H. Pflaum 52, S. 43], nach der Freiheitserklärung für Achaia durch Nero, teils in traianische Zeit gesetzt. Tatsächlich erfolgte ihre Gründung bald nach 108: In einem B r i e f [epist. 8. 24. 2] aus diesem Jahr spricht Plinius der Jüngere von einem corrector (es handelt sich wohl um Sex. Quinctilius Valerius Maximus, den Arrian nennt [Arr. Epict. 3. 7 - diorthotes ton eleutheron poleon]) und bezeichnet ihn als missus in provinciam Achaiam ...ad ordinandum statum liberarum dvitatium. T h . Sarikakis [60, S. 197f.] benützt zu R e c h t die Erwähnung dieses römischen Magistrats, der nicht nur in Athen und Sparta [Plin. epist. 8. 24. 4], sondern in allen freien Städten der Provinz Achaia, inklusive der R e g i o n von Nikopolis, präsent ist, um zu zeigen, daß die Einrichtung der Provinz Epeiros später anzusetzen ist. Diese erfolgte wohl kurz nach 108, denn Arrian berichtet [Epict. 3. 4], wie der Prokurator von Epeiros (epitropos tes Epeirou) im Theater von Nikopolis zugunsten eines K o m ö dianten Partei ergriff. Dieser Prokurator könnte C n . Cornelius Pulcher gewesen sein [Th. Sarikakis 60, S. 200f.; P I R 2 II 1424; H . - G . Pflaum 53, Nr. 81; vgl. P. Cabanes 10, S. 153 Anm. 4].
7. 7 Administrative Unterteilungen innerhalb der Provinzen Die Vitalität der föderalen Strukturen innerhalb der Provinzen, die zu Beginn der Kaiserzeit in Griechenland eingerichtet wurden, ist erstaunlich. Solche Strukturen wurden wahrscheinlich nach der Zerstörung Korinths (146) in den R e g i o n e n , die für die Achaier Partei ergriffen hatten, aufgelöst, doch sie wurden einige Jahre später restauriert. Die Existenz von Koina ist in Thessalien, bei den Magneten, in Boiotien, Phokis, Arkadien und Achaia belegt. Betrachten wir das Beispiel Thessalien [B. Helly 32]: D i e R ö m e r gestatteten 196 v. Chr. nach der Befreiung des seit 3 5 0 v. Chr. durch die Makedonien beherrschten Thessaliens die Errichtung mehrerer Bundesstaaten: den eigentlich
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thessalischen, den der Magneten, den der Perrhaiber, den der Ainianen und den der Oitanier. Von diesen blieben in der Folgezeit nur zwei übrig, nämlich das thessalische und das magnetische Koinon. Caesar verlieh den Thessalern zum Dank für ihre Unterstützung die Steuerfreiheit [Plut. Caes. 48; App. civ 2. 88]. Unter Augustus wurde Thessalien zunächst wieder an die Provinz Achaia angegliedert, doch mehrere Inschriften belegen, daß es im 2. Jh. Teil Makedoniens war. Das Datum des Anschlusses an Makedonien ist umstritten, sie erfolgte entweder unter Antoninus Pius oder schon unter Nero, wie G. Bowersock [8] vorgeschlagen hat. Das Koinon der Thessaler war das größte. In Larisa tagte das synhedrion des thessalischen Bundes, während die Hafenstadt Demetrias Vorort des Koinons der Magneten war. An großen Städten sind nur Larisa, Demetrias, Theben in der Phthiotis und Hypata zu nennen, doch auch die vielen kleinen poleis besaßen ihre Verfassung und ihre Beamten, ganz wie in der hellenistischen Zeit. Eine Inschrift aus Larisa [publiziert von A. S. Arvanitopoulos, Arch. Eph. 1910, Nr. 6, Sp. 354-361] aus der Zeit 4 - 1 9 n. Chr. berichtet von der „Weihung" einer Domäne mit allen abhängigen Einheiten und der gesamten Produktion an Augustus, Tiberius, Germanicus und Drusus den Jüngeren. Der Stifter ist C. Iulius Apollophanes, ein kaiserlicher Freigelassener prokuratorischen Ranges, der das kaiserliche patrimonium verwaltete. Diese kaiserliche Domäne scheint dem Territorium von Pherai entsprochen zu haben, besteht also aus dem ganzen Gebiet einer thessalischen Stadt. Eine Freilassungsliste aus Pherai [IG I X 2, 415c., Z. 73] zeigt, daß Augustus während der ersten Jahre seines Prinzipats Stratege des thessalischen Koinons war. Das synhedrion der Thessaler schlichtete 15 n. Chr. in einem Gebietsstreit zwischen verschiedenen Städten [IG I X 2, 261: 298 Stimmen fur Kierion gegen 31 fur Metropolis und 5 Enthaltungen]. Das Koinon der Magneten ist noch in einer Inschrift aus Demetrias von 283, unter Carinus, belegt [Syll.3 896], kurz bevor Diocletian die letzten Reste der griechischen Freiheit beseitigte. Die literarischen und epigraphischen Quellen nennen weitere Koina: Pausanias [10. 4. 1 und 33. 1] erwähnt das der Phoker. Er berichtet über sein Zusammentreten und beschreibt das Versammlungslokal [10. 5. 1-2]. Das Koinon der Boioter existierte noch zu Beginn des 3. Jh.s [IG X 1, 218]. Eine Inschrift aus Olympia [Syll.3 882] belegt das Koinon der Arkader für das Jahr 2 1 2 / 3 , eine andere [Syll.3 893] liefert uns einen Vertrag zwischen dem Koinon der Achaier und den Messeniern im Jahr 257. Auch Makedonien besaß eine territoriale Unterteilung. Das Gründungsdatum des makedonischen Koinons ist umstritten. Einige sehen darin die Fortsetzung des makedonischen Koinons hellenistischer Zeit, andere halten es für eine Neugründung in der Hohen Kaiserzeit im Rahmen des Kaiserkults [Papazoglou 49, S. 64-66], Eine sehr fragmentarische Inschrift aus Beroia belegt die Existenz des Koinons der Makedonen und der merides unter den Flaviern [Papazoglou 49, S. 65 Anm. 58], aber ihre genaue Rolle innerhalb der Provinzverwaltung ist unklar. Eine claudische Inschrift aus Argos Orestikon [Rizakis/Touratsoglou 58, S. 188] belegt die Existenz des Koinons der Orester. Der interessanteste Text
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aus dieser R e g i o n ist ein Beschluß der Versammlung der Battynaioi [Rizakis/ Touratsoglou 58, S. 188], den man nach Gschnitzer [30] in die Mitte des 2. Jh.s datieren kann, obwohl die Inschrift das D a t u m 1 9 2 / 3 trägt [Z. 40: 30. Artemisios 340, gemäß der makedonischen Ära, die im Jahr 148 v. Chr. beginnt]. D e r Beschluß w u r d e in Anwesenheit eines Politarchen gefaßt u n d bezieht sich auf die N u t z u n g öffentlichen Landes. Die Battynaioi waren ein autonomes G e meinwesen, das von der Versammlung seiner Bürger geleitet wurde. Dieses G e meinwesen gehörte z u m Koinon der Orester, das mehrere solcher Einheiten umfaßte. Die N u t z u n g öffentlicher Ländereien war den Orestern vorbehalten (d. h. den Battynaioi und den Mitgliedern der anderen Gemeinwesen, die zusammen das Koinon der Orester bildeten). Andere Provinziale (eparchikoi) hatten diese Nutzungsrechte nicht. Das Koinon entsandte drei Boten, die d e m Statthalter den Beschluß zur Z u s t i m m u n g vorlegen sollten.
7. 8 Kolonien und freie Städte In Korinth w u r d e 44 v. Chr. die erste Kolonie unter dem N a m e n Colonia Laus Iulia Corinthus angelegt. Die belegten D u u m v i r n beweisen, daß Korinth eine lateinische Organisation erhalten hatte [Amandry 3; Wiseman 67; M u r p h y O ' C o n n o r 43]. D o c h während die M ü n z e n ausschließlich lateinische Beischriften erhielten, beweisen die Inschriften, daß Latein u n d Griechisch nebeneinander in Gebrauch waren. Korinth war trotz seines Sonderstatus Hauptort der Provinz Achaia. Seit Augustus erlebte es eine bemerkenswerte Renaissance. D u r c h seine beiden Häfen — im Westen Lechaion am Golf von Korinth, im Osten Kenchreai am Saronischen Golf — n a h m es eine bedeutsame R o l l e im mittelmeerischen Handel ein. Die Zerstörung von Delos während der Mithradates-Kriege forderte diese Entwicklung. Die Kolonie B u t h r o t u m (das alte Buthrotos, das zahlreiche Inschriften als Hauptort des Koinons der Prasaiber im 2. u n d 1. Jh. v. Chr. belegen) konnte nur unter großen Schwierigkeiten gegründet werden, wie wir aus einigen Cicero-Briefen wissen [Att. 16. 6 A-F; 15. 14]. Sein Freund Atticus hatte in der U m g e b u n g von B u t h r o t u m eine große D o m ä n e besessen. Aufgrund einer u n bezahlten Steuer (über die wir ansonsten nichts wissen) beschloß Caesar, einen Teil des Territoriums von B u t h r o t u m einzuziehen und an Kolonisten auszugeben [Deniaux 15, S. 363]. Angesichts dieser nicht sehr verlockenden Aussicht wandten sich die Einwohner von B u t h r o t u m an Atticus, der seinerseits Cicero einschaltete, u m Caesar von diesem Projekt abzubringen. Caesar erklärte sich bereit, auf die G r ü n d u n g zu verzichten, falls der ausstehende Betrag beglichen würde. Atticus wollte das Geld vorschießen, u m die Ansiedlung der Kolonisten zu verhindern, und traf sich sogar in Begleitung Ciceros mit Caesar. Caesars Erm o r d u n g verhinderte dann aber die offizielle Einlösung seiner Zusage. So w u r de die Kolonie schließlich im Sommer 44 gegründet, obwohl Cicero bei Caesars unmittelbaren Nachfolgern nichts unversucht ließ. Die Münzprägung weist auf den Koloniestatus von B u t h r o t u m zur Zeit von Augustus und seinen N a c h -
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folgern hin. Unlängst publizierte Inschriften belegen das Interesse, das die Kaiserfamilie an der Kolonie Buthrotum hatte: L. Domitius Ahenobarbus war Patron der Kolonie [Cabanes 9, S. 123f.; Freis 24], Er war mit Antonia d. Α., der Tochter Antonius' und Octavias (Augustus' Schwester) verheiratet, und hatte 16 v. Chr. das Konsulat bekleidet. Eine andere Inschrift von 1 2 / 1 3 n. Chr. ehrt Germanicus [Polio 55], Die Kolonie Photike in Thesprotien ist in erster Linie aus Inschriften bekannt. Sie wurde wohl noch vor der Zeitenwende gegründet. Auf der Peloponnes hatten Patrai und Dyme den Status von Kolonien erlangt. In Patrai waren Veteranen angesiedelt worden, entweder nach der Schlacht von Actium [Strab. 8. 7. 5] oder, eher, 14 v. Chr. [laut Euseb; vgl. E. Meyer, R E X V I I I , Sp. 2210]. Dazu kamen noch Griechen aus dem Umland [Paus. 7. 18. 7], Die wichtigsten Kolonien in Makedonien waren Pella (gegr. 30) und Philippi [Strab. 7, fr. 41]. Dort wurden 42 oder 41 v. Chr. Antonius' Veteranen angesiedelt. 30 v. Chr. entsandte Octavian weitere italische Kolonisten, und 27 v. Chr. nahm Philippi den Namen Colonia Iulia Augusta Philippensis an. Die Kolonie Dion geht laut Plinius [nat. 4. 35] auf Augustus zurück. Der brutustreue Prokonsul Q. Hortensius hatte 4 4 / 4 3 v. Chr. die Kolonie Kassandreia angelegt, die 30 v. Chr. neu gegründet wurde und seitdem den Namen Colonia Iulia Augusta Cassandrea trug. Im Westen wurde Dyrrhachium 30 v. Chr. Veteranenkolonie [Cass. Dio 51. 4. 6]. Plinius [nat. 4. 35] nennt ferner Byllis (im Hinterland von Apollonia) als Kolonie, was eine große Felsinschrift (zwischen 162-165 entstanden) oberhalb der Stadt bestätigt [Patsch 50, Sp. 103-110]. Auch Stobi könnte Kolonie gewesen sein. Zumindest vermerkt Stephanos von Byzanz unter dem Eintrag Strobos (wohl eine Verballhornung von Stoboi) diesen Status. Octavians wichtigste Gründung in Griechenland war jedoch keine Kolonie, sondern eine Stadt griechischen Typs: Nikopolis, das 30 v. Chr. auf der Preveza-Halbinsel zum Gedenken an den Sieg von Actium errichtet wurde. In dieser riesigen Stadt wurden Menschen angesiedelt, die ihre Herkunftsgebiete (Ambrakia, Kassope, Akarnanien, Aitolien) unter Zwang verlassen mußten. Strabon [7. 7. 6] beschreibt Nikopolis als „volkreiche Stadt, die mit jedem Tag wächst". Auch berichtet er vom Gymnasion und dem Stadion, in dem alle vier Jahre die Aktia-Wettkämpfe stattfanden, sowie von dem Denkmal auf dem MichalitsiHügel, auf dem sich Octavian während der Schlacht aufgehalten hatte. Dieses Denkmal war Neptun und Mars geweiht und mit erbeuteten Rammspornen geschmückt [Chrysos 12; Murray/Petsas 41], Mehrere andere Städte in Griechenland schlossen einen Vertrag mit R o m und erhielten dadurch den privilegierten Status verbündeter Städte [Bd. I, S. 246ff.]: Dazu gehörten Athen [Tac. ann. 2. 53. 3], Epidauros seit 112 v. Chr. [IG IV 2 1, 63], Troizen und Tyrrheion (Akarnanien) seit 94 v. Chr. [Syll.3 732], Zahlreiche Städte waren frei, darunter Korkyra, Kephallenia und Zakynthos [Strab. 7, fr. 8; Plin. nat. 52-54]. Sicher ist dies auf die Präsenz R o m s als Schutzmacht in diesem R a u m seit 229 v. Chr. zurückzuführen. Gleiches gilt für Apol-
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Ionia in IlJyrien, das eleutheria u n d ateleia besaß [Nikolaos von Damaskus, F G r H 90 F 130, 45], D e n n o c h konnte dort ein Logistes [Bd. I, S. 289ff.] auf kaiserlichen Beschluß hin tätig werden, u m einer finanziellen Notlage abzuhelfen [Inschrift fìir T. Aelius Geminius Macedo aus Thessalonike vom Beginn des 3. Jh.s: IG X 2, 181]. Sparta war frei [Strab. 8. 5. 5], zahlte aber dennoch einen freiwilligen Beitrag. In Makedonien waren Thessalonike u n d Amphipolis freie Städte [Plin. nat. 36. 38]. Augustus reformierte auch die delphische Amphiktyonie, deren R a t 24 M i t glieder zählte, die zwölf ethne vertraten. Laut Pausanias [10. 8. 4] sollen die N i kopoliten zehn Stimmen erhalten haben, die den Magneten, Maliern, Ainanen, Phthioten und Dolopern w e g g e n o m m e n wurden. Pausanias fügt j e d o c h hinzu, daß der R a t zu seiner Zeit, d. h. im 2. Jh., 30 Mitglieder zählte, von denen N i kopolis, Makedonien und Thessalien j e sechs stellten. Boioter, Phoker u n d D e l pher entsandten j e zwei Vertreter, Doris, das ozolische Lokris, das opontische Lokris, Athen und Euboia j e einen. Die Peloponnesier stellten nur ein einziges Ratsmitglied, das aus Argos, Sikyon, Korinth oder Megara stammte. Mit dieser Organisation griff die Amphiktyonie nach West- u n d Nordgriechenland aus. W i r wissen nicht, welcher Kaiser dafür verantwortlich war.
7. 9 Die soziale und wirtschaftliche Situation Griechenlands im 1. und 2. Jh. 7. 9. 1 Der Zustand zu Beginn der Kaiserzeit Die Verwüstungen der Bürgerkriege, die zu einem großen Teil in Griechenland und Makedonien ausgefochten worden waren, brachten das Land in eine sehr schwierige Lage. Allerdings ist es mitunter nicht leicht, zwischen Beschreibungen der wirklichen Verhältnisse u n d Ubertreibungen zu unterscheiden. Diese sind vor allem deswegen so häufig anzutreffen, weil man dadurch den Kontrast zwischen dem Elend von 31 v. Chr. und dem Wohlstand der pax Romana hervorheben konnte. Außerdem stammten die Autoren, die uns die wichtigsten Beschreibungen der wirtschaftlichen Situation Griechenlands hinterlassen haben, nicht aus Griechenland: Strabon kam aus Pontos, D i o n aus Prusa in Bithynien. Für sie war der Unterschied zwischen dem reichen Kleinasien u n d dem ärmlichen Griechenland natürlich besonders augenfällig. D o c h schon im Lauf des 2. Jh.s v. Chr. weist Polybios [36. 17. 5-11] auf demographische Probleme hin, die er folgendermaßen erklärt: „In der Zeit, in der wir leben, ist in ganz Griechenland die Zahl der Kinder, überhaupt der Bevölkerung in einem Maße zurückgegangen, daß die Städte verödet sind und das Land brachliegt, obwohl wir weder unter Kriegen von längerer Dauer noch unter Seuchen zu leiden hatten. [...] D e n n nur deshalb, weil die Menschen der Großmannssucht, der H a b gier und dem Leichtsinn verfallen sind, weder mehr heiraten noch, w e n n sie es tun, die Kinder, die ihnen geboren werden, aufziehen wollen, sondern meist
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nur eins oder zwei, damit sie im Luxus aufwachsen und ungeteilt den R e i c h t u m ihrer Eltern erben, nur deswegen hat das Übel schnell und unvermerkt u m sich gegriffen. W e n n nur ein oder zwei Kinder da sind und von diesen das eine der Krieg, das andere eine Krankheit hinwegrafft, bleibt natürlich Haus u n d H o f verwaist zurück, u n d die Städte, ebenso wie ein Bienenschwarm, werden allmählich arm und ohnmächtig." [Ubers, v. H . Drexler, Zürich 1963] Z u dieser ersten Ursache wirtschaftlicher Stagnation kamen in vielen R e g i o nen Griechenlands die Zerstörungen, die während der Kriege des 2. und 1. Jh.s v. Chr. geschahen. Die Plünderungen der Legionen von Aemilius Paullus in Epeiros 167 sind das Paradebeispiel für diese vorsätzliche Vernichtung ganzer Landstriche. D e r südöstliche Teil des Koinons der Epeiroten w u r d e verheert, während Nordwestepeiros (Chaonien und Nordthesprotien) unter Charops dem Jüngeren, der sich auf die Seite der R ö m e r gestellt hatte, verschont wurde. 1 5 0 0 0 0 Menschen w u r d e n versklavt u n d 70 oppida [so Liv. 45. 34. 6 - mit Sicherheit angemessener als die urbes von Plin. nat. 4. 39 und die poleis bei Strab. 7. 7. 3 nach Polybios; vgl. auch Plut. Aem. Pauli. 29 u n d App. III. 9] w u r d e n zur Plünderung freigegeben, zerstört u n d angezündet. Dies läßt sich heute n o c h an der Umwallung von O r r h a o n (Ammotopos) nachweisen. N o c h zu seiner Zeit vergleicht Strabon [7. 7. 3] die euandria (d. h., demographische Stärke) der epeirotischen und illyrischen [7. 7. 9] ethne vor 168 und die Situation seiner Zeit: „ H e u t e ist das Land größtenteils verödet u n d die Ansiedlungen, zumal die Städte, sind zerstört. Selbst w e n n man es genau beschreiben könnte, wäre dies aufgrund ihrer Bedeutungslosigkeit u n d ihres Verfalls u n n ü t z . " Südostepeiros erlebte zwischen 167 u n d Strabons Zeit weitere Verheerungen: Sulla; die marodierenden Verbündeten des Mithradates, die bis D o d o n a zogen; die Bürgerkriege, in denen erst Caesar u n d Pompeius (49), dann Antonius u n d die Caesarmörder zwischen Apollonia und Dyrrhachium zusammenstießen. Schließlich verschlimmerte der Synoikismos von Nikopolis die Verödung von Südepeiros [Kahrstedt 36], Z w a r bezeichnet Varrò [rust. 2. 2] Epeiros als ideal für die Schafszucht (auch für R i n d - und Pferdehaltung empfiehlt er diese Region), doch sein Gewährsmann hierfür ist T. Pomponius Atticus, der sein Gut im U m land von Buthrotos besaß, also in Nordwestepeiros, das von den Verheerungen des Aemilius Paullus verschont geblieben war. A u c h Seneca erwähnt in der Mitte des 1. Jh.s η. Chr. den Untergang vieler Städte Achaias [epist. 14. 3 (91). 9]. Vor diesem Hintergrund war das Wirken Neros in Griechenland willkommen [vgl. Syll. 3 814], Die katastrophale Lage der griechischen Wirtschaft scheint zumindest in einigen R e g i o n e n über das 1. Jh. n. Chr. hinaus angehalten zu haben. So beschreibt D i o n Chrysostomos im Euboikos [7. 11-63] die A r m u t des städtischen wie ländlichen Euboias zu B e ginn des 2. Jh.s: „Derzeit, Bürger, liegen fast zwei Drittel unseres Territoriums aufgrund von Vernachlässigung u n d Menschenmangel brach." Die dünngesäte Bevölkerung der Städte friste ihr Leben, indem sie im Gymnasion Ackerbau b e treibe und das Vieh auf der Agora grasen lasse. Dieser Zustand sei relativ neu, und dafür wird Domitian verantwortlich gemacht, der die Großgrundbesitzer
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hinrichten und ihr Land einziehen ließ. Doch bei genauer Betrachtung finden sich in dem Text durchaus Widersprüchlichkeiten: Da werden einerseits die öffentlichen Plätze landwirtschafdich genützt, andererseits aber versammelt sich eine große Menschenmenge im Theater, um über die tierfellbekleideten „Wilden" zu diskutieren, die ohne Erlaubnis die aufgegebenen Acker der chora bebauen. Da wird uns einerseits die allgemeine Armut ausgemalt, andererseits aber ankern zahlreiche Schiffe im Hafen, die auf bedeutenden Handel schließen lassen. J. A. O. Larsen [38, S. 479f.] sieht in dieser Passage Dions die Fiktion einer utopischen Odnis, in der ein mittelloser Bauer ein gutes Leben fuhren kann. Der Niedergang Griechenlands beschränkte sich nicht auf Epeiros, die Nordpeloponnes und Euboia. Er traf ebenso die Regionen Zentralgriechenlands, so auch Boiotien. Als die Stadt Akraiphiai ihren Euergeten Epameinondas ehrt [IG VII 2712], weist sie daraufhin, daß er das Amt eines Agonotheten übernommen und die Ptoia-Wettkämpfe, die seit dreißig Jahren nicht mehr stattgefunden hatten, wieder aufleben ließ. Strabon [9. 2. 5] schildert das boiotische Theben als Dorf. Nur Thespiai und Tanagra könnten noch als Städte angesehen werden. Plutarch [De defectu oraculorum 414A] beschreibt das Land als menschenleer und meint, daß Griechenland nicht mehr als 3 000 Hopliten stellen könnte. Das Ende der Orakel sei ein Zeichen dieser Dekadenz, die den größten Teil Griechenlands heimsuche. Gerade anhand des Heiligtums von Delphi läßt sich die mißliche wirtschaftliche Situation aufzeigen. D. Mulliez [40] zeigt, wie die Zahl der Freilassungen zurückging. Von den etwa 1400 Freigelassenen, die in den delphischen Inschriften auftauchen, gehören 70% dem 2. Jh. v. Chr., 20% dem 1. Jh. v. Chr. und nur 10% dem 1. Jh. n. Chr. an. „Seit dieser Zeit (1. Jh. n. Chr.) verschwindet die Stadt, deren Schicksal mit dem des Heiligtums verknüpft war, aus der Geschichte, um nunmehr nur noch, wie Georges Daux gezeigt hat, 'ein kleines Provinzdorf zu sein, dem nur der Glanz der Vergangenheit geblieben und das weit entfernt war von den Orten, wo sich die Zukunft des Mittelmeerraums und der römischen Welt entschied.'"
7 . 9 . 2 Die allmähliche Erholung Die Sanierung der griechischen Wirtschaft lag im Interesse der Kaiser. Dazu waren insbesondere ein demographischer Aufschwung, die Sicherheit der Handelswege und ein dauerhafter Frieden notwendig. Damit das Ackerland nicht länger brach lag, sorgten die Kaiser dafür, daß Boden zu günstigen Konditionen ausgegeben wurde. Dies illustriert Dions Beschreibung von Euboia. Anstatt die auf der chora siedelnden Bauern mit hohen Steuern zu belegen, müsse man „alle willigen Bürger dazu bewegen, sich einen Teil des öffentlichen Landes zu nehmen und es zu bearbeiten". Er rät, man solle es „ihnen für zehn Jahre kostenlos überlassen, mit der Auflage, nach dieser Frist einen kleinen Teil der Ernte abzuliefern, aber nichts von ihrem Vieh". Eine andere Maßnahme bestand laut Dion darin, jedem Fremden, der 200 Plethren bebaute, das Bürgerrecht zu geben. Im 2. oder 3. Jh. n. Chr. versuchte man in Thisbe (Boiotien) eine ähnliche Lösung
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[Edikt des M . Ulpius, Syll. 3 884]. Kleine Landlose sollten unter der Bedingung ausgegeben werden, daß sie mit Olivenbäumen bebaut würden. Dieses Land blieb fünf Jahre lang steuerfrei u n d war vererbbar. Eine in Gazoros (Makedonien) gefundene Inschrift [35, Nr. 28, S. 152-155] informiert über die Richtlinien der N u t z u n g öffentlichen Landes im Jahr 158 n. Chr. D e r Antragsteller weist auf den schlechten Zustand des Staatslandes hin und schlägt vor, die A n pflanzung von Weinstöcken, O l - u n d Obstbäumen zu fordern. Wer diese pflanze, solle einen großen Anteil am Ertrag erhalten: Die Hälfte bei Wein, zwei Drittel bei Oliven, alles bei Feigen und anderem Obst. Aber es dauerte seine Zeit, bis sich die Verhältnisse änderten, und n o c h unter den Antoninen war das ländliche Griechenland schlecht bewirtschaftet. Große D o m ä n e n waren entstanden, die sich eher der extensiven Viehzucht als der intensiven Landwirtschaft widmeten. Hinsichtlich bestimmter Produkte wurden Regulierungen erlassen, die eine regelmäßige Versorgung sicherstellen sollten. Hadrians Verordnung über den Ölhandel in Athen [IG II 2 1100] ist Ausdruck der Sorge u m eine ausreichende Belieferung Athens mit Ol. Offensichtlich war die attische Olivenernte groß genug, u m den Export eines Teils der Ölproduktion zu erlauben. U m die Bedürfnisse der Stadt zu befriedigen, sollten spezielle Beamte, die eleonai, über die verpflichtende Ablieferung eines Drittels der Produktion wachen (wer Land b e wirtschaftete, das Ti. Claudius Hipparchos, dem Großvater des Herodes Atticus, gehört hatte und das v o m Fiskus konfisziert worden war, m u ß t e lediglich ein Achtel abgeben). Auch die emporoi, die Exporthändler, w u r d e n überwacht und ihre Ladungen überprüft.
7. 9. 3 Das Wiederaufleben der Städte Verglichen mit dem ärmlichen flachen Land, das schwach besiedelt u n d oft schlecht bewirtschaftet wurde, hatten einige Städte schneller v o m Wohlwollen der Kaiser profitiert. D o r t gab es schon seit Augustus einige wenige reiche Familien, deren Vermögen in einem Mißverhältnis zur A r m u t der großen Masse des Volkes stand. D e r Euergetismus scheint diese Konflikte gemildert zu haben, konnte aber beispielsweise die Abneigung der Athener gegenüber Herodes Atticus nicht verhindern. A u ß e r d e m führte das Z u s a m m e n w o h n e n von R ö m e r n und Hellenen innerhalb derselben Städte oft zu juristischen Problemen.
7 . 9 . 4 Bedeutende Familien Griechenlands Z u den Besitzern solch großer Vermögen zählte Epameinondas von Akraiphiai, der auf Lebenszeit Hohepriester der Kaiser war. Dieses A m t versah er auch für Nero, als dieser die Freiheit der Griechen in Korinth proklamierte [Holleaux 33, S. 165-185]. Seine Euergesien erscheinen auf einer Inschrift aus Akraiphiai: Er lud die ganze Stadt zu einem Gastmahl anläßlich der Wettkämpfe ein, die er zu Ehren der Kaiser abhielt. Als er oberster Beamter der Stadt wurde, lud er die
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Einwohner w i e d e r u m zu einem Gastmahl ein. Auf eigene Kosten ließ er den großen D a m m über zwölf Stadien Länge fur mehr als 6000 Denare instand setzen. Er finanzierte die Gesandtschaft, die er im N a m e n des boiotischen Ethnos nach Argos führte. Seine Schenkungen kamen nicht nur den Bürgern zugute, sondern auch den Paroiken, den männlichen erwachsenen Sklaven. U n d seine Gattin lud die Bürgerfrauen, ihre Dienerinnen und die erwachsenen weiblichen Sklaven zum Gastmahl. Im Athen des 2. Jh.s teilten vier Familien die politischen Amter und die Priestertümer untereinander auf [Woloch 68]: die Claudii aus Marathon, die Claudii aus Melite, die Flavii aus Paiania und die Aelii aus Phaleron. Ihre N a m e n zeigen, daß sie ihr römisches Bürgerrecht zwischen Claudius u n d Antoninus Pius erworben hatten. N u r der erstgenannten Familie gelang es, Amter in R o m zu b e kleiden. Das lebenszeitliche A m t des Kaiserpriesters w u r d e häufig von den Claudii aus Marathon, der Familie des Herodes Atticus, versehen: Zuerst von Ti. Claudius Hipparchos, dessen Güter unter Domitian konfisziert wurden, dann von seinem Sohn Ti. Claudius Atticus, der unter Nerva als römischer Senator belegt ist u n d unter Traian sowie wieder unter Hadrian das Konsulat b e kleidete. Dessen Sohn Herodes Atticus w u r d e erst 160 n. Chr. Hohepriester des Kaisers auf Lebenszeit. Philostrat [vit. soph. 2. 1. 547-552] zählt die Stiftungen des Herodes Atticus auf. N i c h t nur Athen erhielt Z u w e n d u n g e n . Als er corrector der freien Städte Asiens war, bat er Hadrian in einem Brief, Troja mit öffentlichen Bädern auszustatten. D e r Kaiser stellte dafür drei Millionen Denare zur Verfügung, Herodes Atticus gab sieben Millionen aus u n d finanzierte die Differenz aus der eigenen Tasche. Testamentarisch vermachte er j e d e m athenischen Bürger eine M i n e pro Jahr. Viele Male opferte er der Athene H e k a t o m b e n , w o von alle Bürger profitierten. Innerhalb von vier Jahren errichtete er in Athen erst ein Stadion aus w e i ß e m M a r m o r u n d dann das O d e i o n an der Flanke der Akropolis. Korinth, Delphi, Olympia, ja sogar Orikos wurden von ihm mit Schenkungen bedacht. N u r den alten Plan Neros, die Landenge von Korinth zu durchstechen, konnte er zu seinem Bedauern nicht verwirklichen! Trotz seiner Freigebigkeit war er bei vielen Athenern unbeliebt, weil er ihnen die Schulden, die sie bei ihm gemacht hatten, nicht erlassen wollte. Im Hintergrund ging es dabei u m Rivalitäten zwischen den großen Familien. D e r Gegner von Herodes Atticus war nämlich Ti. Claudius Demostratos aus Melite. Außerdem standen sich Konservative u n d Vertreter einer weitergehenden Ö f f n u n g der Staatsämter für Freigelassenensöhne gegenüber. Der Streit war so heftig, daß Marc Aurel im Brief an die Athener diese darum bat, sich mit seinem Freund Herodes Atticus zu versöhnen [Oliver 44]. M a n kann die Claudii aus Marathon, die Familie des Herodes Atticus, mit den Iulii von Sparta vergleichen. Die Beziehungen zwischen der Familie der Herodes Atticus u n d der Stadt Sparta sind von A. J. S. Spawforth [64] behandelt worden. Zwischen dem Aufstieg der beiden Familien gab es allerdings einen größeren zeitlichen Abstand. Schon unter Augustus gewährten die R ö m e r C. Iulius Eurycles [Bowersock 1/652] eine m e h r oder weniger absolute Herrschaft
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über Sparta. Seine Stellung dort glich der eines Vasallenfürsten. Sein Vater Lachares war von Antonius getötet worden, er selbst hatte bei Actium auf der Seite Octavians gekämpft. Bis 65 herrschten sein Sohn und sein Enkel als kaiserliche Prokuratoren in Sparta. D e r zeitliche Rückstand der Athener erklärt sich aus der Tatsache, daß sie sich auf die Seite von Antonius gestellt hatten. D e r Enkel von Eurykles, C. Iulius Spartiaticus, brachte es u m 68, eine Generation vor Ti. Claudius Hipparchos, zum Ritter. Spartiaticus war Hohepriester des Kaiserkults des achaiischen Koinons [IG II 2 3538], und einige Mitglieder seiner Familie fungierten bis 120 als Hohepriester des Kaiserkults in Sparta [IG V 971], genau wie die Claudii aus Marathon in Athen. D e r Enkel von Spartiaticus wiederum, C. Iulius Eurycles Herculanus Vibullius Pius, gelangte unter Traían als erster Spartaner in den römischen Senat, ungefähr zur selben Zeit, wie dies Ti. Claudius Atticus, dem Vater von Herodes Atticus, gelang. W ä h r e n d der Athener es j e d o c h bis zum Konsulat brachte, m u ß t e sich der Spartaner mit der Proprätur Achaias u n d dem K o m m a n d o über die in Syrien liegende legio III Gallica b e g n ü gen. Mit ihm endete die große Familie der Eurykliden, während Herodes Atticus seine brillante Karriere bis 176 fortsetzte. Beide Familien, die spartanische wie die athenische, waren durch Eheschließungen mit den Vibullii verbunden, einer reichen italischen Händlerfamilie, die sich in der Provinzhauptstadt K o rinth niedergelassen hatte.
7. 10 Die Politik der Kaiser gegenüber einzelnen Städten Es waren nicht nur die reichen Magnaten, sondern auch die Kaiser selbst, die mit ihren finanziellen Z u w e n d u n g e n dafür sorgten, daß sich die Städte wirtschafdich erholen u n d mit M o n u m e n t e n ausschmücken konnten. Auch griffen die Kaiser in die städtische Politik ein, u m etwa soziale Spannungen zu beheben oder finanzielle Notlagen zu lindern. Die Edikte von Kyrene [de Visscher 66] w u r d e n auf einer Stele von der A g o ra dieser Stadt entdeckt. Sie umfassen vier im Jahre 6 v. Chr. erlassene Edikte sowie ein fünftes, das die reichsweite Promulgation eines Senatsbeschlusses über Erpressungsprozesse gegen römische Magistrate und Promagistrate anordnet. Die vier Edikte betreffen das Gerichtswesen der Kyrenaika und die Rechtsstellung von Hellenen mit römischem Bürgerrecht. D e r Text ist deswegen so interessant, weil er uns die „koloniale" Situation der Kyrenaika vorführt, die sicher in zahlreichen anderen, neuen Provinzen des Reiches ähnlich ausgesehen haben wird. N u r 215 R ö m e r , die in der Kyrenaika w o h n t e n , wiesen einen Zensus von 2 500 Denaren auf. Sie stellten die R i c h t e r u n d unterdrückten so die Griechen. U m einen solchen Mißbrauch zu verhindern, sah Augustus gemischte Gerichte vor, die j e zur Hälfte mit R ö m e r n u n d Griechen besetzt waren u n d bei denen die Stimmen der beiden Blöcke einzeln abgezählt wurden. Aus Sorge vor weiterem H a ß zwischen den beiden G r u p p e n empfahl Augustus, einem R ö m e r nicht zu erlauben, als Ankläger gegen einen Griechen aufzutreten. Das dritte Edikt ordnete an, daß in der Kyrenaika geborene Griechen mit römischem B ü r -
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gerrecht die turnusgemäß den Griechen auferlegten Liturgien leisten mußten und daß die Steuerfreiheit, die sie mit dem Bürgerrecht erhielten, nicht für die Güter galt, die sie zum Zeitpunkt der Verleihung schon besaßen. Das vierte Edikt betraf Prozesse zwischen Griechen. Die Todesstrafe war hier ausgeschlossen, und als Richter kamen ausschließlich Griechen in Frage, die aus anderen Städten als den Heimatstädten von Ankläger und Angeklagtem stammten. N e u war dieses Prinzip nicht — schon in hellenistischer Zeit hatte man häufig auf fremde Richter zurückgegriffen. Neben den Hellenen, die das Gymnasion besuchten, und den wenigen R ö mern (bei denen es sich vor allem um Griechen mit Bürgerrecht und ansonsten oft um mittellose Abenteurer handelte) gab es in der Kyrenaika Metoiken und eine große Bevölkerungsschicht, die Strabon [bei los. ant. lud. 14. 7. 114] als eingeborene georgoi (Bauern) bezeichnet und die man mit der Landbevölkerung des ptolemäischen Ägypten vergleichen kann, und ferner eine große jüdische Kolonie, die wohl seit Ptolemaios I. Soter bestand. Bereits zwischen 23 und 13 v. Chr. kam es zu Reibungen zwischen der Stadt Kyrene und der jüdischen Gemeinde (politeuma). Agrippa mußte den Kyrenern in einem Brief befehlen, den Geldbetrag, den die kyrenischen Juden für den Jerusalemer Tempel entrichteten, nicht anzutasten [los. ant. lud. 16. 6. 5. 169f.]. Nach dem Fall von Jerusalem 70 n. Chr. verließen viele Juden Palästina, von denen sich einige in der Kyrenaika ansiedelten. Ein gewisser Jonathas zettelte einen Aufstand unter den ärmsten Juden der Diaspora an. D o c h die R ö m e r nahmen ihn fest, und er zeigte einige jüdische Notablen an, die in Wirklichkeit wenig mit dem Aufstand zu tun hatten. Gleichwohl ließ der Statthalter 2 000 Männer aburteilen. Vespasian stellte die R u h e wieder her. D o c h wiederum in Kyrene brach der große Aufstand der Jahre 115-117 aus, der auf ganz Ägypten (mit Ausnahme Alexandrias) übergriff. Kyrene wurde von diesem Aufruhr sehr mitgenommen. Der Apolltempel und die von Traian erbauten Thermen wurden zerstört, ebenso die Agora und der große Zeustempel. Kyrene stellte mit seiner großen jüdischen Minderheit natürlich eine Ausnahme dar (so wie sonst nur Alexandria). Gleichwohl kann Kyrene als Beispiel dafür fungieren, wie aufmerksam die Kaiser die Städte beobachteten. Schon Augustus bekämpfte die Unterdrückung der Hellenen durch die kleine römische Minderheit. Traian und zumal Hadrian bemühten sich um den Wiederaufbau Kyrenes nach dem zerstörerischen Krieg, der mit einer drastischen Verkleinerung der jüdischen Minderheit in der Kyrenaika endete. Für Hadrian ist im Jahr 129 der Titel oikistes („Gründer") von Apollonia belegt [IG II 2 3306], den er seinen Anstrengungen um die Wiederbevölkerung dieser Stadt und der ganzen Kyrenaika verdankte. Er gründete auch eine Hadrianopolis auf halbem Weg zwischen Berenike/Benghazi und dem alten Taucheira [Laronde 37, S. 1050]. Vermutlich sollte sie die beiden Städte kontrollieren, die jeweils eine große und unruhige jüdische Gemeinde besaßen. Auch in Kyrene kümmerte sich Hadrian um den Zuzug neuer Einwohner [Fraser 23, S. 78; Oliver 44, S. 96fF., Nr. 7], Man denkt wohl zu Recht an Kyrene, wenn Hadrian in einem Brief an die Ky-
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rener von einer „sehr volkreichen und sehr schönen Stadt" spricht. W ä h r e n d seiner Herrschaft w u r d e viel gebaut u n d restauriert, so der Artemistempel im Apollheiligtum, neue Propyläen, ein Isistempel, das Kaisareion, die Basilika, das Gymnasion und die Agora. Auch nach Hadrians Tod w u r d e bis in severische Zeit weitergebaut. D e r Apolltempel w u r d e restauriert, das Theater zur Arena umgebaut, der Zeustempel renoviert. Ferner verbesserte man die Wasserversorgung der Stadt. A u c h Athen erlebte in der Zeit zwischen Augustus u n d Traian eine umfassende Restaurierung. Dabei hatte es anfänglich bei Octavian keinen leichten Stand, da es zu Antonius gehalten hatte. 31 v. Chr. wurde Octavian in die M y sterien von Eleusis initiiert, doch er mied die Stadt selbst u n d bezog in Aigina Quartier. 20 v. Chr. w u r d e er zur epoptie, dem höchsten Weihegrad von Eleusis, zugelassen. 19 v. Chr. besuchte er Athen zusammen mit Vergil, der auf der R ü c k k e h r in Brundisium verstarb. Die Stadt hatte sich nicht von den Zerstörungen der Belagerung von 86 v. Chr. u n d der Plünderung durch Sullas Soldaten erholt, doch sie zog dennoch viele Besucher an, insbesondere Philosophen u n d Dichter, die zu Studienaufenthalten kamen, aber auch Künstler, Architekten u n d Bildhauer (in dieser Zeit waren Kopien klassischer Statuen in Mode). In der augusteischen Zeit k ü m m e r t e n sich in Athen meistens die Vasallenfürsten u m Restaurierungsmaßnahmen. Viele Basen k ü n d e n von den Besuchen dieser Herrscher, denen man mit einer Statue für ihre Wohltaten dankte. Erwähnt seien König Iuba II. von Mauretanien und König Herodes der Große von Judäa. Dessen Sohn Herodes Antipas wurde durch eine Statue geehrt, die die athenischen Kleruchen von Delos errichtet hatten (zwischen 6 und 10 n. Chr.). Sein Enkel, Herodes von Chalkis, erhielt unter Claudius eine Statue von Aristobulos. Andere Herrscher, die man in Athen ehrte, waren König Archelaos von Kappadokien (41 v. Chr. - 14 n. Chr.) u n d dessen Tochter Glaphyra, die Gattin Iubas II. D e r König Ariobarzanes von Kappadokien hatte bereits das 86 v. Chr. zerstörte Perikles-Odeion restaurieren lassen. Das athenische Volk ehrte auch K ö nig Antiochos, den Sohn des Mithradates, König von Kommagene — vermutlich handelt es sich u m den 17 n. Chr. verstorbenen Antiochos III. D e m Philopappos, dem Sohn des Antiochos IV., des letzten Königs von Kommagene (bis 72), errichteten die Athener zwischen 114-116 ein G r a b m o n u m e n t , das noch heute auf d e m Museionhügel steht. Er war nicht nur Suffektkonsul im Jahr 100, sondern auch Bürger und Magistrat von Athen. Sein M o n u m e n t ist nur teilweise erhalten. Auf einem Relief ist Philopappos als römischer Konsul dargestellt, der, von Liktoren umgeben, auf einer Quadriga steht. In drei Nischen darüber standen j e eine Statue des Toten, seines Vaters u n d seines Großvaters. Mit Statuen wurden auch König Kotys von Thrakien, der Sohn des Rheskuporis, u n d P y thodoris, die Gattin des Königs Polemon von Pontos, geehrt. Im zweiten Drittel des 1. Jh.s ν. Chr. erbaute ein syrischer Architekt, Andronikos von Kyrrhos, an der Flanke der Akropolis den sog. „ T u r m der W i n d e " , eine Wasseruhr. D e r Fries dieses achteckigen Bauwerks bildet die acht personifizierten W i n d e ab. In der N ä h e w u r d e eine neue Agora (die R ö m i s c h e Agora)
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als Handelsplatz auf die Initiative von Caesar und Augustus hin erbaut. Diese große, geschlossene Agora bedeckte eine Fläche von 82 χ 57 m, war mit Marmorplatten gepflastert und mit Portiken umgeben, die heute noch auf der Südund der Ostseite erhalten sind. Auf der alten Agora wurden von den Kaisern zahlreiche neue Bauten errichtet. In der Nordwestecke entstand nach 12 v. Chr. der Arestempel, in dem Gaius Caesar als neuer Ares geehrt wurde. Der Altar des Zeus Agoraios wurde von der Pnyx auf eine Stelle südlich des Arestempels verbracht. Man errichtete zwei Tempel, die man nach ihrer Lage „Südwest-Tempel" und „Südost-Tempel" nennt, wovon der eine vermutlich Livia geweiht war. Auch erbaute man eine ionische Portikus mit elf Säulen, die man „Nordost-Stoa" nennt. Aber der wichtigste Neubau war das Odeion des Agrippa, das um 15 v. Chr. mitten auf der Agora errichtet wurde. Dieser riesige K o n zert- und Versammlungsbau mit Skene und Orchestra besaß tausend Plätze, die in einer cavea mit 19 Sitzreihen angeordnet waren. Auf der Akropolis wurde das Erechtheion ab 27 v. Chr. restauriert. Ferner erbaute man östlich des Parthenon einen kleinen Rundtempel (tholos) mit neun ionischen Säulen, der R o m und Augustus Soter geweiht war. In der Zeit zwischen Augustus' Tod und Traían hörte die Bautätigkeit fast ganz auf. Jedoch wurde unter Claudius westlich der Akropolis die monumentale Treppe erbaut, die die R a m p e als Zugang zu den Propyläen ersetzte. Östlich der Römischen Agora, beim Turm der Winde, baute man einen Tempel für Athena Archegetis und die divi Augusti als Heiligtum für den Kaiserkult. Unter Traian finanzierten reiche Privatleute die Verschönerung Athens. Ein einschlägiges Beispiel ist die Pantainos-Bibliothek, die südlich der Attalos-Stoa um das Jahr 100 erbaut wurde. Die athenische Renaissance fiel mit der Herrschaft Hadrians und dem bereits geschilderten Wirken des Herodes Atticus [S. 322] zusammen. Der Philhellene Hadrian hielt sich gerne in Athen auf. Er besuchte es auf drei seiner Reisen, 124-125, 128 und 131-132. Er bekleidete als Archont und Agonothet Magistraturen der Stadt und ließ sich in die Mysterien von Eleusis initiieren. Bei seinem ersten Aufenthalt in Athen beschloß Hadrian die Gründung eines neuen Athen durch die Eingemeindung des Viertels, das sich auf dem rechten Ufer des Iiissos befand. Das schachbrettartige Straßennetz der neuen Stadt hob sich stark ab von den gewundenen Gassen der alten Stadt. Die Befestigungsmauer der neuen Stadt hatte mehrere Tore, darunter das Hadrianstor. Es war zugleich Gedenkmonument und Grenzmarkierung zwischen den beiden Teilen der Stadt, dem des Theseus und dem des Hadrian. Auch erwarb sich dieser Kaiser das Verdienst, endlich das Olympieion fertigzustellen, das Peisistratos begonnen hatte und das erst zwischen 124-132 vollendet wurde. Der Tempel des Zeus Panhellenios und der Hera wurde 131/132 geweiht. Er entstand südlich des Olympieions und war das Zentrum des Panhellenions, d. h. einer Delegiertenversammlung aller griechischen Staaten, der der Archont der Panhellenen, der oft auch gleichzeitig Hohepriester des Hadrian Panhellenios und Agonothet der großen Panhellenien war, vorsaß. Man kennt die genaue Lokation des Pan-
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theons nicht; es befand sich wohl östlich der Bibliothek des Hadrian. Der Bibliotheksbau, der im Norden der Römischen Agora besser erhalten ist, bedeckte eine riesige viereckige Fläche von 122 χ 82 m. Im Zentrum befand sich ein Becken von 58 m Länge, das von einem Peristyl umgeben war. Dieses Peristyl lief auf seiner Ostseite an dem Gebäude entlang, in dem sich die eigentliche Bibliothek befand. Pausanias [1. 18. 9] nennt auch noch ein Gymnasion, das den Namen Hadrians trug und hundert libysche Säulen besaß. Hadrian schreibt man ferner die Restaurierung des Pompeions im Kerameikos-Viertel zu. Dort wurden die Utensilien, die man für die Prozessionen benötigte, aufbewahrt. Auch soll Hadrian einen Aquädukt begonnen haben, den aber erst Antoninus Pius vollendete. Zuletzt sei noch einmal an die zahlreichen Bauten des Herodes Atticus erinnert, die auch in hadrianische Zeit fallen. Am meisten von allen Städten des griechischen Mutterlandes profitierte Korinth, die Hauptstadt der Provinz Achaia, von der römischen Gunst während der Kaiserzeit. Die Stadt war 146 v. Chr. vollständig zerstört worden, wurde aber 44 v. Chr. von Caesar als römische Kolonie neugegründet [Paus. 2. 1. 2]. Unter Augustus unternahm man große Anstrengungen zur Wiederherstellung des Apolltempels. Im westlichen Teil der Agora entstanden sechs kleine römische Tempel. Neben einem Pantheon erhob sich der Aphrodite-Tyche-Tempel. Die beiden nächsten Heiligtümer entstanden erst unter Commodus zu Ehren von Herakles und Poseidon. Etwas weiter nördlich standen die Tempel des Apollon von Klaros und des Hermes. Die monumentale Ausstattung wurde durch die Nordweststoa, die Basilika, ergänzt. Pausanias [2. 3. 2] beschreibt die Propyläen, die bei der Gründung der römischen Kolonie erbaut und im 1. Jh. n. Chr. in einen marmornen Triumphbogen umgewandelt wurden. Auf ihnen standen zwei Bronzewagen mit Helios und seinem Sohn Phaëthon. Das Theater des 5. Jh.s wurde im Laufe des 1. Jh.s restauriert, ehe man es in eine Arena umbaute. Auch das Odeion stammte aus dem 1. Jh. n. Chr. Um 175 wurde es auf Kosten des Herodes Atticus erneuert und verschönert. Tiberius ließ in Korinth den Nordmarkt, die Südbasilika und die julische Basilika im Osten der Agora anlegen. In der Folgezeit, zumal im 2. Jh., wurde Korinth weiter ausgebaut. Hadrian ließ einen Aquädukt errichten, der das Wasser des Stymphalischen Sees zuleitete [Paus. 2. 3. 5]. Die ganze Hohe Kaiserzeit war für Korinth eine Zeit der Prosperität, was es seiner Rolle als Provinzhauptstadt, aber auch als Handelszentrum mit seinen beiden Häfen verdankte. Korinths Bevölkerung war bunt gemischt. Als der Apostel Paulus dort 51/2 das Evangelium predigte, fand er eine große jüdische und orientalische Gemeinde vor.
7. 11 Die städtische Politik während der Hohen Kaiserzeit Obwohl die griechischen Städte und Staaten in Achaia, Makedonien und Kreta-Kyrenaika nunmehr zum Römischen Reich gehörten, hatten ihre traditionellen politischen Instanzen bemerkenswerterweise zwischen Hellenismus und Kaiserzeit keine umwälzenden Veränderungen erfahren.
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Athen besaß den Status einer freien Stadt. Seine seit Actium gespannten B e ziehungen zu Augustus scheinen sich bis zum Ende seiner Herrschaft fortgesetzt zu haben, w e n n man die Zeugnisse späterer Autoren [Sherk 63, N r . 24] akzeptiert, nach denen Athen u m 13 n. Chr. rebellierte [Bowersock 8, S. 106-108]. W ä h r e n d des 1. Jh.s ν. Chr. oktroyierten die R ö m e r bald eine aristokratische Verfassung (ab 86 durch Sulla u n d wieder ab 38 durch Antonius), bald eine demokratische (Caesar restaurierte im Jahr 48 nach Pharsalos die Demokratie). Augustus untersagte der Stadt, ihr Bürgerrecht zu verkaufen. So blieb es den Söhnen gesetzmäßig verheirateter Bürger und wenigen fremden Wohltätern, die aus Dank die politeia erhalten hatten, vorbehalten. Als Bürger waren aber faktisch nur die ehemaligen Epheben aktiv [Oliver 45, S. 89-94], u n d die einzelnen Ephebenjahrgänge waren nicht sehr groß. Eine Liste von 1 3 / 2 v. Chr. erlaubt uns, das jährliche Kontingent der zwölf Phylen auf 134 Epheben zu schätzen. N u r sie sollten später in der Volksversammlung das Wort ergreifen u n d Amter bekleiden. Die Bürger waren in zwölf Phylen aufgeteilt (die zehn kleisthenischen Phylen und die Phylen Ptolemais und Attalis). 124/5 w u r d e eine dreizehnte hinzugefugt, die den N a m e n Hadrians trug. N e b e n der Volksversammlung (ekklesia) konnte auch der R a t der Sechshundert (der von Hadrian auf f ü n f h u n d e r t verkleinert wurde) Beschlüsse erlassen. Er basierte nach wie vor auf den 12 (bzw. 13) Prytanien. N e u war j e d o c h die einflußreiche Stellung des Areopags, der sich anscheinend aus ehemaligen, vom Statthalter berufenen B e amten zusammensetzte. M a n ist sich uneins über die Zahl der Areopagiten und ihre Herkunft. M a n geht von 30-150 Mitgliedern aus, am häufigsten wird rund hundert angegeben [Geagan 25; Oliver 44], Einige Forscher glauben, daß die Areopagiten allein aus der Zahl der gewesenen eponymen Archonten u n d der Königsarchonten ausgewählt wurden, aber man kennt auch einen ehemaligen Polemarchen. Marc Aurel erinnert in seinem Brief an die Athener [§10] an „die alte Gewohnheit, nach der nur diejenigen in den Areopag zugelassen wurden, deren trigonia überprüft worden ist", d. h., die ihr athenisches Bürgerrecht über drei Generationen nachweisen konnten. Aber der Kaiser m u ß t e akzeptieren, daß es in Athen zu wenig qualifizierte Kandidaten gab, u n d reduzierte seine A n sprüche für Areopagiten auf den Nachweis der freien Geburt von Vater und Mutter. Söhne von Freigelassenen, die in den Areopag a u f g e n o m m e n worden waren, beließ er dort, verbat sich aber, daß dies in Z u k u n f t vorkomme. Die Hierarchie der Magistrate hatte sich verändert. D e r eponyme Archont galt weiterhin als wichtigster aller Magistrate Athens (die Kaiser Domitian, H a drian und C o m m o d u s bekleideten dieses Amt). Ihm folgte der Bedeutung nach der Herold des Areopags, der diesem R a t vorsaß u n d über weitreichende G e walten verfügte. D e r Hoplitenstratege besaß k a u m militärische Befugnisse, denn die waren Sache der R ö m e r ; vielmehr oblag ihm vor allem die Versorgung der Stadt. Diese Amter waren für ihre Inhaber kostspielig, und so waren etliche Jahre im etymologischen Sinn Jahre der anarchia [ζ. Β. 167/8: IG II 2 1774; 169/70: IG II 2 1776, 1781; ein Teil des Jahres 182/3: Hesperia 4 (1935) 48 N r . 11], B e stimmte Magistraturen waren derart kostspielig, daß es sich schon fast u m Litur-
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gien handelte, so ζ. B. die Gymnasiarchien oder Agonothesien. Die Choregie war weiterhin eine kostspielige Liturgie. U m diesen erdrückenden Belastungen beizukommen, suchten die Kaiser immer wieder neue Auswege. Hadrian finanzierte eine Stiftung namens „Gymnasiarchie Hadrians". Sie zahlte das Ol der Gymnasien und wurde von einem Epimeleten verwaltet. Commodus gründete im Jahr 184 die „heilige gerusia", die aus 400 Bürgern bestand und die Ländereien verwalten sollte, deren Ertrag für bestimmte Liturgien vorgesehen war. Die Sonderstellung, die einige wenige bedeutende Familien einnahmen, ist schon erwähnt worden [S. 322f.]. Die oligarchische Prägung läßt sich gut an der Prosopographie der Amtsinhaber beobachten. Das Amt des Areopagherolds bekleideten zwischen 100 und 170 drei Mitglieder der Flavii aus Paiania [vgl. die Inschrift aus Eleusis, Syll.3 869; frz. Übers, bei G. Ch. Picard und J. R o u g é 54, Nr. 27], zwischen 138 und 161 drei Aelii aus Phaleron (Aelius Ardys allein hatte es zweimal inne) und drei Claudii aus Melite, nämlich Claudius Lysiades I. und zwei angeheiratete Familienmitglieder, Ti. Claudius Demostratos aus Sunion (dessen Tochter heiratete Ti. Claudius Sospis I. aus Melite) und Iulius T h e o d o tos aus Melite, der die Tochter des Lysiades I. heiratete. Dieser Theodotos war auch Königsarchont und Stratege. Das Amt des Hoplitenstrategen hatten vier Flavii aus Paiania inne. Der erste von ihnen, T. Flavius Leosthenes aus Paiania, bekleidete dieses Amt zwischen 80 und 120 dreimal, ferner war er auch Areopagsherold und eponymer Archont. Nach 115 waren drei Aelii aus Phaleron Hoplitenstrategen. Den eponymen Archonten stellten die Flavii aus Paiania viermal, die Aelii aus Phaleron fünfmal, dreimal die Claudii aus Melite und zweimal die Claudii aus Marathon (nämlich Herodes Atticus und sein Onkel mütterlicherseits L. Vibullius Hipparchos). Für die wichtigsten Priestertümer gilt Entsprechendes. Sparta genoß seit der Schlacht von Actium Augustus' Gunst. Nach wie vor faszinierte seine Geschichte, wie dies etwa Plutarchs Lykurgvita zeigt, in der altes Material und Gegebenheiten der H o h e n Kaiserzeit vermischt sind. Indes hatte sich die spartanische Gesellschaft tiefgreifend verändert [Ducat 16, S. 193-199]: Es gab keine Heloten mehr. Strabon [8. 5. 4] sagt, daß dieses System „bis zur römischen Herrschaft fortbestand", wobei aber unklar ist, ob er sich damit auf das Ende des Zweiten Makedonischen Krieges oder den Beginn der Herrschaft des Augustus bezieht. Man setzte nunmehr gekaufte Sklaven ein. Die Bürger hatten aufgehört, Berufskrieger zu sein. Stattdessen bewirtschafteten sie Ländereien mit Sklaven oder arbeiteten als Handwerker bzw. Händler. Die Erziehung der jungen Spartiaten stand nach wie vor in hohem Ansehen. Sogar junge Männer von außerhalb wurden von ihr angezogen, wie etwa der Vater des Herodes Atticus und sein Sohn Bradua. Das bedeutet eine tiefgreifende Veränderung in dieser Stadt, die einst für ihre Fremdenfeindlichkeit berüchtigt war. Die spartanische Erziehung war freilich nicht mehr rein militärisch ausgerichtet. Schließlich betrieb die Stadt als Bestandteil der Provinz Achaia keine eigene Außen- und Militärpolitik mehr. Doch die Erziehung galt weiterhin als Schule der Ausdauer und der Selbstdisziplin. Gewisse Riten jedoch waren völlig per-
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vertiert worden, so die Auspeitschungsshow u m den Altar der Artemis Orthia. Sie fand vor Zuschauern statt, die das Spektakel b e q u e m auf eigens dafür errichteten Sitzreihen verfolgen konnten. Auch die politischen Institutionen hatten sich gewandelt. Das Doppelkönigtum war verschwunden, an seine Stelle war ein Kollegium aus sechs patronomoi getreten. Dieses A m t wurde gelegentlich auch von Fremden bekleidet, so ζ. B. u m 130 von Atticus, d e m Vater des H e r o des Atticus. Die fünf Ephoren gab es weiterhin, ebenso die gerusia, die aber vermutlich von den 28 Mitgliedern der Königszeit auf 23 Männer, die sich synarchoi nannten, verkleinert worden war. U n t e r Augustus u n d später während der faktischen Tyrannis der Eurykliden (C. Iulius Eurycles, Laco u n d Spartiaticus) bis 65 n. Chr. konnten diese Organe k a u m arbeiten. Aber die massive Opposition gegen die Eurykliden zeigt, daß die spartanische Bürgerschaft (jedenfalls innerhalb gewisser Grenzen) n o c h immer reagieren konnte. N e b e n den Städten besaßen die ethne und die Koina ihre eigenen Organe, die sie oft seit hellenistischer Zeit unverändert bewahrt hatten. Andere Strukuren entstanden in augusteischer Zeit, so etwa die Eleutherolakones, Völker, die v o m Joch der Lakedaimonier befreit worden waren u n d die laut Pausanias [3. 21. 6f.] 24 Mitgliedstädte u m Gytheion zählten. Das Edikt von Gytheion und der Begleitbrief des Tiberius [Ehrenberg/Jones 17, S. 87-89; Rostovtzeff 59] zeigen, daß sich die Stadt Gytheion mit Ephoren, R a t , Magistratenkollegien, Volksversammlung und Ephebie besonders eng an das Modell Sparta hielt. Die Stadt Gytheion organisierte zwei szenische Wettkämpfe zum Gedenken des C. Iulius Eurycles bzw. des C . Iulius Laco.
7. 12 Das Panhellenion Hadrian gab im Jahr 132 Griechenland eine neue Organisationsstruktur, die alle Griechen im Panhellenion zusammenbringen sollte. Als Z e n t r u m w u r d e Athen u n d nicht Korinth, die Verwaltungshauptstadt der Provinz Achaia, ausgewählt. D e r Tempel des Zeus Panhellenios und der Hera, der in der N ä h e des O l y m pieions im Viertel des neuen Athens, der Hadriansstadt, erbaut wurde, war das Z e n t r u m dieser Organisation. Sie besaß keinerlei politische Macht, sondern stellte eine Art nationaler Föderation der Hellenen dar. D e r panhellenische R a t w u r d e mit j e einem Delegierten aus jeder Stadt beschickt. Er entschied über die Zulassung von Neumitgliedern, die den Nachweis führen mußten, daß sie zur hellenischen Kultur- u n d Geschichtsgemeinschaft gehörten [Oliver 44, S. 93-118; ζ. B. Magnesia am Mäander u n d Kibyra, Nr. 5 u n d 6]. An der Spitze des Gemeinwesens (koinon) des Panhellenions stand der Archont der Panhellenen. Das Panhellenion war im wesentlichen eine religiöse Institution für den Kult zu Ehren der römischen Kaiser. D e r Kaiserkult war in Griechenland, wie in den anderen Provinzen des Reiches, viel älter als Hadrian, wurde aber von i h m in R a h m e n des Panhellenions reorganisiert. Man hielt in Athen Spiele mit N a m e n Panhellenia ab, und zwar vermutlich alle vier Jahre, wie bei den stephanitischen Spielen des alten Griechenlands. Dies bedeutete zusätzlichen R u h m
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und beträchtliche Einnahmen für Athen, das der Philhellene Hadrian als die zweite Hauptstadt des Reiches ansah.
7. 13 Religion und Kaiserkult Der Kaiserkult war der Nachfolger des Kults der hellenistischen Könige, der sich in allen Teilen der griechischen Welt nach Alexander in unterschiedlichen Formen und Geschwindigkeiten ausbildete. Während 324 v. Chr. Alexander göttliche Ehren noch nachdrücklich einfordern mußte, waren in der Folgezeit einige Städte nur allzu bereit, bestimmten Herrschern höchste, ja göttliche Ehren zu erweisen, die in dem Verhältnis alles Frühere übertrafen, in dem die Wohltaten der neuen Könige das bisher Dagewesene hinter sich ließen. Die Herrscher verbreiteten in ihren jeweiligen Reichen den Königskult, zunächst nur zu Ehren des verstorbenen Vorgängerkönigs (wie Ptolemaios I. Soter), dann auf den lebenden Herrscher bezogen (wie bei Ptolemaios II. Philadelphos, der allerdings mit seiner 270 verstorbenen Schwester und Gattin Arsinoë unter dem Namen der Geschwistergötter gemeinsam verehrt wurde). Bei den Seleukiden wurde der herrschaftlich verordnete Herrscherkult erst unter Antiochos III. institutionalisiert. Da die Griechen nun an den Herrscherkult gewöhnt waren, war es nicht verwunderlich, daß sie ihn auf die neuen Herren ausdehnten. Als erstem galt er laut Plutarch [Flam. 16] zu Beginn des 2. Jh.s ν. Chr. dem Konsul Flamininus in der Stadt Chalkis. Nach Tacitus [ann. 4. 56] hatte Smyrna 195 ν. Chr. als erste Stadt einen Tempel für das vergöttlichte R o m erbaut. Spiele namens Rhomaia entstanden seit dem 1. Jh. v. Chr. in großer Zahl, so nach 146 in Chalkis. Nach Sulla wurden die Amphiaraia von Oropos in „Amphiaraia und Rhomaia" umbenannt [Syll.3 1064, Z. 5 und Nr. 3 und 4], In Kleinasien waren die Rhomaia noch zahlreicher. Im 1. Jh. n. Chr. entstanden dann Spiele namens Kaisareia. Später gab es auch noch Hadrianeia, Antonineia, Commodeia etc., die bisweilen im Falle einer damnatio memoriae wieder aus den Inschriften verschwanden.
7. 13. 1 Der städtische Kult Antonius hatte sich selbst zum neuen Dionysos ausgerufen. Wie in hellenistischer Zeit stand es jeder Stadt frei, einen Kult für den Herrscher oder für seine Familienmitglieder zu organisieren. Augustus bestand lediglich darauf, daß amtierenden Statthaltern kein Kult gewidmet wurde [Cass. Dio 56. 25. 6]. Das Edikt von Gytheion und der Begleitbrief des Tiberius zeigen, wie man in der Peloponnes und wahrscheinlich in ganz Griechenland zum Zeitpunkt des Todes des Augustus vorging. Das Sakralgesetz sah vor, daß der Magistrat drei Basen schmücken sollte. Auf die erste sollte er ein gemaltes Bildnis des Gottes Augustus, auf die zweite eines der Iulia Augusta, d. h. von Livia, und auf die dritte eines von Kaiser Tiberius selbst setzen. Weihrauch sollte zum Wohle der Herrscher brennen. Die Feier dauerte sechs Tage, und die Stadt ehrte der Reihe
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nach „Gott Caesar, Sohn des Gottes, Augustus, Retter, Befreier", dann Tiberius, Livia, Germanicus (den Adoptivsohn des Tiberius), Drusus und schließlich T. Quinctius Flamininus, dessen Kult auf die Zeit des Krieges gegen Nabis, zu Beginn des 2. Jh.s ν. Chr., zurückging. D e r Stratege von Gytheion war Chairon, der zugleich das Priestertum des Gottes Caesar Augustus bekleidete. In einem Brief dankt Tiberius der Stadt Gytheion für die Gesandtschaft, die ihm eine K o pie des Sakralgesetzes überbracht hatte, u n d fügt hinzu: „Ich bin der Ansicht, daß es angemessen ist, daß alle Menschen im allgemeinen u n d eure Stadt im b e sonderen die göttlichen Ehren unverändert beibehalten, die der G r ö ß e der Wohltaten, die mein Vater [Augustus] der ganzen Welt erwiesen hat, entsprechen. D o c h was meine Person angeht, begnüge ich mich mit maßvolleren und menschlicheren E h r u n g e n . " Dieselbe Haltung bezeugt auch Tacitus [ann. 4. 37], als er davon berichtet, wie Tiberius es ablehnt, daß das Jenseitige Spanien einen Altar zu seinen und Livias Ehren errichten will. Zurückhaltung gegenüber öffentlichen Kulten zu Ehren des Kaisers prägte auch die Haltung von Claudius, während Caligula und N e r o solche gerne empfingen, ja sie sogar einforderten. Tiberius stellt in d e m oben erwähnten Brief an Gytheion fest, daß sich Livia persönlich zu den Ehren äußern werde, die man für sie geplant habe. Diese wies nicht j e d e F o r m kultischer Verehrung zurück. Eine noch unedierte Inschrift aus Apollonia von Illyrien [Corpus, Nr. 173, erscheint demnächst] ehrt Iulia Sebasta, d. h. Livia, die den Titel Sebasta (also Augusta) erst nach Augustus' Tod führte (14-29 n. Chr.), im R a h m e n eines lokalen Kults von Eleuthia, d. h. Eileithyie, der Göttin der Niederkunft. In D o d o n a , also in derselben R e g i o n , erwähnt eine durch A g o n o t h e t e n n e n n u n g datierte Inschrift die Weihung eines ungenannten Koinons an Livia (wohl Mutter) von Caesar Augustus (Tiberius) [SEG 23 (1968) 472]. Nikopolis erwies d e m Kaiser Hadrian u n d seiner Gattin Sabina einen Kult, der durch einige Funde belegt ist. Eine R e i h e kleiner Altäre, die w ä h rend der Durchreise-des Kaiserpaares (wohl 128 n. Chr.) in der Stadt errichtet wurden, sind „ d e m Kaiser Traian Hadrian Augustus Olympios, Zeus D o d o n a i os" gewidmet. D e r Zeus von D o d o n a war für die Nikopoliten der höchste Gott überhaupt. Sabina Augusta wird mit Artemis Kelkaia identifiziert, der anscheinend wichtigsten Göttin, auch w e n n ihr Kult (abgesehen von den Inschriften aus Nikopolis) in dieser R e g i o n nicht belegt ist [Cabanes 10, S. 153-167, S. 457-460], Dieser Typ von Altären zu Ehren Hadrians ist in Griechenland und auch außerhalb weit verbreitet: A. S. Benjamin [6, S. 57-86; s. a. Graindor 29, S. 50-51 A n m . 2 u. S. 66-68 für eine Liste der Städte, die Statuenbasen in Olympieion weihen] hat 95 Hadrianaltäre in Athen, 27 in Sparta, insgesamt 261 auf der Peloponnes, Zentral- und Westgriechenland, auf den Inseln und Kleinasien gezählt. O f t wird der Kaiser Zeus Olympios genannt, was damit zusammenhängt, daß er den großen Olympieiontempel in Athen vollendete. Er wird auch mit anderen Göttern gleichgesetzt, trägt dann aber oft das Adjektiv neos, „der neue", was die Tragweite reduziert, da er dann nicht mit der Gottheit identifiziert, son-
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dern nur als neue Manifestation von ihr angesehen wird: Er ist neos Asklepios, neos Pythios [IG VII 347] in Megara, wie schon Nero zuvor ein neos Apollon in Athen gewesen war [P. Graindor, Inscriptions attiques d'époche romaine, B C H 51 (1927) 260-261, Nr. 23], Ebenso ist Sabina die nea Demeter in Megara [IG VII 73, 74; Graindor 29, S. 130]. Auf Thasos wird sie mit Hera gleichgesetzt [Y. Béquignon/P. Devambez, B C H 56 (1932), 284-286, Abb. 28]. Dies geschieht auf einem Altar, der Hadrian, dem Olympios Retter Gründer, und der Hera Sabina geweiht ist.
7. 13. 2 Der provinziale Kult Ab 29 erlaubte Octavian die Gründung provinzialer Kulte, zunächst zu Ehren von R o m und dem vergöttlichten Caesar, später von R o m und Augustus [ζ. Β. Pergamon, Tac. ann. 4. 37], Im Gegensatz zu den städtischen wurden die provinzialen Kulte von der kaiserlichen Autorität und ihren Vertretern aktiv organisiert. Ihre Gründung geschah, indem man eine gemeinsame Inititative aller Städte einer Provinz veranlaßte. Manchmal läßt sich aber nur schwer zwischem städtischem und provinzialem Kult trennen. So ist in Kyrene seit 17/6 v. Chr. ein Augustuspriester bekannt [SEG 9, 133], Er ist nach dem Apollpriester der zweite eponyme Priester, was daraufhindeutet, daß es sich dabei um einen städtischen Priester von Kyrene handelt. Sojedenfalls argumentiert A. Laronde [37, S. 1041], während M. Sartre [61, S. 109 Anm. 7] an einen „vielleicht provinzialen Priester" glaubt. Während das Koinon der Kreter sehr bald einen provinzialen Kult von R o m und Augustus feiert, bestätigt erst ein Brief von Antoninus Pius die Existenz eines solchen Koinons in der Kyrenaika. Der Provinzialkult Achaias wurde unter Nero organisiert [Puech 56, S. 15-43]. In dieser Provinz wurde der Hohepriester (archiereus) des Kaiserkults auf Lebenszeit ernannt. Andernorts bestimmte ihn das Koinon, das die Gemeinden der ganzen Provinz mit Delegierten beschickten, für ein Jahr. Der Hohepriester gehörte häufig einer der großen Familien an, die in ihren Städten die Magistraturen und Liturgien übernahmen. Der erste Hohepriester Achaias war ζ. B. der Enkel des Eurycles, C. Iulius Spartiaticus [IG II2 3538], während andere Mitglieder dieser Familie als Hohepriester des Kaiserkults in Sparta fungierten [IG V 971]. In Athen lag der städtische Kaiserkult vor allem in den Händen der männlichen Claudii aus Marathon, d. h. der Familie des Herodes Atticus. Er selbst wurde erst im Jahr 160 Hohepriester auf Lebenszeit. Im Falle Makedoniens gibt es eine ungelöste Frage. War das dortige Koinon als provinziales Organ für den Kaiserkult gegründet worden, oder war es die Fortsetzung des hellenistischen Koinons, das die R ö m e r zu einen unbekannten Zeitpunkt restauriert hatten? F. Papazoglou [49, S. 65f. und S. 143] glaubt eher an die erste Möglichkeit, d. h. an eine Gründung des Koinons unter Augustus. Der Sitz des Koinons der Makedonen war Beroia, und diese Stadt trug seit den Flaviern die Titel Neokore und Metropolis. Der Titel Neokore wurde in der Kaiserzeit vom Senat an eine Stadt verliehen, die sich besonders dem Kult eines
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Gottes, insbesondere des Kaisers, widmete u n d ihm einen Tempel errichtet hatte. In der Mitte des 3. Jh.s erhielt auch Thessalonike, eine freie Stadt und Sitz der Provinzialverwaltung, den Titel Metropolis. Eine große Ehreninschrift aus neronischer Zeit stellt uns C. Popillius Python als Hohepriester des Kaisers auf Lebenszeit u n d Agonothet des Koinons der Makedonen vor [Papazoglou 59, S. 144 A n m . 20]. Das Provinzialheiligtum des Kaiserkults befand sich gewöhnlich in der Provinzhauptstadt. Von dieser Regel gibt es j e d o c h Ausnahmen, so in Makedonien (Beroia statt Thessalonike) oder in Achaia, w o Korinth diese Rolle an Athen verlor, als Hadrian dort den Kult des Zeus Panhellenios begründete. N u n m e h r organisierte der Archont der PanheOenen anstelle des Heiledarchen des Koinons der Achaier den Kaiserkult. In der Provinz Kreta-Kyrenaika gab es zwei Heiligtümer, eines in Gortyn auf Kreta u n d eines in Kyrene. Das provinziale Koinon richtete Wettkämpfe aus, die zu Ehren der Kaiser oder R o m s gestiftet w u r d e n u n d die man häufig mit bereits existierenden Wettspielen zusammenlegte. So feierte man die Kaisareia in Achaia zusammen mit den isthmischen Spielen, und im makedonischen Beroia organisierte der A g o nothet des Koinons der M a k e d o n e n Spiele, die Alexandria Olympia hießen [Papazoglou 49, S. 144 A n m . 25]. Nikopolis feierte vor u n d nach der G r ü n d u n g der Provinz Epeiros die stephanitischen ^4feii'd-Spiele, die nach Octavians Sieg von Actium auf dem Territorium der akarnanischen Stadt Anaktorion im Süden des Eingangs in den Golf von Ambrakia nach Nikopolis selbst verlegt wurden. Sie besaßen die übliche Folge von Wettkämpfen, wie man sie in hellenistischer Zeit kannte, u n d w u r d e n noch 2 4 1 / 2 abgehalten, wie eine Inschrift im M u seum von Ioannina beweist [Cabanes, L'Epire, S. 552, Nr. 30]. In Phokis traten die Megala Kaisareia zu den Megala Elaphebolia u n d Laphria, die Artemis geweiht waren [IG IX 1, 90]. D e r Kaiserkult behinderte nicht das Weiterleben der alten Götterkulte, das Weiterbestehen der delphischen Amphiktyonie, die ein zweiter Helledarch (zu trennen von d e m O b m a n n des achaiischen Koinons) leitete, u n d die Austragung der alten Spiele in den Heiligtümern Griechenlands. Viele Wettkämpfe hatten bereits während der hellenistischen Epoche die Epitheta „isolympisch" oder „isopythisch" erlangt, d. h. rangmäßig gleichgestellt mit den olympischen bzw. pythischen Spielen. Teilweise n a h m e n n u n m e h r zuvor k a u m bekannte Gottheiten eine wichtige Rolle ein. W i r kamen bereits [S. 333] auf die Identifizierung von Kaiserin Sabina mit der ansonsten unbekannten Artemis Kelkaia zu sprechen. Es sei auch noch auf das Heiligtum der autochthonen Göttermutter bei Leukopetra in Makedonien verwiesen, w o eine R e i h e interessanter Weihungen gefunden werden konnte.
7. 13. 3 Das Christentum Zuletzt wollen wir uns noch das Eindringen des Christentums in die hier b e handelten Provinzen ansehen. Paulus' zweite Reise führte ihn nach Philippi,
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w o er j e d o c h zusammen mit seinen Begleitern verprügelt und kurzfristig inhaftiert wurde. Er machte dann in Beroia und Thessalonike Station, w o er sich mit den jüdischen Gemeinden traf, ehe ihn seine Reise weiter nach Korinth u n d Athen führte. Auf seiner dritten Reise hatte Paulus makedonische Begleiter, nämlich Sopatros (oder Sosipatros), Sohn des Pyrrhos, aus Beroia, ferner Aristarchos u n d Secundus aus Thessalonike [Apg. 20. 4], Die ersten christlichen Gemeinden Europas entstanden in Makedonien u n d Korinth. M a n weiß über ihre Entwicklung u n d ihr Schicksal im 1. u n d 2. Jh. überhaupt nichts. Für die Provinzen Pontos-Bithynien u n d Asien besitzen wir zumindest Plinius' Briefe [epist. 10. 96f.] u n d die erste Apologie des Justinus Martyr [§68], in der ein Schreiben Hadrians von 125 n. Chr. an den asiatischen Prokonsul Minucius Fundanus über Christenprozesse überliefert wird [vgl. auch Eus. hist. eccl. 4. 9]. Die Berichte über die großen Christenverfolgungen betreffen im wesentlichen die Kirchen von Gallien, Afrika u n d Asien u n d übergehen Griechenland, was j e d o c h nicht bedeutet, daß es dort keine Christen gab. W i r wissen von der Christenverfolgung in Epeiras unter Kaiser Decius (249-251) nur durch die Legende des Martyriums des Hl. Therinos. Er war wohl Bischof von Buthrotos und provozierte den römischen Statthalter Philipp. Im Theater dieser Stadt, das von Gläubigen gefüllt war, überstand er die grausamsten Folterungen unbeschadet [M. Abineau, La passion grecque inédite de saint Thérinos, martyrisé à B u throte en Epire, Analecta Bollandiana 100 (1982) 63-78; A. Guida, Analecta Bollandiana 103 (1985) 112], Dieser Bericht, der vor dem 10. Jh. verfaßt w u r d e und im Kloster Koutloumousiou auf d e m Berg Athos verwahrt wird, ist natürlich legendär, aber er könnte zumindest auf eine tiefgehende Durchdringung der Provinz Epeiros mit dem Christentum in der Mitte des 3. Jh.s hinweisen. Auch die Kyrenaika kam sehr früh in Kontakt mit der neuen Religion. N a c h der Apostelgeschichte [9. 20] schlossen sich kyrenische Juden den ersten j u d e n christlichen G r u p p e n an, u m die Griechen in Antiochia zu missionieren. Die christliche Gemeinde der Kyrenaika hatte gewiß schwer unter dem großen j ü dischen Aufstand von 115-117 gelitten, aber ihre Ö f f n u n g für N i c h t j u d e n wird ihr Überleben u n d ihr neues Aufleben nach dem Sturm gesichert haben. Bis zur Mitte des 3. Jh.s hatte sich die soziale u n d wirtschaftliche Situation der Provinzen der Balkanhalbinsel, insbesondere diejenige von Makedonien, T h r a kien, Epeiros und Achaia, aufgrund des zwei Jahrhunderte währenden Friedens, die ihnen das Kaiserreich geschenkt hatte, verbessert. Freilich war die städtische Verwaltung nicht immer zureichend u n d zwang die Kaiser oft zu direkten E i n griffen durch B e n e n n u n g von Logisten, d. h. von Stadtkuratoren. Dieses A m t bekleidete z. B. zu Beginn des 3. Jh.s der Thessaloniker T. Aelius Geminius M a cedo in der freien Stadt Apollonia in Illyrien [IG X 2, 181]. Dieser M a n n hatte nacheinander alle wichtigen Amter seiner eigenen Stadt innegehabt, war dann Archont des Panhellenions in Athen, Priester des vergöttlichten Hadrian, Agonothet der großen Panhellenia u n d Logist in Apollonia, am westlichen Ende der via Egnatia, geworden. Ab 250 verschlechterte sich die Situation drastisch durch
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die germanischen Invasionen, die Makedonien und Griechenland zwischen 250 und 268 trafen. Die Plünderung Athens durch die Heruler im Jahr 267 war eine furchtbare Heimsuchung, doch scheint sie das Leben in Athen nicht dauerhaft verändert zu haben. Die Befestigungsanlagen wurden instand gesetzt, und Ar r mee-Einheiten bezogen in Griechenland Quartier, um im Falle einer Invasion von der Donau aus einzugreifen. N e b e n Athen hatten die Heruler auch Korinth, Sparta und Argos in Flammen aufgehen lassen. Im Jahr 269 wurden Thessalonike und Kassandreia von den Goten belagert. Eine neue Epoche begann, die Spätantike, die für Griechenland und Makedonien das Ende der Freiheit und einen größeren Bruch bedeutete, als der Ubergang zwischen Hellenismus und Hoher Kaiserzeit es gewesen war.
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8 Die anatolischen Provinzen Von Maurice Sartre Das römische Anatolien zwischen Agäis und Kaukasus stellt sich aufgrund der Vielfalt seiner Landschaften und Klimate [Broughton 1/962, S. 599-607; Karte bei Mitchell 22, S. 10], seiner höchst unterschiedlichen Ethnien und seiner Geschichte als Konglomerat dar. Als R o m dort Herr wurde, mußte es seine Politik darauf abstimmen. Die ersten drei Jahrhunderte unserer Zeitrechnung sind in Anatolien vor allem durch den zurückgekehrten Frieden gekennzeichnet. Dieser neue Zustand begünstigte einen schon lange ablaufenden Prozeß, den der Hellenisierung des Landesinneren, was sich am deutlichsten in der Ausbreitung der griechischen Sprache, Lebensweise und Organisationsformen, insbesondere der polis, zeigt. Die Eroberung durch R o m stellt in dieser Hinsicht keineswegs einen Bruch dar. Ganz im Gegenteil förderte sie die Integration der indigenen (d. h. nichtgriechischen) Völker in die kulturelle Gemeinschaft, die den gesamten griechischen Orient umfaßte, die ihre bedeutendste Ausprägung aber in Anatolien erfuhr. Jedoch fand dieser Prozeß nicht zu seiner Vollendung, und während der ganzen Hohen Kaiserzeit blieb stets ein deutliches Gefälle zwischen den westlichen und südlichen Regionen, die urbanisierter und hellenisierter waren, und den östlichen Regionen, in denen die Stadt, ihre Bautypen und ihr Wertesystem nur eine Randerscheinung blieben.
8. 1 Die Etappen der Provinzialisierung 8. 1. 1 Der Orient nach Actium Nach seinem Sieg übernahm Octavian weitgehend die Organisation des Antonius, die auf dem Nebeneinander von Provinzen unter römischen Promagistraten und Vasallenstaaten, die von indigenen Fürsten beherrscht wurden, basierte. Diese Fürsten konnten ihr Land ererbt haben oder von R o m eigens für diese Funktion ausgewählt werden [Karten und Details der Veränderungen bei Rémy 643; Karte Mitchell 22, gegenüber S. 40]. Nur zwei Provinzen, Asien und Bithynien, blieben erhalten. Asien entsprach weitgehend dem alten Königreich Pergamon, das R o m 133 v. Chr. geerbt hatte. Diese Provinz deckte die wesdiche Front Anatoliens zwischen den Küsten der Propontis und Karien ab und beinhaltete auch die großen Inseln vor der Küste (Lemnos, Lesbos, Samos, Chios). Ins Innere reichte sie bis Phrygien und Pisidien und umfaßte die großen, fruchtbaren Täler von Kaikos, Hermos, Kaystros und Maiandros. In Asien befanden sich die am frühesten hellenisierten Regionen, insbesondere Ionien, wo sich auch die Hauptstadt Ephesos befand. Bithynien, das R o m 74 v. Chr. von Nikomedes IV. geerbt hatte, bestand aus dem
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eigentlichen Bithynien im Westen mit der Hauptstadt Nikomedia und den westlichen und zentralen Teilen des ehemaligen Königreiches Pontos mit den Städten Amastris, Sinope und Amisos. Hinter den Provinzen umfaßten die drei Vasallenreiche Galatien, Kappadokien und Pontos den größten Teil Zentral- und Ostanatoliens. Im Zentrum erstreckte sich Galatien über das Plateau, das den Tatta-See umgab, und seine westlichen Ränder. Antonius hatte diese Landschaft dem Dynasten Amyntas zusammen mit der Herrschaft über die drei galatischen Stämme gegeben, die Tektosagen (Ankyra), Trokmer (Tavium) und Tolistoagier (Pessinus), wobei Ankyra als gemeinsame Hauptstadt fungierte. Amyntas wechselte noch vor Actium die Seiten und wurde deshalb mit einer Erweiterung seines Herrschaftsbereiches nach Süden belohnt. An ihn fielen Lykaonien und die Küste der Kilikia Tracheia inklusive Derbe und Laranda in Isaurien. Das im Osten gelegene Kappadokien war ein Bergland. Es erstreckte sich vom zentralanatolischen Plateau bis zum Lauf des oberen Euphrat. Die iranische Dynastie, die das Land seit dem Ende des Achämenidenreiches beherrscht hatte, war von Antonius 36 v. Chr. abgesetzt worden. Neuer Herrscher wurde Archelaos, ein Enkel des ehemaligen Admirals von Mithradates VI. und ehemaliger Sekretär des Königs Deiotaros. Im Nordosten, zwischen der Pontosküste und dem Kaukasus, restaurierte man ein Königreich Pontos, das dem östlichen Teil des ehemaligen Reichs von Mithradates Eupator entsprach. Es wurde 37 v. Chr. dem griechischen Rhetor Polemon von Laodikeia am Lykos (Karien) unterstellt. Octavian bestätigte alle drei Könige, doch ließ er Polemon bis 26 warten, der Antonius die Treue allzu lange gehalten hatte. Außerdem nahm er ihm Kleinarmenien, das er Artavasdes, dem König des atropatenischen Medien, einem treuen Vasallen Roms, übertrug. Neben diesen drei großen Königreichen existierten unzählige Kleinfürstentümer, Bünde und freie Städte. Augustus nahm einige Veränderungen während seiner Besuche auf Samos (Herbst/Winter 31/30, dann August 30) vor, aber die antonische Organisation blieb im wesentlichen bestehen. Im Norden von Galatien behielt Paphlagonien (Hauptstadt: Gangra) seinen König, den Galater Deiotaros Philadelphos. Octavian ließ auch einige Dynasten im Amt, die über winzige Herrschaftsbereiche geboten, wie die Hohepriester im kappadokischen Ko mana, die Teukriden in Olba (Kilikia Tracheia), Kleon von Gordiukome, der das Priestertum des Zeus Abrettenos in Mysien erhielt und später kurzfristig das des pontischen Komana. Der Galater Ateporix beherrschte die Karanitis (Pontos), und nicht namentlich bekannte Dynasten regierten im pontischen Amasela. Nur wenige verloren ihre Stellung. Adiatorix, der Statthalter von Herakleia Pontika, der etliche Römer hatte massakrieren lassen, wurde hingerichtet, und einige lokale Tyrannen setzte man ab, so in Amisos, Kos und Tarsos. Viele Freunde von Antonius behielten also ihre Position. Dagegen wurden die an Kleopatra und ihre Kinder verschenkten Territorien wieder römischer Autorität unterstellt. Die Kilikia Pedias etwa schlug man zu Syrien. Zypern wurde wieder zur Provinz, was es zuvor seit 59 gewesen war. Dort war zwischen 27 und 22 ein kaiserlicher Prolegat tätig, ehe es dem Senat überlassen wurde, der dorthin
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Prokonsuln prätorischen Ranges entsandte. Die griechischen Städte, die ihre Freiheit bewahrt hatten, blieben auch von Octavian unbehelligt. Lykien war weiterhin ein Bund freier Städte, Rhodos, Kyzikos und Amisos waren theoretisch nicht Teil der jeweiligen Provinzen, doch unterlagen sie sämdich der faktischen (wenn nicht sogar rechtlichen) Autorität Roms. Daß Octavian die antonische Organisation des Orients nicht antastete, entsprang einer Mischung aus Pragmatismus und Notwendigkeit. Das System hatte seine Effizienz bewiesen, und man konnte nicht überall Personen austauschen und Strukturen verändern, zumal der neue Herr kaum persönliche Freunde in der Region hatte, obwohl sich unter seinen Lehrern und Beratern einige asiatische Griechen befanden: sein Lehrer Athenodoros und sein Freund Nestor, beide aus Tarsos, Xenarchos aus Seleukeia am Kalykadnos und der Sohn von Theophanes von Mitylene, Pompeius Macer [Bowersock 1/635, S. 36]. Der Freigelassene C. Iulius Zoilos von Aphrodisias, ein großer Honoratior in seiner Stadt, zählte schon seit 39/38 zu den Schützlingen Octavians [Reynolds 1/700]. Aber natürlich gewann der Sieger Octavian mühelos die Freunde von Antonius für sich. Die Beibehaltung der anatolischen Vasallenstaaten war vielleicht gar nicht als definitive Lösung gedacht, sie sollten also die Integration vorbereiten, nicht ersetzen. Augustus zeigte sich pragmatisch, indem er auf gravierende Umbrüche verzichtete. Die Annektierungen nach 25 v. Chr. geschahen meistens nach dem Tod eines Vasallenfürsten. Die Provinzialisierung war demnach zumeist keine Vergeltungsmaßnahme gegen einen unfähigen Fürsten. Sie bestätigte vielmehr den Erfolg der Befriedung und, in geringerem Maße, der Urbanisierung.
8. 1. 2 Die Integration der Vasallenstaaten von Augustus bis Vespasian 25 v. Chr., als König Amyntas von Galatien im Kampf gegen die nicht unterworfenen Stämme Lykaoniens gefallen war, wurde sein Reich zu einer römischen Provinz gemacht. Strategische Erwägungen könnten dabei eine Rolle gespielt haben, denn sein Reich verband Asien und Syrien (obwohl Kappadokien natürlich noch teilweise einen Puffer bildete). 6 v. Chr. vergrößerte sich die Provinz um Paphlagonien, als dessen König Deiotaros starb. 3 v. Chr. schließlich kamen Bezirke von Pontos Galatikos (Karana-Sebastopolis, Sebasteia) hinzu, Amaseia folgte 2 v. Chr. Diese Zuwächse von Galatien gingen einher mit Gebietsverlusten im Süden. Lykaonien und die Kilikia Tracheia, die Amyntas gehört hatten, gab man 20 v. Chr. Archelaos von Kappadokien, der gleichzeitig auch Kleinarmenien aufgrund des Todes von Artavasdes erhielt. Im selben Jahr erhielt Philopator I. das Königreich, das sein Vater Tarkondimotos bis zur Schlacht von Actium im Amanos besessen hatte. Auch die Annektierung Galatiens konnte nichts daran ändern, daß die aufsässigen Stämme Lykaoniens, die Amyntas das Leben gekostet hatten, weiter in Aufruhr blieben. Zu einem unbekannten Zeitpunkt, für den manchmal kurz nach 12 v. Chr. angegeben wird, der aber nur zwischen 6 und 1 v. Chr. liegen
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kann [4/3 nach Hall 90], führte P. Sulpicius Quirinius dort Krieg gegen die Homonadeis. Er war äußerst erfolgreich und konsolidierte seine Siege durch den Bau einer Straße. Die via Sebaste erleichterte Truppenbewegungen in dieser recht unsicheren R e g i o n , indem sie die Kolonien Pisidiens u n d Lykaoniens verband, die gleich nach der Provinzialisierung angelegt worden waren [Levick 1/ 719, S. 34-38 und 195-199]. Trotzdem kam es 6 n. Chr. zu einem neuerlichen Aufstand in Isaurien, doch dies sollte der letzte sein. Augustus' Tod bedeutete keinerlei Verlangsamung der integratorischen Politik. Wenn auch Caligula und Claudius manchmal der Restauration von R e g i e rungen zuneigten, die nach ihrer M e i n u n g der orientalischen Natur entsprachen [Frézouls 41], tendierte man insgesamt doch zur Provinzialisierung ganz Anatoliens [Bd. I, S. 214-224], 15 n. Chr. w u r d e Archelaos von Kappadokien abgesetzt. Er hatte m e h r als ein halbes Jahrhundert geherrscht und sein R e i c h durch R o m s Gunst und seine Ehe mit Pythodoris, der W i t w e des Königs von Pontos, Polemon I., sehr vergrößern können. Tiberius annektierte sein R e i c h und ernannte einen Prokurator, doch ließ er Pontos der Königin Pythodoris. Diese Annektierung gab R o m die direkte Kontrolle über das ganze anatolische Plateau u n d seine Bergränder bis hin zum Euphrat. Die territoriale Kontinuität mit Syrien w u r d e fast gleichzeitig erzielt, denn Tiberius schlug 17 n. Chr. Kommagene und das Königreich Amanos zur Provinz Syrien. Als Pythodoris wohl 33 n. Chr. [Baldus 170] starb, zog man schließlich das Königreich Pontos ein. N u n m e h r befand sich die ganze Ostgrenze vom Pontos Euxeinos bis zum Euphratknie und der syrischen W ü s t e unter direkter Verwaltung. Vasallenreiche gab es nur noch in den Bergregionen der Kilikia Tracheia: das von Archelaos II., d e m Sohn von Archelaos von Kappadokien, der nach dem Tod seines Vaters Kilikia Tracheia mit Derbe u n d Laranda erhalten hatte, und das der Teukriden von Olba, w o zwischen 1 2 / 1 3 u n d 16/17 ein Hohepriester und Toparch über die Nachbarvölker der Kennatai und Lalasseis herrschte. Ihm folgte (wohl 17 n. Chr. anläßlich der Veränderungen im Gefolge der Annektierung Kappadokiens) M . Antonius Polemo, ein Sohn der Königin Pythodoris von Pontos [Barrett 174]. D o c h noch vor 36 verschwand der Priesterstaat, u m einem einfachen Koinon der beiden Völker Platz zu machen. Caligula stützte sich wieder m e h r auf Vasallen, unter denen sich mehrere Cousins von ihm fanden [Frézouls 41]. Er restaurierte 3 7 / 3 8 Antiochos IV. in Kommagene und gab ihm die Kilikia Tracheia, deren Herrscher Archelaos II. gerade gestorben war. Kleinarmenien und weiteres Land (vielleicht in der Sophene) bekam Kotys IX., ein Sohn von Antonia Tryphaina und Kotys VIII. von Thrakien. Pontos w u r d e an Polemon II. zurückgegeben, der auch den k i m m e rischen Bosporos erhielt, w o er aber nie faktisch herrschen konnte. Claudius verfolgte zunächst eine ähnliche Politik. Die Anfänge seiner H e r r schaft sind von einer R e i h e von Restaurationen gekennzeichnet. 41 erhielt A n tiochos IV. Kommagene zurück, das ihm Caligula zuletzt wieder g e n o m m e n hatte. Er behielt die kilikischen Territorien, denn er schlug den Aufstand der
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Kietai von Troxobor 52 n. Chr. nieder. Spätestens 41 restaurierte Claudius auch den Staat Olba, nicht zugunsten von Polemon II. von Pontos [Cass. Dio 60. 8. 2], sondern zugunsten des Sohns des ehemaligen Dynasten M. Antonius Polemo [Sartre 23, S. 42]. Er regierte bis unter Galba (69). Aber Claudius nahm auch zwei größere Annektierungen vor, die Tiberius' Politik fortsetzten. 43 n. Chr. wurde Lykien unter dem Vorwand annektiert, daß man den dortigen inneren Streitigkeiten ein Ende setzen müsse und römische Bürger dort zu Unrecht zum Tode verurteilt worden seien [Rémy 1/643, S. 34-37]. Dieses Land wurde mit Pamphylien zu einer neuen kaiserlichen Provinz prätorischen Ranges vereinigt. Lykien behielt aber seine alten Bundesinstitutionen, die der Autorität des Statthalters unterstellt wurden. 44 n. Chr. wurde R h o d o s annektiert, das bis dahin eine freie „befreundete und verbündete" Stadt gewesen war. Auch hier berief man sich auf den Tod römischer Bürger während innerer Streitigkeiten. Doch 53 n. Chr. erhielt Rhodos die Freiheit zurück. Der Regierungsantritt Neros war vor allem durch die Wiederaufnahme einer aktiven Armenienpolitik gekennzeichnet, was zur Einsetzung eines Vasallenfürsten in Artaxata durch Corbulo führte, woran Claudius zuvor gescheitert war [Chaumont 1/655, S. 101-123]. Wahrscheinlich deshalb nahm man einige administrative Anpassungen vor. Ein großes Kommando, das Galatien und Kappadokien umfaßte, wurde Ende 54 oder Anfang 55 für Corbulo eingerichtet und bis 64, vielleicht sogar bis 66/67 beibehalten [Rémy 1/643, S. 39]. Gleichzeitig erhielt der Araber Suhaimos, der gerade das Fürstentum seines Bruders Azizos in Emesa geerbt hatte, die Sophene (Kotys IX. war 54 gestorben), und Aristobulos, der Sohn des Herodes von Chalkis, Urenkel von Herodes, wurde nach Kleinarmenien entsandt. N o c h vor 60 mußte sich Suhaimos mit Emesa begnügen, denn sein Name fehlt in der Liste der Nachbarfürsten Armeniens, welche den neuen König dieses Landes, Tigranes, unterstützen sollten, und das, obwohl die Sophene unmittelbar neben dem Kaukasuskönigreich lag [Barrett 141]. Nach Abschluß der militärischen Operationen in Armenien, vielleicht zum Zeitpunkt der Trennung Galatiens und Kappadokiens, annektierte man Pontos und gliederte dieses Land an Galatien an. Damit wurde der in Ankyra sitzende Statthalter für einen Teil der Ostgrenze zuständig, nämlich für den Abschnitt am R a n d e des Schwarzen Meeres. Wenig später, 68 n. Chr., trennte man Pamphylien von Lykien und gliederte es an Galatien an, das sich damit vom Schwarzen Meer bis zum Mittelmeer erstreckte. Nach dem Verschwinden der kilikischen Kleinkönige zwischen 68 und 72 und der Annektierung Kleinarmeniens 72 n. Chr., das zu Kappadokien geschlagen wurde [Cumont 40], gab es keine Vasallenstaaten in Anatolien mehr. Vespasian hatte keinen Grund, der julisch-claudischen Politik gegenüber den Vasallenkönigen zu folgen, zu denen er keinerlei persönliche, familiäre oder historische Beziehungen hatte [Frézouls 41]. Er schaltete die königlichen Dynastien aus, deren erfolgreichste Nachkommen in der neuen Führungsschicht Aufnahme fanden und von denen einige wenige sogar das Konsulat erreichten.
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8. 1. 3 Reorganisation und Eroberungen von den Flaviern bis Aurelian Die vollständige Provinzialisierung Anatoliens beendete nicht die Grenzverschiebungen. Die Provinzeinteilung änderte sich fortwährend, ohne daß wir die Gründe so recht kennen würden. Vespasian schuf eine einzige zentralanatolische Provinz, indem er Galatien und Kappadokien (mit allen Dependancen: Pontos, Pisidien, Paphlagonien, Kleinarmenien, Lykaonien, Isaurien) vereinigte und sie einem konsularischen Legaten unterstellte, der zusammen mit dem syrischen Statthalter die parthische und armenische Front kontrollierte. I. J. 74 [Eck, Chiron (1982) 293-295] oder schon 70/71 [Rémy 1/643, S. 63] wurde Pamphylien mit Lykien vereinigt, um die Ausdehnung der neuen Provinz zu verringern. Zwischen 107 und 113 trennte Traian Galatien und Kappadokien wieder. Kappadokien und Kleinarmenien einerseits und Galatien und seine Dependancen Paphlagonien, Pisidien, Lykaonien, Isaurien und Pontos andererseits wurden zwei kaiserlichen Legaten unterstellt. Aber schon 114 wurden Pontos Polemoniakos und Pontos Galatikos, die von Ankyra aus nur schwer zu verwalten waren, wieder an Kappadokien angegliedert. Galatien wurde für den Verlust dieses Meerzuganges durch den Gewinn von Abonuteichos, Sinope und Amisos entschädigt. Traians Feldzug gegen Armenien 114 n. Chr. endete mit der Angliederung des Königreichs an die Provinz Galatien. Ein Prokurator kümmerte sich um die Finanzverwaltung des neuen Bezirks. Doch bereits 118 räumte Hadrian, der sich bewußt war, wie wenig abgesichert die Eroberungen waren, die neuen Provinzen und unterstellte Armenien wieder einem König. Das römische Anatolien endete wieder am Euphrat. Für mehr als ein Jahrhundert blieb nun die innere Organisation stabil, trotz zahlloser Detailveränderungen [Rémy 1/643], die oft nur kurze Zeit Bestand hatten und die im einzelnen darzulegen zu weit führen würde. Die einzige größere Veränderung erfuhr Lykien-Pamphylien, zu dem Isaurien und ein Großteil Pisidiens (ohne Antiochia) geschlagen wurden. Spätestens 202 richtete Septimius Severus wieder ein Kilikien ein, das um Lykaonien und Isaurien vergrößert war. Spätestens um 221 wurde Ostgalatien um Tavium an Kappadokien angeschlossen [Christol/Loriot 39]. Warum die Einheit des galatischen Ethnos zerstört wurde, wissen wir nicht. Wohl unter Severus Alexander [Christol/Loriot 38], nach 227/8 und spätestens 233-235 entstand eine Provinz Pontos, die gleichzeitig Pontus Mediterraneus (Amasia, Zela, Neokaisereia, Komana und Sebastopolis) und die Küstenzone von Pontos Polemoniakos (Polemonion, Kerasos, Trapezus) sowie die beiden Häfen Sinope und Amisos im Westen umfaßte. Diese neue Provinz unterstand einem ritterlichen praeses. Sie wurde 249/250 mit Galatien zusammengelegt, Probus aber gab ihr wieder den Status einer eigenen Provinz [Christol/Loriot 38]. Diese Provinzzersplitterung, die Pontus von Galatien trennte, ist keine isolierte Erscheinung. Spätestens 249 begann auch die Zerstückelung der Provinz Asien mit der Entstehung der Provinz Phrygien-Karien [Rouéché 44; Christol/Drew-Bear 36;
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A E 1991, 1514]. Acht Provinzen teilten sich also den anatolischen R a u m , als die Reformen von Diokletian begannen.
8. 2 Verwaltung und Verteidigung Anatolien ist zu groß, als daß man die Aufgaben der römischen Armee und Administration auf ein einzelnes Ziel reduzieren könnte. Steuererhebung und innerer Friede waren, wie überall, die hauptsächlichen Aufgaben. Während enteres in ganz Anatolien etwa gleich funktionierte, mußte man sich bei zweiterem verschiedenen lokalen Situationen anpassen. 8. 2. 1 Die Zielsetzungen Eine Aufgabe der römischen Armee war die Befriedung des Landes. Seit Pompeius' erfolgreicher Aktion gegen die Piraten schien auch die binnenländische Räuberei zurückgegangen zu sein. Jedoch zeigen die Feldzüge des Amyntas von Galatien und des P. Sulpicius Quirinius gegen die Homonadeis Lykaoniens und die Expedition von M . Plautius Silvanus gegen die Isaurier, daß sie auch unter Augustus noch existierte. Das Amt des Eirenarchen wurde in der Kilikia Tracheia von den bedeutendsten Persönlichkeiten der einzelnen Städte bekleidet und findet oft Erwähnung, was man als Zeichen seiner Bedeutung interpretieren kann [Hopwood, in: 1/517]. Die Aufstände der Kietai zeigen, daß die römische Kontrolle locker blieb. Allerdings scheint man das Räuberunwesen nach der Mitte des 1. Jh.s in den Griff bekommen zu haben. Erst am Ende des 2. Jh.s [Schindler 167] und im 3. Jh., im Chaos der Barbareneinfälle, wurde die R ä u berei in den Bergregionen des Südwestens wieder zum Problem. Die Beziehungen zu Armenien und den Parthern [Chaumont 1/655] bestimmten die militärische Organisation des anatolischen Ostens. Die Erinnerung an Tigranes blieb den römischen Strategen stets im Bewußtsein, und so fürchtete man, daß sich ein feindlicher Fürst in Artaxata mit den Parthern verbünden könnte. R o m ängstigte der Gedanke, sich gleichzeitig mit den Parthern entlang des mittleren Euphrats und den Armeniern am oberen Tigris auseinandersetzen zu müssen. Die Einsetzung eines Vasallenfürsten in Artaxata schien diese Drohung zu beseitigen. In Wirklichkeit waren vor den Sasaniden direkte Aggressionen durch Parther oder Armenier selten. Ein Angriff auf Kappadokien durch Artabanos beim Tod von Zenon-Artaxias von Armenien i. J. 35 steht vor dem Feldzug von 162 isoliert da. Ansonsten war es eigentlich stets R o m , das losschlug. Die römische Armee an Euphrat und Tigris diente also nicht nur zur Abwehr eines Einfalls, sondern auch als Brückenkopf für Feldzüge in den Kaukasus [Isaac 22 (Bibl. Kap. 9)]. Die Kontrolle Armeniens sollte auch vor Invasionen aus dem Norden schützen. R o m kannte die Kaukasusstämme gut, die politisch und kulturell sehr zersplittert waren [Arr. peripl. p. E. 6], Zahlreiche Klientelbeziehungen mit den Iberern, den Albanern, den Mardern und dem König des atropatenischen M e dien sicherten neben der Armee die römische Position. R o m überwachte die
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Küstenvölker von Pontos, Kolchis und dem heutigen Abchasien, deren Könige man ernannte [Arr. peripl. p. E. 15], bis nach Dioskurias/Sebastopolis, das zu dem Zeitpunkt der Statthalterschaft Arrians in Kappadokien die Grenze des Reiches darstellte [Arr. peripl. p. E. 26]. Auch die guten Beziehungen zu den Königen des kimmerischen Bosporos dienten der Sicherheit Kleinasiens. Die Bedrohung durch die Barbaren wurde vor dem 3. Jh. nur selten konkret. 72 brachen die Alanen ins atropatenische Medien und nach Armenien ein [los. bell. lud. 7. 244-251; Suet. Domit. 2. 2; Halfmann 31]. 135 stürzten sie sich auf Medien und bedrohten Kleinarmenien und Kappadokien, dessen Statthalter Flavius Arrianus uns eine Beschreibung seiner Verteidigungsaufstellung hinterlassen hat [Arrian 4; Bosworth 24]. Der Angriff wurde abgewehrt, doch die Stämme im Südosten des Schwarzen Meeres bewahrten lange eine Quasiautonomie, und Arrian erzählt, wie schwierig es war, bei ihnen den Tribut zu erheben [Arr. peripl. p. E. 15], Die Schwächung der römischen Verteidigung unter dem doppelten Druck der Perser im Osten und der Barbaren an der Donau in Verbindung mit dem Verschwinden des Vasallenstaates des kimmerischen Bosporos [Zos. 1. 31. 1] erlaubte den „Skythen" und Boranern in der Mitte des 3. Jh.s, die Städte der Nordküste systematisch zu plündern. Anatolien fand sich gefangen zwischen den Persern im Südosten (Einfall von 253 bis Satala) [Kettenhofen 47 (Bibl. Kap. 9)], den „Skythen" im Nordosten, den Goten im Nordwesten (Plünderung von Ephesos und Pessinus um 251-253, Einnahme von Chalkedon, Kyzikos und einigen bithynischen Städten 256 oder 258/9). Der Gegenangriff Valerians von Antiochia in Syrien aus nach Kappadokien wurde bald gestoppt, als ein neuer persischer Vorstoß nach Syrien bekannt wurde. Nach der Niederlage und Gefangennahme Valerians stießen die Perser bis nach Kilikien, Isaurien und in die Kilikia Tracheia bis Selinus vor und marschierten weiter nach Kappadokien und Lykaonien. Nach dem Abzug der Perser wurde 261/2 Anatolien weithin von den Goten verwüstet, von der Troas bis Kappadokien. Massaker und Massendeportationen trafen alle Regionen und besonders die chrisdichen Gemeinden (einige ihrer Mitglieder wurden zu den Aposteln der Goten). Neuerliche Raubzüge trafen Herakleia Pontika 266 n. Chr. Die Heruler plünderten Kyzikos 267 und Pamphylien 268/9 [Kettenhofen 32]. Gotische und „skythische" Piraten kreuzten in der Agäis. Nachdem die palmyrenischen Truppen, die nach Bithynien hatten marschieren wollen, zurück in Syrien waren, erlitt Anatolien 275/6 eine letzte Invasion, die Pontos, Kappadokien und Kilikien traf und gegen die Tacitus und Probus kämpften. 8 . 2 . 2 Die Standorte der Armee Jede anatolische Provinz besaß eine permanente Garnison, die jedoch manchmal nicht größer als eine Auxiliareinheit war. Legionstruppen fanden sich nach der Konsolidierung Anatoliens nur im Osten, entlang der Euphratgrenze. Anscheinend gab es in Asien und Bithynien unter Augustus keine Legion [Mitchell 22, S. 73]. Nach der Annektierung Galatiens standen dort zwei Legio-
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nen, die VII (die spätere Claudia) und eine zweite, möglicherweise die V Macedonica [Speidel, in: 1/517]. U m 7 / 8 n. Chr. verließen sie die Provinz u n d w u r den nicht ersetzt. Trotz der Annektierung Kappadokiens 17 n. Chr. w u r d e n erst unter den Flaviern dauerhaft Legionstruppen in den Osten verlegt, als die XII Fulminata in Melitene Quartier bezog. Da die kappadokische Statthalterschaft in dieser Periode von kaiserlichen Legaten konsularischen Ranges bekleidet w u r de, vermutet man, daß sich eine zweite Legion in Satala im N o r d e n befunden habe. Sicher lag dort ab Traían die XVApollinaris. W ä h r e n d zwei Legionen über den Euphrat wachten, bezogen Auxiliartruppen die Kleinkastelle entlang des kappadokischen Limes, einige Garnisonen in den Binnenprovinzen u n d Vorposten weiter im Osten. D e r Limes bestand aus einem ziemlich lockeren Netz von Kastellen, die am ganzen oberen Euphrat verteilt waren, von Z e u g m a bis Erzincan, von dort in gerader Linie bis Trapezus [Hellenkemper/Mitford, in: I / 5 1 4 / I I ; Mitford 1/528], Dieses sehr bergige Land bietet nur wenige Passagen in Ost-West-Richtung durch die Täler der Euphratzuflüsse und im oberen Euphrattal selbst, w o der Euphrat in O s t - W e s t - R i c h tung fließt. In den Binnenprovinzen waren die Garnisonen viel schwächer, w e n n auch, wie gesagt, j e d e Provinz mindestens eine Auxiliareinheit besaß [Genaueres bei Speidel, in: 1/517], Einige Einheiten standen als Vorposten viel weiter im Osten. Eine R e i h e von Küstenforts zwischen Trapezus u n d Dioskurias/Sebastopolis zog sich an der Küste entlang und diente einerseits dem Kampf gegen die Piraten (dort war die classis Pontica stationiert) [French 30] und der Kontrolle der Passagen durch die Kaukasuspässe [Bosworth 25; Speidel 35]. Ein praepositus orae gentium Ponti Polemoniani residierte wahrscheinlich in Apsaros in der zweiten Hälfte des 2. Jh.s [AE 1956, 124]. Kleine Forts gab es an der abchasischen Küste bis Dioskurias/ Sebastopolis unter Hadrian und bis Pityus in der Mitte des 3. Jh.s. Im Binnenland gab es einen römischen Posten in Gorneai (Gorni) in Armenien unter Claudius [Tac. ann. 12. 45. 3] mit einem Präfekten und einem Zenturionen, einen weiteren in Harmozica in Iberien u m 75 [ILS 8795], einen dritten in Kainopolis in Armenien unter Marc Aurel [ILS 394, 9117]. Ein weiterer wesentlicher Aspekt der römischen Strategie war der Straßenbau. N u r Augustus, die Flavier u n d Septimius Severus waren in diesem Bereich tätig. Als erstes legte man die via Sebaste an, die die neuen Kolonien im Binnenland miteinander verband. U n t e r den Flaviern bedingte die Errichtung des E u phratlimes den Bau bequemer Wege nach Osten. Von Ankyra aus, d e m zentralanatolischen Knotenpunkt, liefen Straßen nach Nikomedia, Apamea in Phrygien, den Kilikischen Toren und zum Euphrat (über Tavium und Sebasteia im N o r d e n oder über das kappadokische Kaisareia im Südosten) [French 111]. 198 schließlich w u r d e eine großangelegte E r n e u e r u n g der Straßen in Galatien, Kappadokien, Pontos-Bithynien und Lykien-Pamphylien u n t e r n o m m e n [Christol/ Drew-Bear 27], 2 0 1 / 2 fand sie in Asien statt [Christol/Drew-Bear 37].
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8. 2. 3 Die Organisation der Provinzen Die ältesten Provinzen Asien u n d Bithynien gingen schon 27 v. Chr. an den Senat, während die in der Folge entstehenden Provinzen zunächst dem Kaiser unterstellt waren, der sie durch einen legatus Augusti propraetore verwalten ließ. Die Kaiser veränderten sowohl den Status als auch die F o r m der anatolischen Provinzen häufig. So w u r d e Pontos-Bithynien u m 109-113 einem kaiserlichen Legaten konsularischen Ranges unterstellt (Plinius dem Jüngeren), was sich nach 165 wiederholte. U m g e k e h r t ging Lykien-Pamphylien u m 162 u n d w i e d e r u m ab 178-80 an den Senat [Bd. I, S. 182-186; S. 190-200], Schon die N a m e n der meisten anatolischen Provinzen zeigen, daß sie jeweils verschiedene Landschaften umfaßten [Bd. I, S. 187f.]: Pontus et Bithynia, Galatia et Pisidia et Paphlagonia et Lycaonia, Cappadocia et Armenia Minor, Cilicia, Lycaonia et Isauria, Lycia et Pamphylia, wobei es zahllose Modifikationen j e nach den territorialen Veränderungen durch die Kaiser gab [Rémy 1/643]. Innerhalb der Provinzen bewahrte j e d e Landschaft ihren eigenen Charakter, was sich in der Existenz eines regionalen Koinons [Bd. I, S. 208-211] manifestierte. So gab es in der Provinz Pontos-Bithynien zwei Koina, das bithynische Koinon mit Sitz in Nikomedia und das pontische Koinon in Amastris. In Galatien versammelten sich getrennte Koina in Ankyra für das eigentliche Galatien, in Gangra für Paphlagonien, in Neokaisareia für Pontus Mediterraneus, in Nikopolis für Kleinarmenien seit 7 1 / 2 u n d ein weiteres in Lykaonien seit 72. Allein in Asien und Zypern gab es nur ein provinziales Koinon für die ganze Provinz. Das Koinon wurde mit Delegierten aus den Städten und Gemeinwesen b e schickt. D e n Vorsitz hatte ein großer Aristokrat inne, dessen verschiedene Titel die einzelnen Aspekte seines Amtes zeigten. Einerseits war er der archiereus, H o hepriester des provinzialen Kaiserkults, und hatte in dieser Funktion eine H o h e priesterin an seiner Seite (zumeist seine Gattin), was an dieflamines u n d f i a m i n i cae des Westens erinnert. Ihre Aufgabe bestand darin, den Kaiserkult entweder in der Hauptstadt des Koinons oder in einer der Städte zu begehen, die das R e c h t erlangt hatten, ein provinziales Heiligtum des Kaiserkults zu errichten. N a c h d e m in Asien provinziale Heiligtümer außerhalb von Pergamon errichtet wurden — zuerst in Smyrna, dann in Ephesos, dann in einigen weiteren Städten — m u ß t e man j e einen archiereus pro Heiligtum wählen [Deininger 1/636; Kearsley 65; Price 1/478]. Ebenso entstanden in Pamphylien provinziale Heiligtümer in Perge, Aspendos und Side, u n d in Kilikien in Tarsos und Anazarba. In Bithynien fanden die gemeinsamen Versammlungen des Koinons in Nikomedia u n d Nikaia statt, in Galatien in Ankyra und Tavium. Man brauchte also einen anderen Titel für den Vorsitzenden des Koinons. Uberall gab es Titel, die aus d e m N a m e n der R e g i o n gebildet waren und die die arche des Magistrats über einen räumlich festgelegten R a u m definierten: Bithyniarch, Pontarch, Galatarch, Paphlagoniarch, Kilikarch, Lykiarch, Pamphyliarch, Kappadokarch, Armeniarch. D e r gutbelegte Titel des Asiarchen in Asien rief seit eineinhalb Jahrhunderten zahlreiche Diskussionen in der Forschung
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hervor, da zwei Texte von mehreren Asiarchen gleichzeitig sprechen [Strab. 14. 2. 42 in Tralleis; Apg. 19. 31 in Ephesos] und einige Asiarchen (wie Hohepriester) als Asiarchen des Heiligtums in irgendeiner bestimmten Stadt bezeichnet werden [Liste bei Friesen 241]. D a sich die Quellen nicht miteinander vereinbaren lassen, beschränkte man sich darauf, eine Äquivalenz zwischen „Asiarch" und „Archiereus" anzunehmen, wobei „Asiarch" nur ein Ehrentitel sei [Rossner 1/897], Diese Ansicht hat sich allmählich durchgesetzt, wurde aber energisch von R . A. Kearsley [63-65] angegriffen, der zu zeigen versuchte, daß die Asiarchen Mitglieder von Kollegien städtischer Beamter seien [R. A. Kearsley, Antichthon 21 (1987) 55]. P. Herz hat das traditionelle System entschieden verteidigt, wobei er in „Asiarch" eine Art Abkürzung von Archiereus von Asien sieht [Herz 62], Diese Ansicht kann sich auf die Autorität der Juristen stützen [Ulp. in dig. 27. 1. 6. 13f.], löst aber nicht alle Schwierigkeiten. Das Koinon erscheint in der Rolle, die es in der Kaiserzeit einnimmt, als römische Erfindung [I. Milet I 2; I. Priene 106, um 51 v. Chr.], fügt sich aber auch in die griechische Tradition von Städtebünden um ein gemeinsames Heiligtum. R o m schuf regionale Strukturen vom Bundestyp überall dort, wo es sie nicht gab, und verpflichtete alle Gemeinden eines Koinons, gemeinsam ihre Loyalität R o m gegenüber zu manifestieren. Das Koinon war auch der bevorzugte Ansprechpartner für die provinzialen Autoritäten und den Kaiser für alle Angelegenheiten, die mehr als eine Stadt betrafen. Es schickte Gesandtschaften nach R o m , traf für die ganze Provinz geltende Entscheidungen (ζ. B. den neuen Kalender der Provinz Asien von 9 v. Chr.), gab seine Meinung ab über die von den Mitgliedsstädten erstrebten Titel und Ehrungen und übermittelte und steigerte die Ehrendekrete, die von fremden Städten für einzelne Bürger getroffen worden waren. Als R e f u g i u m , durch das sich der politische Wille der Provinzialen über die Notabein ausdrücken konnte, war es dem Koinon manchmal m ö g lich, sich erfolgreich gegen die Gängelung durch die römische Administration und insbesondere gegen die Ubergriffe verbrecherischer Statthalter zu wehren. Auf sein Verlangen hin wurden im 1. Jh. kriminelle Statthalter in Asien und Bithynien gerichtlich verfolgt [Brunt 1/607]. Es konnte noch weitere Aufgaben haben. Auf Zypern ζ. B. kümmerte sich das Koinon unter einem „Hohepriester der Insel" um die Prägung eines Bundesgeldes, das alle städtischen Münzen ersetzte. Die Provinzen waren nicht nur durch ein oder mehrere Koina strukturiert, sondern hatten noch eine weitere Unterteilung in Bezirke. Dieses System ist am besten in Asien bekannt, wo es auf republikanische Zeit zurückgeht. Die Liste und die Zahl der Bezirke (dioikeseis, conventus) variierte. 17 v. Chr. [Engelmann 46] gab es zwölf von ihnen (Ephesos, Milet, Halikarnassos, Smyrna, Pergamon, Adramyttion, Hellespont, Sardeis, Kibyra, Apamea, Synnada und Lykaonien) und unter Caligula [Robert 248] dreizehn (zusätzlich Alabanda). Diese conventus scheinen auf kein geographisches oder administratives Vorbild zurückzugehen. Vielmehr nahmen sie keinerlei Rücksichten auf frühere Unterteilungen, was die Verwirrung nur noch vergrößerte [Strab. 13. 4. 12], Ihre
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Größe und die Zahl der Gemeinden, die sie umfaßten, schwankte: bei Halikarnassos waren es vier, bei Milet sechs, bei Apamea in Phrygien mehr als zwanzig und wahrscheinlich um die dreißig bei Sardeis [Habicht 1/639], In den convenías setzte R o m der Zersplitterung der Gemeinden eine regionale Struktur entgegen, die die Verwaltung erleichterte und die Mitglieder der einzelnen conventus zur Zusammenarbeit zwang. Wenn auch der conventus vor allem den R a h m e n der provinzialen Jurisdiktion darstellte [Burton 1/608], suggeriert die (unvollständige) Liste der Mitglieder der asiatischen conventus doch auch einen fiskalischen Hintergrund [Knibbe 42], Auch der provinziale Kaiserkult nutzte diese Struktur, da die meisten Hauptorte provinziale Feiern abhalten durften. Anderswo haben wir nicht soviele Informationen [Mitchell 22, S. 64 für B i thynien]. In Galatien sprach der Statthalter nicht nur in den Koinonhauptstädten R e c h t , sondern auch bei den drei galatischen Stämmen einzeln, in Ankyra, Tavium und Pessinus. In Kappadokien hatte man die Aufteilung des Landes in elf Strategien beibehalten, die jeweils von einem großen eingeborenen Notabeln geleitet wurden, der manchmal Hohepriester eines großen Heiligtums wie dem von Komana war. D i e Schaffung neuer Strukturen darf in ihrer Tragweite nicht unterschätzt werden. Teilweise wurden die alten indigenen Strukturen wie die lokalen Koina Asiens (von Lesbos, der dreizehn ionischen Städte, von Athena Ilias in der Troas und von Zeus Panamaros in Karien) auf eine gänzlich lokale und religiöse R o l l e beschränkt. Einige alte Strukturen wurden sogar ganz aufgelöst. Das Koinon der Mysier der Abbaitis in Nordostlydien, das seit der Attalidenzeit mehrere Völker und Stämme der R e g i o n umfaßte, erschien nicht mehr im flavischen conventusVerzeichnis, wo jedes Gemeinwesen einzeln genannt wurde. Die Zerstörung der Bundesstrukturen „öffnete die Pforte zur Individualisierung der Gemeinwesen und damit langfristig zur Entwicklung von Städten" [Debord 125, S. 351],
8. 2. 4 Steuern und Tribut Wenn auch alle Provinzen einen jährlichen Tribut, eine Weidesteuer (scriptum) und Zölle (portorium) (deren Höhe 2,5% des Wertes der Waren betrug, die in die Provinz kamen oder sie verließen) [Betrand, in: 54, II, S. 819f.] entrichten mußten, blieb der größte Teil ihrer Abgaben von der Habgier der Steuerpächter verschont, denn der Tribut wurde direkt von den lokalen Gemeinwesen entrichtet. Pachtgesellschaften fur die indirekten Steuern gab es weiterhin: 23 n. Chr. wurden diese Abgaben noch durch publicani erhoben [Tac. ann. 4. 6. 4]. Eine zusätzliche Bestätigung dafür lieferte im Bereich der portoria die Entdekkung eines Gesetzes über die Vergabe der asiatischen Zölle. Es wurde 6 2 n. Chr. überarbeitet und ergänzt, stützt sich aber auf eine alte lex censoria mit zahlreichen Zusätzen in Fünfjahresabständen (mit langen Unterbrechungen), von 7 2 v. Chr. bis 42 oder 47 n. Chr. [Engelmann/Knibbe 46; Nicolet 48, 49; A E 1989, 681; 1991, 1501]. Die Bekanntmachung des Gesetzes, die Nero 58 verordnete [Tac.
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ann. 13. 51], machte die Steuerzahler mit den Prozeduren von Vergabe und Eintreibung vertraut. Die Tendenz ging jedoch zur direkten Erhebung. Die anatolischen Provinzen profitierten in dieser Hinsicht wie andere Teile des Reiches von Verordnungen, die im Laufe des 2. Jh.s erlassen wurden [Corbier 419]. Z u dieser Entwicklung kam es, weil es zunehmend an reichen Persönlichkeiten fehlte, die die Steuer im voraus zahlen konnten. Man schob so die Risiken der Steuereintreibung den wohlhabenden Bürgern der provinzialen Städte und Gemeinwesen zu. In dieser Zeit erscheinen in Asien und Lykien zum ersten Mal die dekaprotoi und die eikosaprotoi, die angesehensten, d. h. reichsten Honoratioren, die mit ihrem Besitz für den Eingang der Steuer bürgten. Die Höhe der römischen Steuereinnahmen in Anatolien wurde schon in der Antike unterschiedlich geschätzt. Philostrat [vit. soph. 2. 1. 548] behauptet, daß die 500 Städte Asiens in hadrianischer Zeit insgesamt sieben Millionen Denare Tribut zahlten, während Plutarch [Pomp. 45] die Einkünfte R o m s aus Asien in der Mitte des 1. Jh.s ν. Chr. (also nach einer langen Zeit von Unglück und Zerstörung) auf 50 Millionen schätzte (zugegebenermaßen geht es bei Plutarch aber um alle Einkünfte und nicht nur um den Tribut). A. Gara kommt auf eine Gesamtsumme von ziemlich genau 49 Millionen Denaren, aber für alle anatolischen Provinzen [Gara, in: 102], Selbst wenn diese Zahl stimmt, wüßten wir nicht, welchen Anteil am Reichtum der anatolischen Provinzen sie darstellen würde. Man darf aber annehmen, daß der Steuerdruck lange erträglich blieb, denn wir hören vor dem Ende des 2. Jh.s von keinen Klagen der Provinzialen. U n d diese galten dann weniger dem Tribut und den anderen Steuern, als vielmehr den Requisitionen von Naturalien. Im Bereich der Requisitionen gibt es keinerlei kleinasiatische Besonderheiten, aber wir haben von dort besonders viele Texte. Das Edikt des galatischen Statthalters Sex. Sotidius Strabo Libuscidianus (14-15 n. Chr.) [Mitchell 1/619], das eine genaue Liste der Pflichten und Rechte der Einwohner von Sagalassos hinsichtlich Requisitionen durch die Administration liefert, hat zwar in anderen Reichsteilen Entsprechungen, steht aber in chronologischer Hinsicht isoliert da. Denn zumindest für Kleinasien muß man nach diesem Edikt aus den frühen Jahren der Herrschaft von Tiberius bis zur Severerzeit auf neuerliche Klagen der Landbevölkerung über Mißbrauch warten. Die Liste wird im 3. Jh. lang, wobei jedoch die Daten nicht immer genau festgelegt werden können [Herrmann 47]. Das älteste Dokument scheint Pertinax' Brief an die Einwohner von Tabala zu sein [AE 1990, 949]. Dann kommen das umfangreiche Aktenmaterial im Anhang eines Caracallabriefes an die Einwohner von Takina 2 1 2 / 3 , Requisitionen für den cursus publicas in Phrygien [Frend 923], eine Beschwerde von Euhippe in Karien [Robert, O M S I, S. 345-355] und zwei Eingaben lydischer Bauern. In die Zeit von Philippus Arabs gehören der Brief der Bauern der Kaiserdomäne von Arangue bei Appia in Phrygien [OGIS 519] und die Petition der Bewohner von Kavacik (Lydien) 2 4 7 / 8 [ΤΑΜ V, 1, 419], Vier weitere Texte aus dem 3. Jh. stammen ebenfalls aus Lydien, lassen sich aber nicht genauer datieren. In al-
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len diesen Schreiben sind es dieselben Klagen: R e q u i s i t i o n e n durch U n b e f u g t e , ausbleibende Bezahlung der requirierten Tiere, Plünderung von Häusern und Ernten, Einsatz der Arbeitskraft der Landbevölkerung fur Privatinteressen. D i e W i e d e r h o l u n g gleichlautender Beschwerden zeigt die Nutzlosigkeit der M a ß nahmen v o n Kaisern und Statthaltern. D i e massive Konzentration dieser Texte ab der Severerzeit ließ P. H e r r m a n n [47] sich zu R e c h t fragen, ob sie nicht einfach die Krise illustrieren, die damals Kleinasien traf. D i e Klagen der B a u e r n seien u m so bitterer geworden, als die Prosperität geschwunden war. D i e B a u ern waren nicht die einzigen O p f e r des wachsenden Drucks. 204 n. Chr. verordneten kaiserliche Befehle, Mitglieder des Senatorenstandes vor ungerechtfertigten R e q u i s i t i o n e n zu schützen. Dies w u r d e von den Begünstigten in Lydien und Phrygien publiziert [ R o b e r t 19, S. 128-133], U n t e r den B ü r d e n der Provinzialbevölkerung nahm die parapompe (prosecutio), der Unterhalt durchziehender A r m e e n [Mitchell, in: 1/517] und der Straßen [ I G R IV 1206, 1251], einen besonderen Platz ein. D e r D u r c h z u g einer A r m e e artete mitunter zu regelrechten Brandschatzungen aus. Plinius [epist. 10. 77f.] informiert Traian über die Plünderung von Iuliopolis in Mysien durch Soldaten. Elagabals Truppen räuberten in Bithynien, w o sie 2 1 8 / 9 ihr Winterlager hatten [Cass. D i o 79. 4. 5], die von Valerian ruinierten 2 5 2 K a p p a d o k i e n [Zos. 1. 36].
8. 3 Die Städte und die Ausbreitung des Griechentums D i e Ausbreitung des Griechentums ging stets und überall einher mit der G r ü n d u n g von Städten. D i e römische Herrschaft unterbrach diese Entwicklung nicht etwa, sondern erleichterte und förderte sie vielmehr. D i e griechische Stadt erscheint weiterhin als der unverzichtbare R a h m e n zivilisierten Lebens. D i e kaiserzeitliche polis war die Erbin der klassischen Stadt, erlebte aber Veränderungen und war nunmehr in ihren Institutionen und M o n u m e n t e n griechisch-römisch.
8. 3. 1 Städtegründungen 8. 3. 1. 1 D i e Kolonien D i e zahlreichen Italiker u n d R ö m e r , die sich zur Zeit der R e p u b l i k in Asien, Bithynien oder gar Kilikien, Lykien oder Paphlagonien niederließen, taten dies ohne besonderen Status in der Stadt ihrer Wahl. Ihr R e i c h t u m ermöglichte ihnen manchmal den Z u g a n g z u m lokalen Bürgerrecht, da die Griechen schnell erkannt hatten, welche Vorteile sie aus der Anwesenheit v e r m ö g e n d e r u n d einflußreicher R ö m e r ziehen konnten. Kolonien gründete R o m nur wenige. L a m psakos und Herakleia gingen in den S t ü r m e n der Bürgerkriege unter u n d w u r den nicht restauriert. D a g e g e n erneuerte und verstärkte Augustus die K o l o n i e n Alexandria Troas, Parion u n d Apamea-Myrleia. A u ß e r d e m nahm er B o d e n z u weisungen nach d e m Kolonieprinzip ohne K o l o n i e g r ü n d u n g e n in Attaleia in Pamphylien, Amisos in Pontos, Isaura in Isaurien [Broughton 51] und in der
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Provinz Asien, sogar in Neapolis in Phrygien und Apollonia in Pisidien vor [Mitchell 94]. Die angesiedelten R ö m e r wurden vollberechtigte Bürger, so daß die aufnehmende Stadt einen Bevölkerungszuwachs erhielt. Augustus gründete eine R e i h e neuer Kolonien „in Pisidien" [nach seinen eigenen Worten: R . gest. 28]: Antiochia schon 25, dann Olbasa, Kremna, K o m a ma und Pariais im eigentlichen Pisidien, Lystra und Ikonion in Lykaonien, Germa in Galatien und wahrscheinlich Ninika in Isaurien [Levick 1/719, 1/720; Mitchell 1/740]. Dazu kamen dann später nur noch einige vereinzelte Kolonien im Osten und Süden Anatoliens: Archelais in Kappadokien (Garsauira), Colonia in Kleinarmenien, Faustinopolis in Kilikien unter Marc Aurel, vielleicht auch Melitene. Die augusteischen Kolonien waren große Gemeinden von Italikern aus Zentral- und Norditalien, aus Kampanien und der Zisalpina, die in Inneranatolien gegründet wurden [Levick 1/719, S. 56-67]. Schätzt man die Zahl der von Augustus angesiedelten Kolonisten auf rund 15000 Mann, so würde das mit ihren Familien zwischen 50 000 und 100 000 Menschen bedeuten. Doch die Koloniegründungen stellten kaum einen echten Urbanisierungsversuch dar, da die K o lonie den Platz einer griechischen Stadt einnahm. Manchmal entstand sie an der Seite einer vorherigen griechischen Stadt, die dann weiter separat existierte, was zu einem Doppelgemeinwesen führte, wie in Alexandria Troas und Ilion, in Ninika und Claudiopolis in der Kilikia Tracheia, oder in Ikonion, wo Stadt und gleichnamige Kolonie bis Hadrian koexistierten, der dann den Koloniestatus auf die gesamte Doppelgemeinde ausweitete [Mitchell 1/740]. Doch gewöhnlich ersetzte die Kolonie die polis, deren Bürger alle politischen Rechte verloren, sieht man von ein paar mit R o m gutstehenden Notabein ab. Ignoriert man die wenigen Iulii, zeigt eine Untersuchung der Gentilnamen von Antiochia in Pisidien eine langsame Integration der Indigenen im Laufe des 1. und zu Beginn des 2. Jh.s, was auch einen Einfluß auf die fortschreitende Hellenisierung der Kolonien hatte. Die städtische Verfassung entsprach dem Typ der römischen Kolonien im Westen, aber dazu traten manchmal Züge, die von den Griechenstädten entliehen waren, so die Eirenarchen in Antiochia in Pisidien und in Komama, oder die Gymnasiarchen und Agonotheten in fast allen Kolonien [Levick 1/719, S. 78-82], Das Lateinische, das in offiziellen Dokumenten die Regel war, tat dem Uberleben des Griechischen in Privattexten keinen Abbruch, und geriet mit der Zeit sogar außer Gebrauch. So stellte die Kolonie Kremna im 2. und zu Beginn des 3. Jh.s eine R e i h e von offiziellen Weihungen in Griechisch zu Ehren der Götter in einem Gebäude auf, das man mit einer Bibliothek hadrianischen Stils identifizieren wollte. Das Ensemble würde somit den Anspruch zeigen, die eigene griechische Kultur zu erweisen [Horsley 161]. So nahmen die römischen Kolonien, die isoliert in einer Welt standen, deren Kultur und Zivilisation griechisch waren, an der dominanten kulturellen Umwelt teil. Gleichzeitig agierten sie aber auch als Element der Romanisierung der Institutionen und der monumentalen Bebauung der Städte [Miliar 54].
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8. 3. 1 . 2 Die poleis Z u Beginn der Kaiserzeit gab es in Anatolien (sogar in der Provinz Asien) i m mer noch weite Landstriche, die k a u m urbanisiert waren. R o m war weit davon entfernt, die Urbanisierungsbewegung zu stoppen. Vielmehr w u r d e es zum E r ben der hellenistischen Könige. Schon Pompeius hatte elf neue Städte in Pontos gegründet. Augustus u n d die meisten Kaiser der H o h e n Kaiserzeit verfolgten dieselbe Politik, so daß allein die Provinz Asien m e h r als 300 Städte zählte [Habicht 1/639]. D o c h so groß auch die B e m ü h u n g e n in diesem Bereich waren, es ließen sich am Ende des 3. Jh.s immer noch zwei große Z o n e n klar unterscheiden, die eine von Bithynien nach Kilikien über Asien, Karien, Lykien, Pisidien, Pamphylien, die stark urbanisiert war und H u n d e r t e von großen wie kleinen Städten umfaßte, die andere mit Galatien, Kappadokien, Paphlagonien, Pontos und Kleinarmenien, w o die Stadt die Ausnahme blieb. Die Städtegründungen waren fast niemals G r ü n d u n g e n aus dem Nichts. Sehr selten geschah es, daß man in einer Stadt mehrere Dörfer vereinigte, indem man ihnen ein städtisches Z e n t r u m gab, wie Sebaste in Phrygien unter Augustus oder Pogla, das aus einem D o r f in kaiserlichem Besitz entstand. Generell bestand eine Stadtgründung nur aus einem juristischen Akt, durch den der Prinzeps, der einzige Oikist der Kaiserzeit, diesen privilegierten Status einem Gemeinwesen (Stamm, ethnos, Heiligtum oder Militärkolonie, z. B. Maionia in Osdydien) verlieh. In der H o h e n Kaiserzeit gründete nur der Kaiser selbst neue Städte. Häufig tat er dies erst auf die Bitte lokaler Notabein hin. Dies ist z. B. aus dem lateinischen Schreiben ersichdich, in d e m ein unbekannter Kaiser d e m Statthalter schrieb, daß das Gemeinwesen Tymandos (Ostphrygien) die Voraussetzungen erfülle, u m eine polis mit eigener Gesetzgebung u n d Beamtenwahlen zu werden [ M A M A IV 236], Generell geht die Tendenz heute dahin, daß man manche G r ü n d u n g e n eher in die hellenistische Zeit legt, die man früher, Jones [1/695] folgend, fur h o c h kaiserzeitlich hielt. So meinte Jones, daß in Pisidien der Ubergang der Etenneis aus d e m Stammesstadium zum R a n g einer Stadt (Etenna) in der H o h e n Kaiserzeit erfolgte, doch hat J. Nollé überzeugend nachgewiesen, daß sich der N a m e Etenneus (fur Söldner hellenistischer Zeit belegt) sehr wohl auf eine Stadt u n d nicht auf einen Stamm bezieht [Nollé, in: 168]. Gleiches gilt für mehrere pisidische Städte, die spätestens am Ende des 2. Jh.s ν. Chr. die für eine Stadt typischen öffentlichen Bauwerke (Stadtmauern, buleuterion) besaßen und eigene M ü n z e n prägten, ganz zu schweigen von den Heiligtümern und städtischen A n lagen (Agora, Portiken), die nach d e m Vorbild Pergamons angelegt waren (Pednelissos, Etenna, Ariassos, Kremna, Adada, u n d natürlich die drei größeren Städte Sagalassos, Termessos u n d Selge) [Mitchell, MeditArch 4 (1991) 119-145]. Wenn eine funktionierende Stadtpolitik zum ersten Mal in der Kaiserzeit belegt ist, bedeutet das also deswegen noch lange nicht, daß der U b e r gang zur polis nicht schon viel früher stattgefunden haben könnte. Außerdem ist der Anteil der einzelnen Kaiser schwierig zu ermitteln, da die kaiserlichen Bei-
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namen, mit denen sich zahlreiche Städte schmückten, nicht zwangsläufig bedeuten müssen, daß der betreffende Kaiser existenten Gemeinwesen den Status einer Stadt verliehen hat, sondern vielleicht nur, daß er einer notleidenden Stadt beisprang. So schrieb man Tiberius Tiberiopolis in Phrygien und TiberiopolisPappa in Pisidien zu, doch es ist keineswegs sicher, ob er sie erstmalig oder nur erneut gründete. Trotz dieser Einschränkungen sind die hochkaiserzeitlichen Gründungen i m mer noch zahlreich, und dieser Prozeß hielt bis ins 4. J h . an. So bekamen in Asien Stämme den Status einer Stadt unter den Flaviern (Lorenaioi, Daldanoi), besonders unter Domitian (Sala-Domitianopolis), unter Traian (Traianopolis in Phrygien), unter Hadrian (die Abrettenoi werden zu Hadrianeia, die Olympenoi zu Hadrianoi) und im weiteren Verlauf des 2. Jh.s (die Charakenoi werden zu Charakipolis). Manchmal ging der Aufstieg zur Stadt mit der Zerschlagung uralter Strukturen einher. So wurden die Moxeanoi in Phrygien zu zwei Städten vor 1 9 6 / 7 , Dioklea und Siocharax, die Karpenoi zu vier Städten, das Gemeinwesen der Milyaden in fünf Städte aufgeteilt (Pogla, Andeda, Verba, Sibidunda und Hadrianopolis) [Hall 91]. Manchmal gründete nur ein Teil des Gemeinwesens eine neue Stadt wie die Mokadenoi, die sich auf drei neue Städte aufteilten, Silandos, Bagis und Temenothyrai, während die Dorfbewohner von Thermal Theseos nicht berücksichtigt wurden. In Lykaonien beteiligte sich ein Teil der Orondeis an der Gründung von Pappa-Tiberiopolis, eine andere Gruppe etwas später unter Claudius an der Gründung von Mistia. N o c h ein anderer Fall kommt vor, daß eine Gemeinschaft wie die der Lalasseis und der Kennatai zumindest hinsichtlich ihrer Münzprägung bis Vespasian in Olba vereinigt waren. Die Hochstufung zur Stadt führte zu getrennten Emissionen der Kennatai von Diokaisereia unter Domitian und der Lalasseis in Claudiopolis, während Olba seine traditionelle Struktur als indigenes Heiligtum behielt. Umgekehrt konnten getrennte Gemeinwesen durch Synoikismos zusammenkommen. Hadrianopolis in Phrygien entstand i. J . 123 durch Fusion von Stratonikeia am Kaikos und dem nichtstädtischen Gemeinwesen der lndeipediatai. Es muß betont werden, daß alle angeführten Beispiele aus den westlichen Binnenregionen (Phrygien, Lydien, Pisidien) stammen, während N e u - und Wiedergründungen in den ostanatolischen Provinzen höchst selten blieben. Dort waren im wesentlichen die Vasallenfürsten aktiv, insbesondere Antiochos IV. von Kommagene, der in der Kilikia Pedias Antiochia am Kragos, Iotape, Philadelphia, Germanikopolis und Eirenopolis gründete. Tarkondimotos hatte in Kilikien Anazarba 19 v. Chr. gegründet oder wieder gegründet. U m diese R e g i o n kümmerten sich auch Tiberius (Augusta nördlich von Adana), Claudius (Eirenopolis am Pyramos 51 oder 52) und Vespasian (Flaviopolis am Pyramos 73) [Ziegler 184], Kappadokien, Pontos und Galatien blieben von dem Prozeß der Städtegründungen ausgeschlossen, sieht man von einigen sehr seltenen Ausnahmen ab, wie der Säkularisation der großen indigenen Heiligtümer (die beiden Komana).
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8. 3. 2 Die städtische Politik [Bd. I, S. 239-250] Die griechische Stadt der anatolischen Provinzen unterschied sich nicht von d e nen der anderen orientalischen Provinzen. Jedoch ist in Asien, Bithynien-Pontos u n d Lykien-Pamphylien die Quellensituation so gut, daß man dort den A b lauf und die Ziele der städtischen Politik u n d die seit der hellenistischen Zeit erfolgten Veränderungen am besten verfolgen kann [Levy 67; Macro 53], D e r wiederhergestelle Friede u n d die relativ ordentliche römische Verwaltung machten die großen Euergeten entbehrlich, die zuvor als Privatleute in der Lage gewesen waren, eine Stadt vor Plünderung oder H u n g e r zu bewahren. N u n m e h r waren die Beziehungen zwischen Stadt u n d Kaiser von höchster B e deutung, während sich der im Verlauf der Krise des 1. Jh.s entstandene Stadtadel, der sich n u n m e h r etabliert hatte, u m die Restauration der Kulte, die Verschönerung der Stadt, die regelmäßige Versorgung mit K o r n u n d Ol, den U n terhalt der Gymnasien und die Erziehung der Jugend kümmerte, was alles wesentliche Aspekte des städtischen Lebens waren, die große Mittel und beständigen Einsatz verlangten. D e r demos, der alle Bürger umfaßte, war manchmal hierarchisch gegliedert. In Tarsos gab es Zensusregelungen; die Eintragung in die Bürgerlisten erforderte zu Beginn des 2. Jh.s die Zahlung von 500 Denaren [Dio 34. 23]. In Pogla und Sillyon waren diejenigen, die an der Bürgerversammlung teilnahmen, eine eigene Gruppe, die ekklesiastikoi [ I G R II 409, 800, 801], Das ekklesiasterion von Trebenna in Lykien ist nicht größer als ein buleuterion [Balty 212, S. 555f.]. In den lykischen Städten Tlos, Xanthos und Oinoanda hießen privilegierte G r u p p e n ,die Fünfhundert' bzw. ,die Elfhundert', u n d w u r d e n auch namentlich als sitometrumenoi hervorgehoben, was ihre R o l l e bei der Finanzierung der Versorgung unterstrich [Balland 154; W ö r r l e 84], D e r einfache Bürger besaß kaum Macht. Dagegen sammelten die Reichen, die R h e t o r e n , die Ärzte, die Athleten, die Philosophen u n d Künstler geradezu Bürgerrechte, wie der b e r ü h m t e Euerget Opromoas von Rhodiapolis in Lykien, der das Bürgerrecht aller lykischen Städte besaß. Die Volksversammlung trat mit einer genauen Tagesordnung zusammen [Apg. 19. 38-40], anhand derer die provinzialen Autoritäten über ihre Z w e c k dienlichkeit entscheiden konnten. D o r t w u r d e n durch Abstimmung Dekrete erlassen, fur deren Gesetzeskraft die Z u s t i m m u n g des Statthalters nicht nötig war, obwohl einige übereifrige Magistrate diese G e n e h m i g u n g dennoch einholten [Plut, praecepta gerendae rei publicae 9]. Die Akklamation w u r d e der Einzelabstimmungvorgezogen [OGIS 515]. D e r bis dahin auf ein Jahr amtierende R a t w u r d e schon in augusteischer Zeit dem Modell der Stadtkurien im Westen angepaßt, d. h. daß die Buleuten auf Lebenszeit im R a t saßen und durch die Zensoren hierarchisch gegliedert in ein album eingetragen wurden. Die Zahl der Ratsherren, die nur durch kaiserliches Privileg wachsen konnte, schwankte j e nach G r ö ß e der Stadt. In Ephesos müssen es 450 gewesen sein, viele andere Städte hatten nicht m e h r als hundert,
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manchmal auch weniger. D e r Einzug in die Bule setzte die Bezahlung der summa honoraria voraus, was der griechischen Tradition eigentlich fremd war, sich aber schließlich durchsetzte. Die Buleuten unterschieden sich von ihren M i t bürgern durch ihren R e i c h t u m u n d einen lebenszeitlichen Status, der sie über j e n e erhob. So entstand eine Klasse professioneller Kurialen. N e b e n der Bule gab es häufig noch eine Gerusia. In diesem R a t saßen M ä n ner höheren Alters, ehemalige Beamte u n d Buleuten. Die Entwicklung dieser Institution in der Kaiserzeit läßt vermuten, daß sie von den römischen Autoritäten unterstützt wurde, die wohl gerne die Entwicklung eines moderaten, ja konservativen (man bedenke das Alter der Mitglieder) Rates sahen. Rechtlich wird stets genau unterschieden zwischen den Magistraturen (archai), die auch Ehren (timai) waren, u n d den finanziellen Bürden, Liturgien, die auf d e m Vermögen des einzelnen lasteten [Neesen 71]. Faktisch j e d o c h näherten sich diese beiden Kategorien einander an. Einerseits w u r d e n die Magistraturen immer teuerer, da man beim Amtsantritt die summa honoraria zahlen m u ß t e und während der Amtszeit m e h r Geld ausgab, als die städtische Kasse zur Verfügung stellte. Andererseits brachten die Liturgien, bei denen es u m so angesehene Aufgaben wie den Unterhalt des Gymnasions oder die Begehung von Feiern ging, den Liturgen nicht nur h o h e Ausgaben, sondern auch hohe Ehren. In den Ehreninschriften mischen sich o h n e Unterschied Magistraturen u n d Liturgien. U m g e k e h r t vermieden die R e i c h e n nach Möglichkeit beide Kategorien, was ein Indiz e contrario ist, daß die Notabein sie als äquivalent ansahen. Häufig hat man die Bedeutung des politischen Lebens der kaiserzeitlichen Städte in Frage stellen wollen, indem man auf den Verlust der Freiheit hinwies. Diese Behauptung entbehrt j e d e r Grundlage. M a n m u ß sich nur ansehen, wie sehr indigene Gemeinwesen den Status einer Stadt erstrebten, u m seine Anziehungskraft zu ermessen. Anstatt aufzuzählen, was die Städte im Laufe der Jahrhunderte „verloren" haben, wollen wir uns lieber ansehen, wie die städtische Politik in der Kaiserzeit aussah u n d was sie so attraktiv für all diejenigen machte, die sich zwischen Agäis, Kaukasus u n d Euphrat als Griechen verstanden. Die Stadt behielt eine ganz eigene juristische Persönlichkeit. Die allgemeine Organisation der politischen, jurisdiktioneilen, finanziellen und technischen Institutionen, der zivile und religiöse Kalender fielen allein in die Zuständigkeit der städtischen Autoritäten. Die Stadt verfügte über eine öffentliche Kasse, die sie aus ihren eigenen Ressourcen speiste und mit der sie unabhängig verfuhr. Sie vergab selbständig ihr Bürgerrecht, faßte durch Abstimmung Beschlüsse, schickte Gesandtschaften, k ü m m e r t e sich u m die öffentliche O r d n u n g innerhalb ihres Territoriums, prägte Bronze und mit kaiserlicher Erlaubnis auch Silber. Was den Griechen also stets als das Wesentliche am Herzen gelegen war, blieb intakt. Gleichwohl scheinen die Nahrungsmittelversorgung, der Unterhalt der Gymnasien u n d die Begehung der Feiern die hauptsächlichen Sorgen der Magistrate u n d Liturgen gewesen zu sein. Im Bereich der Versorgung kontrollierte der Agoranom die Märkte, k ü m merte sich u m ihren Unterhalt, überwachte die Gewichte und Maße und vor
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allem sorgte er dafür, daß Korn u n d die anderen Basisprodukte stets reichlich u n d zu korrekten Preisen verfügbar waren [Pavis d'Escurac, in: 50; Strubbe 77], Keine einzige Krise der Ölversorgung in Kleinasien ist bekannt, dagegen m a n gelte es manchmal an dem überall angebauten Korn. Dies war der Fall in Aspendos unter Tiberius [Philostrat. Apoll. 1. 15], in Prusa unter den Flaviern [Dio 46. 8-11] u n d im pisidischen Antiochia 9 1 / 2 oder 9 2 / 9 3 [}. G. Anderson, J R S 14 (1924) 179], vielleicht sogar in ganz Asien zu dieser Zeit [Apocal. 6. 6], A b gesehen von diesem letzen Fall scheinen die Krisen lokal begrenzt gewesen zu sein, was indirekt D i o n von Prusa bestätigt, demzufolge der Kornpreis stark zwischen den einzelnen Städten geschwankt habe [Dio 46. 10], U b e r die Ursachen lassen sich nur Vermutungen anstellen. In Antiochia in Pisidien w u r d e die übermäßige Kälte verantwortlich gemacht, während in Prusa u n d Aspendos allein die Spekulation der R e i c h e n schuld gewesen sei. D e m n a c h m u ß sich ein großer Anteil der Produktion in den H ä n d e n einiger weniger Großgrundbesitzer befunden haben, die auf h o h e Preise warten konnten, ehe sie ihr Korn auf den Markt brachten. Diese Spekulation konnte natürlich nur funktionieren, w e n n keine Möglichkeit zu billigen Importen bestand. N u n waren aber die Transportschwierigkeiten groß genug, u m einen schnellen Getreideimport zu verhindern. D e r Uberschuß an verfügbarem K o r n war gering, da die Abgaben für R o m u n d seine A r m e e wohl zur R e d u z i e r u n g der disponiblen M e n g e n beitrugen, wobei es aber ungewiß ist, ob diese Erklärung ausreicht. Jedenfalls hielten Städte die Erlaubnis, sich in Ägypten eindecken zu dürfen, für eine sehr große Ehre [Quaß 73, S. 257], Ein guter Agoranom sorgte mit seiner Uberredungsgabe und seinem Geld dafür, daß auch während einer Hungersnot Getreide, O l u n d andere G r u n d n a h rungsmittel zu niedrigen Preisen auf den Markt kamen [Robert 12, S. 547; Q u a ß 73, S. 261 f.]. Mitunter ermöglichte das sitonion, eine Kasse, die sich aus den Krediten R e i c h e r versorgte, den Ankauf von Getreide, das dann, zum richtigen Zeitpunkt verkauft, die Marktpreise zurechtrückte. Diese Institution scheint in den bithynischen Städten Prusias am Hypios [I. Prusias ad H y p i u m 8. 6; 11. 15) und Nikaia (I. Nikaia 1. 60) und etlichen anderen Städten gut f u n k tioniert zu haben [Strubbe 77], Es gab auch alimenta nach italischem Modell, d. h. sich aus Euergetenstiftungen finanzierende Kassen, die die Ernährung der Jugendlichen einer Stadt finanzieren sollten, so z. B. in Attaleia [AE 1989, 723], U n t e r den Liturgen n a h m der Gymnasiarch den höchsten R a n g ein, denn in den Ehreninschriften findet sich diese Bürde stets an bedeutender Stelle, u n m i t telbar nach den angesehensten Magistraturen. Jede Stadt besaß mindestens ein Gymnasion, häufig sogar mehrere: sechs oder sieben in Pergamon, vier in lasos und in Salamis auf Zypern, j e drei in Milet, Tralleis und Thyateira. In der Kaiserzeit war das Gymnasion zu einem Annex der T h e r m e n geworden, was zusätzlich Kosten für Unterhalt u n d Befeuerung bedeutete. Die Bedeutung des Gymnasions erklärt sich aus der Wichtigkeit des Sports bei den religiösen Feiern, bei denen Wettkämpfe abgehalten wurden. Die griechischen Feiern bestanden nicht nur aus Wettkämpfen, und die Wettkämpfe
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nicht nur aus Sport, aber das war ihr spektakulärster Bestandteil. Die religiöse Feier war in erster Linie kein Spektakel, sondern sollte die Kohäsion der städtischen Gemeinschaft festigen. In den Festkalendern fanden sich zahlreiche Feiern zu Ehren der traditionellen Stadtgötter sowie neuer Götter u n d Feste zur Begehung des städtischen u n d provinzialen Kaiserkults. Feiern bestanden aus Prozessionen und O p f e r u n g e n mit anschließendem öffentlichen Festmahl, dem wichtigsten Akt j e d e r Gottesverehrung [Schmitt-Pantel 83]. Aber der Kulminationspunkt der Feier war der Wettkampf, sofern ein solcher zu dem Fest gehörte. Alle Städte, auch die kleinsten, hatten ihre Wettkämpfe. Eine lange Inschrift aus Oinoanda in Lykien [Wörrle 84] beschreibt in allen Einzelheiten die Finanzierung und den Ablauf eines lokalen Wettkampfes, der von C. Iulius D e m o sthenes 124 η. Chr. begründeten Demostheneia. Sie dauerten nicht weniger als drei Wochen, waren aber mit 4 450 Denaren ziemlich preisgünstig. Pergamons Traianeia scheinen mindestens 70 000 Denare gekostet zu haben, die Lysimacheia von Aphrodisias 31 839 Denare [Reynolds 1/700, Nr. 57]. O f t fanden in den einzelnen Städte mehrere Wettkämpfe statt. In Oinoanda gab es mindestens drei [Coulton u. a. 159], und Aphrodisias [ R o u é c h é 82] hatte nicht weniger als 14 Wettkämpfe, von denen viele von lokalen Euergeten gestiftet worden waren. Z u diesen griechischen Spielen athletischer oder musischer Art traten Gladiatorenkämpfe, Hinrichtungen ad bestias, Tierhetzen und Stierkämpfe im Zusamm e n h a n g mit dem Kaiserkult [Robert 81]. Diese Spektakel waren beim Volk sehr beliebt, obwohl einige „Intellektuelle" sie heftig kritisierten. Pergamon, w o sich das prestigeträchtigste der provinzialen Heiligtümer des Kaiserkults b e fand, besaß auch eine Gladiatorenschule, w o der Arzt Galen interessante medizinische Beobachtungen anstellte [Moraux 205]. Diese drei wichtigen Bereiche waren nicht die einzigen Ausgaben, die eine Stadt zu bestreiten hatte. D e r Straßenbau, insbesondere die Anlage prächtiger Arkadenstraßen, der Unterhalt u n d die R e n o v i e r u n g religiöser und öffentlicher Bauten (Tempel, Märkte, buleuteria [Balty 212], T h e r m e n ) und Wasserleitungen erforderten einen großen finanziellen Aufwand. W i r kennen vor allem aus Plinius' Briefen und den Inschriften die e n o r m e n Kosten der städtischen Bautätigkeit: 10 Millionen für ein unvollendetes Theater in Nikaia, das die Stadt zu ruinieren drohte [epist. 10. 39], 3,5 Millionen für unvollendete Aquädukte in N i komedia [epist. 10. 37], mehrere hunderttausend Sesterzen für ein nicht benutzbares Bad in Claudiopolis [epist. 10. 39], zwei Millionen Denare für Wasserleitungen in Aspendos [ I G R III 804], m e h r als sieben Millionen Denare für Leitungen in Ilion [Philostrat. vit. soph. 2. 1], Die Bauprogramme waren so umfassend, daß man zu R e c h t von einer „Versteinerung" des Kapitals sprach, zumal in Bithynien [Gros 136]. D e n n diese Immobilieninvestitionen führten nur selten zu Gebäuden, die der Wirtschaft nützten. Das kam zwar vor (Märkte von Ephesos, Hafenreinigung in Ephesos, Bau einer Straße durch Iulius Aquila in Amastris), war aber die Ausnahme. Meistens baute oder schmückte man öffentliche Gebäude, Tempel, Bauwerke für Spektakel oder Freizeitvergnügungen bzw. Schmuckbauten (Portiken, Nymphäen). D o r t fand das städtische Leben
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statt, das allein einem Griechen als zivilisiert und würdig erschien. Daß der Aufstieg zur Stadt so erstrebenswert blieb, liegt genau darin begründet. Grieche zu sein, hieß, weit über den Barbaren zu stehen. Während die Römer keinen juristischen Unterschied zwischen einem Griechen aus einer Stadt und einem pontischen oder kappadokischen Bauer machten - allesamt waren sie nur Peregrine —, so war doch das Griechentum eine Etappe auf dem Weg zum römischen Bürgerrecht und stellte die Einzelnen kulturell (wenn auch nichtjuristisch) auf eine Stufe mit den Herren.
8. 3. 3 D i e städtischen Finanzen Die städtische Kasse allein konnte nicht all diese extrem hohen Belastungen tragen, denn die griechische Stadt war stolz darauf, keine regelmäßigen direkten Steuern zu erheben und stattdessen von der Großzügigkeit ihrer Bürger zu leben. Ihre regelmäßigen Einkünfte (Zölle, Handelssteuern, Vermietung von Land und Immobilien, Geldstrafen und Konfiskationen, Erbschaften) waren nicht unerheblich und erlaubten die Finanzierung einiger Bauten. Aber häufig mußte man auf öffentliche Spendenaktionen [Migeotte 69], seltener auf die in der Kaiserzeit anscheinend wenig beliebte Kreditaufnahme [Migeotte 68] zurückgreifen. Die schlechte Verwaltung der städtischen Finanzen führte zur Entsendung von curatores und logis tai durch den Kaiser, die die Kasse wieder in Ordnung bringen sollten [Bd. I, S. 285f.]. Der erste Beleg für Asien stammt aus Sardeis vor 92 n. Chr., aber das Amt war gegen Ende des 2. Jh.s weit verbreitet, und der Kontrollbedarf war so groß, daß im 3. Jh. daraus ein gewöhnliches städtisches Amt wurde. Da die Stadt ihre Ausgaben nicht allein bestreiten konnte, war sie auf die Großzügigkeit ihrer Bürger und reicher Fremder angewiesen. Der Euergetismus wurde zu einem wesentlichen Teil der städtischen Finanzen, wobei jedoch die Euergeten nicht die öffentliche Kasse ersetzen, sondern entlasten sollten. Die zahllosen Ehrendekrete, die großzügigen Bürgern danken, die Magistraturen und Liturgien übernommen hatten, verdeutlichen das Grundprinzip des Euergetismus. Andererseits deuten zahlreiche Inschriften darauf hin, daß es häufig Widerstand gab, was sich besonders deutlich in den Versuchen zeigt, sich vom Kaiser individuell oder kollektiv befreien zu lassen [Miliar 56]. Und so wurden Bürger ganz besonders geehrt, die eine Magistratur oder eine Liturgie „freiwillig" übernommen hatten. Einspringen konnten aber auch Götter, Fremde, Frauen, Kinder, ja sogar Tote! So tauchen in Kyzikos Tote als amtierende Magistrate auf, wobei die anfallenden Kosten von dafür eingerichteten Stiftungen übernommen wurden [IGR IV 154f.]. Wir können hier nicht näher auf den im ganzen Reich belegten Euergetismus eingehen [Bd. I, S. 353-360]. Anatolien liefert zwar die meisten einschlägigen Texte [Laum 66; Broughton 1/962, S. 715-797], nimmt aber keinerlei Sonderstellung bei diesem Phänomen ein, das übrigens keineswegs auf die Kaiser-
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zeit beschränkt ist. Deshalb sei auf die allgemeine Sekundärliteratur verwiesen [Veyne 1/841; Andreau u. a. 59; Sartre 23].
8 . 3 . 4 Die Honoratiorenschicht Die Wohlhabenden, die identisch waren mit den Honoratioren, da alle Magistraturen, Liturgien und Euergesien teure Angelegenheiten waren, bildeten in der Kaiserzeit eine Kaste, deren Mitglieder sich von ihren Mitbürgern durch besondere Titel und Verhaltensweisen abhoben. Einige davon waren aus hellenistischer Zeit ererbt, andere neu. Der erste charakteristische Zug der städtischen Honoratiorenschicht war die Anhäufung von Amtern und Ehren. Ohne Zahl sind die Ehreninschriften, in denen städtische Karrieren beschrieben werden, bei denen der Geehrte alle städtischen Magistraturen (häufig sogar mehrfach) bekleidet hat. Das bedeutet wohl nicht (außer im Ausnahmefall), daß ein Einzelner oder eine kleine Gruppe Macht und Prestige monopolisieren wollte. Die zahlreichen Versuche, sich diesen Amtern zu entziehen, weisen ja auf deren Unbeliebtheit hin. Vielmehr war es wohl so, daß die Reichen, die städtische Amter bekleiden konnten, nur von geringer Zahl waren. Natürlich wird die Situation je nach Stadt stark geschwankt haben, und große Städte wie Ephesos, Smyrna und Pergamon stand sicherlich ein größerer „Vorrat" an Notabein zur Verfügung. Doch waren in diesen Städten die Amter auch zahlreicher und kostspieliger. Der familiäre und quasi-dynastische Charakter dieses Stadtadels ist das zweite Charakteristikum. Nicht nur belegen viele Inschriften, daß Mitglieder einer bestimmten Familie über Generationen der Stadt dienten, was ja nur allein die Kontinuität des Reichtums bezeugt. Vielmehr werden sogar in manchen Ehreninschriften die Meriten der Vorfahren als zusätzliche Ehrentitel erwähnt. Man weist darauf hin, daß der Geehrte sich seiner Vorfahren würdig erwiesen hat, indem man mitunter die von der Familie angesammelten Titel aufzählt und dabei auf der väterlichen wie mütterlichen Linie bis zu den Großeltern und darüber hinaus zurückgeht. Die Familientradition erscheint als ein Vorbild, das man zu verfolgen oder zu übertrumpfen hat, aber auch als zusätzliches Ruhmesblatt: Man ist kein Neureicher, kein Neuadliger, sondern der Nachfahre einer Familie, die sich bereits in der Stadt verewigt hat. Da sie sich nunmehr von den anderen Bürgern in der Stadt unterschieden, konnten diese Familien nicht mit jedermann Ehebeziehungen eingehen. Die so entstandene Kaste nahm einen überstädtischen Charakter an, der den Besitz mehrerer Bürgerrechte erleichterte. So war ein gewisser Meleager gleichzeitig Bürger von Balbura und Oinoanda, aber ein Dekret für einen seiner Nachfahren zeigt, daß die Familie tatsächlich in Attaleia, der Hauptstadt Lykien-Pamphyliens, wohnte und dort die meisten hohen Amter ausübte, gleichzeitig aber ihre Beziehungen zum bergigen Balbura pflegte, wo sie den Sommer verbrachte [Coulton u. a. 159], Es gibt zahllose andere Beispiele für diese Familien, die in
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mehreren Städten aktiv waren und deren Mitglieder Personen desselben Milieus, unabhängig von der Herkunftsstadt, heirateten [Stein 76], Als wären Reichtum und städtische Funktionen nicht genug, häuften die Notabein auch noch Ehren an: besondere Sitze im Theater oder Stadion, Statuen, Speisung im Prytaneion, staatliche Begräbnisse an besonderen, für Wohltäter reservierten Orten und Titel, die ihre Verdienste um die Stadt zum Ausdruck brachten. Sie wurden nicht nur Euerget genannt, sondern auch „Retter", „Sohn oder Tochter der Stadt", „Vater der Stadt", „Mutter des Rates" oder „der Gerusia", „Tropheus" (Ernährer), mitunter wurden sie sogar zu „Gründern" ihrer eigenen Stadt. Sieht man einmal von der rhetorischen Ubertreibung ab, zeigt sich in diesen Titeln die Uberzeugung, daß die Stadt ihr „Heil" dem verdankt, der sie ernährt, ihre „Gründung" dem, der ihr die für das städtische Leben unerläßlichen Gebäude finanziert. Gleichsam um sich noch mehr abzusetzen, erwarben die provinzialen Notabein häufig das römische Bürgerrecht [Holtheide 1/674]. Dieser Prozeß begann schon in republikanischer Zeit in Asien und Bithynien und beschleunigte sich unter Claudius, den Flaviern, Traian und Hadrian. In der Mitte des 2. Jh.s scheinen die meisten Magistrate und gewesenen Magistrate der Städte Asiens, Bithyniens und sogar Lykien-Pamphyliens das Bürgerrecht besessen zu haben, wobei jedoch zwischen großen und kleinen Städten zu unterscheiden ist. In den Kleinstädten Pisidiens und Phrygiens waren viele Notabein im 2. Jh. keine römischen Bürger. Die Gesandten, die die kleine Stadt Takina 212/3 an den Prokonsul von Asien schickte, zeichneten ihre vollständigen Namen auf, die ausnahmslos mit Marcus Aurelius beginnen, was zeigt, daß sie eben erst durch Caracallas Edikt von 212 das Bürgerrecht erhalten hatten [AE 1989, 721, 1], Diese Kaste unterhielt besondere Beziehungen zum römischen Adel. Seit der Zeit der Republik hatten persönliche Beziehungen zwischen reichen Griechen und adligen Römern die Städte vor Bürden und Übergriffen geschützt [Quaß 73, S. 138f.]. Gute Verbindungen zum Kaiser und den wichtigen Leuten in der kaiserlichen Verwaltung spielten weiterhin eine zentrale Rolle, und man kann beobachten, wie zahlreiche Beziehungen zwischen den Notabein Anatoliens und den großen römischen Familien entstehen. Dies ist um so naheliegender, als ein Teil der provinzialen Eliten Kleinasiens in den Ritter- bzw. Senatorenstand Aufnahme fand [Halfmann 1/851; Demougin 1/883; Pflaum 1/854]. Die ersten kleinasiatischen Ritter dienten unter Claudius in der Reichsverwaltung, die ersten Senatoren gab es unter Nero, aber das waren im wesentlichen noch die Nachfahren römischer Kolonisten. Unter den Flaviern gelangten jedoch echte Provinziale auf diese Posten. Dieser sehr enge Kreis kleinasiatischer Ritter und Senatoren stellte innerhalb oder über der Kaste der städtischen Notabein eine exklusive Gruppe dar, deren Familienbande durch Ehe und Adoption sich nachvollziehen lassen. Innerhalb dieses Adels spielten daher die Frauen eine wesentliche Rolle in den familiären Strategien [D^browa 21],
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8. 3. 5 Das Volk und die städtische Wirtschaft Das Volk, das von weit oben durch eine soziale Klasse mit Macht und Geld, die sich ihrer Überlegenheit bewußt war, gelenkt wurde, und das sich in einer Abhängigkeit befand, die bislang wenig Beachtung fand [Quaß 73, S. 184f.], begegnet uns selten in seinem alltäglichen Leben. Freilich, in Krisenfällen wird es aktiv, wie in Prusa am Olymp, wo die Menge bei einem Hungeraufstand damit droht, Dions Haus anzuzünden, oder in Ephesos, wo Paulus' Predigt die ephesische Artemis in Frage stellt, von deren Kult das Auskommen der Devotionalienhändler abhängt. Magistrate und Provinzialverwaltung fürchteten die daraus resultierenden Probleme und schätzten deshalb die Harmonie zwischen Bule und Demos. Zahlreiche Münzprägungen feiern ihre Eintracht. Das Volk wird in den Vereinigungen faßbarer. Die städtische Wirtschaft Kleinasiens ist nicht gut bekannt, aber zahlreiche Texte illustrieren die Entwicklung der beruflichen Vereinigungen in Kleinasien [Waltzing 1/956; Sartre 23, S. 177-179], insbesondere im Bereich der Textilien und der Metallverarbeitung. Der im engeren Sinne zunftmäßige Aspekt bleibt uns unbekannt, aber die Handwerker verehrten Götter oder dankten Wohltätern, wie jeder beliebige religiöse Thiasos. Das will aber nicht heißen, daß sie nicht auch bei Arbeitskämpfen aktiv werden konnten, so die ephesischen Bäcker bzw. die milesischen Maurer [Buckler 1/942]. Dabei handelte es sich um Streiks von unabhängigen Handwerkern, die mit den Bedingungen nicht einverstanden waren, die man ihnen hinsichtlich des Verkaufs ihrer Produkte aufzwingen wollte. Daß die städtischen Massen parasitär auf Kosten der Reichen lebten, gehört ins Reich der Legenden. Zugegebenermaßen war Arbeit kein soziales oder moralisches Ideal für einen antiken Griechen, aber es läßt sich in vielen anatolischen Städten sehr wohl ein hochentwickeltes städtisches Handwerk nachweisen, in dem vor allem Bürger und andere freie Einwohner tätig waren. Wenn auch die Texte die Politik in den Vordergrund stellen und dabei die Wirtschaft weitgehend ignorieren, konnten die Städte dennoch nicht ohne eine gesunde Wirtschaft existieren, die den Notabein die Mittel für ihre Wohltaten gab [Verzeichnis bei Broughton 1/962, S. 817-881]. Textilienherstellung hatte, das höchste Ansehen. In Ionien, vor allem in Milet, gab es eine lange Tradition des Spinnens, Webens und Färbens von Wolle. In der Kaiserzeit entstanden neue Zentren im Binnenland, so in Lydien um Thyateiros, Philadelphia und Saittai, und zumal in Laodikea am Lykos und seinen Nachbarstädten Hierapolis und Kolossal an der Grenze zwischen Ostkarien und Phrygien. Diese kurze Aufzählung muß sich an das halten, was die Quellen hervorheben, d. h. besonders geschätzte und für den Export bestimmte Produkte wie die pontischen und kappadokischen Teppiche, oder solche Erzeugnisse, die eine besondere Infrastruktur und hohe Investitionen erforderten, wie gefärbte Stoffe (insbesondere Purpur). Tatsächlich aber gab es in allen Städten ein Textilhandwerk, das auf der Schafzucht der ländlichen Umgebung basierte. Gleiches
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gilt fìir das in Kilikien (Tarsos, Anazarba, Korykos) u n d Thyateiros, Ephesos, Milet u n d Tralleis erzeugte Leinen. D e r zweite große Bereich des Handwerks war die Metallverarbeitung. In den literarischen Quellen begegnen vor allem Ausnahmefälle wie die ephesischen Silberstatuenhersteller, aber die Epigraphik läßt uns Schmiede, Goldschmiede und Schmuckhersteller in allen Städten kennenlernen, die zuweilen in Vereinigungen organisiert waren, wie in Thyateiros, Sigeion, Hierapolis, Tralleis, Smyrna oder Ephesos. W i e überall in der alten Welt hatte die Keramik auch in Anatolien einen besonderen Stellenwert in der handwerklichen Produktion. Aufgrund des G e wichts u n d des geringen Wertes der erzeugten Gerätschaften w u r d e n g e w ö h n liche Keramiken stets vor O r t produziert. So findet man überall eine g e w ö h n liche Keramik, die i m m e r noch recht schlecht klassifiziert u n d identifiziert ist. Man hat in Anatolien auch die Produktion einer besseren Keramik vermutet, der „orientalischen terra sigillata" oder „eastern terra sigillata" (ETS). Ausgehend von Plinius dem Alteren, der die Qualität der samischen Keramik (Tischgeschirr), der pergamenischen Becher u n d des Geschirrs aus Tralleis erwähnt [nat. 35. 160], hatte man zunächst den pergamenischen Werkstätten (terra sigillata A) und den samischen (terra sigillata Β) einen Großteil der ETS-Produktion zugeschrieben. Schnell kam man jedoch darauf, daß es m e h r Produktionszentren gegeben haben m u ß [Broughton 1/962, S. 831f.]. N e u e r e Studien zeigen, daß mindestens sieben G r u p p e n orientalischer sigillata existieren. In der Frage nach der H e r k u n f t ist keineswegs Einigkeit erzielt, aber man scheint sich darauf verständigt zu haben, daß die E T S II (ein Teil der ehemaligen terra sigillata A; Ende der Produktion u m 70 n. Chr.) u n d die E T S Β (im wesentlichen die ehemalige terra sigillata Β) aus Pamphylien kamen. Hinsichtlich des Rests ist man unschlüssig, und es wurde vorgeschlagen, einen Teil der Produktion der „pergamenischen" terra sigillata A in den N a h e n Osten zu verlegen [S. 420; J. Gunneweg, R e i cretariae R o m a n a e Fautorum, Acta 25-26 (1987) 119-129]. Auch die kaiserzeitlichen A m p h o r e n müssen noch erforscht werden. Derzeit vermutet man, daß sie auf R h o d o s , Chios, Knidos, Kos, Kolophon, Lesbos u n d in Kilikien hergestellt w u r d e n [Sartre 23a, S. 297f.]. Z u r keramischen Produktion gehören auch die in Pergamon bis ins 1. Jh. in großer Zahl gefertigten Statuetten [E. Töpperwein, Terrakotten von Pergamon, Berlin 1976, S. 193-198], in Myrina (Äolis) bis zum Beginn des 2. Jh.s und in Smyrna während der ganzen H o h e n Kaiserzeit [D. Bailey, in: M . Henig, A H a n d b o o k of R o m a n Art, Ithaca 1983, S. 194f.], sowie die überall hergestellten Architekturteile aus Terrakotta. In diesem knappen Uberblick müssen noch die skulptierten Sarkophage und die Bildhauerwerkstätten genannt werden, auf die wir noch zu sprechen k o m men. Aber w e n n die Sarkophage aus Prokonnesos [Asgari 99], D o k i m e i o n [Waelkens 109] oder Sidamaris und die Plastiken aus Aphrodisias eine h o h e Wertschätzung erzielten, handelt es sich dabei in wirtschaftlicher Hinsicht wohl nur u m marginale Erscheinungen. Steinbrecher, Bildhauer, Zimmerleute und
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Maurer gab es überall. Auch kennt man Werften in Nikomedia, Knidos, Lapethos (Zypern) und Kyzikos, aber die Produktion war wohl sehr aufgesplittert, wie man das noch am Ende des 19. Jh.s sehen konnte, als j e d e F l u ß m ü n d u n g an der Südküste des Schwarzen Meeres kleine Werften beherbergte, die Schiffe auf Bestellung bauten u n d reparierten [Robert 18]. Aus dieser Skizze ergibt sich, daß einige Aktivitäten (Textilien, Metallverarbeitung, Keramik, Bauwesen) überall ausgeübt wurden. Jede Stadt brachte diese Berufe allein durch ihre Entwicklung hervor. D e r R e i c h t u m einer Stadt g r ü n dete sich nicht auf diese Handwerkszweige, sondern auf die R e p u t a t i o n eines Produkts, das für seine Qualität oder Originalität geschätzt wurde und deshalb exportiert werden konnte. N e b e n den gefärbten Stoffen, den Keramiken und den skulptierten Sarkophagen war dies bei den kosmetischen Produkten und den Medikamenten der Fall, die einige Städte aus lokalen landwirtschaftlichen Erzeugnissen u n d Importprodukten herstellten.
8. 3. 6 Städtische Rivalitäten D e r agon (Wettstreit), der so sehr das städtische Leben prägte, dehnte sich auch über den städtischen R a h m e n aus [Harl 61]. Es herrschte generell Rivalität zwischen den Städten der anatolischen Provinzen. Ephesos und Pergamon stritten u m den Titel „Erste Asiens" u n d Smynra, das da nicht mithalten konnte, b e gnügte sich (aber mit Stolz) mit d e m Titel „Erste der Schönheit nach" [L. R o bert, Le martyre de Pionios, prêtre de Smyrne, D u m b a r t o n Oaks 1994, S. 4f.]. Weniger bedeutende Städte waren froh, sich mit dem Titel „Sechste" (Nysa) oder „Siebte" (Magnesia an Mäander) zu schmücken [Robert 19, S. 65-68, 76f.]. In Pamphylien war Aspendos stolz auf seinen R a n g der dritten Stadt P a m phyliens [Philostr. Apoll. 1. 15], während der erste Platz heftig zwischen Side u n d Perge umstritten war [Nollé 164]. Eine genauso lebhafte Rivalität herrschte zwischen Nikaia und Nikomedia und brachte sie zu politischen Entscheidungen, die v o m Kaiser streng geahndet wurden [Robert 140], N i e m a n d vergaß, eine Stadt mit ihren Titeln anzusprechen. Perge machte sie unter d e m Kaiser Tacitus (275-276) mit einer gehässigen Inschrift zum eigenen R u h m e publik [AE 1989, 724; R o u é c h é 250]. In diesem Wettkampf, in d e m größenmäßig vergleichbare Städte derselben Provinz stritten, n a h m der Kaiser die zentrale Rolle ein [Millar 1/355, S. 407-456]. Von ihm allein hing die Verleihung von Titeln u n d Vorrechten ab, mit denen die Städte ihre Höherrangigkeit markieren und ihren Rivalinnen zeigen konnten, welchen Platz sie in der Wertschätzung u n d Freundschaft des Kaisers einnahmen. W i e vor ihm der hellenistische König war der Kaiser die Q u e l le aller Wohltaten. Die erstrebten Titel unterlagen einer strengen Kontrolle der provinzialen Autoritäten auf der Grundlage der vom koinon aufgestellten Liste [Robert 249]. U m Streitigkeiten zu vermeiden, m u ß t e jeder die verliehenen Titel respektieren. Innerhalb der einzelnen Städte und zwischen den verschiedenen Gemeinden [Sheppard 75] appellierte man beständig an die Eintracht,
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die wichtigste Tugend überhaupt, die jedoch selten Anwendung fand. Marc Aurel ließ 167 n. Chr. durch Aelius Aristides in mitreißender Weise an die städtische Eintracht vor dem koinon Asiens appellieren [Aristeid. 23. 73]. Die Städte emittierten zahlreiche gemeinsame Prägungen, durch die die Eintracht zwischen zwei bestimmten Städten gefeiert wurde [Pera 72], doch der Streit zwischen rivalisierenden Städten blieb eine Konstante. Die einzelnen Titel brachten bestimmte Vorrechte und Ehren. Die Freiheit [Bd. I, S. 246-250], das begehrteste aller Privilegien, wurde von den Kaisern nur zögerlich verliehen [Liste bei Broughton 1/962, S. 706f.]. Einige Städte besaßen sie schon seit der Zeit der Republik, wie Aphrodisias, das sie von Octavian erhalten hatte [Reynolds 1/700, Nr. 13], und mehrere karische Städte, die mit ihr flir ihre mutige Haltung während des Mithradateskrieges und der Labienus-Invasion belohnt worden waren (Alabanda, Mylasa). Plinius nennt noch die Namen Chios, Samos, Ilion, Mytilene und Astypaleia. Andere Städte erhielten sie später, so Smyrna (20/19 ν. Chr.) und Kyzikos (15 v. Chr.), oder zu unbekannter Zeit wie Byzanz und Amisos. Diese Privilegien nahm die Stadt juristisch von der formula provinciae aus und befreite sie so von der Zahlung der gemeinsamen Steuerlast [Reynolds 1/700, Nr. 15] und von Liturgien, und zwar sowohl die Stadt selbst als auch ihre Bürger als Privatpersonen [Reynolds 1/700, Nr. 14], Aber sie war nicht immer mit immunitas verbunden, denn Alabanda wurde vom Senat in zwei getrennten Beschlüssen erst Freiheit, dann Steuerbefreiung verliehen. Die immunitas war anscheinend seltener als die Freiheit, man kennt aber schon am Ende der Republik einige Beispiele: Knidos [I. Cnidos 12], Aphrodisias [OGIS 454], Tarsos und die lykischen Städte. Umgekehrt zahlten die freien Städte Stratonikeia und Termessos den Tribut. Die immunitas war in der Kaiserzeit höchst selten. Laut Plinius dem Alteren besaß sie in Anatolien unter Augustus allein Ilion [nat. 5. 124], aber Alabanda und Kos hatten sie zumindest zeitweise unter Claudius. Andere Titel waren einerseits mit praktischen Vorteilen und andererseits einer symbolischen Dimension verbunden, die finanzielle und wirtschaftliche Auswirkungen haben konnte. So wurde die Neokorie Städten mit einem provinzialen Heiligtum des Kaiserkults verliehen, die dann provinziale Feiern veranstalteten, zu denen große Menschenmassen und zahllose Händler kamen. Die Asylie, das Recht, Schutzflehende aufnehmen zu dürfen und vor Verfolgung zu schützen, war auch ein Privileg bedeutender Heiligtümer. Perge, das dieses Privileg besaß, Schloß daraus gleich auf eine Äquivalenz zwischen der Artemis von Ephesos und der von Perge. Dieses Vorrecht wurde seit dem Ende der Kriege und der Piratenplage in Frage gestellt. Tiberius schränkte die Zahl der Heiligtümer mit diesem Recht stark ein und verringerte die Ausdehnung des Asylterritoriums um die Heiligtümer [Tac. ann. 3. 60-63]. In diesem Wettstreit der Städte spielte die Geschichte eine zentrale Rolle, sowohl die ferne mythische Zeit wie auch die besser nachprüfbare unmittelbare Vergangenheit. Welch Ehre für Dokimeion, die Marmorsteinbrüche zu besitzen, die Attis mit seinem Blut färbte [Robert 17, S. 221-240]! Man rühmte sich,
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die „Älteste" der Provinz zu sein, wie Gangra-Germanikopolis, „die Älteste Paphlagoniens" [Robert 18, S. 203-207; 12, S. 303f.; 16, S. 315f.]. Die Städte verteidigten standhaft ihre von R o m fur ihre Dienste erhaltenen Privilegien. Aus Angst, sie k ö n n t e n in Vergessenheit geraten, ließ Aphrodisias im 2. oder zu Beginn des 3. Jh.s seine Verdienste neu auf Stein aufzeichnen, die die Stadt sich u m den in Laodikeia am Lykos während der Mithradatesinvasion von 8 8 / 7 v. Chr. belagerten Q . Oppius erworben hatte [Reynolds 1/700, Nr. 2 u. 3]. Was für ein Glück für eine Stadt, w e n n sie einen bedeutenden Historiker besaß, der die Verdienste seiner Stadt in gewählter Sprache beschreiben konnte. Ti. Claudius Anteros aus Mylasa hatte es verstanden, seine Stadt „ruhmreicher unter den Griechen zu m a c h e n " Q. Crampa, Labraunda. T h e Greek inscriptions, Lund 1972, Nr. 66]. Diese Begeisterung für die glorreiche Vergangenheit fand eine indirekte kaiserliche Unterstützung durch die Schaffung des Panhellenions durch Hadrian [j. H . Oliver, Marcus Aurelius. Aspects of Civic and Cultural Policy in the East, Princeton 1970], das eine offizielle Einladung zur Wertschätzung der Zugehörigkeit zum Griechentum darstellte. Wer Mitglied werden wollte, m u ß t e eine lange hellenische Tradition nachweisen, die sich viele neuere Städte zu verschaffen w u ß t e n , indem sie Volksverwandtschaften erfanden [D. Musti, Sull'idea di δ υ γ γ έ ν ε ι α in iscrizioni greche, ASNPisa 32 (1963) 225-239; Strubbe 55], Zahlreiche kleine, obskure Städte entdeckten plötzlich ihre Verwandtschaften mit den prestigeträchtigsten, vor allem mit Athen und Sparta, manchmal sogar mit beiden (Synnada), aber auch mit Argos, so die kilikischen Städte Tarsos [Chuvin 176], Aigeai und Soloi, oder auch Aspendos in Pamphylien. Indem sie sich auf eine legendäre Koloniegründung berief, konnte eine kleinasiatische Stadt den Anspruch auf eine lange, glorreiche Vergangenheit erheben: So waren die Ambladier keine obskuren Pisidier, die erst unlängst Z u gang zum Griechentum erhalten hatten, sondern vielmehr „ambladische Lakedaimonier" [Hall, AS 18 (1968) 76f., Nr. 21, 23], Die griechische Stadt blieb ein außerordentlich vitaler Organismus, und sie blieb für all diejenigen, die sich als Griechen sahen, das Vorbild. Bis ins 4. Jh. und darüber hinaus wurden neue Städte gegründet. Aber diese Stadt sollte man besser griechisch-römisch nennen, wie die Zivilisation, die sie umgab. Viele institutionelle u n d monumentale Charakteristiken legen dies nahe. Die einjährigen bulai waren zu permanenten Kurien geworden, die summa honoraria wurde ein allgemeines Phänomen, u n d es entstand ein Notabeinstand, der dem ordo decurionum der westlichen Städte entsprach. Auch schmückten sich die Städte mit neuartigen Bauwerken, wie geschlossenen Märkten, H i p p o d r o m e n und A m phitheatern, die für die n e u e n sozialen Verhaltensweisen u n d aus d e m Westen importierten M o d e n (wie Gladiatorenkämpfe) notwendig waren. Selbst ein so durch und durch griechisches Gebäude wie das Gymnasion, das normalerweise auch ein Bad umfaßte, w u r d e in den N e u b a u t e n des 1. u n d 2. Jh.s zu einem einfachen A n n e x von T h e r m e n römischen Stils. Das ging soweit, daß man in den Texten manchmal das Wort balaneion für ein Gymnasion findet und gymnasion für T h e r m e n . Auch zahlten die Gymnasiarchen m e h r für die Bäder als für
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die gymnischen Aktivitäten. Zugleich erlebte das buleuterion, das das Notabeinregiment ins Zentrum des städtischen Lebens gerückt hatte, deutliche Veränderungen, auf die J . - C h . Balty hingewiesen hat [Balty 212], sowohl in der Anlage, den Techniken (Bau einer cavea auf ebener Erde mithilfe aufwendiger Substruktionen) und dem Architekturschmuck, der es manchmal in die Nähe eines Odeons rückte (dort wurde auch gelehrt und vorgetragen). Die kaiserzeitliche griechische Stadt blieb zwar nach ihrer Organisation und ihrem Wertesystem zutiefst griechisch, war aber westlichen Einflüssen ausgesetzt, die die neuen Herren mitgebracht hatten und die von den R ö m e r n oder Italikern der Städte und Kolonien Anatoliens verbreitet wurden [Miliar 54].
8. 4 Das ländliche Anatolien 8. 4. 1 Ressourcen und Produktion Die klimatischen Bedingungen erzeugten eine große Vielfalt agrarischer Landschaften. Getreideanbau und Viehzucht gab es überall, Olbaum und Wein nur im milden Klima. Anatolien besaß großen Reichtum, der auf der Verschiedenartigkeit der Ressourcen und ihrer Verteilung über das ganze Land basierte, wenn auch die großen Täler des Westens günstigere Bedingungen boten, weil dort vieles wuchs, was im Klima des Zentrums und des Ostens nicht gedeihen konnte. Die Basis der anatolischen Polykultur war das Getreide, von den besseren Weizen- und Gerstearten bis zu den schlechteren Varianten, die in den östlichen Provinzen wuchsen [Plin. nat. 18. 81]. Einige Regionen standen als Getreideproduzenten in einem besseren R u f als andere, so die Phazemonitis in Pontos und Kappadokien, während in anderen besondere Arten wuchsen (Zeopyros von Bithynien, Weizen von Assos, Zea und Olyra von Pergamon). Hirse und Sorgho gab es nur an der pontischen Küste, Sesam wuchs nur in Kilikien und Pamphylien. Wein war das zweite große landwirtschaftliche Produkt, erreichte aber bei weitem nicht dieselbe Bedeutung wie Getreide. Besonders geschätzte Weine kamen von den Inseln Chios, Lesbos, Kos und Rhodos, aber Weine guter Qualität wuchsen eigentlich überall, von Bithynien bis Lykien-Pamphylien. Die Kultur erstreckte sich weiter ins Landesinnere, als dies heute der Fall ist, wie sich dies für Ostphrygien [Waelkens 98] und Ostbithynien [Robert 18, S. 66] erweisen ließ und wie es Strabon für die Gegend von Melitene [12. 2. 1] und Ostpontos [ 1 1 . 3 . 30] erwähnt. Der Olbaum, die dritte Säule der mediterranen Landwirtschaft, gedieh nur auf den Inseln und in den großen Tälern und Küstenebenen des ägäischen Westens gut, obwohl er auch in einigen anderen Tälern und an der pontischen Küste wuchs. Auf dem anatolischen Plateau und im Osten fehlt er ganz. Obstbäume gab es (mit lokalen Varianten) eigentlich überall, nur das anatolische Pia-
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teau war weithin baumlos (eine Landschaft in der Nähe des Tatta-Sees hieß Axylon, das holzlose Land). Wal- und Haselnüsse sowie Mandeln von der Schwarzmeerküste waren besonders geschätzt, Feigen, Apfel, Birnen und Kirschen fanden sich überall und wurden sowohl frisch als auch getrocknet exportiert. Dazu kamen spezielle Pflanzen, die als Gewürze oder zu kosmetischen bzw. medizinischen Zwecken dienten und durch Ausfuhren als Einkommensquelle dienen konnten. An textilen Pflanzen gab es eigentlich nur Flachs und Hanf. Flachs war die Grundlage eines umfangreichen Handwerks in Tarsos, Sardeis, Thyateiros, Smyrna und Ephesos. Hanf war anscheinend seltener. In Alabanda soll es Hanf exzellenter Qualität gegeben haben, die Weiterverarbeitung fand in Ephesos statt. Zudem konnte der Grundstoff Hanf auch aus Kolchis kommen. Auch die Waldwirtschaft war wichtig. Riesige Kiefer- und Lärchenwälder bedeckten die Höhen der Troas, der Umgegend von Kyzikos, Bithyniens (insbesondere im Ida-Massiv und auf dem Olymp von Prusa), Lykiens, der Kilikia Tracheia sowie die höchsten Gegenden Zyperns (Massiv von Troodos). Aber vor allem die pontische Küste von Bithynien bis nach Sinope und Trapezus lieferte in großer Menge bestes Holz für den Schiffsbau sowie die anderen Grundstoffe, Pech und Harz. Die Nutzung der Wälder wurde durch die Tatsache vereinfacht, daß sich zahlreiche kleine permanente Wasserläufe zum Schwarzen Meer zum Flößen anboten [Robert 18, S. 67-76]. Die überall praktizierte Viehzucht fand nur in ihren spektakulären Aspekten die Aufmerksamkeit der antiken Autoren. Ziegen, Esel oder Maultiere, die es überall in großer Zahl gab, kommen deswegen fast nie in den Texten vor. Dagegen sind die Pferde aus Kappadokien, Kilikien, Armenien und Pontos von der achämenidischen Zeit bis zur Spätantike berühmt. Die ebenfalls überall verbreitete Schafzucht war in Galatien ganz besonders wichtig, weil dieses trockene Land eigentlich nur zur Viehhaltung genutzt werden konnte. Auch wenn ihre Wolle nicht besonders gut war, bezog König Amyntas einen Teil seines Reichtums aus seinen mehr als 300 Herden, und laut Strabon [12. 6. 1] machten damit auch viele andere auf dem anatolischen Plateau ein Vermögen. Andere R e gionen wie Phrygien erzeugten Wolle von exzellenter Qualität, die in den Wollzentren der Region (Apamea, Hierapolis, Laodikeia am Lykos, Kolossal) und in Milet weiterverarbeitet wurde. Dazu kommen noch Geflügelzucht und Honigerzeugung, die zwar überall praktiziert wurden, die jedoch nur ausnahmsweise ausdrücklich genannt werden, wie der Honig aus Kos und Zypern. Die antiken Autoren preisen alle gleichermaßen die Verschiedenartigkeit, die Qualität und die große Zahl der Fische im Schwarzen Meer und in der Propontis. Die Fischerei an den Küsten, in den Seen und bestimmten Flüssen scheint weiter entwickelt gewesen zu sein als in anderen Regionen. Fisch in Salzlake wurde geradezu industriell hergestellt, und zwar vor allem in Sinope, Amastris, Tieion, Herakleia Pontika, Chalkedon und den Städten der Propontis. Auch die Purpurschnecke wurde gefangen, deren Purpur jedoch, im Vergleich zum phönikischen, nur von minderer Qualität war. Dieses Gewerbe wurde vor allem an
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der Ägäisküste betrieben, zumal in Karien, Chios, Kolophon, Kos, R h o d o s und Sigeion, während die Färbereien im Binnenland angesiedelt waren.
8. 4. 2 Die Eigentumsverhältnisse Das epigraphische Material bevorzugt die großen D o m ä n e n , zumal die Kaiserdomänen, und deswegen ist die Bedeutung des kleinen und mittleren Besitzes schwer einzuschätzen. Auch die Auswirkungen der römischen Herrschaft sind unzureichend bekannt, da es an Studien zu Katastrierung u n d Zenturiation fehlt. Bei den Kolonien und den Ansiedlungen kolonialen Typs dürften diese Auswirkungen nicht gering gewesen sein. U b e r den westanatolischen Großbesitz informieren uns euergetische Schenkungen u n d Rednerbiographien. Aelius Aristides besaß vier D o m ä n e n in H a drianutherai [Robert 12, S. 207-222], u n d der Lehrer des Apollonios von Tyana, Euxenos von Herakleia, erhielt für seine Dienste ein G u t bei Aigiai in Kilikien [Philostr. Apoll. 1. 7]. Manchmal entstanden D o m ä n e n dadurch, daß verpfändetes Land eingezogen wurde, so diejenige von Attalos in Apollonia an der Salbake [ M A M A VIII 413]. Die große Zahl euergetischer Stiftungen in F o r m von Land bestätigt den Eindruck, daß der Großbesitz vorherrschend war. In Parion schenkte der kynische Philosoph Peregrinus Proteus seiner Stadt Land im Wert von 9 0 0 0 0 0 Denaren [Luk. peregr. 14f.]. U n t e r Claudius oder N e r o verschenkte ein unbekannter Wohltäter in Aizanoi die Einkünfte eines ganzen Dorfes für Wettkämpfe [ I G R IV 582-584], In Oinoanda finanzierte C . Iulius Demosthenes die G r ü n d u n g der Demostheneia durch die Einkünfte seiner Ländereien [Wörrle 84], wie es Ti. Claudius Agrippa fur ein Pferderennen in Termessos tat [ΤΑΜ III 1, 185]. Diese Euergeten besaßen offensichtlich so viel Land, daß sie derartige Geschenke nicht u m einen wesentlichen Teil ihrer Einkünfte brachten. D a ß der Großbesitz einen wesentlichen Anteil an der Produktion hatte, wird durch folgendes Ereignis illustriert. Einige Großgrundbesitzer aus Aspendos konnten eine Hungersnot in Prusa auslösen, indem sie ihre Ernten unter Verschluß hielten, woraufhin die M e n g e D i o n allein beschuldigte, die Prusa auszuhungern. U m g e k e h r t zeigt die Existenz einer städtischen Menge, die völlig vom Markt und den kostenlosen Verteilungen abhing, daß viele Menschen kein Land besaßen. Epigraphik u n d Archäologie bestätigen die Informationen aus den Texten. St. Mitchell [152, S. 1070-1080] hat gezeigt, daß es in Galatien riesige D o m ä n e n gab, die z u m einen Teil fremden Eigentümern (hauptsächlich anderswo w o h n e n d e n R ö m e r n ) gehörten, wie diejenigen der Sergii Paulli bei Vetissos oder diejenigen von Considius vor ihrer Konfiskation, zum anderen in Kleinasien lebenden R ö m e r n (M. Plancius Varus aus Perge in Nordwestgalatien und Südpisidien, Sex. Paccius Valerianus Flaccus aus Attaleia im Südosten des Tatta-Sees) oder auch einheimischen Großgrundbesitzern wie Pylaimenes, Albiorix oder C. Iulius Severus, alles N a c h k o m m e n der letzten galatischen K ö n i ge, oder auch C. Iulius Quadratus Bassus aus Pergamon, der die praedia Quadra-
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tiana bei Laodikeia Katakekaumene in Lykaonien sowie ein ganzes Dorf in Ostlydien besaß [ΤΑΜ V 1, 245], In Asien hatten die R ö m e r auf dem Kontinent (Temnos, Alabanda, Parion) und den Inseln (Chios, Kos, Mitylene) viel Land erworben, teilweise als Pfand für Kredite an Städte oder Privatleute, die diese nicht hatten zurückzahlen können [Cie. fam. 13. 56; Flacc. 51]. Obwohl es schwierig ist, zwischen R ö m e r n und hellenisierten Indigenen zu trennen, läßt sich die Präsenz von Immigranten mit Bodenbesitz in Kyme (Äolis) sowie in Blaundos und Thyateiros (Lydien) erahnen. Rubellius Plautus besaß Domänen in Asien, die Nero konfiszieren ließ [Tac. ann. 14. 22]. Cn. Catilius Atticus besaß Land in Apamea-Myrleia, Considius in Ostphrygien, unter Claudius Appuleia Concordia in Galatien. Ummidia Cornificia Faustina, Marc Aurels Nichte, hatte große Domänen bei den Ormeleis nahe Kibyra, die ihre Nachfahren u m 270 noch besaßen. Nach der großen Zahl von Verwaltern und Vertretern jeder Art zu urteilen, die in den Inschriften begegnen, läßt sich vermuten, daß viele dieser Großgrundbesitzer abwesend waren und ihre Domänen durch Vertreter verwalten ließen. Einen besonderen Platz nehmen die Heiligtümer ein [Gara, in: 102], wobei zwischen den Heiligtümern Zentral- und Ostanatoliens, die von einer indigenen Priesteraristokratie beherrscht wurden, und den städtischen Heiligtümern einzelner Gemeinden unterschieden werden muß. Der beträchtliche Umfang ostanatolischen Tempellands ist zuverlässig belegt für Komana in Pontos [Strab. 12. 3. 32-36], Zela [12. 3. 37], Komana in Kappadokien [12. 2. 3], Venasa [3000 Hierodulen: 12. 2. 5f.], Kabeira in Pontos [12. 3. 31] und im pisidischen Antiochia [12. 8. 14]. Doch auch die großen städtischen Heiligtümer Kleinasiens, wie das von Athena Ilias in Ilion [I. Ilion 71] oder das des Apollon von Didyma in Milet [Strab. 14. 1. 5], waren gleichermaßen reich. Die Artemis von Ephesos besaß nicht nur Steinbrüche, Fischgründe, Salzgärten und Weiden, sondern auch Landgüter im Kaystros-Tal. Die Tempeldomänen bestanden seit langer Zeit, wie man etwa am Heiligtum des Zeus von Aizanoi sieht, der unter Hadrian Land besaß, das ihm von Attalos I. von Pergamon und Prusias I. von Bithynien (um 200 v. Chr.) gegeben worden war. Diese Domänen, die aus ehemaligem Kleruchenland bestanden, wurden sehr langfristig an Privatleute gegen einen Pachtzins ausgegeben [Laffi 93; M A M A IX 1998, S. XXXVI-XLIII und S. 4-6, Nr. 8f.]. Die schärfere Kontrolle der Tempelprivilegien durch Tiberius verhinderte möglicherweise die Ausdehnung ihrer Domänen [Tac. ann. 3. 60-63; 4. 14], Im Eigentum des Kaisers [Crawford, in: 961] befanden sich nicht nur Landgüter, sondern auch Bergwerke und Steinbrüche. Gleich von Anfang an machten sich die Kaiser daran, die Metallvorkommen für das Patrimonium zu vereinnahmen. Eine komplette Liste der Bergwerke und Steinbrüche der H o h e n Kaiserzeit steht immer noch aus [Waelkens 108], In kaiserlichen Eigentum standen jedenfalls die Marmorbrüche von Synnada-Dokimeion [Christol/Drew-Bear 101], die von Prokonnesos [Asgari 99, 100], die Steinbrüche von Tralleis, Teos, der Troknaden in Phrygien, der graue Granit der Troas und der kappadokische
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Onyx. Man förderte Mennige (miltos) in Kappadokien, Eisen in Bithynien, der Troas, Kappadokien und der Umgebung von Pharnakeia in Pontos, Kupfer auf Zypern, Molybdän in Kilikien, Blei in Mysien und Zypern. Die Edelmetalle Gold und Silber fehlten jedoch, sieht man von dem silberhaltigen Bleiglanz ab, der in der Nähe der Kilikischen Tore abgebaut wurde [Healy 101; Dworakowska 1/1001]. Es ist viel schwieriger, die Ausdehnung der landwirtschaftlichen Güter abzuschätzen [Gara, in: 102, S. 96f.]. Lange Zeit glaubte man, daß sie vom ersten Moment der römischen Herrschaft im Orient an von gewaltiger Größe gewesen sein müßten, da die Kaiser der julisch-claudischen Dynastie, so meinte man, die königlichen Domänen von Galatien, Kappadokien und Pontos geerbt haben müßten. Den Inschriften (Domänengrenzsteine, Erwähnungen von kaiserlichen Freigelassenen, tablarioi und Prokuratoren) zufolge waren die Kaiserdomänen im 1. Jh. aber sehr klein. Sie wuchsen ein wenig unter den Flaviern, nahmen aber erst ab Commodus und den Severern massiv zu. Die Annexion Galatiens und später Kappadokiens führten nicht automatisch zur Entstehung ausgedehnter Kaiserdomänen. In Galatien wurde ein Teil des königlichen Landes zur Gründung neuer augusteischer Kolonien benutzt. Es gingen also nicht alle galatischen Domänen ins Patrimonium von Augustus über, z. B. blieben auch die Nachkommen von Amyntas unermeßlich reich. In Kappadokien ist die Sache weniger klar. Dort erbte Tiberius vielleicht die königlichen Domänen im Westen des Landes, bei Kadena, Nora und Archelais-Garsauira, was seine plötzliche Großzügigkeit gegenüber den Kappadokiern erklären könnte [Verringerung des Tributs: Tac. ann 2. 4. 4]. Was vom ager publicus, der im 1. Jh. v. Chr. einen gewaltigen Umfang besessen hatte [Cie. leg. agr 1. 5; 2. 50] übrig geblieben war, wurde teilweise an R ö mer ausgegeben, so in Attaleia. Manchmal diente er zur Gründung einer neuen Stadt oder zur Vergrößerung des Territoriums, wie der ager publicus der kilianischen Ebene [L. Robert, Etudes épigraphiques et philologiques, Paris 1938, S. 260-265], der teilweise an das Territorium von Neapolis fiel. Manchmal verwandelte er sich auch zu einer Kaiserdomäne, was mit einem anderen Teil der kilianischen Ebene [Plin. nat. 5. 147] und dem ager Oroandicus geschah [Robert 13, XIII, S. 82-84], Zur Zeit der Flavier und der Antonine befanden sich in den Hochtälern des Granikos sowie in Ostlydien und Phrygien Kaiserdomänen. In Galatien sind neue Domänen im 2. Jh. belegt. Die praedia Considiana entstanden vielleicht durch Konfiskationen unter Tiberius (damals wurden zwei Considii abgeurteilt), aber die praedia Quadratiana bei Laodikeia Katakekaumene wurden erst im 2. Jh. kaiserliches Eigentum. Erst ab Commodus und den Severern nahmen die Domänen in Zentralphrygien massiv zu [Strubbe 97]. Sie waren oft riesig, grenzten unmittelbar aneinander und befanden sich in der Nähe von älteren Kaiserdomänen wie Bergwerken oder Steinbrüchen (z. B. Dokimeion). Andere entstanden im paroraiischen Phrygien um Tyriaion [MAMA VII 523f.], in Südphrygien in Takina [AE 1989,
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721], in Pisidien und Asien (um Philadelphia in Lydien u n d im Tembris-Tal bei Kotyaion), sowie in Bithynien [Flam-Zuckermann 89]. Zählt man zusammen, was reiche griechische Honoratioren, römische Kolonisten, fremde Grundbesitzer, Heiligtümer, die Städte und der Kaiser insgesamt besaßen, so bleibt sehr wenig R a u m für kleinen und mittleren Grundbesitz. In den Quellen finden Kleinbesitzer wenig Erwähnung — was natürlich nicht b e deutet, daß es sie nicht gab. Auf dem flachen Land gab es Dorfbewohner, die ihr eigenes oder gemeinschaftliches Land bewirtschafteten. Auch der koloniale Grundbesitz in Phrygien und Pisidien m u ß erwähnt werden. Jeder Kolonist hatte ein Landlos erhalten, von d e m er leben konnte, das ihn aber sicher nicht zum Großgrundbesitzer machte. Es wäre aber möglich, daß sich das Land im Laufe der Zeit in den H ä n d e n einer reichen Minderheit konzentrierte. W i r wissen jedenfalls nichts Sicheres. Es gibt Anzeichen für eine Tendenz zur Landkonzentration außerhalb der Kolonien [Gara, in: 102, S. 94f.], aber diese seltenen Zeugnisse berechtigen nicht zu Verallgemeinerungen [Svencickaja 1/934, S. 34f.]
8. 4. 3 Arbeitskraft und Bewirtschaftung Die Texte interessieren sich m e h r für die Besitzer als für Landarbeiter. Deswegen sind wir über die Formen der Bewirtschaftung u n d die Identität der Arbeiter schlecht informiert. M a n kann den Einsatz von Sklaven in der Landwirtschaft nicht in Frage stellen, denn auf der D o m ä n e von C. Iulius Quadratus in T h e r mal Theseos in der M o k a d e n e waren sie so zahlreich, daß sie nach d e m Vorbild der beruflichen Vereinigungen eine familia bildeten [140/1 n. Chr., Τ Α Μ V 1. 71], und 107 Sklaven arbeiteten auf einer konfiszierten D o m ä n e in Kibyra [ I G R IV 914], Gleichwohl läßt sich abschätzen, daß die Sklavenarbeit (im traditionellen Sinne) nur einen sehr geringen Anteil an der landwirtschaftlichen P r o duktion Anatoliens ausmachte. In den westlichen Landschaften w o h n t e n Bürger auf d e m flachen Land, die ihre Güter selbst bewirtschafteten. Sie arbeiteten auf ihren Feldern allein oder mit Hilfe einiger Sklaven nach dem klassischen Modell des kleinen u n d mittleren Besitzes des ägäischen R a u m s . Aber in denselben Städten sind seit der hellenistischen Zeit G r u p p e n freier Bauern ohne Bürgerrecht bekannt, wie die Pedieis in Priene und Magnesia am Mäander [I. Priene 3, 14, 15, 16]. Die großen D o m ä n e n scheinen nicht mit Sklaven bewirtschaftet worden zu sein. Diejenigen, die man dort antrifft, sind vielmehr Verwalter, Prokuratoren oder Wirtschafter. Die Bauern scheinen zwar frei gewesen zu sein, standen aber in Abhängigkeit zum Großgrundbesitzer, unabhängig davon, ob er freier Privatmann, der Kaiser oder ein Heiligtum war. W i e das juristische Band genau aussah, ist unklar. Auf dem Tempelland bedeuten die Begriffe hierodulos u n d hieros eindeutig ein Abhängigkeitsverhältnis zu einem Gott. Es kann sich u m Freie handeln, die sich weihten und sich selbst in den Dienst des Gottes stellten. Ferner hat P. D e b o r d
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gezeigt, daß damit auch die abhängigen Bauern der großen Heiligtümer b e zeichnet wurden, daß also dulos die Abhängigkeit, nicht die Sklaverei im eigentlichen Sinne bezeichnet [Debord 1/806, S. 83-90, 117-124]. Diese G r u p p e n konnten ziemlich groß sein: 3 000 bis 6 000 im pontischen Komana, vielleicht genauso viele in Zela, 3 000 in Venasa. Die „Säkularisation" dieser Priesterstaaten zu poleis wird daran wenig geändert haben, die Dörfler werden weiterhin vom Gott oder der Stadt abhängig gewesen sein. Außerhalb des Tempellands variieren die verwendeten Begriffe (paroikoi, katoikoi, kometai, enchorioi, choritai, geoteiktai), die allesamt nicht-technisch waren [Debord 88]. D e n Status der Einzelnen nach d e m benützten Begriff zu definieren, ist also ein riskantes, wenn nicht sinnloses Unterfangen [Svencickja 1/934, S. 44-54]. Die Bauern der Kaiserdomäne von Arague waren weder Sklaven noch an die Scholle gebundene Hörige. Sie konnten Beschwerden einreichen und erinnerten in einem Brief an Kaiser Philippus Arabs (244-249) [OGIS 519], daß sie dort schon seit Generationen arbeiteten. Ganze Dörfer, die für private Großgrundbesitzer arbeiteten [Liste bei R o b e r t 12, S. 383], sind seit d e m 1. Jh. belegt. Wenn ein Grundbesitzer von Aizanoi unter Claudius oder N e r o das D o r f Palox zur G r ü n d u n g eines Wettkampfs verschenkt, dürfte das wohl beides, Land und Leute, meinen [ I G R IV 582f.]. Gleichermaßen besaß D o m i t ius R u f u s aus Sardeis in der Mitte des 3. Jh.s das ganze D o r f Tetrapyrgia. Er erhielt das R e c h t , dort einen monatlichen Markt abzuhalten [ΤΑΜ V, 1, 230]. Diese Situation dominierte wahrscheinlich weitgehend in Galatien, Kappadokien u n d Pontos, w o die lokale Aristokratie zahlreiche Dörfer besaß. Selbst w e n n man also keine genauen juristischen Kategorien definieren kann, gelang es den Mächtigen überall, die Arbeitskraft der indigenen Bevölkerung für ihre Zwecke zu nützen. Die „ D o m ä n e " bestand häufig nicht in der eigenen Bewirtschaftung von Land, sondern in der Abschöpfung eines Teils der P r o d u k tion der Dorfbewohner. Im Gegenzug schützte der Großgrundbesitzer vor R ä u b e r n und habgierigen Steuereintreibern. So entstand das Patronat. Viele Städte besaßen abgabepflichtige Dörfer auf ihrem Territorium. D i o n unterscheidet nach diesem Kriterium zwischen Dörfern u n d Städten [40. 10]. Sagalassos in Pisidien betonte in einer Inschrift, daß ihm ein Fünftel des Dorfes Tymbrianessos gehöre, das Teil einer Kaiserdomäne war [55 n. Chr., SEG X I X 765]. Balbura bezog Einkünfte aus der pentakomia Tyriaion auf seiner Chora [Naour 130, Nr. 7]. Andere Beispiele stammen aus Apamea-Myrleia, Hadrianopolis in Lydien, Magnesia am Mäander, Aphrodisias, Philadelphia in Lydien, Sebastopolis in Pontos und Byzanz. In diesen D ö r f e r n lebten Menschen ohne Bürgerrecht. Ihre Vorfahren waren bei der Ankunft der Griechen besiegt w o r den, u n d seitdem standen diese O r t e in Abhängigkeit zu den Griechenstädten. Der N a m e Thrakiukometai im Territorium von Kyzikos verrät eine indigene Herkunft. Die nicht-hellenisierte Bevölkerung der Dörfer auf dem Territorium inneranatolischer Städte war v o m Bürgerrecht ausgeschlossen u n d wurde zu tribu tpflichten Abhängigen. Diese U n t e r o r d n u n g konnte verschiedene F o r m e n
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annehmen, nämlich direkte Ausbeutung der Bauern als Kolonen oder die Verpflichtung für das Dorf, einen Gesamtbetrag zu bezahlen.
8. 4. 4 Das Leben auf dem Land Eine Studie über die anatolischen Dörfer steht noch aus. Antike Beschreibungen gibt es nicht, und wenn eine Form ländlichen Wohnens in den Quellen begegnet, dann sind dies die Häuser der Reichen. Laut Philostrat bewohnten die Reichen in Aspendos große Häuser, die über das Territorium verstreut waren. In Galatien besaßen die Adligen feste Häuser, die die Dörfer ringsum dominierten. Gleiches gilt für Kappadokien und alle Regionen mit einer wenig urbanisierten, indigenen Aristokratie. Große, befestigte Häuser mit Türmen gibt es auch in der Kilikia Tracheia, aber ihre Datierung ist nicht sicher [Hopwood, in: 1/518]. Zu entdecken sind noch die großen villae, von denen bislang nur eine einzige ziemlich vollständig erforscht wurde, die auf der Insel Elaiussa, gegenüber Elaia, dem Hafen von Pergamon, wo die Uberreste einer Portikusvilla italischen Typs aus der ersten Hälfte des 2. Jh.s ausgegraben wurden. Aber auf dieser kleinen Insel wird es sich eher um eine Freizeitresidenz als um einen Gutshof handeln [Hoffmann 92]. Der Bauer war das bevorzugte Opfer der Räuber. R o m mußte gegen einige Stämme kämpfen: die Homonadeis, Bauern und Plünderer an der Grenze von Lykaonien und Ostpisidien [Strab. 12. 6. 5], die Kietai in Kilikien und pontische Stämme wie die Mosynoiken, die von der Ernte, der Jagd und der Plünderung der Umgebung von Trapezus lebten [Strab. 12. 3. 17f.]. Die Romane vermitteln den Eindruck, daß es zwischen Kleinasien und Agypen nur Räuber und Piraten gegeben habe. Es wurde viel darüber diskutiert, inwieweit die Darstellung dieser literarischen Werke, denenzufolge das flache Land ein Ort ständiger Gefahr [Said, in: 50] und Brutalität [Scarcella 96] gewesen sei, Glauben verdient. Aber das ist vor allem eine chronologische Frage. Denn nach dem Beginn des Prinzipats mußte man erst auf die zweite Hälfte des 2. Jh.s und vor allem die 180er Jahre warten, um zu sehen, wie die ländliche Unsicherheit und das Räuberunwesen wieder zunahmen [Franto, An Antoninus Pius 8; Martyrium des Hl. Polykarp 7. 1], Die zahlreichen Bezeugungen von Eirenarchen, diogmitai, Paraphylaken und Orophylaken, die für Sicherheit auf dem Stadtterritorium zu sorgen hatten, gehörten eigentlich alle in diese Zeit [Robert 12, S. 94-110; 13, X , S. 174-176; 16, S. 323]. Städtische Polizisten patrouillierten in den Dörfern der Chora von Hierapolis in Phrygien, in Karien [Robert 14, S. 42, 281 f.], in Pisidien und in Kilikien. Inschriften erwähnen Expeditionen gegen die Räuber um Bubon in Pisidien unter Commodus [Schindler 167] oder den Tod eines Soldaten im Kampf auf dem mysischen Olymp [Robert 12, S. 97f.]. In den Bergregionen Süd- und Südwestanatoliens war die Situation schlimmer, wie die Existenz zahlreicher stationarii zu belegen scheint. Dies waren römische Soldaten, die Kreuzungen und strategische Punkte schützten. Die zunehmende Unsicherheit fiel zeitlich zusammen mit dem Anwachsen des Unmuts der schwer unter
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den Lasten leidenden Landbewohner [S. 354f.], während zugleich die Notabein, ihre Herren, unter Bürden zu leiden hatten [Shaw 1/932].
8. 4. 5 Dörfliche Gemeinschaften Die kollektiven Klagen von D o r f b e w o h n e r n beweisen, daß autonome dörfliche Strukturen lebensfähig geblieben waren. Dörfliche Gemeinwesen, die sich u m ein Heiligtum organisiert hatten - entweder ein eigenes in Almura auf dem Territorium von Ephesos, w o der Gott M e n „Präsident" u n d „Beschützer" war, oder ein Bundesheiligtum wie das des Zeus von Panamara in Karien, zu d e m mehrere Dörfer u n d die Stadt Keramos gehörten —, bewahrten einen eigenen Charakter. Handelten sie gemeinsam, nannten sie sich demos oder koinon, aber meist reichte schon ein Kollektivname aus, u m sie zu bezeichnen. Sie verwalteten eine Kasse, hielten Versammlungen ab, faßten durch Abstimmung B e schlüsse, errichteten Bauten im gemeinsamen Interesse, dankten ihren Wohltätern, brachten Dorfgöttern Weihungen dar oder schrieben an den Kaiser. Die dörfliche Gemeinschaft b e n a h m sich wie eine polis, was soweit ging, daß man ebenfalls die „Eintracht" feierte. Dieser Organisationstyp war anscheinend unabhängig davon, ob das D o r f von einer Stadt abhängig war oder nicht. D o r t jedoch, w o dörfliche G e m e i n schaften verhindern konnten, in eine städtische Chora einbezogen zu werden, leisteten sie den Einverleibungsgelüsten der Nachbarstädte heftigen Widerstand [Millar 1/355, S. 541-544]. Strabon beschreibt G r u p p e n von Dörfern, die auton o m lebten wie die Heptakometai in Pontos [12. 3. 17f.] oder die Homonadeis in Isaurien, die sich in unzugänglichen Tälern verschanzt hatten [12. 6. 5]. Einige Dörfer waren nicht nur autonom, sondern besaßen auch die minimale m o n u mentale Ausstattung einer Stadt, so daß Strabon bei ihnen von komopolis, „ D o r f stadt", spricht [12. 2. 5 u n d 6. 1, Garsauira in Kappadokien; 12. 6. 1, Soatra in Lykaonien], Die großen Stammesbünde zeigten dagegen eine Tendenz zu verschwinden, wie die Mysier in der Abbaitis [S. 353]. Dasselbe Phänomen zeigt sich bei den Homonadeis in Pisidien, zwischen Lystra und Palaia Isaura. N a c h ihrer N i e d e r lage von 4 / 3 v. Chr. scheint ihre starke Gemeinschaft aufgelöst worden zu sein. Im Laufe des 1. u n d 2. Jh.s lassen sich nur noch kleine G r u p p e n identifizieren, wie die Sedaseis u n d zumal die Gorgoromeis u m den Trogitis-See. Die dortige nicht-autonome Gemeinschaft ohne Magistrate, Bule oder Münzprägung lebte im Kontakt mit einer statio, die in der N ä h e des Sees installiert war. Das hauptsächliche Ventil einer möglichen Uberbevölkerung blieb der Eintritt ins r ö m i sche Heer (zahlreiche zurückgekehrte Veteranen in der R e g i o n und viele Träger der tria nomina). Die G r ü n d u n g von Lystra hatte den Homonadeis j e d e Möglichkeit geraubt, in die Ebene von Ikonion hinabzusteigen, und die Verstärkung der Nachbarstädte durch Claudius (Claudiomistea, Claudikonion, Claudioderbe) hatte den Sperrgürtel befestigt, andererseits d e m Griechentum neue Ansatzpunkte gegeben [Hall 90]. Daß sie in einer unterprivilegierten Stellung gehalten
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wurden, könnte mit den Kapitulationsbedinungen der Homonadeis am Ende eines blutigen Krieges zusammenhängen. Andererseits war die Zersplitterung bei dem Nachbarvolk der Orondeis genauso schlimm, das doch Frieden gehalten hatte. Vorübergehend wurden sie von einem kaiserlichen Prokurator verwaltet [Robert 13, XIII, S. 82-84], später teilten sie sich wieder (zumindest teilweise) auf die beiden neuen Städte Pappa-Tiberiopolis und Mistea auf, die unter Tiberius bzw. Claudius gegründet wurden. In allen Fällen waren die alten Stammesstrukturen in kleinere Teile aufgesplittet worden oder verschwanden in neuen Städten. Dörfer hatten keine andere Zunkunft, als einer Stadt untergeordnet zu werden oder selbst zu einer solchen aufzusteigen.
8. 5 Handel und Verkehr Man hat versucht, die Auswirkungen der Scharnierposition Kleinasiens zwischen Europa und dem Nahen Osten, oder vielmehr zwischen dem R h e i n - D o nau-Limes und dem orientalischen Limes zu bestimmen [Gren 105]. Aber die Uberstädterung Westanatoliens scheint noch stärkere Auswirkungen auf die Wirtschaft gehabt zu haben. Die Entwicklung der Städte und die allgemeine Prosperität bis zum Ende des 2. Jh.s haben zur Vernachlässigung der Fragen geführt, wie die allgemeine Entwicklung verlief und wie die Bedingungen und die Grenzen dieser Blüte aussahen.
8 . 5 . 1 Straßen, Häfen und Händler Anatolien spielte anscheinend keine so große Rolle im mittelmeerischen Handel wie Ägypten oder die phönikischen Häfen. Dieser Eindruck wird von der Tatsache hervorgerufen, daß die Luxusgüter, die in den literarischen Quellen so groß in Erscheinung treten, nicht durch Anatolien liefen. Die Entwicklung der Hafeninfrastruktur und die Erwähnung von naukleroi und Händlern sind andererseits eindeutige Indizien für den Handel zwischen Anatolien und dem Rest der Oikumene. Das in der Kaiserzeit geschaffene Straßennetz folgte militärischen Bedürfnissen [S. 350]. Es baute im wesentlichen auf bereits vorher existierenden Karawanenwegen auf. Große Achsen liefen von den Städten der Ägäisküste ins Landesinnere, nach Ankyra oder Ikonion, und von dort weiter zum Euphrat und nach Syrien. Der Bau von Straßen, die zu allen Jahreszeiten benutzbar waren, erleichterte den Verkehr, nützte dem Handel und sorgte in einem gewissen Maß für neue Handelsströme, insbesondere zwischen dem Westen und den Regionen des Euphrat-Limes, dessen Truppen verpflegt sein wollten. Aber das war nur ein Aspekt der internen Handelströme Anatoliens. So hat P. Debord [1/806] gezeigt, daß die indigenen Heiligtümer auch als regionale Märkte fungierten. Bei den Hafenanlagen muß archäologisch noch viel geleistet werden. Die großen Häfen Kleinasiens (Ephesos und Milet) versandeten und brauchten deshalb regelmäßige Wartung. An der Südküste gab es Kais in Side und Phaseiis,
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was aufwachsendes Volumen hinweist. An der Nordküste teilten sich die großen Häfen Herakleia Pontika und Sinope mit zahlreichen kleinen Handelskontoren, die mit den binnenländischen Städten in Verbindung standen, den H a n del. W i r brauchen noch viel mehr Monographien über einzelne Städte, u m ihre besonderen Beziehungen kennenzulernen, die sich in Proxenien, E h r u n g e n u n d Gesandtschaften manifestieren. L. R o b e r t etwa zeichnet das Netz der Verbindungen der bithynischen Kleinstadt Prusias am Hypios nach. Sie lag in der N ä h e der Straße von Nikomedia nach Ankyra u n d war ein florierendes Z e n t r u m der Waldwirtschaft. Daher besaß sie an der Küste ein emporion [ I G R III 1427], eine Handelsniederlassung. Das Holz w u r d e durch Flößen flußabwärts geschafft u n d dann an die südrussischen und linkspontischen Städte exportiert. Die Texte zeigen, welche Beziehungen Prusias zu Olbia, Tomis und dem K i m merischen Bosporus unterhielt. Die bosporanischen Könige sind noch im 3. Jh. als Wohltäter in Prusias belegt [Robert 18, S. 78-86]. Aber solche Erkenntnisse sind n o c h viel zu verstreut, als daß man eine Gesamtschau der Beziehungen zwischen Kleinasien und dem Rest des Reiches bieten könnte.
8 . 5 . 2 Geld und Handel Anatolien unter römischer Herrschaft teilte mit d e m Rest der griechischen Welt das Privileg, seine eigenen Geldstücke prägen zu dürfen. Studien über den Geldumlauf k ö n n e n gewiß bei der Verfolgung der Handelsströme helfen. Läßt sich daraus auch die relative Bedeutung der Städte untereinander erschließen? Anders formuliert: Gab es einen Z u s a m m e n h a n g zwischen den Münzemissionen u n d der Wirtschaft der Städte? N e b e n dem Reichsgeld, das in Anatolien wie überall zirkulierte, gab es unter der Kontrolle der römischen Verwaltung provinziale Emissionen gemäß griechischem M ü n z f u ß und mit griechischen Bezeichnungen. In Asien waren dies die Kistophoren, die unter Augustus, Claudius, Titus, Domitian und Traian in Ephesos u n d Pergamon geschlagen wurden, dann unter Hadrian an rund 20 O r t e n dieser Provinz sowie im bithynischen Nikomedia [Metcalf 119], In Galatien, auf Zypern u n d in Bithynien gab es Emissionen im N a m e n des Koinon. Die Tetradrachmen von Caesarea in Kappadokien scheinen demselben Z w e c k gedient zu haben, denn außer Tyana prägte keine andere Stadt Kappadokiens. Ferner behielten zahlreiche griechische Städte bis zur Mitte des 3. Jh.s das R e c h t , in eigenem N a m e n M ü n z e n nach griechischem Fuß zu prägen, die sog. Greek Imperials [Jones 117]. Ihre geographische Verteilung entspricht der U r b a nisierungsrate. Die Dichte in Bithynien, Asien, Pisidien, Lykaonien und Kilikien ist hoch, während es in Pamphylien nur sechs prägende Städte gab, vier in Galatien (Ankyra, Germa, Pessinus, Tavium), zwei in Kappadokien (Caesarea, Tyana). Diese Prägungen (zumeist aus Bronze, selten aus Silber) erfolgten unregelmäßig. Selbst in den großen Städten konnten zwischen einzelnen Münzserien zehn oder m e h r Jahre liegen. So prägte Sardeis nicht zwischen 1 7 5 / 6 und
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195/6 [Johnston, in: 112], und in Hierapolis in Phrygien wurde alle 20 Jahre von Traian bis Caracalla gemünzt [Johnston 116]. Außerdem kamen viele dieser Münzen aus denselben Werkstätten. Die Stempelschneider und Gießer lebten in einigen wenigen Städten, wo sie auf Bestellung arbeiteten [Kraft 118]. Die Münzprägung war für die Städte vor allem eine Frage des Prestiges. Die M ü n zen zeigten die Götter, Titel und Embleme der prägenden Stadt [Franke 60; Harl 61], wenn sie nicht einem bestimmten Programm dienten, wie H o m o noia-Prägungen, die gleichzeitig von zwei Städten herausgegeben wurden [Pera 72]. Die Zahl der Münzprägestätten nahm unter Hadrian sprunghaft zu, dessen Politik des Uberschwangs für die griechische Vergangenheit und die Werte der polis sich auch in der Gründung neuer Städte und dem Zusammenschluß der Griechen im Panhellenion manifestierte. Die Städte nahmen ihre Prägung nicht als Instrument der Wirtschaftspolitik wahr, aber diese Münzen vergrößerten natürlich die Geldmenge. Nimmt man alle griechischen Städte zusammen (inkl. der europäischen und syrischen), kann man einen starken Zuwachs der prägenden Städte bis zu den Severern beobachten. Unter Augustus emittierten 148, unter Claudius 90, unter Hadrian 218, unter Marc Aurel 295 und unter Sepitimius Severus 363 Städte. Da die Emissionen nicht kontinuierlich waren, müssen diese Zahlen freilich nach der Länge der einzelnen Herrschaftszeiten gewichtet werden. Aber der Trend ist klar. Darf man daraus erschließen, daß die Städte stärker prosperierten und über mehr Metall verfügten? Das ist nicht sicher, denn die kaiserliche Verwaltung wälzte damit eine Bürde auf die Städte ab, die damit kaum Profit machten. Deswegen wäre es falsch, Wirtschaft und Volumen der Münzprägung direkt miteinander in Beziehung zu setzen. Die Schlußfolgerungen von E. D^browa [21] für Bithynien sind deswegen kritisch zu sehen. Aufgrund der Tatsache, daß Nikaia fast konstant doppelt so viel prägt wie Nikomedia, will er in Nikaia das wirtschaftliche Zentrum Bithyniens sehen. Aber die dortige Wirtschaft wird kaum aktiver gewesen sein als die in der Hauptstadt Nikomedia, die für ihre Schiffswerften [Robert 19, S. 109-124] und ihren Hafen bekannt war, über den Schwergüter aus dem Binnenland (wie der phrygische Marmor) exportiert wurden [Plin. epist. 10. 41]. Dion erklärt vor den Nikomediern, wie sehr sie die Nikaier im Bereich des Seehandels überträfen [Dion 38. 22]. Nikomedias naukleroi kreuzten im ganzen östlichen Mittelmeer, und sein Hafen erscheint in Diocletians Maximaltarif als Ausgangspunkt der Seerouten nach Alexandria, R o m , Ephesos, Thessalonike, Phönikien, Pamphylien und Achaia [Robert 19, S. 118-120], Alle Indizien widersprechen den Schlüssen, die allein aus der Zahl der Münzprägungen gezogen wurden. D^browa hat ferner vorgerechnet, daß die Zahl der Münzprägungen von allen bithynischen Städten zusammengenommen von 311 im 1. Jh. auf 1169 im 2. und 3285 im 3. Jh. stieg. Er will diese Zunahme mit dem Durchzug der Truppen erklären, die an der Ostgrenze für Traian, Lucius Verus, die Severer und ihre Nachfolger kämpften. Doch begegnet dieses Phänomen überall, auch in den Regionen, durch die keine Truppen zogen (Pisidien). Die Zunahme der
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Emissionen hing also nicht unmittelbar mit dem Durchzug von Truppen zusammen, sondern vielmehr mit Requisitionen, die überall für sie getätigt wurden. Vor allem wohl die wachsende Mobilisierung der fiskalischen Ressourcen zugunsten der Armee hinderte den Staat daran, in ausreichender Zahl Münzen fur die Provinzen zu prägen. Deswegen sorgte die kaiserliche Verwaltung dafür, daß die Städte diese Aufgabe übernahmen. Die Prägungen dienten nicht als Wirtschaftsinstrument, sondern als zusätzliches Instrument der Ausbeutung. Man muß alle Indizien kombinieren, um eine allgemeine wirtschaftliche Tendenz ausmachen zu können. T. R . S. Broughton [1/962] versuchte dies anhand von (damals) ziemlich vollständigen Listen von Bau-, Restaurierungs- und Verschönerungsarbeiten in den Städten und den Erwähnungen von Stiftungen und Wohltaten. Daraus Schloß er, daß die Zeit von Augustus und der julischclaudischen Dynastie eine lange Wiederaufbauphase nach einer katastrophalen Ausgangslage gewesen sei. Danach habe die Phase der Flavier und der Antonine alle Zeichen großer Prosperität gezeigt, die ihren Zenit unter Marc Aurel erreicht habe. Danach hätte es bald die ersten Anzeichen des Niedergangs gegeben. Broughton glaubte weiter, daß es wirtschaftliche Verschiebungen gegeben habe und daß einige Zentren prosperierten, andere dagegen schon früh einen relativen Niedergang erlebten. So fanden sich in Karien die Hauptzentren nunmehr im Binnenland, in Alabanda, Aphrodisias und Stratonikeia, während Mylasa, Halikarnassos und Myndos einen Niedergang erlebten. Ein einzelnes Indiz reicht nicht, um eine Tendenz festzustellen. Aber mehrere zusammengenommen können aufschlußreich sein. Am Ende des 2. und im 3. Jh. läßt sich ein starker Rückgang der Schenkungen von Bauten und der Euergesien feststellen, während gleichzeitig der fiskalische Druck über den U m weg der eigenen Münzprägung wuchs, das Räuberunwesen wieder auflebte und Klagen über die Wegelagerei stark zunahmen. Dies alles scheint auf eine schwierige Situation in Kleinasien hinzuweisen, ehe noch die Barbaren über das Land hereinbrachen.
8. 6 Kultur und Religion Das kaiserzeitliche Anatolien war das wichtigste Zentrum der griechischen Literatur [Réardon 209]. Neben Athen und Alexandria waren es Ephesos, Smyrna und Rhodos, wo die Meisterredner der Zweiten Sophistik ausgebildet wurden und übten, wie Dion von Prusa [Desideri 199; Jones 203] oder Aelius Aristides [Boulanger 197; Oliver 206, 207]. Der Roman glänzte mit Xenophon von Ephesos und Lollianos von Ephesos, vor allem aber mit Lukian von Samosata [Jones 202] und Philostrat [Anderson 196]. In der Geschichtsschreibung traten die Bithynier Arrian von Nikomedia [Tonnet 211], Cassius Dio [Millar 204] und Herodian hervor, nicht zu vergessen Strabon von Amaseia. In Pergamon und auf Kos forschten und praktizierten die berühmtesten Arzte, so auch Galen von Pergamon [Moraux 205].
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Der Wohlstand des Landes und die Großzügigkeit der Reichen schufen ideale Voraussetzungen für einen außergewöhnlichen künstlerischen Aufschwung. Die Bildhauerschulen (Aphrodisias, Prokonnesos, Dokimeion) trugen zur Ausschmückung der Städte bei, deren Gebäude zu den prächtigsten der ganzen griechisch-römischen Welt gehörten [Stierlin 216]. Dies war nicht nur in den großen Zentren Asiens wie Ephesos [Alzinger 120; Bammer 121], Milet [Kleiner 128] oder Pergamon [Radt 131] der Fall, sondern auch in Städten mittlerer Größe wie Aphrodisias [Erim 126], ja sogar in Kleinstädten wie Sagalassos [Mitchell/Waelkens 163], Kremna [Horsley 161] oder Balbura [Coulton 159]. Die städtische Landschaft veränderte sich unmerklich durch die neuen Monumente [S. 370f.]. Anatolien war keineswegs zur Gänze griechisch. Einige griechische Götter scheinen überall zu triumphieren, jedenfalls dem Namen nach. Doch wenn man etwas kratzt, scheint häufig ein indigender Gott unter dem griechischen Firnis durch [Robert 17, S. 511-599]. Und dann gab es noch die lokalen Gottheiten, die keine Anleihen bei der griechischen religiösen Ikonographie nahmen. Götter wie Men [Lane 232] oder Sabazios [Vermaseren/Lane 221] waren lokal sehr populär und stehen in Zusammenhang mit religiösen Praktiken, die dem Griechentum fremd waren, wie Beichtstelen [Petzl 234] oder dem Engelskult [Sheppard 238]. Jede Landschaft, jede Gegend hatte ihre eigenen Götter, die fur Phrygien [Drew-Bear 223; Robert 236], Lydien [Keil 231] und Westlykien [Frézouls 228] gut erforscht sind. Doch ist unser Bild noch sehr unvollständig, was die ostanatolischen Regionen angeht, und man kennt auch die Götter der großen indigenen Heiligtümer viel zu wenig, sieht man einmal von Kybele und Attis ab, deren Kult sich von Pessinus aus über das Reich verbreitete [Thomas 239], Die Mode der Orakelheiligtümer scheint im Westen [Fontenrose 227; Parke 233] und im Osten (wo der Scharlatan Alexander von Abonuteichos ein Vermögen mit seiner Schlange Glykon verdiente [Lukian Alex.]) gleich stark gewesen zu sein. Die Kulte zeigen, daß die Mehrheit der Einwohner Anatoliens letztendlich nur oberflächlich vom Griechentum beeinflußt war. Strabon beschrieb in augusteischer Zeit die Verschiedenartigkeit und die Originalität der anatolischen Völker. Drei Jahrhunderte später galten seine Beobachtungen immer noch weitgehend. Freilich verschwanden die indigenen Sprachen allmählich, da sie nicht geschrieben wurden, aber das Lykaonische ist in Lystra in der Mitte des 1. Jh.s belegt [Apg. 14. 11], Das Phrygische beschränkte sich auf Grabsteinformeln, war also eine tote Sprache [Mitchell 152, S. 1060f.; von Aulock 153, S. 34]. Einige Inschriften belegen dagegen das Uberleben des Pisidischen als Schriftsprache, und das Galatische existierte mindestens bis zum Ende des 4. Jh.s η. Chr. Die Hellenisierung der Indigenen blieb nach dem Zeugnis der Onomastik schwach. In Lykaonien gab es 40% lykaonische Namen gegenüber 37% lateinische Namen (hoher Anteil wegen der Kolonien) und 23% griechische Namen.
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Bei den Galatern blieben keltische N a m e n bei der Aristokratie in Mode. N o c h weiter im Osten gibt es nicht genug Texte für einen statistischen Ansatz. Z u den Indigenen kamen noch große G r u p p e n von Fremden. Abgesehen von den R ö m e r n [S. 355f.] sind Perser u n d J u d e n am besten belegt. Die iranische Bevölkerung ging auf die Zeit der Achämenidenherrschaft zurück (6.-4. Jh. v. Chr.) [Basiez 85]. Iraner k ö n n e n in Ionien, Lykien, Karien, Lydien, in Galatien in Tyriaion und Laodike Katakekaumene, in der kilianischen Ebene und auf dem Plateu des paro raiischen Phrygien [Boyce/Grenet 220] nachgewiesen werden, und m e h r noch im Osten, w o Strabon auf die große Zahl der H e i ligtümer für persische Götter in Kappadokien hinweist [15. 3. 15], während Z e la in Pontos ein Heiligtum iranischer Götter beherbergte [12. 3. 37]. Diese G r u p p e n setzten sich vor allem aus Landbewohnern zusammen, die die N a c h k o m m e n achämenidischer Militärsiedler waren. Waren ihre Kulte (Anahita/persische Artemis und Ahura-Mazda) [Robert, C R A I 1975, S. 306-330] und ihre Onomastik nur oberflächliche Überbleibsel [Briant 86]? Ihre Hellenisierung läßt sich k a u m bezweifeln, denn die persische Artemis wurde durch Wettkämpfe griechischen Stils in Hypaia gefeiert (Artemisia), ebenso in Philadelphia in Lydien (Megala Sebasta Anaiteia). Die jüdische Gemeinde, die teilweise auf die hellenistische Zeit zurückging, w u r d e immer stärker [Trebilco 262]. Die Apostelgeschichte und die Paulusbriefe erwähnen Gemeinden nicht nur in den Großstädten an der Küste (Sardeis, Ephesos) u n d im Binnenland (Aphrodisias, Antiochia in Pisidien), sondern auch in Kleinstädten wie Lystra, D e r b e oder Kolossal. Archäologische und epigraphische N e u f u n d e bringen beständig neue Belege ihrer Präsenz in Anatolien Quster 1/500]. Die Gemeinden waren gut in die städtische Gesellschaft Kleinasiens integriert, wie das die Beispiele Sardeis, w o sich Synagoge u n d Gymnasion im Stadtzentrum gut vertrugen [Kraabel 258], u n d Aphrodisias, w o die heidnischen Sympathisanten zahlreich waren [Reynolds/Tannenbaum 260], zeigen. Die Werte der griechischen Stadt, wie der Euergetismus, waren Teil des Lebens der Gemeinde [Lifshitz 259], Diese beiden Hauptgruppen zusammen mit den R ö m e r n waren nicht die einzigen Fremden. Syrer, Pannonier, Thraker, M a k e d o n e n kamen noch hinzu. M a n darf sich bunte Städte vorstellen, in denen sich Griechen, Indigene u n d Fremde mit all der Verschiedenheit ihrer Bräuche, Kulte, Rechtsvorstellungen und Sprachen drängelten. Die Vielzahl der Sprachen, über die sich Strabon in Kibyra wundert, wird so ähnlich in allen größeren Häfen u n d Märkten gewesen sein. Dieser Eindruck einer extremen ethnischen Vielfalt ergibt sich auch aus der Lektüre der Apostelgeschichte, zumindest für die Städte. Aber auf dem Lande wird es kaum anders gewesen sein. Sobald man den westlichsten Bereich verließ (also den alten griechischen Siedlungsraum), war die Mehrzahl der Einw o h n e r den indigenen Traditionen treu und nur oberflächlich v o m Griechent u m imprägniert.
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Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II
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Inschriften Gesamtüberblick über die Editionen in Bérard u. a. [1/23]. Die wichtigsten laufenden Editionen sind: [8] Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien, Bonn 1972. [9] Tituli Asiae Minoris, W i e n 190Iff. [= ΤΑΜ]; ferner: Ergänzungsbände zu den Tituli Asiae Minoris, 18 Fasz. erschienen. [10] Monumenta Asiae Minoris Antiqua, Manchester 1928ff. [=MAMA] Im Bereich der Inschriften und Münzen ist das gesamte Werk von Louis Robert einschlägig, dessen Hauptforschungsgebiet Kleinasien war. Insbesondere sind zu nennen: [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19] [20]
Robert Robert Robert Robert Robert Robert Robert Robert Robert
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9 Der semitische Orient Von Maurice Sartre Das römische Reich umfaßte mehr oder weniger dauerhaft diejenigen Länder, die von Mittelmeer, Tauros, Tigris, den syrisch-mesopotamischen Wüsten, Zentralarabien, Rotem Meer und Sinai begrenzt werden. Ihre gemeinsame Zugehörigkeit zur semitischen Kultur darf nicht über die Verschiedenartigkeit von Klimaten, Ressourcen und Menschen hinwegtäuschen. Groß waren die Unterschiede von den bewaldeten Bergen des Amanos bis zu den Oasen des Hijäz, von der feuchten phönikischen Küste bis zu den felsigen Steinhängen des Jebel Sinjär. Verallgemeinerungen sind darum fehl am Platze.
9. 1 Die Bevölkerung 9. 1. 1 Die Semiten Die Bevölkerung Syriens wurde durch Migrationen, Sedentarisierungen und Mischungen hauptsächlich semitischer Völker geformt. Auf den ersten Blick läßt der Gebrauch des Aramäischen als Verkehrssprache seit achämenidischer Zeit die Unterschiede zwischen den Nachkommen der Kanaanäer, der Amonten und der Aramäer in den Hintergrund treten. Nur das Phönikische konnte sich zumindest teilweise bis in augusteische Zeit halten [Briquel-Chatonnet 187], Der aramäische oder aramäisierte Komplex umfaßte die Mehrheit der Landbevölkerung zwischen Amanos und Gaza. Seine Präsenz ist in den Städten, wo man griechische Namen trug, schwieriger nachzuweisen, aber kaum bezweifelbar. In ganz Innersyrien ließen sich seit der Mitte des 1. Jahrtausends andere Semiten aus dem Süden nieder: die Araber. Die Nabatäer, die zu den ersten Neuankömmlingen gehörten, erweiterten ihren Herrschaftsbereich von nördlich des Sinai bis in die Umgebung von Damaskus und übernahmen eine arämische Schrift und Schriftsprache, obwohl sie weiter Arabisch sprachen [Starcky 146], Wie bei den Ituräern des Antilibanon und der Damaszene oder den Arabern der Palmyrene, die gleichfalls stark aramäisiert waren, verraten nur noch Kulte und Onomastik klar ihre Herkunft. Die herrschenden Schichten hatten viel vom Hellenismus in sich aufgenommen, was insbesondere die architektonische Entwicklung der Hauptstadt Petra zeigt [Balty 134; Lindner 137, 138; McKenzie 139, 140]. Andere, später eingetroffene Gruppen waren dagegen weniger von der aramäischen Kultur beeinflußt. Man weiß nicht sehr viel über die skenitischen („im Zelt wohnenden") Araber, die Strabon [16. 1. 26] in Mesopotamien erwähnt, aber die Hirtennomaden, die östlich von Damaskus bis zum Eingang ins Wadï Sirhän wohnten und die man gewöhnlich unter dem Namen „Safaiten"
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R o m und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II Samoaata,
.Karrhai Kyrrhoei Hlerapolie' Nikephorion 'Chalkii ÍResapha Zenobia!
Apa me;
[mesa (Palmyra
Héltopolie. il / M
Damaskus .Phaina Kanatha Bottra
p
Provinzhauptstadt Legionslager
•
/Philadelphia Inesbon ¡Madaba
anderer Ort —
Provinzgrenzen römische Straßen
Rabbathmoba Chara kmoba
1 Masada 2 Engedi 3 Herodeion 4 Aelia Capitolina 5 Eleutheropolis 6 Nikopolis 7 Diospolis 8 Neapolis 9 Samaria
lampeis::!^ «XX»-
10 Skythopolis 11 Diocaesarea 12 Tiberias 13 Jericho 14 Gadara 15 Hippos 16 Caesarea Paneas
100 km
Die syrischen Provinzen und der Norden Arabiens, 2.—3. Jh. n. Chr. (Atelier de Cartographie,
Universität
Tours,
Okt.
1997)
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zusammenfaßt, obwohl sie keine einheitliche Gruppe bildeten [Sartre 130; Macdonald 128], sprachen weiterhin eine arabische Sprache, die mit einem von südarabischen Schriften abgeleiteten Alphabet geschrieben wurde. Gleiches gilt auch fur die Thamüd im Norden des Hijäz [Van den Branden 132]. Die fortschreitende Niederlassung von Arabern am Rande Innersyriens trug dazu bei, die engen Verbindungen zwischen dem Syrien der Seßhaften und dem der Nomaden aufrechtzuerhalten. Syrien lag nicht nur auf den Transitrouten zwischen Indien oder Mesopotamien und dem Mittelmeer, es wurde auch von den Arabern der Arabischen Halbinsel frequentiert. So kam es, daß immer mehr Araber in Transjordanien, im Hauran und im Negev anzutreffen waren und bisweilen gar die Mehrheit bildeten [Dussaud 124]. Dieses Phänomen erklärt zum Teil die Sonderstellung dieser Regionen innerhalb Syriens, besonders ihren geringen Hellenisierungsgrad zu Beginn der römischen Herrschaft.
9 . 1 . 2 Griechen, Römer und andere Fremde Man kann die Größenordnung des Zuzugs von Kolonisten griechisch-makedonischer Herkunft in die neuen Städte Nordsyriens während der hellenistischen Zeit nicht genau bestimmen. In der Kaiserzeit gelingt eine zweifelsfreie Identifizierung ihrer Nachfahren nur selten [Rey-Coquais 96], da sie von hellenisierten Syrern nicht mehr zu unterscheiden sind. Die städtischen Eliten Phönikiens wurden seit dem Hellenismus sehr stark hellenisiert, und das gilt auch weitgehend für die indigene Stadtbevölkerung Innersyriens. Zahlreiche Bürger der alten seleukidischen Gründungen Nordsyriens sind hellenisierte Einheimische, wie auch die Bürger mancher indigener Städte, die spät in poleis umgewandelt wurden, wie Damaskus [Datierungsprobleme bei der Veränderung des Stadtplans: Will 105; Diskussion und Quellen: Weber 104] oder auch die DekapolisStädte. Die „Griechen", ob nun Nachkommen der Kolonisten oder auch hellenisierte Indigene, verteilten sich sehr ungleich über das Land. Im wesentlichen Stadtbewohner, fehlten sie im Hauran, in Transjordanien (abgesehen von der Dekapolis) und in den Bergregionen zu Beginn der Kaiserzeit eigentlich ganz [Sartre, in: Dentzer 109]. Perser sind in Antiochia [Feissel 85] und Gerasa belegt; einige von ihnen könnten dort seit achämenidischer Zeit siedeln. Araber aus Südarabien (Minäer, Sabäer, Qatabaniten), Inder und Parther, die als Händler nach Syrien kamen, sind archäologisch und epigraphisch praktisch nicht nachweisbar. Wieder mehr weiß man über die Okzidentalen. In Berytos siedelte man unter Augustus Veteranen an, in Ptolemais unter Claudius, in Jerusalem unter Hadrian. Herodes hatte seinen eigenen Veteranen (Galliern, Germanen, Thrakern) in Samaria und in Gaba (Galiläa) Land gegeben. Doch blieben dies vereinzelte Erscheinungen. Was wir an Belegen haben, betrifft vor allem Verwaltungskräfte und Soldaten auf der Durchreise, dagegen sind Fremde aus anderen Provinzen des Reiches, die sich dauerhaft in Syrien niedergelassen haben, höchst selten. Veteranen syrischer Herkunft und indigene Honoratioren, die das Bürgerrecht
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erlangt hatten, stellten aller Wahrscheinlichkeit nach die Mehrheit der römischen Bürger dar, die man in den Inschriften findet [Sartre 101].
9. 2 Die einzelnen Etappen und Formen der Integration 9. 2. 1 Das augusteische Syrien Das römische Syrien bietet im 1. Jh. ein gutes Beispiel für die verschiedenen Methoden der Verwaltung abhängiger Gebiete. Man betrieb sowohl Direktverwaltung durch hohe Beamte als auch indirekte Kontrolle durch Vasallenflirsten, die unterschiedliche Titel trugen. Die Entwicklung verlief von der einen, unzusammenhängenden Provinz des Augustus, die auch nur einen Teil des syrischen Raums abdeckte, hin zu den sieben direkt verwalteten Provinzen, die zwei Jahrhunderte später eine kompakte Einheit bildeten. Die Provinz Syrien, wie sie Octavian zufiel, war mehr oder weniger die Provinz des Pompeius. Ihr Herzstück bildete der Norden und das Zentrum des Landes, wo sich sowohl die seleukidischen Gründungen als auch die phönikischen Städte fanden, die alle schon seit langer Zeit poleis waren. Auch die Städte der Dekapolis, ein Verbund von rund einem Dutzend Städte im Nordwesten Transjordaniens (darunter Gerasa, Gadara, Pella, Abila, Skythopolis, Philadelphia, Kanatha [Bietenhard 76; Graf 191]), die die Vasallenstaaten geographisch vom Rest der Provinz trennten, gehörten schon seit Pompeius zur Provinz [Karten Bd. I, S. 217f.; allerdings hatte Herodes Gadara und Hippos erhalten: los. ant. lud. 15. 217], Octavian beließ es im großen und ganzen bei der Organisation des Antonius. Die wenigen Modifikationen waren zudem oft nicht von Dauer. So zog er 30 das Königreich Amanos und das Fürstentum Emesa ein, gab sie aber 20 an Angehörige der lokalen Dynastien zurück. Die Provinz Syrien erweiterte er nur um die sehr urbanisierte Kilikia Pedias (30 ν. Chr., vorher von Antonius an Kleopatra gegeben), Seleukia am Euphrat/Zeugma und vielleicht Doliche (diese beiden Städte hatte man dem Königreich Kommagene aus strategischen Gründen abgenommen [Miliar 24, S. 29f.]), und später (4 v. Chr.) noch um Gaza, Gadara und Hippos [los. ant. lud. 17. 320]. Dagegen wurde das 6 n. Chr. dem Archelaos genommene Judäa 41 Agrippa I. überlassen, um es 44 abermals zu kassieren. Diese geographische Zersplitterung ging nicht ohne praktische Schwierigkeiten ab. U m dem abzuhelfen, verwaltete der syrische Statthalter Judäa [Ghiretti 264] und die Dekapolis [Isaac 44] über Präfekten, die weitreichende Vollmachten besaßen, jedoch seiner Autorität unterstanden.
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9. 2. 2 Die Vasallenstaaten [vgl. Bd. I, S. 214-224] Antonius hatte sich weitgehend auf einheimische Honoratioren (sowohl Griechen als auch Indigene) gestützt, um die am wenigsten hellenisierten Regionen des Reiches im östlichen Mittelmeerraum zu verwalten [Buchheim 1/134], Augustus folgte diesem Verfahren auch in Syrien. So grenzte die eigentliche Provinz auf allen Seiten an Vasallenstaaten, die sie von den anderen römischen Provinzen trennten: das Fürstentum Kilikia Tracheia, der Priesterstaat der Teukriden um das Heiligtum von Olbe etwas weiter östlich, das Königreich Amanos im Hochtal des Pyramos, das Königreich Kommagene, das Fürstentum Emesa, das Reich des Herodes (inklusive seiner Gebiete im Libanon und in Nordsyrien) und das Königreich der Nabatäer in Transjordanien und im Negev. Einheimische Fürstentümer, über die Tetrarchen als „Freunde und Verbündete des römischen Volkes" [Braund 1/654] regierten, gab es auch mitten in der Provinz selbst. Die Fürstentümer des Libanon (Chalkis im Libanon, Arka, Abila unter Lysanias) gehörten zu den größten, doch gab es weitere in den Bergen und Steppen. Plinius [nat. hist. 5. 81f.] nennt mehrere im Gebirge und vermerkt die Existenz von 17 weiteren, die ihm offensichtlich zu unbedeutend waren, als daß er sie aufgezählt hätte. Das Fürstentum des Dexandros, wohl in den Bergen nicht weit von Apamea gelegen, wurde von einem bedeutenden griechischen Honoratioren dieser Stadt regiert [Rey-Coquais 96]. Das Weiterbestehen dieser Vasallenstaaten erklärt sich zumeist aus der oberflächlichen Hellenisierung, die sich insbesondere im schwachen Städtenetz zeigt. Das gilt sogar für Nordsyrien, denn es finden sich Tetrarchien in der Nähe von Apamea und Antiochia. Zwar darf man Judäa wohl kaum als Musterbeispiel betrachten - dafür besitzt es im Vergleich zu den anderen Klientelstaaten zu viele untypische Eigentümlichkeiten -, aber die Politik von Herodes und seinen Nachfolgern in Südsyrien läßt durchaus erkennen, was R o m von seinen Vasallenfursten erwartete [Sartre 26, 54, 116]. Das Verschwinden jeder festen staatlichen Ordnung seit der Mitte des 1. Jh.s v. Chr. wirkte sich für die ganze Region in den Jahren 40-30 katastrophal aus. Räuber und Wegelagerer gefährdeten Ackerbau und Verkehr. Das Basaltplateau des Trachon („rauh") südlich von Damaskus diente Gesetzlosen als sicherer Schlumpfwinkel, von wo aus sie den Karawanen Schutzgeld abpreßten und die umliegenden Dörfer brandschatzten. Die Ebene von Bostra blieb trotz ihres landwirtschaftlichen Potentials ungenutzt, und die Karawanen mieden Damaskus. Allein die Dörfer im Gebirge (Jebel Drüz) leisteten Widerstand und verteidigten sich. Nachdem der Araber Zenodoros, ein Grundbesitzer in diesem Gebiet, sich auf den Raub verlegt hatte, vertraute Augustus 23 ν. Chr. diese Region Herodes dem Großen an. Dieser begann sofort, rund um den Trachon Militärkolonien anzulegen (Bathyra, Sur al-Lajä) [Cohen 262]. Seine Nachfolger Agrippa I. (37-44) und Agrippa II. (51-93) setzten diese Politik fort. Die militärische Besetzung ging einher mit landwirtschaftlicher Kolonisation und Urbanisierung.
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W i r k ö n n e n Herodes' Politik nicht im Detail verfolgen, aber sie hat sich anscheinend sowohl auf fremde Siedler (Idumäer, babylonische Juden, Griechen) als auch auf einheimische Honoratioren gestützt, besonders auf arabische Offiziere. Es steht jedenfalls fest, daß es gelang, vor dem Ende des 1. Jh.s η. Chr. das R ä u b e r u n w e s e n auszurotten. Die Befriedung u n d die wirtschaftliche E n t w i c k lung waren so weit fortgeschritten, daß R o m die Verwaltung der R e g i o n selbst ü b e r n e h m e n konnte. Die dörflichen u n d städtischen Strukturen hatten eine Klasse hellenisierter Notabein entstehen lassen, die so groß war, daß R o m ihr die lokale Verwaltung anvertrauen konnte, während es sich selbst u m die Aufgaben von allgemeinem Interesse kümmerte, insbesondere u m den inneren und äußeren Frieden. Die Annektierung krönte den Erfolg der Politik von Herodes und seinen Nachfolgern. N a c h d e m Tode von Agrippa II., 92 oder 93, w u r d e sein R e i c h Teil der Provinz Syrien [Frankfort 1/656], Die Königreiche Nabatene [ H a m m o n d 136; Lindner 137; Starcky 146] und Kommagene [Sullivan 1/663] unterschieden sich trotz ihrer Besonderheiten (sie existierten lange, bevor die R ö m e r in die R e g i o n kamen u n d w u r d e n niemals von ihnen besiegt; ihre Herrscherdynastien waren nicht von den R ö m e r n eingesetzt) von jetzt an kaum m e h r von den anderen Klientelstaaten. Die Könige von Petra, seit Pompeius dauerhafte Verbündete R o m s [Sartre 145], konnten ihren T h r o n ohne römische Z u s t i m m u n g nicht besteigen: Als Aretas IV. dem Obodas II. nachfolgen wollte, o h n e die Z u s t i m m u n g von Augustus eingeholt zu haben, w u r d e er vielleicht vorübergehend abgesetzt (3-1 v. Chr.) [Bowersock 1/653]. Auch daß Kommagene 17 v. Chr. eingezogen wurde, ehe man A n tiochos IV. 37 wieder einsetzte, daß man ihn w i e d e r u m absetzte, u m ihm sein Königreich 41 zurückzugeben — all das zeigt eines klar: Der Kaiser setzte die K ö nige ein, in Petra, in Samosata u n d in Jerusalem. Im übrigen erwartete man von ihnen nichts anderes als von den Fürsten, die ihre Stellung R o m ganz u n d gar verdankten. In Kommagene wie in Palästina oder in Ituräa betrieben die Klientenfürsten eine Urbanisierungspolitik, die sich in der G r ü n d u n g einiger Städte manifestierte, wie Germanikeia in Kommagene oder Caesarea-Arka i m Libanon, sie erreicht aber nicht das Niveau Anatoliens. Andere Fürsten bauten ihre Städte aus, was von den römischen Stellen m i n d e stens unterstützt, w e n n nicht sogar verordnet worden war. So schmückten H e rodes u n d seine Nachfolger die Städte Phönikiens mit prächtigen M o n u m e n t e n [los. bell. lud. 1. 422-428; ant. lud. 19. 335-337; 20. 211-212], U n t e r den Flaviern w u r d e n Palmyra und Bostra großartig ausgebaut [Bowersock 77; aber bei Gerasa, das laut Bowersock auch profitierte, wird dies von Seigne, in: 29/IV, bezweifelt], W ä h r e n d in Palmyra, das seit 19 v. Chr. zur Provinz gehörte, der syrische Statthalter die kaiserliche Politik ausführte, tat dies in Bostra König Rabbel II. (71-106), der aus dieser Stadt seine Hauptresidenz machte [Sartre 100],
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9. 2. 3 Die Integration der Vasallenstaaten bis 106 Die Verwaltung über eingesetzte Klienten machte die Kontrolle für die Römer billiger, kostete aber andererseits der kaiserlichen Kasse Steuereinkünfte, die mit dem jeweiligen Vasallenfursten geteilt wurden, der eine Armee unterhalten [Gracey, in: 518; Graf 43] und seine Beamten bezahlen mußte. Darüber hinaus konnte man nicht ausschließen, daß ein Fürst mittels seines großen Staats versuchen würde, mehr Unabhängigkeit zu erreichen. Die römische Verwaltung sah die Entstehung von Bündnissen zwischen den Klienten mit großem Mißtrauen. So sprengte der syrische Statthalter ein Treffen der Vasallenfursten, das auf Initiative von Agrippa I. in Tiberias stattfand. Was auch immer die Gründe gewesen sein mögen: Ab Tiberius verbreitete sich systematisch die Politik direkter Verwaltung, trotz einiger Rückschritte unter Caligula und Claudius. Die wichtigsten Etappen sind folgende: 17 annektierte man Kommagene [French 69 zu den Grenzen] und gleichzeitig auch Amanos, d. h. das Hochtal des Pyramos um Hierapolis-Kastabala und Anazarba. Die beiden Königreiche wurden zu Syrien geschlagen. 37 oder 38 restaurierte Caligula den Antiochos IV. in Kommagene, um ihn wenig später wieder abzusetzen. Claudius gab Antiochios IV. 41 das Königreich zurück, das im Westen zusätzlich um das Territorium von Germanikeia (eine Gründung zu Ehren von Caligula oder Claudius) erweitert wurde [French 69], Spätestens 19 [Seyrig 172], vielleicht genau in diesem Jahr [Will 179], wurde Palmyra Teil des Reiches. Die Meinung, daß seine Annektierung in die Regierungszeit Hadrians falle, muß man verwerfen: Die Anwesenheit von Germanicus in dieser Stadt i. J. 19 und die Grenzziehungen durch M. Ulpius Traianus, Statthalter Syriens unter Vespasian, legen die Annahme einer früheren Integration zwingend nahe. Parallel dazu wanderten die herodeischen Fürstentümer im Libanon und in Südsyrien von Hand zu Hand [Schürer 254, Bd. I; Sartre 26, S. 30-32, 41f.]. Nach der Absetzung von Archelaos von Judäa 6 n. Chr., dem Tode Philipps 34 und der Verbannung von Antipas 39, nachdem also die drei Herodessöhne ausgeschaltet waren, unter denen Augustus das Reich ihres Vaters aufgeteilt hatte, erlangte Agrippa I. 37 einen Teil, dann, 41, fast das gesamte Reich von Herodes dem Großen wieder. Nach seinem Tod 44 wurde sein Reich an Syrien angegliedert. Doch ab 50/51 stellte Claudius zugunsten von Agrippa II. einen großen südsyrischen und libanesischen Staat, der sich von Antilibanon bis zum Jebel Drüz erstreckte, schrittweise wieder her. Judäa und Samaria blieben unter Direktverwaltung und bildeten ab 70 eine eigene Provinz, nämlich Judäa. 72 wurde Kommagene endgültig annektiert unter dem Vorwand, Antiochos IV. verschwöre sich mit den Parthern. Dieser König verlor gleichzeitig die Kilikia Tracheia, die er seit 41 besessen hatte [Sartre 26, S. 38f.; 42]; diese wurde mit der Kilikia Pedias zu einer neuen prätorischen kaiserlichen Provinz zusammengelegt, deren Legat in Tarsos residierte.
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Vor 78 w u r d e Emesa Teil Syriens [Seyrig 149; Chad 148]. 9 2 / 9 3 annektierte man das große südsyrische Königreich Agrippas II., ungefähr gleichzeitig verschwand ein Königreich Chalkidike (höchstwahrscheinlich u m Chalkis im Libanon) . Die kleinen Tetrarchien im syrischen Bergland werden im Verlauf des 1. Jh.s dasselbe Schicksal erlitten haben. 106 schließlich w u r d e das Königreich Nabatene annektiert [Bowersock 1/653], und zwar aufgrund seiner Ausdehnung als eigene Provinz Arabien [Sartre 54]. Diesseits des Euphrats gab es keine Vasallenstaaten mehr. Vier Provinzen waren an ihre Stelle getreten. M e h r als 150 Jahre hatte der Euphrat die Grenze zwischen R o m u n d den Parthern gebildet. Alle Annektierungen hatten R e g i o nen westlich des Flusses betroffen. Erst die Partherfeldzüge von Traian, Lucius Verus und Septimius Severus führten zur G r ü n d u n g neuer Provinzen jenseits des Euphrat [Chapot 41].
9. 2. 4 Von Traian bis Zenobia: Eroberungen und Teilungen Die neuen Provinzen Mesopotamien (in Obermesopotamien) und Assyrien (das parthische Babylonien), die Traian in der Folge seiner Feldzüge 114-116 gegründet hatte, sollten nicht lange bestehen: Assyrien w u r d e aufgegeben, ehe Traian Babylon verlassen hatte, Mesopotamien evakuierte Hadrian gleich nach seiner der Regierungsübernahme [Maricq 220], Dagegen konnte sich das Fürstentum Mesene (Charakene) [Nodelman 221] in Untermesopotamien an der Küste des Persischen Golfs, dessen Freundschaft zu R o m der Besuch Traians 115 gefestigt hatte, bis 151 halten; dann eroberten es die Parther [Potts 222; B o wersock 213]. Die Erfolge von Lucius Verus gaben R o m die Initiative zurück. Ab 165 w u r de die syrische Grenze nach Dura Europos verschoben, w o eine der großen Karawanenstraßen, die Palmyra mit Mesopotamien verbanden, ins Euphrat-Tal mündete. Z u r gleichen Zeit intensivierte man die Beziehungen z u m Fürstentum Edessa. M a n u VIII. (139-177), den Lucius Verus gegen einen pro-parthischen Usurpator (Wael b. Sahru, 163-165) unterstützt u n d wieder eingesetzt hatte, prägte M ü n z e n mit dem Bild der römischen Kaiserfamilie und der griechischen Legende: Basileus Marinos philorhomaios [Segal 225]. Die Feldzüge von Septimius Severus 195 u n d 198-199 führten zur G r ü n d u n g neuer Provinzen jenseits des Euphrats. 195 trat eine Provinz Osroëne o h n e Legionsgarnison, verwaltet von einem rangniederen Prokurator, an die Stelle des alten Fürstentums Edessa. Allerdings behielt Abgar VIII. der Große (177-212) die Autorität über die Stadt Edessa selbst und ihr unmittelbares U m l a n d [Wagner, in: 1/518]. 198 (weniger wahrscheinlich 195) wurde eine Provinz M e s o p o tamien eingerichtet, und zwar östlich der gleichnamigen Traianprovinz, jenseits des Khabur und nördlich des Euphrat. Zwei Legionen (in Singara und Resaina) schützten sie [Kennedy 219], Die Verwaltung oblag einem ranghohen Präfekten, der in Nisibis residierte [Kennedy 218],
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Gleichzeitig teilte Septimius Severus, der eine militärische Auseinandersetzung mit d e m syrischen Statthalter Pescennius Niger hinter sich hatte, das allzu reiche und mächtige Syrien in zwei Provinzen: Im N o r d e n entstand Coelesyria mit Laodikea, dann, ab 200, mit Antiochia als Hauptstadt. Diese Provinz setzte sich aus Kommagene und einem großen Teil des ehemaligen seleukidischen Syrien zusammen, erstreckte sich j e d o c h nur bis Apamea; im Süden w u r d e Tyros Hauptstadt von Syria Phoenice, das den Süden (Küste wie Binnenland) der ehemaligen Provinz Syrien umfaßte. D e r Nordhauran wurde zwischen 193 und 214 abgetrennt u n d Arabien zugeschlagen [Sartre 54]. Von der einen Provinz Syrien, die nicht allzu groß gewesen war und noch 14 n. Chr. von Vasallenstaaten in zwei Teile zerschnitten wurde, war man in der Folge sukzessive zu sieben Provinzen unter römischer Direktverwaltung gek o m m e n . N u r Edessa (bis 212/213) u n d Hatra (bis 242) [Drijvers 216] bestanden im Inneren der neuen Provinzen als Klientelstaaten fort. D o c h die Schwierigkeiten, die sich aus d e m D r u c k der sassanidischen Perser [Winter 57; Kettenhofen 47] und den internen Thronstreitigkeiten ergaben, führten dazu, daß die lokalen Machthaber eine gewisse Autonomie zurückgewannen, sei es mit oder ohne Zustimmung R o m s . Schon Gordian III. setzte die Dynastie von Edessa 2 3 9 / 2 4 0 wieder ein in der Person eines Königs Abgar, eines Enkels Abgars des Großen [Teixidor 10, 11; Ross 9], Vielleicht geschah dies, u m der persischen Invasion zu begegnen. Diese Restauration war zwar nur ein Intermezzo - schon 241 wurde Edessa wieder römische Kolonie -, doch sie zeigt uns die Ratlosigkeit der lokalen römischen Autoritäten. Anderswo w u r d e die römische Macht von den Einheimischen auf eigene Faust verteidigt, ja w i e derhergestellt: so verfuhr Uranius Antoninus in Emesa 253 [Baldus 147; Balty 40], vor allem aber der Palmyrener Odeinathus und seine Familie. Eine neugefundene Inschrift zwang dazu, die Geschichte der palmyrenischen Fürsten im 3. Jh. zu weiten Teilen umzuschreiben [Gawlikowski 162]. Diese I n schrift lieferte uns einen neuen Stammbaum der Fürstenfamilie u n d verlegt ihren Aufstieg in die Mitte des Jahrhunderts. Trotz zahlreicher Unklarheiten scheint es so, daß spätestens im O k t o b e r 251 ein Honoratior namens Septimius Odeinathus zusammen mit seinem Sohn eine Sonderstellung innerhalb der Stadt erhielt, die sich in dem Titel „Exarch der Palmyrener" manifestierte. M e h r als 15 Jahre, bis zu seiner E r m o r d u n g 267/268, versuchte er der Bedrohung durch persische Invasionen zu begegnen (wozu die damaligen römischen Kaiser nicht in der Lage waren) u n d ergriff auch mehrmals selbst die Offensive (Angriffe auf Ktesiphon 262 und 267/268). O h n e von R o m abzufallen, erhielt er von den einzelnen Kaisern Titel (consularis, epanorthotes), die seiner fast m o n a r chischen Machtfulle eine legale Basis gaben. N a c h seiner E r m o r d u n g (vielleicht auf Veranlassung der R ö m e r , die über seine Machtstellung beunruhigt waren) ü b e r n a h m seine W i t w e Zenobia [Equini Schneider 158] de facto seine Stellung, während nominell ihr Sohn Vaballathus nachfolgte. Z u m Bruch kam es nach d e m Tode Claudius' II., als Vaballathus den Titel imperator annahm. Die Eroberung Syriens (270), später Arabiens,
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Ägyptens u n d eines Teils von Anatolien ließ den Augustus von Palmyra zu ein e m ernstzunehmenden Rivalen von Aurelian werden. Dieser handelte schnell. N a c h drei Siegen über die palmyrenischen Truppen bei Tyana, Immai (Antiochene) und Emesa zog er in Palmyra (Frühling 272) ein, wohin sich Zenobia geflüchtet hatte. N a c h einem Aufstand (273?) ließ Aurelian die Stadt schleifen [Cizek, L'empereur Aurélien, S. 76-80 u n d S. 101-117, vielleicht der Historia Augusta gegenüber zu unkritisch; Drijvers 216; Sartre 171].
9. 2. 5 Die Garnison Syrien war die Orientprovinz mit der stärksten Militärbesatzung während der H o h e n Kaiserzeit [Isaac 22]. D o r t standen unter den ersten julisch-claudischen Kaisern vier Legionen: III Gallica, VI Ferrata, X Fretensis u n d XII Fulminata. Ihnen oblag die Verteidung der Euphratgrenze, besonders im Bergland, w o die Kontrolle weniger Ubergänge den Schutz der Provinz garantierte [ C r o w / French 66; Wagner 70, 71]. Aber sie w u r d e n auch anderswo eingesetzt: U n t e r Corbulo kämpften sie in Armenien, u n d in Judäa sollten sie für R u h e sorgen. Ab 70 blieb die X Fretensis in Jerusalem, und die XII Fulminata wurde nach M e litene (Kappadokien) verlegt. Schon u m 56 hatte die IUI Scythica im nordsyrischen Z e u g m a Quartier bezogen, während sich bald nach 75 [van Berchem 55] die XVI Flavia Firma in Samosata einrichtete, der Hauptstadt des gerade annektierten Kommagene. So behielt das eigendiche Syrien unter den Flaviern vier Legionen, während Judäa eine weitere als permanente Garnison bekam. Dazu kam noch die Flotte, die classis Syriaca, mit d e m Hauptstandort Seleukia in Pierien [Reddé 1/549; van Berchem 56]. Im 2. Jahrhundert kam es zu einigen Veränderungen. 106 nahm die VI Ferrata an der Okkupation des Nabatäerreichs teil u n d schlug ihr Lager in Bostra auf, während Teile der III Cyrenaica aus Ägypten im Süden der neuen Provinz standen [Préaux 53]. 123 ersetzte die III Cyrenaica die VI Ferrata im Lager von Bostra, welche letztere nach Kaparkotnei (Galiläa) verlegt wurde. So zählte man in den syrischen Provinzen unter Hadrian sechs Legionen, drei im eigentlichen Syrien, zwei in Judäa, eine in Arabien. Es gab keine weiteren Veränderungen, bis Septimius Severus 195/196 n. Chr. die drei legiones Parthicae aushob, von denen zwei, die I Parthica und die III Partitica, in der neuen Provinz Mesopotamien Quartier bezogen. Die römische A r m e e im O r i e n t war eine Okkupationsarmee [Isaac 22], bis zu den Severern war sie nur begrenzt auf Verteidungsaufgaben ausgerichtet. Trotz der Pionierarbeiten von Pater A. Poidebard [Poidebard 51; Poidebard/Mouterde 52] u n d A. Stein [Kennedy/Riley 46] kann man k a u m von einem syrischen limes sprechen, w e n n man damit ein kohärentes, in die Tiefe reichendes Verteidigungssystem meint. N e u e r e Studien [Parker 50] zeigen, daß das Verteidigungsystem in Transjordanien bis zu den Severern, ja bis zur Tetrarchie sehr lückenhaft blieb. M a n gab sich mit einer Linie von Truppen zufrieden, die im Verteidigungsfall kaum ausgreicht hätte, so als rechnete man mit keiner ernstzunehmenden Gefahr.
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9. 2. 6 Der Kaiserkult Schon in augusteischer Zeit organisierte man einen provinzialen Kaiserkult. Der erste Hohepriester war Dexandros, Grieche aus Apamea, Tetrarch und „Freund und Verbündeter des römischen Volkes" [Rey-Coquais 96]. Dieser Kult, den man in Antiochia feierte, besaß auch regionale Ableger, die „Eparchien": Eine im Norden um Antiochia, eine weitere im Süden um Tyros, die dritte umfaßte Kilikien. 72 kam eine kommagenische Eparchie hinzu, während Kilikien im Laufe der 80er Jahre eigene Wege ging. Schließlich gründete Hadrian eine vierte Eparchie in Damaskus, indem er die phönikische Eparchie aufteilte [Rey-Coquais 98]. Jede Eparchie besaß eigene Heiligtümer und Hohepriester, in Antiochia jedoch gab es einen „Hohepriester der vier Eparchien", der das Haupt des Kaiserkults in Syrien war. Möglicherweise wurde der Kaiserkult in Arabien sehr schnell organisiert, doch wir wissen nicht, ob man ihn in Bostra, der Provinzhauptstadt, oder in Petra, der alten Königshauptstadt, die Traían mit dem Titel Metropolis geehrt hatte [IGLJord IV 37], feierte. Ein großes Heiligtum des Kults von Philippus Arabs konnte man in seinem Heimatdorf, das er zur Stadt Philippopolis erhoben hatte, nachweisen [Gawlikowski/Amer 182].
9. 3 Die Welt der Städte 9. 3. 1 Die Verbreitung der polis Die Gebiete, aus denen sich die syrischen Provinzen zusammensetzten, hatten sehr ungleich von den Urbanisierungsbemühungen in hellenistischer Zeit profitiert [Jones 1/695]. Zu Beginn der Kaiserzeit waren vor allem drei Zonen städtisch geprägt. An erster Stelle ist Nordsyrien zu nennen (nördlich des Eleutheros/Nahr-al-Keblr), wo sich die seleukidischen Gründungen befanden. Einige von ihnen gehörten zu den größten Städten des Orients, vor allem die syrische Tetrapolis ist hier zu nennen: Antiochia am Orontes, Seleukia in Pierien, Apamea am Orontes und Laodikea am Meer. Andere, kleinere Städte wie Seleukia/ Zeugma, Kyrrhos, Epiphaneia, Beroia (Aleppo), Chalkis am Belos oder Rhosos waren auf regionaler Ebene bedeutsam. Eine zweite Gruppe bildeten die alten phönikischen Küstenstädte von Arados bis Ptolemais. Diese paßten sich schnell dem griechischen Stadtmodell an, das sie schon seit langer Zeit kannten. Im Gegensatz zu den seleukidischen Gründungen aber kam es zu keinem Zuzug von griechischen oder makedonischen Siedlern in größerer Zahl, diese Städte besaßen also von Anfang an eine Oberschicht aus einheimischen, aber hellenisierten Notabein. Die dritte Gruppe schließlich umfaßte die jüngeren Gründungen, die sich auf Palästina (Gaza, Skythopolis), Transjordanien (Gadara, Gerasa, Pella) und Südsyrien verteilten (Damaskus, Panias, Kanatha). Es handelte sich dabei um in-
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digene Städte, die erst spät in hellenistischer Zeit den R a n g einer polis erhalten hatten. Einige erhielten vielleicht griechischen oder makedonischen Siedlerzuzug (Gerasa, Gaza), doch blieb das einheimische Element in Damaskus und den meisten anderen neuen Sädten sicherlich das vorherrschende. Trotz dieser unterschiedlichen Gründungsumstände erscheinen uns all diese Städte in derselben Weise als griechisch, weil wir nicht mehr zwischen originären Griechen und hellenisierten Syrern unterscheiden können. Viele von ihnen statteten sich mit einer ruhmvollen mythischen Vergangenheit und Gründungssagen aus, die an die ältesten griechischen Mythen anknüpften. Die Phöniker, die in der griechischen Mythologie auftreten, und die Trojaheimkehrer mit ihren Irrfahrten boten sich als würdige Vorväter an. Andere gaben sich damit zufrieden, in der Geschichte Alexanders oder Pompeius' Ehrentitel zum eigenen R u h m e zu suchen [Sartre 26, S. 195f.]. Dagegen waren Zentral- und Südsyrien, Transjordanien und Palästina kaum von den pofe-Gründungen tangiert worden. So richtete sich das Hauptaugenmerk der hochkaiserzeitlichen Urbanisierung auf diese Regionen. W i e auch sonst im Osten versuchte R o m nicht, seine eigenen Modelle (Kolonien, Munizipien) aufzuzwingen, sondern entwickelte die vorhandenen Strukturen, d. h. die der polis, weiter. Einige wenige Koloniegründungen sind gleichwohl zu nennen: Augustus siedelte Veteranen in Berytos an (dessen Territorium sich im Inneren des Libanon bis Baalbek/Heliopolis erstreckte), Claudius in Ptolemais, Hadrian in Jerusalem/Aelia Capitolina. Doch dabei handelte es sich nicht um Gründungen aus dem Nichts, sowohl Berytos als auch Ptolemais gehörten schon vorher zu den wichtigsten Städten Phönikiens [Miliar 92]. Im 1. Jh. waren vor allem die Klientelfürsten für die Städtegründungen zuständig. Herodes der Große zeichnete verantwortlich für die Gründung von Caesarea am Meer, Samaria/Sebaste und Antipatris. Seine Nachfolger gründeten Tiberias, Livias/Julias, Caesarea Philippi/Paneas im H e r m o n (später als N e ronias neugegründet) und vielleicht Caesarea am Libanon/Arka (diese Stadt könnte auch auf einen ituräischen oder emesenischen Fürsten zurückgehen). Ab dem 2. Jh. konzentrierten sich die Stadtgründungen einerseits auf den Hauran und Transjordanien, andererseits auf Palästina. Nach der Annektierung des Nabatäerreichs erhielten Bostra und Petra städtische Institutionen. Gleiches geschah später mit Mädabä, Rabbathmoab, Karak, Hesbän, Suweidä'/Dionysias (um 185) und Shahbä/Philippopolis (244-249). In Galiläa wurde unter Hadrian aus Sepphoris die Stadt Diocaesarea, später gründeten die Severer Eleutheropolis 200 n. Chr. in Bethogabris (Judäa), Lydda/Diospolis erhielt den R a n g einer Stadt vor 201, Emmaus/Nikopolis wurde unter Elagabal zu Antoninopolis. Zwar hatte Septimius Severus und Caracalla den Juden die städtischen Kurien geöffnet - Magistraturen und Liturgien wurden ihnen ohne Verletzung der Thora möglich —, doch verstärkte gleichwohl die Urbanisierung auch weiterhin die Paganisierung des Landes, denn alle diese Städte war mehrheitlich nicht-jüdisch. Ferner gab es noch einige isolierte Gründungen, beispielsweise die Erhe-
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bung von Appadana am mittleren Euphrat zum R a n g einer Neapolis um 254/ 255 [P. Euphr. 3-4] [Feissel/Gascou 4, 5],
9. 3. 2 Das Leben der Städte Die Städte der syrischen Provinzen unterschieden sich wenig von den asiatischen oder griechischen [Bd. I, S. 239-250, S. 273-293], Sie wurden ebenfalls von örtlichen Honoratioren regiert, und auch hier spielte der Euergetismus eine wichtige Rolle. Die gewaltige bauliche Entwicklung der Städte Syriens muß zu einem guten Teil von privater Hand finanziert worden sein. Die Uberreste von Städten wie Apamea [Balty 74, 75], Palmyra [Degeorge 154], Gerasa [Browning 78] oder Bostra [Satre 100] vermitteln einen guten Eindruck von der einstigen Pracht der Bauwerke und ihrer außerordentlichen Größe. Allgegenwärtig, auch in kleineren Städten, sind die Kolonnadenstraßen; die von Antiochia entstanden schon u m 20 v. Chr. Diese Entwicklung beschleunigt sich im 2. Jh. und setzt sich unter den Severern fort. Gleichzeitig wuchs aber auch die Uberschuldung der Städte. Hadrian setzte in ganz Syrien curatores ein, die die öffentliche Finanzverwaltung in Ordnung bringen sollten. Unter Marc Aurel und Caracalla agierten logistai in Seleukia in Pierien, in Alexandria bei Issos und in Rhosos. Die Tatsache, daß uns nicht sonderlich viele Ratsbeschlüsse überliefert sind, ließ mitunter zweifeln, daß die städtische Politik in den syrischen Städten wirklich Wurzeln schlagen konnte. Doch spricht einiges gegen eine solche pessimistische Auffassung: Erstens kennt man genügend Ehreninschriften, um Existenz und Funktionieren der städtischen Institutionen belegen zu können (Rhosos, Apamea, Palmyra). Zweitens gab es in den syrischen und arabischen Städten sehr wohl Parteikämpfe (Tyros und Sidon [Cass. Dio 54. 7. 6], Gerasa) und auch die aus Kleinasien so vertraute Konkurrenz unter den Städten. Diese Rivalitäten, die von der Hoffnung auf eine glanzvolle Hochstufung, dem Beweis kaiserlicher Gunst, genährt wurden, führten zu R u h m oder Verderben: Laodikea und Tyros ergriffen Partei für Septimius Severus, gegen Pescennius Niger, jene Stadt, weil sie Antiochia ersetzen wollte, diese aus Haß auf Berytos [Herodian. 3. 3. 3], Wie auch in den anderen Regionen strebten die Städte nach der Verleihung der Freiheit [Bd. I, S. 246-250], der Asylie, der Autonomie und des Koloniestatus [Bd. I, S. 250-266; Miliar 92], Plinius der Ältere belegt, daß Antiochia, Laodikea und Seleukia freie Städte waren. Daß Palmyra diesen R a n g unter Hadrian erhielt, ist nicht beweisbar [Sartre 170]. Die Städte, die ihre eigene Silberprägung auch nach der Provinzialisierung beibehielten, besaßen vielleicht dasselbe Privileg (Seleukia bis 6 n. Chr., Antiochia bis 38, Sidon bis 54, Tyros bis 57; Laodikea prägte durchgehend nur bis kurz nach Augustus' Tod, emittierte aber unter Nero, Hadrian und Marc Aurel kleine, isolierte Silberserien). Die meisten syrischen Städte begannen jedoch erst spät mit der Münzprägung (Rückschlüsse auf den Status der münzenden Stadt sind dann natürlich nicht erlaubt). Lokalprägungen finden sich in großer Zahl für Nordsyrien ab Traían (Kyrrhos, Be-
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roia, Hierapolis, Zeugma, Chalkis), flir Südsyrien und Arabien ab Hadrian und Antioninus Pius (Abila, Capitolias, Pella). Darin spiegelt sich wohl der W o h l stand der Provinz und der gestiegene Bedarf an gemünztem Metall wieder. Aber viele begnügten sich mit d e m Gebrauch der Provinzialprägungen (Tetradrachm e n aus Antiochia) [Kraay 61]. Die Münzprägung war eine der Möglichkeiten, mit denen die Städte ihre v o m Kaiser verliehenen Titel publik machen konnten [Kindler 348]. Alle nahm e n an diesem Wettkampf u m Titel teil. Damaskus, Tyros, Samosata u n d Petra durften sich spätestens seit Hadrian „Metropolis" nennen, Laodikea erhielt diesen Titel 194 (nachdem Antiochia sämdiche Ehrenprädikate verloren hatte, weil es Pescennius Niger gegen Septimius Severus unterstützt hatte [Ziegler 106]), Nisibis im Jahr 198. Die A u t o n o m i e verlieh man an Laodikea, Rhosos, Tripolis, Tyros, Seleukia. U n t e r den Severern vergab man den Koloniestatus in Syrien sehr großzügig [Miliar 92]: Laodikea u n d Tyros erhielten ihn 198 (zusammen mit dem ius Italicum). Heliopolis wurde v o m Territorium der Kolonie Berytos abgetrennt u n d selbst Kolonie [Millas 92, S. 32-34]. Z u r Kolonie stiegen ferner auf Nisibis (vielleicht schon 198), Karrhai, Resaina u n d Singara unter Septimius Severus, Edessa 213, Emesa u n d Palmyra unter Caracalla. Antiochia w u r d e in derselben Periode Kolonie ohne ius Italicum. Caesarea/Akra u n d Sidon machte man unter Elagabal zu Kolonien, Petra 221/222, Damaskus unter Elagabal oder Severus Alexander, Bostra unter Severus Alexander, Philippopolis unter Philippus Arabs, Neapolis in Palästina spätestens unter Philippus Arabs. Weitere Hochstufungen sind gesichert, aber undatiert [Dura Europos: P. Dura 32; Gaza: I G R III 1212], andere Fälle hingegen höchst zweifelhaft (Askalon, Gadara, G e rasa). Die Teilnahme der syrischen Städte an diesem agon zeigt, wie sehr sie sich das Wertesystem der griechischen Städte angeeignet hatten. D o c h blieb eine Kluft zwischen den Städten Nordsyriens u n d der Küste einerseits u n d denen des Südens u n d Transjordaniens andererseits bestehen. So trugen die Honoratioren der alten Städte fast ausschließlich griechische N a m e n und besaßen häufig das römische Bürgerrecht. Dagegen unterzogen sich die Magistrate und Buleuten der neuen Städte der Provinz Arabien selten der M ü h e , ihre N a m e n zu hellenisieren. Auch scheint das Bürgerrecht dort k a u m verbreitet gewesen zu sein [Sartre, in: 29, Bd. IV]. Diese neugegründeten Städte w u r d e n offensichtlich von nur oberflächlich hellenisierten Notabein verwaltet, die weiterhin stark in ihren indigenen Traditionen verwurzelt blieben. Das erklärt auch, w a r u m kein einziger Senator aus Arabien oder Mesopotamien stammte, während Nordsyrien einige hervorbrachte [Bowersock 1/849]. Die Trennlinie zwischen diesen beiden Stadttypen ist identisch mit der Grenze zwischen dem Seleukidenreich u n d den indigenen Staaten. Emesa besaß ganz wie die Städte der Nabatene oder Palästinas nur einen d ü n n e n griechisch-römischen Anstrich. Indirekt wird dies durch das Fehlen griechischer Wettkämpfe in Palmyra, Petra, Emesa und ihr spätes A u f k o m m e n in Bostra u n d Adraha belegt. Drei Jahrhunderte seleukidischer (bzw. lagidischer) Herrschaft hatten das flache Land nicht verändert, wohl aber
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die Städte. Diejenigen Städte jedoch, die vor der H o h e n Kaiserzeit nicht v o m Hellenismus geprägt worden waren, konnten den Abstand nie wieder aufholen. Zufall oder nicht - dieselbe Trennlinie lief auch zwischen den am stärksten arabisierten R e g i o n e n u n d d e m Rest. Die tiefe Verwurzelung der arabischen Traditionen u n d das fast vollständige Fehlen irgendeiner F o r m hellenistischer B e einflussung vor der Kaiserzeit erklärt ihre tiefgreifende Andersartigkeit.
9. 4 Das flache Land 9. 4. 1 Besitz und Nutzung des Bodens 9. 4. 1. 1 Die Kaiserdomänen Die bekannteste Kaiserdomäne in Syrien ist der libanesische Wald, der spätestens seit Hadrian rigoros ausgebeutet w u r d e [IGLS VIII/3]. D e r Kaiser reservierte für sich nicht den Boden, sondern das Holz von vier Baumsorten: Zeder, eine Wacholdersorte u n d - wahrscheinlich - Eiche u n d kilikische Tanne. Bei der u n ter Hadrian vorgenommenen Grenzziehung m u ß es sich u m eine Reorganisation, nicht u m eine N e u e i n r i c h t u n g gehandelt haben. Sie gehörte wohl in den R a h m e n der Umstrukturierung des patrimonium und der Förderung der Landwirtschaft. Z u r selben Zeit w u r d e n übrigens auch Grenzziehungen in Palmyra vorgenommen. Es m u ß noch andere D o m ä n e n in Syrien gegeben haben, da wir einen P r o kurator, der die regio Syriatica verwaltete, kennen [AE 1982, 877], aber ihre L o kalisierung ist unklar. M a n hat behauptet [Rey-Coquais 25], daß die herodeischen Fürstentümer Südsyriens 9 2 / 9 3 n. Chr. zu Kaiserdomänen geworden seien. Unmöglich wäre das nicht, und es erklärte zudem die Präsenz zahlreicher individuell angesiedelter Veteranen, doch bleibt dies eine Hypothese. Die Kaiser könnten die seleukidischen Königsdomänen geerbt haben (doch was war davon 64 v. Chr. noch übrig?), ebenso wie die nabatäischen. In der Tat werden „kaiserliche Dörfer" südlich [P. Yadin 16] u n d westlich [P. Yadin 11; Lewis 7, 8] des Toten Meeres unter Traian u n d Hadrian erwähnt, ebenso 245 am mittleren Euphrat [Feissel/Gascou 4, 5]. Konfiskationen gab es in Nordsyrien (die D o mäne des Avidius Cassius in Kyrrhestike nach 175), und wenig später soll der jüdische Patriarch R . Judah I. Ländereien Caracallas im Golan gepachtet haben [Jerusalemer Talmud, Shebi'ith VI 1]. All das bleibt aber immer noch weitgehend unklar [Crawford, in: 1/961], 9. 4. 1 . 2 Landbesitz von Heiligtümern Im römischen Syrien kennt man im Gegensatz zu Kleinasien kein Beispiel für ein Heiligtum mit umfangreichen Ländereien. Das Zeus-Heiligtum von Baitokeke j e d o c h besaß R e c h t e über das D o r f [IGLS VII 4028]. G. Tchalenko [118] glaubte, die Dörfer des Kalkmassivs seien von einem benachbarten Heiligtum abhängig gewesen, aber unsere Quellen belegen nur, daß einige Dorfheiligtü-
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mer in Nordsyrien Landeigentümer waren u n d sozusagen als Gutshöfe fungierten. M a n darf daraus aber nicht schließen, daß ihnen das ganze D o r f gehörte, sieht man von einer oder zwei Ausnahmen ab (Khirbet Shaykh Barakat, Kafr Nabu) [Tate 117]. Allerdings könnten einige Heiligtümer abhängige Bauern b e sessen haben, falls das Wort hieroduloi, d e m man bisweilen begegnet, dasselbe wie in Anatolien bedeutet. 9. 4. 1. 3 Privatbesitz Im Gefolge der seleukidischen Koloniegründungen war sehr viel Bodenbesitz in die H ä n d e der Griechen u n d M a k e d o n e n übergegangen. Der B o d e n war neu aufgeteilt worden, wie dies die hellenistischen Katastrierungen von Damaskus, Emesa und Aleppo zeigen [Dodinet 110]. In der H o h e n Kaiserzeit mischten sich hellenisierte Indigene unter die Nachfahren der Kolonisten, so daß die Notabein der Städte nach wie vor überwiegend Grundbesitzer waren. Die Z e n turiation eines Teils des Territoriums von Damaskus (wohl unter Augustus) [Dodinet 110] u n d Emesa (vielleicht etwas später) [Van Liere 119, korrigiert durch Dodinet 110] bedeutete eine erneute Umorganisierung des Bodens, möglicherweise in der Folge der Installation neuer Grundbesitzer. N e b e n den städtischen Territorien w u r d e n zwei R e g i o n e n zum Gegenstand intensiver Forschungstätigkeit, nämlich das nordsyrische Kalkmassiv [Tchalenko 118; Tate 117] und der Hauran in Südsyrien [Dentzer 108, 109]. Aber die dort gewonnenen Erkenntnisse dürfen nicht ohne weiteres auf das restliche Syrien übertragen werden. G. Tchalenko glaubte, das Kalkmassiv sei am Ende der hellenistischen Zeit heruntergekommen gewesen; nur armselige Dörfer mit Subsistenzwirtschaft wären übrig geblieben. Die Eroberung durch R o m habe zwei N e u e r u n g e n zur Folge gehabt: den Anbau des Olbaums u n d die Entstehung eines G r o ß g r u n d b e sitzes, der erst im 4. Jh. zerfallen sei. N a c h Tchalenko hätten diese G r o ß g r u n d besitzer die öden Kaiserdomänen übertragen b e k o m m e n u n d die D o r f b e w o h ner als Arbeitskräfte eingesetzt, wobei die Bauern j e d o c h ihre Acker behielten. D e r Wohlstand der Mächtigen hätte sich also auf Zwangsarbeit und dem O l a n bau gegründet, der nur demjenigen möglich war, der es sich leisten konnte, zehn oder zwölf Jahre auf die erste Ernte zu warten. Diese Situation habe allerdings nicht zwangsläufig gespannte Sozialbeziehungen mit sich gebracht, wie man sie für Kilikien beweisen wollte [S. 378]. G. Tchalenko gründete seine Hypothese auf die Existenz prächtiger D o r f häuser, die manchmal in G r u p p e n anzutreffen sind und die neben einfacheren Häusern älterer Bauart vorkommen. Dieser „Großgrundbesitz" m u ß sich j e doch in einer ganz anderen G r ö ß e n o r d n u n g bewegt haben als derjenige der italischen latifundia. Vom 1. bis zum 3. Jh. trifft man eine zu große Zahl reicher Dorfhäuser, als daß die Ausdehnung der zugehörigen D o m ä n e n sonderlich groß gewesen sein könnte. Gleichzeitig entsteht im 2. Jh. eine aufwendige Grabarchitektur, die mit den reichen, „romanisierten" D o r f b e w o h n e r n in Z u s a m m e n hang steht. Die „Großgrundbesitzer" lebten in den Dörfern, ließen sich dort
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bestatten, machten dort Stiftungen u n d stellten ihre Votivgaben in den örtlichen Heiligtümern auf. Waren diejenigen unter ihnen, die das Bürgerrecht besaßen, wirklich von R o m angesiedelte Veteranen oder ehemalige Beamte, wie T c h a lenko meint? Einige waren anscheinend tatsächlich Fremde, u n d gewiß waren viele von ihnen Veteranen, aber daß es auch indigene Großgrundbesitzer gab, ist über j e d e m Zweifel erhaben. U n d daß die Ölkultur in dieser Zeit intensiviert wurde, ist keineswegs sicher [Tate 117]. D a ß die Ankunft der R ö m e r mit der U r b a r m a c h u n g der R e g i o n zusammenfiel, belegen die umfangreichen, allgegenwärtigen Katastrierungsspuren (scamnatio-strigatio). Aber man weiß nicht, wann genau diese Parzellierungen erfolgten. Fraglos w u r d e n bereits Pompeius und Augustus agrarpolitisch aktiv, aber viele Verordnungen müssen auf die Flavier, die ersten Adoptivkaiser u n d auch die Severer zurückgehen [Tate 117]. Sicher hätte Hadrians Agrarpolitik (lex Hadriana de rudibus agris) in dieser Gegend ein gutes Betätigungsfeld gefunden, und sie könnte hier wie in Afrika durch lokale Bestimmungen v o m Typ der lex Mandaría vorbereitet worden sein [S. 93fF.]. Das bedeutet aber, daß die landwirtschaftliche Entwicklung des Massivs erst im 2. J h . richtig begonnen hätte. Das archäologische Material würde dazu passen, ebenso die demographische Entwicklung, wie man sie in der R e g i o n zwischen dem 1. u n d der Mitte des 3. Jh.s insgesamt feststellen kann [Tate 117], In Südsyrien hielten die Stadtaristokraten, die ja zugleich einigermaßen b e deutende Grundbesitzer waren, enge Verbindung (Familiengräber, Votive in den Heiligtümern) zu ihrem Heimatdorf, w o sie auch oft w o h n e n blieben. Trotz der großen Zahl der Veteranen scheinen diese Notabein doch mehrheitlich indigen gewesen zu sein, es kam also zu keiner massiven Ansiedlung f r e m der Kolonisten. Betrachtet man die Verhältnisse j e d o c h genauer, entdeckt man große Unterschiede zwischen der Ebene von Bostra und der R e g i o n Leja'-Jebel-Drüz, sowohl hinsichtlich der Dorforganisation als auch der Bestattungssitten [A. Sartre, in: 21]. Darin könnten sich unterschiedliche Besitzverhältnisse manifestieren: Eine Berglandschaft mit kleinen u n d mittleren, wohlsituierten Grundbesitzern, die in a u t o n o m e n D ö r f e r n lebten, könnte einer Ebene gegenübergestanden haben, die zu einem guten Teil aus großen D o m ä n e n bestand, die sich im Besitz von Fremden (Spuren von Zenturiation) befanden, welche die abhängige Dorfbevölkerung ausbeuteten. Ein Vergleich der Dorfstrukturen (Existenz großer Güter) [Dentzer/Villeneuve 108], der ländlichen Gutshöfe [Villeneuve 1/993] und der Katasterorganisation könnte eine genauere Erfassung der Details möglich machen, besonders aber die Chronologie dieser Entwicklungen bestimmen helfen.
9. 4. 2 Dörfer und Dorfgemeinschaften Das Weiterbestehen der Tetrarchien im 1. Jh. beweist, daß nicht die ganze syrische Fläche zwischen den Städten aufgeteilt war, nicht einmal in Nordsyrien. Ein Teil der indigenen Gemeinwesen behielt also von den Nachbarstädten u n abhängige, dörfliche Strukturen. Manchmal bildete ein Heiligtum das Z e n t r u m .
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Im Unterschied zu Anatolien trifft man in Syrien nicht auf die U m w a n d l u n g großer einheimischer Heiligtümer in Städte, mit den Ausnahmen M a b o g / B a m byke [Goossens 88] im 2. Jh. v. Chr. und Baalbek/Heliopolis, das Kolonie w u r de [Rey-Coquais, IGLS VI]. Dagegen blieb das Heiligtum des Zeus Baitokeke im Hinterland von Arados unabhängig von dieser Stadt. Insgesamt weiß man aber nur wenig über die einheimischen Heiligtümer. U b e r die Organisation der Dörfer in der H o h e n Kaiserzeit ist, außer in Südsyrien, wenig bekannt [MacAdam 113, 114; M c L e a n - H a r p e r 115; Sartre 116]. Zahlreiche Inschriften aus d e m Jebel-Drüz-Leja'-Gebiet informieren über eine lebendige Dorforganisation, die mitunter schon im 2. Jh., regelmäßig aber im 3. u n d 4. bestand. Jede Gemeinde besaß eigene Magistrate, deren Titel auf Finanzoder Uberwachungsfunktionen hinweisen (pistoi, pronoetoi, episkopoi, dioiketai, strategoi) und die in keiner Weise der Aufsicht durch eine Stadt unterstanden. Das D o r f verwaltete seine Kasse u n d Heiligtümer, läßt auf eigene Kosten oder durch Euergeten-Stiftungen öffentliche Bauwerke zu seinem Schmuck errichten (Gemeindehaus, Herberge, Bäder, Theater, Tempel). D e r innere Friede o b lag den R ö m e r n , nicht den Städten. Das zeigt, daß die städtischen Territorien in Südsyrien nur eine begrenzte Fläche abdeckten und daß die dörfliche A u t o n o m i e dort die Regel blieb. Weil wir nicht gut genug über die hellenistische Zeit informiert sind, kann man nicht beurteilen, inwieweit diese Dorfstrukturen originär indigen sind. Die in der Kaiserzeit belegten Gemeindeverfassungen wurden, unabhängig davon, ob es sich dabei nun u m uralte, ererbte Strukturen oder u m eine N e u schöpfung zum Zeitpunkt der Annektierung handelte, auf jeden Fall von den provinzialen Autoritäten anerkannt und von ihnen unterstützt. Sie erscheinen gleichsam als Surrogat echter städtischer Institutionen. Die G r ü n d e hierfür sind in der historischen (über die wir so gut wie nichts wissen) und in der kulturellen Entwicklung der R e g i o n zu suchen. Urbanisierung und Hellenisierung treten gemeinsam auf, diese bringt j e n e hervor. Für die G r ü n d u n g einer Stadt brauchte man zumindest einen gewissen Hellenisierungsgrad der Honoratioren. So wurden im Hauran erst spät und nur wenige Städte gegründet; die notwendigen Buleuten rekrutierte man dann aus den Dorfnotabein der U m g e b u n g . Da die R ö m e r also keinerlei Urbanisierungstendenzen antrafen, hatten sie sich zu einer Weiterentwicklung der dörflichen Autonomie entschlossen, in der sie einen Schritt auf d e m Weg zu einem echten Städtewesen sahen. U n d in der Tat w u r d e n einige dieser Dörfer im Laufe der Zeit zu Städten erhoben, so Soada/Dionysias, Shahbä/Philippopolis, Shaqqä/Maximianopolis, u m nur die zweifelsfrei identifizierten Städte zu nennen. Andere O r t e mit dem Titel metrokomia, „ M u t t e r d o r f ' , erfüllten die Funktionen eines städtischen Zentrums fur die umliegenden Dörfer und nahmen in der H o h e n Kaiserzeit eine Mittelstellung zwischen D o r f und Stadt ein (Phaina, Zorava). Im 4. Jh. wurden sie zu richtigen Städten.
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Diese Organisationsform scheint eine südsyrische Eigenart gewesen zu sein, wo die Dorfgemeinden ebenso lebendig waren wie die Städte. Ein ähnliches Phänomen könnte im Golan und im Antilibanon vorgelegen haben, ist aber jedenfalls nicht so klar ersichtlich. Nichts Derartiges ist dagegen aus der Antiochene, der Kyrrhestike oder der Chalkidike vor der Spätantike bekannt. Warum das so ist, wissen wir nicht.
9. 4. 3 Die Nomaden Die antiken Quellen setzen Nomadentum und Räuberei mehr oder weniger gleich, widersprechen sich dabei aber mitunter selbst. Strabon z. B. erklärt, daß die Karawanen das Euphrattal wegen der Räuber mieden und eine etwas nördlichere Route einschlugen, wo fur Rastplätze und Wasser gesorgt war. Doch wer anders als die Nomaden sollte dies organisiert haben? Das soll nun kein Versuch sein, die in vielen Regionen gut belegte Wegelagerei [Isaac 269] in Abrede zu stellen. Aber man muß ihre genaue räumliche und zeitliche Ausdehnung beachten, denn der Kampf gegen die Räuber blieb nicht erfolglos. Seit Pompeius waren die Ituräer in Südsyrien und im Antilibanon als Räuber gefurchtet gewesen und hatten vor allem davon gelebt, Reisende zu entfuhren und für sie Lösegeld zu erpressen. Doch ab Herodes kam es zu keinen weiteren Vorfällen. Generell stellten die Nomaden Syriens und Arabiens ab der Mitte des 1. Jh.s keine Bedrohung mehr für die seßhafte Bevölkerung dar [Banning 120, 121; Isaac 22; zu Ausnahmen und der Gegenmeinung vgl. Graf 125; Parker 129]. Zwischen Euphrat und Hijäz war die militärische Besatzung minimal, ganz als ob man von dieser Seite überhaupt nichts befürchtete. Kein Plünderungszug, kein Uberfall wird vor der Mitte des 3. Jh.s erwähnt. Bei den Nomaden lassen sich drei Hauptgruppen unterscheiden: die arabischen Gruppen, die fälschlicherweise unter dem Namen „Safaiten" zusammengefaßt werden und die zwischen der Damaszene und Transjordanien umherzogen; die Nabatäer, die im alten Land Edom (Negev und Sinai) wohl weitgehend seßhaft waren und als Händler und Hirten lebten; und die gleichfalls als Hirten lebenden Thamüd, im Norden des Hijäz, in der Nähe der Nabatäer. Die Safaiten [Macdonald 128] waren Hirtennomaden und hinterließen mehrere tausend Felsinschriften. Sie verbrachten den Sommer auf dem Jebel Drüz und östlich von Leja', wo einige Gruppen schließlich seßhaft wurden [Sartre 130]. Nach den Regenfällen ließen sie ihre Schaf-, Pferde- und Dromedarherden in den Steppen im Osten grasen. Sie versorgten die regionalen Märkte mit Fleisch und belieferten die römische Armee mit Pack- und Reitpferden. Die Häuptlinge der wichtigsten Stämme wurden von den römischen Autoritäten als „Strategen der Nomaden" oder „Ethnarchen" anerkannt und sicherten unter der Aufsicht römischer Offiziere die Aufrechterhaltung der Ordnung. Ein römischer Posten kontrollierte Ñamara, das mitten in ihrer Streifregion lag. Uber die Nabatäer und die Thamüd im Süden der Provinz wissen wir nicht soviel. Wenigstens kennt man einige ihrer Treffpunkte. So fanden im Wadï
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Ramm [Sartre 54; Savignac 203, 204], östlich von Aila, um ein stark frequentiertes Allat-Heiligtum regelmäßig Märkte statt. Dort befand sich ein römischer Posten, dessen Soldaten (die viel zu wenig waren, als daß sie eine militärische Rolle hätten spielen können) sich über die Bewegungen der Stämme und den Zustand der Weideflächen informierten und Streitigkeiten schlichteten. In Ruwwäfa [Beaucamp 122; Sartre 54], einige hundert Kilometer weiter südlich, war zwischen 165 und 169 ein Tempel des Kaiserkults von der Konföderation der Thamüd gestiftet worden. Die Initiative ging jedoch von den Legaten Arabiens aus, die „den Frieden zwischen ihnen wiederhergestellt hatten". Die Statthalter der Provinz konnten also die Thamüd ruhig halten, im Konfliktfall als anerkannte Schiedsrichter auftreten und den Kaiserkult als Unterpfand der Loyalität der Stämme propagieren [Bowersock 123].
9. 5 Produktion und Handel 9. 5. 1 Landwirtschaftliche Techniken und Produktion Die syrische Landwirtschaft basierte, wie so häufig im Mittelmeerraum, auf zweijährigem Fruchtwechsel, der den Düngermangel ausglich; mancherorts dürfte auch die Viehhaltung für Abhilfe gesorgt haben. Ein Großteil Syriens erhält ausreichend Niederschlag, um eine ertragreiche Landwirtschaft ohne künstliche Bewässerung zu erlauben. In mehreren Regionen konnte man jedoch Bewässerungsanlagen nachweisen [Geyer 112; Calvet/Geyer 107]. Im Kalkmassiv und im Hauran finden sich zahllose gemauerte oder in den Stein geschlagene Zisternen, und zwar sowohl in den Städten (Bostra besitzt zwei gigantische Exemplare) als auch in den Dörfern. Sie speicherten während des Winters (wenn Regen und Schnee im Übermaß fällt) das für die lange Trockenzeit benötigte Wasser (von Ende April bis Anfang November bleibt der Regen ganz aus). Doch diese Zisternen scheinen keine Bewässerungssysteme versorgt zu haben. Sie waren fur Mensch und Tier, nicht für die Felder bestimmt. Auch die in Kanatha, Berytos, Apamea, Bostra oder Philippopolis nachgewiesenen Aquädukte dienten der Versorgung der Städte, nicht der Bewässerung. In den großen Tälern und Oasen hingegen entwickelten sich landwirtschaftliche Bewässerungssysteme. In den Tälern von Euphrat und Orontes begnügte man sich, mit Chadouf oder (wie in Ägypten) Archimedes-Schraube Wasser aus den Flüssen zu holen. In der Oase von Damaskus ermöglichte ein komplexes Ableitungssystem, das Wasser des Chrysorrhoas (Barada) auf ein sehr ausgedehntes Gebiet zu verteilen, ehe er die letzten Ausläufer des Antilibanon hinter sich ließ. Im Negev wurden ziemlich komplexe Bewässerungssysteme nachgewiesen [Evenari 111]. In einer sehr trockenen Umwelt hatten die Nabatäer ein System von Sperren und Kanälen geschaffen, das das auf einer Fläche von mehreren hundert Hektar gefallene Regenwasser zur Bewässerung von einigen Hektarn
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nutzte. Diese Anlagen blieben auch in der Hohen Kaiserzeit in Betrieb, aber ihre Effizienz war wegen des unregelmäßigen Niederschlags gering. Beim Transport und der Verbreitung der Getreideernte kannte Syrien dieselben Probleme wie alle anderen Provinzen. So lobte man in Syrien wie andernorts erfolgreiche Agoranomen (L. Iulius Agrippa in Apamea [Rey-Coquais 96]), was zeigt, daß die Versorgung der Städte dort genauso schwierig war wie auch sonst. Daß dergleichen Belege eher selten sind, sollte nicht zu dem Schluß verleiten, daß das Gleichgewicht zwischen Bedarf und Produktion öfter hergestellt war als in anderen Provinzen. Die Ausbreitung des Olanbaus im Kalkmassiv schreibt man im wesentlichen der römischen Zeit zu. Diese spekulative Kultur (die Einheimischen verwandten kaum Ol) war in erster Linie für die städtischen Märkte Syriens bestimmt, Export über weite Entfernungen ist nicht nachgewiesen. Die Ölkultur führte zur Urbarmachung einer trockenen Gebirgslandschaft, in der die Getreidekultur unrentabel war. Die Weinrebe könnte eine vergleichbare Rolle in der Damaszene, im Antilibanon, im Jebel Drüz und in der Umgebung von Laodikea am Meer gespielt haben. Die syrischen Weine waren berühmt und wurden sowohl in die Mittelmeerländer als auch auf die arabische Halbinsel exportiert. Ein anderer einträglicher Wirtschaftszweig war die Viehzucht. Neben der im Mittelmeerraum üblichen Schafs- und Ziegenhaltung und der Dromedarzucht der Nomaden dokumentieren neuere Forschungen, daß die seßhafte Bevölkerung des Hauran häufig Großvieh (Rinder und Pferde) besaß, was in einem halbariden Land durchaus erstaunen darf [Villeneuve, in: Dentzer 109].
9 . 5 . 2 Die Bedeutung des Handwerks Das syrische Handwerk besaß im Altertum einen hervorragenden Ruf, den Anzahl, Verschiedenartigkeit und Qualität der Produkte voll rechtfertigten. Freilich berichten die antiken Autoren zumeist nur, was sie aufgrund von Luxus oder Originalität besonders beeindruckte, und dies muß natürlich in wirtschaftlicher Hinsicht nicht unbedingt eine tragende Rolle gespielt haben. Die Purpurproduktion von Tyros konnte zwei Faktoren optimal miteinander verbinden: das örtliche Vorkommen der Purpurschnecke und die Verfügbarkeit von Qualitätstextilien in Tyros selbst und in den syrischen Städten (Gerasa, Laodikea, Byblos, Berytos). Die Purpurfärbung steigerte den Wert dieser Produkte erheblich, die sich ansonsten mit der ägyptischen und kleinasiatischen Konkurrenz hätten messen müssen. Die Glasproduktion hatte ihr Hauptzentrum in Sidon, doch gab es auch in Galiläa große Werkstätten. Auch das Metallhandwerk besaß zahlreiche Standorte. Sidon war berühmt für seine Bronze, Antiochia bekannt für seine Gold- und Silberschmiede. Werkstätten in Damaskus, Jerusalem, Bostra, Berytos und Palmyra stellten Waffen, Werkzeuge und andere Geräte her. Es gab also in allen Bereichen des Handwerks eine echte Streuung der Produktion.
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Syrien m u ß zahlreiche Töpferwerkstätten besessen haben, damit es sowohl die Bedürfnisse des täglichen Lebens als auch die Erfordernisse des Handels (Wein- und Olamphoren) befriedigen konnte. Doch weiß man darüber sehr wenig. Als einzige Sorte kann man die nabatäische Keramik klar identifizieren [Schmitt-Körte, in: Lindner 137; Negev 142], deren Kennzeichen Feinwandigkeit und Pflanzenmotivik sind. Sie wurde kaum exportiert, und ihre Produktion erlischt im 2. Jh. Jedoch mutmaßt man heute, daß sich ein Produktionszentrum der orientalischen terra sigillata A im syrischen R a u m befunden haben könnte; doch ob dies nun in Antiochia, Tarsos, Obodas im Negev oder auf Zypern war, oder ob an all diesen Orten (und manch anderen) Werkstätten Keramik produzierten, weiß man nicht.
9. 5. 3 Der Handel Syriens Prosperität beruhte auf seiner umfangreichen landwirtschaftlichen Produktion, seinem vielseitigen Handwerk und seinen ausgedehnten Handelsbeziehungen. Bauern und Handwerker lieferten den Kaufleuten die Exportware, diese wiederum kauften von ferne Luxusprodukte, die erst in verarbeitetem Z u stand die höchsten Gewinne brachten. Die syrischen Kaufleute gehörten zu den Hauptnutznießern des Handels zwischen dem Römischen Reich und den Ländern des Südens und Ostens. Nachdem R o m den Plan aufgegeben hatte, die Ressourcen von Arabia Felix direkt zu kontrollieren (Scheitern der Expedition des Aelius Gallus 27 v. Chr. [von Wissmann 58]), beschaffte sich R o m durch syrische Händler die Seide aus dem Land der Serer [Janvier 60], die Gewürze und Aromen Indiens (Pfeffer), Südarabiens und seiner afrikanischen Dependancen (Zimt, Myrrhe, Weihrauch) [Sidebotham 1/1037]. Diese Produkte, in ihren Herkunftsgebieten sehr billig, stiegen um ein Vielfaches im Preis, einerseits durch römische Einfuhrsteuern (porteria) [De Laet 1/611], andererseits durch die Aufschläge der Zwischenhändler (Kosten für Karawaneneskorten, Land- oder Seetransport, Gewinnspanne der Karawanenhändler). Die 50 oder 100 Millionen Sesterzen, die Indien und Arabien dem Reich jedes Jahr kosteten [P. Veyne, R o m e devant la prétendue fuite de l'or: mercantilisme ou politique disciplinaire, Annales ESC 34 (1979) 211-244], enthielten auch die Gewinne, die Reichsangehörige machten [Raschke 62], Hier sind vor allem die Nabatäer zu nennen. Lange Zeit beförderten sie die Produkte aus Arabia Felix nach Petra und von da weiter nach Gaza und R h i n o kolura. In augusteischer Zeit jedoch [Strab. 16. 4. 23f.] wurde dieser Handelsstrom größtenteils nach Ägypten umgelenkt. Myos Hormos, Koptos und Alexandria waren die Stationen der neuen Gewürzstraße, die auch viele nabatäische Händler benutzten. Wenn auch manche Karawane weiterhin den syrischen Markt versorgte, so gehörte doch der Reichtum Petras der Vergangenheit an. Palmyra [Starcky/Gawlikowski 174; Will 180], das bereits zur Zeit von Antionius' Angriff 41 v. Chr. wohlhabend gewesen war, erlebte seit dem 1. Jh. n.
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Chr. ein Phase von außergewöhnlicher Prosperität, wie es ζ. B. die Weihung des riesigen Bel-Tempels 32 n. Chr. zeigt. Das U m l a n d war zwar arm [Will 179], doch Palmyra konnte aufgrund seiner außergewöhlichen Lage die gesamte syrische Wüste zwischen der Emesene u n d d e m Euphrat mit seinen R e i t e r n kontrollieren und in diesem Gebiet die Sicherheit der Reisenden gewährleisten. Ferner lieferte seine Kamelzüchteraristokratie in großer Zahl die Tiere, ohne die eine D u r c h q u e r u n g der W ü s t e unmöglich war [Schlumberger 168]. Auch hatten Palmyras Händler dauerhafte Niederlassungen in Babylonien (Ktesiphon, Vologesias) und am persischen Golf (Spasinu Charax, Insel Kharg, Bahrein) [Haerinck 164; Seyrig 173] eingerichtet u n d dort kannte man zweifellos den weiteren Verlauf der Handelsstraßen bis Indien und Zentralarabien. Kaufleute von der Mittelmeerküste fanden in Palmyra die für ihre U n t e r n e h m u n g e n j e n seits der Reichsgrenzen notwendige Infrastruktur, Kameltreiber, Soldaten [Will 178, 180; Matthews 165; Teixidor 177] und Bankiers [Gawlikowski 163], Palmyra gab sich mit dem Profit zufrieden, den es aus seinen Dienstleistungen zog, Handelsgut, das für den Weitertransport bestimmt war, w u r d e nicht besteuert. Es w u r d e nicht in die Stadt gebracht, dafür gab es aber in einiger Entfernung von der Stadt eigene Karawansereien [Dentzer 155], D e r R ü c k g a n g des Handels in der zweiten Hälfte des 3. Jh.s (keine einzige Karawaneninschrift zwischen 211 u n d 247, vielleicht wegen der von den Sassaniden seit 224 verursachten allgemeinen Unsicherheit) hatte wohl kaum die Aufgabe der Handelsstraßen zur Folge. Es sieht ganz danach aus, daß die Händler Palmyra weiterhin frequentierten, wenngleich die Kreditzinsen proportional zum Risiko der Gläubiger in die H ö h e schnellten (30 oder 32% Zins) [Gawlikowski 163]. Die syrischen Häfen von Gaza bis Seleukia waren genauso wichtig. Sie boten den Händlern die Dienste zahlreicher erfahrener Schiffer. A m intensivsten w u r den sie von den syrischen Kaufleuten selbst genutzt, die die italischen u n d westlichen Häfen in großer Zahl anliefen. Die Küstenstädte profitierten auch vom Transit der Waren aus d e m Orient, denn sie w u r d e n in ihnen weiterverarbeitet. M a n färbte Seide mit Purpur, webte sie erneut, u m eine feinere Qualität zu erzielen oder besondere Motive einzuweben, man stellte Kosmetika u n d M i schungen aus den heimischen u n d importierten Gewürzen u n d Aromen her. Die syrischen Handwerker lieferten den Großteil der Waren, die im Austausch für Seide, Gewürze und Aromen nach Arabien und Indien gingen. Es gab in Nordindien und Arabia Felix eine Klientel, die an derlei Importgüter gewöhnt war, wie der Export von Glaswaren nach Indien und die Entwicklung der Kunst von Gandhara zeigen. D e r „Periplus des erythräischen Meeres" [Casson 59] aus der Mitte des 1. Jh.s bestätigt, daß ägyptische Handwerker teilweise eigens für diese Kundschaft produzierten. Syrische Werkstätten taten Selbiges in den B e reichen Glas, Textilien, Keramik (in Indien wurden die terra-sigillata-Typen A und Β imitiert) u n d Metall in r o h e m und verarbeitetem Zustand. Das flache Land exportierte Wein u n d Korn. Syriens R e i c h t u m beruhte also nicht nur auf der Geschäftstüchtigkeit seiner Makler und Schiffer, sondern auch auf der Vielfalt seiner eigenen Produktion,
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der Geschicklichkeit seiner Handwerker, heimische und importierte Güter zu verarbeiten, und dem Unternehmergeist seiner Kaufleute, die alle Häfen der bekannten Welt von Britannien bis Indien anliefen.
9. 6 Sprachen, Kulturen, Religionen 9 . 6 . 1 Der Erfolg der griechischen Kultur Einige der wichtigsten Repräsentanten der griechisch-hellenistischen Kultur stammen aus Syrien [Rey-Coquais 201]. Ζ. B. findet man die verschiedenen Philosophenschulen vertreten: Der Stoizismus durch Boethos von Sidon (2. Jh.), der Kynismus durch Oinomaos von Gadara (2. Jh.), die platonische und neuplatonische Schule mit Máximos von Tyros (ca. 125-185), Numenios von Apamea (2. Jh.), Longin (213-273) und Jamblich von Chalkis (ca. 250-325). Auch gab es in der Zweiten Sophistik zahlreiche bedeutende Redner, von Isaios dem Syrer (Ende 1. Jh.) bis Genethlios von Petra, der im 3. Jh. einen Demosthenes-Kommentar verfaßte, und seinem Mitbürger Kallinikos, der unter Diocletian in Athen Rhetorik unterrichtete. An Romanschriftstellern sind zu nennen Heliodor von Emesa (2. Jh.), Verfasser der „Aithiopika", und vor allem Lukian von Samosata, der zahlreiche Schriften hinterlassen hat. Syrer taten sich in den Bereichen Naturwissenschaften, Rechtskunde und Geschichte maßgeblich hervor. Der Kartograph, Mathematiker und Geograph Marinos von Tyros (1.-2. Jh.) erarbeitete eine Beschreibung der Welt und nannte Maßangaben, auf die Claudius Ptolemaios in der Mitte des 2. Jh.s zurückgreifen sollte. Nikomachos von Gerasa [McDermott 196], ein pythagoreischer Musiker aus der Mitte des 2. Jh.s, ist vor allem als Mathematiker bekannt. Er begründete eine algebraische Arithmetrik, die der geometrischen Arithmetik weit überlegen war. Das Recht wird hervorragend durch den 228 umgekommenen Juristen Ulpian repräsentiert, und die Rechtsschule von Berytos sollte bis zum Ende der Antike berühmt bleiben [Collinet 81], Die Geschichtsschreibung, die schon am Ende des 1. Jh.s durch Nikolaos von Damaskus vertreten war, zählt Flavius Josephus und seinen Rivalen Justus von Tiberias zu ihren berühmtesten Vertretern. Eine bedeutende Stellung nimmt auch die christliche Literatur ein. Ihren ersten Höhepunkt erlebte sie bereits im 2. Jh. mit Justinus Martyr aus Neapolis (100-165), weitere Repräsentanten waren Beryllos von Bostra zu Beginn des 3. Jh.s und Tatian der Syrer sowie Paul von Samosata im 3. Jh. Wenn auch dieses literarische Schaffen fur uns zu weiten Teilen verloren ist, so dokumentiert doch seine schiere Existenz die kraftvolle griechische Kultur in Syrien. Soweit die überlieferten Herkunftsorte der Autoren als Informationsquelle dienen können, war offensichtlich keine einzige größere Stadt vom intellektuellen Leben ausgeschlossen. Kein Wunder also, daß man die alten Bildungszentren Tyros, Sidon, Tarsos und Apamea (Antiochia dagegen Verhältnis-
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mäßig wenig) oder auch Städte der Dekapolis wie Gadara oder Gerasa vertreten findet [Rey-Coquais 201; Gatier 189]. Aber auch einheimische, spät hellenisierte Städte wie Samosata, Chalkis am Belos, Emesa, Bostra und Petra trugen ihren Teil zur Entwicklung der griechischen Kultur in der Kaiserzeit bei. Die Wertschätzung, die der Hellenismus genoß, manifestierte sich im Import griechischer Produkte, wie in den attischen Sarkophagen von Tyros [Linant 194] oder von Arethusa und Bostra [Koch, in: 28],
9. 6. 2 Indigene Sprachen und Arabisierung Die Erfolge der griechischen Kultur dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die ländlichen Regionen Syriens der Hellenisierung in fast jeder Hinsicht widerstanden. Allenfalls bei den Honoratioren mag es manche geringfügige Ausnahme gegeben haben. Die Städte selbst (besonders im Süden) waren weit von einer völligen Hellenisierung entfernt. Die Onomastik und der Gebrauch der indigenen Sprachen beweisen die Lebenskraft der lokalen Traditionen und die zunehmende Arabisierung. Die Onomastik Syriens weist je nach Region große Unterschiede auf [ReyCoquais, in: 1/77 (1977)]. So waren die Namen in den Küstenstädten Phönikiens bereits zu Beginn der Kaiserzeit fast gänzlich griechisch. Wenn in griechischen Inschriften der Hohen Kaiserzeit einige indigene Namen auftauchen, so bedeutet das nicht Ausbreitung und Wiederaufleben einheimischer Traditionen, sondern vielmehr, daß der Gebrauch des geschriebenen Griechisch inzwischen in Schichten vorgedrungen war, die bis dahin nicht geschrieben und ihre einheimischen Namen bewahrt hatten. In den Städten Nordsyriens und der Dekapolis dominierte die griechisch-römische Onomastik. Dies ist ganz klar der Fall in Antiochia, ebenso in Apamea und Gerasa [Gatier 189]. Gleichwohl trifft man noch recht häufig auf indigene Namen in Apamea und Gerasa. Handelt es sich dabei um den Zuzug einheimischer Elemente? Oder muß man das, wie im Fall von Tyros, als Verbreitung von Griechischkenntnissen in zuvor illiteraten Gruppen interpretieren? Sobald man sich indes den dörflichen Inschriften zuwendet, sticht das Ubergewicht der semitischen Namen ins Auge [Sartre 100], Zwar bleibt das griechisch-römische Element in Nord- und Zentralsyrien stark, doch Texte aus der Hohen Kaiserzeit sind rar, denn in dieser Epoche schreibt nur die reiche und hellenisierte Minderheit. Das geballte Auftreten semitischer Namen in späteren Texten (4.-7. Jh.) beweist, daß der Hellenismus eine begrenzte Erscheinung blieb. In Südsyrien und Arabien (mit Ausnahme der Städte der Dekapolis) besteht in dieser Beziehung kein Unterschied zwischen Stadt und Land: Die semitischen Namen dominieren überall. Das griechisch-römische Element ist in der Onomastik von Bostra (der Provinzhauptstadt) und den alten Herodes-Domänen nur geringfügig stärker; hier kommen etwa gleich viele semitische bzw. griechisch-römische Namen vor. Dagegen liegt der Anteil semitischer Namen in einer einheimischen Siedlung wie Umm al-jimäl bei 85%. Insgesamt also war
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der Gebrauch griechischer Namen syrienweit wenig verbreitet, wenn man in Rechung stellt, ein wie geringer Prozentsatz der Bevölkerung auf Griechisch schrieb bzw. schreiben ließ. Das Fortleben der indigenen Sprachen bestätigt die Ergebnisse der Onomastik: Das Phönikische existiert bis zum 3. Jh. als Schriftsprache, wurde aber anscheinend wenig verwendet. Dagegen behauptet sich das Aramäische sowohl im mündlichen als auch im schriftlichen Gebrauch als die wichtigste Sprache. In palmyrenischer Form schrieb man es bis ans Ende des 3. Jh.s In seiner syrischen Variante erlebte es ab dem 2. Jh. eine literarische Renaissance, die man nur durch eine vitale und starke Volkskultur erklären kann. Zentrum der syrischen Kultur war damals Edessa. Insbesondere ist hier Bardesanes (154-222) zu nennen, der christliche Hymnen schrieb und die syrische Dichtung begründete [MacMullen 197, S. 33-35; Teixidor 226]. Die Araberstämme verwendeten ihre eigenen, von den südarabischen Alphabeten abgeleitete Schriften. Ihr Gebrauch war weit verbreitet. Die 15000 bis 20 000 safaitischen Graffiti beweisen, daß es sich dabei nicht um die Kunst eines Schreiberstandes handelte. Doch diese Alphabete wurden aufgegeben (3.-4. Jh.), und das Arabische adaptierte für seine Bedürfnisse die nabatäische Schrift, mit der bis dahin ein stark arabisch gefärbtes Aramäisch geschrieben worden war (Inschrift von Ñamara 328; vielleicht gibt es im Negev auch schon einen Beleg aus dem 2. Jh.) [Roschinski 202]. Im Gegensatz zu Anatolien, wo die Einheimischen entweder Griechisch schrieben oder gar nicht schrieben, war in Syrien das Griechische nur eine von mehreren Schriftsprachen, wenn auch die schickste, welche von Reichen und solchen Leuten benutzt wurde, die kultiviert erscheinen wollten. Allerdings zeigt das Weiterbestehen der einheimischen Sprachen auch in der Schrift die Grenzen der Hellenisierung [Miliar 198]. So konnte der Firnis griechischer Kultur rasch verschwinden, als sich neue Herren des Landes bemächtigten, deren Sprache nicht Griechisch, sondern Arabisch war.
9. 6. 3 Die Kulte Das religiöse Leben weist dieselben Komponenten auf wie in den anderen Provinzen des östlichen Mittelmeers: Stadtkulte [Teixidor 176], Heilsgottheiten (darunter indigene wie Atargatis oder Adonis) sowie indigene Orts- und Stammesgottheiten [Sartre 26, S. 459-500]. Es hat wenig fremden Einfluß erfahren, und so dominieren je nach Gebiet die verschiedenen einheimischen Götter. Drei Regionen lassen sich unterscheiden: In Phönikien besaß jede Stadt ihr eigenes Pantheon, das häufig von einer Trias aus Gottvater, Gottmutter und Gottsohn beherrscht wurde; letzterer war der wichtigste und aktivste Gott. Jedoch konnte sich diese ursprüngliche Struktur durch das Aufkommen populärerer Kulte verschieben. So stieg in Sidon der Heilgott Esmun-Asklepios zur wichtigsten Gestalt auf. In Tyros genoß Melqart, „König der Stadt", eine absolute Vormachtstellung. In Byblos nahm die weibli-
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che Gottheit, Baalat, „Herrin", die erste Stelle ein. Überall tragen diese Kulte einen agrarischen, naturverbundenen Zug: Der lokale Baal, Herr über Regen und Vegetation, steht neben der Göttin Astarte, Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit. Bei den Seßhaften im syrischen Binnenland heißen die Lokalgottheiten Baal, „Herr", hinter dem sich häufig (ζ. B. in Damaskus) Hadad, der Gott des Gewitters und Regens, verbirgt, den man sich als Gemahl von Atargatis vorstellte. Doch kann es sich auch um Baalshamin, Gott des Himmels und Herr über die Ernten handeln, der als oberster Gott verehrt wurde und nur schwer von Hadad zu trennen ist, die beide gleichermaßen „Reichtum verbreiten". Wichtig war das Ortsadjektiv, das unter den zahlreichen Hadad die von Damaskus, Bambyke und Gaza (Zeus Marnas) heraushob. Zu diesen Hauptgottheiten treten zahllose lokale Götter, die mit Anhöhen, Bergen oder Naturphänomenen in Verbindung gebracht wurden: Baal-Markod über Berytos, Elahagabal in Emesa, ein Baal Madbachos (Zeus Bomos, „Altar") imjebel Shayakh Barakat in Nordsyrien [Callot 188], um einige wenige der unzähligen Beispiele zu nennen. Auf die arabischen Götter trifft man in der ganzen Provinz Arabien und bis nach Palmyra. Sie unterscheiden sich je nach Stämmen und Völkern. Bei den Nabatäern gab es eine Trias, bestehend aus einer Gottheit des Gebirges von Petra, Dushara (Dusares), „der Herr des Shara", der zur dynastischen Gottheit geworden war, einer Kriegsgöttin, Allât, und einer Himmelsgöttin, al-'Uzzä [Starcky 146]. Allât findet sich in Palmyra wieder, ebenso bei den Safaiten (Lät). Auch viele andere Götter, Aziz, Monimos, Ruda, Shai al-Qawm oder der edomi tische Gott Qös, wurden weithin verehrt [Sourdel 207]. Palmyra [Teixidor 175] bietet eine ganz besondere Göttervielfalt, in der sich seine Stellung zwischen Syrien, Mesopotamien und der Wüste widerspiegelt. Zu einer lokalen Gottheit, Βδΐ, die unter babylonischen Einfluß zu Bei geworden war, traten einheimische (Iarhibol, Agliböl, Malakbel), aramäische (Baalshamin), mesopotamische (Nabu, Arsu, Adad) und arabische Götter (Allât, Aziz). In Phönikien wurden schon bald einheimische Gottheiten mit griechischen identifiziert. Die Griechen zu Herodots Zeiten hatten schon Melqart mit Herakles gleichgesetzt, seinem Namen aber wegen seiner besonderen Züge das Adjektiv „tyrisch" hinzugefügt. Bereits viel früher war Astarte zur phönikischen Aphrodite oder zur Aphrodite von Zypern (bzw. Paphos) geworden, wo sie von den Griechen übernommen worden war. Während des Hellenismus und der Hohen Kaiserzeit verbreitete sich in ganz Syrien der Gebrauch griechischer Namen zur Bezeichnung syrischer und arabischer Gottheiten. „Zeus" bezeichnete die Oberhäupter der lokalen Pantheen und ersetzte, mit einem Ortsadjektiv versehen, alle möglichen Götternamen. Er war ζ. B. der Ruda der Safaiten (Zeus Safatenos), der Hadad von Damaskus, Bei oder auch Baalshamin. Andere Gleichsetzungen, die auf mehr oder weniger ausgeprägten Homonymien basierten, entstanden: Allât-Athene, Arsu-Ares [Bowersock 186], El-Kronos, NergalHerakles (in Palmyra), Astarte-Hera, al-'Uzzä-Aphrodite [Zayadine 212].
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Diese Identifizierung konnte sich auch auf die Darstellung der Götter auswirken. Ein lokaler Zeus übernahm ganz selbstverständlich Thron, Blitz und Adler von Zeus Olympios. Das spektakulärste Beispiel findet man in Palmyra, wo Allât in ihrem Tempel mit den Zügen der Athena Parthenos des Pheidias dargestellt war! [Gawlikowski 161] Aber die Hellenisierung hatte Grenzen. Juppiter Heliopolitanus (Baalbek) [Hajjar 192] und Zeus-Hadad von Damaskus gehören zu einer ganzen Reihe von Göttern, die mit einem miederartigen, einschnürenden Gewand dargestellt wurden. Der Hermes von Baalbek ist ganz umwickelt, steht auf einem von zwei Löwen flankierten Sockel und trägt den polos auf dem Kopf. Die Traditionen waren in Palmyra noch deutlicher sichtbar; neu war allerdings der Brauch, die Götter wie römische Soldaten zu bekleiden [Seyrig 206]. Bei den Nabatäern fehlten bildlichen Darstellungen von Göttern in der Regel weiterhin. Man begnügte sich mit Betyln der einzelnen Götter. Dies waren rechteckige oder runde Steine, die nur gelegentlich stilisierte Augen und Nasen aufwiesen. Die Wahrung der Traditionen manifestierte sich auch in den Heiligtümern, von denen einige Bau- und Schmuckelemente der griechisch-römischen Kunst aufgriffen, andere aber uralten Modellen folgten. Das Heiligtum des Juppiter Heliopolitanus in Baalbek [Ragette 200] ist ein gutes Beispiel für die erste Gruppe. Vor dem Perípteros auf einem Podium befindet sich ein großer Hof mit Portiken (2. Jh.), ein sechseckiger Vorhof (244-249) und monumentale Propyläen (Caracalla). Etwas tiefer liegt ein weniger großes Heiligtum, der sogenannte „Bacchus"-Tempel. Schmuck und Anlange des Ensembles sind unzweifelhaft griechisch-römisch: die Säulen, die skulptierten Friese und Giebelfelder, der reiche Architekturschmuck innerhalb und außerhalb der Gebäude, und, ein typisch römischer Zug, das erhöhte Podium, auf dem der Tempel errichtet ist. Doch weisen zahlreiche Elemente auf Praktiken hin, die dem griechischen Kult fremd waren: Der Hof war ausgesprochen geräumig und bot einem kleinen Altar für Brandopfer und einem großen Altarturm fur Gastmähler Platz. Zwei Waschbecken verwiesen auf die Bedeutung der Reinigungsriten. Zwei isolierte Säulen nahmen die Rolle der Betyln ein. Solche Höfe, die die Gläubigen aufnehmen sollten (wie der Tempelhof von Jerusalem) finden sich in allen halbwegs bedeutsamen Heiligtümern wieder, so in Palmyra, Byblos, Sia (Hauran) und Khirbet Tannur in der Nabatene [Glueck 190], Die Innenausstattung dieser Tempel war kaum von griechisch-römischen Vorbildern beeinflußt. Der sogenannte „Bacchus"-Tempel in Baalbek ist äußerlich ein klassischer Perípteros auf einem Podium; doch die Cella wird in zwei Teile geteilt, der hintere, erhöhte dürfte abgeschlossen gewesen sein und als Adyton, „Allerheiligstes", fungiert haben. Auf diese Anlage trifft man in sehr vielen Tempeln des libanesischen Berglands [Krencker/Zschietzschmann 193; Taylor 210] und des Hauran [Butler 15]. Meistens führten in die Dicke der Mauern gebaute Treppen auf das Dach, wo bestimmte Opferhandlungen vollzogen wurden [Amy 183]. Alle diese Heiligtümer, die manchmal auch in Zwei-
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er- oder Dreiergruppen auftraten (ζ B. Sfìré oder Qalaat Fakhra), besaßen ausgedehnte Tempelbezirke, die durch einfache Mauern oder aufgestellte Steine markiert waren. Das Bel-Heiligtum von Palmyra [Amy/Seyrig/Will 184], eines der bedeutendsten des ganzen Orients (geweiht am 6. April 32), ist ein ausgezeichnetes Beispiel für diese Mischung aus indigenen Traditionen und griechisch-römischen Einflüssen. Das ausgedehnte Areal von 200m Seitenlänge wird von Portiken hadrianischer Zeit gerahmt. Die Verwendung von korinthischen Säulen könnte vermuten lassen, man hätte es hier mit einem Bauwerk griechisch-römischen Stils zu tun. Doch dagegen spricht die ganze Anlage des Tempels. Dieser steht etwa in der Mitte des Temenos und bildet ein in Nord-Süd-Richtung ausgerichtetes Rechteck. Den Tempel umgibt eine sehr hohe Kolonnade, darauf befindet sich ein Gesims, das mit einer Reihe von dreieckigen Aufsätzen verziert ist, die an mesopotamische Vorbilder erinnern. Die Cella wird an einer Längsseite betreten. An ihren beiden Enden liegen zwei Thalamoi, zwei einander gegenüber liegende Adyton-Kammern. Dort dürften Götterstatuen und Symbole des Gottes gestanden haben. Treppen fuhren zum Terrassendach hinauf. Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele von Heiligtümern, die sich von der griechisch-römischen Architektur trotz gewisser dekorativer Anleihen noch viel weiter entfernen. Im arabischen Wadï R a m m in der Nähe des Allat-Felsheiligtums besitzt ein kleiner Prostylos eine Cella, die von einem Gang umgeben war, auf dem Prozessionen stattfinden konnten. Weder Anlage noch Dekor (der fast ganz fehlt) sind griechisch-römisch, die Säule ist die einzige Anleihe bei der griechisch-römischen Kunst. Der sogenannte „Löwen-Greifen-Tempel" von Petra war ein Prostylos. Im Zentrum seiner Cella jedoch umgibt eine rechtekkige Kolonnade eine große Plattform, die dem Podium (mötab) der Freiluftheiligtümer entspricht, wo man die Betyln während der Zeremonien aufstellte. Diese Heiligtümer, die man bis ins flache Land hinein in großer Zahl findet, belegen, wie beliebt dieser Architekturtyp sogar in den nur schwach hellenisierten Zonen war. Gleichzeitig stellt sich heraus, daß nur der Schmuck griechischrömisch ist (mit einer gewissen Tendenz zur Hypertrophie [Lyttleton 195]), während die tiefere Struktur, die kultische Anlage, manchmal sogar die Wahl des Ortes von den Traditionen diktiert wurden. Sie stehen damit in einer Reihe mit den unzähligen anderen einheimischen Heiligtümern wie den Freiluftheiligtümern. Diese waren einfache Felsheiligtümer, die mit einem Felsen, einer Quelle oder irgendeiner anderen natürlichen oder pflanzlichen Merkwürdigkeit zusammenhingen. Im Wadï R a m m [Savignac 203, 204] wurde die Ortswahl des Allat-Felsheiligtums vom Austritt einer Quelle in einer ansonsten völlig unwirtlichen Gegend bestimmt. In Petra bevorzugte man die schroffsten Gipfel als Standorte der Heiligtümer [Starcky 146]. Das berühmteste besteht aus einer großen, rechteckigen Esplanade, bei der der Stein so abgearbeitet ist, daß die Ränder als Sitzbänke dienten. In der Mitte einer Längsseite ließ man ein natürliches Podium (mötab) stehen, um dort die Be-
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tyln der Götter aufzustellen. Eine anderer Block, den man stehen ließ, diente als Altar. Zisternen, die das Regenwasser auffingen, brauchte man für Waschungen und Reinigungen. Etwas weiter unten stellten zwei riesige Obelisken, die aus der Felsmasse herausgearbeitet worden waren, Betyln dar. Im severerzeitlichen Bostra hatte ein Heiligtum diese traditionelle Anlage bewahrt: Auf einem Holzpodium, das man über eine Leiter erreichte, erhoben sich drei Betyln, die nach aller Wahrscheinlichkeit die nabatäische Trias repräsentierten: Dushara, Allât, al'Uzzä [Sartre 100], Die Anleihen bei der mittelmeerischen Kunst stellten nur oberflächliches Beiwerk dar, das den Göttern und Heiligtümern einen griechisch-römischen Anstrich geben sollte. Doch dies wirkte sich in der Realität weder auf die Natur der Götter noch auf die Liturgie aus. Das Festhalten an den traditionellen Kulten erklärt auch, weshalb fremde Götter in Syrien bei den Einheimischen so wenig Anhänger fanden. Zweifellos ist diese Glaubenstreue auch eines der Fundamente von Syriens Widerstandskraft gegen die Hellenisierung [Teixidor 211],
9. 7 Die Krisen Judäas Judäa hatte mit dem Rest Syriens in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht viele Gemeinsamkeiten. Die Juden stellten jedoch eine religiöse Minderheit dar, deren Bestrebungen und Verhalten Judäa zu einem Zentrum steter Unruhe im Vorderen Orient machten und zu den Aufständen 66-74 und 132-135 führten. Unsere Quellensituation auf diesem Feld ist außergewöhnlich gut. Die zwischen- und neutestamentliche Literatur, Flavius Josephus und Philon von Alexandria, Qumran und die talmudischen Schriften vermitteln uns ein Bild des Judentums und der Juden in der Zeit vom 1. bis zum 3. Jh. Da es sich hier um jüdische Literatur über Juden handelt, kennen wir ausnahmsweise in diesem Fall den Standpunkt der Provinzialen und nicht nur (wie sonst) den der herrschenden Schichten, d. h. der Griechen und Römer. Außerdem darf man nicht die Gemeinschaft unberücksichtigt lassen, aus der sich langsam das Urchristentum entwickelte. Die neue Religion geht zwar vom hellenistischen Judentum aus, entwickelt und definiert sich aber gegen dieses. Parallel dazu, nach dem Scheitern der Aufstände und der Zerstörung des Tempels, verändert sich das Judentum, als die Hoffnung auf einen neuen jüdischen Staat schwand. Die Synagoge ersetzte den Tempel, die Lesung das Opfer.
9. 7. 1 Herodes und seine Nachfolger Im Gegensatz zu den anderen Syrern (die Nabatäer ausgenommen) hatten die Juden in hellenistischer Zeit eine eigene staatliche Organisation besessen. Freilich standen sie seit der Einnahme von Jerusalem 63 v. Chr. durch Pompeius unter römischer Oberherrschaft. Nach verschiedenen Versuchen, die Autorität zu zersplittern [Bammel 260; Kanael 271], überließ R o m dem Herodes ein
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R e i c h , das ganz Palästina und einige transjordanische Gebiete umfaßte. Dieses Königreich war j e d o c h keineswegs der Staat, von dem die Nationalisten träumten [Alon 237], weil Herodes durchaus nicht der erwartete, von Jahwe verheißene Wiederhersteller des unabhängigen jüdischen Staates sein konnte. Die idumäische H e r k u n f t seiner Familie verwehrte i h m den Zugang zum Amt des H o hepriesters. Als Sohn des nabatäischen Arabers Kypros konnte er auch durch die Heirat mit der Hasmonäerin M a r i a m m e seine Legitimität nicht begründen. Trotz der einmütig feindlichen Tradition scheint Herodes ein effizienter u n d verantwortungsbewußter Herrscher gewesen zu sein [Grant 1/658]. Antonius und Octavian setzten ihn im Jahr 41 v. Chr. ein, als ganz Syrien faktisch von den Parthern besetzt war. Ungeachtet des Widerstands aus Pharisäerkreisen gelang ihm die R ü c k e r o b e r u n g des Reiches (37). Octavian bestätigte ihn sofort nach d e m Sieg von Actium in seinem Amt, und Herodes begann mit der Ausschmückung und Modernisierung seines Reiches. D e r Wiederaufbau von Samaria/Sebaste, der Bau einer neuen Hauptstadt und eines b e q u e m e n Hafens in Zentralpalästina, nämlich Caesarea am M e e r (das alte Stratonos Pyrgos) [Levine 351; R i n g e l 355], verschiedene Verschönerungsarbeiten in Jerusalem, auch am Tempel, hätten ihm eigentlich die Wertschätzung seiner Landsleute sichern müssen. D o c h Herodes erschien den f r o m m e n Juden ganz im Gegenteil in all seinen Taten als Gottloser. Zwar ließ er die Tempelhöfe restaurieren u n d schmückte die Portiken mit den schönsten u n d teuersten Materialien, aber zum Entsetzen der Juden ließ er dort einen Adler aus Gold anbringen, was zu einem blutigen Vorfall mit aufgebrachten Jungpharisäern führte. Dieselbe Mißachtung jüdischer Vorschriften kam z u m Ausdruck in der Veranstaltung isolympischer Spiele in Jerusalem (27 v. Chr.), mit allen Details, die jüdische Betrachter e m p ö ren mußten: nackte Athleten, der heidnische Charakter der mit den Spielen zusammenhängenden Kulte, die T h e m e n der rednerischen u n d musikalischen Darbietungen. Die spätere Entwicklung, als die Rabbiner selbst die Gymnasien besuchten und diese für sie zur Quelle nützlicher Bilder für ihren Unterricht w u r d e n [Chambers 318], lag n o c h in großer Entfernung. Dagegen scheint sich Herodes u m die Gunst der Heiden b e m ü h t zu haben, was seine zahlreichen Euergesien in Phönikien nahelegen. Auch dachte er C a e sarea von Anfang an den Griechen zu, was N e r o später bestätigte. In Samaria/ Sebaste ließen sich seine germanischen, gallischen u n d thrakischen Söldner nieder. Diese beiden Städte erhielten ein Kaisareion zu Ehren von Augustus, was offiziell den Kaiserkult begründete. Als König von R o m s Gnaden, von den J u den gehaßt, stützte sich Herodes auf fremde Söldner und errichtete ein N e t z von Festungen, die ihn m e h r vor seinen Untertanen als vor seinen Nachbarn (die gleich ihm Vasallen waren) schützen sollten: Masada [Cotton/Geiger 229], das Herodeion u n d Machairus kamen zu den instandgesetzten Hasmonäerfestungen und zu den Palästen von Jerusalem und Jericho hinzu. Die Grausamkeit des Königs bei der Niederschlagung von U n r u h e n , seine Brutalität gegenüber der eigenen Familie, seine zahlreichen Ehen, seine angeblichen oder tatsächli-
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chen Schandtaten, die sich in seinen unzugänglichen und oft stadtfernen Palästen zutrugen - all das ließ das Bild vom blutrünstigen Tyrannen entstehen. Herodes verschaffte jedoch Palästina eine gewisse Ruhezeit, indem er die j ü dischen und arabischen Räuber Galiläas und der Peraia bekämpfte [Isaac 269]. Freilich mußte das Volk seine Bautätigkeit bezahlen, und seine Grausamkeit bei der Steuereintreibung zielte auch darauf ab, die Feindseligkeit der Juden zu brechen. Aber er senkte zur Linderung der allgemeinen Armut die Steuern 20 v. Chr. um ein Drittel, 14 v. Chr. um ein Viertel. Er bemühte sich um eine ausreichende Versorgung, und während der Hungersnot von 25 v. Chr. veräußerte er einen Teil seiner Güter, u m Korn ankaufen zu können. Aber dies ließen die frommen Juden nicht gelten. Seine Nachfolger [Perowne 274; Jones 270] standen in keinem besseren R u fe, ja sogar R o m traute ihnen nicht ganz. Die Länder des Herodes wurden unter dreien seiner Söhne aufgeteilt, die aber nicht den Königstitel erhielten. Doch schon 6 n. Chr. mußte Archelaos, der seinen Vater an Brutalität und Raffgier übertraf, ohne dessen Effektivität zu besitzen, abgesetzt werden. Allein Agrippa I. scheint von den Pharisäern günstig beurteilt worden zu sein. Als frommer Mann befestigte er Jerusalem und versuchte, seine Unabhängigkeit zu demonstrieren, indem er die Vasallenkönige in Tiberias versammelte. Aufgrund seiner Freundschaft zu Claudius gelang es ihm, das ganze Herodesreich wiederherzustellen und den Königstitel zu erlangen. Aber seine Herrschaft war kurz (41-44) [Schwarz 276]. Nach ihm mußte sich sein Sohn Agrippa II. mit einem Königreich begnügen, das sich von Galiläa bis zum Hauran erstreckte. Er behielt es bis zu seinem Tod 9 2 / 9 3 [Frankfort 1/656]. Das Versagen der Vasallenfürsten zwang R o m zur Direktverwaltung
9 . 7 . 2 Die Rückschläge der Direktverwaltung 6 n. Chr. wurde Judäa-Samaria zur Provinz Syrien geschlagen und von einem Präfekten mit Sitz in Caesarea verwaltet [Ghiretti 264], Die Direktverwaltung mag zur Zunahme der Steuerlast beigetragen haben; jedenfalls kam es bereits unter Coponius, dem ersten Präfekten überhaupt, zu einem Aufstand unter Judas d e m Galiläer g e g e n die capitatio. D a s tributum soli (12,5%) u n d die capitatio
wurden von nun an auf der Grundlage regelmäßiger Zählungen bemessen, deren erste unter Quirinus 6 n. Chr. stattfand, und drückten zusätzlich zu den zahlreichen Steuern, handelshemmenden Binnenzöllen und Wegegeldern [Neesen 1/424; Nicolet 1/594], Aber vor allem barg die neue Herrschaftsform noch mehr Möglichkeiten, sich zu beflecken, wo doch die Juden größten Wert auf die Vorschriften der rituellen Reinheit, Symbol ihrer Thora-Treue, legten. Die einzelnen Präfekten scherten sich wenig um die jüdischen Eigenheiten, trotz der offiziellen Anweisungen, die in der Zeit von Augustus bis Claudius wiederholt bestätigt wurden [Saulnier 259]; man kann aber nicht von einer „Charta" für die Juden sprechen [Rajak 258]. Uberall lauerte die Konfrontation: Feldzeichen in Jerusalem, Hei-
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den im Tempel, die Verwahrung der Gewänder des Hohepriesters. So schwelte immerzu ein Konflikt zwischen den Repräsentanten R o m s und den traditionellen jüdischen Autoritäten. Doch R o m mußte sich in Judäa wie auch sonst auf die vorhandenen Institutionen stützen. An der Spitze stand die gemeinsame Autorität von Hohepriester und Sanhédrin. Wenn auch die Hohepriester nicht ausschließlich aus der Nachkommenschaft Aarons ausgewählt wurden, so gehörten sie doch fast immer denselben Priesterfamilien an. Sein Amt, das nicht mehr auf Lebenszeit verliehen wurde, beschränkte sich auf die Verwaltung des Tempels und auf die gemeinsam mit dem Sanhédrin ausgeübte rechtsprechende und regelnde Gewalt, die ihm im religiösen Bereich echte Autorität gab, besonders in der Dispora. Seit der Zeit des Herodes allerdings erscheint der Hohepriester als Werkzeug in der Hand der weltlichen Herrscher. Herodes hatte die Hohepriester ernannt, wie es ihm gefiel. Er achtete nicht auf das Prestige ihrer Familie, und mitunter erwiesen sie sich als unwürdig. Der Präfekt Valerius Gratus (15-26) ernannte nacheinander drei in drei Jahren, ehe er Kaiphas in diese Stellung berief, der sie dann von 18 bis 37 innehatte. Die Hohepriester wurden zu Marionetten Roms, so wie sie diejenigen des Herodes gewesen waren. U n d so besaßen sie beim Volk keinerlei Ansehen mehr. Das Sanhédrin [Mantel 327] war ein Rat mit vielfältigen Kompetenzen, dessen Autorität sich auf Judäa beschränkte und der insbesondere in rechtlicher Hinsicht tätig wurde. Er war für die Pharisäer, die immer mehr seiner Mitglieder stellten, der „demokratische" Ausdruck der jüdischen Regierung. Aber H o hepriester und Sanhédrin hatten keinen Anteil an der politischen Entscheidungsgewalt und sahen sich auf ihre religiösen und juristischen Funktionen beschränkt, obwohl die Pharisäer gegen diese Grenzen ihrer Macht ankämpften. Auf lokaler Ebene waren die örtlichen Ratsversammlungen („die Ältesten", „die Ersten") lediglich für alltägliche Rechtsfälle und die damit unlösbar verbundene Thora-Auslegung zuständig. Aber obwohl die Juden ihre Autonomie verloren hatten, befanden sie sich in einer günstigen Lage. Es wäre falsch zu behaupten, das Judentum hätte den Status einer religio licita erhalten (dieser Begriff war dem römischen Recht fremd), aber die Thora war sehr wohl als ihr Recht anerkannt, wie man auch sonst die lokalen Rechte der Peregrinen bestätigte. Konsequenterweise galten auch alle religiösen Bestimmungen. So waren die Juden vom Militärdienst befreit. Ihre religiösen Regeln (Lebensmitteltabus, Reinheitsvorschriften, Verbot der Teilnahme an anderen Kulten) machten es den Juden unmöglich, innerhalb der Armee mit Heiden in enge Berührung zu kommen. In diesem Sinn ordneten Augustus und Claudius an, daß die R ö m e r Tempel, Jerusalem, die heiligen Schriften und die Synagogen zu respektieren hatten, was die Anerkennung der Thora als indigenes Recht implizierte. Dadurch brachten die Kaiser ihre örtlichen Vertreter in eine schwierige Lage, da die Thora öffentliches wie religiöses Leben in einer untrennbaren Art und Weise regelte. R ö m e r ohne tieferes Verständnis konnten zu dem Schluß kom-
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men, daß die Juden es darauf anlegten, sich um jeden Preis von den anderen abzusetzen. So geläufige Dinge wie der Kaiserkult, Paraden der Feldzeichen oder athletische Nacktheit waren in Jerusalem verboten, ja, man konnte nicht einmal einen Juden am Sabbat vor Gericht laden! Entnervt von diesen Eigenarten neigten die Römer dazu, sich diesem Volk gegenüber, das Nichtjuden in allen Belangen des täglichen Lebens zu verachten schien, provokativ zu verhalten. Zwischen der übersteigerten Empfindlichkeit der einen Seite und den übertriebenen Reaktionen der anderen mußte es zu Reibungen kommen, die sich schließlich in Explosionen entluden. Dies und andere, tiefere Gründe, die die Spannungen noch verstärkten, führten von einem steten Räuberunwesen zu offenem Aufstand und Bürgerkrieg.
9. 7. 3 Agrarische Strukturen und soziale Hierarchie Griechisch-römische wie talmudische Quellen zeigen uns Palästina als fruchtbare Region, wo die gängigen Kulturpflanzen des Mittelmeerraums gut gediehen. Getreide lieferte den fünf- bis fünfzehnfachen Ertrag des Saatkorns und wurde in guten Jahren via Tyros und Sidon exportiert. Reben wuchsen überall, und die Weine von Sharon, Karmel, Gaza, Askalon und Lydda waren so berühmt, daß sie einen Markt außerhalb Palästinas fanden. Der Olivenbaum lieferte in Judäa Ol in großer Menge, doch das galiläische galt als besser. Zu diesen drei Hauptkulturen kamen noch Myrrhe und Papyrus aus dem Jordantal (Jericho), Viehzucht im Negev, in der Peraia und in Samarien, ferner Früchte, Gemüse und der Fischfang, welcher auf dem Meer und dem See Genezareth (Galiläisches Meer) betrieben wurde. An der eigentlichen Prosperität kann also kaum gezweifelt werden [Applebaum 339]. Doch schufen die ländlichen Strukturen ungerechte Verhältnisse. Seit der Rückkehr aus dem Exil war Judäa ein Land kleiner, freier Bauern gewesen, und die seit dem 3. Jh. v. Chr. sehr intensive jüdische Besiedelung Galiläas geschah auf derselben Basis. Aber seit dem 1. Jh. v. Chr. änderte sich die Lage, und unter Herodes' Herrschaft wurde es immer schlimmer. Zunächst bewirkte die relative Uberbevölkerung Palästinas eine spürbare Fragmentierung des judäischen und samarischen Bodenbesitzes in der Zeit zwischen dem 1. Jh v. Chr. und dem 1. Jh. n. Chr. Die Erbregelung im jüdischen Recht sah die Aufteilung des Landbesitzes zwischen allen Brüdern vor, wobei jedoch der älteste zwei Anteile bekam. Im günstigsten Fall zahlte dieser seine Brüder aus und blieb allein auf dem Land leben. Doch manchmal wurde der Verkauf für alle Erben unausweichlich, weil die Parzellen zu klein waren, um rentabel bewirtschaftet zu werden. Wohlhabende Grundbesitzer nutzten diese Umstände, um ihre Domänen auszudehnen. Die Bauern ohne eigenen Grund schlugen sich als Lohnarbeiter oder allenfalls als Pächter durch. Die Pacht lieferte den Bauern einer totalen Abhängigkeit aus: Der Bodenherr entschied über die Bepflanzung, lieferte den Samen und steckte die Gewinne ein. Der Pächter mußte sich mit einer kleinen Beteiligung zufrieden geben, die ihm keine Chance gab, sich jemals aus seinen Schulden freizukaufen.
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Abgesehen von Kaiserdomänen und den D o m ä n e n des Königs, seiner Familie und Freunde (Salomes D o m ä n e in Iamna, herodeische D o m ä n e n in Idumäa u n d Galiläa) kennt man wenig Beispiele fiir sehr große Güter. Dagegen gibt es eine gutbelegte Kategorie von mittelgroßen, wohlhabenden Grundbesitzern, die Pächter [Mt. 21. 33] oder Lohnarbeiter [Mt. 20. 1-7] einsetzten. M a n darf sich nicht von den Evangelien irremachen lassen, die zu Erbauungszwecken gern bitterarme und schwerreiche Menschen einander gegenüberstellen. Selbst in Galiläa, w o es große D o m ä n e n von Herodes' Freunden u n d römerfreundlichen Mächtigen gab (insb. u m Sepphoris [Miliar 353]), scheint die Kategorie der mittleren Grundbesitzer gut vertreten gewesen zu sein. D o c h jüdischer Kleinbesitz war in den Z o n e n der Schwerreichen oft völlig verschwunden. H e rodes hatte seinen Veteranen Landlose in fruchtbaren R e g i o n e n gegeben (6 000 in der U m g e b u n g von Samaria), u n d die Großgrundbesitzer reihten dort, w o ihre Beziehungen am besten waren, D o m ä n e an D o m ä n e . Die Verschuldung der Bauern, zu der die h o h e Steuerlast n o c h hinzukam [Hadas-Lebel 1/404], scheint unerträglich gewesen zu sein. Josephus berichtet von Plünderungen der „ R ä u b e r " bei den R e i c h e n [Brunt 342], und 66 n. Chr. war eine der ersten Handlungen der Aufständischen, die Jerusalemer Archive in Flammen aufgehen zu lassen. Die Verschuldung konnte bis zur Knechtschaft fuhren. Zwar durfte sie sechs Jahre nicht überschreiten u n d der Sklave konnte nicht ins Ausland verkauft werden, gleichwohl war diese Institution symptomatisch für die soziale Ungerechtigkeit. Als sich Simon bar Giora zu Beginn des Aufstandes von Masada nach Jerusalem begab, ließ er, symbolisch für die Befreiung aller Juden, die Sklaven frei.
9. 7. 4 Messianismus und eschatologische Erwartungen Abgesehen von den Sadduzäern, die bereit waren, sich mit j e d e r beliebigen Macht zu arrangieren [LeMoyne 288], träumten die meisten Juden von einem Staat, in d e m sie weder d e m D r u c k der Griechen noch der Ausbeutung der R ö mer unterworfen waren. Auch nur die R ü c k k e h r z u m Status eines autonomen, tributpflichtigen ethnos unter der R e g i e r u n g von Hohepriester und Sanhédrin hätte Anklang gefunden, denn R o m s Präsenz konnte in gewissen räuberverseuchten R e g i o n e n u n d zum Schutz der oft angefeindeten Juden der griechischen Nachbarstädte von N u t z e n sein. Aber dieses maßvolle Ziel, zu d e m sich die gemäßigten Schichten bekannten, reichte den meisten J u d e n bei weitem nicht. Sie standen seit langer Zeit unter dem Einfluß einer eschatologischen Literatur apokalyptischen Inhalts u n d einer immer ungeduldigeren Messiaserwartung [Monloubou/Cazelles 329; Hellholm 323; Gruenwald 321]. Seit der Babylonischen Gefangenschaft (6. Jh. v. Chr.) erwarteten die J u d e n den „Tag jahwes", mit dem der N e u e Bund, der Triumph der Gerechten beginnen sollte. Diese eschatologische Vorstellung war durch die Propheten der Zeit des Exils u n d der R ü c k k e h r aus d e m Exil begründet und durch die Exegese der Schriftgelehrten wiederbelebt worden. Seit d e m 2. Jh. v. Chr. verhießen A p o -
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kalypsen („Offenbarungen") das baldige Kommen Jahwes und gaben dem Volk in tiefster Verzweiflung neuen Grund zum Hoffen. Während das Unglück Israels unermeßlich schien und man sich von Jahwe verlassen fürchtete, machte die Apokalypse durch die Verheißung des nahen Heils Mut, indem sie all das Leiden als Zeichen des unmittelbar bevorstehenden Triumphes der Juden deutete. Das Genre konnte bis zum Aufstand von Bar Kosiba (132-135) florieren, verschwand aber dann zusammen mit der Hoffnung auf einen jüdischen Staat. An diesen Spekulationen beteiligten sehr viele Juden, ja außerhalb des herrschenden priesterlichen Milieus wohl so ziemlich alle. Aber von Synagoge zu Synagoge, von Rabbi zu Rabbi unterschieden sich die Ansichten über die Vorzeichen des „Tages" und über das, was sich an ihm ereignen würde (Auferstehung aller Menschen, oder nur der Juden, oder gar nur der Gerechten?) und was dann käme. So waren die meisten Juden seit dem 2. Jh. und vor allem dem 1. Jh. v. Chr. zu einer jeweils eigenen Vorstellung vom Ende der Zeiten gekommen, die trotz aller Unterschiede regelmäßig die Wiederherstellung des irdischen Königreichs und der Ankunft eines Messias als Verkünder enthielt. Die Erwartung des Königreichs ließ den Juden seit dem Exil keine Ruhe. Für die meisten von ihnen fiel das Ende der Zeiten mit der Restauration des Königreichs Davids, also einem rein irdischen Ereignis, zusammen. Die Jünger Jesu waren vielleicht Teil dieser Strömung, denn sie wiesen dezidiert auf die davidische Abstammung ihres Meisters hin. Doch viele Juden erwarteten ein K ö nigreich, ohne sich auf David zu berufen. In diesem zukünftigen Königreich sollte der Tempel, gereinigt und einem würdigen Hohepriester anvertraut, die erste Stelle einnehmen, anstatt Fremden ausgeliefert zu sein, wie es seit zwei Jahrhunderten der Fall war. Außerdem glaubten einige Gruppen, daß der „Tag des Herren" durch einen Boten vorbereitet würde, einen „Gesalbten" (meschiya, christos) Gottes, der eine Vermittlerrolle einnähme [Klausner 324; Laperrousaz 325], Die meisten dachten, er würde ein Mensch sein, der wie alle geboren würde (oder vielleicht schon geboren war, ohne daß man es wüßte), aber allmächtig sei. Andere meinten, gräßliche Vorzeichen oder die Rückkehr von Elias würden seinem Kommen vorausgehen. Gegen ihn würde sich eine Koalition des Bösen unter der Führung des Antichrists erheben, die alles Leiden noch verdoppeln sollte. Doch letztendlich würde Jahwe siegen und der Messias in Jerusalem regieren. Die Diaspora fände wieder zusammen, Jerusalem würde gereingt und wiederaufgebaut werden; das Goldene Zeitalter begänne. Am Ende seiner tausendjährigen Herrschaft stünde das Ende der Zeiten, die Auferstehung der Toten (oder der Gerechten) und die Belohnung bzw. Bestrafung jedes einzelnen. Man müßte diese Zusammenfassung in zahllosen Einzelheiten nuancieren, so verschiedenartig waren die Vorstellungen. Aber das Prinzip war stets dasselbe: die Erwartung eines außerordentlichen Ereignisses, das die Befreiung der Juden ankündigen würde. Und die Ungeduld wuchs immer mehr. Der Traum vom eigenen Staat und die messianische Erwartung waren zwar alt, doch die Vorstellung, dies stehe unmittelbar bevor, war neu. Seit der Mitte des 1. Jh.s ν. Chr.
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wurde die Sehnsucht nach dem Messias immer größer. Spekulationen der Gelehrten suchten das Jahr des Heils in den 30er Jahren des 1. Jh.s η. Chr., doch die meisten legten sich nicht auf ein genaues Datum fest. Nicht alle bereiteten sich darauf mit ganz soviel Aufwand vor wie die Essener, die sich nach Qumran zurückgezogen hatten [Delcor 279; Dupont-Sommer 280; Laperrousaz 286, 287], doch zweifellos war dies eine der wesentlichen Sorgen der Juden zur Zeitenwende. Das zeigte sich in den Widerstandsbewegungen, die Palästina noch vor dem Aufstand von 66 erschütterten.
9. 7. 5 Vom Brigantentum zum allgemeinen Aufstand von 66 Seit Herodes' Herrschaft stand Palästina unter der Kontrolle eines Systems von befestigten Posten, Wachtürmen und strategischen Straßen, das mehr auf die Unterdrückung innerer Unruhen als auf die Abwehr auswärtiger Bedrohungen ausgerichtet war. Das schon von Pompeius bekämpfte Räuberunwesen hatte sich nämlich gehalten. Wirtschaftliche Schwierigkeiten, die Schulden der Bauern und die fehlenden Möglichkeiten für Lohnarbeit waren die Ursachen. Doch aus Flavius Josephus wissen wir, daß eschatologische und messianische Erwartungen ebenfalls das Verhalten dieser „Banditen" beeinflußten. Zentrum der Unruhen war Galiläa [Freyne 246; Goodman 295]. Zu Beginn seiner Herrschaft hatte Herodes den Räuberhauptmann Ezechias den Galiläer ausgeschaltet, der Tyros bedrängt hatte. Dessen Sohn Judas war einer der drei Männer, die sich nach dem Tod des Königs als Messias ausgaben. Er wurde besiegt, leitete dann aber (6-7 n. Chr.) einen Aufstand gegen den Präfekten Coponius. Josephus [bell. lud. 2. 118] sieht ihn als „Philosophen" und Sektengründer, „in nichts den anderen gleichend". In Wirklichkeit war er einer der Anfuhrer der Zeloten, einer Gruppe, die die religiösen Ansichten der Pharisäer teilte, aber das gewaltsame Vorgehen gegen die Römer vertrat, um so dem Kommen des Messias nachzuhelfen [Applebaum 277, 239; Horsley 296], Dieses Ziel legitimierte Uberfälle auf die Reichen, die ja mit den Besetzern unter einer Decke steckten. Obwohl Josephus für ihn den Begriff „Zelot" nicht gebraucht, besteht kaum Zweifel daran, daß Judas der Galiläer den Zeloten der Jahre 66-73 sehr nahe stand [Farmer 281; Hengel 282; Horsley 284], Die Unruhen ließen zwischen 4 v. Chr. und der Explosion von 66 nicht nach, nur der Vorwand variierte. Der Tod von Herodes überließ verschiedenen Männern das Feld, von denen sich jeder zum Messias aufschwang und die zusammen Judäa verheerten [Horsley 285]. Der syrische Statthalter stellte die R u he wieder her, indem er 2 000 Juden ans Kreuz schlagen ließ. Als der Präfekt Pontius Pilatus 26 n. Chr. kaiserliche Portraits nach Jerusalem hineinbringen ließ, kam es zu neuerlichen Unruhen, ebenso wenig später, als er Tempelgelder für eine Wasserleitung zweckentfremdete. U m das Jahr 30 fiel ein Prediger mit Namen Jesus von Nazareth dem Mißtrauen der Autoritäten gegen seinesgleichen zum Opfer, weil ihn seine Jünger, indem sie ihn König nannten, als Agitator im Messiasgewande erscheinen ließen. Zur selben Kategorie gehörte viel-
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leicht auch Barrabas [Lk 23. 17-25], dessen größere Popularität sich aus einer begeisternderen, weil näheren, Messias-Vorstellung erklären könnte. 40/41 wollte Caligula eine Statue von sich im Tempel aufstellen lassen. Der jüdische Widerstand zwang den syrischen Statthalter, auf Zeit zu spielen, bis er nach dem Tod des Kaisers dessen Anweisung als nichtig betrachten konnte. U m 44-46 vollbrachte ein gewisser Thaddäus vor riesigen Volksmassen Wundertaten; da ließ der Prokurator Cuspius Fadus die Menge auseinandersprengen und Thaddäus hinrichten. U m 46-48 starben die Söhne von Judas dem Galiläer unter Tiberius Iulius Alexander wegen Raub am Kreuz. U m 48-52 wurden U n ruhen, die der Affront eines römischen Soldaten provoziert hatte, blutig niedergeschlagen; Josephus [ant. lud. 20. 105-112] spricht von 20000 Toten. U m 51-52 rächten Zeloten die Ermordung von galiläischen Juden in Samarien. Die Affäre zog so weite Kreise, daß der syrische Statthalter schließlich den Präfekten Cumanus samt den Führern beider Parteien nach R o m schickte. Unter Felix, einem Günstling von Claudius, wurde die Rebellion zum Dauerzustand. Nach der Verhaftung des Zelotenfuhrers Eleazar traten die Sikarier in Erscheinung, Extremisten, die unterschiedslos Römer und gemäßigte Juden ermordeten, um den Kampf zu radikalisieren [Horsley 283]. Die Massen wurden von Predigern aufgehetzt. Ein ägyptischer Jude kündigte das Ende der römischen Herrschaft an und hieß Tausende von Jüngern auf den Fall der Mauern Jerusalems warten. Felix ließ sie kurzerhand vor der Stadt niedermetzeln. Unter Festus (60-62), Albinus (62-64) und Gessius Florus (64-66) verschlimmerte sich die Situation immer mehr. Die messianischen Erwartungen wurden immer ungeduldiger, j e mehr die Juden auf die wachsende Feindschaft der Heiden trafen. So reagierte Nero auf eine jüdische Gesandtschaft, indem er Caesarea als griechische Stadt bestätigte, in der Juden keinerlei Rechte besaßen. All dies führte zur Verschärfung der Spannungen. Seit Beginn der 60er Jahre befand sich Palästina im Zustand latenter Rebellion. Prediger und „Banditen" {listini), „Scharlatane" (Josephus) und Messiasse - sie alle hatten dieselben Hoffnungen und rissen das Volk mit. Männer wie Johannes der Täufer oder Jesus, Propheten der Apokalypse und des Messianismus, nährten die Hoffnung der Massen, obwohl sie selbst die Revolte nicht predigten (Jesus respektierte die existente Herrschaft). Nicht von ungefähr wurde Jesus zwischen zwei Räubern gekreuzigt: Für die Autoritäten war er ganz genauso ein Unruhestifter [Brandon 278]. U m die Mitte der 60er Jahre kam es zu einer neuen Entwicklung: Die herrschende Schicht der Juden brach offen mit den römischen Autoritäten. Dies geschah einerseits auf den Druck der Straße hin, andererseits aus der Erkenntnis heraus, daß nichts mehr zu verlieren war [Goodman 295]. Indem sie sich an die Spitze der Bewegung stellten, konnten sie auf die Rückgewinnung dessen hoffen, was sie durch die Zusammenarbeit mit R o m verloren hatten: ihre Macht und ihr Prestige. Der Krieg brach im Jahr 66 aus. Florus hatte 17 Talente aus dem Tempelschatz entnommen, woraufhin sich die Juden über ihn lustig machten und eine
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Spendensammlung für „den armen Florus" durchführten. Dessen Antwort war blutig, und sie führte zu wütenden Straßenschlachten in Jerusalem. Die Gemäßigten - Hohepriester und Pharisäer - beschlossen, ein Zeichen der Versöhnlichkeit zu geben, doch Florus demütigte sie nur. So begannen die Unruhen von neuem und weiteten sich zur Revolte aus: Erst fielen Tempel und Unterstadt, dann, im Sommer, auch die Festung Antonia. Der Hohepriester Ananias wurde ermordet, und der Aufstand weitete sich auf das ganze Land aus. Der Statthalter Syriens, Cestius Gallus, beschloß im Herbst 66 einzugreifen. Trotz einiger lokaler Erfolge gelang ihm die Wiedereinnahme von Jerusalem nicht, und seine Truppen mußten bei Beth Horon eine vernichtende Niederlage hinnehmen. Dieser Erfolg stärkte die Kriegspartei. Überall ernannten die Gemäßigten Kommandeure aus ihrem Lager, die das Land in Verteidigungszustand versetzen sollten. Die Juden schienen im Angesichte der Gefahr einmütig, doch dies war nur Fassade. Anführer aus dem Volk mißtrauten den Adligen und erkannten bisweilen ihre Autorität nicht an, wie etwa Johannes von Gischala, der Flavius Josephus, dem Befehlshaber der Gemäßigten in Galiläa, zusetzte und ihn verdächtigte, von den Römern gekauft zu sein. Diese Rivalität zwischen Extremisten und Gemäßigten, zu der noch Streitigkeiten innerhalb beider Lager kamen, machen den .Jüdischen Krieg" nicht zuletzt zu einem Bürgerkrieg. Im Frühjahr 67 wurde Vespasian die Leitung der Operationen übertragen. Er versammelte drei Legionen, 23 Auxiliarkohorten und sechs Alen, dazu Kontingente der Vasallenkönige von Kommagene, Emesa, Nabatene, insgesamt knapp 60000 Mann. Er verbrachte das ganze Jahr 67 mit der systematischen Rückeroberung der Festungen Galiläas (die Unterstädte waren kampflos geräumt worden). Im Juni/Juli 67 fiel nach drei Monaten Belagerung Iotapata, das Josephus verteidigt hatte; ihm folgte bald Tiberias und die meisten anderen befestigten Orte im Norden des Landes. Das Scheitern des Aufstands in Galiläa verschärfte den Bürgerkrieg in Judäa. Johannes von Gischala, der sich nach Jerusalem zurückgezogen hatten, prangerte die Inkompetenz der Adeligen an und brachte das Volk dazu, ihnen das Vertrauen zu entziehen. Ende 67 ermordeten die Zeloten zahlreiche ihrer Widersacher. Das Eintreffen idumäischer Verstärkungen in Jerusalem (Anfang 68) raubte den Gemäßigten jede Hoffnung, Johannes, der sich in der Stadt wie ein Tyrann aufführte, noch vertreiben zu können. Währenddessen, im Frühjahr 68, bemächtigte sich Vespasian der Städte der transjordanischen Peraia mit Gewalt oder Überredung: Gadara, Livias, Antipatris, Iamnia, Samaria, Jericho. Bald war Jerusalem völlig isoliert. Die politische Krise, die mit dem Tod Neros (9. Juni 68) begann, lähmte Vespasian fast ein Jahr lang. Doch Jerusalem nutzte diese Verschnaufpause nicht, im Gegenteil, es richtete sich selbst zugrunde [Price 299]. Simon Bar Giora, ein Rivale des Johannes von Gischala, zog März/April 69 in die Stadt ein. In den nächsten Monaten entstand eine dritte Fraktion unter Eleazar, Sohn des Simon. Zu Beginn des Jahres 70 kontrollierte Simon Bar Giora die Oberstadt und einen Großteil der Unterstadt. Johannes von Gischala hielt den Tempelberg und Elea-
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zar die Vorhöfe des Tempels, ehe er während des Pascha-Festes 70 einer List zum Opfer fiel. A m 1. Juli 69 überließ Vespasian, n u n m e h r zum Kaiser proklamiert, die Leitung des Krieges seinem Sohn Titus, der die erneute Besetzung Judäas in A n griff nahm. Ende 69 waren allein Jerusalem, das Herodeion, Masada u n d M a chairus noch übrig. Die Blockade von Jerusalem begann wenige Tage vor Pascha 70. Trotz des Bürgerkriegs im Inneren hielt Jerusalem stand. N a c h umfangreichen Zernierungsarbeiten, gegen die die J u d e n erfolgreich mit G e genstollen vorgingen, drang Titus allmählich in die Stadt ein. Josephus, der n u n m e h r dessen engerer U m g e b u n g angehörte, versuchte vergeblich, eine friedliche Ubergabe zu erreichen. Juni/Juli 70 machte sich der H u n g e r bemerkbar. Ende Juli oder Anfang August erreichten die R ö m e r den Tempelbezirk, den sie in Brand steckten. A m 8. Gorpaios (Ende August/Anfang September) war die Stadt ganz in der H a n d der römischen Truppen. Wer überlebt hatte, w u r d e niedergemacht, in die M i n e n geschickt, als Sklave verkauft oder für Gladiatorenkämpfe ausgewählt. Johannes von Gischala erwartete lebenslange Haft, Simon Bar Giora w u r d e für Titus' T r i u m p h aufgespart. W ä h r e n d Titus nach R o m zurückkehrte, n a h m Lucilius Bassus das H e r o deion u n d Machairus ein. Sein Nachfolger Flavius Silva belagerte Masada, eine jüdische Bastion, die von Anfang an Eleazar Bar Yair, ein Nachfahre von Judas dem Galiläer, gehalten hatte. D o c h diese Episode besaß trotz ihres symbolischen Gehalts und ihres dramatischen Ausgangs (kollektiver Selbstmord aller Belagerten, inklusive der Frauen u n d Kinder) kaum militärische Bedeutung, w e n n man davon absieht, daß sie bedeutende römische Truppenteile in Judäa bis April 74 (oder 73) band. D e r Aufstand endete mit einer noch nie dagewesenen Katastrophe. Jerusalem lag in R u i n e n , der Tempel war zerstört. Es gab keinen Hohepriester, kein Sanhédrin mehr. Z u m ersten Mal seit m e h r als 600 Jahren setzten die O p f e r aus.
9. 7. 6 Die Reorganisation Palästinas Die gewaltsamen Ubergriffe der Zeloten und die mangelhafte Vorbereitung der Aufständischen hatten viele Städte und Dörfer dazu veranlaßt, sich gleich zu B e ginn der römischen Offensive widerstandslos zu ergeben. Außerdem waren viele Menschen aus den belagerten Städten geflohen u n d hatten hinter den r ö mischen Linien Zuflucht gesucht, was den R ö m e r n den Eindruck vermittelte, die Revolte sei nur von einer extremistischen Minderheit getragen worden. War diese einmal geschlagen, konnte sich Vespasian versöhnlich zeigen. Schon 70 hatte er Judäa als vollgültige Provinz konstituiert. Von jetzt an war der Statthalter Senator prätorischen (im 2. Jh.: konsularischen) Ranges u n d b e fehligte gleichzeitig die legio X Fretensis, die ihr Standlager in Jerusalem bezog. Ansonsten beschränkte sich Vespasian auf einen bedeutsamen Erlaß: Die bisherige Tempelsteuer von zwei Drachmen, Symbol der jüdischen Privilegien, m u ß t e n die Juden von nun an zu Ehren des Juppiter Capitolinus entrichten —
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eine zwar leichte, aber demütigende Abgabe. Anstatt ganz Palästina zu konfiszieren, wie es ihm das R e c h t des Eroberers erlaubt hätte, zog er die Güter der wichtigsten Anfuhrer und Aufwiegler ein, doch er ließ das Land an diejenigen, die es wollten, zurückverkaufen, mit Ausnahme einiger Ländereien, die an Veteranen (800 in Emmaus-Nikopolis) oder Freunde (Josephus) gingen [Isaac 297]. Zahlreiche J u d e n blieben am Ende des 1. und während des 2. Jh.s G r u n d besitzer in Galiläa u n d j u d ä a [Applebaum 305; Buechler 343], Gleichwohl, die R u h e war relativ. Einige späte Texte sprechen von antijüdischen Verfolgungen in Palästina vor d e m Bar-Kosiba-Aufstand [Isaac/Roll 310], aber keine davon vor 120 darf als historisch gesichert gelten. Die jüdische R e volte von 115-117 griff nicht auf Palästina über. Diese Apathie könnte im Ausmaß der Katastrophe von 66-70 begründet liegen, aber auch in der Tatsache, daß die Zahl der Toten (Josephus nennt eine Million, was aber zu hoch gegriffen ist) und Vertriebenen die extremen sozialen Spannungen, die wir vor 66 kennen, milderte. D e n n o c h blieb die Unzufriedenheit. Es gab besonders in J u däa Landkonfiskationen, und die heidnischen Grundbesitzer setzten Juden als Lohnarbeiter oder Pächter ein, was in dieser Gesellschaft von landbesitzenden Bauern als unerträgliche D e m ü t i g u n g galt. Das Fortleben des Brigantentums, von dem die talmudischen Texte sprechen, illustriert vielleicht diese latente U n zufriedenheit [Isaac 269], und sicher nicht grundlos stellten die Bauern das Gros der Truppen während des Bar-Kosiba-Aufstands. Außerdem lebte der Widerstand gegen R o m weiter. Die N a c h k o m m e n der Zeloten waren bis in Rabbinerkreise einflußreich, und das Warten auf den Messias hörte nicht auf. D e r Nachhall der Ereignisse in Ägypten, Kyrene und Zypern während der Jahre 115-117 [S. 506f.] ließ die Juden nicht unberührt. Es existierte eine gewisse Agitation, u n d die Tatsache, daß Lusius Quietus, der gerade den Diaspora-Aufstand niedergeschlagen hatte, im Jahr 118 Statthalter J u däas wurde, ist vielleicht ein weiterer Hinweis in diese R i c h t u n g [Pucci 314], Ferner bezog eine zweite Legion in Palästina Quartier, zunächst die legio II Traiana u m 117-120, dann, im Jahr 123, die legio VI Ferrata, die von Arabien nach Kaparkotnei (Untergaliläa) verlegt wurde, von wo aus sie rasch in den wichtigsten Siedlungszentren eingreifen konnte. Die römischen Autoritäten schienen beunruhigt. G e r n e w ü r d e n wir den Anlaß für diese M a ß n a h m e n erfahren. D e n n unser Verständnis der Ursachen des Bar-Kosiba-Aufstands wird durch unsere Unkenntnis der vorausgehenden Jahre sehr beeinträchtigt.
9. 7. 7 Der Bar-Kosiba-Aufstand (132-135) Viele Forscher glauben, der Aufstand sei eine R e a k t i o n auf zwei Erlasse H a drians aus den frühen 130er Jahren gewesen. Erstens habe er die Beschneidung zu einem unbekannten Zeitpunkt (um 132?) verboten. Er habe damit nicht speziell die Juden treffen wollen, sondern nur die Edikte Domitians und Nervas gegen die Kastration, die für R ö m e r wie Griechen ein barbarischer Akt war, auf die Beschneidung ausgedehnt. Für die J u d e n war letztere aber das Symbol
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ihres Bundes mit Jahwe. In den Augen der Juden wäre ein solches Verbot nicht nur ein schweres religiöses Vergehen, sondern auch Ausdruck des römischen Willens gewesen, die Juden endgültig brechen zu wollen, wie es die Intention des Verfolgungserlasses von Antiochos IV. (167 v. Chr.) gewesen war. Tatsächlich aber erschließt man die Existenz dieses Edikts von Hadrian nur aus einer Verfügung des Antoninus Pius, die den Juden erlaubte, ihre Kinder (und nur sie!) zu beschneiden. Es ist keineswegs sicher, daß Antoninus Pius damit einen restriktiveren Erlaß Hadrians aufhob. Zweitens beschloß Hadrian u m 130 den Wiederaufbau Jerusalems. Er tat dies zweifellos in der Absicht, einer Stadt mit glanzvoller Vergangenheit ihre einstige Pracht zurückzugeben. O b ihm wohl gar nicht in den Sinn kam, daß diese R u i ne den Juden heilig war und daß jedes heidnisches Gebäude ein zusätzliches Sakrileg darstellte? Er ließ dort eine neue Kolonie errichten, colonia Aelia Capitolina, um einen Tempel des Juppiter Capitolinus, der an der Stelle des alten Tempels errichtet wurde. Schon 131/132 war die Gründung vollzogen, wie dies Münzen belegen, die man im Namen der neuen Kolonie prägte [Isaac 309]. Das habe nach Ansicht vieler Gelehrter die Lunte ans Pulverfaß gelegt. Aber: Pausanias und Euseb von Caesarea schreiben den jüdischen Aufstand allein der Aufsässigkeit dieses Volkes und seiner Ablehnung der römischen Herrschaft zu, andere Ursachen nennen sie nicht. Außerdem gärte es im Land schon seit der Mitte der 120er Jahre. Die repressiven Dekrete Hadrians (inklusive dem über die Beschneidung, wenn es es je gegeben hat) könnten auf diese Unruhen geantwortet haben, wären also nicht erste Ursache des Aufstandes, sondern nur eine weitere Stufe der Eskalation. Eine abschließende Entscheidung ist in diesem Punkt zur Zeit nicht möglich, und man kennt den Verlauf des Krieges viel zu wenig, als daß man die Anlässe und die tieferen Ursachen trennen könnte. Der wichtigste Anführer war Simon Bar Kosiba, Fürst (nasi) von Israel [sein genauer Name: Milik 313]. Der messianische Charakter, den man der Bewegung zuschreibt, dürfte eine spätere Interpretation der Rabbiner sein, ganz wie der spätere N a m e Bar Kochba („Sohn des Sterns"), denn weder die zeitgenössischen Texte noch die Münzprägung geben irgendwelche Hinweise in diese Richtung. Die Münzlegenden proklamieren den Wunsch der Juden, den Tempel wiederzuerrichten und Israel zu befreien („Jahr 1 der Erlösung Israels", ,Jahr 2 der Befreiung Israels", „Für die Freiheit Jerusalems"), aber man weiß nicht, inwieweit dieses Programm realisiert wurde. Einige Rabbiner schlossen sich an (so R . Aqiba, die wichtigste geistliche Autorität des palästinensischen Judentums), doch das Gros der Aufständischen stellten die Bauern Judäas. Die Bewegung war tief verwurzelt im judäischen Hügelland, dessen Höhlen als Zufluchtsorte dienten. Man fand dort ein Netz von Stollen und Verstecken, in denen die Aufständischen ihre Archive lagerten. Sie scheinen eine zentralisierte Administration und Militärverwaltung zu belegen. Es ist unklar, ob die Bewegung auf Gebiete jenseits der Grenzen Judäas (insbesondere die Region südlich Jerusalems) übergriff.
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Der Krieg zog sich mindestens drei volle Jahre, bis September 135, hin. Das römische Heer mußte schwere Verluste hinnehmen, es ging sogar eine ganze Legion, die legio XXII Deiotariana, unter [Mor 1/581]. Gleichwohl ist zweifelhaft, ob Jerusalem dauerhaft von den Aufständischen besetzt war. Letztendlich triumphierten die R ö m e r : Die Tradition will es, daß sie die Juden bei Bethar (in der Nähe Jerusalems) schlugen, wo Simon den Tod fand. Die anderen Anfuhrer waren bald gefaßt und hingerichtet, so auch R . Aqiba. Die Niederschlagung war blutig, selbst wenn man Cassius Dio [59. 14. 3] nicht glauben will, nach dessen Schätzung 985 Dörfer zerstört wurden, 580000 Juden im Kampf fielen und noch mehr verhungerten. Zahllose Gefangene verkaufte man als Sklaven in andere Reichsteile, und sehr viele Juden verließen als Flüchtlinge das Land. Die colonia Aelia Capitolina wurde fertiggestellt und mit Veteranen der legio V Macedonica besiedelt. U m den heidnischen Charakter der Kolonie zu sichern, war den Juden das Betreten von Jerusalem unter Todesstrafe verboten, außer am 9. Ab, dem Jahrtag der Zerstörung des Tempels. Heidnische Heiligtümer für Juppiter Capitolinus, Aphrodite, Bacchus, Serapis standen nach wenigen Jahren. Der jüdische Charakter des Landes wurde offiziell negiert, als man im Jahr 134 den Namen der Provinz von Judäa in Syria Palaestina änderte [AE 1904, 9]. Trotz des begrenzten Umfangs der Kämpfe war die darauffolgende Katastrophe von gewaltigem Ausmaß. N u n konnte niemand mehr auf eine baldige W i e dererrichtung des Tempels oder auch nur auf die Rückkehr der Juden nach Jerusalem, der Stadt ohne Juden, hoffen. Eine zelotische Opposition hielt sich eine Weile im Untergrund, war aber nach der Mitte des 2. Jh.s verschwunden. Messiaserwartung und apokalyptische Spekulationen erlahmten gleichzeitig und waren nunmehr verdächtig: „Wer das Ende [der Zeiten] errechnet, wird keinen Anteil an der kommenden Welt haben", erklärt ein Rabbi bald nach 135. Die Hoffnung blieb, doch ihre Verwirklichung war in ferne Zukunft gerückt.
9. 7. 8 Die Neuorganisation des Judentums Die Zerstörung des Tempels hatte die Opfer zum ersten Mal seit 586 v. Chr. unterbrochen. Auch Hohepriester und Sanhédrin fielen den Wirren zum O p fer. Doch die Diaspora („Zerstreuung") hielt die Lösungen für die Zukunft bereit: Zahlreiche Juden hatten niemals den Tempel besucht und nie am Opfer teilgenommen, und dennoch zweifelte keiner an ihrem Judentum. Ebensosehr wie der Tempel hatte die Thora als Bezugspunkt für die Juden gedient, die sich zum Gebet in die Synagoge begaben. Ihre Ausleger, die pharisäischen Rabbiner [Mason 289; Pelletier 291], die seit langer Zeit die wahren geistlichen Leiter des Volkes waren, traten ganz selbstverständlich an die Spitze der neuen Gemeinschaft. Obwohl viele von ihnen während des Aufstandes eine gemäßigte Haltung eingenommen hatten, stellte nach 70 niemand ihre Autorität über die Gemeinschaft in Palästina in Frage.
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Während der Belagerung war Rabbi Yohanan ben Zakkai [Neusner 331] heimlich aus Jerusalem geflohen und hatte in Iamnia mit römischer Zustimmung eine Schule zum Studium der Thora begründet. Gleich nach der Niederlage erließ er die unerläßlichen Kalender- und Feiertagsdekrete, nahm also die Kompetenzen des Hohepriesters und des alten Sanhédrin fur sich und seine Umgebung in Anspruch. Diese neue Autorität wurde nicht nur von allen Juden rasch anerkannt, sondern auch von der römischen Obrigkeit, die auf sie angewiesen war, u m das weiterhin angewandte Lokalrecht kontrollieren zu können. Sehr bald lieferten die pharisäischen Lehrer eine Interpretation der jüngeren Geschichte, die den Juden Hoffnung geben konnte. Nach R . Yohanan habe Israel die Hilfe Jahwes wiedergefunden, indem es sich von der Sünde, der einzigen Ursache seines Unglücks, befreit habe. Von nun an solle der Fromme den Respekt vor der Thora zum Zentrum seiner Religionsausübung machen. R . Yohanan legitimierte somit ein geistliches Leben außerhalb des Opferkults. In diesem wesentlichen Punkt und in zahlreichen anderen dokumentierten die Schriftgelehrten ihre Fähigkeit, die Thora j e nach den Umständen auslegen zu können. Das Volk fand bei ihnen die Verhaltensregeln, die es brauchte. Auch waren ihre Lehren vom Jenseits - Weiterleben und Auferstehung - eine neue Quelle der Hoffnung im tiefsten irdischen Elend. Die große Leistung dieser Rabbiner (die Tannaim, „Lehrer") bestand darin, die mündlichen Kommentare, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden (die Reihe der pharisäischen Rabbiner reichte so bis Moses selbst zurück) und die in Gefahr waren, vergessen zu werden, schrifdich niederzulegen. Mehrere Schulen florierten gleichzeitig, und die Schriftgelehrten schlugen in zahlreichen Einzelheiten verschiedene Lösungen vor. Allmählich wurde eine Kompilation erarbeitet (die Mischna), in der R . Aqiba eine zentrale Rolle einnahm. Sie wurde um das Jahr 200 unter der Autorität des nasi Judah I. veröffentlicht, sofort von allen Schulen (oder Akademien) Palästinas angenommen und nach Babylonien weitergegeben. Auf dieser Grundlage unternahm es die zweite Generation der Rabbiner (die Amoraim) zwischen dem 3. und 5. Jh., detaillierte Kommentare (Guemara) zu erstellen, die in ihrer Gesamtzahl zusammen mit der Mischna die Talmude von Jerusalem und Babylon bilden. Der Bar-Kosiba-Aufstand hatte trotz seines begrenzten Umfangs die Reorganisation des intensiv von den R ö m e r n überwachten Judentums gefährdet. Die repressiven Maßnahmen trafen alle Juden: Das Beschneidungsverbot wurde bestätigt (oder erlassen), ferner untersagte man, den Sabbat zu beachten, Rabbiner zu ernennen oder das Gesetz zu studieren. Antoninus Pius setzte jedoch auf Verständigung, als er die Beschneidung jüdischer Kinder zuließ. Damit wurde dem Judentum eine seiner wesentlichen Praktiken erlaubt, doch verbot dasselbe Edikt die Konvertierung zum Judentum. Das Judentum fand wieder zu einer eigenen, quasi-offiziellen Organisation. Sogar noch vor dem Ende des Bar-Kosiba-Aufstands hatten die Rabbiner ein neues Sanhédrin begründet. U m das Jahr 140 fand eine Versammlung in Usha (Galiläa) statt, an der sowohl die Uberlebenden des Sanhédrin aus der Zeit vor
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dem Aufstand als auch trotz des römischen Verbots ernannte Rabbiner teilnahmen. Die Gerichtshöfe nahmen bald wieder ihre Tätigkeit auf. Sie begannen mit den Bereichen, in die die kaiserliche Gesetzgebung nicht eingriff (Reinheitsgebote, Gültigkeit von Ehen). D e r Posten des nasi, der seit d e m Tode Gamaliels II. während des Krieges vakant war, w u r d e seinem Sohn R . Simeon II. anvertraut. Im weiteren war dieses A m t erblich, was ihm zusätzlich Gewicht und Kontinuität verlieh. Der Patriarch wurde zum wichtigsten Ansprechpartner der R ö m e r und seine Autorität war überall anerkannt, auch in der Diaspora, wie es sich bei der Veröffentlichung der Mischna durch R . Judah I. zeigt. Diese Entwicklung jüdischer Institutionen mit Z u s t i m m u n g der römischen Autoritäten illustriert die exzellenten Beziehungen zwischen den Juden u n d den Severern, wie sie uns von jüdischen Quellen überliefert sind. Judas I. soll mit Caracalla befreundet gewesen sein, die nasi hätten Land im Jerzeel-Tal, im Golan und bei Lydda erhalten und „ G o t e n " und Germanen als Leibwächter u m sich gehabt, was ohne Einverständnis der R ö m e r k a u m vorstellbar wäre. U m die Mitte des 3. Jh.s wandelte sich die wirtschaftliche und soziale Situation der Juden. Im weiteren m u ß zwischen Judäa und Galiläa unterschieden werden. Seit 135 waren die Juden im Süden u n d an der Küste in der M i n d e r heit; es gab Siedlungskerne u m Hebron, Iamnia, Lydda, Jericho, zwischen Livias und Beth N i m r a in der Peraia und u m Narbata in der Sharon-Ebene. D e r Schwerpunkt der jüdischen Bevölkerung in Palästina hatte sich nach Galiläa verschoben, dessen landwirtschaftliche und handwerkliche Prosperität anhielt. Es w u r d e zum jüdischen Land schlechthin, dort befanden sich nasi und Sanhédrin. Gleichwohl war der Bevölkerungsschwund unter den Juden so groß, daß er die Leiter der Gemeinschaft beunruhigte. Zahlreiche Juden, auch Rabbiner, flohen vor der Repression. Die palästinensischen Rabbiner warben darum massiv für das Heilige Land. N u n m e h r sei in Palästina zu leben „genausogut wie die Einhaltung aller Vorschriften der T h o r a z u s a m m e n g e n o m m e n " . Die Propaganda für die R ü c k k e h r ins Land der A h n e n begann also unmittelbar nach den Niederlagen, die die Zerstreuung des jüdischen Volks so beschleunigt hatten.
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10 Ägypten Von Joseph Mélèze Modrzejewski 10.1 Die Sonderstellung Ägyptens 10. 1. 1 Das Ende der Lagiden Während das Komplott Gestalt annahm, das Iulius Caesar Mitte März 44 v. Chr. das Leben kosten sollte, befand sich Kleopatra VII. (51-30 ν. Chr.), die letzte Repräsentantin der Lagiden-Dynastie, zusammen mit ihren Bruder-Gemahl und Mitregenten Ptolemaios XIV. sowie Kaisarion (ihrem Sohn von Caesar, 47 v. Chr. geb.) in Rom. Die Historiker rätseln noch heute, welche Projekte des berühmten Paares durch die Iden des Märzes verhindert worden sind: War die römische Welt gerade noch einmal der Gründung eines „zweiköpfigen Reiches" mit den beiden Hauptstädten R o m und Alexandria entgangen, das durch die Heirat des Diktators mit der „königlichen Kurtisane" entstehen wäre, wofür er eine Sondergenehmigung bekommen sollte [Suet. Caes. 79]? Tatsache ist, daß Caesar in seinem Testament seinen Sohn Kaisarion nicht einmal erwähnt hat. Kleopatra entschied sich, in ihr Königreich abzureisen. Zurück in Alexandria entledigte sie sich ihres Bruders Ptolemaios XIV. und nahm Kaisarion als Mitregenten an, der so zu Ptolemaios XV. Kaisar wurde. Der Erfolg der caesarischen Partei gab Kleopatra bald Gelegenheit zu einer neuerlichen Vertiefung der römisch-ptolemäischen Allianz. 41 v. Chr. wurde der Triumvir Antonius, den die Stadt Ephesos gerade als „Neuen Dionysos" begrüßt hatte, in Tarsos von den Reizen der „Neuen Isis-Aphrodite" überwältigt. Die Liaison setzte sich in Alexandria während des Winters 41/40 in den Verlokkungen des „unnachahmlichen Lebens" [Plut. Ant. 28] fort. Zu Beginn des Jahres 40 trennte die parthische Bedrohung Antonius von Kleopatra. Er hoffte, sie bald wiederzusehen, doch dies gelang ihm erst im Herbst 37 in Antochia. Antonius, der sich mittlerweile mit seinem Rivalen Octavian ausgesöhnt und dessen Schwester Octavia geheiratet hatte, beschloß da, den Pakt zu brechen, der ihm drei Jahre zuvor (Frieden von Brundisium, September 40 v. Chr.) die Macht über den Orient gegeben hatte. Aus politischem Kalkül - oder waren es Kleopatras schöne Augen? - beschloß er, die lagidische Karte zu spielen. Eine Reihe von Maßnahmen während des Winters 37/36 umrissen die Konturen eines römisch-ptolemäischen Orients, der gleichsam eine Vorstufe des Orients von Augustus darstellte. Ägypten erhielt den Löwenanteil. Antonius überließ Kleopatra mehrere syrische Gebiete, Zypern, die Kyrenaika, einen Teil Kretas und einen Teil der Kilikia Tracheia - alles von R o m eroberte Gebiete, die Provinzstatus hatten oder Vasallenkönigen, „Freunden und Verbündeten des römischen Volkes", anvertraut waren. Diese Abtretungen, deren Rechtmäßigkeit im voraus vom Senat
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Das römische Ägypten
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bestätigt worden war, sollten Ägypten bei der ihm vom Triumvirn zugedachten Aufgabe unterstützen: der Wiederherstellung seiner Seemacht. Man vollzog sie 34 v. Chr. in Alexandria mit einer kuriosen Zeremonie, bei der Kleopatra zur „Königin der Könige" ausgerufen wurde und ihre Kinder von Antonius K ö nigstitel und umfangreiche Gebiete erhielten: Armenien und das noch zu erobernde Partherreich fur Alexander Helios, Libyen und die Kyrenaika für seine Zwillingsschwester Kleopatra Selene, das Land östlich des Euphrats für den jungen Ptolemaios Philadelphos, der den programmatischen N a m e n seines berühmten Vorfahren trug [Schrapel 10]. Der römisch-lagidische Orient verwandelte sich so in „eine Art ptolemäisches Bundesreich mit dem Zentrum Alexandria" [Will 12], Die Niederlage von Antonius und Kleopatra bei Actium im Oktober 31 v. Chr. beendete alle Träume von der Wiederherstellung der Macht der ersten Lagiden, wenn nicht gar von einem orientalischen Römerreich. Die Selbstmorde von Antonius und Kleopatra zeigten der Welt das Scheitern des Integrationsversuchs, den der Triumvir zusammen mit der „Ägypterin" unternommen hatte. Kaisarion wurde getötet: Neben Octavian konnte es keinen „zweiten Caesar" geben. Was aus Alexander Helios und seinem Bruder Ptolemaios Philadelphos dem Jüngeren wurde, wissen wir nicht. Die einzig sichere Uberlebende, Kleopatra Selene, wurde mit Iuba von Mauretanien verheiratet. Das war das Ende der Lagiden in Ägypten. Das Ende der Dynastie bedeutete eine Zäsur für die römische Ägyptenpolitik. Bis dahin hatte sie darin bestanden, in Alexandria einen Vasallenkönig zu halten, der mitunter seine Unterstützung durch die R ö m e r teuer bezahlen mußte [Thompson 11]. Das war jetzt nicht mehr praktikabel, und damit war der Moment für die Annektierung gekommen. Die letzte noch nominell souveräne hellenistische Monarchie wurde römische Provinz. Die Umstände der Eroberung bestimmten Ägypten zu einer Sonderstellung innerhalb des Reiches. Sie determinierten für die folgenden Jahrhunderte seine „Einzigartigkeit", deren verfassungsmäßige, sozioökonomische und religiöse Dimensionen in diesem Kapitel überall faßbar sein werden.
10. 1. 2 Kaiserliche Provinz oder kaiserliche Domäne? Anfang August 30 v. Chr. zog Octavian, der zukünftige Augustus, triumphal in Alexandria ein. Vorbereitet durch eine lange R e i h e von römischen Eingriffen in die ägyptische Politik seit den 60er Jahren des 2. Jh.s ν. Chr., war nunmehr die Annektierung Ägyptens vollzogen. Die römische Eroberung des Orients, ob sie nun das Ergebnis eines Programms oder schrittweise ohne umfassenderen politischen Plan dahinter geschehen [Gruen 9], war vollendet. Ägypten wurde absichtlich isoliert und der Zutritt den Senatoren verboten; es befand sich von nun an in den Händen des Prinzeps, der es, wie Tacitus formuliert, als Teil des kaiserlichen Haushalts behielt [hist. 1 . 1 1 : domi retiñere]. Der Sieger über Kleopatra ließ als Nachfolger der Lagiden [Huzar 26] die Verwaltungsstrukturen, den
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R o m und das R e i c h in der Hohen Kaiserzeit, Band II
Das Fajjum (der arsinoitische Nomos)
R o m und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II
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MITTELMEER Leuchtti Pharos
Kap Lochias ^ \ T e m p e l der Isis Lochias östl. Nekropolen
Tempel der Isis (Pharia) 1 Insel
.ÖSTL. JUDENVIERTEL
Pharos
Timoneion
Emporion ^
'oseidon-Tempel
Westhafen (Eunostos)
Hippodrom Theater •Kanopostor
"q^s ' &
Alexander.. Qrab. Oymnasion
JUDENVIERTEL
Sarapeion
Stadion Hafen
Westl. Nehropolen
Alexandria
VORORT ELENSIS
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R o m und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II
Kalender (den er lediglich korrigierte) und das M ü n z - u n d Maßsystem fast ganz unverändert. Er ü b e r n a h m in religiöser Hinsicht die rituelle Rolle der Pharaonen bei der Nilflut, und akzeptierte die göttlichen Ehren, die man von Alters her den Herrschern Ägyptens darbrachte [Grenier 17-19]. D o c h der Bruch ist dennoch unübersehbar [Lewis 21, 22]. Vollständig ist er im Bereich des Staatsrechts, über das jetzt ausschließlich die römischen Autoritäten entschieden; er ist es auch im Bereich der Gesetzgebung, die der Eroberer auf Kaiserkonstitutionen u n d Präfektenedikte beschränkte, u n d in dem der Rechtsprechung, w o die provinziale cognitio die ptolemäische Gerichtsordnung ablöste [Amelotti 23]. Ein Beispiel für diese Mischung von Kontinuitäten und Brüchen: Die Datierung von D o k u m e n t e n nach Herrschaftsjahren darf in einem R e i c h , das das republikanische Datierungssystem nach Konsulaten beibehalten hat, durchaus als monarchische Kontinuität erscheinen. Die konsularischen u n d postkonsularischen Daten k o m m e n in Ägypten erst gegen Ende des 3. Jh.s in Gebrauch und verbreiten sich unter Diocletian. Dagegen kann die Tatsache, daß die N a m e n mehrerer M o n a t e des ägyptischen Kalenders mit Ehrennamen verschiedener Mitglieder des Kaiserhauses erweitert wurden, nicht im gleichen Sinne gedeutet werden. Weder die Pharaonen noch die Lagiden hatten den M o n a t e n ihre N a m e n gegeben. Das Vorbild dafür ist römisch, nämlich die beiden S o m m e r m o nate, die Iulius Caesar und Augustus gewidmet sind. Ein Papyrus aus der R e g i e rungszeit Caligulas [P. Oxy. LV 3780, 40-42 n. Chr.] hat uns die Liste der zehn ägyptischen M o n a t e erhalten, die dieser Kaiser zu Ehren von verschiedenen Mitgliedern seiner Familie u n d seiner selbst umbenannt hat: Sebastos (Thoth, zu Ehren von Augustus); Sôtêr (Phaophi, Bezug mehrdeutig); Neos Sebastos (Hathyr, zu Ehren von Tiberius), Iulieus (Choiak, zu Ehren von Iulius Caesar oder von Iulia, der Tochter des Augustus u n d Großmutter von Gaius); T h e o genios (Tybi, zu Ehren von Gaius selbst?); Nerôneios (Mecheir, zu Ehren von Nero, dem Bruder von Gaius); Gaieios (Phamenôth, die erste Ä n d e r u n g durch Gaius); Agrippineios (Pharmuthi, zu Ehren von Gaius' Mutter); Germanikeios (Pachón, zu Ehren seines Vaters); Drusilleios (zu Ehren seiner Schwester oder seiner Tochter). Später wird man wohl zu einem traditionelleren Kalender zurückgekehrt sein. Die Eingliederung Ägyptens ins R e i c h beendete die politische Kontinuität in diesem Land. Die staatliche Souveränität der Lagidenmonarchie setzte sich nicht zugunsten des Kaisers in einer „Personalunion" oder „faktischen U n i o n " mit d e m römischen Staat fort. N u r in bestimmten Aspekten der königlichen Stellung gab es eine unbezweifelbare Kontinuität. Innerhalb des doppelten Erbes, des griechischen und des ägyptischen, sind es paradoxerweise die ägyptischen Aspekte der Lagidenmonarchie, die sich nach der Eroberung perpetuieren: A u gustus ist nicht basileus, aber er besitzt die Attribute des Pharao. Das reicht aber nicht, die früher weitverbreitete Idee zu rechtfertigen, daß das römische Ägypten eine „Privatdomäne" gewesen wäre, die in „Personalunion" oder „faktischer U n i o n " mit dem R e i c h verbunden gewesen sei. Diese T h e o r i e hat mit der Realität nicht viel zu tun. Das Verhältnis zwischen Ägypten und d e m r ö m i -
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sehen R e i c h mit demjenigen zwischen dem Großfiirstentum Finnland u n d dem russischen Zarenreich zu vergleichen, wie dies ein deutscher Autor zu Beginn des 20. Jh.s tat [Neumann], oder zu sagen, daß Augustus König von Ägypten und princeps in R o m war, wie Königin Victoria Königin in England und Kaiserin von Indien war [Mommsen], ist k a u m seriöser. Die monarchischen R u d i mente des römischen Ägypten verhüllen die staatsrechtliche Wirklichkeit nur kaum, die sehr wohl die einer Provinzialverwaltung ist. Von „Privatdomäne" zu sprechen, heißt, eine schwierige Problematik durch eine nebulose R h e t o r i k zu ersetzen. Ägypten w u r d e also infolge seiner Eroberung in der Tat zu einer römischen Provinz [Geraci 15, 16, 24; B o w m a n 14; R a t h b o n e 28]. N a c h dem A b k o m m e n von 27 v. Chr. w u r d e Ägypten zu einer kaiserlichen Provinz, obwohl der einzige historische Text, der davon spricht [Cass. Dio. 53.12. 7] nicht das Land, sondern seine Bevölkerung (die „Ägypter") nennt. Wohl ist es keine Provinz wie die anderen: Seine Isolierung, seine Verwaltung in den H ä n d e n eines einfachen Ritterpräfekten, das für Senatoren und die Elite der R i t t e r geltende Verbot, Ägypten ohne kaiserliche Erlaubnis zu betreten [Manfredini 27] sind klare Anzeichen für seine Sonderstellung. Aber diese Sonderstellung, die sich aus p o litischen u n d wirtschaftlichen Erwägungen rechtfertigt, beinhaltet nichts, was mit den R e g e l n der Provinzialverwaltung im römischen Staatsrecht nicht vereinbar wäre. Sie weist in der Organisation der Eroberungen weder Anomalien noch Außergewöhnliches auf (Theorie von der „Privatdomäne"). Ägypten ist eine kaiserliche Provinz prokuratorischen Typs mit einem Statut, das ihr erlaubte, die lokalen Besonderheiten in einem juristischen R a h m e n beizubehalten, der mit den Prinzipien des römischen Staatsrechts vereinbar war.
10. 1. 3 Das augusteische Statut Ägyptens Entsprechend einer bereits in republikanischer Zeit etablierten Tradition stattete Augustus Ägypten mit einem Statut aus, das die Beziehungen zwischen Eroberer u n d U n t e r w o r f e n e m regelte. Dieses Statut gehört in die Gruppe von Erlassen, die die Machtausstattung von Augustus nach Actium normalisieren sollten. Es reiht sich ein unter die normativen Akte — Gesetze, Plebiszite u n d Senatsbeschlüsse - , die Fragen wie das nomen Augusti, die Aufteilung der Provinzen, das prokonsularische Imperium oder die tribunizische Gewalt regelten [Bd. I, S. 15-25]. In diesen Kontext gehört das von Ulpian [Dig. 1. 17. 1] im 15. B u c h seines Ediktkommentars erwähnte Gesetz: Die Komitien bestätigen die M a c h t befugnisse von Augustus über das „der Herrschaft des römischen Volkes unterworfene" [R. gest. 21. 1] Ägypten. Eine solche Abstimmung wird die Prinzipien der ägyptischen Provinzialverwaltung fixiert haben, nämlich Augustus' ausschließliche Autorität über Ägypten im N a m e n des römischen Volkes und sein R e c h t , diese Provinz mit einem R i t t e r zu verwalten, der ein Imperium „nach Art eines Prokonsuls" (ad similitudinem proconsulis) trug. Unmittelbar nach der Eroberung regelte man außerdem verschiedene administrative Details und Ein-
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zelheiten der Politik: die Kompetenzen des Statthalters, den Umfang der Autonomie der griechischen Städte (d. h. insb. Alexandrias), die Rechtsstellung der Einwohner, die Finanzverwaltung, die provinziale Gerichtsbarkeit. Man darf bei Ägypten nicht von einem einzigen „Grundgesetz" ausgehen [Taubenschlag 126], wie wir sie aus den Quellen fur Sizilien (lex Rupilia), M a kedonien (lex Aemilia), Bithynien (lex Pompeia) und Syrien-Palästina (lex Gabinia) kennen. In Ägypten haben wir es mit einem Konglomerat von normativen Akten verschiedener Natur und Zeit zu tun. So wurden die Gewalten des Präfekten von Ägypten nicht durch eine von Augustus festgelegte Charta, sondern, wie gerade eben festgestellt, durch ein Komitiengesetz definiert. Indem dieses Gesetz eine Fassade von Verfassungsmäßigkeit für die Präfektur Ägyptens schuf, fügte es sich in die augusteische Politik der „republikanischen Restauration" und paßte zu den Erklärungen Augustus' über die Souveränität des römischen Volkes über Ägypten. Jedoch stellte die Vergabe eines Imperiums, dieses senatorischen Vorrechts par excellence, an einen R i t t e r eine gewagte Neuerung dar, „eine Form von Beleidigung der Würde des Senats" [J.-P. Boucher], C. C o r n e lius Gallus, der erste Inhaber dieser Gewalt, mußte die Konsequenzen tragen, als seine Stunde geschlagen hatte. Da nun das von Ulpian erwähnte Gesetz die Zuständigkeiten des Präfekten nicht im Detail regelte, wurden seine Kompetenzen später durch kaiserliche Konstitutionen festgelegt. So erlaubte eine Konstitution von Augustus dem Präfekten, Prozesse einzuleiten und Dekrete wie ein echter Magistrat zu erlassen [Tac. ann. 12. 60], während eine andere sein R e c h t bestätigte, Freilassungen „durch Vindikt" vorzunehmen [Modestin, Dig. 40. 2. 21; vgl. G n o m o n des Idi— os Logos §20], Andere Konstitutionen fixierten die Modalitäten der Administration, wie die Einteilung des Landes in Epistrategien und die Prinzipien der Finanzverwaltung. D e r Gnomon des Idios Logos weist bei diesem Punkt auf eine forma divi Augusti hin, die in der Folge durch Erlasse der Kaiser, der Präfekten, des Senats und der Idioi Logoi erweitert wurde [Gnomon des Idios Logos, Einleitung] . Im Gegensatz zu den Theorien einiger Papyrologen, die früher Glauben fanden, nahm das augusteische Statut keine Veränderungen im Privatrecht der Griechen und der ägyptischen Eingeborenen vor. W i r werden später sehen [S. 494ff.], welchen offiziellen R a n g das Rechtswesen der Einwohner besaß. Einer der ersten wesentlichen Bestandteile des Statuts betraf die Stadt Alexandria. Traditionsgemäß gehörten die Beziehungen zwischen der römischen Macht und den griechischen Städten eines unterworfenen Landes zu den wichtigsten Fragen überhaupt, die zu regeln waren. Plutarch [Anton. 80] und Cassius D i o [51. 1 6 f ] , die wohl aus derselben Quelle schöpfen, wie auch Kaiser Julian, der auch darauf zu sprechen kommt [epist. 51 = 111 Bidez], beschreiben uns den triumphalen Einzug Octavians in Alexandria zehn Monate nach Actium im August des Jahres 3 0 v. Chr. und die R e d e , die er bei diesem Anlaß auf griechisch (wie Cassius D i o betont) vor versammelter Menschenmenge im Gymnasion gehalten hat: Octavian spricht die
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Alexandriner (zu denen Cassius Dio die Ägypter hinzugesellt hat) von jeder Schuld frei, die sie wider ihn auf sich geladen hatten, und zwar aus drei Gründen. Der dritte findet sich in allen drei Berichten, nämlich die Freundschaft O c taviara zu seinem Lehrmeister Areios Didymos, einem alexandrinischen Philosophen und Freund des Maecenas, der eben in Alexandria verweilte. Die beiden anderen Gründe sind das Andenken Alexanders des Großen und die Schönheit der Stadt bei Plutarch, der Gott Sarapis und Alexander bei Cassius Dio, Sarapis und die Schönheit der Stadt bei Kaiser Julian. Das Verbrechen der Alexandriner liegt auf der Hand. Sie sind der Zusammenarbeit mit den besiegten Feinden Octavians, Antonius und Kleopatra, schuldig. Hatten Sie nicht klar und deutlich ihre Unterstützung für die Königin bekundet durch die Verleihung des Titels philopatris, „die ihre Heimatstadt liebt" - womit freilich Alexandria gemeint ist [ B G U X I V 2376, 3 6 / 5 v. Chr.]? Aber Octavian war es nicht möglich, wie Cassius Dio erklärt, ein ganzes Volk zu verdammen, das den R ö m e r n noch nützlich werden konnte. Die Staatsräson zwang zur Amnestie, für die die Rhetorik nur die passende Begründung lieferte. Die dreifache Begründung fand ihre Fortsetzung in den politisch folgenreichen Modalitäten des Pardons. Sie stellen einen dreifachen Schlag gegen den Senat dar: Ohne besondere Erlaubnis des Kaisers durften Senatoren Ägypten nicht betreten. Es sollte in R o m keine Senatoren ägyptischer Herkunft geben. Und die Stadt Alexandria mußte, wie Cassius Dio erklärt, „sich selbst ohne Senatoren [d. h. Buleuten] verwalten". Dieses dreifache Verbot erscheint gleichsam als ein erster Teil des augusteischen Statuts von Ägypten: instituía Augusti, nennt Tacitus [ann. 2. 59] die erste Bestimmung, und dazu paßt der griechische Ausdruck ta tachthenta, „fixierte Regeln", bei Cassius Dio [51. 17. 3]. Gleichwohl stellte natürlich die für die Betroffenen die dritte Bestimmung, die Strafmaßnahme gegen die Bule von Alexandria, die härteste Bedingung Octavians für seine Vergebung dar. Dieses Verbot sollte eine zentrale Rolle bei den Streitigkeiten spielen, die bis zu den Reformen von Septimius Severus die Alexandriner in Opposition zu R o m hielten.
10. 2 Das kaiserzeitliche Ägypten 10. 2. 1 Von Augustus bis zu den Flaviern Gleich nach der Eroberung durch R o m , 2 6 / 5 v. Chr. (wenn nicht schon ab 30 v. Chr.), übernahm Ägypten den durch Augustus reformierten julischen Kalender. Das Jahr begann ab diesem Zeitpunkt mit dem 29. August (1. Thot) bzw. alle vier Jahre einmal mit dem 30. August, denn der sechste Epagomenentag wurde an das Ende eines jeden Jahres angehängt, das einem bissextilen Jahr des durch Iulius Caesar modifizierten römischen Kalenders vorranging. Die so entstehende Zeitverschiebung von einem Tag verschwand dann wieder am 1.
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März, da ja der 29. Februar eines bissextilen römischen Jahres durch den ägyptischen Kalender fünf Monate früher berücksichtigt worden war. Dieses Phänomen führte in modernen Arbeiten zu zahlreichen Fehlern bei der U m r e c h n u n g ägyptischer Tagesdaten in julianische [Skeat 29]. Das erste ägyptische Jahr des Augustus, 3 0 / 2 9 ν. Chr., begann Ende August (d. h., am 1. Thot) des Jahres 30. Es folgte auf das 22. Jahr Kleopatras VII., das gleichzeitig auch ihr 7. ist, denn ab 3 7 / 6 benutze Kleopatra eine Doppelzählung, u m die syrischen Schenkungen des Antonius zu verewigen. In Wirklichkeit war Augustus schon seit Anfang August der Herr Ägyptens, und nach dem Selbstmord Kleopatras einige Tage später (nach aller Wahrscheinlichkeit am 17. Mesore = 12. August) wurde die Zählung nach ihrer Herrschaft vollends fiktiv [Skeat 29], U m den Beginn der Herrschaft von Augustus mit der Einnahme von Alexandria am 8. Mesore (= 2. August) zusammenfallen zu lassen, begründete man später eine „augusteische Ära" (kratesis), die sich auf Papyri und den alexandrinischen M ü n z e n findet [Grenier 25]. Im Gegensatz also zu den Ptolemäern, die ihre Herrschaft mit dem Todestag ihres Vorgängers beginnen ließen, war Augustus nicht der „königliche Erbe" Kleopatras. Gleiches gilt fur Tiberius, dessen erstes ägyptisches Jahr nicht mit dem Tode von Augustus am 19. August 14 n. Chr., sondern, wie wir noch sehen werden, erst einen Monat später beginnt. Gleich zu Beginn der Herrschaft von Augustus über Ägypten (30 v. Chr. 14 n. Chr.) mußte C. Cornelius Gallus, sein erster Präfekt, zwei lokale Erhebungen niederschlagen, die eine in Heroonpolis im östlichen Delta, die andere in der Thebais. Der zweite Aufstand führte zu einer Expedition bis nach Syene, von der Gallus 29 v. Chr. in der berühmten dreisprachigen Inschrift (Latein, Griechisch, Hieroglyphen) vor dem Augustustempel auf der Insel Philai berichtet [ O G I S II 654; Inscr. Philae II, Nr. 128; Bresciani 52], Der Hinweis auf den „Sturz [katalysis] der Könige Ägyptens", mit dem diese Inschrift beginnt, betont den Kontinuitätsbruch zwischen der ptolemäischen Monarchie und der römischen Herrschaft über Ägypten. Ein lateinischer Papyrus aus Qasr Ibrim in Nubien, auf dem sich Fragmente eines Gedichts von Cornelius Gallus fanden, stellt das derzeit älteste bekannte Original lateinischer Poesie dar. D o c h Cornelius Gallus schrieb nicht nur Gedichte. Er scheint auch das Vertrauen seines H e r r n verraten zu haben. Ein 1971 publizierter Papyrus aus Oxyrhynchos [P. Oxy. X X X V I I 2820] stellte Gallus in den Verdacht, er habe seine ägyptischen Siege für seine persönlichen Interessen nutzen wollen. Eigene M ü n z e n hätte er prägen wollen, u m so sein Vorhaben offenkundig zu machen, sich Ägyptens gegen R o m zu bemächtigen. Allerdings könnte die griechische Phrase, die so interpretiert wurde, auch einfach „Waffen schmieden" bedeuten. Dann beträfe der fragliche Text nicht Cornelius Gallus, sondern seinen Nachfolger, Aelius Gallus, und bezöge sich auf dessen Vorbereitungen für einen Feldzug nach Arabia Felix [Strab. 16. 4. 22-24; S. 420]. Doch der Verdacht bleibt, und weitere Indizien stützen ihn. Wenn die Kriegsvorbereitungen sich wirklich auf Cornelius Gallus beziehen, dann plante er wohl eine
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Usurpation und wollte Ägypten unter seiner eigenen Herrschaft vom Reich loslösen, auch um den Preis einer bewaffneten Auseinandersetzung mit R o m [Hauben 53; Lewis 54]. Nach dem Tod von Augustus am 19. August 14 n. Chr. begann die Herrschaft seines Nachfolgers Tiberius (August 14 - März 37) erst nach der Apotheose am 17. September und damit nach dem Jahreswechsel (1. Thot = 29. August). So erklärt es sich, daß ein 44. Jahr des Augustus begegnet (ζ. B. in Gebel Silsileh SB III 6845, vom 20. Thot = 17. September 14 n. Chr.), obwohl er noch im 43. Jahr seiner Herrschaft verstorben war [Montevecchi 30]. Germanicus, der Neffe und Adoptivsohn von Tiberius, betrat i. J. 19 Ägypten [Weingärtner 31]. Dieser Besuch hat einige Spuren in den Papyri hinterlassen. Besonders ist ein interessanter Bericht von seinem Treffen mit den Alexandrinern zu erwähnen, der auch den Text seiner griechischen Rede enthält [P. Oxy. XXV 2435 recto], Tacitus bezieht sich darauf in einer berühmten Sentenz [ann. 2. 59], wo er die Herrschaft über Ägypten unter die „Geheimnisse der Herrschaft" (dominationis arcana) einreiht. Während der kurzen Herrschaft Caligulas (März 37 - Januar 41) eskalierten die jüdisch-heidnischen Zusammenstöße in Alexandria im Sommer 38 in einem Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung, von dem uns der Philosoph Philon eine dramatische Schilderung hinterlassen hat [In Flacc. 55ff.]. Verantwortlich dafür zeichnete der Präfekt Aulus Avilius Flaccus, Freund und „Gefährte" von Tiberius. Nachdem er von diesem Kaiser Anfang 32 als Statthalter nach Ägypten entsandt worden war, versuchte er ein Reformprogramm durchzusetzen, das auf den erbitterten Widerstand der alexandrinischen Nationalisten traf. Nach Tiberius' Tod wäre er beinahe abberufen worden, konnte aber eine Gnadenfrist erwirken. Die Juden mußten die Rechnung dafür bezahlen. Gleichzeitig versuchten jüdische und griechische Gesandtschaften aus Alexandria ihre jeweiligen Forderungen in R o m vorzubringen. Die Abberufung von Flaccus 38, der seine Deportation auf die Insel Andres folgte, reichte nicht aus, die Spannungen zu beenden, die bis zur Ermordung Caligulas am 24. Januar 41 andauerten. Unter Claudius (Januar 41 - Oktober 54) erlebten die jüdisch-alexandrinischen Streitereien einen neuen Höhepunkt mit dem Prozeß des Gymnasiarchen Isidoros, der den König Agrippa I. und das jüdische Volk beschuldigte, eine „ökumenische", d. h. weltweite Verschwörung gegen die Stabilität des Reiches zu planen. Isidoros verlor den Prozeß und wurde zum Tode verurteilt. Eine langer kaiserlicher Brief, den Claudius den Alexandrinern im Oktober 41 übersandte und den wir seit 1924 dank einem Londoner Papyrus kennen [P. Lond. VI 1912], kündigt eine Reihe von Maßnahmen an, die den Frieden in der unruhigen Stadt wiederherstellen sollen. In der chora herrschte bereits Friede. Das Rote Meer war von den Piraten befreit worden. Der bis nach Indien reichende Orienthandel konnte in relativer Sicherheit Wiederaufleben. Die militärische Präsenz Roms in Ägypten war diskret. Sie beschränkte sich auf die Garnison von Nikopolis in der Nähe von Alexandria.
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Die Herrschaft Neros (Oktober 54 - Juni 68) wird in Ägypten von einer Wirtschaftskrise überschattet, deren Vorboten bereits gegen Ende der R e g i e rungszeit von Claudius erscheinen. Sie hat zahlreiche Spuren in den Papyri hinterlassen. Neros Ägyptophilie ist aus den lateinischen Autoren (Sueton, Tacitus) wohlbekannt, u n d man kann sie, w e n n man will, als „politische Botschaft des Wohlwollens u n d des Friedens" an Ägypten interpretieren [Cesaretti 32, 33]. In keinem Fall darf man die tatsächliche Bedeutung einer solchen Botschaft überschätzen. Eine Stele aus Koptos, die im M u s e u m von Lyon aufbewahrt wird, zeigt N e r o vor M i n und Osiris. Sie versinnbildlicht eine kaiserliche Ideologie, die m e h r römisch als ägyptisch war [Perrin 34]. Gegen die These, N e r o habe die griechischsprachige Bevölkerung ägyptisieren wollen, sprechen die engen Beziehungen, die dieser Kaiser mit den griechischen Eliten Ägyptens unterhielt. Sie manifestieren sich in Alexandria in neuen Phylennamen, die Ehrennamen der Kaisertitulatur verwenden, u n d in der chora in der Höflichkeit der Briefe, die N e r o mit den Repräsentanten der „Stadt" Arsinoe und den 6475 Katoiken austauschte [SB XII 11012]. D e r Philosoph Seneca, der auch ein - leider verlorenes — Werk über Ägypten verfaßte, k ö n n t e diese Art von Kontakten zwischen der kaiserlichen Macht u n d den lokalen Eliten beeinflußt haben. Die letzten Jahre Neros sind geprägt von einer erneuten Zuspitzung des j ü disch-alexandrinischen Konflikts. Tiberius Iulius Alexander, Sohn des Alabarchen (Zollaufsehers) Alexander u n d Neffe des Philosophen Philon, w u r d e 66 z u m Präfekten Ägyptens ernannt u n d m u ß t e auf der Stelle einen neuen Gewaltausbruch eindämmen. Flavius Josephus [bell. lud. 2. 490ff.] spricht in diesem Z u s a m m e n h a n g von „ 5 0 0 0 0 Leichen". W ä h r e n d der Krise von 6 8 / 6 9 , die mit dem Tod Neros begonnen hatte, unterhielt Tiberius Iulius Alexander heimliche Beziehungen zu Galba u n d wartete nicht auf seine Bestätigung als Präfekt Ägyptens, u m am 6. Juli 68 ein Edikt zu promulgieren, das uns die Inschrift des Tempels von Hibis in der Oase von Kharga erhalten hat. Er begrüßt darin die Erhebung Galbas u n d verkündet eine R e i h e von M a ß n a h m e n , die die U b e r griffe beenden sollen, über die sich das Volk beschwert [Chalón 57; Lois des R o m a i n s V I I / 7 , teilw. Neuedition]. Im folgenden Jahr, nachdem er offiziell erst O t h o , dann Vitellius anerkannt hatte, wirkte er an der Planung der Erhebung Vespasians mit, der für seine Ausrufung zum Kaiser Ägyptens Unterstützung brauchte [Barzanò 56]. Die Akklamation Vespasians durch die römischen Truppen in Alexandria am 1. Juli 69 war auch das Werk des gewandten Präfekten. Ein Papyrusfetzen überliefert das E c h o der Festlichkeiten zu Ehren Vespasians, die Tiberius organisiert hatte, der den neuen Souverän persönlich grüßte [P. Fouad. 1 8 = CPJud. II 418a]. Die Akklamation von Alexandria wurde zum dies imperii Vespasians. U n ter der Herrschaft dieses Kaisers (Juli 69 - Juni 79) und seiner beiden Nachfolger Titus (Juni 79 - September 81) u n d Domitian (September 81 - September 96) w u r d e n umfangreiche Verbesserungen an den ägyptischen Kanälen v o r g e n o m men. N a c h d e m Fall des Jerusalemer Tempels 70 n. Chr. machte der siegreiche Titus bei seiner R ü c k k e h r nach R o m Halt in Alexandria. Ein Privatbrief auf
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einem Papyrus (P. Oxy. X X X I V 2725) nennt uns den exakten Zeitpunkt: 25. April 71, gegen 7 U h r morgens [Montevecchi 35], Domitian unterstützte die Verbreitung der Kulte von Sarapis u n d Isis in Italien. Für Ägypten begann eine Periode der Prosperität, die sich während des größten Teils des 2. Jh.s unter den Adoptivkaisern fortsetzen sollte.
10. 2. 2 Das Goldene Zeitalter der Adoptivkaiser N a c h der kurzen Herrschaft Nervas (September 96 - Januar 98) begann diejenige Traians (Januar 98 — August 117) mit der Wiederaufnahme des schwierigen römisch-alexandrinischen Dialogs, wie dies ein Kaiserbrief an die Stadt Alexandria vom Herbst 98 zeigt (P. Oxy. XLII 3022). O b w o h l Traían niemals Ägypten besuchte, zeigte er besonderes Interesse an diesem Land, das sich am deutlichsten in dem Kanal zwischen R o t e m M e e r u n d Nil manifestiert. Er verläuft auf der H ö h e , auf der sich heute Kairo befindet, u n d w u r d e auf Anweisung Traians wohl nach d e m Verlauf eines älteren Vorgängers ausgehoben. Ein anderes b e deutsames Ereignis seiner Regierungszeit war die Absetzung von C. Vibius M a ximus, einem brillanten Literaten, der zwischen August 103 u n d März 107 Präfekt Ägyptens war. Es ist nicht sicher, ob seine Abberufung wirklich mit den Untaten zusammenhängt, die ihm die papyrologischen Quellen vorwerfen und unter denen an erster Stelle seine unstatthafte Beziehung mit einem j u n g e n M a n n aus guter alexandrinischer Familie figuriert. Im Jahr 115, als sich Traian in Mesopotamien befand, brach in Kyrene der jüdische Aufstand aus, der sich auf Ägypten und Z y p e r n ausdehnte. Er sollte zwei Jahre andauern und mit der völligen Auslöschung der jüdischen Gemeinden in Alexandria und Ägypten e n den. D e r Regierungsantritt Hadrians (August 117 - Juli 138) fiel mit dem Ende dieses Aufstandes zusammen. In einem Brief an die Nomenstrategen vom 25. August 117 verkündet der Präfekt von Ägypten Q . R a m m i u s Martialis seinen Regierungsantritt [P. Oxy. LV 3781], Hadrian war am 11. August desselben Jahres in Antiochia zum Kaiser ausgerufen worden. Die M e l d u n g hatte also gerade zwei W o c h e n gebraucht, u m nach Alexandria zu dringen. D e r neue Kaiser b e strafte die Schuldigen und griff zu einer R e i h e von M a ß n a h m e n , u m das von zwei Jahren Krieg verwüstete Land wiederaufbauen. Er k ü m m e r t e sich u m das m i t g e n o m m e n e Alexandria, gewährte den Bauern Steuernachlässe und richtete Spezialabteilungen für die Verwaltung von Ländereien ein, die infolge der Auseinandersetzungen besitzerlos geworden waren. Die Einrichtung einer „Bibliothek Hadrians", einem Zentralarchiv für die Sammlung u n d Aufbewahrung von D o k u m e n t e n , gehöhrt in denselben Kontext. Im Jahr 130 besuchte Hadrian zusammen mit seiner Gemahlin Sabina Ägypten. Er k ü m m e r t e sich u m das Museion von Alexandria und versuchte, die griechische Kultur zu fordern. Z u r Erinnerung an seinen im Nil ertrunkenen Liebling, den schönen Antinoos, gründete er die Stadt Antinoopolis nach griechischem Modell. Eine Straße, die via Hadriana, verband sie durch die östliche
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Wüste mit d e m Hafen Berenike an der Westküste des R o t e n Meeres. Aber auch das ägyptische Ägypten begeisterte Hadrian. 120 gewährte er den ägyptischen Priestern das Privileg, trotz des unlängst erlassenen reichsweiten Beschneidungsverbots [S. 439f.] diesen Brauch dennoch zu vollziehen. Die Ägyptophilie H a drians ist bekannt, wichtige Zeugnisse für sie sind die alexandrinische Ptah-Prägung u n d die Hadriansvilla in Italien [Bakhoum 36]. N a c h der R e g i e r u n g von Antoninus Pius (Juli 138 - März 161), der den Alexandrinern einen H i p p o d r o m schenkte (vielleicht anläßlich eines Besuches?), folgte die Herrschaft des Marc Aurel (März 161 - März 180), der sich mit dem Aufstand der „Rinderhirten" (bukoloi) im Delta 1 7 2 / 3 n. Chr. auseinandersetzen m u ß t e [Baldini 38; Bertrand 39; Yoyotte/Chuvin 41]. Er wurde vom syrischen Statthalter Avidius Cassius niedergeschlagen, der der Sohn von C. Avidius Heliodorus war, dem ägyptischen Präfekten von 137 bis 142. Im Jahr 175 proklamierte sich Avidius Cassius zum Kaiser, w u r d e von den Alexandrinern anerkannt und regierte drei M o n a t e lang über Ägypten (Mitte April bis Mitte Juli) [P. Col. II 85; O. Caire G P W 113]. D e r damalige Präfekt, Calvisius Statianus, Schloß sich d e m Usurpator durch ein im April 175 promulgiertes Edikt an, in dem er seine „Thronbesteigung" proklamierte [P. Amst. I 27 = SB XII 10991]. Offensichtlich glaubten beide an die Falschmeldung v o m Tode Marc Aurels. Avidius war anscheinend weniger ein Abenteurer, der sich gegen den Kaiser verschwor, als ein glückloser Ehrgeiziger [Spiess 40]. Ein Jahr später besuchte Marc Aurel Ägypten u n d verzieh den Alexandrinern ihre Untreue. D e r von Marc Aurel seit 176 an der Herrschaft beteiligte C o m m o d u s (März 180 - Dezember 192) setzte die Zählung seines Vorgängers fort (d. h. ausgehend von 161), so daß er es schließlich auf 33 Herrschaftsjahre brachte. Ägypten hatte in dieser Zeit wirtschaftliche Schwierigkeiten, die sich in der Verringerung der Beträge, die als Annona gezahlt wurden, niederschlugen. Archäologie u n d N u mismatik k ö n n e n die Veränderungen aufzeigen, die während der Herrschaft des C o m m o d u s eintraten: der Despotismus, der das Ende des „Goldenen Zeitalters" der Antonine einläutete, u n d ein Münzprogramm, das den historischen M o t i ven gegenüber den religiösen den Vorzug gab [Bakhoum 37].
10. 2 . 3 V o n d e n S e v e r e r n bis G a l l i e n u s In dem Machtkampf, der i. J. 193 begann, neigte Ägypten zunächst Pescennius Niger zu, der eine Abteilung der römischen A r m e e in Syene kommandiert hatte, ging aber dann schnell zu dem Afrikaner Septimius Severus (April 193 Februar 211) über. N a c h einem Kurzbesuch in Ägypten (194) kehrte er 199/ 200 mit seinem Sohn Caracalla für einen längeren Aufenthalt zurück. Dessen Spuren in den Papyri sind die während dieses Besuches getroffenen Entscheidungen, wie etwa die b e r ü h m t e n Apokrimata eines Papyrus der Columbia U n i versity [P. Col. 123, Lois des R o m a i n s VIII/19; Coriat 43, 44]. Im R a h m e n einer umfassenden Verwaltungsreform stattete Septimius Severus die ägyptischen Metropolen mit Ratsversammlungen (bulai) aus, die dadurch
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zu echten Städten (civitates, poleis) wurden. Z u diesem Zeitpunkt endlich erhielten auch die Alexandriner ihre Bule zurück, die sie unter Augustus verloren hatten. D e r Afrikaner versuchte, Hadrians Kulturpolitik fortzusetzen. Er finanzierte in Alexandria T h e r m e n , ein Gymnasion u n d Tempel u n d restaurierte, wie man früher glaubte, die singende Memnonstatue so, daß sie nicht mehr sang. Da aber M e m n o n i. J. 205, nach Septimius Severus' Abreise, noch sang, scheint für diese unglückliche Baumaßnahme eher sein Sohn Caracalla verantwortlich zu zeichnen [Lukaszewicz 46], w e n n nicht Zenobia von Palmyra, die 270-272 über Ägypten herrschte [Bowersock 42]. D e m Vorbild von C o m m o d u s folgend, setzte auch der seit 198 an der Macht beteiligte Caracalla die Zählung der Herrschaftsjahre seines im Februar 211 verstorbenen Vaters Septimius Severus fort (ab 193), so daß er es bis zum 25. Jahr brachte (April 217). Zwischen Dezember 211 u n d Februar 212 entledigte er sich seines jüngeren Bruders Geta, der gleichzeitig mit ihm an der Herrschaft beteiligt worden war, und erwirkte v o m römischen Senat eine damnatio memoriae. Diese w u r d e vom ägyptischen Präfekten L. Baebius Aurelius Iuncinus in einem Edikt proklamiert, das dank eines Berliner Papyrus [ B G U XI 2056] b e kannt ist, und hat zahlreiche Spuren in Ägypten hinterlassen [Heinen 45], Bei dieser Gelegenheit tilgte man auch in einem Erlaß, der die Priester des Krokodilgottes Soknopaios von der zwangsweisen Landkultivierung befreite, den N a men von L. Lusius Geta, der 54 n. Chr. Präfekt von Ägypten gewesen war und außer dem C o g n o m e n „Geta" natürlich gar nichts mit dieser Angelegenheit zu tun hatte [OGIS II 664 = I. Fay. I 75 und Tafel 55], In einem 212 promulgierten Erlaß, auf den wir noch zu sprechen k o m m e n , dehnte Caracalla das römische Bürgerrecht auf alle freien Peregrinen des R e i ches mit der Ausnahme einer bestimmten R a n d g r u p p e (die Deditizier) aus [S. 499fF.]. D e r griechische Text dieses Edikts (Constitutio Antoniniana) ist uns (leider in bedauernswertem Zustand) auf einem Giessener Papyrus überliefert [P. Giss. 40 col. I = Lois des R o m a i n s VIII/21], der seit seiner Publikation 1910 bis heute immer wieder zu Diskussionen Anlaß gibt. Dabei geht es u m die Tragweite dieses Erlasses, über seine Beschränkungen und die juristischen Konsequenzen für die so zu römischen Bürgern gewordenen Provinzialen. Die Verordnung betraf auch die eingeborenen Ägypter, was aber ihren U r h e b e r keineswegs davon abhielt, ihre Vertreibung aus Alexandria anzuordnen, ohne dabei auch nur die geringste Höflichkeit gegenüber diesen N e u b ü r g e r n zu zeigen. „Die echten Ägypter", lesen wir in d e m einschlägigen Edikt [P. Giss. 40, col. 2, 27-29], „können problemlos an ihrer Sprache erkannt werden, die deutlich zeigt, daß die sich das Aussehen und den Charakter einer anderen Bevölkerung [gemeint: die Griechen] aneignen. Allein durch ihr Verhalten, das das Gegenteil der zivilisierten Lebensart ist, verraten sie sich als ägyptische Bauern." D e r Aufenthalt Caracallas in Alexandria 2 1 5 / 6 ließ noch andere traurige Erinnerungen zurück. Die Delegation, die dem Kaiser entgegen kam, erregte seinen Z o r n und w u r d e zum Tode verurteilt. Dasselbe Schicksal traf auch den a m tierenden Präfekten M . Aurelius Septimius Heraclitus. Das Projekt, eine Pha-
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lanx aus jungen Alexandrinern nach makedonischem oder spartanischem Vorbild aufzustllen, endete mit der Massakrierung der alexandrinischen Jugend im Frühling 2 1 6 [Lukaszewicz 46], Macrin (April 217 - Juni 218) herrschte zwei Jahre lang über Ägypten. Die damnatio memoriae dieses Kaisers führte zu einer Veränderung des ägyptischen Kalenders. Sein erstes ägyptisches Jahr wurde an das 25. Jahr seines Vorgängers Caracalla angehängt, wodurch es sich um fünf Monate über dessen Tod hinaus, bis zum 28. August 217, verlängerte. Das zweite ägyptische Jahr Macrins ging an Elagabal, dessen Herrschaft in Ägypten mit dem 29. August 217 (1. Thot) beginnt, obwohl er faktisch erst seit Anfang Juni 218, nach dem Sieg über M a c rin, die Macht in Händen hielt. Da man Macrin posthum völlig eliminierte, wurde Elagabal zum direkten Nachfolger Caracallas. Aber schon Ptolemaios I. Soter war für die Griechen der direkte Nachfolger Alexanders des Großen gewesen, während man dessen Erben, nämlich seinen Halbbruder Philippos Arrhidaios und seinen Sohn Alexander IV. bei der Zählung der Herrschaftsjahre ignorierte. Auch Elagabal traf nach seinem Tod im März 2 2 2 die damnatio memoriae [erster Beleg: P. Oxy. X L I X 3427]. Dazu traten dann bald die wenig schmeichelhaften Charakterisierungen anosios, „ruchlos", und mikros, „klein" [P. Oxy. X L V I 3299, 2]; ein drittes Epitheton, koryph(os) (für koroiphos), das als alexandrinisches Wort für einen passiven Homosexuellen interpretiert worden ist [P. Oxy. X L V I 3 2 9 8 , 2], könnte einfach nur „Schürzenjäger" bedeuten [Lukaszewicz] . Alexander Severus (März 2 2 2 - Februar/März 235) war von Elagabal adoptiert worden, der ihn am 26. Juni 221 zum Caesar erhob. An diesem Datum hatte Augustus den Tiberius im Jahr 4 n. Chr. adoptiert, das Prestige des großen Vorgängers sollte also die Autorität des neuen Herrschers stärken. Ein 1966 publizierter Papyrus aus Oxyrhynchos [SB X 10295] gibt möglicherweise eine Mitteilung des jungen Kaisers aus seinem ersten Herrschaftsjahr (zwischen 25. März und 27. April 222) wieder, aber die Interpretation dieses Dokuments bleibt umstritten. Ein B r i e f eines hohen Beamten an die lokalen Autoritäten kündigt eine Visite an, die Alexander Severus in Begleitung seiner Mutter Iulia Mammaea plante [SB X I V 11651]. Was daraus wurde, wissen wir nicht. Man könnte dies mit den Vorbereitungen für den Perserfeldzug (231-233) in Zusammenhang bringen. In diesem Fall wäre der Autor dieses Briefes M . Aurelius Z e no Ianuarius, der als dux (stratelates), Militärkommandant an der Seite des ägyptischen Präfekten, im Jahr 231 belegt ist. Sollte der Besuch des Alexander Severus in Ägypten jedoch in die Zeit zwischen dem Sieg über die Perser 2 3 3 und dem Triumph in R o m im September desselben Jahres fallen, dann hätte diesen B r i e f der ägyptische Präfekt Maevius Honoratus verfaßt. Für die Herrschaft von Maximinus und Maximus (235-238) besitzen wir Informationen über die Festlichkeiten, die anläßlich der Erhebung von Maximus zum Caesar durchgeführt wurden [SB I 421]. Ein Papyrus aus Tebtynis vom 8. Juli 2 3 9 enthält ein Reskript von Gordian III. (238-244), der feststellt, daß die Legitimität eines Kindes nicht von der Geburtserklärung abhängt [Lois des R o -
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mains VIII/23]. Ein Reformprogramm von Philippus Arabs (244-249), das die Last der Liturgien lindern und die landwirtschaftliche Produktion steigern sollte, ist auf einem Papyrus aus Oxyrhynchos überliefert [P. Oxy. X X X I I I 2664]. Die 249 einsetzende Christenverfolgung unter Decius (249-251) wird durch zahlreiche Papyri illustriert, ohne die dieser nur für kurze Zeit herrschende Kaiser „wenig Anspruch hätte, daß man sich seiner erinnert." [Lewis 84].
10. 3 Der Aufbau der Provinzverwaltung 10. 3. 1 Die Zentralorgane Seit Augustus unterstand Ägypten einem Ritter, zu dem der Kaiser besonderes Vertrauen hatte. Sein offizieller Titel lautete „Präfekt von Alexandria und Ägypten" (praefectus Alexandreae et Aegyptí) oder kurz „Präfekt von Ägypten" (praefectus Aegypti bzw. eparchos Aigyptu auf Griechisch). Dieser Titel erscheint erst ab den Flaviern regelmäßig in den Präambeln der Edikte und den beim Statthalter eingereichten Petitionen (hypomnemata). Ansonsten war sein Gebrauch eine seltene Ausnahme [Bastianini 48, 49]. Der allgemein gebräuchliche Titel war Hegemon, wörtlich „Kommandant" oder „Führer". Seit Nero durfte der Präfekt den Ehrentitel vir egregius (kratistos) fuhren. Etwa ab der Mitte des 2. Jh.s nannte er sich clarissimus (lamprotatos), was eigentlich den Senatoren vorbehalten war, und, etwas später, perfectissimus (diasemotatos). Im Falle unvorhergesehener Vakanz des Postens konnte der verstorbene oder abwesende Präfekt vorübergehend durch einen Prokurator ersetzt werden, der anstelle des Präfekten agierte (diadechomenos ten hegemoniarí). Während der drei Jahrhunderte zwischen der Eroberung Ägyptens durch R o m und der Herrschaft des Gallienus übten fast einhundert Männer die Präfektur von Alexandria aus [Bureth/Bastianini 47], Die durchschnittliche Verweildauer in diesem Amt betrug also ungefähr drei Jahre. Meist blieben die Präfekten aber nur ein oder zwei Jahre auf diesem Posten. Präfekturen von fünf, sechs oder sieben Jahren sind dann schon sehr lange. Berühmte Präfekten, die lange im Amt blieben, sind Cn. Vergilius Capito unter Claudius (47-52), Ti. Claudius Barbillus unter Nero (55-59), Servius Sulpicius Similis unter Traian (107-112), M . Sempronius Liberalis unter Antoninus Pius (154-159), Ti. Claudius Subatianus Aquila unter Septimius Severus (205-210) sowie Maevius H o noratianus unter Alexander Severus und Maximinus Thrax (231-238). Den R e kord scheint aber C. Galerius zu halten, der unter Tiberius Präfekt Ägyptens war. 2 2 / 2 3 ist er sicher belegt, war aber nach aller Wahrscheinlichkeit viel länger auf diesem Posten, vielleicht 15 Jahre (16-31), bis er im Amt verstarb [Balconi 55], Die Ablösung eines Statthalters erfolgte normalerweise im Sommer, gegen Ende des ägyptischen Jahres. Die meisten Präfekten kamen aus R o m und Italien, es gab aber auch ein paar Gallier und Spanier, wie z. B. der erste Präfekt überhaupt, C. Cornelius Gallus,
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der aus F o r u m Iulii/Fréjus stammte. Die lokale R e k r u t i e r u n g konnte nur unter Alexandrinern römischen Bürgerrechts erfolgen. Ein solcher Fall war Ti. Iulius Alexander, Präfekt Ägyptens von 66 bis 70. Er stammte aus einer jüdischen H o noratiorenfamilie Alexandrias, die von Augustus das Bürgerrecht erhalten hatte. Damit war er römischer Bürger von Geburt, und w e n n Tacitus aus seiner dreist bekundeten Ägypter- und Judenverachtung ihm eine „ägyptische [oder j ü d i sche?] Nationalität" zuschreibt, so hat er schlichtweg Unrecht [hist. 1. 11]. M a n kennt zwei Fälle von kaiserlichen Freigelassenen, die die Präfektur bekleideten: Hiberus, im Jahr 31, u n d M . Aurelius Epagathus, in den Jahren 223-224. D o c h dies waren ganz klar Ausnahmen. Hiberus ersetzte provisorisch C. Galerius, den eigentlichen Präfekten, während es sich im Fall von Epagathus, der in die Erm o r d u n g des Juristen Ulpian verwickelt war, eher u m eine Wegbeförderung als u m eine echte Beförderung handelte. In der Hierarchie der ritterlichen Ämter n a h m die ägyptische Präfektur einen h o h e n Rang, unmittelbar hinter der Prätoriumspräfektur, der K r ö n u n g der Karriere, ein. Diese w u r d e von mehreren ägyptischen Präfekten erreicht, die damit zu den mächtigsten M ä n n e r n im R e i c h , gleich nach dem Kaiser, emporstiegen. Auf der anderen Seite konnte es geschehen, daß das Andenken eines u n w ü r d i gen Präfekten genau wie das eines schlechten Kaisers aus der Erinnerung getilgt w u r d e (damnatio memoriae). Das Faktum ist durch eine getilgte Inschrift belegt, die J. Leclant 1951 publiziert hat [SEG X X X I 1548]. Die Identität der Person, die dieses Verdikt traf, ist nicht sicher geklärt. Die möglichen Kandidaten sind C. Vibius Maximus (103-107), Petronius Quadratus (125?) u n d T. Flavius Titianus I (126-133). D e r Präfekt beherrschte das Land gleichzeitig als Repräsentant des Kaisers und als faktischer Nachfolger der Ptolemäer und der Pharaonen. Für die ägyptische Bevölkerung verkörperte er die römische Autorität, die an die Stelle der Ptolemäermonarchie getreten war. In den Eingaben, die man ihm vorlegte, schrieb man ihm die Qualitäten u n d Befugnisse zu, die einst den Lagiden gehört hatten. Insofern ist es nicht verkehrt zu sagen, daß er Ägypten „anstelle der K ö nige", loco regum, beherrrschte [Tac. hist. 1. 11; und schon Strab. 17. 1. 12 = 797 C] oder daß er „gemäß königlichem R e c h t " , regio iure, regierte [Amm. Marc. 22. 6. 6]. Ein uraltes Tabu untersagte ihm, während des Nilhochwassers auf d e m Fluß zu fahren, wie es einst den Königen Ägyptens verboten gewesen war [Plin. nat. hist. 5. 9 (10)]. D e r Präfekt war mittels der von ihm promulgierten Edikte gesetzgeberisch tätig, und ihm unterstand die provinziale Rechtsprechung. Sein quasi-prokonsularisches I m p e r i u m beinhaltete eine jurisdiktionelle Befugnis (imperium mixtum). Er war H e r r über die Justiz im Lande, gleichgültig, ob nun römische B ü r ger oder griechische oder ägyptische Peregrine vor Gericht standen [Anagnostou-Canas 115]. Einen Teil der Rechtspflege übte er persönlich aus. U m dies in geregelten Bahnen durchführen zu können, hielt er nach einem festen Reiseplan Gerichtstage in Alexandria, Pelusion u n d Memphis ab (conventus, dialogismos) [Foti Talamanca 116]. Ansonsten delegierte er seine Machtbefugnis an ei-
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nen m e h r oder weniger kompetenten zivilen oder militärischen Würdenträger (iudex datus), der aufgrund dieser Autorisierung (ex anapompes) an seiner Stelle richtete oder der seinerseits die Sache an einen Untergebenen weiterleitete. So schützte sich der Präfekt vor der Lawine von Eingaben, die auf ihn bei den G e richtstagen zurollte, indem er nur die Fälle selbst entschied, die unbedingt sein Eingreifen erforderten. N e b e n dem Präfekten besaßen andere hohe ritterliche Prokuratoren eine j u ristische Machtbefugnis, die ihnen direkt v o m Kaiser übertragen worden war. Z u ihnen gehört insbesondere der iuridicus von Alexandria (dikaiodotes), der seine rechtliche Kompetenz (iuris dictio) dann in Alexandria ausübte, w e n n der Präfekt den conventus bereiste [Kupiszewski 58]. Gleiches galt im Finanzbereich für den idios logos, der für die Finanzen der Provinz verantwortlich war. Seit H a drian besaß der Hohepriester (archiereus) von Alexandria u n d Ägypten eine J u risdiktion, die ihm zur Kontrolle der Kulte verliehen war. Vor allem ist belegt, wie er Beschneidungserlaubnisse für j u n g e ägyptische Priester in der F o r m rechtlicher Entscheidungen erteilte. Diese Vollmachten konkurrieren nicht mit der Rechtsprechung des Präfekten, sondern ergänzen sich mit dieser. Damit sind alle Formen rechtsprecherischer Tätigkeit im römischen Ägypten entweder direkter oder indirekter Ausdruck einer Machtbefugnis des Präfekten oder aber ergänzen diese in einem bestimmten Bereich. Selbstverständlich trat diese Vollmacht vor dem anwesenden Kaiser zurück, w e n n er, der diese Befugnisse verlieh, Ägypten gerade besuchte. Eine Liste von Fällen, die für die präfektorale Rechtsprechung vorgesehen sind, beschränkte die Möglichkeit einer B e r u f u n g beim Kaiser nach einer Entscheidung durch den Präfekten [P. Yale inv. 1606 = SB XII 10929]. D e m Präfekten unterstanden auch die in Ägypten stationierten Legionen. Da ja die Provinz Senatoren verboten war, konnte das K o m m a n d o über sie nicht von einem Legionslegaten senatorischen Ranges ausgeübt werden, wie es sonst überall die Regel war. Ein Legionspräfekt (praefectus legionis) ritterlichen Ranges, der d e m Präfekten von Ägypten unterstellt war, hatte den Oberbefehl inne. U n ter ihm standen die Lagerpräfekten (praefecti castrorum). N a c h Strabon lagen u n ter Augustus drei Legionen in Ägypten, von denen wir aber nur zwei kennen, die III Cyrenaica und die XXII Deiotariana. U n t e r Tiberius teilten diese beiden Legionen dasselbe Lager in der N ä h e Alexandrias. Die III Cyrenaica akklamierte als erste Legion überhaupt Vespasian im Jahr 69. Traian schickte sie nach Arabien u n d ersetzte sie in Alexandria durch die II Traiana. Die XXII Deiotariana, die zum letzten Mal 119 n. C h r in Ägypten belegt ist, verschwand auf mysteriöse Art und Weise [Alston 79]. Vielleicht ging sie im Zweiten Jüdischen Krieg unter [S. 441], D e m Präfekten von Ägypten half eine zentrale Administration bei der Verwaltung der provinzialen Angelegenheiten. Ihre Hilfe war für den Statthalter unerläßlich, der k a u m mit den Akten zurechtkam. Als Philon von Alexandria in seinem Werk In Flaccum das Idealbild des „guten Statthalters" nach dem Vorbild des gewissenhaften hellenistischen Königs entwirft, lobt er Avilius Flaccus dafür,
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daß er sich „von G r u n d auf mit den ägyptischen Angelegenheiten vertraut gemacht hat". Dieses Lob zeigt deutlich, wie sehr sich dieser Präfekt von den anderen unterschied, die sich vor allem durch notorischen Dilettantismus auszeichneten [Brunt 50]. D o c h verstanden sie es, auf die Ratschläge ihrer Mitarbeiter, Beisitzer u n d Rechtsexperten (nomikoi) zu hören, was wir den D o k u m e n t e n aus d e m Bereich der Rechtspflege e n t n e h m e n können. N e b e n dem Präfekten hatten einige andere kaiserliche Prokuratoren besondere Kompetenzen inne. D e r rangmäßig höchste war der iuridicus (dikaiodotes) Alexandreae et Aegypti, ein direkt vom Kaiser ernannter römischer Ritter. W i e bereits angesprochen, besaß er eine eigene juristische Kompetenz. Er konnte auch gelegentlich als Vizepräfekt fungieren. Ein anderer hoher Rechtsbeamter, der archidikastes, leitete in Alexandria das öffentliche Notariat (katalogeion) u n d die Prozedur der Schuldeneintreibung gemäß Exekutivurkunden („geschützte" Vollstreckung, so ähnlich wie bei den heutigen Wechseln) [Wolff 128]. Die Verwaltung der provinzialen Finanzen unterstand einem ritterlichen Prokurator, der den ptolemäischen Titel idios logos (Leiter der „Privatfinanzen") trug [Swarney 59]. Er verfugte über eine eigene Rechtsprechung zur Schlichtung von fiskalischen Streitigkeiten u n d kontrollierte die Vereinigungen sowie die Tempelgüter u n d - e i n k o m m e n . Ein wichtiges D o k u m e n t aus antoninischer Zeit, der G n o m o n des Idios Logos, faßt auf Griechisch eine R e i h e von Verfugungen zusammen, die in einer Sammlung von Anweisungen (liber mandatorum) enthalten waren, welche die Finanzbehörden in R o m seit dem Ende von A u g u stus' R e g i e r u n g nach Alexandria übermittelt hatten u n d die durch spätere Verordnungen ergänzt worden waren. Im 3. Jh., vielleicht unter Septimius Severus, gingen die ägyptischen Finanzen in die Verantwortung eines rationalis (katholikos) über. Vom Amt des Idios Logos m u ß man das des „Hohepriesters" (archiereus), dem ein antarchiereus unterstand, unterscheiden. Dies waren Prokuratoren, die sich u m die Kontrolle der Kulte und des Klerus kümmerten. N a c h episodischen Versuchen unter Nero, w e n n nicht schon seit Tiberius [Rigsby 61], richtete Hadrian dieses A m t als Dauerposten ein, u n d zwar höchstwahrscheinlich zwischen Juni und August 120 n. Chr. Dieses D a t u m ergibt sich aus dem Vergleich zweier Fragmente eines Edikts des Präfekten T. Haterius N e p o s über die innere Disziplin der ägyptischen Tempel [P. Fouad 10 und P. Yale inv. 1394 verso = SB XII 11236], Wer damals berufen wurde, steht nicht fest. W i r haben die Wahl zwischen dem gelehrten L. Iulius Vestinus, Epistates des Museions, der zu Beginn der Herrschaftszeit Hadrians Hohepriester war, u n d Bienus Longus, der dieses A m t im Jahr 123 innehatte [Parássoglou 60]. Die Einrichtung dieses Postens, wodurch der Kaiserkult in Ägypten offiziellen Charakter erhielt, steht in Z u s a m m e n h a n g mit dem Beschneidungsprivileg des lokalen Klerus. Hadrian hatte die Beschneidung reichsweit verboten und nur als Ausnahme den ägyptischen Priestern erlaubt, sofern sie die Regeln einer komplizierten Prozedur, die der Autorität dieses Prokurators unterstand, einhielten. Die Informationen aus Ägypten helfen, den Konflikt zwischen kaiserlicher Autorität u n d den J u d e n zu
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verstehen, die vom selben Verbot getroffen worden waren und bis Antoninus Pius warten mußten, ehe sie ein ähnliches Privileg erhalten sollten [S. 439f.].
10. 3. 2 Die griechischen Städte 10. 3. 2. 1 Alexandria Wie im Ptolemäerreich, so nahm auch während der römischen Herrschaft Alexandria eine Sonderstellung ein [Balconi 63]. Es war gleichzeitig griechische Stadt und Sitz einer Zentralregierung, wobei die Kanzlei des Präfekten von Ägypten die Stelle des Königshofes eingenommen hatte. Kraft einer verfassungsmäßigen Fiktion war Alexandria nicht „in Ägypten", sondern „bei Ägypten", ad Aegyptum [Huzar 68]. Daher enthielten auch die Titel der kaiserlichen Prokuratoren, die die Provinz verwalteten, eine doppelte geographische Zugehörigkeit: „Alexandria und Ägypten" (Präfekt von Alexandria und Ägypten; iuridicus von Alexandria und Ägypten; Hohepriester von Alexandria und Ägypten) [Geraci 51]. Mit seinen beiden Seehäfen, die es mit der Mittelmeerwelt verbanden, und seinem Binnenhafen am Mareotis-See, der einen Zugang nach Ägypten und damit nach Afrika und dem Orient ermöglichte, war Alexandria ein gewaltiges Handelszentrum, auch auf Reichsebene. Strabon, der sich dort zu Beginn der Herrschaftszeit des Augustus mehrere Jahre lang aufhielt und eine ausfuhrliche Beschreibung dieser Stadt hinterlassen hat [17. 1. 6 - 1 8 = 791-802], konnte es zu Recht „den größten Umschlagplatz der Oikumene", der bewohnten Erde der Antike, nennen. Zu Beginn der römischen Zeit dürfte sich die Einwohnerschaft Alexandrias auf 500 0 0 0 - 6 0 0 000 Menschen belaufen haben, was angesichts der damaligen Möglichkeiten für die Verpflegung einer Stadt das demographische Maximum eines städtischen Zentrums der griechisch-römischen Welt darstellte [Delia 67]. Der aus Alexandria stammende Romanschriftsteller Achilles Tatius übertreibt nur wenig, wenn er von seiner Mutterstadt spricht: „Betrachtete ich die Stadt, zweifelte ich, daß ein Volk sie füllen könnte. Und betrachtete ich das Volk, wunderte ich mich, daß eine Stadt es fassen könnte. Also war das Gleichgewicht gegeben." [5. 1. 6]. Als größte Stadt der hellenistischen Welt, als zweitgrößte Stadt des Reiches nach R o m , war Alexandria eine der Großstädte der Antike. Philon [In Flaccum 163] nennt Alexandria eine „Vielstadt", polypolis. Es war nämlich keine homogene Stadt, sondern ein Konglomerat von getrennt lebenden Gemeinschaften, die sich durch die Abkunft der konstituierenden Menschen und durch ihre Lebensweise voneinander unterschieden. Die griechische Stadt zog ägyptische Bauern an. Sie verließen ihre Dörfer, um vor der Armut und dem Steuerdruck zu fliehen, und kamen in die Großstadt, um sich in den Menschenmassen zu verlieren. Diese „Anachoreten" fanden in der Großstadt eine Zuflucht, die so sicher war wie die Wüste. Das griechische Element dominierte, aber nur ein Teil der Einwohnerschaft gehörte zur eigentlichen alexandrinischen Bürgerschaft, die in Phylen, Phratrien und Demen eingeteilt war
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[Delia 66]. Anscheinend war in Alexandria seit der Ptolemäerzeit die beiderseitige Abkunft Voraussetzung für das Bürgerrecht. U m Alexandriner zu sein, m u ß t e man von einem alexandrinischen Vater und einer alexandrinischen M u t ter abstammen. U n t e r diesen Umständen führten Mischehen im Gegensatz zu den Verhältnissen in Antinoopolis unausweichlich zur Verkleinerung der Bürgerschaft. Alexandria, d e m Augustus seinen R a t (bule) g e n o m m e n hatte, w u r d e nach außen durch seine Beamten, besonders den Gymnasiarchen, und seine „Altesten", die Geronten, repräsentiert. Die Amtsbezeichnungen der alexandrinischen Beamten, die man nicht mit den königlichen Beamten, die während der Kaiserzeit weiterbestanden, verwechseln darf, entstammen der griechischen Tradition. So verweist die E r w ä h n u n g eines Gynaikonomen auf einem ptolemäischen Papyrus [P. Hib. II 196] auf das athenische Erbe seit dem 3. Jh. v. Chr. hin. Für die augusteische Zeit läßt sich auf die Hierothyten verweisen, die in bestimmten Fällen bei Eheschließungen alexandrinischer Bürger aktiv wurden. Dabei folgte einem notariellen Akt (synchoresis) ein zweiter Akt vor diesen B e amten. Die Bedeutung dieses doppelten Vorganges ist nicht ganz klar. In j e d e m Fall m u ß man sich vor der anachronistischen Idee eines standesamtlichen Aktes, dem eine religiöse Zeremonie folgte, hüten, genauso wie vor dem k a u m beweisbaren Einfluß des ägyptischen Brauchs in der Chora, bei dem auf eine „Alimentationsschrift" eine „Zahlungsschrift" folgte. Das Gymnasion blieb das Verwaltungszentrum der Stadt [Burkhalter-Arce 64], Im b e r ü h m t e n Museion u n d seinem Annex, der Bibliothek, k ü m m e r t e man sich weiterhin so großartig u m die Wissenschaften wie damals, als Ptolemaios I. es gründete hatte. Die beiden Institutionen bildeten ein Ganzes, das gleichzeitig einer Akademie der Wissenschaften, einer Universität u n d einem riesigen Forschungszentrum entsprach u n d dessen einziger Zweck es war, den darin versammelten Gelehrten und Schriftstellern den idealen R a h m e n für die Produktion und die Uberlieferung des Wissens zu bieten, dessen U r h e b e r und Bewahrer sie waren. Gewiß gehörte die ruhmreiche Epoche, die mit den N a m e n eines Kallimachos, eines Eratosthenes von Kyrene, eines Aristophanes von Byzanz oder eines Aristarch von Samothrake verbunden war, schon seit langem der Vergangenheit an. Aber Gelehrte wie der „Mechaniker" H e r o n im 1. Jh. n. Chr. oder der Geograph Ptolemaios unter den Antoninen garantierten weiterhin das R e n o m m e e der Institution [Argoud 62], D e r Brand der Bibliothek 47 v. Chr., den Iulius Caesar laut Plutarch [Caesar 49] unabsichtlich verschuldete, gehört ins R e i c h der Märchen und Legenden. Tatsächlich scheint das Feuer nur auf Getreide- u n d Rohpapyrusdepots übergegriffen zu haben [Canfora 65]. Auf eine N e u e r u n g der römischen Zeit m u ß hingewiesen werden: N e b e n den echten Gelehrten u n d Schriftstellern nahm die Zahl der Mitglieder immer m e h r zu, die ihre Zugehörigkeit zum Museion eher ihren militärischen und politischen Meriten denn ihren wissenschaftlichen oder literarischen Leistungen verdankten. Diese v o m Kaiser ernannten „Akademiker ehrenhalber" waren mitunter — noblesse oblige! - als Kulturmäzene in der
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Chora aktiv. Dies scheint beispielsweise bei Ti. Claudius Demetrius, Sohn des Bion, der Fall zu sein, einem alexandrinischen Bankier und römischen Bürger, der u m das Jahr 50 „nichtwissenschaftliches" Mitglied des Museions war [P. Oxy. X X V I I 2471], 10. 3. 2. 2 Ptolemais Das von Ptolemaios I. Soter als Gegengewicht zum Einfluß des mächtigen thebanischen Klerus konzipierte Ptolemais blieb die einzige griechische Stadt, die die Lagiden in Ägypten gründeten. Z u Strabons Zeit erschien sie diesem Autor [17. 1. 42 = 813 C] als die größte Siedlung der Thebais. Sie behielt in der Kaiserzeit ihre politischen Strukturen und Organe bei: Eine Bürgerschaft „griechischen Typs", d. h. ein demos mit den traditionellen Unterteilungen, ein R a t (bulé) und ein Prytanenkollegium. W i r wissen das aus einem Papyrus antoninischer Zeit [P. Fouad inv. nr. 211, 160 η. Chr.]. Dieses D o k u m e n t handelt von dem R e c h t , die N e o k o r e n im Soter-Tempel von Koptos zu bestimmen, was Ptolemais aufgrund eines Privilegs aus lagidischer Zeit beanspruchte. Die Prytanen unter d e m Vorsitz eines Archiprytanen (und nicht der Demos) leiteten faktisch die Stadt. Die Volksversammlung (ekklesia) war verschwunden oder zu einer reinen Formalität geworden. Die Gesetzgebung der Stadt, wie wir sie bei einem psephisma über Eheschließung und Scheidung beobachten k ö n n e n [P. Fay. 22], obliegt den städtischen Beamten, nicht der Volksversammlung. 10. 3. 2. 3 Naukratis W i r wissen wenig über Naukratis. Dieses griechische Handelsdepot war im Delta, am kanopischen Nilarm, rund 70 k m südlich der Küste, zur Zeit der saitischen Restauration unter Amasis (570-526 v. Chr.) oder vielleicht sogar schon unter Psammetich I. (664-610 v. Chr.) angelegt worden. Als einzige griechische G r ü n d u n g in dieser unwirtlichen Gegend vor Alexandria (Anfang 331 v. Chr.) w u r d e Naukratis kurz vor der makedonischen Eroberung (wohl u m 350 v. Chr.) zu einer echten Stadt {polis). Von Schlamm u n d Sand verfüllt, verschwand der kanopische A r m . Im Laufe der Ptolemäerzeit vom Meer abgeschnitten, war die Hafenstadt Naukratis dazu verdammt, auch selbst zu verschwinden. Aber seine Gesetze lebten bis in antoninische Zeit weiter. Hadrian bediente sich ihrer bei der G r ü n d u n g von Antinoopolis. 10. 3. 2. 4 Antinoopolis Antinoopolis w u r d e von Hadrian am 30. O k t o b e r 130 (die Hypothese eines späteren Gründungsjahres, nämlich 134, m u ß verworfen werden) am östlichen Nilufer gegenüber Hermopolis, aber etwas weiter flußaufwärts, an der Stelle, wo sein Liebling Antinoos im Fluß ertrunken war, gegründet. Es war die letzte der vier griechischen Städte Ägyptens [Montevecchi 69], M a n diskutiert über die Frage, ob der Tod des Antinoos ein Unfall war [Cass. Dio 69. 11. 2f.] oder ob sich u m ein O p f e r in F o r m eines rituellen Selbstmordes handelte, u m den
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Gott Nil zu besänftigen, der tatsächlich während der letzten beiden Hochwasser vor diesem Ereignis sehr mit d e m lebenswichtigen Wasser gegeizt hatte [Bonneau 105]. M a n konnte den U m r i ß der G r ü n d u n g archäologisch nachweisen. Ein großes Rechteck, das sich auf einer seiner Seiten an den Strom anlehnte und auf den drei anderen von einer Ziegelmauer begrenzt war, wurde von zwei großen Straßen in N o r d - S ü d - und W e s t - O s t - R i c h t u n g durchschnitten. Ihre Schnittstelle fand sich nahe am Nil und w u r d e durch vier riesige Säulen in der N ä h e von Antinoos' Grab, im Herzen der Stadt, hervorgehoben. Die Stadt b e fand sich im hermopolitischen N o m o s (ein antinoitischer N o m o s ist erst 300 n. Chr. belegt), aber die E r w ä h n u n g einer „ N o m a r c h i e " läßt auf die Existenz eines der Stadt eigenen Territoriums schließen. Die „ N e u e n Hellenen" - so nannte der philhellene Kaiser die Bürger der von ihm gegründeten Stadt — w u r d e n unter den lokalen Eliten rekrutiert: Siedler aus Ptolemais, Griechen aus der Chora („Leute vom Gymnasion", arsinoitische Katoiken), Armeeveteranen. Die Bürgerschaft zerfiel gemäß d e m kleisthenischen Vorbild in zehn Phylen mit jeweils fünf D e m e n . Die N a m e n der Phylen verweisen auf den Gründer, auf seine Familie, auf den eponymen Heros der Stadt, der nach seinem Tod mit Osiris identifiziert wurde, u n d auf Athen, dem glorreichen Model seiner Gründung. Ein R a t (bule), ein Prytanenkollegium (wohl j e ein Prytane pro Phyle, wie in Ptolemais) und verschiedene Beamte leiteten die Stadt. U n t e r letzteren fand sich ein N o m a r c h , der territoriale und j u r i stische Machtbefugnisse besaß, die unabhängig vom hermopolitischen Strategen waren. W i e bereits erwähnt, stattete Hadrian Antinoopolis mit den Gesetzen von Naukratis aus. Bei diesem Anlaß waren die Gesetze von Naukratis in bestimmten Punkten modifiziert worden, damit sie den Bedürfnissen der neuen Benutzer entsprachen. So erhielten die Antinoiten das R e c h t , mit Ägyptern Ehen zu schließen (epigamia), was es in Naukratis nicht gegeben hatte. Indem die alte griechische Stadt im Delta eine Barriere gegen Mischehen errichtete, schützte sie ihre griechische Substanz, die sich leicht im barbarischen Umfeld verloren hätte. Dagegen m u ß t e n im Fall von Antinoopolis die Familienbande zwischen den „ N e u e n Hellenen" und „Ägyptern" geschützt werden; mit „Ägyptern" sind hier die Griechen der Chora gemeint, die an der Bevölkerung der hadrianischen G r ü n d u n g mitgewirkt hatten. Dieses „Mischehenrecht" ist nur eines der zahlreichen Privilegien, von denen die Antinoiten dank Hadrian und seinen Nachfolgern profitierten [Zahrnt 71]. Andere Vorrechte waren die Befreiung von Liturgien (muñera) und von Vormundschaften außerhalb der Stadt, die Entlastung von der Erwerbssteuer (enkyklion), die Erziehung der Kinder auf Staatskosten, die Vollstreckungspriorität (protopraxia) zugunsten der Stadtkasse und die großen Antinoeia, Spiele zu Ehren des Antinoos. Aber trotz all ihrer Privilegien gehörte die G r ü n d u n g Hadrians faktisch dennoch in das römische Munizipalsystem ihrer Zeit, w e n n auch hinter einer Fassade von Polis-Institutionen [Sturm 70].
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10. 3. 3 Die Chora Das Land zerfiel in drei große R e g i o n e n , die Epistrategien: das Delta oder U n terägypten (das „sich unten befindliche Land"); die Heptanomia und der Arsinoites; die Thebais. Jede R e g i o n unterstand einem Epistrategen, einem römischen Prokurator ritterlichen Rangs, der v o m Kaiser ernannt w u r d e {procurator ad epistrategiam). Titel u n d A m t stammten aus lagidischer Zeit, aber mit seinem ptolemäischen Vorgänger hatte der römische Epistratege nur den N a m e n gemein. Er besaß weitreichende zivile und administrative Vollmachten, war aber ohne militärische Kompetenzen und, im Gegensatz zum iuridicus von Alexandria und dem Idios Logos, ohne eigene Rechtsprechung. Das von Augustus eingeführte A m t blieb bis zu Diocletians R e f o r m e n (um 300 n. Chr.) bestehen, wobei es vielleicht in der zweiten Hälfte des 2. Jh.s eine Veränderung gab, als vier Epistrategien an die Stelle der drei traten [Thomas 78]. Jede Epistrategie bestand aus mehreren N o m e n , von denen es ingesamt rund 40 gab. Ein N o m o s w u r d e von einem Strategen verwaltet, der vom Präfekten Ägyptens ernannt w u r d e und ihm direkt verantwortlich war [Bastianini/Whiteh o r n e 72]. D e r Titel, der ebenfalls aus ptolemäischer Zeit stammte, ist irreführend, da der Stratege ausschließlich auf die Zivilverwaltung beschränkt war. Gleiches gilt für seinen Adjutanten, den basilikos grammateus oder „königlichen Schreiber", ein anderes, ausschließlich namentliches Relikt aus hellenistischer Zeit, der im wesentlichen finanzielle Kompetenzen besaß. Die drei Bezirke (merides) des arsinoitischen N o m o s (das Fajjum) hatten j e ihren Strategen und basilikos grammateus. D e r königliche Schreiber konnte im Bedarfsfalle den Strategen in der Ausübung seiner Kompetenzen ersetzen. Die Strategen, die manchmal naturalisierte R ö m e r , zumeist aber selbst Peregrine waren, fungierten als Scharnier zwischen den neuen Herren des Landes und der lokalen Bevölkerung. D e r Stratege residierte in der Metropolis des N o m o s , einer großen Siedlung, die, trotz ihres Namens, der nicht selten den Terminus polis, „Stadt" enthielt (Arsinoiton polis, Herakleu polis, Hermu polis etc.), faktisch nur eine kome, ein Dorf, war [Casarico 73]. Erst bei den R e f o r m e n des Septimius Servus wurden die ägyptischen Metropolen, die Vororte der N o m e n , zu Städten. Mehrere von ihnen waren in Viertel (amphoda) eingeteilt, die jeweils einem Stadtviertelschreiber (amphodogrammateus) unterstanden. Das ptolemäische System der Unterteilung des N o m o s in Toparchien u n d Dörfer (komai) mit den traditionellen lokalen Autoritäten, nämlich d e m Komarchen, einer Art Bürgermeister, u n d d e m komogrammateus, dem Dorfschreiber, w u r d e beibehalten. Trotz seines ziemlich niederen Ranges in der administrativen Hierarchie war der komogrammateus in der Kaiserzeit zum Vertreter des Zentralmacht auf dörflicher Ebene geworden. Die öffentliche Sicherheit oblag einem archephodos. Die D o r f b e w o h n e r behielten eine repräsentative Versammlung bei, die „Dorfältesten" (presbyteroi komes), die die römische Verwaltung tendentiell in Beamte mit finanziellen Aufgaben u m z u f o r m e n strebte.
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Die Dörfer der Chora, u n d besonders die Nomenvororte, sind uns dank der Papyri wohlbekannt [Lukaszewicz 76]. Das berühmteste Beispiel ist das oft studierte Oxyrhynchos. M a n kennt die Topographie u n d die Urbanen Strukturen dieses Orts genau, mit seinen Vierteln, Straßen, Gebäuden und Nekropolen, und man kann seinen Platz innerhalb des N o m o s ausmachen, dessen Vorort es war [Krüger 75]. Oxyrhynchos ist auch einer der Plätze, die uns den Großteil der literarischen Texte, die man in Ägypten gefunden hat, lieferte. Die A n w e senheit vieler Alexandriner, die Landbesitz im oxyrhynchitischen N o m o s hatten u n d unter denen sich auch einige Mitglieder des Museions von Alexandria b e fanden, hat zweifellos den Ausbau der lokalen Bibliotheken begünstigt. Ein der Bibliothek von Alexandria unterstelltes scriptorium fand sich wahrscheinlich im Nomenvorort. U n t e r den E i n w o h n e r n von Oxyrhynchos gab es Gelehrte und begeisterte Leser der griechische Literatur. W i r kennen einige von ihnen, so T h e o n , Sohn des Artemidoros, der Kommentare zur Odyssee, zu Theokrit, Pindar und anderen lyrischen Poeten verfaßte. Bei einem anderen Provinzort, Hermopolis Magna (Mittelägypten), ist eine R e i h e von Papyri in der österreichischen Nationalbibliothek von zentraler B e deutung. Sie stellen nämlich einen Teil der öffentlichen Archive dieses Ortes zur Zeit von Kaiser Gallienus dar [Drew-Bear 74], Diese Texte machen uns mit den Beamten und örtlichen Ratsherren in ihren Beziehungen zur römischen Obrigkeit bekannt, erlauben einen Blick in die Mechanismen der örtlichen Finanzen und lassen die politische Rolle der Athleten einschätzen, denen der O r t Pensionen in A n e r k e n n u n g ihrer Verdienste zahlte. Die besondere Bedeutung dieser Papyri besteht darin, daß wir mit ihnen D o k u m e n t e eines echten Archivs besitzen, im eigentlichen Sinne des Wortes (Depot administrativer D o k u m e n t e , die durch ein offizielles Organ aufbewahrt wurden), in Abgrenzung zu gelegentlich von Privatleuten angelegten Sammlungen, denen man den Terminus „Archiv" abusiv aufgrund eines seit langem eingebürgerten Gebrauchs beilegt. Die Verbindungen zwischen Siedlungen und Land sind oft schwer zu durchschauen. W i e zu Zeiten der Lagiden zog die Metropole das griechische Element an, was die Kluft weiterexistieren ließ, die seit der makedonischen Eroberung in Ägypten den griechischen O r t (Städte u n d N o m e n m e t r o p o l e n ) und das ägyptische Land (Dörfer u n d Weiler) einander gegenüberstellte. Geographische und politische Ursachen führten dazu, daß der Umlauf der R e i c h t ü m e r in den O r ten leicht die unmittelbaren Subsistenzbedürfnisse des umgebendes Landes überstieg. Aber es wäre übertrieben zu behaupten, daß der O r t im römischen Ägypten ein „ O r t des Verbrauchs" oder ein „parasitärer O r t " zum Schaden des Landes sei [Bonneau]. Das Axiom einer systematischen Opposition zwischen O r t u n d Land m u ß differenziert gesehen werden.
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10. 4 Gesellschaft und Wirtschaft 10. 4. 1 Bürger und Nichtbürger N a c h der Eroberung war die provinziale Gesellschaft entsprechend den römischen Kategorien organisiert worden. Die Situation, die die R ö m e r in Ägypten vorfanden, ließ sich nicht allein mit den Grobunterteilungen des Zivilrechts (Freie - Sklaven, Bürger — Nichtbürger) lösen. M a n m u ß t e auf das Steuerrecht zurückgreifen, u m zu Lösungen zu gelangen, mit denen die römische Autorität und die Provinzbevölkerung, besonders die griechischsprachigen Eliten, auf die R o m bei der Verwaltung der Provinz nicht verzichten konnte, zufrieden waren. Ein elementares Prinzip des römischen Zivilrechts schied zwischen Bürgern und Nichtbürgern. Im Kontext der ägyptischen Provinz ließ diese Opposition in der ersten Kategorie zwei getrennte G r u p p e n entstehen: die Bürger der griechischen Städte Ägyptens, zumal die Alexandriner, und die römischen Bürger, deren Anzahl am Anfang verschwindend gering war, dann aber rasch zunahm, u m i. J. 212 die gesamte freie Bevölkerung zu umfassen. Alexandria hatte seine Bürgerschaft samt der traditionellen Unterteilung in Phylen und D e m e n b e wahrt. D e r Zugang zum Status eines Bürgers erfolgte über die Ephebie, die Lehre der politeia unter der Kontrolle eines „Exegeten" [Legras 83]. Selbiges gilt für die beiden anderen Städte, Naukratis und Ptolemais, u n d ab 130 für H a drians G r ü n d u n g Antinoopolis. D e r Erwerb der alexandrinischen Bürgerschaft war im Gegensatz zu einer weitverbreiteten M e i n u n g (die sich auf Plinius' K o r respondenz mit Traian beruft [epist. 10. 5 - 7 u n d 10]) kein rechtlich unbedingt notwendiger Schritt, u m das römische Bürgerrecht zu erhalten. Für einen peregrinen Nichtbürger bedeutete dies nur eine Art von kulturellem Aufstieg, der ihn als Kandidaten für die civitas Romana qualifizierte [Delia 66]. Sieht man von Bürgern aus alter Familie ab, die aus R o m für einen kurzen Aufenthalt entsandt w u r d e n oder kamen, wie etwa die Präfekten Ägyptens und andere kaiserliche Prokuratoren, oder Händler oder gelegentlich Touristen, so war das römische Element in Ägypten durch romanisierte Peregrine präsent, d. h. Griechen, die durch einen kaiserlichen Gunstbeweis das römische Bürgerrecht erhalten hatten. Es handelte sich dabei u m Alexandriner, die die römische Autorität aufgrund ihrer Aktivitäten und ihrer sozialen Stellung auszeichnen wollte, u n d Angehörige der griechischsprachigen Eliten der Chora, unter denen die lokale R e k r u t i e r u n g der A r m e e durchgeführt wurde. Sie erhielten das r ö mische Bürgerrecht bei ihrem ehrenhaften Abschied (honesta missio). In sozialer u n d kultureller Hinsicht unterschieden sich diese N e u r ö m e r k a u m von ihren griechischen Landsleuten des Milieus, aus dem sie stammten, w e n n es auch vorkam, daß sie so typisch römische Feste wie die Saturnalien begingen, wie es u m 100 n. Chr. der Veteran L. Belenus Gemellus in Tebtynis tat [P. Fay. 119]. M a n hat auf die Vergänglichkeit des römischen Bürgerrechts der ägyptischen Veteranen hingewiesen. O f t verschwand es in der zweiten oder dritten Generation (z. B. bei der Familie des C. Iulius Niger in Karanis). Im 2. Jh. der Kaiser-
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zeit könnte man dieses P h ä n o m e n durch die Tatsache erklären, daß ab ca. 140 n. Chr. die Kinder, die während der Dienstzeit ihres Vaters geboren wurden, Bürgerrecht und conubium (Fähigkeit, eine nach römischen R e c h t gültige Ehe zu schließen) bei dessen Entlassung nicht m e h r erhielten. Dies wissen wir aus den Militärdiplomen. In anderen Fällen könnte man es mit einem Veteranen zu tun haben, der zwar Bürgerrecht und conubium erhalten hatte, dann aber eine andere peregrine Frau als diejenige heiratete, für die das conubium gegolten hatte. Das conubium war nämlich nur fur die Frau gültig, mit der er zum Zeitpunkt seines Abschieds zusammenlebte oder für die erste Frau, die er danach ehelichte; die Kinder aus einer zweiten Ehe mit einer Peregrinen waren aber keine römischen Bürger. Jedoch gab es keine allgemeingültige Regel. Die Archive des M . Lucretius Diogenes, ein bedeutsames, unlängst ediertes Quellenkorpus, sind in dieser Hinsicht sehr aufschlußreich. Diogenes war der Urenkel des Auxiliarkavalleristen M . Lucretius Clemens, der zu Beginn des 2. Jh.s nach seiner ehrenvollen Entlassung Bürger geworden war. Seine Nachfahren bewahrten das B ü r gerrecht bis in die Severerzeit [Schubert 92]. All diejenigen, die weder römische Bürger n o c h Bürger einer griechischen Stadt in Ägypten waren, waren vor dem römischen Gesetz „Ägypter" (Aegyptii, Aigyptioi). Z w a r hatten die Begriffe „Ägypter" und „Hellene" ihre ursprünglichen Bedeutungen noch nicht ganz verloren. Sie behielten eine kulturelle K o n notation und w u r d e n mitunter dazu benutzt, das griechische vom autochthonen Element zu unterscheiden. Mit dieser B e g r ü n d u n g stellte der G n o m o n des Idios Logos die Adoption eines Kindes, das auf einer öffentlichen Müllhalde aufgelesen wurde, durch einen „Ägypter" unter Strafe [§41]. Das alexandrinische R e c h t , das sich in diesem Paragraphen widerspiegelt, stand der Adoption eines griechischen Kindes (die Ägypter praktizierten die Aussetzung Neugeborener nicht) durch einen Indigenen feindlich gegenüber. Hier ist „Ägypter" wörtlich zu n e h m e n , im Sinne von „von ägyptischer Abstammung". Gleiches gilt für „Hellene", w e n n es u m die Abgrenzung von Griechen und J u d e n geht. Aber meistens bedeutet „Ägypter" Peregrine ohne das Bürgerrecht einer der griechischen Städte. Die Gemeinschaft der Hellenen, der unter den Ptolemäern die griechischsprachigen Einwanderer angehörten, die eine fremde, außerägyptische H e r kunft, die als „poliadisch" angesehen wurde, vorweisen konnten, hatte die römische Eroberung nicht überlebt. Dieser m e h r kulturelle als juristische Verband war in seinen Bestandteilen zu heterogen, u m als eine „ N a t i o n " oder ein „Volk" anerkannt zu werden (natio oder populus). Es konnte auch nicht in Frage k o m m e n , den Griechen Ägyptens einen Status in ihren Ursprungsstädten einzuräumen, auf die die Heimatsvermerke (ethnikon) verwiesen, die erblich vom Vater auf den Sohn weitergegeben wurden. Die Nachfahren der Hellenen gingen auf in der Masse der autochthonen Ägypter. So hatte sich ein großer „dritter Stand" gebildet, der zwar juristisch einheitlich, aber kulturell und ethnisch große Unterschiede aufwies.
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Die Schwierigkeiten dieser Situation wurden mit Hilfe des Steuerrechts b e hoben. Die Auflösung der Gemeinschaft der Hellenen führte zu einer R e i h e von M a ß n a h m e n , die das griechische Element wieder festigen sollten. Seit der Herrschaft des Augustus war die Nachkommenschaft der Hellenen von der Masse der einheimischen Bauern durch drei Kriterien geschieden worden: u r bane Siedlungsweise, Grundbesitz und die griechische Kultur. Die sorgfaltig ausgelesenen Einwohner der Metropolen, die Grundbesitzer im Fajjum u n d die „Leute v o m Gymnasion" durften die reduzierte Kopfsteuer (capitatici, laographia) entrichten. Der Nachlaß schwankte zwischen der Hälfte und einem Viertel. Aber es kam nicht in erster Linie auf den absoluten Betrag an, sondern auf die Tatsache der R e d u k t i o n an sich, die die Griechen von denen trennte, die Kaiser Caracalla voller Verachtung die „echten Ägypter" nannte, also die indigenen Bauern. Da die R ö m e r den ihnen nahestehenden Griechen keinen bürgerrechtlichen Status zuerkennen konnten, räumten sie ihnen mittels der steuerrechtlichen B e vorzugung eine Sonderstellung ein. Sie organisierten sie in „Stände" (ordo, genos, tagma) provinzialer Honoratioren [Mélèze Modrzejewski 87]. Uns begegnet ein „metropolitaner Stand" (metropolitikon genos) u n d ein „Stand des Gymnasions" (itagma tu gymnasiu). Selbiges gilt für die „6 475 arsinoitischen Katoiken". Dabei handelte es sich u m eine privilegierte Gruppe von Grundbesitzern im Fajjum, die ihren N a m e n von der ursprünglichen Verteilung der Parzellen ableitete, die später Bestandteil der offiziellen Bezeichnung dieser Gruppe w u r d e [Canducci 82]. D e r Schutz ihrer R e c h t e wurde durch ein System administrativer Kontrollen gesichert (14jähriger Zensus, Geburtenerklärungen, epikrisis-Erklärungen). Die Metropoliten besaßen diverse Vorrechte, wie etwa die auf Täfelchen gemalten Grabportraits. Sie treten seit 30 n. Chr. im Fajjum auf, u n d ihre Verbindungen zu den privilegierten Schichten w u r d e überzeugend herausgearbeitet [Nowicka 90]. Die „Leute v o m Gymnasion" stellten keine eigene Gruppe dar, sondern bildeten eine Art „Uberelite" innerhalb der bevorzugten Metropolitengruppen. W ä h r e n d alle „vom Gymnasion" gleichzeitig Metropoliten waren und die reduzierte Kopfsteuer zahlten, war dies umgekehrt nicht so. „Metropolit zu 12 D r a c h m e n " oder „vom Gymnasion" im römischen Ägypten zu sein, war eine neue Art, Grieche zu sein. So gesehen, starb der Hellenismus im römischen Ägypten nie. Er erhielt einen neuen Status: Die weit entfernten, ererbten Heimatstädte waren durch echte Herkunftsorte, die N o m e n m e tropolen, ersetzt worden. Die Verbindung zwischen diesen und j e n e n geschah durch eine kulturelle Bezugnahme auf die Polis-Vergangenheit. Für sie ist die Kopie der aristotelischen Athenaion politeia, die auf Initiative eines hermopolitanischen Notablen ganz am Ende des 1. Jh.s η. Chr. erstellt wurde, ein b e m e r kenswertes Beispiel [Mélèze Modrzejewski 88]. In diesem Zusammenhang m u ß noch auf das gute Klima der Kooperation zwischen den lokalen Notablen, den N u t z n i e ß e r n des Systems, und der römischen Autorität, die es sorgfältig eingerichtet und befestigt hatte, hingewiesen werden. Dieses Bündnis zwischen der römischen Zentralgewalt u n d den Notablen der ägyptischen Chora steht gleich-
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zeitig in scharfem Kontrast einerseits zu den Spannungen und Auseinandersetzungen in den Beziehungen zwischen R o m und den Alexandrinern und andererseits mit dem, was die ägyptischen „Prophezeiungen" (wie das „Töpferorakel") über den Widerstand autochthoner Milieus gegen das R e i c h verlauten lassen [Potter 91]. Bleiben die Sklaven. Sie spielten eine nur sehr marginale R o l l e in der Produktion, da der R ü c k g r i f f auf die Arbeitskraft freier Bauern fur die Grundbesitzer rentabler war als Sklaveneinsatz. Die Sklaverei im römischen Ägypten ist ein urbanes Phänomen mit einem im wesentlichen domestikenhaften Charakter. In dieser Hinsicht war die in der Kaiserzeit vorherrschende Situation das Ende einer Entwicklung, die in der Ptolemäerzeit begonnen hatte [Biezunska-Malowist 81; Straus 93]. Außerhalb Alexandrias, wo sich der größte Teil der Sklaven befand, wuchs die Zahl der Sklaven tendentiell in den Chora-Metropolen. Ihre Eigentümer waren griechische Angehörige der lokalen Eliten. Trotz ihrer in wirtschaftlicher Hinsicht marginalen R o l l e war die zahlenmäßige Stärke der Sklaven, die rund 10% der Bevölkerung in der Chora und wesentlich mehr in Alexandria ausmachten, ein wichtiger Faktor im sozialen Gleichgewicht. Er konnte nicht ohne Einfluß auf die Gesamtheit der Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen der Provinzialbevölkerung bleiben.
10. 4· 2 Produktion und Handel Das R e c h t des Siegers hatte den gesamten Boden Ägyptens zum Eigentum des Kaisers gemacht. W i e in den anderen kaiserlichen Provinzen gehörte er zu den praedia tributoria, deren Erträge vom kaiserlichen Fiskus eingezogen wurden, während der Grund der senatorischen Provinzen die praedia stipendiarla bildete, das Eigentum des römischen Volkes. So jedenfalls die theoretischen Prinzipien des Juristen Gaius [2. 7], wenn er erklärt, daß „das Eigentum (dominium) über den provinzialen Boden dem römischen Volk oder dem Kaiser zukommt, während wir davon nur Besitz oder Nießbrauch haben können". Tatsächlich ist das nur eine Metapher, mit der in den Formen des dominium die römische Herrschaft definiert wird, die mit der Bodensteuer verbunden war (Stipendium bzw. tributum), welche für italischen Bodenbesitz nicht entrichtet werden mußte. Die Formulierung von Gaius soll uns nicht davon abhalten, bei ägyptischen Ländereien von Privateigentum zu sprechen. Ein Teil der ptolemäischen Bodenkategorien hatte die Eroberung überdauert. Es gab keine königlichen Domänen mehr, die unter den Lagiden fast die Hälfte der fruchtbaren Oberfläche Ägyptens bedeckt hatten, aber ihre Bezeichnung, „königliches Land" (basilike ge), blieb für eine Art von Domanialland erhalten. Genauso wenig hatte des Verschwinden der Kleruchien (Militärlehen, die sich zu Privateigentum entwickelten) nicht das Verschwinden der „Kleruchengüter" zur Folge. Als Reminiszenz an ihren Ursprung (Zuweisungen, die der König an Siedler machte und die ursprünglich weder veräußerbar noch vererbbar waren) konnten diese Güter nicht verkauft werden, sondern wechselten
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den Besitzer mittels einer „Abtretung" (parachoresis). Parallel zu diesem rein n o menklatorischen Überbleibsel entstanden neue Kategorien, wie das „öffendiche Land" ige demosia, griechisches Äquivalent von ager publicus), eine andere Art von Domanialland. Güter, die von Parteigängern Kleopatras beschlagnahmt oder die einfach nur von ihren Eigentümern verkauft worden waren, hatten Mitglieder der Kaiserfamilie, ihre Freigelassenen und hochgestellte römische und alexandrinische Persönlichkeiten erworben [Parássoglou 101; Kehoe 97]. So entstanden riesige Privatdomänen (usiai). Ab Claudius gelangten diese Güter allmählich in den Privatbesitz des Kaisers, ohne aber die N a m e n ihrer Vorbesitzer zu verlieren. Deswegen haben wir inmitten der Kaiserdomäne eine „Maecenas-Domäne", eine „Seneca-Domäne" etc. U n t e r den Flaviern (wahrscheinlich ab 70 n. Chr.) wurden die verschiedenen Kaiserdomänen in eine gemeinsame administrative F o r m gebracht. Diese „Vermögensverwaltung" (usiakos logos, ratio patrimonii) b e stand aus zwei getrennten Komplexen, den „ D o m ä n e n des Vespasian" und den „ D o m ä n e n des Titus". Das Ganze unterstand der Autorität eines kaiserlichen Prokurators, des procurator usiacus. Die R e f o r m führte zur Entstehung einer n e u en Bodenkategorie, des „usiakischen Landes". Diese ließ aber die alten Kategorien („königliches Land", „öffentliches Land") nicht verschwinden. Die so entstandene Situation war nur für die Buchhaltung von Bedeutung, sie beinhaltete keine juristischen Unterschiede. Das Verschwinden der Privatdomänen (die erst in byzantinischer Zeit wieder entstehen sollten) hatte zur Polarisierung des Bodeneigentums geführt: Auf der einen Seite die Kaiserdomäne, auf der anderen der Klein- u n d Mittelbesitz. Das Beispiel Karanis [Geremek 96] zeigt die Aufteilung des Privatlandes im Fajjum im 2. und 3. Jh. zwischen griechischen u n d römischen Eigentümern. D e r A n teil der R ö m e r n i m m t parallel zur Parzellengröße zu, die sich zwischen einer und 15 Aruren (ca. 0,20 bis 3 ha) bewegte. D e r Besitz eines Gutes von rund 3 ha bedeutete folglich einen Wohlstand, der die begüterten Klassen der Provinzialbevölkerung auszeichnete. Epimachos, Sohn des Polydeukes, ein G r o ß grundbesitzer im hermopolitischen N o m o s zu Vespasians Zeiten, dem wir die Wiederentdeckung der Athenaion politela von Aristoteles verdanken, die auf die Rückseite seiner Buchhaltung kopiert war, gehörte mit seinen 50 Aruren Land (ca. 10 ha) zu den durchaus vermögenden Leuten. Die Ausdehnung des privaten Landbesitzes machte Kontrollmaßnahmen von Seiten der römischen R e g i e r u n g notwendig. Gegen Ende der Regierungszeit Neros w u r d e das „Zugewinnarchiv" (bibliotheke ton enkteseon) eingerichtet, ein Grundbuchamt, das zugleich die A u f b e w a h r u n g von U r k u n d e n und die Evidenthaltung der privaten Vermögensverhältnisse zur Aufgabe hatte. Die Existenz dieses Amtes läßt nicht automatisch Rückschlüsse auf das Vorhandensein eines echten Grundstücksmarktes zu. Landverkäufe und -abtretungen im kaiserzeitlichen Ägypten geschahen offensichtlich vor allem als Abrundungen von Grundbesitz im U m f e l d der Familie (Mitgiften, Geschenke, Erbschaften). Ein Papyrusdossier wie das Heroninos-,,Archiv" [Rathbone 100] macht uns mit
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dem alltäglichen Leben auf einen großen Landgut im Fajjum des 3. Jh.s vertraut. Das sich daraus ergebende Bild ist das einer relativ „ m o d e r n e n " Arbeitsorganisation, und zwar sowohl hinsichtlich der Verträge mit den Pächtern als auch im Transport, im „Marketing" und in der Buchhaltung. Ägypten war die „Kornkammer des Reiches". Ein Großteil des ägyptischen Korns gelangte als Bodensteuer oder Domänenpacht nach Alexandria, von w o aus es übers Meer nach R o m verschifft wurde. Diese Lieferungen deckten anscheinend ein Drittel des Jahresbedarfs der Hauptstadt des Reiches ab. Die R o l le Ägyptens war, wie Ti. Iulius Alexander in seinem Edikt sagt, „mit Eifer, im Schöße des Wohlstandes, an der Versorgung und dem großen Glück der gegenwärtigen Zeiten mitzuwirken" [Chalón 57, 1. 4f.]. „Vor der Getreideflotte vom Nil hat die Stadt R o m capitulirt und ihre alte Freiheit u m die Lieferung des täglichen Brotes verkauft", formulierte M o m m s e n [1/73, Bd. II.2, S. 1038]. Tacitus merkte zu diesem T h e m a an, daß Augustus Ägypten „isoliert" (seposuit) hatte, weil er fürchtete, „daß Italien aushungere, wer immer nur diese Provinz und die Schlüssel für Land und Meer mit einer noch so kleinen Streitmacht gegen riesige Heere besetzt halte" [ann. 2. 59]. Die reiche Kornkammer Ägypten war in der Tat eine spielend leicht zu verteidigende Beute für jeden, der sich einmal dort eingerichtet hatte. Ägyptens Rolle als Kornkammer des Reiches rechtfertigt nicht die Vorstellung einer staatlichen „Raubpolitik". Der Warenverkehr zum Nutzen der lokalen Eliten verlief parallel zur Versorgungspflicht R o m s , die die kaiserzeitliche ägyptische Wirtschaft dominierte [Foraboschi 94; Geraci 95], Das Bild von Schiffen, die Alexandria kornbeladen verlassen, u m leer zurückzukehren, ist allzu pessimistisch. Neuere Forschungen und Quellenfunde deuten eher auf die Rolle eines großen internationalen Umschlagplatzes hin, w o sich die ägyptischen Exporte und Importe kreuzten, einer Drehscheibe nach Afrika und dem Orient. N e b e n Korn führte Ägypten Papyrus aus, die materielle Grundlage des Schreibens, die so gut wie ausschließlich dort produziert wurde [Lewis 99]. Ägypten lieferte nach R o m auch Stein und wertvolle Mineralien. Das römische Heer wachte über den Abbau in den Steinbrüchen der Arabischen Wüste und Unternubiens. D e r feine Sandstein Nubiens, der rote Granit von Syene, das Gold des Wadi Hammamat, der Kalkstein aus Ptolemais, der rote Porphyr des Möns Porphyrites, der graue Granit des Möns Claudianus, die Smaragde, die Serpentine u n d die Basalte wurden auf eigens dafür gebauten Wegen transportiert, die gleichzeitig den R ö m e r n auch Zugang nach Äthiopien im Süden und Arabia Felix sowie Indien im Osten gaben. Man kennt die Verwaltung und den Ablauf der Arbeit in den Steinbrüchen, die Organisation des Transports des Steins und seine Verwendung in der Architektur recht genau [Klein 88; Peacock
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10. 4. 3 Besteuerung, Liturgien, Geldumlauf 10. 4. 3. 1 Steuern Die Bodensteuer, der der provinziale G r u n d unterworfen war, beglich man in Naturalien. Sie war abhängig vom Wert des Landes (kat' axian). Privateigentümer zahlten die eigendiche Steuer. Die dafür verwendeten Ausdrücke variierten nach O r t u n d Betrag [Wallace 111], Im Arsinoites, w o die meisten Güter ehemalige Kleruchenlehen waren, die einst von „katoikischen R e i t e r n " bebaut worden waren, betrug die Abgabe, monartabia katoikon, eine Artabe (30-40 1) pro Arura (0,20 ha). Gleiches gilt für den Hermopolites (artabieia kat' aruran) und die Thebais. Anderswo, wie im Oxyrhynchites, war die Steuer u m die Hälfte höher (11/2 Artaben pro Arura). In Krisenzeiten konnten die steuerlichen Verpflichtungen Nachbarn dazu zwingen, Domanialland zu kultivieren, das keine freiwilligen Pächter gefunden hatte. Diese Pflicht lastete auf den Individuen (epibole) oder kollektiv auf einem ganzen Dorf, das dann eine Aufteilung vornahm (epimerismos). M a n darf mit der eigendichen Bodensteuer nicht die von den Domäneiipächtern entrichteten Abgaben (ekphoria) verwechseln, die mitunter, j e nachdem, wie die Nilflut ausgefallen war, modifiziert w u r d e n [Bonneau 105, 106], Z u diesen Naturalsteuern und dem sie begleitenden Kultivierungszwang traten schließlich verschiedene Geldsteuern wie das naubion, das jedenfalls theoretisch für den Erhalt der D ä m m e und Kanäle vorgesehen war, und andere, die auf die Produkte der Wein-, Obst- und Gemüsegärten erhoben w u r d e n {geometria, apomoira, eparurion). Geldsteuern w u r d e n auch auf den Viehbestand erhoben (Kleinvieh, Kamele, Esel und Pferde, Schweine). Ein Bankensystem — öffentliche Banken, Privatbanken, verpachtete Banken - wirkte bei der Steuererheb u n g mit [Bogaert 104]. Die Kopfsteuer (capitatio, laographia) ist die wichtigste u n d bekannteste der Personensteuern, und sie m u ß t e auch von den meisten B e w o h n e r n des römischen Ägypten entrichtet werden. Sie traf die Männer, Freie wie Sklaven, im Alter zwischen 14 und 62 Jahren, und ihr Satz verringerte sich, j e weiter man nach Süden kam: Im Arsinoites betrug sie 40 Drachmen, im Oxyrhynchites 16 Drachmen, im Hermopolites 12 Drachmen u n d in der Thebais 10 Drachmen. Von ihr ausgenommen waren die römischen Bürger und die Bürger der griechischen Städte, gemäß der klassischen Tradition, daß ein Bürger keine Steuern b e zahlte, sondern höchstens einen „Beitrag" (tributum, eisphora) entrichtete, u m dem Gemeinwesen zu helfen, Ausgaben öffentlichen Charakters besonders zu Kriegszeiten zu bestreiten. Die Befreiung w u r d e durch verliehene Vorrechte auf andere Personenkategorien ausgeweitet: die Gelehrten des Museions (philosophot), gewisse Priester (mit der festgelegten Zahl von 50), bestimmte lokale Würdenträger und die Sieger in den athletischen Wettkämpfen. Dieses Steuersystem basierte auf den Deklarationen, die alle 14 Jahre die Familienoberhäupter „Haus für Haus" (kat' oikian apographai) für sich selbst u n d
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für die Personen, für die sie verantwortlich waren, gemäß eines präfektoralen Edikts vornahmen [Montevecchi 86; Bagnall/Frier 80]. Das Prinzip dieser Z ä h lungen, die auf das augusteische Statut Ägyptens zurückgehen, ist keine ägyptische Besonderheit. Die b e r ü h m t e Passage des Lukas-Evangeliums [2. 1-3] erwähnt eine „weltweite Schätzung", die Augustus angeordnet habe. U n t e r dem Statthalter P. Sulpicius Quirinus fanden 6 / 7 n. Chr. derartige Zählungen in Syrien u n d j u d ä a statt, ebenso auch in anderen Teilen des Reiches. Eine ägyptische Besonderheit aber ist die Tatsache, daß dieses System von Augustus bis Gallienus zweieinhalb Jahrhunderte lang in perfekter Regelmäßigkeit funktionierte, und daß auch die allgemeine Vergabe des römischen Bürgerrechts im Jahr 212 daran nichts änderte. Die Mitglieder der provinzialen Honoratiorenstände bezahlten, wie oben gesehen, eine reduzierte Kopfsteuer. Ihre privilegierte Stellung war einer genauen Kontrolle unterworfen. Die Eigenschaft, ein steuerlich geschützter Metropolit zu sein, war erblich, und so m u ß t e man die doppelte metropolitane Abkunft nachweisen, d. h. Vater und M u t t e r m u ß t e n dieser G r u p p e angehören. Daher machten die Eltern oder nahe Verwandte in der Seitenlinie eine Eingabe für die j u n g e n Steuerpflichtigen, sobald diese ins 14. Lebensalter traten, die Schwelle der Volljährigkeit vor der Steuer. D u r c h diese Eingabe sollten ihre Ansprüche geprüft und bestätigt werden (epikrisis). Diese durch zahlreiche Papyri [Nelson 89] belegte Prozedur ermöglicht uns interessante, ihrem Geiste nach sehr griechische Genealogien über mehrere Generationen hinweg kennenzulernen. In einer epikrisis-Eingabe von 269 wird auf einen A h n e n verwiesen, der in der ersten Liste der privilegierten Metropoliten von Oxyrhynchos erfaßt war, die im 34. ägyptischen Jahr des Augustus, d. h. 4 / 5 n. Chr., erstellt worden war [PSI V 457], Andere Personensteuern trafen sozioprofessionelle Gruppen, wie die H a n d werker, insbesondere die Weber [Wipszycka 103], und konfessionelle G e m e i n schaften, wie die Juden. N a c h der Zerstörung des Tempels von Jerusalem 70 n. Chr. hatte Vespasian die traditionelle Tempelsteuer von einem halben Schekel in eine Abgabe zugunsten des Kultes von Iuppiter Capitolinus, dessen Heiligt u m 69 ein Brand verwüstet hatte, verwandelt (Iudaikon telesma, denarii duo Iudaeorum). Seit Domitian sammelte eine spezielle Kasse, der fiscus Iudaicus, diese Steuer. O b w o h l diese Abgabe alle J u d e n im R e i c h traf, ist sie direkt nur in Ägypten durch zahlreiche Ostraka belegt. Es gab auch Personensteuern, die auf d e m Prinzip der kollektiven Verantwortung basierten. Die Nachbarn von Flüchtigen u n d Mittellosen m u ß t e n unter sich die steuerlichen Verpflichtungen aufteilen, u m die Lücken zu schließen, die Steuerpflichtige, die auf der Flucht vor der Steuer in die W ü s t e — oder nach Alexandria — (merismos anakechorekoton) verschwunden waren, oder die in völliger A r m u t nicht m e h r zahlungsfähig w a ren (merismos aporon), hinterlassen hatten. Zoll und Transitsteuern auf Güter sowie Wegegelder für Mensch und Tier w u r d e n an vielen Stellen erhoben, an den Grenzen des Landes, an den N o r d und Südgrenzen der Epistrategien, beim Betreten und Verlassen von Oasen.
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Zahlreiche Quittungen, die uns auf Papyri gehalten geblieben sind, haben eine detaillierte Analyse des Zollsystems des griechischen und römischen Ägypten und seiner sozialen Bedeutung ermöglicht [Sijpesteijn 110], Ein wichtiges epigraphisches Zeugnis hat uns die Liste der Gebühren erhalten, die dem Alabarchen für die Durchreise von Koptos zu entrichten waren. Sie wurde von dem Präfekten M . Mettius R u f u s am 10. Mai 90 erlassen und läßt uns den U m f a n g des Verkehrs innerhalb der östlichen Wüste einschätzen, die ein bedeutender Handelsweg zwischen dem R e i c h und Indien war [A. Bernand, I. Portes, Nr. 67], 10. 4. 3. 2 Liturgien Schon im lagidischen Ägypten hatte man den Bauern der Chora Frondienste auferlegt u n d die Städter zu Pflichtdiensten (Liturgien) herangezogen, die sie gemäß den Traditionen der griechischen Stadtstaaten aufgrund ihres Vermögens ü b e r n e h m e n mußten. Dieses System erfuhr in der H o h e n Kaiserzeit eine b e trächtliche Ausweitung. Mehrere Posten, die vormals freiwillig ü b e r n o m m e n worden waren, verwandelten sich in Liturgien (lat. muñera). Die Zuweisungen erfolgten gewöhnlich im Losverfahren auf ein bis drei Jahre. Grundlage waren die von den örtlichen Autoritäten gemäß dem poros erstellten Listen, d. h. gemäß des Minimalvermögens, das für die A n n a h m e einer Bürde notwendig war und das j e nach Art der Bürde variierte. Im 2. Jh. wurden so gut wie alle administrativen Aufgaben von der Steuereintreibung bis hin zur Aufrechterhaltung der O r d n u n g durch Liturgien versehen [Lewis 108; Sijpesteijn 77], Dazu traten körperliche Frondienste wie der penthemeros (Fron von fünf Tagen) für Terrassierungsarbeiten u n d den Erhalt der Bewässerungsanlagen, die für die ägyptische Landwirtschaft unerläßlich waren. Befreiungen (apolysis, excusatio u. a.) gab es für bestimmte Personenkategorien, so als erbliches Privileg (römische Bürger, Alexandriner, Arsinoiten), als Belohnung für Dienste am Staat oder an der Gemeinschaft (Veteranen, R e d n e r , Priester, Ärzte, Sieger in den athletischen Wettkämpfen, bestimmte H a n d w e r ker, Väter von fünf Kindern) oder aufgrund von körperlicher bzw. materieller Unfähigkeit (Mittellose, Frauen, Greise, Kranke). M a n konnte einer Liturgie entgehen, indem man die Güter aufgab, deren Besitz die Zuweisung gerechtfertigt hatte (cessio bonorum). Auch war es möglich, sich auf die Mißbräuchlichkeit der Zuteilung zu berufen. Das römische R e c h t kannte nur ein einziges Hilfsmittel gegen Bestimmungen zu honores und muñera; die Appellation (appellatio) mit aufschiebender W i r k u n g bis zur endgültigen Entscheidung [Dig. 49. 4. 1. 2], In Ägypten trat die appellatio erst im 3. Jh. auf und spielte nur eine marginale Rolle. Im allgemeinen führten Zuweisungen, die von den dafür Bestimmten für mißbräuchlich oder illegal gehalten wurden, zu Eingaben an die höchsten Beamten, mit denen die sofortige Entlastung des Liturgen erreicht werden sollte, und nicht bloß ein Aufschub bis zur Klärung im Prozeß [Rupprecht 109]. Die Praxis in der Provinz entfernt sich hier vom Schema, das sich aus den offiziellen juristischen Quellen ergibt.
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10. 4. 3. 3 Geldumlauf W i e so viele andere lokale Institutionen überlebte die ptolemäische M ü n z p r ä gung die Eroberung durch R o m . Als diese erfolgte, entsprach der Wert eines Tetradrachmon dem eines römischen Denars, u n d damit war die Drachme das Äquivalent des Sesterz. Allerdings war diese Parität rein nominell, denn einerseits durfte das ptolemäische Geld das Land niòht verlassen u n d andererseits war der Umlauf des Denars in Ägypten verboten. Fremde, die in Alexandria eintrafen, m u ß t e n ihre Denare in lokale M ü n z e n umtauschen, die auch für die Besold u n g der in Ägypten stationierten Truppen benutzt wurden. Ab dem siebten Herrschaftsjahr des Tiberius, 2 0 / 2 1 η. Chr., begann die Münzstätte von Alexandria mit der Prägung von Münzen, die aus der Schmelze von Denaren u n d einem variablen Zusatz von Kupfer bestanden. U n t e r Caligula w u r d e die Münzstätte geschlossen, u m unter Claudius die Prägung von Tetradrachmon u n d Scheidegeld wieder aufzunehmen. D e r Feingehalt des Tetradrachmons n a h m nach u n d nach ab, während die Denare stabil blieben. Im weiteren Verlauf erlebte das Verhältnis Denar - Tetradrachmon Fluktuationen in beiden R i c h t u n g e n , bis schließlich die Inflation des 3. Jh.s die Provinzialprägung genauso entwertete wie den Denar. D e r Denar blieb die Recheneinheit für die Steuer. U m die Staatskasse vor Geldwertschwankungen zu schützen, hatte man seit Augustus ein Ausgleichssystem installiert. Die Steuer w u r d e in der lokalen W ä h r u n g entrichtet, aber bei der U m r e c h n u n g des Tetradrachmons in den Denar schlug man ein Agio auf. W ä h r e n d also die D r a c h m e stets sechs O b o l e n hatte, war der Denar nicht etwa 24, sondern 28 oder 29 O b o l e n wert. In privaten Abrechnungen ersetzte der Tetradrachmon zu 28-29 O b o l e n den Tetradrachmon zu 24 Obolen. Bei der Bezahlung der Steuern addierte man einen Pflichtaufschlag von 6,25% zu d e m fälligen Betrag. Eigentlich als Wechselprämie zugunsten des Denars gedacht, wurde dieses Agio (prosdiagraphomena) rasch zu einer Art Zusatzsteuer [Gara 107]. Das Bronzegeld verschlechterte sich seit Marc Aurel und verschwand in den Jahren nach Caracallas Tod. Als Ersatz w u r d e seit der Mitte des 2. Jh.s ein meist anonymes Scheidegeld aus Blei in lokalen Werkstätten geprägt. Es scheint ein Rechengeld gewesen zu sein, das keinen allgemeinen Umlauf kannte und nicht akzeptiert werden mußte.
10. 5 Integration und Widerstand 10. 5. 1 Die römisch-alexandrinischen Auseinandersetzungen O b e n w u r d e bereits auf das Problem des Rates (bule) von Alexandria hingewiesen, der das Hauptopfer der „dreifach antisenatorischen Aktion" gewesen war, die Octavians Verzeihung für die Alexandriner nach Antonius' und Cleopatras Niederlage begleitet hatte. Die Frage nach der E r n e u e r u n g der bule befindet sich
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im Z e n t r u m der römisch-alexandrinischen Auseinandersetzungen in der H o h e n Kaiserzeit. Dies zeigen einige offizielle D o k u m e n t e , so der Brief des Claudius an die Alexandriner [P. Lond. V 1212, von 41 n. Chr.], aber auch die Papyri der halbdokumentarischen, halbliterarischen Sammlung, die wir als die „Akten der Alexandriner" (Acta Alexandrinorum) oder auch die „Akten der heidnischen Märtyrer" kennen [Musurillo 114]. Trotz ihrer literarischen Ausarbeitung, die zu Vorsicht bei ihrem Studium mahnt, sind diese D o k u m e n t e eine höchst wertvolle Quelle für das Kräftespiel zwischen kaiserlicher Zentralmacht u n d einer provinzialen Elite, die ihre R e c h t e verteidigt. Sie gewähren uns Einblick in die Sicht der Besiegten, was in der Alten Geschichte außerordentlich selten ist. Cassius Dios Formulierung [51. 17. 2] fur Augustus' Bestimmungen hinsichtlich der bule von Alexandria ist unpräzis: Was soll „sich regieren ohne Ratsherren" genau bedeuten? Die Analyse der verfügbaren Quellen läßt vermuten, daß Augustus sich damit begnügt hat, die periodische Ergänzung der Buleuten zu untersagen. So war die bule dazu verdammt, durch allmähliches Aussterben zu verschwinden. Die Alexandriner u n t e r n a h m e n natürlich alles, u m diese Katastrophe zu verhindern. Eine Gesandtschaft, an der anscheinend das letzte noch lebende führende Mitglied der bule teilnahm, versuchte u m 2 0 / 1 9 v. Chr., A u gustus doch noch von seiner Entscheidung abzubringen [PSI X 1160, der „Bule-Papyrus"]. M a n betonte die Vorteile, die die kaiserliche Autorität aus einem existenten alexandrinischen R a t ziehen könne, und zwar hinsichtlich der Interessen der Staatskasse, der Kontrolle der Bevölkerung u n d der Beziehungen mit R o m . Augustus sagte zu, das Problem anläßlich seines nächsten Besuchs in Alexandria zu regeln. D o c h dieser fand nie statt. N o c h zweimal w u r d e man vorstellig, 1 0 / 9 v. Chr. in Gallien [P. Oxy. XLII 3020] und 13 n. Chr. in R o m , kurz vor dem Tod des Kaisers [P. Oxy. X X V 2435 verso]. An Tiberius gingen keine Gesandtschaften, aber sein Adoptivsohn Germanicus wird während seines Alexandria-Besuchs 19 n. Chr. gewiß mit den Forderungen nach Wiederherstellung der bule konfrontiert worden sein [P. Oxy. X X V 2435 recto]. U n t e r Caligula ging eine Gesandtschaft alexandrinischer G e ronten [P. Yale II 107] nach R o m , vermutlich vor deijenigen der alexandrinischen Juden, die wir aus Philon [legatio ad Gaium] kennen. U n t e r Claudius gab der Ende April 41 durch den Gymnasiarchen Isidoros, Sohn des Dionysios, gegen den jüdischen König Agrippa I. eingeleitete Prozeß den Alexandrinern G e legenheit, dem Kaiser einige Lektionen über die Art und Weise der R e g i e r u n g des Reiches zu erteilen; er endete mit dem Todesurteil für den Ankläger u n d seinen K u m p a n Lampón [CPJud II 156 a-c; P. Oxy. XLII 302; Mélèze M o d r z e jewski 112]. Im N o v e m b e r desselben Jahres 41 vermied Claudius in seinem Brief an die Alexandriner [P. Lond. VI 1912] eine direkte Antwort auf die alexandrinische Forderung u n d gab das Problem zur U b e r p r ü f u n g lieber an den Präfekten von Ägypten, Aemilius Rectus, weiter. Es ist kaum wahrscheinlich, daß dieser dann wirklich etwas unternahm. U n t e r Traian begann der Dialog wieder. Gleich nach seiner Thronbesteigung 98 n. Chr. richtete er ein Schreiben an die Alexandriner [P. Oxy. XLII 3022],
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in dem er sie seinem „Freund" C . Pompeius Planta anempfahl, dem Präfekten Ägyptens zwischen September 9 8 und Februar 100, den wir aus der Korrespondenz Traians mit Plinius kennen. D e r Präfekt solle über den Frieden, die Verpflegung der Stadt und die Einhaltung der Kollektiv- und Individualrechte wachen. Die Forderungen bezüglich der bule scheinen wiederum auf die griechischen Kaienden verschoben worden zu sein. Dann haben wir es wiederum mit zwei alexandrinischen Gesandtschaften zu tun, die eine griechisch, die andere jüdisch. Leiter der griechischen Gesandtschaft war ein gewisser Hermaiskos, gleichsam ein zweiter Gymnasiarch Isidoros, der das Vorbild für alle „heidnischen Märtyrer Alexandrias" wurde [P. Oxy. X 1242 = CPJud II 157], Ein Wunder des Sarapis, von dem eine Büste die Alexandriner begleitet hatte, unterbrach den Prozeß. Sein Ausgang scheint gleichwohl fatal für Hermaiskos gewesen zu sein, wie dies schon seinem Vorgänger unter Claudius widerfahren war [Mélèze Modrzejewski 113]. Dagegen blieb das Wunder, das die bule zurückgebracht hätte, aus. Die Alexandriner mußten auf Septimius Severus und seine R e f o r m e n warten, die alle Nomenhauptorte mit einem städtischen R a t ausstatteten. Ein geringer Erfolg nach einem so langen Kampf. Wenigstens wurden Mut und Opferwillen der Alexandriner nicht vergessen. Unter den Severern wurden die verschiedenen Teile der Acta Alexandrinorum zu einer Art Saga verbunden, die vom Lob der Männer handelte, die es zum R u h m e ihrer Stadt und um den Preis ihres Lebens wagten, die kaiserliche Macht herauszufordern. Die PapyrusFragmente dieses Werks, die durch ältere (1. Jh.), isolierte Texte ergänzt werden, geben uns heute Einblick in die ideologische Welt der römisch-alexandrinischen und jüdisch-heidnischen Auseinandersetzungen in den beiden ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit.
10. 5. 2 Reichsrecht und Volksrecht D i e Entwicklung des Rechts, die ausfuhrlich durch die Papyri illustriert wird, bietet ein weiteres Beispiel für die dynamischen Beziehungen zwischen der kaiserlichen Zentralmacht und den lokalen Traditionen. Die Diskussion zwischen den Juristen, die Ludwig Mitteis [122] mit seinem Werk über „Reichsrecht" und „Volksrecht" (d. h. lokales R e c h t ) in den Provinzen des hellenisierten Orients lostrat, ist insofern von nicht geringem Interesse für die Historiker. Die Auseinandersetzung betrifft einerseits die Bezeichnungen, die man den griechischen und ägyptischen Rechtsregeln und -praktiken geben muß, wie sie sich in unseren Quellen nach der römischen Eroberung widerspiegeln; andererseits (und hier ist der Disput nach wie vor recht lebhaft) will man wissen, ob und wie die allgemeine Vergabe des römischen Bürgerrechts durch Caracalla 2 1 2 n. Chr. Modifikationen für das lokale R e c h t mit sich brachte. Das R e c h t des ptolemäischen Ägypten hat die römische Eroberung in Form lokaler Bräuche (mos regionis, consuetude loci) überlebt. Dazu gehören bestimmte königliche Gesetze, die noch in der Hohen Kaiserzeit zitiert werden, die juristi-
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sehen Traditionen der griechischsprachigen Bevölkerung (ein gemeinsames griechisches Recht, die .juristische Koine") und die der autochthonen Bevölkerung (nomoi tes choras, das „Recht des Landes") [Mélèze Modrzejewski 119]. Die R ö m e r haben sie nicht kodifiziert. Das „städtische R e c h t " (nomoi astikoî), das im Urteil eines Präfekten auf einem Oxyrhyncher Papyrus des 2. Jh.s erwähnt wird [P. Oxy. IV 706], war mit Sicherheit kein „Rechtskodex", der von den R ö m e r n für die Bürger Alexandrias oder Ptolemais' oder Naukratis' geschaffen worden wäre [Taubenschlag 126], Der Ausdruck verweist auf das römische R e c h t selbst: Da es keine lokale Regelung gab, die die ihm vorgelegte Streitfrage hätte lösen können, wandte der ägyptische Präfekt das Recht R o m s an, das gemäß dem Prinzip des Juristen Iulian [dig. 1. 3. 32 pr.] als Richtschnur für die lokalen Rechte diente. Eine weitere Kodifikation, diesmal für die Bevölkerung der Chora, wurde von einigen Historikern in der Nachfolge Th. Mommsens vermutet. Anlaß dazu gab eine Gruppe von Papyri aus dem 2. Jh., in denen von einem „Gesetz der Ägypter", nomos ton Aigyption, die R e d e ist. Nach Mommsen solle dieser Begriff ein Gesetzbuch bezeichnen, das für die Peregrinen Ägyptens gegolten habe. Tatsächlich handelt es sich um einen Terminus, den die römischen Richter gebrauchten, wenn sie von dem in der alltäglichen Praxis gebrauchten Recht sprachen, ohne daß wir deswegen die Existenz eines „Gesetzbuchs" vermuten dürften. Übrigens ist an diesem „Gesetz der Ägypter" nur der Name ägyptisch: Die damit bezeichneten Rechtsregeln gehören nämlich in die griechische Tradition. Die fraglichen „Ägypter" sind die Peregrinen Ägyptens ohne das Bürgerrecht einer der griechischen Poleis [Mélèze Modrzejewski 120, Nr. IX]. Das „Gesetz der Ägypter" war zwar kein Gesetzbuch, aber es hat sich uns mehrfach in Form von Sammlungen erhalten, die lokale Rechtsexperten letztendlich auf der Grundlage der lagidischen Gesetzgebung und der der griechischen Städte Ägyptens erstellt haben. Man darf dieses „Gesetz der Ägypter" nicht mit dem eigentlichen ägyptischen Recht verwechseln, dem „Gesetz des Landes" (nomos tes choras). Seit der Perserherrschaft war ein Teil dieses Rechts in demotischem Ägyptisch gesammelt worden. Wir besitzen heute mehrere Exemplare solcher Sammlungen (v. a. das in Hermopolis Magna gefundene, das man unpräzis „Kodex von Hermopolis" nennt), von denen im 3. Jh. v. Chr. eine griechische Ubersetzung angefertigt wurde. Diese Ubersetzung überstand die römische Eroberung und wurde in der Antoninenzeit kopiert [P. Oxy. XLVI 3285]. Wahrscheinlich konnten ihre Bestimmungen einen provinzialen Richter über den Stand des faktisch von den eingeborenen Ägyptern praktizierten Rechts belehren und letztendlich seine Entscheidung beeinflussen. Aber sie besaßen bei der Rechtspflege nicht die Bedeutung von gesetzlichen Regelungen. Wie die juristischen Traditionen der griechischsprachigen Bevölkerung galten sie in den Augen des römischen Richters lediglich als lokal gültige Gebräuche. Das Verhalten der provinzialen Autoritäten gegenüber diesen Gebräuchen hing von dem fundamentalen Unterschied ab, der für die R ö m e r zwischen der Stadt (civitas), die allein eines eigenen Rechtes würdig war, und dem Land, das
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zu einem a u t o n o m e n juristischen Leben unfähig war, bestand. So hatte ein p t o lemäisches Gesetz über die Privilegien einer griechischen Stadt alle Chancen, von den römischen Autoritäten anerkannt und bestätigt zu werden, nicht weil ein jetzt toter König es erlassen hatte, sondern weil es in den R a h m e n der Stadt gehörte. D e r Präfekt Vergilius Capito, der Idios Logos Lysimachos u n d der stellvertretende Hohepriester (antarchiereus) Ulpius Serenianus waren sich völlig einig, ein vor langer Zeit der Stadt Ptolemais verliehenes Privileg anzuerkennen, nämlich durch Dekret die N e o k o r e n im Soter-Tempel von Koptos zu bestimm e n und den Gewinn daraus zu ziehen [P. Fouad inv. nr. 211 = SB VI 9016, von 160 n. Chr.]. Dagegen beeindruckte in der Chora ein königliches diagramma, auf das sich ein Peregrine in Zusammenhang mit einem illegalen Bau auf seinem Terrain bezog, den römischen R i c h t e r nicht sonderlich. Außerhalb des städtischen R a h m e n s war der königliche Ursprung einer Rechtsregel ohne Belang [P. Tebt. I 488, von 1 2 1 / 1 2 2 n. Chr.], W i r dürfen uns j e d o c h nicht allzu große Illusionen über die reale legislatorische A u t o n o m i e der Städte Ägyptens machen. Das Uberleben der städtischen Gesetze ist an sich nicht zu bezweifeln. Die „ R e z e p t i o n " der Gesetze von N a u kratis, die Hadrian ja nach Antinoopolis verpflanzte, beweist ihre Fortexistenz bis ins 2. Jh. des Reiches. Dasselbe belegen unsere Quellen für die Gesetze von Alexandria. Aber neue Gesetze, die für die Bürger der Städte Ägyptens erlassen wurden, kamen von den römischen Kaisern, denn die Organe der Polis waren nicht mehr in der Lage, Gesetze zu erlassen. Das Ende der legislativen Aktivität ging einher mit d e m Erlöschen der a u t o n o m e n Rechtsprechung. Letztendlich unterschied sich also die Situation in den Städten nicht besonders von der in der Chora. Das römische R e c h t erscheint in unseren D o k u m e n t e n in zwei Formen: als ein „Reichsrecht", ein gemeinsames römisches R e c h t für alle Bürger R o m s , u n d als ein „Provinzialrecht", das von den Kaisern und den Präfekten eigens für Ägypten geschaffen wurde. Die augusteischen Ehegesetze, deren A n w e n d u n g in Ägypten umfassend durch den G n o m o n des Idios Logos u n d durch Privilegien, die M ü t t e r n von drei Kindern zuerkannt wurden (ius librorum), belegt ist, sind ein Beispiel für Reichsrecht. Kaiserkonstitutionen (im wesentlichen R e skripte) und Präfektenedikte, die sich auf Papyri oder Inschriften erhalten haben, bilden das Provinzialrecht. Beim Reichsrecht liefern uns die ägyptischen Papyri im Gegensatz zu den offiziellen Sammlungen der Kaiserkonstitutionen wie C o d e x Theodosianus und C o d e x Iustinianus komplette Texte, denen oft lange Präambeln vorausgehen, die für den Historiker von nicht geringem Interesse sind. Sieht man von wenigen lateinischen D o k u m e n t e n ab (z. B. dem Edikt über die Fristen von Appellationen an den Kaiser [Lois des R o m a i n s VIII/17]), sind uns diese Texte in der griechischen Ubersetzung überliefert, die in der Abteilung ab epistulis Graecis der kaierlichen Kanzlei oder in Alexandria in der Behörde der Präfektur von Ägypten verfertigt wurde.
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M a n braucht die Bedeutung der papyrologischen Quellen fur unsere Kenntnis u m die kaiserliche Gesetzgebung nicht eigens zu betonen. Ein so wichtiger Erlaß wie das Edikt Caracallas, durch das das römische Bürgerrecht allgemein verliehen w u r d e u n d das lange Zeit nur durch Bezugnahmen in wenigen juristischen u n d literarischen Texten bekannt war, ist uns allein durch den Papyrus Glessen 40 col. I (wenn auch in erbärmlichem Zustand) direkt bekannt. Von Hadrian findet sich ein einziges Edikt im C o d e x Iustinianus [Cod. Iust. 6. 23. 1, ohne Datierung] - die Papyri dagegen haben uns ein gutes Dutzend geliefert. W ä h r e n d sein Edikt, das den ägyptischen Ackerbauern Zahlungsaufschub fur Rückstände der Grundrente gewährte [Lois des R o m a i n s VIII/14, von 136 n. Chr.], nur von lokaler Bedeutung ist, spiegelt sein Schreiben an den ägyptischen Präfekten Q . R a m m i u s Martialis über die Erbrechte von Soldatenkindern [Lois des R o m a i n s VIII/12, von 119 n. Chr.], das offiziell den juristischen Wert von kognatischer Verwandtschaft anerkennt, eine Entwicklung des römischen Rechts wider, die für das ganze R e i c h von Bedeutung ist. Die Erforschung papyrologischer D o k u m e n t e ermöglicht es ferner, Kaisergesetze ans Licht zu bringen, für die wir weder den Text besitzen noch explizite Verweise auf diesen Text, aber deren Existenz durch ihre Auswirkungen klar faßbar wird. Dazu zwei bedeutsame Beispiele: das Dekret Hadrians, in dem er nach dem Scheitern des jüdischen Aufstandes von 115-117 die Rebellen aburteilt u n d die Einziehung ihrer Güter anordnet [Mélèze Modrzejewski 141] und das Gesetz Caracallas, in dem er die vor 212 geschlossenen endogamen E h e n von Provinzialen schützt, welche auch nach diesem D a t u m ausnahmsweise legitim bleiben [P. Oxy. XLIII 3096, von 2 2 3 / 4 n. Chr.], D e m Präfekten von Ägypten erlaubte sein Imperium, durch die Promulgierung von Edikten gesetzgeberisch tätig zu werden (ius edicendi). Für den B e trachtungszeitraum sind rund fünfzig Edikte durch Papyri u n d Inschriften b e kannt [Purpura 123]. Z u den ganz oder teilweise erhaltenen Texten treten zahlreiche Verweise oder indirekte Anspielungen, Briefe u n d Rundschreiben, Gerichtsurteile sowie Antworten auf Eingaben u n d Beschwerden [Bureth 47]. Im Unterschied z u m „Edikt des Prätors" in R o m [Bd. I, S. 84f.], dessen Gültigkeit von der Amtsdauer seines Verfassers abhing, galten die Edikte der Präfekten unbegrenzt, wie das schon unter bei den Gesetzen u n d Verordnungen der Lagiden der Fall gewesen war. Aber eher als eine ptolemäische Kontiunität wird man hier ein Element des augusteischen Statuts sehen, d. h. daß Augustus dem praefectus Aegypti wohl das R e c h t verliehen hat, in Ägypten Gesetze zu erlassen. Einige Gelehrte glaubten, daß der ägyptische Präfekt neben den Edikten, die er nach Lage der Umstände erließ u n d die unbegrenzt galten, zum Zeitpunkt seines Amtsantritts auch ein Justizedikt (edictum provinciale) erlassen habe, das dem Edikt des Prätors in R o m entsprochen hätte. Aber diese Hypothese hält der U b e r p r ü f u n g gegen die Quellen nicht stand. D e n n diese zeigen, daß die ägyptischen Präfekten z u m N u t z e n der in Ägypten ansässigen römischen Bürger die A n w e n d u n g der durch das prätorische Edikt begründeten Institutionen effektiv absicherten, so die bonorum possessio, die prätorische Schöpfung schlecht-
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hin im Bereich des Erbrechts, die nur mit Bezugnahme auf das Edikt funktionieren konnte. Dagegen ist die Vorstellung eines vollständigen und regelmäßigen Justizedikts, das durch das Adjektiv katholikos, „universal" [Purpura] qualifiziert worden sei, verfehlt. Dieses Epitheton fügt sich zu kaiserlichen Edikten, die Verordnungen allgemeiner N a t u r waren und alle betrafen, aber es genügt nicht zur Bestätigung der Hypothese eines provinzialen Justizedikts, das man dem ägyptischen Präfekten zuschreiben könnte [Katzoff 118]. Die Präfektenedikte, die Quelle schlechthin für die provinziale Gesetzgebung im römischen Ägypten, k ö n n e n sich auf sehr unterschiedliche Gebiete beziehen. Sie k ö n n e n einen einzelnen rechtlichen oder verfahrenstechnischen Punkt klären, die Publikation eines Textes aus der kaiserlichen Kanzlei anordnen oder ein politisches Ereignis ankündigen, wie das Edikt des L. Aemilius Rectus, der den Brief des Claudius an die Alexandriner publizierte [P. Lond VI 1912, col. I], das Edikt des L. Lusius Geta, das die Thronbesteigung Neros im Jahr 54 b e kannt machte [P. Oxy. VII 1021] oder das des L. Baebius Iuncinus, in dem die damnatio memoriae Getas verkündet wurde, die der Senat nach dessen E r m o r dung Anfang 212 beschlossen hatte [ B G U X I 2056]. Bestimmte T h e m e n b e gegnen ständig: Bekämpfung der Ubergriffe von Beamten; Pflichtdienste (Liturgien), zu denen die Einwohner herangezogen wurden; Befreiungen für b e stimmte G r u p p e n (vor allem Priester); Evidenthaltung der privaten Vermögensverhältnisse und Sicherheit von Vertragsabschlüssen. Ein Beispiel ist das Edikt des M . Sempronius Liberalis v o m 29. August 154 n. Chr. [ B G U II 372; W. Chr. 19], in d e m M a ß n a h m e n proklamiert werden, durch die der Flucht (anachoresis) der Ackerbauern abgeholfen werden sollte [Strassi Zaccaria 125], Die zweifache Tendenz dieser provinzialen Gesetzgebung m u ß betont w e r den. In bestimmten Fällen ist sie unbestreitbar ein Faktor der Romanisierung, mehrere Regelungen im G n o m o n des Idios Logos k ö n n e n in diesem Sinne zitiert werden. In anderen Fällen dagegen akzeptiert sie Lösungen aus der lokalen Erfahrung, sie erhebt damit den peregrinen Usus in den R a n g einer offiziellen Institution. Das Edikt des ägyptischen Präfekten C. Avidius Heliodorus (137-142) [P. Oxy. XLI 2954] kann als Beispiel für die „hellemsierende" Tendenz des provinzialen Rechts zitiert werden [Herrmann 117]. Darin geht es u m das gemeinsame Eigentum an Immobilien, o h n e sich u m die Unterscheidung zu k ü m m e r n , die zwischen d e m Miteigentum nach Bruchteilen {pro indiviso) oder nach vertikalen Teilen {pro diviso) gemäß dem römischen R e c h t und dem gemeinsamen Eigentum nach horizontalen Teilen besteht, „etagenweise", das weithin in Ägypten praktiziert wurde, aber dem das Prinzip entgegensteht, nach d e m ein Bau d e m Grundeigentümer gehört {superficies soli cedit). Falls ein Teil verkauft wurde, war es den Miteigentümern u n d den Nachbarn erlaubt, innerhalb eines bestimmten Zeitraums zurückzutreten oder ein Vorkaufsrecht wahrzunehmen, das der Verkäufer unter A n d r o h u n g schwerer Strafe (Einziehung des Verkaufspreises, unbeschadet der Möglichkeit weiterer Strafen) respektieren mußte. Die offizielle Akzeptanz eines solchen Vorrechts zugunsten von N a c h -
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barn und Miteigentümern war in R o m unbekannt; sie bestätigt die hellenistische Praxis u n d kündigt ähnliche Rechtsbräuche in Byzanz (protimesis) u n d im mittelalterlichen Okzident (Vorkaufsrecht zugunsten der Nachbarn) an.
10. 5. 3 Caracallas Edikt und seine Auswirkungen Als Caracalla nach der E r m o r d u n g seines Bruders Geta im Februar 212 zum Alleinherrscher wurde, verlieh er allen freien B e w o h n e r n des Reichs das römische Bürgerrecht, sofern sie es noch nicht hatten. Ausgeschlossen blieben die „Deditizier", womit hier anscheinend Rebellen und besiegte Feinde R o m s gemeint sind. M a n darf wohl als gesichert annehmen, daß der Papyrus Glessen 40, col. I tatsächlich die griechische Ubersetzung des Edikts enthält, die diesen Erlaß p u blik machte (constitutio Antoniniana de civitate), u n d nicht eine Absichtserklärung, einen Zusatz oder irgendeine mysteriöse Wohltat ohne Beziehung zum Bürgerrecht [Buraselis 129; Mélèze Modrzejewski 130], Eine Schutzklausel [Z. 8: menontos...] proklamierte die Aufrechterhaltung eines Aspekts des alten Status der ehemaligen Peregrinen, die so zu römischen Bürgern wurden. Es handelt sich sicherlich u m ihre liturgischen u n d steuerlichen Pflichten, u n d nicht u m ihre ererbten Gesetze und Gebräuche. D e r Aufstieg der Provinzialen in den R a n g römischer Bürger durfte nicht das finanzielle Gleichgewicht des Reiches zerstören, das von der Inanspruchnahme der lokalen Gemeinwesen lebte. Die N e u bürger m u ß t e n weiterhin im R a h m e n ihrer Ursprungsgemeinden ihre Steuern bezahlen u n d ihre liturgischen Pflichten erfüllen. In dieser Hinsicht fugt sich Caracallas Edikt in eine Kette von Bürgerrechtsverleihungen von Octavian bis zu den Severern, deren letztes Glied es ist. Diese Verleihungen proklamieren das Prinzip, wonach der politische Status eines B ü r gers (civitas) von seinem steuerlichen Status (immunitas) zu trennen ist, u n d zeigen damit, daß man R ö m e r werden konnte, ohne von den finanziellen Lasten befreit zu werden, die man als Peregrine tragen mußte. Man kann dies genausogut bei den Edikten von Augustus von 7 / 6 v. Chr., die man in Kyrene fand [Lois des R o m a i n s VIII/2], erkennen, wie bei der „Tafel von Banasa", in der es u m die Verleihung des Bürgerrechts zwischen 168 und 177 an eine Familie von Berbernotablen geht, ein berühmtes D o k u m e n t , das schon oft kommentiert wurde [Inscr. antiques du Maroc II 95; die Edition Lois des R o m a i n s V I I I / 1 6 ist unbrauchbar]. Das römische Bürgerrecht wird unter der Voraussetzung verliehen, daß die R e c h t e des ursprünglichen Gemeinwesens (salvo iure gentis, „ u n ter Vorbehalt des Rechts des Stammes") unberüht bleiben, insofern der N e u bürger weiterhin seine finanziellen Pflichten R o m gegenüber erfüllen m u ß (sine diminutione tributorum et vectigalium populi et fìsci, „ o h n e Verringerung der Steuern und Abgaben, die römischem Volk und kaiserlichem Fiskus geschuldet w e r den"). Die ägyptischen Quellen bestätigen diese Ergebnisse voll u n d ganz. Es steht absolut fest, selbst w e n n schlecht informierte Autoren noch i m m e r das Gegenteil behaupten [z. B. M . Tardieu, L'Histoire 200 (1995), S. 79 A n m . 1], daß die
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Masse der ägyptischen Peregrinen ohne Steuerprivilegien genauso von der allgemeinen Vergabe des römischen Bürgerrechts profitierte wie die Bürger der vier griechischen Städte und die Notablen der Metropolen. Das hat sie aber nicht von den steuerlichen Pflichten befreit, die sie bis dahin hatten. Im Januar 248 n. Chr., 36 Jahre nach Caracallas Edikt, beglich ein ägyptischer Steuerzahler im Fajjum immer noch die capitatio z u m vollen Satz von 40 Drachmen [P. L. Bat. X I X 14]. Die Honoratiorenstände besaßen nach wie vor ihre Steuerprivilegien. Der letzte vierzehnjährige Zensus fand 2 5 7 / 8 statt, im fünften ägyptischen Jahr von Valerian u n d Gallienus. Die palmyrenische Besetzung behinderte die folgende Zählung, die 2 7 1 / 2 stattfinden hätte müssen. Diocletians R e g i e rungsantritt bedeutete das endgültige Aus. Im Bürgerrecht zeigte sich das Ausmaß des römischen Universalismus: eine ökumenische civitas, die die Zugehörigkeit aller freier Menschen im R e i c h zu einer patria communis definierte, also eine einheitliche Definition des politischen Status, aber eine Verschiedenartigkeit im fiskalischen Status. Cassius D i o ist trotz seiner vehementen Parteilichkeit nicht weit von der Wahrheit entfernt, w e n n er die schäbigen, materiellen Motive von Caracallas Großzügigkeit anprangert [77. 9. 4-5]. Die Empfänger freuten sich gleichwohl über die Wohltat. Das Adjektiv „der Große" (megas, magnus), das für Caracalla ab 213 epigraphisch u n d papyrologisch belegt ist u n d ihn zu „Antoninus d e m G r o ß e n " machte, scheint er sich weniger durch seine militärischen Erfolge erworben zu haben als durch die B e geisterung, die die allgemeine Vergabe des Bürgerrechts in gewissen provinzialen Kreisen auslöste [Mastino 131]. Dieses Adjektiv unterscheidet Caracalla ferner von Elagabal, „Antoninus d e m Kleinen" [P. Oxy. XLVI 3299, 2 u n d X X X I 2551 verso I, 20], Die allgemeine Vergabe des Bürgerrechts von 212 führte zu keiner der beiden polaren Hypothesen, u m die die Juristen streiten: „ K a m p f ' zwischen den lokalen R e c h t e n , die gegenüber d e m römischen R e c h t zu illegalen Gebräuchen wurden, während das römische R e c h t allein offiziell gültig war für alle Bürger des Reiches [Mitteis, Arangio-Ruiz, Talamanca] oder aber das Fortleben eines völlig legalen Pluralismus, wobei der offene Widerspruch zwischen der u n b e dingten Gültigkeit des römischen Rechts und dem Fortleben der lokalen R e c h te durch das „doppelte Bürgerrecht" der ehemaligen Peregrinen zu erklären wäre, die zu römischen Bürgern wurden, ohne die Zugehörigkeit zu ihren ursprünglichen Gemeinwesen abzulegen [Schönbauer, Taubenschlag]. Die Frage, die sich stellt, ist nicht, ob die lokalen R e c h t e durch das M o n o p o l des römischen Rechts in den Schatten gestellt w u r d e n oder ob sie in einem System der gleichberechtigten Koexistenz widerstehen konnten; die Frage ist vielmehr, wie sie als provinzialrömische Gebräuche in den juristischen R a h m e n des Reiches integriert w u r d e n [Mélèze Modrzejewski 121; Spagnuolo Vigorita 124]. Die hierbei entstehenden praktischen Probleme w u r d e n auf verschiedene Art und Weise gelöst. Bestimmte lokale Institutionen waren aus römischer Sicht harmlos und unverdächtig. Sie beruhten auf Ideen, die dem römischen R e c h t fremd waren, o h n e j e d o c h seinen moralischen oder politischen Grundprinzi-
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pien zuwiderzulaufen. Man konnte sie problemlos durch einen formalen Kunstgriff den Erfordernissen des offiziellen Rechts anpassen und so sowohl die kaiserliche Autorität als auch die ihren alten Traditionen treuen Provinzialen zufrieden stellen. Ein Beispiel ist die Stipulation, die jeder beliebigen Vereinbarung die Geltung einer abstrakten verbalen Verpflichtung verlieh, die juristisch einklagbar war. Andere Institutionen ließen sich weniger leicht vereinnahmen. Manche wurden geächtet (z. B. Geschwisterehen), manche ihrer Substanz beraubt, so daß sie nur rein formell überlebten (z. B. die apokeryxis, die Aufgabe eines Kindes, die mit der römischen abdicado liberorum gleichgesetzt wurde). Man kennt aber auch Fälle, wo das Reichsrecht den lokalen Bräuchen wich und dieses als offizielles, reichsweites R e c h t triumphierte, wie wir das bei dem Edikt von Avidius Heliodorus gesehen haben.
10. 6 Heiden, Juden, Christen: Krieg und Frieden 10. 6. 1 Tempel, Priester, Kulte Nach Diodor von Sizilien befand sich ein Drittel des ägyptischen Grund und Bodens in der Hand der Priester, als die R ö m e r kamen. Das ist natürlich übertrieben, aber es paßt ganz gut zu dem, was man sonst über die Privilegien und Vorrechte weiß, die die letzten Lagiden dem ägyptischen Klerus zukommen ließen. Mit Augustus änderte sich das radikal. Das Tempelland wurde zugunsten des Staates eingezogen, und der Klerus verlor seine finanzielle Autonomie. Außer bei den höchsten Rängen der Hierarchie wurden seine Privilegien gemindert. Die Verpflichtungen der Priester und das Vermögen der Tempel wurden einer akribischen staatlichen Kontrolle unterworfen, deren Strenge aus mehreren Regelungen des Gnomon des Idios Logos [§71-97] klar wird. Jährlich mußten die Tempel den Stand ihres Personals und ihrer Güter, die man cheirismos, d. h. gotteigene Güter unter staatlicher Fürsorge nannte, deklarieren [Burkhalter 134]. Allein die priesterlichen Eliten erfuhren eine bevorzugte Behandlung, deren sichtbarste Auswirkungen die Befreiung von der Kopfsteuer (laographia) und die seit Hadrian erlaubte Beschneidung waren. Letztere war ansonsten untersagt, blieb aber in Ägypten unabdingbare Voraussetzung zur Ausübung kultischer Funktionen. Der ägyptische Klerus hatte den politischen Einfluß verloren, den er mitunter auf die Ptolemäer hatte ausüben können, und beschränkte sich in der Kaiserzeit auf seine Rolle als Hüter der religiösen Traditionen des alten Ägypten. Die Vitalität der ägyptischen Religion unter der römischen Herrschaft kann an den Baumaßnahmen für die großen Tempel abgelesen werden, wie z. B. bei dem monumentalen Ensemble von Philai, dessen schönster Bestandteil, der „Kiosk" (Ruhealtar), aus traianischer Zeit stammt. Auch lokale Heiligtümer profitierten. Die Verbreitung ägyptischer Kulte über das Reich, insbesondere derer von Sarapis und Isis, ist ein weiteres Indiz [Bakhoum 132a], Trotz der Ver-
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änderungen, die diese Kulte dabei erfuhren, u m sich an die lokalen Bedingungen anzupassen, blieben sie doch dauerhaft von ihren ägyptischen Ursprüngen geprägt [ D u n a n d / Z i v i e - C o c h e 137; MacMullen 138]. Die griechischen Götter, die nach Ägypten importiert worden waren, f ü h r ten eine friedliche Koexistenz mit den lokalen Gottheiten und w u r d e n mit ihnen identifiziert. Schon im 5. Jh. v. Chr. kannte H e r o d o t einige dieser Gleichsetzungen: Osiris u n d Dionysos [2. 42], H o r a s und Apollon [2. 156]. So w u r den auch A m o n zu Zeus, H a t h o r zu Aphrodite, Neith zu Athene, T h o t h zu Hermes, etc. Diese interpretatio Graeca konnte als „Frieden der R e l i g i o n e n " aufgefaßt werden [Bernand 133]. Sie bereitet den Historikern oft Schwierigkeiten. Ein griechischer Göttername in einem griechischen Papyrus, z. B. Aphrodite, kann eben diese Gottheit meinen, oder aber das ägyptische Äquivalent, hier H a thor. U m g e k e h r t konnte von ägyptischer Seite eine interpretatio Aegyptiaca die griechischen Gottheiten in Begriffe der nationalen Tradition umdeuten. So geschah es mit den Dioskuren (Castor u n d Pollux), den götdichen Zwillingen, die über die Seefahrer wachten und laut H e r o d o t o h n e ägyptisches Äquivalent waren [2. 50]. D o c h ihr Bild konnte dennoch von den Ägyptern als das zweier lokaler Götter gelesen werden, nämlich der Krokodilbrüder. Mitunter bildeten sie eine Troika, w e n n sich eine weibliche Person anschloß, wie man das auf einem R e liefsieht, das in den Fels, der den O r t Akoris überragt, geschnitten ist: die Dioskuren in Begleitung Helenas, aus der Sicht der Griechen (und der fast aller m o derner Betrachter), oder die Krokodilbrüder zusammen mit Isis, in den Augen der Ägypter. Diese Nachbarschaft von griechischen und ägyptischen Kulten führte zu ein e m Austausch zwischen beiden Traditionen. Die Ägypter haben sich anscheinend nicht sonderlich fur die von den neuen H e r r e n des Landes importierten Kulte interessiert. Ihr noch immer umfassendes und lebendiges religiöses U n i versum reichte ihnen voll und ganz. Freilich kam es zu Veränderungen in der traditionellen Göttervorstellung der Ägypter. Aber sie erfolgten eher innerhalb des nationalen R a h m e n s , der seiner eigenen Logik folgte, als daß man sie griechischem Einfluß zuschreiben könnte. Dagegen praktizierten die Griechen wie auch die R ö m e r bereitwillig die ägyptischen Kulte, deren Anziehungskraft groß u n d die Fremden offen zugänglich waren. Diese Kultausübung führte zu neuen Arten der Darstellung der lokalen Gottheiten zum Gebrauch der neuen Adepten. In der alexandrinischen Kunst (die Farnese-Schale) verwandelte sich der androgyne Nil in einen bärtigen, alten Mann, der sich auf einer Lage Schilf ausstreckt und ein Füllhorn in der H a n d hält. Ursprünglich die Verkörperung der Schöpfungskraft des Lebens, wird er zum Garant der Prosperität des Landes, das er durch seine jährliche Schwemme erst zum N u t z e n der griechischen, dann der römischen Herren fruchtbar macht. Diese fruchtbarmachende Kraft bringt auch seit dem 1. Jh. der Kaiserzeit eine neue Osiris-Darstellung, der „kanopische Osiris", zum Ausdruck: D e r Kopf des Gottes ragt aus einem Gefäß hervor,
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das ihm als Körper dient. Ein neues Isisbild löst sich vom traditionellen Modell, eine griechisch frisierte und bekleidete Frau, die sogar nackt (aber schmuckbehangen) dargestellt werden konnte. Die in ptolemäischer Zeit in Alexandria verfertigten Modelle verbreiteten sich unter den Römern in der Chora in einer „Volksform". Zahllose Terrakotta-Figuren machten im ganzen Land die neuen Darstellungen der ägyptischen Götter, insbesondere die der Isis, bekannt [Dunand 136]. Der Umfang des Phänomens läßt vermuten, daß es nicht nur die griechischen Milieus betraf. Die Griechen, die die ägyptische Isis übernommen hatten, setzten in Ägypten an ihre Stelle eine hellenisierte Isis: Isis-Tyche, Herrin über das Schicksal. Die Hohe Kaiserzeit war eine günstige Zeit für Sarapis, die Schutzgottheit der Alexandriner. Er schützte sie bei ihrem Widerstand gegen das Reich, und dies bis nach R o m [Hermaiskos-Akten]. Dieser Gott war das Produkt eines frühen Synkretismus. Er war vor der makedonischen Eroberung des Landes im Milieu der „Hellenomemphiten", der Griechen in Memphis, die Kontakt zur ägyptischen Kultur hatten, entstanden. In der Kaiserzeit erhielt Sarapis einen neuen Aspekt. Man rückte ihn in die Nähe von Zeus und Helios, und er wurde eine Sonnenmacht mit universaler Ausrichtung. Von seinen zahlreichen Heiligtümern war das von Alexandria im Viertel Rhakotis, dem alten ägyptischen Dorf, besonders berühmt. Dieser Tempel war in der Mitte des 3. Jh.s ν. Chr. errichtet worden und hütete mehr als sieben Jahrhunderte, bis zu seiner Schließung 391 n. Chr. durch den christlichen Kaiser Theodosius I., eine monumentale Statue der Gottheit, die eine griechische Uberlieferung dem berühmten Bildhauer Bryaxis zuschrieb, der auch am Mausoleum von Halikarnassos mitgewirkt hatte. Der für Ägypten typische Tierkult (Zoolatrie) stellte für die Griechen und mehr noch für die Römer ein Problem dar. Als Octavian im August 30 v. Chr. triumphal in Alexandria einzog, weigerte er sich, Apis zu sehen und erklärte, „er pflege, die Götter zu verehren, nicht das Vieh" [Cass. Dio 51. 16. 5]. Der Dichter Iuvenal, dessen Verachtung für die Ägypter (wie ζ. B. für Crispinus, einen ägyptischstämmigen Neureichen, der in R o m wohnte) wohl bekannt ist, machte sich lustig über „die Monster, die der verrückte Ägypter verehrt" [Satire 15]. Eine tiefe Kluft trennte die griechisch-römische Vorstellungswelt, die den Menschen zwischen Tier und Gott stellte, von der ägyptischen, bei der alle Lebensformen Göttliches in sich trugen [Dunand 135]. Gleichwohl konnten diese unterschiedlichen Ansichten über die Beziehungen zwischen dem Göttlichen, dem Tierischen und dem Menschlichen die friedliche Koexistenz der Polytheismen in Ägypten nicht beeinträchtigen. Die Ausbreitung des Christentums konnte diese Situation in der Chora nicht fühlbar beeinflussen. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Heiden und Christen beschränkten sich auf Alexandria. Die Christen Ägyptens führten die Grabbräuche ihrer heidnischen Ahnen fort. Sie fanden nichts dabei, ihre Toten zu mumifizieren und in deren Gräber Gegenstände zu stellen, die sie zu Lebzeiten benutzt hatten. Die Wunderheilung ist ein weiteres Beispiel für das
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Fortleben alter heidnischer Praktiken im christlichen Milieu. Die ägyptische Vorstellung vom Jenseits wurde in den Bilderschatz der neuen Religion übernommen: Die ägyptischen Götter bevölkerten ab jetzt die christliche Hölle. Selbst heute noch weisen die monophysitischen Kopten gerne auf ihre „spirituellen Wurzeln" im pharaonischen Ägypten hin.
10. 6. 2 Blüte und Untergang des ägyptischen Judentums Für die ägyptischen Juden war die Hohe Kaiserzeit gleichzeitig eine Epoche kultureller Blüte, was das exegetische Werk des Philosophen Philon glänzend illustriert, und eine Epoche des politischen Verfalls, die mit der Vernichtung der jüdischen Gemeinden Alexandrias und Ägyptens nach der Revolte von 115-117 endete [Mélèze Modrzejewski 140]. Das hohe Alter der jüdischen Niederlassung in Alexandria, die Flavius Josephus auf Alexander den Großen zurückfuhrt, ist seit dem Anfang des 3. Jh.s ν. Chr. durch die Grabinschriften der Nekropole von El-Ibrahimiyah belegt. Die dortigen onomastischen Gegebenheiten zeigen eine rasche und tiefgehende Integration der Juden in die Gesellschaft der griechischsprachigen Eroberer. Von Alexander bis Hadrian lebten die Juden in Alexandria und an den Ufern des Nils ihr Judentum innerhalb der griechischen Sprache und Kultur, ohne dabei den monotheistischen Prinzipien ihres ererbten Glaubens untreu zu werden. Fälle von Apostasie, wie Ti. Iulius Alexander, Philons Neffen, der dem Judentum abschwor, um in den Dienst des Reiches zu treten, sind die Ausnahme. Im 1. Jh. n. Chr. spricht der Philosoph Philon von einer Million Juden in Alexandria. Diese Zahl, das Doppelte der Gesamteinwohnerzahl der Stadt, ist natürlich völlig übertrieben. Neuere Arbeiten lassen eine Größenordnung von rund 180 000 Menschen vermuten, was ein Drittel der Einwohnerschaft ausmachen würde [Delia 67]. Unter Berücksichtigung der jüdischen Siedlungen in den Chora-Metropolen kommt man auf ein Maximum von 300000 bei einer Gesamtbevölkerung von rund achteinhalb Millionen, von denen rund eineinhalb Millionen Immigranten und sieben Millionen Indigene waren. Die Juden stellten also rund 3% der Gesamtbevölkerung, der dreifache Anteil dessen, den sie am Ende des 20. Jh.s in Frankreich ausmachten. Im lagidischen Ägypten gehörten die Juden zur Gruppe der „Hellenen", der herrschenden Schicht der griechischsprachigen Eroberer. Die Römer änderten dies radikal. Die Umgestaltung der provinzialen Gesellschaft führte zu einer erheblichen Verschlechterung ihres Status. Wer in den ländlichen Siedlungen wohnte, also die Nachkommen der lagidischen Soldaten, blieb bei der Einrichtung der Notabeinstände unberücksichtigt. Vergeblich hat man nach jüdischen Namen in den doch so zahlreichen eptfensis-Dokumenten [S. 490] gesucht. Warum die Juden ausgeschlossen wurden, ist unbekannt. Vielleicht lag es an den Juden selbst, die traditionellerweise allergisch auf alle Formen von Zensus reagierten.
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In Alexandria war die Situation kaum besser. Die Juden Alexandrias besaßen eine Organsiation mit „Altesten" (presbyteroi) und „ A n f ü h r e r n " (hegumenoi tu plethus). W i r hören auch von einem Ethnarchen, der die jüdischen Angelegenheiten in Alexandria verwaltete u n d Rechtsstreitigkeiten durch Schlichtung regelte [Strabon bei los. ant. lud. 14. 117]. Aufgrund dessen haben einige G e lehrte die Existenz eines a u t o n o m e n Gemeinwesens (politeama) der alexandrinischen Juden postuliert, das Rechtsgleichheit mit der Bürgerschaft, der griechischen polis, angestrebt habe [Kasher 139]. Diese Hypothese, die G e m e i n schaftsverfassungen des Mittelalters u n d der Neuzeit in die H o h e Kaiserzeit projiziert, verleiht d e m Begriff politeuma Eigenschaften, die er nicht besaß. Ein politeuma ist kaum m e h r als ein militärischer und religiöser Club, in dem die Soldaten derselben H e r k u n f t zusammengefaßt waren. Keinesfalls ist er das Äquivalent einer Stadtgemeinde, polis. Die erste E r w ä h n u n g einer jüdischen Gemeinde in Ägypten (in dem Sinn, in dem wir das Wort heute gebrauchen), stammt aus diokletianischer Zeit (291 n. Chr.), und das hierfür verwendete Wort ist nicht politeuma, sondern synagoge, was zunächst „Versammlung" u n d erst in zweiter Linie „Gebetshaus" bedeutet. Die Juden, die also nicht „Bürger" eines m e h r imaginären als realen politeuma waren, waren (mit ganz wenigen Ausnahmen) auch keine alexandrinischen Bürger. Genauso selten sind die Fälle von alexandrinischen J u d e n mit römischem Bürgerrecht. Eigentlich kennt man nur eine einzige Familie reicher H o noratioren, den Alabarchen Alexander (Philons Bruder) u n d seine Söhne, die diese Stellung durch kaiserliche Gunst, wahrscheinlich von Augustus, erhalten hatten. Daher konnte Kaiser Claudius in seinem Brief an die Alexandriner über die Juden sagen, daß „sie in einer Stadt lebten, die nicht die ihre war", ohne sich u m die Tatsache k ü m m e r n zu müssen, daß sie dort schon seit vier Jahrhunderten lebten. Sie waren also keine „Alexandriner" im formalen Sinne (Alexandreis), sondern „Juden von Alexandria" (Iudaioi apo Alexandreias). Diesen Ausdruck gebraucht ein gewisser Helenos, Sohn des Tryphon, als man ihm 5 / 4 v. Chr. seine Eigenschaft als Bürger, die er von seinem Vater erhalten haben will, streitig macht [CPJud. II 151], D e r institutionelle R a h m e n , der es den J u d e n Ägyptens erlaubte, ihre eigene, mit der griechischen Kultur vereinbare Identität zu bewahren, fand sich in den Gebräuchen der Synagoge, bei der der Thora-Lesung in der alexandrinischen Septuaginta-Ubersetzung eine zentrale Rolle zukam. Mehrere griechische Inschriften haben uns seit der Mitte des 3. Jh.s ν. Chr. Synagogen-Weihungen erhalten. Die E r i n n e r u n g an die große Synagoge Alexandrias, die der Philosoph Philon erwähnt, hat in der Beschreibung überlebt, die der Talmud in antoninischer Zeit von ihr gibt. Sie stellt sich uns als eine Art großer Basilika mit hintereinander gestaffelten Kolonnaden vor. Verglichen mit dem, was wir archäologisch über die Synagogen dieser Zeit wissen, verdient diese doppelte Kolonnade sehr wohl das Urteil „Glanz Israels", das ihr im talmudischen Bericht zuteil wird [Mélèze Modrzejewski 113].
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Der Verfallszustand, in dem sich die ägyptischen J u d e n unter der römischen Herrschaft befanden, fachte die alten jüdisch-heidnischen Streitereien wieder an. Z u einem ersten Ausbruch dieser Streitigkeiten kam es unter dem Statthalter A. Avilius Flaccus, Präfekt 32-38 n. Chr., dessen Übergriffe aus Philon wohlbekannt sind, der zusätzlich durch Papyri ergänzt werden kann [Sly 142]. W i e der oben zitierte Helenos, Sohn des Tryphon, war Philon weder alexandrinischer noch römischer Bürger (im Gegensatz zu seinem Bruder Alexander, der R ö m e r war). U n d dennoch betrachtete auch er Alexandria als seine Heimat u n d akzeptierte die Realität des römischen Reiches als politischen R a u m , in d e m die J u den zwar nicht ihre nationale Unabhängigkeit, aber doch zumindest, u n d das zählte vor allem, die Freiheit ihres ererbten Kultes dank römischer Privilegien, die das J u d e n t u m vor dem umgebenden H e i d e n t u m schützten, bewahren k o n n ten. Diese Sonderregelungen beinhalteten die Befreiung von der Pflicht, an Sabbaten vor Gericht erscheinen zu müssen, das R e c h t , Geld statt O l bei öffentlichen Verteilungen zu erhalten, das R e c h t , den Diebstahl ihrer heiligen Bücher als Schwerverbrechen (Sakrileg) verfolgen zu lassen, oder auch den Stock statt der Peitsche beim Vollzug von Körperstrafen. Philon, faktisch Alexandriner und potentiell Bürger einer reichsweiten „gemeinsamen Heimat", u n t e r n a h m vor Caligula einen Kampf (agon) für die politische Stellung der Juden, für ihre politela [Legatio ad Gaium 349]. Dies war gewiß kein „Kampf u m die Emanzipation" oder u m die Gleichheit der bürgerlichen R e c h t e , was Anachronismen für Philons Zeit wären. Die von den Juden geforderte politeia, das war das J u d e n t u m selbst, als individueller Status u n d als eine den Vorschriften der Thora k o n f o r m e Lebensweise. Diese Situation führte letztendlich in die Katastrophe. M e h r als zwei Jahre lang, von Sommer 115, dem achzehnten ägyptischen Jahr Traians, bis August/ September 117, dem Herrschaftsantritt Hadrians, erhoben sich die Juden der Diaspora im Okzident (Kyrene, Ägypten, Zypern) u n d im O r i e n t (Mesopotamien), vielleicht auch in Judäa, gegen die römische Herrschaft. Das Ende war eine Katastrophe für das hellenisierte J u d e n t u m in Ägypten: Es ging im O r k a n unter, mit M a n n u n d Maus. Dieser Krieg wird uns leider durch keinen Flavius Josephus so ausführlich berichtet wie der von 66-72. Aber die Ereignisse sowie ihre Ursachen und Folgen k ö n n e n heute recht zuverlässig rekonstruiert werden. Die Archäologie (für die Kyrenaika) und die Papyrologie (für Ägypten) haben nämlich zusätzliches Licht auf die Geschehnisse geworfen, die uns zuvor allein durch wenige literarische Texte aus heidnischer, jüdischer u n d christlicher Sicht bekannt gewesen waren. Die wichtigste Quelle ist eine Notiz von Euseb von Caesarea, der Zeugnisse heidnischer Autoren des 2. und 3. Jh.s benutzt, die für uns k a u m zu identifizieren sind [4. 2. 1-2]. Die Papyri helfen uns, die Geschehnisse nachzuvollziehen, deren Verlauf die Quelle Eusebs vorgibt. Die Ereignisse begannen in alter Tradition der jüdischheidnischen Auseinandersetzungen mit einer Erhebung (stasis) der Juden gegen ihre griechischen Nachbarn. Die U n r u h e n (thoryboi) nahmen im ganzen Land immer m e h r zu. So wurde, was zunächst nur ein lokaler Aufruhr (taradlos, tu-
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multus) gewesen war, bald ein richtiger Krieg (potemos). Der Anführer des römischen Expeditionscorps Marcius Turbo massakrierte die jüdischen Rebellen zu Tausenden. Er besaß die Stellung eines kaiserlichen Gesandten mit Spezialvollmachten. Der ägyptische Präfekt M. Rutilius Lupus (zwischen Januar 113 und Januar 117 belegt) war ihm für die Zeit seiner Mission unterstellt. In Mesopotamien verfolgte Lusius Quietus einen ähnlichen Auftrag, sein Namen hat sich im „Quietus-Krieg" (polemos schei Qitos) der rabbinischen Texte erhalten. Eusebs Quelle spricht von Griechen, die sich auf der Flucht vor den Aufständischen nach Alexandria zurückziehen. Dort fallen sie über die alexandrinischen Juden her und verhindern so deren Schulterschluß mit den Rebellen. Wohl darauf bezieht sich ein Edikt des ägyptischen Präfekten M. Rutilius Lupus [P. Milano Vogliano II. 47] vom 14. Oktober 115. Darin wendet sich der Präfekt an die Griechen von Alexandria, die die Juden der Stadt für die Aufstände ihrer Religionsgenossen auf dem Land büßen lassen wollen, betont die Notwendigkeit des Rechtsweges und verurteilt Lynchversuche. Auf dem Land ging der Kampf weiter. Nicht nur die römische Armee, sondern auch Griechen und Ägypter standen dort gegen die Juden. Noch am Ende des 2. Jh.s feierten die Griechen von Oxyrhynchos jährlich den „Tag des Sieges" (hemera ton epinikion), den Sieg über die „ungläubigen Juden" [CPJud. II 450]. Auf Papyri und Ostraka erhaltene Quittungen werfen grelles Licht auf die tragische Bilanz der Revolte. Allein in dem Ort Apollonopolis Magna (Edfu) belegen im Zeitraum 7 1 / 2 bis Mai 116 rund 70 griechische Ostraka die Anwesenheit von Menschen, die die „Judensteuer", welche den Juden im Reich seit Vespasian abverlangt wurde, bezahlen mußten. Diese Zahl ist natürlich nur eine nicht unbedingt repräsentative Stichprobe der jüdischen Bevölkerung. Dennoch: Die letzte jüdische Steuerquittung, die wir haben, datiert auf den 18. Mai 116. Hier endet die Reihe der Judensteuer-Ostraka aus Edfu. Die jüdische Gemeinde von Edfu hatte aufgehört zu existieren. Karanis im Fajjum, ein großer Ort, der gewiß mehr als tausend erwachsene Einwohner in der Mitte des 2. Jh.s zählte, kann nur ein Beispiel dafür vorweisen, daß jemand die Judensteuer nach der Revolte beglich. Berücksichtigt man die Zahl und die Vitalität der Juden im Fajjum, die gut durch unsere Quellen für die ganze ptolemäische Epoche und den Anfang der Römerzeit belegt sind, so ist dieser einzige Uberlebende ein schockierendes Zeugnis für das Ausmaß der Katastrophe. Steuerdokumente erlauben, noch weiter zu gehen. Sie belegen in der Mitte des 2. Jh.s zwei spezielle Abteilungen in Ägypten zur Verwaltung der Güter, die nach der Revolte dem Kaiser zugefallen waren: das „Vermögen der erbenlos gestorbenen Griechen" {pekulion Hellenon akleronometon) und die „jüdische Verwaltung" (Iudaikos logos). Die Griechen, um die es hier geht, waren im Kampf während der Revolte umgekommen, ohne legitime oder testamentarische Erben zu haben. Bei den Juden handelte es sich um Rebellen, deren Güter man eingezogen hatte (apheiromenoi) als „Güter der Verurteilten" (bona damnatorum). Die Vertreter des kaiserlichen Fiskus in Ägypten wandten eine Verordnung Hadrians an, die die Juden als schuldig an dem Aufstand verurteilt. Dies war übri-
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gens ein spezieller Fall von Majestätsverletzung [Mélèze Modrzejewski 141]. Die Verordnung ist uns nicht direkt überliefert, aber sie ist durch ihre Auswirkungen in den Rechnungsdokumenten greifbar. Aufgrund der Sanktion, die gegen die Rebellen ergriffen wurde, fanden sich die wenigen Uberlebenden in völliger Armut. Ihrer Häuser und Güter beraubt, konnten sie nicht den Kern eines Wiederauflebens bilden. Hier von „Vernichtung" zu sprechen, ist kaum übertrieben. Dies tut ein zeitgenössischer Beobachter, Appian von Alexandria, der einen Traían erwähnt, „der die jüdische Nation in Ägypten vernichtete" [bell. civ. 2. 90]. Diese Notiz bestätigt ein in den talmudischen Quellen genanntes „Massaker", wo die Erinnerung an die jüdische Gemeinde von Alexandria wach gehalten wird, die vom „bösen Traian" zerstört worden war.
10. 6. 3 Die Entstehung der alexandrinischen Kirche Das tragische Ende des hellenisierten Judentums in Ägypten hilft, das Geheimnis zu lüften, das die Ursprünge des Christentums in diesem Land umgibt. Die ersten beiden Jahrhunderte des ägyptischen Christentums liegen nämlich im dunkeln. Erst am Ende des 2. Jh.s treffen wir seinen ersten historisch bekannten Repräsentanten, den Bischof Demetrios, einen Zeitgenossen von Clemens von Alexandria und von Orígenes, der als der Gründer des Didaskaleions gilt, jener berühmten Katechesenschule. Aber es ist kaum vorstellbar, daß diese große Metropole, die geistige Hauptstadt des hellenisierten Orients, der Botschaft teilnahmslos gegenüberstand, die sich seit der Mitte des 1. Jh.s von Jerusalem aus über die Mittelmeerwelt verbreitete. Wie kann man die Gründe für das Schweigen unserer Quellen erklären? Anfang der Dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts schlug der deutsche Theologe Walter Bauer eine Antwort vor, die lange Zeit über gewissen Anklang fand. Er meinte, die Stille, die die Anfänge des ägyptischen Christenums umhülle, erkläre sich durch dessen heterodoxen Charakter: Die alexandrinische Kirche der ersten beiden Jahrhunderte sei durch die Gnosis dominiert worden. Daher sei sie nach dem Triumph der antignostischen Orthodoxie an der Wende des 2. Jh.s nachträglich von dieser zur Vergessenheit verdammt worden. Die Existenz gnostischer Sekten und Lehren in Alexandria zu Beginn der Kaiserzeit kann nicht bestritten werden, wenn auch die Grenze zwischen „Orthodoxie" und „Häresie" in dieser Zeit kaum gezogen werden kann. Zugegebenermaßen sind die beiden einzigen alexandrinischen Christen, die man mit einiger Sicherheit vor dem Ende des 2. Jh.s benennen kann, die Gnostiker Basilides (unter Hadrian) und Valentin (unter Antoninus Pius). Die „Orthodoxen" Pantainos (Clemens' Lehrer) und Clemens selbst waren Zugezogene. Ersterer war ein sizilienstämmiger, konvertierter Stoiker, der zweite Athener und Sohn eines heidnischen Freigelassenen. Jedoch läßt das papyrologische Material nicht die Behauptung zu, daß die gnostischen Texte der beiden ersten Jahrhunderte n. Chr. zahlreicher wären als die christlichen Texte, die dem gnostischen Milieu
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fernstehen. Deswegen traf die Gnosis-These auf die Skepsis der Papyrologen, welche selbst eine andere, überzeugendere Erklärung vorschlugen: Daß das Urchristentum nur wenig Spuren in Ägypten vor dem Ende des 2. Jh.s hinterlassen hat, liegt daran, daß es mit dem ganzen Milieu vernichtet wurde, in dessen Mitte es entstanden war, nämlich die jüdische Gemeinde Alexandrias. Das erste alexandrinische Christentum war ein Judenchristentum. Nachdem dieses in dem Aufstand von 115-117 zerstört worden war, wurde es durch ein Heidenchristentum griechischer und ägyptischer Herkunft ersetzt [Ritter 147]. Für diese These, die die Ursprünge des ägyptischen Christentums an die j ü dische Gemeinde von Alexandria knüpft, sprechen die wenigen Zeugnisse einer christlichen Präsenz im Alexandria der ersten beiden Jahrhunderte. Das erste überhaupt stammt vom Kaiser Claudius, der im Brief an die Alexandriner den Juden von Alexandria befiehlt, „keine Juden aus Syrien mehr einzuladen und kommen zu lassen." Man weiß nicht, wer die „Eingeladenen" sind, aber diese Passage in Claudius' Brief paßt sehr gut zur Idee eines aus Jerusalem („Syrien") nach Alexandria importierten Christentums, das seit Claudius' Zeit innerhalb der jüdischen Gemeinde Wurzeln schlug [Botermann 143]. Ein zweiter, sicherer Zeuge ist Apollos, ein zum Christentum übergetretener alexandrinischer Jude, der ein Rivale von Paulus von Tarsos war [Apg. 18. 24fF.; 1. Kor. 3-9; 16, 12]. Dieser „redekundige und in der Schrift bewanderte" Mann, der einigen Autoren, nicht zuletzt Martin Luther, als der wahre Verfasser des sehr philonhaften Briefes an die Hebräer gilt, belegt die Existenz einer judenchristlichen Gemeinde im Alexandria von ca. 50 n. Chr., wenn man die „okzidentale" Version der Apostelgeschichte (Codex Bezae Cantabrigensis) akzeptiert, nach der er die Taufe „in seiner Heimat", d. h. in Alexandria selbst, erhalten hat. Paulus selbst, der im Laufe seiner zahlreichen Missionsreisen nie nach Alexandria gekommen ist — wo er Griechisch, seine Muttersprache, hätte sprechen können, während er eine Reise nach Spanien plante, für die er zunächst das ihm unbekannte Latein hätte erlernen müssen [Rom. 15. 24] - unterstützt die judenchrisdiche These. Sein offensichtliches Desinteresse für die alexandrinischen Wunder könnte sich durch eine Aufteilung der „Missionsfelder" unter den Aposteln erklären [Gal. 2. 7-9]: Paulus, der „Heidenapostel", und Barnabas predigten die Frohe Botschaft unter den Heiden, während Peter, Jakob und J o hannes, Sohn des Zebedäus, die Juden missionierten. Daß Paulus nicht nach Alexandria kam, lag also daran, daß es zum palästinischen Missionsgebiet gehörte, weil seine Christen Judenchristen waren. Die judenchristliche These erklärt das Geheimnis des alexandrinischen Christentums besser als die gnostische These. Sie spiegelt sich in der koptischen Tradition, die dem Evangelisten Markus die Gründung der Kirche von Alexandria zuschreibt, was man in einer kurzen Notiz bei Euseb, die auf ältere Quellen zurückgreift, findet [hist. eccl. 2. 16]. Die viel weiter entwickelte Darstellung, die die Markusakten uns über sein Martyrium in Alexandria bieten, fuhrt uns in eine Umgebung, die sehr wohl die des jüdischen Milieus zu sein scheint. An-
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scheinend gehört sein Tod in den Kontext des antijüdischen Pogroms von 66 n. Chr. [Martin 146; Cannuyer 144]. Außerdem schließen sich die beiden Thesen nicht gegenseitig aus. Zwischen der gnostischen und der judenchristlichen These gibt es Brücken, die eine Koexistenz möglich erscheinen lassen. Zumal eine chronologische Abfolge würde einleuchten: Auf ein ursprüngliches Judenchristentum könnte nach der Katastrophe von 115-117 eine heidenchristliche Wiederaufbauperiode gefolgt sein, die durch eine gnostische Krise geprägt war. Waren die heterodoxen Versuchungen einmal überwunden, konnte die heidenchristliche Gemeinde am Ende des 2. Jh.s die Grundlage für die antignostische Großkirche werden [Griggs 145]. In diesem Kontext erscheint der Aufstand 115-117, der die Trennung von Judentum und Christentum ankündigt, gleichzeitig als Band der Kontinuität zwischen beiden. Wenn man nämlich annimmt, daß die judenchristliche Gemeinde von Alexandria mit der ganzen jüdischen Diaspora in Ägypten in der Katastrophe des Aufstands verschwand, so wird man auch unter den Judenchristen (neben einigen jüdischen Honoratioren) die wenigen Uberlebenden der Gemeinde suchen. So muß man wohl die Tatsache werten, daß in einem Provinzort, in Oxyrhynchos oder im Fajjum, das älteste christliche Manuskript, das bislang gefunden wurde, zu Tage getreten ist. Es handelt sich um ein Blatt aus einem Kodex mit einem Fragment des Johannes-Evangeliums [P. Rylands 457], das von ungefähr 125 n. Chr. stammt. Es könnte durchaus einem Judenchristen aus Alexandria gehört haben, der sich in die Chora geflüchtet hatte. Gleiches gilt für das, was vom spirituellen Reichtum des alexandrinischen Judentums gerettet werden konnte. Jüdische Texte in griechischer Sprache, die in Syrien oder Kleinasien aufgezeichnet wurden und alexandrinische Traditionen fortsetzen (wie das Vierte Makkabäerbuch oder die Sibyllinischen Orakel), darf man wohl Juden zuschreiben, die der Katastrophe aufgrund ihrer sozialen Stellung entkommen konnten. Dagegen werden die Septuaginta und Philons exegetisches Werk dank der Judenchristen der Vernichtung entgangen sein. Die von Juden für Juden angefertigte „Bibel von Alexandria" sollte nunmehr eine christliche Bibel sein. Diese klare spirituelle Kontinuität läßt uns die Tiefe der Kluft fühlen, die hinsichtlich der menschlichen Realitäten das hellenisierte Judentum vom griechisch-ägyptischen Christentum trennte, das aus dem Heidentum wiederentstand und für sich allein beanspruchte, das „Wahre Israel" zu sein.
10. 7 Fazit: Eine nicht vollständige Integration Insgesamt betrachtet, führte die römische Herrschaft über Ägypten während der Hohen Kaiserzeit nur zu einer begrenzten und unvollständigen Integration dieser Provinz, die Tacitus [hist 1.11] folgendermaßen beschrieb: „schwer erreichbar, reich an Getreide, durch Aberglauben und Ubermut zerstritten und aufrührerisch, umwissend um Gesetze, keine Magistrate kennend". Von Augustus bis Gallienus nahm Ägypten innerhalb des Reiches eine Randstellung ein.
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Allein Alexandria als mittelmeerische Großstadt war teilweise offener. Seine staatsrechdiche, wirtschaftliche u n d kulturelle Sonderstellung erlaubte es d e m Land, sein doppeltes - ägyptisches u n d griechisches - Erbe zu bewahren. D i e allgemeine Vergabe des römischen Bürgerrechts im Jahr 212 n. Chr. veränderte diese Situation k a u m u n d brachte lediglich eine formale Veränderung des politischen Status der E i n w o h n e r mit sich. Eine weitergehende staatsrechtliche Ä n d e r u n g k a m erst am E n d e des 3. Jh.s mit den Verwaltungs- u n d Finanzreformen Diocletians. D i e Sonderstellung u n d die Isolierung Ägyptens resultierten aus der Vorsicht der Kaiser, die so die Kontrolle des ägyptischen R e i c h t u m s zu i h rem N u t z e n für sich vereinnahmen wollten, u n d sie waren die d o m i n a n t e n Faktoren der Ägyptenpolitik der H o h e n Kaiserzeit.
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Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, Band II
New York 1995: religiöse Probleme des römischen Ägypten (L. Kákosy); heidnische Kulte in Oxyrhynchos (J. Whitehorne); Kaiserkult (E. G. Huzar, H. Heinen, J.-C. Grenier); die Göttlichkeit des Nil (D. Bonneau); Bestattungspraktiken und -Vorstellungen (F. Dunand, R . Lichtenberg); pharaonische Überbleibsel (L. H. Corcoran); Magie (R. Ritner, W. M. Brashear, S. Pernigotti). [132a] Bakhoum S., Dieux égyptiens à Alexandrie sous les Antonins, Paris 1999. [133] Bernand Α., Leçon de civilisation, Paris 1994. [134] Burkhalter F., Le mobilier des sanctuaires d'Egypte et les „listes des prêtres et du cheirismos", ZPE 59 (1985) 23-134. [135] Dunand F., La figure animale des dieux en Egypte hellénistique et romaine, in: Les grandes figures religieuses. Fonctionnement pratique et symbolique dans l'Antiquité, Paris 1986, S. 59-84. [136] Dunand F., Catalogue des terres cuites gréco-romaines d'Egypte. (Musée du Louvre, Département des Antiquités égyptiennes), Paris 1990. [137] Dunand F. und C. Zivie-Coche, Dieux et hommes en Egypte, 3000 av. J.-C. 395 apr. J.-C. Anthropologie religieuse, Paris 1991. [138] MacMullen R., Paganism in the Roman Empire, New Haven 1981. Blüte und Untergang des ägyptischen Judentums [139] Kasher Α., The Jews in Hellenistic and Roman Egypt, Tübingen 1985. [140] Mélèze Modrzejewski J., Les Juifs de l'Egypte, de Ramsès II à Hadrien, Paris 2 1997. [141] Mélèze Modrzejewski J., „Ioudaioi aphêirêmenoi". La fin de la communauté juive en Egypte, in: Symposion 1985, Köln 1989, S. 337-361. [142] Sly D. I., Philo s Alexandria, London/New York 1996. Die Entstehung der alexandrinischen Kirche [143] Botermann H., Das Judenedikt des Kaisers Claudius. Römischer Staat und „Christiani" im 1. Jahrhundert, Stuttgart 1996. [144] Cannuyer C., L'ancrage juif de la première Eglise d'Alexandrie, in: Le monde copte 23 (1995) 31-46. [145] Griggs C. W., Early Egyptian Christianity, from its origins to 451 CE, Leiden 1990. [146] Martin Α., Les premiers siècles du christianisme à Alexandrie. Essai de topographie religieuse (III e -IV e siècles), Revue des études august. 30 (1984) 211-225. [147] Ritter A. M., De Polycarpe à Clément: aux origines d'Alexandrie chrétienne, in: Mélanges offerts au Père Cl. Mondésert, Paris 1987, S. 151-172.
Fazit von Claude Lepelley Die modernen Betrachter seit dem 18. Jh., also seit Montesquieu und Gibbon, versuchten das Verschwinden des Weströmischen Reiches im 5. Jh. durch einen Niedergang zu erklären, der schon seit langem die politische Macht, das Heer, die Kultur und die Moral ergriffen habe. Damit machten sie sich den Pessimismus antiker Schriftsteller zu eigen, die ein Goldenes Zeitalter in einer mythischen oder idealisierten Vergangenheit ansiedelten und ihre eigene Zeit abwerteten. Während Cicero die tüchtigen alten R ö m e r vermißte, sehnte sich Tacitus in der Kaiserzeit nach der Republik. Dabei ist bei rechter Betrachtung das Erstaunliche nicht, daß das Reich irgendwann einmal ein Ende nahm, sondern vielmehr, daß es überhaupt so lange existieren konnte, daß eine politische Autorität mehr als ein halbes Jahrtausend über ein Reich herrschen und in ihm im großen ganzen für Frieden sorgen konnte, das sich vom Atlantik zum Euphrat, von der Sahara bis zu den Grenzen Schottlands, von der iberischen Halbinsel bis zu den Ufern des Schwarzen Meeres erstreckte (was in der West-Ost-Ausdehnung der Entfernung zwischen Pazifik- und Atlantikküste der USA entspricht); ein Reich, das von zahllosen Völkern bewohnt wurde, die sich in ihren Sprachen, ihren kulturellen und religiösen Traditionen und ihren Lebensweisen unterschieden und deren Vergangenheit häufig genug von Kriegen geprägt war. Das ist die viel wichtigere Frage, der sich der Historiker des Römischen R e i ches stellen muß. Dieses Buch will die Großregionen der römischen Welt in ihrer Verschiedenartigkeit darstellen. Es zeigt ihre Besonderheiten, ihre Unterschiede auf, und doch kann jedes Kapitel von einer mehr oder weniger erfolgreichen Integration ins Reichsganze berichten. So steht der Romanisierung des Westens die sanfte Anpassung der griechischen Welt gegenüber, die auf ihren Partikularismus und ihre in den eigenen Augen einzigartige und perfekte Kultur bis zur Arroganz stolz war. An der familiären Herkunft der Kaiserdynastien läßt sich im kleinen die Entwicklung des ganzen Reiches während der drei Jahrhunderte der Hohen Kaiserzeit verfolgen. Die julisch-claudische Dynastie konnte sich von einer der ehrwürdigsten gentes des altrömischen Patriziats herleiten. Die Flavier entstammten einer Familie einfacher Honoratioren aus Zentralitalien. Die Antoninen kamen aus Spanien und der Narbonensis; sie stammten von italischen Familien ab, die sich vor langer Zeit in diesen Provinzen angesiedelt hatten, doch sich im Laufe der Generationen gewiß durch Eheschließungen mit den Indigenen verbunden hatten. Die Severer dagegen waren rein provinzial, von afrikanischer (Septimius Severus) bzw. syrischer (Kaiserin Iulia Domna) Abkunft. Die Krise des 3. Jh.s brachte 235 mit Maximinus Thrax, dann endgültig nach Gallienus' Tod 268 mit den sogenannten illyrischen Kaisern Offiziere aus dem Donau- und Balkanraum an die Macht, die von einfachster Herkunft waren, sich aber um so energischer daran machten, die Barbaren zurückzuwerfen und die Reichseinheit wiederher-
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zustellen. In diesen Jahren verdankte R o m sein Überleben nicht den Senatoren, nicht den Italikern, nicht einmal den Bewohnern der reichen und stark romanisierten Provinzen, sondern Männern aus Randzonen von geringem sozialem Niveau. Das Erfolgsgeheimnis des Römischen Reiches war seine Fähigkeit, ganz verschiedene Individuen aus völlig unterschiedlichen Völkern, deren U n terwerfung häufig gar nicht lange zurücklag, zu integrieren und in ihnen eine innere Verbundenheit mit dem R e i c h zu erzeugen. Hierin liegt der Unterschied zu den früheren imperialistischen Mächten der Antike wie den Persern oder den Makedonen, aber auch zu den Kolonialmächten der Neuzeit. Das Italien der Republik war gleichsam das Laboratorium, in dem sich die Modalitäten dieser Integration herausarbeiteten. Italien, ein Konglomerat von ganz unterschiedlichen und oft verfeindeten Völkern, die durch langwierige und brutale Eroberungskriege vereint worden waren, wurde langsam und schrittweise in die civitas Romana aufgenommen. Der letzte Schritt, die Assimilation der Gallia Cisalpina bis zu den Alpen, war zur Zeit von Caesar und Augustus gemacht worden. In republikanischer Zeit entwickelte sich der Status des Munizipiums, welcher es ermöglichte, Teil der römischen Gemeinde zu werden und gleichzeitig Bürger der eigenen Stadt zu bleiben, die ihre Autonomie innerhalb der gemeinsamen römischen Heimat bewahrte. Die Geschichte der Hohen Kaiserzeit ist die der fortschreitenden Anwendung dieses Prozesses, der zuvor seine Effizienz in Italien bewiesen hatte, auf die Provinzen. Wie diese Assimilation geschah, wurde im ersten Band von Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit allgemein, im vorliegenden zweiten Band für die einzelnen Regionen behandelt. In diesem Fazit sollen abschließend einige besonders wichtige Aspekte dieses Prozesses zur Sprache kommen. Beginnen wir mit den Rückschlägen und Beschränkungen. Tacitus gibt zu Beginn der Annalen [1. 9] eine Bilanz des langen Prinzipats des Augustus. Dort läßt er die Parteigänger des Regimes zu Wort kommen, bietet also, anders formuliert, die Perspektive der augusteischen Propaganda. Macht man sich diese Sichtweise zu eigen, so ließ der Kaiser gegenüber den römischen Bürgern „ R e c h t " (ius), gegenüber den „Verbündeten" Mäßigung (modestia) walten. Mit „Verbündeten" (sodi) waren die Bewohner der Provinzen gemeint, für die man diesen ehrenden Begriff benutzte, der früher Italiker ohne Bürgerrecht bezeichnete. Die „Mäßigung", die man ihnen angedeihen ließ, war eine Verwaltung ohne Schikanen und Übergriffe. Die Wirklichkeit war oft weniger idyllisch; und doch, so jedenfalls Tacitus [ann. 1. 2] begrüßten die Provinzialen den Regimewechsel, „denn sie mißtrauten der Herrschaft von Senat und Volk wegen der Kämpfe der Mächtigen [das meint die Bürgerkriege] und der Habgier der Magistrate". Die pax Augusta und die strenge Kontrolle des Kaisers über die Repräsentanten R o m s wurden also mit Erleichterung aufgenommen. Augustus und seine beiden ersten Nachfolger strebten nicht danach, das Bürgerrecht auf die Provinzialen auszuweiten. Die Integration Italiens griff in dieser Zeit vollständig; der Senat und die herrschende Schicht rekrutierte sich seit dieser Zeit aus der ganzen Halbinsel. Die Provinzialen hingegen blieben der Autorität unterworfen, die
Fazit
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zwar prinzipiell wohlwollend war, aber in der Praxis oft drückend erscheinen mochte. Es wäre falscher Idealismus, die Hohe Kaiserzeit als Goldenes Zeitalter für die römischen Provinzen nach der grausamen Tyrannei der untergehenden R e publik anzusehen. Es gibt genügend Zeugnisse für die Bedrückung durch das Imperium Romanum in der Prinzipatszeit. In der griechischen Welt, die sich doch recht gut mit der römischen Macht arrangierte, war die Knechtschaft der Städte ein Gemeinplatz bei den Schriftstellern, die um eine Souveränität trauerten, die bereits seit der Zeit Philipps und Alexanders verloren war. Die Eroberungskriege der Kaiserzeit waren nicht weniger brutal als die vorherigen. Berühmt ist die drastische Formulierung, die Tacitus dem Kaledonierhäuptling Calgacus in den Mund legt: ubi solitudinem faciunt, pacem appellant, „wo sie eine Ode schaffen, nennen sie es 'Frieden'" [Agr. 30]. Als Tacitus von der geschickten Romanisierungspolitik seines Schwiegervaters Agricola als Statthalter 7 7 - 8 2 und dem beginnenden Geschmack der Britannier an der städtisch-römischen Kultur spricht, schließt er: „Und das wurde bei diesen unerfahrenen Menschen Kultur genannt, während es doch nur Teil der Knechtschaft war." [Agr. 21], Unter Traían verurteilte der Senat einen afrikanischen Prokonsul namens Marius Priscus, dessen Verbrechen mit den Übergriffen der ruchlosesten Statthalter der R e publik auf einer Stufe standen [Plin. epist. 2. 11]. Dergleichen Untaten waren nicht singulär, und die immense Machtausstattung der Statthalter machte ihnen Mißbrauch leicht [vgl. P. A. Brunt, Charges o f Provinicial Maladministration under the Early Empire, Historia 10 (1961) 189-277]. Am meisten wissen wir über die Verfehlungen der Präfekten und Prokuratoren Judäas. Flavius Josephus berichtet ausfuhrlich, daß es nicht nur ihr völliges Unverständnis der Einzigartigkeit der jüdischen Bräuche war, das das Volk in den Aufstand trieb, sondern auch ihre Erpressungen und brutalen Ubergriffe. Unter den Augustus folgenden Regierungen war der Integrationsprozeß langsam und erfaßte zunächst nur die Provinzialeliten. Dies zeigt sich z. B. an der Vergabe des latinischen Rechts in den westlichen Provinzen, das ebenfalls seinen Ursprung im republikanischen Italien hatte. Indem man das Latium Städten und ganzen Regionen (so Spanien unter Vespasian) gab, konnte die lokale Führungsschicht das römische Bürgerrecht erwerben, das ja bei der Ausübung städtischer Magistraturen verliehen wurde. Auch romanisierte sich die Verfassung latinischer Städte, und zwar noch bevor sie zum Rang eines Munizipiums aufstiegen. Dies alles geschah etappenweise, mal schneller, mal langsamer. Afrika z. B. romanisierte sich zögerlicher als Gallien oder Spanien. R o m versuchte nicht, diesen Prozeß zu beschleunigen, sondern ließ ihn gewöhnlich spontan ablaufen. Die Rede, die Kaiser Claudius 48 im Senat hielt, um die Senatoren entgegen ihren Bedenken zu veranlassen, Gallier unter sich aufzunehmen, kennen wir aus zwei Quellen: Wir besitzen einerseits die Zusammenfassung des Tacitus [ann. 11. 23-25], andererseits ist eine lange Passage auf einer Lyoner Bronzetafel erhalten. Claudius berichtet in dieser gelehrten Rede über die verschiedenen
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Nachbarvölker, die in der römischen Frühzeit Eingang in die römische Gemeinschaft gefunden hatten. Der Kaiser sah nun die Stunde gekommen, noch wesentlich fremderen Völkern das Tor zur Stadt, ja zum Senat aufzustoßen. Man sieht die Ergebnisse dieser Politik in Gallien während der Krise 68-70. Manche gallische Völker, wie die Lingonen und die Treverer, schlossen sich dem Aufstand des Batavers Civilis an. Tacitus läßt den von Vespasian entsandten Feldherrn Cerialis eine Rede an die gallischen Empörer sprechen [hist. 4. 74], die im wesentlichen eine Reflexion des Tacitus über die Beziehungen zwischen R o m und seinen Provinzen darstellt. Die Gallier, so meint Cerialis (oder vielmehr Tacitus), hätten keinerlei Interesse, sich von R o m zu trennen, dessen Heer sie vor germanischen Invasionen schütze. Die erhobenen Steuern seien zum Unterhalt dieser Armee bestimmt. Darum seien sie lohnend, ja für das Wohl aller notwendig. Und ansonsten sei Italikern und Provinzialen „alles gemeinsam, weder würde den einen etwas vorbehalten, noch die anderen von etwas ausgeschlossen", denn Gallier kommandierten Legionen und verwalteten ihre eigenen oder andere Provinzen. Diese letzte Aussage bezieht sich auf Provinziale, die in den Senat Eingang gefunden hatten und so zu den Ämtern eines Legionslegaten, eines Prokonsuls oder Legaten einer Provinz gekommen waren; all dies war gallischen Aristokraten seit Claudius möglich. Die Delegierten der Städte, die sich i. J. 70 in Reims versammelten, dachten wie Tacitus und beschlossen „im Namen der Gallier" den bedingungslosen Anschluß an Vespasian und das Reich [hist 4. 68f.]. Diese Episoden zeigen, wie sehr nunmehr die Bahn gebrochen war für die Entstehung einer Art universaler römischer Heimat, bei der die Unterschiede zwischen den Abkömmlingen der Eroberer und den Nachfahren der Unterworfenen schwanden. Den durchdachtesten Ausdruck dieser Entwicklung kann man in der Lobrede auf R o m lesen, die unter Antoninus Pius in der Mitte des 2. Jh.s von dem Redner Aelius Aristides aus Smyrna vorgetragen wurde. Natürlich verlangte das literarische Genre der Eloge, daß man der Person oder dem politischen Gebilde, über das man sprach, positive Eigenschaften verlieh und dabei auch nicht vor plumpen Schmeicheleien haltmachte. Dennoch konnten diese Reden den Rhetor zu einer tiefsinnigen politischen Reflexion veranlassen. Aristides hatte beobachtet, daß die früheren Reiche (das Perserreich, die Hegemonien der Athener und der Lakedaimonier, die Reiche Alexanders und seiner Nachfolger) keinen langen Bestand gehabt hatten, weil sie es versäumt hätten, die unterworfenen Völker in eine gemeinsame Bürgerschaft aufzunehmen. Nur R o m habe es verstanden, eine universale Bürgerschaft zu schaffen. Darum müsse es auch keine Garnisonen in den Städten unterhalten: Dort hielten die Bürger der jeweiligen Stadt Wache, die zugleich römische Bürger waren. Später sollte der Jurist Modestin (der selbst, aller Wahrscheinlichkeit nach, von orientalischer Herkunft war) dies in der lapidaren Formel „ R o m ist unsere gemeinsame Heimat" [Dig. 50. 1. 33] zusammenfassen. Modestin schrieb im 3. Jh., nach der allgemeinen Verleihung des Bürgerrechts im Jahr 212 durch Caracalla, und so traf seine Formulierung auch in rechtlicher Hinsicht zu. Das Ende
Fazit
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des 2. und der Beginn des 3. Jh.s sahen den H ö h e p u n k t des römischen Rechts. Daß viele der großen Rechtsgelehrten in Berytos studiert u n d orientalischer H e r k u n f t waren, zeigt in einzigartiger Weise die Ausbreitung der römischen Kultur auf Reichsebene. Bürgerrecht u n d Gesetze reichten nicht aus, die Völker des Reiches zu einer festen Einheit zu verschmelzen. Die Grundzüge der hellenistisch-römischen Kultur, die durch ein einheitliches u n d effizientes Schulsystem (in lateinischer bzw. griechischischer Sprache) in allen Provinzen verbreitet wurden, waren ein mächtiger Einigungsfaktor. Diese gemeinsame Basis w u r d e durch provinziale Einflüsse erweitert: Man denke an die orientalischen Religionen, die langsam in der ganzen römischen Welt Verbreitung fanden, an die unauffällige Ausstrahlung des jüdischen Monotheismus, die bald v o m Christenum abgelöst werden sollte. D e n k e n wir auch an die technischen N e u e r u n g e n , wie sie ζ. B. aus Gallien kamen, so beim Wagen, der Tonne, den genähten Gewändern. N u r ein einziges Volk hatte der römischen Herrschaft ebenso kompromißlos wie verzweifelt Widerstand geleistet: Die Juden, die sich einer politischen Ideologie u n d heidnischen Kultur widersetzten, die nicht mit ihrem Monotheismus vereinbar war. Drei blutige Konfrontationen folgten aufeinander: Der Krieg 6670, in d e m der Tempel von Jerusalem zerstört w u r d e u n d die letzten Reste der Autonomie Judäas verschwanden, der Konflikt zwischen Juden u n d Griechen in Ägypten, auf Z y p e r n und in Kyrene am Ende der Regierungszeit Traians und schließlich der Zweite Jüdische Krieg unter Hadrian 132-135. D o c h unter der Herrschaft von Antoninus Pius entspannten sich die Beziehungen zwischen Juden und R ö m e r n . M a n fand einen modus vivendi, der die Juden friedlich im R e i c h nach ihren Gebräuchen, ihren Prinzipien u n d ihrer Religion leben ließ. Die Texte des Talmud, die in dieser Zeit verfaßt wurden, legen Zeugnis ab von der vorsichtigen und friedlichen Integration in das n u n m e h r tolerante Reich. Sie zeigen aber auch die immense Kreativität im religiösen Bereich, die erst durch die wohlwollende Toleranz möglich geworden war, derer sich die j ü d i schen Gemeinschaften bis zum Ende des 4. Jh.s erfreuen konnten. N a c h so viel Unverständnis, nach so viel Blut war dies nicht der geringste Erfolg der antoninischen Monarchie. In Bewährungsproben zeigt sich die Festigkeit eines Staates bzw. einer G e sellschaft. Die ersten großen Invasionen, die seit der Mitte des 3. Jh.s über das R e i c h hereinbrachen, erschienen keinem Provinzialvolk als günstige Gelegenheit, sich aus der römischen Herrschaft zu lösen. Die gallische Abspaltung zwischen 260 und 274 hatte als einzigen Zweck, Gebiete, die sich als integrale B e standteile des Reiches verstanden, vor den Germanen zu schützen. Im Athen des Jahres 267 stellte der Historiker Dexipp eine Freiwilligenmiliz gegen die Goten auf und sah sich dabei in der Nachfolge der glorreichen Zeit der Perserkriege. Seit dem 2. Jh. rekrutierten sich die n u n m e h r defensiven Heere im w e sentlichen aus d e m Grenzabschnitt, den sie jeweils schützten. Als in der zweiten Hälfte des 3. Jh.s die Kaiser u n d die Angehörigen der herrschenden Schicht aus dem H e e r kamen, vor allem von der D o n a u u n d aus dem Balkan, waren es B ü r -
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ger aus Randzonen und von bescheidener Abkunft, denen es gelang, die Invasoren zurückzuwerfen und die Reichseinheit aufrechtzuerhalten. Die Krise des 3. Jh.s war nicht Ausdruck von Dekadenz - ganz im Gegenteil, sie zeigte den Erfolg einer über Jahrhunderte verfolgten Politik: Der communis patria verdankte das Römische Reich sein langes Uberleben. Die Völker des Reiches hielten das R e i c h für die beste aller vorstellbaren Welten. Sie setzten deswegen alles daran, es zu erhalten und dem zu entgehen, was sie als barbarisches Chaos ansahen. Im Jahr 416, im Augenblick des letzten Widerstandes, als das Reich im Westen unter den Angriffen der Invasoren sein Ende fand, verfaßte der gallische Dichter Rutilius Namatianus glühende Lobesverse auf R o m . Was er von R o m s Geschichte erwähnt, das ist vor allem die Ausweitung seines Bürgerrechts auf die Provinzialen: „ D u hast den verschiedenen Stämmen eine Heimat geschaffen; ... und indem D u den Besiegten Anteil an Deinen Bürgerrecht gibst, hast D u zu einer Stadt gemacht, was vorher der Erdkreis war" [63-66]. U n d das war in der Tat der größte Sieg des Römischen Reiches der Hohen Kaiserzeit.
Register A n m e r k u n g : Begriffe u n d E i g e n n a m e n sind in der R e g e l in der F o r m (d. h. eingedeutscht bzw. lateinisch oder griechisch) erfaßt, in der sie auch im H a u p t t e x t gebraucht werden. Gleichwohl kann es lohnen, bei „c" Vermißtes unter „ k " bzw. „z" zu suchen, u n d umgekehrt; Gleiches gilt natürlich auch fur „i" u n d Actium 12,309 Adamklissi 278 Aelius Aristides 372, 383 aerarium militare 22 Agricola 222ff. Alanen 349 Alexandria bei Ägypten 457ff., 477ff., 483 Alexandria Troas 355 alimenta 23f., 34 Alt 277 Anas 123 Andronikos von Kyrrhos 326 Antinoopolis 479f. Antonia Tryphaena 256, 345 Antoninusmauer 227f. Antoninus Pius 164, 280 Antiochia a m O r o n t e s 401, 409 Antiochia in Pisidien 356, 361 Apamea am Orontes 409 Apuleius 103 Aquileia 10 Aquincum 282,297 Arabien 406 Ara U b i o r u m 165 Archelaos 343 archiereus in Ägypten 475f. Aretium 15 Ariovist 156 Arminius 167 Arno 5 Arrian 349 Asconius 4 Asiarch 351 f. Asien 341 Aspurgus 257 Assyrien 406 Asturien-Kalläkien 126, 130, 138 Athen 321, 325, 328f„ 336 Atta 66 attributio 173 Augusta Vindelicum 297
Augustusmausoleum 13 Aurelian 408 Auspizien 8 Avidius Cassius 470 Baal 104,424f. Baalbek 426 Bar Kosiba 439f. Barrabas 436 basilike ge 486f. Batiokeke 413 Bätika 123, 135 Bato 255 Beloch 31 Benevent 36 Beroia 334f. Bergbau 133f„ 289 Beschneidung 439f„ 470, 476f. Berytos 401 Bithynien 341 Bostra 409f. Boudicca 219ff. Bruttium 3,58 Burebista 252,266f. B u t h r o t u m 316f„ 335 Byllis 317 Caelestis 104 Caere 15,26 Caesar 215 Caligula 155 Camerinum 15 canabae 298 Canusium 19 Caratacus 218 Carausius 231 f. Carnuntum 297 Cartimandua 218 Castra R e g i n a 292 C a t o d. Ä. 3 Catualda 256 Cestius Gallus 437 Chatten 169
Register
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Christentum 105, 144, 186, 335f., 422, 508ff. Cirta 82f. Classicianus 220 Claudius 216 Claudius II. 305 Clavicula 224 Clodius Albinus 126, 164, 228 Clusium 15 Colchester 220, 233 Corbulo 168, 346, 408 Cosa 34,37 Crassus 252,312 curatores viarum
22
Dakien 277ff. Decebalus 268,277 Decius 304,335 Deditizier 471 Dekapolis 402 Delos 12 Delphische Amphiktyonie 318 Doclea 287 Domitius Ahenobarbus 254 Donnus 172 Dura Europos 406 Dyme 317 Dyrrhachium 264,313 Edessa 406f. Emerita Augusta 124, 131f. Emesa 346, 403, 406 Emona 5,260 Epeiros 314 Ephesos 27, 359, 368, 380, 383 Emun 104,424 Etenneis
357
Etrurien 3, 15 Eurykliden 323,330 Fishbourne 236 Forum Boarium 3 Forum Clodi 15 Florus 102f. Flotte 10 forma
urbis
57
Forum Iulii 153 Fronto 100, 103 Gabii 34 Galatien 343f., 375 Galba 127f., 155, 164, 168 Galiläa 410,435 Gallienus 172,482
Gallus 466,473f. Garum 135f. ge demosia
487
Gerasa 401 f. Germanicus 163,467 Geten 255, 266, 313 Getreide 40f., 50fF, 68ff„ 191f„ 371, 488 Glanum 155 Goten 349 Hadrian 326f., 332f. Hadriansmauer 225ÍF. Hannibal 3 Hauran 401 Hekataios von Milet 3 Hermopolis Magna 482 Herodes Atticus 322f., 326, 334 Herodes der Große 410, 428ff. Heruler 336 hill-fort-Kukm
214f.
Homonadeis 345, 348, 378f. Horaz 12, 15 idios logos
475f.
Illyrer 262 Italica 121 Iuba II. 108f. Iulius Florus 163 Iulius Sacrovir 163 Iulius Vindex 164,168 iuridici
7, 2 4 f .
iuridicus von Alexandria ius Italicum
475f.
8ff., 2 6 4 , 2 7 0
ius trium liberorum
11
Jerusalem 401,410 Juden 66, 302, 324f„ 335, 385, 428ff„ 467, 504ff. Justinus Martyr 335 Juvenal 101 Kaisarion 457 Kaiserkult 143, 174f„ 181, 331, 333f., 409 Kallatis 254,271 Kappadokien 343 Karthago 82ff. Katastrierungen 69, 85, 154, 176, 415 Kilikien 347 Kleinarmenien 343 Kleopatra 457, 459 Koina 314£F„ 334, 351ff„ 368 Komana 358,374
Register Kommagene 345, 403ÍF. Korinth 314, 316, 327f„ 335f. Korsika 65 Kottische Alpen 173 Kotys 256 Kreta 313,334 Kyrenaika 313, 323ff„ 333f„ 457 Kyrene 323f. Laodikea am Meer 409 Latein 237, 302, 356 La-Tène-Zeit 156,215 Latinisches Recht 178f. Latium maius 97f., 179 legio I 167, 169 legio I Adiutrix 168 legio I Minervia 169 legio I Parthica 4 0 8 legio II Adiutrix 168,221,296 legio II Augusta 167,216,218,220 legio II Italica 292 legio II Parthica 10,295 legio II Traiana 475 legio III Augusta 86, 89, 98, 106, 112 legio III Cyrenaica 403, 475 legio III Gallica 262, 323, 4 0 8 legio III Italica 292 legio III Parthica 4 0 8 legio IV Macedonica 129, 169 legio IV Scythica 262,408 legio VAlaudae 153, 167, 169 legio VMacedonica 26If., 350 legio VI Ferrata 259,408 legio VI Victrix 129, 168f. legio VII Hispana 129 legio VIII Augusta 1 6 8 f „ 262 legio IX Hispana 169, 216f., 221, 257,
262 legio X Fretensis 408, 4 3 8 legio X Gemina 129 legio XI Claudia 169 legio XII Fulminata 350, 4 0 8 legio XIII Gemina 167,262 legio XIV Gemina 1 6 7 f „ 216 legio XVApollinaris 262, 3 5 0 legio XVPrimigenia 167,169 legio XVI Flavia Firma 408 legio XVI Gallica 167,169 legio XVApollinaris 5 legio XX Valeria Victrix 167, 2 1 6 f „ 2 1 9 legio XXI Rapax 167ff.
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legio XXII Deiotariana 441, 475 legio XXII Primigenia 165, 168f. legio XXX Ulpia 169 lex Gabinia 313 lex de Gallia Cisalpina 17, 20, 2 3 lex Hieronica 65
lex Manciana lex Pompeia
89, 93ff, 4
Lepcis Magna 88, 91 Liburnien 5,270 Limes 169ÍF., 408 Liturgien 491 Livius 12 Lollius 165 London 232 Lucus Feroniae 34 Lugdunum 159, 161, 163, 174, 193 Lusitanien 124 Lykaonien 344f. Lykien 344,346 Maecenasrede 16 Mainz 170 Marc Aurel 322f. Mauretanien 107ÍF. Maximinus Thrax 17, 106, 126, 173, 303, 472f. Men 379,384 merides
309
Mesopotamien 406 Messalla Corvinus 47 Messanismus 433fF. Misenum 10 Mithradates 311,370 Mommsen 82,463 Möns Graupius 223 Morava 250 Mucian 168 Münzgeschichte 131, 381ff„ 411f„ 466, 470, 492 Musulamier 88 Nabatäer 399, 404, 406, 417, 420 Nasamonen 88 Naukratis 479 Nauportus 6 Neokorie 369 Nero 259,346 Nikomedia 343, 362, 381 Nikopolis an der Donau 287f. Nikopolis bei Actium 332ff. Nîmes 164
Register
528 Notitia
Dignitatum
213
Nuraghen 68 Nyon 158f. Oinoanda 359 Öl 40, 82, 85, 93, 95, 135, 285f„ 321, 371f„ 419 Olba 343,346 Olympieion 327 Opromoas 359 opus caementitium
64
Orange 17 Otho 127f„ 164 Ovid 12 Oxyrhychos 482 Palmyra 405, 407f„ 420f„ 427 Pamphylien 346 Panhellenion 330f. Papyrus 488 Parion 355 Patrai 317 Paulus 328,335 Pella 317 Pentapolis 271 Pergamon 341,357,368 Petillius Cerialis 164, 168, 220 Philaenorum Arae 79 Philippi 317 Philippus Arabs 304, 354, 377, 473 Philopappos 325f. Photike 317 Piazza Armerina 63 Pisa 18 Pizenum 12 Plautius Silvanus Aelianus 258 Plinius d. J. 2 9 , 3 9 , 4 4 , 3 6 2 Plotina 164 Poblicius 189 Polemon 343 Pollentia 10 Polybios 3,318f. Pompeii 18ff., 30 Pompeius 50,357 Pontifex Maximus 3 , 1 1 Pontos 343,346 Poppaeus Sabinus 257, 313f. Porphyr 488 Präfekt von Alexandria und Ägypten 473ff„ 497f. Properz 12 Provinziallandtage 143, 174
Ptolemais 479 Purpur 372f„ 419, 421 Puteoli 10,28 Pythodoris 345 Ravenna 10 Regionen 6£F. Resaina 406 Rheskuporis 256 Rhoxolanen 259,278 R o m 32f., 47ff. Rottweil 170 Rubikon 5 Sabina 332f„ 335, 469 Safaiten 399,401,417 Saintes 160, 163 Sanhédrin 43 Iff. Sardinien 65fF. Sarmizegetusa 268,286 Saturninus 169 Scaptopara 300 Seleukia in Prierien 409 Septimius Severus 15, 164, 228ff, 296, 347, 406, 470f. Sex. Pompeius 59, 63 Sicca Veneria 83 Singara 406 Sirmium 255, 282, 293, 303ff. Siscia 255,282 Sizilien 58ff. Sklaven 32, 102, 190f., 272, 286, 376f„ 486 Skordisker 267 Sparta 329f., 336 Stadtkuratoren 26ff. Streifenhäuser 235 Sulla 5,311 subseciva
38
Susa 6, 172 Synnada 374 Tacfarinas 87f. Tafel von Banasa 111,499 Tafel von Herakleia 4, 7 Tanit 104 Tarrakonensis 124f. Tchalenko 414 Telamón 3 terra sigillata
95,
106,
285, 290, 367, 420 Tertullian 97, 105 Thamûd 401, 417
137,
192,
194,
Register Thamugadi 9 1 , 9 6 Thasos 333 Theodosius I. 251 Therinos 335 Thessalien 315 Thrakien 257f„ 265f., 283, 312f. Tiberias 405 Tiberius Iulius Alexander 468, 474 Titus 437 Traían 277ff„ 347 Trier 163, 176, 193 Turm der Winde 326 Türsteine 274 Tyros 407,424 Urso 10 Valerian 349 Varus 167 Veleia 17,36 Venusia 19 Verulamium 232f.
Vergil 12, 15, 103, 325 Vespasian 218, 314, 437f. via Claudia Augusta 265 via Egnatia 265, 311, 336 via Hadriana 469 via Sebaste 350 vicésima hereditatum 2 1 , 1 2 8 Viehzucht 42ff„ 70 vigiles 48 Vindobona 260 Vindolanda 214 Vinicius 254 Virunum 271 Volkszählungen 176 Wahlen 18 Wein 40f„ 136, 371 Wolle 42fF., 64, 366 Zisalpina 3 , 5 Zypern 343f„ 372, 375, 457
Ansichten griechischer Rituale Geburtstags-Symposium für Walter Burkert Castelen bei Basel, 15. bis 18. März 1996 Herausgegeben von Fritz Graf '98. VIII, 467 S. mit 10 Abbüdungen und 39 Abbildungen im Tafelanhang. 15,5 x 23,5 cm Geb. D M 198,- / ÖS 1445,- / SFr 1 7 8 ISBN 3-598-77433-8
M. L. West. H o m o Moriens - H.-D. Betz, „Der Erde Kind bin ich und des gestirnten Himmels". Zur Lehre vom Menschen in den orphischen Goldplättchen - C. Riedweg, Initiation - Tod - Unterwelt. Beobachtungen zur Kommunikationssituation und narrativen Technik der orphisch-bakchischen Goldblättchen — C. Caíame, Tragédie et culte à mystère. Les rites funéraires dans l'Oedipe à Colone de Sophocle — E. Krummen, Ritual und Katastrophe. Rituelle Handlung und Bildersprache bei Sophokles and Euripides — H. Lloyd-Jones, Ritual und Tragedy — G. Baudy, Ackerbau und Initiation. Der Kult der Artemis Triklaria und des Dionysos Aisymnetes in Patrai — P. Blome, Das Schreckliche im Bild — E. Simon, Archäologisches zu Spende und Gebet in Griechenland und R o m - J. N. Bremmer, Constructing Religion Around 1900. Some Terminological Observations on „Religion", „Ritual" and the O p p o sition „Sacred vs. Profane" — A. Henrichs, Dromena und Legomena. Z u m rituellen Selbstverständnis der Griechen — Ν. Marinatos, Goddess and Monster: An Investigation of Artemis — R . Hägg, Ritual in Mycenaean Greece - F Graf, Kalendae Ianuariae. Westliches Ritual im griechischen Osten - J. Scheid, Nouveau rite et nouvelle piété. Reflexions sur le ritus Graecus — P. Borgeaud, Taurobolion — H. Versnel, Greek and Litin Anatomical Curses: Continuity and Change - T. Szlezak, Τίμιου το κ α θ ό λ ο υ .
Κ · G · Saur München · Leipzig
Moribus antiquis res stat Romana Römische Werte und römische Literatur im 3. und 2. Jh. v. Chr. Von Maximilian Braun, Andreas Haltenhoff, Fritz-Heiner Mutschier 2000. 376 Seiten und 12 Seiten Tafelanhang. 15,5 χ 23,5 cm Geb. D M 158,-/ÖS 1.153-/SFr. 142,-. ISBN 3-598-77683-7 (Beiträge zur Altertumskunde 134)
Das bekannte Enniuswort, daß auf „den alten Sitten und Männern die römische Sache ruhe", akzentuiert treffend die große Bedeutung, die der mos maiorum als Inbegriff von Wertvorstellungen, Leitbildern und Reglements, welche als verpflichtendes Erbe der Vorväter aufgefaßt wurden, in der römischen Gesellschaft besaß. Es überrascht nicht, daß dieser normative Komplex als Ganzes oder in einzelnen Teilen schon durch die frühe römische Literatur immer wieder thematisiert und eingeprägt wird. Wie dies geschieht, untersuchen die Beiträge dieses Bandes, der aus der Arbeit des Sonderforschungsbereiches „Institutionalität und Geschichtlichkeit" an der Technischen Universität Dresden hervorgegangen ist. Neben Aufsätzen zu den verschiedenen literarischen Kommunikationsformen, wie Inschriften. Epos, Geschichtsschreibung, Tragödie, Komödie und Satire, treten Abhandlungen über den mos maiorum als Mittel der Selbstdefinition. das Wesen der römischen Werte oder das Verhältnis von ins und mos in der Rechtspraxis. Auch die Repräsentation römischer Wertvorstellungen in den archäologischen Zeugnissen wird berücksichtigt.
K G · Saur München • Leipzig
Ovids Amores Gedichtfolge und Handlungsablauf
Von Barbara Weinlich 1999. 295 Seiten. Geb. DM 1 3 0 - / Ö S 949,-/SFr. 116.-. ISBN 3-598-77677-2 (Beiträge zur Altertumskunde 128)
Mit einer aufmerksamen und sensiblen Analyse der 50 unter dem Titel Amores überlieferten Liebeselegien möchte diese Arbeit eine Lücke in der Forschungsliteratur schließen. Neben der Auseinandersetzung mit Textproblemen, etwa der von den Herausgebern vorgenommenen Teilung einiger Gedichte, steht zunächst die Frage nach der Aussage, welche Ovid mit jeder einzelnen Liebeselegie intendiert hat, im Vordergrund. Da die Amores fast durchweg als Reden konzipiert sind, werden bei deren Deutung auch sprachpsychologische Aspekte miteinbezogen. Zusammen mit der Auswertung der zahlreichen, teilweise bislang nicht entdeckten Bezugnahmen auf Elegien des Properz und Tibull wird ein neuer Interpretationsansatz gebildet. Einzelne Elegien - insbesondere die des dritten Elegienbuches - erfahren hierdurch eine neue Deutung und liefern somit auch den Schlüssel zu der Frage nach den Gestaltungsprinzipien, welche die Anordnung der Gedichte innerhalb eines Buches wie die Komposition der drei Bücher überhaupt bestimmen. Auch hier kommt die Untersuchung zu neuen, überraschenden Ergebnissen.
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