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German Pages 519 [520] Year 1988
Risiko in der Chirurgie
Risiko in der Chirurgie Analyse und Kalkulation
Herausgegeben von R. Häring
w DE
G
Walter de Gruyter Berlin . New York 1988
Prof. Dr. med. Rudolf Häring Klinikum Steglitz der Freien Universität Berlin Chirurgische Klinik und Poliklinik Abt. für Allgemein-, Gefäß- und Thoraxchirurgie Hindenburgdamm 3 0 D - 1 0 0 0 Berlin 4 5
Dieses Buch enthält 126 Abbildungen und 2 5 0 Tabellen
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen
Bibliothek
Risiko in der Chirurgie : Analyse und Kalkulation / hrsg. von R . Häring. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1988. ISBN 3-11-011232-9 NE: Häring, Rudolf [Hrsg.]
© Copyright 1987 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, daß solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Satz und Druck: Arthur Collignon G m b H , Berlin. — Bindearbeiten: Dieter Mikolai, Berlin. — Umschlagentwurf: Rudolf Hübler, Berlin.
Herrn Professor Dr. med. Fritz Kümmerle zum 70. Geburtstag gewidmet
Vorwort
Ein wesentlicher Aspekt des chirurgischen Fortschritts ist die Verringerung des operativen und perioperativen Risikos. Dieser Erfolg drückt sich nicht nur in einer deutlichen Abnahme der Operationsletalität, der Wundinfektionen und anderer Komplikationen, sondern auch in der Möglichkeit großzügigerer Operationsindikationen und ausgedehnterer chirurgischer Eingriffe aus. Trotz der vielfältigen "Weiterentwicklung aber schließt jede Operation nach wie vor einen Rest von Wagnis ein. Die risikolose Operation gibt es nicht. Unser Ziel muß sein, dieses Risiko für jeden Patienten individuell für seine Erkrankung und den für sie angezeigten operativen Eingriff zu analysieren und zu kalkulieren und die Gefahren in Grenzen zu halten. Risikoforschung hat daher zunehmend an Gewicht gewonnen. Sie ist eine interdisziplinäre Aufgabe, die sich Chirurgen, Anästhesisten, Internisten, Neurologen und verschiedenen anderen stellt. Nachdem das vorjährige Symposium „Aktuelle Chirurgie" „Operative und indikatorische Fehler in der Chirurgie" behandelte, ergab sich für das 11. Symposium 1986 ganz folgerichtig die Thematik „Risiko in der Chirurgie" und gewissermaßen als Fortsetzung zu einer „Trilogie" der Themen wird sich für 1987 — um dies schon anzukündigen — der Problemkreis „Postoperative Syndrome und Folgezustände" anzubieten. Das Thema „Risiko in der Chirurgie" — als fachübergreifendes Gespräch gedacht — wurde von namhaften Referenten der verschiedensten Fachdisziplinen in ca. 70 Vorträgen diskutiert. Die Referate sind in diesem Band zusammengetragen. Sie erfassen das operative Risiko unter den verschiedensten Aspekten, sollen Anregungen für die tägliche Arbeit am Patienten geben, aber auch zu weiterer Risikoforschung anregen. Den Referenten und Sitzungsleitern sei herzlich gedankt, ebenso dem Verlag Walter de Gruyter, der wiederum die Herausgabe des Symposiumsbandes wohlwollend unterstützt hat. Berlin, im Frühjahr 1987
Rudolf Häring
Inhalt
I Prinzipielle Aspekte Risiko in der Chirurgie R. Häring
Einführung 3
Grundlagen chirurgischer Risikoforschung: Beispiele aus dem Bereich des blutenden Ulcus ventriculi C. Ohmann, W. Lorenz, H. Stöltzing, K. Thon
7
Beurteilung des Operationsrisikos in der Allgemeinchirurgie bei Beschränkung der Handlungsfreiheit durch den Patienten G. Lepsien, K. Lepsien, H.-J. Peiper
19
„Klinischer Blick": Ein grundlegendes Hilfsmittel, das Risiko in der Chirurgie richtig einzuschätzen H. von Brehm
29
Ein einfaches Punktesystem zur präoperativen Risikoeinstufung U. Brenner, J . M . Müller, M . Walter
33
Der Parameter „Zeit", sein limitierter Effekt und Ansätze, den Zeitfaktor zu beeinflussen H. Bockhorn, J . A. Bonner
41
II Analyse und Bewertung allgemeiner Risikofaktoren Kardiale Risiken in der Chirurgie — Übersicht B. Ramdohr
51
Bewertung von kardiovaskulären Risikofaktoren für das operative Risiko H. Heinrich, F. W. Ahnefeld
57
Präoperative diagnostische Möglichkeiten zur Abschätzung des kardiorespiratorischen Systems bei Risikopatienten O. Mayr, K. Reinhart
61
Welchen Belastungen ist der Kreislauf in der postoperativen Phase nach größeren Bauchoperationen mit unkompliziertem Verlauf ausgesetzt? R. Eisele, G. Stühmeier, W. Baumann
67
Analyse und Bewertung allgemeiner Risikofaktoren in der Chirurgie: Gefäßerkrankungen H. Rieger
75
Lungenerkrankungen H. Huckauf
85
Allgemeines Operationsrisiko bei Nierenerkrankungen A. Distler, F. Keller, H.-H. Neumayer, G. Offermann, L. Schudrowitsch
91
Allgemeinchirurgische Eingriffe bei chronisch Nierenkranken unter Dialyse und nach Nierentransplantation K. Albrecht, W. Niebel, N. Graben, R. Windeck, H. Coone
97
X
Inhalt
Das postoperative Blutungsrisiko bei niereninsuffizienten Patienten — Präoperative Bewertung, Prophylaxe und Therapie U. T. Hopt, B. Greger, W. Schareck, G. H. Müller, H. Bockhorn
103
Analyse und Bewertung allgemeiner Risikofaktoren: Lebererkrankungen K.-H. Meyer zum Büschenfelde
111
Der Ikterus als Risikofaktor in der Gallenwegschirurgie — Eine retrospektive Analyse B. Koch, A. Pulvermüller, A. Kretschmer, Ph. Langenscheidt
123
Die portale Hypertension als Risikofaktor in der Abdominalchirurgie G. Lepsien, K. Lepsien, H.-J. Peiper
129
Risiko in der Chirurgie: Stoffwechselerkrankungen (Diabetes mellitus, Adipositas) H.-J. Quabbe
139
Die Therapie des Diabetes mellitus in der perioperativen Phase Chr. Anger, Chr. Puchstein
149
Die präoperative Abschätzung des postoperativen Risikos aus ernährungsphysiologischer Sicht U. Brenner, J . M. Müller
157
Der Einfluß von Lipidemulsionen auf das Phagozytoseverhalten von neutrophylen Granulozyten im Rahmen der parenteralen Ernährung Chr. Posner, D. Henne-Bruns, B. Tiedemann, B. Kremer
169
Alter als Risikofaktor — Analyse und Bewertung E. Kraas
177
Risikofaktor Lebensalter L. Braun, F. Brohl
185
Chirurgie im hohen Alter — ein kalkulierbares Risiko? P. Sungler, H. W. Waclawiczek, O. Boeckl
191
III Beurteilung des Operationsrisikos Beurteilung und Begrenzung des Operationsrisikos — Operationsrisiko aus der Sicht des Chirurgen E. Deltz, H. Hamelmann
199
Kriterien zur chirurgischen Intervention bei abdomineller Sepsis W. Oettinger, H. G. Beger
207
Risikoabwägung bei Wundinfektionen immunsupprimierter Patienten W. Schareck, U. T. Hopt, B. Greger, H. Bockhorn
213
Auswirkungen chirurgischer Infektionen auf die Stimulierbarkeit zur Chemilumineszenz von Granulozyten und die Freisetzung granulozytärer Elastase D. Inthorn, M. Jochum
219
Beurteilung und Begrenzung des Operationsrisikos Anästhesisten K. Geiger, H. Lutz
225
— Risiko aus der Sicht des
Das gesamtoperative Risiko aus anästhesiologischer Sicht H. Wroblewski, K. Unertl
231
Präoperative Diagnostik und Anästhesierisiko K. W. Christian, H. Gervais, W. Dick
237
Inhalt
XI
Risikobeurteilung bei Intensivpatienten in der perioperativen Phase P. Lehmkuhl, U. Lips, M. Ludwig, I. Pichlmayr
243
Beurteilung und Begrenzung des Operationsrisikos aus der Sicht des Internisten W. Thimme
249
Das operative Risiko bei malignen hämatologischen Systemerkrankungen C. Hügelschäffer, P. Kujath, H.-P. Bruch 257 Beurteilung und Begrenzung des Operationsrisikos — Risiko aus der Sicht des Neurologen P. Marx 265 Bewußtseinsstörungen als Risikofaktor H. Imdahl 275 Häufigkeit und Ursachen des sogenannten postoperativen Durchgangssyndroms bei Patienten einer allgemeinchirurgischen Intensivstation A. Dieckelmann, M . Haupts, G. Kordt, A. Kaliwoda, V. Zumtobel 285 Risikofaktor Alkoholabusus bei Patienten einer operativen Intensivstation J. Goecke, I. Rüther, H.-J. Gramm, U. Föhring, J. Link
289
IV Spezielle Operationsrisiken und Grenzen der Belastbarkeit des Patienten Grenzen der Belastbarkeit des Patienten in der Karzinomchirurgie V. Zumtobel, U. Finke
299
Belastbarkeit und Belastung des Patienten in der Notfallchirurgie F. W. Schildberg, H.-G. Rau, M . Heinz, M. Schardey
309
Operationsrisiken und Grenzen der Belastbarkeit des gefäßchirurgischen Patienten R. J. A. M. van Dongen 323 Der axillo-femorale Bypass. Ein auf lange Sicht zu risikoreiches Verfahren — Fehler der Primärindikation? W. Hepp 331 Extra- und transperitoneale Rekonstruktion im aorto-iliakalen Bereich — Risiko und Ergebnisse E. Kovats, B. Teleky, P. Polterauer, M. Schemper, T. Hölzenbein 337 Ruptur des bekannten Bauchaortenaneurysmas beim Risikopatienten H. Imig, A. Schröder
345
Lungenchirurgie — Spezielle Operationsrisiken und Grenzen der Belastbarkeit des Patienten H. Denck, W. Kutschera, J. Müller 347 Prognostische Relevanz des präoperativen Immunstatus für den postoperativen Outcome bei thoraxchirurgischen Eingriffen W. Ebert, I. Rietbrock, G. John 351 Operationsrisiken und Grenzen der Belastbarkeit des Patienten in der Lungenchirurgie M . Thermann, H. U. Schröder 357 Das perioperative Risiko des alten Menschen in der Thoraxchirurgie H. Dienemann, L. Sunder-Plassmann, K. K. Hagspiel, G. Heberer
361
Präoperative Risikoeinschätzung bei Patienten mit Ösophaguskarzinom H. Konder, E. Poenitz-Pohl, H.-D. Röhrer, H. Lennartz
367
XII
Inhalt
Inwieweit können Risikofaktoren und Alter den postoperativen Verlauf bei Patienten mit bösartigen Erkrankungen der Speiseröhre beeinflussen? B. Kessler, M. Blum, B. Reers, M. Arndt Das Risiko in der Magenchirurgie V. Schumpelick, J. Faß, U. Klinge, W. Effendy Risikofaktoren in der operativen Therapie des Magenkarzinoms — eine Validisierungsanalyse von 506 Patienten R. Bittner, H. Schirrow, M. Butters, H. G. Berger Risikofaktoren bei der Gastrektomie B. Stallkamp Ist die Gastrektomie auch im hohen Alter und bei Multimorbidität vertretbar und sinnvoll? N. Demmel, B. Günther, G. Heberer Risiken in der Leberchirurgie Ch. E. Broelsch Spezielle Operationsrisiken und Grenzen der Belastbarkeit des Patienten in der Pankreaschirurgie H. Zirngibl, F. P. Gall Die Bedeutung der funktionellen Computertomographie zur Risikominderung bei Eingriffen wegen akuter Pankreatitis H. Imdahl, K. Mathias, J. Hoffmann, F. P. Pfingsten Langzeitbeatmung mit PEEP — eine Gefahr für die Bauchspeicheldrüse? M. Kahle, J. Lippert, P. Martin, H. R. Boedecker Chirurgie der Gallenblase und Gallenwege G. Feifei Auswahl des palliativen Vorgehens beim tumorbedingten Verschlußikterus D. Jung, V. Mendel. D. Unverferth, N. Geissler, H. Heymann Risiken und Grenzen der Belastbarkeit des Patienten in der Gallensteinchirurgie E. Pratschke, H.-J. Krämling, B. Günther, T. Sauerbruch Das Risiko bei konservativer Behandlung des Gallensteinleidens — Ergebnisse an einem geomedizinischen Modell G. Meiser, K. Meissner, E. Fuchs Risikoanalyse des Gallenwegseingriffs — eine Leitschiene zur Indikation D. Schröder, Th. Böttger, E. Ungeheuer, P. Brandt Spezielle Operationsrisiken und Grenzen der Belastbarkeit des Patienten in der Dünn- und Dickdarmchirurgie R. Kirchner, W. Henke, R. Häring jr., R. Salm Risikoanalyse in der Dickdarmchirurgie am Beispiel des kolorektalen Karzinoms P. Hermanek jr Risikofaktoren bei der Hernia incarcerata M. Kaminski, H. Gögler Autorenverzeichnis Sachregister
371 377
387 393
401 407
421
435 445 449 457 463
467 475
481 487 493 497 501
I Prinzipielle Aspekte
Risiko in der Chirurgie — Einführung R. Häring
Risiken und Gefahren haben die menschlichen Zivilisationen immer begleitet! Die Vermeidung oder zumindest Begrenzung von Risiken ist, wie in vielen anderen Bereichen unseres Lebens, so auch in der Chirurgie, stets ein wichtiges Anliegen gewesen. Risiko bedeutet „die Wahrscheinlichkeit, daß ein unerwünschtes Ereignis eintritt". Das unerwünschte Ereignis sollte auf zumutbare „kleine Wahrscheinlichkeiten" reduziert werden. Aber auch extrem klein gehaltene Risikowahrscheinlichkeiten können, und dies hat Tschernobyl gezeigt, bisweilen unzumutbar sein. Totale Risikoausschaltung aber ist eine Illusion, auch in der Chirurgie! Rückblickend auf das letzte Jahrzehnt dürfen wir mit Befriedigung registrieren, daß die Entwicklung in der operativen Medizin auch eine Minderung des Operationsrisikos einschließt, die sich unter anderem in den Letalitätszahlen ausdrückt. Als Beispiel hierfür sei die Reduktion der Operationssterblichkeit nach totaler Magenexstirpation angeführt. Sie betrug in den 60er Jahren um 30%, jetzt aber liegt sie in vielen Kliniken unter 10%, in der eigenen um 6%. Dieser Fortschritt in der Risikobegrenzung basiert nicht allein auf der verbesserten chirurgischen Technik, sondern — und das müssen wir Chirurgen zugeben — sehr wesentlich auch auf Forschungsergebnissen anderer Disziplinen. Hier steht ganz vorn die Leistung der modernen Anästhesie und Intensivmedizin. Daneben sind zu nennen: verbesserte diagnostische Verfahren, subtilere pathophysiologische Kenntnisse und exakte Meßmethoden, die Entwicklung neuer hochwirksamer Arzneimittel und gewebefreundlicher Nahtmaterialien und der Ausbau des Transfusionswesens. Risikoforschung in der Chirurgie kann daher nur als interdisziplinäre Aufgabe verstanden werden. Eine intensive Kooperation zwischen Chirurgen, Anästhesisten, Internisten, Neurologen, Labormedizinern und nicht zuletzt mit der Medizinindustrie sind eine unabdingbare Voraussetzung. Betrachtet man das Risiko der Chirurgie global, so ist festzustellen: indikatorische und operative Fehler des Chirurgen, unmittelbare peri- und postoperative Komplikationen unterschiedlichster Ursache und die „Maladie postoperatoire" nach Leriche, d.h. postoperative Folgezustände nach eingreifenden Operationen, sind neben der Grunderkrankung maßgebend für den Erfolg eines chirurgischen Eingriffes. „Fehler in der Chirurgie" haben wir auf unserem letztjährigen Symposium besprochen. In diesem Jahr steht die „Analyse und Kalkulation des unmittelbaren Risikos" zur Diskussion und so wird sich zwanglos für das kommende Jahr das Thema „Postoperative Folgezustände und Syndrome" anbieten.
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R. Häring
Drei wichtige Aspekte der Risikoforschung, die auf unserer Tagung zur Diskussion stehen, möchte ich herausstellen. 1. Was ist Operationsrisiko? 2. Wie läßt sich das individuelle Risiko für den Patienten erfassen und 3. wie kann dieses individuelle Risiko begrenzt werden? Für das operative Risiko ist eine ganze Skala von Einzelfaktoren bestimmend. Hierzu zählen: — — — —
Art und Schwere der Grunderkrankung; Alter und Konstitution des Patienten; Grad der Vorschädigung des Patienten durch zusätzliche Erkrankungen; Größe und Ausdehnung der Operation.
Die ersten drei Faktoren sind nicht durch den Chirurgen und seine Operationstechnik beeinflußbar. Sie müssen jedoch bei der Indikationsstellung gebührend gewichtet werden. Bereits mit der Anzeigestellung zur Operation beginnt das Risiko! Die Operationsindikation muß nicht nur die Heilungschancen oder Zumindestens Linderung von Beschwerden berücksichtigen, sondern auch die operativen Gefahren, die möglichen Folgeerscheinungen, ferner Lebenserwartung und Lebensqualität kalkulieren. Hinzu kommen variable Momente wie Größe und Ausdehnung der Operation oder Erfahrung und Können des Anästhesisten und Chirurgen. Es gilt, Chancen und Risiken sachverständig abzuwägen, wenn man auch sagen muß: Kein Eingriff ist ohne eine gewisse „Wagnisbereitschaft" des Chirurgen durchführbar. Eine zu defensive Chirurgie kann für den Patienten auch nachteilig sein. Ein gewisses Maß an Wagnis muß deshalb auch der Patient mittragen. Besonders groß wird die Verantwortungslast für den Chirurgen und Anästhesisten, wenn Entscheidungen im „Grenzbereich" getroffen werden müssen. Zwar ist die Realisierung des Machbaren zur Faustregel unseres Fortschritts geworden, hier aber gilt es, Machbares vom ärztlich Sinnvollen und Verantwortbaren abzugrenzen. Zur zweiten Frage: Wie kann man das individuelle Risiko des einzelnen Patienten erfassen? Zur Beurteilung des Risikos wurden verschiedene Strategien entwickelt (Tab. 1). Dazu zählen als traditionellste Methode, die noch immer große Bedeutung hat, die „ärztliche Erfahrung" und der sogenannte „klinische Blick". Ferner gehört dazu die Erfassung von Komplikationsraten durch eine retrolektive Risikobeurteilung, d. h. der retrospektive Vergleich von Erfolgen und Mißerfolgen bei bestimmten Operationsverfahren und bestimmten Erkrankungen — in erster Linie ausgedrückt durch die Letalität. Sie ist eine alte Methode, die in einem gewissen Sinne auch als Qualitätskontrolle für den einzelnen Operateur oder eine Klinik dienen kann. Des weiteren können durch eine sogenannte prolektive Beurteilung wichtige HerzKreislauf- und Lungenfunktionsparameter präoperativ erfaßt und umfassende Laboruntersuchungen, die Auskunft geben über Eiweiß und Elektrolythaushalt, über Gerinnungsfaktoren, den immunologischen Status, über Leber- und Nierenfunktion und vieles andere durchgeführt werden.
Risiko in der Chirurgie Tabelle 1
Einführung
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Strategien der Risikobeurteilung
Strategie
Methode
Vorteile
Nachteile
„Klinischer Blick"
Intuition
schnell
nicht meßbar
Erfahrung
individuell
nicht vergleichbar von der Person abhängig
Komplikationsrate
retrolektive
Daten vergleichbar
Erhebung
Daten evtl. unzuverlässig Datenverlust nicht individuell
Prognosewerte
prolektive
zuverlässig
Erhebung
ohne Datenverlust
Risikoanalyse
zuverlässig
nicht individuell
situationsgerecht Medizinische Entscheidungsfindung
hoher Aufwand
individuell
(Medical decision making) [nach H . Troidl, J . Kusche: Langenbecks Arch. Chir. 3 6 1 (1983) 2 4 3 ]
Aus dieser protektiven Beurteilung lassen sich Prognosewerte oder sogenannte Scores entwickeln, die auch einen Vergleich von Risikofaktoren für bestimmte Patientengruppen und spezielle Operationsverfahren ermöglichen. Damit ist ein wichtiger Schritt zur medizinischen Entscheidungsfindung, zum „medical decision making" getan. Zukünftig wird sicherlich diese Form der Risikoanalyse — wenn auch eine sehr aufwendige — die wichtigste Strategie sein. Auch hierüber wird in den folgenden Vorträgen berichtet werden. Nicht zuletzt sollte auch die Persönlichkeitsstruktur des Kranken bei der Risikobeurteilung mit kalkuliert werden, wie z. B. psychische Belastungsfähigkeit, Lebenswille, Nikotin- und Alkoholgenuß. Gerade die letztgenannten Faktoren können das Operationsrisiko erhöhen, wenn sie auch nicht exakt meßbar sind. Ich komme
nun zur letzten Frage: Wie kann man das Operationsrisiko vermindern?
Dazu ist festzuhalten, daß statistische Mittelwerte, die auf breiten, jahrelangen Erfahrungen mit einer bestimmten Erkrankung und mit bestimmten Operationsverfahren beruhen, keinesfalls für den einzelnen Kranken zutreffen müssen. Es bleibt also immer ein gewisser Unsicherheitsfaktor offen. Dieser wird als weniger gravierend gewertet, je dringlicher und lebensbedrohlicher die Situation für den Patienten ist, aber auch in dem Maße weniger schwerwiegend, je ausgiebiger Voruntersuchungen, Operationsvorbereitung und taktische Operationsplanung auf den einzelnen Patienten abgestimmt durchgeführt werden konnten. Der Operateur seinerseits kann das Risiko in Grenzen halten durch seine Erfahrung, perfekte und exakte Operationstechnik, durch Abwägung verschiedener Behandlungsmöglichkeiten und durch die richtige Wahl des Operationszeitpunktes. Nicht zuletzt spielt auch die Qualität der postoperativen intensivmedizinischen Betreuung eine ganz wesentliche Rolle.
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R. Häring
Lassen Sie mich zum Abschluß die vielfältigen Faktoren, die das Operationsrisiko bestimmen können, noch einmal in diesem Schema zusammenfassen (Abb. 1). Es ist sicherlich falsch, eine Operation, auch wenn es „nur" eine „kleine" ist, zu bagatellisieren. Es gibt keine risikolose Operation! Für die Chirurgie haben in diesem Zusammenhang zwei Sprichwörter Gültigkeit, auf die Hans Hellner hingewiesen hat: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt" und „Erst wägen, dann wagen"! Der Soziologe Ulrich Beck hat den Begriff der „Risikogesellschaft" geprägt, der unter dem Zwang zur Irrtumslosigkeit, zur Fehlerfreiheit steht und einerseits deshalb zum Dogmatismus neigt, andererseits ein Gefühl der Bedrohung erzeugt, aus dem heraus es zu „irrationalen Reaktionen" kommt. Ich hoffe, daß die angeschnittenen Gedanken und Fragen in den Vorträgen unseres Symposiums vertieft und vielleicht — wenigstens zum Teil — auch schlüssig beantwortet werden können.
OPERATIONSRISIKO
^•raoperative O t ^ q u o s t i k Biochemie Her* Kreislauf Lunge L e b e r , Niere Stoffwechsel
Art und Ausdehnung der CrufKterkranku'ng
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Dringlichkeit Lokalbefund O p e r a t i v e Möglichkeiten Prognose F u n k t i o n sausfalle
O p e r a »ton s v o r b e r ei t u r u j Medikamentöse T h e r a p i e Infusionstherapie Blutkonserven Atemgymnastik Rat. A u f k l ä r u n g
Operationstaktik und
technik
E r f a h r u n g des O p e r a t e u r s u n v o r h e r s e h b a r e ¿wischenfalle
Qualität der
Intensivtherapie
Postoperative Folgetu stände y^kk
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("maladle p o s t o p e r a toi r e " )
Grundlagen chirurgischer Risikoforschung: Beispiele aus dem Bereich des blutenden Ulcus ventriculi* C. Ohmann, W. Lorenz, H. Stöltzing, K. Thon
Einleitung Risikoforschung in der Chirurgie ist ein aktuelles und äußerst kontrovers diskutiertes Thema. Durch Kongresse und Fortbildungsveranstaltungen über dieses Thema, wie z.B. dem 11. Symposium „Aktuelle Chirurgie" in Berlin (1986), der 7. Arbeitstagung der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für klinische Studien (CAS) in Tübingen (1986, [14]) und dem 100. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in Berlin (1983, Hauptthema [7, 18]), aber auch durch die Gründung einer neuen Gesellschaft für Risikoforschung und die Herausgabe neuer Fachzeitschriften auf diesem Gebiet [7], hat gerade in den letzten Jahren die Risikoforschung zunehmend an Gewicht gewonnen. Heute stellt der Begriff Risiko in der Chirurgie einen häufig und vielfältig benutzten Begriff dar. Man findet ihn in unterschiedlichsten Bedeutungen und Zusammenhängen vor, z. B. als Operations- oder Anästhesierisiko, Risikooperation, Risikofaktor, Risikopatient, Risikobeurteilung und Risikoanalyse. Die weite Verbreitung und nahezu selbstverständliche Benutzung des Begriffs „Risiko in der Chirurgie" darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß hinsichtlich der grundlegenden Definitionen, Arten der Berechnung und Anwendungsmöglichkeiten bisher keine einheitliche Basis vorhanden ist. Zahlreiche Gründe sind hierfür verantwortlich. Durch die schillernde Vielfalt der Bedeutungen muß Risiko zwangsläufig ein schwer zu handhabender Begriff sein. Risiko beschreibt aber ein wichtiges Problem mit weitreichenden Konsequenzen, z. B. bei der Aufklärung und Indikation zur Operation [1], so daß die Auseinandersetzung mit Risiko und Risikoforschung für jeden Chirurgen absolut notwendig ist. Da der Wissensstand und die Betrachtungsweise zu diesem Problemkreis sehr unterschiedlich sind, z. B. beim klinischen Chirurg anders als beim theoretischen Chirurg, entsteht zusätzliche Verwirrung. Hinzu kommt, daß Risiko keinen statischen, sondern einen dynamischen und sich stark verzweigenden Prozeß beschreibt, der extrem schwierig zu quantifizieren und kaum mit geeigneten Modellen zu charakterisieren ist [1]. Es ist daher kaum verwunderlich, daß die Begriffe Risiko, Risikofaktor etc., je nach klinischem oder theoretischem Gebiet unterschiedlich und vor allem widersprüchlich * Mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Oh 39/2-1).
8
C. Ohmann, W. Lorenz
definiert werden (z.B. Klinische Epidemiologie [3], Medizinische Entscheidungsfindung [4], Statistik [5], Chirurgie [10]). In dieser Arbeit soll daher versucht werden, für das Gebiet der Chirurgie standardisierte, quantitative und brauchbare Definitionen der Begriffe Risiko und Risikofaktor anzugeben. Anhand von Beispielen aus dem Bereich der Ulkusblutung wird dann die Berechnung von Risiko, Risikofaktoren und Risikoraten besprochen [11, 12]. Abschließend werden Möglichkeiten der Umsetzung dieser Information in Therapiekonzepte aufgezeigt [15, 17].
Grundlegende Definitionen und Beispiele Definition von Risiko In Tabelle 1 sind die Definitionen für Risiko und Risikofaktor dargestellt. Diese Definitionen können im wesentlichen als eine Synthese verschiedener Fachgebiete bezeichnet werden. Risiko bezieht sich nach dieser Definition stets auf ein unerwünschtes Ereignis [3, 5, 18] und schließt erwünschte Ereignisse [4, 10] ausdrücklich aus. Unerwünschte Ereignisse lassen sich durch die Art, den Zeitpunkt und sie beeinflussende Faktoren charakterisieren. Zu den unerwünschten Ereignissen zählen z. B. das Auftreten einer Krankheit, die Komplikation einer Krankheit, die Komplikation einer operativen Therapie und der tödliche Ausgang einer Krankheit. Unerwünschte Ereignisse können präoperativ, perioperativ, frühpostoperativ und spätpostoperativ beobachtet werden [5]. Einflußfaktoren oder beitragende Bedingungen für das Auftreten eines unerwünschten Ereignisses können Risikofaktoren, Behandlungen oder Wechselwirkungen zwischen Risikofaktoren und Behandlungen sein. Tabelle 1
Definition von Risiko und Risikofaktor
Begriff Risiko
Definition bezieht sich auf ein unerwünschtes Ereignis läßt sich durch die Wahrscheinlichkeit mit der dieses Ereignis auftritt quantifizieren
Risikofaktor
Bedingung, bei deren Vorhandensein die Wahrscheinlichkeit für ein unerwünschtes Ereignis größer wird als bei Nichtvorhandensein
Beispiel eines Risikos Risiko läßt sich durch die Wahrscheinlichkeit (relative Häufigkeit) mit der ein unerwünschtes Ereignis auftritt, quantifizieren [3 — 5, 18]. Die Berechnung soll anhand eines Beispieles aus dem Bereich der Ulkusblutung erläutert werden (Tab. 2). Von 72 Patienten mit blutendem Ulcus ventriculi wurde bei 31 Patienten das unerwünschte Ereignis „Rezidivblutung" beobachtet. Das Risiko für eine Rezidivblutung ist definiert als die Wahrscheinlichkeit für eine Rezidivblutung. Diese Wahrscheinlichkeit wurde
Risikoforschung: Beispiele aus dem Bereich des blutenden Ulcus ventriculi Tabelle 2
Quantifizierung von Risiko a m Beispiel einer konsekutiven Serie von Patienten blutendem Ulcus ventriculi (Jan. 7 8 - Dez. 81, Chir. Univ.-Klinik Marburg) Rezidivblutung
9 mit
Summe
ja
nein
31
41
Risiko* für
Wahrscheinlichkeit
Rezidivblutung:
für Rezidivblutung
72 31 = — = 0,43 72
* zur Definition von Risiko siehe Tabelle 1
durch die relative Häufigkeit des Auftretens einer Rezidivblutung bei diesem Krankengut geschätzt, wobei sich ein Wert von 0,43 ergab (Tab. 2). Ein Risiko von 0,43 für eine Rezidivblutung läßt sich durch den Kliniker dahingehend interpretieren, daß in der Zukunft bei einem ähnlich zusammengesetzten Krankengut und vergleichbaren Bedingungen durchschnittlich bei vier von zehn Patienten eine Rezidivblutung erwartet wird. Definition eines Risikofaktors Unter einem Risikofaktor soll per Definition eine beitragende Bedingung verstanden werden, bei deren Vorhandensein die Wahrscheinlichkeit für ein unerwünschtes Ereignis größer wird als bei Nichtvorhandensein (Tab. 1). Ein Risikofaktor stellt somit ein zusätzliches Risiko dar, ohne in ursächlichem Zusammenhang mit dem unerwünschten Ereignis stehen zu müssen [3,5]. Dabei soll auf die Unterscheidung zwischen einem Risikofaktor und einem Prognosefaktor verzichtet werden. Die insbesondere von klinischen Epidemiologen gewählten Definitionen eines Risikofaktors als Bedingung mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten einer Krankheit und eines Prognosefaktors als Bedingung mit einem Einfluß auf den Ausgang der Krankheit bei schon vorhandener Krankheit [3] sind für den Chirurgen von untergeordneter Bedeutung, da er in der Regel bei Patienten mit vorhandener Krankheit Einflußfaktoren oder beitragende Bedingungen für das Auftreten einer neuen oder zusätzlichen Krankheit (z. B. Komplikation) untersucht. Die Unterscheidung eines Prognosefaktors als beitragende Bedingung für das Ereignis Überleben und eines Risikofaktors als beitragende Bedingung für ein ungünstiges Ereignis (ausgenommen Tod) [5] wird ebenfalls von Chirurgen selten benutzt, so daß die einheitliche Verwendung des Begriffs Risikofaktor bei allen Arten von unerwünschten Ereignissen empfehlenswert ist. Beispiele von Risikofaktoren Anhand von zwei Beispielen soll die Quantifizierung von Risikofaktoren erläutert werden. In Tabelle 3 ist wiederum für das Krankheitsbild des blutenden Ulcus ventriculi auf der Basis der bereits diskutierten konsekutiven Serie (Tab. 2) der Risikofaktor
10
C. O h m a n n , W. Lorenz
Tabelle 3
Untersuchung eines Risikofaktors 2 am Beispiel einer konsekutiven Serie von Patienten mit blutendem Ulcus ventriculi (Jan. 7 8 —Dez. 81, Chir. Univ.-Klinik M a r b u r g , s. Tab. 2) Rezidivblutung
Blutungstyp 1 ja Arterielle Blutung
Summe nein
ja
16
8
24
nein
15
33
48
31
41
72
oder Gefäßstumpf ( = Fla) Summe Risiko 2 für Rezidivblutung
Wahrscheinlichkeit für Rezidivblutung
bei Blutungstyp F l a :
bei F l a
Risiko für Rezidivblutung
Wahrscheinlichkeit für Rezidivblutung
bei sonstigem Blutungstyp:
bei sonstigem Typ
1 2
:
— = 0,67 24
15 ^ — 48
= 0,31
modifiziert nach Forrest [13] zur Definition von Risiko und Risikofaktor s. Tabelle 1
„Blutungstyp bei Endoskopie" untersucht worden [13], Von insgesamt 72 Patienten wurde bei 24 Patienten eine arterielle Blutung oder ein Gefäßstumpf ( = Blutungstyp Fla [13]) festgestellt (Tab. 2). Als Risiko für eine Rezidivblutung bei Blutungstyp Fla ergab sich ein Wert von 0,67. Dieser Wert stellte eine Schätzung der Wahrscheinlichkeit für eine Rezidivblutung bei vorliegendem Blutungstyp F l a dar und berechnete sich als folgender Quotient: Zahl der Patienten mit Blutungstyp Fla und Rezidivblutung dividiert durch die Zahl der Patienten mit Blutungstyp Fla (16/24). Analog wurde das Risiko für eine Rezidivblutung bei sonstigem Blutungstyp bestimmt (Tab. 3; 0,31). Da die Wahrscheinlichkeit für eine Rezidivblutung bei Blutungstyp F l a größer war als bei sonstigem Blutungstyp, mußte der Blutungstyp der Definition als Risikofaktor eingestuft werden. Vergleicht man die geschätzten Wahrscheinlichkeiten miteinander (0,67/0,31), so ergibt sich ein zweifach höheres Risiko einer Rezidivblutung bei Vorliegen einer arteriellen Blutung oder eines Gefäßstumpfes im Vergleich zum Vorliegen einer kapillären Blutung (Sickerblutung Flb) oder einer nicht (mehr) aktiven Blutung (F2, F3; [13]). Zu den Faktoren, die das Auftreten von unerwünschten Ereignissen beeinflussen können, sind auch die Behandlungen zu zählen. Auch sie müssen einer sorgfältigen Risikoanalyse unterzogen werden. In dem in Tabelle 4 dargestellten Beispiel sind im Rahmen einer randomisierten kontrollierten klinischen Studie zwei konkurrierende Therapiekonzepte im Hinblick auf das unerwünschte Ereignis „Tod" miteinander verglichen worden. Bei aggressivem chirurgischen Vorgehen (Therapie A) ergab sich ein Risiko für Tod von 0,04 und bei primär konservativem Vorgehen (Therapie B) von 0,10. Vergleicht man die geschätzten Wahrscheinlichkeiten miteinander, so ergibt sich für die primär konservative Therapie bei der Ulkusblutung ein zweieinhalbmal höheres Letalitätsrisiko als für das aggressive chirurgische Vorgehen [11].
11
Risikoforschung: Beispiele aus dem Bereich des blutenden Ulcus ventriculi Tabelle 4
Behandlung als R i s i k o f a k t o r 2 a m Beispiel einer prospektiven randomisierten klinischen Studie zum Therapiekonzept bei der Ulkusblutung [11] Tod
Risikofaktor
Summe
ja
nein
A
3
68
71
B
7
64
71
10
132
142
Therapie 1
Summe R i s i k o 2 für Tod bei Therapie A:
Wahrscheinlichkeit für Tod bei Therapie A
Risiko für Tod bei Therapie B:
Wahrscheinlichkeit für Tod bei Therapie B
1
2
; — = 0,04 71
:
71
= 0,10
Therapie A = aggressives chirurgisches Vorgehen Therapie B = primär konservative Therapie zur Definition von Risiko und Risikofaktoren s. Tabelle 1
Klinische Anwendung von Informationen über Risiko Verallgemeinerung Zahlreiche Probleme entstehen, wenn Informationen über Risiko und Risikofaktoren in die Klinik umgesetzt werden sollen. An erster Stelle ist hier das Problem der Verallgemeinerbarkeit zu nennen. Wünschenswert wäre die Übertragbarkeit der Ergebnisse einer Klinik auf andere Kliniken. Dies setzt allerdings die Vergleichbarkeit der Patientenkollektive in allen wichtigen Merkmalen, wie z. B. Alter, Geschlecht, Diagnosen, voraus. N u r wenn diese Bedingung erfüllt ist, ist an eine Übertragbarkeit der Ergebnisse überhaupt zu denken. Einen Lösungsansatz stellt die sorgfältige Beobachtung, Erfassung und Publikation aller im Zusammenhang mit dem jeweiligen Problem wichtigen Variablen her. Hierzu gehört die exakte Definition von Ein- und Ausschlußkriterien der untersuchten Patientenkollektive und die Dokumentation der wichtigsten Begleitmerkmale [9]. Durch einen Vergleich mit der Zusammensetzung des eigenen Krankengutes kann der Chirurg dann entscheiden, o b die Ergebnisse einer an einer anderen Klinik durchgeführten Studie weitgehend, teilweise oder kaum auf sein Krankengut übertragen werden können.
Beispiel einer Umsetzung in ein Therapiekonzept Ein anderes wichtiges Problem der Risikoforschung stellt die Umsetzung von Informationen über Risiko in Therapiekonzepte dar. Für das Beispiel des blutenden Ulcus ventriculi soll gezeigt werden, wie sich Informationen über Risikofaktoren sinnvoll zur Verbesserung von Therapiekonzepten einsetzen lassen.
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C. Ohmann, W. Lorenz
Hierzu wurden die Ergebnisse der bereits diskutierten retrospektiven Studie (genauer: retrolektive Cohortstudie) beim blutenden Ulcus ventriculi (Tab. 3: Jan. 78 —Dez. 81, n = 72) und Resultate der Literatur herangezogen. Die Untersuchungen basierten auf Schätzungen der Wahrscheinlichkeiten für eine Rezidivblutung und Tod in Abhängigkeit vom Blutungstyp bei Endoskopie und unterschiedlichen therapeutischen Ansätzen (primär konservative Therapie, Sofortoperation). Für die primär konservative Therapie konnten hierzu die Ergebnisse unserer Studie herangezogen werden, da in dem Studienzeitraum das definierte Therapiekonzept beim blutenden Ulcus ventriculi Cimetidinebehandlung bei allen Patienten und bei sichtbar aktiver Blutung sofortige Lasertherapie plus spätere Operation (Vagotomie) innerhalb von 24 — 72 Stunden vorsah. Im übrigen wurde die Operationsindikation nach Anamnese und Blutverbrauch gestellt [15, 17]. Für ein Therapiekonzept mit Sofortoperation wurden Ergebnisse aus der Literatur verwendet. Die Ermittlung des optimalen therapeutischen Vorgehens beim blutenden Ulcus ventriculi in Abhängigkeit vom Blutungstyp bei Endoskopie erfolgte anhand einer Entscheidungsbaumanalyse [10]. Entscheidungsbäume sind graphische Darstellungen von Entscheidungen und ihren wahrscheinlichen Konsequenzen. Dabei werden Zeitpunkte, zu denen Entscheidungen anstehen, als Entscheidungsknoten bezeichnet und mit einem Viereck gekennzeichnet. Für jeden Entscheidungsarm wird nun die Wahrscheinlichkeit des Verlaufs der Erkrankung (z. B. hinsichtlich Tod) geschätzt. Dort, wo sich die Folgen der Entscheidung in mehrere Möglichkeiten aufspalten, liegt ein Zufallsknoten, der mit einem Kreis gekennzeichnet wird. In Abbildung 1 ist ein solcher Entscheidungsbaum für das blutende Ulcus ventriculi dargestellt. Dieser Baum, der mögliche Alternativen und Konsequenzen aufzeigt, wird üblicherweise von links nach rechts gelesen. Von den Patienten mit blutendem Ulcus ventriculi bei Endoskopie hatten in unserem Krankengut 33% den Blutungstyp Fla (arterielle Blutung oder Gefäßstumpf; Tab. 3), 11% den Blutungstyp Flb (Sickerblutung) und 55% den Blutungstyp F2 oder F3 (mit Zeichen der vorausgegangenen Blutung; ohne Zeichen der vorausgegangenen Blutung) [13]. Berücksichtigt man, daß nicht alle Patienten eine endoskopische Blutstillung hatten (daher bei konsequenter endoskopischer Blutstillung eine niedrigere Rezidivblutungsrate als 67% zu erwarten), so ist eine angenommene Rezidivblutungsrate für ein primär konservatives therapeutisches Vorgehen beim Blutungstyp Fla von ca. 60% als sinnvoll anzusehen (Abb. 1; geschätzte Wahrscheinlichkeit bei Blutungstyp Fla, Therapie konservativ, Rezidivblutung ja: 0,60). Die Letalitätsrate wurde in Übereinstimmung mit unseren Ergebnissen bei Patienten mit Rezidivblutung nach primär konservativer Therapie auf 0,20 (bzw. 20%) und bei Patienten ohne Rezidivblutung nach primär konservativer Therapie auf 0,01 (bzw. 1%) festgelegt. Durch Multiplikation und Addition ergab sich für die primär konservative Therapie und den Blutungstyp F l a die in der Sprechblase angegebene Letalität von 0,124 ( = 0,60 x 0,20 + 0,40 x 0,01) oder 12,4%. Bei Wahl des therapeutischen Vorgehens Sofortoperation ergab sich ein umgekehrtes Bild. Die Rezidivblutungsrate bei Sofortoperation wurde aufgrund der Literatur auf 0,075 (bzw. 7,5%) festgelegt. Sowohl im Falle einer auftretenden Rezidivblutung als auch im Falle keiner Rezidivblutung wurde die Letalität gegenüber den entsprechenden Werten bei der primär konservativen Therapie deutlich höher mit 0,40 (bzw. 40%) und
| Blutungsquelle | Blutungstyp
Abb. 1
|
Therapie
| Rezidivblutung |
Tod
Entscheidungsbaum beim blutenden Ulcus ventriculi. • = Entscheidungsknoten, O = Zufallsknoten [19]. Z u r Schätzung der Einzelwahrscheinlichkeiten (Wahrscheinlichkeiten für Auftreten des jeweiligen Blutungstypes, Wahrscheinlichkeit für eine Rezidivblutung, Wahrscheinlichkeit für Tod) und zur Berechnung der Gesamtwahrscheinlichkeiten für Tod in den Therapiearmen (Sprechblasen) siehe Text. Als Wahrscheinlichkeiten für Tod wurden identisch für alle Blutungstypen bei primär konservativer Therapie 0 , 2 0 (Rezidivblutung) und 0,01 (keine Rezidivblutung) und bei Sofortoperation 0,40 (Rezidivblutung) und 0,05 (keine Rezidivblutung) gewählt. Diese Modellannahme war nötig, da insbesondere für die Sofortoperation kaum adäquate Information bezogen auf die Blutungstypen vorlag.
14
C. O h m a n n , W. Lorenz
0,05 (bzw. 5 % ) angesetzt. Die Letalität für den Arm Fla-Blutung und Sofortoperation berechnete sich analog zu 0,076 ( = 0,075 x 0,40 + 0,925 x 0,05) oder 7 , 6 % . Bei dem Blutungstyp F l b dagegen ergab sich nur ein geringfügiger Unterschied zugunsten dem primär konservativen Vorgehen (Abb. 1). Deutlich besser dagegen zeigte sich das primär konservative Vorgehen bei den Blutungstypen F2 und F3 mit einer Letalität von 0,039 (bzw. 3,9%) im Vergleich zur Sofortoperation mit einer Letalität von 0,076 (bzw. 7 , 6 % ) . Auf der Basis dieser Entscheidungsbaumanalyse wurde ein neues Therapiekonzept für das blutende Ulcus ventriculi definiert [15, 17]. Bei aktiver Blutung sollte ein endoskopischer Blutstillungsversuch durchgeführt werden. Gelang bei arterieller Blutung die endoskopische Blutstillung nicht, sollte der Patient unverzüglich operiert werden. Bei erfolgreicher Blutstillung oder bei sichtbarem Gefäßstumpf sah das neue Therapiekonzept dann die frühelektive Operation innerhalb von 24 Stunden vor. Alle Patienten mit Blutungstyp F l b , F2 und F3 wurden primär konservativ behandelt und nur dann elektiv operiert, wenn die Anamnese auf ein chronisches Ulkusleiden hinwies und kein erhöhtes Operationsrisiko vorlag. Das neue Therapiekonzept wurde an unserer Klinik in einer prospektiven Studie von Januar 1982 bis Mai 1984 an 48 Patienten mit blutendem Ulcus ventriculi getestet. Die Ergebnisse des ursprünglichen Therapiekonzeptes mit primär konservativer Therapie (retrospektive Studie), der theoretischen Entscheidungsbaumanalyse und des neuen Therapiekonzeptes sind in Tabelle 5 dargestellt. Es ergab sich eine deutliche Reduzierung der Letalität bei der prospektiven Studie im Vergleich zur retrospektiven Studie und eine gute Übereinstimmung mit der theoretisch vorhergesagten Letalität in der Entscheidungsbaumanalyse [17]. Durch Einbeziehung eines nachgewiesenen Risikofaktors (Blutungstyp) in ein Behandlungskonzept beim blutenden Ulcus ventriculi konnte im Vergleich zur Literatur und zu früheren eigenen Ergebnissen eine deutliche Verbesserung erzielt werden. Tabelle 5
Letalitätsraten ( % ) beim blutenden Ulcus ventriculi
Blutungstyp
Retrospektive Studie 1 (n =
72)
Entscheidungs-
Prospektive
baumanalyse 2
Studie 3 (n = 5
Fla
27
7,6
Flb
9
5,8
9
F2, F 3
12
2,9
0
Summe
15
4,4
6
1 2 3
48)
J a n . 7 8 - D e z . 81, Chir. Univ.-Klinik M a r b u r g siehe Abbildung 1 J a n . 8 2 - M a i 84, Chir. Univ.-Klinik M a r b u r g [17]
Risiko des individuellen Patienten Die Anwendung von Informationen über Risiko oder Risikofaktoren in Form von Wahrscheinlichkeiten für zukünftige Ereignisse ist beim individuellen Patienten nicht
Risikoforschung: Beispiele aus dem Bereich des blutenden Ulcus ventriculi
15
unproblematisch, da Wahrscheinlichkeiten nur für Grundgesamtheiten, d. h. Gruppen von Patienten, gelten. Auf einen individuellen Patienten lassen sich diese Wahrscheinlichkeitsaussagen nicht anwenden, denn wenn das unerwünschte Ereignis eintritt, wird es durch eine Wahrscheinlichkeit von 1 und im anderen Falle durch eine Wahrscheinlichkeit von 0 beschrieben [3]. Trotz dieser Einschränkung kann Risikoforschung mit Wahrscheinlichkeiten außerordentlich hilfreich sein, um neue und verbesserte Therapiekonzepte zu entwickeln, wie z. B. bei der Ulkusblutung. Diese können für einen individuellen Patienten ohne Nutzen oder in besonderen Fällen sogar von Schaden sein, führen aber im Durchschnitt zu besseren Ergebnissen. Neue Therapiekonzepte aber, die im Durchschnitt zu besseren Ergebnissen führen, verhelfen letztendlich einer größeren Zahl von individuellen Patienten zu einem guten Ausgang der Erkrankung.
Lösungsansätze bei komplexeren Problemen Bisher wurde lediglich der einfache Fall eines qualitativen (nominalskalierten) Risikofaktors besprochen. Auch für komplexere Probleme, wie z. B. dem Zusammenhang zwischen einem quantitativen Risikofaktor und einem unerwünschten Ereignis oder dem Zusammenhang zwischen mehreren Risikofaktoren und einem oder mehreren unerwünschten Ereignissen, gibt es Lösungsansätze, mit deren Hilfe Information über Risiko ermittelt und in der Klinik angewendet werden kann. Für den Fall eines einzigen quantitativen Risikofaktors und einem unerwünschten Ereignis empfiehlt sich die Konstruktion von sogenannten Operator-Annahme-Kennlinien (ROC-Kurven [19]). Bei diesem Vorgehen wird zunächst ein Schwellenwert (Cutoff-Punkt) festgelegt, wobei man sich lediglich dafür interessiert, ob der Risikofaktor oberhalb oder unterhalb des Schwellenwertes liegt. Dann werden wie bei einem qualitativen Risikofaktor (s. „Grundlegende Definitionen und Beispiele") die Wahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit vom gegebenen Schwellenwert geschätzt. Betrachtet man beispielsweise den Schockindex als Risikofaktor für eine Rezidivblutung bei Ulkusblutung und legt den Schwellenwert für den Schockindex auf 1 fest, so schätzt man die Wahrscheinlichkeiten für eine Rezidivblutung bei Vorliegen eines Schockindexes größer gleich 1 und für eine Rezidivblutung bei Vorliegen eines Schockindexes kleiner 1. Diese oder entsprechende Wahrscheinlichkeiten trägt man als einen Punkt in ein geeignetes Diagramm ein. Durch Wiederholung des Prozesses mit anderen Schwellenwerten (z. B. Schockindex gleich 1,2) erhält man weitere Punkte in dem Diagramm, die schließlich die ROC-Kurve ergeben. Diese ROC-Kurve gibt einen Gesamtüberblick über den quantitativen Risikofaktor im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeiten. Eine weitere einfache Möglichkeit der Analyse besteht in der graphischen Darstellung der Abhängigkeit des relativen Risikos vom gewählten Schwellenwert. Bei Vorliegen von mehreren Risikofaktoren und einem unerwünschten Ereignis gibt es je nach Zahl der Risikofaktoren unterschiedliche Vorgehens weisen. So ist es möglich, bei wenigen Risikofaktoren die gewünschten Wahrscheinlichkeiten für Kombinationen dieser Risikofaktoren direkt aus den Daten zu schätzen. Als Beispiel
16
C. Ohmann, W. Lorenz
könnte bei der oberen Gastrointestinalblutung die Kombination der Risikofaktoren „Alter ^ 60 J , Hb ^ 10 g % , Bluttransfusionsmenge ^ 3000 ml" im Hinblick auf das unerwünschte Ereignis Tod untersucht werden. Sollten allerdings die Effekte vieler Risikofaktoren untersucht werden, so ist aufgrund der normalerweise begrenzten Stichprobenzahl ein vereinfachendes Modell (z. B. lineare logistische Regression) indiziert. Dabei ist eine Umformung des Modells in einen leicht handhabbaren Punkte- oder Risikoscore durchaus von Vorteil [16]. Erheblich schwieriger gestaltet sich die Untersuchung von mehreren Risikofaktoren und mehreren unerwünschten Ereignissen. Hier liegt ein möglicher Ansatz in der Kombination mehrerer unerwünschter Ereignisse auf einer einheitlichen Nutzenskala (utility scale) von 0 = tot bis 1 = geheilt [19]. Bei der Beurteilung des Therapieerfolges nach SPV bei Ulcus duodeni und den unerwünschten Ereignissen Tod und schlechte Lebensqualität könnte eine solche Kombination auf einer Nutzenskala folgendermaßen aussehen: tot = 0, überleben aber erhebliche Beschwerden = 0,8, überleben ohne Beschwerden = 1. Die Bestimmung des Nutzens (utility) ist in der Regel extrem schwierig und stellt ein noch nicht vollständig gelöstes Problem dar. Hat man eine geeignete Nutzenskala gefunden, so bestimmt man auf der Basis einer Entscheidungsbaumanalyse die Therapie mit dem größten Nutzen [19]. Betrachtet man nur die beiden extremen Ausgänge Tod und Überleben (tot = 0, überleben = 1), wie in dem Beispiel des Therapiekonzeptes bei der Ulcus-ventriculi-Blutung (Abb. 1), so entspricht der Maximierung des Nutzens die Minimierung der Sterberate.
Diskussion Das in dieser Arbeit diskutierte Verfahren der Bearbeitung von Risiko und Risikofaktoren mit Hilfe von Wahrscheinlichkeiten stellt sicherlich nur einen Aspekt im Rahmen der Risikoforschung dar. Voraussetzung zur klinischen Anwendung dieses Ansatzes ist die Schätzung der interessierenden Wahrscheinlichkeiten. Diese können aber nur dann adäquat geschätzt werden, wenn genügend Information zu dem Problem vorhanden ist, so z. B. in Form von guten klinischen Studien mit ausreichender Fallzahl [2, 10, 18]. Damit muß zwangsläufig eine Einschränkung dieses objektiven und quantitativen Ansatzes der Risikoforschung auf sogenannte Standardsituationen in der Chirurgie mit überschaubarer Zahl von Entscheidungsmöglichkeiten, Risikofaktoren und Konsequenzen erfolgen [7, 10]. In solchen Situationen aber, wie z.B. bei der Untersuchung des Risikofaktors Blutungstyp und alternativer therapeutischer Ansätze bei der Ulkusblutung [15, 17], kann sich dieses Vorgehen nicht nur für den jungen Kliniker, sondern gerade auch für den erfahrenen Chirurgen als sinnvoll für eine verbesserte Kranken Versorgung erweisen. Neben den wichtigen, unverzichtbaren und etablierten Forschungsansätzen auf dem Gebiet der Risikoforschung, bestehend aus der Grundlagenforschung (z. B. Biochemie, Pharmakologie), der Entwicklung von Geräten und den tierexperimentellen und klinischen Studien, existiert mit der in dieser Arbeit besprochenen Methodik ein Verfahren, das für die bessere Ausnutzung der vorhandenen Information verwendet werden kann. In diesem Sinne ist objektive und quantitative chirurgische Risikofor-
Risikoforschung: Beispiele aus dem Bereich des blutenden Ulcus ventriculi
17
s c h u n g n i c h t als K o n k u r r e n t a n d e r e r F a c h r i c h t u n g e n u n d F o r s c h u n g s a n s ä t z e zu s e h e n , s o n d e r n als ein P a r t n e r , d e r d i e s e A r t v o n F o r s c h u n g s i n n v o l l u n t e r s t ü t z t u n d o p t i m a l z u m Tragen bringt. Ü b e r o b j e k t i v i e r b a r e s u n d q u a n t i f i z i e r b a r e s R i s i k o bei S t a n d a r d s i t u a t i o n e n
hinaus
m u ß sich d e r C h i r u r g t ä g l i c h a m i n d i v i d u e l l e n „ s c h w i e r i g e n " F a l l m i t R i s i k o ü b e r l e gungen
auseinandersetzen.
In d i e s e n k o m p l e x e n
und ungewöhnlichen
Situationen
unter Zeitdruck kann d e m Chirurgen häufig nur persönliche E r f a h r u n g und Intuition (klinischer Blick objektives
Wissen
daher R a u m
[18], Entscheidungskunst kaum
vorhanden
ist.
[8]) w e i t e r h e l f e n , d a q u a n t i t a t i v e s Am
einzelnen
für eine individuelle R i s i k o b e u r t e i l u n g
Patienten
muß
und
b l e i b e n . D i e in d i e s e r
und wird
Arbeit
d a r g e s t e l l t e n M e t h o d e n w e r d e n a n d i e s e r S i t u a t i o n w e n i g ä n d e r n k ö n n e n . Sie sind u n d bleiben e i n e H i l f e in b e s t i m m t e n s t a n d a r d i s i e r t e n S i t u a t i o n e n . D o r t a b e r sind sie ein mächtiges
Werkzeug,
u m d i e v o n allen C h i r u r g e n g e w ü n s c h t e n
Verbesserungen
in d e r K r a n k e n v e r s o r g u n g m i t zu v e r w i r k l i c h e n .
Literatur [1] Carstensen, G.: Rundgespräch: Der Risikoeingriff aus chirurgischer und'humaner Sicht. Langenbecks Arch. Chir. 358 (1982) 441. [2] Feinstein, A. R., R . I. Horwitz: Double standards, scientific methods, and epidemiologic research. N. Engl. J . Med. 307 (1982) 1611. [3] Fletcher, H. F., S. W. Fletcher, E. H. Wagner: Clinical epidemiology -
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18
C. O h m a n n , W. Lorenz
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Beurteilung des Operationsrisikos in der Allgemeinchirurgie bei Beschränkung der Handlungsfreiheit durch den Patienten G. Lepsien, K. Lepsien, H.-J. Peiper
Grundsätzlich geht ein Chirurg davon aus, daß sein Patient nach entsprechender Aufklärung den möglichen prä-, peri- und postoperativen Maßnahmen zustimmt. Dieses ist Wesen der getroffenen Vereinbarung, wobei seitens des Chirurgen immer eine sorgfältige Indikationsstellung mit Risiko-/Nutzenabwägung vorausgegangen sein muß. Eine Beschränkung der chirurgischen Handlungsfreiheit durch eine vorhergehende Willensäußerung des Patienten kann sich in zweierlei Weise äußern. So kann sie erstens auf die Art des Eingriffes und zweitens auf die Begleitmaßnahmen bezogen sein. Bekannte Willensäußerungen zur Art des Eingriffes sind die Aussagen: „Unter keinen Umständen ein künstlicher Darmausgang", „keinesfalls eine Abnahme der Brust", „keine Gliedmaßenamputation" und viele mehr. Sie sind jedem Chirurgen bekannt. Stellen sich Abwägungen zu diesen erstgenannten Beschränkungen unter dem Aspekt sinnvollen chirurgischen Handelns häufig als schwierig dar, so sind sie jedoch meistens im ausführlichen Gespräch zwischen Patienten und Chirurgen zu lösen. Die Ablehnung einer chirurgischen Behandlung resultiert daraus nur in den seltensten Fällen. Andersartig sind die Probleme, wenn Begleitmaßnahmen, wie z. B. Bluttransfusionen, die Bestandteil der chirurgischen Therapie sein können, durch vorhergehende Willenserklärung ausgeschlossen werden. Hier tritt eine dritte Partei, die Anästhesie, mit ihren spezifischen Belangen hinzu. So kann es dazu kommen, daß ein Chirurg aus seiner Sicht einem operativen Eingriff ohne die Möglichkeit von Bluttransfusionen zustimmt, der Anästhesist unter derartigen Vorgaben jedoch eine Narkose ablehnt. Dieses Problem stellt sich in erster Linie bei Angehörigen der christlichen Sekte der „Zeugen Jehovas". Gerade jedoch in unserer Zeit, in der die Aids-Erkrankung täglich neue Schlagzeilen verursacht, vergrößert sich die Anzahl der Patienten, die aus Furcht vor einer derartigen Infektion Bluttransfusionen ablehnen, ständig. Durch Bluttransfusionen ausgelöste HTLV-III-Infektionen geben diesen Befürchtungen recht. Im Gegensatz zu Patienten, die aus Ansteckungsfurcht eine Transfusion verweigern, lehnen die „Zeugen Jehovas" diese aus Glaubensgrundsätzen ab. 1872 gründete der Konfektionskaufmann Charles Taze Russell in Pittsburgh, Pennsylvania, zunächst eine Vereinigung zum Studium der Bibel. Von 1879 an wurde das Publikationsorgan „Zion's Watch Tower" herausgegeben. 1881 begründete Russell dann die „Watch Tower Bible and Tract Society" in Allegheny, Pennsylvania, wonach sich die Glaubensgemeinschaft rasch vergrößerte. Seit 1951 führt die christliche Sekte den noch heute
20
G . Lepsien, K. Lepsien, H . - J . Peiper
benutzten Namen „Zeugen Jehovas" [9, 26, 30]. In erster Linie orientieren sich die Zeugen Jehovas an der Bibel und interpretieren deren Text strenger als die meisten anderen christlichen Religionen. Zeugen Jehovas glauben nicht an die Dreieinigkeit und lehnen das Kreuz als Symbol der Göttlichkeit ab. Sie verehren nur einen Herrscher, Gott Jehova, und betrachten sich nicht als Bürger irgendeines Landes. Daraus ergibt sich, daß Zeugen Jehovas den Wehrdienst in jeglichem Lande verweigern, obwohl sie keine Pazifisten sind. Sie verweigern Flaggen die Ehrerbietung und erklären, daß ein Flaggensalut eine Götzenverehrung darstelle. Für Zeugen Jehovas ist das irdische Leben lediglich eine Passage auf dem Weg des Gläubigen in das außerirdische Leben im Himmel. Dadurch bedingt steht das irdische Leben nicht im Mittelpunkt ihres Daseins. Am besten bekannt sind uns die Zeugen Jehovas durch ihre Interpretation der „Blutfrage". Sie beziehen sich dabei auf Bibelstellen des alten Testamentes (Genesis 9: 3, 4; Leviticus 17: 13, 14 und Apostelgeschichte 15: 28, 29), in denen dargelegt wird, daß man sich des Blutes enthalten müsse. Seit 1945 wird diese Auslegung auch auf Bluttransfusionen und Blutderivate angewendet [9, 23, 26, 30]. Im chirurgischen Alltag wird ein Arzt mit der Problematik der Bluttransfusion bei Zeugen Jehovas meistens dadurch konfrontiert, daß er das von der leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas herausgegebene Merkblatt „Bluttransfusion — warum nicht für Zeugen Jehovas" vorgelegt bekommt. Darin wird ausgeführt, daß Zeugen Jehovas aus religiösen Gründen weder Blut aufnehmen noch mit Hilfe von Blut am Leben erhalten werden dürfen. Es wird ausdrücklich betont, daß Bluttransfusionen nicht aus medizinischen oder wissenschaftlichen Gründen abgelehnt werden, sondern aus biblischen oder religiösen. Weiterhin wird ausgeführt, daß sich die Verpflichtung der Ärzte, kein Blut oder keine Blutderivate zu verabreichen, aus dem Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit ergäbe. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es zur Zeit etwa 110000 Zeugen Jehovas. Wenn auch die Problematik der Ablehnung von Bluttransfusionen als „Dauerbrenner" erscheinen mag, so stellt sich das Problem im Behandlungsalltag in unregelmäßiger Folge stets neu mit vielfachen Aspekten der Rechtsunsicherheit. Eine aktuelle Bestandsaufnahme erscheint daher gerechtfertigt. Aus dem Wunsche des Zeugen Jehovas ergibt sich zwangsläufig eine veränderte Bewertung des Operationsrisikos. Sie muß fast atavistisch wie in jener Zeit vorgenommen werden, als den Krankenhäusern noch keine Bluttransfusionen zur Verfügung standen. Damit steht das Blutungsrisiko plötzlich an erster Stelle der Abwägungen. Andere Risiken wie Infektion, Insuffizienz, Begleitverletzungen, chirurgische Folgesyndrome etc., sind plötzlich nachgeordnet. Beziehen wir uns auf die Literatur und versuchen daraus eine Risikobewertung herzuleiten und stützen uns dabei auf die neuere Literatur, so gibt es eigentlich keine Operation, die nicht trotz Ablehnung von Transfusionen durchgeführt worden wäre (Tab. 1). Ott und Cooley berichteten 1977 über 545 kardiovaskuläre Operationen ohne Bluttransfusionen. Sie kommen zu dem Schluß, daß kardiovaskuläre Eingriffe trotz Ablehnung von Bluttransfusionen mit einem vertretbar geringen Risiko durchgeführt werden können [22], Zu einem gleichen Schluß kam Cooley nach einer statistischen
Operationsrisiko bei Beschränkung der Handlungsfreiheit durch den Patienten Tabelle 1
21
Zusammenstellung von Berichten, in denen zur Frage des Zusammenhanges zwischen Blutverlust und Letalität bei Operationen an Zeugen Jehovas Stellung genommen wird
Literatur Sandiford [25]
Operationen
n
1976 aorto-koronarer Bypass
K a m a t [18]
46
_
30
—
1977 Herzchirurgie (offen)
Ott [22]
verstorben
1977 kardiovaskuläre Eingriffe
572
(a)
3
(b) 12 Bonakdar [2]
1982 große gynäkologische
165
-
110
1
Bypass
24
3
andere
12
Operationen Henling [15]
1985 kongenitale Herzfehler
Henderson [14]
1986 Herzchirurgie
Nelson [21]
1986 Hüftendoprothetik
G o m b o t z [11]
100
—
1986 Herzchirurgie (offen)
15
1
Bei Ott ist der Tod von 3 Patienten (a) direkt auf eine Blutung zurückzuführen und bei 12 Patienten (b) wirkten sich Anämie bzw. Blutverlust verschlimmernd aus, wobei die Todesursache eine andere war.
Analyse von 1026 kardiovaskulären Operationen [6]. Diese Ansicht wurde von DeBakey unterstrichen, indem er ausführte, daß das Risiko einer Operation ohne den Einsatz von Bluttransfusionen nicht größer sei als das der Patienten, die Bluttransfusionen erhielten [6]. Bonakdar et al. berichteten 1982 über einen retrospektiven Vergleich zwischen gynäkologischen Operationen an 165 Zeugen Jehovas und 164 Kontrollpatienten. Sie kamen zu dem Schluß, daß selbst große gynäkologische Operationen an Zeugen Jehovas vorgenommen werden können ohne Bluttransfusion oder Einsatz von Blutprodukten [2], Über ausgedehnte urologische sowie orthopädische Operationen ohne Bluttransfusionen wird berichtet [3, 21, 24, 31, 32]. Erstaunlicherweise existieren jedoch nur vereinzelt Kasuistiken über allgemeinchirurgische Eingriffe [8, 9, 10, 17, 27, 29]. Diesen überwiegend positiven Erfahrungsberichten stehen vereinzelte Kasuistiken gegenüber, die einen Verblutungstod bei Zeugen Jehovas beschreiben [13, 17, 26]. Im eigenen Krankengut haben wir in den letzten 10 Jahren einmal eine Verblutung eines polytraumatisierten Patienten mit einer Bekkentrümmerfraktur erlebt, der bis zum letzten Atemzug die Transfusion von Blut ablehnte. Henzlik [12] beschreibt 1982 den Fall einer Patientin mit einer gynäkologischen Blutung, die einen Hb-Abfall auf 4,3 mg% und einen Hämatokrit von 12,6%
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überlebte, jedoch Folgen einer zerebralen Hypoxie und den gangränösen Verlust von Fingern und Zehen erlitt. Seiner Meinung nach sei es geradezu ein Fall von bitterer Ironie, daß diese Patientin nach überstandener Krankheit von ihren Glaubensangehörigen als Beispiel für ein Überleben ohne Bluttransfusionen hingestellt wurde.
Eigenes Krankengut Wir haben in den letzten 8 Jahren in der Chirurgischen Universitätsklinik Göttingen 32 allgemeinchirurgische Operationen nach generellem Transfusionsverzicht bei 30 Patienten vorgenommen (Tab. 2). Davon wurden 6 Eingriffe ( 1 9 , 8 % ) wegen einer malignen Grunderkrankung durchgeführt; 8 Eingriffe ( 2 5 % ) waren notfallmäßig indiziert. Während desselben Zeitraumes wurde bei 7 Zeugen Jehovas ein operativer Eingriff wegen des geforderten Transfusionsverzichtes abgelehnt. Dreimal ( 4 3 % ) geschah dieses wegen grundsätzlicher Ablehnung einer Narkose durch die Anästhesie. Tabelle 2
Von Jan. 1978 — Aug. 1986 im Zentrum Chirurgie der Universitätskliniken Göttingen trotz generellem Transfusionsverzicht durchgeführte allgemeinchirurgische Operationen (32 Eingriffe bei 30 Patienten) und im selben Zeitraum wegen Transfusionsverzicht abgelehnte Operationen
Durchgeführte Operationen
gutartig
maligne
Abgelehnte Operationen
Schilddrüse
2
1
Ösophagus-Ca.
1
Mamma
3
2
Magen-Ca.
2
Magen/Duodenum
3
1
unklarer retro-
Milz
1
-
4
Kolon/Rektum
4
-
sternaler Tumor
Galle
2
Appendix
2
-
Leistenhernie
5
-
Schenkelhernie
1
-
Narbenbruch
1
-
1
Pankreastumor
1
Rektumtumor
2
Bei unseren chirurgischen Eingriffen sind wir grundsätzlich so vorgegangen, daß die Indikationsstellung sorgfältig abgewogen, der chirurgische Eingriff auf das nötigste beschränkt und somit Simultaneingriffe vermieden wurden. Beispielhaft sei hier der Fall einer Patientin geschildert, die im Alter von 63 Jahren mit einem Sigmatumor in unsere Behandlung kam. Neben dem Sigmatumor war bereits ein Gallensteinleiden bekannt. Bei einem Ausgangs-Hb-Wert von 10 m g % und einem Hämatokrit von 3 0 % führten wir am 12. 12. 1983 eine typische Sigmaresektion durch und legten zur passageren Dekompression ein Stelznerrohr. Postoperativ fiel der Hb-Wert auf 8,5 m g % und der Hämatokrit auf 2 6 % (14. 12. 83) ab. Am 17. 12. 83 lagen der H b Wert mit 10 m g % und der Hämatokrit mit 3 1 % bereits wieder im Normbereich. Am 27. 3. 84 war ein weiterer Eingriff erforderlich. Es mußte eine Hernie im Bereich des Zökalpoles verschlossen werden. Dieser Eingriff verlief komplikationslos. Wegen
O p e r a t i o n s r i s i k o bei Beschränkung der Handlungsfreiheit durch den Patienten
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zunehmender Beschwerden seitens der Gallenblasenerkrankung wurde dann am 23. 1. 86 die Cholezystektomie durchgeführt. Bei einem Ausgangs-Hb von 12,5 m g % bestirnten wir am 24. 1. 86 mit 11,3 m g % nur einen geringgradig niedrigeren Wert, der im wesentlichen durch einen Verdünnungsefekt zu erklären war. Komplikationen traten auch nach diesem Eingriff nicht auf (Abb. 1).
Abb. 1
a) Im K o l o n - D o p p e l k o n t r a s t dargestellter S i g m a t u m o r bei einer 63jährigen Patientin ( M . , H . , 1 2 / 8 3 ) ; b) gleichzeitig aufgefallene Gallensteine; c) und d) R ö n t g e n b e f u n d e anläßlich der Kontrolluntersuchung 1 2 / 8 5 vor der C h o l e z y s t e k t o m i e 1 / 8 6 . Es k o m m e n in der Leeraufn a h m e die K l a m m e r n a h t und im D o p p e l k o n t r a s t die regelrechte A n a s t o m o s e zur Darstellung.
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Bemerkenswert ist der Fall einer anderen Patientin, die seit mehr als 3 Jahren unter einem exulzerierend wachsendem Rektumkarzinom litt und in den Frühstadien des Tumors stets eine Operation ablehnte. Im Mai 1986 hatten dann die Schmerzsymptomatik und besonders die Stuhlinkontinenz so sehr zugenommen, daß die Patientin einem operativen Eingriff zustimmte. Zu diesem Zeitpunkt lag ein riesiger exulzerierter Tumor vor (Abb. 2). Bei einem Ausgangs-Hb-Wert von 10,6 mg% waren zunächst nur eine Tumorverkleinerung und ein Anus praeter geplant. Intraoperativ weitete sich der Eingriff jedoch aus, so daß letztendlich eine abdominosakrale Rektumamputation mit endständigem Anus praeter durchgeführt wurde. Der intraoperative Blutverlust war erheblich. Postoperativ bestimmten wir einen Hb-Wert von 2,8 mg%. Die Patientin überlebte diesen Eingriff ohne wesentliche Komplikationen. 3 Wochen nach durchgeführter Operation konnte sie mit einem Hb-Wert von 8,6 mg% entlassen werden.
Abb. 2
Ausgedehnt exulzerierendes Rektumkarzinom bei einer 69jährigen Patientin (S., E., 7/86).
Insgesamt erlebten wir bei unseren Patienten keine Komplikationen, die nicht auch bei Patienten, die einer Bluttransfusion zustimmen, auftreten könnten. Keiner der von uns operierten Zeugen Jehovas verstarb während oder an Folgen der Operation. Die Tabelle 3 stellt die Komplikationen unseres Patientengutes zusammen. Damit zeigt sich auch an unserem Krankengut, daß selbst größte allgemeinchirurgische Operationen nach generellem Transfusionsverzicht ohne von einem Normalpatientengut abweichende Erhöhung des Risikos vorgenommen werden können. Tabelle 3
Komplikationen nach 32 allgemeinchirurgischen Eingriffen an 30 Zeugen Jehovas
Hb-Abfall
< 6,5 g%
2 (Rektum)
Abszeß
1 (Appendix)
Wundheilungsstörung
1 (Milz)
Pneumonie
2 (Oberbaucheingriffe)
Letalität
0
Operationsrisiko bei Beschränkung der Handlungsfreiheit durch den Patienten
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Rechtliche Situation Herbich [16] führt 1984 aus, daß eine Bluttransfusion ein ärztlicher Eingriff sei, dessen Vornahme eine entsprechende Aufklärung des Patienten, die Einwilligung des Patienten, eine genaue Indikationsstellung und eine kunstgerechte Ausführung erfordere. Dabei ist zu betonen, daß jeder ärztliche Eingriff in die Integrität des Körpers, also auch eine Bluttransfusion, den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt. Um hierbei nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen, ist eine Einwilligung des Patienten erforderlich. Dazu führt Mertens [19] 1986 aus: „Verweigert der Patient die Einwilligung, so hat der Arzt seine Entscheidung zu respektieren; dieses gilt auch im Falle absoluter und vitaler medizinischer Indikation. Verweigert ein gesetzlicher Vertreter des Kranken die Einwilligung, so darf sich der Arzt auch darüber hinwegsetzen, wenn die Verweigerung medizinisch unvertretbar oder mißbräuchlich ist. Wie weit beim bewußtlosen Kranken ein dem Arzt bekannter Wille des Patienten beachtet werden muß, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Daß der Patient eine ablehnende Einstellung zu einer bestimmten ärztlichen Maßnahme geäußert hat, er selbst vor der konkreten Wahl stand, ob er sich ihr aussetzen sollte, muß dann unerheblich sein, wenn nicht auszuschließen ist, daß er seine Einstellung geändert haben könnte. Insofern kann nur eine unmißverständlich geäußerte und spezifisch auf die konkrete Sachlage bezogene Einstellung für den Arzt verbindlich sein. ... Einen Grenzfall bildet die Ablehnung von Bluttransfusionen oder Transplantationen vor dem Eintritt der Notsituation. Hier kann nach § 683 der mutmaßliche Wille des bewußtlosen Patienten von dessen objektiv verstandenem Interesse her dem früher geäußerten Willen durchaus widersprechen, wenn dieser nicht eindeutig auch die extreme Notsituation vorweg entschieden hat." Daraus kann für unsere Situation gefolgert werden, daß Bluttransfusionen durchgeführt werden dürfen, wenn keine eindeutige Vorwegentscheidung für Notfallsituationen getroffen wurde. Deutsch [5] führt 1983 aus, daß für den Patienten kein Therapiezwang bestehe. Jeder könne deshalb über die Notwendigkeit einer Behandlung nach Aufklärung durch den Arzt selbst entscheiden. Deswegen sei auch der Wille des Sektierers oder Abweichlers, der aus uns unverständlichen Gründen auf Ablehnung einer dringend indizierten Maßnahme gerichtet sei, grundsätzlich zu berücksichtigen. Dabei komme es nicht darauf an, o b dieser abweichende Wille religiös oder in anderer Weise motiviert sei. Weiterhin wird dargelegt, daß der Minderjährigenschutz Ausnahmen bewirke. Solange die sektiererische oder abweichende Haltung drohe, einen Jugendlichen zu gefährden, habe das Vormundschaftsgericht gemäß § 1666 B G B die elterliche Sorge einzuschränken. Könne der zuständige Richter nicht erreicht werden, so sei schon wegen Mißbrauchs des Sorgerechts die Entscheidung der Eltern für den Arzt nicht verbindlich. Daraus ergeben sich für uns die M a x i m e n ärztlichen Handelns bei Kindern der Zeugen Jehovas. Zunächst sollte angestrebt werden, über das Vormundschaftsgericht eine Einschränkung der elterlichen Sorge zu erreichen. Ein fehlerhaftes Verhalten liegt jedoch auch dann nicht vor, wenn nach mißlungenen Versuchen den Vormundschaftsrichter zu erreichen, Bluttransfusionen gegeben werden. Schwieriger sind die Probleme bei erwachsenen Zeugen Jehovas. Deutsch [5] legt dar, daß die Verlängerung des wirklichen Willens eines Sektierers oder Abweichlers in den Bereich der ärztlichen Behandlung eines Bewußtlosen hinein, also bei der Geschäftsführung
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ohne Auftrag, besondere Schwierigkeiten mache. Gemäß § 683 BGB entscheide das objektiv zu bestimmende Interesse und der subjektiv gefärbte wirkliche oder mutmaßliche Wille des Patienten. Das Interesse eines Patienten sei stets auf Lebensrettung gerichtet, wobei der Wille des Sektierers oder Abweichlers in eine andere Richtung gehen könne. Grundsätzlich sei dieser Wille auch dann zu berücksichtigen, wenn der Sektierer oder Abweichler das Bewußtsein verloren habe. Allerdings kollidiere dieses Wollen hier in erheblichem Maße mit dem Rettungsauftrag der Ärzte. Herausgehoben wird, daß der wirkliche oder mutmaßliche Wille des Kranken stets auf die konkreten Umstände bezogen werden müsse. Bewußtlosigkeit und Lebensgefahr des Patienten seien Umstände, die im allgemeinen vorher nicht in dieser Genauigkeit erwogen werden und deshalb den früher geäußerten Willen auf Nichtbehandlung erschüttern könnten. M a n könne dann auf den mutmaßlichen Willen zurückgreifen, der wiederum objektiv bestimmt sei und sich mit der Rettungspflicht der Ärzte decke. Deutsch verdeutlicht diesen Sachverhalt mit einem Grenzfall: „Ein 62] ähriger Zeuge Jehovas leidet an einem Magenkarzinom. Nach ausführlicher Aufklärung durch die Ärzte stimmt er einer Operation zu, bei der freilich Erythrozyten nicht verwendet werden dürfen. Diese Operation wird in der vorhergesehenen Weise durchgeführt. Der Patient erleidet vorübergehend einen Herzstillstand, ist bewußtlos geworden und hat einen steilen Blutdruckabfall. Darf der Arzt der Wachstation Blut transfundieren, d. h. auch Erythrozyten? Das Interesse des Patienten ist auf Lebenserhaltung gerichtet. Sein wirklicher Wille konnte alle diese Komplikationen nicht umfassen. Deshalb ist der eher objektiv ausgerichtete mutmaßliche Wille entscheidend, der hier auch auf die Vergabe von Blut gerichtet ist." Gleichsinniges führt Deutsch an anderer Stelle aus [4]. Die antezipierte Verweigerung der normalen Behandlung binde den Arzt nur, solange sie sich noch mit den tatsächlichen Umständen decke. Im selben Augenblick, in dem der Patient eine Änderung seines Befindens erfahre, etwa bewußtlos werde, einen Herzstillstand bekomme oder einen steilen Abfall des Blutdruckes erlebe, welche bei der antezipierten Transfusionsverweigerung nicht ohne weiteres vorhersehbar waren, sei die Weigerung für den Arzt nicht verbindlich. Das sei der Preis, der für den extremen Individualismus gegenüber dem ärztlichen Heilungsauftrag zu zahlen sei. Damit ist die rechtliche Situation klar umrissen. Bei Minderjährigen kann von ärztlicher Seite eine Bluttransfusion durchgesetzt werden. Bei erwachsenen Zeugen Jehovas darf nur dann Blut transfundiert werden, wenn sie erstens bewußtlos eingeliefert werden und zweitens, wenn die eingetretene Komplikation nicht mehr mit der normalen Behandlung, für die die antezipierte Verweigerung ausgesprochen wurde, in Zusammenhang steht oder ohne weiteres nicht vorhersehbar war. Ein entscheidender Gesichtspunkt kommt also der Aufklärung des Patienten zu. Dabei sollte auch von Seiten der Anästhesie immer in eindeutiger Relation zu dem geplanten Eingriff aufgeklärt werden, und nicht etwa aus einem Gefühl der ärztlichen Handlungsbeschränkung durch fehlende Bluttransfusionsmöglichkeit die Bewertung des Risikos überzogen und die Bereitstellung von Blut für Eingriffe gefordert werden, die üblicherweise mit keinerlei Blutverlust einhergehen. Gerade die präoperative Aufklärung von Zeugen Jehovas setzt ein Gespräch mit erfahrenen und einfühlsamen Anästhesisten und Chirurgen voraus. Dabei ist einzubeziehen, daß von chirurgischer Seite durch eine subtile chirurgische
Operationsrisiko bei Beschränkung der Handlungsfreiheit durch den Patienten
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Technik wesentliche Blutungen vermeidbar sind. Seitens der Anästhesie kann ebenfalls Hilfe zur Minimierung des Blutverlustes geleistet werden. Neben der kontrollierten Hypotension, der Hämodilution, und der intraoperativen Autotransfusion stellt die Hypothermie ein erfolgreich eingesetztes Verfahren dar [2, 2 1 — 2 3 , 32], Woran hat sich die Beurteilung des Operationsrisikos zu orientieren? Wesentliche Gesichtspunkte sind das Grundleiden, die Begleiterkrankungen, der Allgemeinzustand und die Art des geplanten Eingriffes unter dem Gesichtspunkt blutungsarm — blutungsreich. Dabei gilt, daß ein Eingriff dann nicht vorgenommen werden darf, wenn er ohne Blutgabe nicht vorgenommen werden könnte. Nach allgemeiner Erfahrung dürfte dieses nur in den seltensten Fällen zutreffen. Liegt keine eindeutige Indikation zu einem Eingriff vor, und besteht zudem noch die Wahrscheinlichkeit einer Transfusion, so sollte der Eingriff unterbleiben. Besteht bei einem Eingriff, mit dem das Leben gerettet oder aber die Gesundheit des Patienten wieder hergestellt werden kann, die erfahrungs- und statistikkorrelierte Möglichkeit, ohne Bluttransfusionen auszukommen, so darf der Eingriff durchgeführt werden. Keinesfalls sollte eine Überbewertung der fehlenden Transfusionsmöglichkeit dazu führen, daß ein notwendiger und chirurgisch vertretbarer Eingriff unterlassen wird. N a c h retrospektiven Untersuchungen in den USA beträgt die Zahl unnötiger Bluttransfusionen 35 — 4 0 % [28]. Dieses ist nur ein Gesichtspunkt, den wir beachten müssen. Ein anderer ist der, daß schon jetzt aus der Aids-Problematik heraus in unserem Klinikum die sogenannte „Warmblutkonserve" keine Rolle mehr spielt. Dieses weist darauf hin, daß weitaus häufiger auf Bluttransfusionen verzichtet werden kann als gemeinhin angenommen wird.
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„Klinischer Blick": Ein grundlegendes Hilfsmittel, das Risiko in der Chirurgie richtig einzuschätzen H. von Brehm
Während des letztjährigen Symposiums „Aktuelle Chirurgie" wurde ganz nebenbei vom Begriff „Klinischer Blick" gesprochen. Jeder weiß, daß damit eine sehr nützliche und wohl bewundernswerte ärztliche Fähigkeit gemeint ist. Unwidersprochen blieb allerdings die Behauptung, „Klinischer Blick" sei weder lehrbar noch lernbar, vielmehr sei man damit begabt oder eben auch nicht. Dem möchte ich heute entgegentreten. Ich wende mich dabei vor allem an die jüngeren Kollegen. „Klinischer Blick", nicht zu verwechseln mit „Blickdiagnose": Ein Augenaufschlag, und Sie haben den Asthmaanfall, den Harnverhalt, die Leberzirrhose, die Aorteninsuffizienz erkannt. „Klinischer Blick" ist mehr: Die Fähigkeit, rasch und möglichst zutreffend die körperliche, geistige, seelische und auch gesellschaftliche Situation eines Kranken zu erfassen, ohne jegliches technisches Hilfsmittel, zunächst allein mit Ihren von der Natur gegebenen fünf Sinnen. Dazu benötigen Sie nur wenig Fachwissen, aber geschulte Beobachtungsgabe. „Klinischer Blick" wie wir ihn verstehen, umfaßt darüber hinaus aber auch noch die Fähigkeit, scheinbar Verborgenes zu finden, den sechsten Sinn, den Spürsinn, eine geistige Gabe, die auf Vorstellungs-, Unterscheidungs- und Denkvermögen fußt. Unstimmigkeiten zu erkennen und das, was einen stutzig macht aufzugreifen und dem beharrlich nachzugehen, sozusagen Störenfriede im Gebäude Ihrer Gedanken und Vorstellungen aufzuspüren und sie unnachgiebig zu verfolgen, bis sie gefaßt und entlarvt sind. Das setzt allerdings eingehende Kenntnis der verschiedenen Krankheitsbilder, Krankheitsverläufe und auch Behandlungsverläufe voraus. Hierzu zwei Beispiele: 1. Ein Internist weist eine 69jährige Frau zur Cholezystektomie ein. Vorangegangen waren rechtsseitige Oberbauchkoliken mit störendem Blähbauch und Druckschmerz unter dem Rippenbogen. Sonographisch ließen sich Gallenblasensteine nachweisen. Die Patientin erscheint aber merklich anämisch. Blutarmut paßt nicht zum Krankheitsbild Cholelithiasis! Schuldig an allem war vielmehr ein bereits stenosierendes Karzinom der rechten Querkolonhälfte. 2. Konsiliarbesuch auf der Urologischen Abteilung: Ein 81jähriger Mann mit Prostatakarzinom sei gestürzt und habe sich den Oberschenkel gebrochen. Das Röntgenbild zeigt die Fraktur, eine Metastase ist nicht zu sehen. Trotz Fehlstellung und abnormer Beweglichkeit des gebrochenen Oberschenkels bestehen unverhältnismäßig wenig Schmerzen. Auf die gezielte Befragung sagt der Patient: „Ich ging auf dem Flur, da krachte es im Bein und ich stürzte hin". Also doch: Pathologische Fraktur. Alle bildgebenden Verfahren können in die Irre leiten, wenn Sie ihre Ergebnisse für sich allein betrachten.
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H . von Brehm
Wer von uns wurde nicht schon von einer unliebsamen Situation überrascht! „Das hättest Du wirklich voraussehen können. Da war doch vor einigen Tagen etwas gewesen, und Du hast nichts darauf gegeben." In solcher Lage nachträglich nochmals alles zu überprüfen und durchzudenken heißt, für die Zukunft gelernt zu haben. So sammeln Sie Erfahrungen! Auch das ist Schulung im „Klinischen Blick". Solchen Pannen tunlichst vorzubeugen, darin können Sie sich selber von Anfang an schulen. Schätzen Sie zuerst das Alter des Patienten, sein Gewicht, seine Körperlänge und überprüfen Sie erst dann wie alt, wie schwer, wie lang er wirklich ist. Eine grobe Fehleinschätzung sollte Sie immer nachdenklich stimmen. Halten Sie zunächst fest, ob Sie einen Kranken für anämisch oder ikterisch halten, ehe Sie sich durch Laborwerte überraschen lassen. Immer zuerst die klinische Feststellung und sich dann diese durch Labor- oder Röntgenbefunde bestätigen lassen! So können Sie sich selber zu einem unbestechlichen Blick erziehen. Ergibt sich aber eine Unstimmigkeit, so ist dieser nachzugehen. Denken Sie jedoch auch daran, daß Labor- und Röntgenbefunde bei fehlerhafter Ausführung oder Auslegung falsche Ergebnisse liefern können! Sie müssen z. B. auch wissen: Asthma sieht kein Röntgenologe auf der Lungenaufnahme, Herzinsuffizienz und Pulsdefizit sind nicht am EKG zu erkennen, die entgleiste Zuckerkrankheit nicht an der Blutzucker-Tageskurve, die fehlende Gassichel unter der Zwerchfellkuppel spricht nicht gegen die Perforation eines Gastroduodenalulkus, und die vorhandene Sichel sagt nur, daß sich dort Gas angesammelt hat, aber nicht, woher es stammt. Beachten Sie, daß der Röntgenologe vor allem beschreiben soll! Etwa angebotene Folgerungen, Diagnosen oder Zusatzuntersuchungen müssen den Bezug zum Patienten und dessen Krankheitserscheinungen wahren. Sinngemäß das gleiche gilt für den Laborarzt, den Pathologen und jeden anderen Konsiliarius. Befragung, Beobachtung und Untersuchung am Krankenbett, Zuhören und auch einmal das gezielt beiläufige Gespräch mit dem Patienten ist und bleibt die Quelle, aus der Sie täglich schöpfen. Alle weiteren Untersuchungsflüsse werden nur von dort aus gespeist. Versuchen Sie mit einfachsten Mitteln zu einer vorläufigen Diagnose zu kommen. Durch weitere Untersuchungen und Verlaufsbeobachtung wird die Diagnose erhärtet oder muß abgewandelt bzw. fallengelassen werden. Natürlich müssen Sie dazu den spontanen Verlauf einer angenommenen Erkrankung genau kennen. Ebenso müssen Sie in der Lage sein, sich vorzustellen, wie Sie in einen Krankheitsverlauf eingreifen, wenn Sie ohne gesicherte Diagnose mit der Therapie beginnen oder dazu sogar gezwungen sind. Wenn Sie die Diagnose zu kennen meinen und Sie den Patienten entsprechend behandeln, jedoch die erwartete Besserung nicht eintritt, so ist die Diagnose wahrscheinlich falsch. Das Krankheitsbild kann inzwischen verwischt sein. Unter erschwerten Bedingungen müssen Sie wieder ganz von vorne anfangen! Zum Beispiel ist die Diagnose einer retrozökal gelegenen Appendizitis unter Umständen schwierig. Die Behandlung mit Antibiotika führte z. B. bei einer 35jährigen Frau vorübergehend zur Besserung, dann aber kam es wieder zu Schmerzen und septischen Temperaturen. Es wurde mit Antibiotika weiterbehandelt. Erst am 12. Krankheitstage wurde dann der perityphlitische Abszeß eröffnet.
„Klinischer Blick": Hilfsmittel, d a s Risiko in der Chirurgie richtig einzuschätzen
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Versuchen Sie, Risikofaktoren vor einer Operation zu erfassen. Dies ist einfach bei Übergewicht, Bluthochdruck, Angina pectoris, Asthma, Lungenemphysem, Belastungsdyspnoe, Herzinsuffizienz, Rhythmusstörungen, Zuckerkrankheit, arteriellen Durchblutungsstörungen, Krampfadern, allergischer Diathese und ungewöhnlicher Blutungsneigung. Schwieriger wird es, den Alkoholiker vor dem Delir zu entlarven. Sie müssen dies am Aussehen und Verhalten des Patienten erkennen. Von sich aus zugeben, daß er Alkoholiker ist, wird er wohl kaum. Auch die Angehörigen wollen diese Krankheit sehr oft nicht wahrhaben oder zugeben. Ebenso die Zerebralsklerose mit ihren vielen, oft kaum erkennbaren Spielarten vor der Operation und vor Ausbruch des postoperativen Verwirrungszustandes zu erkennen, ist nicht immer einfach, gelingt aber häufig bei hinreichend geübter Aufmerksamkeit. Schärfen Sie Ihren Blick beim Auftreten einer postoperativen Komplikation. Handelt es sich um die Folgen einer Krankheit, die vor der Operation übersehen wurde? z. B. die Raucherbronchitis, die zur Bronchopneumonie führte; der Virusinfekt, der postoperativ durch hohes Fieber Verwirrung stiftete; der fieberfreie Kletterpuls, der sich als Vorzeichen einer tödlichen Lungenembolie erwies; die Petechien als Zeichen einer Blutungs- oder Gerinnungsstörung, die durch Nachblutung das Operationsergebnis, ja sogar das Leben des Patienten gefährden können. Sie müssen wissen, der ungestörte postoperative Verlauf hat seine Gesetzmäßigkeiten: anfängliche Teilnahmslosigkeit, erhöhte Temperatur und Pulsfrequenz, herabgesetzte Urinausscheidung, Darmparalyse. Jedoch geht es dem Patienten Tag für Tag besser. Sie sehen es seinem Äußeren, seinem Gesichtsausdruck an. Am 4. postoperativen Tage pflegen diese Erscheinungen abgeklungen zu sein. Bei einem solchen Verlauf brauchen Sie nur das zu tun, was der routinemäßige Behandlungsplan vorsieht. Tritt die erwartete Besserung aber nicht ein, oder verzögert sich die Erholung, so müssen Sie wachsam sein. Auch die postoperativen Komplikationen haben ihre Gesetzmäßigkeiten. Jede für sich tritt unter jeweils gut abgrenzbaren Vorzeichen und Krankheitserscheinungen erst nach einem bestimmten Zeitintervall auf. Wenn Sie wissen, warum, woran und was operiert wurde, der wievielte postoperative Tag bereits ist, ein geschultes Auge und sichere Kenntnisse haben, so erfassen Sie die Verlaufsstörung gezielt und rasch. Auch das gehört zum Thema „Klinischer Blick". Ich habe versucht aufzuzeigen, daß der „Klinische Blick" durchaus erlernbar ist. Je mehr Sie an sich arbeiten, desto früher sind Sie dazu befähigt. Und wenn Ihnen die Grundsätze des Erlernens klar sind, so sollten Sie auch dazu fähig sein, Ihre Erkenntnisse weiterzugeben. Gleichzeitig wollte ich Sie aufrufen, Ihre ganze Aufmerksamkeit vor allem dem Patienten selber zu schenken. Das verstehe ich unter „Zuwendung zum Kranken"! Abschließend erlaube ich mir, Ihnen noch eine amüsante Begebenheit, die sich an meiner Abteilung ereignete, mitzuteilen. Meinen Mitarbeitern blieb es natürlich nicht verborgen, daß ich diesen Vortrag über den „Klinischen Blick" vorbereitete. Ein tüchtiger, liebenswerter und zugleich pfiffiger Kollege wollte nun meinen „Klinischen Blick" auf die Probe stellen. Er rief mich spät abends an, er habe einen 58jährigen Mann aufgenommen, dessen Bauch ihm nicht gefiele. Ich suchte den Patienten auf. Er schien an einer akuten chologenen Pankreatitis erkrankt zu sein. Jetzt in der Nacht
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H. von Brehm
wären zur Sicherung der Diagnose nur einige wenige Untersuchungen erforderlich. Mein Mitarbeiter war überrascht und rückte — etwas verschämt zögernd — damit heraus, daß er meine Diagnose bereits vor seinem Telefonanruf gekannt habe. Er legte mir alle möglichen und unmöglichen, jedenfalls sehr umfangreiche Untersuchungsergebnisse vor, die er bereits erhoben hatte und sprach dann den folgenden versöhnenden Satz: „ Es ist wohl doch so, daß das Produkt aus Schärfe des klinischen Blickes und Anzahl der veranlaßten Untersuchungen eine Konstante ist!"
Ein einfaches Punktesystem zur präoperativen Risikoeinstufung U. Brenner, J. M. Müller, M. Walter
Einleitung Eine wertvolle Hilfe für die Operationsvorbereitung ist die Kenntnis des individuellen präoperativen Risikos. Dessen objektive und quantitative Abschätzung bereitet aber erhebliche Schwierigkeiten. Als Verfahren stehen zur Verfügung: Der klinische Blick, die Erhebung von Komplikationsraten und die Erstellung von prognostischen Werten. Das traditionellste Verfahren der Risikobeurteilung ist der klinische Blick, dessen Beurteilung auch heute noch hoch eingeschätzt werden muß. Mit seiner Hilfe werden im klinischen Alltag intuitiv eine Reihe von Entscheidungen von mehr oder minder schicksalsbestimmender Tragweite getroffen. Grundlage des klinischen Blicks ist die Erfahrung des Arztes. Die Vorteile sind Schnelligkeit und jederzeitige Verfügbarkeit; die Nachteile: Die Qualität ist abhängig von der Person des Arztes, ferner ist diese Risikobeurteilung nicht objektivierbar. Es fallen keine Daten an, die eine verbindliche Aussage über ein Risiko erlauben oder einen Vergleich mit den Erfahrungen anderer Chirurgen zulassen. Die Registrierung von Komplikationsraten dient der Qualitätskontrolle. Perioperative Komplikationen, wie Pneumonie, Wundheilungsstörung, Nahtinsuffizienz, Abszeß, Peritonitis und die Kliniksletalität werden für die einzelnen Eingriffe dokumentiert. Es fallen verbindliche Daten an, die die Grundlage einer Risikobeurteilung sein können. Diese Daten geben Aufschluß über eingriffspezifische Komplikationen, so kann man dann zwischen „großen" und „kleinen" bzw. risikoreichen und risikoarmen Eingriffen entsprechend der Häufigkeit auftretender Komplikationen unterscheiden. Diese Daten sind aber streng klinikspezifisch und sind nur ein Baustein zur Risikoeinschätzung und reichen bei weitem nicht aus. Ein Prognosewert unterscheidet sich von der Komplikationsrate dadurch, daß die Daten patientenspezifisch erhoben werden. In die Gruppe von Patienten, die untersucht werden soll, werden nur Personen aufgenommen, die genau definierte Kriterien erfüllen, z. B. Alter über 70 Jahre, Mangelernährung, Hypertonus. Der prognostisch wichtige Faktor kann somit für gut abgegrenzte Patientengruppen Vorhersagewahrscheinlichkeiten liefern, z. B. hinsichtlich der Überlebensrate allgemein und auch perioperativer Komplikationen. Eine Vielzahl von Faktoren, die für den einzelnen Kranken gleich wichtig sein können (Alter, Geschlecht, Nebenerkrankungen, Ernährungszustand, Lokalisation des Tumors), müssen aber bei der Abschätzung des Operationsrisikos berücksichtigt werden. Man braucht also eine Kombination von
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U. Brenner, J. M . Müller, M . Walter, P. Thul, H . W. Keller
prognostischen Faktoren, um eine individuelle Voraussage bei chirurgischen Therapiekonzepten machen zu können. Zahlreiche Autoren [2, 3] entwickelten aus verschiedenen prognostischen Faktoren Indices oder Scores des Ernährungszustandes. Diese wären in der Lage, mit hoher Wahrscheinlichkeit Operationsletalität und perioperative Komplikationen für einen Patienten voraussagen zu können. Eigene Untersuchungen [3] zeigten aber, daß diese Indices und Scores, deren Erstellung zum Teil mit erheblichem Aufwand verbunden ist, nur bedingt übertragbar sind. Ziel dieser Arbeit ist es, die Einschätzung des operativen Risikos zu objektivieren, d. h., den klinischen Blick möglicherweise durch ein Wertungssystem zu standardisieren.
Methodik In einer retrospektiven Studie wurden von 235 konsekutiv operierten Patienten mit benignen und malignen Erkrankungen anamnestische Daten, klinische und laborchemische Parameter (Tab. 1) auf ihre diagnostische Wertigkeit zur Vorhersage von postoperativen Komplikationen untersucht. Es wurden allgemeinchirurgische Patienten, bei denen ein sogenannter großer Eingriff mit Eröffnung eines Hohlorgans, der Gallenwege oder eine Thorakotomie geplant waren, sowie Patienten mit arteriellem Verschlußleiden der unteren Extremitäten, bei denen ein transperitonealer Eingriff oder ein extraanatomischer Bypass durchgeführt wurde, in die Studie aufgenommen (Tab. 2). Die postoperativen Komplikationen waren eindeutig definiert: Pneumonie, Wundheilungsstörung, Nahtinsuffizienz, Abszeß, Peritonitis, Kliniksletalität und lükkenlos dokumentiert. Mittels Clusteranalyse [4] wurden die Parameter mit der erhöhten diagnostischen Aussage bezüglich des Auftretens postoperativer Komplikationen identifiziert. Bei der Berücksichtigung des Ernährungszustandes beschränkten wir uns auf die Analyse des Serum-Albumins, da eigene Untersuchungen gezeigt hatten [3], daß diese einfache Methode zur Identifikation von Risikopatienten durchaus ausreicht. Durch eine schrittweise Regression [4] wurden die als aussagekräftig identifizierten Parameter gewichtet und dann zu einem Punktesystem (Score) zusammengefügt.
Tabelle 1
Präoperativ erhobene Parameter, die bei der Ermittlung des Risiko-Score Berücksichtigung fanden
Operationsspezifisch:
Art des Eingriffs, Dauer der OP, Dauer der Narkose, Zeitpunkt des OPBeginns, Wochentag der OP
Person:
Alter, Geschlecht
Kardiale Anamnese:
Herzrisikozahl nach Wassner u. Timm 10
Serum-Albumin Lungenfunktion :
p 0 2 , p C 0 2 , p H , H b 0 2 , N A H C 0 3 , Base excess (BE), Vitalkapazität (VK), Residualvolumen (RV), funktionelle Residualkapazität (FRK), totale Lungenkapazität (TLK), Sekundenkapazität (FEV abs. und %)
Ein einfaches Punktesystem zur präoperativen Risikoeinstufung Tabelle 2
35
Krankengut der retrospektiven Studie mit Angaben über die durchgeführten Eingriffe
Anzahl der Patienten 1. Allg. chirurg. Eingriffe (ohne AVL) Eröffnung eines Hohlorgans
(n =
85)
n =
235
n =
177
48%
„Gallenwege", Parenchym. Organe
(n = 22)
Thorakotomie
(n = 20)
11,3%
Kleiner bzw. peripherer Eingriff
(n = 5 0 )
28,3%
Transperitonealer Eingriff
(n = 23)
40%
E x t r a a n a t o m i s c h e r Bypass
(n = 35)
2. Arterielles Verschlußleiden (AVL)
12,4%
n =
3. Karzinome (Untergruppe von 1.)
60% n =
Resezierender Eingriff
(n =
87)
Palliativer Eingriff
(n =
19)
58
106
82% 18%
In einer prospektiven Studie wurde der Risiko-Score an 246 allgemeinchirurgischen Patienten, deren Kollektiv etwa dem der retrospektiven Studie entsprach ([3] Tab. 1) überprüft. Die erforderlichen Parameter wurden am 5. präoperativen Tag bestimmt und der Risiko-Score errechnet. Des weiteren wurde der „klinische Blick" überprüft. 7 Operateure waren aufgefordert, präoperativ das Risiko des Patienten als hoch, mittel oder niedrig einzuschätzen. Ihre Entscheidung wurde mittels standardisierter Fragebögen dokumentiert. Die Konstellation des Score war ihnen nicht bekannt. Der postoperative Verlauf jedes Patienten wurde durch tägliche Untersuchung mittels standardisierter Erhebungsbögen dokumentiert. Die Zielgrößen waren dieselben wie bei der retrospektiven Studie.
Ergebnisse Es zeigte sich, daß bei unverändert guter prognostischer Aussage eine Beschränkung auf 5 Parametergruppen möglich war (Tab. 3). Mit zunehmendem Alter stieg die Komplikationshäufigkeit, es wurde in drei Altersklassen unterteilt. Bei der Art des Eingriffs konnten wir deutlich zwischen „großen Eingriffen", die mit zahlreichen Komplikationen behaftet waren und „kleinen Eingriffen", die wenig p.op. Komplikationen hatten, unterscheiden. Bei der Berücksichtigung des Ernährungsstatus fanden wir bei einem Serum-Albumin < 3,8 g/dl eine erhöhte p.op. Komplikationsrate. Bei der Überprüfung des kardialen Status erwies sich die Herzrisikozahl nach Wassner und Timm [10] als zu aufwendig, ohne der von uns vereinfachten Gewichtung überlegen zu sein (Tab. 3). Bei der mathematischen Auswertung der Lungenfunktion fanden wir, daß eine Beschränkung auf 3 Parameter möglich war (Tab. 3); sind 2 Werte außerhalb der definierten Grenzen, lag ein „pathologischer Befund" vor. Mittels schrittweiser Regression [4] wurden die Parameter in ihrer prognostischen Wertigkeit gewichtet. Bei einer Gesamtpunktzahl unter 8 wurde ein niedriges und bei größer oder gleich 8 ein hohes Operationsrisiko angenommen (Tab. 3).
36
U. Brenner, J. M . Müller, M . Walter, P. Thul, H . W. Keller
Tabelle 3
Entscheidungskriterien des Score zur Identifikation von Risikopatienten
Entscheidungskriterien
Punkte
Alter < 5 5 Jahre 56 - 65 Jahre > 6 6 Jahre
1 3 5
Chirurgischer Eingriff „Großer Eingriff": Eröffnung eines Hohlorgans, „Gallenwege", Parenchym. Organe, Transperitonealer Gefäßeingriff „Kleiner Eingriff": SPV, extraperitoneale Eingriffe, kleine Analchirurgie, Leistenhernie u. a. Thorakotomie, extraperitonealer Gefäßeingriff Serum-Albumin < 3 , 8 g/dl > 3 , 8 g/dl Herz Anamnese u. Befunde unauffällig H I < 1 Jahr, schlecht eingestellter Hypertonus, path. EKG, dekomp. Herzinsuffizienz Lungenfunktion Nichtvorhanden bzw. unauffällig Sekundenkapazität (FEV %) < 60% Funktionelle Residualkapazität > 4200 ml Base Excess, BE < —1,5/ > + 2,0 Bewertung
4
1
3 0
0 2
0 2
Score < 8, niedriges Op.-Risiko Score > 8, hohes Op.-Risiko
Mit diesem Punktesystem wurden in der retrospektiven Studie von den 235 Patienten 123 als Risikopatienten eingestuft, die Komplikationsrate in dieser Gruppe betrug 40% (n = 49), die Kliniksletalität 12% (n = 15) (Abb. 1). 112 Patienten wurden als risikoarm eingestuft, die Komplikationsrate in dieser Gruppe betrug 20% (n = 22), die Kliniksletalität 4% (n = 4) (Abb. 1). In der prospektiven Studie an 246 allgemeinchirurgischen Patienten erwies sich das Punktesystem dem „klassischen" klinischen Blick als eindeutig überlegen. 96 Patienten wurden als Risikopatienten eingestuft, in dieser Gruppe betrug die Komplikationsrate 51% (n = 49), die Kliniksletalität 7% (n = 7) (Abb. 2); 150 Patienten waren als risikoarm eingestuft, die Komplikationsrate war 11% (n = 17), die Kliniksletalität 0. 5 der 7 Operateure, die vor den Eingriffen dazu befragt wurden, wie sie das Risiko des Patienten einschätzen, wollten sich in den meisten Fällen weder auf ein hohes noch auf ein niedriges Risiko festlegen (Abb. 3). Bei der Beurteilung des Risikos
Ein einfaches Punktesystem zur präoperativen Risikoeinstufung n
_235
Patienten
(%)
Komplikationen
(%)n=71
n
Todesfälle
(%)n=19
Patienten
Abb. 1
»246
—Komplikationen (%)
Todesfälle
37
(%) n « 6 6 (%) n =
7
Abb. 2
Abb. 1
Einteilung der Patienten in je eine Gruppe mit erhöhtem und nicht erhöhtem Operationsrisiko durch den Risiko-Score in der retrospektiven Studie.
Abb. 2
Prospektive Prüfung des Risiko-Score: Einteilung der Patienten in je eine Gruppe mit erhöhtem und nicht erhöhtem Operationsrisiko.
n»161 Patienten
(%)
Komplikationen
(%)
n-43
Todesfälle
(%)
n»5
OP - Risiko
Abb. 3
Einschätzung des Operationsrisikos durch ein Kollektiv von 5 Operateuren in der prospektiven Studie durch „klinischen Blick".
38
U. Brenner, J . M . M ü l l e r , M . Walter, P. T h u l , H . W. Keller
mittels klinischen Blicks zeigte sich eine Tendenz zur Mitte, d. h., das Operationsrisiko wurde bevorzugt als mittel eingestuft. Die postoperative Komplikationsrate lag in der als mittleres Risiko eingestuften Gruppe höher als in der Gruppe mit hohem Risiko (Abb. 3). Unter den 7 Operateuren befand sich nur einer (x), der in der Lage war, das Operationsrisiko präoperativ realistisch einzuschätzen (Abb. 4). Ein anderer Operateur (y) lag durch ständiges Zuordnen der Patienten in die Gruppe mit hohem Risiko mit der Effektivität seiner Aussagen noch unter der relativen Häufigkeit des Auftretens von p.op. Komplikationen von 26,8% (Prävalenz) in der prospektiven Studie (Abb. 4). "KLINISCHER BLICK" X n«32 Patienten
^—Komplikationen
(%) n « 6
(%)
OP - Risiko Abb. 4
E i n s c h ä t z u n g des O p e r a t i o n s r i s i k o s c Studie durch „klinischen B l i c k " .
"KLINISCHER BLICK" Y n«53 Patienten (%)
— — K o m p l i k a t i o n e n (%) n « 17 A Todesfälle (%) n - 2
OP - Risiko die O p e r a t e u r e „ x " u n d „ y " in der p r o s p e k t i v e n
Diskussion Im Jahre 1941 wurde von einer Kommission der Amerikanischen Gesellschaft für Anästhesiologie (ASA) ein Klassifizierungssystem erarbeitet [9], das den präoperativen Zustand des Patienten verschiedener Gruppen zuordnete, deren Stellenwert im wesentlichen vom Allgemeinzustand des Patienten bestimmt war [1]. Diese grobe Klassifizierung der Patienten in 5 Gruppen (Tab. 4) wurde von zahlreichen Autoren verfeinert [6, 7, 8]. Vor allem fanden objektive Untersuchungsbefunde Eingang in die Punktbewertung. Die Checklisten berücksichtigen neben Angaben zur chirurgischen Intervention, wie Lokalisation, Dringlichkeit und Dauer der Operation, Befunde zum Status des Patienten, insbesondere des kardiovaskulären Systems, der Stoffwechselorgane
Ein einfaches Punktesystem zur präoperativen Risikoeinstufung
39
Tabelle 4
Risikoklassifizierung nach den Vorschlägen der amerikanischen Gesellschaft für Anästhesiologie (ASA) [1]
ASA Gruppe
Beurteilung
I
Normaler, gesunder Patient
II
Patient mit leichter Allgemeinerkrankung
III
Patient mit schwerer Allgemeinerkrankung und Leistungsverminderung
IV
Patient mit inaktivierender Allgemeinerkrankung, die eine ständige Lebensbedrohung darstellt
V
Moribunder Patient, von dem nicht erwartet wird, daß er die nächsten 24 Stunden überlebt, sei es mit oder ohne Operation
Leber und Niere, des Blutes sowie des Elektrolyt-Wasser- und Säure-Basen-Haushaltes [6, 8]. Je nach Untersucher wurde der Schwerpunkt des Systems auf die kardiale Situation, Lungenfunktion oder Stoffwechselstörungen gelegt [7]. Zu kritisieren ist, daß innerhalb des Wertungssystems einzelne Punkte nicht klar definiert sind und so der Subjektivität des Untersuchers Raum geschaffen wird. Betrachtet man das von uns entwickelte Punktesystem, so stehen wir zunächst in bester Tradition zu bereits entwickelten Systemen (Tab. 3). Es liegt aber eine wesentliche Vereinfachung vor. Das System besteht aus Angaben zur chirurgischen Intervention und Befunden zum Status des Patienten. Es ist präoperativ einfach zu erstellen, die einzelnen Punkte sind eindeutig definiert. Der „klinische Blick" und die damit verbundene Subjektivität findet nur insofern Berücksichtigung, daß bestimmte Untersuchungen wie die Lungenfunktion präoperativ nicht veranlaßt wurden, weil ein Normalbefund zu erwarten ist. In der prospektiven Studie konnte die diagnostische Wertigkeit unseres Punktesystems bezüglich postoperativer Komplikationen bestätigt werden (Abb. 2). In dieser prospektiven Studie erwies sich das Punktesystem dem „klinischen Blick" besonders unter Berücksichtigung von Spezifität und Sensitivität [5] als überlegen. Belegt man die Testentscheidungen der Operateure und des Punktesystems mit einer Entscheidungsmatrix ([3] (Tab. 4), [5]), so ist lediglich Operateur „x", der wohl der klinisch Erfahrendste in dieser Studie ist, mit der Effektivität seiner Entscheidungen dem Score ebenbürtig (Tab. 5). M a n kann das von uns entwickelte Punktesystem als eine Art Standardisierung des „klinischen Blicks" betrachten, dies ist im Vergleich mit dem „klinischen Blick" der 7 Operateure ersichtlich. Der Score ist nicht besser als der Erfahrendste (Operateure x), liefert aber dem Unerfahrenen eine wertvolle Entscheidungshilfe. Erstellt wurde der Score unter der Berücksichtigung von Komplikationsraten und prognostischen, patientenspezifischen Daten, die Subjektivität des Untersuchers ist eliminiert. Er scheint somit ein brauchbares System zu sein, da die Risikoeinstufung auf der Verwendung eines Routineuntersuchungsprogramms und der Erhebung objektiver Befunde beruht. Jeder Benutzer dieses Systems muß aber wissen, daß eine absolut zuverlässige Voraussage des Operationsrisikos nicht möglich ist. Das System dient
40
U. Brenner, J . M . Müller, M . Walter, P. Thul, H. W. Keller
Tabelle 5
„Klinischer Blick" im Vergleich zum Risiko-Score bei der Beurteilung von Risikopatienten
Einschätzung
Kollektiv,
durch
5 op.
Operateur x
Operateur y
Patienten:
n =
Spezifität Pj
61,9%
84,6%
11,1%
74%
Sensitivität P 2
39,5%
50,0%
82,4%
74%
RisikoScore
161
n = 32
n = 53
n = 246
Validität P 3
26,3%
12,0%
42,9%
11%
Effektivität P 4
55,9%
78,1%
34,0%
74%
Prävalenz P 0
26,7%
18,8%
32,1%
26,8%
Pj = Fähigkeit, Patienten ohne erhöhtes OP-Risiko als solche zu entdecken; P 2 = Fähigkeit, Patienten mit erhöhtem OP-Risiko zu erkennen; P 3 = Fehler, Patienten mit erhöhtem OP-Risiko als solche nicht zu erkennen; P 4 = relative Häufigkeit der richtigen Testentscheidungen; P 0 = relative Häufigkeit des Auftretens von p.op. Komplikationen.
der Beurteilung des präoperativen Zustands und damit der Zuordnung in eine Risikogruppe, beinhaltet aber nicht automatisch die Prognose des perioperativen Verlaufs. M a n kann also nicht das persönliche perioperative Schicksal eines Patienten vorhersehen.
Literatur [1] Amerikanische Gesellschaft für Anästhesiologie (ASA): New Classification for physical status. Anaesthesiology 24 (1963) 111. [2] Brenner, U., J . M . Müller, M . Walter et al.: Die Erfassung des Ernährungszustandes zur Operationsplanung. Zentralbl. Chir. 111 (1986) 526. [3] Brenner, U., J . M . Müller: Die präoperative Abschätzung des operativen Risikos aus ernährungsphysiologischer Sicht. In: Risiko in der Chirurgie (Hrsg. R . Häring), S. 157. Walter de Gruyter, B e r l i n - N e w York 1987. [4] Deichsel, G., H. J . Trampisch: Biometrie- Clusteranalyse und Diskriminanzanalyse. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1985. [5] Galen, R . S.: Beyond normality. J . Wiley, New York 1975. [6] Lutz, H.: Risiken der Anästhesie. Anaesthesist 31 (1982) 1. [7] Lutz, H.: Präoperative Risikoeinstufung. Diagn. Intensivmed. 10 (1985) 8. [8] Peter, K., K. Unertl, G. Henrich et al.: Das Anästhesierisiko. Anästh. Intensivmed. 21 (1980) 240. [9] Saklad, M . : Grading of patients for surgical procedures. Anästhesiology 2 (1941) 281. [10] Wassner, U. J . , J . Timm: Zur präoperativen Ermittlung der Wahrscheinlichkeit einer pulmokardialen Insuffizienz nach Lungenresektion. Chirurg 47 (1976) 602.
Der Parameter „Zeit", sein limitierender Effekt und Ansätze, den Zeitfaktor zu beeinflussen H. Bockhorn, J. A. Bonner
Einleitung Wie in eine Matrix sind Geschehnisse in die Zeit eingebettet. Die Lebenszeit stellt den Ereignisraum dar, der Gesundheit, Krankheit und Interaktionen zwischen Patient und Medizin beherbergt. Dieses Buch hat das „Operationsrisiko" zum Gegenstand. Nur ein Segment der Lebenszeit wird davon betroffen. In der Abbildung 1 ist dieses Segment als „Region of interest" in die Lebenszeit dargestellt.
EREIGNISRAUM DER RISIKOFORSCHUNG
G E F
Ii
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U
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II
IIIÜIIIÜl!HHII
op
N G
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RRANKHEITlriiünni
GEBURT
IIIIIIIIIIIIIIIIülIÜÜÜlH
TOD ZEIT
Abb. 1
„Spielplatz der Risikoforschung"
Dies ist, wenn man so will, der „Spielplatz der Risikoforschung". In diesem Zeitraum haben wir die Möglichkeit, Risikofaktoren kennenzulernen, Ansätze zur Quantifizierung zu entwickeln, was das Auftreten und die Expression in unseren Verläufen betrifft. Komplikationen, unerwartete Ereignisse, die mit Nachteilen für den Patienten verbunden sind, sind die Fakten, über die wir dann im Rückschluß auf die Ursachen Risiken kennenlernen. Ereignisse, die sich außerhalb des „Spielplatzes der Risikoforschung" ereignen, werden nicht erfaßt.
42
H. Bockhorn, J. A. Bonner
ZEITACHSENMODIFIKATION VIRTUELLE KOMPRESSION I REALE ZEITACHSE KLINIKAUFENTHALT
VIRTUELLE
I
VERLÄNGERUNG
SPREIZUNG| '
Abb. 2
Zeitachsenmodifikationen.
Eine reale Zeitachse begrenzt einen Ereignisraum. Sie repräsentiert ein irgendwo in der Lebenszeit des Patienten angeordnetes Zeitsegment der Erkrankung. Die Möglichkeit, Risiken kennenzulernen, wird beeinflußt durch folgende Modifikationen am Zeitsegment: — Spreizung der realen Zeitachse; — Verlängerung der realen Zeitachse; — Verkürzung der realen Zeitachse — Kompression der realen Zeitachse. Verlängert wird die Zeitachse durch Definition eines größeren Beobachtungszeitraumes. Motive hierfür sind klinische Studien mit postklinischem Follow up, Nachsorge-Ansätze etc. Verkürzung findet statt, durch frühe Entlassung — hier sei als Beispiel die Situation des ambulanten Operierens genannt. Diese beiden Variationen sind trivial, so daß hierauf nicht näher eingegangen wird. Spreizung und Kompression der realen Zeitachse sind die weniger bekannten Modifikationen, die im folgenden an Beispielen dargestellt werden. Die Ansätze sollen aufzeigen, wie unbekannte Risiken zu erfassen sind. Die gewählten Beispiele kommen beide aus Bereichen, in denen Risikoforschung einen hohen Stellenwert hat. Der Effekt der Zeitachsenkompression wird im Bereich der Transplantation demonstriert, während die Spreizung an einem Fall aus dem Bereich der Intensivmedizin der Neurochirurgie gewählt ist. Die beiden Beispiele sind aus nicht zusammenhängenden Bereichen gewählt, um die Universalität des Prinzips zu betonen. Gemeinsam ist das Prinzip, durch Herstellung einer geeigneten virtuellen Zeitachse bisher nicht mögliche Einsichten zu gewinnen. Die notwendigen Daten sind vorhanden, sie sind in der nativen Form jedoch nicht interpretierbar — eventuell überhaupt nicht erkennbar. Während die Abläufe von Ereignissen ein Kontinuum darstellen und während die Daten, die uns erlauben die Abläufe beschreibend zu erfassen, ebenfalls kontinuierlichen Veränderungen unterliegen, sind wir nur in der Lage, an einzelnen Zeitpunkten unser Augenmerk auf eine Entwicklung zu lenken. Aus den so entstehenden Momentaufnahmen schließen wir zurück auf die dazwischenliegenden Zeiträume und damit auf den Grundprozeß, den wir kennenlernen wollen. Da deren Größe variiert, können die Momentaufnahmen zu weit auseinanderliegen, um Zusammenhänge sehen zu können. Umgekehrt läßt eine zu hohe Dichte von Momentaufnahmen das Einzelereignis nicht erkennen.
Der Parameter „Zeit", sein limitierter Effekt und Ansätze, den Zeitfaktor zu beeinflussen
43
Um Zusammenhänge zu erkennen, muß eine Synopsis möglich sein. Diese kann mit Hilfe einer virtuellen Zeitachse hergestellt werden.
Kompression Nach Nierentransplantationen erfolgt in unserem Hause eine Transplantat-FunktionsKontrolle. Nach einem bestimmten Schema werden die Patienten zur Kontrolluntersuchung in die Ambulanz bestellt. Untersuchungsbefunde liegen als Tabellen in Papierform vor, anhand dieser Unterlagen werden klinische Entscheidungen getroffen. In dieser Form lagen auch die Untersuchungsergebnisse eines Patienten vor, der nach ungestörtem Verlauf in den Nachuntersuchungen unerwartet sein Transplantat verlor (Abb. 3, siehe Seiten 44/45). Rückwirkend haben wir diese Daten in eine andere Form (Graphik) gebracht. Durch Kompression der Zeitachse konnten die Untersuchungsergebnisse synoptisch dargestellt werden (Abb. 4). In dieser Form konnte leicht erkannt werden, daß schon frühzeitig eine sukzessive Verschlechterung der Nierenfunktion eingesetzt hatte. Kreatinin mg%
5,0
-
4,0
-
3.0
-
2,0
-
\_/ 0,5 9.81
1.82
1.83
7.83
Abb. 4 Kreatinin-Serumkonzentration in komprimierter graphischer Darstellung.
44
H. Bockhorn, J. A. Bonner
Der „unerwartete" Transplantatverlust war also lediglich der Endpunkt einer sogar relativ langsamen Entwicklung. Während in diesem Beispiel Beobachtungen eines langsamen Prozesses zeitlich komprimiert dargestellt wurden, um sie einer Interpretation zugänglich zu machen, ist durch die Spreizung der Zeitachse Einblick in schnelle Prozesse möglich.
16.9. 18.9. 21.9. 24.9. 28.9. 81 81 81 81 81
Datum
1.10. 12.10. 26.10. 9.11. 23.11. 21.12. 25.1. 81 81 81 81 81 81 82
Kalium
3 , 8 - 5 , 0 mval/L
3,8
3,7
3,5
3,9
3,6
Natrium
1 3 5 - 1 4 5 mval/L
138
141
138
141
140
Chlorid
9 5 - 1 0 5 mval/L
104
108
104
109
107
Calcium
4 , 5 - 5 , 5 mval/L
4,52 4,43
Phosphat
2,5 — 4,5 m g %
1,1
Eisen
2 2 2 2 2 1 0
V///////A
3-6
V///////X
> 6 Monate
Reinfarkthäufigkeit in Abhängigkeit v o m Zeitabstand Erstinfarkt —Operation.
Die meisten Autoren sind sich einig, daß hohes Alter allein nicht unbedingt einen hohen Risikograd darstellt [4, 5, 11, 12]. Diese Annahme kann jedoch leicht zu einer falschen Risikoeinschätzung führen, wenn die regelhaft nachweisbare hohe Multimorbiditätsrate im Alter keine Berücksichtigung findet [1, 2, 3, 6, 9, 15]. So ist zwischen dem 61. und 70. Lebensjahr bei etwa der Hälfte und jenseits des 70. Lebensjahres bei 2/3 aller Patienten mit dem Vorhandensein kardialer Erkrankungen zu rechnen (Tab. 5), [3]. Nach Kenntnis des allgemeinen Risikos und seiner Klassifizierung stellt sich die Frage, wie das individuelle Risiko abgeschätzt werden kann. Die wesentliche Voraussetzung
54
B. Ramdohr
Tabelle 5
Lebensalter
Anteil multimorbider Patienten in verschiedenen Altersgruppen bezogen auf Organmanifestationen (n = 433), (modif. nach [1]) 41-50
51-60
61-70
> 70
kardial
1,3
14,3
48,1
67,7%
pulmonal
9,1 5,2
23,4
42,0
48,4%
6,5
13,6
22,6%
metabol.
hierfür ist eine qualitativ hochwertige, dennoch leicht verfügbare und einer möglichst großen Anzahl von Patienten zugute kommende präoperative Diagnostik (Tab. 6). Die Untersuchungsmethodik muß ausreichend sensitiv sein, um den Anteil falsch negativer Aussagen möglichst klein zu halten. Die Diagnostik muß eine gute AufwandNutzen-Relation besitzen, damit alle Untersuchungen für eine möglichst große Anzahl von Patienten jederzeit leicht verfügbar sind. Praktisch werden sich diese Forderungen nur durch ein abgestuftes, schematisiertes Untersuchungsprogramm verwirklichen lassen, wie sie in der Literatur verschiedentlich vorgeschlagen wurden [7, 19, 20].
Tabelle 6
Forderungen an eine rationelle präoperative Diagnostik
1. H o h e Sensitivität 2. Gute Aufwand-Nutzen-Relation
Für die präoperative Diagnostik kardialer Erkrankungen sei folgendes Vorgehen vorgeschlagen (Tab. 7). Die Mindestanforderung zur präoperativen Untersuchung aller Patienten besteht in der Erhebung der Anamnese unter Berücksichtigung interner, speziell kardiologischer Erkrankungen, der Erhebung eines internen Status und der Registrierung eines EKGs. Bei Patienten ab dem 50. Lebensjahr oder einem vorgesehenen größeren chirurgischen Eingriff oder vermuteten kardialen Erkrankungen werden die genannten Untersuchungen durch die Röntgenaufnahme der Thoraxorgane in 2 Ebenen ergänzt. Ergeben sich aufgrund der genannten Untersuchungen Hinweise für eine kardiale Erkrankung, ist die Diagnostik in folgender Weise auszudehnen: Bei einer vermuteten Angina pectoris oder einem stattgehabten Myokardinfarkt sollte in jedem Fall ein Belastungs-EKG, fakultativ ein 24-Stunden-Langzeit-EKG und ein Echokardiogramm zur präoperativen Beurteilung herangezogen werden. Bei anamnestisch bekannten oder im Routine-EKG aufgedeckten Rhythmusstörungen, muß ein 24-Stunden-Langzeit-EKG zur weiteren Klassifizierung der Rhythmusstörungen durchgeführt werden. Bei bestehender Herzinsuffizienz oder bestehenden oder vermuteten Klappenvitien ist die zusätzliche Durchführung der Echokardiographie obligat. Die genannten Untersuchungsverfahren werden in der Regel verfügbar sein und bei elektiven chirurgischen Eingriffen aus zeitlichen Gründen auch zur Anwendung kommen können. Nur bei nach diesem Schema erhobenen unklaren oder diskrepanten Befunden ist eine weitere spezielle kardiologische Diagnostik erforderlich.
Kardiale Risiken in der Chirurgie Tabelle 7
Übersicht
55
Vorschlag zur Durchführung einer rationellen Diagnostik zur Abschätzung des kardialen Risikos
Empfehlung Alle Patienten:
Anamnese, klin. Befund, EKG
Patienten > 50 J . oder größerer op. Eingriff oder verm. kard. Erkr.:
Rö.-Thorax in 2 Ebenen
Pat. mit kard. Erkr.:
Angina pectoris: Bel.-EKG (Langzeit-EKG, UKG) Zustand nach Myokardinfarkt. Bel.-EKG, UKG (Langzeit-EKG) Rhythmusstörungen: Langzeit-EKG (Bel.-EKG) Herzinsuffizienz UKG
Bei unklaren und diskrepanten Befunden:
und
Vitien:
spez. kardiol. Diagnostik
Literatur [1] Ahnefeld, F. W., H. Bergmann, C. Burri et al.: Der Risikopatient in der Anaesthesie. 1. HerzKreislaufsystem. Klin. Anaesthesiol. Intensivther. 11 (1976) 98. [2] Ahnefeld, F. W., H. Bergmann, C. Burri et al.: Der Risikopatient in der Anaesthesie. 2. Respiratorische Störungen. Klin. Anaesthesiol. Intensivther. 12 (1976) 166. [3] Ahnefeld, F. W., H. Heinrich: Hat sich in der Routine des Anaesthesisten die Berücksichtigung von Risikofaktoren bewährt? Langenbecks Arch. Chir. 361 (1983) 263. [4] Baumgartner, W.: Probleme der Allgemeinchirurgie im hohen Lebensalter. Chirurg 43 (1972) 198. [5] Del Guerico, L. R. M . , I. D. Cohn: Monitoring operative risk in the elderly. J A M A 243 (1980) 1350. [6] Farthmann, E. H., B. Koch: Kriterien in der Operabilität. In: Indikation zur Operation (Hrsg. G. Heberer, L. Schweiberer). Springer Verlag, Berlin — Heidelberg — New York 1981. [7] Frank-Schmidt, H. J., W. Nachtwey, G. Neuhaus et al.: Präoperative Diagnostik und Therapie. Mitt. Berufsverb. Dtsch. Intern. 3 (1978) 9. [8] Goldmann, L., D. L. Caldera, S. R. Nussbaum et al.: Multifactorial index of cardiac risk in noncardial surgical procedures. N. Engl. J . Med. 297 (1977) 845. [9] Held, E.: Risikofaktoren und präoperative Maßnahmen aus internistischer Sicht. In: Indikation zur Operation (Hrsg. G. Heberer, L. Schweiberer). Springer Verlag, Berlin — Heidelberg — New York 1981. [10] Immich, H.: Risiko in der Chirurgie und Probleme der Risikoforschung aus der Sicht des Statistikers. Langenbecks Arch. Chir. 361 (1983) 251. [11] Kern, E.: Kriterien der Operabilität aus chirurgischer Sicht. Chirurg 51 (1980) 129. [12] Kraas, E., R. Schwermann, H. Gögler et al.: Risiko und Verlauf von abdominalen Operationen im Alter. Zentralbl. Chir. 102 (1977) 297. [13] Kraas, E., H. G. Berger, R. Schwermann: Das Operationsrisiko bei Abdominaleingriffen im Alter in Abhängigkeit von der Operationsvorbereitung. In: Der alte Mensch in der Chirurgie (Hrsg. J . Rehn). Springer Verlag, Berlin - Heidelberg - New York 1979.
56
B. Ramdohr
[14] Kraas, E., R. Schwermann, T. Henneberg: Alter als Risikofaktor beim chirurgischen Eingriff: Gibt es verbindliche Grenzen? Langenbecks Arch. Chir. 361 (1983) 255. [15] Lamprecht, W., R. Pichlmayr: Risikofaktoren und deren Konsequenzen für prä- und postoperative Maßnahmen. In: Indikation zur Operation (Hrsg. G. Heberer, L. Schweiberer). Springer Verlag, Berlin - Heidelberg - New York 1981. [16] Lorenz, W.: Risikoforschung - nicht Risikolehre. Langenbecks Arch. Chir. 361 (1983) 241. [17] Lutz, H., R. Klose: Operationsvorbereitung aus anaesthesiologischer Sicht. Med. Welt 30 (1979) 639. [18] Lutz, H.: Präoperative Untersuchungen und Anaesthesierisiko. Diagn. Intensivther. 8 (1983) 8. [19] Schölmerich, P., K. F. Lang, H. J. Just: Stufen und Grenzen der Diagnostik beSHerz- und Gefäßerkrankungen. Internist 18 (1977) 121. [20] Schölmerich, P.: Die Belastbarkeit chiururgischer Patienten aus internistischer Sicht. Langenbecks Arch. Chir. 364 (1983) 51. [21] Steen, A. P., J. H. Tinker, S. Tarhan: Myocardial reinfarction after anesthesia and surgery. JAMA 239 (1978) 2566.
Bewertung von kardiovaskulären Risikofaktoren für das operative Risiko Möglichkeiten der Verminderung des Risikos durch präoperative Vorbehandlung und erweitertes intraoperatives Monitoring H. Heinrich, F. W. Ahnefeld
Einleitung Jeden klinisch tätigen Anästhesisten und Chirurgen ist folgender Sachverhalt vertraut: Ein Patient steht zu einer Operation an, aber wegen vorbestehender kardiozirkulatorischer Risikofaktoren äußert der Anästhesist schwere Bedenken, ob diese Operation dem Patienten überhaupt zuzumuten ist. Dies führt naturgemäß zu Konfliktsituationen. Es stellt sich die Frage, ob heute, aufgrund der Fortschritte in der Anästhesie und Chirurgie die Furcht vor derartigen Risikofaktoren überhaupt noch berechtigt ist. Wir sind deshalb in einer Untersuchung der Frage nachgegangen, in welchem Maße präoperative kardiozirkulatorische Risikofaktoren mit intraoperativ beobachteten, kardiozirkulatorischen Komplikationen korrelieren.
Methode 1009 chirurgische Patienten aus der Orthopädie, Gefäßchirurgie und Allgemeinchirurgie wurden untersucht. Auf einem Risikofragebogen mußten die jeweils die Narkose durchführenden Anästhesisten vorgegebene kardiozirkulatorische Risikofaktoren vermerken und intraoperativ auftretende Herz-Kreislaufkomplikationen notieren (Tab. 1). Die Fragebögen wurden anonym von den Kollegen ausgefüllt. Die Risikoklassifizierung wurde nach dem ASA-Schema [82] vorgenommen, welches weltweit am gebräuchlichsten ist (Tab. 2). Tabelle 1
Anlage der Studie
1009 chirurgische Patienten „Risikofragebogen": - präoperative Risikofaktoren — intraoperative kardiozirkulatorische Komplikationen Datenerhebung anonym durch die beteiligten Anästhesisten
58
H . Heinrich, F. W. Ahnefeld
Tabelle 2
ASA-Schema der Risikoklassifizierung (nach [2])
I. Ein gesunder Patient II. Ein Patient mit geringer Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens III. Ein Patient mit schwerer Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens IV. Ein Patient mit schwerster Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens V. Ein moribunder Patient
Ausgewertet wurden die Bögen nach einer Reihe von Gesichtspunkten. Vorgestellt werden die Häufigkeit von Risikogruppen, die Häufigkeit von Risikofaktoren sowie die Häufigkeit von beobachteten Herz-Kreislaufkomplikationen in Beziehung zur Risikoklassifizierung.
Ergebnisse Die Häufigkeit der Risikogruppen verteilt sich wie folgt: Ein Drittel der Patienten gehören jeweils den Risikogruppen I und II an, sind also den Gruppen mit wenig Risikofaktoren zuzuordnen. 25% der untersuchten Patienten wurden der Risikogruppe III zugeordnet. Etwa 6% finden sich in den Risikogruppen IV und V. Diese Verteilung bedeutet, daß ein Drittel aller untersuchten Patienten zu den hohen Risikogruppen III bis V gehören, also als Risikopatienten zu betrachten sind (Tab. 3). Tabelle 3
Häfigkeit der Risikogruppen
I. 35,8% II. 33,6% III. 25,0% IV.
5,4%
V.
0,3%
Von der Vielzahl der erhobenen Risikofaktoren sind hier nur die Koronarinsuffizienz, pathologischer Herzrhythmus oder Herzrhythmusstörungen, Zeichen der Herzinsuffizienz und die Hypertonie aufgeführt.
Bewertung von kardiovaskulären Risikofaktoren für das operative Risiko
59
Besonders möchte ich auf die hohe Inzidienz der koronaren Herzerkrankung mit ca. 50% in der Risikogruppe III und von 70% in der Risikogruppe IV hinweisen. Über die Risikogruppe V können keine zuverlässigen Aussagen getroffen werden, da die Gesamtzahl zu klein ist (Tab. 4). Tabelle 4
Risikogruppen und Risikofalctoren Gesamt
Koronarinsuffizienz
0,0%
8,0%
49,2%
68,5%
66,7%
Herzrhythmusstörungen
0,6%
3,9%
27,0%
55,6%
0,0%
1,9%
17,4%
47,2%
37,0%
0,0%
0,0%
11,2%
65,5%
90,7%
66,7%
Herzinsuffizienz
339 N =
IV
N =
N =
361 N =
III
N = 3
I
Risikofaktoren
Hypertonie
II
V
Präoperative
252 N =
54
1009
NYHA II-IV
Nun zu der entscheidenden Frage, in welcher Beziehung stehen diese Risikogruppen, die sich aus präoperativen Risikofaktoren ergeben, zu den beobachteten intraoperativen Herz-Kreislaufkomplikationen. Aufgeführt sind das Blutdruckverhalten bei Narkoseeinl^itung und intraoperativ auftretende, schwerwiegende Herzrhythmusstörungen und die Häufigkeit des Einsatzes von positiv inotropen Substanzen. Mit steigender Risikogruppe nimmt die Häufigkeit dieser Komplikationen sowie die Notwendigkeit zum Gebrauch der Kreislaufmedikamente zu. Die Zunahme der HerzKreislaufkomplikationen mit steigender Risikogruppe kann nicht einzelnen Narkoseverfahren zugeschrieben werden. Obwohl z. B. die Neuroleptanästhesie in den Risikogruppen II und III mit ca. 41% gleich häufig angewendet wurde, war die Inzidenz der schweren Hypotonien in der höheren Risikogruppe III mehr als doppelt so hoch als in der Risikogruppe II (Tab. 5). Tabelle 5
Risikogruppen und intraoperative Herz-Kreislaufkomplikationen I N =
Blutdruckabfall bei
II 361 N =
III
IV
339 N = 252 N = 54
V N =
Gesamt 3
1,7%
12,4%
25,4%
44,6%
66,6%
5,0%
8,9%
21,5%
26,0%
100,0%
Herzrhythmusstörung
3,9%
7,6%
23,0%
48,1%
100,0%
Positive inotrope
0,6%
6,8%
17,9%
25,9%
66,7%
Narkoseeinleitung Syst. >
1/3
Blutdruckabfall Intraoperativ Syst. >
1/3
Substanzen
N =
1009
60
H. Heinrich, F. W. Ahnefeld
Diskussion In Beantwortung der eingangs gestellten Frage ist festzustellen, daß die Furcht vor präoperativen Risikofaktoren unverändert berechtigt ist, wie das schon in früheren Studien belegt wurde [5, 6]. Betrachtet man die Letalitätsstatistiken der vergangenen Jahre bis heute, so zeigt sich eine nahezu unveränderte Krankenhausletalität im Zusammenhang mit operativen Maßnahmen. Daraus den Schluß zu ziehen, Fortschritte in der anästhesiologischen und chirurgischen Versorgung seien nicht erzielt worden, ist dennoch falsch. Studien von Bodlander [3] und Clifton [4] im Abstand von 10 Jahren an der gleichen Klinik zeigten, daß bei einem leichten Anstieg der Gesamtmortalität die aus anästhesiologischen und chirurgischen Ursachen resultierenden Todesursachen drastisch abgenommen haben. Dagegen nahm die Zahl der Todesfälle stark zu, die sich allein aus präoperativ vorbestehenden Erkrankungen ergaben. Wegen der begrenzten Zeit wurden hier nur kardiozirkulatorische Risiken vorgestellt. Selbstverständlich haben wir auch andere Risikofaktoren erfaßt. Die Gesamtzahl der erfaßten Risiken belegt die Tatsache, daß heute immer mehr Patienten im höheren Lebensalter operiert werden, die eine Multimorbidität aufweisen [1], Eine weitere Senkung der Letalität ist damit auch bei noch weiterer Verfeinerung anästhesiologischer und chirurgischer Techniken nicht zu erwarten, wenn die Zahl dieser Patienten weiter zunimmt. Mit aufwendigeren Überwachungsmethoden und der postoperativen Intensivtherapie können zwar oft auch schwerstvorgeschädigte Patienten erfolgreich operiert werden; dennoch sind naturgemäß Grenzen vorhanden, da die Anzahl der Störfaktoren, die auf einen normalen perioperativen Verlauf einwirken, sich vervielfacht haben und alle therapeutischen Bemühungen damit von vornherein zum Scheitern verurteilt sein können. Literatur [1] Ahnefeld, F. W., H. Erdle, S. Doering et al.: Nutzen und Notwendigkeit einer Aufwachstation
-
Ergebnisse einer klinischen Studie. In: Klinische Anästhesiologie und Intensivtherapie, Band 24 (Hrsg. F. W. Ahnefeld, C. Burri, W. Dick, M. Halmagyi, G. Hossli, E. Rügheimer) Springer, B e r l i n - H e i d e l b e r g - N e w York 1982. [2] ASA: New Classification of physical status. Anesthesiology 24 (1963) 111. [3] Bodlander, F. M. S.: Deaths associated with anaesthesia. Br. J. Anaesth. 47 (1975) 36. [4] Clifton, B. S., W. I. D. Hotten: Deaths associated with anaesthesia. Br. J. Anaesth. 35 (1963) 250. [5] Lutz, H.: Risiken der Anästhesie. Untersuchungen an 153 660 Anästhesieverläufen. Anaesthesist 31 (1982) 1. [6] Marx, G., C. V. Mateo, L. R. Orkin: Computeranalysis of postanaesthetic deaths. Anaesthesiology 39 (1973) 54.
Präoperative diagnostische Möglichkeiten zur Abschätzung des kardiorespiratorischen Systems bei Risikopatienten O. Mayr, K. Reinhart
Immer ältere Patienten, die mit schweren Risikofaktoren belastet sind, werden immer größeren operativen Eingriffen unterzogen [5]. Dies wird u.a. wesentlich durch folgende Maßnahmen möglich: — Präoperative Diagnostik und Risikoabschätzung [10]; — erweitertes, bereits präoperativ einsetzendes perioperatives Monitoring [7]; — Fortführung der Betreuung auf der Intensivstation in der besonders kritischen Aufwärm- und Aufwachphase durch den Anästhesisten bzw. Intensivmediziner. Allein die Vielzahl von Checklisten zur Abschätzung des Operations- und Narkoserisikos [1, 2 , 1 1 , 1 2 , 1 4 ] belegt die unzureichende Vorhersagbarkeit des operativen Risikos im Einzelfall durch diese Verfahren. Den Operateuren, Anästhesisten und vor allem den Patienten selbst hilft eine allgemeine Zuordnung zu Risikoklassen wenig. Die Risiko-Checklisten fußen lediglich auf retrospektiven Auswertungen an großen Patientenkollektiven und versagen deshalb im Einzelfall nicht selten. Besonders das kardiorespiratorische System unterliegt in der perioperativen Phase größten Anforderungen [13]. Dies zeigt beispielhaft die Abbildung 1 für aorto-bifemorale Bypass-Operationen. Mit Narkosebeginn und Auskühlung fällt der intraoperative Sauerstoffverbrauch dieser Patienten ab, d.h., die Anforderungen an das kardiorespiratorische System werden geringer. Während der Narkose hält sich der Sauerstoffverbrauch gegenüber dem Ausgangswert auf erniedrigtem Niveau. Mit Beginn der Aufwach- und Aufwärmphase bei Narkoseende übersteigt der Metabolismus aller Patienten den präoperativen Ausgangswert. Dieser zusätzliche Sauerstoffbedarf kann nur durch — eine ausreichende Steigerung des Herzzeitvolumens — und/oder durch Zunahme der Sauerstoffextraktion gewährleistet werden (vorausgesetzt, die inspiratorische Sauerstoffkonzentration und der Hämoglobingehalt bleiben gleich). Unter ergometrischer Belastung steigt verständlicherweise der Sauerstoffverbrauch bei herzgesunden Versuchspersonen kontinuierlich an. Er liegt bei Ruhebedingungen unter 300 ml/min und kann etwa um das Vierfache, also auf ca. 1200 ml/min unter Belastung gesteigert werden. Dieser Anforderung kommt der Organismus sowohl durch eine Steigerung des Herzzeitvolumens als auch durch eine parallele Zunahme der Sauerstoffausschöpfung nach [9].
62
O. M a y r , K . R e i n h a r t Sauerstoffverbrauch
(mlO^mViin)
180 -,
y
S* 160
p( ^ i
-
1
140
-
120
-
100
-
80
-
60 - 1
L-
n = 85
i
präOP
1—l
n—i—i—i—i—i—i—i—i
r
|
OP
i
1h
2h 8h 24h post OP
Narkoseeinleitung Aorta a b g e k l e m m t Abb. 1
D e r p e r i o p e r a t i v e S a u e r s t o f f v e r b r a u c h über 24 Stunden bei 85 Patienten, die sich einem rekonstruktiven chirurgischen Eingriff an der infrarenalen A o r t a unterziehen mußten.
Patienten mit stärkerer kardialer Einschränkung sind unter ergometrischer Belastung in der L a g e ihren S a u e r s t o f f v e r b r a u c h lediglich u m die H ä l f t e , bis auf ca. 500 ml/ min zu steigern. Dies liegt vor allem daran, daß diese Patienten nur unwesentlich ihr H e r z a u s w u r f v o l u m e n den gesteigerten metabolischen Bedürfnissen anpassen können. Sie kompensieren p r i m ä r und fast ausschließlich über eine Z u n a h m e der arteriovenösen Sauerstoffgehaltsdifferenz [8]. Es scheint daher bei kardiorespiratorischen Risikopatienten sinnvoll, die perioperativ zu erwartenden gesteigerten Anforderungen an d a s kardiorespiratorische System durch ergometrische Belastungsuntersuchungen zu simulieren [3, 4], (Abb. 2). Bei diesen Patienten wurde über eine Fiberoptik die Sauerstoffsättigung in der Pulmonalarterie kontinuierlich gemessen. Bei einer normalen A u s g a n g s s ä t t i g u n g k o m m t es schon nach zwei Minuten Belastung von lediglich 50 Watt zu einem Sättigungsabfall auf 5 0 % . Die M e s s u n g e n des H e r z a u s w u r f v o l u m e n s unter dieser Belastung zeigten gegenüber der R u h e m e s s u n g nur einen geringfügigen Anstieg. Dieser Patient konnte folglich den gesteigerten S a u e r s t o f f v e r b r a u c h nur über eine Steigerung der Sauerstoffextraktion kompensieren. N a c h Belastungsende zeigt sich eine rasche Erholung bis zum Erreichen des A u s g a n g s w e r t e s . Die schlechte kardiale Ausgangssituation des Patienten wird durch die kardialen Auswirkungen der thorakalen Periduralanästhesie deutlich. D a s Herzzeitvolumen fiel nach voller Wirkung der thorakalen P D A u m 0,8 1 gegenüber d e m A u s g a n g s w e r t a b . Folge dieses Abfalls des Herzzeitvolumens w a r
Abschätzung des kardiorespiratorischen Systems bei Risikopatienten
Sv02
%
Belastung 5 0 Watt t
100-1
PDA •
63
Belastung 50 Watt +
90 80 H 70 60 H
1/
1
r
^
50 40 30H
! ri i i i I I i
20 10 0
Abb. 2
•
i i
— i — i — i — i — i — « — i — i — « — i — i — i — 10 20 30 40 50 60 min
Kontinuierliche In-vivo-Registrierung der pulmonalarteriellen Sättigung eines kardial eingeschränkten Patienten bei Belastung, thorakaler Periduralanästhesie und erneuter Belastung.
eine Zunahme der Sauerstoffausschöpfung um mehr als 10%. N u r durch diese kompensatorische Zunahme der Sauerstoffextraktion war dieser Patient weiter in der Lage, seinen Ruhestoffwechsel zu gewährleisten. Es verwundert nicht, daß eine erneute Belastung mit 50 Watt zu einer noch höheren Sauerstoffausschöpfung führte. Belastungsuntersuchungen erlauben uns über die Ermittlung der maximalen Belastbarkeit, über das Verhalten des Herzzeitvolumens und über die Sauerstoffausschöpfung die individuelle Kompensationsbreite des kardiorespiratorischen Systems jedes einzelnen Patienten zu beurteilen [15]. Zusammenfassend haben wir die Möglichkeit durch ergometrische Belastung wichtige Organfunktionen einzuschätzen: — Das Ausmaß der koronaren Herzkrankheit (EKG, Angina pectoris) — Die Steigerungsmöglichkeiten des Herzauswurfvolumens [6] ( H Z V - M e s s u n g über Thermodilution) — Das Verhalten der kardialen Füllungsdrucke (Swan-Ganz-Katheter) — Das Verhalten der Auswurffraktion (Herzbinnenraum-Szintigraphie) — Das Verhalten der Sauerstoffextraktion (kontinuierliche In-vivo-Messung des gemischt-venösen Sauerstoffgehalts) — Die Bestimmung des maximalen Sauerstoffverbrauches (Ficksches Prinzip) — Die Fähigkeit der Sauerstoffaufnahme über die Lunge (arterieller p 0 2 )
64
O. Mayr, K. Reinhart
Nach unseren Erfahrungen und Ergebnissen scheinen folgende Patienten den kardiorespiratorischen und metabolischen Anforderungen der perioperativen Phase am schlechtesten gewachsen zu sein: — Auftreten von zusätzlichen Ischämiezeichen und Angina pectoris schon bei geringer ergometrischer Belastung. — Erhöhte kardiale Füllungsdrucke bereits in Ruhe. — Abfall bzw. fehlender Anstieg des Herzzeitvolumens unter Volumenbelastung, sowie Auftreten von zusätzlichen Ischämiezeichen (ST-Senkung und/oder Extrasystolen) unter dieser Maßnahme. — Geringe Steigerung bzw. Abfall des Herzzeitvolumens und des systemischen Blutdrucks unter ergometrischer Belastung. — Ejektionsfraktion < 30% und/oder fehlender Anstieg der Ejektionsfraktion unter Belastung. — Erhöhte Sauerstoffextraktion bereits in Ruhe (AVD0 2 -Erhöhung bzw. SVO2Erniedrigung). — Geringer maximaler Sauerstoffverbrauch. — Abfall des arteriellen Sauerstoffpartialdruckes unter Belastung. Patienten, die sich anhand dieser Untersuchungen als besonders gefährdet erweisen, bedürfen einer optimalen Betreuung durch den Operateur, Anästhesisten und Intensivmediziner in der gesamten perioperativen Phase.
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Abschätzung des kardiorespiratorischen Systems bei Risikopatienten
65
[13] Reinhart, K.: Z u r Kombination von Periduralanalgesie und Allgemeinanaesthesie beim Risikopatienten - Auswirkungen auf Haemodynamik und Sauerstofftransport. In: Anaesthesiologie und Intensivmedizin, Bd. 195. Springer, Berlin — Heidelberg 1987. [14] Vacanti, C. J., R. J. v. H o u t o n , R. C. Hill: A statistical analysis of the relationship of physical status to postoperative mortality in 68 388 cases. Anesth. Anaig. (Curr. Res.) 49 (1970) 564. [15] Wassermann, K., B. J. Whipp: Exercise physiology in health and disease. Am. Rev. Resp. Dis. 112 (1975) 219.
Welchen Belastungen ist der Kreislauf in der postoperativen Phase nach größeren Bauchoperationen mit unkompliziertem Verlauf ausgesetzt? R. Eisele, G. Stühmeier, W. Baumann
Die hier vorgestellten Untersuchungen wurden bei insgesamt 92 Patienten durchgeführt, die sich einer großen abdominalchirurgischen Operation am Magen oder Darm unterziehen mußten und deren postoperativer Verlauf klinisch unkompliziert war. Das mittlere Lebensalter lag bei 73 Jahren (46 — 86 Jahre). Ausgangspunkt waren Untersuchungen des systemischen Kreislaufes im Rahmen einer Verlaufsbeobachtung [3]. Vor, sowie am 1. und 3. postoperativen Tage wurden die Meßwerte erhoben. Die unmittelbare postoperative Phase (OP-Tag) ist bei unseren Untersuchungen nicht erfaßt. Während der Beobachtungszeit bleiben der Herzindex, die Drücke in der Systemund Pulmonalarterie, der 0 2 -Verbrauch, der periphere Widerstand sowie die arteriovenöse 0 2 -Gehaltsdifferenz im Mittel gleich (Abb. 1). Zum 1. postoperativen Tag hin fallen der zentrale Venendruck um durchschnittlich 1,2 mmHg und das Blutvolumen um 10% ab, letzteres ist hier nicht extra aufgeführt. Als hervorstechender Befund kommt es regelhaft am 1. postoperativen Tag zu einem Anstieg der Herzfrequenz um durchschnittlich 24 Schläge/Minute. Bei gleichbleibendem Herzzeitvolumen errechnet sich eine deutliche Abnahme des Schlagvolumens. Am 3. postoperativen Tag ist dieses Verhalten rückläufig. Zur Abklärung der Herzfrequenzerhöhung wurde versucht, Beziehungen zwischen der Änderung der Herzfrequenz und den Änderungen des Blutvolumens, des zentralen Venendruckes, der Körpertemperatur, des Sauerstoffdruckes sowie des Hämatokrits von präoperativ zum 1. postoperativen Tag hin herzustellen (Tab. 1). Wie aus den Korrelationsquotienten abzulesen ist, besteht keine gesicherte Beziehung. Bei einem Teil der Patienten wurde versucht, die postoperative Sinustachykardie durch Zufuhr von Plasmaersatzmittel (durchschnittlich 500 ml Dextran 60® in 30 Minuten) zu beeinflussen (Abb. 2). Es werden lediglich die Mittelwerte in der Abbildung angegeben, da ein gerichtetes Verfahren bei allen Patienten vorliegt. Es kommt unter dieser Behandlungsmaßnahme zu einem mächtigen Anstieg des Herzzeitvolumens, die Herzfrequenz bleibt im Mittel fast unbeeinflußt. Wird bei diesen Patienten anschließend ein Beta-Rezeptorenblocker eingesetzt (Propranolol, 2 — 5 mg), kommt es zu einem Abfall der Herzfrequenz und des Herzzeitvolumens. Die Herzfrequenzsenkung bleibt jedoch nur kurze Zeit bestehen, dann ist der alte Zustand wiederhergestellt.
präop.
postop. I.Tag 3.Tag
Hämodynamische Daten von 31 Patienten präoperativ sowie am 1. und 3. postoperativen Tag. Mittelwert mit Standardabweichung. HI = Herzindex; AVD O z = arterio-gemischtvenöse 0 2 -Gehaltsdifferenz; HFr = Herzfrequenz; SV = Schlagvolumen; M D a r t = arterieller Mitteldruck; PW = peripherer Widerstand; Z V D = zentraler Venendruck; M D pulm = pulmonaler Mitteldruck.
Kreislaufbelastungen in der postoperativen Phase nach Bauchoperationen
a« a
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io O O
— i< o" A
o A
"O o o" V
70 Jahre
5
Herzinfarkt innerhalb der letzten 6 Monate
10
Galloprhythmus oder Jugularvenenstauung
11
Aortenklappenstenose
3
Alle Rhythmusformen, außer Sinusrhythmus
7
5 oder mehr Extrasystolen pro Minute
7
p 0 2 < 60 mm/Hg oder p C 0 2 > 50 mm/hg
3
K+
81
< 3 mmol/1 oder H C 0 3 < 20 mmol/1
Serumharnstoff > 50 mg/% oder Kreatinin > 3 mg/% SGOT-Erhöhung oder Leberkrankheiten intraperitoneal, intrathorakal, aortal
3
Notfalleingriff
4
maximal
Tabelle 3 Klasse I
53
Risikoklassifizierung [6] Punkte 0-
Komplikationen
Tod
5
0.7%
II
6-12
5.0%
2.0%
III
13-25
11.0%
2.0%
IV
26-53
22.0%
56.0%
zu d e r A n n a h m e v e r f ü h r e n , d a s E i n z e l f a l l r i s i k o berechnen
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82
H. Rieger
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Konse-
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Indikation
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Problematik
in a n g e m e s s e n e r
Weise vertrautgemachten
Patienten
und
seiner
A n g e h ö r i g e n m i t ein. D a s p r ä o p e r a t i v e G e s p r ä c h — o b v o m I n t e r n i s t e n , A n ä s t h e s i s t e n oder
Chirurgen
geführt
— ist e i n e ä r z t l i c h e L e i s t u n g
erster
Ordnung
und
kann
entscheidend zur intra- und postoperativen Risikominderung beitragen.
Literatur [1] Ahnefeld, F. W., H. Heinrich: Die Analyse und Bedeutung von Risikofaktoren sowie Möglichkeiten einer Vorbehandlung bei angiologischen Patienten aus der Sicht der Anästhesie. In: Probleme der Vor- und Nachsorge und der Narkoseführung bei invasiver angiologischer Diagnostik und Therapie (Hrsg. R . Nobbe, G. Rudofsky), S. 21. Pflaum, München 1983. [2] Barnes, R . W., P. B. Marszalak: Asymptomatic carotid disease in the cardiovascular surgical patient: is prophylactic endarterectomy necessary? Stroke 12 (1981) 497. [3] De Bakey, M . E., E. S. Crawford, D. A. Cooley et al.: Cerebral arterial insufficienca: One to 11-year results following arterial reconstructive operation. Ann. Surg. 161 (1965) 921. [4] Ennis, C. L., G. M . Lawrie, G. C. Morris et al.: Improved results of carotid endarterectomy in patients with symtomatic coronary disease: An analysis of 1546 consecutive carotid operations. Stroke 10 (1979) 122. [5] Erdmann, E.: Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, Wiesbaden, Mai 1984. Selecta 28 (1984) 2394. [6] Goldmann, L., D. Caldera, S. Nussbaum et al.: Multifactorial index of cardiac risk in noncardiac surgical procedures. N. Engl. J . Med. 16 (1977) 845. [7] Hallet, J . W., D. C. Brewster, R. C. Darling: Manual of patient care in vascular surgery, S. 75. Little Brown, Boston 1982. [8] Hertzer, N. R . , C. D. Lees: Fatal myocardial infarction following carotid endarterectomy. Three hunderd thirty-five patients followed 6 — 11 years after operation. Ann. Surg. 194 (1982) 212. [9] Hertzer, N. R.: Fatal myocardial infarction following lower extremity revascularization. Ann. Surg. 193 (1981) 492. [10] Hertzer, N. R . E. G. Beven, J . R . Young et al.: Coronary artery disease in peripheral vascular patients — A classification of 1000 caronary angiograms and results of surgical management. Ann. Surg. 199 (1984) 223. [11] Kilian, J . , W. Schwinn: Postoperative Atemtherapie. Dtsch. Med. Wochenschr. 109 (1984) 1084. [12] Pasch, T h . , M . Brandl: Anästhesiologische Probleme bei Karotiseingriffen. In: Karotischirurgie (Hrsg. H. Karobath, M . Redtenbacher), S. 117. Witzstrock, Baden-Baden - Köln - New York 1981. [13] Ropper, A. H., L. R . Wechsler, L. S. Wilson: Carotid bruit and the risk of stroke in elective surgery. N. Engl. J . Med. 307 (1982) 1388.
Analyse und Bewertung allgemeiner Risikofaktoren in der Chirurgie: Gefäßerkrankungen
83
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Lungenerkrankungen H. Huckauf
Einleitung Die Fortschritte in der Anästhesie und in verschiedenen chirurgischen Techniken ermöglichen es heute, Patienten mit schweren kardiorespiratorischen Störungen zu operieren, denen früher ein operativer Eingriff nicht mehr zugemutet worden wäre. Dennoch steht außer Zweifel, daß pulmonale Komplikationen immer noch die häufigsten Ursachen für eine erhöhte postoperative Morbidität und Letalität sind. Das Auftreten pulmonaler Komplikationen hängt entscheidend vom Ort der chirurgischen Intervention ab. Die internationale Literatur läßt keine Unklarheit darüber aufkommen, daß die höchste Komplikationsrate mit Thoraxeingriffen und Oberbauchoperationen verbunden ist, während nichtabdominelle und nichtthorakale chirurgische Behandlungen die niedrigste Rate aufweisen [3, 7, 9, 13, 16, 18 — 20]. Präexistierende Lungenerkrankungen begünstigen erfahrungsgemäß das Auftreten respiratorischer Komplikationen; zum anderen können sich diese auch auf dem Boden von pathophysiologischen Veränderungen der Lungen entwickeln, die schon während der Operation entstehen.
Postoperative pathophysiologische Lungenveränderungen Operationsbedingte pathophysiologische Veränderungen in den Lungen, werden nicht nur bei Patienten mit präexistierenden Lungenerkrankungen sondern auch bei Lungengesunden beobachtet. Die Operation selbst, die Anästhesie, Änderungen des Sensoriums, Straffheit des Verbandes, postoperative Medikation und Immobilisation bei Bettlägerigkeit können auf die Lungen folgende Auswirkung haben: 1. auf die Lungenvolumina, 2. auf die Ventilation, 3. auf den Gasaustausch und 4. auf die Abwehrmechanismen der Lungen.
Abwehrmechanismen der Lungen Der Husten ist ein primärer Abwehrmechanismus zur Reinigung der oberen Luftwege, wohingegen die Clearance der unteren Luftwege von der Integrität des mukoziliären Systems, von den zellulären, alveolären Abwehrsystemen und der Lymphdrainage abhängt. Die Clearance inhalierter Partikel ist postoperativ von dem Ausmaß der Hustenbehinderung, der ziliären Funktion und der Zusammensetzung des Bronchial-
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H. Huckauf
sekretes beeinträchtigt. Wie tierexperimentelle Untersuchungen zeigten kann die bakterielle Abwehr zusätzlich durch eine perioperativ bedingte arterielle Hypoxie eingeschränkt sein [11].
Pulmonale Komplikationen Diese pathophysiologischen Änderungen der Lungen haben offensichtlich eine schwererwiegende Auswirkung bei Patienten mit präexistierenden Lungenerkrankungen. Stein et al. [18] berichteten, daß in ihrem Patientenkollektiv bei den Operierten mit präoperativer normaler Lungenfunktion ein komplikationsloser postoperativer Verlauf beobachtet werden konnte, während die Patienten mit präexistierender, eingeschränkter Lungenfunktion in 70% der Fälle eine pulmonale Komplikation aufwiesen. Verschiedene hervorragende Publikationen beschreiben unbestreitbar einen engen Zusammenhang zwischen der Schwere einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung und der Letalität (Literatur s. [20]). Das Spektrum der pulmonalen Komplikationen reicht von der Atelektase bis zur Exazerbation einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung und Pneumonie.
Atelektase Das Auftreten von Atelektasen kann zwar auch bei Lungengesunden, besonders jedoch bei Risikogruppen beobachtet werden: Bei Übergewichtigen, älteren Patienten, starken Rauchern und solchen mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung. In der postoperativen Phase mögen 2 Mechanismen für die Ausbildung von Atelektasen verantwortlich gemacht werden: Die Sekretretention und die Abnahme des exspiratorischen Reservevolumens. Die Sekretokklusion der Bronchien ist bei weitem nicht die alleinige, ausschlaggebende Ursache für eine Atelektasenbildung. Es konnte gezeigt werden, daß die Kollapsrate von der Zusammensetzung und den Resorptionsbedingungen der distal von der Okklusion eingefangenen Luft abhängt. Bei erhaltener Perfusion ist die Resorptionszeit der Luft wegen des hohen Anteiles an Stickstoff relativ lang, während bei einem höheren Anteil von Sauerstoff als Folge beatmungsbedingter höherer Sauerstoffkonzentrationen in der Inspirationsluft während der Operation oder postoperativ die Resorptionsrate erhöht und die Atelektasebildung beschleunigt wird [4, 5]. Wie schon erwähnt, kommt es in Zusammenhang mit den Änderungen im Ventilationsmuster zu einem Verschluß der kleinen Atemwege und einer Abnahme des exspiratorischen Reservevolumens. Bei übergewichtigen Patienten, die schon „normalerweise" ein erniedrigtes exspiratorisches Reservevolumen haben, und bei Patienten mit chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen, bei denen das Residualvolumen durch eine Lungenüberblähung zu ungunsten des exspiratorischen Reservevolumens und auch der Vitalkapazität erhöht ist, kann eine postoperative zusätzliche Abnahme des exspiratorischen Reservevolumens einen Verschluß der vorgeschädigten Atemwege begünstigen und einer Atelektasebildung Vorschub leisten.
Lungenerkrankungen
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Lungenvolumina 1933 berichtete Beecher [1] über eine prospektive Studie, in der einige tausend spirometrische Messungen ausgewertet wurden, die vor und nach einer Laparotomie gemacht worden waren. Er stellte fest, daß die Vitalkapazität um ca. 45% in den ersten 2 Tagen nach der Operation abnahm und nach ca. 2 Wochen die Ausgangswerte wieder erreicht wurden. Diese Tatsache ist in der Folgezeit von zahlreichen Autoren insbesondere bei Oberbauchoperationen bestätigt worden (zusammenfassende Literatur bei [20]). Ebenso nimmt das exspiratorische Reservevolumen und die funktionelle Residualkapazität wenn auch von geringerem Ausmaß als die Vitalkapazität bei allen Arten von Bauchoperationen ab. Die Abnahme der statischen Volumina dürfte bei thorakalen Operationen durch die eingeschränkte Thoraxausdehnung leicht zu erklären sein. Die Gründe für die Abnahme besonders der Vitalkapazität nach Oberbauchoperationen sind unklar. Mehrere Autoren haben eine Dysfunktion des Zwerchfelles beschrieben. Der Mechanismus veränderter Zwerchfellexkursionen ist ungeklärt und scheint multifaktorieller Natur zu sein. Abdominelle Schmerzen, Entzündungen und lokale Irritationen nach Oberbaucheingriffen sind kausal angeschuldigt worden, doch haben Nervenblockaden keine Verbesserung in den Lungenvolumina gezeigt [12, 21] und Ford et al. [6] vermuten einen Neuraireflex als Ursache. Ventilation Als typische Folge thorakaler und abdomineller chirurgischer Interventionen ist eine frequente oberflächliche Atmung zu beobachten. Eine Abnahme des Atemzugvolumens und eine Zunahme der Atemfrequenz sind Ausdruck einer erniedrigten Compliance der Lungen. Gestützt durch tierexperimentelle Untersuchungen darf angenommen werden, daß die Complianceerniedrigung auf zahlreiche Verschlüsse der kleinen Atemwege in den lageabhängigen Lungenarealen mit Alveolarkollaps zurückzuführen sind [15]. Es konnte gezeigt werden, daß durch wenige tiefe Atemzüge die Compliance wieder zunimmt und daß die sogenannte Seufzeratmung eine entscheidende Rolle zur Vermeidung der Verschlüsse der kleinen Atemwege spielt, die bei postoperativen abdominellen Schmerzen vollkommen aufgehoben sein kann. Gasaustausch Im Falle eines Verschlusses der kleinen Atemwege mit Alveolarkollaps und dadurch bedingter aufgehobener Ventilation in Relation zur Perfusion kommt es zu einer venösen Beimischung und Abfall des arteriellen Sauerstoffpartialdruckes [2, 8, 14]. Intrapulmonale Shuntbildungen konnten sowohl bei thorakalen als auch bei abdominellen Operationen nachgewiesen werden. Ein Anstieg des arteriellen Kohlensäurepartialdruckes war nur dann zu messen, wenn präoperativ auch schon e.ine Hyperkapnie bestand. Infekte Pulmonale Infektkomplikationen befallen erwartungsgemäß gehäuft Patienten mit chronischen Atemwegserkrankungen. Hustenschwäche, Mikro- und Makroatelekta-
88
H. Huckauf
sen, eine abgeschwächte mukozilliare Clearance von inhalierten Partikeln und Mikroorganismen begünstigen ebenso das Angehen von Infekten wie Schmerzen und Dehydratation. Johnson und Mitarbeiter [11] haben zeigen können, daß eine Besiedelung des Atemtraktes mit Gram-negativen Erregern vermehrt bei chronisch infizierten Atemwegen von Patienten mit chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen auftreten.
Beurteilung des Risikos Unter den Lungenerkrankungen stellt die chronische Obstruktion der Atemwege mit schwerer Behinderung des exspiratorischen Atemflusses und progredientem Elastizitätsverlust der Lungen die häufigste Basis für postoperative pulmonale Komplikationen dar. Restriktive Lungenerkrankungen beinhalten ebenso ein Risiko, nur sind sie zahlenmäßig von geringerer Bedeutung. Zur Abschätzung des Risikos steht uns heute eine Palette von Lungenfunktionsuntersuchungen zur Verfügung. Die vorhandenen Daten ermöglichen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Beurteilung des Morbiditätsrisikos, nicht jedoch die Definition von Operabilität und Inoperabilität. Die Frage nach dem Grad des Morbiditätsrisikos kann allerdings letztlich auch nicht nach Maß und Zahl entschieden werden; sie stellen nur Richtlinien dar, die der Gesamtbetrachtung des Patienten bedürfen. Kandidaten für eine präoperative Lungenfunktionsuntersuchung sollten alle Patienten sein, die für eine thorakale Operation und chirurgische Eingriffe des Oberbauches vorgesehen sind, sowie Raucher, übergewichtige Patienten, Patienten älter als 70 Jahre und jeder Patient mit einer chronischen Erkrankung des respiratorischen Systems [20],
Literatur [1] Beecher, K. H.: The measured effect of laparotomy on the respiration. J. Clin. Invest. 12 (1933) 639. [2] Bjork, V. O., H. J. Hilty: The arterial oxygen and carbon dioxide tension during the postoperative period in cases of pulmonary resections and thoracoplasties. Surgery 27 (1953) 455. [3] Clague, M . B., J. Collin, L. B. Fleming: Prediction of postoperative respiratory complications by simple spirometry. Ann. R. Coll. Surg. Engl. 61 (1979) 59. [4] Coryllos, P. N., G. L. Birnbaum: Studies in pulmonary gas absorbtion in bronchial obstruction: Behaviour and absorbtion times of oxygen, carbon dioxide, nitrogen, hydrogen, helium, ethylene, nitrous oxide, ethyl chloride and ether in the lung. Am. J. Med. Sci. 183 (1932) 347. [5] Dale, W. A., H. Rahn: Rate of gas absorption during atelectasis. Am. J. Physiol. 170 (1953) 606. [6] Ford, G. T., W. A. Whitelaw, T. W. Rosenal et al.: Diaphragm function after upper abdominal surgery in humans. Am. Rev. Respir. Dis. 127 (1983) 431. [7] Gass, D. G. D., G. N. Olsen: Preoperative pulmonary funtion testing to predict postoperative morbidity and mortality. Chest 89 (1986) 127. [8] George, J., I. Hornum, K. Mellemgard: The mechanism of hypoxemia after laparotomy. Thorax 22 (1966) 382.
Lungenerkrankungen
89
[9] Gracey, D. R., M. B. Divertie, E. P. Didier: Preoperative pulmonary preparation of patients with chronic obstructive pulmonary disease. Chest 76 (1979) 123. [10] Harris, S. D., W. G. Johanson Jr., A. K. Pierce: Bacterial lung clearance in hypoxic mice. Am. Rev. Resp. Dis. I l l (1975) 910. [11] Johanson, W. G., A. K. Pierce, J. P. Sanford et al.: Nosocomial respiratory infections with gram-negative bacilli: The significance of colonization of the respiratory tract. Ann. Intern. Med. 77 (1972) 701. [12] Jacobson, S., J. Ivarsson: Efects of intercostal nerve blocks (etidocaine 0.5%) on chest wall mechanics in cholecystectomized patients. Acta Anaesthesiol. Scand. 21 (1977) 497. [13] Latima, R. G., M. Dickman, W. C. Day et al.: Ventilatory patterns and pulmonary complications after upper abdominal surgery determined by preoperative and postoperative computerized spirometry and blood gas analysis. Ann. J. Surg. 122 (1971) 622. [14] Laver, M. B., H. H. Bendixen: Atelectasis in the surgical patient: Recent conceptual advances. Prog. Surg. 5 (1966) 1. [15] Mead, J., C. Collier: Relation of volume history of lungs to respiratory in dogs. J. Appi. Physiol. 14 (1959) 669. [16] Meneely, G. R., J. L. Ferguson: Pulmonary evaluation and risk in patient preparation for anaesthesia and surgery. JAMA 175 (1961) 1074. [17] Prys-Roberts, C., J. F. Nunn, R. H. Dobson et al.: Radiographically undetectable pulmonary collapse in the supine position. Lancet 2 (1967) 399. [18] Stein, M., G. M. Koota, M. Simon et al.: pulmonary evaluation of surgical patients. JAMA 181 (1962) 765. [19] Tahir, A. H., R. B. George, H. Weil et al.: Effects of abdominal surgery upon diaphragmatic function and regional ventilation. Int. Surgery 58 (1973) 337. [20] Tisi, G.: Preoperative evaluation of pulmonary function. Am. Rev. Resp. Dis. 119 (1979) 293. [21] Wahba, W. M., H. F. Don, D. B. Craig: Post-operative epidural anesthesia: effects on lung volumes. Can. Anesth. Soc. J. 22 (1975) 519.
Allgemeines Operationsrisiko bei Nierenerkrankungen A. Distler, F. Keller, H.-H. Neumayer, G. Offermann, L. Schudrowitsch
Einleitung Im Rahmen des gestellten Themas soll auf zwei Aspekte eingegangen werden, nämlich auf die Prognose des akuten Nierenversagens bei chirurgischen Patienten sowie auf das Operationsrisiko bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz.
Prognose bei akutem Nierenversagen Das akute Nierenversagen kann heute durch Dialysebehandlung überbrückt werden, so daß der Ausfall der Nierenfunktion keine vitale Bedrohung für den Patienten mehr darstellt. Bei intensivbehandlungsbedürftigen Patienten geht jedoch das akute Nierenversagen weiterhin mit einer hohen Letalität einher [2,7], Abbildung 1 zeigt 81 P a t i e n t e n
mit
ANV
Anzahl der Vitalfunktionsstörungen 1 i 1 1 1
0
2
2
14
3
29
4
25
5
6
0
1
1
1
1
| | l
1
10
1
20
1
30
1
40
1
50
1
60
1
70
1
80
1
90 100
% Überlebensrate Abb. 1
Prozentuale Uberlebensraten bei 81 Patienten mit akutem Nierenversagen in Abhängigkeit von der Anzahl weiterer Vitalfunktionsstörungen. Es handelt sich um Patienten, die zwischen Januar 1981 und Oktober 1982 wegen eines akuten Nierenversagens auf der medizinischen bzw. operativen Intensivstation des Universitätsklinikums Steglitz Berlin dialysiert werden mußten [7].
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A. Distler, F. Keller, H.-H. Neumayer, G. Offermann, L. Schudrowitsch
eine Zusammenstellung der Letalitätsraten von insgesamt 81 Patienten, die im Zeitraum vom Januar 1981 bis zum Oktober 1982 wegen eines akuten Nierenversagens auf der operativen bzw. auf der medizinischen Intensivstation des Klinikums Steglitz hämodialysiert werden mußten. Die Letalitätsraten lagen in beiden Gruppen vergleichbar hoch und betrugen, beide Gruppen zusammengenommen, 84%. Die Überlebensrate war in erster Linie abhängig vom Vorhandensein oder Fehlen weiterer Vitalfunktionsstörungen (Abb. 2). 2 Patienten, die keine zusätzlichen Vitalfunktionsstörungen aufwiesen, überlebten, während von den Patienten, die zusätzliche Vitalfunktionsstörungen hatten, nur ein geringer Prozentsatz überlebte. Von den Patienten, die insgesamt 5 zusätzliche Vitalfunktionsstörungen (katecholaminpflichtige Hypotension, respiratorische Insuffizienz, schwere Blutungen, intestinale Komplikationen, Sepsis) aufwiesen, überlebte kein einziger. % Letalität 100-,
9080706050403020-
n = 81
n=40
n=41
n=7
n=6
MED
IOP
n=14
10-
0-
Abb. 2
n=13 IOP+MED
n=1 verlegte Patienten
Letalität in % bei Patienten mit akutem Nierenversagen auf der medizinischen (MED) und operativen (IOP) Intensivstation sowie bei aus anderen Krankenhäusern verlegten Patienten. Schraffierte Säulenanteile: Überlebende Patienten [7).
Die Prognose des akuten Nierenversagens im Rahmen schwerer chirurgischer oder internistischer Erkrankungen wird demnach in erster Linie durch begleitende vitale Funktionsstörungen bestimmt. Die Patienten sterben letztlich mit einem akuten Nierenversagen und nicht wegen eines akuten Nierenversagens. Maßgeblich für den häufig tödlichen Verlauf sind schwere Grunderkrankungen bzw. das Hinzutreten weiterer schwerer Komplikationen.
Allgemeines Operationsrisiko bei Nierenerkrankungen
93
Für die hohe Letalität des akuten Nierenversagens bei intensivpflichtigen Patienten sind insbesondere folgende Faktoren verantwortlich zu machen: — heute eher seltenes Auftreten eines unkomplizierten Nierenversagens infolge verbesserter Schockprophylaxe, — Zunahme komplizierter, risikoreicher Operationen, insbesondere auch bei Patienten mit schweren Unfällen, — infolge der lebenserhaltenden Maßnahmen der Intensivtherapie tritt schließlich ein akutes Nierenversagen bei Patienten ein, die sonst bereits an anderen Komplikationen verstorben wären. Entsprechend der hohen Gesamtletalität des akuten Nierenversagens bei intensivpflichtigen Patienten wird auch jeder chirurgische Eingriff als extrem risikoreich zu beurteilen sein.
Operationsrisiko bei chronischer Niereninsuffizienz Häufige chirurgische Eingriffe bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz. Den häufigsten Eingriff stellt zweifellos die Herstellung bzw. Revision eines Gefäßzuganges für die Dialysebehandlung dar. Weitere häufige Operationen sind urologische Eingriffe im Bereich der Harnwege und die Nierentransplantation (in West-Berlin ist gegenwärtig rund 1/3 der Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz mit einem funktionstüchtigen Transplantat versorgt; bei einem nicht geringen Prozentsatz handelt es sich dabei um Patienten mit einem zweiten oder dritten Transplantat). Weitere häufige Eingriffe werden wegen konservativ nicht beherrschbarer Blutungen aus Magen- und Duodenalulzera bzw. aus Kolonangiodysplasien [6] durchgeführt. Einen typischen Eingriff bei dieser Patientengruppe stellt auch die chirurgische Entfernung von Nebenschilddrüsenadenomen bei Patienten mit tertiärem Hyperparathyreoidismus sowie die Implantation von Hüftgelenksprothesen, insbesondere bei nierentransplantierten Patienten mit Kortisonschäden, dar. Faktoren, welche eine Erhöhung des Operationsrisikos bedingen (Tab. 1). Das Operationsrisiko von Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz wird erhöht durch die bei dieser Patientengruppe häufig vorliegende und zum Teil schwere Hypertonie, welche das Auftreten arteriosklerotischer Komplikationen im Bereich des Herzens und des Gehirns begünstigt. Außerdem liegt bei diesen Patienten in der Regel eine ausgeprägte Anämie vor, und es besteht eine vermehrte Blutungsneigung, die überwiegend auf einen funktionellen Thrombozytendefekt zurückzuführen ist [3]. Patienten mit Urämie sind immer, vor allem bei Fehlernährung oder unzureichender Dialysebehandlung, von einer Hyperkaliämie bedroht. Die Immunabwehr ist infolge einer gestörten zellulären Immunität, einer Störung der Synthese und des Metabolismus von Immunglobulinen sowie einer gestörten Synthese von bestimmten Komplementfaktoren beeinträchtigt [4]. Die Rate postoperativer Wundinfektionen läßt sich, wie verschiedene Studien gezeigt haben [1, 8], durch Antibiotika-Prophylaxe vermindern. Bei Patienten mit Urämie besteht eine Neigung zu Wundheilungsstörungen, für die in erster Linie eine Malnutrition und ein Proteinmangel, die zum Teil die Folge einer diätetischen Restriktion bzw. eines Verlusts von bis zu 15 g freien Aminosäuren pro
94
A. Distler, F. Keller, H.-H. Neumayer, G. Offermann, L. Schudrowitsch
Dialyse darstellen, verantwortlich zu machen sind. Die in der Literatur mitgeteilte Naht-Dehiszenzrate von Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz liegt allerdings bei adäquat dialysierten Patienten mit 0 bis 1% innerhalb des Bereichs derjenigen nierengesunder Patienten [5]. Ein häufiges Problem stellt die Überwässerung dar, welche auch den Hauptgrund für die bei dieser Patientengruppe häufige alveoläre Hypoventilation [5] bildet. Wenn auch die Häufigkeit einer chronischen Hepatitis B infolge aktiver Immunisierung zurückgegangen ist, so liegt doch bei Dialyse-Patienten in einem überdurchschnittlichen Prozentsatz eine chronische Hepatitis B mit entsprechender Erhöhung des Operationsrisikos vor. Nahezu regelmäßig besteht bei chronischer Niereninsuffizienz eine Azidose, die zu einer verminderten Katecholaminempfindlichkeit führt. Diese Tatsache ist bei der Dosierung von Katecholaminen zu berücksichtigen. Schließlich bleibt darauf hinzuweisen, daß sich viele Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz heute in höherem Lebensalter befinden, welches ebenfalls zu einer Erhöhung des Operationsrisikos beiträgt. Tabelle 1
Erhöhung des Operationsrisikos bei chronischer Niereninsuffizienz
durch — Hypertonie — Koronarinsuffizienz, zerebrovaskuläre Insuffizienz — Anämie — Blutungsneigung — Hyperkaliämie — gestörte Immunabwehr — Neigung zu Wundheilungsstörungen — Überwässerung — alveoläre Hypoventilation — Hepatitis B — Azidose — höheres Lebensalter
Perioperative Letalität In 5 publizierten Serien von elektiven Eingriffen bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz, wobei Nierentransplantationen und Shunt-Operationen nicht eingeschlossen waren, betrug die Operationsletalität zwischen 0 und 9% (Übersicht bei [5]). Die perioperativen Letalitätsraten in den zitierten Serien sind nicht ohne weiteres miteinander vergleichbar, da es sich in den verschiedenen Serien um Eingriffe sehr unterschiedlicher Größenordnung handelte. Daß die perioperative Letalität bei gut dialysierten niereninsuffizienten Patienten nicht erheblich über derjenigen von altersgleichen nierengesunden Patienten zu liegen braucht, zeigen die relativ niedrigen Letalitätsraten bei Nierentansplantation. Bei den 531 im Universitätsklinikum Steglitz Berlin zwischen 1970 und November 1986 nierentransplantierten Patienten betrug die Letalität innerhalb der ersten Woche nach Operation rund 1% (Tab. 2). Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß es sich bei transplantierten Patienten um eine Auswahl handelt; sehr alte Patienten oder
Allgemeines Operationsrisiko bei Nierenerkrankungen Tabelle 2
Perioperative Letalität bei Nierentransplantation (Klinikum Steglitz, Berlin) Alter
Grundleiden
Todesursache
Pat. 1
36 J.
Diabetes meli.
hohe Querschnittsläsion
Pat. 2
42 J.
Diabetes meli,
Myokardinfarkt
Pat. 3
30 J.
chronische GN
Sepsis
Pat. 4
55 J.
Analg.-Nephropathie
Myokardinfarkt
47 J.
Zystennieren
Blutung aus Nephrektomiewunde
Pat. 5
95
Häufigkeit: 5/531 Patienten ~
1%
Patienten mit schweren Erkrankungen weiterer Organsysteme werden in der Regel nicht transplantiert. Bemerkenswert ist, daß bei 3 der 5 verstorbenen Patienten ein ausgedehnter Eingriff mit Uretero-Nephrektomie gleichzeitig mit der Nierentransplantation erfolgte. Ein Patient verstarb an einer massiven Blutung im Operationsgebiet während der zweiten Hämodialysebehandlung nach Nierentransplantation, deren Entstehung vermutlich durch die Niereninsuffizienz und durch die während der Dialysebehandlung notwendigen Heparinisierung begünstigt wurde. Eine Patientin verstarb an einer Sepsis bei schwerer Wundinfektion, die zweifellos durch die immunsuppressive Behandlung begünstigt wurde. Bei 3 Patienten trat der Tod infolge einer vaskulären Komplikation auf; dabei handelte es sich zweimal um einen Myokardinfarkt und einmal um eine Rückenmarksischämie mit hoher Querschnittsläsion, die zu Ateminsuffizienz und nicht beherrschbarer Hypotension führte. Die Tatsache, daß der Tod in 3 von 5 Fällen aufgrund vaskulärer, d. h. arteriosklerotischer Komplikationen erfolgte, unterstreicht das erhöhte kardiovaskuläre Risiko bei dieser Patientengruppe.
Schlußfolgerungen Die Probleme von seiten der Urämie sind heute durch eine adäquate Dialysebehandlung im allgemeinen gut beherrschbar. Bei der postoperativen Dialysebehandlung ist wegen der erhöhten Blutungsneigung von Niereninsuffizienten auf eine sparsame Heparinisierung zu achten. Die Rate postoperativer Wundinfektionen läßt sich durch prophylaktische Gabe von Antibiotika vermindern. Dennoch ist das Operationsrisiko von Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz als erhöht einzustufen, was in erster Linie den bei dieser Patientengruppe häufigen arteriosklerotischen Komplikationen zuzuschreiben ist.
Literatur [1] Ahonen, J., K. Salmela: Wound healing and infections in chronic renal failure. In: Surgery in chronic renal failure (Hrsg. F. W. Eigler, H. D. Jakubowski), S. 68. Thieme Verlag, Stuttgart — New York 1984. [2] Bliimel, A., U. Jansing, D. Kraft et al.: Letalität verschiedener Grunderkrankungen mit akutem Nierenversagen. Intensivmed. 13 (1976) 271.
96
A. Distler, F. Keller, H . - H . N e u m a y e r , G . O f f e r m a n n , L. S c h u d r o w i t s c h
[3] E n c k e , A., K. Breddin, W. Fassbinder: H e m o s t a t i c d i s o r d e r s d u r i n g operative p r o c e d u r e s in c h r o n i c renal failure. In: Surgery in c h r o n i c renal f a i l u r e (Hrsg. F. W. Eigler, H . D . J a k u b o w s k i ) , S. 61. T h i e m e Verlag, Stuttgart - N e w York 1984. [4] K u w e r t , E. K., E. Kreuzfelder: C h a n g e s of t h e i m m u n e r e s p o n s e in c h r o n i c renal failure. In: Surgery in c h r o n i c renal failure (Hrsg. F. W. Eigler, H . D . J a k u b o w s k i ) , S. 24. T h i e m e Verlag, Stuttgart - N e w York 1984. [5] Latimer, R. G.: Surgery in c h r o n i c dialysis patients. In: Surgery in chronic renal failure (Hrsg. F. W. Eigler, H . D. J a k u b o w s k i ) , S. 57. T h i e m e Verlag, Stuttgart - N e w York 1984. [6] N e u m a y e r , H . H . , M . Gregor, J. Scholle et al.: Angiodysplasie des K o l o n , Ursache gastrointestinaler Blutverluste bei chronischer H ä m o d i a l y s e . Z . G a s t r o e n t e r o l . 22 (1984) 404. [7] N e u m a y e r , H . H . , M . H a a s - W e b e r , M . M o l z a h n et al.: Bestehen Unterschiede in der Letalität des a k u t e n N i e r e n v e r s a g e n s auf der o p e r a t i v e n u n d medizinischen Intensivstation? Intensivmed. 23 (1986) 247. [8] W i l m s , H . , F. Keller, J. H a s s e l m a n n et al.: A n t i b i o t i k a p r o p h y l a x e bei N i e r e n t r a n s p l a n t a t i o n . Z . Urol. N e p h r o l . 79 (1986) 545.
Allgemeinchirurgische Eingriffe bei chronisch Nierenkranken unter Dialyse und nach Nierentransplantation K. Albrecht, W. Niebel, N. Graben, R. Windeck, H. Coone
Zur Behandlung der terminalen Niereninsuffizienz stehen sich heute Dialyse und Nierentransplantation als einander ergänzende Verfahren gegenüber. Bei Dialysepatienten wird als Risikofaktor in Hinblick auf die Lebenserwartung unter anderem eine allgemeine Abwehrschwäche, als Ausdruck einer möglicherweise immunsuppressiv wirksamen Harnstoff-N-Retention angenommen [3]. Daneben gilt die latente Gerinnungsstörung vor allem im Zusammenhang mit chirurgischen Eingriffen als Risikofaktor [1]. Bei Patienten nach allogener Nierentransplantation stehen das immunologische Risiko durch medikamentöse Immunsuppression auf der einen und Abstoßung des Transplantates auf der anderen Seite im Vordergrund. Darüber hinaus hat die Transplantationsoperation selbst ihr perioperatives Risiko [2], Für den Chirurgen stellt sich die Frage, welchen Stellenwert das Risiko allgemeinchirurgischer Erkrankungen bei der Behandlung der terminalen Niereninsuffizienz insgesamt einnimmt. Wir haben zu dieser Fragenstellung alle 830 Nierentransplantationen bei 705 Patienten im Zeitraum von 1972 bis Oktober 1986 am Transplantationszentrum des Universitätsklinikum Essen sowie 220 Hämodialysepatienten aus der nephrologischen Abteilung des Universitätsklinikum Essen von 1976 bis Oktober 1986 ausgewertet. Die mittlere Nachbeobachtungszeit der transplantierten Patienten betrug 4,4 ± 3,5 Jahre. Die Dialysepatienten wurden mindestens 5 Jahre nachbeobachtet. Da 70% der Dialysepatienten auf der Transplantationswarteliste gemeldet sind und transplantierte Patienten nach Organverlust wieder dialysepflichtig werden, ergibt sich eine Fluktuation zwischen den beiden Kollektiven. Bislang wurden 120 Patienten aus dem Essener Dialysezentrum transplantiert. Zur Beurteilung des globalen Therapieerfolges wurden bei den transplantierten Patienten die Organfunktion und das Überleben, bei den Dialysepatienten das Überleben herangezogen. Für den gesamten Untersuchungszeitraum von 1972 bis Oktober 1986 ergibt sich bei den Transplantierten eine aktuarielle Patientenüberlebensrate von 83% nach 3 Jahren und 78% nach 5 Jahren. Nach Einführen von Cyclosporin A zur Routine-Immunsuppression ab 1983 haben sich die Ergebnisse deutlich verbessern lassen. Seither liegt die aktuarielle Überlebensrate bei 96% nach 3 Jahren für eine mittlere Nachbeobachtungszeit von allerdings nur 1,8 Jahren. Die entsprechenden aktuariellen Transplantatfunktionsraten für alle Transplantate seit 1972 liegen bei 4 8 % nach 3 Jahren und 4 0 % nach 5 Jahren.
98
K. Albrecht, W. Niebel, N. Graben, R. Windeck, H. Coone
Von den 220 Dialysepatienten lebten nach 5 Jahren noch 72%. Die Heimdialyse (n = 47) ergab mit 85% wesentlich günstigere Ergebnisse als die Klinikdialyse (n = 173) mit einer Überlebensrate von nur 68%. Insgesamt ergibt sich somit im Mittel ein etwa 6% iger Unterschied in der Überlebensprognose zugunsten der Transplantation. Die Auswertung der perioperativen Transplantationsletalität (30 Tage pop.) ergab in den Jahren 1972—1975 anfänglich eine hohe Rate von 8%. Mit steigender jährlicher Transplantationszahl auf jetzt im Mittel 80 Transplantationen pro Jahr in den letzten 3 Jahren ließ sich die perioperative Transplantationsletalität auf 0,8% senken. Hauptursache ist die zunehmende Erfahrung im Umgang mit der Immunsuppression, die zu einer Reduzierung der Kortisontherapie Ende der 70er Jahre führte sowie die Einführung von Cyclosporin A ab 1983. Tabelle 1
Perioperative 30-Tage-Letalität bei 39 Patienten mit von der Transplantation (Tx) unabhängigen Operationen nach 830 Nierentransplantationen (705 Patienten) sowie bei 39 Dialysepatienten, die wegen einer von der Dialyse unabhängigen Erkrankung operiert wurden
Tx-Pat. (Tx)
n
(%)
lebend
(%)
verstorben
(%)
705 (830)
(100)
678
(96)
152
(22)
davon periop. Tx 27 (3, 8) Op
39
(100)
34
(87)
(6) Dialyse-Pat. Op
220 39 (18)
5
(13)
(3) (100)
159
(72)
(100)
31
(79)
61
(28)
8
(21)
(13)
Zu der Frage des Risikos bei operativ zu behandelnden, jedoch von Transplantation und Dialyse unabhängigen Erkrankungen wurde die perioperative 30-Tage-Letalität ermittelt. Die Daten für die 705 transplantierten Patienten sowie für die 220 Dialysepatienten sind in Tabelle 1 wiedergegeben. In beiden Kollektiven wurden im Beobachtungszeitraum jeweils 39 Patienten operativ behandelt. Die Inzidenz operationsbedürftiger Erkrankungen ist bei den Transplantierten mit 6% gegenüber 18% bei den Dialysepatienten deutlich niedriger. Die bei den Dialysepatienten etwas höhere Letalität erlaubt allerdings bei der kleinen Zahl keine sichere Aussage. Dagegen ist der Anteil der perioperativen Letalität an der Gesamtletalität bei den Dialysepatienten mit 8 von 61 (13%) deutlich höher als bei den transplantierten Patienten mit 5 von 152 (3%). Der Anteil der perioperativen Transplantationsletalität liegt im Vergleich bei 3,8% im gesamten Beobachtungszeitraum. Schlüsselt man die jeweils 39 Patienten, die operativ behandelt werden mußten, nach den jeweiligen Erkrankungen auf, so zeigt sich, daß bei den transplantierten Patienten (Tab. 2) mit 28 die allgemeinchirurgischen Erkrankungen überwiegen. Septische Kom-
Eingriffe bei chronisch Nierenkranken unter Dialyse und nach Nierentransplantation Tabelle 2
99
Von der Transplantation unabhängige Operationen bei 39 Patienten
Dg/Op
n
Allgemeinchirurgisch • Schilddrüse • Magen/Duodenum Blutung Ischämie
Insgesamt (Pat. n = 39)
1
1 1 Sepsis
1
2 1 Sepsis 1 Abszeß
1
11 Pankreas
Sonstige urologisch gynäkologisch neurochirurgisch herzchirurgisch HNO
3 1 Sepsis 4
• akutes Abdomen
Gesamt
t
3 4
• Kolon
• Sonstige
Komplikation
6 28
4
2
14
1 Nachbl. 1 Sepsis
1 1
42
6
5
plikationen finden sich ebenfalls überwiegend bei den großen abdominalchirurgischen Eingriffen. Bei den Dialysepatienten (Tab. 3) fällt zunächst auf, daß mit insgesamt 50 Operationen eine höhere Operationsfrequenz vorliegt. Auch hier finden sich die Komplikationen und die Todesfälle weit überwiegend bei den abdominalchirurgischen Eingriffen. In beiden Kollektiven mußten je 2 Patienten mit Pankreatitis operativ behandelt werden, von denen jeweils 1 Patient verstarb. Hervorzuheben sind 3 Kolonischämien bei Dialysepatienten sowie 1 Kolonischämie bei einem transplantierten Patienten, der wegen eines noch bestehenden akuten Nierenversagens noch dialysepflichtig war. Ein Zusammenhang mit der Dialyse ist naheliegend, aber nur 3 Patienten hatten bei der entsprechenden Dialyse einen auffallend niedrigen Blutdruck. Die weitere Analyse der Todesfälle für die transplantierten Patienten (Tab. 4) und die Dialysepatienten (Tab. 5) ergibt überwiegend septische Komplikationen als Todesursache. Bei den Transplantierten handelt es sich ausschließlich um Notfallindikationen. Alle Operationen waren große Eingriffe. Besondere individuelle Risikofaktoren waren bei keinem Patienten vorhanden, im Gegensatz zu den dialysepflichtigen Patienten. Hier fanden sich nur bei 2 Patienten keine Risikofaktoren. Die Art der Operation ist ähnlich verteilt wie bei den Transplantierten. Es überwiegen aber die elektiven Operationsindikationen. Bei den Todesursachen finden sich erwartungsgemäß entsprechend den Begleiterkrankungen auch kardiale und kardiopulmonale Ursachen. Anzumerken ist, daß bei den Dialysepatienten bei keiner der insgesamt 50 Operationen eine Nachblutung den Verlauf ungünstig beeinflußt hat.
100
K. Albrecht, W. Niebel, N. Graben, R. Windeck, H. Coone
Tabelle 3
Von der Dialyse unabhängige Operationen bei 39 Patienten n
Dg/Op Allgemeinchirurgisch • Schilddrüse • Magen/Duodenum
3 3
• DD/Kolon
6 Ischämie Subileus
• • • •
3 1 2 2 6 3
Pankreatitis AVK Abszesse Sonstige
25
Gesamt Sonstige Spontanfrakturen urolog., gynäkol. neurochirurgisch herzchirurgisch HNO
25
50
Insgesamt (Pat. n = 39)
Komplikation
t
1 Psychose 1 Herzinsuff. 1 Sepsis 2 Sepsis
1 1 2
1 Herzinsuff. 1 Sepsis
1 1
1 Sepsis
1
8
7
2 2 1 2
Abszesse Psychose Hirnödem Sepsis
1
15
8
Tabelle 4
Nach von der Transplantation unabhängiger Operation perioperativ verstorbene Patienten (n = 5)
Pat.
Diagnose
Operation
Indikation
Todesursache
H.
Ulcus-ventr.-Blutung
Ubernähung
Notfall
Abszeß/Sepsis
B.
Darmischämie (Dialyse bei ANV)
Ubernähung
Notfall
Sepsis
E.
Chron. Pankreatitis (akuter Schub)
Drainage
Notfall
Sepsis
Me.
Zerebrale Blutung
Trepanation
Notfall
Hirnödem
AO-Insuffizienz
AO-Klappenersatz
Notfall
Sepsis
Ma.
Endokarditis
A u s d e n v o r g e l e g t e n D a t e n lassen sich f o l g e n d e S c h l u ß f o l g e r u n g e n a b l e i t e n : 1. D a s R i s i k o , eine o p e r a t i v zu b e h a n d e l n d e E r k r a n k u n g zu b e k o m m e n ,
erscheint
bei t r a n s p l a n t i e r t e n s o w i e dialysepflichtigen P a t i e n t e n e r h ö h t . 2 . D a s R i s i k o , bei e i n e m a l l g e m e i n c h i r u r g i s c h e n E i n g r i f f zu v e r s t e r b e n , e r s c h e i n t in beiden K o l l e k t i v e n ebenfalls g e g e n ü b e r n i e r e n g e s u n d e n P a t i e n t e n e r h ö h t .
Eingriffe bei chronisch Nierenkranken unter Dialyse und nach Nierentransplantation Tabelle 5
101
Nach von der Dialyse unabhängiger Operation perioperativ verstorbene Patienten (n = 8)
Pat.
Diagnose
Risiko
Operation
Indikation
Todesursache
R.
Ulcus-duod.-Blutung
Leber-Ci
Umstechung
Notfall
kardial
S.
Magen-Ca-Blutung
70 J .
B-II
Notfall
Sepsis
M.
Kolonperforation
KHK
Kolonresektion
Notfall
kardiopulm.
Sigma-Divertikulitis
KHK
Resektion
elektiv
Sepsis
D.
Subileus n. Whipple
KHK
Adhäsiolyse
elektiv
kardiopulm.
L.
Pankreatitis
0
T-Drain
elektiv
gallige
(Spätabszeß postNephrektomie) W.
Peritonitis
(Choledochusstein) H.
Quer-
Dekubitus
Plastik
elektiv
Sepsis
Drainage
elektiv
Hirn ödem
schnittsLähmung F.
Meningeom
0
3. Im Vergleich erscheint jedoch das G e s a m t r i s i k o Dialysepatienten
höher
zu
Einschluß der perioperativen
sein
(Morbidität
als bei t r a n s p l a n t i e r t e n
und Letalität)
Patienten,
auch
bei
unter
Transplantationsletalität.
Bei e i n e r s o l c h e n R i s i k o a b w ä g u n g z w i s c h e n D i a l y s e u n d T r a n s p l a n t a t i o n m u ß n a t ü r lich b e r ü c k s i c h t i g t w e r d e n , d a ß g e r a d e ä l t e r e , m u l t i m o r b i d e P a t i e n t e n e h e r n i c h t z u r T r a n s p l a n t a t i o n g e m e l d e t w e r d e n . A b e r i m H i n b l i c k a u f d i e in d e n l e t z t e n
Jahren
deutlich verbesserten Ergebnisse der T r a n s p l a n t a t i o n halten wir eine E r w e i t e r u n g der Indikationsstellung zur Nierentransplantation gerechtfertigt, u m auch vermehrt ältere P a t i e n t e n n e b e n d e r V e r b e s s e r u n g d e r L e b e n s q u a l i t ä t a n d e r V e r m i n d e r u n g des M o r b i ditäts- und Letalitätsrisikos teilhaben zu lassen.
Literatur [1] Encke, A., K. Breddin, W. Fassbinder: Hemostatic disorders during operative procedures in chronic renal failure. In: Surgery in chronic renal failure (Hrsg. F. W. Eigler, H. D. Jakubowski), S. 61. Thieme Verlag, Stuttgart - New York 1984. [2] Jakubowski, H. D., K. Roosen, F. W. Eigler: Nierentransplantation: Probleme, Durchführung, Ergebnisse. Internist 24 (1983) 500 - 509. [3] Reis, H. E., V. H. Heimsoth, H. Hirche et al.: Uber den Einfluß der chronisch intermittierenden Hämodialyse auf den zellulären Immunmangel bei terminaler Niereninsuffizienz. Klin. Wochenschr. 52 (1974) 437.
Das postoperative Blutungsrisiko bei niereninsuffizienten Patienten — Präoperative Bewertung, Prophylaxe und Therapie U. T. Hopt, B. Greger, W. Schareck, G. H. Müller, H. Bockhorn
Einleitung Jeder operative Eingriff ist mit dem Risiko einer postoperativen Nachblutung belastet. Bei großen thorax- und abdominalchirurgischen Eingriffen führen derartige Nachblutungen im Operationsgebiet aber zu einem gravierenden Ansteigen der postoperativen Morbidität und Letalität. Es ist seit langem bekannt, daß das Blutungsrisiko bei niereninsuffizienten Patienten besonders groß ist [1, 3]. Dabei muß allerdings pathophysiologisch zwischen der akuten und der chronischen Niereninsuffizienz unterschieden werden. Bei der akuten Niereninsuffizienz ist eine etwaige Blutungsneigung meist von Art und Verlauf des das akute Nierenversagen auslösenden Grundleidens abhängig und demnach nicht einheitlich [1]. Im Gegensatz dazu steht bei der Blutungsneigung chronisch niereninsuffizienter Patienten die Urämie per se pathogenetisch im Mittelpunkt. Die postoperative Gefährdung chronisch niereninsuffizienter Patienten wird vor allem verständlich, wenn man bedenkt, daß diese Patienten ohnehin häufig unter spontan auftretenden Blutungen leiden [8]. Eine genaue Abschätzung des postoperativen Blutungsrisikos war bisher meist erschwert durch das Fehlen eines genügend großen Patientenkollektivs, welches ähnlich wie eine entsprechende Kontrollgruppe einem standardisierten operativen Eingriff unterzogen wurde. Im folgenden wurde daher versucht, mit Hilfe der Gruppe der nierentransplantierten Patienten diese Schwierigkeit zu umgehen und das durch die chronische Niereninsuffizienz verursachte postoperative Blutungsrisiko genauer zu quantifizieren. Dies erscheint möglich, da ein Teil der Patienten postoperativ zunächst anurisch bleibt und damit weiterhin alle Charakteristika der terminalen Niereninsuffizienz aufweist. Die übrigen Patienten haben dagegen postoperativ sofort eine gute Nierenfunktion und stellen demnach die Kontrollgruppe dar.
Patientengut An der Chirurgischen Universitätsklinik Tübingen wurden von 1978 bis 1986 374 allogene Nierentransplantationen durchgeführt. Die Operation wurde frühestens 4 Stunden nach einer im Einzelfall notwendigen präoperativen Dialyse und erst nach Normalisierung der plasmatischen Gerinnungsparameter vorgenommen. Eine postoperative Thromboseprophylaxe mit Low-Dose-Heparin erfolgte nicht. Bis 1984 erhielten alle Patienten ab dem ersten postoperativen Tag Dipyridamol. Seit 1984
104
U. T. Hopt, B. Greger, W. Schareck, G. H. Müller, H. Bockhorn
wurden keine die Thrombozytenfunktion beeinträchtigenden Medikamente mehr prophylaktisch verabreicht. Eine sofortige Nierenfunktion fand sich bei 70% der Patienten. Bei den übrigen 30% der Patienten war postoperativ über einen unterschiedlich langen Zeitraum weiterhin eine Dialysebehandlung erforderlich.
Postoperatives Blutungsrisiko Die Diagnose einer signifikanten Nachblutung stützte sich auf das Vorliegen einer Blutung aus den Drainagen von mehr als 500 ml/12 h oder einen entsprechenden sonographischen Befund. In der Zeit vor der routinemäßigen Einsetzbarkeit der Sonographie war ferner die Trias von raschem HB-Abfall um mehr als 2 g % , heftigen Flanken- und Rückenschmerzen und einer typischen Kreislaufreaktion ausschlaggebend. Unter Beachtung dieser Kriterien fand sich bei 32 Patienten, d. h. bei 8% eine signifikante postoperative Blutung. Bei Vorliegen einer akuten Tubulusnekrose im Transplantat und damit weiterbestehender Niereninsuffizienz war das Blutungsrisiko dreifach so hoch als bei sofortiger guter Nierenfunktion. Nur 5 % der Patienten mit sofortiger Nierenfunktion erlitten eine postoperative Blutung im Gegensatz zu 16% der Patienten mit fortbestehender Urämie.
Charakteristika der postoperativen Blutung Die Art der Blutungsquelle und der Zeitpunkt des Auftretens nach der Primäroperation sind für die Klassifizierung der postoperativen Blutung von entscheidender Bedeutung. Bei 18 Patienten fand sich eine definierte Blutungsquelle. Ursache dieser Blutungen war in gleicher Häufigkeit eine unzureichende intraoperative Blutstillung, eine Transplantatruptur oder eine perkutane Nierenbiopsie. Die Anzahl der Nachblutungen wegen unzureichender intraoperativer Blutstillung und postoperativer Transplantatruptur waren unabhängig von der postoperativen Nierenfunktion. Dagegen traten immerhin 5 der 7 Nachblutungen nach perkutaner Nierenbiopsie bei Patienten auf, die zum Zeitpunkt der Nierenbiopsie noch dialysepflichtig waren. Eine diffuse Blutung im Operationsgebiet lag bei 14 Patienten vor. Die chronische Niereninsuffizienz scheint für diese Art der Nachblutung von entscheidender Bedeutung zu sein. Nur einer der 14 Patienten war zum Zeitpunkt des Auftretens der Blutung nicht mehr dialysepflichtig. Bei den übrigen 13 Patienten bestand weiterhin eine ausgeprägte Urämie. Entsprechend dem Zeitpunkt des Auftretens der Blutung konnten 2 Gruppen unterschieden werden. Bei 8 Patienten zwang die Blutung innerhalb der ersten 12 Stunden post operationem zum erneuten Eingreifen. Bei den übrigen 24 Patienten wurde die Blutung dagegen erst später als 48 Stunden nach der Primäroperation manifest. Ursache der Blutung war bei der Hälfte dieser Patienten eine perkutane Nierenbiopsie bzw. eine Transplantatruptur. Bei den übrigen Patienten handelte es sich aber um eine verzögert auftretende, diffuse Blutung. Betroffen davon waren, mit einer Ausnahme, ausschließlich dialysepflichtige Patienten. Etwa 85% der diffusen Nachblutungen bei dialysepflichtigen Patienten traten demnach später als 48 Stunden post operationem auf.
Das postoperative Blutungsrisiko bei niereninsuffizienten Patienten
105
Gerinnungsparameter bei Auftreten einer Nachblutung Bei allen Patienten wurden routinemäßig prä- und postoperativ Quick, P T T und Thrombozytenzahl bestimmt. Eine Korrelation zwischen Veränderungen dieser Parameter und dem Auftreten einer diffusen Nachblutung konnte allerdings nicht nachgewiesen werden. Bei den betroffenen Patienten lag der Quick im Durchschnitt bei 8 5 % , die P T T betrug 37 sek. und die Thrombozytenzahl war im Mittel bei 117000. Quick, P T T und Thrombozytenzahl stellen demnach keine Parameter für die Gefährdung dieser Patienten dar. Bei den letzten 60 transplantierten Patienten wurde prospektiv präoperativ eine Bestimmung der Blutungszeit durchgeführt. Dabei zeigte sich bei 5 % der Patienten eine zum Teil dramatische Verlängerung der Blutungszeit auf über 30 min.
Therapie der postoperativen Blutung Bei 24 der 31 Patienten mit signifikanter Nachblutung wurde eine operative Revision durchgeführt. Bei lokalisierter Blutung stellte die chirurgische Blutstillung in der Regel kein Problem dar und war in allen Fällen erfolgreich. Die diffusen Nachblutungen waren dagegen durch alleinige chirurgische Maßnahmen nicht beherrschbar, sondern erforderten eine kombinierte lokale und systemische Therapie (Tab. 1). Tabelle 1
Lokale und systemische Therapie der diffusen postoperativen Blutung im Operationsgebiet bei chronisch niereninsuffizienten Patienten
Lokale Therapie
Systemische Therapie
Hämatomausräumung
FFP
chirurgische Blutstillung
Antifibrinolytika
Vasokonstriktiva
DDAVP oder konjugierte Östrogene
Antifibrinolytika
Peritonealdialyse
Fibrinkleber geschlossene T a m p o n a d e
Dabei wurde nach der chirurgischen Hämatomausräumung versucht, durch lokale Applikation von Vasokonstriktiva (Por8®), Antifibrinolytika und Fibrinkleber die Blutung zum Stillstand zu bringen. In einigen Fällen wurde der Retroperitonealraum für 24 bis 48 Stunden mit Gazestreifen tamponiert. Systemisch wurden in allen Fällen Fresh Frozen Plasma, Antifibrinolytika und seit 1 Jahr auch konjugierte Östrogene (Presomen®) verabreicht. Vor allem durch die Gabe von konjugierten Östrogenen konnte die verlängerte Blutungszeit bei diesen Patienten weitgehend normalisiert werden. Die Wirkung von konjugierten Östrogenen auf die verlängerte Blutungszeit bei niereninsuffizienten Patienten wird aus Abbildung 1 deutlich. Die zum Teil dramatische Verkürzung der Blutungszeit war bei allen Patienten innerhalb von 3 Stunden post injectionem nachweisbar. Die Wirkdauer schwankte individuell von 8 Stunden bis 48 Stunden.
106
U. T. Hopt, B. Greger, W. Schareck, G. H. Müller, H. Bockhorn
£ E
Abb. 1
Effekt von konjugierten Östrogenen auf die verlängerte Blutungszeit von chronisch niereninsuffizienten Patienten.
Diskussion Eine auffallende Blutungsneigung gehört zu den Kardinalsymptomen des Urämiesyndroms [1]. Entsprechend der Literatur treten bei 10 bis 60% aller dialysepflichtigen Patienten klinisch manifeste, spontane Blutungen auf. Dementsprechend besteht bei diesen Patienten auch eine vermehrte intra- und postoperative Blutungsbereitschaft. Wie sich an den hier untersuchten Patientengruppen zeigt, ist bei Vorliegen einer dialysepflichtigen, chronischen Niereninsuffizienz das Risiko einer postoperativen Nachblutung auf fast das dreifache erhöht. Die Nachblutungsrate von etwa 16% bei den Patienten, die sich wegen einer akut tubulären Nekrose im Transplantat postoperativ weiterhin im Stadium der Urämie befinden, entspricht in etwa den Angaben aus der Literatur. Demnach ist in 10% bis 30% der „High-Risk"-Patienten, d. h. bei Vorliegen von gastrointestinalen Ulzera, primär hämorrhagischer Diathese oder Zustand nach Operation im Rahmen der Dialysebehandlung dieser Patienten mit Blutungskomplikationen zu rechnen [3]. Die erhöhte Blutungsbereitschaft dialysepflichtiger Patienten wird durch eine komplexe Gerinnungsstörung verursacht [1, 5], Von zentraler Bedeutung ist zum einen eine Thrombozytenfunktionsstörung. Diese wird durch urämische Stoffwechselprodukte hervorgerufen. Da die relevanten Metabolite durch Hämodialyse nur unvollständig entfernt werden, läßt sich die Thrombozytenfunktionsstörung durch eine adäquate Dialysebehandlung zwar bessern, aber nicht bei allen Patienten vollständig beseitigen [10]. Andererseits stellt die Dialyse selbst einen weiteren Risikofaktor für das Auftreten einer Blutung dar. Die im Rahmen der Dialyse meist notwendige Gabe von
Das postoperative Blutungsrisiko bei niereninsuffizienten Patienten
107
Heparin kann bei urämischen Patienten bereits in geringer Dosierung zu ausgeprägten Veränderungen der plasmatischen Gerinnung führen. Schließlich spielt bei vielen dialysepflichtigen Patienten noch die Einnahme von antithrombozytär wirksamen Medikamenten wie Azetylsalizylsäure und Dipyridamol eine Rolle. Die Wirkung dieser Medikamente, die zur Verhütung einer Shuntthrombose eingesetzt werden, ist bei niereninsuffizienten Patienten wegen des gleichzeitig vorliegenden, urämisch bedingten Thrombozytenschadens wesentlich verstärkt. Bei Vorliegen einer urämisch bedingten Blutungsneigung kann daher durch medikamentöse Verstärkung des Thrombozytendefektes oder Eingriffe in die plasmatische Gerinnung das letzte hämostyptisch wirksame Kompensationssystem beseitigt und dadurch die Nachblutung ausgelöst werden. Prophylaxe und Therapie der postoperativen Blutung bei niereninsuffizienten Patienten beruhen auf denselben Prinzipien. Die Vermeidung von Heparin und antithrombozytär wirkenden Medikamenten in der frühen postoperativen Phase ist falls irgendmöglich anzustreben. Dies stellt aber bei einer postoperativ notwendigen Dialysebehandlung ein Problem dar. Bewährt haben sich hier die „Miniheparinisierung" oder die Hihg-Flow-Dialyse, die ganz auf Heparin verzichtet [3]. Die lokale Antikoagulation mit Natriumzitrat [9] oder die Verwendung von Prostaglandin [12] befinden sich noch im Versuchsstadium und sind daher als Routinemethode wegen verschiedenartiger Komplikationsmöglichkeiten noch nicht empfehlenswert. Zur Vermeidung dieser mit der Hämodialyse verbundenen Probleme wurde bei unserem Patientenkollektiv im Falle einer postoperativen Nachblutung die Hämodialysebehandlung beendet und mit einer kontinuierlichen Peritonealdialyse begonnen. Dadurch konnte jede weitere dialysebedingte Beeinträchtigung des Gerinnungssystems und der Thrombozyten ausgeschlossen werden. Von verschiedenen Autoren wurde berichtet, daß die urämische Blutungsneigung durch einen Mangel an Faktor 8 : VWF (von Willebrand Faktor) bzw. eine Störung des thrombozytären Rezeptors für diesen Faktor mitbedingt sei [2,7]. Dementsprechend wurde über gute therapeutische Effekte von Kryopräzipitat berichtet [4]. Auch unser Therapiekonzept beinhaltet die Gabe von Fresh-Frozen-Plasma, welches sich bei diffuser intraoperativer Blutungsneigung in Einzelfällen ausgezeichnet bewährt hat. Als alleinige Maßnahme zur Prophylaxe und Therapie einer postoperativen Nachblutung scheint uns die Gabe von Fresh-Frozen-Plasma aber nicht ausreichend. Das fibrinolytische System erweist sich bei chronisch niereninsuffizienten Patienten in etwa 5% der Fälle als hyperreaktiv [1]. Auch in unserem Krankengut fanden sich bei 2 Patienten klinisch die Zeichen einer Hyperfibrinolyse. In beiden Fällen war 6 bzw. 8 Tage postoperativ bei Revision des Operationsgebietes unter anderem eine arterielle Blutung aus sämtlichen Stichkanälen der arteriellen Gefäßanastomose nachweisbar. Aus diesem Grunde erscheint die Anwendung von Antifibrinolytika im Falle einer postoperativen Nachblutung durchaus sinnvoll und effektiv zu sein. Die lokale Blutstillung bei diffuser Nachblutung im Operationsgebiet stellt oft ein schwierig zu lösendes Problem dar. Eine chirurgische Blutstillung mittels Umstechung oder Elektrokoagulation ist nicht effektiv. Bewährt hat sich dagegen die lokale Applikation eines stark wirksamen Vasokonstriktors, z. B. Por 8®. Nach Reduktion
108
U. T. Hopt, B. Greger, W. Schareck, G. H. Müller, H. Bockhorn
der Blutung wird dann Fibrinkleber appliziert. In schwierigen Fällen kann auch eine temporäre Tamponade des Operationsgebietes mit Bauchtüchern oder Streifen versucht werden. Entscheidend ist dabei aber, daß die Tamponade geschlossen durchgeführt wird, da bei offener Wunde innerhalb kurzer Zeit eine exogene Infektion der Tamponade und damit des Operationsgebietes unvermeidlich ist. Die plasmatische Gerinnung spielt für die Entstehung der Blutungsneigung bei urämischen Patienten nur eine untergeordnete Rolle [1]. Dementsprechend fand sich bei den Patienten, die postoperativ eine diffuse Blutung im Operationsgebiet entwickelten, im Mittel ein normaler Quick- und PTT-Wert. Auch die Anzahl der Thrombozyten war normal. Die üblichen Routineparameter zur präoperativen Abklärung der Blutgerinnung sind also für die Beurteilung des postoperativen Blutungsrisikos bei chronisch niereninsuffizienten Patienten ohne klinischen Wert. Im Gegensatz dazu scheint aber die Blutungszeit bis zu einem gewissen Grade eine Aussage über das Blutungsrisiko dieser Patienten zu ermöglichen [11]. Eine Verkürzung der bei urämischen Patienten häufig verlängerten Blutungszeit scheint durch l-Deamino-8-D-Arginin-Vasopressin [7] und durch konjugierte Östrogene [6] möglich zu sein. Die hämostyptische Wirkung der Östrogene ist schon lange bekannt. Ihre gute Wirksamkeit auf die Blutungszeit bei urämischen Patienten ist aber erst vor kurzem nachgewiesen worden [6]. Eine schnelle und zum Teil dramatische Verkürzung der präoperativ verlängerten Blutungszeit nach Gabe von konjugierten Östrogenen zeigte sich auch bei 3 Patienten des hier untersuchten Kollektivs. Wesentliche Nebenwirkungen traten nicht auf. Der protektive Effekt selbst war passager und verschwand nach 8 bis 48 Stunden, konnte aber durch erneute Gabe des Medikamentes wieder ausgelöst werden.
Klinische Schlußfolgerungen Bei chronisch niereninsuffizienten Patienten muß sowohl bei der intraoperativen Blutstillung als auch bei der postoperativen Überwachung das stark erhöhte Blutungsrisiko in Rechnung gestellt werden. In Anbetracht der klinischen Relevanz der Blutungszeit für die Beurteilung des postoperativen Blutungsrisikos sollte bei allen niereninsuffizienten Patienten prä- und postoperativ die Blutungszeit bestimmt werden. Bei Verlängerung der Blutungszeit und Zeichen einer Nachblutung erscheint die Gabe von konjugierten Östrogenen indiziert. Inwieweit bei verlängerter Blutungszeit ohne manifeste Blutung die prophylaktische Gabe von konjugierten Östrogenen sinnvoll ist, ist noch nicht endgültig geklärt. Die Wirksamkeit einer derartigen Blutungsprophylaxe wurde bisher noch nicht an einem größeren Patientenkollektiv nachgewiesen. Seit Durchführung einer derartigen präoperativen Prophylaxe sind aber zumindest in unserem Krankengut keine diffusen Nachblutungen im Operationsgebiet mehr aufgetreten. Literatur [1] Angelkort, B.: Urämische Blutungsneigung. In: Klinische Nephrologie (Hrsg. H. Losse, E. Renner), S. 439. Thieme Verlag, Stuttgart - New York 1982.
Das postoperative Blutungsrisiko bei niereninsuffizienten Patienten
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[2] Carvalho, A. C. A.: Bleeding in Uremia - A Clinical Challenge. N. Engl. J. Med. 308 (1983) 38. [3] Encke, A., K. Breddin, W. Fassbinder: Hemostatic Disorders during Operative Procedures in Chronic Renal Failure. In: Surgery in Chronic Renal Failure (Hrsg. F. W. Eigler, H. D. Jakubowsky), S. 61. Thieme Verlag, Stuttgart — New York 1984. [4] Janson, P. A., S. J. Jubelirer, M. J. Weinstein et al.: Treatment of the Bleeding Tendency in Uremia with Cryoprecipitate. N. Engl. J. Med. 303 (1980) 1318. [5] Latimer, R. G.: Surgery in Chronic Dialysis Patients. In: Surgery in Chronic Renal Failure (Hrsg. F. W. Eigler, H. D. Jakubowsky), S. 57. Thieme Verlag, Stuttgart - New York 1984. [6] Liu, Y. K., R. E. Kosfeld, S. G. Marcum: Treatment of Uraemic Bleeding with Conjugated Oestrogen. Lancet II (1984) 887. [7] Mannucci, P. M., G. Remuzzi, F. Pusineri et al.: Deamino-8-D-Arginine Vasopressin Shortens the Bleeding Time in Uremia. N. Engl. J. Med. 308 (1983) 8. [8] Milutinovic, J., W. C. Follette, B. H. Scribner: Spontaneous Retroperitoneal Bleeding in Patients on Chronic Hemodialysis. Ann. Intern. Med. 86 (1977) 189. [9] Pinnick, R. V., T. B. Wiegmann, D. A. Diederich: Regional Citrate Anticoagulation for Hemodialysis in the Patient at High Risk for Bleeding. N. Engl. J. Med. 308 (1983) 258. [10] Remuzzi, G., M. Livio, G. Marchiaro et al.: Bleeding in Renal Failure: Altered Platelet Function in Chronic Uraemia only Partially Corrected by Haemodialysis. Nephron 22 (1978) 347. [11] Steiner, R. W., C. Coggins, A. C. A. Carvalho: Bleeding Time in Uremia: A Useful Test to Assess Clinical Bleeding. Am. J. Hematol. 7 (1979) 107. [12] Zusman, R. M., R. H. Rubin, A. E. Cato et al.: Hemodialysis Using Prostacyclin Instead of Heparin as the Sole Antithrombotic Agent. N. Engl. J. Med. 304 (1981) 934.
Analyse und Bewertung allgemeiner Risikofaktoren: Lebererkrankungen K.-H. Meyer zum Büschenfelde
Einleitung Die Analyse und Bewertung allgemeiner Risikofaktoren bei Lebererkrankungen ist vor operativen Eingriffen von entscheidender prognostischer Bedeutung. Einige Mitteilungen sollen beispielhaft die Notwendigkeit einer exakten Leberdiagnostik präoperativ und die Überwachung der Leberfunktion postoperativ beurteilen. Evans et al. [8] konnten zeigen, daß Leberfunktionsstörungen postoperativ relativ häufig auftreten. Sie fanden postoperativ in 40 — 50% der Fälle einen pathologischen Bromsulphaleintest, bei 17% der Patienten auf das 1 — 3fache der Norm erhöhte Bilirubin- und Transaminasenwerte und bei 4% der Patienten sogar Werte, die über das 3fache der Norm hinausgingen. 1982 berichteten Powell-Jackson et al. [24] über 36 probelaparotomierte Patienten mit nicht vermuteten Lebererkrankungen. Präoperativ wurde bei 16 Patienten ein Gallengangsverschluß vermutet, bei 15 Patienten ein Tumorverdacht geäußert, bei weiteren 5 Patienten wurden verschiedene andere Diagnosen gestellt. Intra- bzw. postoperativ ergab sich jeweils achtmal eine primäre biliäre Zirrhose bzw. ein Budd-Chiari-Syndrom und siebenmal eine chronisch-aktive Hepatitis. Je 4 Patienten hatten eine akute Virus-Hepatitis bzw. eine alkoholtoxische Leberzirrhose. Bei 3 Patienten wurde eine Alkoholhepatitis diagnostiziert. Die Letalität bei diesen Patienten war ungewöhnlich hoch. 11 der 36 Patienten starben zwischen dem 1. und 31. Tag postoperativ. Das hohe Risiko einer Laparotomie bei Vorliegen einer Lebererkrankung wird auch von anderen Autoren bestätigt. So berichteten bereits Harville und Summerskill [13] 1963 über eine postoperative Letalität von 9,5% bei Vorliegen einer Virushepatitis und Greenwood et al. [10] 1972 sogar über eine Letalität von 58% bei Vorliegen einer Alkoholhepatitis. Diese Beispiele unterscheiden nachdrücklich, daß auf die Ermittlung von Ursache, Art und Stadium sowie auf eine prognostische Bewertung der Lebererkrankung als Ziel jeder präoperativen Leberdiagnostik nicht verzichtet werden kann (Tab. 1) [4, 15, 32, 33].
Analyse und Bewertung allgemeiner Risikofaktoren Diagnostisches Vorgehen Die Leberdiagnostik [7, 18] stützt sich auf 1. Anamnese und klinische Befunde (Tab. 2); 2. laborchemische Befunde und Leberfunktionstests;
112
K.-H. Meyer zum Büschenfelde
Tabelle 1
Ziele der Leberdiagnostik
1. Ursache der Leberkrankheit primär oder sekundär 2. Art der Leberkrankheit — Entzündung: akut, chronisch, Zirrhose — Metabolisch-toxisch: Alkohol, Fettleber Fe, Cu — Cholostasen: intrahepatisch (PBC, Medikamente) extrahepatisch (Steine, Tumoren etc.) — Tomoren: gutartig (adenome, Hämangiome) bösartig (PHC, Metastasen) 3. Stadium der Leberkrankheit akut: kompensiert/dekompensiert chronisch: kompensiert/dekompensiert 4. Prognose der Leberkrankheit
3. Virologie und Immunologie; 4 . bildgebende
Verfahren
(Sonographie
und
Computertomographie),
Endoskopie
(ERCP), Radiologie (Angiographie); 5. morphologische Befunde (Laparoskopie und Histologie). D e m E r h e b e n einer e x a k t e n A n a m n e s e k o m m t n a c h w i e v o r eine w e s e n t l i c h e , für die F e s t s t e l l u n g der U r s a c h e einer L e b e r e r k r a n k u n g h ä u f i g e n t s c h e i d e n d e B e d e u t u n g zu. In V e r b i n d u n g m i t d e r n a c h f o l g e n d e n klinischen U n t e r s u c h u n g w e r d e n in 8 0 — 90%
der F ä l l e die w i c h t i g s t e n in der R e g e l zu einer V e r d a c h t s d i a g n o s e
führenden
I n f o r m a t i o n e n u n d B e f u n d e g e w o n n e n ( T a b . 2 ) . Parallel z u m l a b o r c h e m i s c h e n b z w . s e r o l o g i s c h - i m m u n o l o g i s c h e n S u c h p r o g r a m m w i r d h e u t e die S o n o g r a p h i e als e i n f a c h e
Tabelle 2
Klinische Untersuchung
Inspektion — Ikterus (Inspektion von Stuhl u. Urin) — Leberhautzeichen — Bewußtseinslage Palpation und Perkussion — Leber: Schmerz, Größe, Konsistenz, Oberfläche, Rand — Milz: Größe, Konsistenz — Meteorismus — Aszites Neurologie Psychiatrie — Neuropathie, Delirium — Enzephalopathie (Komastadium I —IV)
Analyse und Bewertung allgemeiner Risikofaktoren: Lebererkrankungen
113
und nicht invasive Methode zur weiteren Differenzierung von Lebererkrankungen früh eingesetzt. Die Aussagekraft der Sonographie bei Lebererkrankungen ist in Tabelle 3 zusammengefaßt [26]. Tabelle 3
Sonographie der Leber
Diagnose
Treffsicherheit
Akute Hepatitis
sehr gering
Chronische Hepatitis
gering
Leberzirrhose
hoch: Größe f J. Oberfläche AAA. Struktur M/V
Portaler Hochdruck
hoch, wenn Lumen der Milzvene > 1 cm 0
Fettleber
hoch, wenn Fettgehalt >
40-50%
(diffuse Strukturverdichtung) Raumforderungen: -
Zysten
6 0 - 9 0 % , wenn
-
Abszesse
0
-
Tumoren
>
1 cm
Cholostasen: — extrahepatisch
70-100%
-
gering
intrahepatisch
Klinik, Labordiagnostik und Sonographie sind in der Regel gemeinsam in der Lage, a) das Vorhandensein einer Lebererkrankung festzustellen, b) eine Aussage zur Differentialdiagnose zu machen und c) den Schweregrad der Lebererkrankung abzuschätzen. Der Einsatz einiger Screening-Tests (Tab. 4) ist dabei in der Lage, mit hoher Spezifität zwischen einer Leberzellschädigung im Sinne einer Leberzellnekrose bzw. einer cholostatischen Verlaufsform einer Lebererkrankung zu differenzieren. Tabelle 4
Vergleich verschiedener Screening-Tests zur Erfassung hepatobiliärer Erkrankungen Sensitivität
Spezifität
(%)
(%)
A S T (SGOT)
74
92
ALT (SGPT)
56
90
gamma G T
75
85—
alkalische Phosphatase
65
83
Bilirubin
56
91
Gallensäuren
78
93
ü
Leberzellnekrose
Cholostase ~~~ LeberzellfunktionsStörung, Shunt-Fluß
(Nach Ferraris et al., Dig. Dis. Sciences 28 (1983) 1 2 9 - 1 3 6 )
114
K.-H. Meyer zum Büschenfelde
Zur Abschätzung des Schweregrades einer Lebererkrankung sind Untersuchungen zur Leberfunktion notwendig, wobei die in Tabelle 5 aufgeführten Syntheseprodukte und Clearance-Marker sowie in Ergänzung dazu die Durchführung von Leberfunktionstests im engeren Sinne eine große Bedeutung erlangt haben. Tabelle 5
Untersuchungen zum Schweregrad einer Lebererkrankung
Syntheseprodukte
-
Gerinnungsfaktoren (II, V, VII, VIII, X) (Prothrombinzeit nach Quick) - Albumin — Cholinesterase
Clearanceparameter
- Ammoniak (NH 3 ) — Endotoxine - Immunglobuline - Elektrophorese, — quantitativ: IgG, IgM, IgA
Leberfunktionsteste im engeren Sinne
— Leberdurchblutung, Shuntfluß, Metabolische Kapazität der funktionsfähigen Leberzellmasse
Untersuchungen der Leberfunktion
Bestimmung Blut
endogener Synthese- und Clearanceprodukte
der Leber im peripheren
a) Syntheseprodukte Eine semiquantitative Aussage über die Leberfunktion erlaubt die Bestimmung von spezifischen Syntheseprodukten der Leber (Tab. 5), die bei Lebererkrankungen vermindert im peripheren Blut nachgewiesen werden. Dazu gehören im wesentlichen die in der Leber synthetisierten Gerinnungsfaktoren, das Albumin und die Cholinesterase. Entsprechend der kürzesten Halbwertzeit haben bei akuten Lebererkrankungen die Gerinnungsfaktoren, erfaßt durch die Prothombinzeit nach Quick, nach wie vor eine herausragende Bedeutung. Der Aussagewert der Serumspiegel von Gerinnungsparametern ist dadurch eingeschränkt, daß ein vermehrter Verbrauch bzw. eine vermehrte Ausscheidung von Syntheseprodukten eine Leberzellfunktionsstörung vortäuschen können. b) Clearancemarker Ammoniak Von den Syntheseprodukten der Leber sind die Substrate abzugrenzen, die bei der Leberinsuffizienz in verminderter Form durch die Leber katabolisiert werden und somit im peripheren Blut ansteigen. Wegen seiner einfachen Meßbarkeit steht der Ammoniakspiegel im Plasma im Vordergrund. Dieser korreliert gut mit den klinischen Zeichen der hepatischen Encephalopathie, wenngleich Ammoniak selbst dafür nicht allein verantwortlich ist. Der Ammoniakspiegel hat klinische Bedeutung bei der Verlaufskontrolle einer hepatischen Enzephalopathie, z. B. unter einer Therapie. Ammoniak entsteht endogen u. a. in der Niere aus Glutamin, kommt vornehmlich aber durch bakterielle Desaminasen im Darm aus der Proteolyse endogener und exogener
Analyse und Bewertung allgemeiner Risikofaktoren: Lebererkrankungen
115
Proteine. Bei Niereninsuffizienz diffundiert Harnstoff aus dem Blut in den Darm und wird dort von bakteriellen Ureasen in Ammoniak umgewandelt. Das unter bakteriellem Einfluß im Darm gebildete Ammoniak gelangt über das Pfortadersystem in die Leber und wird dort in Harnstoff umgewandelt, der dann wiederum in der Niere ausgeschieden wird. Bei Leberzellinsuffizienz und insbesondere bei der Ausbildung portosystemischer Shunts steigt der Ammoniakspiegel im peripheren Blut an. Wie bereits dargelegt, strömen über das Pfortaderblut auch bakterielle Produkte wie Endotoxine zur Leber, die dort normalerweise vom retikuloendothelialen System, repräsentiert durch die Kupfferzellen, eliminiert werden. Beim Vorliegen portosystemischer Shunts gelangen diese in die systemische Zirkulation und führen u. a. zur vermehrten Immunglobulinsynthese. Hierin wird einer der wesentlichen Mechanismen zur Entstehung der Hypergammaglobulinämie bei Leberzirrhosen gesehen. Gallensäuren Leberfunktionsuntersuchungen besonderer Art stellen die Bestimmungen konjugierter Gallensäuren im peripheren Blut dar. Die Gallensäuren sind spezifische Stoffwechselprodukte der Leber, die aus Cholesterin synthetisiert und nach Konjugation mit Taurin und Glycin in die Galle ausgeschieden werden. Gallensäuren sind durch einen ausgeprägten enterohepatischen Kreislauf charakterisiert, in dem 90% des gesamten Gallensäurenpools des Körpers zirkulieren. N u r 10% gehen täglich über den Darm verloren und werden entsprechend von der Leber nachsynthetisiert. Somit ist die Konzentration zirkulierender, konjugierter Gallensäuren im peripheren Blut bei Lebergesunden äußerst gering. Bei Normalpersonen beträgt der Nüchtern-Serum-Gallensäurespiegel 1,8 ± 0,7 umol/1. Er steigt postprandial auf 3,0 ± 0,8 umol/1 an. Der Serum-Gallensäurespiegel ist bestimmt durch die Größe des Gallensäurepools, die biliäre Sekretion, die intestinale Absorption und die Exkretion der Gallensäuren aus dem Portalblut. Bei Lebererkrankungen ist die hepatische Aufnahme von Gallensäuren eingeschränkt durch eine verminderte Leberdurchblutung, intra- und extrahepatische portosystemische Shunts und durch eine verminderte Aufnahme von Gallensäuren durch die Hepatozyten. Die methodischen Probleme zur Bestimmung der niedrigen Gallensäurenkonzentration im peripheren Blut sind nahezu gelöst. Bahnbrechend war die Etablierung spezifischer Radioimmunoassays zur Bestimmung konjugierter Gallensäuren [21, 31]. In der Zwischenzeit sind auch enzymatische Methoden entwickelt worden, die als automatische Testverfahren für die Routinediagnostik zur Verfügung stehen werden. Die Bestimmung des Nüchterngallensäurespiegels hat bereits breite klinische Erprobung erfahren. Weder die Bestimmung des Gallensäurespiegels 2 Stunden postprandial noch die Bestimmung einer exogenen konjugierten Gallensäure, die als orale Testsubstanz appliziert wird, scheint die Bestimmung des Nüchtern-Gallensäurespiegels in seiner Aussagekraft zu übertreffen. Die Sensitivität der Serum-Gallensäure zur Erfassung hepato-biliärer Erkrankungen als Screening-Test wurde von Ferraris et al. [9] mit 89% ermittelt und liegt somit etwa im Bereich der Transaminasen. Die Angaben in der Literatur zur Sensitivität des Serum-Gallensäurespiegels zur Erfassung hepatobiliärer Erkrankungen sind jedoch zum Teil kontrovers. Von Blankenstein et al. [35] zeigten, daß durch dieses Testverfahren nicht alle bioptisch nachgewiesenen
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K.-H. Meyer zum Büschenfelde
Lebererkrankungen erfaßt werden. Während die Sensitivität erhöhter Serumgallensäurespiegel zu wünschen übrig läßt, ist deren Spezifität zur Erfassung hepato-biliärer Erkrankungen denen konventioneller Lebertests überlegen [9, 16, 21, 31, 34, 35]. Die Bestimmung von Gallensäuren im peripheren Blut kann als endogener Leberfunktionstest angesehen werden, der eine Kombination von Leberdurchblutung, portosystemischen Shunts sowie intrinsicher Aufnahmekapazität der Leber für Gallensäuren erfaßt. Es ist unwahrscheinlich, daß die Gallensäurebestimmung in Zukunft als endogener Leberfunktionstest eingeführte Screening-Tests zur Erkennung hepatobiliärer Erkrankungen verdrängen wird. Vielmehr wird sie in Verlaufsuntersuchungen eingesetzt werden, z. B. den optimalen Zeitpunkt einer Leberbiopsie festzulegen. Dies gilt insbesondere für die chronische, nicht eitrige destruierende Cholangitis (primärebiliäre Zirrhose), aber auch für die chronisch-aktive Hepatitis und nicht zuletzt für Patienten mit Leberzirrhose, bei denen keine Zeichen einer entzündlichen Aktivität oder einer Lebersynthesestörung mit den herkömmlichen Techniken nachweisbar sind. Quantitative Bestimmungen der Leberzellfunktion — Leberfunktionstests im engeren Sinne [3, 25] Als allgemeine Richtlinien zur Beurteilung der hepatischen Funktionsreserven werden in der Regel die von Child et al. [6] aufgestellten klinischen und laborchemischen Kriterien herangezogen (Tab. 6). Diese zunächst nur zur Beurteilung des Risikos von portosystemischen Shunt-Operationen aufgestellten Kriterien werden inzwischen generell zur Beurteilung des Operationsrisikos bei Patienten mit Lebererkrankungen herangezogen. Wenngleich die Child-Kriterien auch in Zukunft unverändert zur Abschätzung des Operationsrisikos bei Patienten mit Lebererkrankungen ihren besonderen Stellenwert behalten werden, wird eine semiquantitative Aussage über die Leberzellfunktion für bestimmte operative Programme nicht ausreichen. So kann schon jetzt in der Tumorchirurgie der Leber sowie in der Transplantationschirurgie auf quantitative Aussagen zur Leberfunktion nicht verzichtet werden. Tabelle 6
Laborchemische und klinische Kriterien zur Bewertung der hepatischen Funktionsreserve (Child-Kriterien) Child A
B
C
< 2,0
2,0-3,0
> 3,0
Albumin (g/100 ml)
> 3,5
3,0-3,5
< 3,0
Aszites
nein
leicht
schwer
Bilirubin (mg/100 ml)
kontrollierbar nein
minimal
Koma
Ernährungszustand
sehr gut
gut
schlecht
Operationsletalität*
0%
9%
53%
Enzephalopathie
* Risiko von portosystemischen Shunt-Operationen
Analyse und Bewertung allgemeiner Risikofaktoren: Lebererkrankungen
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Quantitative Leberfunktionstests werden mit exogenen, definierten Testsubstanzen, die oral oder parenteral appliziert werden, durchgeführt. Der Metabolismus dieser Substanzen erfolgt ausschließlich in der Leber, ihr weiteres Schicksal im Körper ist bekannt, ihr Nachweis im Blut ist einfach, spezifisch und kostengünstig durchführbar. Die Substanzen selbst müssen ungefährlich sein. Das Testergebnis ist dann ein Maß für die Aktivität des entsprechenden metabolisierten Enzyms. Daraus wird dann eine Aussage über die gesamte metabolische aktive Leberzellmasse abgeleitet. Zahlreiche Substanzen, die in quantitativen Leberfunktionstests eingesetzt wurden, sind bekannt. Die wichtigsten sind in Tabelle 7 zusammengefaßt. Tabelle 7
In Leberfunktionstesten eingesetzte Substanzen
Farbstoffe
-
Bromsulphthalein
-
Indocyaningrün (ICG)
Zucker
-
Galaktose
-
Antipyrin
Arzneimittel
-
(BSP)
Aminopyrin
— Phenacetin —
Koffein
Farbstoffe Der erste Leberfunktionstest, der breite Anwendung fand, war der Bromsulphaleintest. Inzwischen ist dieser Test verlassen worden, da seine diagnostische Aussage beschränkt, er kosten- und zeitaufwendig ist und ferner häufig schwerwiegende Nebenwirkungen, wie Anaphylaxie, Thrombophlebitis und paravasale Nekrosen beobachtet wurden. Das Testergebnis wird außerdem durch Pharmaka und ein erhöhtes Bilirubin beeinflußt. Viele Nachteile des Bromsulphaleintests werden durch die Anwendung des Farbstoffes Indocyanin-grün vermieden. Er ist einfacher bestimmbar, und Nebenwirkungen sind zu vernachlässigen. Die hohen Kosten schränken jedoch seine Anwendung als Routinetest ein. Galaktose [12, 30, 34] Eine Weiterentwicklung stellt die Galaktose-Eliminationskapazität dar. Die Galaktose wird nahezu selektiv von der Leber metabolisiert. Nach Gabe einer Testdosis nimmt die Serumkonzentration in Abhängigkeit von der Leberzellfunktion durchblutungsunabhängig ab. So ist die Elimination von Galaktose aus dem peripheren Blut bei Patienten mit Leberzirrhose deutlich verzögert im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen. Nachteil aller Methoden, die das Verschwinden einer bestimmten Substanz aus dem Blut messen, ist die Notwendigkeit zur Entnahme zahlreicher Blutproben, was einen großen Zeitaufwand für Patienten und Personal bedeutet. Eine entscheidende Weiterentwicklung stellt der Galaktose-Atemtest dar. Die mikrosomale Demethylierung ist der limitierende Schritt im Metabolismus der Galaktose. Wird C 1 4 markierte Galaktose i. v. appliziert, so erscheint in der Atemluft radioaktiv markiertes 1 4 C 0 2 als Stoffwechselendprodukt. Bei Patienten mit Leberzirrhose wird ein deutlich
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K.-H. Meyer zum Büschenfelde
geringerer und auch verzögerter Anstieg der Radioaktivität in der Atemluft gemessen. Der Gehalt der Atemluft an 1 4 C 0 2 nach 45 min erwies sich als repräsentativ zur Erfassung der metabolisch aktiven Leberzellmasse und somit der Leberzellfunktion insgesamt. Es besteht eine enge Korrelation zwischen der Galaktose-Eliminationskapazität und der in der Atemluft gemessenen Aktivität für 1 4 C 0 2 . Arzneimittel [5, 11, 14, 19, 23, 28, 29] In der Folgezeit wurden verschiedene Arzneimittel als Testsubstanzen eingeführt, von denen Aminopyrin am weitesten verbreitet ist. Aminopyrin ist gekennzeichnet durch eine rasche und komplette enterale Resorption, eine geringe Eiweißbindung sowie einen nahezu exklusiven Metabolismus durch die Leber. Der Metabolismus durch die Leber erfolgt durchblutungsunabhängig. Das Verschwinden der Substanz aus dem Plasma ist somit ein M a ß für die Aktivität des metabolisierenden Enzyms Cytochrom P 450. Die Aktivität dieses Enzyms wird als repräsentativer Parameter für die gesamte metabolisch-aktive Leberzellmasse herangezogen. Die N-terminale mikrosomale Demethylierung limitiert auch den Metabolismus der Substanz. So war der Aufbau eines Aminopyrin-Atemtests möglich. Hierbei wird radioaktives 14 C-Aminopyrin oral appliziert und 1 4 C 0 2 als metabolisches Endprodukt in der Atemluft bestimmt. Bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen, z. B. bei Leberzirrhosen, erscheint deutlich weniger radioaktives 1 4 C 0 2 in der Atemluft im Vergleich zu Kontrollpersonen. Der Aminopyrin-Atemtest wurde in zahlreichen klinischen Studien überprüft. So konnte gezeigt werden, daß das Ergebnis des Aminopyrin-Atemtests gut mit dem Ausmaß der histologischen Leberzellschädigung und der Prognose einer Lebererkrankung korreliert. Koffein [25, 26, 27] Die neueste und aktuellste Testsubstanz der Leberfunktion ist das Koffein. Koffein ist eine Substanz, deren toxikologische Unbedenklichkeit allgemein bekannt ist. Sie wird komplett enteral resorbiert, selektiv von der Leber metabolisiert, ist einfach im Plasma nachweisbar und ihr Schicksal im Körper ist ausreichend bekannt. Ferner ist die mikrosomale Demethylierung der terminal limitierende Schritt des Metabolismus, was die Etablierung eines C0 2 -Atemtests ermöglicht. Die Ergebnisse mit dem KoffeinAtemtest korrelieren sowohl mit der Galaktose-Eliminationskapazität als auch mit dem Aminopyrin-Atemtest. Ferner korreliert der Koffein-Atemtest mit der PlasmaClearance für Koffein. Interessant ist die hyperbole Beziehung zwischen NüchternKoffein-Plasmaspiegel und der Koffein-Plasmaclearance, falls am Tage zuvor 125 mg Koffein entsprechend 1,5 Tassen Kaffee konsumiert wurden und der Plasmawert 12 Stunden nach Koffein-Karenz bestimmt wurde. Nur Patienten mit Lebererkrankungen, insbesondere Zirrhosepatienten, zeigen einen erhöhten Nüchtern-Koffein-Plasmaspiegel. Da die Koffein-Plasmaclearance mit quantitativen Tests der Leberfunktion, wie Bromsulphaleinverschwinden und Galaktose-Eliminationskapazität korreliert, kann nach Meinung der Erstbeschreiber der Nüchtern-Koffein-Plasmaspiegel in Analogie zum Serum-Kreatininspiegel als semiquantitativer Parameter der Leberzellfunktion herangezogen werden. Ob der Nüchtern-Koffein-Plasmaspiegel jedoch als Screen-
Analyse und Bewertung allgemeiner Risikofaktoren: Lebererkrankungen
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ing-Test hinsichtlich der Sensitivität und Spezifität mit der Bestimmung von Screeni n g t e s t s vergleichbar ist, müssen erst zukünftige Studien beweisen. Ein EnzymImmuno-Assay zum einfachen spezifischen sowie kostengünstigen Nachweis von Koffein im Plasma wurde bereits entwickelt und wurde in den erforderlichen Studien eingesetzt.
Exogene Faktoren als Ursache perioperativer Komplikationen bei Patienten mit Lebererkrankungen Patienten mit Lebererkrankungen müssen perioperativ, klinisch und laborchemisch engmaschiger überwacht werden, da die Auswirkungen von Operation und Narkose sowie die postoperativ in der Regel mehrgleisige medikamentöse Therapie (Antibiotika, Analgetika, Herz-Kreislauf-Medikamente etc.) häufig eine Verschlechterung des Leberleidens und der Leberfunktion herbeiführen [1,2]. Nicht selten treten postoperativ bei Patienten mit chronischer Hepatitis und Leberzirrhosen unterschiedlicher Ätiologie, Enzephalopathien auf, die von mehreren perioperativ wirksamen Faktoren (Tab. 8) ausgelöst werden. So kann ein schnelles Ansprechen auf Diuretika zur Entstehung eines hepatorenalen Syndroms (funktionellem Nierenversagen) führen. Intestinale Blutungen aus Erosionen und Varizen wirken über eine hohe Proteinzufuhr enzephalopathisch. Hypoxische Schäden der Leber sind meist Folge von Flüssigkeit-, Elektrolyt- und Blutverlusten, als deren Folge ein funktionelles Nierenversagen komplizierend hinzutreten kann. Da bei Patienten mit Lebererkrankungen die Clearancefunktion der Leber für Keime und Endotoxine aus dem Stromgebiet der Pfortader beeinträchtigt ist, entwickeln Patienten mit Lebererkrankungen und insbesondere bei abdominellen Eingriffen postoperativ häufiger Bakteriämien und Endotoxinämien. Tabelle 8 — — — — —
Enzephalopathie-auslösende Faktoren bei Patienten mit chronischen Lebererkrankungen
Diuretika Gastrointestinale Blutungen Durchfall, Erbrechen, Blutverlust Sedativa Infektionen und Endotoxinämien
Ein besonderes perioperatives Problem sind Veränderungen des Medikamenten-Metabolismus bei Patienten mit Leberzirrhosen. Im Vordergrund stehen verzögerte Biotransformationen, verringerte Medikamentenbindungen an Plasmaproteine, erhöhte Rezeptorempfindlichkeiten, z. B. für Sedativa und Hypnotika, eine verschlechterte Leberdurchblutung und ein erhöhtes Verteilungsvolumen (Aszites, Ödeme). Die perioperative medikamentöse Behandlung von Patienten mit Lebererkrankungen sollte daher die von Bircher [2] empfohlene Unterscheidung von Low-, limited- und highrisk-Medikamenten berücksichtigen. Unabhängig vom Vorhandensein einer Lebererkrankung muß postoperativ mit dem Auftreten einer Gelbsucht gerechnet werden [17]. Eine Differenzierung zwischen
120
K.-H. Meyer zum Büschenfelde
hämolytischem, hepatozellulärem und cholestatischem Ikterus ist für das therapeutische Vorgehen medikamentöser bzw. operativer Art von entscheidender Bedeutung. Da jedoch meist mehrere Faktoren für die Entstehung des Ikterus verantwortlich sind, kann die Differentialdiagnose Schwierigkeiten bereiten.
Schlußfolgerungen Die Kenntnis der Leberfunktion ist perioperativ von großer prognostischer Bedeutung. Es sollte daher ein diagnostisches Minimalprogramm zum Ausschluß einer Lebererkrankung in die präoperative Diagnostik mit einbezogen werden. Besteht der Verdacht auf das Vorliegen einer Lebererkrankung, sollte in jedem Falle versucht werden, Ursache, Art und Stadium der Lebererkrankung nachzuweisen, um eine prognostische Aussage im Hinblick auf den geplanten Eingriff zu treffen. Während die Bestimmung endogener Synthese- und Clearanceprodukte der Leber im peripheren Blut in den meisten Fällen ausreichend ist, das Risiko einer Operation zu bewerten, darf für bestimmte Eingriffe (Leberresektion und Transplantation) auf quantitative Bestimmungen der Leberfunktion nicht verzichtet werden. Für die praktische Medizin können zur Zeit zur quantitativen Bestimmung der Leberzellfunktion in erster Linie der Galaktosetest, der Aminopyrin-Atemtest und die Bestimmung des Serum-Gallensäurespiegels empfohlen werden. Die Farbstofftests gehören der Vergangenheit an. Die Wertigkeit des Koffeintestes muß erst in klinischen Studien weiter geprüft werden. Während die Bestimmung der Galaktoseeliminationskapazität in jeder Klinik durchgeführt werden kann, dürfte der sehr aufwendige und kostenintensive AminopyrinAtemtest vorläufig nur in wenigen klinischen Zentren durchführbar sein und vornehmlich zur Beantwortung wissenschaftlicher Fragestellungen dienen. Anders verhält es sich mit der Bestimmung der Gallensäure im Serum. Ihr Nachweis ist rasch und kostengünstig möglich. In Kürze werden automatisierte enzymatische Nach weis verfahren in klinischen Laboratorien zur Verfügung stehen. Die Bestimmung der SerumGallensäure wird jedoch die üblichen Screening-Tests zum Nachweis einer Lebererkrankung sowie die Leberbiopsie nicht ersetzen können. Ihre Bedeutung dürfte in Verlaufsuntersuchungen liegen, um den Schweregrad funktioneller Veränderungen und somit die Prognose einer Lebererkrankung abschätzen zu können. Literatur [1] Akovbiantz, A., M. Schmid, E. Schmid: Postoperativ syndroms after liver surgery. Clin. Gastroenterol. 2 (1979) 471. [2] Bircher, J.: Hepatic drug disposition in liver disease: Consequences of dosage adjustments. In: Clinical Hepatology (Hrsg. G. Csomos, H. Thaler), S. 45. Springer Verlag, Berlin - Heidelberg New York 1983. [3] Bircher, J., R. Preisig: Excretory liver function tests. Clin. Gastroenterol. 2 (1978) 507. [4] Bundeil, C. R., D. L. Earnest: Medical evaluation of the patient with liver disease prior to surgery. In: (Hrsg. R. Burnell, J . Brown). F. A. Davis Company, Philadelphia. [5] Carlisle, R., J. T. Galambos, W. D. Warren: The relationship between conventional liver tests, quantitative function tests, and histopathology in cirrhosis. Dig. Dis. Sei. 5 (1979) 358 — 362.
Analyse und Bewertung allgemeiner Risikofaktoren: Lebererkrankungen
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122
K.-H. Meyer zum Biischenfelde
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Der Ikterus als Risikofaktor in der Gallenwegschirurgie — Eine retrospektive Analyse B. Koch, A. Pulvermüller, A. Kretschmer, Ph. Langenscheidt
Vorbemerkungen 4 — 60% Letalität und 8 — 70% Morbidität weisen Ergebnisstatistiken der operativen Behandlung des Verschlußikterus aus [12—15]. Die Schädigung der Leberfunktion und ihre Sekundärfolgen sind hierfür verantwortlich [ 7 , 1 1 , 1 2 ] , Der aktuelle Bilirubinwert gilt vielfach als M a ß für die Einschätzung des individuellen OP-Risikos [3, 5]. Die folgerichtig empfohlene präoperative Senkung des Serumbilirubins durch Entlastung der Gallenwege als Routinemaßnahme ist jedoch umstritten [1, 7, 8 — 10, 13 — 15]. Zur Diskussion des Problems Ikterus als Risikofaktor wurden deshalb die Krankengeschichten von 281 konsekutiven Patienten mit extrahepatischem Verschlußikterus retrospektiv analysiert. Ziel dieser Analyse war die Bildung eines Scores in Anlehnung an Arbeiten von Blamey [1], Dixon [4], Gundry [5] und Pitt [13] zur präoperativen Identifizierung von Hoch-Risiko-Patienten, die von nicht operativen Entlastungsmaßnahmen der Gallengänge profitieren könnten.
Patienten und Methoden Die Aufschlüsselung der Verschlußursachen geht aus Tabelle 1 hervor. Von den 281 Patienten hatten 195 (70%) ein benignes, 86 (30%) ein malignes Leiden. Der Einfluß von 15 verschiedenen klinischen, laborchemischen und individuellen Patientendaten auf die Hospitalletalität wurde überprüft. Lediglich für 9 Parameter ließ sich ein Tabelle 1
Ursachen des Verschlußikterus
benigne:
Cholelithiasis
n = 157
n =
Pankreatitis Iatrogen
n = n =
19 15
Benigne Tumoren
n =
2
D.-Divertikel
n =
2
maligne:
Pankreaskopf-Ca
n =
51
n = 86
Gallengangs-Ca
n =
23
Periamp. Ca
n =
8
LK-Metastasen
n =
4
195
Gesamt
n = 281
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B. Koch, A. Pulvermüller, A. Kretschmer, Ph. Langenscheidt
Einfluß nachweisen; sie sind in Tabelle 2 mit Schwellenwerten angegeben. Die statistische Auswertung des Zahlenmaterials erfolgte im Rechenzentrum der Universität des Saarlandes. Tabelle 2
9 Risikofaktoren mit Einfluß auf die Letalität
Nr.
Risikofaktor
p
2
alk. Ph'ase > 600 U/ml
12%
s. s.
3
Temperatur > 38 °C
s.
4
Leuco > 1 4 0 0 0
s.
5
Hämatokrit < 30%
s.
6
Albumin < 3 g%
s.
7
Kreatinin >
s.
1,5 mg%
8
Alter > 70 J.
s.
9
Malignom
s.
Ergebnisse Von den 281 operierten Patienten starben 39. Das entspricht einer Letalität von 13,9%. Bildet man 2 Gruppen mit maligner und benigner Verschlußursache, so ergibt sich für die Malignompatienten eine mehrfach höhere Letalität. Diese Beobachtung gilt auch für vergleichbare Eingriffe, wie biliodigestive Anastomosen und Pankreaskopfresektionen (Tab. 3). Antwort auf die Frage, ob mit steigender Anzahl Risikofaktoren die Letalität mit ansteigt, gibt Tabelle 4. Wie zu vermuten, nimmt die Letalität mit der Anzahl Risikofaktoren zu. Eine Erklärung für die teilweise hohen Letalitätssprünge konnte erst durch Diskriminanzanalysen gefunden werden. Tatsächlich hatten nämlich nicht Tabelle 3
benigne (f
Letalität in Abhängigkeit von Dignität und Eingriff n
t
6,7%) 1. Choledochusrevision
145
5 (3,4%)
2. Biliodig. Anastom.
29
4(13,8%)
3. P. Kopf-Resektion
15
2(13,3%)
6
2(33,3%)
4. End-End-Anast. maligne (f 2 6 , 7 % ) 1. Gangdrainage
16
6 (37,5%)
2. Biliodig. Anastom.
39
12 (30,9%)
3. P. Kopf-Resektion
29
7(24,1%)
4. Papillenexzision Summe
2 281
1 (50%) 39 (13,9%)
Der Ikterus als Risikofaktor in der Gallenwegschirurgie - Eine retrospektive Analyse Tabelle 4
125
Risikofaktoren und Letalität
0 - 2
3 4 5
6 7 8-9
n
n
117 64 48 21 12 11 8
2 2 3 8 7 9 8
1,7 3,1 6,3 38,1 58,3 81,8
100,0
alle 9 sondern nur 6 der zuvor ermittelten Risikofaktoren einen Einfluß auf die Letalität, obwohl sie als Einzelfaktoren voneinander unabhängig einwirkten. Die 3 ausgeklammerten Parameter betrafen das Kreatinin, das Albumin und die alkalische Phosphatase. Letztere korrelierte so eindeutig mit dem Bilirubin, daß beide bezüglich ihres Einflusses auf die Letalität gegenseitig austauschbar waren. Aus den Diskriminanzanalysen waren darüber hinaus unterschiedliche Bewertungen der einzelnen Risikofaktoren ablesbar. Wenn man dieser Tatsache durch Vergabe von Punkten zur Ermittlung eines Scores Rechnung trug, ließ sich eine Rangliste der 6 Risikofaktoren bilden (Tab. 5). Mit je 4 Punkten beeinflussen das Serumbilirubin über 12 mg% und die Malignität sowie der Hämatokrit unter 30% den letalen Verlauf am meisten. Daran änderte sich auch nichts durch präoperative Bluttransfusionen und hochkalorische parenterale Ernährung. Tabelle 5
Abschätzung des individuellen Op-Risikos
Risikofaktor Bewertung Bilirubin > 12 mg% Hämatokrit < 30% Alter > 70 J. Leuco > 14000 Temperatur > 38°C Malignom 4 3
2
1 1 4 15 P. Überlebende 0 - 9 P. Verstorbene > 10 P.
126
B. Koch, A. Pulvermüller, A. Kretschmer, Ph. Langenscheidt
Erst an dritter Stelle folgte das kalendarische Alter über 70 Jahre, das mit 2 Punkten den gleichen Wert hatte wie Leukozytose und Fieber zusammen. Nach retrospektiver Überprüfung dieses Scores, der eine Gesamtpunktzahl von 15 Punkten hat, konnte man den Schnitt bei 10 Punkten legen. Bei weniger als 10 Punkten würden in unserem Krankengut alle 242 Patienten überleben und zwar richtig vorausgesagt, während bei den 39 Verstorbenen 4 falsch klassifiziert wären. Demnach sind 4 Patienten verstorben, obwohl sie nach den angegebenen Kriterien hätten überleben müssen. Wir sehen darin keinen Nachteil, weil die Falschvoraussage keinen Überlebenden betrifft, der dann fälschlicherweise von einer operativen Therapie ausgeschlossen wäre. Durch den Score wird das Ergebnis mit einer Wahrscheinlichkeit von 97,6% richtig vorausgesagt.
Diskussion Die Höhe des Serumbilirubinspiegels galt lange Zeit als entscheidender Gradmesser für das individuelle OP-Risiko [3, 5, 8]. Mit der Verfügbarkeit leistungsfähiger alternativer Entlastungsmaßnahmen der Gallenwege hatte man die Möglichkeit, den Serumbilirubinspiegel präoperativ unterhalb der arbiträr festgelegten Risikozone von 5 — 10 mg% abzusenken [4, 5, 14]. Das zweizeitige Vorgehen schien die postoperative Komplikationsrate drastisch zu senken und wurde deshalb beim extrahepatischen Verschlußikterus generell empfohlen [3, 5, 7, 10, 11]. Die durchschnittliche Dauer der präoperativen Vorbereitungszeit wurde mit 1—3 Wochen angegeben [1, 2, 10]. Kritisch muß man anmerken, daß die Vorteile der präoperativen Gallenwegsdrainage gegen historische Kontrollgruppen ohne Drainage errechnet wurden und die teilweise häufigen und ernsten Komplikationen der Drainagemaßnahmen unberücksichtigt blieben [3, 5, 14, 15]. Dies gilt gleichermaßen für die perkutan transhepatische wie die endoskopisch transpapillär eingebrachten Katheter [2]. So fehlte es auch nicht an kritischen Stimmen, die in der generellen präoperativen Gallenwegsdrainage keinen Vorteil sahen [6, 8, 9, 13, 14]. Hierzu haben Pitt u . a . [14] 1985 eine prospektive randomisierte Studie zur Evaluierung der routinemäßigen präoperativen perkutanen transhepatischen Drainage vorgelegt. Danach lag die postoperative Letalität in der Gruppe mit Drainage bei 8,1% gegenüber 5,3% in der Gruppe ohne Drainage. Die kumulative postoperative Morbidität lag bei 57% versus 53%. Die Unterschiede waren weder für die Letalität noch für die Morbidität statistisch zu sichern. Auffällig und statistisch signifikant war lediglich der um 8 Tage längere Krankenhausaufenthalt der Patienten mit präoperativer Drainage. Hatfield [6] und Mc Pherson [9] kamen in prospektiven Studien zu gleichen Ergebnissen. Dennoch blieben die unterschiedlichen Studienergebnisse und Empfehlungen von Befürwortern und Gegnern der präoperativen Drainage ungeklärt. Koyama u. a. [7] haben zur Lösung dieses Problems tierexperimentell an Hunden und an Patienten mit extrahepatischem Verschlußikterus nachweisen können, daß die gestörte Leberfunktion, insbesondere die gestörte mitochondriale Atmungsfunktion und die Ketogenese in Abhängigkeit von der Verschlußdauer einer mindestens öwöchigen Erholungsphase bedarf. Dazu wurden beim Verschlußikterus eine Abnahme der zellgebun-
Der Ikterus als Risikofaktor in der Gallenwegschirurgie - Eine retrospektive Analyse
127
denen Immunität, eine Störung des hepatischen retikuloendothelialen Systems, eine veränderte Lymphozytentransformation und hohe Endotoxinspiegel gefunden [11, 12, 14]. In allen bisherigen Studien wurde die präoperative Entlastung längstens für 3 Wochen durchgeführt [3, 5, 8, 10, 14]. Es ist unrealistisch zu erwarten, daß sich all diese Veränderungen in dieser kurzen Zeit normalisieren. Nachdem die generelle Entlastung der Gallenwege keinen Vorteil bringt, haben wir in der vorliegenden retrospektiven Studie versucht, Hoch-Risiko-Patienten zu definieren, die dennoch von einer präoperativen Entlastung profitieren könnten. Vor allem Patienten, die 10 und mehr Punkte nach dem aufgestellten Score erreichen (Tab. 5), könnten im Falle ausgleichbarer, behandelbarer allgemeiner und spezieller OP-Risiken aus der präoperativen Entlastung der Gallenwege Nutzen ziehen. Alle Parameter, die in den Score eingehen, sind unmittelbar nach stationärer Aufnahme der Patienten ohne besonderen Aufwand zu ermitteln. So könnte relativ früh entschieden werden, welcher Patient für eine temporäre Entlastung oder, im Falle nicht beeinflußbarer Risikofaktoren, für eine permanente alternative Entlastung der Gallenwege in Frage käme. Anders als bei Pitt [14], McPherson et al. [8] und Blamey et al. [1] war in unserer Analyse überraschend das präoperativ erhöhte Serumkreatinin ohne tatsächlichen Einfluß auf die Letalität, obwohl man sich theoretisch u. a. einen präoperativ hohen Serumkreatininwert gut als Vorbedingung einer postoperativen Niereninsuffizienz vorstellen könnte, die in unserem Krankengut in immerhin 7,5% auftrat und bei 3 von 4 Betroffenen letal verlief. Andere Autoren sahen die Niereninsuffizienz in 9% mit einer Letalität über 50% [4, 12]. Eine ähnliche Problematik galt für das verminderte Serumalbumin, das zwar vergleichbar mit dem Hämatokrit als Parameter der gestörten Leberfunktion, einer konsumierenden Erkrankung und des schlechten Ernährungszustandes gilt, anders aber als der Hämatokrit in unserem Krankengut keinen tatsächlichen Einfluß auf die Letalität hatte [1, 8, 11, 13, 14]. Wesentlich beeinflußt wird die Letalität von der malignen Verschlußursache, dem Hämatokrit unter 30% und der Hyperbilirubinämie über 12 mg%. Dixon [4] hat eine ähnliche Konstellation gefunden. Treffen diese 3 Parameter zusammen, ist mit einem postoperativ letalen Verlauf zu rechnen. Dagegen wiegen kalendarisches Alter und Entzündungszeichen weniger schwer. Selbstverständlich kann dieser, nach retrospektiv erhobenen Daten ermittelte Score noch nicht als Grundlage für Therapieentscheidungen dienen. Er wird deshalb zunächst unabhängig von der Therapieentscheidung beim Verschlußikterus prospektiv überprüft werden müssen.
Schlußfolgerungen Die generelle präoperative Entlastung der Gallenwege beim Verschlußikterus bringt keinen Vorteil. Deshalb müssen Risikogruppen definiert werden, die gezielt für präoperative Entlastungsmaßnahmen in Frage kommen. Der durch eine retrospektive Analyse gebildete Score könnte dafür geeignet sein.
128
B. Koch, A. Pulvermüller, A. Kretschmer, Ph. Langenscheidt
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Die portale Hypertension als Risikofaktor in der Abdominalchirurgie G. Lepsien, K. Lepsien, H.-J. Peiper
Eine portale Hypertension führt bei unterschiedlichen Ursachen im Laufe der Zeit zu mehr oder weniger ausgeprägten Kollateralverbindungen im Abdominalbereich. Die Venen können erhebliche Durchmesser erreichen (Abb. 1). Sie sind für den Patienten mit portaler Hypertension notwendig, stellen jedoch den Chirurgen vor teilweise schwierige technische Probleme, wenn ein chirurgischer Eingriff erforderlich wird. Handelt es sich um einen Noteingriff, so hat der Chirurg keine Wahl. Er wird mit den bis kleinfingerdicken Venen konfrontiert und muß dieses Problem technisch lösen. Dabei besteht stets die Gefahr einer massiven Blutung. Anders stellt sich die Situation bei Elektiveingriffen dar. Hier muß das Risiko der portalen Hypertension in ein Verhältnis zu dem geforderten Eingriff gesetzt werden. Zunächst gilt es, die Ursache der portalen Hypertension abzuklären. Eine Leberzirrhose ist, besonders
t®
Abb. 1
Intraoperativer Befund bei einem Patienten mit Leberzirrhose und portaler Hypertension aus Sicht des Operateurs (von rechts). Das Omentum majus ist nach oben geschlagen und es sind deutlich die vergrößerten, prall gefüllten, geschlängelten Venen zu erkennen.
130
G. Lepsien, K. Lepsien, H.-J. Peiper
dann, wenn sie alkoholtoxisch bedingt ist, anders zu bewerten als eine Pfortaderthrombose, da die Leberleistungsfähigkeit eine andere ist. Betrachtet man die Ergebnisse nach unterschiedlichsten Operationen wegen portaler Hypertension bzw. ihrer Komplikation, den Ösophagusvarizen, ansich, so werden für Notoperationen Letalitätsraten zwischen 13 und 53% angegeben [11 —13, 18, 20]. Aber auch bei Elektiveingriffen wird noch über eine Letalität bis zu 19% berichtet, allerdings auch solche von 0% [ 6 - 9 , 12, 13, 17, 18, 20]. Doberneck [7] stellte 1983 die Letalitätsraten bei 102 Patienten mit Leberzirrhose nach verschiedenen Operationen vor. Dabei lag bei einer Gesamtletalität von 19,6% der Prozentsatz bei 46 Operationen am Verdauungstrakt (intraperitoneal) mit 34,8% am höchsten. Ungewöhnlich hoch erscheint auch die Kliniksletalität nach Cholezystektomie bzw. Eingriffen an den Gallenwegen bei portaler Hypertension, die im Mittel zwischen 21 und 36% liegen [1, 10, 19]. Ebenfalls hoch ist die Letalität von 57% nach Operationen wegen Ulcus duodeni- oder Ulcus ventriculi-Blutung bei portaler Hypertension [21]. Diese Angaben stehen in erstaunlichem Widerspruch zu den günstigeren Ergebnissen nach Shunt-Chirurgie, transmuraler Umstechung oder Sugiura-Operation [Tab. 1). Tabelle 1
Von verschiedenen Autoren mitgeteilte postoperative Letalitätsraten nach abdominalchirurgischen Operationen bei Patienten mit Leberzirrhose und portaler Hypertension
Aranha [1]
Cholezystektomie
25,5%
Doberneck [7]
Cholezystektomie, Choledochusrevision
35,0%
Magen-Darm-Trakt
22,7%
Milz, Pankreas
83,3%
Koussouris [15]
Cholezystektomie, Choledochusrevision
6,3%
Schwartz [19]
Cholezystektomie, Choledochusrevision
27,0%
Wirthlin [21]
OP wegen Ulkusblutung
57,0%
Mehrfach wurde versucht, Risikofaktoren bei Patienten mit Leberzirrhose zu definieren, um die Gefährdung durch eine allgemeinchirurgische Operation präoperativ einschätzbar zu machen. Dabei wurden verschiedene Parameter betrachtet. Wie verhält es sich mit der Tatsache, ob präoperativ eine Leberzirrhose bekannt oder unbekannt ist? Hat dieses eine Auswirkung auf die Operationsletalität? Cayer [4] publizierte 1955 eine Aufschlüsselung seiner Ergebnisse unter diesem Aspekt. Dabei faßte er unterschiedliche Operationen (Cholezystektomie, Splenektomie, Hernienverschluß etc.) zusammen. Die Ergebnisse machen deutlich, daß dadurch, daß sich der Chirurg auf die Leberzirrhose einstellen kann, wenn sie präoperativ bekannt ist, das postoperative Risiko verringert wird. „Stolpert" man sozusagen in die Situation hinein, so wird das Risiko größer. Dabei sind die Gründe offenbar vielfältig. Andere Autoren [3, 4, 7] stellten die Frage, ob zwischen präoperativ vorhandenem Aszites und der Letalität ein Zusammenhang besteht. Danach sind die Letalitätsraten bei vorhandenem Aszites deutlich erhöht. Eine weitere Frage galt dem Zusammenhang zwischen Gesamtbilirubinerhöhung und Letalität. Aranha [1] berichtete 1982, daß
Die portale Hypertension als Risikofaktor in der Abdominalchirurgie
131
die Letalität nach Cholezystektomie bei ikterischen Patienten 90% betrug. Doberneck [7] schlüsselte 1983 die Letalitätsraten nach diversen Operationen retrospektiv unter dem Aspekt des Gesamtbiiirubins auf. Bei Patienten mit einem Gesamtbiiirubin unter 3,5 mg% betrug die Letalitätsrate 3,8%. Lag das Gesamtbiiirubin über 3,5 mg%, war die Letalität mit 44,4% deutlich erhöht (p < 0,05). Doberneck fand weiterhin einen Zusammenhang zwischen der alkalischen Phosphatase und der Letalität. Lag die alkalische Phosphatase unter 70U/dl, so betrug die Letalitätsrate 13,2%. Bei einer alkalischen Phosphatase über 70 U/dl verstarben 40,9% der Patienten (p < 0,05). Neben der Sekretionsleistung der Leber interessiert die Syntheseleistung. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Prothrombinzeit (Quickwert) und das Serumalbumin von Interesse. Aranha [1] stellte Korrelationen zwischen der Prothrombinzeit, dem Blutverlust und der Letalität her. Lag die Prothrombinzeit unter 2,5 sec., betrug der mittlere Blutverlust 450 ml, und es verstarben nur 9,3% der Patienten. Lag die Prothrombinzeit darüber, so betrug der mittlere Blutverlust 4500 ml, und es verstarben 83% der Patienten. Doberneck [7] sah bereits bei einer niedrigeren Prothrombinzeit ein erhöhtes Risiko. Er beschrieb eine Verlängerung der Prothrombinzeit über 2 als kritischen Wert. Lag der Wert unter 2, so verstarben in seinem Kollektiv 13,8% der Patienten bei einem mittleren Blutverlust von unter 1000 ml. Lag die Prothrombinzeit über 2, so verstarben 50% der Patienten, und der Blutverlust betrug mehr als 1000 ml (p < 0,01 bzw. 0,05). Im Gegensatz zu früheren Autoren [5] konnten jedoch weder Aranha [1] noch Doberneck [7] für Albumin einen Zusammenhang zwischen diesem Parameter und einer erhöhten Letalität aufzeigen. Somit wird deutlich, daß die Tatsachen, daß eine Zirrhose präoperativ bekannt bzw. unbekannt ist, daß ein Aszites vorhanden ist, daß das Gesamtbiiirubin über 3,5 mg erhöht ist, daß eine erhöhte alkalische Phosphatase besteht und daß die Prothrombinzeit verlängert ist, deutliche Auswirkungen auf die zu erwartende Letalität haben. Dieses sind jedoch nicht die einzigen Gesichtspunkte, die bei der Bewertung des Risikofaktors der portalen Hypertension in der Abdominalchirurgie eine Rolle spielen. Von wesentlicher Bedeutung ist, ob es sich um Notfall- oder Elektivoperationen handelt, und ob ein Malignom Anlaß für den operativen Eingriff ist. Dieses wird anhand der nachfolgend dargestellten Ergebnisse des eigenen Krankengutes deutlich.
Eigenes Krankengut Wir haben seit 1978 bei 126 Patienten mit chronischer Lebererkrankung und mehr oder minder ausgeprägter portaler Hypertension allgemeinchirurgische Operationen vorgenommen. Patienten, die wegen einer Ösophagusvarizenerkrankung operativ versorgt wurden (Shunt, transmurale Umstechung), sind in dieser Zusammenstellung nicht enthalten. Tabelle 2 stellt die Eingriffe unter dem Gesichtspunkt der Elektivbzw. der Notfalloperation und der Organzugehörigkeit zusammen. Bei den elektiv operierten Patienten betrug die Kliniksletalität 18% (n = 19). Bei den 22 Patienten, die notfallmäßig operiert werden mußten, lag die Letalität mit 27% (n = 6) wesentlich höher. Tabelle 3 stellt die herausragenden Letalitätsraten zusammen. Hier fällt der hohe Anteil von Patienten mit Operationen wegen Malignomen auf. Die Aussagen
132
G. Lepsien, K. Lepsien, H.-J. Peiper
Tabelle 2
Zusammenstellung der seit 1978 am Zentrum Chirurgie der Universitätskliniken Göttingen durchgeführten allgemeinchirurgischen Operationen bei Patienten mit portaler Hypertension (Elektivoperationen und Notoperationen sind getrennt zusammengefaßt)
Operationen
n
Letalität
Elektivoperationen Ösophagus Zenker-Divertikel
2
Ösophagus-Ca.
2
Kardia-Ca.
3 2
-
SPV
4
-
Tumor
6
Fundoplicatio
2
thorakale trunkuläre Vagotomie
-
1 1
Magen/Duodenum 2 -
Gallenwege Cholezystektomie + Gallengangsrevision biliodigestive Anastomose
16
1
5
1
2
1
12
5
5
2
Pankreas Pankreatitis Pankreastumor Dickdarm Kolonteilresektion (Tumor)
10
Sigmaresektion (Tumor, Divertikulitis)
4
abdomino-sakrale Rektumexstirpation
7
3 -
1
Appendektomie
6
Nierentransplantation
2
Narbenhernie
3
-
Leistenhernie
9
-
Schenkelhernie
2
-
-
1
104
19
gesamt:
18%
Not Operationen 5
Magen-/Duodenalperforation Gallenblasenperforation Ileus
1
3
1
12
4
2
Sigmaperforation
-
22
6
gesamt:
amerikanischer
Autoren
[1, 19], die das
Risiko der
27%
Cholezystektomie,
besonders
w e g e n d e r B l u t u n g s g e f a h r , als u n v e r t r e t b a r h o c h e i n s c h ä t z e n u n d bei P a t i e n t e n m i t Gerinnungsstörungen
eine Letalität v o n
bis zu 8 3 %
angeben,
können
wir
nicht
Die portale Hypertension als Risikofaktor in der Abdominalchirurgie Tabelle 3
133
Herausragenden Letalitätsraten in unserem Krankengut aufgeschlüsselt nach Organzugehörigkeit und Grunderkrankung
Organ/Operation
n verstorben
Ösophagus-Ca.
1
2
50%
Kardia-Ca.
1
3
33%
Magen-Ca.
2
6
33%
Cholezystektomie
1
16
6%
Gallengangsrevision
1
5
20%
n gesamt
biliodigestive Anastomose
1
2
50%
Pankreatitis
5
12
42%
Pankreastumor
2
5
40%
Kolontumor
3
10
30%
anteriore Resektion
1
7
14%
Nierentransplantation
1
2
50%
Die Erwähnung der Kliniksterblichkeit nach Cholezystektomie hat den Grund, herauszustellen, daß sie auch bei uns bei Patienten mit portaler Hypertension höher ist als bei den übrigen cholezystektomierten Patienten, wir jedoch die von anderen Autoren [1, 19] berichtete ungewöhnlich hohe Sterblichkeitsrate nicht bestätigen können. Auffallend ist die hohe Letalität nach Operationen wegen Malignom.
bestätigen. Allerdings fällt auch bei uns die hohe Letalitätsrate bei Eingriffen im Bereich des Ligamentum hepatoduodenale auf. Jedoch sind wir mit anderen Autoren [14, 15] der Meinung, daß das Risiko einer Cholezystektomie bei Patienten mit portaler Hypertension vertretbar ist, bei gegebenenfalls nur subtotaler Gallenblasenentfernung und subtiler Präparation am Ligamentum hepatoduodenale. Herausragend in unserem Krankengut ist die hohe Letalitätsrate nach Operationen wegen Malignomen. Untersucht man die Letalitätsursachen unserer verstorbenen Patienten im einzelnen, so entfallen 70.% auf Blutungen und Leberversagen. Bei nur 30% der Patienten lag die Ursache entweder in einer Pneumonie, einer Peritonitis oder einem Nierenversagen (Tab. 4). Die Häufung der Letalitätsursachen durch Blutung und Tabelle 4
Letalitätsursachen in unserem Krankengut bei 25 verstorbenen Patienten
Blutung Leberversagen
>70%
Pneumonie Peritonitis Nierenversagen
Leberversagen ist bei der vorliegenden Grunderkrankung nicht verwunderlich. Dabei liegt die Ursache im wesentlichen in einer eingeschränkten Leberfunktion, jedoch kommt auch der erschwerten, nicht zu unterschätzenden chirurgischen Präparation eine Bedeutung zu. Hier muß das Risiko des chirurgischen Eingriffes in besonderer Weise erwogen und in ein adäquates Verhältnis zum möglichen Therapieerfolg gesetzt werden. Zur Verdeutlichung der Problematik soll eine Kasustik geschildert werden.
134
G. Lepsien, K. Lepsien, H.-J. Peiper
1966 kam P., C., ein männlicher Patient, im Alter von 41 Jahren (Abb. 2), wegen einer Ösophagusvarizenblutung bei posthepatitischer Leberzirrhose erstmals in unsere Behandlung. Es wurde eine transmurale Umstechung durchgeführt. Bis 1972 war der Patient blutungsfrei. Im gleichen Jahr kam es jedoch zu einer erneuten Blutung, die durch Sklerosierung behandelt wurde. Nach der Sklerosierung fanden wir einen erheblichen gastroösophagealen Reflux mit einer endoskopisch erkennbaren Refluxösophagitis. Aus diesem Grunde wurde eine Fundoplicatio angelegt. 1982, 10 Jahre später, kam es erneut zu Blutungen aus Ösophagusvarizen. Sie wurden wiederum sklerosiert. Weitere 2 Jahre später, 1984, war wegen rezidivierender Ösophagusvarizenblutung eine weitere Sklerosierungsbehandlung erforderlich. Bedingt durch die Sklerosierung, so nahmen wir an, kam es zu einer Stenosierung im distalen Ösophagus mit einer Bolusinkarzeration. Nach endoskopischer Bolusdurchstoßung in den Magen wurde eine Bougierungsbehandlung vorgenommen. Bereits 3 Monate später war der distale Ösophagus wieder verengt, so daß Schluckstörungen auftraten. Jetzt fand sich, endoskopisch sowie bioptisch gesichert, ein kleines Adenokarzinom im distalen Ösophagus. Es handelte sich um ein Malignom im Frühstadium. Grundsätzlich war eine chirurgische Therapie indiziert. Auf der anderen Seite bestand die Problematik der Grunderkrankung. Nach ausgiebigen internen Gesprächen einerseits und Gesprächen mit dem Patienten andererseits, haben wir uns zur distalen Ösophagusresektion entschlossen und diesen Eingriff durchgeführt. Die Operation war ausgesprochen schwierig und durch massive diffuse Blutungen kompliziert. 5 Tage nach der Operation verstarb der Patient an unstillbaren Blutungen. Dieser Fall macht deutlich, in welchem Dilemma sich ein Chirurg bei Patienten mit portaler Hypertension und multiplen Voroperationen befindet, wenn ein üblicherweise mühelos chirurgisch zu behandelnder Befund Anlaß zu einer Operation gibt. Warum ist es so wichtig, sich mit der Problematik bei Patienten mit portaler Hypertension auseinanderzusetzen? Wenn früher Blutungen aus Ösophagusvarizen häufig Todesursache bei Patienten mit portaler Hypertension waren, so haben heutzutage Therapiekonzepte dazu geführt, daß das Blutungsrisiko verringert wird, wobei die portale Hypertension jedoch bestehen bleibt. Zur Darstellung des Erfolges der Sklerosierungstherapie sei beispielhaft die Studie von MacDougall [16] aus dem Jahre 1982 erwähnt. Für 2 Patientenkollektive, 56 Patienten unter konservativer Standardtherapie und 51 Patienten unter Sklerotherapie wurde der Risikofaktor einer Reblutung ermittelt. Betrug in der Sklerosierungsgruppe der Risikofaktor pro Patient und Monat vor Sklerosierung 0,16, so lag er nach Sklerosierungsbehandlung bei 0,02. Demgegenüber betrug der Reblutungsrisikofaktor bei den konservativ behandelten Patienten 0,19. Es wird somit deutlich, daß durch eine Sklerosierungsbehandlung das Risiko einer Reblutung verringert werden kann. Eine Folge davon ist, daß Patienten mit portaler Hypertension andere Erkrankungen sozusagen noch erleben und der Allgemeinchirurg dann mit diesen Erkrankungen konfrontiert wird, ohne daß, bei zwar verringertem Blutungsrisiko aus den Ösophagusvarizen, das durch die portale Hypertension bedingte Risiko des intraabdominellen Eingriffes geringer geworden wäre. Welche Entscheidungshilfen zur Risikobeurteilung bei Patienten mit portaler Hypertension sind uns an die Hand gegeben? Zur Beurteilung sind der Allgemeinzustand und besonders die Kooperationsfähigkeit des Patienten heranzuziehen. Eine weitere
Die portale Hypertension als Risikofaktor in der Abdominalchirurgie
Abb. 2
135
Röntgenbefunde eines Patienten (P., C., Alter bei Erstvorstellung 41 Jahre) mit posthepatischer Leberzirrhose und portaler Hypertension. a = Ösophagusvarizen zum Aufnahmezeitpunkt 1966; b = Zustand nach Fundoplicatio 1972; c = Bolusinkarzeration 1984: d = Zustand nach Bolusdurchstoßung und Bougierung; e = Re-Stenosierung im Kardiabereich, Ursache: kleines Adeno-Ca.
136
G. Lepsien, K. Lepsien, H.-J. Peiper
W e r t u n g e r l a u b t d i e Child-Klassifikation,
die m e h r e r e F a k t o r e n erfaßt, die d a s Letali-
tätsrisiko e r h ö h e n . Z u den w e i t e r e n g e w i c h t i g e n F a k t o r e n , die p r ä o p e r a t i v w e r d e n k ö n n e n , g e h ö r t d e r Gerinnungsstatus. punkte,
die s i c h a u s d e r c h i r u r g i s c h e n
e r w a r t e n d e Blutverlust?
erfaßt
A u f d e r a n d e r e n Seite s t e h e n G e s i c h t s Erfahrung
ergeben.
K a n n e i n e anatomiegerechte
Wie
Präparation
hoch
ist d e r
zu
durchgeführt wer-
den? D a b e i steht der letztgenannte G e s i c h t s p u n k t im klaren Z u s a m m e n h a n g mit der Frage,
ob
es
sich
um
e i n e gutartige
Grunderkrankung
oder
um
ein
Malignom
h a n d e l t . M a l i g n ó m e s c h l i e ß e n h ä u f i g ein a n a t o m i e g e r e c h t e s u n d d a m i t b l u t u n g s a r m e s V o r g e h e n a u s o d e r e r s c h w e r e n es. U m s o k r i t i s c h e r m u ß d i e I n d i k a t i o n z u r O p e r a t i o n ü b e r p r ü f t w e r d e n , w e n n ein P a t i e n t m i t p o r t a l e r H y p e r t e n s i o n a n e i n e m M a l i g n o m e r k r a n k t ist.
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Die portale Hypertension als Risikofaktor in der Abdominalchirurgie
137
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Risiko in der Chirurgie: Stoffwechselerkrankungen (Diabetes mellitus, Adipositas) H.-J. Quabbe
Diabetes mellitus Es entspricht klinischer Erfahrung und ist statistisch vielfach belegt, daß Patienten mit Diabetes mellitus ein erhöhtes chirurgisches Risiko bieten. Einige der Ursachen hierfür und mögliche Maßnahmen zur Verminderung des Risikos sollen im folgenden besprochen werden. Prinzipiell kann unterteilt werden in Risiken, die sich aus der aktuellen Stoffwechselsituation ergeben und solchen, die mit den Spätfolgen des Diabetes mellitus zusammenhängen. Erstere sind im allgemeinen schnell beeinflußbar, letztere jedoch nicht. Diese müssen trotzdem erkannt und möglichst quantifiziert werden, um ihr Gefährdungspotential für den individuellen Patienten einschätzen und entsprechende Vorsorgemaßnahmen einleiten zu können. Schließlich gibt es iatrogene Risiken, die es zu vermeiden gilt. Stoffwechselfaktoren Das perioperative Risiko des Patienten mit Diabetes mellitus ergibt sich hinsichtlich des Stoffwechsels aus der Gefahr hypo- und hyperglykämischer Entgleisungen und deren Folgen. Bei der Hypoglykämie stehen im Vordergrund die zentralnervösen Störungen mit fokalen und generalisierten Dysfunktionen bis hin zum prolongierten und potentiell tödlichen hypoglykämischen Koma. Hyperglykämie führt zu Volumenmangel (durch osmotische Diurese), zu metabolischer Azidose, zu Elektrolytstörungen (Kaliumverlust) und zu Veränderungen der Bluthirnschranke (und damit ggf. zur Wirkungsänderung von Medikamenten). Die mögliche Bedeutung dieser Abweichungen hängt nicht nur ab vom Grad ihrer Ausbildung und der Dauer ihres Bestehens, sondern auch von der Größe des geplanten Eingriffes, der Art der Anästhesie, dem Alter des Patienten und dem Vorliegen weiterer Risikofaktoren, z. B. der Ausprägung diabetischer Spätschäden, kardiovaskulären Faktoren usw. In Notfallsituationen müssen Risiken, die sich aus einer schlechten Stoffwechsellage ergeben, gegen diejenigen Risiken abgewogen werden, die sich aus einer Verzögerung der Operation ergeben. Als Regel gilt, daß bei Blutkonzentrationen > 300 mg% — besonders bei gleichzeitigem Vorliegen einer Ketoazidose — zunächst eine Stoffwechselkorrektur erfolgen sollte. Diese wird im allgemeinen innerhalb weniger Stunden möglich sein. Hat der Patient vorher orale Antidiabetika eingenommen, so ist auf die relativ lange Halbwertzeit dieser Präparate zu achten, da sich noch am folgenden Tag und darüber hinaus unter Insulintherapie Hypoglykämien entwickeln können.
140
H . - J . Quabbe
Für geplante Operationen ist beim Diabetiker eine vorherige gute Stoffwechseleinstellung zu fordern, falls es sich nicht um Bagatelleingriffe handelt. Die Kriterien hierfür sind in Tabelle 1 zusammengefaßt. Sie sollten um so strenger gehalten werden, je mehr zusätzliche Risikofaktoren vorliegen und je größer der geplante Eingriff ist. Tabelle 1
Kriterien für eine gute Einstellung des Stoffwechsels unter perioperativen Bedingungen
B Z präprandial
verringertes Gefäßlumen Erhöhter
BZ
-> verringerte Verformbarkeit der Erythrozyten - * erhöhte Erythrozytenadhärenz an Endothelien -» erhöhtes Thromboxan in Thrombozyten reduziertes Prostazyklin in Endothelzellen -+ erhöhte Thrombozytenaggregation/-adhäsion -» erhöhte Glykolisierung des Gefäßwandkollagens -> erhöhter PDGF (platelet derived growth factor) -» Proliferation der Gefäßwandmuskelzellen
Gefäße (verdickte Basalmembran, Proliferation der Gefäßwandmuskelzellen). Andere sind abhängig von der aktuellen Höhe des Blutzuckers und potentiell innerhalb weniger Stunden reversibel. Hierzu gehören eine Abnahme der Verformbarkeit der Erythrozyten („Wandsteife"), eine erhöhte Erythrozytenadhärenz an Endothelzellen und eine erhöhte Thrombozytenaggregation und -adhäsion (durch erhöhtes Thromboxan in den Thrombozyten und reduziertes Prostazyklin in den Endothelzellen ->• erhöhte Aggregation, sowie erhöhte Glykolisierung des Gefäßwandkollagens —• erhöhte Thrombozytenadhäsion) [1, 2, 3]). Alle diese Faktoren zusammen begünstigen Störungen der Mikrozirkulation mit der Folge schlechter Durchblutung und sinkender Sauerstoffversorgung einerseits und erhöhter Thrombosegefahr andererseits. Eine Risikoverminderung kann erfolgen durch optimale Stoffwechselführung in den Tagen vor der Operation, strikte Vermeidung zusätzlicher Risiken (besonders einer Dehydratation) und möglicherweise durch Anwendung von Azetylsalizylsäure.
Diabetische
Kardiomyopathie
In den letzten Jahren haben sich die Hinweise gemehrt, daß neben einer Begünstigung der koronaren Herzerkrankung durch den Diabetes mellitus auch eine davon unabhängige, multifaktoriell verursachte diabetische Kardiomyopathie entstehen kann. Zumindest teilweise handelt es sich dabei um Veränderungen funktioneller Natur, die von der aktuellen Blutzuckerhöhe — mittelbar oder unmittelbar — abhängig sind. Hierzu gehören Veränderungen der Membraneigenschaften der Muskelzellen unter dem Einfluß erhöhter Konzentrationen der freien Fettsäuren und eine Herabsetzung der Aktivität verschiedener Enzyme (Tab. 3). Zusammen mit anderen — nicht akut reversiblen — Veränderungen der Gefäße (Makro- und Mikroangiopathie) und ebenso Folgen einer autonomen Neuropathie (z. B. erhöhte Ruhefrequenz, Regulationsstörung) folgt hieraus das Risiko der kongestiven Kardiomyopathie [4, 5, 6]. Soweit diese Veränderungen funktioneller Natur und von der aktuellen Blutzuckerkonzentration abhängig sind, können sie durch optimale Stoffwechseleinstellung rückgängig gemacht werden.
Risiko in der Chirurgie: Stoffwechselerkrankungen (Diabetes mellitus, Adipositas) Tabelle 3
143
Einige akute und chronische Ursachen der diabetischen Kardiomyopathie
Akute Veränderungen (potentiell reversibel) Verminderte Enzymaktivitäten Myosin-ATPase Kalzium-ATPase Na/K-ATPase —> herabgesetzte Kontraktilität Erhöhte Fettsäuren veränderte Membraneigenschaften der Muskelzellen Chronische Veränderungen Atherosklerose Mikroangiopathie Neuropathie Verminderte koronare Durchblutung und verschlechterte Stoffwechselbedingungen verursachen das Risiko der kongestiven Kardiomyopathie
Autonome Neuropathie (Tab. 4) Folgen einer a u t o n o m e n Neuropathie [7] — die bei länger bestehendem Diabetes mellitus sicherlich häufiger ist, als sie allgemein diagnostiziert wird — können vor allen Dingen in der postoperativen Phase zu Schwierigkeiten führen. Im kardiovaskulären Bereich ist außer den genannten Folgen a m Herzen (Ruhetachykardie, Regulationsstörung der Herzschlagfolge) noch die Neigung zur orthostatischen Dysregulation zu nennen.
Tabelle 4
Einige Faktoren, durch die eine diabetische Neuropathie das perioperative Risiko erhöht
Herz-Kreislauf Tachykardie reduzierte Ejektions-Fraktion orthostat. Dysregulation Magen-Darm Atonie verminderte Peristaltik Organdilatation Urogenital-System Detrusorschwäche Sphinkterdysfunktion Restharn Überlaufblase Stoffwechsel reduzierte Sympathikusfunktion reduzierte Katecholaminsekretion fehlende Symptome bei Hypoglykämie
144
H.-J. Q u a b b e
Im Urogenitalsystem kann es über eine Detrusorschwäche und eine Sphinkterdysfunktion zur Restharnbildung und zur Überlaufblase kommen. Im Magen-Darmbereich kommt es zur verminderten Peristaltik, zur Atonie und Organdilatation. Im Stoffwechselbereich führt eine reduzierte Sympathikusfunktion zum Fehlen von Warnzeichen für eine Hypoglykämie und damit zur Gefahr, diese zu übersehen. Kenntnis dieser Risiken führt dazu, rechtzeitig an sie zu denken und entsprechend handeln zu können.
Iatrogene
Risiken
Iatrogene Risiken entstehen u. a.: — durch die Benutzung sogenannter „Zuckeraustauschstoffe" (Fruktose, Sorbit, Xylit) bei der parenteralen Ernährung, — durch Glukose-Überdosierung und bei der hochkalorischen Ernährung, sowie — durch Röntgenkontrastmittel. Zuckeraustauschstoffe Die Benutzung von sogenannten Zuckeraustauschstoffen besonders in der postoperativen Phase im Rahmen der Hyper-Alimentation ist umstritten. Vermeintliche Vorteile dieser Zuckeraustauschstoffe sind ein „Insulin-unabhängiger" Stoffwechsel, ein schnellerer Umsatz im Stoffwechsel, ein geringerer Blutzuckeranstieg und ihre antiketogene Wirkung. Der Nachweis, daß es sich hier um praktisch wichtige Vorteile handelt, steht jedoch aus. Diese Zucker- bzw. Zuckeralkohole werden zwar zunächst tatsächlich Insulin-unabhängig in den Stoffwechsel eingeschleust. Ein großer Anteil wird jedoch in den Glukosestoffwechsel eingeschleust und wird damit Insulin-abhängig. Der restliche Anteil geht in den Polyol-Stoffwechselweg ein und verstärkt damit eine Sorbitol-Akkumulation in gefährdeten Geweben mit den bekannten Risiken (Retinopathie, Katarakt, Neuropathie [8]). Die antiketogene Wirkung der Zuckeraustauschstoffe bietet keinen Vorteil gegenüber der Anwendung von Glukose. Die diabetische Ketoazidose wird durch Förderung der Glukoseeinschleusung in die Zelle mittels Insulin in jedem Fall beseitigt. Risiken der Zuckeraustauschstoffe sind die Laktatazidose (die in der perioperativen Phase durch andere Faktoren — wie z. B. Kreislaufprobleme — zusätzlich begünstigt wird). Es kommt weiter zu einem Harnsäureanstieg mit der Gefahr der Harnsäureniere und durch den schnellen Umsatz im Stoffwechsel zu einer Hypophosphatämie. Nierenversagen und Leberversagen sind mögliche Folgen [9 — 12]. Die Menge der zugeführten Zuckeraustauschstoffe darf daher zusammen 0,5 g/kg/h nicht überschreiten. Viele Experten sind der Ansicht, daß diese Stoffe überhaupt nicht verwendet werden sollten. In einigen Staaten (z. B. Schweden, USA) ist ihre Anwendung nicht zugelassen. Bei Benutzung von Fruktose sind außerdem schwere Nebenwirkungen, auch mit tödlicher Folge zu erwarten bei Patienten mit einer meist vorher nicht bekannten — hereditären Fruktose-Intoleranz.
Risiko in der Chirurgie: Stoffwechselerkrankungen (Diabetes mellitus, Adipositas)
145
Zu hohe Glukosezufuhr in der Hyperalimentation In der postoperativen Hyperalimentation werden gelegentlich zu hohe Glukosemengen zugeführt. Hierdurch kann ein nicht-ketotisches hyperglykämisches Koma ausgelöst werden [13]. Die Fähigkeit der Körperzellen zur Aufnahme von Glukose wird oft überschätzt. Nach Überschreiten eines Maximums kann auch durch noch so hohe Insulinzufuhr keine zusätzliche Glukose in die Zellen hineingezwängt werden. Die endogene Glukoseproduktion eines nicht-adipösen Erwachsenen beträgt etwa 2,5 mg/ kg/min. Die maximale Glukoseaufnahme schwankt und ist von verschiedenen Faktoren abhängig (u. a. der Ausschüttung von Streßhormonen in der perioperativen Phase, der Gabe bestimmter Medikamente wie z.B. von Glukokortikoiden usw.). Als Regel kann gelten, daß die maximale Glukoseaufnahme etwa 4 — 8 mg/kg/min beträgt, entsprechend maximal etwa 800 g/Tag für einen 70 kg schweren Patienten. Darüber hinaus zugeführte Glukose führt schell zur Hyperglykämie. Kann nicht genügend Glukose im Harn ausgeschieden werden, so entwickelt sich ein hyperglykämisches Koma. Da hohe Glukosekonzentrationen eine Vasopressin-resistente osmotische Diurese erzeugen, können schnell eine Dehydratation und entsprechende Kreislaufprobleme das Bild komplizieren. Reduktion der zugeführten Glukosemenge senkt den Blutzucker und beseitigt die osmotische Diurese. Röntgenkontrastmittel Bei Patienten mit Diabetes mellitus und diabetischer Nephropathie kann es durch Röntgenkontrastmittel — z. B. während perioperativer diagnostischer Maßnahmen — zum akuten Nierenversagen kommen [14]. Ursache ist offensichtlich eine direkte toxische Wirkung des Kontrastmittels an den Nierentubuli. Verstärkt wird die Gefahr durch eine zusätzliche bestehende Dehydratation (z. B. wenn für ein KontrastmittelUrogramm eine Flüssigkeitsbeschränkung veranlaßt wurde, um eine bessere Darstellung zu erzielen). Eine Verminderung des Risikos kann erfolgen durch besonders strenge Indikationsstellung, durch Benutzung einer möglichst geringen Kontrastmittelmenge (unter Bevorzugung nicht-ionischer Kontrastmittel, da diese möglicherweise etwas geringer toxisch wirken [15]) und durch die Vermeidung einer Dehydratation vor der Untersuchung. Bei gefährdeten Patienten sollte sofort nach der Kontrastmitteluntersuchung für ein vermehrtes Flüssigkeitsangebot gesorgt werden.
Adipositas (Tab. 5) Es entspricht klinischer Erfahrung, daß Adipositas ein perioperatives Risiko darstellt. Hierzu tragen mechanische Faktoren bei, aber auch gestörte Kohlenhydrattoleranz und Diabetes mellitus, allgemeine Gefäß- und Koronarsklerose, Hypertonie und andere Faktoren. Adipöse Patienten sind gefährdet durch häufigere Wundinfektionen, schlechtere Wundheilung, häufigere Wunddehiszenz und durch eine hohe Thrombophlebitisrate. Pneumoniegefährdung besteht durch schlechtere Lungenfunktion (hochstehende Zwerchfelle, verminderte Atemexkursion, basale Atelektasen) und dadurch bedingte Hypoxämie, und durch die Gefahr der Aspirationspneumonie.
146
H.-J. Quabbe
Tabelle 5
Verschiedene Faktoren, durch die Adipositas zu einem perioperativen Risikofaktor wird — Maßnahmen zur Verminderung des Risikos
Erhöhte Kate an Wundinfektionen Wunddehiszenz Thrombophlebitis Schlechtere
Lungen-Funktion
durch
hochstehendes Zwerchfell basale Atelektasen Aspirationspneumonie Fettleber bewirkt reduzierte Medikamentenelimination Zusätzliches Risiko durch
Adipositas-assoziierte
koronare Herzerkrankung Hypertonie Risikoverminderung Gewichtsreduktion Reduktionsdiät (400 Kcal, eiweißreich) Zu erzielender Erfolg: « ~
150 g Gewichtsverlust pro Tag, d. h.
—15 kg in 3 Monaten
Thromboseprophylaxe Physikalische Maßnahmen: Verbesserung des venösen Rückflusses in den Beinen durch elastische Binden/Antiembolie-Strümpfe, gymnastische Beinübungen Medikamentöse Maßnahmen Low-dose-Heparin Pneumonieprophylaxe Atemgymnastik (Beginn vor der OP)
Die Fettleber des adipösen Patienten kann Ursache einer reduzierten MedikamentenElimination werden und damit zu Dosierungsproblemen führen. Zur Verminderung der Adipositas-spezifischen Risikofaktoren wird im allgemeinen eine präoperative Gewichtsreduktion propagiert. Hierzu wird am besten eine 400 Kcal-Diät benutzt, bei der fast ausschließlich Eiweiß angeboten wird. Diese Diät führt zu einer fast genauso schnellen Gewichtsabnahme wie eine „Null-Diät" ohne deren Risiko eines vermehrten Proteinabbaues. Obwohl diese Forderung nach Gewichtsreduktion sicherlich richtig ist, müssen die zu erzielenden Erfolge doch realistisch gesehen werden. Oft ist es schwierig, selbst sehr adipöse Patienten sogar vor schwierigen Operationen tatsächlich zur Einhaltung einer gewichtsreduzierenden, kalorienbeschränkten Diät anzuhalten bzw. deren Einhaltung zu erreichen. Außerdem ist aber der notwendige Erfolg leider nur nach längerer Zeit zu erreichen. Unter der genannten Diät kann mit einer Gewichtsabnahme von durchschnittlich nur etwa 150 g/Tag gerechnet werden. Zur Erzielung einer Gewichtsreduktion um etwa 15 kg
Risiko in der Chirurgie: Stoffwechselerkrankungen (Diabetes mellitus, Adipositas)
147
wäre also ein Zeitraum von 3 Monaten notwendig, der in vielen Fällen wahrscheinlich doch als zu lang angesehen werden wird. Einfacher durchzuführen sind andere prophylaktische Maßnahmen. Zur Verminderung der Thrombosegefährdung sollten neben der üblichen Therapie mit niedrigen Heparindosen (im allgemeinen 3 x 5 0 0 0 E täglich s. c.) unbedingt die physikalischen Maßnahmen (Wickeln mit elastischen Binden, bzw. Antiemboliestrümpfe, sehr frühe und täglich mehrfach durchgeführte Beingymnastik (Muskelpumpe)) zur Anwendung kommen. Eine fortgeschrittene diabetische Retinopathie mit retinalen Blutungen ist allerdings eine Kontraindikation gegen die Anwendung von Heparin. Als wirksamste Prophylaxe gegen das Pneumonierisiko ist die Atemgymnastik anzusehen. Sie sollte unbedingt bei gefährdeten Patienten bereits vor der Operation begonnen werden, damit die Patienten postoperativ die richtige Atemtechnik bereits beherrschen. Die Patienten müssen angehalten werden, auch ohne Hilfe einer Krankengymnastin mehrfach täglich atemgymnastische Übungen durchzuführen. Wegen der mechanischen Komponente der schlechteren Lungenfunktion ist — wo auch immer möglich — eine Frühmobilisierung anzustreben.
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148
H.-J. Quabbe
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Die Therapie des Diabetes mellitus in der perioperativen Phase Chr. Anger, Chr. Puchstein
Epidemiologie und Pathophysiologie Diabetes mellitus ist ein häufiges und potentiell bedrohliches Problem bei vielen Patienten, die zur Operation und Anästhesie anstehen. Die Prävalenz des Diabetes mellitus, der häufigsten Endokrinopathie überhaupt, liegt derzeit bei ca. 3% [16], wovon 10% auf den Diabetes Typ I entfallen (absoluter Insulinmangel), während der Anteil von Patienten mit Typ II Diabetes (relativer Insulinmangel — periphere Insulinresistenz) 85 — 90% beträgt [16]. Aufgrund der bekannten Polymorbidität der Diabetiker und der durch eine verbesserte Langzeittherapie steigenden Lebenserwartung stehen immer häufiger solche Patienten zur Operation an. Statistisch gesehen muß etwa jeder zweite Diabetiker mit einer operativen Behandlung rechnen. Dabei sind in 75% die Patienten älter als 50 Jahre [2], Bei dieser Patientengruppe muß perioperativ nicht nur mit allen den Komplikationen gerechnet werden, die auch Nichtdiabetiker treffen, sondern es kommen noch für die diabetische Grunderkrankung typische Komplikationen hinzu. Die postoperative Letalität liegt zwischen 3,6 und 13,2% und somit bis zu viermal höher als bei Stoffwechselgesunden [1, 3, 15]. Die häufigsten Ursachen dieser erhöhten Letalität sind Komplikationen des Herz-Kreislaufsystems und Infektionen [4, 13]. Die Entgleisung des KH-Stoffwechsels im Sinne einer Hyper- bzw. Hypoglykämie — obwohl die bekanntesten Symptome — stellt jedoch lediglich die Spitze des Eisbergs dar. Hinzu kommen vielmehr wesentliche Störungen des Protein- und Fettstoffwechsels sowie als Folge der Grunderkrankung hervorgerufene systemische Begleiterkrankungen. All diese Faktoren müssen in der perioperativen Phase berücksichtigt werden, da sie das Risiko von Anästhesie und Operation erheblich erhöhen. Pathophysiologisch wird zwischen dem Typ I, dem sogenannten juvenilen Diabetes, und dem Typ II, dem sogenannten Altersdiabetes, unterschieden (MOD = Maternity Onset Diabetes oder MODY Maternity Onset Diabetes in the Young): Beim Typ I Diabetes liegt ein absoluter Insulinmangel vor, der Typ II dagegen ist durch einen relativen Insulinmangel überwiegend auf dem Boden einer peripheren Insulinresistenz (Insulinrezeptordefekt als auch Insulinpostrezeptordefekt) bedingt. Ein Insulinmangel führt zu einer Umstellung des Stoffwechsels im Sinne einer erhöhten Proteolyse mit Glukoneogenese, und Lipolyse mit ß-Oxydation von Fettsäuren und Ketogenese. Die Glukoseverwertung ist gestört. Daraus folgen Hyperglykämie, Polyurie mit osmotischer Diurese, Elektrolytimbalancen, Dehydratation, Ketoazidose bzw. hyperosmolares Koma [11], (Tab. 1).
150 Tabelle 1
Chr. Anger, Chr. Puchstein Stoffwechselveränderungen durch Insulinmangel (aus [11])
Kohlenhydrate
Glukoseproduktion (durch Steigerung der Glyko genolyse und der Glukoneogenese) Hyperglykämie verminderte Glukoseutilisation
Fett
Eweiß
Lipolyse, daher vermehrt freie Fettsäuren
gestorte Verwertung
Ketose Ketoazidose
Lipoprotein Lipaseaktivität
Hypertriglyzeridämie
Glukoneogenese
Abbau von Zell(Muskel-)Eiweiß negative N-Bilanz
Proteinsynthese
Der juvenile Diabetiker wird mit einer entsprechenden Diät plus exogener Insulinsubstitution behandelt. Bei den Altersdiabetikern reicht entweder eine Diät, oder es sind zusätzlich orale Antidiabetika oder regelmäßige Insulingaben erforderlich. Mit dieser Behandlung kann der Stoffwechsel der meisten Patienten zufriedenstellend therapiert werden. Kommt es jedoch zu einer akuten Erkrankung, einem Trauma durch Unfall oder Operation, so wird dieses Stoffwechselgleichgewicht empfindlich gestört. Ursächlich daran beteiligt sind insbesondere die Hormone Adrenalin, Noradrenalin, Kortisol, Wachstumshormon und Glukagon, die mit ihrer antiinsulinären Wirkung eine katabole Reaktionslage herbeiführen. Die Wirkung des einzigen rein anabolen Hormons Insulin, dessen Sekretion in dieser Situation normalerweise eine Steigerung erfährt, kann wegen absoluten oder relativen Mangels nicht zum Tragen kommen. Werden während der akuten Streßphasen keine geeigneten therapeutischen Maßnahmen ergriffen, droht eine Entgleisung des Stoffwechsels (Tab. 2). Neben den Gefahren, die durch eine Dekompensation des Stoffwechsels drohen, bestehen noch solche, die durch die Progredienz der diabetischen Erkrankung entstehen und das Operations- und Narkoserisiko zusätzlich erhöhen. Dazu gehören die autonome Neuropathie, Atherosklerose, Mikroangiopathie und die erhöhte Infekträte.
Präoperative Maßnahmen Bei der präoperativen Beurteilung sind Ausmaß und Art der vorgesehenen Operation, sowie die Qualität der diabetischen Stoffwechselstörung von wesentlicher Bedeutung. Unverzichtbar sind wiederholte Blutglukosebestimmungen am besten als Tagesprofil,
Die Therapie des Diabetes mellitus in der postoperativen Phase Tabelle 2
151
Wichtige Stoffwechselwirkungen der insulinantagonistischen H o r m o n e (aus [11]) Direkte metabolische Wirkung
Beeinflussung der Insulinsekretion (IS) und der -empfindlichkeit (IE)
Folge
Glukagon
f Glykogenolyse Lipolyse
j IS
t BZ FFS
Noradrenalin, Norarterenol
t Glykogenolyse Lipolyse
J, IS
t BZ FFS
Kortisol
| Glukoneogenese
J, IE (durch Rezeptorbindung?)
t BZ
J. IS IE
t BZ
(FFS = freie Fettsäuren)
um die Stoffwechsellage zu kontrollieren. Die bei Diabetikern präoperativ zu beurteilenden Risiken hängen neben der H ö h e der Blutglukose vom A u s m a ß der d a m i t einhergehenden Veränderungen der O s m o l a l i t ä t im Plasma, des Serumkaliums u n d des Blutdrucks, sowie vom G r a d begleitender Spätschäden ab. Stets ist d a h e r p r ä o p e rativ eine gründliche physikalisch-klinische Untersuchung der Patienten, einschließlich einer genauen Kontrolle von Augenhintergrund, Blutdruck, EKG u n d T h o r a x r ö n t g e n , erforderlich. Die metabolische Situation ist zusätzlich d u r c h die Bestimmung der Serumelektrolyte, von Kreatinin u n d H a r n s t o f f , des Säure-Basen-Haushaltes, und dem N a c h w e i s von Glukose u n d K e t o n k ö r p e r n im Urin, zu erfassen [14]. In Notfallsituationen m u ß versucht werden, durch Z u f u h r von Insulin, Glukose u n d Elektrolyten den d e k o m p e n sierten Stoffwechsel zu behandeln [5]. 1. Eine H y p o g l y k ä m i e wird durch eine a d ä q u a t e exogene G l u k o s e z u f u h r verhindert oder therapiert, 2. eine Hyperglykämie, D e h y d r a t a t i o n , Elektrolytimbalance und Ketoazidose durch Z u f u h r von Insulin, Glukose und Elektrolyten [7, 9]. Bei allein diätetisch eingestellten Patienten ist zumeist bei kleineren Eingriffen in Allgemein- oder Lokalanästhesie keine besondere T h e r a p i e notwendig. Wiederholte Blutglukosebestimmungen sind allerdings erforderlich. Bei größeren Eingriffen ist unter U m s t ä n d e n eine Insulinsubstitution angezeigt. Patienten, die mit oralen Antidiabetika gut eingestellt sind, sollten diese bis zum letzten präoperativen Tag einnehmen. Für den O p e r a t i o n s t a g ist zu beachten, d a ß die W i r k u n g einiger Sulfonylharnstoffe recht lange ist u n d es intra- oder postoperativ zur H y p o g l y k ä m i e k o m m e n k a n n , insbesondere, da eine präoperative N a h r u n g s k a -
152
Chr. Anger, Chr. Puchstein
renz eingehalten werden muß. Es ist daher bei diesen Patienten sinnvoll, schon am Morgen des Operationstages eine Glukoseinfusion anzulegen. Eine gleichzeitige Insulintherapie bei mittleren und größeren Operationen ist bis zur ersten postoperativen Nahrungsaufnahme erforderlich und sinnvoll [7]. Patienten, die präoperativ schon mit Insulin behandelt werden, müssen perioperativ ebenfalls mit Insulin substituiert werden. Dies ist unabhängig von der Nahrungskarenz oder der Art des operativen Eingriffes notwendig. Gleichzeitig sollte eine Minimalmenge an Energie am besten als Glukose — etwa 250 g/d — zugeführt werden [6, 9, 10, 12]. Gut bewährt hat sich dabei die kontinuierliche Infusion einer Glukoselösung, der in Abhängigkeit von der Glukosekonzentration im Serum Insulin zugesetzt ist. Wie wir an eigenen Untersuchungen zeigen konnten, ist eine intravenöse Z u f u h r von 10 g Glukose/h zusammen mit 1 —4 IE reguläres Humaninsulin in der akuten perioperativen Phase einer intermittierenden subkutanen Injektion überlegen [9], (Tab. 3). Tabelle 3
Glukose
Therapieschema für die intravenöse Zufuhr von Glukose mit Insulin während der perioperativen Phase bei Patienten mit Diabetes mellitus 100 ml/h
Glukose 10% (mit Infusionspumpe) Blutglukose mg/dl
Alt-
1 IE/h
insulin
2 IE/h 3 IE/h 4 IE/h
360
Insulin wird zusammen mit der Glukose in einer Infusion verabreicht. Beginn der Therapie am Morgen des OP-Tages (Seltener am Abend vorher) Ende der Therapie bei oraler Nahrungsaufnahme.
Die Änderungen der Blutglukose sind wesentlich geringer ausgeprägt bei kontinuierlicher Infusion einer Gukose-Insulin-Lösung, als bei intermittierender, subkutaner Gabe von Insulin (Abb. 1). Auch bei den Ketonkörpern treten in der mit einer Glukose-Insulin-Infusion behandelten Patientengruppe wesentlich geringere Anstiege auf, die allesamt noch im Normbereich liegen, im Gegensatz zu der Patientengruppe mit subkutaner Insulingabe (Abb. 2). Dieses Therapiekonzept sollte bis zum Beginn der oralen Nahrungsaufnahme fortgeführt werden und kann im Bedarfsfall auch bei oral mit Sulfonylharnstoffen oder nur diätetisch eingestellten Patienten angewendet werden. Es ist geeignet für Eingriffe in Allgemein- und Lokal- bzw. Regionalanästhesie. Die Kontrolle und Anpassung der Therapie richtet sich nach den aktuellen Blutzuckerwerten, die am Operationstag intraoperativ alle 1 — 2 Stunden, postoperativ in 3 — 4stündigen Abständen und in der weiteren postoperativen Phase alle 4 — 6 Stunden bestimmt werden (Tab. 4).
Die Therapie des Diabetes mellitus in der postoperativen Phase
153
Abb. 1
Änderung der Blutglukosewerte (mg/dl) während der perioperativen Phase bei Patienten mit Diabetes mellitus, die Insulin zusammen mit Glukose intravenös als Dauerinfusion (low dose) 9 oder intermittierend subkutan O erhielten. Als Vergleich diente eine Patientengruppe ohne Diabetes mellitus • .
Abb. 2
Verhalten der Mittelwerte von ß-Hydroxybutyrat während der perioperativen Phase bei Patienten mit Diabetes mellitus, die Insulin zusammen mit Glukose intravenös als Dauerinfusion (n = 29) 9 oder intermittierend subkutan (n = 16) O erhielten. Als Vergleich diente eine Patientengruppe ohne Diabetes mellitus (n = 12) A< Die horizontalen unterbrochenen Linien verdeutlichen den Normbereich von ß-Hydroxybutyrat im Serum.
Tabelle 4
Laborkontrollen:
OP.-Tag: Blutglukose Serumelektrolyte alle weiteren postdperativen Tage: Blutglukose Serumelektrolyte
3 —4stündlich ¿stündlich östündlich 12stündlich
154
Chr. Anger, Chr. Puchstein
Postoperative Nachsorge D i e s o r g f ä l t i g e Ü b e r w a c h u n g des Patienten k a n n nicht unmittelbar n a c h B e e n d i g u n g d e r A n ä s t h e s i e a b g e b r o c h e n w e r d e n . G e r a d e d i e f r ü h e p o s t o p e r a t i v e P h a s e ist g e k e n n zeichnet durch Volumenverschiebungen
und hyper- oder h y p o t o n e Phasen.
Meist
steigt p o s t o p e r a t i v der Insulinbedarf an. Eine W e i t e r f ü h r u n g u n d A n p a s s u n g
der
p r ä o p e r a t i v b e g o n n e n e n G l u k o s e - I n s u l i n - T h e r a p i e s o w i e eventuell n o t w e n d i g e K o r rekturen des intravasalen Volumens, des S ä u r e - B a s e n - H a u s h a l t e s , s o w i e v o n Elektrolyten -
insbesondere von Kalium -
sind notwendig. Die M e n g e der postoperativen
Flüssigkeitstherapie m u ß sich dabei nach d e m renalen und k a r d i o v a s k u l ä r e n
Status
d e s P a t i e n t e n r i c h t e n [12]. Eine gründliche postoperative Überwachung während e r h e b l i c h zu e i n e r S e n k u n g d e r M o r b i d i t ä t
mehrerer T a g e kann
u n d Letalität dieser
daher
Patientengruppe
beitragen u n d sollte d a s Ziel n a c h jeder O p e r a t i o n a n diabetischen Patienten sein.
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Die Therapie des Diabetes mellitus in der postoperativen Phase
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Die präoperative Abschätzung des operativen Risikos aus ernährungsphysiologischer Sicht U. Brenner, J. M. Müller
Einleitung Die Mangelernährung als Risikofaktor in der Chirurgie findet in neuerer Zeit immer mehr Beachtung [5, 10]. Schon Studley [15] wies 1936 eine Korrelation zwischen dem Ausmaß des präoperativen Gewichtsverlustes und dem Anstieg der postoperativen Kliniksletalität nach. Während die Kliniksletalität nach Magenresektion wegen Ulkus pepticum bei Patienten, die präoperativ weniger als 15% ihres Körpergewichts verloren hatten, nur 3,6% betrug, erreichte sie bei einem präoperativen Gewichtsverlust von mehr als ein Viertel des Körpergewichts 100%. Solch drastische Veränderungen sind aber selten und machen weniger als 5% des Krankenguts aus [5]. Deshalb suchten in neuerer Zeit verschiedene Autoren (Tab. 1) nach Tests, die weniger ausgeprägte Fälle der Mangelernährung erkennen. Die grobe Methode der Körpergröße — Tabelle 1
Prospektiv geprüfte prognostische Indices zur präoperativen Erfassung von Risikopatienten
Mullen et al. [8, 9] PNI = 158 - 16,6 x Alb. - 0,78 x (TSF) - 0,2 x Transf. - 5,8 (DH) PNI ^ 40 -> H; PNI < 40 N Simms et al. [13] PI = 150 - 1,66 x Alb. - 0,78 x (TSF) - 0,53 TFeB PI g 40 H ; PI < 40 N Chir. Univ.-Klinik Köln [2] EI = 1,9579 - 0,0017 x IgM + 0,0188 x Präalb. - 0,0075 x C 3 + 0,003 x Chol. x RBP + 0,6636 x TBG EI g - 1,00 H ; EI = - 0 , 9 9 bis 1,00 -> M ; EI ^ 1,01 -> N
0,1858
Daly et al. [3] Alb. < 3,5 g % , Lympho. < 1020/mm 3 , neg. (DH) Score g 2 H; Score i 1 -» N Harvey et al. [6, 7] Alb. < 3,5 g % , Transf. < 130 m g % , neg. (DH) Score ^ 2 -> H ; Score g 1 -» N Merieux-Hauttest [12, 16] Score < 2 mm -» H; Score = 2 bis 5 mm
M ; Score > 5 mm -» N
H = hohes Op.-Risiko; M = mittleres Op.-Risiko; N = nicht erhöhtes Op.-Risiko; TSF = Triceps skinfold (Hautfaltendicke); D H = Delayed hyposensitivity (Hauttest); TFeB = totale Eisenbindungskapazität; RBP = Retinol-bindendes Protein; TBG = Thyroxin-bindendes Globulin
158
U. Brenner, J . M . Müller, M . Walter, P. Thul, H . W. Keller
Gewichtsrelation zusammen mit der Ernährungsanamnese wurden ergänzt durch anthropometrische, dynamometrische, biochemische und immunologische Methoden [1, 2, 5]. Da die meisten der gemessenen Parameter nur eines der Körperkompartiments erfaßten und damit eine ausreichende Beurteilung des Ernährungszustandes nicht möglich ist, haben zahlreiche Autoren (Tab. 1) empirisch, mit Scores oder mit Hilfe mathematischer Modelle (Indices) die verschiedenen ernährungsphysiologischen Parameter zusammengefaßt und unterschiedlich gewichtet. Man kann dabei zwischen mathematischen Modellen, die mit Hilfe einer Formel [2, 8, 9, 13] Patienten in Risikogruppen einteilen und Punktesystemen [3, 6, 7], die dasselbe durch die Gewichtung von Einzelbeobachtungen zu erreichen suchen, unterscheiden (Tab. 1). Ferner wurden über gute Erfahrungen mit einem Hauttest [12, 16] zur präoperativen Abschätzung des Immunstatus berichtet. In der klinischen Praxis erwiesen sich die doch sehr spezifischen Bestimmungsmethoden als nur bedingt übertragbar [1, 13]. So kamen einige Autoren erst dann zu ähnlich guten Ergebnissen, nachdem sie den geprüften Index eines anderen Aytors entsprechend modifiziert hatten [1, 13]. Ziel dieser Arbeit ist es, verschiedene Modelle zur präoperativen Einschätzung von Risikopatienten aus ernährungsphysiologischer Sicht prospektiv vergleichend auf ihre diagnostische Wertigkeit zu prüfen.
Methodik In die Studie aufgenommen wurden 246 konsekutiv operierte Patienten mit benignen und malignen Erkrankungen. Das einzige Auswahlkriterium zur Aufnahme in die Studie war die zu erwartende Größe des Eingriffs (Tab. 2). Es wurden Patienten berücksichtigt mit benignen und malignen Grundleiden, bei denen ein sogenannter großer allgemein-chirurgischer Eingriff mit Eröffnung eines Hohlorgans, der Gallen-
Tabelle 2
Krankengut der prospektiven Studie mit Angaben über die durchgeführten Eingriffe
Anzahl der Patienten 1.
2.
3.
Allg. chirurg. Eingriffe (ohne AVL)
n =
246
n =
166
Eröffnung eines Hohlorgans
(n =
80)
48%
„Gallenwege", parenchym. O r g a n e
(n = 36)
22%
Thorakotomie
(n =
14)
8%
kleiner bzw. peripherer Eingriff
(n = 36)
22% n =
Arterielles Verschlußleiden (AVL)
80
Transperitonealer Eingriff
(n = 41)
51%
E x t r a a n a t o m i s c h e r Bypass
(n = 39)
49% (n =
Karzinome (Untergruppe von 1.)
80)
Resezierender Eingriff
(n = 7 1 )
89%
Palliativer Eingriff
(n =
11%
9)
Abschätzung des postoperativen Risikos aus ernährungsphysiologischer Sicht
159
wege oder eine Thorakotomie geplant waren, sowie Patienten mit arteriellem Verschlußleiden der unteren Extremitäten, bei denen ein transperitonealer Eingriff oder ein extraanatomischer Bypass durchgeführt wurde. Anthropometrische Messungen und die Blutentnahme zur Bestimmung der erforderlichen Laborparameter (Tab. 3) erfolgte 5 Tage präoperativ. Der erforderliche Hauttest wurde ebenfalls am 5. präoperativen Tag mit einem Recall-Antigen-Multitest-System (Institut Merieux; Lyon) am linken Oberarm durchgeführt und 48 Stunden später abgelesen. Die Patienten wurden bezogen auf die Angaben des Herstellers* in anerg, hypoerg, normerg und hypererg quantifiziert.
Tabelle 3
Präoperativ erhobene Parameter zur prospektiven Prüfung der prognostischen Indices
Anthropométrie
Körpergröße, Körpergewicht, Gewichtsverlust 6 M o n a t e vor Kliniksaufnahme, Trizepshautfaltendicke,
Oberarmumfang,
Armmuskelumfang,
Handgriff-Dynamometrie Proteinstatus
Gesamteiweiß, Präalbumin, Albumin, Alpha-l-Globulin, Alpha-2-Globulin, Beta-Globulin, Retinol-bindendes Protein,
Thyroxin-bindendes-
Globulin, Fibrinogen, Transferrin, Cholinesterase Immunstatus
IgA, IgG, IgM, C 3 , C 4 , Lymphozyten, Recall-Antigen-Multitest (Hauttest des Institut M e r i e u x , Lyon)
Elektrolyte
N a t r i u m , Kalium, Chlor, Kalzium, Phosphat, Magnesium, Eisen
Verschiedene
Hämoglobin, H ä m a t o k r i t , Leukozyten, T h r o m b o z y t e n , Quick, T h r o m binzeit, P T T , BSG, Harnstoff, Harnsäure, Kreatinin, Bilirubin, G O T , GPT, alk. Phophatase, G a m m a - G T , Glyzeride, Cholesterin
Die prognostische Aussage der Indices und des Hauttests wurde auf die Zielgröße postoperative Komplikationen untersucht. Die als Zielgröße herangezogenen Komplikationen waren eindeutig definiert: Pneumonie, Wundheilungsstörung, Nahtinsuffizienz, Abszeß, Peritonitis, Kliniksletalität und wurden von einem Chirurgen durch tägliche Untersuchung des Patienten lückenlos dokumentiert. Die einzelnen Indices wurden streng nach den Angaben der Autoren [2, 3, 6 - 9 , 13, 14] ermittelt und mit der Häufigkeit des Auftretens p. op. Komplikationen in Beziehung gesetzt. Die Spezifität, Sensitivität und Validität wurden formuliert (Tab. 4) [4, 11], geprüft und mit der Prävalenz verglichen. Die Prävalenz ist ein Maß für die relative Häufigkeit des Auftretens von p. op. Komplikationen und beträgt in unserer Studie 2 6 , 8 % . Die einzelnen Methoden wurden mit der Ratewahrscheinlichkeit nach dem Münzwurfprinzip verglichen, bei dem die Patienten je zur Hälfte willkürlich der Risikogruppe bzw. den Gesunden zugeordnet werden [4].
* (1984) Wissenschaftlicher Informationsdienst Institut M e r i e u x G m b H , Mühlenweg Norderstedt
131,
2000
160
U. Brenner, J . M . Müller, M . Walter, P. T h u l , H . W . Keller
Tabelle 4
E n t s c h e i d u n g s m a t r i x zur Beurteilung v o n Tests zur p r ä o p e r a t i v e n E i n s c h ä t z u n g des o p e r a tiven R i s i k o s [4, 11]
p r ä - o p . Ein-
p. o p . K o m p l i k a t i o n e n
Schätzung
ohne
E mit
ohne Kompl.
a
c
a +
mit Kompl.
b
d
b +
d
E
a +
a +
b +
Spezifität Sensitivität Validität Effektivität Prävalenz
b
c +
d
a / ( a + b); Fähigkeit, Patienten
ohne erhöhtes
c
Op.-Risiko
c +
d
als solche
zu
Pi
=
P2
=
d/(c +
d); Fähigkeit, Patienten mit e r h ö h t e m O p . - R i s i k o zu erkennen.
P3
=
c/(a
c ) ; Fehler, Patienten- mit e r h ö h t e m O p . - R i s i k o als solche nicht zu
P4
=
Po
=
entdecken.
+
erkennen. (a + d ) / ( a + b + c + d); relative Häufigkeit der richtigen Testentscheidungen. (c +
d)/(a
+
b +
c +
d ) ; relative H ä u f i g k e i t des Auftretens v o n p. o p .
Komplikationen.
Ergebnisse Der prospektive Vergleich der mathematischen Modelle, der Prognostic Nutritional Index von Müllen [8, 9, 14] und Simms [13] und des eigenen Ernährungsindex [2] ergab folgende Ergebnisse. Die diagnostische Aussagekraft des PNI von Müllen [8, 9 , 1 4 ] konnten wir in der prospektiven Studie an unserem Krankengut nicht bestätigen. Von den 246 Patienten wurden mittels Mullen-PNI 54 als Risikopatienten und 192 als risikofrei eingestuft (Abb. 1). In der Gruppe mit dem als erhöht eingestuften Risiko betrug die Komplikationsrate 2 6 % , die Todesrate 6 % ; in der Gruppe ohne erhöhtes Op.-Risiko betrug die Komplikationsrate 2 7 % , die Todesrate 2 % (Abb. 1). Auffällig ist die im Vergleich zu Mullens [8, 9, 14] Ergebnissen hohe Zahl, der als nicht mangelernährt eingestuften Patienten. Eine Gruppe mit mittlerem Op.-Risiko aus ernährungsphysiologischer Sicht ließ sich nicht bilden, eine diagnostische Aussage des PNI auf das Op.-Risiko nicht nachweisen. Zu im Vergleich noch schlechteren Ergebnissen kamen wir bei der Überprüfung des Simms-PI (Abb. 1) [13]. 22 Patienten wurden der Risikogruppe zugeordnet mit einer Komplikationsrate von 14% und einer Todesrate von 5 % , 224 Patienten wurden als risikofrei eingestuft mit einer Komplikationsrate von 28% und einer Todesrate von 3% (Abb. 1). Der Ernährungsindex (EI) der Chir. Univ.-Klinik Köln [2] erlaubte die Zuordnung der 246 Patienten in 3 Risikogruppen (Abb. 2). 47 Patienten hatten ein hohes operatives Risiko, die Komplikationsrate betrug 3 6 % , die Kliniksletalität 2 % ; 140 Patienten hatten ein mäßig erhöhtes Operationsrisiko, die Komplikationsrate betrug 2 6 % , die Kliniksletalität 3 , 6 % . Bei 59 Patienten ohne erhöhtes operatives Risiko aus ernährungsphysiologischer Sicht war die Komplikationsrate 2 2 % , die Kliniksletalität 1,7%. Es bestand lediglich ein signifikanter Unterschied (p < 0,05) in der Einschätzung des Op.-Risikos in der Gruppe mit erhöhtem (EI < — 1,00) und nicht erhöhtem Risiko (EI > + 1,01).
A b s c h ä t z u n g des p o s t o p e r a t i v e n R i s i k o s a u s e r n ä h r u n g s p h y s i o l o g i s c h e r Sicht
MÜLLEN et al. n.246 Patienten (%)
SIMMS et al.
• Komplikationen (%) n*66 Todesfalle (%) n . 7
(
161
• Komplikationen (%) n « 6 6 Todesfälle (%) „ . 7
n.246 Patienten (%)
80
I
Fl i
&
¿40 Abb. 1
40
1,5 mg%
ZNS: Bewußtseinsstörung Letalität * Universitätsklinikum Charlottenburg, Berlin Chirurgische Universitätsklinik Hamburg
72 = 22%
159 = 11%
131 = 39%
289 = 2 0 %
80 = 24% 129 = 38%
116 =
8%
245 = 17%
100%
Alter als Risikofaktor - Analyse und Bewertung
181
[12] aufmerksam. Bei den alten Patienten besteht dabei die Tendenz, daß nach den ersten Komplikationen beinahe zwangsläufig noch weitere Komplikationen folgen, so daß es schließlich zum multiplen Organversagen kommt. Baue [2] nennt dies 1975 „multiple progressive or sequential systems failure". Eiseman [7] beschreibt 1977 den Entwicklungsgang bildhaft als physiologischen „Domino-Effekt". Die Letalitätsraten des eigenen Patientengutes steigen sprunghaft von 8,7% bei Patienten mit nur einer postoperativen Komplikation auf 40,8% mit zwei Komplikationen und schließlich 76% mit drei postoperativen Komplikationen. Bei vier und mehr Komplikationen lag die Letalitätsrate um 100%. Die Folgerungen der meisten Autoren [4, 6, 7, 8, 11, 13, 14, 15, 21] münden in der Forderung nach intensiven prophylaktischen Maßnahmen zur exakten Diagnostik und Verbesserung des präoperativen Patientenstatus.
Intensive Operationsvorbereitung Auch wenn die Quantität der Operationsvorbereitung nicht immer gleichzusetzen ist mit der Qualität, so ist doch eine Gegenüberstellung der Operationsvorbereitungszeit bei den alten Patienten mit der Letalität von Interesse. Eigene Patienten im Alter über 70, die innerhalb der ersten 24 Stunden nach Kliniksaufnahme notfallmäßig operiert werden mußten, hatten eine Letalität von 38%. Die Letalität senkte sich bei Vorbereitungszeiten zwischen 2 und 7 Tagen über 23 auf 15%. Diese auf den ersten Blick sehr lang erscheinende Vorbereitungszeit hat ihre Ursache sicherlich wiederum in der verminderten Anpassungsfähigkeit der alten Patienten an eine so fremde Umgebung wie das Krankenhaus. Diese Zeit muß intensiv für krankengymnastische Übungen und hyperkalorische Ernährung genutzt werden.
Präoperative Risikoeinschätzung Zusammen mit der intensiven Operationsvorbereitung hat sich auch für die alten Patienten in der eigenen Klinik ein Score bewährt, um präoperativ das Operationsrisiko abzuschätzen. Dieser Score (Tab. 5) wird vor jeder Anmeldung zur Operation ausgefüllt und den Befunden beigefügt. Die Patienten werden danach in drei Risikogruppen eingeteilt. Zur Risikoeinschätzung werden 16 einfache Parameter erfaßt: Alter der Patienten, Dauer der geplanten Operation, Art der Operation, Allgemeinzustand und anderes. Von den Laborbefunden finden arterielle Blutgasanalyse, der Hämoglobinwert, das Serum-Kreatinin, Gesamt-Eiweiß und Kalium Berücksichtigung. Patienten in der niedrigsten Risikogruppe (bis 18 Punkte) erscheinen ohne weitere Vorbereitung operabel. Patienten in der mittleren Risikogruppe (bis 20 Punkte) sollten, wenn möglich, erst noch intensiv präoperativ vorbereitet werden. Patienten, die trotz intensiver präoperativer Therapie in der dritten Risikogruppe (21 und mehr Punkte) verbleiben, sollten nur in Ausnahmefällen für eine elektive Operation in Frage kommen.
182 Tabelle 5
E. Kraas Checkliste zur präoperativen Risikoeinschätzung. Krhs. Moabit, I. Chirurgische Abteilung
Diagnose: Name:
Datum: Größe:
Gewicht:
1 Punkt
2 Punkte
3 Punkte
Alter
bis 70
70-80
über 80
Biolog. Alter
jünger
entspr.
älter
Allgemeinzustand
gut
entspr.
schlecht
Händedruck
stark
mittel
schwach
Alkohol
kein
regelmäßig
Abusus
Operationsart
elektiv
dringlich
Not-OP
Geplante OP-Zeit
verwirrt
somnolent
3h
o.B.
Rhythmusstörungen
Infarkt/Insuffizienz
o.B.
Path. Rö.-Thorax
Path. Rö.-Thorax p 0 2 art.
12
9-12
< 9
Ges.Eiweiß g%
> 6
4,5-6
< 4,5
Kalium i.S. m Val/1
> 4
3-4
< 3
Anamnesedauer
< 3 Mon.
< 12 Mon.
>
60
> 2,5
12 Mon.
1 6 - 1 8 Punkte Patient operabel 19 — 20 Punkte Patient operabel nach präoperativer Therapie > 20 Punkte Patient nur für Palliativmaßnahmen geeignet
Postoperative Intensivüberwachung und Therapie Neben der intensiven Operationsvorbereitung besteht bei alten Patienten postoperativ die Notwendigkeit, möglichst frühzeitig erforderlich werdende intensivmedizinische Maßnahmen zu ergreifen. Dies beginnt mit der Intensivüberwachung der Alterspatienten in den ersten 48 Stunden post operationem. In dieser Phase sind die Patienten in hohem Alter besonders vulnerabel. Nach Palmberg und Hirsjärvi [18] entwickeln sich in diesem Zeitabschnitt bereits 25% aller postoperativen Todesfälle. Die kritische Analyse der frühen postoperativen Todesfälle offenbart in wenigen selbstkritischen Veröffentlichungen eine hohe Rate an vermeidbaren Behandlungsfehlern. Ryan [21] gibt bei dem von ihm untersuchten Patientengut an, daß 50% der Verstorbenen zu spät diagnostiziert bzw. operiert wurden. Auch Marx [15] und Del Guericio [6] zeigen ebenso wie die Beurteilung des eigenen Patientengutes, daß etwa die Hälfte der Todesursachen durch Fehleinschätzung bedingt sind. Ein Drittel bis 4 0 % sind durch das unheilbare Grundleiden bzw. Operation und Narkose bestimmt. Zukünftige Aufgabe muß es sein, diese Zahlen durch gezielte präoperative Diagnostik und Therapie sowie intensive postoperative Betreuung zu verbessern.
Alter als Risikofaktor - Analyse und Bewertung
183
Literatur [1] Angaben des Statistischen Bundesamtes. Allgemeine Sterbetafeln, Wiesbaden. [2] Baue, A. F.: Multiple progressive or sequential systems failure. Arch. Surg. 110 (1975) 7 7 9 781. [3] Blake, R., J. Lynn: Emergency abdominal surgery in the aged. Br. J. Surg. 6 (1979) 7 6 1 - 7 7 0 . [4] Bonus, R. L., J. M . Dorsey: Major surgery in the aged patient. Arch. Surg. 90 (1965) 95 - 96. [5] Davies, F., W. Shock: Age changes in glomerular filtration rate effective renal plasma flow, and tubular excretory capacity in adult males. J. Clin. Invest. 29 (1950) 496 [6] Del Guericio, L. R. M., J. D. Cohn: Monitoring operative risk in the ei Jerly. JAMA 13 (1980) 1350-1355. [7] Eiseman, B., R. Beart, L. Norton: Multiple organ failure. Surg. Gynecol. Obstet. 144 (1977) 323. [8] Goldman, L.: Multifactorial index of cardiac risk in noncardiac surgical procedures. N. Engl. J. Med. 297 (1977) 8 4 5 - 8 5 0 . [9] Greenburg, A. G.: Mortality and gastrointestinal surgery in the aged. Arch. Surg. 116 (1981) 788-791. [10] Griffiths, J. M . T.: Surgical policy in the over-seventies. Geront. Clin. 14 (1972) 282 — 296. [11] Heberer, G., J. Witte (Hrsg.): Chirurgie im hohen Lebensalter, perimed Fachbuch Verlagsgesellschaft, Erlangen 1982. [12] Haug, Ch. A., W. A. Dale: M a j o r surgery in old people. Arch. Surg. 64 (1952) 4 2 1 - 4 3 7 . [13] Kern, E., K. Eyrich, H . Hornborstel et al.: Kriterien der Operabilität: aus chirurgischer, anästhesiologischer, internistischer und neurologisch-psychiatrischer Sicht. Chirurg 51 (1980) 129-149. [14] Kraas, E., R. Schwermann, T. Henneberg: Alter als Risikofaktor beim chirurgischen Eingriff: Gibt es verbindliche Grenzen? Langenbecks Arch. Chir. 361 (1983) 255 — 261. [15] M a r x , G. F., C. V. Mateo, L. R. Orkin: Computer Analysis of Postanesthetic Deaths. Anesthesiology 1 (1973) 5 4 - 5 8 . [16] Meister, R.: Störungen der Atemfunktion im Alter. Dtsch. Ärzteblatt 49 (1981) 2 3 3 1 - 2 3 4 0 . [17] Moorthy, A. V., S. W. Zimmermann: Renal disease in the elderly: Clinicopathologic analysis of renal disease in 115 elderly patients. Clin. Nephrol. 14 (1980) 223. [18] Palmberg, S., E. Hirsjärvi: Mortality in geriatric surgery. Gerontology 25 (1979) 103 — 112. [19] Parsons, W. H „ W. K. Purks: T h e elderly patient as a surgical risk. Arch. Surg. 58 (1949) 8 8 8 905. [20] Rehn, I. (Hrsg.): Der alte Mensch in der Chirurgie. Springer, Berlin — Heidelberg — New York 1979. [21] Ryan, F.: Surgery for abdominal emergencies. Geriatrics 2 (1960) 73 — 89. [22] Zumfelde, L., J. Rivas, H . J. Wüst: Das pulmonal-respiratorische Risiko des alten Patienten nach thorakalen und abdominalen Eingriffen. In: Der alte Mensch in der Chirurgie (Hrsg. J. Rehn). Springer, Berlin - Heidelberg - New York 1979.
Risikofaktor Lebensalter L. Braun, F. Brohl
Einleitung Unbestritten bedeutet zunehmendes Lebensalter ein erhöhtes Risiko für jeden operativen Eingriff. Als Ursachen gelten verminderte Leistungsreserven des alternden Organismus, Multimorbidität, das gehäufte Auftreten fortgeschrittener und komplizierter Leiden, welche dementsprechend risikoreichere Operationen bedingen, sowie in vielen Fällen die herabgesetzte Fähigkeit zur Mitarbeit des Patienten nach der Operation. Selbstverständlich bestehen in der Belastbarkeit von Individuum zu Individuum erhebliche Unterschiede, so wie dies augenscheinlich ja auch im äußeren Aspekt verschiedener gleichaltriger Menschen, ihrer intellektuellen und geistigen Fähigkeiten sowie ihrer körperlichen und sportlichen Leistungsfähigkeit erkennbar wird.
Eigene Untersuchungen Um zu ermitteln, ob die Risikosteigerung in der Chirurgie mit zunehmendem Lebensalter quantifizierbar ist, wurden 1985 anhand einer prospektiven Untersuchung in der Chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses Detmold alle über 40jährigen Patienten hinsichtlich ihrer Risikofaktoren und der postoperativen Komplikationen und Ergebnisse analysiert, bei denen eine mittlere oder größere Operation durchgeführt wurde. Bei allen Patienten wurden präoperativ, am 3. und am 8. postoperativen Tag Röntgenuntersuchungen der Thoraxorgane, Elektrokardiogramme sowie Laborwerte ausgewertet. Falls diese Untersuchungen Hinweise auf eine eingetretene Komplikation ergaben, erfolgten dementsprechend weiterführende Untersuchungen (Venographie bei Verdacht auf Thrombose, Lungenperfusionsszintigramm bei vermuteter Lungenembolie u. s. f.). Untersucht wurden insgesamt 1575 Patienten. Am häufigsten waren Eingriffe an den Gallenwegen, Herniotomien, Gefäßoperationen sowie Operationen an Darm, Schilddrüse und Magen. Unter der Gruppe der Laparotomien werden Eingriffe an Pankreas und Milz, unter den Thorakotomien Operationen an Lungen und Ösophagus bzw. Zwerchfell zusammengefaßt (Tab. 1). Das mittlere Lebensalter aller Patienten betrug 64,8 Jahre. Das höchste Durchschnittsalter wurde bei den amputierten Patienten, das niedrigste bei den an der Schilddrüse Operierten gemessen (Tab. 2). In Tabelle 3 sind die Häufigkeit postoperativer Komplikationen und die Operationssterblichkeit innerhalb von 30 Tagen nach dem Eingriff in Abhängigkeit vom Lebens-
186
L. Braun, F. Brohl
Tabelle 1
Krankengut
Operationen
n
Galle Hernie Arterien Darm Schilddrüse Magen . Laparotomie Thorakotomie Amputation Mamma-Amputation
329 315 272 207 169 145 46 37 36 19
20,9 20,0 17,3 13,1 10,7 9,2
1575
100,0
insgesamt
Tabelle 2
%
2,9 2,3 2,3 1,2
Mittleres Lebensalter
Operation
n
Mittleres Lebensalter (Jahre)
Amputation Darm Mamma-Amputation Laparotomie Arterien Magen Galle Hernie Thorakotomie Schilddrüse
36 207 19 46 272 145 329 315 37 169
73,0 71,8 70,9 67,6 65,6 65,5 63,6 63,3 62,1 56,4
1575
64,8
insgesamt
Tabelle 3 Lebensalter (Jahre) 40-49 50-59 60-69 70-79 80-89 90-99 insgesamt
Postoperative Komplikationen und Operationssterblichkeit Patienten n
%
Komplikationen n %
Op-Letalität n
9,4 15,3 20,3 27,7 34,5 25,0
3 6 12 33 28 6
1,3 1,8 3,0 7,5 18,9 37,5
21,1
88
5,6
235 333 403 440 148 16
14,9 21,1 25,1 27,9 9,4 1,0
22 51 82 122 51 4
1575
100,0
332
%
Risikofaktor Lebensalter
187
alter dargestellt. Erwartungsgemäß steigen sowohl die Komplikationen als auch die Operationsletalität mit zunehmendem Alter kontinuierlich und deutlich an. Dieser Anstieg der Operationsletalität wird nicht bei allen untersuchten Krankheitsgruppen gleichermaßen deutlich. Insbesondere bei den Thorakotomien und Amputationen sowie Laparotomien läßt sich diese Abhängigkeit nicht nachweisen (Tab. 4). Dagegen zeigen die übrigen Eingriffe einen dem Lebensalter parallelen Risikoanstieg. Tabelle 4
Operationssterblichkeit
Lebensalter Mamma- Thora- Amputa- Laparo-• Hernie Ampukotomie tion tomie tation (Jahre) % % % % %
Struma Magen
Darm
Galle
Arterien
%
%
%
%
%
40-49 50-59 60-69 70-79 80-89 90-99
0 0 0 0 0 0
25,0 40,0 0 0 0
0 0 12,5 0 27,3 0
0 20,0 0 10,5 66,7
0 0 0 1,3 4,5 0
0 0 0 7,7 33,3
9,1 27,3 27,3
insgesamt
0
10,8
11,1
17,4
0,6
1,2
11,0
4,5 2,7
0 0 8,5 5,8 20,9 33,3
0 0 0 5,4 9,1 50,0
0 1,8 5,6 15,5 15,4 66,7
9,2
2,4
9,2
Der Anteil weiblicher Patienten nimmt mit zunehmendem Lebensalter von 45,1 auf 62,5% zu (Tab. 5). Ebenso steigt der mittlere systolische Blutdruck an. Während bei den unter 49jährigen Patienten präoperativ lediglich in 12,9% ein pathologisches EKG beschrieben wurde, finden sich bei den über 90jährigen in jedem EKG krankhafte Abweichungen von der N o r m . Die Inzidenz des Diabetes mellitus steigt altersabhängig von 5,1 bis auf 23,6% im 9. Lebensjahrzehnt an. Insgesamt waren 1,8% der Patienten zum Zeitpunkt der Operationen Träger eines Herzschrittmachers. Während keiner der unter 60jährigen Patienten einen Pacemaker trug, erhöhte sich der Anteil bei den über 90jährigen auf 18,8%. Überraschend deutlich verringert sich der Anteil rauchender Patienten von 48,3% im 5. bis auf minimal 10,1% im 9. Lebensjahrzehnt. Tabelle 5
Präoperative Befunde Patholog. EKG %
Diabetes mellitus %
PacemakerTräger %
Nikotin
(Jahre)
Anteil weibl. Systolischer Patienten Blutdruck mmHg %
40-49 50-59 60-69 70-79 80-89 90-99
45,1 41,7 49,9 51,6 56,8 62,5
126 131 138 134 140 140
12,9 28,5 24,5 75,1 82,8 100,0
5,1 7,0 13,1 16,3 23,6 20,0
0 0 0,7 3,2 5,4 18,8
48,3 41,1 32,3 17,4 10,1 13,3
insgesamt
48,7
135
43,9
12,6
1,8
30,0
Lebensalter
%
188
L. Braun, F. Brohl
Die Häufigkeit der klinisch, röntgenologisch oder labortechnisch nachgewiesenen postoperativen Komplikationen wird in den Tabellen 6 bis 8 dargestellt. Dabei findet sich eine deutliche Beziehung zwischen Lebensalter und Auftreten von Komplikationen beim Apoplex, bei der postoperativen Niereninsuffizienz, dem Ileus und der Notwendigkeit einer Reoperation, der venösen Thrombose und — in etwas geringerem Ausmaß — bei den Wundheilungsstörungen und der Pneumonie (Tab. 6). Tabelle 6 Lebens-
Postoperative Komplikationen Apoplex
alter (Jahre)
Nieren-
Ileus
insuffizienz
%
%
%
Reopera-
Throm-
Wund-
Pneu-
tion
bose
heilungs-
monie
%
%
störungen
%
%
40-49
0
0
0
2,1
0,4
3,0
0,4
50-59
0
0,6
0
3,3
0,6
8,4
0,6 0,2
60-69
1,0
1,7
0,2
4,5
0,5
8,4
70-79
0,9
2,0
0,9
6,8
0,9
10,0
1,8
80-89
2,0
3,4
1,4
1,4
10,1
2,0
90-99
6,3
6,3
6,3
6,1 12,5
6,3
0
insgesamt
0,8
1,5
0,5
4,8
0,8
8,1
0 1,0
Nicht so eindeutig können Beziehungen zwischen Komplikationshäufigkeit und Lebensalter bei Anastomoseninsuffizienz, Gerinnungsstörungen, Wunddehiszenz, postoperativem Ikterus oder Streßulkusblutung nachgewiesen werden. Der postoperative Myokardinfarkt zeigt einen Häufigkeitsgipfel im 7. Lebensjahrzehnt mit 1,5% (Tab. 7). Keine Abhängigkeit zwischen Lebensalter und Häufigkeit von Komplikationen findet sich bei Lungenembolie, Abszeßbildung, Auftreten einer Sepsis oder temporärer Verwirrtheitszustände und bei den übrigen seltenen Komplikationen (Tab. 8). Tabelle 7 Lebensalter
Postoperative Komplikationen Anastomosen-
Gerinnungs-
Wunddehis-
insuffizienz
störungen
zenz
(Jahre)
%
40-49
0,9
50-59
1,8
60-69
1,5
70-79
%
Ikterus
Streß-
Myokard-
ulkus
infarkt
%
%
0
0
0,4
0
0
0,3
0
0,3
0
0,3
0,2
0,2
1,0
0,7
1,5
1,6
0,5
0,9
0,2
0,2
1,0
80-89
3,4
1,4
0,7
2,0
1,4
0,7
90-99
0
0
0
0
0
0
insgesamt
1,5
0,4
0,4
0,6
0,4
1,1
%
%
Risikofaktor Lebensalter Tabelle 8
189
Postoperative Komplikationen
Lebensalter
Lungen-
Abszeß
Sepsis
embolie
Verwirrt-
Sonstiges
heitszustände
(Jahre)
%
%
%
%
%
40-49
2,1 0,6
0,4 0
0,4
0
1,3
0
0,3
1,5
0,5
0,2
0
1,0
70-79
1,2 2,0
0,9
0,5
0,2
80-89
2,0
0
0
90-99
0
0,7 0
0
0
1,8 2,0 0
insgesamt
1,5
0,5
0,3
0,1
1,5
50-59 60-69
Diskussion Unsere Untersuchungen zeigen deutlich, daß die Häufigkeit postoperativer Komplikationen und die Operationssterblichkeit mit zunehmendem Lebensalter ansteigen. Dies gilt für nahezu alle operativen Eingriffe und wird bedingt durch den Anstieg präoperativ bestehender Risikofaktoren wie Hypertonie, koronare Herzerkrankung, Diabetes mellitus, Einschränkung der Lungen-, Nieren- und Leberfunktionen. Dementsprechend finden sich postoperativ im höheren Lebensalter gehäuft Komplikationen infolge verminderter Reserven von Herz, Kreislauf, Nieren, Leber und Stoffwechsel. Die deutlichste Abhängigkeit zwischen fortgeschrittenem Alter und Komplikationshäufigkeit besteht beim Apoplex, bei der postoperativen Niereninsuffizienz, bei Wundheilungsstörungen, Thrombose und Pneumonie. Die Häufigkeit des postoperativen Ileus beim alten Menschen wird im wesentlichen durch die fortgeschritteneren Krankheitsstadien und die erforderlichen größeren operativen Eingriffe bedingt. Erstaunlich ist, daß der postoperative Myokardinfarkt im untersuchten Krankengut im 5., 6. und 7. Lebensjahrzehnt einen kontinuierlichen Anstieg zeigt, dann jedoch deutlich mit zunehmendem Alter absinkt. Dies könnte darin begründet liegen, daß Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung im allgemeinen das 9. und 10. Lebensjahrzehnt nicht erreichen. Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse ermöglichen es, präoperativ das Risiko eines bestimmten operativen Eingriffes in Abhängigkeit von Lebensalter und vorbestehenden Risikofaktoren einschätzen und somit das Für und Wider der vorgesehenen Operation besser abwägen zu können. Die möglichst genaue Kenntnis des Operationsrisikos ist auch eine wesentliche Grundlage für das Gespräch mit dem Patienten und seinen Angehörigen.
Chirurgie im hohen Alter — ein kalkulierbares Risiko? P. Sungler, H. W. Waclawiczek, O. Boeckl
Einleitung In diesem J a h r h u n d e r t h a b e n die E r h ö h u n g der durchschnittlichen L e b e n s e r w a r t u n g , die A u s w i r k u n g e n zweier Weltkriege und eine m e d i k a m e n t ö s e G e b u r t e n r e g e l u n g zu beträchtlichen Verschiebungen in u n s e r e m B e v ö l k e r u n g s a u f b a u g e f ü h r t . W ä h r e n d u m 1900 der Anteil der über 65jährigen noch 4 , 9 % betrug, d r o h t heutzutage die A l t e r s p y r a m i d e mit einem Anstieg der über 65jährigen auf u n g e f ä h r 15% und einer A b n a h m e der Jugendlichen auf 2 8 % u m z u k i p p e n [1], Dieser Wandel hat auch erhebliche medizinische P r o b l e m e mit sich gebracht: W ä h r e n d noch bis in die M i t t e der Fünfziger J a h r e eine O p e r a t i o n größeren A u s m a ß e s bei Patienten im hohen Alter nur unter dringlicher, vitaler Indikation als erlaubt angesehen w u r d e , sind diese heute infolge Verbesserung der chirurgischen Techniken, aber vor allem der N a r k o s e v e r f a h ren wie a u c h der perioperativen Intensivmedizin keine Seltenheit mehr. In einer retrospektiven Studie haben wir versucht, uns kritisch mit den speziellen Problemen der Alterschirurgie bezüglich O p e r a t i o n s i n d i k a t i o n bzw. -taktik und adäquater, perioperativer B e h a n d l u n g auseinanderzusetzen.
Patientengut und Methodik Von A u g u s t 1983 bis A u g u s t 1986 ( = 3 J a h r e ) w u r d e n i n s g e s a m t 477 Patienten der I. Chirurgischen Abteilung der L a n d e s k r a n k e n a n s t a l t e n S a l z b u r g mit einem Alter über 75 J a h r e operativ behandelt; der Beginn dieser retrospektiven Studie w u r d e mit A u g u s t 1983 d e s h a l b g e w ä h l t , weil uns seit dieser Z e i t neben den Frischoperiertenzimmern und der Intensivstation der A n ä s t h e s i o l o g i s c h e n Abteilung zusätzlich eine chirurgische W a c h s t a t i o n mit 5 Betten zur V e r f ü g u n g steht, w o d u r c h einer a d ä q u a t e n perioperativen B e h a n d l u n g R e c h n u n g getragen werden k a n n . Bei d e m Patientengut handelte es sich u m 166 M ä n n e r ( 3 4 , 8 % ) und 311 F r a u e n ( 6 5 , 2 % ) . D a s Durchschnittsalter betrug 79,6 J a h r e ; 5 6 , 9 % der Fälle waren zwischen 75 u n d 80 J a h r e alt, 3 8 , 1 % zwischen 80 und 90 s o w i e k n a p p 5 % über 90. H a u p t i n d i k a t i o n e n für die operativen E i n g r i f f e waren T r a u m e n ( 2 4 , 3 % ) , a b d o m i n e l l e Ursachen ( 4 0 , 8 % ) und B a u c h w a n d h e r n i e n ( 1 4 , 4 % ) . In einem Viertel der Fälle (n = 116) mußte a k u t (innerhalb weniger Stunden nach H o s p i t a l i s i e r u n g ) operiert werden. Weiter lagen in 2 3 , 2 % M a l i g n ó m e ( M a m m a , H a u t , G a s t r o i n t e s t i n a l t r a k t etc.) vor (Tab. 1).
192 Tabelle 1
P. Sungler, H. W. Waclawiczek, O. Boeckl Operative Eingriffe bei 477 Patienten, älter als 75 Jahre; I. Chirurgie, LKA Salzburg, 1983-1986 Eingriffe
OP-Indikation
n
%
Trauma
116
24,3
Abdomen
195 42
40,8 8,8
10
32
52
10,9
11
41
3
9
1,8 4,8
4
5
5
23
2,5
12
— Magen — Gallenwege — Pankreas — Dünndarm
akut 9
elektiv (7,7%)
107 (92,3%)
86 (44,1%)
109 (55,9%)
Malignom -
66(33,8%) 25
— Appendix
23 12
— Dickdarm
57
11,9
26
Hernie
69
14,4
15 (27,9%)
Struma
15
3,1
-
15
Mamma
25
5,2
-
25
22 (88,0%)
Haut
24
5,0
-
24
22 (91,7%)
8
1,6
5
3
-
25
5,2
1
24
-
477
100,0
Abszeß Sonstiges Gesamt
116 (24,3%)
-
-
-
-
31
54(72,1%)
361 (75,7%)
33 -
1
111 (23,2%)
In 22% der Fälle lagen neben dem Grundleiden eine, in 28,3% zwei und in 39,3% drei bzw. mehrfache Begleiterkrankungen vor; dabei handelte es sich vor allem um Pathologien von Seiten des Herzkreislaufes (74%), der Lunge (23%) und des Stoffwechsels (11,1%). Über 98% der Fälle wurde in Allgemein- bzw. Regionalanästhesie operiert. Perioperativ standen die Patienten auf der chirurgischen Wachstation oder Intensivstation in Behandlung. Mit wenigen Ausnahmen (struma-, mamma-, hautchirurgische Eingriffe) erfolgte prinzipiell das Anlegen von zentralvenösen und Harnblasenkathetern, eine bilanzierte Infusionstherapie mit Ausgleich der Elektrolyt-, Säure- und Basenhaushaltsstörungen, eine perioperative Antibiotikatherapie (bei Elektiveingriffen prophylaktisch), eine Streßulkusprophylaxe mit H2-Rezeptorenblockern und eine Low-doseHeparinisierung mit 2 x 5000 E/d zur Thromboseprophylaxe. Weitere Maßnahmen waren eine intensive physikalische Therapie mit frühzeitiger Mobilisierung, exakte Bronchialtoilette (auch endoskopisch) und wenn nötig eine postoperative Respiratortherapie bzw. Dialysebehandlung; grundsätzlich wurden die Patienten nach größeren Eingriffen erst mehrere Stunden nach Normalisierung der Blutgaswerte extubiert.
Ergebnisse 1. Ein komplikationsloser, postop. Verlauf-war in 74,9% der Fälle (n = 358) gegeben, und zwar bei den Akuteingriffen in 67,2% und bei den Elektivoperationen in 82,2%.
Chirurgie im hohen Alter 2 . Beherrschbare 17,6%
chirurgische
bzw.
internistische
ein kalkulierbares Risiko?
193
l a g e n in i n s g e s a m t
Komplikationen
(n = 8 4 ) v o r . A u f g e s c h l ü s s e l t n a c h A k u t - b z w . E l e k t i v e i n g r i f f e n b e t r u g d i e s e
R a t e 1 6 , 6 b z w . 1 8 % ; v o r w i e g e n d h a n d e l t e es sich d a b e i u m c h i r u r g i s c h e K o m p l i k a t i o n e n (n = 5 7 ) , w i e W u n d h e i l u n g s s t ö r u n g e n , Ileus, P l a t z b a u c h e t c . , d i e j e d o c h d u r c h operative
Revisionen
beherrscht
werden
konnten;
internistische
Komplikationen
(n = 2 7 ) w a r e n h a u p t s ä c h l i c h E m b o l i e n , P n e u m o n i e n u n d k a r d i a l e D e k o m p e n s a t i o n e n ( T a b . 2 u. 3 ) .
Tabelle 2
Beherrschbare und letale chirurgische bzw. internistische Komplikationen; I. Chirurgie, LKA Salzburg, 1983 - 1 9 8 6
Beherrschbare
n
chirurgisch
internistisch
84
57
27
36
4
32
120
61
59
Komplikationen Letale Komplikationen Gesamt
Tabelle 3
Komplikationen bzw. Letalität bei 477 operierten Patienten, älter als 75 Jahre; I. Chirurgie, LKA Salzburg, 1983 - 1 9 8 6 beherrschbare
Komplikationen
akut
akut
OP-Indikation
n
Trauma
116
0
Abdomen
195 42
16,2 0
52
9,1 0 0
— Magen -
Gallenwege
— Pankreas
letale
Komplikationen
9
elektiv 25,0
elektiv
11,1
12,1
17,7
20,9
21,8
50,0
3,6 6,2
17,0
0
2,4
0
50,0
0
— Dünndarm — Mesenterialembolie
6
-
100,0
-
— Ileus
17
17,5
-
0
-
— Appendix — Dickdarm
12
33,3 23,2
-
16,6
-
57
16,1
11,5
Hernie
69
13,3
14,8
0
3,2 0
Struma
15
-
13,3
-
0
Mamma
25
-
20,0
-
0
Haut
24
-
8,3
-
0
0
0
0
8,3
0
0
Abszeß Sonstiges Gesamt
8 25 477
20,0 0 16,3%
18,0%
(19/116)
(65/361)
16,3%
4,7%
(19/116)
(17/361)
194
P. Sungler, H. W. Waclawiczek, O. Boeckl
3. Die Gesamtletalität betrug 7,5% (36/477), wobei diese bei den Akuteingriffen mit 16,3% erwartungsgemäß deutlich höher war als bei den Elektiveingriffen mit 4,7%. Hauptursachen waren vor allem internistische Komplikationen (n = 32) wie Embolien, Bronchopneumonien und Herzkreislaufversagen. Nur 4 chirurgische Komplikationen (je einmal Duodenalstumpfdehiszenz, Anastomosendehiszenz, Ileus bzw. Peritonitis) führten zum Exitus (Tab. 2 u. 3). Die Ergebnisse, aufgeschlüsselt nach Operationsindikationen bzw. Akut- und Elektiveingriffen, sind aus Tabelle 3 ersichtlich: Bei den Traumen (hauptsächlich Schenkelhalsfrakturen) betrug die Letalität jeweils 12%, wobei die Todesursachen ausschließlich durch Bronchopneumonien, Embolien oder kardiale Dekompensationen infolge mangelnder Mobilisation bedingt waren; die relativ hohe Zahl von beherrschbaren, chirurgischen Komplikationen (25%) war vor allem durch Hüftkopfnekrosen und Dislokationen des Osteosynthesematerials im postoperativen Verlauf bedingt. Bei den notfallmäßig durchgeführten abdominellen Eingriffen betrug die Letalität 20,9%, hingegen bei den elektiven Eingriffen nur 3,6%; die Rate der beherrschbaren Komplikationen war in beiden Gruppen mit ca. 17% identisch. Besonders hoch war die Letalität bei Mesenterialverschlüssen mit 100%, bei Magenblutungen bzw. -Perforationen sowie Pankreasprozessen mit 50% und bei Appendixperforationen mit 16,6%. Hingegen verstarb nur ein Prozent bei insgesamt 52 Gallenwegsoperationen (1,9%) und keiner der 17 operierten Ileuspatienten. Bei operativen Eingriffen wegen Bauchwandhernien, Strumen, Mamma- und Hauttumoren ist ebenfalls keiner der Patienten verstorben; an Komplikationen beobachteten wir lediglich Wundheilungsstörungen bzw. Nachblutungen und 2 Rekurrensparesen bei großen Strumen. Die Aufenthaltsdauer betrug im Mittel 30,7 Tage (8/192).
Diskussion Die gerontologische Chirurgie — die aufgrund des Strukturwandels der Alterspyramide im Zunehmen ist — unterliegt eigenen Gesetzen. Obwohl das operationstechnische Vorgehen grundsätzlich nicht von den allgemein gültigen Regeln abweicht, stellt die reduzierte Belastbarkeit des alten Patienten klare Ansprüche an den Chirurgen: gewebsschonende Operationstechnik, Vermeidung größerer Blutverluste, Durchführung des kleinsten Eingriffes ohne größeres Risiko und zügiges Operieren. Aus diesen Gründen erfordert die Alterschirurgie ein hohes Maß an Erfahrung des Operateurs. Dies gilt vor allem für die Noteingriffe, da die Operationsindikation exakt und rasch gestellt werden muß und nur wenig Zeit für diagnostische Maßnahmen und die präoperative Erfassung bzw. Normalisierung des Allgemeinzustandes bleibt. Wie auch unsere Studie zeigt, steigt die Letalitätskurve mit zunehmendem Alter insbesondere bei Eingriffen in der Bauchhöhle, vor allem, wenn diese akut wegen Blutung, Ileus, Perforation bzw. Peritonitis vorgenommen werden müssen. Zahlreiche, bisherige Untersuchungen ergaben jedoch, daß die Operabilität und der Behandlungserfolg weniger von der absoluten Zahl der Lebensjahre als von den physiologischen
Chirurgie im hohen Alter - ein kalkulierbares Risiko?
195
Altersveränderungen, dem somatischen Zustand der Organsysteme und der psychischen Einstellung des Patienten abhängen. Primäre Operationskomplikationen liegen im Alter nur unwesentlich über denen jüngerer Patienten; Problemsituationen und letale Komplikationen sind aber vor allem in der eingeschränkten Organreserve, der verminderten Aktivität des Stoffwechsels und der häufig eingeschränkten, zerebralen Leistungsfähigkeit begründet. So liegen durchschnittlich drei und mehr Risikofaktoren pro Patient vor, und zwar in ca. 80% Erkrankungen des Kreislaufes und cerebrovaskuläre Störungen, in 60% Erkrankungen der Atemwege und in 30% Stoffwechselstörungen und Erkrankungen der Nieren und Harnwege [1, 2, 3]. Trotz allem sind unserer Meinung nach auch große Eingriffe (z. B. Gastrektomie, Kolonresektion, Pankreasresektion) beim alten Menschen vor allem dann indiziert, wenn eine positive, psychische Einstellung zur Operation vorliegt, da bekanntlich Malignome im Alter eine relativ gute Prognose haben. Bei Notfalleingriffen ist immer eine exakte Indikationsstellung, ein rasches diagnostisches und operatives Vorgehen entscheidend für den Behandlungserfolg. Immer größere Bedeutung erlangen in der Alterschirurgie neben den diagnostischen vor allem die therapeutischen endoskopischen Eingriffe: So werden an unserer Abteilung grundsätzlich die tiefen Gallenwege präoperativ endoskopisch durch Papillotomie und/oder Steinextraktion saniert, Choledochusstenosen mittels Pigtail-Katheter drainiert, Stenosen bei metastasierenden Ösophagus-, Kardia-, Magen- und Bronchuskarzinomen palliativ mittels Laser bzw. endoskopischer Tubenlegung behandelt. Dies sind entscheidende Fortschritte insbesondere beim alten Patienten, weil dadurch Notfalleingriffe vermieden und somit die Letalitäts- bzw. Komplikationsrate deutlich gesenkt werden können. Aufgrund dieser zahlreichen Faktoren ist im voraus der Behandlungserfolg eines operativen Eingriffes im hohen Alter nur annähernd kalkulierbar, besonders die Indikationsstellung zu elektiven Eingriffen bedarf einer individuellen Entscheidung. Literatur [1] Hauss, J., H. Bünte, W. H. Hauss: Alterschirurgie. Chirurgie der Gegenwart 21 (1978) 1 - 1 8 . [2] Konradt, ].: Das akute Abdomen im Alter. In: Dringliche Bauchchirurgie (Hrsg. R. Häring), S. 551. Thieme Verlag, Stuttgart - New York 1982. [3] Nissen, R.: Die Chirurgie des alternden Menschen. Indikationen und Kontraindikationen. Internist 3 (1962) 151 - 1 5 5 .
III Beurteilung des Operationsrisikos
Beurteilung und Begrenzung des Operationsrisikos — Operationsrisiko aus der Sicht des Chirurgen E. Deltz, H. Hamelmann
Für den Patienten und den operierenden Chirurgen steht die Frage nach dem Ausgang einer Operation und insbesondere nach den nachteiligen Folgen eines Eingriffs im Mittelpunkt seiner Überlegungen und Befürchtungen. Deshalb ist es für den Chirurgen von entscheidender Bedeutung, Aussagen zu machen über den Ausgang einer Operation, ihre Komplikationen und ihre Ergebnisse, insbesondere über ihre nachteiligen Folgen, das heißt über das Risiko, das eine Operation für den Patienten mit sich bringt. Die chirurgische Arbeit wird bestimmt durch eine Fülle von Faktoren, die den Patienten und den Chirurgen betreffen oder von ihnen beiden ausgehen. Neben feststehenden unabänderlichen Fakten der zugrundeliegenden Krankheit spielen Emotionen, Intuition, handwerkliche Fähigkeiten, technische und apparative Bedingungen eine bedeutende Rolle. Neben diesen variablen und nur ungenau faßbaren Faktoren, die aber entscheidend für das Risiko eines Eingriffs sein können, sind nur in seltenen Fällen im Rahmen einer komplexen Krankheitsbeurteilung nachprüfbare, reproduzierbare und objektiv faßbare naturwissenschaftliche Methoden anwendbar. Aus diesem vielfältigen Wechselspiel sich gegenseitig beeinflussender Faktoren diejenigen herauszufinden, die für den Ausgang einer Operation und ihre nachteiligen Folgen verantwortlich sind, erscheint außerordentlich schwierig. Dennoch soll im folgenden versucht werden, die Objekte und Methoden der Risikobeurteilung darzustellen sowie Möglichkeiten aufzuzeigen, wie das Operationsrisiko verringert werden kann.
Objekte der Risikobeurteilung Bei der Risikobeurteilung sind vom Chirurgen zu prüfen (Tab. 1): Die Faktoren, die ein operatives Risiko bestimmen im Hinblick auf die Prognose, d. h. die perioperative Morbidität, Letalität, Komplikationsrate, die funktionellen Ergebnisse, sowie die Spätüberlebensquote. Bei jedem chirurgischen Krankheitsbild, das eine Operationsindikation darstellt, gibt es Faktoren, die a priori gegeben und vom Chirurgen nicht zu beeinflussen sind und dennoch das Operationsrisiko in erheblichem Ausmaß bestimmen. So z. B. das Alter eines Patienten, Stoffwechselveränderungen, die die gesamte Reaktionslage sowie den Heilverlauf entscheidend beeinflussen, z. B. der Diabetes, der Gefäßstatus eines
200
E. Deltz, I L I lamelmann
Tabelle 1
Objekte der Risikobeurteilung
Risikofaktoren nicht beeinflußbare Faktoren, z. B. — Alter — Gefäßstatus — Stoffwechselveränderungen — Niereninsuffizienz (Dialyse) — Dignität eines Leidens (Tumorstadium) beeinflußbare Faktoren, z. B. — Elektrolyt-Flüssigkeitsentgleisungsdefizite — Anämie — Lungenfunktion Prognose — perioperative Letalität — Gesamtletalität, Überlebensraten — Komplikationen, Morbidität — Funktion
Patienten mit mehr oder minder ausgeprägter Arteriosklerose sowie die Folgezustände einer langdauernden Niereninsuffizienz, die unter Umständen dialysepflichtig ist. Die Dignität eines Leidens und bei malignen Leiden insbesondere das Tumorstadium, sind unverrückbare Gegebenheiten, mit denen sich der Chirurg abfinden muß und die entscheidend die Prognose quoad vitam, die Morbidität und die funktionellen Ergebnisse einer chirurgischen Therapie bestimmen. Es gibt allerdings auch beeinflußbare Risikofaktoren, die als Sekundärveränderungen des zugrundeliegenden Leidens auftreten. Bei Darmpassagestörungen und Stoffwechselveränderungen sowie Niereninsuffizienz treten Elektrolyt- oder Flüssigkeitsentgleisungen auf, die jedoch zumeist präoperativ ausgeglichen und als Risikofaktoren somit ausgeschaltet werden. Chirurgische Lungenaffektionen, insbesondere die Bronchialkarzinome, beeinträchtigen die Lungenfunktion erheblich. Die Leistungsfähigkeit des verbliebenen Restparenchyms kann jedoch, wenn auch in beschränktem Maße, durch präoperative Atemgymnastik optimiert werden. Ein wichtiger Faktor chirurgischer Krankheitsbilder, die Anämie, kann präoperativ ausgeglichen werden; in Akutsituationen muß man sich dabei mit einer kurzfristigen Volumensubstitution begnügen, um den Patienten in einen operablen Zustand zu bringen. Die Ziele der Risikobeurteilung müssen die Prognose, d. h. die Vorhersage des Verlaufes einer operativen Behandlung im Hinblick auf die perioperative Morbidität und Letalität, im Hinblick auf die Komplikationen, die postoperativ erreichte Funktion und das Langzeitüberleben sein.
Beurteilung und Begrenzung des Operationsrisikos
201
Methoden der Risikobeurteilung Für die Risikobeurteilung stehen heute vielfältige Methoden zur Verfügung (Tab. 2). Trotz aller verfeinerten Laboratoriumsmethoden, trotz aller technischen Unterstützungen durch Röntgen- und Ultraschalldiagnostik ist nach wie vor der klinische Blick, die klinische Erfahrung von außerordentlicher Bedeutung. Die intuitive Einfühlung in die Situation des Patienten in Kombination mit objektivierbaren Daten der Diagnostik und intraoperativ erhobenen Befunden ermöglicht eine rasche, zielgerichtete Entscheidung und trägt so zur Risikominimierung bei. Tabelle 2
Methoden der Risikobeurteilung
Klinische Erfahrung Statistische Methoden • Klinische Studien — retrolektive Auswertung — prospektive Studien • Indexbildung (allgemein) — Beurteilung von Patienten und Operationen • Indices für spezielle Krankheitsbilder z. B. Ileus, Peritonitis • Betrachtung spezifischer entscheidender Einzelfaktoren z. B. Immunitätslage Blutungsquelle Lungenfunktion • Rechnergestützte Verfahren — Multivarianzanalyse — Entscheidungsbäume
Allerdings ist die klinische Erfahrung, die die Diagnosestellung und Beurteilung oft auf einen Blick ermöglicht, nur in langjähriger klinischer Arbeit zu erwerben. Deshalb sind Methoden vonnöten, die objektiv das Operationsrisiko erfassen, reproduzierbar sind und von einem einzelnen erfahrenen Untersucher unabhängig gemacht werden können. Einen großen Raum nehmen heutzutage in der Risikoforschung statistische Methoden ein [15, 16]. Die retrolektive Post-hoc-Analyse eines Patientenkollektivs, z. B. im Hinblick auf das Überleben nach bestimmten Operationen, ist vorsichtig zu interpretieren [5, 15, 16]. Wenn auch aus sorgfältigen retrospektiven Studien Daten gewonnen werden können, die für künftige Entscheidungen zur Indikationsstellung von Bedeutung sind, so ist doch die Verallgemeinerung von Aktuarsüberlebensanalysen aus retrolektiven Studien nur bedingt möglich. Denn in der Regel handelt es sich bei diesen Studien um nicht balancierte, nicht unbedingt vergleichbare, häufig auch, insbesondere im Hinblick
202
E. Deltz, H . Hamelmann
auf die Nachbeobachtungszeit, nicht vergleichbare Patientengruppen [5]. Besser geeignet zur Risikoanalyse sind prospektive kontrollierte klinische Studien mit balancierten vergleichbaren Patientenkollektiven [15]. Die risikorelevanten Komplikationen bestimmter Therapieprinzipien kommen bei diesen Studien klar zum Vorschein, da festgelegte Nachuntersuchungsprogramme in bestimmten Zeitabständen vorgenommen werden. Ein weiterer Versuch, Risikofaktoren zu erfassen und eine Allgemeinbeurteilung von Krankheitsbildern durchzuführen, stellt die Methodik dar, mit Hilfe von Indices oder sogenannten Scores, die sich aus Parametern der klinischen Untersuchung und Laborparametern zusammensetzen, die chirurgischen Krankheitsbilder im Hinblick auf ihr Risiko zu beurteilen. Diese Indices können einmal dazu dienen, Operationen nach ihrer „Gefährlichkeit" zu klassifizieren [4] und so eine aufsteigende Rangfolge für komplikationsarme und risikoreiche Operationen aufzustellen. Eine ähnliche präoperative Einteilung von Patienten in bestimmte Risikogruppen im Hinblick auf die postoperativ zu erwartenden Komplikationen nach großen bauchchirurgischen Operationen konnten Kremer und Mitarbeiter [9] unter Zuhilfenahme klinischer Parameter in Kombination mit den Chemiluminiszenzwerten von neutrophilen Granulozyten darstellen. Eine ähnliche Zielrichtung verfolgt der Prognostic-Nutritional-Index von Müllen und Mitarbeitern [12], die aus verschiedenen Parametern den Ernährungsstatus des Patienten beschreiben und so Rückschlüsse auf das Operationsrisiko ziehen. Der Apache-Index [7] zur objektiven Erfassung des Schweregrades der Erkrankung und der Prognose von Intensivpatienten ist neuerdings durch einen neuen Score modifiziert worden [10], der es gestattet, bei verschiedenen Krankheitsbildern Aussagen zur Wahrscheinlichkeit des Überlebens oder Versterbens der Patienten zu machen. Neben diesen Summationsindices, die eine Fülle von allgemeinen und spezifischen Faktoren erfassen, sind Indices für spezielle Krankheitsbilder eingeführt worden. Für die chirurgisch immer noch ein großes Problem darstellende Peritonitis sind verschiedene Peritonitisindices erarbeitet worden [6, 11, 13]. Für die Einschätzung eines Ileuszustandes wurde ein einfacher Ileusindex ermittelt [2], der die Schwere des Ileuszustandes abschätzen hilft und es ermöglicht, daraus diagnostische und therapeutische Konsequenzen zu ziehen. Alle diese bisher aufgezeigten Methoden der Risikoanalyse betrachten eine Vielzahl von klinischen und mit Labormethoden faßbaren Parametern. Damit wird versucht, die Beurteilung des Allgemeinzustandes und der Gesamtauswirkung der zugrundeliegenden Krankheitskomponenten auf den Gesamtorganismus zu erfassen und zur Grundlage der Risikobeurteilung zu machen. In einigen Bereichen chirurgischer Krankheitsbilder gibt es jedoch auch Methoden, die durch die Erfassung eines spezifischen besonders wichtigen Einzelfaktors eine Risikoanalyse insbesondere im Hinblick auf die Prognose des weiteren Verlaufes und den Ausgang einer Operation ermöglichen. Die Messung der Immunitätslage und hier speziell der zellulären Immunreaktivität hat sich bei der Peritonitis als verläßlicher prognostischer Parameter für den letalen Ausgang oder für das Überleben einer schweren Peritonitis erwiesen [1],
Beurteilung und Begrenzung des Operationsrisikos
203
Ein drängendes Problem der Allgemeinchirurgie ist die schwere Blutung im oberen Gastrointestinaltrakt. Hier erweist sich als entscheidender prognostischer Parameter die Betrachtung der Blutungsstärke sowie die Abschätzung der Größe des Gefäßstumpfes bei der Forrest-2-Blutung. Die Einteilung des Gefäßstumpfes in die Kategorie „groß" und „klein" ermöglicht es, Konsequenzen für die Operationsindikation zu ziehen [3]. Die Beurteilung der präoperativen Lungenfunktion ermöglicht die präoperative Berechnung der frühpostoperativen Lungenleistung nach einer Lungenresektion und gestattet es, diese als Grundlage für die Operationsentscheidung zu benutzen [8]. Wenn auch diese Berechnungsmethoden und Indices bestimmte Gruppeneinteilungen von Operationen und Risikopatienten ermöglichen, so sind sie doch mit der Schwierigkeit behaftet, daß sich die Einzelfaktoren, die in die Berechnung dieser Indices eingehen, gegenseitig beeinflussen und voneinander abhängig sind. Eine Lösungsmöglichkeit scheinen hier Computerprogramme darzustellen, mit deren Hilfe es möglich ist, voneinander unabhängige, multiple Variable rechnerisch zu verarbeiten und ihren Einfluß auf ein bestimmtes Ergebnis zu analysieren. Bislang konnte jedoch die überragende Effizienz solcher umfangreichen computergestützten Prognoseverfahren sowie Faktenbanken, die die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Methode entlang sogenannter Entscheidungsbäume [15] ermöglichen, nicht gezeigt werden, wie Stöltzing und Mitarbeiter kürzlich am Beispiel der Analyse von Risikofaktoren für eine Rezidivblutung im oberen Gastrointestinaltrakt demonstrieren konnten [14].
Risikoverminderung Aus den differenten Methoden der Risikobeurteilung ergeben sich unterschiedliche Konsequenzen für die Verminderung des Operationsrisikos (Tab. 3). Die Erkennung präoperativer Defekte, d. h. von Mangelzuständen im Elektrolyt- und Wasserhaushalt oder eine Anämie erfordern den Ausgleich von Defiziten und die Vorbereitung des Patienten durch Medikamente. Eine konsequente präoperative Tabelle 3
Risikoverminderung
• Präop. Ausgleich von Defekten z. B. Blut, Flüssigkeit, Elektrolyte Atemtraining •
Indikationsstellung Zeitpunkt G r ö ß e des Eingriffs
•
Operationstechnik z. B. Staplereinsatz
•
Prophylaxe typischer Komplikationen z. B. T h r o m b o s e Infektion
204
E. Deltz, H. Hamelmann
Atemgymnastik kann die respiratorische Funktion und damit das Operationsrisiko vermindern. Methoden, die kurzfristige Prognosen über den unmittelbar bevorstehenden Verlauf des chirurgischen Krankheitsbildes ermöglichen, z. B. die Einteilung des Schweregrades eines Ileuszustandes oder die Beurteilung eines blutenden Gefäßstumpfes in einem Gastroduodenalulkus, haben unmittelbar Einfluß auf diagnostische und therapeutische Entscheidungen [2, 3]. Die Feststellung: Ein Ileuszustand ist nicht unmittelbar operationsbedürftig, ermöglicht die weiterführende Diagnostik zur Abklärung der Ätiologie und der Lokalisation des Darmpassagehindernisses bei gleichzeitiger Substitution von Flüssigkeiten und Elektrolyten und ermöglicht somit eine elektive Operation in einem gebesserten Zustand des Patienten. Die Erkenntnis, daß nur ein kleines Gefäß in einem Ulcus duodeni oder ventriculi blutet, ermöglicht die konservative Therapie der Gastrointestinalblutung und erspart einem Großteil der Patienten eine Laparotomie und operative Blutstillung. Dagegen bewahrt die Beurteilung eines großen Gefäßstumpfes im Ulkus den Patienten vor frustranen konservativen Behandlungsmethoden, die ihn möglicherweise in einen Blutungsschock bringen und führt ihn rechtzeitig der frühelektiven Operation zu. Neben dem Zeitpunkt der Operation wird auch die Indikationsstellung im Hinblick auf die Ausdehnung des Eingriffes durch die vorangegangene Risikoanalyse beeinflußt, was sich insbesondere bei der resezierenden Karzinomchirugie der Lunge auswirkt. Hier ist die präoperativ berechnete Restfunktion des verbleibenden Lungenparenchyms mit entscheidend für die Prognose [8]. Natürlich ist die perfekte Operationstechnik ein entscheidender Parameter für einen komplikationsfreien postoperativen Verlauf und ein gutes funktionelles Ergebnis. Hier könnte die vermehrte Anwendung von Nahtmaschinen bei besonders gefährdeten Anastomosen, z. B. der Ösophagojejunostomie und der tiefen Rektumanastomose, eine Verringerung der operationsbedingten Komplikationen erbringen. Die Risikoverminderung bei der Operationstechnik hängt mit den Fähigkeiten des einzelnen Chirurgen zusammen. Dagegen ist die Prophylaxe typischer perioperativer Komplikationen generell durchführbar. Als Beispiel sei die signifikante Senkung der postoperativen Lungenembolierate nach der generellen Einführung der Thromboseprophylaxe durch Heparin erwähnt [17]. Eine Vielfalt von klinischen, apparativen und mathematisch-statistischen Methoden dient zur Ermittlung des Risikos des chirurgischen Eingriffs. Diese Verfahren können objektivierbare und nachprüfbare Daten liefern, die zur Beurteilung und zur Eingrenzung des Operationsrisikos beitragen können. Diese vielfältigen Methoden, die eine Fülle zum Teil heterogener Untersuchungsergebnisse liefern, bergen aber auch Gefahren in sich. Diese liegen zum einen darin, daß ein Datendickicht entstehen kann, das nur schwer zu durchdringen ist und das die Entscheidung, ob ein Risiko vorliegt oder nicht, nur erschwert. Zum anderen wird aber auch durch die Ermittlung von leicht faßbaren Indexzahlen eine scheinbare Vereinfachung komplexer Probleme erreicht, die in M a ß und Zahl nur näherungsweise zu erfassen sind.
Beurteilung und Begrenzung des Operationsrisikos
205
Alle hier a u f g e f ü h r t e n V e r f a h r e n d e r R i s i k o e r k e n n u n g k ö n n e n n u r H i l f s m i t t e l sein, die d a s k o m p l i z i e r t e Z u s a m m e n s p i e l der eingangs e r w ä h n t e n , A r z t und
Patienten
b e t r e f f e n d e n k o m p l i z i e r t e n F a k t o r e n , d i e bei e i n e m c h i r u r g i s c h e n E i n g r i f f eine R o l l e spielen, teilweise leichter e r k e n n b a r und v e r s t e h b a r m a c h e n . Diese R i s i k o a n a l y s e und d i e sich d a r a u s e r g e b e n d e n K o n s e q u e n z e n f ü r D i a g n o s t i k , T h e r a p i e u n d
Prognose
eines c h i r u r g i s c h e n K r a n k h e i t s b i l d e s k ö n n e n j e d o c h n u r die B a s i s sein für ein v e r a n t w o r t u n g s v o l l e s chirurgisches H a n d e l n , d a s versucht ü b e r die objektiv faßbaren D a t e n h i n a u s die G e s a m t h e i t des c h i r u r g i s c h e n K r a n k h e i t s b i l d e s zu b e r ü c k s i c h t i g e n , u m f ü r d e n c h i r u r g i s c h e n P a t i e n t e n d i e G e f a h r e i n e s c h i r u r g i s c h e n E i n g r i f f s m ö g l i c h s t klein zu h a l t e n .
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206
E. Deltz, H . Hamelmann
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Kriterien zur chirurgischen Intervention bei abdomineller Sepsis W. Oettinger, H. G. Beger
Z u r Beurteilung einer Peritonitis haben Anamnese und klinischer Befund unumstritten Priorität vor Labor- und Röntgenbefunden. Insbesondere bei Patienten ohne Begleitund Vorerkrankungen sind sie richtungweisend für eine Entscheidung und bedürfen zusätzlicher Parameter lediglich zur Bestätigung und Abklärung einer möglichen Differentialursache. Schwieriger und damit risikoträchtiger ist die Entscheidung bei solchen Patienten, die sich dem klinischen Blick nur unzuverlässig exponieren oder gar nicht exponieren können: Patienten mit schweren Begleiterkrankungen, voroperierte Patienten oder solche mit anhaltender abdomineller Sepsis und/oder iatrogen maskierten Verläufen und schließlich unkooperative oder komatöse Patienten. In dieser Gruppe ist auch in erster Linie d a s operative Risiko angesiedelt. Solche Patienten sind der Grund, warum zahlreiche Untersucher in dem Bemühen um möglichst akkurate Bewertungskriterien und „Scores" nicht nachlassen [1, 2, 4], Die vorliegende Arbeit versucht deshalb in einer retrospektiven Analyse von 115 Patienten mit überwiegend kompliziertem Krankheitsverlauf, Parameterkonstellationen zum Zeitpunkt der Operation auf ihre klinische Zuverlässigkeit zu prüfen. Tabelle 1 • • • • • •
Beurteilungskriterien zum Zeitpunkt der OP-Indikation
Klinische Symptomatik Routine-Labor + L A C + L D H Blutgas-Analyse Endotoxin + BK Arachidonsäure-Derivate Invasive Hämodynamik
Als zuverlässige Parameter werden solche beschrieben, die bei signifikant mehr als der Hälfte einer Vergleichsgruppe zum Zeitpunkt der Operation pathologisch verändert waren. Die einzelnen Parameter sind, in Tab. 1 wiedergegeben, entweder durch die klinische Untersuchung oder mit klinisch-chemischen Routinemethoden erhoben. Endotoxin wurde mit dem Limulus-Amoebocyte-Lysate-Test nach Phenol-Wasserextraktion bestimmt (Normwerte < 5 E/ml), Prostaglandine und T h r o m b o x a n mit Hilfe eines hochspezifischen Antiserums radioimmunologisch gemessen (Normwerte < 60 pg/ml). Die Signifikanzprüfung der ermittelten Häufigkeit pro Vergleichsgruppe erfolgte nach dem Fisher-Exakt-Test. D a s Gesamtkollektiv von 115 Patienten gliedert sich in die in Tab. 2 angegebenen und nach Krankheiten spezifizierten Subgruppen. Gemeinsames Kennzeichen aller Patienten war eine intraoperativ gesicherte diffuse Peritonitis.
208 Tabelle 2
W. Oettinger, H. G. Berger Patientengruppierung
• Diffuse bakterielle Peritonitis
n = 63
• Peritonitis infolge Mesenterialinfarkt
n = 29
• Peritonitis infolge nekrot.
n — 23
Pankreatitis
Abb. 1 zeigt die Parameterkonstellation des Gesamtkollektivs, das einen Altersmedian von 51 Jahren und eine Letalität (incl. der Patienten mit Mesenterialinfarkt) von 3 9 , 1 % aufweist. Nach diesem Häufigkeitsprofil rangieren unter den links aufgereihten konventionellen Parametern deutlich über 5 0 % die Abwehrspannung, ein Anstieg der Körpertemperatur über 38°C, die Leukozytose über 15 0 0 0 sowie unspezifisch erhöhte Werte von Endotoxin- und Prostaglandinkonzentrationen im Plasma. Unspezifisch heißt: Konzentrationssteigerungen über die angegebenen Normalwerte, die sich jedoch nicht dem klinischen Verlauf und speziellen Organfunktionswerten zuordnen lassen. Die relative N ä h e zur 5 0 % - S c h w e l l e von pathologischen Werten für a p 0 2 / F I 0 2 , metabolische Azidose und hyperdyname Kreislaufreaktion (CI > 3,5 1/min • qm) weist schon darauf hin, daß komplizierte Verläufe den überwiegenden Anteil der Patienten am Gesamtkollektiv stellen. Kompliziert heißt in diesem Zusammenhang: Wundheilungsstörung, anhaltende Drainagesekretion, anhaltend erhöhte Endotoxinkonzentrationen in der abgeleiteten Lavageflüssigkeit und schließlich Organfunktionsstörungen. Veränderungen im Parameter-Häufigkeits-Profil ausschließlich komplizierter Verläufe sind in Abb. 2 wiedergegeben. Hier rangieren der a p 0 2 / F I 0 2 - Q u o t i e n t , die hyperdy-
PERITONITIS GESAMTKOLLEKTIV ALTERSMEDIAN = 51 n = 115
Abb. 1
Parameterkonstellation des Gesamtkollektivs von 115 Patienten einschließlich jener mit Mesenterialinfarkt (Mi).
Kriterien zur chirurgischen Intervention bei abdomineller Sepsis
209
name Kreislaufreaktion mit Cl-Werten über 3,5 1/min • /qm mit 61 und 64% deutlich über der 50%-Schwelle, weniger deutlich und nicht signifikant die metabolische Azidose. KOMPLIZIERTER VERLAUF < 70 JAHRE n=74
Abb. 2
Veränderungen im Häufigkeitsprofil ausschließlich komplizierter Verläufe.
In diesem Kollektiv finden wir allerdings gehäuft Endotoxin-Werte über 100 E/ml, während die Inzidenz der Leukozytose über 15 000 vor allem zugunsten leukopenischer Patienten zurückgeht. Ein Fünftel der Patienten zeigt spezifische Veränderungen seines endogenen Prostaglandinprofils insofern als sie eine Imbalanz zwischen Prostazyklin (hemmt Plättchenaggregation, vasodilatiert) und Thromboxan (aggregiert Plättchen, vasokonstringiert) aufweisen, wie wir sie von Patienten im septischen Schock kennen [3]. Danach ist ein Überwiegen des Thromboxans über Prostazyklin mit schlechten Organfunktionswerten insbesondere von Lunge und Niere verbunden und vice versa. Deutlich im Vordergrund ist dieser Parameter als negativer ProstazyklinThromboxan-Quotient bei Patienten, die die Peritonitis und anschließende abdominelle Sepsis nicht überlebt haben (Abb. 3). Hier ist dieser Quotient bei 23 von 28 Patienten festzustellen. Auffallend ist, daß in diesem Kollektiv die Blutkultur bei mehr als der Hälfte der Patienten zum Zeitpunkt der Operation positiv war. Sie bleibt dagegen im Gesamtkollektiv und im „komplizierten Kollektiv" deutlich unter der 50%-Schwelle. Bei allen Patienten dieser und der Gruppe mit letalem Ausgang werden dagegen Endotoxinwerte von über 100 E/ml gemessen. Abb. 4 zeigt das Profil der Patienten mit Mesenterialinfarkt. Hier fällt ins Auge, daß wie bei keiner anderen Gruppe die Erhöhung des Plasmalaktat-Spiegels über 5 mval/1,
210
W. Oettinger, H. G. Berger
LETALER VERLAUF 50% H ä u f u n g )
< 60 J a h r e
> 7 0 Jahre
BD-Spannung
ap02/F102j
>
Endotoxin
38°C
+
L e u k o > 15 000
Plasma-Kreat.
Endotoxin
Prostaglandin
+
Prostaglandin
+
>
+
38°C
ap02/FI02|
Laktat
CI > 3,5
Darmparalyse
M e t a b . Azidose
BD-Spannung
Die unterschiedliche Gewichtung der nach ihrer H ä u f u n g führenden Parameter ist am Beispiel des jüngeren Patienten ( < 60) im Vergleich zum über 70jährigen in Tab. 3 aufgezeigt. Es ist ein Nebenbefund dieser Analyse, daß gemessen an ihrer H ä u f u n g Thrombopenie, Hyperglykämie, pathologischer zentralvenöser Druck, Blutkultur und Laktatdehydrogenase (Ausnahme Pankreatitis) weniger verläßliche Größen zur Risikoeinschätzung der abdominellen Sepsis darstellen (Tab. 4). Tabelle 4 • • • • •
Risiko-Prädiktoren: Peritonitis ( < 50% H ä u f u n g )
Thrombopenie Hyperglykämie ZVD-Verlauf Blutkultur L D H (außer Pankreatitis)
212
W. Oettinger, H . G. Berger
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Risikoabwägung bei Wundinfektionen immunsupprimierter Patienten W. Schareck, U. T. Hopt, B. Greger, H. Bockhorn
Einleitung Bei immunsupprimierten Patienten muß postoperativ mit einer erhöhten Rate von Wundheilungsstörungen gerechnet werden. Im Falle der Wundinfektion stellt die Fortsetzung der Immunsuppression ein großes Risiko dar, wenn die Infektion nicht innerhalb kürzester Zeit beherrscht werden kann. Da bei Nierentransplantierten das operative Verfahren und die immunsuppressive Therapie standardisiert sind, lassen sich hier auch retrospektiv unterschiedliche Strategien vergleichen. Grundsätzlich kann beim Transplantatinfekt zwischen renal aszendierenden, hämatogenen oder perirenalen Infektionen unterschieden werden. Die Wundinfektion wird zudem unterschieden in eine oberflächliche, subkutan gelegene Infektion und eine tiefe perirenale. Nach der Literatur [4] muß in 6 — 38% der Fälle mit einer Wundinfektion nach Nierentransplantation gerechnet werden. In bis zu 30% muß im weiteren ein letaler Verlauf befürchtet werden. Über 2/3 der überlebenden Patienten verlieren ihr Transplantat [2]. Als Risikofaktoren kommen neben der Kontamination des Transplantats oder des Urins, z. B. bei noch bestehender Restausscheidung, eine sekundäre Infektion eines Hämatoms oder einer Lymphozele in Betracht. Des weiteren stellt eine Urinlekkage ein erhebliches Risiko für das Auftreten einer Infektion dar. Auch ein postoperatives ATN scheint mit dem höheren Risiko einer Wundinfektion behaftet [3]. Will man nicht von vornherein die Immunsuppression absetzen und das Transplantat entfernen, lassen sich nach der erforderlichen Revision mit Beseitigung der Infektionsursache unterschiedliche Therapieelemente gegeneinander abwägen, wie die antibiotische Therapie, die Form der Immunsuppression, das Spülen oder Drainieren der Wunde und schließlich die Frage des Wundverschlusses. Da im Transplantationszentrum in Tübingen in den vergangenen 8 Jahren bei tiefen Wundinfektionen 2 verschiedene Formen der Wundbehandlung durchgeführt wurden, haben wir retrospektiv unsere Patienten untersucht. Zum einen wurde eine offene Wundbehandlung mit Freilegen des Transplantates und täglichen Spülungen durchgeführt, zum anderen ein Wundverschluß nach Revision und Einbringen einer Saug-Spül-Drainage.
Patientengut Von Mai 1978 bis Mai 1986 wurden 334 Nierentransplantationen in Tübingen durchgeführt. Bei 22 Patienten traten durchschnittlich nach 3 Wochen Wundinfektionen auf. Davon waren 8 oberflächlich subkutan gelegen und 14 tief, d. h. perirenal
214
W. Schareck, U. T. Hopt, B. Greger, H. Bockhorn
lokalisiert. Die Geschlechtsverteilung sowie das Alter der Patienten mit Wundinfektionen entsprach dem Gesamtkollektiv. Insgesamt betrug die Letalität 14%, die Heilungsrate 67% (Tab. 1). Bei allen Patienten wurde perioperativ eine antibiotische Prophylaxe mit Cefoxitin, Azlocillin oder bei Penicillinallergie mit Erythromycin durchgeführt. Intraoperativ wurden perirenal, subfaszial und subkutan Drainagen gelegt, Abstriche von den unterschiedlichen Abschnitten der Wunde wurden entnommen. Für die Diagnose war das klinische Bild mit dem subjektiven Krankheitsgefühl ebenso ausschlaggebend wie das Ergebnis dieser prophylaktisch entnommenen bakteriologischen Abstriche oder die Ultraschalldiagnostik. Tabelle 1
Wundinfektionen nach Nierentransplantation in Tübingen
Transplantierte Nieren (5/78 - 5/86) Wundinfektionen nach Nierentransplantation — Oberflächliche Infektionen — Tiefe Infektionen
334 22 (6,6%) 8 14
Geschlechtsverteilung m : w
15:7
Durchschnittl. Alter der Patienten (Jahre)
41,6 ( 1 9 - 5 7 )
Auftreten der Infektionssymptome
22,3 ( 9 - 8 5 )
(Tag nach der Transplantation) Letalität
14%
Heilungsrate
64%
Ergebnisse Risikofaktoren 13 der 22 Patienten hatten ein postoperatives akutes Nierenversagen, das ist doppelt so viel wie im Gesamtkollektiv. Auch Hämatome (10 von 22) und Urinleckagen (6 von 22) kamen unverhältnismäßig häufig vor. Ursächlich überwogen die Harnwegsinfekte, zur Hälfte mit nachgewiesener Urinleckage. Es folgen die sekundäre und primäre Wundkontamination bei 6 bzw. 3 Patienten, wobei Staphylococcus epidermidis und aureus bei der Wundkontamination die häufigsten Keime sind (Tab. 2). Auffällig ist, daß unter der Immunsuppression Symptome wie Fieber oder Leukozytose eher selten sind. Unter Immunsuppression treten Wundinfekte später und schleichender auf. Prognose Bei den Langzeitergebnissen zeigt sich die oberflächliche Wundinfektion ohne große Komplikationen. Unter der üblichen Therapie mit Abszeßspaltung und Drainage kam es unter Fortsetzung der immunsuppressiven Therapie und antibiotischer Abdeckung nach Antibiogramm stets zur raschen Ausheilung. 2 der 8 Patienten verloren nach Ausheilung ihr Transplantat innerhalb des ersten Jahres wegen nicht zu beherrschender Abstoßungen. Deutliche Unterschiede (Tab. 3) zeigen die Ergebnisse bei den beiden Behandlungsformen der tiefen Wundinfektion. Bei der offenen Wundbehand-
Risikoabwägung bei Wundinfektionen immunsupprimierter Patienten Tabelle 2
215
Ursachen und Symptome der Wundinfektion Keime
Fieber
Leukozyt. Gesamt
Wundkontamination
Staph, aur. (3)
3
0
3
bei OP
Staph, epid. (2)
Wundkontamination
Staph, aur. (5)
1
1
6
Sekundär
Cand. albic (1)
Harnwegsinfekt mit
Staph, aur. E. coli (2)
2
4
6
nachgewiesener
Morg. m. + Proteus (1)
Urinleckage
Cand. albic. (1) 3
2
7
Harnwegsinfekt ohne
Klebs. pneum. (1JE. coli (3)
Urinleckage
Staph, aur. (2) Proteus (1)
Iung, bei der die Niere lediglich durch einen feuchtgehaltenen Jodoform-Gazestreifen geschützt ist, heilte bei 8 von 9 Patienten der Infekt folgenlos aus. Darunter waren immerhin 2 Patienten, bei denen der Infekt aufgrund von großen Urinleckagen aufgetreten war. Nur 1 Patient verlor sein Transplantat aufgrund einer nicht zu behandelnden Abstoßung nach Nachblutung mit infiziertem Hämatom. Bei den 5 Patienten, bei denen die Wunde nach ausgiebiger Revision, Spülung, Einlage einer Saug-Spül-Drainage und antibiotischer Abdeckung nach Antibiogramm wieder verschlossen worden war, heilte nur bei 1 Patienten der Infekt folgenlos aus. 2 Patienten verstarben an einer Urosepsis nach Urinleckage, 1 weiterer an den Folgen von Nachblutungen. Bei einer Patientin mußte das Transplantat entfernt werden. Tabelle 3
Prognose der tiefen Wundinfektion nach Nierentransplantation Gesamtzahl
Heilung mit
Transplantat-
Letaler
Transplantat-
entfernung
Verlauf
funktion Offene Wundbehandlung
9
8
1
0
Wundverschluß
5
1
1
3
nach Revision
Diskussion Zur Senkung der Wundinfektionsrate nach Nierentransplantation läßt sich eine sinnvolle Prophylaxe betreiben. Nicht unumstritten ist eine antibiotische Prophylaxe, die jedoch von vielen Arbeitsgruppen befürwortet wird. Sie erscheint umso sinnvoller, wenn man bedenkt, daß bis zu über 3 0 % der Transplantate schon vor der Transplantation kontaminiert sein können [1, 6]. Hinzu kommen präoperative Blasenspülungen bei kontaminiertem Urin und die Notwendigkeit von bakteriologischen Abstrichen zum Zeitpunkt der Transplantation, um möglichst frühzeitig und gezielt eine Wundin-
216
W. Schareck, U. T. Hopt, B. Greger, H. Bockhorn
fektion behandeln zu können. Zu den prophylaktischen Maßnahmen gehört aber auch die Reduktion der Rate eines postoperativen akuten Nierenversagens durch möglichst kurze Ischämiezeiten, eine sorgfältige Blutstillung, um das Risiko von Hämatomen zu reduzieren sowie eine subtile Anastomosierung des Ureters in die Harnblase. Bei der Präparation der Niere sollten das Nierenbecken und der Ureter nicht zu ausgiebig freipräpariert werden, um das Risiko einer Wandnekrose der ableitenden Harnwege möglichst gering zu halten. Tabelle 4
Therapiekonzeption tiefer Wundinfektionen
Spülung Drainage Wundverschluß
Antibiotika
Vorteile
Nachteile
Mechanische Wundreinigung
Sekundäre Kontamination
Keimreduktion
„Spülstraßen"
Entfernung von Lymphe,
Sekundäre Kontamination
Hämatom und Wundsekret
Arrosion
Schutz des Transplantates
Tägliche Wundkontrolle
Vermeidung der Sekundären
+ Beseitigung von Sekret-
Kontamination
verhaltung nicht möglich
Verhinderung der Streuung
Nephrotoxizität
Bakterizidie
Blutungsneigung Resistenzentwicklung
Immunsuppression
Prophylaxe der Abstoßung
Verminderung der Infekt-
Therapie der Abstoßung
Abwehr
Bei Koinzidenz von Infekten
Infektausbreitung
und Abstoßung Bei Abwägen der Vor- und Nachteile unterschiedlicher Therapieelemente zeigt sich die offene Wundbehandlung mit Spülung und Drainage unter Fortsetzung der Immunsuppression bei antibiotischer Abdeckung anderen Therapieformen überlegen.
Nach Diagnose einer Wundinfektion haben wir in Tübingen stets eine antibiotische Therapie durchgeführt (Tab. 4). Die Verhinderung einer bakteriellen Streuung wird zwar mit dem Risiko der Nephrotoxizität, der Blutungsneigung und möglicherweise unnötiger Resistenzentwicklung erreicht. Das Risiko einer septischen Streuung ist aber insbesondere bei der täglichen mechanischen Reinigung der Wunde nicht zu vernachlässigen. Ziel einer effizienten Infektionsbehandlung ist, die Fortsetzung der Immunsuppression zu ermöglichen. Eine Abstoßung kann den Heilverlauf erheblich komplizieren. Auf der anderen Seite begünstigt die Immunsuppression bei verminderter Infektabwehr eine rasche Infektausbreitung. Mit einer Spülbehandlung kann wirkungsvoll eine mechanische Wundreinigung durchgeführt werden. Sie sollte stets mit einer suffizienten Saugung kombiniert sein. Nachteilig sind sicher pflegerische Probleme und das Risiko der sekundären Kontamination. Insbesondere muß bei starren Drainagen mit der Arrosion entzündlich veränderter Gefäße oder des Nierenparenchyms gerechnet werden. Aus diesem Grund ist die Kombination einer effizienten Saug-Spül-Drainage mit der offenen Wundbehandlung von Vorteil. Die Wunde
Risikoabwägung bei Wundinfektionen immunsupprimierter Patienten
217
kann täglich kontrolliert werden, Sekretverhaltungen werden beseitigt, die leicht verstopfenden Drains können täglich gereinigt werden. Der mechanische Schutz des Transplantats ist durch feuchte Jodoform-Gazestreifen ausreichend gewährleistet. Das Transplantat muß nicht durch den Verschluß der Wunde, ähnlich wie der Knochen bei der Behandlung der akuten Osteomyelitis, geschützt werden. Bei täglichen mechanischen Reinigungen kommt es zudem rasch zu kräftigen Granulationen, so daß eine rasche Ausheilung der Wunde in der Regel gewährleistet ist. So kann die immunsuppressive Therapie fortgesetzt werden. Die offene Wundbehandlung bei tiefen Wundinfektionen nach Nierentransplantation ist für uns die Behandlungsmethode der Wahl.
Zusammenfassung Unser Therapiekonzept bei oberflächlichen und tiefen Wundinfektionen immunsupprimierter Patienten ist die offene Wundbehandlung. Sie besteht aus einer frühzeitigen ausgiebigen operativen Revision unter dem Schutz einer gezielten antibiotischen systemischen Therapie. Mit weichen Jackson-Pratt-Drainagen wird anfänglich eine Saug-Spül-Drainage durchgeführt. Entscheidend ist die tägliche Wundkontrolle, die Reinigung der Drains und die Entfernung möglicher Sekretverhaltungen. Die erforderliche Immunsuppression wird fortgesetzt. Die Wundinfektion beim immunsupprimierten Patienten ist eine schwerwiegende Komplikation, die aus diesem Grunde eine systemische antibiotische Prophylaxe durchaus sinnvoll erscheinen läßt. Nur die frühzeitig nach früher Diagnostik durchgeführte konsequente chirurgische Infektsanierung und die aggressive offene Wundbehandlung vermindern das Risiko so weit, daß ggf. die Fortsetzung der Immunsuppression möglich ist. Literatur [1] Bewick, M., C. Dulake, C. J . Rudge, et al.: The influence of cadaver nephrectomy technique on the incidence of graft infection. In: Surgery in Chronic Renal Failure (Hrsg. F. W. Eigler, H. D. Jakubowski). Thieme Verlag, Stuttgart 1984. [2] Kyriakides, G. K., R. L. Simmons, J. S. Nafarian: Wound infections in renal transplant wounds: pathogenetic and prognostic factors. Ann. Surg. 182 (1975) 777. [3] Lobo, P. I., L. E. Rudolf, J. N. Krieger: Wound infections in renal transplant recipients — A complication of urinary tract infections during allograft malfunction. Surgery 92 (1982) 491. [4] Muakkassa, W. F., M. H. Goldman, G. Mendez-Picon, et al.: Wound infections in renal transplant patients. J. Urol. 130 (1982) 17. [5] Novick, A. C.: The value of intraoperative antibiotics in preventing renal transplant wound infections. J. Urol. 125 (1981) 151. [6] Spees, E. K., J. A. Light, D. D. Oakes, et al.: Experiences with cadaver renal allograft contamination before transplantation. Br. J. Surg. 69 (1982) 482.
Auswirkungen chirurgischer Infektionen auf die Stimulierbarkeit zur Chemilumineszenz von Granulozyten und die Freisetzung granulozytärer Elastase D. Inthorn, M. Jochum
Einleitung Die Aktivierung und Freisetzung funktionsfähiger polymorphkerniger neutrophiler Granulozyten (PMN) ist ein wesentlicher Bestandteil der körpereigenen Abwehrmechanismen und Voraussetzung für die Überwindung bakterieller Infektionen. Die Stimulierung von Granulozyten zu Phagozytose und intrazellulärem Abtöten von Bakterien geht einher mit der Freisetzung von hochreagiblen Sauerstoffverbindungen (0~2, H 2 0 2 , O H , O C L ~ ) , den sogenannten Sauerstoffradikalen, und von Enzymen aus den primären und sekundären Granula der Zellen. Diese Sauerstoffspezies und Enzyme sind für die intrazellulär ablaufenden Bakterizidie-Mechanismen notwendig. Das Entkommen solcher granulozytärer Faktoren aus aktivierten und phagozytierenden Zellen wird aber auch für die Entstehung und Perpetuierung des posttraumatischen und septischen Organversagens mitverantwortlich gemacht [1, 2]. In einer prospektiven Studie mit allgemeinchirurgischen Patienten wurde der Einfluß von bakteriellen Infektionen auf polymorphkernige neutrophile Granulozyten hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Produktion von Sauerstoffradikalen und Freisetzung der neutralen Serinprotease Elastase aus den primären Granula der Zellen bestimmt. Methodik 82 Männer und 49 Frauen im Alter von 1 4 - 9 0 Jahren (x = 59,7 ± 1,28 SEM) mit abdominalen und thorakalen Eingriffen, aber auch aus der Gefäß- und Unfallchirurgie wurden in die Studie aufgenommen. Während des postoperativen Verlaufs auftretende entzündliche Komplikationen wurden entsprechend ihrer klinisch faßbaren Ausdehnung täglich neu eingestuft: Der komplikationslose Verlauf wurde mit I, leichte bis mittelschwere Infektionen (Wundinfektion, lokale Peritonitis, basale Pneumonie) mit II, bedrohliche Infektionen (Peritonitis von mehr als 1 Quadranten, ausgedehnte Bronchopneumonie) mit III und die klinisch definierte Sepsis mit IV beurteilt. Die Fähigkeit der P M N zur Freisetzung von Sauerstoffradikalen wurde mit Hilfe der Stimulierbarkeit zur Chemilumineszenz im Vollblut bestimmt [3]. Angegeben wird die spezifische Aktivität, das ist die Photonen-Emission pro 10 3 Granulozyten. Der Normalwert beträgt 699 ± 1 1 6 Impulse pro 30 Minuten (x ± SEM). Elastase liegt im Plasma gebunden an ihren natürlichen Inhibitor den Alpha-l-ProteinaseInhibitor vor. Die Bestimmung dieses Elastase-Alpha-l-Proteinase-Inhibitor-Kom-
220
D. Inthorn, M. Jochum
plexes erfolgte nach dem von Neumann et al. angegebenen Test [4]. Der Normalbereich im Citratplasma liegt zwischen 30 —160 ng/ml mit einem Medianwert von 84 ng/ml. Ergebnisse In den Abbildungen 1 und 2 sind die untersuchten Parameter während der Entstehungsphase bakterieller Entzündungen dargestellt. Die Stimulierbarkeit zur Chemilumineszenz wird durch bakterielle entzündliche Komplikationen im postoperativen Verlauf stark gesteigert. Die spezifische Aktivität steigt bei den später versterbenden Patienten zum Teil bis auf das lOfache der Norm an. Auffallend ist, daß bei den versterbenden Kranken bereits am Tag vor der klinischen Manifestation der bedrohlichen Infektion bzw. Sepsis der Spitzenwert erreicht wird, wohingegen bei den überlebenden Kranken die M a x i m a der Chemilumineszenzwerte parallel mit den klinisch beurteilten höchsten Schweregraden der Infektion auftreten. Die spezifische Aktivität liegt bei den überlebenden Kranken während der ersten bedrohlichen Infektions- bzw. Sepsistage durchweg niedriger als bei den Versterbenden. So stammt auch der höchste Einzel wert von 6021 Impulsen/10 3 Granulozyten in dieser Krankheitsphase von einem versterbenden Patienten, der höchste Wert von einem überlebenden Kranken betrug 4067 Impulse/10 3 Granulozyten. Spezifische Aktivität ( g l SEM)
Bedrohliche Infektion/Sepsis
Abb. 1
Stimulierbarkeit zur Chemilumineszenz in der Entstehungsphase der Entzündung. Tag 1 - 4 : Komplikationsfreier bzw. -armer Verlauf. Am 5. Tag erstmalige und bis Tag 9 andauernde bedrohliche Infektion bzw. Sepsis. ( ) = verstorbene Patienten (n = 11); ( ) = überlebende Patienten (n = 11).
Auswirkungen chirurgischer Infektionen auf die Stimulierbarkeit zur Chemilumineszenz
221
Die Plasmakonzentration des Elastase-Alpha-l-Proteinase-Inhibitor-Komplexes steigt mit der Infektion ebenfalls stark an. Bei den überlebenden Kranken wird mit Beginn der bedrohlichen Infektion/Sepsis am Tag 5 ein Mittelwert von 718 ± 86 ng/ml erreicht. Die Elastasekonzentration fällt in dieser Patientengruppe danach rasch ab, obwohl — klinisch beurteilt — weiterhin eine Infektion des Schweregrades III und IV vorliegt. Bei den später versterbenden Kranken kommt es schon 2 — 3 Tage vor klinisch erkennbarer Verschlechterung des Krankheitsbildes zu einer deutlichen Zunahme der Elastasemengen im Plasma. Nach einem ersten Anstieg bis auf 627 ± 1 3 1 ng/ml am Tag 4 fallen die Konzentrationen im Plasma kurzdauernd ab, um dann wieder rasch bis auf 713 ± 94 ng/ml am 5. Tag mit schwerer Infektion anzusteigen. In dieser Gruppe wurden maximal 2935 ng/ml erreicht. Der Anstieg der spezifischen Aktivität und der Elastasekonzentration im Plasma erfolgt bei den überlebenden Patienten zum Zeitpunkt der klinischen Manifestation der bedrohlichen Infektion und Sepsis. Der frühzeitigere Anstieg bei den später versterbenden Kranken läßt sich am ehesten mit einer verspäteten Diagnosestellung erklären. Der Abfall der Elastasekonzentration bei den überlebenden Kranken nach dem Gipfel am Tag 5 trotz klinisch weiterbestehender schwerer Infektion beschreibt
Elastase (x±SEM)
ng/ml 800
700
600
500
400-
300
200
/
1/ r
1 2
Abb. 2
3
4
5
6 7 8 8 Bedrohliche Inloktlon/Sepal»
d
Plasmaspiegel des Elastase-Alpha-l-Proteinase-Inhibitor-Komplexes in der Entstehungsphase der Infektion. Erläuterungen siehe Abb. 1.
222
D. Inthorn, M. Jochum
eine Besserung des Krankheitsbildes, welche mit den üblichen klinischen Parameter noch nicht erfaßt wurde. Bezieht man alle Studienpatienten in die Betrachtung ein, so lassen sich diese an kleinen Gruppen im Entzündungsverlauf gemachten Beobachtungen bestätigen. Die spezifische Aktivität zur Chemilumineszenz wird durch leichte bis mittelschwere (Schweregrad II) und bedrohliche Infektionen (Schweregrad III) nur wenig gegenüber dem Normalwert und den Werten, welche während des postoperativen komplikationslosen Verlaufs (Schweregrad I) zu beobachten sind, gesteigert. Erst in der Sepsis sieht man dann einen sprunghaften Anstieg auf x = 1270 ± 69 Impulse/10 3 Granulozyten (Abb. 3). Spezifische Aktivität ( x ± SEM)
1,8 1.6 •
n = 27 (273)
1,4 •
X
1,2
W-M.
2
n = 41
Q_
(250)
0,8
r = 100
T
(598)
III
m
0,4
i m
T
IUI
'///////z
''//////
III
III
III
i m
''///S'/,
''/////,
III
V/////,',
vääi-.
Wäft-.
III
0,2
Gr. I
Abb. 3
y//'////,
'//////
T
O
n = 29 (247)
Gr. II
Gr.
Gr. IV
Stimulierbarkeit zur Chemilumineszenz während der Beobachtungsphasen mit Entzündungsschweregrad (Gr.) I — IV. n = Zahl der Patienten, ( ) Zahl der Bestimmungen.
Vergleicht man die spezifische Aktivität der Sepsisphase von Patienten, die überlebten, mit der von Kranken, die danach verstarben, so fällt auf, daß die Aktivität bei den Überlebenden Werte aufweist, die dem Schweregrad II und III der Entzündung entsprechen. Die Granulozyten der später versterbenden Patienten sind dagegen wesentlich stärker zur Chemilumineszenz anzuregen, wobei die Kranken mit foudroyant verlaufender letaler Sepsis 4fach höhere Werte an spezifischer Aktivität zeigen als die überlebenden Patienten (Tab. 1).
Auswirkungen chirurgischer Infektionen auf die Stimulierbarkeit zur Chemilumineszenz Tabelle 1
223
Stimulierbarkeit zur Chemilumineszenz während der Sepsis Verstorbene Uberlebenszeit Überlebende
Patienten
> 10 Tage
11
Gesamtaktivität
68 304 ± 8 466 (89)
Spezif. Aktivität ±
717 70 (87)
< 10 Tage
9
5
±
115 070 7 781 (167)
86 645 + 18 112
±
1 434 92 (163)
2 691 ± 307 (18)
(21)
(n) = Zahl der Einzelmessungen
Die Plasmakonzentration des Elastase-Alpha-l-Proteinase-Inhibitor-Komplexes ist während komplikationsfreier postoperativer Phasen durchschnittlich auf x = 268 ± 10 ng/ml erhöht. Bakterielle Infektionen führen zu einem deutlichen Konzentrationsanstieg entsprechend dem Schweregrad der Entzündung (Abb. 4). Die Untersuchungsergebnisse zeigen, daß im postoperativen Verlauf auftretende bakterielle Infektionen zu einer deutlichen Aktivitätssteigerung von polymorphkernigen neutrophilen Granulozyten führen. Die Stimulierbarkeit zur Chemilumineszenz — Elastase ng/ml
Abb. 4
(x ± SEM)
Plasmakonzentrationen des Elestase-Alpha-l-Proteinase-Inhibitor-Komplexes während der Beobachtungsphasen mit Entzündungsschweregrad I — IV. Erläuterungen siehe Abb. 3.
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D. Inthorn, M . Jochum
d. h. die Fähigkeit zur Produktion von toxischen Sauerstoffverbindungen — und die Plasmakonzentration des „Marker-Enzyms" des Neutrophilen, der lysosomalen Ekstase, sind vor allem in der letal verlaufenden Sepsis massiv gesteigert. Damit stehen zwei klinisch-chemische Parameter zur Verfügung, die nicht nur eine hervorragende Verlaufsbeurteilung bakteriell entzündlicher Komplikationen zulassen, sondern darüber hinaus auch eine Aussage über die Gefährdung eines Patienten ermöglichen. Die Ergebnisse unterstreichen zudem die Vermutung, daß in der letal verlaufenden Sepsis eine Substratzerstörung durch oxidative Denaturierung und unspezifische Proteolyse eine wesentliche Rolle spielt.
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Beurteilung und Begrenzung des Operationsrisikos — Risiko aus der Sicht des Anästhesisten — K. Geiger, H. Lutz
Der Ausgang einer Operation hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es sind dies im wesentlichen die Grundkrankheit und die Begleiterkrankungen sowie die prä- und postoperative Behandlung. Aber auch die Anästhesie und die Operation selbst sind mit einem gewissen Risiko behaftet.
Narkoseletalität Die Narkoseletalität wird in der Literatur zwischen 0,02% [6] und 1,17% [3] angegeben. Die Schwankungsbreite ist nicht etwa das Ergebnis eines unterschiedlichen Leistungs- oder Sicherheitsstandards in den einzelnen Institutionen, sondern ist hauptsächlich auf die verschieden langen Beobachtungszeiträume in den einzelnen Studien zurückzuführen. So erstreckte sich der Untersuchungszeitraum bei der heute noch als klassisch anzusehenden Studie von Beecher und Todd [1] vom Operationstag bis zum Tag der Entlassung oder des Todes. Andere Untersucher [4, 11] haben deutlich kürzere Beobachtungszeiträume analysiert. Einige [7, 9] beschränkten ihre Untersuchungen auf die intra- bzw. perioperative Letalität. Außerdem sind die Kriterien, nach denen ein Todesfall der Anästhesie zuzurechnen ist, von Autor zu Autor verschieden. Liegt außer dem zu operierenden Grundleiden keine weitere Nebenerkrankung vor, so beträgt nach Link [7] das Anästhesierisiko, definiert als Wahrscheinlichkeit, an einer Anästhesie zu sterben, 0 : 51 531. Bei mehr als 4 Nebenerkrankungen steigt es jedoch beträchtlich an auf 1 : 700. Bei der Bewertung der Letalitätsstatistik ist der Anteil an Kindern und alten Menschen zu berücksichtigen. Smith [12] gibt für Kinder unter einem Jahr das Letalitätsrisiko mit 1 : 3 7 0 0 und für Kinder von 1 — 10 Jahren mit 1 : 10 700 an. Das höchste Risiko haben Neugeborene. Jenseits des 7. Jahrzehnts steigt das Anästhesierisiko deutlich an, wobei die Risikozunahme nicht so sehr durch das Alter selbst als durch Anzahl und Schwere der Begleiterkrankungen bestimmt wird. In Tab. 1 sind die häufigsten Ursachen der Narkoseletalität zusammengefaßt. Sie lassen sich unterteilen in Störungen des respiratorischen Systems, hervorgerufen durch Aspiration, Inturbationsschwierigkeiten, Hypoventilation und Atemwegsobstruktion und in kardiovaskuläre Komplikationen. Hier sind es vor allem eine nicht erkannte Hypotension, eine Hypovolämie oder eine Medikamentenüberdosierung. Mechanische Ursachen können in einem Sauerstoffausfall, Leck in der Frischgaszufuhr, Dis-
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K. Geiger, H. Lutz
Tabelle 1
Ursachen anästhesiebedingter Todesfälle (nach [14] )
Störungen des Atemsystems — Aspiration — Intubationsprobleme — Hypoventilation — Atemwegsobstruktion Störungen des Herz-Kreislauf-Systems — Hypotension — Hypovolämie — Überdosierung Mechanisches Versagen — Sauerstoffmangel — Leck — Diskonnektion — Obstruktion Menschliches Versagen — Mangelnde Ausbildung — Fehler Organisatorische Mängel — Beaufsichtigung — Aufwachraum Monitoring — Mangelndes Monitoring
konnektion oder Verlegung im Narkosesystem liegen. Die häufigsten Ursachen menschlichen Versagens sind mangelnde Qualifikation und fehlerhafte Narkoseführung. Als Organisationsmängel sind eine unzureichende Überwachung und das Fehlen eines Aufwachraumes anzusehen. Schließlich kommt dem Monitoring eine gewisse Bedeutung in der Senkung der Narkoseletalität zu. Analysiert man die Ursachen, die zum Tode geführt haben, so ergibt sich folgender Geschehensablauf: Menschliches, mechanisches oder organisatorisches Versagen bzw. Verschulden münden in eine fehlerhafte Narkoseführung. Durch die dadurch entstehenden physiologischen Störungen kann es zum Herz-/Kreislaufstillstand kommen, der, wenn er nicht rechtzeitig erkannt und erfolgreich behandelt wird, den Tod des Patienten oder eine schwere Gesundheitsschädigung zur Folge haben kann. Bei Patienten ohne Nebenerkrankung liegt das Risiko, einen anästhesieinduzierten Herzstillstand zu erleiden, bei 1 : 17 177. Dieses Risiko nimmt mit steigender Zahl der Nebenerkrankungen zu. Bei mehr als 4 Begleiterkrankungen beläuft es sich auf 1 : 190 [7]. Ein weiterer Risikofaktor ist das Alter. Für Neugeborene mit schweren Erkrankungen beträgt es 1 : 89, für 80 —89jährige 1 : 1190 [7]. Insgesamt wird das Risiko eines anästhesiebedingten Herzstillstandes für alle Patienten ungeachtet des Alters und der Nebenerkrankungen von Link [7] mit 0,5%o angegeben.
Beurteilung und Begrenzung des Operationsrisikos — Risiko aus der Sicht des Anästhesisten
227
Narkosemorbidität Anästhesiebedingte Morbidität ist im Vergleich zur Narkoseletalität erheblich schwieriger zu definieren und zu erfassen. Das Spektrum erstreckt sich von einem Hämatom durch eine erfolglose Venenpunktion, Erbrechen, Rückenschmerzen bis hin zur Aspirationspneumonie und Hepatitis, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Schwere der Schäden kann von einigen Unannehmlichkeiten, wie Übelkeit, Kopfschmerzen bis zum schweren Hirnschaden reichen. Kleinere Komplikationen wie Übelkeit und Kopfschmerz sollten in ihren Auswirkungen nicht unterschätzt werden, können sie doch bei ambulanten Patienten eine stationäre Aufnahme notwendig machen. Die sozialen und finanziellen Folgen können beträchtlich sein. Bei zahlreichen Komplikationen, wie z. B. tiefe Venentrombose, postoperative Pneumonie und Herzinsuffizienz, ist der Beitrag durch die Anästhesie schwer abzuschätzen. Als häufigste Ursachen der Narkosemorbidität gelten Übelkeit und Erbrechen, Schmerzen, Zahnschäden, periphere Nervenläsionen, oberflächliche Narkoseführung, Angst [14]. Nur sehr wenige Autoren haben neben der Frage der Häufigkeit der Komplikationen auch die subjektive Bedeutung der einzelnen Beschwerden für den Patienten untersucht. Schmerz, präoperative Angst, das Liegen einer Magensonde, Halsschmerzen und intraoperatives Erwachen stehen an der Spitze der Patientenbeschwerden. Knapp die Hälfte der Patienten haben den Schmerz, die präoperative Angst und das Vorhandensein einer Magensonde als besonders unangenehm empfunden [2],
Risikoklassifizierung Da das Risiko des operativen Eingriffs in einem erheblichen Maße vom Zustand des Patienten abhängt, hat man versucht, eine Klassifizierung des Risikos vorzunehmen, um zum einen bei gefährdeten Patienten durch begleitende perioperative Maßnahmen das Risiko zu minimieren und zum anderen durch die Zuordnung der Patienten zu bestimmten Risikogruppen die Möglichkeit zu schaffen, die angewandte Methode hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit nach vergleichbaren Kriterien zu überprüfen. Die American Society of Anesthesiologists (ASA) hat 1940 5 Risikogruppen vorgeschlagen, die 1961 und 1974 in einigen Punkten modifiziert worden sind. Die Zuordnung der Patienten in die ASA-Gruppen erfolgt nach den in Tab. 2 dargestellten
Tabelle 2
ASA-Risikogruppen und Beurteilungskriterien
ASA-Risikogruppen I: II: III: IV:
Normaler Gesundheitszustand Patient mit leichter Systemerkrankung Patient mit schwerer Systemerkrankung Patient mit schwerster Systemerkrankung
(konstante Lebensbedrohung) V: Moribunder Patient
228
K. Geiger, H. Lutz
Beurteilungskriterien. Die Einteilung stützt sich nicht auf objektive Kriterien. Somit ist dem subjektiven Ermessensspielraum eine große Möglichkeit gegeben. Die Art der Operation findet bei der Klassifizierung keine Berücksichtigung. Die Überprüfung der Zuverlässigkeit der Risikoeinteilung hat ergeben, daß die Klassifizierung zwar gut mit der operativen Gesamtletalität übereinstimmt, nicht hingegen mit der Anästhesieletalität. Jeder Notfalleingriff verdoppelt nahezu die Letalität in der einzelnen Risikogruppe [5]. In dem Bemühen, die Risikoeinteilung auf dem Boden objektiver Daten vorzunehmen, wurde 1972 die sogenannte „Mannheimer Risiko-Checkliste" entwickelt. Diese stützt sich auf exakt fundierte Befunde, die einem Punktewertsystem zugeordnet sind. Kardiovaskuläre und bronchopulmonale Erkrankungen, Stoffwechselkrankheiten, der Allgemeinzustand und die Operationsart besitzen für die Zuordnung einen besonderen Stellenwert. Während der operative Eingriff in der Reihenfolge — Oberflächenchirurgie — Extremitätenchirurgie — Thoraxchirurgie — Oberbauchchirurgie — das Operationsrisiko deutlich erhöht, hat die Operationsdauer selbst keinen oder nur einen sehr geringen Einfluß. Nach den Untersuchungen von Lutz et al. [10, 13] an 153 660 Patienten beträgt die intraoperative Letalität in Risikogruppe I: 0 . 0 0 1 % ; II: 0 . 0 0 5 % ; III: 0 . 0 2 % ; IV: 0 . 1 1 % ; V: 0 . 6 1 % . Die Anästhesie ist nicht risikofrei. Selbst gesunde Patienten weisen ein, wenn auch geringes, Anästhesierisiko auf. Besonders schwerwiegend sind die folgenschweren Zwischenfälle bei jungen, gesunden Patienten, die sich einem kleinen operativen Eingriff unterziehen. Daher kann die Anästhesie nicht ernst genug genommen werden!
Senkung des Anästhesierisikos Ungenügende Voruntersuchungs- und Vorbereitungsmaßnahmen können wesentliche Ursachen für Anästhesiezwischenfälle sein. Da die Allgemeinanästhesie den Gesamtorganismus beeinflußt, muß vor einer derart eingreifenden Maßnahme die Prüfung der Organsysteme gefordert werden. Dies gilt ebenso für die regionalen Anästhesieverfahren, wenngleich hier gewisse Einschränkungen möglich sind. Es ist jedoch nicht gerechtfertigt, wegen einer unzureichenden Vorbereitung bei einem elektiven Eingriff auf ein regionales Anästhesieverfahren auszuweichen; denn das Risiko der rückenmarksnahen Nervenblockaden ist keinesfalls geringer als das der Allgemeinanästhesie [3]. Das präoperative Untersuchungsprogramm darf auch nicht von der Art und Dauer der Operation abhängig gemacht werden, sondern lediglich von der Dringlichkeit zum operativen Eingriff. Dabei lassen sich 4 Dringlichkeitsstufen unterscheiden: Stufe I II III IV
Operation vital, sofort dringlich, nicht geplant bedingt dringlich, geplant nicht dringlich, geplant
Beurteilung und Begrenzung des Operationsrisikos — Risiko aus der Sicht des Anästhesisten
229
Nur die Dringlichkeitsstufen I und II lassen eine Kürzung des präoperativen Untersuchungsprogramms vertretbar erscheinen; in den Gruppen III und IV sind Kompromisse in dieser Hinsicht nicht erlaubt. Aus organisatorischen Gründen ist zu empfehlen, vor elektiven Eingriffen ein präoperatives Routine-Untersuchungsprogramm durchzuführen, das hinreichende Informationen über die Leistungsfähigkeit der wesentlichen, im Rahmen einer Anästhesie betroffenen Organsysteme vermittelt. Eine Kürzung dieses Untersuchungsprogramms sollte nur in begründeten Fällen erfolgen. Andererseits sind Erweiterungen erforderlich, wenn schwerwiegende Nebenerkrankungen vorliegen. Darüber hinaus ist im Einzelfall zu prüfen, ob weitergehende Untersuchungen und Vorbereitungen wie z. B. Inhalationstherapie notwendig sind, wobei die Interessen aller für den Patienten verantwortlichen Fachrichtungen berücksichtigt werden müssen. Sämtliche Befunde sollten nicht älter als 2 Wochen sein, ungekürzt im Original vorliegen und die variierenden Normbereiche aufzeigen. Zeigt das Ergebnis der klinischen Untersuchung und/oder der Laboruntersuchungen bei einem elektiv geplanten Eingriff, daß durch Vorbehandlung eine Besserung des Patientenstatus zu erzielen ist, so muß der Patient von der Operation zurückgestellt werden, wenn bis zum Operationstag keine adäquate Vorbereitung mehr erfolgen kann. Das Bestreben aller an der Behandlung des Patienten Beteiligten muß es sein, durch eine Optimierung der Ausgangssituation das Risiko zu minimieren, um so den gewünschten Behandlungserfolg zu erreichen. Oberstes Gebot ist die Sicherheit des Patienten, dem alle anderen Überlegungen einschließlich eines ungestörten Ablaufs des Operationsprogramms untergeordnet werden müssen. Durch entsprechende organisatorische Voraussetzungen, wie z. B. die Einrichtung einer Risikoambulanz, kann den Bedürfnissen des Anästhesisten und den Wünschen des Operateurs weitgehend Rechnung getragen werden.
Schlußbemerkungen Die Narkoseletalität hat in den letzten Jahren nicht abgenommen. Es ist vielleicht auch unrealistisch, eine Verringerung des Anästhesierisikos zu erwarten, wenn man bedenkt, daß zunehmend ältere und kränkere Menschen operiert werden, die Operationsindikation und Operationstechnik stets erweitert wird, und kontinuierlich neue Anästhesisten eingestellt und ausgebildet werden müssen. Neue Geräte, Techniken und Pharmaka werden in die Klinik eingeführt. Ihre Überlegenheit und Sicherheit kann sich nur im praktischen Einsatz zeigen. Seit einigen Jahren führen finanzielle Überlegungen zu Beschränkungen bei der Anstellung von qualitativ und quantitativ ausreichendem Personal, bei der Anschaffung von Geräten und der Bewilligung von notwendigen Investitionen. Zwischen 50 — 82% der Narkosezwischenfälle mit Todesfolge oder Invalidität sind auf menschliches Versagen zurückzuführen [14]. Die Hälfte davon könnte vermieden werden. Ungenügende Ausbildung des Anästhesisten und unzureichende Beaufsichtigung durch erfahrene Fachkollegen gehören ebenso zu
230
K. Geiger, H. Lutz
den H a u p t u r s a c h e n wie m a n g e l n d e Ü b e r w a c h u n g des Patienten durch den Anästhesisten infolge v o n Ü b e r m ü d u n g o d e r gleichzeitiger Ü b e r t r a g u n g v o n organisatorischen u n d / o d e r pflegerischen Aufgaben [8]. D e r Anteil der gerätebedingten schenfälle
wird
auf 3 — 5 %
geschätzt.
20%
aller
schweren
Narkosezwi-
Narkosezwischenfälle
e r e i g n e n s i c h in d e r u n m i t t e l b a r p o s t o p e r a t i v e n P h a s e . D i e s e m ü ß t e n n i c h t a u f t r e t e n , w e n n die s t r u k t u r e l l e n , o r g a n i s a t o r i s c h e n , t e c h n i s c h e n u n d v o r a l l e m d i e p e r s o n e l l e n V o r a u s s e t z u n g e n erfüllt w ä r e n ! D i e U r s a c h e n d e r a n ä s t h e s i e b e d i n g t e n G e s u n d h e i t s s c h ä d e n u n d T o d e s f ä l l e sind w o h l bekannt
und
haben
s i c h in d e n v e r g a n g e n e n
Jahren
kaum
geändert.
Zukünftige
B e m ü h u n g e n m ü s s e n sich d a r a u f k o n z e n t r i e r e n , die n o t w e n d i g e n K o n s e q u e n z e n a u s den bisher gesicherten Erkenntnissen zu ziehen und n a c h neuen W e g e n zu suchen, d i e N a r k o s e z w i s c h e n f ä l l e zu v e r h i n d e r n h e l f e n .
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Das gesamtoperative Risiko aus anästhesiologischer Sicht H. Wroblewski, K. Unertl
Das Anästhesierisiko ist nur ein Teilaspekt des gesamtoperativen Geschehens, das nicht isoliert und abstrakt vom operativen Vorgang und den Grund- und Begleiterkrankungen des Patienten betrachtet werden soll. Denn die eindeutige Zuordnung einer Komplikation kann wegen der wechselseitigen Abhängigkeit und Beeinflussung außerordentlich erschwert sein. Die Komplexität des Geschehens läßt geboten erscheinen vom gesamtoperativen Risiko zu sprechen, das durch die 3 Faktoren beeinflußt wird: 1. Anästhesie 2. Operation 3. Grund- und Begleiterkrankungen des Patienten
Systematik der Risikoerfassung Die Einschätzung des Risikos für den Patienten kann allgemein oder davon losgelöst nur hinsichtlich der Beteiligung einzelner Organsysteme erfolgen. Für die Gefährdung eines Organs bzw. Organsystems seien die Untersuchungen von Tarhan, Rao und Goldman genannt. Wegen der überragenden Bedeutung der kardiovaskulären Vorerkrankungen für das Risiko sowie wegen der hohen Letalität des perioperativen Infarktes, Untersuchungen mit großer Signalwirkung. Die allgemeine Risikoeinschätzung wird im anglo-amerikanischen Raum nach der sogenannten ASA-Nomenklatur vorgenommen. Normale gesunde Patienten werden in Gruppe I eingestuft, moribunde Patienten, von denen erwartet wird, daß sie 24 Stunden nicht überleben werden, kommen in Klasse V. In verschiedenen Untersuchungen wird eine Zunahme der postoperativen Letalität steigender Risikogruppen festgestellt. Wegen der fehlenden exakten Definition der Risikokategorien wird nach unserer Meinung aber dem Untersucher ein zu breites subjektives Beurteilungsermessen eingeräumt. Denn bei der Gegenüberstellung der Studie von Marx [1] und Vacanti [3] liegen die Letalitätsziffern bei identischen Risikogruppen weit auseinander. So liegt bei M a r x die Letalitätsziffer in der Risikogruppe IV bei 23,5% und bei Vacanti bei 7 , 8 % . Auch widerlegen bei Vacanti 90% der Patienten der höchsten Risikogruppe V die a priori postulierte Prognose, daß mit ihrem Ableben unmittelbar gerechnet werden muß. Nachweislich besser geeignet zur Einschätzung des Risikos ist eine präoperative Checkliste, die spezifische Risikofaktoren mit Hilfe eines Zahlenschlüssels bewertet, woraus schließlich verschiedene Risikogruppen resultieren.
232
H. Wroblewski, K. Unertl
Deshalb wird am Institut für Anästhesiologie der LMU München die sogenannte Münchener Risikocheckliste verwendet, die in ihren Anfängen auf die sogenannte Mannheimer Liste zurückzuführen ist. Nach mehrjähriger Erfahrung und mehreren Kontrollstudien sowie Änderungen hat sich diese Liste zur Einschätzung des Risikos postoperativer Komplikationen außerordentlich bewährt (Abb. 1). Als Komplikation gilt die intensivpflichtige, d. h. schwerwiegende, potentiell lebensbedrohliche Erkrankung. Nach der Münchner Risikocheckliste unterscheiden wir zwischen Patienten die ein geringes, mittleres bzw. hohes Risiko aufweisen, solche schwerwiegende Komplikationen zu erleiden. Nach der letzten prospektiven Untersuchung [2] mit 2173 Patienten, beträgt das Risiko für die Patienten der Gruppe I 0 , 1 % , für die Gruppe II 6,3% und für die Risikogruppe III 43,3% (Tab. 1). Dieses Ergebnis der präoperativen Risikoklassifizierung unter Berücksichtigung des tatsächlichen Verlaufs erlaubt eine
Präoperative Risiko-Checkliste 0
1
2
3
• dringliche Operation
geplante Operation •ambulant • stationär OP-Gebiet
• thorakale O P • abdominelle OP
AnAsthesiedauer • < 1 2 0 min
Andsthesiedauer • 120-180 min
Anästhesiedauer • > 180 min
Atter • 1 - 3 9 Jahre
Atter • 40-59 Jahre
Alter • > 5 9 Jahre
Altgemeinzustand •gut
• chron. konsum. Erkrankung
• Immobilisierung
Herzleistung • normal • keine koronare Herzerkrankung
• Belastungsinsuffizienz • Akrozyanose • Digitalismedikation • Herzvitium
• • • • •
Herzrhythmus • normal
• kein Sinusrhythmus • AV-Block I, II • kompl. Rechtsschenkelblock
• • • •
Kreislauf u. GefflBsyst. • unauffällig
• Hypertonie (RR >145/95)
• arterielles VerschluBieiden
Atmungsorgane • unauffällig
• akute Bronchialerkrankung • chron. Bronchialerkrankung • Emphysem
Stoffwechsel • normal
• Ubergewicht > 30 %
• OP-Aoita
• ak. Vitalbedrohung • z. 8 Schock, • Lungenversagen
• BewuBtsein ungetrübt
• Bewußtlosigkeit Herzvergrößerung Beinödeme Jugularvenenstauung Angina pectoris Innenschichtschaden i. EKG • Infarkt vor > 6 Mo.
• Pneumonie • pulmonale Dyspnoe
• Diabetes mellitus Serumkalium • < 3 mmol/l • > 5 mmol/1
HAmoglobingehalt • normal
Hb • < 1 2 , 5 g%
Leberfunktion • normal
• Transaminasen erhöht • Gamma-GT erhöht • Quick erniedrigt • Lebercirrhose
Nierenfunktion • normal
Retentionswerte •erhöht
Punkte
Abb. 1
• Lungenstauung • Infarkt vor < 6 Mo. • > 1 abgeiauf. Infarkt
Tachykardie supraventrikuläre E S ventrikuläre E S ünksschenkelblock
Serumkalium • normal
Risikogruppe
Punkte
4 • Notoperation
I geringes Risiko
II mittleres Risiko
III hohes Risiko
0-6
7-10
>10
Punkte
Risiko-Checkliste des Instituts für Anästhesiologie der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Das gesamtoperative Risiko aus anästhesiologischer Sicht Tabelle 1
233
Risikoindex (Inst. f. Anästh. L M U München 1984) Komplikationen
Gruppe
Punkte
Anzahl Patienten
1 II III
0-6 7-10 > 10
1620 3 66 187
2 23 81
0,1 6,3 43,3
2173
106
4,9
Gesamt
Anzahl
%
Aussage über den Zuverlässigkeitsgrad der Risikoeinstufung. Denn in der Risikogruppe I war in 99,9% der Fälle der Verlauf frei von Komplikationen, und in der Risikogruppe III im Gegensatz dazu, war beinahe jeder 2. Patient von schwerwiegenden Komplikationen betroffen. Das Histogramm in der Abb. 2 stellt für Patienten mit einer bestimmten Risikopunktzahl den prozentualen Anteil der Fälle mit Komplikationen dar. Er beträgt bis zu 4 Risikopunkten 0% und erreicht bei einer Punktzahl von 19 100%. C % J Patienten mit Komplikationen
100 90 80 70
60 50 40 30 2(H
10 0 Abb. 2
10
15
20
2 5 RisikopunktzaMen
Abhängigkeit der postoperativen Komplikationsrate von der präoperativ ermittelten Risikopunktzahl — Prospektive Studie bei 2173 operativ behandelten Patienten (Inst. f. Anästh. LMU München, 1984).
Die Münchner Risikocheckliste Die Münchner Risikocheckliste ist in 15 Zeilen und 5 Spalten gegliedert. Jede Zeile enthält in abgestufter Wertigkeit Informationen zu einem Risikobereich. Im einzelnen sind dies: Operationsdringlichkeit, Operationsgebiet, Anästhesiedauer, Lebensalter,
234
H . Wroblewski, K. Unertl
Allgemeinzustand, Bewußtseinslage, Herzleistung, Elektrokardiogramm, Kreislauf, Atmungsorgane, Stoffwechsel, Serumkalium, Hb-Gehalt des Blutes, Leber und Nierenfunktion. In den Spalten 1—5 werden die Daten nach der berechneten Risikowertigkeit geordnet. Spalte 1 (0 Punkte) enthält diejenigen Faktoren, die zu keiner meßbaren Risikoerhöhung führen und Spalte 5 (4 Punkte) Faktoren mit dem höchsten errechneten Risiko. Zur Berechnung der Risikogruppe wird für jede Zeile 1 Punktewert (0, 1, 2, 3 oder 4) für den höchsten zutreffenden Risikofaktor vergeben und die Punktesumme aus den Zeilen 1—5 ermittelt. Patienten mit bis zu 6 Punkten bilden Risikogruppe 1 (geringes Risiko), Patienten mit 7 — 10 Punkten Risikogruppe 2 (mittleres Risiko), und Patienten mit mehr als 10 Punkten bilden die Gruppe 3 (hohes Risiko).
Einzelne Risikofaktoren Aus der Vielzahl relevanter Risikofaktoren werden nachfolgend das Alter, der Allgemeinzustand, die Operationsdringlichkeit und das Operationsverfahren dargestellt.
—i— 10
Operationen
Komplikationen 15
20
Allgemeinchirurgie
Gefäßchirurgie
155
Extremitäten-Chirurgie
159
Urologie (kl. Eingriffe)
268
Urologie (gr. Eingriffe)
115
N^Sffäj
HNO (kl. Eingriffe)
552
1
HNO (gr. Eingriffe)
68
I Ü
Orthopädie (kl. Eingriffe) 272
1
Orthopädie (gr. Eingriffe) 55
[ZZZ
Gesamt 2173 Abb. 3
Pffl
t
.
Iiis
. .. Sä
3
j
Postoperative Komplikationsraten in verschiedenen operativen Fachgebieten (Inst. f. Anästh. L M U M ü n c h e n , 1984).
Das gesamtoperative Risiko aus anästhesiologischer Sicht
235
Die Rate der lebensbedrohlichen Komplikationen beträgt bei Patienten unter 59 Jahren 2 , 9 % , bei Patienten über 59 Jahren 10%. Wir haben versucht, den Faktor Lebensalter an sich zu bewerten. Hierzu wurde die Häufigkeit postoperativer Komplikationen bei verschiedenen Altersgruppen in den Risikogruppen I —III berechnet, wobei jedoch das Alter bei der Risikobewertung der Patienten ausgeschlossen war. Hier ergibt sich ein überraschender Befund. Die Häufigkeit postoperativer Komplikationen war in den beiden Altersklassen nahezu gleich. Dies bedeutet, daß das Alter an sich kein Risikofaktor ist, sondern eher die Tatsache, daß im Alter die Häufigkeit der risikorelevanten Vorerkrankungen deutlich zunimmt. Für Patienten in gutem Allgemeinzustand war die Komplikationsquote gering (n = 1 7 9 6 , 1 , 4 % ) . Sie erhöhte sich mit dem Merkmal einer chronisch konsumierenden Erkrankung (n = 302) auf 14,6% und stieg bei präoperativer Immobilisierung
i
n
1
0
10
206 Allgemeinchirurgie
1
20
i
Häufigkeit C%3
1
30
40
""""j
46
Gefäßchirurgie (einschl. Aorta-Eingr.)
114 31
Extremitäten-Chirurgie Operationen 63 Urologie (kl. Eingriffe)
i
Urologie (gr. Eingriffe)
49 5
r [zp
26 r HNO (kl. Eingriffe)
2
Komplikationen
I M
36 HNO (gr. Eingriffe)
8
•F
15 Orthopädie (kl. Eingriffe)
31 Orthopädie (gr. Eingriffe) Abb. 4
7
Hj
Prozentuale Häufigkeit der Operationen und Komplikationen bei Patienten mit erhöhtem Risiko (Gruppe II und III) in verschiedenen Fachgebieten unter Berücksichtigung „kleiner" und „großer" Eingriffe (Inst. f. Anästh. L M U M ü n c h e n , 1984).
236
H. Wroblewski, K. Unertl
(n = 70) auf 40% an. Lag ein lebensbedrohlicher Zustand durch Ausfall vitaler Organsysteme vor (n = 19), so traten erwartungsgemäß nahezu in allen Fällen schwere postoperative Komplikationen auf. Der Einfluß der Operationsdringlichkeit auf Komplikationen ist offensichtlich: 2000 Operationen waren geplant, 76 dringlich, und 17 wurden notfallmäßig durchgeführt. Die postoperativen Komplikationen stiegen von etwas weniger als 5% bei Wahleingriffen über 40% bei dringlichen bis auf annähernd 100% bei Notfalleingriffen. Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, daß Noteingriffe bei vitaler Bedrohung vorgenommen werden, belegt aber auch andererseits die Bedeutung einer sorgfältigen pränarkotischen Befunderhebung und Vorbereitung. Es bestehen erhebliche Unterschiede in der Inzidenz schwerer Komplikationen bei den verschiedenen in der Untersuchung berücksichtigten Fachgebieten. Die höchste Komplikationsrate (20,5%) wiesen gefäßchirurgische Patienten auf, die geringste fand sich mit 0,4% bei den sogenannten kleinen Eingriffen der HNO, Orthopädie und Urologie (Abb. 3). In dieser Darstellung sind neben operativen Einflüssen auch alle weiteren risikobestimmenden Faktoren mitberücksichtigt. Um die Bedeutung des Operationsverfahrens besser zu erfassen, wurde ausschließlich bei Patienten mit erhöhtem Risiko (Gruppe II und III) die relative Häufigkeit der Operationen in den verschiedenen Fächern und Komplikationen verglichen. Es zeigt sich, daß in der Allgemein- und Gefäßchirurgie aber auch bei den sogenannten großen Eingriffen in der HNO, Orthopädie und Urologie Komplikationen überproportional häufig aufgetreten sind. Dagegen waren die sogenannten „kleinen Eingriffe" in diesen Fächern für Risikopatienten offenbar weniger belastend (Abb. 4).
Zusammenfassung Die Bestimmung des gesamtoperativen Risikos kann sich auf objektive Daten stützen. Eine Möglichkeit hierzu bietet die Münchner Risikocheckliste. Die Kenntnis des Risikos begründet aber auch die Pflicht zur Risikoreduzierung. Die Selektionierung der Patienten mit geringem, mittlerem und hohem Risiko erlaubt den gezielten Einsatz risikomindernder Maßnahmen in der Phase der Vorbereitung, Durchführung und Nachsorge operativ zu behandelnder Patienten.
Literatur [1] Marx, G., V. C. Maeto, L. R. Ocking: Computer analysis of postanesthetic deaths. Anesthesiology 39 (1973) 54. [2] Unertl, K., H. Wroblewski, G. Glükker, et al.: Das Risiko in der Anästhesie. Münch. Med. Wochenschr. 23 (1985) 609. [3] Vacanti, C. J., R. J. van Houton, R. C. Will: A statistical analysis of the relationship of physical status to postoperative mortality in 68 388 cases. Anesth. Anaig. (Cleve) 49 (1970) 564. [4] Wroblewski, H., K. Unertl, M . Rauch: Das Alter als gesamtoperativer Risikofaktor. In: Beitr. zur Anästhesiologie und Intensivmedizin. VII European Congress of Anaesthsiology (Hrsg. H. Bergmann, H. Kramar, K. Steinbereithner). Wilhelm Maudrich, Wien - München - Berlin, 1986.
Präoperative Diagnostik und Anästhesierisiko K. W. Christian, H. Gervais, W. Dick
Einleitung Zur Kalkulation des Anästhesierisikos ist vor jeder Anästhesie ein präoperatives Untersuchungsprogramm erforderlich. Der Umfang desselben ist jedoch ebenso strittig wie die Frage, ob das Ausmaß der präoperativen Diagnostik zur Senkung der Komplikationsrate beiträgt [1 — 5].
Zielsetzung Ziel unserer Untersuchungen war es daher, im Rahmen einer prospektiven Studie festzustellen, welche Parameter des präoperativen Screenings sinnvoll sind, und welche gegebenenfalls zur Reduktion perioperativ auftretender Komplikationen beitragen können.
Patientenzahl, Alter und Untersuchungsprogramm Wir untersuchten 379 stationär in der Urologie behandelte Patienten, von denen 232 Männer und 147 Frauen waren mit einem Durchschnittsalter von 54 Jahren bei einer
Tabelle 1
Untersuchungsprogramm stationär urologisch behandelter Patienten (n = 379)
Patientenzahl männlich 232 (61,2%) weiblich 147 (38,8%)
Altersverteilung 16 - 86 Jahre (Durchschnittsalter 54 Jahre)
Untersuchungsprogramm • • • • • •
Anamneseerhebung Gründliche körperliche Untersuchung EKG Röntgen Thorax Internistische Untersuchung Labor: Hb, Hk, Thrombozyten, Quick, PTT, Kalium, Kalzium, Natrium, Chlorid, Blutzucker, Harnstoff, Kreatinin, Gesamteiweiß, SGOT, SGPT, Gamma-GT
238
K. W. Christian, H . Gervais, W. Dick
Spannweite von 16 bis 86 Jahren. Bei allen Patienten wurde folgendes Untersuchungsprogramm durchgeführt: — Anamneseerhebung und gründliche körperliche Untersuchung durch einen erfahrenen Anästhesisten; — Anfertigung eines EKG und Röntgenaufnahmen des Thorax in zwei Ebenen; — körperliche Untersuchung durch einen Internisten; — Bestimmung der aufgeführten Laborparameter: Hb, Hk, Thrombozyten, Quick, PTT, Kalium, Natrium, Kalzium, Chlorid, Blutzucker, Harnstoff, Kreatinin, Gamma-GT, SGOT, SGPT und Gesamteiweiß. Das EKG wurde von einem Internisten, die Röntgenaufnahmen des Thorax vom Radiologen befundet (Tab. 1).
Ergebnisse der Routineuntersuchungen Insgesamt ergaben sich bei 31% der Patienten pathologische Laborwerte, bei nahezu 41% pathologische EKG-Befunde, bei 50% pathologische Röntgen-Thorax-Befunde. Von den pathologischen EKG-Befunden waren knapp zwei Drittel anästhesierelevant (z. B. absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern, ventrikuläre Extrasystolie, AV-Block II. Grades oder ähnliches) verändert. Anästhesierelevante EKG-Befunde bei leerer Anamnese lagen in 16,4% der Fälle vor. Bei den pathologischen Röntgen-Thorax-Befunden ergab sich ein umgekehrtes Bild: nur etwas mehr als ein Viertel waren anästhesierelevant (z. B. pulmonalvenöse Stauung, Linksherzverbreiterung, Ergußzeichen, Atelektasenbildung oder ähnliches); bei leerer Anamnese betrug der Prozentsatz pathologisch relevanter Befunde 23,2% (Tab. 2). Der mit Abstand häufigste pathologische Laborwert war die Gamma-GT, gefolgt von Kreatinin, dem Blutzucker und dem Hämoglobin.
Tabelle 2
Ergebnisse der Routineuntersuchungen Routine
bei leerer Anamnese
Phathologische L a b o r w e r t e
119 ( 3 1 , 4 % )
19 v. 105 ( 2 8 , 1 % )
Pathologische EKG-Befunde
155 ( 4 0 , 9 % )
17 v. 106 ( 1 6 , 4 % )
— davon anästhesierelevant
99 (63,9%)
— davon nicht anästhesierelevant
56 (36,1%)
(n = 3 7 9 )
(n = 3 7 9 ) Pathologische R ö . - T h o r a x - B e f u n d e — davon anästhesierelevant — davon nicht anästhesierelevant (n = 3 5 9 )
186 ( 5 1 , 8 % ) 49 (26,3%) 137 ( 7 3 , 7 % )
23 v.
99 (23,2%)
Präoperative Diagnostik und Anästhesierisiko
239
Ein ähnliches Bild ergab sich auch bei leerer Anamnese mit Gamma-GT, Kreatinin, Blutzucker, SGPT, S G O T und Gesamteiweiß (Tab. 3). Tabelle 3
Ergebnisse der Laboruntersuchungen (n = 379)
Art der
Häufigkeit der
pathol. Ergebnisse
Laboruntersuchung
Routine
bei leerer Anamnese
Gamma-GT
39 (10,3%)
15 (4,0%)
Kreatinin
29 ( 7 , 7 % )
5 (1,3%)
Blutzucker
28 ( 7 , 4 % )
Hämoglobin
22 ( 5 , 8 % )
-
Hämatokrit
21 ( 5 , 5 % )
-
SGPT
14 ( 3 , 7 % )
Harnstoff
14 ( 3 , 7 % )
SGOT
11 ( 2 , 9 % )
Thrombozyten
1 (0,3%)
4 (1,1%) -
3 (0,8%)
Gesamteiweiß
4 ( 1,1%) 3 ( 0,8%)
Kalium
3 ( 0,8%)
-
Quick
3 ( 0,8%)
-
Natrium
2 ( 0,5%)
-
PTT
1 ( 0,3%)
-
-
2 (0,5%)
Intra- und postoperative Komplikationen Insgesamt traten bei 79 der 379 Patienten 98 intra- und postoperative Komplikationen auf; 65 davon ereigneten sich in dem Zeitraum zwischen Narkoseeinleitung und Verlegung in den Aufwachraum, 33 in einem Zeitraum von bis zu 24 Stunden post operationem. Die intraoperativen Komplikationen wurden wie folgt differenziert: 35 Komplikationen seitens des Herz-Kreislauf-Systems wie Blutdruckabfall, Arrhythmien oder ähnliches; 19 Komplikationen bedingt durch technische Probleme, zu hohe Ausbreitung der Regionalanästhesie, Laryngospasmus; 8 Komplikationen durch die operative Technik wie Pleuraeröffnung, akuter starker Blutverlust, Blasenperforation; 3 Komplikationen, die in keine der genannten Kategorien zweifelsfrei einzuordnen waren wie anaphylaktoide Reaktionen. Die 33 postoperativen Komplikationen betrafen vor allem das Auftreten von Übelkeit, Kopfschmerzen und Störungen des kardiozirkulatorischen und respiratorischen Systems.
Perioperative Komplikationen und Voruntersuchungen Analysiert man die angeführten perioperativen Komplikationen mit den dazu sinnvoll erscheinenden Voruntersuchungen (denn: Gerätedefekte, zu hohe Regionalanästhesie, Auftreten von allergischen Reaktionen, Übelkeit und Kopfschmerzen lassen sich auch mit einem noch so umfangreichen Untersuchungsprogramm nicht erkennen), so kann
240
K. W. Christian, H. Gervais, W. Dick
man folgern: Bei den 35 intraoperativen Komplikationen seitens des Herz-KreislaufSystems läßt sich in 28,6% ein Bezug zu den Voruntersuchungen herstellen: 4mal ergab das EKG, 2mal der Röntgen-Thorax-Befund einen Hinweis auf bestehende Störungen; 4mal hatten Anamnese und körperliche Untersuchung einen Bezug herstellen können. Bei den 13 Komplikationen in der postoperativen Phase läßt sich in 69,2% ein Bezug herstellen; hier ergaben sich 2mal Hinweise im EKG und RöntgenThorax; der Rest wurde durch Anamnese und körperliche Untersuchung aufgedeckt (Tab. 4). Tabelle 4
Perioperative Komplikationen und Voruntersuchungen
Komplikationen
seitens des HerzKreislauf-Systems
intraoperativ postoperativ
65 (17,2%) 33 ( 8,7%)
insgesamt
98 (25,9%)
seitens des kardiozirkulatorischen u. respiratorischen Systems
35 (53,8%) 13 (39,4%)
Bezug zu Voruntersuchungen herstellbar
10 (28,6%) 9 (69,2%)
Untersuchungsergebnisse Patienten mit Vorerkrankungen hatten deutlich öfter intra- und postoperative Komplikationen als Patienten ohne Vorerkrankungen (19,4 zu 11,3% bzw. 10,3 zu 4,7%). Patienten mit einem pathologischen körperlichen Untersuchungsbefund zeigten ebenTabelle 5
Untersuchungsergebnisse intraoperative Komplikationen
postoperative Komplikationen
n = 273 n = 106
53 (19,4%) 12 (11,3%)
28 (10,3%) 5 ( 4,7%)
n = 223 n = 156
45 (20,2%) 20 (12,8%)
27 (12,1%) 6 ( 3,9%)
Pathologisch o. B.
n = 119 n = 260
22 (18,4%) 43 (16,5%)
15 (12,6%) 18 ( 6,9%)
EKG Pathologisch o. B.
n = 155 n = 224
26 (16,8%) 39 (17,4%)
19 (12,3%) 14 ( 6,3%)
n = 186 n = 173
35 (18,8%) 30 (17,3%)
19 (10,2%) 14 ( 8,1%)
Vorerkrankungen Ja Nein Körperliche
Untersuchung
Pathologisch o. B. Labor
Röntgen
Thorax
Pathologisch o. B.
Präoperative Diagnostik und Anästhesierisiko
241
falls deutlich häufiger intra- und postoperative Komplikationen (20,2 zu 12,8% bzw. 12,1 zu 3 , 9 % ) . Patienten mit pathologischen Laborbefunden hingegen wiesen bei den intraoperativen Komplikationen keinen deutlichen Unterschied gegenüber solchen mit Normalbefund auf (18,4 zu 16,5%). Postoperativ traten jedoch häufiger Komplikationen auf (12,6 zu 6,9%). Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Patienten mit einem pathologischen EKG-Befund. Patienten mit und ohne pathologischen Röntgen-Thorax-Befund wiesen in etwa gleich häufiger Anzahl intra- und postoperative Komplikationen auf (Tab. 5).
Schlußfolgerungen Unsere Ergebnisse zeigen, daß 1. auch ein ausgedehntes präoperatives Untersuchungsprogramm das Auftreten perioperativer Komplikationen nicht gänzlich verhindern kann; 2. ausführliche Anamneseerhebung und eine gründliche körperliche Untersuchung wesentliche Faktoren der perioperativen Sicherheit des Patienten darstellen; 3. ein individuelles, patientenorientiertes Zusatzdiagnostikprogramm erforderlich ist. Darüber hinaus empfiehlt es sich, bei allen Patienten oberhalb des 40. Lebensjahres ein EKG anzufertigen sowie neben Hb, Hk und Kalium insbesondere Kreatinin, Blutzucker und die sogenannten Leberwerte zu bestimmen.
Literatur [1] Altemeyer, K. H., M. Schultz, H. H. Mehrkens, et al.: Präoperative Befunderhebung durch eine Anästhesieambulanz — Auswertung der Ergebnisse bei 2500 Patienten. Anästh. Intensivmed. 25 (1980) 1. [2] DGAI: Entschließung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin zur anästhesiologischen Voruntersuchung. Anästh. Intensivth. Notfallmed. 17 (1982) 394. [3] Dick, W.: Die präoperative Phase. Jahrestagung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten, Berlin 1983. [4] Lutz, H., P. M . Osswald, J. H. Sender: Ist die Forderung nach einem präoperativen Routineuntersuchungsprogramm (RUP) gerechtfertigt? Anästh. Intensivth. Notfallmed. 18 (1983) 153. [5] Osswald, P. M., H. J. Härtung, U. Feldmann: Prognostische Aussagekraft einer präoperativen Risikocheckliste. Anästhesist 34 (1985) 508.
Risikobeurteilung bei Intensivpatienten in der perioperativen Phase P. Lehmkuhl, U. Lips, M. Ludwig, I. Pichlmayr
Einleitung Kritisch kranke Intensivpatienten sind gekennzeichnet durch schwere Beeinträchtigungen einer oder mehrerer Organfunktionen [8]. Große diagnostische und therapeutische Anstrengungen müssen unternommen werden, um die unmittelbare Gefährdung des Patienten abzuwenden [4], Dazu gehören auch unumgängliche chirurgische Interventionen, die eine zusätzliche Belastung für den Patienten darstellen und die Mortalität entscheidend beeinflussen können. Zur Abschätzung des Grades der Organfunktionsstörungen und der Krankheitsschwere können Score-Systeme eingesetzt werden, durch die prognostische Aussagen durch objektive Erfassung des klinischen Zustandsbildes möglich sind [2, 4, 9, 10]. Es liegt nahe, diese Score-Systeme auch zur Abschätzung des perioperativen Risikos zu verwenden. In einer Studie wurden daher APACHE (Acute Physiology and Chronic Health Evaluation) [6], TISS (Therapeutic Intervention Scoring System) [3], die Mannheimer Risiko-Checkliste [5] und ein neues ScoreSystem (HIS) [7] auf ihre prognostische Wertigkeit getestet.
Methodik Auf einer interdisziplinären anästhesiologischen Intensivstation wurden 220 Patienten, die mit schweren Organfunktionsstörungen überwiesen wurden, mittels der vier Score-Systeme erfaßt. 58 Patienten mußten während des Aufenthaltes auf der Intensivstation relaparotomiert werden. Das mittlere Alter aller Patienten lag bei 54,3 ± 12,7 Jahren, die mittlere Liegezeit auf der Intensivstation betrug 16 Tage (mit einem Minimum von 3 Tagen und einem Maximum von 150 Tagen). Bei 53% der Fälle wurde der Verlauf durch septische, bei 30% durch primär kardiovaskuläre und bei 17% der Fälle durch pulmonale Komplikationen geprägt. Bei septischen Komplikationen lag die Letalität bei 8 8 % , bei pulmonaler Insuffizienz bei 3 2 % . Die Gesamtletalität betrug 5 8 % . In der Gruppe der Polytraumatisierten war die Letalität mit 29% am niedrigsten, nach ausgedehnten intraabdominellen Eingriffen konnte eine Letalität von 65% beobachtet werden. APACHE und TISS wurden täglich vom Aufnahmetag an nach den von Knaus und Cullen angegebenen Richtlinien eingesetzt [3, 6]. Die Mannheimer Risiko-Checkliste wurde in der von Lutz beschriebenen Methode vor den Relaparotomien erhoben [5]. Für die Entwicklung von HIS wurden Parameter aus sechs Organsystemen ausgewählt und jedem System je nach Funktionseinschränkung bis zu drei Risikopunkte zugeordnet. Für besondere Komplikationen wurden Extrapunkte addiert, so daß eine maximale Punktezahl von 32 resultierte [7] (Abb. 1).
244
P. Lehmkuhl, U . Lips, M . L u d w i g , I. Pichlmayr
HiS Summe
0
1
2
3
Zusatz + 1
Temperatur (°C)
36,5—38,5
39.0-40.9 41
Positive Blutkultur
1 '—
Leu kozy ten/mm 2
3000-14900
38.5-38.9 33,9-36,4 15000-19900
200 U Bilirubin Manifeste a-Amylase > 500 U Zirrhose Ikterus |
1 11 1
Abb. 1
Schema des Hannover-Intensiv-Score.
Risikobeurteilung bei Intensivpatienten in der perioperativen Phase
245
Dabei wurde versucht, auf tiefgreifende diagnostische Eingriffe zu verzichten und die Anzahl der Laboruntersuchungen möglichst gering zu halten. Zum Vergleich der Score-Systeme wurden Sensibilität und Spezifität berechnet, statistische Auswertungen wurden mittels T-Test durchgeführt.
Ergebnisse Zwischen TISS und HIS sowie zwischen APACHE und HIS bestand eine deutliche Korrelation (Abb. 2). Die Wahrscheinlichkeit, bei einer HIS-Punktezahl von 6 —8 zu versterben betrug 2 4 % , bei einer Punktezahl von 9 — 11 betrug die Wahrscheinlichkeit zu versterben schon 72% (Tab. 1). Am Aufnahmetag wies der HIS-Score eine Sensibilität von 7 9 % und eine Spezifität von 5 3 % auf. Damit erwies sich der HIS-Score
Merkmal 1 Abb. 2
Korrelation zwischen dem Apache-System und HIS sowie zwischen TISS und HIS.
Tabelle 1
Score
Merkmal 1
Letalität der Intensivpatienten bei Erreichen von HIS-Punkten 6 Punkte =
10%
7 Punkte =
25%
8 Punkte =
40%
9 Punkte =
50%
10 Punkte =
70%
11 Punkte =
85%
1 2 - 1 4 Punkte =
95%
1 5 - 1 7 Punkte =
98%
1 8 - 3 2 Punkte =
100%
246
P. Lehmkuhl, U. Lips, M . Ludwig, I. Pichlmayr
dem APACHE-Score (Sensibilität 8 1 % , Spezifität 2 2 % ) und TISS (Sensibilität 6 6 % , Spezifität 38,3%) überlegen (Tab. 2). Intraoperative Todesfälle wurden bei den Relaparotomien bei Intensivpatienten nicht beobachtet. Dies ist vor allem auf das ausgedehnte Monitoring und die optimale Vorbereitung der Patienten zurückzuführen. Im weiteren Verlauf auf der Intensivstation lag die Letalität allerdings bei 6 3 % . Überlebende wiesen präoperativ eine mittlere Punktezahl von 6,2 auf, postoperativ von 8,2. Verstorbene zeigten präoperativ eine Punktezahl von 10 im Mittel, postoperativ eine mittlere Punktezahl von 12. Die zwei Gruppen unterschieden sich damit signifikant (P < 0,01) (Tab. 3). Damit war sowohl eine prognostische Vorhersage sowie die Dokumentation der durch die Operation bedingten Verschlechterung des Allgemeinzustandes möglich. Die Gesamtletalität nach Relaparotomie betrug bei einem präoperativen HIS-Score von < 7 Punkten 2 1 , 5 % , bei einem HIS-Score von > 8 Punkten 7 0 , 3 % . Diese Punktezahlen korrelierten mit den Risikogruppen der Mannheimer Risiko-Checkliste nach Lutz. Eine HISPunktezahl von 3—7 entsprach dabei der Risikogruppe 4, eine Punktezahl von 8 — 15 der Risikogruppe 5. Daneben war es möglich, den gesamten Verlauf auf der Intensivstation mittels des HIS-Score-Systems zu dokumentieren. Septische Verläufe wiesen dabei eine deutlich höhere Punktezahl auf als durch kardiovaskuläre Komplikationen geprägte Verlaufsformen (Tab. 4; Abb. 3). Tabelle 2
Sensibilität und Spezifität der Score-Systeme HIS, A P A C H E und TISS APACHE
TISS
HIS
1. Meßpunkt: Sensibilität
81
%
65,8%
66,6%
Spezifität
22
%
71,2%
38,3%
2. Meßpunkt: Sensibilität
81
%
97,5%
78,9%
Spezifität
48
%
81,4%
62,6%
100
%
3. Meßpunkt: Sensibilität
100
%
97,9% 75
%
59,6%
98,3%
Sensibilität
87,7%
87,8%
80,3%
Spezifität
44
83,6%
58,6%
Spezifität gesamt:
Tabelle 3
%
Summen des HIS-Systems vor R e l a p a r o t o m i e und nach Relaparotomie bei Intensivpatienten
Verstorbene (n = 35): präop.:
9 , 9 7 ± 2 , 9 0 P.
postop.:
11,97 ± 2 , 4 0 P.
Überlebende (n = 23): präop.:
6 , 2 2 ± 2 , 8 4 P.
postop.:
8 , 2 2 ± 2,81 P.
Risikobeurteilung bei Intensivpatienten in der perioperativen Phase Tabelle 4
247
Präoperative HIS-Punktesummen in Vergleich mit der M a n n h e i m e r Risiko-Checkliste bei Intensivpatienten
HIS
Risiko-Checkliste n. Lutz u. Peter
Punkte
3 - 7
Risiko-Gruppe IV
Punkte 8 - 1 5
Risiko-Gruppe V
Typischer Verlauf bei Sepsis bzw. card. Insuffizienz
18
Punkte
14 12
c a r d . Varaagan
-
10-
8
-
Taga 10 Abb. 3
12
I
14
16
Verlaufsdokumentation bei Sepsis bzw. kardialer Insuffizienz durch HIS-Punktesummen.
Diskussion Es war somit möglich, durch präoperative Risikoerfassung anhand eines ScoreSystems, das ebenfalls zur Verlaufskontrolle auf Intensivstationen dient, zuverlässig die perioperative Gefährdung des Intensivpatienten vorherzusagen und die durch die Operation ausgelösten Veränderungen des Allgemeinzustandes zu dokumentieren. APACHE und TISS zeigten dabei eine geringere Sensibilität und Spezifität als HIS, dies wohl bedingt durch die einseitige Auswahl der Parameter [3, 6]. APACHE verwendet rein physiologische und laborchemische Parameter. Die Krankheitsschwere kann damit exakt erfaßt werden, allerdings sind Erfolgskontrollen bei bereits eingesetzter Therapie schlecht möglich, da die therapeutischen Maßnahmen, die zu den laborchemischen Korrekturen führen, nicht erfaßt werden. Allerdings wurde APA-
248
P. Lehmkuhl, U. Lips, M . Ludwig, I. Pichlmayr
CHE auch schon dazu genutzt, Patienten für bestimmte Therapieformen auszuwählen [1]. TISS berücksichtigt rein therapeutische Parameter und ermittelt mehr den Aufwand, der für die Pflege des Patienten notwendig ist. Allerdings ermöglicht es keine objektive Erfassung der Krankheitsschwere des Einzelpatienten, sondern spiegelt eher den therapeutischen Standard einer Intensivstation wider. Zu prognostischen Berechnungen ist es daher ungenügend geeignet, ein Vergleich verschiedener Intensivstationen in bezug auf Therapieerfolge ist ebenfalls nur unzulänglich möglich. Durch die Verbindung von physiologischen und therapeutischen Parametern in dem neuen Score-System HIS erscheint eine Verbesserung sowohl der prognostischen Wertigkeit als auch der objektiven Klassifizierung des Patienten möglich [7], Die durch HIS ermöglichte Vorhersage, auch des perioperativen Risikos, kann zusätzlich zu einer Zuordnung des Patienten zu einer operativen Risikokategorie genutzt werden. Die gute Korrelation mit den Risikogruppen der Risiko-Checkliste nach Lutz spricht für eine vielseitige Verwendbarkeit des neuen Hannover-Intensiv-Score. Zusätzlich ist es möglich, Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Organfunktionen im Sinne einer Komplikationskette während des Krankheitsverlaufes aufzuzeigen. So soll es möglich sein, bei besonders gefährdeten Patienten eintretende weitere Komplikationen oder therapeutische Maßnahmen, die mit hoher Mortalität behaftet sind, zu dokumentieren und einzuschätzen. Somit ist dem Intensiv-Mediziner ein zusätzliches Mittel an die Hand gegeben, bei kritisch-kranken Patienten Entscheidungen zu treffen und das Risiko weiterer tiefgreifender therapeutischer Maßnahmen abzuschätzen.
Literatur [1] Chang, R. W. S., S. Jacobs, B. Lee: Use of APACHE II Severity of disease classification to identify intensive care-unit patients who would not benefit from total parenteral nutrition. Lancet 8496 (1986) 1 4 8 3 - 1 4 8 7 . [2] Civetta, J. M.: The Inverse Relationship between Cost and Survival. J. Surg. Res. 14 (1973) 265-269. [3] Cullen, D. J., J. M. Civetta, B. A. Briggs, et al.: Therapeutic Intervention Scoring System: A method for quantitative comparison of patient care. Crit. Care 2 (1974) 57 — 60. [4] Cullen, D. J.: Results and Costs of Intensive Care. Anesthesiology 47 (1977) 203 - 216. [5] Feldmann, K., P. M . Osswald, H.-J. Härtung, et al.: Computer Aided Methods to Predict Perioperative Risks. In: Computers in Critical Care and Pulmonary (Hrsg. P. M . Osswald), S. 162. Springer Verlag, Berlin-Heidelberg 1985. [6] Knaus, W. A., E. A. Draper, D. A. Wagner, et al.: APACHE II: A severity of disease classification system. Crit. Care Med. 13 (1985) 818 - 829. [7] Lehmkuhl, P., U. Lips, I. Pichlmayr: Der Hannover Intensiv-Score (HIS) als neues Klassifikationssystem zu Verlaufskontrollen und Prognosestellung bei Intensivpatienten. Med. Klinik 81 (1986) 2 3 5 - 2 4 0 . [8] Möllmann, M., P. Lawin: Schweregrad Klassifikationssysteme und ihre Bedeutung für organistorische und ökonomische Aspekte der Intensivmedizin. Vortrag: 7. European Congress of Anesthesiology, Wien 7. - 1 3 . 9 . 1 9 8 6 . [9] Morgan, C. J., M. A. Branthwaite: Severity scoring in intensive care. Br. Med. J. 292 (1986) 1546. [10] Pardee, G.: Classifying patients to predict staff requirements. Am. J. Nurs. 68 (1968) 517 - 520.
Beurteilung und Begrenzung des Operationsrisikos aus der Sicht des Internisten W. Thimme
Herz-, Gefäß-, Lungen-, Nieren-, Leber- und Stoffwechselkrankheiten sind in früheren Beiträgen als Risikofaktoren dargestellt worden. Herz- und Lungenerkrankungen sollen jetzt noch einmal zusammenfassend geschildert werden, denn bedrohliche intra- oder postoperative Zwischenfälle betreffen überwiegend Herz und Lunge, wenn man von den eigentlich chirurgischen Komplikationen, nämlich Blutung, Nahtinsuffizienz und Infekt absieht, die hier aus Zeitgründen nicht einbezogen werden sollen, obwohl es Beziehungen zu internistischen Vorerkrankungen gibt.
Das kardiale Risiko Zur Risikoerkennung und Begrenzung muß der Internist die Belastungen, die eine Operation für das kardiorespiratorische System bedeutet, gegen die Belastungsfähigkeit des Patienten aufwiegen. Darüber hinaus soll er Funktionsstörungen finden, die gefährlich werden können, Risikofaktoren sind, um sie zu behandeln oder zumindest der besonderen Aufmerksamkeit des Anästhesisten und Chirurgen zu empfehlen. Herzerkrankungen als Risikofaktoren beim allgemeinchirurgischen Patienten wurden von Herrn Ramdohr (vgl. S. 51) geschildert. Auch größere Operationen stellen (vgl. Eisele, S. 67) normalerweise keine Belastung für Herz und Kreislauf dar. Bei Komplikationen allerdings (Tab. 1) wird Anpassungsfähigkeit nötig, das Herzzeitvolumen muß gesteigert werden können, auch für Tachykardien muß dem Herzen genügend Sauerstoff zugeführt werden. Die Regulationsmechanismen für Volumenmangel und Hypervolämie müssen intakt sein, das Gefäßsystem muß auch bei niedrigen Drucken noch ausreichend Blut transportieren können. Es lassen sich also eine ganze Reihe von Funktionsstörungen des Herzens und des Kreislaufs denken, die für den Patienten bei einer Operation, speziell bei Komplikationen, gefährlich werden können. Tabelle 1
Kreislaufveränderungen bei postoperativen Komplikationen Sepsis
HZV RR ZVD Frequ,
T
N N
T
Sepsis
1
l (T) t
Hypervol.
T (Í)
t
T
Hypovol.
Infarkt
I I I
1 1
T
(Í)
t
H Z V = Herzzeitvolumen; R R = arterieller Blutdruck; ZVD = Zentraler Venendruck; Frequ. = Frequenz.
250
W. Thimme
Der Risikoindex von Goldman [4] gibt eine Übersicht darüber, wie groß das Risiko bei welchen Funktionsstörungen ist. Er erarbeitete diesen Index schon vor 10 Jahren in einer prospektiven Studie bei 1000 allgemeinchirurgischen Patienten, in dem er die Häufigkeit postoperativer kardialer Komplikationen (Herzrhythmusstörungen, Lungenödem, Myokardinfarkt) mit Anamnese und klinischem Befund verglich. Multivarianzanalytisch konnte er 9 Phänomene herausfinden und mit Punkten gewichten in ihrer Bedeutung für das postoperative kardiale Risiko (Tab. 2). Tabelle 2
Kardiologischer Risikoindex bei allgemeinchirurgischen Eingriffen (nach [ 4 ] ) Punkte
1. 3. Herzton oder Halsvenenstauung
11
2. Herzinfarkt während der letzten 6 M o n a t e
10
3. Ves > 5
7
4. kein SR oder SVES
7
5. Alter > 7 0
5
6. Notfalleingriff
4
7 . Intraperitoneal, intrathorakal, aortal
3
8. Aortenstenose
3
9. P a 0 2 < 6 0 oder P a C 0 2 < 5 0 ; K+
< 3 , 0 oder C H 0 3
3 mg/dl S G O T *; Bettlägerigkeit Insgesamt
53
Bei bis zu 5 Punkten hatte 1% der Patienten kardiale Komplikationen, bei 6 — 12 Punkten 5 % kardiale Komplikationen und 2 % kardiale Todesfälle; 13 — 25 Punkte 11% Komplikationen und 2 % kardiale Todesfälle, 2 6 - 5 3 Punkte 22% Komplikationen und 56% kardiale Todesfälle. Der Index konnte später in anderen Untersuchungen weitgehend bestätigt werden. Es ist die erste Risikoabschätzung, die auf einer prospektiv geplanten und multivarianzanalytisch ausgewerteten Untersuchung beruht. Prognostisch am wichtigsten ist das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Herzinsuffizienzen, bei Goldman definiert als 3. Herzton und Halsvenenstauung. Ich möchte zusätzlich auf das Röntgenbild der Thoraxorgane nicht verzichten. Invasive Diagnostik bringt wohl keine wesentliche zusätzliche Information (aber [6]). Andere Untersuchungen (z. B. [13]) zeigen auch, daß das kardiale Risiko mit dem Grad der Herzinsuffizienz zunimmt; von 5 % (Stadium I) bis fast 70% (Stadium IV). Auch aus sogenannten Anästhesiechecklisten [8] ist ersichtlich, daß der Schweregrad der Herzinsuffizienz das Risiko steigert. Ein Punkt, der beim Goldman-Index nicht herauskommt. Man kann davon ausgehen, daß sich die präoperative Behandlung der Herzinsuffizienz risikobegrenzend auswirkt, allerdings sind mir kontrollierte Studien zu diesem Thema nicht bekannt. Prophylaktische Digitalisierung von nicht herzinsuffizienten Patienten wird heute nicht mehr durchgeführt.
Beurteilung und Begrenzung des Operationsrisikos aus der Sicht des Internisten
251
Aggressive präoperative Diuretikatherapie bei Hypertonikern oder Patienten mit Ödemen führt zur Verminderung des intravasalen Volumens und kann daher zu schweren Hypotensionen Anlaß sein bei Venodilatation unter der Narkose und Blutverlusten. Tabelle 3
Perioperative Infarkthäufigkeit (nach [11, 17])
Infarktinzidenz
0,5%
Reinfarkthäufigkeit Infarktanamnese
1,9% < 3 Monate 3 — 6 Monate > 6 Monate
Infarktletalität
5,7% 2,3% < 2,0% 36,0%
Ein weiterer wichtiger Risikofaktor ist die Infarktanamnese [11, 16, 17] (Tab. 3). Die Häufigkeiten präoperativer Infarkte und Reinfarkte und ihre Letalität sind in der Tabelle genannt. Der 3 . - 5 . postoperative Tag ist nach mehreren Beobachtern am gefährlichsten. Die Diagnose ist postoperativ besonders schwierig, CPK und Schmerz fallen als diagnostische Hinweise aus. Der Internist kann wenig mehr zur Risikobegrenzung tun als mit eiserner Zuverlässigkeit dafür zu sorgen, daß zu jeder Operation ein befundetes EKG zur Verfügung steht, so daß Narkoseführung und postoperative Überwachung entsprechend eingerichtet werden können. Es ist viel schwieriger kleine Selbstverständlichkeiten regelmäßig anzubieten als gelegentlich einen aufsehenerregenden Aufwand. Im übrigen fällt an dem Index auf, daß koronare Durchblutungsstörungen, Angina pectoris, nicht genannt werden. Offenbar war sie nur in Zusammenhang mit Rhythmusstörungen oder Herzinsuffizienz gefährlich. Vor allem Skinner [13] hatte allerdings schon früher nachgewiesen, daß die instabile Angina mit einem hohen postoperativen Risiko behaftet ist, die unkomplizierte stabile Angina pectoris dagegen nicht. Zur Risikoerkennung reichen Anamnese und EKG. Wird eine koronare Herzerkrankung diagnostiziert, muß natürlich bei gegebener Indikation die Bypass-Operation vor der elektiven Allgemeinchirurgie durchgeführt werden, denn die koronare Komplikationsrate nach allgemeinchirurgischen Eingriffen ist dann ebenso gering wie beim unvorbelasteten Patienten [1, 9, 12]. Es soll auch darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Hypertonie im Risikoindex nicht vorkommt [3], ein Phänomen, das auch von Distler gewürdigt wurde (vgl. S. 91). Nach dem Infarkt werden im Risikoindex Rhythmusstörungen genannt, nämlich ventrikuläre Extrasystolen, das Fehlen von Sinusrhythmus und supraventrikulären Extrasystolen. Das wundert etwas, weil wir doch wissen, daß asymptomatische Rhythmusstörungen eigentlich die Prognose nicht einschränken, wenn das Herz sonst gesund ist. Bei einigen herzgesunden Patienten mit massiven präoperativen Rhythmusstörungen haben wir in letzter Zeit prä- und intraoperative Langzeitkardiogramme geschrieben. Nie hatten sie so wenige Rhythmusstörungen wie während der Narkose. Hier ist der Goldman-Index vielleicht später noch zu präzisieren.
252
W. Thimme
Sind Rhythmusstörungen aus dem Ruhe-EKG bekannt, empfehlen wir Ergometrie, Langzeit-EKG und gegebenenfalls Echokardiographie zur Definition der kardialen Situation. Bei inkompletten trifaszikulären oder höhergradigen Blockierungen wird ein temporärer Schrittmacher appliziert und bei symptomatischen Tachykardien Antiarrhythmika gegeben. Die antiarrhythmische Therapie ist aber nicht nur präoperativ eine undankbare Aufgabe. Der Risikofaktor „Alter" ist leicht zu erkennen, aber nicht zu begrenzen; die Art des notwendigen Eingriffes ist auch vom Internisten nicht zu beeinflussen. Klappenvitien, speziell die Aortenstenose und Klappenprothesen, müssen jedoch beim präoperativen Konsil besonders beobachtet werden. Es verwundert zunächst, daß nur die Aortenstenose im Risikoindex genannt ist, aber sowohl bei Skinner [13] als auch bei Goldman [4] ist die kardiale Komplikationsrate bei diesem Vitium höher, nämlich etwa 10% im Vergleich zu 5 % bei allen anderen Vitien. Zur Präzision des Risikos muß also speziell die Aortenstenose nach Auskultation, EKG und Echo präoperativ erkannt und quantifiziert werden. Vor größeren Operationen sollte der Klappenersatz durchgeführt werden. Bei Patienten mit Herzvitien sind für den Internisten präoperativ jedoch noch drei andere Punkte zu bedenken. Antikoagulantien müssen weggelassen und postoperativ wieder angesetzt werden. Obwohl in einer größeren Übersicht von Horstkotte [7] bei etwa 100 abdominalchirurgischen Eingriffen bei Trägern von Klappenprothesen keine Endokarditis ohne Antibiotikaprophylaxe beobachtet wurde sondern nur bei Oropharyngschirurgie, Gynäkologie, Urologie und zahnärztlichen Eingriffen, sollen Antibiotika prophylaktisch gegeben werden. Digitalis und Diuretika zur Behandlung der Herzinsuffizienz werden nach den üblichen Regeln eingesetzt. Vor aggressiver Diuretikatherapie muß genauso gewarnt werden wie vor Digitalisüberdosierung.
Das pulmonale Risiko Die präoperative Einschätzung des pulmonalen Risikos hat Herr Huckauf behandelt (S. 85). Jede Operation beeinflußt die Atmung, je nach Lage des Operationsfeldes mehr oder weniger. Durch Mikroatelektasebildung fällt der Sauerstoffdruck bei Oberbauch-Operationen stärker ab als bei Unterbauch-Operationen oder Operationen im Bereich der peripheren Gefäße [18]. Schmerzbedingt oder aus anderen Gründen hyperventilieren die meisten Patienten, aber ihre Fähigkeit, Belastungen zu kompensieren, ist eingeschränkt. Eine gute und weit verbreitete Methode der prä- und postoperativen Atemgymnastik ist die Induktion von Hyperpnoe durch Totraumverlängerung. Postoperativ steigt der C 0 2 - D r u c k unter Totraumatmung stärker an als präoperativ. Der Aufwand für die Mehrbelastung ist postoperativ also größer, der Atemapparat ist durch jede Operation geschädigt, d. h. anfälliger (Abb. 1) [18].
Beurteilung und Begrenzung des Operationsrisikos aus der Sicht des Internisten
253
V
l/mln 22-1
84-
I
32
1
34
I
36
I
R a c 0 Abb. 1
I
38
40 2
I
42
m m H
9
Verhalten von C 0 2 - D r u c k und Atemminutenvolumen unter Totraumverlängerung.
Es verwundert nicht, daß postoperative pulmonale Komplikationen häufiger sind als kardiale. Faktoren, die das Risiko beeinflussen und die daher präoperativ vom Internisten besonders beachtet werden müssen, sind Vorerkrankungen, auch Rauchgewohnheiten, Alter, Geschlecht, Art der Operation. Die Störungen der Ventilation werden klinisch erkannt und mit Blutgasanalytik und mit Lungenfunktionsprüfung quantifiziert. Patienten mit eingeschränkter Sekundenkapazität haben ein höheres Risiko als Normalpersonen, aber pathologische Blutgase sind ein noch wichtigerer Risikofaktor. Werden die Grenzwerte Sekundenkapazität < als 11 oder Sauerstoffdruck unter 55 mm Hg oder C 0 2 - D r u c k über 45 mm Hg überschritten, so ist das Risiko postoperativ eine schwerwiegende pulmonale Komplikation zu erleiden über 60% [2, 10, 14]. Die Therapie soll mit den üblichen Medikamenten und Methoden präoperativ eingeleitet werden. Zigarettenabstinenz und Gewöhnung an Inhalationsmethoden spielen eine zusätzliche Rolle. Der Effekt auf die Komplikationsrate ist erheblich, dieses zeigt eine kleine Studie von Stein [15], die aus ethischen Gründen nie wiederholt worden ist nach meinem Wissen. 3 von 29 pulmonal gesunden Patienten erlitten postoperativ pulmonale Komplikationen, aber 15 von 25 Patienten mit obstruktiven Ventilationsstörungen, die nicht systematisch internistisch vorbehandelt wurden, während nur 5 von 23 Patienten erkrankten, die systematisch vorbehandelt worden waren. Es gelingt also, die Risikohäufigkeit zu normalisieren. Insgesamt hat sich aber an der Häufigkeit postoperativer pulmonaler Komplikationen wenig geändert, möglicherweise weil mehr Risikopatienten größeren Operationen unterzogen werden. Auf Einzelheiten der Therapie der nosokomialen pulmonalen Infektionen kann hier nicht weiter eingegangen werden.
254
W. Thimme
Der Internist ist nur scheinbar ein Außenseiter, wenn es um die Risikobegrenzung einer Operation geht (Tab. 4). Das hat auch der heutige Tag insgesamt gezeigt und dem Internisten damit seine Verantwortung auch für das vor Augen geführt, was internistische Erkrankungen prä- und postoperaiv anrichten können. Internisten können das Opprationsrisiko entscheidend beeinflussen dadurch, daß sie durch Sonographie, Gastroskopie und Doppler-Sonographie einen präzisen Beitrag zur chirurgischen Diagnostik liefern, dadurch, daß sie sich an der Behandlung postoperativer Komplikationen falls nötig schlagkräftig beteiligen, dadurch, daß sie die Risikofaktoren effektiv und nicht zu umständlich diagnostizieren und behandeln und schließlich dadurch, daß sie die richtigen Patienten zum richtigen Chirurgen schicken.
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Beurteilung und Begrenzung des Operationsrisikos aus der Sicht des Internisten
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Respiration. In: Der postoperative
Verlauf (Hrsg. E. S. Bücherl), S. 49. Thieme Verlag, Stuttgart 1967.
Das operative Risiko bei malignen hämatologischen Systemerkrankungen C. Hügelschäffer, P. Kujath, H.-P. Bruch
Einleitung Noch vor wenigen Jahren stellten Patienten mit einer malignen hämatologischen Systemerkrankung ein äußerst unattraktives Patientengut für Chirurgen dar. Die konservative Behandlung von Notfällen war jedoch mit einer Letalität von annähernd 100% gekennzeichnet, so daß trotz ungünstiger Vorzeichen die Indikation zur Operation gestellt werden mußte. Heute sind diese Erkrankungen wegen ihrer hohen Letalität und Komplikationsrate eine Herausforderung für jeden Chirurgen. Ziel der vorliegenden Arbeit war die Einschätzung des operativen Risikos dieser Patientengruppe.
Methodik Zu diesem Zweck wurden die Unterlagen von 223 Patienten mit maligner hämatologischer Systemerkrankung, die von 1981 —1985 in der Chirurgischen Universitätsklinik Würzburg operativ versorgt wurden, durchgesehen und analysiert.
Ergebnisse Mehr als 80% der Patienten litten an einem Morbus Hodgkin oder an einem NonHodgkin-Lymphom (NHL); seltener vertreten waren akute Leukosen (akL), das Plasmozytom (Plz) und Erkrankungen des myeloproliferativen Formenkreises, wie die Osteomyelosklerose und die chronische myeloische Leukämie (CML) (Tab. 1). Bei diesen 223 Patienten erfolgten insgesamt 277 operative Eingriffe. Die Hälfte Tabelle 1
Patienten mit maligner hämatologischer Systemerkrankung burg 1981 - 1 9 8 5
akute Leukämie Plasmozytom
12
(5,4%)
5
(2,2%)
myeloproliferative Erkrankung
22
(9,9%)
Non-Hodgkin-Lymphom
93
(41,7%)
Hodgkin
91
(40,8%)
Summe
223 (100,0%)
Chir. Univ.-Klinik Würz-
258
C. Hügelschäffer, P. Kujath, H.-P. Bruch
der Operationen wurde zur Sicherung der Diagnose und zur Stadieneinteilung der Tumorerkrankung (Staging) vorgenommen. Die andere Hälfte verteilte sich auf elektive Eingriffe, Notfalleingriffe und Operationen, die wegen einer Komplikation, bedingt durch die Grunderkrankung, durchgeführt werden mußten (Tab. 2). Tabelle 2
Gesamteingriffe bei 223 Patienten mit maligner hämatologischer Systemerkrankung 154
diagnostische Eingriffe
(55,6%)
elektive Eingriffe
70
(25,3%)
Notfalleingriffe und Eingriffe bei
53
(19,1%)
Komplikationen der Grunderkrankung Summe
277 ( 1 0 0 , 0 % )
Die 154 diagnostischen Operationen wurden bis auf zwei Ausnahmen (1. PE aus einer Rippe und der Lunge bei Plasmozytom; 2. Staging-Laparotomie bei CML, wobei präoperativ der Verdacht auf Morbus Hodgkin bestanden hatte) nur bei Patienten mit Morbus Hodgkin und Non-Hodgkin-Lymphomen vorgenommen. Häufigste Eingriffe waren Lymphknotenexstirpationen, gefolgt von Staging-Laparotomien; zur Entnahme von Gewebsproben erfolgten weiterhin einige Thorakotomien, Laparotomien und Mediastinoskopien (Abb. 1). Von den 53 Operationen, die wegen einer durch die Grunderkrankung bedingten Komplikation bzw. wegen einer Notfallindikation vorgenommen wurden, entfielen 25 auf Patienten mit NHL, 13 auf Patienten mit einer myeloproliferativen Erkrankung (mpE) und 8 auf Patienten mit Morbus Hodgkin, 4 auf Patienten mit akuter Leukämie und 3 auf Patienten mit einem Plasmozytom. Häufigste Indikation zur Operation war in 18 Fällen ein Hypersplenismus (llmal NHL, 7mal myeloproliferativ); ein akutes Abdomen war 18mal der Anlaß für eine sofortige Laparotomie (es handelte sich um 8 Operationen wegen eines Ileus, 5 Perforationen, 2 gastrointestinale Blutungen, 2 inkarzerierte Hernien und eine akute Galle). 8 Operationen erfolgten wegen offener, bzw. pathologischer Frakturen und 8mal mußten Abszesse inzidiert werden (Abb. 2).
MM3
ooc
Ho
)OQ OOC
ooc >oo ooc ooc >oo ooc >00' >oo ooo ooo >00' i T I L
Staging Lap Abb. 1
NHL mpE Plz
ijl rooc >oo ooo ooo JOO 1 ooo IOO-
LK-Exstirp.
Diagnostische Eingriffe.
Mlllll
feÄÖJI
Probethorakotomie
INI
Probelap
Po°o°d Mediastinoskopie
Das operative Risiko bei malignen hämatologischen Systemerkrankungen
259
Hypersplenlsmus Ileus perlprokt.Abszeß pathologische Fraktur Perforation Gl-Trakt offene Fraktur Abszeß Inkarzerierte Hernie Blutung GI-Trakt akute Cholezystitis
NHL Abb. 2
tipE
Hodgkin
Plz
akL
Notfalleingriffe und Eingriffe bei Komplikation der Grunderkrankung.
70 elektive Eingriffe wurden bei 30 Patienten mit NHL, 19 Patienten mit Morbus Hodgkin, je 10 Patienten mit akuter Leukämie und myeloproliferativer Erkrankung und einem Patienten mit einem Plasmozytom durchgeführt. Die einzelnen Operationen, die annähernd denen eines vergleichbaren „gesunden" chirurgischen Krankengutes entsprechen, sind Tab. 3 zu entnehmen. Tabelle 3
Elektive Eingriffe
Magenresektion
8
Cholezystektomie
7
i. v. Verweilkatheter
6
Strumektomie
6
Verschlußikterus
5
Gynäkomastie
4
Herniotomie
4
Metallentfernung
3
Lobektomie
3
Bypass-Operation (peripher)
3
proktologische Operation
3
Sonstige
18
Summe
70
Komplikationen bei diagnostischen Eingriffen (Tab. 4) Nach 13 Probethorakotomien entwickelten 2 Patienten einen hämorrhagischen Pleuraerguß, einmal trat ein Wundinfekt auf, einmal kam es zu einer unklaren Schwellung des linken Armes. Ein Patient mit einem NHL verstarb an den Folgen einer schweren Pneumonie. 9 Mediastinoskopien verliefen komplikationslos. Bei 63 Lymphknotenex-
260
C. Hügelschäffer, P. Kujath, H.-P. Bruch
stirpationen traten 10 Komplikationen auf (8mal Wundheilungsstörungen, in einem Fall bis zu einem Empyem des Schultergelenks fortschreitend); ein Patient erlitt am 3. postoperativen Tag eine tödliche Lungenembolie. Lediglich 5 Komplikationen ereigneten sich bei 59 durchgeführten Staging-Laparotomien. Von den 51 Patienten mit einem Morbus Hodgkin entwickelte je ein Patient einen subphrenischen Abszeß, eine Pankreatitis und einen Subileus. Bei 7 Patienten mit einem NHL kam es einmal zu einer Pneumonie, einmal zu einem subphrenischen Abszeß. Komplikationen der diagnostischen Eingriffe
Staging Lap.
59
Hodgkin NHL mpE
LK Exstirpationen Probethorakotomie
63 13
u
1 1 1 - 1 -
51 7
u 0 XI E
v> © c :3
70 (22%)
geringes Risiko 26% 8 6 4 2
mittleres Risiko 57% 2 18 13 11
erhöhtes Risiko 17% 0 7 2 4 (2 Pat. verstorben)
Von Seiten der Eingriffsgröße wurde ein „geringes Risiko" angenommen bei parenchymsparenden Resektionen, Tumorenukleationen, atypischen Resektionen und typischen Segmentresektionen. Ein „mittleres Risiko" bedeutete die Durchführung einer einfachen Lobektomie, Bilobektomie oder Pneumonektomie. Ein „erhöhtes Risiko" lag in unserer Definition dann vor, wenn erweiterte Lobektomien oder Pneumonektomien mit Thoraxwandteilresektion oder intraperikardialem Vorgehen erforderlich wurden, außerdem bei primär infizierten Verhältnissen oder bei typischen Manschetten- oder Bifurkationsresektionen. Aus der Aufstellung geht hervor, daß der überwiegende Anteil der Eingriffe dem mittleren Risiko von Seiten der Eingriffsgröße zuzuordnen war. 2 Patienten sind postoperativ verstorben, die beide der jeweils höchsten Risikogruppe zugehörten: 1 Patient erlitt eine tödliche intrabronchiale Blutung nach einer hohen Manschettenresektion (12. Tag); ein weiterer Patient verstarb 27 Tage nach einer erweiterten unteren Bilobektomie mit Thoraxwandteilresektion an rezidivierenden Lungenembolien.
Operationsrisiken und Grenzen der Belastbarkeit des Patienten in der Lungenchirurgie
359
Wie kann das Risiko des lungenresezierenden Eingriffes verringert werden? Die heute erreichbaren Letalitätszahlen sind nur zu erzielen durch eine strenge Indikationsstellung sowie einem hohen Erfahrungs- und Ausbildungsstand von Chirurgen, Anästhesisten, Pflegepersonal und Physiotherapie. Diese Verringerung des Operationsrisikos bei Lungenresektionen geht aber einher mit einem möglichen Verzicht auf Heilungschancen und auf eine breit gestreute Ausbildung von Chirurgen und Anästhesisten. Die weiteren Indikationen für einen lungenchirurgischen Eingriff stellen die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Lunge (z. B. Spontanpneumothorax) bzw. die Verbesserung der Lungenfunktion (Dekortikation, Resektion von Emphysemblasen) dar. Während die operative Behandlung eines Spontanpneumothorax im jugendlichen und mittleren Alter nur mit einer sehr geringen Komplikationsrate belastet ist, kann der notwendige Eingriff bei einem alten Patienten mit einem symptomatischen Spontanpneumothorax zu einem hohen Risiko werden. Hierbei ist die zugrunde liegende Lungengerüsterkrankung in Verbindung mit dem operativen Eingriff die Ursache für die hohe Gefährdung des Patienten. Im Kollektiv von 13 thorakotomierten Patienten mit Spontanpneumothorax verstarben 2 (74 und 79 Jahre alt) eine Woche nach dem Eingriff an Rechtsherzversagen und einer pulmonalen Insuffizienz [6]. Operative Eingriffe zur Verbesserung der Lungenfunktion werden selten durchgeführt. Uns sind keine Statistiken über spezielle Risiken bei diesen Eingriffen bekannt. Literatur [1] Becker, H., et al.: Ergebnisse der operativen Behandlung des Bronchialkarzinoms. Dtsch. Med. Wochenschr. 43 (1976) 1 5 5 3 - 1 5 5 7 . [2] Ginsberg, R. J., et al.: Modern thirty-day operative mortality for surgical resections in lung cancer. J. Thorac. Cardiovasc. Surg. 86 (1983) 6 5 4 - 6 5 8 . [3] Hamelmann, H., M. Thermann, T. Müller-Schwefe, et al.: Surgically Treated Bronchial Carcinoma Patients - Results of Systematic Follow-up. Thorac. Cardiovasc. Surgeon 31 (1983) 4 1 - 4 4 . [4] Konietzko, N., H. Toomes: Functional Criteria for Operability in Lung Surgery-Introduction. Thorac. Cardiovasc. Surgeon 31 (1983) 3 2 7 - 3 2 8 . [5] Loddenkemper, R., A. Gabler, D. Göbel: Criteria of Functional Operability in Patients with Bronchial Carcinoma: Preoperative Assessment of Risk and Prediction of Postoperative Function. Thorac. Cardiovasc. Surgeon 31 (1983) 334 — 337. [6] Schröder, D., M . Thermann: Ätiologie und Therapie des Spontanpneumothorax Fortschr. Med. 102 (1984) 1071 - 1 0 7 6 .
Das perioperative Risiko des alten Menschen in der Thoraxchirurgie H. Dienemann, L. Sunder-Plassmann, K. Hagspiel*, G. Heberer
Einleitung Nach einer Empfehlung der WHO werden 65- bis 75jährige als ältere, über 75jährige als alte Menschen definiert. Auch wenn das kalendarische und das biologische Alter erheblich differieren können, setzen doch generell vom 30. Lebensjahr an Altersveränderungen aller Organe ein, die von allmählichen Funktionseinbußen gefolgt sind. So sind beim 90jährigen, verglichen mit einem Jugendlichen, der periphere Widerstand und das Residualvolumen der Lunge um jeweils 100% erhöht, das Herzzeitvolumen und die Diffusionskapazität für Sauerstoff und Kohlendioxyd um jeweils 40% erniedrigt [1, 2], Neben der Einschränkung der Respiration (Ventilation, Diffusion, Perfusion) gefährdet den alten Menschen die erschwerte Elimination der Bronchialsekrete aufgrund mangelnder Flüssigkeitszufuhr, abgeschwächter Hustenreflexe und langsamerer Aktion des bronchialen Flimmerepithels [3, 6]. Daher überrascht nicht, daß alte Menschen, bei denen sich unter Ruhebedingungen alle Organfunktionen noch im Gleichgewicht befinden, auf höhere Belastungen nur inadäquat reagieren können. Die Gefährdung alter Menschen durch thoraxchirurgische Eingriffe wird dokumentiert durch die hohe Operationsletalität von etwa 15 bis 25% [2, 4, 5], wobei die Prognose nach Notfalleingriffen besonders ungünstig ist. Um das Risiko alter Menschen, die sich einem thoraxchirurgischen Eingriff unterziehen müssen, besser kalkulieren zu können, haben wir in dieser retrospektiven Analyse untersucht, ob eine Beziehung herzustellen ist zwischen präoperativen Risikofaktoren sowie intraoperativen Ereignissen einerseits und relevanten postoperativen Komplikationen andererseits.
Patientengut, Methodik Zwischen Januar 1978 und September 1986 wurden an der Chirurgischen Klinik und Poliklinik der Universität München, Klinikum Großhadern, bei 1507 Patienten 1545 thoraxchirurgische Operationen durchgeführt, ausgenommen sind Eingriffe an großen Gefäßen und Ösophagus. 245 Patienten (16%) waren 65 Jahre und älter, und nur
Die Arbeit erhält Teile der Dissertation von cand. med. K. Hagspiel.
362
H. Dienemann, L. Sunder-Plassmann, K. K. Hagspiel, G. Heberer
diese wurden in der weiteren Auswertung berücksichtigt. Das mediane Alter betrug 69 Jahre, der älteste Patient war 79 Jahre alt. Das Verhältnis Männer : Frauen betrug 1,7 : 1. Die Krankenblätter dieser 245 Patienten wurden ausgewertet hinsichtlich folgender Kriterien: präoperative Vorerkrankungen, internistische Operationsvorbereitung, Dringlichkeit des Eingriffs, Art der Grunderkrankung, Ausdehnung des Eingriffs, intraoperative Komplikationen, postoperative Komplikationen, Operationsletalität (Tod bis zum 30. Tag nach der Operation innerhalb der Klinik). Mittels CHIQuadrat-Test wurde für die Zielkriterien „Pneumonie", „Herzinfarkt" und „Tod" der statistische Zusammenhang mit den erhobenen prä- und intraoperativen Risiken ermittelt. Bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit unter 5% (p < 0,05) wurde der Zusammenhang als signifikant betrachtet.
Ergebnisse In Abb. 1 sind die chirurgischen Aspekte unseres Krankengutes zusammengefaßt. Bei 253 Eingriffen lag in 78,3% ein Malignom zugrunde. In fast 60% wurde mindestens ein Lungenlappen entfernt, der Rest verteilt sich auf parenchymsparende Resektionsverfahren, Eingriffe wegen mediastinaler Raumforderungen und andere. Nur 7 Operationen mußten notfallmäßig durchgeführt werden. Insgesamt nur 6% der Patienten hatten keinerlei Vorerkrankungen. Kardiovaskuläre und pulmonale Vorerkrankungen waren die absolut häufigsten Risiken (Tab. 1).
Eingriffe 130-1
64% Bronchial-Ca 20% Metastasen 16% benigne RH,
Anteil maligner Grunderkrankungen (78,3%)
Medlastinaltumore, Strumen,Sonstige 65
0
Abb. 1
Thoraxeingriffe im hohen Alter: n = 253, Alter § 65 Jahre. Operationsverfahren, Diagnosen, Dignität.
Das perioperative Risiko des alten Menschen in der Thoraxchirurgie
363
Unter den kardialen Risiken dominierte die Herzinsuffizienz der Schweregrade I bis III mit einer Häufigkeit von 35% (86 Patienten). Von 61 Patienten mit koronarer Herzerkrankung hatten 31 elektrokardiographisch gesicherte Hinweise für einen abgelaufenen Herzinfarkt, bei 3 Patienten waren seit dem Infarktereignis weniger als 6 Monate, jedoch mehr als 3 Monate verstrichen. Eine bis zur stationären Aufnahme unbehandelte arterielle Hypertonie bestand bei 44 Patienten (18%). Seltener waren ein generalisiertes Gefäßleiden, eine pulmonale Hypertonie und andere kardiovaskuläre Begleiterkrankungen. Tabelle 1
Thoraxchirurgie im hohen Alter: 245 Patienten, 253 Eingriffe - Organlokalisation der häufigsten präoperativen Risiken (oben) und häufigste intraoperative Komplikationen und Ereignisse (unten)
Risiken präop.
Patienten
%
Herz/Kreislauf
188
76,7
Atmungsorgane
174
71,0
Stoffwechsel
54
22,0
Niere
36
14,7
Zerebrum
21
8,6
Komplikationen intraop.
Eingriffe
%
Hypotension
33
13,0
Hypertension
24
9,5
Blutverlust > 2500 ml
15 146
5,9 57,7
51
20,1
Parenchymverlust
Lappen
OP-Dauer > 180 min
113 Patienten hatten ein Emphysem, fast ebenso häufig wurde eine chronische Bronchitis diagnostiziert. 110 Patienten (45%) hatten innerhalb der letzten 6 Wochen vor der Operation noch regelmäßig geraucht. Die vor allen elektiven Eingriffen veranlaßte Lungenfunktionsprüfung objektivierte bei 4 4 % eine restriktive, bei 35% eine obstruktive Ventilationsstörung. Insgesamt seltener waren Stoffwechselerkrankungen, eine Niereninsuffizienz oder zerebrale Durchblutungsstörungen. Bei 131 Patienten wurde präoperativ ein internistisches Konsil durchgeführt. 98mal wurden therapeutische Maßnahmen empfohlen und entsprechend durchgeführt. Die mediane Operationsdauer betrug etwa 2 Stunden, die mediane Anästhesiedauer lag im Durchschnitt 80 Minuten darüber. Wir haben keinen Patienten intraoperativ verloren. Zwischen Narkoseein- und -ausleitung wurden Erbrechen mit Aspiration, Asystolien und frische Infarkte nicht beobachtet. Dagegen registrierten wir bei 33 Eingriffen hypotensive Phasen von mehr als 30 Minuten Dauer und bei 24 Eingriffen Blutdruckspitzen mit Werten von 180 mm Hg und darüber. 15mal mußte ein Blutverlust von über 2500 ml hingenommen werden. Den intraoperativen Komplikationen im weiteren Sinne sind schließlich Lungenresektionen größeren Umfangs und Operationszeiten von über 3 Stunden Dauer (20,1%) zuzurechnen (s. Tab. 1).
364
H . Dienemann, L. Sunder-Plassmann, K. K. Hagspiel, G. Heberer
Die Beziehung zwischen der Anzahl an Vorerkrankungen sowie der der intraoperativen Ereignisse einerseits und der Letalität andererseits (Abb. 2) zeigt die erwartete Abhängigkeit. Es verstarb kein Patient ohne präoperative Begleiterkrankungen, dagegen betrug die Letalität bei 2 bis 4 Begleiterkrankungen 6 bis 8%. Noch schwerwiegender sind offenbar die Auswirkungen intraoperativer Komplikationen. Bei gleichzeitigem Auftreten von drei komplizierenden Ereignissen beträgt die postoperative Letalität bereits 15%. Risiken praeop.
K o m p l i k a t i o n e n intraop.
Letalität(%)
Letalität(%)
Anzahl Abb. 2
Anzahl
Thoraxeingriffe im hohen Alter: Risikoeinschätzung. Beziehung zwischen der Anzahl präoperativer Risiken (Begleiterkrankungen) und postoperativer Letalität (links) sowie zwischen der Anzahl intraoperativer Komplikationen und postoperativer Letalität (rechts).
Der postoperative Verlauf (Abb. 3) war in 62,5% unauffällig. Fünfmal (2%) war eine Reintervention aufgrund chirurgischer Komplikationen notwendig. Unter den nichtchirurgischen Komplikationen (35,5%) dominierte die Pneumonie in 33 Fällen. Bei den viermal registrierten Herzinfarkten handelte es sich ausnahmslos um Reinfarkte, darunter war ein Patient, dessen erster Infarkt weniger als 6 Monate zurückgelegen hatte. Wir haben insgesamt 12 Patienten verloren (Letalität 4,9%), einen an einer chirurgischen Komplikation, 6 Patienten an einer respiratorischen Insuffizienz unter den Zeichen der Sepsis, alle 4 Patienten mit Reinfarkt und einen Patienten aus ungeklärter Ursache. Der statistische Zusammenhang mit den genannten prä- und intraoperativen Risiken ist in Abb. 4 wiedergegeben. Patienten, denen mindestens ein Lungenlappen entfernt wurde, hatten ein signifikant höheres Pneumonierisiko im Vergleich zu jenen, bei denen parenchymsparend operiert wurde (p < 0,01). Das Risiko einer Pneumonie scheint geringer, wenn dem Eingriff ein internistisches Konsil vorausging, jedoch ist dieser Zusammenhang statistisch nicht signifikant (p < 0,06).
Das perioperative Risiko des alten Menschen in der Thoraxchirurgie
365
| 2 4 5 Patienten | 2%
35,5* Nicht-Chir. Komplikationen 8 7 Pat.
Chir. K o m p l i k a t i o n e n mit R e i n t e r v e n t i o n 5 Pat.
/
1
0° *
^
/
°
A ^
^ °
*
A
c ?
Thoraxeingriffe im hohen Alter: Risikoeinschätzung. Statistischer Zusammenhang (CHIQuadrat-Test) mit verschiedenen Risiken für die Zielkriterien „Pneumonie", „Herzinfarkt" und „Tod".
366
H. Dienemann, L. Sunder-Plassmann, K. K. Hagspiel, G. Heberer
Vom Infarkt bedroht waren vor allem Patienten mit unzureichend eingestellter arterieller Hypertonie. Dieser Zusammenhang war statistisch hochsignifikant (p < 0,001). Grenzwertig signifikant war eine vorbestehende Myokardschädigung. Das Risiko, nach einem Thoraxeingriff zu versterben war hochsignifikant (p < 0,001) verknüpft mit einer Operationsdauer von über 3 Stunden. Signifikant war außerdem der Zusammenhang mit Nikotinabusus, koronarer Herzerkrankung, vorausgegangenem Herzinfarkt und Herzinsuffizienz.
Diskussion Die häufigste Komplikation und Todesursache nach Thoraxeingriffen im hohen Alter ist die Pneumonie gefolgt vom Herzinfarkt. Die im Vergleich zur Literatur [2, 4, 5] niedrige Letalität in unserem Krankengut erklärt sich a) aus dem relativ geringen Anteil an Notfalleingriffen, b) aus der Tatsache, daß Eingriffe an Gefäßen und Ösophagus ausgeklammert waren, welche per se einen hohen Anteil an chirurgischen Komplikationen aufweisen, c) aus dem allgemeinen medizinischen Fortschritt, der einen Vergleich mit älteren Publikationen nur bedingt zuläßt, jedoch d) u. E. vor allem aus dem Konzept einer umfassenden interdisziplinären Diagnostik und Vorbereitung des alten Patienten vor allen elektiven Eingriffen, welches dem Anästhesisten präoperativ alle wesentlichen Informationen garantiert und ein individuell angepaßtes Narkose- und Überwachungsverfahren ermöglicht. Dieses Konzept verhalf Patienten mit chronischer Bronchitis oder einer schweren Obstruktion, sofern keine weitere Vorerkrankung bestand, zu einem gleich niedrigen Pneumonierisiko, wie es bei Patienten ohne systemische Lungenerkrankung bestand. Die hohe Letalität des postoperativen Herzinfarktes, jeweils Reinfarkte, sollte Anlaß geben zu einer noch sorgfältigeren präoperativen Blutdruckeinstellung sowie zu einer mehrtägigen postoperativen Intensivüberwachung aller Patienten mit Infarktanamnese. Unter dem Eindruck eines hohen Risikos langer Operationszeiten sollten nur erfahrene Anästhesisten und Chirurgen den notwendigen Eingriff beim alten Menschen vornehmen; bei schwerwiegenden Vorerkrankungen ist im Fall eines Bronchialkarzinoms ein eher parenchymsparendes Verfahren zu erwägen. Werden die individuellen Risiken jedes Patienten derart respektiert, stellt auch das hohe Alter in der Regel keine Kontraindikation zum thoraxchirurgischen Eingriff dar. Literatur [1] Bünte, H.: Thoraxchirurgie im hohen Alter. Chirurg 43 (1972) 151. [2] Bünte, H.: Thoraxchirurgische Eingriffe bei alten Menschen. Dtsch. Ärztebl. 46 (1973) 3185. [3] Dohrmann, R., H.-J. Hoeppener: Chirurgische Pathophysiologie des hohen Lebensalters. Chirurg 43 (1972) 145. [4] Rossetti, M.: Elektive Thoraxchirurgie im Alter. In: Handbuch der praktischen Geriatrie (Hrsg. W. Doberauer, A. Hittmair, R. Nissen, F. A. Schulz), S. 254. Enke Verlag, Stuttgart 1969. [5] Schneider, A., L. Braun: Alterschirurgie. Untersuchungen zur perioperativen Letalität. Zentralbl. Chir. 108 (1983) 249. [6] Stark, J. E., D. J. Lipscomb: Physiological and pathological aspects of the respiratory system. In: Geriatrics 2 (Hrsg. D. Platt). Springer Verlag. Berlin-Heidelberg-New York 1983.
Präoperative Risikoeinschätzung bei Patienten mit Ösophaguskarzinom H. Konder, E. Poenitz-Pohl, H.-D. Röher, H. Lennartz
Einleitung Auch heue noch ist die ösophaguskarzinomchirurgie mit einer hohen operativen Letalität behaftet. Dies ergibt sich unter anderem aus einer Sammelstatistik von Earlam und Cunha-Melo [1], die bei 8 4 0 0 0 operierten Patienten eine perioperative Letalität von 29 ± 16% ermittelten.
Patienten und Untersuchungsablauf Vom 1. 1. 1982 bis zum 1. 5. 1986 untersuchten wir 45 Patienten mit Ösophaguskarzinom in unserem kardio-pulmonalen Labor. Davon wurden 36 Patienten ( 2 8 $ , 8 ? ; 42 — 73 Jahre) operiert. Die Ösophagektomie erfolgte bei 21 Patienten durch stumpfe m e d i a s t i n a l Dissektion und bei 15 über eine Thorakotomie. 3 x wurde ein Kolonund 4 x ein Jejunuminterponat, ansonsten ein Magenhochzug zum ösophagusersatz verwandt. Tabelle 1
Präoperative kardiopulmonale Stufendiagnostik bei Patienten mit Ösophaguskarzinom
• Klinischer Zustand Dyspnoe, Husten, Auswurf Nykturie, Ödeme, Hypertonus, EKG Alter, Größe, Gewicht Ernährungszustand
• Röntgen-Tborax • arterielle Blutgasanalyse respiratorische Partialinsuffizienz respiratorische Globalinsuffizienz
•
Spirometrie VC, TLC, RV, RV/TLC FEV!, FEVi/VC, PEF v o 2 , VEÖ2
• Fluß-Volumen-Kurve,
Bronchospasmolysetest l Risikogruppe
• Spiroergometrie •
+ Pulmonaliskatheter
Frank-Starling-Kurve
+ HZV
368
H. Konder, E. Poenitz-Pohl, H.-D. Roher, H. Lennartz
Alle Patienten wurden präoperativ einer kardiopulmonalen Stufendiagnostik unterzogen (Tab. 1). Sie besteht neben der klinischen Untersuchung und dem Röntgenthorax aus einer arteriellen Blutgasanalyse und einer Lungenfunktionsuntersuchung mit Spiroergometrie und Flußvolumentest mit Bronchospasmolysetest. Ergaben sich aus der Lungenfunktionsuntersuchung Hinweise auf ein erhöhtes Risiko und/oder bestanden beim Patienten Anzeichen für eine Herzinsuffizienz, dann führten wir präoperativ eine Spiroergometrie mit Pulmonaliskatheter und HZV-Messung durch. Bei Bedarf wurde auch eine Frank-Starling-Kurve der Rechtsherzfunktion erstellt. Nur Belastungstests liefern eine objektive Information über die kardio-pulmonale Leistungsfähigkeit. Der präoperative Ernährungszustand wurde über den Broca-Index und kurzlebige Proteine erfaßt. Die überwiegend parenterale hochkalorische Ernährung wurde mit Hilfe der indirekten Kalorimetrie adaptiert.
Ergebnisse Die präoperative Lungenfunktionsuntersuchung (Tab. 2) ergab, geordnet nach dem Schweregrad der Einschränkung, den später aufgeschlüsselten Risikogruppen, in 60 — 80% deutliche Hinweise auf eine obstruktive Ventilationsstörung. Dies wird besonders deutlich am Verhalten von FEVi/VC, PEF und FEF 25 - 7 5 % . Der Absolutwert des FEV!, als statisches Volumen, liefert diese Information nicht. Der hohe Anteil obstruktiver Ventilationsstörungen, ist u. a. aufgrund der Nikotinanamnese der Patienten nicht verwunderlich. Tabelle 2
Präoperatives Verhalten der obstruktiven Lungenfunktionsparameter bei Patienten mit Ösophaguskarzinom
FEVj
I è II III
2,0 1/s : 77%
7 0 % : 31% 5 0 % : 41%
I >
70% : 2 3 %
II > 50 < 7 0 % : 68%
1,0 1/s : 6%
II > 50 < 7 0 % : 2 8 % III
50 < 70% : 4 0 % III
70% errechnete postop. FEV, = präop. FEV] x 0,7 = i 2,0 1/s paCÖ 2 : normal; p a 0 2 > 70 mmHg • erhöhtes Risiko: errechnete postop. VC: > 50% < 70% errechnete postop. FEV,: > 0,8 < 2,0 1/s FEV,/VC > 50% < 70% RV/TLC > 40% < 60% paCÖ 2 < 45 mmHg; p a ö 2 > 55 < 70 mmHg • hohes Risiko: errechnete postop. VC: < 50% errechnete postop. FEV,: g 0,8 1/s FEV,/VC < 50% RV/TLC > 60% paCÖ 2 > 45 mmHg; p a ö 2 < 55 mmHg (Zugrundegelegt sind die Daten aus Abbildung 1)
370
H . Konder, E. Poenitz-Pohl, H.-D. Roher, H . Lennartz
Die Validität der Risikogruppenbildung haben wir in einer retrospektiven Analyse der operierten Patienten überprüft (Tab. 4). Dazu haben wir den Patienten einer präoperativen Risikogruppe ihre postoperative Komplikationsrate einschließlich der 30-Tage-Letalität zugeordnet. Es ergibt sich mit steigender Risikogruppe eine sprunghaft steigende Komplikationsrate. Insgesamt hatten 28% der operierten Patienten keine, 60% pulmonale und 22% chirurgische Komplikationen. Auffällig war, daß Patienten mit einem Untergewicht von weniger als 75% des Broca-Indexes eine doppelt so hohe postoperative Komplikationsrate hatten, wie normalgewichtige Patienten. Bei Patienten mit pulmonalen Vorerkrankungen war die Komplikationsrate 3 x so hoch wie ohne entsprechende Vorerkrankungen. Insgesamt fanden wir bei unseren Patienten eine 30-Tage-Letalität von 11%. Tabelle 4
Z u o r d n u n g von präoperativer Risikogruppe und postoperativer Komplikationsrate bei Patienten mit Ö s o p h a g u s k a r z i n o m
Risiko-
Patienten
gruppe
n
%
Komplikationen
I II
12
34
19
54
58 74
2
8 10
III
4
12
100
1
25
%
t n 1
%
Zusammenfassung Wir kommen zu dem Ergebnis, daß eine präoperative Risikoeinschätzung es gestattet, das operative Risiko von Patienten mit Ösophaguskarzinom zu erfassen. Damit kann sowohl eine individuell angepaßte Begleittherapie eingeleitet, wie auch die Operabilität sicher beurteilt werden. Literatur [1] Earlam, R . , J . R . Cunha-Melo: Esophageal s q u a m o s carcinoma. I A critical review of surgery. Br. J . Surg. 67 (1980) 383. [2] Präoperative Lungenfunktionsdiagnostik. Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Pneumonologie und Tuberkulose. Dtsch. Ärztebl. 82 (1985) 1 5 2 4 - 1 5 2 6 .
Inwieweit können Risikofaktoren und Alter den postoperativen Verlauf bei Patienten mit bösartigen Erkrankungen der Speiseröhre beeinflussen? B. Kessler, M. Blum, B. Reers, M. Arndt
Einleitung Die resezierenden chirurgischen Eingriffe an der Speiseröhre wegen eines bösartigen Tumors gehören aufgrund des technischen Schwierigkeitsgrades und wegen der vergleichsweise hohen Komplikations- und Letalitätsrate zu den anspruchsvollen und besonders verantwortungsvollen Operationen. Die allgemeinen, durch anatomische und physiologische Besonderheiten begründeten Risikofaktoren sind jedem, der sich mit der Ösophaguschirurgie beschäftigt, hinlänglich bekannt; daher soll im folgenden auf sie nicht gesondert eingegangen werden. Ziel unserer Untersuchungen und Auswertungen war es einmal, einen Überblick über die Art und Häufigkeit präoperativer Risikofaktoren bei Patienten mit Speiseröhrenkrebs zu erhalten und mögliche Relationen zu postoperativ aufgetretenen Komplikationen und zur Letalitätsquote herzustellen. Zum anderen interessierte uns die Frage, inwieweit der Faktor Alter den Operationserfolg zu beeinflussen vermag und ob eine Limitierung der Indikationsstellung zur Operation allein aufgrund des Alters eines Patienten einer solchen Betrachtung standhält.
Eigenes Krankengut Vorab ein kurzer Abriß unserer bisherigen Operationsstatistik. Seit 1974 wurden an unserer Klinik insgesamt 242 Patienten einer Resektionsbehandlung wegen eines Speiseröhrenkrebses unterzogen. Die Operationsfrequenz stieg dabei seit 1980 sprunghaft an, Komplikations- und Letalitätsrate sanken in dem gleichen Zeitraum ganz erheblich, letztere liegt mittlerweile bei etwa 12% (Abb. 1). Unser übliches operatives Vorgehen besteht bei abdomino-rechtsthorakalem Zugang im Magenhochzug mit intrathorakaler Anastomosierung. Eine Auflistung bei insgesamt 116 operierten Patienten zeigte die folgenden wesentlichen präoperativen Risikofaktoren bzw. bestehenden Erkrankungen (Tab. 1). Am häufigsten waren starkes bis exzessives Rauchen und ein erheblicher Alkoholmißbrauch zu konstatieren, es folgten pathologische Herzbefunde, Lungenfunktionsstörungen, Leber- und Nierenerkrankungen, Diabetes und arteriosklerotische Gefäßver-
372
B. Kessler, M. Blum, B. Reers, M. Arndt
änderungen. Als Anhalt zur Begriffsbestimmung „pathologischer Herzbefund" diente das präoperativ routinemäßig durchgeführte E K G , welches von dem befundenden Internisten in die Kategorien „in normalen Grenzen"/„Grenzbefund"/„leicht bis stark pathologisch" eingeteilt wurde. Als pathologisch wurde zum Beispiel ein durchgemachter Herzinfarkt, als stark pathologisch die dekompensierte Herzfunktionsstörung bewertet. % 33,9 30"
10
74-79 Abb. 1
80-82
83-85
Letalität bei abdomino-thorakaler ösophagusresektion in drei verschiedenen Operationsperioden (n = 242).
Tabelle 1
Präoperative Risikofaktoren in Relation zur postoperativen Gesamtletalität
Rauchen Alkohol Untergewicht Lungenfunktionsstörungen path. Herzbefund Diabetes Lebererkrankungen Nierenerkrankungen Gefäßerkrankungen
Anzahl (%)
Letalität (%)
73 56 63 19 63 9 17 14 5
+ 5 + 6 + 10 + 8 + 4 + 1 + 2 + 1 + 2
Unter die Rubrik „Patienten mit Lungenfunktionsstörungen" wurden solche eingeteilt, bei denen der präoperative Lungenfunktionstest die Meßgrößen als unterhalb des Normbereiches gelegen anzeigte, anamnestische Angaben, die auf Vorschädigungen der Lunge bzw. der Atemfunktion hinwiesen, wurden hier nicht miteinbezogen. Als ein für den postoperativen Verlauf ganz wichtiger Risikofaktor, als solcher in seiner Bedeutung auch erst durch diese Untersuchung erkannt, hat sich uns das bei
Beeinflussung durch R i s i k o und Alter bei bösartigen Erkrankungen der Speiseröhre
373
63% der Patienten vorhandene Untergewicht erwiesen. Es ist dies neben anderen Parametern der sinnfälligste Ausdruck eines schon mehr oder weniger fortgeschrittenen Katabolismus, den es in der wichtigen präoperativen Vorbereitungsphase zu durchbrechen und wenn möglich in das Gegenteil zu kehren gilt. Setzt man nun die einzelnen Risikofaktoren in Relation zur postoperativen Gesamtletalität, so wird deutlich, daß, gestaffelt nach der Wertigkeit, die Faktoren Untergewicht, Ventilationsstörungen, Alkohol, Rauchen und krankhafter Herzbefund zu einer Verschlechterung der Überlebenschancen geführt haben. Dagegen ist bei den Patienten mit vorbestandenen Leber-, Nieren-, Gefäßerkrankungen und Diabetes eine signifikant negative Beeinflussung des postoperativen Verlaufes nicht erkennbar. Von Interesse war auch die Frage, in welchem Umfange Beziehungen hergestellt werden können zwischen den genannten Faktoren und den häufigsten Todesursachen nach Ösophagusresektionen, nämlich der Naht- und der respiratorischen Insuffizienz. Dabei kann dies nur unter Vorbehalt geschehen, da es sich ja jeweils um Vorgänge mit multifaktorieller Genese handelt. Beginnend mit der Anastomoseninsuffizienz sind einmal Zusammenhänge zwischen dieser und der Tumor- bzw. der Anastomosenlokalisation erkennbar, zum anderen aber auch zwischen Insuffizienz und Tumorstadium (Abb. 2; Tab. 2). Ersteres ist mit den problematischen Durchblutungsverhältnissen vor allem der distalen Speiseröhre gut zu vereinbaren, letzteres ist sicher nicht durch ein direktes Wechselspiel zwischen Tumorstadium und Insuffizienz zu erklären, sondern durch die indirekten Auswirkungen des Tumorwachstums mit zunehmender Dysphagie, ungenügender Nahrungsaufnahme, Gewichtsabnahme und kataboler Stoffwechsellage mit konsekutiver negativer Beeinflussung der Wundheilung. Diese Annahme wird auch unterstützt durch die Tatsache, daß sich fast zwei Drittel der operierten Patienten in einem T 3 Stadium befanden und annähernd der gleiche Prozentsatz ein deutliches Untergewicht aufwies.
34% 28% illÉislli
0% dist.1/3 Abb. 2
mittl. 1 / 3
prox.1/3
Anastomoseninsuffizienz in Relation zur Tumorlokalisation; Insuffizienzhäufigkeit in Prozent (n =
116).
374 Tabelle 2
B. Kessler, M . Blum, B. Reers, M . Arndt Anastomoseninsuffizienz in Relation zum Tumorstadium (n = 116)
Tumorstadium
Insuffizienzhäufigkeit (%)
T 1
0,0
T 2
20,9
T 3
30,2
Die Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren, die die Lunge und deren Funktion betreffen, und der postoperativen Häufung respiratorischer Komplikationen sind eindeutig und bedürfen keiner weiteren Erläuterung. Als besonders ungünstig erwiesen sich hierbei der Faktor „starkes Rauchen" und bestehende chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen.
Risikofaktor Alter Höheres Alter der Patienten — hierbei ist die Gruppe der über 70jährigen angesprochen — bedeutet natürlicherweise bei großen chirurgischen Eingriffen ein zusätzliches Risiko und für manchen Chirurgen den primären Verzicht auf die Operation. Der Anteil der über 70jährigen, die wegen eines Ösophaguskarzinoms reseziert wurden, lag — sicher auch bedingt durch die oben genannten Überlegungen — in den ersten Jahren an unserer Klinik bei nur rund 5 % ; er ist stetig bis auf 12% angestiegen (Abb. 3). Die präoperativen Risikofaktoren der älteren Patienten entsprachen in ihrer Häufigkeit im wesentlichen denen der übrigen Altersklassen, eine Ausnahme bildeten vor allem jedoch die häufiger festgestellten pathologischen Herzbefunde, die aber im postoperativen Verlauf nicht zu vermehrten kardialen Komplikationen führten. Die Letalität in dieser Altersgruppe lag mit 15,6% um etwa 3% über der Gesamtletalität.
%
IIP 30-
I i i
20-
30-391.0-1.9 50-59 60-69 Abb. 3
> 70
Alters- und Geschlechtsverteilung der wegen eines Ösophaguskarzinoms abdomino-thorakal resezierten Patienten (GeschlechtsVerhältnis M ä n n e r : Frauen 4 , 9 : 1 , 0 ) .
Beeinflussung durch Risiko und Alter bei bösartigen Erkrankungen der Speiseröhre
375
Zusammenfassung Als besonders komplikationsträchtig hat sich die katabole Stoffwechsellage der Patienten und die erhebliche Beeinträchtigung der Lungenfunktion durch Krankheit oder schädigende Noxen herauskristallisiert. Wir halten deshalb eine ausreichend lange präoperative Vorbereitungszeit von acht bis zehn Tagen für unverzichtbar, um durch gezielte Maßnahmen die katabole Stoffwechsellage auszugleichen und um durch Atemtherapie, Krankengymnastik und körperliches Training die Lungenfunktion zu aktivieren. Alter allein ist für uns kein Hinderungsgrund die Ösophagusresektion durchzuführen. Es ist sicher nicht möglich und hier auch nicht beabsichtigt, gleichsam als Patentrezept durch einfaches Addieren verschiedener Risikofaktoren einen Patienten von der Operation auszuschließen; die Einschätzung der Faktoren kann immer nur eine Hilfe sein. Entscheidend für die Indikation zur Operation und für den Operationserfolg bleiben die Beurteilung des klinischen Gesamteindruckes, die viel Erfahrung voraussetzt, aber auch der Wille des Patienten und die ihm zu vermittelnde Zuversicht, sich der Operation zu stellen und durch aktive Mitarbeit zum Gelingen beizutragen.
Das Risiko in der Magenchirurgie V. Schumpelick, J. Faß, U. Klinge, W. Effendy
Gehen wir zurück zu den Quellen, so finden wir, daß sich der Gesichtspunkt des Risikos wie ein roter Faden durch die Geschichte der Magenchirurgie zieht. Zaghafte Indikation und schlaflose postoperative Nächte kennzeichnen die Gemütslage der Chirurgen der Pionierphase. Eine Woche nach der ersten Magenresektion schreibt Billroth in einem Brief an Hanslick: „Mein Magen hat mir viele schlaflose Nächte bereitet. Doch wer die Natur studiert, den belügt sie nicht". Eine Risikoeingrenzung durch Naturbeobachtung also. Wir stehen in der Blütezeit eines naturwissenschaftlichen Positivismus. Acht Jahre später, auf der Basis von knapp 20 eigenen Fällen, läßt sich das Prinzip schon verallgemeinern. In den klassischen und bis heute gültigen Prämissen, die Billroth und Winiwarter zur Chirurgie des Magenkarzinoms 1889 aufstellten, steht an erster Stelle die Risikominderung durch präoperative roborierende Vorbereitung. Doch nicht nur die Vorbereitung, auch die postoperative Nachsorge stand im Zentrum des Kalküls als Schlatter, wiederum 8 Jahre später, in Zürich die erste vollständige Gastrektomie vornahm. Hier stand die postoperative Nachsorge ganz im Zentrum der Bemühungen. Zum Erfolg verpflichtet, da er diesen Eingriff in Abwesenheit seines Chefs durchgeführt hatte, betrieb Schlatter eine geradezu luxuriöse postoperative Hyperalimentation mit allem was damals gut und teuer war. Man muß sich wundern, daß unter diesem Regime der Patient nicht zum Alkoholiker wurde. Soweit zur Historie. Wo stehen wir heute? Noch in dieser Woche wurde ich von einem niedergelassenen Internisten aus Aachen gefragt, ob es sinnvoll sei, eine 72jährige Patientin an einem Magenkarzinom zu operieren. Hierzu einige statistische Angaben. Betrachtet man die Ergebnisse der Karzinomchirurgie des Magens projiziert auf die Geschichte, so läßt sich eine, wenngleich nicht sprunghafte, so doch kontinuierliche Verbesserung verzeichnen. Aus den 30% Operationsletalität der Pionierphase und der globalen Fünfjahres-Heilung von knapp 2 % wurden eine Operationssterblichkeit von durchschnittlich 14% heute und eine Fünfjahres-Heilung von etwa 12% [17]. Dieser auf den ersten Blick nur wenig eindrucksvolle Fortschritt wird imponierender, wenn man sich die Verdoppelung der Resektionsquote im gleichen Zeitraum vor Augen hält. Noch eindrucksvoller wird das Erreichte, wenn man es vor dem Hintergrund des Strukturwandels der Patienten betrachtet. Analysiert man die Inzidenz des Magenkarzinoms über die letzten 30 Jahre, so findet sich in den Angaben des Statistischen Bundesamtes die allgemein bekannte Inzidenzabnahme (Abb. 1). Während die unter 60jährigen hiervon deutlich profitieren, ist der Gewinn für die über 60jährigen Patienten nur gering. So nahm der Relativanteil der 60jährigen in diesen 30 Jahren von 77 auf knapp 87% zu, d. h., die Chirurgie des Magenkrebses ist vor allem
378
V. Schumpelick, J . Faß, U. Klinge, W. Effendy
Altersstruktur der an Magenkarzinom Verstorbenen (relative Sterblichkeit)
1952
1957
1962
1967
1972
1978
1983 J«hr
SUf 8A1952-1963
Abb. 1
Altersstruktur der seit 1952 an Magenkarzinom Verstorbenen.
Alterschirurgie geworden. 6 von 7 Magenkarzinompatienten sind heute über 60 J a h r e alt, das Durchschnittsalter unserer Patienten liegt bei 72,6 Jahren. Noch eindrucksvoller sind die Verhältnisse bei der Ulkuskrankheit (Abb. 2). Bei insgesamt leicht abnehmender Ulkusinzidenz hat sich der relative Anteil der über 65jährigen unter den am Ulkusleiden Verstorbenen fast verdreifacht. 4 von 5 Todesfällen wegen Gastroduodenalgeschwür gehen heute a conto der über 65jährigen. Gleichzeitig beträgt der Anteil dieser Altersgruppe an der Morbidität für das Ulcus ventriculi knapp 5 0 % , für das Ulcus duodeni nur etwa 3 0 % [4]. Diese Erfahrung spiegelt sich auch wider im eigenen Patientengut des letzten Jahres, wobei sowohl beim Ulcus ventriculi als auch beim Magenkarzinom mehr als 5 0 % der Patienten über 65jährig waren. Alle 4 Todesfälle ereigneten sich ausschließlich in dieser Gruppe. Analysiert man die Häufigkeit des Notfalleingriffs im Kollektiv der Ulkuskranken, so zeigt sich auch in diesem minimalen Zahlenmaterial der allgemeine Trend, daß Ulkuschirurgie im Alter im wesentlichen Notfallchirurgie ist und die Elektivoperation offensichtlich den jüngeren Patienten vorbehalten bleibt. Dieser Trend läßt sich in vielen Statistiken belegen und entspricht der täglichen Erfahrung. Während 1940 — 1955 noch 3 4 % der älteren Patienten elektiv an ihrem Ulkusleiden operiert wurden, sank dieser Prozentsatz Ende der 70er, Anfang der 80er J a h r e auf unter 1 0 % [15]. So k o m m t es, daß Ulkuschirurgie im Alter mehr und mehr zur Notfallchirurgie wird und das, obwohl wir wissen, daß mit zunehmendem Alter die Sterblichkeit des Notfalleingriffs überproportional ansteigt [7, 16]. Es mag an dieser Stelle erlaubt sein, nicht nur das Risiko des Eingriffs, sondern auch das der versäumten oder verspäteten Indikation zu analysieren. So stellte der britische Chirurg Taylor im letzten J a h r folgende nüchterne Rechtung auf: von 24 0 0 0 Patienten
Das Risiko in der Magenchirurgie
379
Alterestruktur der an Ulkusleiden Verstorbenen (relative Sterblichkeit)
JS
6
I 5 ?
1952 suis* '952-i«es
Abb. 2
1970
1980 1965 J»hr • mku»-P«t.< «5 Jahr« Ulku«-P»l > 65 Jlhre
Altersstruktur der seit 1952 an Ulkusleiden Verstorbenen.
mit unkomplizierten Ulzera pro Jahr in Großbritannien würden in der Altersgruppe zwischen 50 und 60 Jahren 6000 eine Blutung und 2400 eine Perforation erleiden. Bei einer durchschnittlichen Sterblichkeit von 10% für die Blutung und die Perforation würden 840 Patienten hieran sterben. Etwa 2 / 3 der Bluter würden erneut bluten und Vio der Perforationen reperforieren. Hieraus errechnen sich numerisch 424 weitere Todesfälle. Unterm Strich würden in diesem Kollektiv somit 1264 Patienten an den Folgen ihrer Ulkuskomplikationen sterben. Überträgt man die Rechnung auf den chirurgischen Bereich, so hätten 24000 Patienten mit einem unkomplizierten Geschwür elektiv vagotomiert werden können. Bei Kalkulation einer Letalitätsrate von 0,2% würden 48 hieran sterben. Unter der Annahme einer Rezidivquote von 10% und einer ca. 50% igen Reoperationsquote mit trunculärer Vagotomie und Antrektomie, stürben weitere 24 Patienten. Hieraus errechnete sich eine Gesamtsterblichkeit des Kollektivs von 78 Patienten gegenüber 1264 unter konservativer Behandlung. Diese nüchterne Statistik, die wie alle Vereinfachungen nicht frei von Fehlern ist, demonstriert die Möglichkeit zur Risikominderung durch rechtzeitige Indikation. Wenn schon die Karzinomchirurgie des Magens aufgrund epidemiologischer Bedingungen Alterschirurgie sein muß, so muß die Ulkuschirurgie nicht allein Alterschirurgie und die Alterschirurgie nicht allein Notfallchirurgie sein. Hier könnte ein wesentlicher Beitrag zur Risikominderung stattfinden. Jedoch zurück zum Eingriff. Das fortgeschrittene Alter ist allein nicht als eigenständiger Risikofaktor zu werten [3, 11]. Bedroht sind allerdings die betagten Patienten durch die Kumulation von Risikofaktoren, die sich aus den Begleiterkrankungen und den Einschränkungen der Organreserven ergeben. Gradmesser des Operationsrisikos ist die Inzidenz postoperativ auftretender Komplikationen mit dem letalen Ausgang als letzte Konsequenz.
380
V. Schumpelick, J . Faß, U. Klinge, W. Effendy
Welche Faktoren beeinflussen die Häufigkeit postoperativer Komplikationen. Es sind dies der Ernährungszustand, die Notfallindikation, die mangelnde Kooperation des Patienten, die Größe und das Ausmaß des Eingriffs, technische und taktische Fehler, Narkosezwischenfall, die Störungen der allgemeinen Homöostase und schließlich das Alter. Von ihnen sollen die Notfallsituation, der Ernährungszustand, die Störung der Homöostase und das Alter den höchsten prädikativen Wert haben. Viele Scores wurden erdacht, um eine präoperative Abschätzung des Operationsrisikos zu ermöglichen und gegebenenfalls eine Hilfestellung bei der Verfahrenswahl zu geben. Kaum einer konnte sich nachhaltig durchsetzen, da er entweder zu umständlich, zu wenig praktikabel, zu wenig spezifisch und sensitiv oder schließlich zu speziell war, um in jedem Fall das multifaktorielle Geschehen des Postaggressionssyndroms zu erfassen. Am bekanntesten ist der von Müllen [14] sowie von Gofferje und Fekl [6] entwickelte prognostische Ernährungsindex. Er soll auf der Basis der Messung anthropometrischer Größen, laborchemischer Parameter sowie orientierender Untersuchungen des Immunstatus eine Vorhersage des zu erwartenden statistischen Operationsrisikos erlauben. Seine Aussagekraft ist allerdings nach eigenen und anderer Autoren Erfahrungen nicht sehr verbindlich, auch verbietet der zeitliche und finanzielle Aufwand eine breite Anwendung im klinischen Alltag [5, 9]. Was nun ist praktikabler, oder bleibt nur der klinische Blick? Wir sind dieser Frage retrospektiv bei den 80 im letzten Jahr in Aachen am Magen operierten Patienten nachgegangen. Die im Rahmen der Routineuntersuchung ca. 20 erhobenen Befunde
Tabelle 1
Korrelation von präoperativ pathologischen Parametern und postoperativer ( R W T H Aachen 1 9 8 5 - 1 9 8 6 , n = 80) Normwerte
normal
Komplika-
pathol.
tionen % (n)
(n)
< 65 J a h r e
45
24 (n
=
Notfall
nein
69
19 (n
=
Begleiterkrankung
nein
48
17 (n
=
Optimales Körperge-
> 90% Brocca
100 g/1
71
23 (n
=
Hb
150000 G/ml
71
23 (n
=
Thrombozyten
> 60 g/1
50
26 (n
=
Eiweiß
> 4, < 10 G/1
58
26 (n
=
Leukozyten
>
61
21 (n
=
Kreatinin
> 10 nmol/1
71
18 (n
=
Harnstoff
> 40 U/1
61
26 (n
=
Gamma-GT
> 17 nmol/1
61
25 (n
=
100 nmol/1
100%
Komplikationen 5 %
(n)
Alter
Komplikationsrate
(n)
11) 13)
35
23 (n =
8)
11
55 (n =
6)
8)
32
34 (n = 11)
6) 16)
41 9
33 (n =
3)
16) 13) 15)
6
33 (n =
2)
17
29 (n =
5)
21
14 (n =
3)
6
67 (n =
4) 4)
13) 13)
24 (n = 10)
4
100 (n =
16) 15)
7
14 (n =
1)
7
29 (n =
2) 4)
Bilirubin
normal
31
19 (n
=
6)
10
40 (n =
Belastungs-EKG
normal
29
17 (n
=
5)
9
22 (n =
2)
Lungenfunktion
altersentspr.
29
17 (n
=
5)
19
37 (n =
7)
Allgemeines Risiko (Internistisches Konsil)
Das Risiko in der Magenchirurgie
381
Präoperativer Risiko-Score * 100
Komplikationen
90 80
70 60
50 40 30
20 10 3
Abb. 3
> 3 Risikopunkte
Anhand präoperativ untersuchter Parameter erstellter Risikoscore.
wurden retrospektiv a u f ihren prediktiven Wert hin untersucht (Tab. 1). D a b e i zeigte sich unter aller E i n s c h r ä n k u n g der kleinen Fallzahl, d a ß 6 P a r a m e t e r positiv mit der K o m p l i k a t i o n s h ä u f i g k e i t korrelierten. Es waren dies die N o t f a l l i n d i k a t i o n , die Begleiterkrankung, ein erhöhter K r e a t i n i n w e r t , ein e r h ö h t e r H a r n s t o f f w e r t , ein p a t h o logisches B e l a s t u n g s - E K G und schließlich das aufgrund des internistischen Konsils als erhöht klassifizierte O p e r a t i o n s r i s i k o . Als nennenswerte Begleiterkrankung galten ein D i a b e t e s mellitus, eine chronische restriktive oder obstruktive Ventilationsstörung, ein H y p e r t o n u s sowie eine arterielle Verschlußkrankheit. B e i m Vorliegen einer dieser Begleitkrankheiten oder einer der erfaßten präoperativen P a r a m e t e r w a r die K o m p l i k a t i o n s g e f ä h r d u n g auf ein mehrfaches gesteigert. O r d n e t man nun im Sinne eines vereinfachenden Scores jedem dieser P a r a m e t e r einen P u n k t zu, so summieren sich die E f f e k t e . W ä h r e n d beim Vorliegen keiner dieser P a r a m e t e r die K o m p l i k a t i o n s q u o t e 1 1 %
betrug, stieg sie bei einem
Punkt auf 2 8 , bei zwei Punkten auf 3 3 , bei drei Punkten a u f 68 und über drei Punkte a u f 1 0 0 % an (Abb. 3). Hierbei w a r die Art der K o m p l i k a t i o n e n relativ unspezifisch und nicht unbedingt im Z u s a m m e n h a n g mit der O p e r a t i o n zu sehen. Unter der E i n s c h r ä n k u n g der kleinen Fallzahl und der retrospektiven E r h e b u n g scheint sich aber abzuzeichnen, d a ß den von uns gewählten P a r a m e t e r n ein prädikativer Wert z u k o m m t . Diese E r f a h r u n g s t i m m t überein mit den A n g a b e n von Permutt [15] zur Alterschirurgie am M a g e n , der speziell für die R e t e n t i o n s w e r t e eine wesentliche prognostische Bedeutung belegen konnte. Derartige Scores werden aber in der Regel nur wenig hilfreich sein bei der speziellen Indikationsstellung und der Frage der Verfahrenswahl. Ihr wichtigster Stellenwert liegt bei der Frage der präoperativen Vorbereitung des Patienten und der M i n d e r u n g
382
V. Schumpelick, J . Faß, U. Klinge, W. Effendy
der Risikofaktoren. Sie begleiten gewissermaßen die Indikation fördernd oder hemmend, entscheiden sie aber nicht. K o m m e n wir nun zu den einzelnen Krankheitsbildern und zur Verfahrenswahl! Zuerst zum Magenkarzinom. Die Chirurgie des Magenkarzinoms kann als weitgehend standardisiert gelten. Die Fortschritte liegen im Detail. Die Gastrektomie ist das Verfahren der Wahl beim diffusen Typ nach Lauren beim Magentotalkarzinom, beim Karzinom der oberen Magenhälfte sowie beim distalen Karzinom, das den Angulus ventriculi überschreitet. Die prinzipielle Gastrektomie bedeutet aus unserer Sicht Übertherapie, nicht aber die prinzipielle Lymphknotendissektion [3, 17, 22, 25]. Wie in vielen Studien gezeigt, ist speziell beim Antrumkarzinom auch mit einer subtotalen Resektion eine ausreichende Radikalität bei geringerer Letalität und sehr gutem Fünfjahres-Ergebnis zu erreichen (Tab. 2). Wie weit die zusätzliche Lymphknotendissektion diese Ergebnisse noch steigern wird, werden wir erst in einigen Jahren wissen. Tabelle 2
Ergebnisse der radikalen Resektion des Magenkarzinoms (nach [22]) n
Gastrektomie subt. Resektion
Tabelle 3
Letalität
5 J H (korrigiert)
933
58/6,2%
158/19,8%
4322
135/3,1%
1857/50,3%
OP-Verfahren bei der Ulkuskrankheit und Komplikationsrate ( R W T H Aachen 1 9 8 5 1986, n = 32) Elektiv
Blutung
Perforation
16
5
1
kompl.
2
3
0
verstorben
0
2
0
n
5
1
kompl.
1
1
verstorben
0
0
n Resektion
SPV u. PP
n Übernähung
Umstechung
-
-
3
kompl.
-
2
verstorben
-
-
1
n
-
1
-
kompl.
-
1
verstorben
-
0
-
D a s Risiko in der Magenchirurgie Tabelle 4
383
Operationsletalität palliativer M a ß n a h m e n beim M a g e n k a r z i n o m (nach 7) n
Letalität
Pali. Gastrektomie
196
55/28,0%
Tumorbelassene Eingriffe (GE, Tubus, Ernährungsfistel)
154
44/28,6%
Unter dieser Indikationsstellung haben wir in diesem Jahr 42 Magenkarzinome operiert, davon 15 unter palliativer Intention. Während in der kurativen Gruppe kein Patient verstarb, starb einer der palliativ Gastrektomierten (Tab. 3). Wir sind in Übereinstimmung mit Häring [7] Befürworter einer palliativen Gastrektomie sowohl im Hinblick auf die etwa gleichhohe Letalität als vor allem die bessere Lebensqualität und Prognose der Gastrektomierten (Tab. 4). Beim Ulkus determiniert die Indikation das Risiko. SPV beim Ulcus duodeni und Resektion beim Ulcus ventriculi können weitgehend als Standard akzeptiert werden [2, 12]. Die Letalitätsziffern sind mit 0,5% bzw. 1,5% gleichermaßen klein. Interessanterweise gilt dies auch für die SPV bei den über 65jährigen, während hier die Resektionsletalität deutlich höher liegt [20]. Beim stenosierenden Ulcus duodeni deuten mehrere Studien darauf hin, daß mit zusätzlicher Pyloroplastik bessere Langzeitergebnisse zu erwarten sind (12). Im eigenen Krankengut wurden bei 21 elektiven Ulkusoperationen im letzten Jahr 5mal eine SPV und 16mal eine Resektion mit Billroth-I-Anastomose durchgeführt. Von 11 Notfallindikationen waren 7 der Patienten über 65 Jahre alt, von denen wiederum 3 verstarben. Insgesamt sind die Ulkuskomplikationen die Prüfstrecke der Risikogefährdung des Patienten. Sowohl die Blutung als auch die Perforation zeigen eine exponentielle Beziehung der Sterblichkeit zum Lebensalter, wie bereits eingangs gezeigt [8, 10, 19, 25]. Bei der Perforation kommt zusätzlich die Perforationsdauer als limitierender Faktor hinzu [4, 10]. Da anders als bei der Blutung die frühe Reperforation selten ist, liegt die chirurgische Aufgabe vor allem in dem Verschluß des Defektes, nicht in der definitiven Behandlung der Ulkuskrankheit. Beim Vorliegen von Risikofaktoren und Fehlen einer entsprechenden Ulkusanamnese ist der Übernähung, ohne Risikofaktoren Indikation bei der Ulkusperforation Verfahren
Bedingung
Übernfthung • SPV
Anamnese 1 2J. Pertorations zeit -12h kein Risiko* Patient
• • -..^"T'w:.
^j^jjH,« fteseWion
Abb. 4
.•
." .'.
.." .' Diagnose Ulkus duodeni Ulkus »entrikuli
Indikationsschema bei der Ulkusperforation.
Bedingung
Verfahren
Anamnese 1 2J Pertorationszeit 12h Risiko Patient
übemahung
:,. ;jf"TX.. •
• C^V;
Ex*i»«m +• Übernlhung
384
V. Schumpelick, J. Faß, U. Klinge, W. Effendy
und bei Vorliegen einer Ulkusanamnese ist der definitiven Maßnahme der Vorzug zu geben (Abb. 4). Im Einzelfall sind dies beim Ulcus duodeni die Übernähung + SPV bei mehr als halbjähriger Ulkusanamnese und kurzer Perforationszeit, und beim Ulcus ventriculi die Resektion unter gleichen Bedingungen. Im Falle einer kürzeren Anamnese und einer längeren Perforationszeit und vor allem bei Risikopatienten ist beim Ulcus duodeni der einfachen Übernähung, beim Ulcus ventriculi der Exzision + Übernähung der Vorzug zu geben. Schwierig ist die Situation bei Ulkusblutung, da neben der Blutstillung auch die definitive Behandlung der Ulkuskrankheit erforderlich ist, um einem Rückfall vorzubeugen. So besteht jede Operation bei Ulkusblutung obligat aus den Maßnahmen der lokalen Blutstillung, d. h. in der Regel der Gefäßumstechung und der Ligatur der zuführenden Gefäße und der definitiven Sanierung des Ulkusleidens durch Resektion oder Vagotomie. Schwierig ist die Indikation. Der natürliche Verlauf der Ulkusblutung mit einem spontanen Sistieren in 60% macht die Sofortoperation in mehr als der Hälfte der Fälle überflüssig [24]. Zudem bedeutet die Sofortoperation einen Eingriff am vorgeschädigten Organismus ohne Phase der Stabilisation. Sehr viel besser sind die Ergebnisse der Frühelektivoperation, d. h. innerhalb von 24 Stunden, und hierzu rechnen auch jene Fälle, die durch endoskopische Manöver der Blutstillung in eine Forrest-II-Blutung überführt worden sind [18, 21, 23, 24]. Am schlechtesten sind die Ergebnisse der verzögerten Notfalloperation, d. h. der erzwungenen Operation des Rezidives einer Ulkusblutung. Es gilt also, den optimalen Zeitpunkt der Operation nicht zu verpassen, d. h. die Operation früh-elektiv nach Stabilisierung des Kreislaufes durchzuführen [1, 13, 23]. Als absolute Operationsindikationen im Hinblick auf die Blutungsaktivität und Blutungsintensität fassen wir folgende Zustände auf: 1. Die Arrosion großer Gefäße wie z.B. Arteria hepatica oder Aorta, 2. der Verlust von mehr als 2 — 3 Liter Blut in 24 Stunden und entsprechend ein Verlust von 4 - 5 Liter Blut in 48 Stunden; 3. hinsichtlich der Blutungsaktivität ist eine Forrest-Ia-Blutung eine absolute Operationsindikation; 4. jedes tiefe Hinterwandgeschwür mit der Gefahr der Arrosion der Arteria gastroduodenalis, 5. das Früh- oder Endoskopierezidiv und schließlich 6. der sichtbare lumenstarke Gefäßstumpf an der Hinterwand. In diesen Fällen sollte so bald wie möglich die chirurgische Blutstillung vorgenomen werden. Beim Vergleich der einzelnen Operationsverfahren zeigt sich bei unter 60jährigen Patienten kein Unterschied zwischen Vagotomie und Billroth-I-Resektion sowohl im Hinblick auf Letalität als auch auf Rezidivquote. Bei älteren Patienten hingegen schneidet die Resektion deutlich schlechter ab mit Letalitätsquoten von bis zu 3 6 % . Hier liegt cum grano salis die Quittung für die versäumte Indikation zur Elektivoperation in jüngeren Jahren. Die aber steht nun einmal am Anfang der chirurgischen Risikoeingrenzung des Eingriffs.
Das Risiko in der Magenchirurgie
385
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386
V. Schumpelick, J. Faß, U. Klinge, W. Effendy
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Risikofaktoren in der operativen Therapie des Magenkarzinoms — eine Validisierungsanalyse von 506 Patienten R. Bittner, H. Schimm, M. Butters, H. G. Beger
Einleitung Fortschritte in Chirurgie und Anästhesiologie zusammen mit dem Anstieg der Lebenserwartung der Bevölkerung haben in den letzten Jahren bewirkt, daß immer ausgedehntere Operationen an einem zunehmend älteren Patientengut durchgeführt werden. Die hohe Frequenz von Begleiterkrankungen bei diesen Patienten macht eine sorgfältige präoperative Abwägung des Risikos des Eingriffes notwendig [1,2]. Grundsätzlich bedeutet jede Störung der Organfunktionen, wobei eine Reihe laborchemischer und apparativer Untersuchungsmöglichkeiten zu deren Objektivierung zur Verfügung steht, eine Erhöhung des Operationsrisikos. Wie hoch allerdings die einzelnen Störungen, d. h. die Risikofaktoren in ihrer prädiktiven Wertigkeit einzuschätzen sind, ist bisher, vor allem in der Chirurgie des Magenkarzinoms, nur unzulänglich abgeklärt. Ziel der vorliegenden Studie ist es, ausgehend von unseren Operationsergebnissen beim Magenkarzinom, mit Hilfe statistischer Methoden die Faktoren zu charakterisieren, die einen signifikanten Einfluß auf die postoperative Letalität und Morbidität haben.
Patienten und Methoden Zur Klärung der Fragestellung wurden 2 Patientengruppen untersucht. Ein „historisches" Kollektiv, das in den Jahren 1969 bis 1978 operiert wurde und die aktuellen Patienten der letzten 4 Jahre (Tab. 1). Im älteren Zeitraum wurde bei insgesamt 276 Patienten ein resezierendes Operationsverfahren durchgeführt. 49 Patienten, entsprechend einer Letalität von 17,7%, verstarben an den Folgen der Operation. Mit Hilfe des CHI-Quadrat-Häufigkeitstestes und des Wilcoxon-Testes wurde untersucht, welche der in Tabelle 2 aufgeführten Risikofaktoren einen statistisch signifikanten Einfluß auf dieses Ergebnis hatten. Im jüngeren Zeitraum wurden insgesamt 230 Patienten operiert. Hier verstarben lediglich 7 Patienten, entsprechend einer Letalität von 3 % . Bei dieser kleinen Zahl Verstorbener war eine verläßliche statistische Risikokalkulation nicht möglich. Hier mußte allerdings geprüft werden, ob Faktoren, die sich im älteren Zeitraum als relevant erwiesen hatten, bei diesen Patienten in gleicher Häufigkeit anzutreffen waren.
388
R. Bittner, H. Schirrow, M. Butters, H. G. Berger
Tabelle 1 Opera tionsletalität
1969-1978 Resektionen: n = 176 >fi: n = 49 17,7%
Tabelle 2
1982-1986 Resektionen: n = 230 >+': n = 7 3%
Faktoren der Risikokalkulation
•
Anamnestische Daten Alter, Dauer der Anamnese, Symptomatik, Gewicht, Vorerkrankungen
•
Blut- und laborchemische Befunde Hb, Gesamteiweiß, BSG, Kreatinin
•
Physikalische Befunde EKG, Spirometrie
•
Tumordaten TNM-Stadium, Tumorgröße, Histolog. Typ, Grading
•
Operationsdaten Verfahren, Dauer, Blutzufuhr
•
„Klinischer
Blick"
Statistik: CH 2 -Häufigkeitstest, Wilcoxon-Test
Ergebnisse Wie Tabelle 3 zeigt, hatte das Alter zwar einen deutlichen Einfluß auf die Operationsletalität, jedoch der Unterschied war statistisch nicht signifikant. Von den unter 60jährigen Patienten verstarben 11,1%, von den 61- bis 69jährigen 21,1% und von den über 70jährigen 2 0 % . Es ist bemerkenswert, daß das risikoreichere Alter bereits mit 60 Jahren beginnt. Einen statistisch signifikanten Einfluß auf das Operationsergebnis hatten von den weiteren anamnestischen Daten ein Gewichtsverlust von 5 kg und mehr sowie das Vorhandensein arteriosklerotischer Vorschädigungen (Tab. 4). Von den blut- und laborchemischen Befunden erwiesen sich als relevant ein AusgangsHämoglobin von 9 g% oder weniger und ein Gesamt-Eiweiß von ^ 6 g% (Tab. 4). Eine Erhöhung des Serum-Kreatinins oder der Blutsenkungsgeschwindigkeit hatte keinen signifikanten Einfluß. Während ein pathologischer Befund im präoperativen EKG ebenfalls ohne statistisch nachweisbaren Einfluß war, zeigte sich bei den über 60jährigen Patienten eine Ventilationsstörung, nachgewiesen durch die spirometrische Untersuchung, als relevanter Risikofaktor. Von den untersuchten Tumordaten war lediglich bei den Patienten im T N M - 1 Stadium ein statistisch signifikant besseres Ergebnis zu beobachten, als in den übrigen
Risikofaktoren in der operativen Therapie des Magenkarzinoms Tabelle 3
Alter und Operatinsletalität (1969 - 1978; n = 276)
%
n < 60 Jahre
81
9
11,1
6 1 - 6 9 Jahre
90
19
21,1
> 7 0 Jahre
105
21
20,0
Überlebende
Verstorbene
Signifikanz
47,2%
79,3%
p < 0,05
13,8%
32,1%
p < 0,05
9,9%
25,0%
p < 0,05
Arteriosklerose**
16,7%
52,5%
p < 0,005
Ventilationsstörung**
13,8%
32,0%
p < 0,025
Tabelle 4
Relevante Risikofaktoren
Gewichtsverlust* ^
389
5 kg
Hämoglobin* g 10 g% Gesamteiweiß* g
6 g%
* < 70jährige, ** > Tabelle 5
60jährige
Operationsverfahren und -letalität ( 1 9 6 9 - 1978; n = 276)
%
n B I/B II Gastrektomie Kardia-/ösophagus-Resektion
133 89 54
14 22 13
10,5 24,7 24,1
Stadien. Die anderen Faktoren, wie Tumorgröße, histologischer Typ und Grading, hatten keinen Einfluß. Die Operationsletalität bei der unteren Magenteilresektion betrug 10,5%. Bei der vollständigen Magenentfernung und der proximalen Magenresektion war sie annähernd zweifach höher und betrug 24,7 bzw. 24,1% (Tab. 5). Der Unterschied war statistisch signifikant (p < 0,05). Die übrigen Operationsdaten, wie Dauer und Blutzufuhr, erwiesen sich in der Analyse als nicht relevant. Eine nicht geringe Bedeutung bei der Risikokalkulation hat sicherlich auch der „klinische Blick". Dies allerdings ist ein persönlicher Erfahrungswert, der sich weder objektivieren, noch in eine statistische Analyse einbeziehen läßt. Im Krankengut der Jahre 1982 bis 1986 kamen die relevanten Risikofaktoren, ausgenommen der arteriosklerotischen Vorschädigung, in etwa in gleicher Häufigkeit vor (Tab. 6). Bei Beurteilung der Altersverteilung und der Operationsverfahren war sogar
390 Tabelle 6
R. Bittner, H. Schirrow, M. Butters, H. G. Berger Häufigkeitsverteilung relevanter Risikofaktoren 1969-1978
1982-1986
Gewichtsverlust ä 5 kg
55,2%
39,4%
Hämoglobin g 10 g%
22,2%
16,5%
Gesamteiweiß g 6 g%
16,0%
18,75%
Arteriosklerose*
24,0%
12,6%
Ventilationsstörung
29,8%
30,7%
* Apoplektischer Insult, Herzinfarkt, KHK, Hypertonus
im jüngeren Zeitraum eine Zunahme des Anteiles der über 70jährigen Patienten von früher 38% auf jetzt 48,2% sowie eine Zunahme des Anteiles der Gastrektomie und Kardia-/Ösophagusresektionen von früher 51,8% auf jetzt 65,7% zu beobachten.
Diskussion Trotz ungünstigerer Altersstruktur des Patientengutes und Zunahme ausgedehnterer Operationsverfahren konnten die Ergebnisse der Magenkarzinomchirurgie in den letzten Jahren drastisch verbessert werden. Risikofaktoren, die früher einen relevanten Einfluß auf den Operationsausgang hatten, haben heute offenbar ihren prädiktiven Wert verloren. Obwohl sie in beiden Zeitabschnitten in etwa in gleicher Häufigkeit zu beobachten waren, betrug die Operationsletalität bei den 230 in den letzten 4 Jahren operierten Patienten nur noch 3% im Vergleich zu den 17,7% bei den zwischen 1969 und 1978 operierten Patienten. Parallel zur Senkung der Operationsletalität nahm auch die Morbidität ab. Während im älteren Zeitraum insgesamt 275 Komplikationen beobachtet wurden, waren es im jüngeren Zeitraum lediglich 56 (Tab. 8 u. 9). Besonders bemerkenswert ist die Senkung der septischen und pulmonaTabelle 7
Alter und Operationsverfahren 1969-1978
1982-1986
n
%
n
%
< 60 Jahre 6 1 - 6 9 Jahre > 7 0 Jahre
81 90 105
29,3 32,6 38,0
57 62 111
24,8 26,9 48,2
B I/B II Gastrektomie + Kardia/Ösophagus-Resektion
133 143
48,2 51,8
79 151
34,3 65,7
Risikofaktoren in der operativen Therapie des Magenkarzinoms Tabelle 8
Komplikationen (1969-1978; n = 276) n
Septisch Pulmonal Kardial Nahtinsuffizienz Niereninsuffizienz Zerebral Pleuritis Pankreatitis Lungenembolie Sonstige Gesamt
Tabelle 9
% 73 44 33 32 29 14 13 9 8 20
26,4 15,9 11,9 11,6 10,5 5,1 4,7 3,3 2,9 7,2
275
99,6
Komplikationen (1982- 1986; n = 230) n
Septisch Pulmonal Pleuritis Pankreatitis Nachblutung Ileus Lungenembolie Entero-kutane Fistel Niereninsuffizienz Anastomoseninsuffizienz Duodenalinsuffizienz Leberversagen Sonstige
15 14 5 4 4 3 2 2 2 1 1 1 2
Gesamt
56
Tabelle 10 1. 2. 3. 4.
391
% 6,4 6,06 2,15 1,73 1,73 1,3 0,86 0,86 0,86 0,43 0,43 0,43 0,86 24,3
Gezielte perioperative Therapie und Korrektur
Infektionsprophylaxe Thrombembolieprophylaxe Atem- und Bewegungstherapie Ernährung
5. Standardisierung der Technik 6. Verbesserung von Narkose und intensivmedizinischen Techniken
l e n K o m p l i k a t i o n e n v o n f r ü h e r 2 6 , 4 b z w . 1 5 , 9 % a u f jetzt n u r n o c h 6 % . A u ß e r d e m ist h e r v o r z u h e b e n d i e A b n a h m e der R a t e der N a h t i n s u f f i z i e n z e n v o n f r ü h e r 1 1 , 6 % auf jetzt u n t e r 1 % . V e r a n t w o r t l i c h
für diese günstige Entwicklung
E r a c h t e n s d i e in T a b e l l e 10 a u f g e f ü h r t e n u n d in d e n l e t z t e n J a h r e n
sind
unseres
systematisch
392
R. Bittner, H . Schirrow, M . Butters, H . G . Berger
eingesetzten gezielten perioperativen Therapie- und Korrekturmaßnahmen. Dazu gehören die Infektions- und Thrombembolie-Prophylaxe, die Atem- und Bewegungstherapie, vor allem beim älteren Patienten, sowie die parenterale oder enterale Unterstützung der Ernährung bei den Patienten mit kataboler Stoffwechselsituation. Außerdem müssen die präzise Standardisierung der Technik und die Fortschritte in der N a r k o s e und der intensivmedizinischen Betreuung erwähnt werden. Mit Hilfe dieser Maßnahmen gelingt es, den Risikofaktoren ihre Dominanz zu nehmen. Obwohl daher der prädiktive Wert einer Risikokalkulation heute gering ist, muß sie weiterhin integraler Bestandteil der präoperativen Vorbereitung der Patienten sein. Nur durch die sorgfältige Analyse des Risikos kann ein prä- und perioperatives Therapieprogramm entwickelt werden, das es ermöglicht, den klinischen, metabolischen und laborchemischen Zustand des Patienten zu verbessern, so daß er gefahrloser operiert werden kann.
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Risikofaktoren bei der Gastrektomie B. Stallkamp
Einleitung Bei malignen Tumoren des Magens bietet nur die radikale Tumorentfernung eine reale Heilungschance. Dafür stellt die Gastrektomie mit Ersatzmagenbildung ein probates Verfahren dar. Hohe postoperative Morbidität und Letalität schränkten die Indikation aber vielfach ein. Erst in den letzten Jahren konnte die negative Bilanz dieser Operation deutlich verbessert werden (Abb. 1).
%
(Literaturzusammenstellung)
n = 9 8 0 0
SHf.5
%
1950-1980
n=2641
*.« % 1981
-1986
(Publikationsjahre) Abb. 1
Abnahme der Letalität nach Gastrektomie seit 1950.
Krankengut und Ergebnisse Seit 1977 wurden in der Abteilung für Allgemeinchirurgie am Marienhospital Osnabrück 120 Gastrektomien mit einer Letalität von 10,8% durchgeführt (Tab. 1). Operationsindikationen waren fast ausschließlich Malignome (Karzinom n = 112, Sarkom n = 2, Immunozytom n = 2, malignes Lymphom, Morbus Hodgkin, Ulkusblutung und Fehldiagnose „Karzinom" je n = 1).
394 Tabelle 1
B. Stallkamp Patientengut und Letalität -
Geschlecht
Anzahl n
%
Gastrektomie ( 1 9 7 7 - 1 9 8 6 ) Alter
Durchschn.
(Jahre)
Alter
Letal n
%
Männer
71
59,2
34-79
63,5 ± 10,7
9
12,7
Frauen
49
40,8
25-82
63,4 ± 13,3
4
8,2
Gesamt
120
100,0
25-82
63,5 + 11,8
13
10,8
Tabelle 2
Komplikationen nach Gastrektomie (n = 55) n
Anastomoseninsuffizienz
n Kardiale Dekompensation
11
ösophagobronchiale Fistel
1
Pneumonie
11
Duodenalstumpfinsuffizienz
1
Pleuraerguß
2
Pleuraempyem
1
Lungenembolie
5
Interponatperforation
1
Pneumothorax
3
Dünndarmperforation
1
Pulmonale Insuffizienz
1
Pankreatitis
3
Niereninsuffizienz
3
Abdominale Blutung
3
Ösophagusperforation
1
Rezid. Subileus
1
Beinvenenthrombose
3
Subphrenischer Abszeß
1
Marcumar-Blutung
1
Sek. Wundheilung
6
Hemiparese (Hirnmetastase)
1
Tabelle 3
15
Todesursachen nach Gastrektomie
Todesursachen
n
Kardiale Dekompensation
5
Lungenembolie
3
Allgemeine Erschöpfung
2
Blutung mit Komplikationskette
1
Pulmonale Insuffizienz
1
Sept. Folgen der Nahtinsuffizienz
1
Gesamt
13
5 5 Patienten w a r e n von postoperativen Komplikationen betroffen (Tab. 2). Z a h l e n m ä ßig d o m i n i e r t z w a r die N a h t i n s u f f i z i e n z d e r ö s o p h a g e a l e n A n a s t o m o s e , a b e r n u r ein P a t i e n t ist u r s ä c h l i c h a n d e n F o l g e n e i n e r i n t r a t h o r a k a l e n
Anastomoseninsuffizienz
verstorben. Prognostisch im Vordergrund stehen heute interne Komplikationen, kard i a l e s , p u l m o n a l e s o d e r r e n a l e s V e r s a g e n u n d t r o t z P r o p h y l a x e die L u n g e n e m b o l i e . 10 Patienten m u ß t e n mit einer Letalitätsrate v o n 3 0 % reoperiert w e r d e n tomie n = 4, Bülau-Drainage n = D r a i n r e v i s i o n je n =
(Relaparo-
3, R e t h o r a k o t o m i e , venöse T h r o m b e k t o m i e
1). D i e T o d e s u r s a c h e n s i n d in T a b e l l e 3 a u f g e f ü h r t .
und
Risikofaktoren bei der Gastrektomie
395
Risikofaktoren Das hohe Risiko der Gastrektomie gründet sich auf verschiedenen Faktoren, die nur zum Teil von uns beeinflußbar sind (Tab. 4). Ein wesentlicher Faktor dürfte in der Altersstruktur des Patientengutes zu suchen sein (Abb. 2). Der Anteil der über 70jährigen hat gegenüber früheren Jahren erheblich zugenommen und liegt in unserem Krankengut seit 1977 bei 3 8 , 3 % , seit 1985 sogar bei 5 1 , 4 % .
Tabelle 4
Mögliche Risikofaktoren bei der Gastrektomie
unbeeinflußbar
beeinflußbar
Alter
Operationsausmaß
Grundkrankheit
Operationstechnik
Tumorstadium
Anästhesie
Begleitkrankheiten
Begleitkrankheiten
Blutgruppe (ABO)
Perioperative Betreuung
n
Abb. 2
Altersstruktur der Gastrektomiepatienten ( 1 9 7 7 - 1 9 8 6 , n = 120).
Die Letalitätsrate dieser Altersgruppe liegt mit 21,7% aber erheblich über der Rate von 4,1% der unter 70jährigen, während die Nahtinsuffizienzraten mit 15,2 bzw. 12,1% nur wenig differieren. In der Literatur lassen sich ähnliche Tendenzen erkennen (Tab. 5). Mit Esser und Zielstra [2] möchte ich für eine Gastrektomie auch bei den über 70jährigen plädieren, dabei aber die Einschränkung von Meyer und Mitarbeitern [4] berücksichtigen wollen, die Indikation in dieser Altersgruppe im wesentlichen auf die Gastrektomie aus Notwendigkeit zu beschränken.
396
B. Stallkamp
Tabelle 5
Gastrektomie -
Anteil und Letalität bei über 70jährigen >
Autor
Jahr
70jährige
Letalität (%)
n
(%)
< 70 J.
> 70 J.
Esser [2]
1982
145
25,5
13,0
27,0
Meyer [4]
1984
415
16,9
7,8
20,0
Bittner [1]
1984
152
38,2
13,8
15,5
Sasse [6]
1985
140
7,9
11,7
11,4
Eigene
1986
120
38,3
4,1
21,7
Es wird angenommen, daß die Grundkrankheit — maligne oder benigne — die Letalitätsquote beeinflußt. Unsere Zahlen sind aber zu klein, um dies zu belegen. Ein gewisser Rückschluß ergibt sich aber aus der mit den Tumorstadien zunehmenden Letalitätsrate (Tab. 6; Abb. 3). Ein hohes Risiko stellt auch die Notfallgastrektomie dar: Drei von fünf entsprechend operierten Patienten sind verstorben, während die Letalität bei planmäßiger Operation 8,7% betrug. Notfallindikationen waren Blutungen (n = 3), eine Magenperforation und eine dislozierte ösophagusprothese.
Tabelle 6
Gastrektomie -
Tumorstadium
n
Tumorstadium und Letalität Nahtinsuffizienz n
Letalität %
n
%
I
17
3
17,6
1
II
17
3
17,6
0
III
53
5
9,9
6
11,3
IV
25
3
12,0
6
24,0
112
14
12,5
13
11,6
Gesamt
Klassifikation - Stadiumbestimmung
Abb. 3
Stadieneinteilung des Magenkarzinoms [7],
5,9 -
Risikofaktoren bei der Gastrektomie
397
Einen interessanten Faktor bei der Risikoanalyse stellen die Blutgruppen dar. Es ist heute gesichert, daß die verschiedenen Blutgruppen in gewissem Ausmaß zu unterschiedlichen Krankheiten prädisponieren. Diese Tatsache kumuliert in der Formulierung des „Little more Fitness" für die Blutgruppe 0, vorwiegend bedingt durch die höhere Karzinomraten bei der Blutgruppe A. Nach Jörgensen [3] haben Träger der Blutgruppe 0 z. B. eine um 60% höhere Wahrscheinlichkeit 75 Jahre alt zu werden, als Träger der Blutgruppe A. Davon ausgehend, haben wir schon in früheren Untersuchungen eine niedrigere Nahtinsuffizienzrate (p < 0,05) und Letalitätsrate (nicht signifikant) bei der Blutgruppe A gegenüber den anderen Blutgruppen gefunden [8], Bezüglich der Nahtinsuffizienz konnte dies in dem jetzt analysierten Krankengut nicht bestätigt werden, während sich die Tendenz bei der Letalität fortgesetzt hat. Dabei erscheint es sinnvoll, die Blutgruppen A/AB den Blutgruppen B/0 gegenüberzustellen. Die Letalitätsraten liegen bei 8,3 bzw. 14,6% (Tab. 7). Faßt man das Krankengut der Chirurgischen Klinik im Klinikum Steglitz der FU Berlin (1963 — 1975) und das Osnabrücker Krankengut mit insgesamt 262 Gastrektomien zusammen, so läßt sich die niedrigere Letalitätsrate bei den Blutgruppen A/AB auch statistisch sichern (X 2 = 7.1887, p < 0,01).
Tabelle 7
Gastrektomie und ABO-Blutgruppensystem
Blutgruppe
Anteil n
A
Nahtinsuffizienz n
7o
67
55,8
%
9
Letalität n
13,4..
n 6
/o
9 , 0 ^
J > 1 2 , 5 AB B
5
4,2
0
12
10,0
1
>>8,3 0
8,3-.
1
8 , 3 ^ 16,7^
>14,6
J>12,5 0 Gesamt
36
30,0
5
13,9
6
120
100,0
15
12,5
13
10,8
Zu den von uns beeinflußbaren Faktoren gehören die Operationstaktik, -methodik und -technik. Man darf davon ausgehen, daß das Risiko grundsätzlich mit wachsendem Ausmaß der Operation zunimmt. In unserem Krankengut wiesen insbesondere abdomino-thorakale Eingriffe eine erhöhte Letalität (42,9%) auf, während andererseits zusätzliche Pankreas- und Kolonresektionen (n = 5) ohne Letalität einhergingen. Als günstigstes Rekonstruktionsverfahren (Abb. 4) hat sich bei uns die Jejunuminterposition nach Longmire bewährt mit einer Letalität von nur 5 , 6 % , allerdings bei positiver Patientenauswahl (Tab. 8). Die besten Ergebnisse waren zu erzielen, wenn das in der Klinik geübte Standardverfahren der Gastrektomie en bloc mit Netz und Milz und Interposition einer Jejunumschlinge eingesetzt werden konnte, d. h. wenn vom subjektiv beurteilten Allgemeinzustand, von der intraoperativen Kreislaufsituation und dem Operationssitus her gute bis optimale Bedingungen vorlagen. Dies entspricht in etwa den Angaben von Bittner und Mitarbeitern [1], die die zunehmend
398
B. Stallkamp
M JSI
C S
; • Longmire 1952
Abb. 4
Graham 1940
Roux1907
Rekonstruktionsverfahren nach Gastrektomie.
Tabelle 8
Rekonstruktionsverfahren nach Gastrektomie Nahtinsuffizienz
Op. Verfahren „Longmire" „Graham" „Roux"
Gesamt
-
abd.
-
abd.-th.
n
%
n
Letalität n
%
54
6
11,1
3
43
6
14,0
4
9,3
16
2
12,5
3
18,7
7
1
14,3
3
42,9
120
15
12,5
13
10,8
5,6
bessere Prognose der Gastrektomie auf eine Vereinheitlichung und Standardisierung der Operationstechnik zurückführen. Retrospektiv war es nicht möglich, die Bedeutung von Begleitkrankheiten als Risikofaktoren zu eruieren, bzw. zu sichern, Faktoren, die nach Saario und Mitarbeitern [5] eine größere Bedeutung für die Prognose haben sollen als das Lebensalter. Eine Analyse der verstorbenen Patienten ergab aber, daß 5 von diesen keine Risikofaktoren aufwiesen und im wesentlichen an chirurgischen Komplikationen verstorben sind, während bei 8 verstorbenen Patienten mit Risikofaktoren die nicht chirurgischen Todesursachen wie kardiales Versagen oder allgemeine Erschöpfung dominierten. Die bisher genannten Faktoren sind von uns nicht beeinflußbar oder haben nur einen geringen Einfluß auf das Operationsrisiko der Gastrektomie. Die Senkung der Letalitätsraten gerade in den letzten 5 bis 10 Jahren ist aber offenkundig. Abschließend seien deshalb die Faktoren genannt, die u. E. zu diesem Erfolg geführt haben: 1. Die konsequente Korrektur pathologischer Veränderungen lebenswichtiger Organsysteme, d. h. die Beseitigung von Anämie und Eiweißmangel, die Einstellung eines Diabetes mellitus, die Rekompensation kardialer oder renaler Insuffizienzen und gegebenenfalls eine Hyperalimentation. 2. Eine intensive perioperative Atemtherapie, insbesondere bei abdomino-thorakalen Eingriffen.
Risikofaktoren bei der Gastrektomie 3. Eine perioperative Infektions- und
399
Thromboseprophylaxe.
4. Eine qualifizierte Anästhesie. 5. Eine schonende und möglichst standardisierte Operationstechnik mit
Beschrän-
kung auf wenige Rekonstruktionsverfahren. 6 . E i n e e n g a g i e r t e B e t r e u u n g des G a s t r e k t o m i e p a t i e n t e n d u r c h C h i r u r g e n , I n t e n s i v m e d i z i n e r u n d d a s P f l e g e p e r s o n a l s o w i e d u r c h d i e A n g e h ö r i g e n , die g e r a d e bei d e n a l t e n P a t i e n t e n in d e r u n g e w o h n t e n U m g e b u n g d e s K r a n k e n h a u s e s u n d d e r I n t e n s i v s t a t i o n eine w i c h t i g e F u n k t i o n ü b e r n e h m e n m ü s s e n . U n t e r B e r ü c k s i c h t i g u n g d i e s e r F a k t o r e n s o l l t e es h e u t e m ö g l i c h sein, n i c h t n u r u n t e r Studienbedingungen, sondern auch im chirurgischen Alltag gute Gastrektomieergebnisse zu e r z i e l e n [ 7 ] .
Literatur [1] Bittner, R., M . Butters, H. Schirrow et al.: Gastrektomie im hohen Lebensalter? Langenbecks Arch. Chir. 362 (1984) 77. [2] Esser, G., S. Zielstra: Die Gastrektomie beim alten Menschen als Kurativ- und Palliativoperation. Langenbecks Arch. Chir. 357 (1982) 85. [3] Jörgensen, G.: ABO-Blutgruppen und Lebenserwartung. Dtsch. Med. Wochenschr. 105 (1980) 104. [4] Meyer, H.-J., W. Schmiedt, H. Ziegler et al.: Die Chirurgie des Magenkarzinoms beim Patienten nach dem 70. Lebensjahr. Zentralbl. Chir. 109 (1984) 777. [5] Saario, J . , T. Schröder, E . - M . Tolppanen et al.: Total gastrectomy with esophago-jejunostomy. Am. J . Surg. 151 (1986) 244. [6] Sasse, W., H. Bünte: Lebenserwartung über 70jähriger Patienten nach Radikaloperation eines Magenkarzinoms: Tumorchirurgie im Alter möglich, vertretbar und sinnvoll. Klinikarzt 14 (1985) 112. [7] Stallkamp, B.: Gastrektomie — Risiko und Chance. Bericht über 100 konsekutive abdominale Gastrektomien. Med. Welt 37 (1986) 638. [8] Stallkamp, B., R . Häring: Faktoren der Anastomoseninsuffizienz nach Gastrektomie unter besonderer Berücksichtigung des ABO-Blutgruppensystems. Zentralbl. Chir. 106 (1981) 1127.
Ist die Gastrektomie auch im hohen Alter und bei Multimorbidität vertretbar und sinnvoll? N. Demmel, B. Büttner, G. Heberer
Einleitung D a s Magenkarzinom ist eine Erkrankung des höheren Alters. In einer Statistik von Noltenius [1] nimmt zwar die Zahl der Malignóme insgesamt im Alter ab, die Rate der Magenkarzinome steigt jedoch sowohl bei Männern wie auch Frauen über 75 Jahre bis auf 2 0 % . Dies bestätigt die Altersverteilung unseres eigenen Krankengutes: 32% von 1336 operierten Magenkarzinomen waren über 70 Jahre alt, 3% über 80 Jahre alt. D a s läßt bei diesem Kollektiv Begleiterkrankungen und ein hohes Operationsrisiko erwarten. Die Ergebnisse nach Magenresektionen wurden in den letzten Jahren jedoch allgemein drastisch verbessert, die Letalität sank unter 10% [2]. Unter dem Eindruck dieser Entwicklung und bei weiterhin fehlenden echten Alternativen stellte sich uns die Frage, o b der große Eingriff einer Gastrektomie auch im hohen Alter und der damit häufig verbundenen Multimorbidität vertretbar und sinnvoll ist.
Patienten und Methode Analysiert wurden 277 abdominale Gastrektomien aus dem Zeitraum 1981 bis 1985 hinsichtlich Alter, Risikofaktoren, Tumorlokalisation und Tumorstadium, postoperativen Verlauf und Langzeitergebnis. Berücksichtigt wurde die Klinikletalität (über 30 Tage) sowie die Überlebensrate, berechnet als kumulative Absterberate nach Kaplan-Meier.
Ergebnisse Alter und Tumorlokalisation bzw. Tumorstadium Im hohen Alter wurden überwiegend Antrumkarzinome operiert, die durch eine subtotale Resektion entfernt werden konnten. Gleichzeitig überwiegen jedoch bei den alten Patienten die fortgeschrittenen Tumorstadien. Insgesamt ergibt sich noch eine relativ große Zahl (n = 74) von über 70jährigen Patienten, bei denen nur eine Gastrektomie als kurätive oder eventuell auch palliative Maßnahme blieb (Tab. 1).
402 Tabelle 1
N. Demmel, B. Günther, G. Heberer Tumorlokalisation und Tumorstadium (UICC, 1978) in den verschiedenen Altersgruppen
Lokalisation
< 60 J.
60 - 70 J.
7 0 - 8 0 J.
> 80 J.
oberes Drittel mittleres Drittel unteres Drittel ganzer Magen Rest nach B II k.A.
122 130 96 31 31 45
106 125 93 18 36 40
74 108 112 21 23 36
4 9 22 0 4 2
Stadium
56 67 73 201 58
40 24 61 205 48
28 57 55 197 37
1 2 6 23 9
455
418
374
41
I II III IV k.A.
Gesamt
Alter und Begleiterkrankungen Die Analyse der präoperativen ausführlichen anästhesiologischen Checklisten zeigt, daß insgesamt bei den Begleiterkrankungen das kardiopulmonale Risiko im Vordergrund stand. Fast die Hälfte der Patienten hatte einen oder mehrere gleichzeitige Risikofaktoren zusätzlich zum Alter. Die Begleiterkrankungen waren mit zunehmenTabelle 2
Präoperative Risikofaktoren, Gesamtzahl, Rate in Prozent in den verschiedenen Altersgruppen, Anzahl der Risikofaktoren
Risikofaktoren Hypertonus KHK Herzinfarkt Herzinsuffizienz Rhythmusstörungen Lungenerkrankungen Diabetes Lebererkrankungen
n 48 53 13 40 31 42 24 16
< 60 J. 9 8 3 6 6 8 4 5
Anzahl der Risikofaktoren
n
%
0 1 2 3 4 5 6
153 59 32 12 2 1 1
58,8 22,7 12,3 4,6 0,8 0,4 0,4
6 0 - 7 0 J.
> 70 J.
8 24 6 15 10 19 8 6
24 30 5 26 20 20 18 7
Ist die Gastrektomie auch im hohen Alter und bei Multimorbidität vertretbar und sinnvoll?
403
dem Alter vermehrt vorhanden, insbesondere Hypertonus (24%), koronare Herzerkrankung (30%), Herzinsuffizienz (26%), Rhythmusstörungen (20%), Lungenerkrankungen (20%). Lediglich bei abgelaufenem Myokardinfarkt wurde offenbar die Operationsindikation zurückhaltender gestellt (Tab. 2). Alter und Komplikationen bzw. Letalität Anastomoseninsuffizienz und andere septische Komplikationen mit Peritonitis und Sepsis sind entgegen den Erwartungen bei den alten Patienten nicht vermehrt. Kardiale (bis 14%) und pulmonale (bis 22% bei den über 70jährigen) Komplikationen sind jedoch mit dem Alter signifikant ansteigend zu beobachten. Dies hat jedoch keine Auswirkungen auf die Letalität, sie ist am höchsten (11,9%) bei den 60 —70jährigen Patienten. Die über 70jährigen Patienten schneiden mit einer Letalität von 4,1% genauso günstig ab, wie die unter 60jährigen (Tab. 3). Tabelle 3
Postoperative Komplikationen und Klinikletalität in den verschiedenen Altersgruppen (in Prozent)
Komplikationen
11
12
11
Peritonitis
3
3
5
Sepsis
1
6
4
pulmonale Komplikationen
6
20
22
kardiale Komplikationen
1
5
13
Klinikletalität
3,6
70 J.
4,1
11,9
Risikofaktoren und Komplikationen bzw. Letalität Septische Komplikationen und Anastomoseninsuffizienz sind mit steigender Zahl von Begleiterkrankungen nicht signifikant vermehrt zu verzeichnen. Pulmonale und auch kardiale Komplikationen steigen mit der Zahl der Risikofaktoren jedoch bis über Tabelle 4
Postoperative Komplikationen und Klinikletalität bei steigender Anzahl von Begleiterkrankungen (in Prozent) Anzahl
Anastomoseninsuffizienz
Risikofaktoren
0
1
2
3
>3 (25)
10
15
13
8
Peritonitis
2
7
0
8
0
Sepsis
2
7
9
0
0
pulmonale Komplikationen
12
13
19
33
(50)
kardiale Komplikationen
1
12
6
17
(50)
Klinikletalität
5,3
8,5
9,4
8,3
-
404
N. Demmel, B. Günther, G. Heberer
30% an. Die Letalität ist zwar bei fehlenden Begleiterkrankungen am niedrigsten, sie erhöht sich jedoch nicht mit einer weiter ansteigenden Zahl von Begleiterkrankungen, sie bleibt unter 10% (Tab. 4).
Alter und Überlebensraten In den frühen Tumorstadien I und II (nach UICC 1978) zeigt sich in der kumulativen Überlebensrate kein wesentlicher Unterschied in den ersten drei Jahren. Nach 5 Jahren macht sich dann aber doch offenbar die höhere natürliche Absterberate der älteren Patienten bemerkbar. Es leben aber auch bei den über 70jährigen nach 5 Jahren noch 4 6 % . Bei fortgeschritteneren Tumoren schneiden die über 70jährigen von Anfang an schlechter ab, nach 5 Jahren leben noch 7 % . Nicht resezierte Magenkarzinome haben im Vergleich dazu in allen Altersgruppen einen katastrophalen Verlauf, sie leben im Mittel noch 3 - 4 Monate (Abb. 1).
Uberlebensrate Magenkarzinom Gastrektomie
12
24
Abhängigkeit vom Alter Gastrektomie
nicht Resezierte
Stadium l/ll
Stadium III/IV
Stadium IV
in -110)
(n«213)
(n=348)
36
48
60
12
24
36
46
60
12
24
36 Monate
< 6 0 Jahre 6 0 - 7 0 Jahre > 7 0 Jahre
Abb. 1
Uberlebensraten nach Magenkarzinom, Abhängigkeit von Alter und Tumorstadium.
Zusammenfassung Patienten mit Magenkarzinom im höheren Alter und entsprechend vermehrten Begleiterkrankungen und Risiko finden sich häufig in einem fortgeschrittenen Tumorstadium oder auch einem proximal gelegenen Tumor, so daß als einzige radikale oder eventuell auch palliative Maßnahme eine Gastrektomie bleibt. Adäquate alternative Maßnahmen stehen meist nicht zur Verfügung. Bei einer intensiven perioperativen Betreuung der Patienten sind bei alten Risikopatienten vermehrt allgemeine Komplikationen
Ist die Gastrektomie auch im hohen Alter und bei Multimorbidität vertretbar und sinnvoll?
405
z u e r w a r t e n , d i e L e t a l i t ä t k a n n j e d o c h g e r i n g g e h a l t e n u n d i n s g e s a m t ein
gutes
L a n g z e i t e r g e b n i s e r r e i c h t w e r d e n . D i e G a s t r e k t o m i e ist s o m i t a u c h b e i d i e s e r P a t i e n tengruppe d u r c h a u s vertretbar und sinnvoll.
Literatur [1] Noltenius, H., C. Tetzner: Vorkommen, Metastasen und natürlicher Verlauf von behandelten und unbehandelten malignen Tumoren bei über 70 Jahre alten Patienten. Onkologie 7 (1984) 100-110. [2] Günther, B., J. Koller: Parameter der Hospitalitätsletalität nach abdominaler Gastrektomie. M M W 127 (1985) 9 - 1 1 .
Risiken in der Leberchirurgie Ch. E. Broelsch
Als vor fast hundert Jahren die erste erfolgreiche Resektion eines Leberlappens durch Langenbuch durchgeführt wurde, war das Risiko dieses Eingriffs kaum zu ermessen. Im Rahmen der damals verfügbaren Möglichkeiten erlebte die Chirurgie der Leber einen ungeahnten Aufschwung, so daß bereits 1899 Keen aus Philadelphia die erste Serie über 75 Leberresektionen vorlegte, die er mit einer Letalitätsrate von 14,9% operierte [12]. Standen derzeit akute technische Probleme, wie intraoperativer Schock, unstillbare Blutungen und Infektionen im Vordergrund, so hat sich an den Ursachen der möglichen Entstehung von Komplikationen bis heute nur wenig geändert, eine Anzahl von Komplikationsfaktoren sind hinzugekommen [1, 3, 5, 14, 16, 17]. Risiken in der Leberchirurgie sind abhängig von Faktoren, die zueinander in einem engen Verhältnis stehen und sich wechselseitig beeinflussen. Es handelt sich erstens um eingriffsspezifische Faktoren, die den ganzen Komplex der Operationstechnik umfassen, zweitens um Bedingungen, die durch den Schweregrad der Grundkrankheit selber gegeben sind, sowie begleitende Erkrankungen, und letztlich drittens um den Faktor der Erfahrung und Beurteilungsfähigkeit durch den Chirurgen. Es wird sehr problematisch, einen der operativen Faktoren sowie der krankheitsspezifischen Faktoren exakt zu determinieren, sobald diese einen gewissen Standardrahmen überschreiten. Als Konsequenz lastet mehr Entscheidung denn je auf dem Chirurgen und seiner Beurteilungsfähigkeit der übrigen beiden dokumentierbaren, aber leider nur begrenzt objektivierbaren Gruppen von Risikofaktoren. Im folgenden soll deshalb für jeden dieser Risikofaktoren der Standardrahmen gegenüber dem Grenzbereich abgegrenzt und in den Entscheidungsprozeß des Chirurgen integriert werden. Die Definition des Standards ist aber nicht das Vorgehen, das eine Morbidität oder Letalität sicher ausschließt, sondern es ist das im Repertoire einer Allgemeinchirurgie verfügbare, häufig erprobte operative Vorgehen, das sich analog der präoperativen Diagnostik im geplanten Ausmaß dementsprechend durchführen läßt. Das Risiko beginnt dort, wo erstens ein ausgedehntes Vorgehen erforderlich aber dennoch geplant ist, zweitens wo ein ausgedehntes durch den intraoperativen Befund erforderlich wird und somit nicht geplant ist und drittens, wo Vorschäden an der Leber selber oder im Gesamtzustand des Patienten als Ausdruck einer Lebererkrankung vorliegen. Eine Quantifizierung der Risiken, sofern man versucht ein spezifisches Scoresystem zu entwickeln, wird durch die Komplexität der Faktoren und deren Abhängigkeit voneinander praktisch unmöglich gemacht. Die von Child und Stone entwickelten, und vielfach modifizierten Stadien bei Zirrhosepatienten beispielsweise, sind Hilfsmittel und nur begrenzt übertragbar [14]. Bei Malignompatienten mit fortgeschrittenem
408
Ch. E. Broelsch
Befall und nicht-zirrhotischer Leber treten Faktoren anderer Art hinzu, so daß sich möglicherweise nur mit Hilfe multivarianter Faktorenanalyse eine Gruppe besonderer Risikofaktoren aus der Vielzahl verfügbarer Einzelinformationen eruieren lassen. Dieses soll im eigenen Vorgehen noch später dargestellt werden. Parameter der Höhe des Risikos eines Lebereingriffes bilden die Morbidität bei der rechtsseitigen Hepatektomie, bzw. der erweiterten Rechtsresektion. So informativ sie auch erschienen, letztlich sind Vergleiche aus der Literatur wenig informativ, da sie nicht vergleichbare Patientenpopulationen mit unterschiedlichen Grunderkrankungen, Begleitkomplikationen oder Prognoseerwartungen einschließen, so daß der Einzelfaktor wie z. B. die Operationstechnik kaum erkennbar wird. Dieser läßt sich dagegen deutlicher erkennen in einem Vergleich von Patienten mit gleicher Grunderkrankung, z. B. bei der Resektion von Lebermetastasen von kolorektalen Karzinomen, bei denen ein standardisiertes Vorgehen mit Einschluß des Grenzbereiches eine vergleichbar geringe Operationsletalität zwischen 0 und 9% mit sich bringt (Tab. 1). Tabelle 1
Ergebnisse der Resektion von Lebermetastasen kolorektaler Tumoren
Autor
Foster (1977)
Pat.
Op.-
(n)
Let.
Uberlebenszeit in Jahren (%) 2 1 3
259
5%
—
Attiyeh (1978)
25
4%
-
Fortner (1981)
43
9%
Adson (1983)
67
5%
Sugarbaker (1984)
88 -
44 -
4
5
_
-
22
-
-
40
48
48
-
60
45
-
33
0%
94
Wagner (1984)
116
4%
85
60
40
25
25
Scheele (1985)
70
7%
73
40
27
24
24
Yamasaki (1985)
77
4%
76
51
36
30
27
Pichlmayr (1985)
106
5%
85
77
51
37
Iwatsuki (1986)
60
0%
95
72
53
45
Carey (1986)
50
0%
91
71
51
-
35
Bengmark (1986)
41
5%
78
35
20
-
10
-
53
-
26,5
-
-
-
45
Man könnte daraus vorsichtig schließen, daß größerer technischer Aufwand heute, oder ausgedehntere Resektionen per se, kein größeres Risiko für die Operation darstellen. Beeinflußt die Grunderkrankung das Risiko mehr als die Operation selber? Unter welchen Voraussetzungen stellt die Operationstechnik doch noch einen Risikofaktor dar, bzw. welche Einzelfaktoren lassen sich sonst zur Risikoabschätzung besonders herausstellen? Am Beispiel der Behandlung des Lebertraumas zeigt sich, daß teilweise die Ausdehnung der Verletzung der Leber selber, besonders aber die Zahl der Begleitverletzungen den operativen Aufwand und das Risiko determinieren. Isolierte Verletzungen sind nur mit einer geringen Komplikationsrate oder Letalität behaftet, während diese Letalität mit dem Ausmaß der Begleitverletzungen direkt ansteigt [15], (Tab. 2). Das Vorgehen bei der Leberverletzung ist heute einheitlicher denn je geworden. Locoregional entwickeln sich bestimmte Verletzungsmuster. J e nach Prädominanz von
Risiken in der Leberchirurgie Tabelle 2
409
Leberverletzungen [15] Letalità tsraten
Einzelorganverletzungen
Mehrfachorganverletzungen
6% (n = 114)
19% (n = 93) > > > >
2 3 4 5
34% 30% 56% 67%
(n (n (n (n
= 50) = 23) = 9) = 9)
stumpfem Bauchtrauma oder Stich- bzw. Schußverletzungen bilden Umstechungen, Verklebungen, Drainagen oder Debridement das Standardvorgehen. Selektive Arterienligatur, temporäre Ischämie und im äußersten Notfall Tamponade haben die Akrobatik cavo-jugulärer Shunts, bzw. die unkritische Durchführung tiefer, ungezielter Parenchymumstechung abgelöst. Ziel der chirurgischen Versorgung ist es geworden, sich auf den geringst möglichen, aber effektiv blutstillenden Eingriff beim akuten Trauma zurückzuziehen und aufwendige Präparationen zu vermeiden. Wie aus den Behandlungserfolgen des Ben-Taub-Hospitals in Houston bei 1000 Leberverletzungen zu ersehen ist (Tab. 3), konnten bei Prädominanz von Stich- und Schußverletzungen (n = 856 von 1000) 88% der Fälle mit dem Standardverfahren versorgt werden [16]. Die Letalität beträgt 1% bei Stichverletzungen (n = 339 Fälle) und 6% bei Schußverletzungen (n = 526). Bei stumpfem Bauchtrauma dagegen liegt die Letalität wesentlich höher (27%) von insgesamt 136 Fällen. In nur 12% der Fälle war ein risikoreiches Vorgehen notwendig. Das relativ häufige Vorgehen selektiver Arterienligatur und/oder Dekompressionsbypass repräsentiert ein chirurgisch aggresTabelle 3
Letalitätsrate bei 1000 Leberverletzungen (Ben Taub Hospital, Houston, 1986)
Stich
Schuß
Stumpf
1% (n = 339)
6% (n = 526)
27% (n = 136)
n = 640 (64,0%) n = 202 (20,2%) n = 37 (3,7%)
Standard
Behandlungsverfahren Übernähung Drainage Verklebung
n = 881 (88,0%) Übernähung + SAL Atrio-Cavaler-Shunt, Resektion, Debridement Tamponade Übrige
n =
54
(5,4%)
n = n = n =
36 (3,6%) 22 (2,2%) 7 (0,7%)
n = 119 (12,0%)
Risikobereich
410
Ch. E. Broelsch
sives Vorgehen, dessen direkte Letalität nicht näher aufgeschlüsselt wird. Naturgemäß handelt es sich um ausgedehnte Verletzungen, so daß die unmittelbare Wertigkeit eines komplexen Vorgehens nicht ersichtlich wird. Es ist aber unbestritten, daß das rasche, entschlossene Vorgehen mit Anwendung eines atrio-cavalen Shunts erfolgreich sein kann, wenn die Lokalisation der Verletzung und die Einschätzung des Schweregrades der Verletzung richtig erfolgt. Die meisten Verletzten mit Hilus- oder Lebervenenbeteiligung, für die dieses Vorgehen angezeigt wäre, erreichen den Operationssaal nicht rechtzeitig. Nach Erfahrungen anderer Zentren kann die effektive Tamponade bei großen und tiefen Parenchymeinrissen mit und ohne Lebervenenbeteiligung das Letalitätsrisiko deutlich verringern, sofern man sich dazu frühzeitig entschließt und dieses effektiv durchführt. In der Konstellation von tiefem Einriß an der Leberkuppe, mit Lebervenenbeteiligung, ausreichend Parenchymmasse zur Deckung, sowie profuser Blutung aus der Tiefe kann eine frühe Tamponade gegebenenfalls auch mit Deckung durch einen Netzzipfel die Blutung kontrollieren. Eine Entfernung der Tamponade sollte frühestens zwischen 24 Stunden und 5 Tagen bei möglicher Retamponade erfolgen. Die Arterienligatur erhöht das Risiko einer Lebernekrose und eines Leberversagens erheblich und sollte prinzipiell unterbleiben [13, 17]. Sie ist, wenn überhaupt, nur selektiv unter gleichzeitiger Antibiotikagabe (speziell gegen Anaerobier) tolerabel [6, 7]. Letztlich ist der Effekt der Arterienligatur auf die Blutstillung fraglich, da die Reduktion der Blutzufuhr schwer quantifizierbar ist, und bei derart fortgeschrittener Blutung andere Komplikationen, wie z. B. Koagulopathie, im Vordergrund stehen. Sofern eine Ligatur erfolgt ist, sollte unmittelbar postoperativ ein Durchblutungszintigramm, bzw. eine „Second-look"-Operation geplant werden, um eine demarkierte Nekrosezone abtragen zu können. In der elektiven Leber Chirurgie, z.B. bei Tumorerkrankung, parasitärem Befall oder Abszeß, haben Fortschritte in der operativen Technik das Risiko deutlich reduziert. Die Voraussetzung bleibt jedoch, daß sich ein begrenztes Vorgehen aufgrund der präoperativen Diagnostik tatsächlich durchführen läßt. Bei aller Genauigkeit der Diagnostik ist aber die Abgrenzung zwischen operabel (Standardvorgehen), fraglich operabel, bzw. nur operabel bei erweitertem Vorgehen (Grenzbereich) und inoperabel häufig erst intraoperativ möglich, und hier rücken die Faktoren der Erfahrung des Chirurgen bzw. der Abschätzung des Schweregrades eines möglichen Vorschadens als Begleitfaktor in den Vordergrund. Aus operativ-technischer Sicht gehören Rechtsresektionen, Trisegmentektomien, Mehrfachsegmentektomien, ebenso wie die totale Hepatektomie zu den Risikoeingriffen (Tab. 4). Bei gleichzeitiger, effektiver Blutungsprevention und Blutstillungsmaßnahmen können hier wesentliche Risiken eliminiert werden. Häufig sind ausgedehnte Resektionen nur angezeigt bei großer Tumorausdehnung mit lappenübergreifender Infiltration ins Parenchym oder sogar auf Gefäß- oder Gallengangsstrukturen. Parenchymschonende Mehrfachsegmentektomien, die sich nicht an anatomische Versorgungsbezirke orientieren, bilden große Resektionsflächen mit Blutungsrisiken und möglicher Entwicklung von Gallengangsfisteln. Die Versorgung der Resektionsfläche erfordert daher neben den üblichen Umstechungsligaturen die Anwendung besonderer
Risiken in der Leberchirurgie Tabelle 4
411
Eingriffsspezifische Risikofaktoren
Operationstechnik Diagnose
Standard
Grenzbereich
Tumor
Keilresektion
Rechts. Lobektomie
gutartig/bösartig
Lobektomie
Trisegmentektomie
-
rechtsseitig
— rechtsseitig
-
linksseitig
— linksseitig Mehrfachsegmentektomien Totale Hepatektomie
Trauma
Übernähung
Tamponade
Debridement
Resektion
Verklebung
Arterienligatur (selektiv) Tiefe Umstechung
Parasitäre
Zystektomie
Raumforderung
Perizystektomie
Resektion
Drainage Marsupialisation Abszeß
Drainage
Identisch
neu entwickelter Blutstillungsverfahren, wie Infrarotlicht-Koagulation, Laserkoagulation, Fibrinkleber mit oder ohne Netzplastiken. Die gebräuchlichste Verhütung von Komplikationen liegt in der Blutungsprevention während der Dissektion (Tab. 5). Die Orientierung erfolgt stets entlang der Leberarterie bis in das Parenchym hinein und sodann entlang der Lebervenen. Involvierung der Lebervenen oder der intraparenchymatösen Leberarterien zeigt letztlich Inoperabilität an, sowohl aus operativ-technischen Gründen, wie auch aus Gründen der fortgeschrittenen Tumorinfiltration. Tumorinfiltrationen im Hilusbereich lassen sich gelegentlich durch Ersatz der Pfortader oder eines Astes der Leberarterie resezieren, wenngleich bei solchem Vorgehen häufig nur eine Palliation erreicht wird [ 7 , 1 7 ] . Das Standardverfahren sieht keinerlei Gefäßrekonstruktion vor. Da bei Rezidiveingriffen die Dissektion besondere Anforderungen stellt, kann auch ein solches nicht mehr als Standardeingriff gewertet werden. Die Ausklemmung der Pfortader, bzw. des gesamten Hilus, kann ohne Vorschäden sicher bis zu einer Stunde erfolgen [5]. Bei jeder Resektionstechnik sollte daher soviel als möglich vom Hilus her bis in den Lebervenenbereich hin vorbereitet sein, so daß die beabsichtigte Parenchymdurchtrennung in der vorgegebenen Zeit mit exakten Umstechungsligaturen durchgeführt werden kann [17]. Ausgedehntere Resektionen in der Leber können erst Realität werden, wenn es gelingt, die warme Ischämiezeit durch pharmakologische Blockung, z. B. freier 0 2 - R a d i k a l e oder Membranstabilisa toren so zu verlängern, daß Rekonstruktionen der nutritiven Gefäße möglich sind. Naturgemäß muß dann die Pfortaderdekompression über eine Bypasspumpe erfolgen,
412 Tabelle 5
Ch. E. Broelsch Eingriffsspezifische Risikofaktoren
Blutungsprävention Standard
Grenzbereich
Hilusdissektion
identisch
Lebervenenisolation
zwingend
Fingerfraktionsmethode
identisch
Hilusokklusion (60 Min.)
identisch +
Cavaokklusion,
Dekompressionsbypass Blutstillung Standard
Grenzbereich
Direkte Umstechung
identisch
Matratzennaht
identisch
Infrarotlichtkoagulation
identisch
Laserkoagulation
identisch
Gewebekleber
Tamponade und Netzplastik
Gefäßrekonstruktion Standard
Grenzbereich
Keine
Autologer Venenersatz — (V. portae, A. hepatica) Cavaersatz — (patch)
Galledrainage Standard
Grenzbereich
Keine
Hepaticoenterostomie(n)
T-Drainage
Transhepatische Schienung,
Cholangiojejunostomie
Reanastomosierung
da eine Unterbrechung des Pfortaderabstromes von mehr als 90 Minuten kaum toleriert wird. Bei ausgedehnten Tumoren mit Infiltration von Gefäßstrukturen kann berechtigtermaßen derzeit ein „relativ" hohes Risiko in Kauf genommen werden, da die Spontanprognose zu diesem Zeitpunkt extrem schlecht ist. Dies gilt um so mehr, als die totale Hepatektomie mit Transplantation keine Prognoseverbesserung darstellt, sondern ihrerseits mit einer Operationsletalität bis zu 2 0 % behaftet ist, und eine Rezidivrate von über 70% im ersten Jahr aufweist [4]. In einem eigenen Fall von ausgedehnter Leberfilialisierung von einem kolorektalen Karzinom fand sich bereits 14 Monate nach Resektion des Primärtumors, trotz mehrerer systemischer Chemotherapiekurse, Tumorausdehnung vorwiegend im linken aber auch im rechten Leberlappen. Auf der rechten Seite schien die Pfortader unter dem Tumorrand entlangzuziehen, während sie links eindeutig einen Abbruch zeigte.
Risiken in der Leberchirurgie
Abb. 1
413
Operationssitus nach erweiterter Linksresektion (Segment II, III, IV, V und VIII) mit offenliegender rechter Lebervene, intrahepatischer Pfortaderreanastomosierung und Arterialisation als Ersatz für die unterbrochene arterielle Versorgung der Segmente VI und VII. Der Lobus caudatus ist erhalten geblieben.
Sonographisch waren die Lebervenen frei: Bei der Laparotomie ließ sich die Leberarterie bis ins Parenchym hinein verfolgen und schien links und zentral rechts im Tumor zu enden. Da eine intraarterielle Chemotherapie kein Ansprechen erwarten ließ, wurde eine Resektion versucht, nachdem die Präparation vom Hilus her im proximalen Abschnitt eine freie rechte Pfortader und eine freie rechte Leberarterie erbracht hatte. Ebenso erschienen die Lebervenen frei. Unter Ausklemmung des Hilus erfolgte die Parenchymresektion entlang der rechten Lebervene. Unerwartet fand sich eine Infiltration der intrahepatischen Pfortader auf 5 cm Länge im Tumorbereich, und ein kompletter Verschluß der Leberarterie durch den Tumor weit intrahepatisch. Bei freiem Lebervenenabfluß erfolgte eine End-zu-End-Reanastomosierung der Pfortader und eine Arterialisation derselben durch den Stumpf der rechten Leberarterie. Der Gallengang des Lobus caudatus und des verbliebenen rechten Leberlappens (Lobus VI und VIII nach Couinaud) wurden durch eine ausgeschaltete Roux-Y-Schlinge drainiert (Abb. 1). Bei fortgeschrittener Spezialisierung auf dem hepatobiliären Sektor lassen sich eine Reihe von aufwendigen und komplizierten Eingriffen durchführen — zumindest ohne unmittelbare perioperative Komplikation. Bei metastatischer Erkrankung und vorausgegangener wirkungsloser Chemotherapie erscheint eine Resektionsindikation bis in den Grenzbereich gegeben, da letztlich auch eine Hepatektomie keine Heilungsaussicht bietet. Das Risiko des Eingriffs erhält hierbei eine besondere Wertigkeit durch die Abschätzung der Prognose, die mit diesem Eingriff erzielt werden kann. So ist für die Überlebensrate nach Resektion von
414
Z
in O
Ch. E. Broelsch
100
100r
80
80
5
60
w o
60
IX
CE
¡ü 40
8! 40
20
20 • NO CHEMOTHERAPY
2 Abb. 2
3 YEARS
• W E D G E RESECTIONS ( n . 11 ) | -LOBECTOMIES ( n - 2 7 ) • TRI-SEGMENTECTOMIES •( n - 22)
• CHEMOTHERAPY
1
Abb. 3
2
3 YEARS
Abb. 2
Überlebensrate nach Leberresektion wegen Metastasen eines kolorektalen Karzinoms mit und ohne systemische Chemotherapie vor Auftreten eines Rezidivs (aus [11]).
Abb. 3
Überlebensrate nach Leberresektion wegen Metastasen eines kolorektalen Karzinoms in Anhängigkeit von Resektionsmasse (aus [11]).
Metastasen kolorektaler Tumoren derzeit zwischen 20 und 53% für einen Zeitraum von 3 Jahren zu erwarten [1, 2, 10, 11, 16, 18]. Für 5 Jahre liegt die Überlebensrate zwischen 10 und 4 5 % . In dieser großen Variabilität kommen ohne Zweifel Faktoren zum Tragen, die eher als biologisches Risiko einzustufen sind, als ein Faktor, der vom Ausmaß und Zeitpunkt der chirurgischen Intervention beeinflußt werden könnte. In einer Serie von 60 Resektionen mit einer operativen Letalität von 0 konnten Iwatsuki et al. zeigen [11], daß der Effekt der Chemotherapie frühestens nach 2 — 3 Jahren erkennbar wird (Abb. 2). Es ist anzunehmen, daß in dieser Zeit eine natürliche Selektion von geheilten, bzw. langsam progredienten Rezidiven (Responder) gegenüber schnell wachsenden Rezidivmetastasierungen (Non-Responder) stattgefunden hat. Dafür sprechen auch die Ergebnisse der Metastasenresektion in Abhängigkeit von der Größe des Eingriffs [11]. Ausgedehnte Resektionen (z. B. Trisegmentektomien) zur Behandlung fortgeschrittenen Metastasenwachstums sind bereits nach 2 Jahren mit schlechteren Ergebnissen behaftet, als weniger ausgedehnte Eingriffe, wie z.B. eine Keilresektion oder einfache Lobektomie (Abb. 3). Für das beschriebene Krankengut heißt dieses, daß primär der Metastasierungstyp, d. h. die Zahl ( < 4 Metastasen) und Ausdehnung die Prognose entscheiden, als weniger die Ausdehnung des chirurgischen Eingriffes. Fortgeschrittenes Tumorwachstum erfordert ausgedehntere chirurgische Intervention bei letztlich schlechterer Gesamtprognose — weniger ausgedehntes Tumorwachstum erfordert limitiertes chirurgisches Vorgehen bei besserer Gesamtprognose. Dies konnte in einer multizentrischen Studie des National Cancer Institutes 1986 von Hughes et al. bestätigt werden (Tab. 6), in der die Rezidivhäufigkeit nach Resektion von Metastasen bei 607 Patienten untersucht wurde. Bei bilobären Metastasen fand
Risiken in der Leberchirurgie
415
sich eine Rezidivhäufigkeit von 6 3 % gegenüber 4 0 % bei unilobärer Verteilung (p < 0,005). Bei histologisch positivem Resektionsrand fand sich eine Rezidivhäufigkeit von 6 8 % gegenüber 4 1 % bei negativem Resektionsrand (p < 0,001). Nicht signifikant dagegen waren die Anzahl und Größe der Metastasen (Tab. 7). Sofern also ein tumorfreier Rand bei einer Metastasenexzision erzielt ist, darf man eine bessere Prognose erwarten [2, 7], Dies läßt den Schluß zu, daß eine limitierte Resektion mit geringerem Risiko ein gleichgutes Ergebnis erwarten läßt, wie eine ausgedehnte anatomische Resektion mit relativ höherem Risiko.
Tabelle 6
Rezidivhäufigkeit in der Leber nach Resektion von Metastasen kolorektaler Karzinome (Multizentrische Studie mit 607 Pat. - NCI-Bethesda, Maryland, 1986) n (ges.)
n Rez.
% Ges.
Resektionsrand (Hist.) Positiv Negativ
37
25
68
570
217
41
521
194
40
Verteilung Unilobär Bilobär
53
63
31
p
4
34
18
59
Multipel
37
11
40
< 2 cm
132
59
50
2 - 4 cm
155
66
45
4 - 8 cm
171
61
38
> 8 cm
124
45
39
0
v. Metastasen
Tabelle 7
Rezidivhäufigkeit in der Leber nach Resektion von Metastasen kolorektaler Karzinome (Multizentrische Studie mit 607 Pat. - NCI-Bethesda, Maryland, 1986) n (ges.)
n Rez.
% Ges.
22
Isoliert Leber
88
16
Lunge
37
7
9
Loko-Regional
14
2
4
Multilokulär Leber + And.
154
27
39
Lunge + And.
135
24
34
73
13
18
Loko-Regional + And.
416
Ch. E. Broelsch
Der Einfluß der krankheitsspezifischen Faktoren auf den chirurgischen Eingriff (Tab. 8) kann bei aller verfügbarer Technologie nicht hoch genug eingeschätzt werden und muß im Grunde bereits bei der Indikationsstellung schwerwiegender berücksichtigt werden, als mögliche operativ-technische Dilemmas. Bei einer normalen Leberfunktion beträgt die resezierbare Parenchymmasse zwischen 70 und 80% der Gesamtmasse. Fälschlicherweise wird häufig die Organgröße als Grundmaßstab herangezogen, was abzulehnen ist, da sowohl bei Zirrhose als auch bei Tumorerkrankung nur ein umschriebener Anteil des Lebergewebes am aktiven Stoffwechsel beteiligt ist. Es ist bekannt, daß erst bei hochgradiger Reduktion der Leberzellmasse eine Einschränkung der Syntheserate und Veränderungen der Gerinnungsfaktoren auftreten. Obschon derartige Einzelfaktoren substituierbar sind, muß jegliche Veränderung der funktionellen Lebermasse oder auch der Leberdurchblutung Konsequenzen für die Einzelfunktionen haben. Subtilere, quantitative Funktionsmessungen haben nur zu einem Teil Informationen über funktionelle Reserven im Grenzbereich erbracht [3, 14, 16]. Auch ihre Problematik liegt in der Tatsache, daß lediglich Einzelfaktoren quantifizierbar werden, wobei die Vielzahl der Kompensationsmechanismen der Leber unbeachtet bleibt. Es muß jedoch berücksichtigt werden, daß bei pathologischer Veränderung eines derartigen Einzelfaktors, z. B. Glukoseabbau, Demethylierungsstörung etc., zusätzliche Schäden am Leberparenchym schwerer kompensierbar werden und zu einem Abgleiten anderer Partialfunktionen führen kann. Offenkundiges Beispiel ist eine Bilirubinerhöhung im Serum, bzw. eine intrahepatische Cholestase, auch geringer Größenordnung. Obwohl Bilirubinsekretion eine rein exkretorische Funktion ist, treten bei länger bestehender Hyperbilirubinämie Koagulopathien und Cholangitiden auf, die eine chirurgische Intervention unmöglich machen. Daß jedoch quantitaTabelle 8
Krankheitsspezifische Faktoren Standard
Grenzbereich
Qualität des Lebergewebes — Syntheseleistung
Albumin ~ 3 g/dl
< 2,5 g/dl
PT
15 sec.
15 sec.
P T T < 30 sec.
> 30 sec.
— Exkretion
Bilirubin < 3 mg/dl
> 5 mg/dl
— quantitative Tests
BSP-Test
unklar
ABT-Test
unklar
Coffein-Clearance-Test
unklar
— metabolische Leistung
Galaktose-Eliminations-Test
unklar
— Durchblutung
fraglich
-
Verbleibendes funktionierendes Lebergewebe
< 50%
< 30%
Gesamtlebermasse
< 30%
< 15%
— Ernährung
normal
reduziert
-
< 60
> 60
akut
> 3 Mon. —Jahre
Gesamtzustand des Patienten Alter
— Erkrankungsdauer
Risiken in der Leberchirurgie
417
tive Leberfunktionsteste eine Relation zur Letalität bei allgemeinchirurgischen Eingriffen hat, zeigten Gill et al. [8] mit der Bestimmung von C-14-Amidopyrin-Atemtest in einer Gruppe von 38 Patienten, die elektive Eingriffe im Gastrointestinaltrakt hatten. In einer Patientengruppe mit einem Amidopyrin-Atemtest und erhöhter Retention ( < 2 , 3 % ) war die Operation mit einem extrem hohen Letalitätsrisiko behaftet. In Patienten mit Leberzirrhose, aber normalen ABT-Tests, wurde der Eingriff besser toleriert. Interessanterweise traten hier keine Korrelationen zur Child A — C Kategorie auf. Zusätzliche Hinweise, die zum Teil ausschlaggebend sein können, liefern Alter und Gesamtzustand des Patienten. Allein von daher sind Ergebnisse der Leberresektion bei Patienten mit gutartigen Lebertumoren besser als in jeder anderen Indikationskategorie. Bei chronischer Lebererkrankung muß ein Eingriff zum frühest möglichen Zeitpunkt der Diagnosestellung erfolgen, da eine Korrektur der Erkrankung nicht möglich ist, aber eine weitere Verschlechterung wahrscheinlich. Korrektur von Faktoren ist kurzfristig sinnvoll, stimuliert aber keineswegs eine Eigensynthese. Hyperalimentation in Gegenwart einer Lebererkrankung ist nur begrenzt von Nutzen, solange die Leber die metabolische Leistung erbringen kann. Sofern bereits sekundäre Zeichen einer Leberinsuffizienz bestehen, lassen sich diese objektiv nur vordergründig therapieren. Ein zusätzliches operatives Trauma läßt sich dann praktisch nicht mehr tolerieren. Insgesamt lassen sich die Faktoren der Funktionseinschränkung somit bestenfalls „abschätzen". Wie sie sich beim Eingriff an der Leber auswirken bzw. verändern, ist unvorhersehbar, zumal auch die Ausdehnung des Eingriffs größer — oder auch kleiner — sein kann als geplant und einen Funktionskollaps triggern kann. In einer retrospektiven Studie haben wir daher eine Anzahl von Einzelfaktoren in einer Signifikanzanalyse bzw. Multivarianzanalyse hinsichtlich ihrer Bedeutung für das operative Risiko untersucht. Es handelt sich dabei um 29 Eingriffe an der Leber wegen maligner Grunderkrankung. 14 Resektionen im gleichen Zeitraum (10/84 — 10/86) wurden bei benignen Tumoren ohne Letalität durchgeführt (Tab. 9). Sämtliche größere Hepatektomien, inklusive totale Hepatektomien, waren Reeingriffe nach versuchter Abklärung der Operabilität. Die Letalitätsrate lag zwischen 15% und 2 0 % , wobei 2 von 13 Patienten trotz eines begrenzten Eingriffes bei manifester Tabelle 9
Hepatic Resections, University of Chicago Experience 10/84 — 10/86
Type of Resection
N
Mortality
Minor hepatectomy
13
2(15%)
1 segment or less
11
2 (18%)
bisegmentectomy Major hepatectomy
2
0
11
2(18%) 1 (25%)
R hepatectomy
4
L hepatectomy
4
1 (25%)
extended hepatectomy
3
0
5
1 (20%)
Total heptatectomy with OLT
418
Ch. E. Broelsch
Tabelle 10
Hepatic Resections, University of Chicago Experience 10/84— 10/86 — Factors with low association with operative risk
Factor
p value
factor
p value
Pulmonary complication
.200
Duration of sx.
.628
OR time
.323
Alk Phos
.629
Age
.372
Biliary repair
.785
Albumin
.385
Vascular repair
.785
Prothrombin time
.447
Transplant
.864
Reoperation
.455
Hepatitis B +
.864
Bilirubin
.471
Extent of resection
.880
AST (SGOT)
.603
Platelets
.954
Zirrhose und höherem Alter ( > 70) verstarben. Im einzelnen wurden zahlreiche meßbare Faktoren (Risikofaktoren?) in einer Signifikanzanalyse zwischen Patienten, die überlebten, und Patienten, die verstarben, untersucht (Tab. 10). Dabei fand sich überraschend, daß Faktoren wie Alter, Länge der Operation, Gerinnungsstatus, Bilirubinhöhe, Enzymaktivität (Ausklemmzeit des Leberhilus, Ausmaß der Resektion oder der Gefäßinterposition) keine signifikante Beziehung zum möglich komplizierten Verlauf nach der Operation hatten (s. Tab. 9). In einer Multivarianzanalyse, bezogen auf das operative Risiko, fanden sich dagegen in unserem begrenzten Krankengut — zum Teil überraschend —, daß Faktoren wie operativer Blutverlust, der Komplex der Childklassifikation und das Geschlecht eine statistisch bedeutsame Rolle spielten (Tab. 11). Alle verstorbenen Patienten waren männlichen Geschlechts, eine Transplantation wurde wegen der Malignomerkrankung nicht erwogen. Eine fortgeschrittene Childkategorie (B — C) lag vor, und operativ war der Blutverlust höher als normal. Da der operative Blutverlust primär nicht abzuschätzen ist, verbleibt die präoperative Funktionseinschränkung das Leitkriterium. Modifikationen der Childkriterien, z.B. nach Stone [14], haben deshalb ihre besondere Rechtfertigung. Es ist darüber hinaus durchaus zu befürworten, daß, Tabelle 11
Hepatic Resections, University of Chicago Experience 1 0 / 8 4 - 1 0 / 8 6 analysis of operative risk
Factors with significant predictive value for hospital mortality 1. Operative Blood loss 2. Child's Class 3. No Transplant 4. Male sex Result of Classification: 93% of patients correctly classified Operative death
Actual
Predicted
yes
5
3
no
24
24
Percent 60%
100%
-
Multivariate
Risiken in der Leberchirurgie
419
entsprechend institutionellen Voraussetzungen, weitere Tests als Kriterien der Einschränkung der Leberfunktion herangezogen werden, die sich im beschriebenen Gesamtkomplex gleichermaßen als Indikationskriterien verwerten lassen.
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Spezielle Operationsrisiken und Grenzen der Belastbarkeit des Patienten in der Pankreaschirurgie H. Zirngibl, F. P. Gall
Einleitung Die chronischen und akut entzündlichen Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse mit ihren fließenden Übergängen sind durch eine Vielzahl patho-morphologischer Veränderungen unterschiedlicher Schweregrade gekennzeichnet. Viele Fragen zum Entstehungsmechanismus der Entzündung sind noch ungeklärt. Der spontane Verlauf ist nicht sicher vorhersehbar, die Beschwerden und Symptome der Patienten sind von unterschiedlicher Ausprägung und eine kausale Therapie ist schließlich meist nicht möglich. So ist es nicht verwunderlich, daß eine Vielfalt konservativer und operativer Therapiemaßnahmen konkurrieren. Die Komplikationsquote wird entscheidend von der Erfahrung, die mit einer Methode gewonnen wurde, mitgeprägt. Ganz andere therapeutische Überlegungen spielen eine Rolle bei malignen Erkrankungen des Pankreas. Resezierende Verfahren sind die Methode der Wahl, extrem schlechte Spätergebnisse auch ultraradikaler Eingriffe müssen bei der Indikation zur Operation mit ins Kalkül gezogen werden. Die Risikoabschätzung in der pankreaschirurgie muß deshalb um so mehr den Spontanverlauf und die Prognose der Erkrankung mit berücksichtigen.
Chirurgische Therapie der chronischen Pankreatitis Risiko des Spontanverlaufs der Erkrankung Ursache der chronisch-rezidivierenden Pankreatitis ist in über 2 / 3 aller Fälle der Alkoholabusus. In den letzten Jahren ist eine deutliche Zunahme der akuten und chronisch entzündlichen Bauchspeicheldrüsenerkrankungen in der westlichen Welt zu beobachten, verbunden mit einer hohen Letalität bei unveränderter Lebensweise. So berichtet Ammann [1] von einer Spätletalität von 50% im Laufe von 20 — 24 Jahren bei alkoholinduzierter Pankreatitis mit und ohne Operation. Die Therapie sollte deshalb solange irgend möglich in einer konsequenten internistischen und psychologischen Führung bestehen. Der klinische Verlauf der chronischen Pankreatitis ist in der Regel gekennzeichnet durch eine fortlaufende Destruktion der Bauchspeicheldrüse infolge Fibrosierung, Kalzifizierung und Pseudozystenbildung [2,3]. Dies führt zu einem zunehmenden Verlust der exokrinen und endokrinen Funktion mit schwerwiegenden Folgen für den Patienten. Neben häufigen Schmerz-
422
H . Zirngibl, F. P. Gall
attacken leidet er unter einem zunehmend schwerer einstellbaren Diabetes mellitus und unter den Folgen seiner eingeschränkten Verdauungsleistung. Die Comorbiditätsrate ist hoch, nicht selten gerät der Patient in den Zustand der Kachexie [13, 14]. Operationsindikation Im Idealfall resultiert unter optimaler internistischer Betreuung ein Ausbrennen der Entzündung; das bedeutet eine Defektheilung, bei der nach kompletter Atrophie des exokrinen Parenchyms auch die klinisch ganz im Vordergrund stehenden Schmerzen verschwinden [2], Häufig entstehen jedoch im Verlauf der chronischen Pankreatitis lokale Komplikationen wie Pseudozystenbildung, Verschlußikterus und Duodenalstenose, die zu einer chirurgischen Intervention zwingen. Relative Operatinsindikation besteht bei therapierefraktären Dauerschmerzen und Schmerzattacken, die wir jedoch nur selten ohne begleitende Organkomplikationen beobachten. Operationsverfahren Grundsätzlich stehen sich zwei Operationskonzepte gegenüber. Die Befürworter der Drainageoperationen erhoffen sich von der Dekompression des gestauten Gangsystems eine Erleichterung der Beschwerden und damit auch eine Erhaltung der aktuellen exo- und endokrinen Funktion. Die Befürworter der resezierenden Verfahren glauben, nur durch die Entfernung der schwerst destruierten Parenchymanteile Beschwerdefreiheit erzielen zu können. Desweiteren sind Modifikationen entwickelt worden, so zum Beispiel die transduodenale Papillenplastik [15] oder die duodenumerhaltende Pankreaskopfresektion [4]. Das gemeinsame Problem sowohl der resezierenden, als auch der drainierenden Verfahren ist neben der unmittelbar perioperativen Komplikationsrate vor allem das späte Rezidiv und die damit assoziierten Komplikationen und die weitere Destruktion der Drüse. Grundsätzlich muß an eine chirurgische Behandlungsmethode eines gutartigen Leidens wie der chronischen Pankreatitis die Forderung nach einem zufriedenstellenden Therapieeffekt unter minimaler operativer Komplikationsrate gestellt werden. Eine richtige Indikationsstellung ist Voraussetzung für den Erfolg der jeweiligen Operationsmethode. Spezielles Operationsrisiko nach Eingriffen am Pankreas wegen chronischer Pankreatitis
Operationsletalität Global gesehen liegen die drainierenden Verfahren mit 2,5% Operationsletalität am niedrigsten, die resezierenden Verfahren sind mit einer etwa doppelt so hohen Letalität belastet. Die totale Duodeno-Pankreatektomie als chirurgische Maßnahme zur Beherrschung der chronischen Pankreatitis ist heutzutage obsolet. Darüber hinaus konnten einzelne Arbeitsgruppen für das von ihnen favorisierte Verfahren über zum Teil deutlich niedrigere Sterblichkeitsraten berichten. So ist die duodenumerhaltende Pankreaskopfresektion nach Beger lediglich mit einer postoperativen Letalität von 1,8% belastet (Tab. 1).
Operationsrisiken und Grenzen der Belastbarkeit des Patienten in der Pankreaschirurgie Tabelle 1
423
Operationsletalität chirurgischer Verfahren bei chronischer Pankreatitis (Lit.-Ubers, nach
[11]) Op-Typ
Patienten
Op-Letalität
(n)
(%)
Drainage-Op — End-zu-Seit
76
2,6
— Seit-zu-Seit
451
2,4
5,0
Resektionen — Linksresektion
883
-
Whipple-Op
917
6,3
-
totale DP
259
16,0
57
1,8
Kombinationsverfahren (Beger)
Spätergebnisse Die Angaben im Schrifttum zur Spätletalität decken sich mit den Aussagen von Ammann. Wir errechneten eine durchschnittliche Spätletalität von 22% für alle Operationsmethoden. Die resezierenden Verfahren schneiden mit 17 und 19% Spätletalität etwas besser ab als die drainierenden Verfahren mit 26 — 31% Spätletalität. Eine deutlich geringere Rate später Todesfälle konnte die Arbeitsgruppe um Beger mit ihrem Kombinationsverfahren bei jedoch kürzerer Nachbeobachtungszeit berichten (Tab. 2). Wichtig für die Beurteilung der Effizienz einer Behandlungsmethode ist weiterhin die Frage, ob durch den Eingriff die Entzündungsaktivität der Drüse bzw. ein Weiterbrennen der chronischen Pankreatitis und damit auch die Gefahr eines Pankreatitisrezidivs beeinflußt werden kann. Von den herkömmlichen Verfahren liegt die Whipplesche Operation ohne Okklusion des Restpankreas mit 19% Rezidivquote am niedrigsten. Tabelle 2
Spätergebnisse nach operativen Eingriffen wegen chronischer Pankreatitis nach [11])
Op-Typ
Patienten
Pankreatitis-
Spätletalität
Nachbeobachtungs-
(n)
rezidiv ( % )
(%)
zeit (Jahre)
Drainage-Op — End-zu-Seit
76
52
31
8-20
— Seit-zu-Seit
246
31
26
5-20
— Linksresektion
457
31
17
9-30
-
Whipple-Op
593
19
19
6-30
-
totale DP
259
-
30
0,5-4
Resektionen
Kombinationsverfahren (Beger)
(Lit.-Übers.
57
12,5
3,6
0,1 - 1 0 , 5
424
H. Zirngibl, F. P. Gall
Mit einer hohen Zahl späterer Rezidive ist die Pankreatico-Jejunostomie nach DuVal belastet, im Durchschnitt errechneten wir eine Rezidivrate von 52% (Tab. 2). In die Risikoabschätzung chirurgischer Eingriffe bei chronischer Pankreatitis müssen deshalb die unmittelbar postoperative Letalität und Komplikationsrate wie auch der Langzeiterfolg des jeweiligen Operationsverfahrens eingehen. Eine risikoreiche Methode mit unbefriedigendem Spätergebnis — das womöglich sogar dem Spontanverlauf der Erkrankung entspricht - stellt eine zusätzliche, ja unnötige Gefährdung für den Patienten dar [2], Spezielles Operationsrisiko und Ergebnisse nach Whipplescher Operation mit Pankreasgangokklusion Unser Konzept favorisiert die vollständige chirurgische Entfernung des meist im Pankreaskopfbereich gelegenen Hauptherdes der Entzündung. Durch Standardisierung des operativen Vorgehens haben wir versucht, die Frühergebnisse zu verbessern und die rezidivierende Entzündung und die Spätkomplikationen durch eine kontrollierte Atrophie des exokrinen Anteils der verbleibenden Bauchspeicheldrüse zu erreichen. Dies geschieht mit Hilfe der intraoperativen Pankreasgangokklusion in Kombination mit der Whippleschen Operation. Operationsletalität und Komplikationsrate der Whippleschen Operation mit Pankreasgangokklusion Wir haben seit 1978 bei 274 Patienten diese Operationstechnik angewandt. Neben einer geringen Frühletalität von nur 1,1% haben wir eine perioperative Komplikationsrate von 9,2% beobachtet, wobei wir darauf hinweisen möchten, daß vor allem Tabelle 3
Letalität und Komplikationen nach 2 7 4 Whippleschen Operationen mit Pankreasgangokklusion wegen chronischer Pankreatitis (Chir. Univ.-Klinik Erlangen 1/78 — 3 / 8 6 ) n
%
Letalität
3/274
— Herzinfarkt
1
— Blutung aus A. lienalis
1
— Pilzsepsis
1
Postoperative
nicht letale
Komplikationen
— intraabdominale Blutung
25/271 7
— externe Blutung aus Drainagekanal
1
— Gallenfistel
3
— Stenose der biliären Anastomose
1
— Pankreasfistel
5
Subphrenischer Abszeß
1
— Subhepatischer Abszeß
3
-
— Subkutaner Abszeß
1
— Ileus
2
— Thrombose der Pfortader
1
1,1
9,2
Operationsrisiken und Grenzen der Belastbarkeit des Patienten in der Pankreaschirurgie
425
die mit der komplikationsträchtigen Pankreatico-Jejunostomie assoziierten Probleme nahezu fehlen. Auch die Todesursachen der postoperativ verstorbenen Patienten waren in keinem Falle auf die Okklusion des Pankreasrestes oder auf eine Komplikation der Pankreasanastomose zurückzuführen (Tab. 3). Bei 17 Patienten haben wir auf die Anlage einer pankreatico-jejunalen Anastomose verzichtet und den Ductus Wirsungianus nach Okklusion mit Etibloc blind verschlossen. Dreimal kam es postoperativ zur Ausbildung einer Pankreasfistel, dies entspricht einer Häufigkeit von etwa 18%. Die übrigen 257 Whippleschen Operationen mit Pankreasanastomose waren dagegen nur zweimal ( ~ 1%) mit einer Pankreasfistel belastet. Wir kombinieren das Verfahren deshalb jetzt wieder mit der Anlage einer pankreatico-jejunalen Anastomose (Tab. 4). Bei 18 Patienten haben wir die von Longmire empfohlene magenerhaltende partielle Duodeno-Pankreatektomie durchgeführt. In sieben Fällen entwickelten sich in den ersten beiden postoperativen Jahren Anastomosenulzera, die durch eine Nachoperation im Sinne einer B-II-Resektion chirurgisch angegangen werden mußten [9]. Tabelle 4
Häufigkeit einer Pankreasfistel nach 2 7 4 Whippleschen Operationen mit Duktokklusion wegen chronischer Pankreatitis in Abhängigkeit von der Anlage einer Pankreatico-Jejunostomie (Chir. Univ.-Klinik Erlangen 1 / 7 8 — 3 / 8 6 )
partielle DP mit Pankreasanastomose partielle DP ohne
Pankreasanastomose
n
Pankreasfistel
n
n
%
257
2
1
17
3
18
Spätergebnisse In einer Follow-up-Periode von etwa 8,5 Jahren haben wir entzündliche Rezidive nur bei vier Patienten erlebt, von denen zwei operiert werden mußten. Dies entspricht einer Rezidivquote von 1,5%. Wir haben seit 1983 bei 23 konsekutiv operierten Patienten sehr ausgiebige präund postoperative endo- und exokrine Funktionsuntersuchungen durchgeführt. Alle Patienten dieses Kollektivs sind seit der Operation weitgehend beschwerdefrei und haben signifikant um mehr als durchschnittlich 10 kg an Gewicht zugenommen. Ein Rezidiv bzw. ein erneuter Schub einer chronischen Pankreatitis wurde bisher nicht beobachtet. Diesen Erfolg führen wir auf die rasche und vollständige Atrophie des exokrinen Pankreasparenchyms durch Gangokklusion zurück [16]. Mit dieser Methode konnte eine wirksame Beendigung der chronischen Entzündungsaktivität erzielt werden. Parallel dazu zeigt die endokrine Funktion einen unmittelbar postoperativen resektionsbedingten Abfall um etwa 4 0 % . In der weiteren Beobachtungsphase bis jetzt kam es zu keiner Verschlechterung der endokrinen Sekretionskapazität (Abb. 1). Im mittelfristigen Bereich ist damit der Nachweis gelungen, daß die Whipplesche Operation mit Pankreasgangokklusion die chronischen Entzündungsak-
426
H. Zirngibl, F. P. Gall
0 Abb. 1
2
4
6
12
18
24
36
Monate
Exo- und endokrine Spätergebnisse nach partieller Duodeno-Pankreatektomie mit Duktokklusion bei chronischer Pankreatitis (n = 23); (Chir. und Med. Univ.-Klinik Erlangen).
tivitäten normalisieren, Rezidive vermeiden und dem Patienten Beschwerdefreiheit geben kann. Daneben ist die endokrine Funktion zumindest auf dem Stand nach der Pankreaskopfresektion haltbar.
Chirurgische Therapie maligner Erkrankungen des Pankreas In der Chirurgie des Pankreaskarzinoms muß man generell mit einem höheren Operationsrisiko rechnen [6]. Sind die Grenzen der Belastbarkeit des Patienten durch den etwas radikaleren Eingriff schneller erreicht oder ist der Patient selbst infolge seiner Krankheit risikoanfälliger?
Risikofaktoren bei Pankreaskarzinompatienten Pankreaskarzinompatienten sind durchschnittlich 20 Jahre älter als Patienten mit chronischer Pankreatitis. Neben ihrem Karzinom leidet ein erheblicher Prozentsatz dieser Patienten an zusätzlichen anderen Erkrankungen oder ist bereits einmal voroperiert worden. Die Diagnose des Karzinoms wird relativ spät gestellt. Bei über der Hälfte der Patienten vergeht bis zur Diagnosesicherung ein halbes bis ein ganzes Jahr, bei 10 — 15% sogar über ein Jahr. 4 7 % der Pankreaskarzinompatienten und 7 2 % aller Patienten mit einem periampullären Karzinom wiesen bei stationärer Aufnahme einen Ikterus auf. Fernmetastasen bestanden bereits bei Klinikaufnahme bei 5 0 % der Pankreaskarzinompatienten und bei 7 % aller periampullären Malignóme. Ein Großteil der Patienten ist also zum Zeitpunkt der Diagnosestellung in einem schlechten, zum Teil inoperablen Allgemeinzustand (Tab. 5).
Operationsrisiken und Grenzen der Belastbarkeit des Patienten in der Pankreaschirurgie Tabelle 5
427
Anamnestische Daten und klinische Befunde beim Pankreaskarziom und periampullären Karzinom (Chir. Univ.-Klinik Erlangen 1960 - 1 9 8 4 ) Pankreas-Ca (n = 485)
periampulläres Ca (n = 106)
Alter
58 J.
59J.
Anamnesedauer < 3 Monate > 12 Monate Vorerkrankungen Voroperationen Rückenschmerzen Diabetes mellitus Quick < 50% Ikterus Fernmetastasen
46% 11% 35% 26% 21% 29% 9% 47% 50%
47% 16% 48% 45% 5% 19% 9% 72% 7%
Resektionsquote In den letzten Jahren konnte die Resektionsquote des P a n k r e a s k a r z i o m s gesteigert werden [8]. Dies ist auch an unseren Zahlen nachvollziehbar. 2 6 % aller duktalen und 9 0 %
aller periampullären Karzinome wurden operativ entfernt. Neben den
Bemühungen um eine frühzeitigere Diagnose muß dies als Folge eines radikaleren resezierenden Vorgehens bewertet werden.
Spezielles Operationsrisiko nach Eingriffen am Pankreas wegen maligner Tumore Wir mußten im gesamten Z e i t r a u m von 1 9 6 0 - 1 9 8 4 nach resezierenden operativen Eingriffen wegen eines Pankreaskarzinoms 1 2 , 4 % und wegen eines periampullären Karzinoms 1 5 , 2 %
Operationsletalität hinnehmen. Demgegenüber verstarben allein
während des stationären Aufenthaltes zur Abklärung der Operabilität 18 bzw. 2 5 % aller Patienten mit Pankreas- oder periampullärem Karzinom (Tab. 6). Tabelle 6
Operationsletalität nach chirurgischen Eingriffen wegen Pankreaskarzinom und periampullärem Karzinom im Vergleich zur Klinikletalität ohne Operation (Chir. Univ.-Klinik Erlangen 1960-1984)
Op-Letalität
Pankreas-Ca (n = 89)
periampulläres Ca (n = 86)
t < 30 Tage f > 30 Tage
9,0% 3,4%
10,5% 4,7%
Op-Letalität
12,4%
15,2%
(n = 396) 18,2%
(n = 20) 25,0%
Klinikletalität ohne Operation
428 Tabelle 7
H . Zirngibl, F. P. Gall Operationsletalität und Spätprognose nach verschiedenen chirurgischen Verfahren wegen Pankreaskarzinom und periampullärem Karzinom (Lit.-Übers. nach [7]) periampulläres C a
Pankreas-Ca Op-Letalität
Op-Letalität
5-Jahres-
5-Jahres-
Überlebensrate partielle DP
14,6%
5,1%
totale D P
18,6%
6,7%
Linksresektion
25,6%
0%
Drainage-Op.
14,0%
0%
explorative L a p .
32,5%
0%
Überlebensrate 13,4%
25%
Die Angaben zur Operationsletalität in der Literatur nach partieller DuodenoPankreatektomie liegen bei 15%, nach totaler Duodeno-Pankreatektomie bei etwa 19% [7]. Die Letalität nach Linksresektion von 25% ist um so beachtenswerter, wann man berücksichtigt, daß die meisten Pankreaskorpus- und -schwanzkarzinome bei Diagnosestellung bereits inoperabel sind. Nach alleiniger explorativer Laparotomie muß man mit einer Letalität von etwa 30% rechnen (Tab. 7). Spätergebnisse Trotz kurativer Operation eines duktalen Pankreaskarzinoms ist die Eünf-JahresÜberlebensrate schlecht (Tab. 7). Eine günstigere Spätprognose sehen wir beim periampullären Karzinom. Spezielles Operationsrisiko bei erweiterter Radikalität Welches Risiko bedeutet nun für den Patienten ein Mehr an Radikalität, welche Vorteile hat er davon? Der radikalere Eingriff mit Gefäßresektion war mit einer Letalität von 22,2% belastet, wenn auch die Letalität nicht auf eine Komplikation von Seiten der Gefäßrekonstruktion zurückzuführen war. Die Operationsletalität ist damit etwa doppelt so hoch, als in der Gruppe ohne Gefäßresektion, wenn auch die meisten der Patienten mit Gefäßresektion dem Stadium IV zuzuordnen waren. Innerhalb dieses fortgeschrittenen Stadiums finden wir eine mediane Überlebenszeit ohne Gefäßresektion von 9,2 Monaten, mit Gefäßresektion von 10,5 Monaten (Tab. 8). Tabelle 8
Stadium, Frühletalität und Prognose nach chirurgischer Entfernung eines Pankreaskarzinoms bzw. periampullären Karzinoms mit und ohne Gefäßresektion (Chir. Univ.-Klinik Erlangen 1 9 6 0 - 1 9 8 4 ) T
Stadium IV
Operations-
mediane Überlebenszeit (nur Stadium IV)
letalität
%
n ohne Gefäßresektion mit Gefäßresektion
%
n
Monate
157
45,2%
12,8%
71
9,2
18
94,4%
22,2%
17
10,5
Operationsrisiken und Grenzen der Belastbarkeit des Patienten in der Pankreaschirurgie Tabelle 9
429
Operationsletalität und mediane Uberlebenszeit nach chirurgischen Eingriffen wegen P a n k r e a s k a r z i o m bzw. periampullärem Karzinom mit und ohne Lymphknotendissektion (Chir. Univ.-Klinik Erlangen 1 9 6 0 - 1 9 8 4 )
OP-Letalität
o h n e Dissektion '—- mit Dissektion
_— o h n e Dissektion Mediane ÜLZ < ; mit Dissektion
Pankreaskarzinom
periampulläres Karzinom
19% 9%
23% 15%
12 M o n a t e 10 M o n a t e
36 M o n a t e 23 M o n a t e
Andererseits bieten eine palliative Umgehungsoperation oder explorative Laparotomie als alternative Verfahren eine durchschnittliche Lebenserwartung von nur 3 — 6 Monaten bei ähnlichem operativen Risiko. Auch die ausgiebige Lymphknotendissektion hat mehr diagnostischen denn therapeutischen Charakter. Die mediane Überlebenszeit konnte bei zwar deutlich geringerer Operationsletalität nicht verbessert werden (Tab. 9). Wir sahen aber, daß nur Patienten in einem frühen Tumorstadium ohne Lymphknotenbefall eine relative Überlebenschance besitzen. Dies gilt gleichermaßen für Pankreaskarzinome und periampulläre Karzinome [8].
Spezielles Operationsrisiko der subtotalen Duodeno-Pankreatektomie Seit 1980 haben wir die prinzipielle totale Duodeno-Pankreatektomie beim Pankreaskopfkarzinom zugunsten einer subtotalen Resektion verlassen. Da sich über 80% aller Pankreasmalignome im Kopfbereich befinden, können wir mit dieser Methode die meisten aller resektablen Karzinome behandeln.
Tabelle 10
Letalität und Komplikationen nach 39 subtotalen D u o d e n o - P a n k r e a t e k t o m i e n wegen P a n k r e a s k a r z i n o m und periampullärem Karzinom (Chir. Univ.-Klinik Erlangen 1980 — 1984) n
%
Letalität - Totalnekrose Pankreasrest, Blutung A. lienalis
1/39
2,6
Postoperative nicht letale Komplikationen — operative Behandlung • intraabdominelle N a c h b l u t u n g • Magenperforation • Bridenileus • Stenose der biliodigestiven A n a s t o m o s e — konservative Behandlung
8/38 5/38 2 1
21,0 13,1
• •
Magenanastomosenblutung Wundheilungsstörung
1 1 3/38 1 2
7,9
430
H . Zirngibl, F. P. Call
Wir haben mit diesem Verfahren unsere Letalitäts- und Komplikationsrate deutlich senken können. Bislang ist uns nur ein Patient infolge einer totalen Nekrose des Pankreasrestes verstorben. Dies entspricht einer Operationsletalität von 2 , 6 % . Nicht letal verlaufende postoperative Komplikationen sahen wir bei 8 Patienten, entsprechend 2 1 % des Gesamtkrankengutes (Tab. 10). Auch in der Karzinomchirurgie verwenden wir die Okklusion des in situ verbliebenen Pankreasrestes. Wir verzichten aber bei weichem, brüchigen Pankreasgewebe auf die Anlage einer pankreatico-jejunalen Anastomose und vermeiden damit die Gefahr einer lebensbedrohlichen Anastomoseninsuffizienz. Wir nehmen dafür in Kauf, daß es etwas häufiger zur Ausbildung einer Pankreasfistel über die Zieldrainage kommen kann. Diese Pankreasfisteln heilen in der Regel ohne weitere chirurgische M a ß n a h m e spontan aus.
Chirurgische Therapie der akuten nekrotisierenden Pankreatitis Selten war die Therapie einer Erkrankung einem solchen Wandel unterworfen, wie die der akuten Pankreatitis. Der Entstehungsmechanismus der Selbstverdauung der Drüse ist letztlich unklar, der Schweregrad des Verlaufs mangels kausaler Therapie nicht beeinflußbar. Während die ödematös interstitielle, klinisch milde Verlaufsform meist ohne größere Komplikationen ausheilt, führt die schwere, hämorrhagisch nekrotisierende Pankreatitis auch heute noch in einem hohen Prozentsatz zum Tode. Hoferichter hat diesen Sachverhalt einmal treffend mit der Feststellung umschrieben, daß die akute Pankreatitis in null bis hundert Prozent tödlich verläuft.
Operationsindikation und Zeitpunkt Die akute Pankreatitis wird primär konservativ therapiert. Der Chirurgie kommt in erster Linie die Beseitigung von Nekrosemassen zu, die wirkungsvoll meist jedoch erst nach Ablauf von 8 — 10 Tagen, also nach Demarkierung der Nekrosen möglich ist [5, 10]. Die Indikation zur Operation besteht letztlich erst bei Auftreten von Organkomplikationen bzw. Zeichen der Infektion, jedoch sollte nicht abgewartet werden, bis es zu manifesten Schäden an Lunge und Niere gekommen ist.
Prognostische Faktoren und Risiko der akuten Pankreatitis Entscheidende prognostische Faktoren für den Verlauf der nekrotisierenden Pankreatitis sind das Ausmaß der Pankreasnekrose selbst, das Vorhandensein extrapankreatischer Nekrosen oder eines pankreatogenen Aszites sowie die bakterielle Kontamination, die nach Beger in bis zu 6 0 % aller Fälle auftritt. Auch wir konnten diesen Sachverhalt nachvollziehen. So sahen wir nach subtotaler bzw. totaler Nekrose des Pankreas eine Letalität von 5 5 % und bei Teilnekrose nur von 2 1 % . M i t extrapankreatischen Nekrosen verstarben 3 0 , 5 % aller Patienten, beschränkten sich die Nekrosen auf die Pankreasregion, so betrug die Letalität 2 0 , 7 % (Tab. 11).
Operationsrisiken und Grenzen der Belastbarkeit des Patienten in der Pankreaschirurgie Tabelle 11
431
Abhängigkeit der Letalität der akuten nekrotisierenden Pankreatitis vom A u s m a ß der Organnekrose selbst und von der Ausdehnung der Nekrotisierung auf extrapankreatische Regionen (n = 134) - (Chir. Univ.-Klinik Erlangen 1 9 7 9 - 1 9 8 6 ) Letalität
Subtotale/totale Pankreasnekrose
55,0%
Teilnekrose des Pankreas
21,0%
N u r Pankreasnekrose
20,7%
extrapankreatische Nekrosen
30,5% '
Risikoabschätzung chirurgischer Verfahren Etwa 1 5 % aller Patienten mußten im Zustand der respiratorischen Insuffizienz, der Niereninsuffizienz, bzw. des therapierefraktären Schocks operiert werden. Eine postoperative Z u n a h m e der Lungen- und Niereninsuffizienzquote kennzeichnet den weiteren Verlauf der Erkrankung (Tab. 12). Das spezielle Operationsrisiko ist vom Risiko der Erkrankung selbst nicht eindeutig abgrenzbar. Die Grenze der Belastbarkeit des Patienten wird bestimmt durch die Freisetzung vasoaktiver und toxischer Substanzen sowie durch das Ausmaß der Nekrotisierung und ihrer septischen Komplikationen. Eine individuell angepaßte verzögerte Operation mit zum richtigen Zeitpunkt erfolgender Nekrosektomie und Spül-Saug-Drainage konnte die Operationsletalität in unserem Krankengut von 5 8 % auf 2 9 % senken. Seit wir uns zur Festlegung des Operationsausmaßes der E R C P bedienen, konnte eine nochmalige Senkung der Operationsletalität auf 1 4 % erzielt werden. Neuerdings wenden wir in schweren Fällen mit ausgedehnter Nekrotisierung die programmierte Relaparotomie an (Tab. 13). Die Pankreaschirurgie war und ist komplikationsträchtig. Die Komplikationsquote kann durch eine dem jeweiligen Patienten angepaßte, individuelle Operationsindikation und durch eine ausgereifte, standardisierte Operationstechnik auf ein erträgliches M a ß reduziert werden. Tabelle 12
Allgemeine und Organkomplikationen bei akuter nekrotisierender Pankreatitis (n = 134) - (Chir. Univ.-Klinik 1 9 7 9 - 1 9 8 6 ) präop.
postop.
15,7%
21,6%
4,5%
5,2%
13,4%
7,5%
respiratorische Insuffizienz
13,5%
32,8%
Niereninsuffizienz
14,9%
23,2%
Schock
13,4%
14,2%
2,3%
7,5%
Allgemeine
Komplikationen
Sepsis Gerinnungsstörung Ikterus
Organkomplikationen
Herzstillstand/Reanimation
432
H. Zirngibl, F. P. Gall
Tabelle 13
Ergebnisse nach operativer Behandlung der akuten nekrotisierenden Pankreatitis — Verbesserung der Letalität durch radikale Nekroseausräumung in Kombination mit SpülSaug-Behandlung und präoperativer ERCP zur Festlegung des Therapiekonzepts (Chir. Univ.-Klinik Erlangen 1963-1986) n
Letalität
1.
1 9 6 3 - 1980
konservative Operationsmaßnahmen radikale Nekroseentfernung
65 81
58% 38%
2.
1 9 8 1 - 1982
verzögerte Operation radikale Nekrosektomie + postop. Spül-Saug-Drainage
34
29%
3.
1 9 8 3 - 1984
wie 2., jedoch ERCP-abhängig
28
14%
4.
1985
wie 3., offenes Abdomen + programmierte Relaparotomie
Literatur [1] Ammann, R. W., A. Akovbiantz, F. Largiader et al.: Course and outcome of chronic pancreatitis. Longitudinal study of a mixed medical-surgical series of 245 patients. Gastroenterology 86 (1984) 8 2 0 - 8 2 8 . [2] Ammann, R. W.: Z u r Taktik und Technik der Chirurgie bei chronischer Pankreatitis. Inn. Med. 11 (1984) 1 3 7 - 1 3 9 . [3] Becker, V.: Chronische Pankreatitis — Klinische Morphologie. Thieme, Stuttgart 1984. [4] Beger, H. G., W. Krautzberger, R. Bittner et al.: Die duodenumerhaltende Pankreaskopfresektion bei chronischer Pankreatitis — Ergebnisse nach lOjähriger Anwendung. Langenbecks Arch. Chir. 362 (1984) 229 - 236. [5] Beger, H. G., M . Büchler: Die chirurgische Therapie der akuten Pankreatitis. Med. Klin. 81 (1986) 2 8 1 - 2 8 5 . [6] Bittner, R.: Das duktale Pankreaskopfkarzinom — Stagnation oder Fortschritt in der chirurgischen Therapie? Klinikarzt 14 (1985) 467 - 477. [7] Gall, F. P., H . Zirngibl: Chirurgische Therapie der Pankreastumoren. In: Chirurgie des exokrinen Pankreas (Hrsg. Ch. Gebhardt). Thieme Verlag, Stuttgart 1984. [8] Gall, F. P., H . Zirngibl: Maligne Tumoren des Pankreas und der periampullären Region. In: Histologie und stadiengerechte Therapie maligner Tumoren (Hrsg. F. P. Gall, P. Hermanek, J. Tonak). Springer Verlag, Berlin - Heidelberg - New York 1986. [9] Gebhardt, Ch.: Anastomosenulcus nach Whipplescher Operation mit Magenerhaltung. D M W 106 (1981) 1 4 7 8 - 1 4 7 9 . [10] Gebhardt, Ch., F. P. Gall, G. Lux et al.: Retrograde Pankreasgangdarstellung und Operationstaktik bei der haemorrhagisch-nekrotisierenden Pankreatitis. Vorläufiger Bericht. Chirurg 54 (1983) 801 - 804. [11] Gebhardt, Ch.: Chirurgische Therapie der chronischen Pankreatitis. In: Chirurgie des exokrinen Pankreas (Hrsg. Ch. Gebhardt). Thieme Verlag, Stuttgart 1984. [12] Hoferichter, J.: Klinische und experimentelle Untersuchungen zur akuten haemorrhagischen Pankreasnekrose. Langenbecks Arch. Chir. 307 (1964) 319 - 337. [13] Lux, G.: Diagnostik der chronischen Pankreatitis. In: Chirurgie der exokrinen Pankreas (Hrsg. Ch. Gebhardt). Thieme Verlag, Stuttgart 1984. [14] Rösch, W.: Chronische Pankreatitis. Dtsch. Ärztebl. 39 (1979) 2473 - 2482.
Operationsrisiken und Grenzen der Belastbarkeit des Patienten in der Pankreaschirurgie
433
[15] Rumpf, K. D., R. Pichlmayr: Eine Methode zur chirurgischen Behandlung der chronischen Pankreatitis: Die transduodenale Pancreaticoplastik. Chirurg 54 (1983) 722 — 727. [16] Schneider, M . U., G. Lux, Ch. Gebhardt et al.: Therapeutische Pankreasgangocclusion bei chronischer Pankreatitis: klinische, exokrine und endokrine Konsequenzen bei 12monatiger Nachbeobachtung. Langenbecks Arch. Chir. 363 (1985) 1 4 9 - 1 6 3 .
Die Bedeutung der funktionellen Computertomographie zur Risikominderung bei Eingriffen wegen akuter Pankreatitis H. Imdahl, K. Mathias, J. Hoffmann, F. P. Pfingsten
Einleitung Mehr als 100 Zweiphasen-CT bei 42 Kranken lassen erkennen: Wer im Computertomogramm die pathologisch anatomische Differenzierung einer akuten Pankreatitis [1, 2, 8, 7] und/oder operationstaktische Hilfen sucht [3], sollte das CT auch in seinen funktionellen Möglichkeiten ausschöpfen [4]. Das bedeutet: 1. Einen CT-Durchgang am nativen Abdomen, besser unter peroraler KM-Gabe zur Kontrastierung Magen-Duodenum-Dünndarm [6]; dabei systematische Punktmessungen der nativen Gewebsdichten in allen Abschnitten des Pankreas und seiner Umgebung. 2. Erneuter CT-Durchgang unter i.v. KM-Bolus (z.B. 80ml Telebrix 300®). Dichtemessungen zur Bestimmung des Enhancements (EH). Meßpunkte möglichst identisch mit denen der Nativuntersuchung. Dichtewerte sind in Hounsfield-Einheiten (HE) gemessen und in der rechten unteren Ecke der CT-Bilder unter dem Buchstaben „M" angegeben. Korrekt ausgeführt ist das funktionelle oder dynamische Zweiphasen-CT [5] zeitaufwendig, Teilverzichte der Untersuchung führen aber leicht zu Fehlinterpretationen. Es folgen 4 Stichwortprotokolle zur akuten Pankteatitis.
Patientengut, Methodik, Ergebnisse Fall 1: 42jähriger Mann, 1. CT 28. 11. 1985 (Abb. 1) nach Überwindung der hochakuten klinischen Initialphase; links natives, rechts Angio-CT. Beidseits das gleiche: inhomogen strukturiertes, im ganzen vergrößertes Pankreas, allseitig unregelmäßige Ränder. Keine Dichtemessungen. Diagnose: Ödematöse Form der Pankreatitis.
436
H. Imdahl, K. Mathias, J. H o f f m a n n , F. P. Pfingsten
Erst das 3. C T (Abb. 1 links unten) 6 Wochen nach Krankheitsbeginn erkennt auf eine hypodense Zone in Schwanz und Körper mit der Vermutung einer nekrotisierenden Pankreatitis. Klinik unauffällig bis auf das Dauerleitsymptom eines schwer einstellbaren Erstdiabetes (Abb. 1 rechts unten). Laparotomie 6. 1. 1986 mit Frage pankreoprive Ursache? Befund: Pankreas form- und größengerecht in derber Schwielenkapsel, diese mit Tripus Haleri fest verlötet, Bursa frei. Inzision Kapsel Pankreaskörperoberrand. Trockene Nekrose linke Pankreashälfte, keine Resektion nur Penrosedrainagen. Evaluskopische Dichtenachmessungen der Vor-CT an den Erstbildern vom 28. 11. 1985 (Abb. 2): Nativdichter Pankreaskopf links M 34, rechts Angio M 51 — also gutes EH, funktionstüchtiges Parenchym; dagegen Körper/Schwanz links unten nativ M 24, rechts Angio M 27, d. h. mangelhafte Telebrixanflutung, d. h. Nekrose. 3 Wochen nach Operation macht das Angio-CT (Abb. 3 links) Umfang und Grenzen der Nekrose ganz deutlich; nach weiteren 3 Wochen stößt sich der Schwanz klinisch reaktionslos stückweise über die Penrosedrainage ab. Abschluß-CT 16.7. 1986 (Abb. 3 rechts): Schwanz fehlt, Fistel geschlossen, hypodense Strukturen nicht mehr nachweisbar, Diabetes eingestellt.
Abb. 1
Computertomographie zur Risikominderung bei Eingriffen wegen akuter Pankreatitis
Abb. 2
Abb. 3
437
438
H. Imdahl, K. Mathias, J . H o f f m a n n , F. P. Pfingsten
Fall 2: Ähnlich bei einem 39jährigen Mann. Auch hier Dauerleitsymptom schwer einstellbarer Erstdiabetes. Nach Abklingen der hochakuten Initialklinik 1. C T 9. 1. 1986 ohne Dichtemessungen (Abb. 4 oben). Diagnose: Pankreatitis ödematöse Form. 12 Tage später (21. 1. 1986): ausgedehnte Nekrosen in Kopf und Körper des Pankreas (Abb. 4 unten). Die unter Fieberanstieg angeschlossene Laparotomie bestätigte die hämorrhagische Nekrose als handvoll sequestrierte Masse im Pankreaskörper, die evaluskopische Dichtenachmessung 1. C T (Abb. 5) entlarvt im Spiegel der mangelhaften Telebrixanflutung sowohl in Kopf wie Körper die vermeintlich ödematöse als nekrotisierende Pankreatitis: Nekrose als Ursache des pankreopriven Diabetes. Abschluß-CT 7 Monate nach Krankheitsbeginn (Abb. 6): Defekter Pankreaskörper, aber funktionstüchtiges Restparenchym entlang dem Ductus wirsungianus. Gute Durchblutung, gutes EH in Kopf und Corpusrest, keine exkretorische Insuffizienz. Erhalten blieb das Pankreas auch bei zwei weiteren über Wochen beatmungs- und dialysepflichtigen Männern infolge schwerster akuter hämorrhagisch nekrotisierender Pankreatitis Kümmerle III. Beide Fälle machen den operationstaktischen Wert des CT deutlich. Abb. 4 09-JANr-86 13 = 0 8 F/011 H N 12 7 . 4 ? MAENNL
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AKUTE P A N K R E A T I T I S 4 0 0 ML KM ORAL 80 ML KM I V
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C o m p u t e r t o m o g r a p h i e zur R i s i k o m i n d e r u n g bei Eingriffen wegen a k u t e r Pankreatitis
36 9 136
ST J O H A N N E S H O S P I T A l AKUTE P A N K R E A T I T I S 4 0 0 ML KM ORAL
30 0 144
AKUTE PANKREATITIS 400 ML KM ORAL 80 ML KM I V.
Abb. 5
V 125 D 236 G. 0 P 134
S T . J0HfftMMESHOSP I TAL PANKREATITIS 4 0 0 ML KW ORAL
O 230 C 1 0 P 134
PANKREATITIS 4 0 0 ML. KM ORAL 80ML KM I V
439
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H. Imdahl, K. Mathias, J . Hoffmann, F. P. Pfingsten
Fall 3: 24jähriger Mann, 1. CT 28. 1. 1986 - erster Krankheitstag (Abb. 7 oben): Pankreas in Nativphase nicht abgrenzbar, ausgedehnte Nekrosen rechts subhepatisch, links bis zur Milz und Niere, retroperitoneal bis in das kleine Becken. Zunehmende Intoxikation. Nekrosektomie rechts subhepatisch, links von der Leiste aus retroperitoneal entlang dem Psoas. Klinisch vorübergehende Besserung, aber die linksseitige Nekrose intraperitoneal entlastet sich nicht über den Leistenschnitt. Das wird im CT 12. 2. 1986 (Abb. 7 links unten) deutlich. Erneute septische Phase. Großzügige linksseitige Relaparotomie. Ausräumung von mehr als zwei Handvoll parapankrealen Nekrosemassen. Abbildung 7 rechts unten: native Dichtemessung des Nekrosematerials. HE-Werte von —9 bis + 74. Parapankreatische Nekrosen sind nie isodens. Anschließend 6wöchige Phase Dauerbeatmung und tägliche Dialyse. Darunter 11 weitere Eingriffe: Nekrosektomie, operative Hämostase, Kolonteilresektion, Splenektomie — all das wird überlebt, der Kranke gesundet. Abschluß-CT (Abb. 8) 4 Monate nach Krankheitsbeginn: ein zwar sehr schmales, aber parenchymgesundes Organ. Nativ pankreasäquivalente Dichten, Angio gutes EH in Kopf und Schwanz, keine inund exkretorische Insuffizienz. Am Pankreasorgan wurde nicht reseziert.
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