Schwellenräume: Übergänge in der Architektur. Analyse- und Entwurfswerkzeuge 9783038213963

  Was ist ein Schwellenraum? Auftakt, Dazwischen, Schranke? Innen oder außen? Der Schwellenraum ist alles zusammen, me

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German Pages 160 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
1. Schwellen- und Raumdefinitionen
2. Schwellenraum-Analysen
3. Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge
Anhang
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Schwellenräume: Übergänge in der Architektur. Analyse- und Entwurfswerkzeuge
 9783038213963

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Schwellenräume

Schwellenräume

Till Boettger

Schwellenräume Schwellenräume Übergänge inin derder Architektur Übergänge Architektur Analyseund Entwurfswerkzeuge Analyse- und Entwurfswerkzeuge

Birkhäuser Basel

Vorwort

Eine zentrale Aufgabe der Architekten ist das Entwerfen von Räumen als Medium für unteschiedlichste Nutzungen und Funktionen. Mit der Realisierung als dreidimensionale Inszenierung entsteht der nutzbare Raum mit all der Buntheit räumlicher Erlebnisse. Dieser Hintergrund erklärt die fast endlose Literatur zu Prinzipien der Raumgestaltung oder die Fülle von Versuchen, der Wahrnehmung räumlicher Phänomene auf die Spur zu kommen. So überrascht es, dass mit dieser Publikation von Till Boettger zum ersten Mal das „Wesen und Vermögen“ eines vertrauten und gleichzeitig kaum präsenten und oft vernachlässigten Raumes analysiert wird. Der Schwellenraum, ein selbstverständlicher Bestandteil jeder Bauaufgabe. Dieses spezielle Funktionselement hat bisher fast keine Aufmerksamkeit erfahren und wird gleichzeitig mit vertrauter Selbstverständlichkeit geradezu ausgeblendet. In fast keinem Raumprogramm oder keiner Wettbewerbsausschreibung ist dieser Raum als eigenständige Funktionseinheit aufgelistet, geschweige denn sind spezifische Forderungen an Größe, Aufgabe oder gar an zu erfüllende Atmosphären formuliert. Gleichzeitig ist der Schwellenraum als „Übergang zwischen Raumatmosphären, zwischen innen und außen, zwischen der einen Wirklichkeit und einer anderen“ (Robert Venturi) im wahrsten Sinne des Wortes ein „Schlüsselraum“, der den Zugang zu einem Gebäude „erschließen“ oder auch „verschließen“ kann. Zentrales Anliegen dieser Dokumentation ist die Darstellung von Entwurfs- und Gestaltungsparametern zur Inszenierung und Organisation dieser sensiblen und ambivalenten Raumzone der Schwelle. Dazu werden im Wesentlichen folgende Fragestellungen zur Erforschung praktikabler Antworten im Sinne von Entwurfswerkzeugen für den entwerfenden Architekten formuliert. Wie können Räume geöffnet werden, ohne dass man sie schließt? Wie kann man gewollte Einblicke in das Innere von Gebäuden zulassen und es trotzdem schützen? Können kontrollierende und energetische Maßnahmen auch als empfangende Gesten integriert werden? Welche Informationen bereiten auf das Kommende vor? Daran schließen sich drei, aufeinander aufbauende, zentrale Fragen an: Was ist eine architektonische Schwelle? Wie kann ein Schwellenraum definiert werden? Welche Aufgabe übernimmt der Schwellenraum beim Erschließen und Erleben von Architekturen? In sehr anschaulicher und vor allem in der Sprache der Architekten werden dazu in drei Kapiteln umfassende theoretische und entwurfspraktische Antworten gegeben.

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Ausgehend von den Begrifflichkeiten und Phänomenen der Raumwahrnehmung über die Beschreibung des Schwellenraums im historischen Kontext bis zu attraktiven und erfrischenden Ergänzungen durch den Blick auf Schwellen-Installationen aus dem Bereich der Kunst werden wesentliche Grundlagen beschrieben. In Analogie zum Medium der Entwurfstätigkeit der Architekten werden im zweiten Kapitel an herausragenden und charakteristischen Projekten einzelne Parameter der Gestaltung von Schwellenräumen analysiert. In Form von deduktiv reduzierten „Entwurfsskizzen“ ist eine unmittelbare Rezeption möglich. Schließlich wird sehr bildhaft und konstruktiv die oft beklagte Lücke zwischen (Architektur-)Theorie und (Entwurfs-)Praxis geschlossen. Mit der Darstellung unterschiedlicher Prinzipien und Strategien“ werden einzelne Entwurfsziele formuliert und gleichzeitig Planungsinstrumente zur praktischen Gestaltung der „Räumlichkeit des Übergangs“ entwickelt. Eine besondere Qualität dieser Bearbeitung besteht in der Entwicklung von Entwurfswerkzeugen für die Entwurfsarbeit. Sie ist ein aufschlussreicher Baustein in der Kardinaldifferenz zwischen Theorie, Entwurfsarbeit und der Rezeption eines bislang kaum gewürdigten Raumes. Gerade vor der Herausforderung bei zukünftigen Architekturen mit veränderten Größenordnungen, wie Verkehrsbauten oder Einrichtungen für Handel und Gewerbe, oder auch völlig neuen Strukturen der Funktionen, die sich wandelnden Aufgaben öffentlicher Gebäude inklusive Museen und Ausstellungsgebäuden, werden mit dieser Buchpublikation erfreulicherweise erstmals auch praktikable Entwurfshilfen zur Unterstützung und Realisierung attraktiver und qualitätvoller Schwellenräume vorgelegt.

Egon Schirmbeck Im März 2014

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Inhalt

Einleitung Das Bilden von Räumen und Schwellen Thema Ziel Gliederung und Aufbau

1. Schwellen- und Raumdefinitionen 10 11 12 13

Anhang Index Der Autor Dank Abbildungsnachweis

150 153 153 154

Raumvorstellung und Raumwahrnehmung Der wahrnehmende Mensch Über das suchende Auge und den suchenden Körper Wahrnehmung von Bewegungsräumen

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Historische Schwellen-Räume Schwellen – Türschwellen Die Akropolis Das Pantheon Das gotische Portal Das japanische Wohnhaus Passagen Die Auflösung des Grundrisses im 20. Jahrhundert

20 21 22 25 26 28 30

Übergänge in der Kunst Present Continuous Past(s), Dan Graham, 1974 Passagen, Dani Karavan, 1990–94 Threshold, Bill Viola, 1992 Safely maneuvering across Lin He Road, Lin Yilin, 1995 Fun House for Münster, Dan Graham, 1997 Green River, Olafur Eliasson, 2000 Schwellenraummaschine, Till Boettger, 2010 Schwelle als räumliches Phänomen

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Der Schwellenraum Grenzen Schwellen Schwellenräume Apparaturen im Schwellenraum Verschlüsse des Schwellenraumes

45 45 46 47 49 50

18 19

32

34 35 37

Inhalt

3. Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

2. Schwellenraum-Analysen Raumnotation und Raumanalyse Erlebter Raum – dargestellter Raum Analysetechnik nach Schirmbeck Anpassung der Methode Parameter der Schwellenraum-Analyse Auswahl Analyseobjekte

54 55 55 57 58 59

Carpenter Center for the Visual Arts in Cambridge, Massachusetts Le Corbusier, 1961– 64

61

Neue Nationalgalerie in Berlin Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68

69

Museu de Arte (MASP) in São Paulo Lina Bo Bardi, 1957–68

80

Museum für angewandte Kunst in Frankfurt am Main Richard Meier, 1979 –85 Fondation Cartier in Paris Jean Nouvel, 1991–94 Casa da Música in Porto OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999 –2005

Ausgleichende Gegensatzpaare Offen – geschlossen Begrenzung Sequenz Geometrie Topographie Materialität Einrichtung Ausgleich der Ambiguität

110 110 110 112 113 114 115 116 117

Phasen und Organisation Erkennen Ansteuern Erreichen Ankommen Orientieren und Informieren Kontrollieren Verlassen

122 123 123 123 124 124 124 125

Sensible Steuerung Platzieren von Schwellen Privatsphäre

126 127 129

Wesen und Vermögen Räumliches Potenzial Erhöhte Komplexität Zugangskontrolle – Energieeffizienz Potenziale der Schwellenraum-Planung

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Anwendung und Ausblick Bearbeitung Schwellenraum-Entwürfe Vorhaben

133 133 140 146

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Einleitung

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Einleitung

Der Mensch überschreitet täglich mehrmals räumliche Grenzen; er bewegt sich von einer Zone in eine angrenzende. Der Mensch lebt im Übergang. Architektur lebt vom Übergang. Schwellen unterbrechen räumliche Grenzen für den Übergang aus einer Zone in eine andere. Das Phänomen der Schwelle lebt von der räumlichen Ambivalenz. Schwellen öffnen Räume und organisieren Übergänge. Gleichzeitig werden sie als Teil der Grenze gelesen und können als Schranke wahrgenommen werden. Als Schwellenraum kann der Raum bezeichnet werden, der von Schwellen und Raum bildenden Elementen begrenzt wird. Schwellenräume ermöglichen erst den Zugang zu den eigentlichen Funktionsräumen. Sie leiten das Wahrnehmen des architektonischen Raumes ein. Sie leben von der zeitlichen Abfolge von Zurückliegendem, Gegenwärtigem und Vorliegendem. Das bedeutetet: Schwellenräume leben auch von der Erwartung des Kommenden. Das Bilden von Räumen und Schwellen „Nur dem Menschen ist es, der Natur gegenüber, gegeben, zu binden und zu lösen, und zwar in der eigentümlichen Weise, dass eines immer die Voraussetzung des anderen ist. Indem wir aus der ungestörten Lagerung der natürlichen Dinge zwei herausgreifen, um sie als ‚getrennt‘ zu bezeichnen, haben wir sie schon in unserem Bewusstsein aufeinander bezogen, haben diese beiden gemeinsam gegen das Dazwischenliegende abgehoben. Und umgekehrt: Als verbunden empfinden wir nur, was wir erst irgendwie gegeneinander isoliert haben, die Dinge müssen erst außereinander sein, um miteinander zu sein.“ 1 Georg Simmel spricht in seinem Text „Brücke und Tür“ von dem menschlichen Vermögen Räume zu trennen, das heißt voneinander abzugrenzen, und dem Bedürfnis sie anschließend wieder zu verbinden. Mit dem Verbinden schafft der Mensch eine Schwelle, eine Möglichkeit einzutreten und herauszutreten. Ohne einen Übergang entsteht keine Beziehung der inneren und der äußeren Räumlichkeit. Das Gestalten von Schwellen leitet sich direkt aus dem Bedürfnis ab, Raum zu bilden. Nutzbare Räume werden gestaltet, um sie zu betreten, zu passieren oder zu befüllen. Von daher lässt sich das Interesse von Menschen verstehen, die Raum entwerfen, planen, bilden, analysieren, beobachten oder benutzen wollen. Räumliche Schwellen werden in räumlichen Zusammenhängen wahrgenommen, erkannt und benutzt. Wolfgang Meisenheimer nennt sie „Werkzeuge der architektonischen Choreographie“ 2 und arbeitet das erzählende Moment von Schwellen heraus. Er betont die Zweiseitigkeit von Schwellen, da sie verbinden und trennen können. Im Gestaltungsprozess reagiert der Architekt auf diese Besonderheit. „Schwellendetails sind das empfindlichste, beredteste Repertoire der architektonischen Sprache.“ 3 Schwellen sind oft Ankündigungen und Auftakt für den Eingang zu Räumen. Sie sind in die Abfolge des Ankommens integriert und bremsen in ihrer verzögernden Wirkung den Ankommenden. Mit ihrer Ausdehnung oder in ihrer Addition sind Schwellen Raum bildend. Sie schaffen mit den Raum bildenden Elementen die Dramaturgie von Schwellenräumen.

1 Georg Simmel, „Brücke und Tür“, in: Der Tag, Moderne illustrierte Zeitung, Nr. 683, Morgenblatt vom 15. September 1909, Illustrierter Teil Nr. 216 (Berlin), S. 1–3. 2 Wolfgang Meisenheimer, Choreografie des architektonischen Raumes, Veröffentlichungen aus der Fachhochschule Düsseldorf, 1, Düsseldorf: Fachhochschule, 1999, Kapitel 2–5. 3 Ebd.

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Einleitung

Schwellenräume sind als Orte des Übergangs meistens sehr komplexe Raumgefüge. Sie sind bezüglich der Wahrnehmung eine Herausforderung für das Zusammenspiel der menschlichen Sinnesorgane. Oft sind Schwellenräume mit mehreren Funktionen belegt, die sich aus der jeweiligen Typologie der Architektur ableiten lassen. Jede Architektur hat durch ihre spezielle Nutzung besondere Anforderungen an den Zugang. Außerdem lassen sich unterschiedliche zusätzliche Funktionen in die Schwellenräume integrieren, wie sie sich zum Beispiel bei Informations-, Warte- oder Ausstellungsbereichen ergeben. Schwellenräume sind nicht mehr nur Vorräume, die erschließen, sondern eigenständige, komplexe Raumfolgen und Raumgefüge. Thema Eingangsbereiche müssen geöffnet und geschlossen werden. Das bedeutet, sie haben keine konstanten Bedingungen, denn sie müssen auf unterschiedliche Situationen reagieren. Oft sind gerade Übergangszonen mit den höchsten Vorgaben belegt, da sie als Schwachstelle bekannt sind. Schwellenräume werden zu komplexen sensiblen Zonen des Zugangs, die einen Übergang zulassen müssen. Im „Schwellenatlas“ 4 sind erstmals Apparaturen, wie Gegensprechanlagen, Türspione und Körper-Scanner, die die Kontrolle zwischen außen und innen regeln, unter dem Begriff Schwellen zusammengefasst worden. Es stellen sich folgende Fragen: Verfremden diese Schwellen den qualitätvollen, architektonischen Raum? Inwieweit lassen sich technische Schwellen integrieren? Welche gestalterischen Gedanken können in die Konzeption mit einfließen, um diese sensible Zone befriedigend zu konzipieren? Es geht hier grundsätzlich um die räumliche Inszenierung beziehungsweise Organisation des Übergangs als auch um die besondere Auseinandersetzung mit dem Schwellenraum in der Architektur der Moderne. Jede Architektur organisiert einen Zugang. Die Zonen der architektonischen Übergänge werden geplant, ausgeführt und benutzt. Diese Bereiche werden je nach Konzeption in verschiedener Art und Weise ausgeführt. Es gibt Planungen, die Übergänge bewusst thematisieren, andere versuchen Schwellen räumlich aufzulösen. Die Tendenz Schwellen abzubauen und Räume übergangsloser miteinander zu verknüpfen geht einher mit der Entwicklung der Architektur der Moderne. Die vorgedachte Wegeführung, die Sequenz, steht im Mittelpunkt des Entwurfs. Die Architekten des 20. Jahrhunderts beschäftigen sich mit dem freien Grundriss, der eine neue Verknüpfung von innen und außen ermöglicht und die Erschließung inszeniert. Die geschlossene Struktur des Grundrisses wird räumlich aufgelöst, indem freie Scheiben und Stützen den Raum gliedern. Es wird bewusst mit der Konzeption eines offenen Raumes gearbeitet. Als einer der ersten beginnt Frank Lloyd Wright in seinen Grundrissen der frühen Villen in Oak Park, den Innenraum mit dem Außenraum der umgebenden Landschaft zu verknüpfen. Der Barcelona Pavillon von Mies van der Rohe steht exemplarisch für diese Konzeption, während die von ihm entworfene Neue Nationalgalerie in Berlin als Vermächtnis des Leitgedankens vom freien Grundriss anzusehen ist. Räume werden nicht mehr als Einzelteile addiert, sondern es werden zusammenhängende Raumfolgen geplant. Adolf Loos entwickelt den „Raumplan“. Selbst die strikte Einteilung in Geschosse verliert ihre Bedeutung. Des Weiteren wird nicht mehr so klar zwischen dienenden Räumen, wie zum Beispiel Vorräumen und Haupträumen, unterschieden. Erschließungsräume bekommen weitere Funktionen zugeordnet. Besonders Übergangsräume wie Foyers bilden sogar

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Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich, Schwellenatlas, ARCH+, 191/192, 2009.

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Einleitung

geschossübergreifende Raumgefüge. Die Inszenierung dieser Bewegungsräume findet mit den Architekturen von Le Corbusier ihren Höhepunkt. Le Corbusier entwarf seine Raumfolgen aus der Bewegung heraus und ordnete der Abfolge der Räume neben der Erschließung weitere Funktionen zu. Inneres wird nach außen gekehrt. Die Schwelle wird verschoben durch das Auflösen des Grundrisses. Das Nach-außen-Kehren des Inneren wird zum Dogma. Es besteht eine Ambivalenz zwischen dem Wunsch den Innenraum zu schützen und ihn so stark wie möglich zu öffnen. Neben der Gestaltung der Sequenz müssen sich Architekten speziell mit der Sicherung und Kontrolle von Räumen, das heißt der Planung von Schwellen, auseinandersetzen. Die Architekten der Moderne arbeiten mit der Öffnung nach außen. Sie versuchen, die Grenze zwischen dem Innen und dem Außen abzubauen. Die Einblicke ins Innere der Gebäude ermöglichen eine unmittelbare Annäherung. Dem Wunsch nach umfassendem Einblick steht neuerdings der Wunsch nach totaler Kontrolle gegenüber. Die genaue Position einer Schwellenraum-Apparatur zur Kontrolle der Raumfolge soll bereits im Planungsprozess festgelegt werden. Aufgrund der sich ständig im Wandel befindenden Sicherheitssysteme kann aber eine Festlegung nur bedingt geschehen. Daraus folgt die Suche nach flexiblem und Sicherheit bietendem Mobiliar im Eingangsbereich, um es dem zu erwartenden Besucherstrom und den technischen Neuerungen anzupassen. Außerdem verändern Anforderungen an einen maßvollen Energieverbrauch und aktive Energiegewinnung die Planungen von Gebäuden. Diese Forderungen gelten im Besonderen für den sensiblen Ort des Eingangs. Es stellt sich die Frage nach der strategischen Lage des Schwellenraumes im Bezug zur Architektur. Zum einen soll der Energieverlust möglichst gering gehalten werden; zum anderen geht es um die Möglichkeit, den Schwellenraum aktiv zu nutzen. Schwellen und Schwellenräume sind somit oft von entgegengesetzt wirkenden Kräften und Anforderungen geprägt, die es zu beleuchten gilt. Es geht um die Inszenierung und räumliche Organisation von Übergängen und Wegeführungen. Dabei ergeben sich folgende Fragen: Wie können Räume geöffnet werden, ohne sie erst schließen zu müssen? Wie kann man gewollte Einblicke in das Innere eines Gebäudes zulassen und es trotzdem schützen? Können kontrollierende Maßnahmen als begrüßende Gesten in den Eingangsbereich integriert werden? Welche Informationen und welche Inszenierung bereiten auf das Kommende vor? Ziel Es geht um die Suche nach dem Wesen des Schwellenraumes und seinem Vermögen. Das Benutzen, Lesen und Gestalten von Übergängen wird deutlich gemacht und mit der Begrifflichkeit und der Raumvorstellung des Schwellenraumes neu definiert. Ich möchte mit dieser Hilfestellung auf die gestiegene Komplexität bei großen Gebäuden reagieren. Es soll eine nützliche Orientierungshilfe entstehen, die den Benutzer neu im Raum verortet. Das Ziel liegt im Finden einer Darstellung, die Übergangssituationen und deren räumlich-gestalterische Elemente zwischen Räumen beschreiben und klären kann. Analog einer Entwurfsskizze eines Architekten entwickle ich Diagramme. Räumliche Übergänge werden erläutert, um dem Moment der Schwelle näher zu kommen. Der szenische Übergang des Menschen im Schwellenraum wird nachempfunden und verdeutlicht. Ich stelle unterschiedliche Prinzipien und Elemente zur Gestaltung, Organisation und Wahrnehmung von Schwellenräumen dar, die als Schwellenraum-Werkzeuge zu verstehen sind. Oft fehlt in Projekten des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart eine ausreichende Bearbeitung der Schwellenräume. Teilweise sind sie, nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sehr kompakt gestaltet worden. Einige Übergänge mussten auf Grund von veränderten Anforderungen

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Einleitung

technisch nachgerüstet werden und verloren dadurch ihre räumlichen Qualitäten. Schwellenräume dürfen nicht nur als „technische Systeme“ verstanden werden, die bautechnische Vorgaben zu erfüllen haben. Dem Architekten stehen gestaltbildende Mittel zur Verfügung, Schwellen aufzulösen, ohne den Übergang zu vernachlässigen. Es gibt Schwellenräume ohne deutlich wahrnehmbare Schwellen. Durch die Verwendung von transparenten Fassaden hat sich besonders stark der Eingangsbereich verändert, der im Regelfall zur ersten Orientierung beiträgt. Zu klären ist, ob die gewünschte Transparenz den Schwellenraum wirklich lesbarer macht und die Orientierung erleichtert. Es gilt auch herauszufinden, welche Rolle die Suche nach der Transparenz in Bezug auf die Auflösung der Schwelle spielt. Jean Baudrillard schreibt treffend: „Nimm zum Beispiel die Idee von der Transparenz. Das ist zugleich etwas Außerordentliches, das das Spiel mit dem Licht, mit dem, was erscheint und verschwindet, ausdrückt, aber zur gleichen Zeit hat man den Eindruck, dass auch das auf eine sehr subtile Art und Weise der Zensur Rechnung trägt. Die Suche nach der ‚Transparenz‘, für die unsere Epoche sich zu begeistern scheint, ist zumindest in dem Verhältnis, das sie mit der Macht unterhält, ambivalent.“ 5 Das Verstehen von Schwellenräumen kann uns bewusst machen, wie wir uns im Zustand des „Dazwischen“ bewegen. Der konzentrierte Blick auf das Passieren des Schwellenraumes kann uns auf räumliche Erlebnisse vorbereiten und uns dadurch tiefere Einblicke in die Architekturen ermöglichen. Schwellenräume sollten als perzeptiver und kognitiver Architekturzugang für das Eintauchen in architektonische Erlebnisse genutzt werden. Die Gestaltung der Schwellenräume bestimmt somit die Eintauchtiefe der vorliegenden Atmosphären. Der sensible Ort des Zonenwechsels wird Bühne und Indikator. Gliederung und Aufbau Dieses Buch ist in drei Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel gehe ich der Frage nach, welches der Raum der Betrachtung ist. Dabei steht der wahrnehmende Mensch im Mittelpunkt. Es werden die Fähigkeiten der räumlichen menschlichen Wahrnehmung benannt, die beim Passieren von Schwellen beziehungsweise Schwellenräumen im Vordergrund stehen. Anschließend verankere ich das Thema „Schwellenräume“ im architekturgeschichtlichen Kontext, indem in historischen Beispielen Schwellenräume aufgefunden und dargestellt werden. Dann versuche ich die Schwelle als räumliches Phänomen zu fassen und beschreibe Installationen von Künstlern, die sich explizit mit Schwellen auseinandersetzen. Mit Hilfe dieser Raum-Vorstellungen und Schwellen-Darstellungen leite ich am Ende des ersten Kapitels den Begriff Schwellenraum her und definiere ihn. Im zweiten Kapitel werden Parameter für die Raumanalysen benannt und angewendet. Über phänomenologische Beschreibungen und räumliche Diagramme baue ich eine SchwellenraumAnalyse auf. Es werden Architekturen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und des 21. Jahrhunderts bearbeitet. Diese Analyseobjekte sind bezeichnend für herausragende, spezifisch gestaltete Schwellenräume. Bei der Auswahl der Gebäude, die sich als repräsentative Betrachtungsobjekte verstehen lassen, werden charakteristische Orte und Architekten berücksichtigt. Die detaillierten Schwellenraum-Analysen werden jeweils mit Hilfe der folgenden Parameter durchgeführt: Begrenzung, Sequenz, Geometrie, Topographie, Materialität, Einrichtung.

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Jean Baudrillard und Jean Nouvel, Einzigartige Objekte: Architektur und Philosophie, Passagen Verlag, Wien 2004, S. 96.

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Einleitung

Aus den Analysen der Fallbeispiele entwickle ich im dritten Kapitel eine Darstellung unterschiedlicher Prinzipien und Strategien, die Aussagen über die Räumlichkeit des Übergangs ermöglichen. Unabhängig von der räumlichen Gestalt der Analyseobjekte zeigen die Betrachtungen der Organisation des Schwellenraumes eine ähnliche Taktik. Neben der Spannung erzeugenden Ausgewogenheit ist der Schwellenraum sehr stark von der zeitlichen Abfolge des Erlebens bestimmt. Der Schwellenraum bewegt sich in seiner Konzeption zwischen den Polen offen und geschlossen und kann durch die ihm innewohnende Ambiguität als räumlicher Vermittler fungieren. Mit Hilfe von Gegensatzpaaren lässt sich die besondere Ausformung der einzelnen Raumparameter darstellen und in einer neuen Form gegenüberstellen. Die Sequenz des Schwellenraumes kann außerdem in die Phasen Erkennen, Ansteuern, Erreichen, Ankommen, Orientieren, Kontrollieren und Verlassen gegliedert werden.

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Schwellen- und Raumdefinitionen Raumvorstellung und Raumwahrnehmung Historische Schwellen-Räume Übergänge in der Kunst Der Schwellenraum

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

Raumvorstellung und Raumwahrnehmung Im Folgenden soll unter Raum Jürgen Joedickes Vorstellung „des zwischen etwas“ 6 als Grundlage dienen. Es ergibt sich also der einfache und klare Zusammenhang zwischen den Raum bildenden Elementen und dem Raum selbst, der in Beziehung zum wahrnehmenden Menschen steht. Die Raum-Begrenzungen bilden einen Raum-Körper, der betreten und erlebt werden kann. Im extremen Fall können die Raumbegrenzungen einen ganz geschlossenen Raum-Körper erzeugen, der ein klar begrenztes Volumen beschreibt. Deutlich wird dies bei Rachel Whitereads Kunstwerk „House“, bei dem mit Hilfe von Beton der „Raum“ eines Hauses als Körper abgegossen ist. Die Außenwände werden zur Schalung und lassen den Raum als Körper sichtbar werden. Es wird der Raum-Körper mit seinen Ein- und Ausstülpungen als Materie sichtbar. Auf der anderen Seite kann ein Raum als offener Raum-Körper existieren und sich über Begrenzungen definieren, die keine geschlossene Hülle bilden. Ein Beispiel für einen solchen Raum ist das Holocaust-Mahnmal in Berlin von Peter Eisenman. Diese Skulpturen-Landschaft bildet einen offenen Raum-Körper, der nach allen vier Seiten hin offen ist. Es wäre in diesem Fall kein klarer Abguss wie bei Whitereads „House“ möglich. Bei der Vorstellung des Raum-Körpers ist das so genannte Dazwischen als ein begrenztes oder offenes Volumen gedacht. Neben dem Verständnis vom architektonischen Raum als offenem oder geschlossenem Körper soll auch die Entwicklung verschiedener Vorstellungen aufgezeigt werden, die zu einem solchen Verständnis führen konnten. Der Begriff des architektonischen Raumes ist von unterschiedlichen Raumvorstellungen geprägt und spiegelt in gewisser Weise das Verhältnis von Architektur und Raum in der jeweiligen Zeit wider. Zuerst hilft die grobe Einteilung, die beiden verschiedenen Vorstellungen von Raum in der Architektur – den dargestellten Raum und den erlebten Raum – voneinander getrennt zu begreifen. Die theoretische Auseinandersetzung mit Raum in der Architektur wird bis ins 19. Jahrhundert immer auf der Ebene des dargestellten Raumes vollzogen. Diese Auseinandersetzungen sind ausschließlich von der Ästhetik, der Proportion und der Geometrie her bestimmt. Das heißt, der dargestellte Raum in der Architektur wird analysiert und bewertet. Raum wird lange als ein statisches System betrachtet, das sich zwar seit der Renaissance mit den Proportionen des menschlichen Körpers auseinandersetzt, aber keinen direkten Bezug zur Wahrnehmung des Menschen bildet. Der erlebte Raum löst sich zwar von der Raumvorstellung eines rein geometrisch dargestellten Raumes ab, bleibt aber im Dialog mit diesem. Die Raumbegrenzungen werden im geometrischen Raum dargestellt und schließlich in Gebautes übertragen. Es geht also vielmehr um einen Zwischenzustand, der sich aus dem Kräftespiel von Mensch, Subjekt und dargestelltem Raum ergibt. Otto Friedrich Bollnow führt Martin Heidegger auf, der zwar nicht zwischen erlebtem und dargestelltem Raum unterscheidet, aber den Bezug zwischen Mensch und Raum auf einer grundsätzlichen Ebene herausarbeitet. „Das ontologische wohlverstandene Subjekt, das Dasein, ist räumlich“.7 Der Mensch steht im Zentrum der Betrachtung und bildet den Ausgangspunkt in jeglicher Hinsicht. Dies bedeutet, dass nach Bollnow der erlebte Raum den dargestellten Raum beinhaltet. „Als dieses Raum bildende und Raum aufspannende Wesen ist der Mensch aber notwendig nicht nur der Ursprung, sondern zugleich die bleibende Mitte seines Raumes.“ 8 Jürgen Joedicke, Raum und Form in der Architektur, Karl Krämer Verlag, Stuttgart 1985, S. 8. Martin Heidegger, „Sein und Zeit“, in: Otto Friedrich Bollnow, Mensch und Raum, Kohlhammer, Stuttgart 1963, S. 22. 8 Otto Friedrich Bollnow, Mensch und Raum, Kohlhammer, Stuttgart 1963, S. 23–24. 6 7

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Raumvorstellung und Raumwahrnehmung — 1

Diese Theorie, dass der Mensch seinen eigenen Raum oder, anders ausgedrückt, seinen eigenen Aktionsradius, Bewegungsraum oder seine eigene Privatsphäre schafft, ändert nach meinem Verständnis grundsätzlich nichts daran, dass der architektonische Raum durch die Wahrnehmung der raumbegrenzenden Elemente gebildet wird. Wichtig ist vielmehr, den Menschen als Wahrnehmenden und als Mittelpunkt von Raumbetrachtungen zu verstehen und nicht den dargestellten Raum des Architekten mit dem erlebten Raum zu verwechseln. Der wahrnehmende Mensch Aufgrund der veränderten Betrachtungsweise des architektonischen Raumes im Laufe des 20. Jahrhunderts, bei der der Mensch im Zentrum des Raumes steht, muss im Folgenden der Mensch mit seinen Sinnesorganen betrachtet werden. Wie kann der Mensch die raumbegrenzenden Elemente wahrnehmen? Joedicke erklärt die Wahrnehmung mit Hilfe des Begriffes „Raumerlebnis“ und bezieht sich auf Aristoteles. „Die Wahrnehmung erfolgt durch die Sinne, zu denen, nach der klassischen Einteilung von Aristoteles, Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten gehören.“ 9 Er ergänzt diese Einteilung, indem er sich an James J. Gibson orientiert, der Riechen und Schmecken zusammenfasst und ein Grundorientierungssystem einführt. Besonders wichtig für das Wahrnehmen des Raumerlebnisses ist nach Joedicke die „Einführung des Grundorientierungssystems, das Empfinden von oben und unten, vorn und hinten oder links und rechts umfasst.“ 10 Verschiedene Studien belegen die Wichtigkeit und Herausstellung dieses sechsten beziehungsweise neuen fünften Sinnes. Alfred A. Tomatis weist auf die frühe Entwicklung des Gleichgewichtsorganes beim Embryo hin. „Er [der Vestibularapparat] gestaltet sich nicht nur schon zu Anfang des embryonalen Lebens aus, sondern beginnt bereits zu dieser Zeit aktiv zu werden.“ 11 Neben dem Grundorientierungssystem, mit dem der Mensch seine Position im Raum wahrnehmen kann, verdichten sich die Reize, denen die Sinnesorgane ausgesetzt sind, zu einer komplexen Raumvorstellung. Je nach Ausbildung und Training der Sinnesorgane erreicht der Mensch die Fähigkeit, seine Umwelt wahrzunehmen und sich in sie einzufühlen. Ein entscheidender Faktor in diesem Zusammenspiel der Sinnesorgane ist die Bewegung. Durch sie kann der Mensch komplexe Räume erst richtig erfassen und durch aktive Überprüfung eine Raumvorstellung mit der zugehörigen Atmosphäre im Kopf erzeugen. August Schmarsow spricht von einer positiven Wechselwirkung von Raumvorstellung und Raumbildung, die das Raumverständnis und die Raumwahrnehmung verbessert.12 Im Ablauf der Bewegungen im Raum kann die Komplexität des Raumes mit den verschiedenen Sinnesorganen, die bewusst selektiv aktiviert werden, besser wahrgenommen werden. Mit Hilfe dieser „bewegten“ Wahrnehmung kann der Raum genauer erfasst und optische Täuschungen können besser entschlüsselt werden. Das Durchwandern beziehungsweise Eintauchen ermöglicht erst das Wahrnehmen der Atmosphären im Raum. Als Beispiel führt Schmarsow St. Peter in Rom an. Dort sieht er in der Ausbildung der Kolonnaden von Bernini die wirkliche Vollendung des Ensembles. Die Kolonnaden werden zum entscheidenden räumlichen Abschluss erklärt, da sie die räumliche Tiefe ermöglichen und zum Wandeln einladen.

Jürgen Joedicke, Architektur und Form, Karl Krämer Verlag, Stuttgart 1985, S. 9. Ebd. 11 Alfred A. Tomatis, „Der Klang des Lebens“, in: Manja Leyk, Von mir aus ... Bewegter Leib – Flüchtiger Raum, Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2010, S. 38. 12 August Schmarsow, Der Werth der Dimensionen im menschlichen Raumgebilde, Hirzel, Leipzig 1896, S. 44–61. 9

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

Joedicke bezieht auch die zeitliche Dimension der Architektur in seine Überlegungen mit ein und sieht das Besondere in der Wahrnehmung des Nacheinander. Das bedeutet, der Wahrnehmungsprozess ist von der Bewegung im Raum innerhalb einer gewissen Zeit abhängig. „Die eingangs gegebene Definition des Raumes als Summe der Beziehungen zwischen Orten muß deshalb dahingehend präzisiert werden, daß Raum die Summe der nacheinander erfahrenen Beziehungen von Orten ist. Die Zeit ist auch hier eine Folge unserer Wahrnehmungen und keinesfalls vergleichbar den drei Dimensionen des Raumes.“ 13 Über das suchende Auge und den suchenden Körper Der Mensch bewegt sich grundsätzlich in seiner Umwelt und nimmt diese aktiv wahr. Gibson spricht von einer Interaktion des Wahrnehmenden. Um Phänomene wahrnehmen zu können, muss der Mensch motorische Prozesse auslösen. Gibson erläutert, dass alleine beim Sehen zehn verschiedene Muskeln aktiviert werden müssen, um ein scharfes Bild zu erlangen. Gibson spricht von einer nach außen gerichteten Aufmerksamkeit, die sich unbewusst abspielt. Er unterscheidet sehr klar zwischen passiven und aktiven „Empfindungen“; er benutzt die Begriffe „sensations“ (Empfindungen) und „perceptions“ (Wahrnehmungen).14 Diese Erkenntnisse haben maßgeblich Einfluss auf das Verständnis des Wahrnehmenden im Raum. Das heißt, man kann von einem suchenden Subjekt ausgehen, das versucht, sich einen Überblick zu verschaffen, um sich zu orientieren. Der Mensch reagiert mit aufmerksam gerichtetem Verhalten, um Informationen über seine Umwelt zu erhalten. Gibson bezieht sich auf Pawlow, der die verschiedenen Einstellungen der Sinnesorgane, wie zum Beispiel die des KopfAuge-Systems oder die des Körper-Hand-Systems, „Erkundungsantworten“ nennt. Diese aktive Aufnahmefähigkeit und Suche kann genutzt werden, um für das Verorten in den räumlichen Gegebenheiten Signale zur Verfügung zu stellen, die klare Reize auslösen. Neben den Bewegungen der einzelnen Sinnesorgane, die durch aktive Anpassung die Umwelt besser wahrnehmen können, spielen verschiedene Bewegungen eine große Rolle bei der Wahrnehmung von Räumen. Das Haltungssystem schafft grundlegend einen Ausgleich von Bewegungen für die Orientierung zum Boden und stabilisiert die vertikale Körperhaltung beim Menschen. Außerdem spielen im Besonderen das Orientierungs-Erkundungs-System und das System der Fortbewegung ein große Rolle bei der Raumwahrnehmung, da es sowohl darum geht, Informationen über die Umgebung zu erlangen, als auch, einen bestimmten Ort zu erreichen. Le Corbusier formuliert den räumlichen Wahrnehmungsprozess und die sich daraus ergebende Entwurfsstrategie für die Architektur der Moderne wie folgt: „Architektur wird durchwandert, durchschritten. […] Ausgestattet mit seinen zwei Augen, vor sich blickend, geht unser Mensch, bewegt er sich vorwärts, handelt, geht einer Beschäftigung nach und registriert auf seinem Weg zugleich alle nacheinander auftauchenden architektonischen Manifestationen und ihre Einzelheiten. Er empfindet innere Bewegung, das Ergebnis einander folgender Erschütterungen. Das geht so weit, daß die Architekturen sich in tote und

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Joedicke, s. Anm. 6, S. 21. James J. Gibson, Die Sinne und der Prozeß der Wahrnehmung, Verlag Hans Huber, Bern/Stuttgart 1982, S. 18, S. 85.

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Raumvorstellung und Raumwahrnehmung — 1

lebendige einteilen lassen, je nachdem, ob das Gesetz des Durchwanderns nicht beachtet oder ob es im Gegenteil glänzend befolgt wurde.“ 15 Diesen Beobachtungen Le Corbusiers gehen grundlegende Gedanken zu räumlichen Sequenzen in seiner Veröffentlichung „Vers une architecture“ 16 voraus, die das Durchwandern der Akropolis mit Hilfe der Zeichnungen von Auguste Choisy darlegen. Wahrnehmung von Bewegungsräumen Räume, die Übergänge bilden, sind offene Raum-Körper, die in der Bewegung wahrgenommen werden. Sie sind meist nur teilweise von räumlichen Begrenzungen gefasst und ermöglichen in offener oder in gefasster Weise den Zugang. Für die Betrachtungen von Übergängen bildet die phänomenologische Sichtweise des Raumes die Grundlage. Sie bezieht aber das architektonische Raumverständnis von Joedicke mit ein, indem sich der Mensch genau in dem Dazwischen bewegen kann. Der Mensch bewegt sich zwischen den Raum bildenden Elementen. Er spannt seine eigene Wahrnehmungssphäre auf, die zusammen mit den Raum-Körpern den architektonischen Raum bildet. In gewisser Weise kann diese Vorstellung eines Bewegungsraumes nicht ohne die theoretischen Grundlagen der Raumbetrachtung des 20. Jahrhunderts entstehen, die in den vorherigen Abschnitten skizziert wurden. Erst durch den Menschen, der ins Zentrum der Raumbetrachtung rückt, wird ein solcher wahrnehmbarer Raum eingeschätzt und nachvollzogen. Die Architekten der Moderne stellen in ihren Konzeptionen den wahrnehmenden Menschen ins Zentrum ihrer architektonischen Entwürfe. Aus dieser Denkweise heraus lässt sich die Anschauung eines zusammenhängenden Bewegungsraumes verstehen. Er ist ein Raum, der sich aus der Vorstellung eines Raumkontinuums entwickelt, das bedeutet, die Raumfolge lässt sich jeweils wie eine „Enfilade“ denken und entwerfen. Das sich ankündigende Raumereignis kann den wahrnehmenden Menschen weiterführen und leiten. Die Idee, einen Raum als offenen Raum-Körper beziehungsweise als Feld zu gestalten, ist nach Joedicke aber keine Erfindung des 20. Jahrhunderts, dennoch skizziert er eine besondere Raumauffassung, die sich in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Bei dieser wird die Wand vermehrt aufgelöst und innen und außen als ein Kontinuum und Raumfeld verstanden. 17 Die Wahrnehmung von zusammenhängenden Bewegungsräumen erfolgt analog der allgemeinen Wahrnehmung von Räumen, nämlich in einem Zusammenspiel der verschiedenen Sinnesorgane. Der Bewegungsraum ist charakterisiert in seiner Funktion als Übergangsraum, das heißt, er ist Wegraum mit Verteilungs- oder Umlenkungsfunktion. Das bedeutet, er wird überwiegend im Durchschreiten wahrgenommen, im Gegensatz zum Ortraum, der als Aufenthalts- oder Ruheraum dient. Für die Wahrnehmung von Bewegungsräumen sind dazu die Beobachtungen von Gibson entscheidend: „Alle Wahrnehmungsorgane dienen dazu die Richtung der Fortbewegung zu regulieren, [...] In dieser Hinsicht fungieren alle wie ein einziges Orientierungssystem; denn alle sind geeignet zum Ziel zu führen.“ 18

Le Corbusier, An die Studenten. Die „Charte d’Athènes“, Rowohlt, Hamburg 1962. Le Corbusier, Vers une architecture, Crès, Paris 1923. 17 Joedicke, s. Anm. 6, S. 18–19. 18 Gibson, s. Anm. 14, S. 20. 15 16

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

Besonders wichtig für die Rückkopplung der eigenen Position im Raum scheint das Vestibularorgan (Gleichgewichtsorgan) zu sein, denn es bildet die Basis für die anderen Sinnesorgane. Es orientiert sich an der Schwerkraft und gibt dem Menschen Informationen über die Neigung der Bodenebene und die eigene Fortbewegung im Raum. Neben visuellen und akustischen Reizen scheinen Bewegungen nach rechts innerhalb von Gebäuden für die meisten Menschen die natürliche Richtung zu sein. Bei der Gestaltung von Einkaufsbereichen werden rechts vom Eingang aus gesehen oft die umsatzstärksten Artikel platziert. Außerdem wird bei Rundgängen meist mit Systemen gearbeitet, die den Kunden erst nach rechts führen und dann den Weg im entgegengesetzten Uhrzeigersinn fortsetzen. Diese Wegeführung für Bewegungsräume mit Verkaufsangeboten ist eine Reaktion auf Studien, die den Kunden eine Orientierung nach rechts nachweisen. Erklärt werden kann dieser automatische „Rechtsdrall“ 19 mit der dominanten linken Gehirnhälfte für Bewegungsabläufe, welche die rechte Körperhälfte steuert. Es stellt sich die Frage, in welcher Weise der Architekt beim Entwurf und der Ausführung des räumlichen Übergangs auf die physiologischen Funktionen des Menschen reagieren kann. Er könnte dabei eindeutige Gestaltungsmotive nutzen, um den Ankommenden erkennbare Signale zu geben, welche die Orientierung im Raum erleichtern. Diese Klarheit kann den Benutzer leiten und zum anvisierten Ziel führen. Speziell bei Eingangssituationen verwirren schwache Kontraste in der Raumbegrenzung den Ankommenden und überlassen ihn orientierungslos sich selbst. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Übergänge und damit das Passieren von Schwellen im Besonderen mit Zwischenzuständen zu tun haben. Zum einen befindet sich der wahrnehmende Mensch räumlich gesehen im Dazwischen. Zum anderen kommt noch der Zwischenzustand innerhalb von zwei Raumbereichen, zum Beispiel innen und außen, dazu. Es könnte so gesehen von einem doppelten Zwischenzustand geredet werden. Das Dazwischen besitzt zusätzlich für den Passanten insofern eine Offenheit, weil er sich noch umentscheiden kann; es gibt die Möglichkeit des „Zurück“. Historische Schwellen-Räume Im Folgenden werden charakteristische Beispiele der Baugeschichte, die einen Beitrag zum Thema Übergang liefern, untersucht. Dabei wird zunächst das bautechnische Element Schwelle erklärt und anschließend die räumliche Dimension des Schwellenmoments verstärkt betrachtet. Die Akropolis nimmt innerhalb dieser Auswahl eine Schlüsselrolle ein, da sie im Besonderen das räumliche Verhältnis zwischen innen und außen veranschaulicht. Der Außenraum verbindet die profane mit der göttlichen Welt. Das Pantheon in Rom legt mit dem kompakten Portikus eine Art Prinzip hinsichtlich der Bildung des Übergangs zu Grunde. Das gotische Portal baut auf der Konzeption des Pantheons auf, indem es als zeichenhafte Raumbegrenzung wahrgenommen werden kann. Der Übergangsraum des gotischen Portals ist in seiner Ausdehnung als Körper kompakt und erlangt in seinen durch Skulpturen reich bebilderten Gewänden eine sehr starke Intensität und leitet den Prozessionsweg ein.

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Hans-Georg Häusel, Brain Script, Haufe Mediengruppe, Freiburg/Berlin/München/Zürich 2004, S. 191–193.

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Historische Schwellen-Räume — 1

Anders als die gotischen Portale lassen sich die Übergangsräume des japanischen Wohnhauses deuten. Hier ist zwar auch eine durch Rituale gesteuerte Annäherung möglich; es fehlt aber die Inszenierung des Eingangs als leicht lesbares Element. Die Verknüpfung zwischen außen und innen und deren schichtenhafte Gliederung mit Hilfe der Schiebeelemente stehen im Vordergrund. Das Unterkapitel Auflösung des Grundrisses im 20. Jahrhundert zeigt die Analogien auf, welche die Architektur, die sich in der Tradition der Moderne sieht, mit denen von traditionellen japanischen Wohnhäusern besitzt. Es wird erklärt, wie eine räumliche Ambivalenz aufgebaut wird und Räume einen offenen – oder geschlossenen – Übergang bilden. Wie kann ein aufgelöster Eingangsbereich stufenhaft und dennoch eindeutig den Übergang zwischen innen und außen definieren? Die aufgeführten historischen Beispiele sollen als eine Grundlage für die Betrachtung zeitgenössischer Architekturen dienen. Bei der Auswahl ging es darum, repräsentative Beispiele zu finden, die für die Analyse des Übergangs relevant sind. Schwellen – Türschwellen Die Schwelle ist eines der elementaren Bauteile. Sie bildet als Balken den unteren Abschluss der Wandöffnung und schließt oder öffnet in Verbindung mit einer Tür eine Wand. Es kommt diesem Bauteil also von Anfang an eine doppelte Funktion zu: die des Passierens und Schließens. Diese grundlegend funktionale Aufgabe lässt sich in den verschiedensten Baukulturen erkennen. Im Detail wird die Schwelle in unterschiedlicher Weise ausgeführt. Baukulturen mit ihren heterogenen Bauweisen erarbeiten komplexe konstruktive Lösungen für Schwellendetails gemäß ihren Bautraditionen. Es werden Schwellen aus Holz, Naturstein, Metall und Beton entwickelt. Zusätzlich wird die Ausbildung der Schwellendetails von den Schwellenritualen beeinflusst. Arnold van Gennep beschäftigt sich in der Veröffentlichung „Übergangsriten“ ausführlich mit diesem Thema und erklärt sowohl die Analogien der Riten in den verschiedenen Kulturen als auch den Zusammenhang zwischen Ritual und Raum. Er teilt die „Räumlichen Übergänge“ in drei Phasen ein: „Trennungsriten, Schwellen-Umwandlungsriten und Angliederungsriten“.20 Das besondere Erlebnis, eine Schwelle zu passieren, führt zu der kulturellen Entwicklung von Ritualen. Diese Rituale fixieren den Moment des Übergangs, indem sie auf die Gestaltung der Schwelle einwirken, die zum Beispiel in Überhöhungen und/oder kleinteiliger künstlerischer Verzierung sichtbar gemacht wird. Bei römischen Bauten wurde die Türschwelle in hoher Präzision ausgeführt. Besonders gut erhalten ist die Türschwelle des römischen Handelshauses in Walheim. Sie wird auf das Jahr 160 n. Chr. datiert. Die Schwelle aus Granit weist komplexe Aussparungen und unterschiedliche Niveaus auf. Sie war sehr genau auf die Verbindung von Innen- und Außenraum angelegt. Auch im chinesischen Kulturkreis haben Türschwellen eine starke Detaillierung erhalten. Die Holzschwellen sind aus praktischen Gründen überhöht ausgeführt worden, um Tiere am Eindringen ins Haus zu hindern. Deshalb konnte die Tür offen bleiben und es ergab sich ein direkter Bezug zwischen außen und innen. Diese Funktion wurde bei Palastbauten ritualisiert und kommt besonders gut in der „Verbotenen Stadt“ in Peking zum Ausdruck. Die Schwellen sind bis zu 20 Zentimeter hoch und sollen die Bewohner des Inneren vor bösen Geistern schützen.

20

Arnold van Gennep, Übergangsriten (Les rites de passage), Campus Verlag, Frankfurt am Main 1986, S. 29.

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

Die Akropolis Die Akropolis liegt auf einem 270 Meter langen, 136 Meter breiten und 156 Meter hohen Tafelberg. Im Vergleich zur Stadt Athen erhebt er sich um 80 Meter und im Vergleich zur unmittelbaren Umgebung um 40 Meter. Nach Norden, Osten und Süden fällt der Berg steil ab, nach Westen läuft er schräg gegen den Areopag aus. Das Plateau des Berges bildet eine Fläche von 37 000 Quadratmetern. Erste Mauerstrukturen markierten zwischen 1580 und 1100 v. Chr. den Ort. Ab 800 v. Chr. wurde der Tafelberg ausschließlich als Heiliger Bezirk, mit dem Eingangstor an der Westseite, genutzt. Nachdem 479 v. Chr. die Perser die Tempel zerstört hatten, war zuerst ein Wiederaufbau strittig. Es wurde überlegt, eine Ruine als Mahnmal zu erhalten. Schließlich aber wurde Phidias durch Perikles mit der Planung beauftragt. Folgende Bauwerke entstanden: Parthenon 447–438 v. Chr. Propyläen 437–432 v. Chr. Nike-Tempel 432–421 v. Chr. Erechtheion 421–406 v. Chr. Für die Betrachtung von Schwellen und Übergängen ist die Akropolis von wesentlicher Bedeutung. Die Heiligtümer werden neu gebaut und feinjustiert, bleiben aber an ihren Standort gebunden. Der Parthenon verlagert das architektonische Gewicht auf die Südseite. Es entsteht der Festplatz mit dem Athena-Standbild an der Stelle des alten Athena-Tempels zwischen dem Parthenon und dem Erechtheion. Dieser neue Raum wird Teil eines zusammenhängenden Erlebnisraumes. Mit der neuen Gesamtkonzeption der Akropolis wird die übliche Autokratie der Einzelbauwerke überwunden und mit der Planung der einzelnen Architekturen und dem dazwischen liegenden Raum ein neues Ganzes formuliert. Der Weg durch diesen Außenraum ermöglicht ein „stufenhaftes“ Eintauchen und ein besonderes architektonisches Erlebnis. Die einzelnen Tempel werden zusammen mit den Mauern und den Wegen zu Raum begrenzenden Elementen. Sie bilden als Begrenzungen einen zusammenhängenden Außenraum (Abb. 1). Der Raum-Körper ist kein willkürliches Gebilde, sondern stellt sich als geplanter Zwischenraum dar (Abb. 1 und 2). Des Weiteren ist die Betrachtung der Propyläen als Torbau wichtig; sie bilden eine differenzierte Verengung und Fassung des Außenraumraumes und vermitteln zwischen außen und innen. Die Rampe in der Treppenanlage führt den Ankommenden in einer sehr geschickten Weise und legt eine Spur für das Erleben des Raumes. Der Tafelberg macht als erhöhter Ort den Anfang der Inszenierung. Indem man sich dem Ziel von unten nähert, hat der Sich-Annähernde die einzelnen Gebäude zuerst nur als Silhouette im Blick. Es entsteht ein „Fernbild“, welches den Parthenon zuerst kleiner und untergeordnet erscheinen lässt und so eine Balance zum wirklich kleineren Erechtheion herstellt. Der sehr kleine Nike-Tempel wird Blickpunkt. Der in Serpentinen geführte Prozessionsweg endet zuerst in den vorspringenden dreiflügeligen Propyläen. Dieser Vorhof des „vor dem Tor Gebauten“ 21 führt durch eine Säulenhalle, die seitlich begrenzt ist. Die Propyläen sind in Höhe und Tiefe gestaffelt und lassen den Heiligen Weg durch eine breite Rille in den Stufen aufwärts ansteigen. Die Verbreiterung des Mitteljoches betont die mittige Aufwärtsbewegung. Der Raum im Blickfeld des Aufsteigenden

Vgl. Propyläen bedeutet im Wortsinne „(Vorbau) vor den Toren“, Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion, Duden, Das große Fremdwörterbuch, Dudenverlag, Mannheim 1994, S. 1124.

21

22

Historische Schwellen-Räume — 1

Abb. 1: Akropolis, Schwellenraum-Begrenzungen

Parthenon Erechtheion

Propyläen

Nike-Tempel

Abb. 2: Akropolis, Schwellenraum-Körper

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

wird stufenweise von außen nach innen verengt und erweitert; es entsteht eine aufregende, abwechslungsreiche Raumfolge. Die Säulen am inneren Rand der Propyläen rahmen seitlich den Parthenon und zielen in axialer Richtung auf das leicht verdrehte Athena-Standbild und den Festplatz. Der Parthenon ist auch etwas verdreht und kann so sein räumliches Volumen präsentieren. Es wird durch die Säulen im Blick gerahmt und wirkt besonders imposant in dieser „Klammerung“. Der weitere Weg verläuft wie selbstverständlich um den gesamten Tempel herum (Abb. 3). Das Allerheiligste kann geschützt von der „Hinterseite“ des Tempels betreten werden. Der intime Ort der Cella mit dem Kultbild wird versteckt. Der Umgang um den Baukörper steigert die Erwartung und betont die Wichtigkeit der langsamen Annäherung. Dieses Motiv der besonderen Wegführung wird von Choisy 22 und Le Corbusier 23 notiert und dient für viele Planungen als Vorbild. Die Eingangssequenz für das im Jahre 2006 fertig gestellte Musée du Quai Branly in Paris von Jean Nouvel weist erstaunliche Parallelen auf (Abb. 4). Der höhere Ostgiebel bringt den Torbau als drittes Hauptelement innerhalb der Gesamtkonzeption zur Geltung und verdeutlicht seine Stellung in Bezug auf die beiden anderen Haupttempel. Des Weiteren weisen die dorische Säulenfront und die im Inneren benutzten ionischen Säulen den Bau als „Zwitter“ aus. Diese Mischung wurde bei Tempeln nie ausgeführt, es entsteht ein eigener Bautyp. Abb. 3: Akropolis, Schwellenraum-Sequenz

Abb. 4: Musée Quai Branly, Schwellenraum-Sequenz

Parthenon

AthenaStandbild

Propyläen

Nike-Tempel

22 23

Auguste Choisy, Histoire de l’architecture, 2 Bde., 1899. Le Corbusier, s. Anm. 16.

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Historische Schwellen-Räume — 1

Das Pantheon Das Pantheon wurde in Rom an der Stelle des unter Agrippa im Jahre 27 v. Chr. entstandenen, achteckigen Tempels an der Piazza della Rontonda errichtet. Unter der Herrschaft Hadrians wurde in den Jahren 118–125 n. Chr. das Pantheon als Zentralbau mit Portikus gebaut. Als Tempel diente der Bau wahrscheinlich für die Verehrung der sieben Planetengötter. Nach der Schenkung an Papst Bonifatius IV. im Jahre 609 wurde der Tempel in eine Kirche umgestaltet. Gegenwärtig wird das Pantheon als Mausoleum genutzt. Für das Verständnis von Schwellen und Übergängen ist auch das Pantheon, ähnlich wie die Akropolis, von grundsätzlicher Bedeutung. Die Abfolge des Übergangs wird bei diesem kompakten Bau in mehrere Stufen fein gegliedert. Der komplexe, zusammenhängende Übergangsraum steht im starken Kontrast zum symmetrischen Grundriss des Hauptraumes. Dieser bezieht sich streng auf eine einbeschriebene Kugel mit einem Durchmesser von 43 Metern. Der Übergang wird von drei Körpern und deren Raum bildenden Elementen gestaltet: der Vorhalle, dem Übergangskörper und der Öffnung des Hauptraumes (Abb. 5 und 6). Abb. 5: Schwellenraum-Begrenzungen

Hauptraum

Übergangskörper

Vorhalle

Hauptraum

Schwellenraum-Körper Abb. 6: Schwellenraum-Sequenz

Plazza della Rontonda

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

Zuerst schafft der Vorplatz, die Piazza della Rontonda, die heute höher liegt als zur Bauzeit, den ersten Sichtkontakt zum erhöht liegenden Pantheon. Der Portikus wird mit seinen Treppen als Zeichen des Eingangs verstanden. Die Säulen bilden eine durchlässige Grenze, eine Schwelle. Der Vorbau versetzt den Eintretenden in einen räumlichen Zustand des Dazwischen-Seins. Der Besucher befindet sich noch im Außenraum, dessen Raum bildende Elemente einen offenen Innenraum schaffen. Das Zwischenelement und dessen Geometrie kann beim Durchschreiten nicht als Ganzes verstanden werden. Allein die Granitschwelle zeigt an, dass man sich zwischen Portikus und Hauptraum befindet. Innerhalb des Zwischenelements bewirkt die Tür mit der tiefen Granitschwelle eine Verlangsamung der Annäherung und einen bewusst erlebbaren Übergang. Jedoch befindet sich der Besucher noch nicht im Hauptraum, sondern in der Öffnung des Außenrings, die sich als eine leichte räumliche Aufweitung an die Enge des Türrahmens anschließt. Erst jetzt verlässt er den zusammenhängenden Übergangsraum und befindet sich im Hauptraum unter der Kuppel und der Öffnung der Kuppel. Der beschriebene Raum entlang des Weges bereitet den Besucher auf das räumliche Erlebnis des Kuppelraumes vor. Es ist ein stark gegliederter Raum, der in seiner Komplexität zwischen den Richtungen des Außen und Innen eindeutig vermittelt. Die gerichteten Übergangsräume kreieren eine starke räumliche Verengung und einen wahrnehmbaren Kontrast, der das räumliche Erlebnis des Hauptraumes erst ermöglicht. Die räumliche Sequenz der Schwellen-Räume lässt das menschliche Auge erst die Helligkeitsanpassung vollziehen, um den Lichteinfall durch das Oculus entsprechend wahrzunehmen. Das gotische Portal Das gotische Portal ist ein künstlerisch gestalteter Eingang. Das Vorbild dieses abendländischen Portals ist der römische Triumphbogen.24 Besondere Ausführungen findet man bei Kirchenbauten. Seit der Romanik kann man eine intensive Auseinandersetzung mit dem Eingangsbereich beobachten. Die Portale spiegeln im kleinen Ausschnitt sehr genau die einzelnen Form- und Raumauffassungen der Architektur wider. Das gotische Portal nimmt in seiner reichen künstlerischen Gestaltung und seiner räumlichen Dimension eine Sonderstellung ein. Die Gewände und das Tympanon werden genutzt, um Geschichten mit Hilfe von Skulpturen zu erzählen. Diese narrative Funktion, unterstützt durch die schräge Stellung der Gewände, erzielt eine extrem räumliche Wirkung. Selbst der Türpfeiler in der Symmetrieachse ist bei manchen Kirchen mit einer Figur gestaltet, wie zum Beispiel in Chartres. Hinzu kommen bei der Kathedrale in Chartres die Stufen, die das Raumerlebnis durch das Hinaufsteigen erweitern. Die gotische Portalanlage könnte man als Schwellen-Raum (Abb. 7) bezeichnen, da die sonst im Innenraum von Kirchen dargestellten Bildprogramme mit Hilfe der Figuren in den Außenraum verlagert werden. Die Wahrnehmung dieser skulpierten Programme ist auf die Abfolge der Annäherung ausgerichtet. Die Figuren scheinen sich mit ihrem Körper dem Eintretenden entgegenzudrehen und ihn anzusprechen. Aus der Ferne bilden die Figuren ein einheitliches Gesamtbild. Die einleitende Geste des Portals ist wie ein Vorspann zum Kirchenraum und bereitet den Sich-Nähernden auf ihn vor. Bei großen gotischen Kathedralen ist die Tiefe der Portalanlagen gewaltig, in Chartres beträgt das mittlere nördliche Hauptportal mehr als 3 Meter. Die Portalanlagen bilden in ihrer Dreischiffigkeit die innere Struktur der Kathedralen nach außen ab. Sie sind von Weitem als Zeichen des Zugangs erkennbar und bauen mit Hilfe ihrer räumlichen Staffelung eine perspektivische Sogwirkung auf. Der zusammenhängende Raum-Körper (Abb. 8) wird als Raum erlebbar.

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Historische Schwellen-Räume — 1

Abb. 7: Schwellenraum-Begrenzungen

Abb. 8: Schwellenraum-Sequenz

Ein weiteres Beispiel aus der Gotik ist die Portalanlage der Kathedrale in Reims. Joedicke betont die Wichtigkeit der Skulpturen als Elemente der Einstimmung. „Der Ort des Übergangs in die Kirche wird durch die bildnerische Darstellung der Heilsgeschichte ausgezeichnet.“ 25

24 Wilfried Koch, Baustilkunde: Das Standardwerk zur europäischen Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart, Bertelsmann Lexikon Verlag, München 1994, S. 442. 25 Joedicke, s. Anm. 6.

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

Das japanische Wohnhaus Das japanische Wohnhaus ist in zweierlei Hinsicht interessant für die Betrachtungen des Übergangs. Einerseits sind japanische Eingangsbereiche als Übergangsräume überhaupt bemerkenswert. Bruno Taut beschreibt in seinem Buch „Das japanische Haus“ 26 das Betreten seines neuen Hauses in Japan sehr genau. Er erklärt zum Beispiel die Funktion des Übergangsraums für das Ritual des Ablegens der Schuhe. Andererseits hat der besondere räumliche Bezug zwischen innen und außen generell Einfluss auf die Konzeptionsfindung der Architektur der Moderne. Durch die flexiblen Wandelemente entsteht im Bezug zum Wohnraum ein schichtenhafter Übergang zwischen innen und außen, aus dem wiederum ambivalente Räume des Dazwischen resultieren. Das einfache Anheben der Wohnräume um 40 Zentimeter gegenüber dem Niveau des Terrains und das niveaugleiche Anschließen des Vorraumes bilden den klaren räumlichen Bezug des Übergangsraumes zum Außenraum (Abb. 9). Der Boden ist in Zement oder Fliesen ausgeführt und verdeutlicht diesen Außenkontakt. Eine 40 Zentimeter hohe Holzstufe bildet den Anschluss an das Niveau des Wohnraumes; sie nimmt ein Drittel des quadratischen Vorraumes ein. Dieser Einbau ist funktional direkt auf das Ritual des Schuhe-Ablegens ausgerichtet (Abb. 10). Hier verstaut der Eintretende die Schuhe und er hat die Möglichkeit sich während des Ausziehens auf die Stufe zu setzen. Danach kann er, auf der Stufe stehend, die zweite Tür wegschieben und in den Wohnraum eintreten, der für ihn einen Boden aus Tatamimatten bereitstellt. Abb. 9: Isometrie nach Skizzen von Bruno Taut

Abb. 10: Schwellenraum-Körper mit Schwellenraum-Begrenzungen

Angehobenes Niveau 40 cm Schuhablage

Eingangstür

26

Bruno Taut, Das japanische Haus und sein Leben, Gebr. Mann Verlag, Berlin 1997, S. 4–5.

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Historische Schwellen-Räume — 1

Die sensible Abstufung von innen und außen wird im Besonderen bei der Veranda und dem Mattenraum deutlich (Abb. 11). Dieses Übergangssystem ist in zwei Ebenen mit innen- und außenliegenden Schiebetüren realisiert. Die Bodenniveaus sind annähernd gleich, der Mattenboden liegt im Inneren 4 Zentimeter höher, um die Matten vor Regen zu schützen. Die Decke betont mit ihrer Höhe den Mattenraum und fällt im Bereich der Veranda ab. Der innere Mattenraum wird durch eine transparente Schiebetürwand abgetrennt. Die anschließende Veranda wird an ihrem äußeren Rand durch eine zweite, transluzente Ebene von Schiebetürwänden begrenzt. Die zweite, mittlere Schicht kann nur von innen verschlossen werden. Das gilt für das gesamte Haus. Die dritte, äußere Schicht kann mit weiteren Holzelementen komplett verschlossen werden. Die Läden sind in taschenartigen Verschlägen gelagert. Das beschriebene System lässt das Haus auf die Jahreszeiten und Tageszeiten reagieren. Die verschiedenen Stellungen der Schiebeelemente definieren jeweils eine andere Art des Übergangs. Die unklare Grenze zwischen innen und außen wird durch verschiedene Möglichkeiten der sich überlagernden Systeme erreicht (Abb. 12). Bei zeitgenössischen Projekten findet dieses Prinzip in vielen Varianten Anwendung. Jean Nouvel gestaltet zum Beispiel für die Fondation Cartier gestaffelte, transparente Schichten, die sich teilweise dem Gebäude vorlagern. Die Zwischenräume, die sich bei diesem System ergeben, bilden einen Schwellen-Raum.

Abb. 11: Japanisches Haus, Grundriss

Veranda

Mattenraum

Eingang

Abb. 12: Japanisches Haus,„erweiterbare Grenze“ außen

innen

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

Passagen Passagen sind aufgrund ihrer besonderen Atmosphäre Inspirationsquelle. Zum Beispiel für Walter Benjamin, der eine philosophische Abhandlung mit dem Titel „Passagen Werk“ 27 verfasst hat. In seinem ausführlichen Werk beschreibt er die Atmosphäre der Stadt Paris. „Dreizehn Jahre lang, von 1927 bis zu seinem Tod 1940, arbeitete Benjamin an dem als Hauptwerk geplanten Buch über Paris, dem sogenannten Passagenwerk: einer materialen Geschichtsphilosophie des 19. Jahrhunderts.“ 28 Neben dieser philosophischen Betrachtung von Benjamin schafft J. F. Geist mit seiner zum Standardwerk avancierten Veröffentlichung eine unersetzliche Grundlage für die Betrachtungen der Passage im Kontext von Architektur und Stadtplanung. Es werden Passagen katalogisiert und zeichnerisch gegenübergestellt. Ausführungen zur Bezeichnung „Passage“ tragen zum Verständnis des Übergangs bei. Geist listet Begriffe auf, die im allgemeinen Sprachgebrauch für Passage benutzt werden: „Straße, Fahrbahn, Durchfahrt, Durchgang, Durchreise, Überfahrt, [...]“ und führt weiter aus: „Allen Bedeutungen, ob sie sich räumlich oder zeitlich manifestieren, haftet etwas Gemeinsames an: sie drücken einen Übergang aus, eine Schwelle, einen Ablauf, eine bemessene Strecke oder etwas, das vergeht. Es passiert etwas − die Bewegung wird zum Ereignis.“ 29 Hierbei wird deutlich, dass eine Passage per se ein Schwellen-Raum sein kann. Sie trägt die Ambiguität in sich; sie verbindet Straßenräume und schließt gleichzeitig die Straßenfront des Häuserblocks. Andererseits formuliert sie klar den Übergang vom Straßenraum zu einem in der Passage liegenden Geschäft. Sie lädt zum Wandeln ein. Die Angebote in den Schaufenstern können, vom Wetter geschützt, betrachtet werden. Außerdem fällt durch die geradlinige Raumstruktur der Passage das Sich-Orientieren innerhalb der Passage sehr leicht. Der Flaneur kann sich kontrolliert „verführen“ und treiben lassen. Frank Hessel beschreibt in „Ein Flaneur in Berlin“: „Langsam durch belebte Straßen zu gehen, ist ein besonderes Vergnügen. Man wird überspielt von der Eile der anderen, es ist ein Bad in der Brandung. Aber meine lieben Berliner Mitbürger machen einem das nicht leicht, wenn man ihnen auch noch so geschickt ausbiegt. Ich bekomme immer misstrauische Blicke ab, wenn ich versuche zwischen den Geschäftigen zu flanieren. Ich glaube, man hält mich für einen Taschendieb.“ 30 Unter Passage versteht man ursprünglich eine zwischen zwei Straßenräumen liegende gläserne Verbindung, die mit weiteren Funktionen, wie zum Beispiel Geschäften, angereichert ist (Abb. 13). Sie wird zum Lebensraum, der seine eigene Atmosphäre des Dazwischen besitzt. Der Raum ist weder Innenraum noch Außenraum (Abb. 14). Seine Kraft liegt in der Verknüpfung des Privaten und des Öffentlichen. Geist definiert: „Das illusionistische Element der Passage ist der Passagenraum: gedachter Außenraum als Innenraum − ins Innere hineingezogene Fassade mit Außenarchitektur.“ 31 Bestimmte Materialien, wie zum Beispiel das des Bodenbelags, erzeugen innerhalb von Passagen eine Atmosphäre des „Draußen“. Entscheidend für das Gefühl, in einen Außenraum einzutreten, sind sicherlich die große Öffnung und das Fehlen einer Tür oder eines Tores. Man lässt sich − wie

27 Walter Benjamin, Gesammelte Schriften: Band V: Das Passagen-Werk. 2 Teilbände, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1982. 28 Ebd., Einband. 29 J. F. Geist, Passagen, ein Bautyp des 19. Jahrhunderts, Prestel, München 1969, S. 11. 30 Franz Hessel, Ein Flaneur in Berlin, Das Arsenal, Berlin 1984, S. 7. 31 Geist, s. Anm. 29, S. 30.

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Historische Schwellen-Räume — 1

selbstverständlich − in den großzügigen, weiten Raum treiben. Die Halle mit der großflächigen Verglasung besitzt eine helle, freundliche Lichtstimmung. Man befindet sich in einem innenliegenden Außenraum. Herman Hertzberger führt aus: „Die hohen, langen Passagen mit ihrem Oberlicht vermitteln das Gefühl eines Innenraumes; sie sind also zugleich ‚innen‘ und ‚außen‘. Das Innere und das Äußere gehen so eng ineinander über, daß man nicht sagen kann, ob man sich im Inneren eines Gebäudes befindet oder im verbindenden Raum zwischen zwei getrennten Bauten.“ 32

Abb. 13: Schwellenraum-Begrenzungen

Häuserblock

Geschäfte

Straßenraum

Abb. 14: Schwellenraum-Körper

Herman Hertzberger, Vom Bauen, Aries, München 1995, S. 74.

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

Die Auflösung des Grundrisses im 20. Jahrhundert Die Ideen der Raumauffassungen am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts beeinflussen die Wahrnehmung des Übergangs in besonderer Weise. Die Architekten der Moderne lehnen es vermehrt ab, Räume additiv zu verbinden, sondern entwerfen ein Raumkontinuum. Frank Lloyd Wright verbindet 1902 bei dem von ihm entworfenen Willits House die Haupträume mit Hilfe eines Raum übergreifenden Einbaus, in dem Kamin und Stützen integriert sind. Dieser freistehende Baukörper scheint Extremitäten auszubilden, die sich jeweils in den nächsten Raum drücken. Es entstehen Übergänge, die mit wenig Tageslicht und räumlicher Verengung zwischen den verschiedenen Haupträumen vermitteln. Durchschreitet man diese Übergangszonen, wird man flüssig um die Ecke in den jeweiligen nächsten Raum geführt. Die Raumfolgen werden von der Inszenierung des Verlassens eines Raumes und des Ankommens in einem neuen Raum bestimmt. Der Übergang ermöglicht das Erleben verschiedener Raumatmosphären in einer zusammenhängenden Abfolge. Mies van der Rohe löst den geschlossenen Grundriss mit der Planung des Barcelona Pavillons radikal auf. Er trennt die konstruktiven von den Raum bildenden Elementen und kann dadurch die Kontinuität der Raumfolge freier gestalten. Das Wechselspiel zwischen geschlossenen und offenen Bereichen ermöglicht dem Besucher dieses neue Raumerlebnis. „Dabei ist wie bei Wright das Prinzip erkennbar, dass weiträumigere Bereiche durch schmalere Übergangselemente voneinander getrennt und miteinander verbunden sind.“ 33 Le Corbusier entwirft in der Villa La Roche in Paris 1928 eine komplexe, innenliegende „promenade architecturale“, die helfen soll, eine neue Wahrnehmung für die kubistische Kunst zu entwickeln. Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Raumgestaltung des 20. Jahrhunderts ist der besondere Umgang mit Glas und transparentem Kunststoff, der neue Möglichkeiten des Öffnens und Schließens von Räumen freilegt. Die durchsichtigen Scheiben werden als Raum bildende Elemente eingesetzt und bilden eine transparente Grenze. Die Raumgrenze scheint sich, bei manchen Projekten verschieben zu lassen. Exemplarisch stehen für diese Konzeption die Panoramafenster der Villa Tugendhat, die komplett versenkt werden können. Auch Richard Neutra versteht es, im Entwurf für das Health House die räumliche Grenze bis in die Landschaft zu verschieben. Erreicht wird dies durch versteckte Profilierungen der Fensterelemente und räumliche Überlagerungen von Innen- und Außenraum. Die Glasscheiben und die schlanke Stahlkonstruktion ermöglichen einen weiten, freien Blick in die Landschaft. Richard Neutra lässt bewusst Materialien über die Grenze zwischen innen und außen hinweg verlaufen. Es entstehen räumliche Situationen, die im Innenraum einen Außenraum suggerieren. Es lässt sich, wie Joedicke beschreibt, eine Gemeinsamkeit der Raumbildung für die Architektur der Moderne herausarbeiten. „Sie ist gekennzeichnet durch die Folge miteinander verbundener und ineinander übergehender Räume, durch offene Räume, sie ist gekennzeichnet durch Raumfolgen, die beim Durchschreiten ständig neue Perspektiven eröffnen, sich ständig verändern.“ 34

33 34

Joedicke, s. Anm. 6, S. 165. Ebd.

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Übergänge in der Kunst — 1

Gerald Staib erklärt die Entwicklungsgeschichte der neuen Raumfolgen mit Hilfe der „EisenBeton-Glas-Konstruktionen“ 35 und der „zunehmenden Auflösung des traditionellen massiven Gebäudezyklus. Frank Lloyd Wright nennt es die ‚Zerstörung der Kiste‘.“ 36 Diese Gemeinsamkeiten lassen den Schluss zu, dass es einen neuen, modernen Umgang mit der Schwelle gibt. Es entsteht ein neuer Übergangsraum, ein Schwellen-Raum, der auch in seiner Konzeption als Kontinuum gedacht und entworfen worden ist. Der Übergang wird aktiv gestaltet, bekommt seinen eigenen Ort. Übergänge in der Kunst Die Auseinandersetzungen vieler bildender Künstler mit Raum haben am Ende des 20. Jahrhunderts auffallend zugenommen und häufig wird dabei die räumliche Schwelle thematisiert. Die Schwelle wird als Instrument, das den Weg verlangsamt und die Geschwindigkeit des Wahrnehmenden entschleunigt, benutzt. Andere Künstler beschäftigen sich mit dem räumlichen Übergang und mit dem Bewusstmachen räumlicher Übergangssituationen. Exemplarisch für diese Art der Beschäftigung sind die Arbeiten von Dan Graham, Olafur Eliasson und Dani Karavan zu nennen. Allen drei Künstlern ist gemeinsam, dass sie den öffentlichen Raum als Laboratorium für ihre Rauminstallationen sehen. Die Kunstwerke können den räumlichen Übergang in gewisser Weise rein präsentieren, da sowohl die Künstler als auch die Passanten frei von dem Gedanken der Benutzbarkeit sind. Die Räume der Kunst können im Gegensatz zu den Räumen der Architektur in ihrer Konzeption stärker auf das Raumerlebnis an sich ausgerichtet sein, da sie keine Funktionen zu erfüllen haben. Die Installationen von Dan Graham führen dem Betrachter seine eigene räumliche Position vor. Neben verschiedenen Installationen mit Video- und Bildschirmschaltungen kreierte er eine Serie von Pavillons, bei denen in diversen Kontexten die Umgebung besonders wahrgenommen werden kann. Im „Fun House für Münster“ kann der Besucher in einen transparenten, offenen Raum eintauchen und sein Empfinden verwischt auf subtile Weise, innerhalb oder außerhalb der Raumkonfiguration zu sein. Durch transparente Spiegel entsteht eine Doppelung, die den Besucher zweifeln lässt, ob er das Bild oder einen Körper wahrnimmt. Die genaue Betrachtung der einzelnen Kunstinstallationen öffnet den Blick für die Vielschichtigkeit der „Schwelle“ als Instrument, Phänomen und Allegorie. Die unterschiedlichen Betrachtungsweisen ergänzen sich teilweise und ermöglichen dem Betrachter seine eigene Interpretation. Hier werden vor allem Kunstinstallationen beschrieben, bei denen der Schwerpunkt auf einer räumlichen Erfahrung liegt.

Christian Schittich, Gerald Staib, Dieter Balkow, Matthias Schuler und Werner Sobek, Glasbau Atlas, Birkhäuser Verlag, München 1998, S. 26. 36 Ebd. 35

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

Dan Graham: Present Continuous Past(s), New York, 1974 Dan Graham schafft mit seiner Installation einen abgeschlossenen, würfelartigen Wahrnehmungsraum, der den Besucher mit seiner eigenen, gerade erlebten räumlichen Position konfrontiert (Abb. 15). Der Aufbau präsentiert dem Betrachter in einem Monitor seine eigene Vergangenheit. 37 Abb. 15: Schwellenräume im gerahmten Monitor

Kamera Vergangenheiten Monitor

Spiegel

Es wird ein Wahrnehmungsraum zwischen zwei Spiegelwänden und einer Bildschirm-KameraWand aufgespannt. Der Besucher positioniert sich intuitiv zwischen der Bildschirm-Kamera-Wand und der gegenüberliegenden Spiegelwand. Wenn der Körper des Betrachters das Auge der Kameralinse nicht unmittelbar verdeckt, nimmt die Kamera den Raum und die Reflexion des Spiegels, die das Bild des Monitors beinhaltet, auf. Die Videokamera zeichnet die Situation auf, die innerhalb des Raumes gerade passiert, als auch die Reflexion der gegenüberliegenden Spiegelwand. Das von der Kamera aufgenommene Bild erscheint mit Zeitverzögerung von acht Sekunden auf dem Video-Monitor. Der Betrachter sieht sowohl das Bild von sich selbst vor acht Sekunden als auch das, was von dem Monitor wiederum acht Sekunden zuvor in dem Spiegel reflektiert wurde. Es entstehen acht Sekunden lange Vergangenheiten, die durch den Monitorrahmen im Bild des Monitors klar zu erkennen sind. „So entsteht eine unendliche Rückentwicklung von Zeit-Kontinuen innerhalb von Zeit-Kontinuen (die jeweils von achtsekündigen Intervallen voneinander getrennt sind) innerhalb von ZeitKontinuen.“ 38

Birgit Pelzer, Dan Graham, Phaidon Press, London 2001, S. 53. Doug Hall und Sally Jo Fifer, Illuminating Video – An Essential Guide to Video Art, New York 1990, S. 186.

37 38

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Übergänge in der Kunst — 1

Eine weitere Spiegelwand liegt zwischen Bildschirm und der reflektierenden Spiegelwand. Sie bezieht sich auf die Gegenwart. Sie stellt das Echtzeit-Bild der Installation dar. Die Kamera dokumentiert die Bewegung im Raum und stellt sie dem Betrachter direkt in abgeschlossenen Sequenzen von acht Sekunden vor. Die Rahmenbilder der Vergangenheit fluchten in einer Zentralperspektive in die Unendlichkeit der Unlesbarkeit. Der Betrachter wird mit seinem unmittelbaren Übergang aus der Vergangenheit in die Gegenwart konfrontiert. Die Gleichzeitigkeit des Erlebens von Vergangenheiten in der Gegenwart und das unmittelbare Werden der Vergangenheit aus der Gegenwart irritieren und verorten den Betrachter neu. Des Weiteren schafft Dan Graham abgeschlossene Raumsituationen, die durch die Kamera im Rahmen des Monitors das Dazwischen-Sein des Betrachters im Raum festhalten. Die einzelnen Momente im Raum werden in achtsekündliche Vergangenheiten gerahmt und als solche einzeln dargestellt. Es scheint, als betrete der Betrachter die acht Sekunden voneinander entfernt liegenden Räume nacheinander. Das gerahmte Fenster wird zur Zeit-Schwelle. Außerdem gibt die Installation Aufschluss über die zeitliche Dimension der Schwellenerfahrung, sie trennt das Zurückliegende in „Acht-Sekunden-Zeitintervalle“ und projiziert es nach vorne. Die einzelnen vergangenen ZeitKontinuen werden eingefangen und isoliert sichtbar gemacht.

Dani Karavan: Passagen, Portbou, Spanien 1990 −94 In Portbou, einem kleinen spanischen Grenzort in den Pyrenäen und am Mittelmeer, entstanden 1994 Karavans „Passagen“, ein Gedenkort zur Erinnerung an den deutschen Philosophen Walter Benjamin, der sich dort 1940 – wie vermutet wird – das Leben nahm, um seiner bevorstehenden Auslieferung nach Deutschland zu entgehen. Benjamin ist auf dem kleinen Friedhof von Portbou begraben worden, dessen Vorbereich für den Gedenkort ausgesucht wurde. Karavan entdeckte von der erhöhten Steilküste einen Meeresstrudel, den er als Ort markieren wollte. Er plante in den Steilhang einen circa 27 Meter langen, 2,35 Meter hohen und 1 Meter breiten, begehbaren Stahlkörper, der den Strudel fokussiert. Diese rechteckige Röhre durchdringt bei einer Schräge von 30 Grad den Hang und ist auf Stufen zu besteigen. 39 Vor dem geöffneten Vierkant gestaltet Karavan eine lange, bodengleiche Stahlplatte. Diese Schwelle bezieht sich in ihrer Breite und Materialität auf die Passage. Sie liegt zwischen der Röhre und einer Bruchsteinwand, deren gerade Flucht einen Rücksprung als Impuls erhalten hat. Die gerade Bewegungsrichtung erhält eine Unterbrechung und wird umgelenkt; es entsteht der Auftakt zum begehbaren Stahlkörper, dem Schwellen-Raum. Im oberen Teil ist die Röhre vierseitig begrenzt; hingegen ist im unteren Teil die obere Seite offen. Der gesamte Hohlkörper inklusive der Treppenstufen und der Unterseite besteht aus Cortenstahl (Abb. 16). Karavan entwarf einen dunklen, engen, lang gestreckten Raum, der einlädt, sich alleine in Ruhe von der umgebenden Welt zu verabschieden und sich auf nichts anderes als auf das Meer zu konzentrieren. Der Passant kann in der Enge des Stahlkörpers mit dem auf den Meeresstrudel gerichteten Blick eine Schwellen-Raum-Erfahrung erleben. Der dumpfe Nachhall des eigenen

39 Ingrid Scheurmann und Konrad Scheurmann, Dani Karavan/Homage an Walter Benjamin, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1995, S. 10, 49, 50.

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

Schritts verstärkt zusätzlich die starke Begrenztheit des Hohlkörpers. Die Worte Benjamins können erst am Ende des Weges schwach auf der Glasscheibe gelesen werden. Folgendes Zitat Benjamins wurde von Karavan ausgesucht und ist in die Glasscheibe eingraviert worden: „Schwerer ist es das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten. Dem Gedächtnis der Namenlosen ist die historische Konstruktion geweiht.“ 40 Die Worte überlagern sich mit dem Blick auf den Strudel. Die gesamte Installation könnte als lang gestreckter, linearer Schwellen-Raum bezeichnet werden, der zusätzlich ein Eintauchen in die innere Gedankenwelt Benjamins ermöglicht. Der Friedhofsvorplatz erscheint als Außenraum, von dem aus man visuell in den Strudel eintauchen kann. Die Passage bildet einen Übergang zwischen zwei Außenräumen. Sie stellt einen stark verengten Raum dar und macht so das Dazwischen-Sein körperlich erfahrbar. Geplant war die Röhre komplett geschlossen, sie wurde aber vor Ort von Karavan umgeplant und im unteren Teil oben geöffnet ausgeführt. Die räumliche Aufweitung ermöglicht das Erleben des Himmels und verstärkt die Wirkung als Zwischenelement. Diese Öffnung und die Schwellenplatte am Zugang sind die weichen Übergangszonen des Schwellen-Raumes. Der Schacht könnte als eine Sehhilfe verstanden werden, welcher die Worte Benjamins fokussiert. Der Strudel wird als Punkt angesteuert. Symbolisch gesehen baut die Passage einen SchwellenRaum aus der Ausweglosigkeit in die Weite des Meeres auf. Der Raum-Körper liegt zwischen Friedhof und Meer − zwischen Leben und Tod. Abb. 16: Schwellenraum-Begrenzungen und Schwellenraum-Körper

Schwelle

40

27m Länge

Scheurmann und Scheurmann, s. Anm. 39, S. 49.

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Strudel

Übergänge in der Kunst — 1

Bill Viola: Threshold, Frankfurt am Main, 1992 Bill Viola bietet einen kubischen Raum mit einem quadratischen Grundriss von 6 × 6 Metern und einer Höhe von 4,5 Metern zum Begehen an (Abb. 17). Die Box enthält außen ein elektronisches Schriftband, das mit Nachrichten von einer Presseagentur synchronisiert ist. Im Inneren werden drei schlafende Menschen in einer sich zyklisch wiederholenden Videoprojektion gezeigt. Die Darstellung der Außenwelt und der Innenwelt wird durch mehrere Kontrastpaare betont. Die grell in Orange ausgeführte Laufschrift außen zeigt aktuelle Nachrichten und bewegt sich lautlos. Im Gegensatz dazu ist die innere Schwarz-Weiß-Projektion als Dauerschleife geschaltet und die Atemgeräusche im Schlaf werden übernatürlich laut wiedergegeben. 41 Abb. 17: Schwellenraum-Begrenzungen und Schwellenraum-Körper

Projektionen

Laufband

41

Bill Viola, „The Threshold“ [zugegriffen 18. März 2014].

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

„Die Unterbrechung in der Mitte des Leuchtbandes eröffnet einen Zugang in das Innere der Installation. Der Betrachter muss den lautlosen, optisch aber extrem aufdringlichen elektronischen Datenfluss durchqueren, um in einen dunklen Raum zu gelangen, in dem sich ihm nach einer Phase der Anpassung an das lichtarme Milieu die schemenhaften Bilder von drei Schlafenden an den Seitenwänden des Innenraumes erschließen. Verweilt man in dem abgedunkelten Raum, überträgt sich unmittelbar die Ruhe der Nachtbilder. Das Geräusch des regelmäßigen Atmens definiert den Innenraum als einen Bereich unbewussten Daseins, jenseits des kontinuierlichen Ablaufs dessen, was sich in der äußeren Welt ereignet.“ 42 Das grelle, grenzenlose Außen ohne Ton stellt sich dem farblosen inneren, abstrakten Ort der Selbstreflexion gegenüber. Die Wechselspiele sind offensichtlich bewusst zugeordnet und lassen mehrdeutige, komplexe Atmosphären entstehen. Diese ambivalenten Stimmungen weisen Parallelen zu Schwellen-Raum-Erfahrungen auf, die auch von der Mehrdeutigkeit und dem Unvorhergesehenen geprägt sind. Außerdem bauen die unterschiedlichen Atmosphären einen starken Kontrast zwischen innen und außen auf, der beim Eintreten den Besucher in einen wahrnehmbaren Zwischenzustand versetzt. Der Besucher dringt nicht nur körperlich in eine innere Welt ein, sondern erlebt auch eine Besinnung auf seine innere Gedankenwelt. Der Medienraum bietet eine doppelte Schwellen-Raum-Erfahrung, eine körperliche und eine gedankliche. Das Warten innerhalb der Installation wird nicht mit einem bestimmten Effekt gekrönt, sondern mit dem Vergessen der Außenwelt. Es ist ein neuer Schwellen-Raum betreten worden. Lin Yilin: Safely maneuvering across Lin He Road, Guangzhou, 1995, dokumenta 12 Die Performance zeigt den Künstler, wie er eine Mauer aus Ziegelsteinen baut und durch wiederholtes Versetzen der Ziegelsteine die Mauer von einer Straßenseite zur anderen überführt.43 Die Steine werden zu einem losen Mauerverband angeordnet, indem sie von dem einen Ende der Mauer zum anderen umgeschichtet werden. So verschiebt sich kontinuierlich die Position der Mauer, die den Verkehr auf einer viel befahrenen Straße in der drittgrößten Stadt Chinas, Guangzhou, zum Ausweichen zwingt. Auffallend ist die im Hintergrund eingefangene Großbaustelle, bei der die gleichen Steine eingesetzt werden. 44 Neben der gesellschaftspolitischen Lesbarkeit ist die Installation von besonderer Brisanz in Bezug auf ihre Raumbildung (Abb. 18). Diese Kraft verstärkt die politische Aussage. Mauern sind Raum bildende Elemente, die erst durch ihre Öffnung die Möglichkeit zum Passieren geben. Das bedeutet, Mauern grenzen Raum ab, sie schließen ihn, im besonderen Fall ist es eine Mauer aus Ziegelsteinen. So wird die Mauer zum Subjekt beziehungsweise zur Passage. Die Straße für den Autoverkehr verliert für diesen Moment ihre Bedeutung als linearer Verbindungsweg, sie wird zur Raumbegrenzung für die sich fortbewegende Mauer. Aus der Sicht der Raumbetrachtung ist es besonders interessant, wie eine Mauer, die der Innbegriff einer räumlichen Begrenzung ist, einen Übergang formulieren kann. Es mutet paradox an, dass eine wandernde Grenze selbst zur Passage wird. Diese für den architektonischen Raum ungewöhnliche Situation schärft die Wahrnehmung für Begrenzungen und ihre Raum bildende Funktion.

Ursula Frohne, „Bill Viola ‚The Threshold‘“, in: Heinrich Klotz, Kunst der Gegenwart, Prestel Verlag, München 2000, S. 273 f. Lin Yilin, „Safely maneuvering across Lin He Road“ [zugegriffen 18. März 2014]. 44 Hu Fang, Lin Yilin, „Safely maneuvering across Lin He Road, Medieninstallation 1995“, in: Ruth Noack und Roger M. Buergel, documenta 12 – Katalog: Catalogue, Taschen Verlag, Köln 2007, S. 278. 42

43

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Übergänge in der Kunst — 1

Abb. 18: Schwellenraum-Körper

Lin He Road (20m Breite)

Dan Graham: Fun House für Münster, 1997 Das „Fun House für Münster“ basiert auf dem Grundriss eines schmalen Parallelogramms mit einer kurzen gekrümmten Seite (Abb. 19). Die eine Längsseite ist um die Länge der kurzen Seite geöffnet. Die durch ein graues Profil gerasterten Scheiben bestehen aus Zweiwegespiegelglas, das eine starke Transparenz aufweist. Dan Graham kreierte eine Serie von Pavillons, zu der „Octagon für Münster“ und „Fun House für Münster“ gehören, bei denen in diversen Kontexten die Umgebung besonders wahrgenommen werden kann. „Beide Pavillons sind ‚photogene Orte‘ für Eltern und Kinder, Orte, um in einer zum Picknick einladenden Parkatmosphäre zu verweilen. Beide Arbeiten sind in Beziehung zum größeren Rahmen des Parks und der Stadt angelegt. Das ‚Fun House für Münster‘ bezieht sich auf einen nahe gelegenen Spielplatz; seine geschwungene Fassade nimmt Bezug auf die kreisförmige Stadtanlage der Römer. Der Gebrauch von durchsichtigem Spiegelglas ist eine Anspielung auf die neueren Büro-, Regierungs- und Bankgebäude.“ 45

45 Klaus Bußmann, Kasper König und Florian Matzner, Zeitgenössische Skulptur. Projekte in Münster 1997, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 1997, S. 183 f.

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

Die Installation „Fun House für Münster“ führt dem Betrachter im Besonderen seine eigene räumliche Position vor. Sie lässt den Besucher in einen transparenten, offenen Raum eintauchen und verwischt auf subtile Weise sein Empfinden innerhalb oder außerhalb der Raumkonfiguration zu sein. Durch transparente Spiegel entsteht eine Doppelung, die den Besucher zweifeln lässt, ob er das Bild oder einen Körper wahrnimmt (Abb. 20). Der Pavillon lässt durch seine Geometrie und die spiegelnden und transparenten Flächen mehrere Räume entstehen. Teilweise sind diese Räume nur Projektionen, die aber dennoch wie das Innere des Pavillons durchwandert werden können. Es entstehen sanfte Übergänge, innen oder außen lassen sich nicht mehr klar unterscheiden. Abb. 19: Schwellenraum-Begrenzungen und Schwellenraum-Körper

Zweiwegespiegelglas-Elemente (2,50m Höhe)

Abb. 20: Erweiterung des Schwellenraumes durch Reflexion

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Übergänge in der Kunst — 1

Diese räumlichen Experimente wurden von Graham auf die Ausführung des Café Bravo in Berlin übertragen. Das Café erscheint bei wenig Tageslicht einerseits sehr offen und zum Innenhof gehörig, andererseits bilden die Würfel tagsüber einen starken, eigenständigen Körper. Jean Nouvel bearbeitet bei der Fondation Cartier in ähnlicher Weise das Thema eines sanften Übergangs, indem er durch eine Schichtung von Fassadenelementen und Baumreihen, mit Hilfe von Spiegelungen und Öffnungen, das Innen und das Außen als kaum erkennbar voneinander getrennt gestaltet. Olafur Eliasson: Green River, Stockholm, 2000 Bei dem Projekt „Green River“ arbeitet Olafur Eliasson mit dem Verschieben von lokalen Erwartungsstrukturen, welche die Realität invertieren. Eliasson sucht speziell Orte, die ihre Natürlichkeit inszenieren. Das blaugraue Wasser, welches das Stockholmer Festland pittoresk umspült, wird ohne Ankündigung des Künstlers eine halbe Stunde lang mit dem harmlosen Uranin giftgrün gefärbt. Anders als beim Vorläuferprojekt, ausgeführt durch den Künstler Nicolás Uriburu 46, der mit einer Selbstinszenierung einen Fluss grün färbt, wird bei Eliasson eine irritierende, künstliche Welt geschaffen. Der Ort überrascht und baut seine eigene künstliche Realität auf, ohne Anwesenheit des Künstlers. Diese temporäre Veränderung setzt die inszenierte Natürlichkeit in den richtigen künstlichen Kontext. Das Wundern, die Irritation, der Kontrast spielen bei der Wahrnehmung der Arbeiten von Eliasson im öffentlichen Raum eine entscheidende Rolle. Mit diesem Prinzip arbeitet er bei vielen seiner Installationen. Er nutzt den beiläufigen Blick des Passanten und baut eine Schwelle auf. Reizt diesen die Schwelle zu übertreten. Es entsteht eine Auseinandersetzung mit dem Kunstprojekt durch die Irritation. Der Künstler scheint mit diesem Moment zu spielen und im Experiment die unterschiedliche Reizfähigkeit der Passanten zu testen. Er beschäftigt sich bei der Konzeption von Kunstwerken mit diesen Effekten bis hin zu einer Ausschließlichkeit, bei der die Irritation Selbstzweck wird. Eliasson setzt dieses Prinzip unter anderem in seiner neuen Ausstellung „Innen Stadt Außen“ 47 fort, bei der er Gewöhnliches in einen neuen Zusammenhang stellt, das nur von aufmerksamen Passanten gefunden werden kann. Die Baumstämme im chaotischen Berliner Stadtraum fallen nicht auf. Sie sind alles andere als eine Provokation. Diejenigen, denen sie ins Auge fallen, haben genau beobachtet und, wie in einem Suchbild, den kleinen Fehler entdeckt. Dieses feine Aufmerksammachen spricht die genaue Wahrnehmung an und fordert das Hinsehen ein. Außerdem stellen die irritierenden Objekte den vorgefundenen Ort in einen neuen Kontext. Der Blick, der flüchtige Moment scheint entscheidend, die Gegenwart wird fixiert.

Nicolás García Uriburu, „Coloration du Grand Canal“ [zugegriffen 18. März 2014]. Daniel Birnbaum (Hrsg.), Olafur Eliasson: Innen Stadt Außen, Kat. Ausst., Martin-Gropius-Bau 2010, Verlag der Buchhandlung König, Köln 2010, S. 27. 46 47

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

Till Boettger: Schwellenraummaschine, Weimar, 2010 Mit Hilfe der „Schwellenraummaschine“ soll der Moment des räumlichen Übergangs besonders erfahrbar werden. Die zeitliche und räumliche Dimension des Phänomens der Schwelle soll gezielt erlebt werden. Folgende Fragen standen bei dem Experiment im Vordergrund: Ist es möglich, die zeitliche Abfolge beim Erleben von Zurückliegendem, Gegenwärtigem und Zukünftigem in einem Wahrnehmungsraum zu verdichten und zu überlagern? Kann die Raumerfahrung, die in der unmittelbaren Vergangenheit stattfand, mit der zu erwartenden Raumwahrnehmung gleichzeitig erfasst werden? Kann man also das Zurückliegende und das Zukünftige in der Gegenwart erleben? Die „Schwellenraummaschine“ soll eine momenthafte Überlagerung der verschiedenen Zeitspannen ermöglichen und so die vermittelnde Aufgabe des Schwellen-Raumes als räumliches und zeitliches Kopplungselement verdeutlichen. Die begehbare Installation ermöglicht ein Schwellen-Raum-Erlebnis, das Wesen und Vermögen des Schwellen-Raumes wahrnehmbar und sichtbar werden lässt. Das Ziel ist, dem Besucher das in der Vergangenheit Gewesene in die Zukunft zu projizieren und damit die Komplexität des Übergangs in verdichteter Form aufzuzeigen. Ich verstehe die „Schwellenraummaschine“ als Sehhilfe für räumliche Wahrnehmungsversuche bezüglich der Schwelle. Sie funktioniert als Wahrnehmungsapparatur für den Körper in der Bewegung, vergleichbar einem Mikroskop, das Unsichtbares sichtbar macht. Die „Schwellenraummaschine“ ist als offenes Objekt konstruiert. Sie stellt sich in den Weg und irritiert (Abb. 21). Außerdem bildet sie einen Schwellen-Raum, der zum Eintreten einlädt. Nach dem Betreten befindet sich der Besucher bereits im Schwellen-Raum, im Wahrnehmungsraum. Er erlebt seine eigene räumliche Vergangenheit zeitgleich mit einer Überlagerung der räumlichen Zukunft (Abb. 22). Es wird möglich, dass er sich selbst von hinten in Bewegung und Lebensgröße sieht. Gleichzeitig kann der Besucher in diesem „Rücken-Spiegelbild“ einen anderen Besucher von vorne sich annähern sehen. Die Projektion als auch der davor liegende Raum können simultan wahrgenommen werden (Abb. 23). Die „Schwellenraummaschine“ fordert zum mehrmaligen Benutzen auf. Der Besucher der Installation geht vor und zurück, um die Projektion, seine körperliche Erfahrung und die vor ihm liegende Situation wirklich zur gleichen Zeit wahrzunehmen. Es ist kaum möglich die Konzentration auf alle drei Phänomene gleichzeitig zu richten. Mit Hilfe von zwei Spiegelsystemen, Echtzeit-Videoübertragung und Projektionstechnik nimmt der Benutzer ein besonderes Raumerlebnis wahr, indem er den gerade durchquerten Raum und den vor ihm liegenden Raum gleichzeitig erlebt (Abb. 22). Die Übergangssituation wird mit Hilfe des „Pepper’s Ghost“-Effekts nach vorne projiziert. Diese momenthafte Überlagerung veranschaulicht, wie der Schwellen-Raum als komplexes Kopplungselement fungiert. Es wird die zeitliche Abfolge von Zurückliegendem, Gegenwärtigem und Zukünftigem komprimiert und überlagert. Diese Superposition macht die Komplexität sichtbar und spürbar. Durch verschiedene Lichttests konnte eine gute Balance zwischen der Transparenz und der Lichtführung des Spiegels erreicht werden. Je besser man den davor liegenden Raum durch den transparenten Spiegel erkennen kann, desto schwächer wird das umgelenkte Bild der Passage erkannt. Umgekehrt gilt, je klarer die davor liegende Projektion erkennbar wird, desto unscheinbarer wird der davor liegende Raum wahrgenommen. Mit zusätzlicher Beleuchtung wurde diesem technischen Problem Abhilfe geschaffen. Die „Schwellenraummaschine“ erhellt den Schwellen-Raum und ermöglicht eine kontrastreiche Umlenkung der Projektion. Die Installation ist als offenes System konzipiert, das aufgrund des Gebrauchs verändert werden kann (Abb. 24). So betrachtet, ist die „Schwellenraummaschine“ ein veränderbarer Wahrnehmungsapparat, der bei jedem weiteren Aufbau an den Ort angepasst werden muss.

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Übergänge in der Kunst — 1

Abb. 21: Schwellenraummaschine

Spionspiegel

Projektor Kamera

Projektor Abb. 22: Prinzip

Kamera Spionspiegel Schwellenraum

Abb. 23: Passage der Schwellenraummaschine

Abb. 24: Offenes System

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

Schwelle als räumliches Phänomen Sowohl die Beispiele aus der Architekturgeschichte als auch die präsentierten Kunstprojekte beschreiben die Vielfältigkeit und die Interpretierbarkeit eines räumlichen Übergangs. Sie lassen sich als Referenz oder Inspirationsquelle für weitere, die Architektur oder Kunst betreffende Auseinandersetzungen mit der Schwelle verstehen. Der Übergang von einem Raum in den nächsten ist grundsätzlich eine beim Entwerfen zu lösende Fragestellung. Sie ist durch die tief verwurzelte kulturelle Bedeutung bei Kultstätten, wie zum Beispiel der Akropolis, minutiös geplant und ausgeführt worden. Die Zeremonie verläuft auf einem geplanten Weg, der das Übertreten zum Thema erklärt. Das Pantheon fixiert diesen räumlichen Übergang mit dem Portikus, der den Schwellen-Raum als Form fasst. Einige der Architekturbeispiele werden für das Entwerfen eines Schwellen-Raumes direkt herangezogen. Die Sequenz des Schwellen-Raumes der Akropolis wurde beispielsweise von mehreren Architektengenerationen als Referenz betrachtet und genutzt. Le Corbusier notiert sie als Skizzen und verknüpft sie mit seinen Entwürfen. Bei Rem Koolhaas lassen sich bei verschiedenen Projekten, wie zum Beispiel der Niederländischen Botschaft in Berlin oder der Casa da Música in Porto, Analogien erkennen. Er arbeitet mit der Idee einer treibenden Raumfolge, die er auch als „Trajekt“ 48 bezeichnet. Ähnlich migrieren die Ideen und Konzepte von Dan Graham durch verschiedene Architekturentwürfe. Diller & Scofidio benutzen bei ihrer Brasserie, die sich im Seagram Building von Mies van der Rohe befindet, eine Videoschaltung. Der ankommende Gast wird bereits auf dem Bürgersteig vor dem Eintreten in das Restaurant von Videokameras aufgenommen. Die Filmsequenzen werden den Gästen, die bereits an der Bar Platz genommen haben, auf Monitoren vorgeführt. Diese Videoinstallation erinnert an die von Graham in den 1970er Jahren entwickelten Videokonzepte. In diesem Sinne verstehe ich auch die Konzeption der „Schwellenraummaschine“. Sie zeigt einen räumlichen Übergang auf und greift dabei auf die beschriebenen Kunstprojekte zurück. Die historischen Beispiele und die Kunstprojekte bilden also eine Grundlage für die folgenden Betrachtungen und klären in ihrem Grundsatz die Beschäftigung mit dem Schwellen-Raum. Außerdem wird deutlich, wie im Sinne Simmels erst getrennt werden muss, um schließlich zu verbinden. Die Aktion „Safely maneuvering across Lin He Road“ zeigt diesen Zusammenhang auf eindrucksvolle Weise. Lin Yilin baut eine Mauer über die Straße, indem er Steine von der einen Seite der Mauer auf die andere setzt. Der Mauerverband wird aufgelöst und verbindet in der aufbauenden Bewegung die beiden Straßenseiten. Die Mauer wird „getrennt“, um zu verbinden. Die ausgewählten Beispiele machen die Schwelle als räumliches Phänomen sichtbar. Des Weiteren wird deutlich, wie wichtig das vermittelnde Moment zwischen offen und geschlossen für den Schwellen-Raum ist. Die räumliche Ambivalenz ist klar ablesbar und kann besonders bei den Kunstprojekten deutlich beobachtet werden. Dani Karavans Denkmal zeigt eindrucksvoll, wie Passagen zwei Welten verbinden können.

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Peter Buchanan, „Von Le Corbusier bis OMA“, in: Die Moderne der Moderne, ARCH+, 143, 1998, S. 62.

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Der Schwellenraum — 1

Der Schwellenraum Ausgehend von Raumbetrachtungen, die mit Hilfe von Begriffen wie erlebter Raum und Raumerlebnis operieren, soll jetzt der Begriff des Schwellenraumes hergeleitet und definiert werden. Der architektonische Raum ist an die menschliche Wahrnehmung gekoppelt. Die Betrachtung der historischen Beispiele haben verdeutlicht, dass ein solches Raumverständnis auch dort seine Berechtigung findet und eine Grundlage des architektonischen Vokabulars bildet, das die Architektur der Moderne nutzt und weiterführt. Der Exkurs in Konzeptionen aus dem Bereich der Kunst schaffte eine stärkere Verdichtung und somit eine Fokussierung auf das Raumerlebnis des Übergangs. Die Begriffe Grenze und Schwelle werden hergeleitet, um die Bedeutung und den Kontext ihrer Benutzung aufzuzeigen. Dadurch wird deutlich, welche Assoziationen bei den Begriffen Schwelle und Schwellenraum mitschwingen. Im Anschluss an die Definitionen wird ausgehend von dem Begriff des Schwellenraumes eine Terminologie aufgebaut, die aus der Perspektive des Schwellenraumes heraus technische Instrumente des Schwellenraumes benennt. Grenzen „Linie, die zwei Staaten, Länder, Grundstücke oder andere Bereiche voneinander trennt.“ 49 Der Begriff Grenze wurde in die deutsche Hochsprache durch Luther aufgenommen; er kommt ursprünglich aus dem Slawischen. „Das alte Wort Mark bedeutete eher Grenzgebiet und passte daher nicht mehr zu den moderneren Vorstellungen einer Grenze.“ 50 Unter einer Grenze wird meistens der Rand eines Territoriums verstanden, der eine klare Zugehörigkeit eines Raumes markiert. Durch das Ziehen von Grenzen entstehen zwei Seiten. Schließt man eine Grenze zu einem geschlossenen Grenzzug, bildet sich ein Innen und ein Außen heraus. Dieses Innen und Außen erfährt man, wenn man von der einen Seite der Grenze auf die andere wechselt. Eine Grenze kann als Linie, Fläche oder Volumen verstanden werden. Diese Wahrnehmung hängt sowohl von der Grenze selbst als auch vom Anschauungsraum und dessen Maßstäblichkeit ab. In der architektonischen Sprache versteht man unter einer Grenze eine räumliche Begrenzung. Begrenzungen lassen Raum entstehen, indem sie aus einem größeren Raumgefüge ein kleineres abtrennen. Joedicke definiert: „Raumbildung bedeutet also immer, einen kleineren Raum aus einem größeren abzugrenzen.“ 51 Das bedeutet, dass der Vorgang des Abgrenzens als Raum bildender Prozess betrachtet werden kann. Grenzen haben immer räumliche Konsequenzen, sie gliedern und ordnen den Raum. Die Grenzziehung kann im zweidimensionalen Raum vollzogen werden. Sie kann nur eine Markierung sein. Grenzflächen können geschlossene Räume bilden, die den Kontrast zwischen innen und außen wahrnehmbar machen.

Wolfgang Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, Deutscher Taschenbuchverlag, München 1997, S. 474. Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2002, S. 372. 51 Joedicke, s. Anm. 6, S. 15. 49

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

Die transparente Grenze stellt einen Sonderfall der Grenze dar. Die Erwartung an eine Grenze ist, dass man sie wahrnehmen und erkennen kann. Wird die Grenze durch ihre besondere Materialität aus Glas oder transparentem Kunststoff durchsichtig, kann die Grenze manchmal nicht unmittelbar als räumliche Grenze erkannt und verstanden werden. Schaufenster arbeiten mit diesem Phänomen. Wir können uns den Produkten nähern, haben aber gelernt, dass ein unmittelbarer Zugriff nicht möglich ist. Transparente Grenzen ordnen den Raum und können als Schwellen gelesen werden, selbst wenn sie keinen Übergang bilden. Unsichtbare Grenzen sind noch schwerer als transparente Grenzen zu erkennen. Einerseits können sie auf Abmachungen beruhen, die kulturell verschiedenartig interpretiert werden können. Zum Beispiel kann eine Bepflanzung am Rand eines Grundstückes unterschiedlich aufgefasst werden. Die Lücken zwischen den Pflanzen können als unsichtbare Grenze, aber auch als Schwelle gelesen werden. Andererseits können elektronische Sicherungssysteme unsichtbare Grenzen bilden. Der Grenzübertritt wird vielleicht an einem anderen Ort signalisiert und anschließend auf ihn reagiert. Auch unsichtbare Grenzen können als Schwellen verstanden werden und können zum ungewollten Zugang einladen. Schwellen Mit Schwelle bezeichnete man den „waagerecht liegenden Balken (als untere Begrenzung eines Türrahmens, als Befestigungsgrundlage für Eisenbahnschienen)“. 52 Der Begriff leitet sich aus dem Mittelhochdeutschen her und stammt aus dem 8. Jahrhundert. Walter Benjamin arbeitet sehr genau die etymologische Unterscheidung des Begriffs zur Grenze heraus. „Die Schwelle ist ganz scharf von der Grenze zu scheiden. Schwelle ist eine Zone. Wandel, Übergang, Fluten liegen im Worte ‚schwellen‘ und diese Bedeutung hat die Etymologie nicht zu übersehen.“ 53 Die Schwelle ist der untere Balken zwischen dem Türrahmen. Sie ist ein bautechnisches Element, das die Dichtigkeit eines Gebäudes einfacher ermöglicht. Sie ist Anschlag für die Tür und stellt ein Hindernis für Insekten, Wind und Kälte dar. Die Schwelle kann Teil des Türrahmens sein. Bei manchen Übergängen ist sie auch aus der Oberfläche des inneren oder des äußeren Materials entwickelt. Es ist auch möglich, dass die Schwelle zum Raum bildenden, eigenständigen Element wird und im Besonderen den Übergang markiert. Die Materialität der Schwelle entscheidet, in welchem Zusammenhang sie wahrgenommen wird. Grenzöffnungen ermöglichen räumliche Übergänge. Schwellen unterbrechen Grenzen für den Übergang aus einer Zone in eine andere. Das heißt, sie sind Teil der Grenze und schaffen eine Lücke. Die Schwelle wird als lineare Unterbrechung der Grenze verstanden. Sie verläuft folgerichtig in derselben Richtung wie die Grenze. Sie ist Perforation der Grenze und stellt einen kleineren Bruchteil der Grenze dar. Vom Menschen wird die Schwelle als möglicher Übergang, aber auch als Teil der Grenze interpretiert, für dessen Passieren er eine Erlaubnis braucht.

52 53

Pfeifer, s. Anm. 49, S. 1261. Benjamin, s. Anm. 27, S. 617 f.

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Der Schwellenraum — 1

Schwellen sind Grenzöffnungen, die zum Übertreten einladen. Sie sind Auftakt zu einem Raum und bilden den Übergang, aber auch den Raum selbst. Schwellen sind im Sinne der Raumbildung Grenze als auch Übergang, das heißt, sie leben von der Ambiguität, Räume zu öffnen und sie zu schließen. Bei geschlossenen Raum-Körpern mit massiven, starken Begrenzungen wird die Öffnung des Raumes durch die Schwelle besonders deutlich. Die Schwelle wird einer Seite der Raumbegrenzung zugeordnet und strukturiert so die räumliche Sequenz. Bei offenen Raum-Körpern sind Schwellen oft nicht so klar zu erkennen, da sie sich als niveaugleiche Podeste, Rampen oder Treppen in die Raumfolge integrieren lassen. Im architektonischen Kontext hat sich der ursprüngliche Begriff der Schwelle erweitert. Der Begriff bezieht sich nicht mehr nur auf den physischen Übergang des ganzen Körpers von einem in den anderen Raum. Die Möglichkeit, Räume mit technischen Apparaturen zu verbinden, hat neue Schwellen geschaffen. In diesem Sinne sind das Telefon, die Gegensprechanlage oder die Videoüberwachung zu einer Schwelle geworden. Diese technischen Schwellen verbinden und trennen Räume. Sie kontrollieren den Zugang und sind auch Teil der Grenze. Schwellenräume Der Begriff „Schwellenraum“ wird in verschiedenen Disziplinen benutzt und beschreibt einen räumlichen oder zeitlichen Übergangszustand. In der Architektur wird dieser Begriff unter anderem von Ilka & Andreas Ruby verwendet. Sie machen bereits auf die besondere Abhängigkeit von dem Erleben des Raumes in einer Sequenz aufmerksam. „Der Eingang ist immer weniger ein klar definiertes Raumelement, sondern eine komplexe Raumsequenz. Das Eintreten ereignet sich nicht in einem Moment, sondern als ein räumlich-zeitlicher Prozess. Entsprechend artikuliert sich die Schwelle nicht mehr als lineare Grenze zwischen Innenund Außenraum in der Ebene der Fassade, sondern verwandelt sich zu einem ‚Schwellenraum‘, der sowohl vor als auch hinter der Fassade liegen kann.“ 54 Susann Behnke-Pfuhl benutzt den Begriff Schwellenraum, um die „Kontaktstätte für das Wohnen“ zu beschreiben. 55 Der Begriff des Schwellenraumes enthält für sie die bislang in der Literatur verwendeten Ausdrücke wie „Zwischenbereich“, „Verbindung“, „Übergangscharakter“ oder „Schnittstelle zwischen Aktions- und Rückzugsräumen“. Sie erweitert seine Bedeutung um den sozialen Aspekt: die „Förderung von Kontakten“ 56. Behnke-Pfuhl bearbeitet den Begriff im Spannungsfeld des Wohnungsbaus, ohne die räumlichen Ausdehnungen des Schwellenraumes und seine Wirkungsweise innerhalb eines Gebäudes zu beleuchten. Für eine Seminarreihe der Fakultät Architektur an der Bauhaus-Universität Weimar habe ich den Begriff Schwellenräume als Titel gewählt. 57 An ausgewählten Architekturbeispielen des 20. und 21. Jahrhunderts lokalisieren wir Schwellenräume durch Raumanalysen. Zusätzlich konzeptionieren und bilden wir Schwellenräume im Entwurfsteil der Seminare. Ilka Ruby und Andreas Ruby, „Schwellenräume – Zur Transformation des Eingangs in der Kultur des Übergangs“, in: DETAIL, Zeitschrift für Architektur und Baudetail, 11, 2004, S. 1260. Susan Behnke-Pfuhl, Schwellenräume in Haus und Wohnumfeld, Universität Hannover, Fachbereich Landschaftsarchitektur und Umweltentwicklung, 2005, S. 26. 56 Ebd. S. 30. 57 Vgl. Till Boettger, „Schwellenräume“, Seminar, Bauhaus-Universität Weimar, Fakultät Architektur, Professur Entwerfen und Innenraumgestaltung, Sommersemester 2007. 54

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

Ansonsten taucht gegenwärtig der Begriff Schwellenraum uneinheitlich auf, um bei Räumen eine weitere gedankliche Ebene des Übergangs zu formulieren. Im Jahre 2009 wird im „Schwellenatlas“ der Zeitschrift ARCH+ das Slow House von Diller & Scofidio wie folgt beschrieben: „[...] Es ging um die Verbindung zwischen einer Tür und einem Fenster. Das Gebäude war der Schwellenraum zwischen dem Eingang und der Aussicht.“ 58 Schwellenraum ist ein zusammengesetzter Begriff, der aus den Begriffen Schwelle und Raum gebildet wird. Unter Schwelle soll der Übergang von einem Raum zum anderen verstanden werden. Der Begriff Schwelle bezieht die Ambivalenz zwischen Öffnung und Schließung mit ein. Schwellenräume leben von der Ankündigung des jeweils nächsten Raumerlebnisses, das heißt, der Schwellenraum lebt von der Erwartung des Übertritts. Unter Raum soll der architektonische Raum verstanden werden. Dieser ist bestimmt von der leiblichen Erfahrung in der Bewegung und der Wahrnehmung des Menschen. Schwellenräume übernehmen innerhalb der Architekturen die Funktion des Zugangs zu weiteren Räumen, häufig ist dies auch der Eingang. Das Eintreten in einen Raum als auch das Heraustreten aus einem Raum sind zentrale Momente beim Erleben von Räumen. Schwellenräume werden in der beschleunigten oder entschleunigten Bewegung wahrgenommen. Beim Passieren von Schwellen wird der Schwellenraum als Erlebnisund Zugangsraum wahrgenommen. Der Weg in Abhängigkeit von Richtung und Zeit macht die Räume bezüglich der Schwelle als vorliegend und zurückliegend erfahrbar. Schwellenräumen sind Schwellen angelagert. Schwellen können zusammen mit weiteren Raum bildenden Elementen einen wahrnehmbaren Raum aufbauen, einen Schwellenraum. Schwellen verengen den Schwellenraum und bilden oft Ausstülpungen des Schwellenraumes. Aus Sicht der übergeordneten Räume bilden die Schwellenräume Einstülpungen. Der Schwellenraum ist dem zu betretenden Raum vorgeschaltet. Der Schwellenraum kann überwiegend außen, zwischen innen und außen als auch ausschließlich innen liegen. Schwellenräume können punktuell, linienförmig, flächig sowie dreidimensional organisiert sein. Der Schwellenraum lässt sich aus verschiedenen Perspektiven beschreiben und definieren. Im Folgenden wird der Begriff aus der Sicht des Nutzers, des Raumes und der Architektur bestimmt: Der Schwellenraum definiert diedie Öffnung derder räumlichen Begrenzung imim Passieren. • Der Schwellenraum definiert Öffnung räumlichen Begrenzung Passieren. Ein Schwellenraum istist einein Übergang, derder Räume voneinander trennt und miteinander verbindet. • Ein Schwellenraum Übergang, Räume voneinander trennt und miteinander verbindet. Schwellenräume sind Übergangsräume, diedie alsals räumlicher Auftakt den Funktionsraum erschließen. • Schwellenräume sind Übergangsräume, räumlicher Auftakt den Funktionsraum erschließen. Den Schwellenräumen angelagerte Räume, die Grenzen und weitgehend die Schwellen bestimmen die Atmosphäre des Schwellenraumes. Form, Material und die Ausrichtung können eine Wegeführung ermöglichen und so die Schwellen in Szene setzen beziehungsweise in der Umkehrung sie verwischen oder sogar auflösen. Transitsituationen können im kleinen Maßstab innerhalb eines Raumes entstehen und sich durch unterschiedliche Raumfunktionen ergeben. In größeren räumlichen Zusammenhängen können halb offene Bereiche Zwischenbereiche produzieren, die sich je nach Sichtweise übergeordneten Räumen zuordnen lassen. Im Besonderen werden Schwellenräume beim Wechseln zwischen Innenräumen und Außenräumen erfahrbar. Diese Eingangsräume sind Schwellenräume, indem sie den Zugang zu den wahrnehmbaren Atmosphären

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Schwellenatlas, s. Anm. 4, S. 6.

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Der Schwellenraum — 1

im Innenraum ermöglichen. Das Durchqueren eines Schwellenraumes kann bewusst wahrgenommen werden, wenn die Differenz der Raumatmosphären einen wahrnehmbaren Kontrast bildet. Schwellen können absichtsvoll vom Planenden überspielt werden, um die ambivalente Räumlichkeit des Schwellenraumes noch zu verstärken. Man spricht von einladenden Eingangssituationen, die mit auflösenden Grenzen arbeiten und Inneres nach außen kehren. Es können Rhythmen aufgebaut werden, die zum flüssigen Eintauchen einladen und einen Takt produzieren. Teilweise werden Hindernisse aufgestellt, um das Annähern in der geplanten Raumfolge bewusst zu verzögern. Im Gegensatz dazu erleichtern räumliche Erfahrungen und Gewohnheiten die Orientierung. Materialien und Licht spielen bei der räumlichen Wegeführung im Schwellenraum eine entscheidende Rolle. Materialbrüche können akustisch, haptisch und visuell wahrgenommen werden und markieren dadurch die Brüche. Das Übertragen von Gewohntem in einen neuen Kontext macht es möglich Räumen einen anderen Charakter zu geben. Zum Beispiel können Materialien, Möbel und Formen, die überwiegend ihre Anwendung im Außenraum finden, im Innenraum eine Stimmung des Außen erzeugen. Daraus resultiert ein andersartiger Schwellenraum. Schwellenräume leben wie die Schwellen von einer Ambiguität. Sie leben von der doppelten Funktion: der Kontrolle und der Öffnung. Außerdem wird bei der Planung von Schwellenräumen oft mit der wechselnden Raumatmosphäre eines Außen- beziehungsweise Innenraumes gearbeitet. Das Wesen des Schwellenraumes ist das Einfangen, die Inszenierung des Eintretens. Eine klare, geplante Abfolge lässt den Benutzer in die Konzeption des Gebäudes eindringen. Somit gibt der Schwellenraum Orientierung und ermöglicht im weiteren Sinn erst Zugang zum Raum. Schwellenräume versetzen den Menschen in das Dazwischen-Sein. Die Art und Weise, wie Menschen Räume betreten, ist im ständigen Wandel. Verschiedene Kulturen entwickeln anhand von Vorstellungen und Traditionen Schwellenrituale. Daraus ergibt sich, dass Zugänglichkeit und Grenzziehung variabel sind. Zugänglichkeit definiert den Bewegungsradius des Menschen. Der Ort der Grenzöffnung liegt am Rand des Schwellenraumes. Das Tor, die Tür, der Vorhang oder die Videoüberwachung sind Elemente, die dem Schwellenraum eingeschrieben sind. Der ambivalente Charakter des Dazwischen schafft das Besondere des Schwellenraumes. Das Ausmaß, wie abgeschlossen, versperrt, geöffnet, eingeladen, entgrenzt oder begrenzt wird, bestimmt die Zugänglichkeit zu den räumlichen Erlebnissen. Apparaturen im Schwellenraum Technische Apparaturen nehmen als Einbauten in den Planungen von neuen Gebäuden zu. Im Besonderen macht der Schwellenraum diese Entwicklung sichtbar. Einbauten, welche die räumliche Organisation des Schwellenraumes unterstützen, könnte man als „SchwellenraumApparaturen“ bezeichnen. Die Schwellenraum-Apparaturen ermöglichen Zugangskontrollen, um meistens die Kontrolle durch Empfangspersonal zu ersetzen oder Details technisch genauer kontrollieren zu können. Eine Reihe dieser Schwellenraum-Apparaturen sind im „Schwellenatlas“ der Fachzeitschrift ARCH+ zusammengetragen. Der Bodyscanner organisiert zum Beispiel den Zugang zum Flugzeug, indem er den Menschen graphisch entkleidet und Waffen sichtbar machen soll. Die sogenannte Gegensprechanlage kombiniert mit einer Kamera erleichtert die Kontrolle des ersten Zugangs zu privaten Bereichen, wenn es räumlich keinen direkten Bezug gibt. Der Türspion ist ein weiteres Instrument zur Überwachung.

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1 — Schwellen- und Raumdefinitionen

Entscheidend bei der Positionierung von Schwellenraum-Apparaturen ist es, die zu erlebende Sequenz des Ankommenden vorzudenken und die Apparaturen auf dessen Bewegung auszurichten. Die zeitliche Abfolge wird vermessen, um die richtige Position der einzelnen aufeinanderfolgenden und hintereinander geschalteten Apparaturen zu bestimmen. So ist es zum Beispiel bei der Videoüberwachung notwendig den Aufnahmebereich der Kamera aufgrund angrenzender Privatsphären sensibel einzustellen. Die private Videoüberwachung hat ihre nachbarschaftlichen Grenzen. Schwellenraum-Apparaturen können direkt in die Planung integriert werden, um sie der Gestaltung des Raumes unterzuordnen. Durch technische Neuerungen können mit Schwellenraum-Apparaturen immer genauere Zugangskontrollen durchgeführt werden. Es ist jedoch schwierig die neuesten Entwicklungen im Nachhinein in die Raum bildenden Elemente untergeordnet einzubauen und die Apparaturen nicht als Fremdkörper erscheinen zu lassen. Spezielle Sicherheitskontrollen, die den Körper durchleuchten, sind wegen ihrer Größe schwer zu integrieren. Nachträglich montierte Videoüberwachungssysteme verändern stark die Atmosphäre des Schwellenraumes. Sie werden als Überwachung erkannt und stellen die freie Zugänglichkeit in Frage. Das inszenierte Beobachten kann auch als Abschreckung oder zum gesteigerten Sicherheitsgefühl beitragen. Es gibt für beide Sichtweisen noch keine einheitliche Beurteilung. Sicher ist jedoch, dass die Raumwahrnehmung durch die erkennbaren Schwellenraum-Apparaturen verändert wird. Verschlüsse des Schwellenraumes Unter „Schwellenraum-Verschlüssen“ sind Mechanismen zu verstehen, welche die Schwellen des Schwellenraumes verschließen und unpassierbar machen. Diese Verschlüsse können geöffnet und geschlossen werden und lassen in den verschiedenen Zuständen die Ambivalenz der Schwelle erleben. Meistens handelt es sich um Türen oder Tore, die in ihrer Zeichenhaftigkeit aufgrund eines Türdrückers als Verschlusselement erkannt werden. Transparente SchwellenraumVerschlüsse sind für viele öffentliche Gebäude Standard geworden, um eine freie Zugänglichkeit beim Ankommenden zu suggerieren. Falls die transparenten Türen verschlossen sind, wird diese Erwartung beim Benutzer enttäuscht. Die Verschlüsse von Schwellenräumen können auch in einer inneren Zone organisiert werden. In der Neuen Nationalgalerie in Berlin findet man zum Beispiel den Eingang zum Innenraum mitten im Schwellenraum. Während der Öffnungszeiten fungieren die Trommeltüren als starke Schwelle und bilden einen Schwellenraum-Verschluss der Glasflächen, durch die aber kein eigener Wahrnehmungsraum entsteht. Dieser Schwellenraum kann in seiner Kontinuität erlebt werden, da der innere Teil als Foyer genutzt wird. Gegenwärtig werden raffinierte Verschlussmechanismen mit den Schwellenraum-Apparaturen kombiniert. Der biometrische Fingerabdruck lässt den Benutzer nach positiver Erkennung den Verschluss öffnen. Zugangsberechtigungen werden immer stärker individualisiert. Der Schwellenraum bei privaten Gebäuden wird bei neueren Planungen erst einmal provisorisch geschlossen, obwohl mit transparenten Eingangsbereichen offene Zugänglichkeit suggeriert wird. Derjenige, der die Berechtigung hat, besitzt auch den „Schlüssel“. Der Science-Fiction-Film „Gattaca“ von Andrew Niccol präsentierte bereits 1997 einen aufwendig gestalteten Fingerabdruckleser, der als zentrale Apparatur im Film durch eine zweite Haut getäuscht wird.

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Der Schwellenraum — 1

Häufig wird die Kultur der Öffnung inzwischen durch eine Kultur der Kontrolle ersetzt. Dezentrale Konzepte, die mit keinem eindeutigen Haupteingang operieren, sind, wie zum Beispiel das Centre Pompidou, umgeplant worden. In der ursprünglichen Konzeption sollte der Eingangsbereich zusammen mit dem Vorplatz einen zusammenhängenden Schwellenraum bilden und von verschiedenen Eingängen aus den Innenraum erschließen. Es erfolgte eine Umplanung, um eine zentrale Kontrolle zu ermöglichen. Die Idee der frei betretbaren Kunstmaschine kann nicht mehr erlebt werden. Der heutige Eingang ist schwer zu finden, da das Gebäude mit einer dezentralen Erschließung konzipiert war.

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SchwellenraumAnalysen Raumnotation und Raumanalyse Carpenter Center for the Visual Arts in Cambridge, Massachusetts Neue Nationalgalerie in Berlin Museu de Arte (MASP) in São Paulo Museum für angewandte Kunst in Frankfurt am Main Fondation Cartier in Paris Casa da Música in Porto

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2 — Schwellenraum-Analysen

Raumnotation und Raumanalyse Das bildhafte Aufzeichnen von Raum entwickelt sich zum Werkzeug, um die Vorstellung von Raum zu unterstützen. Unter Raumnotation ist eine Darstellung von Raum zu verstehen, die Aufschluss über seine Konstitution gibt. Die Wahrnehmung und die Vorstellung eines Schwellenraumes sollen jetzt mit Hilfe einer eigens entwickelten Analysetechnik und Diagrammatik dargestellt werden, um tiefere architektonische Einblicke in dieses räumliche Phänomen zu geben. Eindrucksvoll geben Architekturzeichnungen Aufschluss über die räumlichen Konzepte der jeweiligen Architekten. Die mögliche Darstellung beeinflusst die Raummodelle und deren Umsetzung. Zeitversetzt zu den Darstellungen von planerischen Zeichnungen werden Zeichnungen von Gebautem angefertigt, um Gebautes zu begreifen. Raumnotationen dienen als Inspirationsquelle für zukünftige Räume, dokumentieren Ist-Zustände und machen teilweise verloren gegangene Bautechniken und Details sichtbar. Man kann also zwischen Raumnotationen unterscheiden, die angefertigt werden, um Raum entstehen zu lassen, und solchen, mit denen versucht wird, architektonische Räume im Nachgang zu begreifen oder abzubilden. Diese Unterscheidung ist für das Verständnis von Raum aber nicht entscheidend, da der grundlegende Unterschied zwischen erlebtem und dargestelltem Raum liegt. Raumnotationen unterstützen den Prozess der Vorstellung und stehen in Wechselwirkung mit dem zu erlebenden Raum. Des Weiteren unterliegen die Raum bildenden Elemente ständigen Veränderungen, das heißt, sie altern, können renoviert, angepasst und neu ausgestattet werden. Außerdem unterliegen Techniken und Darstellungen von Notationen dem Wandel und es bieten sich Betrachtungen mit neuen Medien als sehr erkenntnisreich an. Um eine räumliche Idee zu verwirklichen, sind Darstellungen für den Entstehungsprozess, während des Bauens und im Anschluss sinnvoll. Die Notation erzeugt zwar eine eigene räumliche Vorstellung, ist aber an den gebauten Raum gekoppelt. Ein Diagramm kann die Aussagekraft einer ersten Entwurfsskizze besitzen und stellt das Konzept in abstrakter Form dar. Es gibt eine Reihe von zeichnerischen Auseinandersetzungen mit Architekturen. Beeindruckend sind die analytischen Zeichnungen von Choisy 59 aus dem Jahre 1899, welche die Akropolis darstellen und ihre räumlichen Qualitäten aufzeigen. Die Zeichnungen von Francis D. K. Ching erklären räumliche Ideen und versuchen sie zu sortieren. Die Veröffentlichung „Architecture: Form, Space & Order“ 60 hat in den USA die Grundlehre von Architektur geprägt und gilt dort nach wie vor als Standardwerk. Als vergleichbar können die Bemühungen von Boris Podrecca gelten, der in seinem „Almanach der Architektur“ 61 100 Gebäude analysiert und nach Raumkategorien sortiert hat. Auch Egon Schirmbeck geht der Frage nach, wie man Raum und dessen verschiedene Konzepte lesbar und vergleichbar darstellen kann. In der Veröffentlichung „Architektur und Raum – Gestaltungskonzepte im 20. Jahrhundert“ 62 wird der Versuch präsentiert, mit Hilfe von Zeichnungen und Modellen Raumkonzepte zu notieren und verständlich abzubilden.

Turit Fröbe, „Wege und Bewegung in der Architektur Le Corbusiers“, in: Wolkenkuckucksheim, Gebaute Räume. Zur kulturellen Formung von Architektur und Stadt, 9. Jg., Heft 1, 2004. 60 Francis D. K. Ching, Architecture: Form, Space & Order, van Nostrand Reinold company, New York 1979. 61 Boris Podrecca, Almanach der Architektur, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2009. 59

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Raumnotation und Raumanalyse — 2

Thomas F. Hansen erprobt über Raumnotationen, den architektonischen Raum zu beschreiben und erklärbarer zu machen. Er entwickelt eine ausgefeilte Technik von „Sequenzsymbolen“ 63, die architektonische Erlebnisse entlang eines Weges aufzeigen. Erlebter Raum – dargestellter Raum Der Architekt bewegt sich und arbeitet im Raum der Betrachtung und im Raum des Erlebens, das heißt, er plant den gebauten Raum 64 und versucht ihn in seiner Vorstellung zu durchwandern. Diese gedankliche Vorstellung übersetzt er in Raum begrenzende Elemente. In den folgenden Raumanalysen benutze ich Raumnotationen, die sowohl den Raum der Betrachtung als auch den Raum des Erlebens beinhalten. Der planerische Prozess wird in reziproker Reihenfolge nachvollzogen und dann in seine Teilaspekte zerlegt. Zum einen bilden die planerischen Dokumente, die sich aus der Recherche ergeben, eine Grundlage. Sie ermöglichen vorab ein gedankliches Durchwandern des architektonischen Raumes. Als zweite wichtige Voraussetzung für die Analyse gilt das Raumerlebnis vor Ort, das mich als wahrnehmenden Nutzer den Raum erfahren lässt. Mit dem Wissen über den gebauten Raum lassen sich erlebte Zusammenhänge mit dem Geplanten abgleichen. Es entsteht eine Superposition von Erlebtem, Wahrgenommenem, bei anderen Nutzern Beobachtetem einerseits und analytisch Erfasstem andererseits. Das Beschreiben und diagrammatische Darstellen des erlebten Raumes kann im Besonderen mit dem Hintergrundwissen über die räumlichen Zusammenhänge des architektonischen Raumes gelingen. Mit Hilfe von relevanten Raumparametern lassen sich die einzelnen Aspekte genau beobachten und so kann Wichtiges isoliert dargestellt werden. Dieses Zerlegen steht dem Entwurfsprozess in umgekehrter Herangehensweise gegenüber. Das Nachvollziehen der entwurfsrelevanten Themen ist nicht mit dem Entwurfsprozess des Analyseobjektes selbst zu verwechseln, sondern ist eine dem Entwurfsprozess und Bauprozess folgende und eigenständige Betrachtung. Dieses Betrachten und Analysieren schärft das eigene Entwerfen. Diagrammatische Zeichnungen sind Werkzeuge von Architekten, sie unterstützen das räumliche Denken und Entwerfen. Aus diesem Grund sind auch in dieser Arbeit zahlreiche Diagramme für die betrachteten Teilaspekte entwickelt worden. Sie sollen zu einem besseren Verständnis beitragen und eine Wechselwirkung mit dem erklärenden Text eingehen. Der Text erklärt die Diagramme; die Diagramme erklären den Text. Die Diagramme dienten auch im Prozess der Analysen dazu, Fragen zu stellen und in andere Richtungen zu denken. Die Zeichnungen bilden einen wichtigen Baustein zum Erkenntnisgewinn. Sie helfen die Architektur und das räumlich Erfahrene zu lesen. Analysetechnik nach Schirmbeck Egon Schirmbeck benutzt im Rahmen seiner Lehre die Betrachtung und Umkehrung des Entwurfsprozesses von zeitgenössischen Architekturen, um die Studierenden mit den verschiedenen Aspekten der Entwurfskonzeption zu konfrontieren. Der architektonische Entwurf wird in fünf Parameter zerlegt, um der Komplexität eine strukturierte Sortierung zu geben. Dieses Zerlegen ermöglicht das Fokussieren eines Aspektes, der in der Einzelbetrachtung klarer lesbar wird.

Egon Schirmbeck, „Zur Analyse von Raumkonzepten“, in: Egon Schirmbeck, Till Boettger und Christian Hanke, Architektur und Raum: Gestaltungskonzepte im 20. Jahrhundert, Dom Publishers, Berlin 2011. 63 Thomas Hansen, Der Architekturraum als Erlebnisraum für Planer und Nutzer, Karl Krämer Verlag, Stuttgart 1977, S. 203. 64 Ludwig Fromm, „Raumpaar – dem Erleben verpflichtet. Ein Lehransatz“, in: Der Architekt, Nr. 3, 2008, S. 60–64. 62

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2 — Schwellenraum-Analysen

Bei allen Parametern steht der Raum im Zentrum der Betrachtung. Sie bilden ein differenziertes, zusammengesetztes Bild. Schirmbeck erläutert den Ansatz in dem Text „Zur Analyse von Raumkonzepten“ wie folgt: „Mit der zeichnerischen Analyse, im Sinne einer Deduktion des Entwurfsprozesses, versuchen wir einzelne und exemplarische Entwurfsparameter herauszulösen und diskret darzustellen (Raumgestalt, Raumfunktion, Raumbildung, Raumstruktur, Raumfolge). Der Übersichtlichkeit folgend, werden jeweils unterschiedliche, charakteristische Parameter dokumentiert. In der Analyse wird der Entwurf in seine raumkonstituierenden und gestaltprägenden Elemente zerlegt und sichtbar gemacht.“ 65 Die einzelnen Parameter werden auf einer zweiten Ebene näher definiert und in Begriffsfelder eingeteilt 66 : • Raumgestalt: Material, Farbe, Licht • Raumfunktion: Raum und Nutzung • Raumbildung: Körper und Raum • Raumstruktur: Form und Ordnung • Raumfolge: Orte und Wege Im Rahmen der Lehre und der studentischen Bearbeitung bietet sich meines Erachtens eine abgeänderte Sortierung an, die das Verständnis der Gebäude erleichtert. Als Anfangspunkt können die Aussagen zur Raumbildung einen guten Überblick geben und die Raum bildenden Elemente mit dem aufgespannten Raum dessen Körperlichkeit klären. So schärft sich das räumliche Verständnis von den Elementen, die den Raum bilden, und dem tatsächlichen Volumen mit seiner Kubatur. Für die Darstellung dieses Parameters bietet sich eine Isometrie an. Sie spiegelt die Körperlichkeit der Räume am besten wider. In einem zweiten Schritt kann die Raumstruktur Einblicke in das Ordnungssystem der Raumbildung geben. Diese strukturellen Analysen können sehr gut die geometrischen Regeln beschreiben, aber auch die Proportionen offen legen. Die Reduktion auf die gestalterischen Ordnungsprinzipien ist gut in vertikalen und horizontalen Schnitten zu lesen. Sie abstrahieren die komplexen Räume auf Verhältnisse von Flächen und Linien. Im Anschluss an diesen Überblick können die Raumfolgen das Verständnis für die menschliche Bewegung im Raum dokumentieren. Das Darstellen der Bewegung in ebener Fläche als auch die Überwindung der Höhendimension geben einen ersten Einblick in die Maßstäblichkeit der Räume. Mit dem Artikulieren der Öffnungen kann die Maßstäblichkeit erklärt und eingeführt werden. Die Raumsequenzen geben der übergeordneten Struktur die wahrnehmbare und erlebbare Ordnung in Abhängigkeit der Zeit. In Verbindung mit der Raumgestalt steht der wahrnehmende Mensch im Zentrum der Betrachtung. Welche Raumbegrenzungen haben welche wahrnehmbare Materialität? Die Raumgestalt lässt somit Rückschlüsse auf die Atmosphäre zu. Hilfreich sind Verknüpfungen mit der Körperlichkeit des Raumes, da sie ihm eine weitere definierende Ebene ergänzend zur Verfügung stellen. Die Betrachtung der Raumgestalt klärt die Materialität und gibt Hinweise, in welcher Art und Weise die Raum bildenden Elemente ausgeführt sind und anschließend wahrgenommen werden können. 65 66

Schirmbeck, s. Anm. 2, S. 13. Schirmbeck, s. Anm. 62, S. 16–27.

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Raumnotation und Raumanalyse — 2

Als Abschluss bietet sich die Betrachtung der Raumfunktion an, da sie die Benutzung des Raumes in den Vordergrund stellt. Dieser sehr konkrete Parameter gibt Aufschluss über Einbauten und Möbel, die dem Raum erst seine Bestimmung verleihen. Außerdem stellt die Betrachtung der Raumfunktion im Ablauf des Bauprozesses den letzten Schritt dar. Die beschriebene Reihenfolge der Anwendung der Parameter lässt von einem nachvollziehbaren Überblick aus eine Annäherung in Detailbereiche zu. Diese Sortierung ermöglicht eine schnelle Gegenüberstellung der Sachverhalte von verschiedenen Architekturen. Die einzelnen Parameter lassen in der Abfolge ihrer Anwendung tiefe Erkenntnisse zu. Der Bezug der Parameter aufeinander lässt das komplexe Bild der Architektur wieder entstehen. Nach meinem Verständnis sind die Parameter offene, sich überschneidende Themenfelder. Dennoch ist anzumerken, dass sich bei einigen Objekten eine andere Sortierung anbietet, zum Beispiel eine umgekehrte Sortierung, welche die Raumfunktion als Ausgangspunkt bearbeitet. Sie stellt das Handeln in den benutzten Räumen in den Vordergrund und bewertet die Strategie. Auch eine Sortierung nach Wichtigkeit der Parameter für die betrachtete Architektur kann eine nachvollziehbare Logik schaffen. Diese individuell angepassten Betrachtungsweisen sind aber für eine gegenüberstellende, breit angelegte Analyse wenig hilfreich, sondern sogar verwirrend. Anpassung der Methode Ausgehend von der Raumanalyse nach Schirmbeck ist eine weiterentwickelte Betrachtung entstanden, die einerseits die Raumlage als sechsten Parameter ergänzt und dann in einem weiteren Schritt die Analysetechnik an die Belange des Schwellenraumes anpasst. Die Raumlage als weiterer Parameter fragt nach dem Ort. Diese Ergänzung des räumlichen Kontexts verortet die Architektur und den Raum. Die Raumlage bezieht Fragen nach der städtischen Struktur und der Landschaft ein. Architekturen können als Solitär platziert werden oder aber einen Teil eines größeren Ensembles bilden. Durch die Analyse der Raumlage gelingt eine großmaßstäbliche Einordnung und sie gibt Aufschluss über das Verhältnis der Architektur im übergeordneten Gefüge. Es geht nicht nur um die übergeordnet großmaßstäbliche Lage, sondern auch um den neu gebildeten Ort mit seiner Identität. Orte sind meist mit Ereignissen verknüpft, die in Erinnerungen oder Erzählungen weiterleben. Sie sind dadurch oft narrativ aufgeladen, das kollektive Gedächtnis manifestiert den Ort auf eine direkte Weise. Die sechs Parameter, Raumbildung, Raumfolge, Raumstruktur, Raumlage, Raumgestalt und Raumfunktion, bilden das Gerüst der Analyse. Sie beziehen sich im Falle der SchwellenraumAnalyse auf einen Raum, den Schwellenraum, und nicht auf eine komplette Architektur. Der größere räumliche Kontext bei der Schwellenraum-Analyse ist die Architektur selbst und deren unmittelbare Umgebung. Das Verhältnis Raum und Architektur steht im Vordergrund, analog zu dem Dialog von Gebäude und Umgebung bei einer Architekturanalyse. Für die SchwellenraumAnalyse werden die Begriffe präzisiert und bilden so eine Adaption für das Phänomen des Übergangs. Mit Raumbildung sind die Begrenzungen des Schwellenraumes gemeint. Durch sie kann der offene Raum-Körper aufgespürt und beschrieben werden, ob der Schwellenraum als Ganzes beziehungsweise als Kontinuum wahrgenommen wird. Entscheidend ist das Erfassen der offenen und geschlossenen Bereiche, die ein Eintreten ermöglichen oder es verhindern. Wichtig ist auch die Frage, ob der Schwellenraum als Raum aufgenommen wird oder ob eher die Raum bildenden Teile als Zeichen gelesen werden.

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2 — Schwellenraum-Analysen

Besonders wichtig ist bei der Analyse des Schwellenraumes die Klärung der Sequenz. In welcher Form ist der Weg durch den Schwellenraum inszeniert? In welcher Reihenfolge werden die Raumerlebnisse wahrgenommen? Die zeitliche Komponente ist von Bedeutung, da der Schwellenraum durch das Eintreten und das Verlassen definiert wird. Außerdem zielt die Frage nach der Sequenz auf die Führung des Weges und der Bewegungslinie ab. Inwieweit sind der Weg und die Richtung vorgegeben? Welche Freiheit besteht im Wählen des Weges? Anschließend ist der Blick auf die Geometrie hilfreich, da sie die räumliche Ordnung der Sequenz des Schwellenraumes erklärt und zum Beispiel bestimmte Proportionen aufzeigt. Von Interesse für die Ordnung ist auch die Beziehung zur übergeordneten Architektur. Ist der Schwellenraum integriert oder besitzt er seine eigene strukturelle Ordnung? Die Strukturanalyse lässt auch die Frage nach der Lage mitschwingen. Welche räumliche Lage besitzt der Schwellenraum in Bezug auf die Architektur? Die Topographie des Schwellenraumes beschreibt den gebildeten Ort. Die Frage nach der Raumgestalt bietet sich im Anschluss an die Klärung der Raumlage an, da sie die Verortung materialisiert. Die benutzten Materialien stehen natürlich in enger Beziehung zur gesamten Architektur, entwickeln aber meist durch ihren engen Bezug zum Außenraum und zum natürlichen Licht eine Eigenständigkeit. Auch die hohe Belastung der Materialien im Schwellenraum auf Grund des ständigen Passierens ist erwähnenswert. Sichtbare Abnutzungserscheinungen sind die Folge und spiegeln die Frequenz der Besucher wider. Die Atmosphäre des Schwellenraumes bestimmt in hohem Maße, ob der Benutzer sich willkommen fühlt. Als Letztes werden die Einrichtungen des Schwellenraumes analysiert. Diese Betrachtung fragt nach eingebauten Schwellen. Welche Apparaturen sind erkennbar? Der Ausbau des Schwellenraumes wird durch bestimmte Sicherheitsstandards und Forderungen an die Bauklimatik bestimmt. Parameter der Schwellenraum-Analyse Im Folgenden werden die für die Schwellenraum-Analyse geeigneten Parameter aufgelistet und mit den zentralen Fragen der Teilbereiche ergänzt. In Klammern sind die entsprechenden Begriffe von Schirmbeck aufgeführt. Es ist der Parameter „Raumlage“ ergänzt worden. Begrenzung (Raumbildung) Wie wird der Schwellenraum gebildet? Kann der Raum-Körper als Ganzes wahrgenommen werden? Werden Schwellenraum-Begrenzungen als Zeichen des Ankommens eingesetzt? Sequenz (Raumfolge) Welcher Weg kann im Schwellenraum durchwandert werden? Wird der Weg inszeniert? Welche Bewegungslinien werden angeboten? Gibt es einen geplanten Übergang? Geometrie (Raumstruktur) Welche Ordnung besitzt der Schwellenraum? Können geometrische Formen erkannt werden? Topographie (Raumlage) Welchen Ort bildet der Schwellenraum? Welche Lage besitzt der Schwellenraum im Verhältnis zur Architektur selbst? Materialität (Raumgestalt) Welche Atmosphäre kann im Schwellenraum erlebt werden? Welche Farbe, welche Helligkeit, welchen Kontrast besitzt der Schwellenraum? Welchen Einfluss hat die Lichtführung?

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Raumnotation und Raumanalyse — 2

Einrichtung (Raumfunktion) Welche Auswirkungen hat die Möblierung beziehungsweise der Ausbau auf den Schwellenraum? Wie verändern oder unterstützen Schwellenraum-Verschlüsse und Schwellenraum-Apparaturen den Schwellenraum? In der Anwendung hat sich eine Zusammenfassung bewährt, welche die Wichtigkeit der einzelnen Parameter aufzeigt. Durch sie wird das Herausgefundene verdichtet und eine Sortierung vorbereitet, die den Schwellenraum nach seinem räumlichen Vermögen qualifiziert. Auswahl Analyseobjekte Es wurden öffentliche Gebäude ausgewählt, die eine freie Zugänglichkeit besitzen. Aufgrund der freien Zugänglichkeit muss sich der Architekt während des Entwerfens mit dem Schwellenraum auseinandersetzen, um das Ankommen und Verlassen des Nutzers zu organisieren. Es geht nicht um eine Betrachtung von Gebäuden, die mit einem ausschließlich privaten Zugang operieren. Übergangssituationen sind stärker ausgebildet, wenn der Gebäudetypus den Wunsch nach Öffnung im Konzept impliziert. Die Ambivalenz des Schwellenraumes wird sichtbarer. Bei privaten Gebäuden ist oft der Aspekt des Verbergens oder Abschottens wichtig. Der Schwellenraum muss bei dieser Typologie stärker die Privatsphäre schützen. Jedes Analyseobjekt ist im Bereich von „Kunst“ anzusiedeln. Es handelt sich überwiegend um Gebäude, die Kunst der Moderne und der Gegenwart präsentieren. Diese Sondergruppe ist für die Betrachtung der Übergangssituationen besonders interessant, da sich die genannte Kunst in weiten Teilen mit Entgrenzung an sich auseinandersetzt. Außerdem entsteht eine besondere Beziehung zwischen den Kunstobjekten in den Schwellenräumen. Die räumliche Wahrnehmung einiger Skulpturen weist Analogien zur Wahrnehmung komplexer Raumfolgen auf. Diese Parallelität gibt Aufschluss über den Moment des Übergangs selbst. Architekturen und deren Zugänglichkeit werden zur Demonstration von Offenheit und des damit verbundenen Abbaus der Schwelle eingesetzt. Exemplarisch für diese Entwicklungen steht der Museumsbau in Europa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Europäische Großstädte stehen in einem starken Konkurrenzkampf bezüglich ihrer Museumsprojekte. Die Auseinandersetzung mit der Schwelle ist bei diesen repräsentativen Bauten entscheidend für die Raumkonzeption. Der Besucher soll mit Hilfe des Raumes eingeladen werden, das Museum zu betreten. Die Gebäude sind durch ihre Struktur mit dem Stadtraum verknüpft; auf diese Weise wird der Zugang zum Ausstellungsraum oder Vorführraum inszeniert. Es entstehen Sequenzen des Übergangs. Meist werden Grünanlagen oder städtische Plätze bei der Organisation des ersten Ankommens mit einbezogen. Die Begriffe Transparenz, Durchblick und Offenheit werden zu Leitthemen dieser Konzeptionen. Außerdem werden öffentliche Bauten für die Kunst seit Anfang des 20. Jahrhunderts vermehrt ausgeführt, um ökonomische und gesellschaftliche Ziele zu verfolgen. Der Kunstmarkt hat sich im 20. Jahrhundert zu einem eigenen Wirtschaftssektor entwickelt. Darüber hinaus werden Museumsbauten als öffentliche Bauvorhaben initiiert, um an lokale oder nationale Unternehmen Aufträge zu vergeben. Die öffentlichen Bauten sollen identitätsstiftend für die Bevölkerung wirken, indem sie das kulturell Geschaffene ausstellen und zur Diskussion stellen. Sie sind Orte der Kommunikation und der Repräsentation. Die Selbstdarstellung spielt eine entscheidende Rolle beim Erstellen der Raumkonzepte, da man sich gleichzeitig eine Vermittlung der eigenen Werte verspricht. Staaten und Organisationen entdecken die Bauten für die Kunst und deren Präsentation

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2 — Schwellenraum-Analysen

als Vorzeigeobjekte ihres Kulturverständnisses. Transparenz, Offenheit, Durchblick und freie Zugänglichkeit stehen für Werte, die mit Hilfe von räumlichen Konzeptionen veranschaulicht werden sollen. Die Analyseobjekte sind chronologisch geordnet und sollen besonders als Repräsentanten für Schwellenraum-Situationen stehen. Bewusst wurden Orte mit unterschiedlicher kultureller Prägung nebeneinandergestellt, um auf die internationale Bandbreite des räumlichen Übergangs einzugehen. Das Ziel der Analysen ist, der Konzeption der Gebäude näherzukommen, indem sich der Fokus auf einzelne signifikante Übergänge richtet. Vielleicht kann eine neue Zugänglichkeit von Architektur ermöglicht werden, wenn die Analyseobjekte aus der Perspektive des Zugangs betrachtet werden. Die ausgewählten Gebäude sind annähernd im Abstand von etwa zehn Jahren entstanden und sind alle nach 1950 fertig gestellt worden. Diese Begrenzung auf Architekturen aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts und des 21. Jahrhunderts scheint besonders hilfreich, um unterschiedliche Positionen und Interpretationen des Schwellenraumes aufzuspüren. Die Zusammenstellung der Schwellenräume ermöglicht eine Gegenüberstellung und einen Vergleich mit den gegenwärtigen Architekturbeispielen und deren Umgang mit dem Schwellenraum. Es werden die unterschiedlichen Positionen und Interpretationen anhand der Beispiele sichtbar. Die verschiedenen Analyseobjekte geben einen Einblick in unterschiedliche Raumkonzeptionen, die eine räumliche Katalogisierung ihrer Schwellenraum-Organisation zulassen. Im Vordergrund der Betrachtungen steht die Auseinandersetzung mit dem Übergang zwischen Innen- und Außenraum, da hier der stärkste räumliche Wechsel markiert wird. Durch den starken Kontrast zwischen innen und außen werden an den Schwellenraum hohe Anforderungen gestellt. Im Prinzip lassen sich ähnliche Schwellenraum-Typen bei Raumkonfigurationen, die zwischen Innen- und Innenraum vermitteln, beobachten. Die Übergangssituationen sind dann meist schwächer ausgeprägt.

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Carpenter Center for the Visual Arts Cambridge, Massachusetts, Le Corbusier, 1961–64 Das Carpenter Center for the Visual Arts der Harvard Universität ist als ein Gebäude konzipiert, das fächerübergreifend genutzt werden sollte.67 Gegenwärtig wird es von verschiedenen künstlerischen Fachklassen aufgesucht, die jeweils einen Atelierraum belegen. Nur die Holzwerkstatt funktioniert nach dem von Le Corbusier entwickelten offenen Werkstatt-Prinzip, denn sie wird von Studierenden verschiedener Fachrichtungen besucht. Das Bauwerk bildet einen kühnen Kontrast zur klaren Geometrie seiner neoklassizistischen Umgebung. 68 Die architektonische Gestalt ist von der Materialität des Sichtbetons und den dunkel erscheinenden Glas- beziehungsweise Öffnungsbereichen geprägt (Abb. 25). Die einzelnen rohen, offenen Körper finden durch vertikale Türme und Stützen ihr dynamisches Gleichgewicht. Der Baukörper stellt sich als offene, fragmentarisch wirkende Struktur dar. So entsteht ein verknüpfender Baukörper, der als Zentrum dient. Neben den rechteckigen, vertikalen Elementen liegen, beidseitig ausladend, flügelartige Körper mit runden Außenflächen. Auffällig wirkt die S-förmige Rampe, die das Gebäude durchläuft und prägnant in den Vordergrund tritt. Zuerst versuchte Le Corbusier die Auftraggeber zu überzeugen, die Rampe als Haupterschließung zu nutzen. Alle Benutzer sollten im zweiten Obergeschoss ankommen. Der Vortragssaal im Erdgeschoss sollte von einem Nebeneingang erschlossen werden, der auch zur Anlieferung diente. Im weiteren Planungsprozess wurde der hängende Eingang im Erdgeschoss durch ein Foyer und einen Windfang räumlich erweitert. Abb. 25: Architektonische Gestalt

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Willy Boesiger, Le Corbusier, Œuvre complète, Volume 7, 1957–1965, Birkhäuser Verlag, Basel/Boston/Berlin 1965, S. 54. Ebd.

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2 — Schwellenraum-Analysen

Begrenzung Der für das Gebäude wichtigste Schwellenraum wird kontinuierlich durch die S-förmige Rampe gebildet, die sich als Wegraum durch das komplette Gebäude schiebt und im zweiten Obergeschoss den Zugang generiert (Abb. 26). Für das Wegenetz des Campus schafft diese Passage eine diagonal verlaufende direkte Verbindung von der Prescott Street zur Quincy Street, um dort in einer Rampe des Harvard Art Museums ihre Fortsetzung zu finden. Der überwiegende Teil der Rampe ist seitlich jeweils nur durch lineare Stege, die Absturzsicherung, begrenzt, durch die das Carpenter Center beim Hinaufsteigen von außen betrachtet werden kann. Die Absturzsicherung ist im südlichen Bereich als Betonaufkantung ausgeführt. Dieses Element ist fest mit der Rampe verbunden und konnte aufgrund seiner Tiefe sehr niedrig gestaltet werden. Es wirkt wie eine Leitplanke und unterstreicht den Autobahncharakter der Rampe. Eine einfache Flachstahl-Rahmen-Konstruktion mit quadratischen Gittern begrenzt die gegenüberliegende Seite nur leicht und lässt Durchblicke zu. Diese beiden seitlichen Führungen begleiten den Eintretenden auch, während er seitlich den Treppenturm passiert oder sich innerhalb des Gebäudevolumens befindet. Der wettergeschützte Bereich ist circa 27 Meter lang und bietet Einblicke in die Galerieund Workshop-Bereiche. Ein ebenes Podest markiert den räumlichen Mittelpunkt. Korrespondierend begrenzt die Unterseite des dritten Obergeschosses den Raum. Seitlich erlauben zwei großzügige Eingangstüren aus Glas das Eintreten ins Gebäude. Abb. 26: Schwellenraum-Begrenzungen und Schwellenraum-Körper

Abb. 27: Schwellenraum-Sequenz Prescott Street

Abb. 28: Schwellenraum-Sequenz Quincy Street

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Sequenz Die Rampe lädt den Besucher direkt von der Straße kommend ein, sich dem Gebäude zu nähern (Abb. 27 und 28). „The ramp dramatically advertises itself as a bridge with the outside world. What constitutes the inside world – the other end – is still not apparent.“ 69 Der Weg ist mit dem Betreten der Rampe umfassend kontrolliert. Die vorgegebene Spur der Rampe verschafft den Sinnesorganen viel Freiheit, um den Raum wahrzunehmen. Die einzelnen Körper des Gebäudes können bei diesem Spaziergang umkreist werden und entfalten so ihre Körperlichkeit. Le Corbusier schafft eine geführte Distanz und eine sich schlängelnde Wegdehnung. Das Ende des Weges ist in logischer Konsequenz der Einstieg in das Gebäude. Unabhängig, von welcher Seite sich der Besucher nähert, führt die Rampe ihn auf ein gerades, quadratisches, innenliegendes Podest. Die „ondulatoires“ als vertikale Stahlbetonelemente der Glaseinteilung unterstützen die flüssige Bewegung. Ihre Breiten sind mit dem „Modulor“-System bestimmt worden. Es entsteht ein besonderer Rhythmus, da sich die Rampe in einer Gegenbewegung den Atelierkörpern annähert. Geometrie Der Baukörper besitzt im Grundriss eine weitgehende Drehsymmetrie (Abb. 29). Sowohl die Rampe als auch die flügelartigen Atelierräume kommen bei einer 180-Grad-Drehung zur Deckung. Die starke S-Form besitzt eine Eigenständigkeit und scheint sich selbstbewusst mit der Ordnung des Baukörpers zu überlagern beziehungsweise zu verschneiden. Die ersten geraden Teilstücke der Rampe begrenzen das Grundstück und verlaufen parallel zur Quincy Street und Prescott Street (Abb. 30). Außerdem bildet ihre lineare Verlängerung eine Tangente für die flügelartigen Atelierkörper. Diese geometrische Parallelität lässt den Besucher beim Betreten der Rampe direkt auf die besonderen Körper zusteuern. Die flügelartigen Baukörper unterstützen den Richtungswechsel und dienen als räumliche Einleitung. Sie sind jeweils nach der Kurve der Rampe die ersten Körper, die passiert werden. Die beiden Kurvenstücke der Rampe lenken den Ankommenden wie selbstverständlich um. Die mittlere Gerade liegt als Diagonale im Grundstück und unterstreicht die Dynamik, da durch ihre Wegeführung die Nachbargebäude und die Teilkörper des Gebäudes räumlich wahrgenommen werden können.

Quincy Street

Abb. 30: Tangenten des Schwellenraumes

Prescott Street

Abb. 29: Drehsymmetrie des Schwellenraumes

69 Eduard F. Sekler und William J. R. Curtis, Le Corbusier at Work: The Genesis of the Carpenter Center for the Visual Arts, Harvard University Press, Cambridge MA 1978, S. 16.

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2 — Schwellenraum-Analysen

Das Modulor-Quadrat von 3,66 × 3,66 Metern wird als wieder erkennbare geometrische Figur für die Bildung des Raum-Körpers eingesetzt (Abb. 31). Die beiden Öffnungen in dem Baukörper, die die Durchdringung des Schwellenraumes ermöglichen, sind als Quadrate erkennbar (Abb. 32). Auf der Seite der Prescott Street ist die Öffnung zwei Geschosse hoch und breit; auf der Seite der Quincy Street nimmt das Quadrat mit einer einfachen Geschosshöhe nur ein Viertel der Fläche ein. Diese ausgewogene Geometrie erzeugt in dem dynamischen Baukörper ein eindeutig ruhiges und daher wichtiges Moment. Unterstrichen wird diese Ruhe durch die mittige Lage des Quadrates in den Ansichten. Der Grundriss des inneren Teils des Schwellenraumes stellt sich als Rechteck dar, das aus drei Quadraten zusammengesetzt ist (Abb. 33). Im Besonderen wird der Raum vor den Eingangstüren markiert, der die Gestalt eines Würfels aufweist. Die Deckenunterseite ist als quadratisches Feld weiß gestaltet. Der kleine Würfel kann als Verengung wahrgenommen werden. Besonders deutlich wird die räumliche Bedeutung des Eingangswürfels, wenn man den Baukörper als großen Würfel abstrahiert (Abb. 34). Es entsteht das Bild eines kleinen Würfels in einem großen Würfel.

Abb. 31: Raummodul des Schwellenraumes

Abb. 32: Öffnungen des Schwellenraumes

Abb. 33: Quadrate des Schwellenraumes

Abb. 34: Eingangswürfel des Schwellenraumes

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Carpenter Center for the Visual Arts — 2

Topographie Le Corbusier sah mit seiner Gebäudekonzeption vor, einen neuen, besonderen Ort zu schaffen, der sich in Gestalt und Lage von der Umgebung abheben sollte (Abb. 35). Der Besucher wird diagonal durch das Grundstück geführt und kann ansteigend den klaren Kontrast des Gebäudes zur orthogonalen Ordnung der Umgebung wahrnehmen. Der Schwellenraum lässt den Besucher nicht nur in das Carpenter Center eintreten, sondern er fungiert als Übergangsort für das gesamte Harvard-Areal. Der Ort des Schwellenraumes bietet einen Positionswechsel an und ermöglicht eine neue, erhöhte und wechselnde Perspektive. Der Schwellenraum generiert seine eigene Topographie. Es scheint so, als ob er aus sich selbst heraus die Höhe überwindet (Abb. 36). Diese Operation schafft erst ein Dazwischen beziehungsweise eine dazwischen liegende Mitte. Le Corbusier nennt den Schwellenraum in seinen ersten Skizzen „route ascensionelle“ 70 und stellt so die aufsteigende Bewegung in den Vordergrund. 71 Als Ort zwischen den Ateliers und den Ausstellungsflächen kann man sich in Bezug auf den öffentlichen Außenraum nicht intensiver den „visuellen Künsten“ nähern. Die kurvenreiche Durchwanderung provoziert Einblicke und weckt die Neugierde. Die programmatische Idee des fakultativ übergreifenden Zugangs findet in der totalen Öffnung der Passage für die Öffentlichkeit ihre Fortführung. Abb. 35: Städtebaulicher Kontrast des Schwellenraumes

Abb. 36: Erhöhte Lage des Schwellenraumes

Materialität Die Materialität des Schwellenraumes entspricht der Materialität des Gebäudes, das heißt, die Materialwahl des Schwellenraumes kann als Repräsentation verstanden werden. Der sichtbare Stahlbeton ist das Grundmaterial. Durch die beige, helle, sandige Farbigkeit des Betons wird die Plastizität der einzelnen Körper im Sonnenlicht intensiv wahrgenommen. Das Licht wird in den wechselnden Jahreszeiten unterschiedlich absorbiert und lässt das Gebäude unterschiedlich erscheinen.72 Die Öffnungen wirken dunkel, die Glaselemente haben zusätzlich einen leicht grünen Glanz. Der Beton der Rampe ist poröser als der des Gebäudes und unterstreicht so die

Françoise de Franclieu, Architectural History Foundation und Françoise De Franclieu, Le Corbusier Sketchbooks – Vol. 4, 1957–1964, The MIT Press, Cambridge MA / London 1982, S. 46, sketch 522. 71 Ebd., S. 37. 72 Sekler und Curtis, s. Anm. 69. 70

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2 — Schwellenraum-Analysen

besondere Haptik des rauen Außenraumes. Dies gilt auch für die so genannten Leitplanken, die als Betonaufkantungen den Autobahncharakter verstärken. An der Innenseite sind kleine SpotLeuchten eingelassen, die den Weg im Dunkeln leiten. Sie erinnern durch den Rhythmus an Lichter eines Flughafens, die die Lande- und Startbahnen säumen. Die Oberseite der Rampe ist auch Projektionsfläche, die das bewegte Schattenspiel der Bäume einfangen kann.73 Im Winter wird durch den weißen Schnee besonders die Spur der Rampe betont. Diese saisonale Veränderung lässt die Rampe noch mehr wie eine öffentliche Straße erscheinen. Des Weiteren wird der Schwellenraum bei Dunkelheit mit dem künstlichen Licht aus den Werkstätten und Atelierräumen in Szene gesetzt (Abb. 37). Die Atmosphäre des Innenraumes breitet sich auf den angelagerten Schwellenraum aus. Einrichtung Das Innere des Schwellenraumes wird bestimmt durch seine Funktion als Passage und Eingangszone. Es gibt keine Einbauten, die den Wegefluss stören. Bezeichnend ist, dass sich das Innere des Schwellenraumes im besonderen Maße mit dem bewegten Menschen auseinandersetzt. Le Corbusier nutzt den Modulor, um Bezüge zum Körper herzustellen. Für diese Thematisierung der Bewegung sind auch die Leitplanken konzipiert, die an Autobahnzufahrten erinnern (Abb. 38). Die Oberfläche der Rampe zeichnet sich durch eine rechteckige Modulor-Einteilung 74 aus, die durch versetzte Flächenkombinationen ein laufendes Bild produziert. Sie gibt dem Laufenden eine kleinteilige, maßstäbliche Struktur, die mit dem Schrittmaß in Beziehung steht. Die Maße sind in ihrer Größe erfahrbar und spürbar. Die Wasserführung ist als markante Rille in Längsrichtung ausgeführt. Sie teilt die Fläche der Rampe im Goldenen Schnitt. Auffällig sind die geschwungenen Leitplanken, da sie den Weg und die Bewegung betonen und gleichzeitig als eine sehr lange Sitzmöglichkeit genutzt werden können. Die Form ist ein umgekehrtes L mit einer Modulor-Sitzhöhe von 70 Zentimetern und einer Tiefe von 54 Zentimetern. Der obere, kürzere Schenkel ist um circa 12 Grad geneigt und unterstreicht das flüchtige, kurzzeitige Sitzen. Die Glasflächen im Inneren des Schwellenraumes wirken als Reflexionsflächen und geben dem engen Bereich eine natürliche Weite.75 Der räumlichen Verengung wird optisch entgegengearbeitet, denn der Eingangsbereich wirkt großzügig. Le Corbusier plante seitlich eine Begrünung der Passage (Abb. 39). Nach Aussagen des Supervisors des Gebäudes ist eine Bepflanzung aufgrund von Lichtmangel nie geglückt. Gegenwärtig wird dieser Raum als außenliegender Arbeitsraum der Werkstatt genutzt.

Sekler und Curtis, s. Anm. 69, S. 15, Abb. 8. Ebd. 75 Ebd., S. 18, Abb. 11. 73 74

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Abb. 37: Kontrast des Schwellenraumes im Kunstlicht

Abb. 38: Leitplanken im Schwellenraum

Abb. 39: Bepflanzung des Schwellenraumes

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2 — Schwellenraum-Analysen

Zusammenfassung Als wesentliches Element des Schwellenraumes stellt sich die S-förmige Rampe dar. Sie bestimmt Richtung, Geschwindigkeit und Reihenfolge der Annäherung. Dieser lineare Schwellenraum ermöglicht ein total geführtes Ankommen und eine geplante Durchwanderung des Areals. Die räumliche Durchdringung verbindet den außenliegenden Campus mit den Funktionen des Carpenter Centers. Der höchste Punkt der Rampe befindet sich innerhalb und in der räumlichen Mitte des Gebäudekörpers. Die Raumvolumen scheinen an den Rampenraum angelagert und ihm untergeordnet. Curtis beschreibt die Rampe als „promenade architecturale“ 76. Dieser Terminus wurde von Le Corbusier geprägt und geht zurück auf seine Beobachtung auf der Akropolis während einer Studienreise. In der Villa La Roche als auch in der Villa Savoye liegt die „promenade architecturale“ überwiegend innen und hat teilweise begleitend Kontakt zum Außen. Die Rampe des Carpenter Centers ist aufgrund ihrer Länge, zentralen Lage und Form im Organismus des Gebäudes sowohl von außen als auch von innen heraus fast aus jeder Position zu erkennen. Der Schwellenraum scheint omnipräsent. Sekler und Curtis sprechen von „a landscape within a landscape“ 77, das Carpenter Center öffnet sich demnach wie ein Park im Universitätscampus von Harvard. Die Landschaft könnte man auch mit einem Englischen Garten vergleichen, in dem der Spaziergänger spezielle Blickpunkte in einer geplanten Abfolge durchläuft. Le Corbusier wollte den Besucher ohne Foyer und ohne Sicherheitskontrolle ankommen lassen. Als Übergang sollte ausschließlich die Rampe fungieren. Die Verlegung des Haupteingangs pervertiert die Gebäudekonzeption. Curtis kritisierte bereits 1978 die Tatsache als störend, dass die Türen aus Sicherheitsgründen zu oft geschlossen blieben.78 Den seitlich, tiefer liegenden Eingang markiert ein Portal, durch das der Besucher nun sichtlich kontrollierbarer in die angrenzende Foyerzone tritt. Die Wegeführung und die Zugänglichkeit zum Gebäude sind nun unter den Aspekten der Sicherheit und Kontrollierbarkeit verändert worden. Bauliche Maßnahmen in unmittelbarer Nachbarschaft veränderten wiederholt den Anfang der Rampe auf der Seite der Prescott Street. Das Harvard Art Museum besitzt eine Unterschneidung, welche die Rampe verlängert. Diese Lösung befreit die Rampe von einem räumlichen Knick, der zum Eingang der Werner Otto Hall führte. Dennoch besitzt die Rampe auf dieser Seite nicht wie geplant einen offenen Abschluss, um frei zu schwingen. Die Umgestaltungen machen deutlich, dass eine Degradierung der Rampe zum Wegraum und Nebeneingang das Gebäude als Organismus beeinträchtigen. Sensible Steuerungen müssten in den Schwellenraum integriert werden, um so die Ambivalenz zwischen Öffnung und Schließung zu ermöglichen. Die Rampe könnte ihr Wesen und ihre Bestimmung behalten, was Curtis in den folgenden drei Fragen formuliert: „Is this interior, or exterior? Is one inside or outside the building? Is it the public or private realm?“ 79

William J. R. Curtis: Le Corbusier Idee und Form, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1987, S. 248. Sekler und Curtis, s. Anm. 69, S. 104. 78 Ebd., S. 18. 79 Ebd., S. 20. 76 77

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Neue Nationalgalerie Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68 Nach dem Zweiten Weltkrieg ordneten die westlichen und östlichen Mächte die verbliebene gesammelte Kunst in Deutschland neu; die Alte Nationalgalerie, nach Plänen von Friedrich August Stüler 1876 feierlich eröffnet, gehörte nun zum Territorium Ostberlins. Der Neubeginn der Institution Nationalgalerie im westlichen Teil Deutschlands begann mit der Fusion des westlichen Teils der Institution Nationalgalerie und der Galerie des 20. Jahrhunderts. Der Zusammenschluss ermöglichte mit den sich ergänzenden Sammlungen einen Neuanfang, für den auch ein neuer Ort gesucht wurde. Mies van der Rohe erhielt vom Westberliner Bausenat den Direktauftrag für die Neuplanung und Bauausführung. Die Neue Nationalgalerie sollte ein Teil des Kulturforums werden. Zusammen mit der Philharmonie, der Staatsbibliothek und dem Staatlichen Institut für Musikforschung versuchte man, in Berlin ein neues kulturelles Zentrum zu formen.80 Das schwarze, quadratische Dach bestimmt als starkes und schweres Element die äußere Erscheinung der Nationalgalerie (Abb. 40). Die Dachplatte besitzt eine Kantenlänge von 64,80 Metern und eine Konstruktionshöhe von 1,80 Metern. Sie ist aus Stahlvollwandträgern zusammengesetzt, die in einem Raster von 1,80 Metern die Unterseite des Daches strukturieren und eine Kassettierung entstehen lassen. Angehoben ist das 1260 Tonnen schwere Dach mit jeweils zwei am Rand der Platte sitzenden kreuzförmigen, nach oben hin sich verjüngenden Stahlstützen. Das Dach hebt sich dadurch 8,40 Meter von der Terrasse ab und verliert in dieser Höhe seine Massivität. Unter dem Dach bildet eine 5,40 Meter zurückgesetzte transparente Glasfassade die thermische Grenzfläche zwischen innen und außen. Abb. 40: Kubatur der architektonischen Gestalt

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Anne Enderlein, Die Neue Nationalgalerie, Berlin Edition, Berlin 2001, S. 32.

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2 — Schwellenraum-Analysen

Korrespondierend zum Dach stellt ein heller Granitsockel die Basis für den Stahl- und Glasbau dar. Diese flache, horizontale Terrasse hebt den oberen Körper an und bildet eine Bühne. Das nach Westen abfallende Gelände ermöglicht einen in den Sockel einbeschriebenen Innenhof, der das Untergeschoss mit Tageslicht versorgt. Die Terrasse bietet 9760 Quadratmeter Fläche zum Ankommen und Ausstellen von Großskulpturen im Außenraum an.81 Der Glaskörper mit seiner lichten Höhe von 8,40 Metern und lichten Ausstellungsfläche von 2430 Quadratmetern schafft einen geschützten Raum für Skulpturen und abgehängte Kunstwerke in variabler Positionierung beziehungsweise Hängung.82 Mies van der Rohe konzipierte ein Hängesystem, das an der Unterseite des Daches befestigt werden konnte. Im Gebrauch erwies es sich als schwerfällig und wurde aus diesem Grund wenig benutzt. Gleichzeitig ist der Glaskörper als Foyer konzipiert und beherbergt die Garderobe und den Ticketverkauf. Der Einlass wird durch das Personal kontrolliert. Die Bereiche im Erdgeschoss bieten Raum für Sonderausstellungen. Verbunden ist das obere Geschoss mit dem Untergeschoss durch zwei symmetrisch angeordnete zweiarmige Treppen. Sie führen in einen rechtwinkligen Vorbereich, der den Besucher zum nachträglich eingebauten Museumsshop, zu den Toiletten und den Galerien leitet. Diese Treppenhalle von 620 Quadratmetern wird durch die Treppen begrenzt und baut durch die Position der großzügigen Schiebetüren eine starke Achse auf, die mit der Hauptfreitreppe korrespondiert. Es folgen das Graphische Kabinett und der Kleine Raum, der zum Großen Raum führt. Im Großen Raum ermöglicht ein Stützenraster von 7 Metern variable Positionen von Wänden. Über den angrenzenden Skulpturengarten erfolgt die Lichtversorgung. Der Große Raum beherbergt die ständige Sammlung. Weiterhin liegen im Sockel die Nebenräume, wie die Verwaltungsräume, Restaurationswerkstätten und Technikräume, die seitlich durch eine Rampe verbunden sind. Begrenzung Die Oberseite des Sockels und die Unterseite des Daches begrenzen den Schwellenraum der Nationalgalerie. Die Dachfläche ist ein Quadrat; die Sockelfläche mit den eingelassenen Treppen entspricht annähernd einem Quadrat (Abb. 41). Der Schwellenraum-Körper liest sich als flache Schicht mit quadratischem Grundriss (Abb. 42). Abb. 41: Schwellenraum-Begrenzungen

Abb. 42: Schwellenraum-Körper

Andreas Grote, „Historische Baubeschreibung“, in: Imke Woelk, Der offene Raum, Der Gebrauchswert der Halle der Neuen Nationalgalerie Berlin von Mies van der Rohe, Technische Universität Berlin, Fakultät VI – Planen Bauen Umwelt, 2010, S. 102. 82 Grote, s. Anm. 81, S. 101. 81

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Neue Nationalgalerie — 2

Der Schwellenraum wird zwischen der „Stadt-Terrasse“ und dem Dach gebildet. Er verbindet die Stadt mit der Kunst und organisiert den Zugang zu den Kunstwerken. Man könnte fast meinen, dass die Stadt Berlin respektive deren Menschen sich in die einladende Zwischenschicht schieben können. Das Dach kreiert mit der Terrasse die Raumschicht, die zum Eintauchen einlädt, und bereitet dadurch auf die sich im Sockel befindlichen Exponate der Dauerausstellung vor. Die Glashaut läuft folgerichtig innen versetzt und organisiert nur die thermische Trennung, nicht die räumliche Grenze. Die stark räumlichen Kassetten der Dachunterseite laufen ohne Berücksichtigung von Innen- beziehungsweise Außenraum durch. Der Schwellenraum teilt sich in drei Bereiche: die Terrasse, den Umlauf und die Halle. Der Terrassenring beinhaltet die drei Freitreppen, die als Teil des Sockels wahrgenommen werden und gleichzeitig als Verbindungselement zum Gehweg fungieren. Die Fläche wird weder seitlich außen noch oberhalb begrenzt und entwickelt so ihre totale Zentrierung. Der wiederum ringförmige Umlauf befindet sich zwischen dem Terrassenring und der Halle und stellt sich als Schwellenraum im Schwellenraum dar. Er wird zusätzlich zu Dach und Terrasse von den acht Stützen und der Glashaut begrenzt und führt die Zentrierung fort. Die innenliegende Halle wird von den horizontalen Flächen klar begrenzt, wobei die Glasfassade keine starke, räumliche Begrenzung bildet. Der Körper des Schwellenraumes ist klar zu erkennen, da die Raum begrenzenden Flächen vom Ankommenden komplett wahrnehmbar sind. Die Sockelfläche kann aufgrund der Höhe von 1,20 Metern als Einheit überblickt werden. Die Unterseite des Daches lässt sich sowohl beim Passieren als auch beim Annähern wegen der wenigen Stützen und der Höhe von 8,40 Metern als Ganzes einsehen. Sequenz Der Besucher kann, aus einer beliebigen Himmelsrichtung kommend, die freistehende Gestalt des Stahlglaskörpers erkennen. Die Terrasse lässt, umlaufend, großzügig Platz und präsentiert den angehobenen Körper wie einen Tempel (Abb. 43.a). Der Sockel beinhaltet drei eingelassene Freitreppen, die in ihrer Breite als auch in ihrer Richtung hierarchisch angelegt sind. Die 45,60 Meter breite, zentrale Treppe nimmt die Mittelachse des Gebäudes auf und bezieht sich als Haupttreppe auf die Potsdamer Straße. Der Ankommende von Westen, vom Parkplatz, oder von Süden, vom Landwehrkanal, steuert automatisch auf die beiden schmaleren Treppen zu. Somit werden alle Besucher beim Ankommen zunächst über die eingelassenen Freitreppen im Sockel auf die Terrasse geführt. Dieser erste Bereich des Schwellenraumes ist von seiner Horizontalität und Weite geprägt. Es entsteht eine großzügige Distanz zum Glasstahlkörper, der sich mittig positioniert und sich als Zentrum darstellt. Die Stadt wird als zurückliegend wahrgenommen, der Kunsttempel als vorliegend. Die auf der Terrasse angeordneten Skulpturen stimmen auf die Ausstellung ein. Aus der Entfernung ist die Eingangstür nicht zu erkennen, der Besucher wird aber – unabhängig, aus welcher Richtung er kommt – zum mittig liegenden Körper geleitet. Als besondere Zone des Schwellenraumes ist der Umlauf anzusehen, mit dem die vorliegende Halle und die zurückliegende Terrasse verknüpft wird (Abb. 43.b). Dieser Raumabschnitt suggeriert schon ein Eingetreten-Sein, da man die außenliegenden Stützen passiert hat und sich unter dem Dach befindet. Dieses doppelte Dazwischen-Sein erzeugt eine besondere räumliche Spannung, da man scheinbar das Gebäude schon betreten hat. Man befindet sich mitten im Schwellenraum beziehungsweise zwischen den Zwischenräumen. Den Eingang zur Halle bilden zwei an der zurückgesetzten Glasfassade innenliegende Trommeltüren, die direkt in das Foyer führen (Abb. 43.c). Diese zurückgesetzten Trommeltüren stören

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2 — Schwellenraum-Analysen

die glatte Front der Glasfassade nicht und kontrollieren den Luftaustausch zwischen innen und außen. Sie bilden eine transparente Schwelle, unterbrechen aber den Schwellenraum nicht. Die Raum bildende Kraft des Daches ist stärker; der Raum wird als Kontinuum erlebbar. Die Atmosphäre der Halle unterscheidet sich wenig von der des Umgangs, außer in der unterschiedlichen Temperatur bei extremen klimatischen Bedingungen. Die Halle führt dann schließlich ins Innere des Sockels, der die Sammlung beherbergt. Abb. 43: Schwellenraum-Sequenz

a

b

c

Geometrie Der gesamte Gebäudekomplex weist eine strenge Ordnung auf, die sich von der städtebaulichen Einpassung bis ins Detail durch das Projekt zieht. Der Baukörper folgt dem Raster der ehemaligen Stadtstruktur des Tiergartenviertels, welches durch die Ausrichtung der Matthäuskirche überliefert ist. Der Schwellenraum weist zwei Symmetrieachsen auf, die den quadratischen Stahlglaskörper in den städtischen Kontext setzen. Die Hauptachse bezieht sich auf die Potsdamer Straße. Konsequent verläuft die Haupttreppe axial zu dieser Mittelachse (Abb. 44). Die Terrassenfläche ist genau austariert, die linke und die rechte Teilfläche verfügen trotz eingeschnittener Freitreppen und Ausklinkungen exakt über den gleichen Flächeninhalt (Abb. 45). Die 3,60 Meter breite, nördliche Seite wird ausgeglichen. Somit ist die kleinere, überbaute, quadratische Fläche des Schwellenraumes mittig in das größere Quadrat der Terrasse eingelagert. Die Nebentreppen sind punktsymmetrisch zum Mittelpunkt angeordnet, und ihre Laufrichtung entspricht der Hauptrichtung des Gebäudes. Der Grundriss des Sockels vermittelt mit Hilfe der Ausklinkungen der rechteckigen Form räumlich zwischen der Umgebung und dem quadratischen Grundriss des Glaskörpers.

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Neue Nationalgalerie — 2

Abb. 44: Symmetrien des Schwellenraumes

Abb. 45: Flächenausgleich im Schwellenraum

Der gesamten Anlage liegt eine würfelförmige Struktur zu Grunde. Sie basiert auf einem quadratischen 1,20 × 1,20-Meter-Raster, das sowohl die Flächen in der Grundebene als auch im Aufriss definiert. Es entsteht ein überhöhtes, würfelförmiges Raummodul, das die Terrasse und die Flächen des Umgangs und der Halle in Quadrate mit der Kantenlänge von 7,20 Metern teilt (Abb. 46). Der Umgang verläuft als Ring mit dieser Stärke von 7,20 Metern um die Halle und die Halle steht auf einem Quadrat von 43,20 × 43,20 Metern, was dem Sechsfachen entspricht. Die Höhe, um die das Dach angehoben ist, stellt mit 8,40 Metern das Siebenfache des Rasters dar, das heißt, die Höhe ist gegenüber dem Raummodul um 1,20 Meter überhöht. Die Überhöhung des Quadrates im Aufriss erscheint durch die optische Verzerrung als Quadrat. Somit kann das Dach stärker als schwebender Körper wahrgenommen werden, da ein gestauchter Würfel das Dach hätte schwerer erscheinen lassen. Außerdem ist bei der an sich rechteckigen Geometrie des Dachquerschnittes mit einer Kurvatur gearbeitet worden. Diese Wölbung gleicht ein wahrnehmbares Durchhängen aus. So kann die Leichtigkeit und Scharfkantigkeit des Daches visuell erfahren werden. Der Schwellenraum wird durch dieses räumliche System im Besonderen strukturiert, da die Raummodule wahrnehmbar sind und wiedererkannt werden können. Abb. 46: Raummodul im Schwellenraum

Abb. 47: Die Quadrate des Schwellenraumes

Ansicht

Grundriss

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2 — Schwellenraum-Analysen

Das geometrische Spiel des Quadrates im Quadrat im Quadrat bestimmt die beiden den Schwellenraum bildenden Flächen (Abb. 47). Der quadratische Grundriss der Halle liegt im Quadrat des Daches und dieses wiederum im annähernd quadratischen Grundriss der Terrasse. Außerdem setzen die Fügungen der einzelnen Raum bildenden Elemente die quadratische Struktur im Kleinen fort. Der Bodenspiegel der Sockelfläche und die Kassettierung der Dachunterseite beziehen sich in ihrem quadratischen Raster aufeinander und verstärken somit die Raumbildung des Schwellenraumes. Die Dachunterseite wird durch tiefe, quadratische Kassetten strukturiert, die mit einer Kantenlänge von 3,60 Metern operieren. Diese räumliche Profilierung gestaltet die Dachunterseite sowohl innen in der Halle als auch außen bei dem Umgang. Die Kassettierung wird in ihrer Kontinuität nur durch den Glasanschluss unterbrochen. Der Bodenbelag im Außenbereich ist im Raster von 1,20 × 1,20 Metern gefügt. Innerhalb der Halle ist das BodenspiegelRaster halbiert und arbeitet mit dem Maß 60 × 60 Zentimeter. Die Granitplatten des Sockels verlaufen also in einer Raster-Halbierung von außen nach innen durch. Die Halbierung des BodenRasters und das Beibehalten des Kassetten-Rasters für den Umgang verschränken den Innen- und den Außenraum in einer starken Weise und lassen sie als Einheit, den Schwellenraum, wahrnehmen. Topographie Die Anpassung an die Ausrichtung der Matthäuskirche und die geschickte Ausnutzung des Geländes verorten das Gebäude und damit auch den Schwellenraum in seinem urbanen Kontext (Abb. 48). Aufgrund der vierseitigen, seitlichen Öffnungen und der horizontalen Begrenzungsflächen des Schwellenraumes kann die Matthäuskirche visuell gerahmt werden (Abb. 49). Der Schwellenraum ist hoch genug, um das Haupt- und Seitenschiff der Kirche optisch einzufangen. Er bezieht auf diese Weise die Umgebung mit ein und ist dadurch mit dem Ort verknüpft. Als oberhalb des Sockels liegender, klar gegliederter Raum wirkt er leer und bietet sich sozusagen als leeres Gefäß an, Objekte, Gedanken, Vorstellungen und vieles mehr aufzunehmen. Dieser neue Ort versucht der Kunstsammlung gerecht zu werden und stellt die Kommunikation mit der Kunst in den Vordergrund beziehungsweise den Zugang zu ihr. Die öffentliche Zugänglichkeit verbindet den Raum mit dem Stadtraum. Der Schwellenraum befindet sich folglich zwischen Stadt und Kunstsammlung und durch ihn wird die Raumfolge und dadurch die Annäherung zu den Kunstobjekten definiert. Der öffentliche Raum findet wie selbstverständlich auf der Terrasse seine Kontinuität, mit der die Zugehörigkeit des Schwellenraumes zur Stadt unterstrichen wird. Damit ist der Schwellenraum ein städtischer und urbaner Ort. Die Terrasse als öffentlicher Ort der Stadt ermöglicht durch ihre Weite und Ringform den Blick in alle Richtungen. Die Tatsache, dass die Terrasse angehoben ist, betont die Bedeutung des Stadtraumes, da die Höhe von 1,40 Metern einen geringen Höhensprung darstellt und den Zugang als selbstverständlich und leicht erscheinen lässt (Abb. 50). Der neue Ort der Kunstpräsentation ist unaufdringlich, der Besucher bekommt die Möglichkeit, sich frei und ungezwungen der Kunst zu nähern. Auf der institutionellen Ebene ist die Neue Nationalgalerie fest in der Stadt verankert, indem die Sammlung einen ständigen Ort erhalten hat. Der Schwellenraum führt zu dieser Sammlung hin und organisiert den Zugang. Weil die Sammlung zunächst versteckt wirkt, steigert sich die Neugierde und lässt die Sammlung als etwas Schützenswertes und Besonderes erscheinen. Die wertvolle Sammlung ist, wie die Grabkammer einer Pyramide, im Boden sicher eingelassen. Die wechselnden, im Schwellenraum aufgestellten Objekte werden so zu Vorboten. Der Schwellenraum bildet ein Schaufenster, einen leeren Raum, der, entsprechend der programmatischen

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Neue Nationalgalerie — 2

Abb. 48: Städtebaulicher Kontext des Schwellenraumes

Abb. 49: Optische Einfassung Matthäus-Kirche

Matthäus Kirche

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Abb. 50: Angehobener Schwellenraum

Ausrichtung der Institution, aktuell gefüllt werden kann. Die wissenschaftlich Verantwortlichen können jederzeit die Zugänglichkeit zu ihrer Sammlung neu definieren. Dadurch wird der Schwellenraum zum Reflex der Institution. Die ausgewählte zeitgenössische Kunst kann von den Kuratoren in wechselnder Art gezeigt werden und eine abgestimmte Repräsentation finden. Der Schwellenraum bietet sich als Tablett an. Materialität Durch die reduzierte Materialwahl richtet sich der Fokus auf den klaren, einladenden Schwellenraum. Der massive, hellgraue Granitblock mit den eingelassenen Treppen wirkt wie eine Präsentationsebene. Mies van der Rohe spielt mit ihm auf die Anmutung eines Sockels an und bezieht sich typologisch auf einen Tempelberg. Die geringe Höhe von 1,40 Metern lädt zum Aufsteigen ein, da das Geschehen auf der Terrasse zu erkennen ist und nur wenige Stufen gestiegen werden müssen. Kontrastreich sitzt der dunkle Stahlglaskörper auf dem flachen Plateau. Das schwarze Dach ruht schwer auf den schwarzen, schlanken Kreuzstützen (Abb. 51). Die Profilierung des Stahls ist sehr fein, da man auf eine feuerfeste Ummantelung verzichten konnte. Die Stirnseite des Daches lässt die innere Kassettierung mit Hilfe eines Flansches nach außen treten. Die rechteckigen Felder dazwischen wirken grau und kreieren einen Rhythmus wie im Fries eines griechischen Tempels. Der Fries des Daches liest sich als eine abstrakte Variante einer MetopenTriglyphen-Abfolge. Sie zeigt das Kassetten-Raster an und erklärt seine innere Struktur. Das Tempelmotiv wird in eine Stahlkonstruktion übertragen, das heißt, die Materialität und die Detaillierung folgen der Raumkonzeption. Die Materialität des Schwellenraumes wird durch die helle, homogene und scharfkantige Granitfläche und die obere, schwarze, feine Stahl-Kassettendecke definiert. Die Zwischenschicht ist vierseitig geöffnet. Die zurückliegende Glasfassade ist möglichst unsichtbar montiert. Sie lässt je nach Blickwinkel totale Durchblicke und starke Spiegelungen der Umgebung zu.

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2 — Schwellenraum-Analysen

Das Material ist als thermische Trennung eingesetzt und ordnet sich dem Stahlskelett und dem Natursteinsockel unter. Folgerichtig dient es der Trennfunktion und bestimmt nicht das Konzept des durchgehenden Schwellenraumes. Der edle, helle Stoffvorhang erinnert an eine Bühne; der Schwellenraum wird zur Theaterbühne. Der Vorhang ist direkt hinter der Glasfassade montiert und ermöglicht eine Aufteilung des Schwellenraumes in eine innere und äußere Hälfte. In geschlossenem Zustand kann zwar der Schwellenraum geteilt sein, jedoch wird durch das Benutzen eines wegschiebbaren Vorhangs die Flexibilität betont. Abb. 51: Kontrast des Materials

Abb. 52: Schwellenraum im Tageslicht

Ansicht

Ansicht

Grundriss

Grundriss

Die hohe Transparenz der zurückgesetzten, umlaufenden Glasfassade ermöglicht ein stark wechselndes Erscheinungsbild, das von der jeweiligen Lichtsituation und dem Inneren bestimmt wird. Im Besonderen unterscheiden sich die Situationen bei Tageslicht und Dunkelheit. Während des Tages erscheint der Glaskörper eher halb dunkel; das schwarze Dach bestimmt die Lichtstimmung (Abb. 52). Jedoch schafft die vierseitige Transparenz eine Durchsicht, die eine schwarze Anmutung der Verglasung verhindert. Ohne Sonnenlicht und mit Hilfe von Kunstlicht dreht sich der Kontrast um, der helle Granitboden reflektiert das Licht der inneren Leuchtmittel (Abb. 53). Die Nachtwirkung aktiviert den Zugang zum Schwellenraum sehr stark. Der Glaskörper strahlt als Juwel. Der Zwischenraum wird erkennbar, das Gefäß zur Aufnahme der Kunstbetrachtung wird sichtbar und lädt im Besonderen zum Eintauchen ein. Einrichtung Das Innere des Schwellenraumes zeichnet sich durch seine Leere und Klarheit aus. Es wird ein definierter Leerraum gebildet. Die Hauptachse des Schwellenraumes, die auf der großzügigen Freitreppe erlebt werden kann, bestimmt die Position der Einbauten im Inneren des Schwellenraumes (Abb. 54). Der mittlere Bereich bleibt überwiegend frei und bietet Raum zum Eintreten.

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Neue Nationalgalerie — 2

Die Einbauten sind der Höhe nach gestaffelt (Abb. 54). Der Besucher passiert in der Hauptachse als Erstes das niedrige, unscheinbare Stahlgeländer, dann die 2,80 Meter hohen Garderoben, was einem Drittel der lichten Höhe entspricht, und schließlich die fast bis zur Decke reichenden Installationswände. Die edel verkleideten Installationswände bilden eine trennende Fuge zum Dach aus. Außerdem lassen sie freie Sicht, da sich ihre Breitseite perspektivisch verkürzt. Aus dieser geschickten Anordnung der festen Einbauten entsteht eine Großzügigkeit und Weite für den Ankommenden, die den Schwellenraum leer erscheinen lassen.

Schnitt

Grundriss

Grundriss

Technik

Ansicht

Garderobe

Abb. 54: Höhenstaffelung der Schwellenraum-Einrichtung Geländer

Abb. 53: Schwellenraum bei Nacht im Kunstlicht

Die variable Möblierung des Schwellenraumes unterstützt den Gedanken der Raumöffnung, indem sie den Besucher einlädt, sich seitlich zu setzen. Er kann den Blick aus dem Schwellenraum in Richtung Stadt schweifen lassen und aufgrund der Position zwischen den Kunstobjekten sich seines Dazwischen-Seins bewusst werden. Aus dem Inneren heraus erlebt er die umgebende Stadt als Panorama, sitzend wie auf einem Podest. Einige Künstler haben sich mit dem Schwellenraum der Nationalgalerie explizit auseinandergesetzt, das heißt, sie versuchten das Innere so zu bespielen, dass man den Einstieg in das Gebäude mit Hilfe der Kunstinstallation erlebt. Das Innere wechselt somit seine Atmosphäre von einem Raum, der Kunst beinhaltet, zu einem Kunstraum. Der Schwellenraum bietet Künstlern eine besondere Chance, da die klare Raumstruktur ein neutrales Gefäß darstellt, das unterschiedliche Konzepte räumlich in Szene setzen kann. Beispiele für diese Art des Arbeitens mit dem Raum sind Jenny Holzers Laufbänder, „Project for the Nationalgalerie“ 83 (Abb. 55), oder Keith Sonniers Installation „Ba-O-Ba Berlin“. Holzer setzte sich im Jahre 2001 mit der Struktur der Neuen Nationalgalerie auseinander, indem sie ihre Laufbänder im Raster der Dachunterseite montierte.

Imke Woelk, Der offene Raum, Der Gebrauchswert der Halle der Neuen Nationalgalerie Berlin von Mies van der Rohe, Technische Universität Berlin, Fakultät VI – Planen Bauen Umwelt, 2010, S. 677.

83

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2 — Schwellenraum-Analysen

Sonnier baute 2003 einen Lichtraum, der an den Mondrian-Effekt erinnert. Es wird ein neuer Raum mit eigener Farbstruktur aufgespannt, der die strenge Geometrie der Raum bildenden Elemente der Neuen Nationalgalerie zur Gliederung der Komposition nutzt. Abb. 55: Lichtrauminstallation von Jenny Holzer

licht

licht

Zusammenfassung Die vorangestellten Analysen zeigen, wie intensiv sich Mies van der Rohe mit dem räumlichen Übergang auseinandersetzt. Jedes der sechs Raumparameter präsentiert bei der fokussierten Betrachtung einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Schwelle. Durch die Beschreibung des Schwellenraums der Neuen Nationalgalerie wird deutlich, welche Wichtigkeit Mies van der Rohe ihm beigemessen hat und mit welchem Aufwand er den Übergang stufenweise formuliert hat. Mies van der Rohe lässt den Besucher sukzessive in die Architektur einsteigen. Er kontrolliert die Antizipation sehr genau, indem er die Richtungen des Ankommens gewichtet und die einzelnen Zonen des Schwellenraumes präzis aufeinander bezieht. Innerhalb des Schwellenraumes sind die Übergänge seicht gestaltet und werden kaum wahrgenommen. Der Schwellenraum wird stufenweise stärker gefasst und geschlossen, behält aber seinen Bezug nach außen. Zuerst werden die Besucher auf der flachen Terrasse, die sich auf das Zentrum bezieht, in einer freien, offenen Atmosphäre gesammelt. In einer Zwischenschicht wird der Umlauf vermittelnd eingefügt, um die Terrasse mit der Halle zu verbinden. Die Halle mit dem Raum für Sonderausstellungen ist in der Raumfolge die letzte räumliche Verknüpfung zur Stadt, zum Draußen. Durch den langen Zugang wird die im Untergeschoss beheimatete ständige Sammlung als besonders schützenswert präsentiert. Die aufgebaute Distanz erhöht die Spannung und steigert den Wert der Sammlung. Interessant scheint, dass Mies van der Rohe mit seiner Raumkonzeption eine neue Lesart von Architektur schafft und mit der beschriebenen Schwellenraum-Sequenz den räumlichen Zugang zu Kunst in seiner zeitlichen Dimension neu denkt. Der Schwellenraum ist nicht nur ein repräsentatives Element der Nationalgalerie, sondern ermöglicht einen neuen Zugang zu Kunst. Die Kunstwerke beziehen ihre Kraft unter anderem aus ihrer Beziehung zum Raum, ihrer Position in der Architektur und der Lage in der Stadt. Durch die verschiedenen Wechselwirkungen der Kunst mit dem übergeordneten räumlichen Zusammenhang, den der Schwellenraum der Neuen Nationalgalerie aufbaut, kann der Besucher eine neue Betrachtungsweise entwickeln. Dieses Raumerlebnis kann der Besucher aus seiner eigenen Bewegung und Motivation heraus erfahren. Er ist in einem Fluss des Wandelns und wird sanft durch den Raum geführt.

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Neue Nationalgalerie — 2

Die Lichtrauminstallation von Jenny Holzer 84 (Abb. 55) kann als Synthese der SchwellenraumKomposition betrachtet werden. Der Schwellenraum wird sichtbar. Die Laufbänder ordnen sich der Kassettierung unter und ergänzen eine weitere Schicht. Das Dach als oberer SchwellenraumAbschluss bekommt durch die laufenden und orange leuchtenden Texte eine weitere Bedeutungsebene. Die vierseitig angeordneten Glasfassaden spiegeln die Laufbänder und verlängern das Raster über die Terrasse hinweg. Es scheint, als ob die laufenden Wörter in die Stadt bis hin ins Unendliche fluchten. Diese optische, flächige Ausdehnung der oberen Schwellenraum-Begrenzung verstärkt das Motiv der einladenden Zwischenschicht, die den Besucher in einem Kunstraum empfängt. Der Raum über der Terrasse erhält ein Dach aus Licht. Das Gebäude der Neuen Nationalgalerie thematisiert den Auftrag, nämlich die Vermittlung von Kunst. Diese übergeordnete Funktion nimmt Kompromisse in Bezug auf die hohe Lichtintensität im Glaskörper in Kauf, die das Ausstellen bestimmter Exponate erschwert. Der Schwellenraum erhält eine repräsentative Aufgabe und lädt zur Kunstbetrachtung ein. Die aufgebaute Distanz zum tiefer gelegten, festen Sammlungsbestand darf nicht als funktionslos bewertet werden, sondern muss als hinführender Weg verstanden werden. Die Terrasse bietet vorbereitend Raum zur Antizipation mit Hilfe der ausgestellten Skulpturen. Der Besucher gelangt stufenweise ins Innere des Museums. Abschließend kann die Neue Nationalgalerie als Schwellenraum-Architektur bezeichnet werden. Der Entwurf lebt maßgeblich vom sensiblen Zonenwechsel und dem Sog der Schwelle.

84

Woelk, s. Anm. 83, S. 646–658.

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2 — Schwellenraum-Analysen

Museu de Arte de São Paulo (MASP) São Paulo, Lina Bo Bardi, 1957–68 Der Bauingenieur Joaquim Eugênio de Lima, der der Stadt das Grundstück schenkte, forderte die Blickachse, die vom Schloss „Belvedere Trianon“ in den tiefer liegenden Teil der Stadt und bis zu den Cantareira Bergen reichte, frei zu erhalten. Die Idee für das MASP geht auf die Initiative von Assis Chateaubriand zurück, der São Paulo als Ort für den Aufbau einer brasilianischen Kunstsammlung aussuchte und somit den Neubau initiierte. Die architektonische Gestalt wird von dem riesigen, an zwei roten Bügeln hängenden Körper bestimmt. Dieser Körper ist 70 Meter lang, 29 Meter breit, 14 Meter hoch und 8 Meter vom Boden angehoben (Abb. 56). Die beiden Bügel bestehen aus je zwei Stützen und einem Träger und sind um 5 Meter nach innen gerückt. Der Quader ist an seiner Längsseite abgehängt; er kann als klarer Körper wahrgenommen werden. Der Platz unter dem schwebenden Körper schafft die Basis der Architektur und gleichzeitig den oberen Abschluss für weitere Nutzungseinheiten in den Untergeschossen, die sich terrassenartig vorlagern und die hangartige Topographie des Standortes ausnutzen. Im Sockel befinden sich die Bibliothek, das Restaurant und der Veranstaltungssaal. Im ersten Untergeschoss sind das Theater und ein Ausstellungsraum untergebracht. Der obere Körper beherbergt im ersten Obergeschoss die Wechselausstellungen und im zweiten Geschoss die Bildergalerie mit der Sammlung des MASP. Zwischen den oberen und unteren Geschossen liegt ein öffentlicher Platz, der als Aussichtsplattform für die Bevölkerung und die Besucher der Stadt zur Verfügung steht. Abb. 56: Kubatur der architektonischen Gestalt

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Begrenzung Der angehobene Körper und der tiefer liegende zweite, terrassenartige Baukörper bilden grundlegend den dritten Körper: den „Void“, den quaderförmigen Schwellenraum (Abb. 57 und 58). Er wird klar und eindeutig von der rechteckigen Unterseite des hängenden Museumskörpers und der Platzoberfläche begrenzt. Die Stützen der Bügel beschreiben die Höhendimension des Volumens und zeichnen den Schwellenraum fein nach. Der Schwellenraum wird durch die roten Bügel markiert, die einen Rahmen bilden. Der Betrachter erhält deutliche Hinweise auf den tektonischen Zusammenhang durch die Konstruktion des hängenden Körpers. Die Stützen sind außerhalb des Schwellenraumes von schmalen Wasserflächen umgeben. Diese spiegeln die roten Stützen und lassen sie scheinbar endlos fluchten. Der starke Materialwechsel betont die rechtwinklige Terrassenfläche und macht die kubische Gestalt des Schwellenraumes leichter lesbar. Man kann den kubischen Körper des Schwellenraumes als Ganzes wahrnehmen, da der Schwellenraum zu dem Museumskörper als klar umrissenes, hängendes Volumen in Beziehung steht (Abb. 59). Die Form des Schwellenraumes wird von dem Museumskörper vorgegeben und ist von ihm abhängig. Der Schwellenraum wirkt wie eine Dopplung des Museumskörpers. Diese Beziehung zwischen Leer- und Festkörper bildet eine Einheit. Der Schattenwurf des oberen Baukörpers bietet eine optische Verdoppelung der Raumbildung. Es entsteht tagsüber an Sonnentagen ein klar gezeichneter Schatten auf der Oberfläche des Platzes, wodurch der Zusammenhang zwischen den Raum bildenden Flächen in einer graphischen Weise verstärkt wird. Abb. 57: Schwellenraum-Begrenzungen

Abb. 58: Schwellenraum-Körper

Abb. 59: Schwellenraum-Körper und Museumskörper

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2 — Schwellenraum-Analysen

Sequenz Das Sich-Annähern an den Schwellenraum ist von der offenen und großen Geste des Raumes bestimmt. Er wirkt nach allen vier Seiten hin geöffnet und lädt zum Betreten ein. Der Eintritt funktioniert über die sehr großzügig geöffnete Längsseite, die im Kontrast zur angrenzenden Straßenfront steht (Abb. 60.a). Die kurzen Seiten sind durch die Wasserbassins gesperrt. Wichtig ist der Durchblick und die Vorahnung, dass man hinunter ins Tal sehen kann. Die Begrenzungen des Schwellenraumesrahmen den Ausblick. Lin Bo Bardi schaffte es, die Baumasse großzügig nach oben zu liften und den Besucher so intuitiv unter das Gebäude zu ziehen (Abb. 60.b). Es gibt für den Besucher keinen Zweifel, dass er sich in einem öffentlichen Raum befindet. Der Belag des Bürgersteiges verbreitert sich im Bereich des Museums um einen Meter, sodass der Bürgersteig unter dem Museumskörper verläuft. Die Pflasterung des MASP ist um eine leichte Kante von 4–5 Zentimetern angehoben. Dieses Detail verstärkt das unbemerkte Eintauchen. Der Passant befindet sich schon im Vorbeigehen in der Aura des MASP und in dessen Schwellenraum. Dieses erste Ankommen ist ideal und als großzügiger Auftakt, der die Besucher begrüßt, zu verstehen. Sobald sich der Besucher unter dem Museumskörper befindet, spürt er dessen Schwere. Dieses Gefühl lässt den Raum verengen und ermöglicht dem Besucher seine Wahrnehmung auf den Schwellenraum zu fokussieren. Er kann nun, fast beiläufig, die unscheinbare, seitlich liegende Treppe und den Aufzug, die ihn zu dem Weg nach oben animieren sollen, gewahren. Die Stadt öffnet sich dem Besucher, indem der Ausblick zum Überblick wird (Abb. 60.c). Die klare Kubatur des Schwellenraumes lässt den Besucher die Stadt in dieser Leere besonders gut spüren. Wenn man sich den Treppen oder dem Aufzug zuwendet, will man sich entweder nach oben oder nach unten bewegen. Der Treppenlauf, der nach oben führt, bietet sich eher an und verläuft parallel zur Avenida Paulista. Der sich anschließende zweite Treppenlauf nach oben verläuft um 90 Grad gedreht in Richtung des Tals (Abb. 66). Der Besucher des Museums durchquert nun den Schwellenraum in seiner Höhenausdehnung, indem er die Freitreppe nach oben betritt. Der Richtungswechsel der Treppenläufe zeichnet nochmals die beiden Hauptrichtungen des Schwellenraumes nach und betont das Ankommen und den Ausblick. Plötzlich befindet man sich abrupt in einem kleinen Vorbereich innerhalb des Museumskörpers. Der Schwellenraum ist jetzt nicht mehr präsent und es entsteht kein Rückbezug: Man hat den Schwellenraum verlassen und befindet sich in einem neuen Raumzusammenhang. Abb. 60: Schwellenraum-Sequenz

a

82

b

c

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Geometrie Die Geometrie des Schwellenraumes ist bestimmt von der klaren Kubatur des großen, liegenden Quaders. Die Abmessungen betragen 70 Meter Länge, 28 Meter Breite und 8 Meter Höhe (Abb. 61). Die Form wird als solche eindeutig erkannt. Unterstützt wird das Erkennen durch den Bezug zum Museumskörper, denn beide Körper besitzen die gleiche Grundfläche. Das Volumen des Museumskörpers ist circa doppelt so groß und liegt direkt über dem Leerraum. Das Größenverhältnis von zwei zu eins lässt den Baukörper schwer auf dem Schwellenraum ruhen. Die Struktur des Schwellenraumes basiert auf einem leicht in die Höhe gestreckten, würfelförmigen Raster von 7×7×7 + 1 Metern. Länge, Breite und Höhe des Quaders stehen in einem Verhältnis von zehn zu vier zu eins (Abb. 62). Dieses strenge Verhältnis lässt den Körper in sich ruhen. Selbst die eingerückten Bügel arbeiten mit dem Modul von 7×7×7 + 1 Metern und generieren so einen 14 Meter breiten Zwischenraum. Die Auskragung in Längsrichtung wird nur durch die Dimension der Stütze gemindert. Das Ordnungsprinzip des Schwellenraumes scheint so wichtig, dass es die Querschnitte des Bügels definiert, um mit ihnen in ein Verhältnis zu treten. Der Querschnitt beträgt in der Höhe ungefähr die Hälfte von 7 Metern und in der Breite ein Drittel (Abb. 60). Bemerkenswert erscheint noch die mittige Lage des Schwellenraumes, bezogen auf die Architektur. Sowohl in der Höhenausdehnung als auch in Bezug auf die Terrasse und den gegenüberliegenden Park liegt der Schwellenraum im geometrischen Zentrum der Architektur. Abb. 61: Rechtwinklige Kubatur des Schwellenraumes

Abb. 62: Raster des Schwellenraumes

Ansicht

Ansicht

Grundriss

Grundriss

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2 — Schwellenraum-Analysen

Topographie Städtebaulich garantiert der Schwellenraum den Ausblick, das „Belvedere“, vom Park in die tiefer gelegene Stadt und umgekehrt (Abb. 63). Dieser Versammlungsort erinnert an das „Trianon“, ohne dessen elitäre Nutzung. Er funktioniert wie ein neues Stadttor beziehungsweise als Stadteingang. Der Vão do Masp ist außerdem eine Agora, ein öffentlicher Versammlungsplatz um Anderen zuzuhören, wie eine „Pause in der Stadt“. Joaquim Eugênio de Lima fühlte sich an die Pausen in den Kompositionen von John Cage erinnert. Der Void des MASP ist als städtischer Schwellenraum konzipiert, der einen sehr wichtigen Raum für verschiedenste Anlässe bildet. Als Außenraum bietet er sich bei den klimatischen Verhältnissen in São Paulo besonders für Konzerte, Ausstellungen, Demonstrationen und Märkte an. Diese Veranstaltungen können teilweise im kühlen Schatten mit natürlicher Belüftung stattfinden. Zusätzlich wird die Luft des Schwellenraumes durch die angrenzenden Bassins und den Wind angenehm gekühlt. Sonst funktioniert der Schwellenraum als markanter Treffpunkt, Touristenziel und Aussichtsplattform. Zusätzlich befruchten die kulturellen Funktionen des MASP den Schwellenraum als Ort. Abb. 63: Der Schwellenraum als „Belvedere“

Park Stadt

Materialität Die Unterseite des Museumskörpers, also die Decke des Schwellenraumes, ist in grobem mittelgrauem Sichtbeton ausgeführt. Auf dem Platz sind helle, rechteckige Granitpflastersteine verlegt (Abb. 64). Obwohl die Oberfläche des Platzes als Straßenraum konzipiert ist und nicht die gleiche Materialität wie die Unterseite des Museumskörpers aufweist, entsteht ein klarer Bezug durch die graue Farbigkeit und den ähnlichen Charakter der Materialien. Auch die Art und Weise der „Häufung“ 85 beziehungsweise der Einteilung des Materials unterstützt die Zusammengehörigkeit der beiden Flächen. Die Längsfugen zwischen den Pflastersteinen sind durch den Läuferverband betont ausgeführt und verlaufen wie die Schalbretter der Sichtbetonunterseite in Längsrichtung parallel zum Museumskörper. Beide Flächen sind kleinteilig strukturiert, wobei sie in der Addition visuell eine ruhige, einheitliche Fläche bilden. Die markanten Begrenzungsflächen stehen in starkem Kontrast zu den roten Stützen und den offenen Seiten. Die roten Stützen wirken trotz ihrer Stärke und Masse wie feine graphische Elemente.

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Laszlo Moholy-Nagy, Von Material zu Architektur, Florian Kupferberg, Mainz/Berlin 1929, S. 33, 48.

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Befindet man sich im Schwellenraum, bestimmt die umliegende Stadt wie selbstverständlich die Atmosphäre im Inneren. Die Stadt wird gerahmt, sodass verschiedene Stadtansichten den Void wie eine Kulisse hinterfangen. Die Umgebung mit den wechselnden Ausschnitten scheint somit unmittelbar vor oder teilweise in dem Schwellenraum zu liegen. Vorwiegend wird der Schwellenraum als offener Körper wahrgenommen, der Durchblicke ermöglicht. Ausschließlich bei der Annäherung von der Talseite her, bildet der Void eher einen dunklen Sockel für den Quader (Abb. 65). Abb. 64: Materialiät des Schwellenraumes

Abb. 65: Schwellenraum-Körper als Sockel

Einrichtung Die Ausgestaltung des Leerraumes nahm bewusst eine untergeordnete Stellung ein. Die Treppen als auch der Aufzug sind die einzigen unscheinbaren Ausbauelemente (Abb. 66). Sie fallen nur aufgrund ihrer Alleinstellung im Schwellenraum auf. Bei der Treppenplanung waren die ersten Varianten größer und einladender. Es wurde jedoch bewusst auf Repräsentation verzichtet.86 Die Treppe stellt sich als heruntergeklappter Teil der unteren Bodenplatte des Museumskörpers dar. Die nachträglich aus Glas entwickelten Absperrungen vor dem Antritt der Treppen werden als störendes Element wahrgenommen, welches das intuitive Eintauchen in das Gebäude verhindert. Des Weiteren fällt die Montage einiger Sicherheitskameras auf, die sehr unglücklich an die Unterseite der Betondecke gehängt wurden. Abb. 66: Treppe im Schwellenraum

Olivia de Oliveira, Lina Bo Bardi und Mark N. Gimson, Subtle Substances: The Architecture of Lina Bo Bardi, Gustavo Gili, Barcelona 2006, S. 268–272.

86

85

2 — Schwellenraum-Analysen

Zusammenfassung Der Vão do Masp stellt einen sehr direkten Schwellenraum dar, der zum Eintreten einlädt. Die Besucher befinden sich genau zwischen den Funktionen und in der Mitte der Architektur. Der Schwellenraum nimmt die zentrale Rolle als Knotenpunkt in dieser Architekturkonzeption ein. Eine besondere Bedeutung erhält der Schwellenraum durch seine Geschichte. Er erinnert an das Belvedere, dessen Körper er abstrakt darstellt. Das Belvedere kann sich im Leerraum wiederfinden, ohne physisch existent zu sein. Die Schenkung des Grundstücks mit der Prämisse, das Bauvolumen des ehemaligen Belvedere freizulassen, steigert den Wert des Raumes durch den rechtlichen Schutz. Der Schwellenraum wird somit ein eigener Ort, der mit dem Museum zwar verknüpft ist, aber auch seine eigene Dynamik, Bedeutung, Geschichte und Verankerung in der Stadt besitzt. Lina Bo Bardi schaffte es in ihrer Architekturkonzeption die Funktionen um den Freiraum zu gruppieren und somit den Vão do Masp ins Zentrum des Entwurfs zu rücken. Die totale Öffnung des Raumes wird als Geste verstanden und lässt die direkte, spontane Annäherung an die Kunst als folgerichtig erscheinen. Pervertiert wird diese Konzeption durch das neue Sicherheitskonzept, das die Besucher warten lässt und nicht flüssig nach oben oder unten leitet. Auch die Tatsache, dass die Überwachungskameras auffällig montiert wurden und so den Leerraum stören, zeigt, dass der Schwellenraum in seiner Konzeption nicht verstanden worden ist. Der „Leerraum“ lebt von der klaren Kubatur, die sich durch den darüberliegenden, korrespondierenden Körper und die visuelle Öffnung in vier Richtungen ergibt. Das konsequente Freiräumen des Raumes ist bestechend. Der Schwellenraum hebt den festen Körper an, weitere Funktionen werden in die Untergeschosse gedrängt und unscheinbare Treppen ermöglichen seine Zugänglichkeit. Lina Bo Bardi hat einen Platz mit dem Charakter eines Raumes geschaffen, der seine Magie in jeder Nutzung entfalten kann. Durch das angenehme Klima entsteht eine sehr hohe Aufenthaltsqualität in diesem Außenraum und schafft so die beschriebene Vielfalt an öffentlichen Nutzungen. Im leeren Zustand scheint er Gefäß beziehungsweise Rahmen für die Stadt São Paulo zu sein. Wenn der Vão do Masp stark frequentiert ist, scheinen die Menschen von São Paulo an diesem Ort in ihrer eigenen Stadt zu leben.

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Museum für angewandte Kunst — 2

Museum für angewandte Kunst Frankfurt am Main, Richard Meier, 1979–85 Die Basis der Sammlung bildete eine Kollektion von Musterstücken, die als handwerkliche Matrizen fungierten. 87 Im Jahre 1921 ging die Sammlung in den Besitz der Stadt Frankfurt über und wurde 1967 in die Villa Metzler überführt. 1979 wurde von der Stadt Frankfurt ein öffentlicher Architektenwettbewerb ausgeschrieben, um eine neue Unterbringung der Sammlung zu schaffen. Zu den Vorgaben gehörten die Erhaltung der Villa Metzler und des Parks mit dem alten Baumbestand. Wenn der Besucher sich dem Gebäude nähert, was im Regelfall vom parallel zum Main gelegenen Schaumainkai her geschieht, nimmt er als Erstes den Park und einige weiße Gebäudefragmente wahr. Die zerteilte, fast gestückelt wirkende Gestalt des Gebäudes wird in ihrem Kernbereich durch die übergeordnete Struktur eines quadratischen Feldes zusammengehalten. Diese Figur ist gevierteilt und aus der Geometrie der Villa Metzler entwickelt. Die drei zusammenhängenden Fragmente des Neubaus umgreifen den Altbau in der Grundrissform eines L. Die Erschließung orientiert sich parallel und orthogonal am Flusslauf des Mains. Die architektonische Gestalt wird durch die kubische Form der einzelnen weißen Körper bestimmt, die als offene Gruppierung wahrgenommen werden (Abb. 67). Insgesamt bietet das Museum für angewandte Kunst eine Ausstellungsfläche von circa 4900 Quadratmetern an. Das Flächenverhältnis von Wechsel- zu Dauerausstellung beträgt 650 Quadratmeter zu 4250 Quadratmeter. Abb. 67: Kubatur der architektonischen Gestalt

Kleines Portal

Kleines Portal

Hauptportal

Villa Metzler

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Barbara Mundt, Die deutschen Kunstgewerbemuseen im 19. Jahrhundert, Prestel Verlag, München 1974, S. 242.

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2 — Schwellenraum-Analysen

Begrenzung Der Park wird an den Außenseiten des Grundstücks mit Fragmenten von Mauern der Villa Metzler und niedrigen, quaderförmigen Natursteinblöcken gefasst. Die Begrenzung wird durch Portale unterbrochen, die den Zugang zum Park ermöglichen. Die Portale stellen sich als „ZwischenraumSkulpturen“ dar, die das Wegesystem des Museumsufers als linearen Landschaftspark mit dem Park inklusive des Museumsgebäudes verbinden (Abb. 68 und 69). Der Park als Raum-Körper entsteht durch die großen Volumen des alten zu schützenden Baumbestands. Es ergeben sich Wege, die sich auf die Bäume beziehen. Der Neubau ordnet sich in seiner Höhe und fragmentarischen Gestalt dem Park unter. Es gibt drei Portale: zwei liegen am Schaumainkai, eines an der Metzlerstraße. Die beiden kleineren Eingänge liegen einander gegenüber und befinden sich direkt am Rand des Parks. Das große Hauptportal ist als Gebäudefragment vom Bürgersteig zurückgesetzt. Abb. 68: Schwellenraum-Begrenzung

Abb. 69: Schwellenraum-Körper

Die kleineren Portale sind als nach fünf Seiten offene Skelette konzipiert. Die Raum bildenden Elemente sind rechtwinklige Stützen und Balken (Abb. 70). Die Längsseite ermöglicht den Durchgang. Die Portale sind seitlich durch zwei Scheiben mit jeweils einer quadratischen Öffnung begrenzt. Vier Stützen mit quadratischem Querschnitt teilen die rechteckige Grundfläche in ein in der Mitte liegendes Quadrat mit den lichten Maßen 2,20 × 2,20 Meter und zwei Rechtecke mit den lichten Maßen 1,50 × 2,20 Meter ein. Das offene, aus Balken gebildete Dach liegt auf den Stützen auf. Der außenliegende Balken ist doppelt so hoch wie der innere und betont die Eingangsseite wie ein Tympanon. Raum bildend wirkt auch das rankende Efeu. Das Hauptportal ist zwar an das Gebäude angebunden, wird aber als eigenständiger breiter Raum-Körper wahrgenommen. Er wird von drei Scheiben und einem Rahmen gebildet, wodurch eine großzügige Öffnung mit der lichten Breite von 5,35 Metern und der lichten Höhe von 3,95 Metern entsteht (Abb. 71). Im vorderen Bereich liegt die horizontale Platte auf den beiden Seitenteilen auf. Der Rahmen befindet sich in der Flucht des umgedrehten U, der obere Balken schafft rechts die Verbindung zum Gebäude. Es entsteht eine Lücke zwischen dem vorderen und hinteren Teil, der den Blick sowohl nach oben als auch nach rechts ermöglicht. Die flache Grenze des Parks zum Stadtraum hin wird von einer 30 –35 Zentimeter hohen Aufkantung aus rotem Buntsandstein gebildet. Diese Aufkantung verschwindet in dem Bereich, der unmittelbar vor den neuen weißen Baukörpern liegt. Der Grenzstreifen wechselt zu einer bodengleichen, eingelassenen Markierung in gleicher Materialität. Die Portale werden durch eine Lücke von 35 Zentimetern von der flachen Mauer getrennt.

88

Museum für angewandte Kunst — 2

Abb. 70: Begrenzungen und Raumkörper der kleinen Portale

Abb. 71: Begrenzungen und Raumkörper des Hauptportals

Lichte Maße in m

Lichte Maße in m

3,70

1,50 2,20 2,20

1,50

3,95

5,35

Sequenz Die Portale befinden sich als kleine Stationen zwischen öffentlichem Straßenraum und Parkraum. Die Raumfolge ergibt sich bei der Entscheidung des Besuchers für eines der Portale, da er eines auswählen muss, um in das Museumsareal zu gelangen. Die räumliche Geste der Öffnung ohne Tor und Tür animiert zum Eintreten. Die Portale gestalten die Zugänge zur „urban fabric“ 88. Es entsteht eine intuitive Zugänglichkeit zum Museumskomplex im Park. Beim Durchschreiten eines Portals wird der Raum für einen Moment gefasst und verengt. Die Öffnungen der Portale rahmen die Blicke wie Landschaftsbilder, die sich in der Bewegung Schritt für Schritt erweitern. Die gerahmte Landschaft wird in Szene gesetzt. Die Portale markieren das momenthafte Betreten des Museumsareals. Das Hauptportal scheint durch seine eingerückte Lage den Straßenraum als Weg in das Grundstück einzustülpen (Abb. 72). Sobald der Besucher in den Weg eingebogen ist, baut sich eine Perspektive auf, die in den Park fluchtet. Nun befindet er sich schon vom Blickfeld her in der Achse des Komplexes und kann links die Villa Metzler und rechts den Neubau erkennen. Das Portal strukturiert den Blick des Besuchers. Je stärker er sich dem Portal nähert, desto klarer wird dem Ankommenden, dass er sich gleich in einem neuen Areal befindet. Die Umgebung wird nur kurz ausgeblendet. Die linke, geschlossene Seite verdeckt kurz die Villa Metzler. Die rechte, sich öffnende Seite leitet den Blick sehr subtil nach rechts zur Glasfassade des Gebäudes. Die Öffnungen der Portale lassen den Blick pendeln. Das Portal funktioniert wie eine überdimensionale Kamera, die Bilder sucht. Nachdem der Besucher das Portal passiert hat, befindet er sich noch im suchenden Schwung nach links. Der konvex geschwungene Baukörper leitet ihn auf die Eingangstür hin. Der Eingang liegt unauffällig und fast versteckt. Die voll verschließbare Trommeltür zeigt die Öffnung oder Schließung des Museums an. Der Besucher wird intuitiv zum Eingang hingeleitet.

88

Norbert Huse, Museum für Kunsthandwerk Frankfurt am Main, Berlin: Ernst & Sohn, 1985, S. 7.

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2 — Schwellenraum-Analysen

Abb. 72: Schwellenraum-Sequenz (Haupteingang)

Eingang

Villa Metzler

Abb. 73: Ausrichtung Hauptportal und Wegesystem

Main Villa Metzler

Abb. 75: Symmetrieachse Hauptportal Museum

90

Abb. 74: Hauptportal mit Modul 1,10 m × 1,10 m

Museum für angewandte Kunst — 2

Geometrie Die Geometrie der Planung ist hier für den Schwellenraum sehr wichtig, da sich das Raster des gesamten Museumskomplexes besonders mit den vorgegebenen Ordnungssystemen auseinandersetzt. Richard Meier arbeitet im gesamten Entwurf mit dem Raster 1,10 × 1,10 Meter, welches sich aus den Abmessungen der Lochfassade der Villa Metzler ergibt. Das orthogonale Raster der Villa Metzler wird für das 2,20 Meter breite Wegesystem im Park und auch für die äußere Flucht der Portale genutzt (Abb. 73). Das um 3,5 Grad abweichende zweite System, bestimmt durch den Flusslauf des Mains, strukturiert zusätzlich die innere Erschließungsachse mit dem Hauptportal. Der zentrale Erschließungsweg hat beim Hauptportal noch eine Breite von 5,50 Metern (Abb. 73 und 74). Die Wegbreite verjüngt sich keilförmig und lässt den Besucher in eine überhöhte perspektivische Flucht eintauchen. Dieser Trichter lässt das Hineintreten des Besuchers schneller erscheinen und produziert einen Sog. Auf der Achse der versteckten Trommeleingangstür angelangt, besitzt der Weg nur noch eine Breite von 3,80 Metern. Das Hauptportal liegt in der Symmetrieachse der baulichen Gesamtanlage (Abb. 75), wobei der sich öffnende Durchgang asymmetrisch neben der Achse liegt und eine räumliche Nähe zur Villa Metzler erzeugt. Den geschlossenen Bereichen der Seitenteile des Hauptportals liegen jeweils Öffnungen gegenüber (Abb. 74). Die Blicke können dadurch zwischen Villa Metzler und dem Eingang des Museums pendeln. An den Wegenden markieren die beiden Seitenportale als Paar den Parkeingang. Unterstützt wird die Zusammengehörigkeit durch den symmetrischen Aufbau des Parks. Auf der Achse der Portale liegt ein Brunnen. Die Anordnung erinnert an Stadttore, die auch schmale seitliche Durchgänge und einen breiteren mittleren Durchgang haben (Abb. 76.a). Die Spiegelsymmetrie in Laufrichtung fokussiert den mittleren Durchgang. Der Gebäudekörper ist auch in Längsrichtung annähernd spiegelsymmetrisch, wenn man von dem überhöhten Balken absieht. Diese doppelte Spiegelsymmetrie lässt einen ruhigen, klaren Zugang zum Park entstehen. Der Schwellenraum-Körper der kleinen Portale lässt sich aus einem Volumen von sechs gleichen Würfeln zusammensetzen (Abb. 76.b). Der stehende Quader besitzt durch die ihm eingeschriebenen Würfel eine gewisse Ruhe und Klarheit. Abb. 76: Modulanwendung bei kleinem Portal, Würfel 2,20 m × 2,20 m × 2,20m a: Lichte Maße in m

b: Außenmaße in m

4,40

3,70

1,50 2,20

2,20

6,60

1,50

91

2 — Schwellenraum-Analysen

Topographie Die Lage des Parks hat für Frankfurt eine besondere Bedeutung. Richard Meier beschreibt in den „Zielen des Entwurfes“ die Funktion des Parks als „Brücke“ 89 (Abb. 77). Dieses verbindende Motiv gilt auch für die Fortführung der öffentlichen Promenade des Museumsufers mit ihrer Platanenreihe. Es entsteht ein Park als öffentlicher Ort, der städtebaulich viele Richtungen verbindet und weiterführt. Das Raster der Villa Metzler und die Parallelität zum Main werden als überlagerte Ordnungssysteme benutzt und verankern in den Neuplanungen die Richtungen des Ortes. Die Portale als Eingangsmarkierungen verstärken die verknüpfende Wirkung, indem sie die Richtungen akzentuieren und räumlich fassbar machen. Von den gegenüberliegenden, im tieferen Terrain platzierten Portalen steigt der Weg stetig bis zum erhöht gelegenen Brunnen an. Dieser Geländeverlauf unterstreicht die Richtung hin zum Museum. Die Geschichte des Parks verleiht diesem Ort seine besondere Identität. Das Alter der Bäume fällt durch ihre Größe und ihre Stammdicke eindrücklich ins Auge. Die Villa Metzler ist als besonderes Gebäude in der sonst stark zerstörten Stadt Frankfurt ein Sonderfall. Der Park öffnet auch besonders Blickachsen zum neuen Frankfurt mit seinen Hochhäusern. Die vergangenen Zeitspannen sind ablesbar und zeigen dem Durchschreitenden seine Gegenwärtigkeit. Meier leitet einen weitgehenden Anspruch des gebauten Ortes ab. „Hier ist es Aufgabe des Architekten, die Besucher des Museums sowohl zur Begegnung mit der Kunst der Architektur als auch mit den ausgestellten Gegenständen anzuregen.“ 90 Abb. 77: Park als „Brücke“

Abb. 78: Kontrast Architektur Parklandschaft

Altstadt

Main

Sachsenhausen

Materialität Es ist der Kontrast zwischen der Architektur und der Parklandschaft, der bestimmend für die Wahrnehmung der Raumgestalt des Schwellenraumes ist. Die architektonischen Elemente sind weiß und scharfkantig. Sie setzen sich aus einfachen geometrischen Formen zusammen. Die

Richard Meier, Museum für Kunsthandwerk: Architekten-Wettbewerb für den Erweiterungsbau, Hochbauamt der Stadt Frankfurt am Main (Hrsg.), Magistrat der Stadt, 1980, S. 13. 90 Meier, s. Anm. 89, S. 52. 89

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Museum für angewandte Kunst — 2

Portale sind in Stahlbeton ausgeführt und weiß verputzt. Dagegen ist die Parklandschaft in ihrer Farbigkeit dem Wechsel der Jahreszeiten unterlegen. Die Tulpenbäume mit ihren stark orangeroten Blüten setzen sogar farbige Akzente. Die Wechselbeziehung zwischen der Materialität der architektonischen und der landschaftlichen Elemente kann beim Durchwandern im Sonnenlicht deutlich erfahren werden (Abb. 78). Die fragmentarischen Elemente werden in ihrer geometrischen Position im Wegenetz als Blickpunkte angesteuert. Außerdem fungieren die weißen Flächen der Portale auch als Projektionsflächen. Die Körper erhalten im Wind durch die sich bewegenden Schatten ein atmosphärisches Abbild der Vegetation des Parks. Die Außengrenze des Parks ist mit einer Aufkantung aus rotem Buntsandstein ausgeführt. Sie zitiert die Materialität der Mauer und des Sockels der Villa Metzler. Das unmittelbar letzte Stück der Aufkantung vor den Portalen ist in gleicher Form aus Granit gestaltet. Der untere Bereich der vier außenliegenden Portalstützen ist auch in grauem Granit ausgeführt und kreiert einen sanften Übergang zum weißen Putz der Portale. Des Weiteren bestimmt die Geometrie die Atmosphäre des Schwellenraumes. Das Fugenbild ist bewusst ablesbar gestaltet und lässt die Bezüge zur Villa Metzler gewollt erkennen. Die Gehwegplatten sind als Quadrate von 55 × 55 Zentimetern ausgeführt (Abb. 79). Der zweite Hof lässt sogar die Kubatur der gesamten Villa Metzler als Negativraum entstehen (Abb. 80). Meier dreht die Bezüge zu den Maßverhältnissen um, die Proportionen der Villa werden zum Regelwerk des Innenraums. Diese Beziehung formuliert einen weiteren interessanten Übergang. Der Schwellenraum ist ein eigenständiges Raumkontinuum, das die Form des Neubaus entscheidend bestimmt. Einrichtung Die Portale, die markanten Bäume, die Möblierung, ein Brunnen und die Ausstellungsobjekte bilden die Einrichtung des Schwellenraumes. Jedes dieser Elemente behält in gewisser Weise seine Individualität und ist der Logik des Schwellenraumes untergeordnet. Die Positionierung der Einrichtung ergibt sich aus der strengen Geometrie des Parks. Abb. 79: Fugenbild des Schwellenraumes

Abb. 80: Kubatur Villa Metzler und Hof

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2 — Schwellenraum-Analysen

Zusammenfassung Der Schwellenraum wird im Wesentlichen mit der Parkanlage und den Portalen gebildet. Die am Rand des Parks errichteten Portale können als punktuelle Schwellenräume in einem flächigen Schwellenraum, der vom Park gebildet wird, charakterisiert werden. Dieser Dialog des Übergangs ist von dem Ziel getragen, eine Brücke im Stadtgefüge der Stadt Frankfurt zu schaffen. Das Verbindungselement soll als neuer Baustein erkennbar sein und die ihm einbeschriebenen baulichen Elemente zusammenhalten. Trotzdem ist der Park hoch porös und gibt seinen starken Zusammenhalt speziell an den Rändern auf, um Zugang zu ermöglichen. Dieser visuell offene und durchlässige Rand wird durch die Gestaltung der Portale akzentuiert. Sie formulieren in einer markanten Art und Weise einen öffentlichen und ständig offenen Zugang. „Dieser Außenraum vermittelt sowohl zwischen der alten Villa und dem Neubau als auch zwischen Museum und Park und schließlich zwischen dem Museum und der Stadt als Ganzem. Er ist ein grundlegend eigenes Element des gesamten Bereiches: Hier am Museumseingang treffen alle Wege zusammen: die innerhalb des Gebäudes und die von außerhalb.“ 91 Richard Meier entwirft mit seiner Schwellenraum-Sequenz eine „promenade architecturale“ im Sinne von Le Corbusier. Er führt den Besucher ähnlich wie Le Corbusier erst an seinem Gebäude entlang. Auffallend ist der Unterschied in der Strukturierung der Räume. Richard Meier arbeitet nicht mit dem Modulor. Er greift zurück auf die Villa Metzler. Diese klassischen Maßverhältnisse finden selbst in der inneren Abmessung der Portale und des zweiten Hofs ihre Anwendung. Die einheitliche Strukturierung rastert den gesamten Park und bildet somit eine gemeinsame Basis, die nun alter und neuer Architektur innewohnt. Die Kraft des Übergangsraumes liegt im Freilegen und in der Betonung der vergangenen Zeitspannen des Stadtraumes. Er greift Vorgefundenes auf, verknüpft es und verbindet es mit dem Neuen. Der Schwellenraum erzählt die Geschichte des Ortes. Es entsteht ein narrativer Schwellenraum. Durch die klare Geometrie kann die Gestaltung der neuen Orte bemerkt und verstanden werden. „Wenn die Moderne der 20er Jahre, der sich Meier verpflichtet fühlt, als eines ihrer Postulate die Durchdringung von Innen und Außen erfunden hat, so wird diese Durchdringung hier noch weitergetrieben: Außenfassaden werden zu Innenfassaden und umgekehrt; durch ein raffiniertes System von Schichtungen verschwimmen die Übergänge.“ 92

Baumeister, Museum für Kunsthandwerk in Frankfurt, Nr. 82, 1985, S. 26. Bauwelt, Museum für Kunsthandwerk, Nr. 76, 1985, S. 767.

91 92

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Fondation Cartier — 2

Fondation Cartier Paris, Jean Nouvel, 1991–94 Im Jahre 1984 wurde die Fondation Cartier gegründet und widmet ihr langfristig angelegtes Engagement speziell den künstlerischen Strömungen der Gegenwart. Der Charakter des Grundstücks wird durch etliche 100 Jahre alte Bäume und eine prächtige libanesische Zeder, die im Jahre 1823 von dem Dichter François-René de Chateaubriand gepflanzt wurde, bestimmt. Die Umgebung ist geprägt von der geschlossenen Bebauung des 19. Jahrhunderts. Die architektonische Gestalt des Gebäudes wird überwiegend durch das Material Glas bestimmt. Sowohl der 18 Meter hohe Schirm, der zugleich die Straßenfront des Gebäudes und die Baugrenze des Grundstückes markiert, als auch die vordere, hintere und die seitlichen Fassaden des eigentlichen Baukörpers sind in Stahl und Glas ausgeführt (Abb. 81). Diese Materialität verbindet sich mit der starken Präsenz der Bäume. Besonders die libanesische Zeder stellt einen Gegenpol zum Glasschirm dar. Die Raumbildung des Gebäudes wird durch drei horizontale Schichten definiert, indem sie parallel zur Straßenfront Zwischenräume bilden. Diese Staffelung in die Tiefe des Grundstücks schafft offene und geschlossene Räume, die sich mit dem Park verbinden. Die Nutzungseinheiten betreffend stellt die Fondation Cartier neben den acht Büro-Vollgeschossen über der Erde weitere sieben Untergeschosse zur Verfügung. Insgesamt bietet das Gebäude 6500 Quadratmeter Nettonutzfläche. Das Herz des Gebäudes bilden die Galerieräume im Erdgeschoss und im ersten Untergeschoss. Abb. 81: Kubatur der architektonischen Gestalt

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2 — Schwellenraum-Analysen

Begrenzung Der visuell geöffnete Schwellenraum der Fondation Cartier ist ein Park, der durch drei vertikale Glasschirme in vier Zonen gegliedert ist (Abb. 82). Die Zwischenräume mit den Bäumen bilden eine rhythmische Folge (Abb. 83). Die Glasschichten staffeln sich in die räumliche Tiefe des Grundstückes, sodass der gesamte dazwischen liegende Schwellenraum von der Straße aus als diffuses Ganzes wahrgenommen wird. Seitlich begrenzen die Nachbargrundstücke den Schwellenraum. Die Glasscheiben definieren mit ihrer glatten, scharfen Oberfläche fast kubische Raumabschnitte, doch aufgrund der hohen Transparenz sind die Räume visuell nicht eindeutig begrenzt. Die dazwischen stehenden Bäume relativieren die präzisen Glasflächen; sie bilden einen Wald. Die Übergangsschichten lassen durch ihre Transparenz, die Spiegelungen und die freien Bereiche einen Raum entstehen, der teilweise extreme Einblicke in die Tiefe des Grundstückes ermöglicht. Der Schwellenraum wirkt wie ein offenes Feld, das durch die hohe Transparenz Einblicke in das zu Erwartende gibt. Er wird gedehnt, löst sich visuell auf. Es ergeben sich Irritationen wegen der Spiegelungen. Die klaren Grenzflächen treten nicht ausschließlich durch die transparente Verglasung zurück, sondern bedingt durch die Kombination der Schichtungen, Lücken und Überlagerungen im Wechsel mit den Glasscheiben. Abb. 82: Schwellenraum-Begrenzung

Abb. 83: Schwellenraum-Körper

Sequenz Den Auftakt der Inszenierung des Schwellenraumes bildet der Bereich vor dem ersten zweigeteilten Glasschirm (Abb. 84). Obwohl sich der Besucher auf dem Bürgersteig zwischen den Baumreihen des Boulevards Raspail noch nicht auf dem Grundstück der Fondation Cartier befindet, leitet dieser Raum die Abfolge der Sequenz ein. Die Baumreihen vor dem ersten Schirm können als erstes Glied der Abfolge von Bäumen und Glasscheiben wahrgenommen werden. Die Aura des Gebäudes strahlt also über die Grundstücksgrenzen hinaus. Unterstützt wird der räumliche Zusammenhang durch die Reflexion des Glasschirmes, der die Besucher den Straßenraum in der Projektion wahrnehmen lässt. Der Straßenraum als Projektion überlagert sich mit der Wahrnehmung des Parks der Fondation Cartier.

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Fondation Cartier — 2

Abb. 84: Schwellenraum-Sequenz

Wichtig für das weitere, tiefere Eintauchen ist der Wechsel von Glasscheiben und Bäumen, der eine Tiefenwirkung erzeugt. Außerdem bildet die große Zeder einen wichtigen zentralen Orientierungspunkt. In diesem Bereich wird der Straßenschirm wie selbstverständlich offener gestaltet; er teilt sich in einen linken und einen rechten Abschnitt. Es wird möglich, die Glasfassade orthogonal zu durchkreuzen. Der offene Bereich ist mit einer niedrigen Toranlage aus semitransparentem Stahlgewebe verschlossen. Dieser Schwellenraum-Verschluss kann als Tür erkannt werden. Im nächsten Abschnitt des Schwellenraumes befindet sich der Besucher zwischen der Straßenfront und dem ersten Glasschirm des Gebäudes. Er tritt unter der Zeder ein, der Raum wird verengt, lässt aber verschiedene Blicke zu. Dieser Bereich ermöglicht eine klare Orientierung, indem der Besucher entweder die Schiebetür direkt geradlinig ansteuern oder seitlich links oder rechts an der Glasfront vorbei dem Weg durch den Park folgen kann. Unabhängig davon, ob er sich in den Park oder direkt ins Gebäude begibt, befindet er sich in beiden Fällen noch in einer räumlichen Übergangssituation. Der Besucher verliert den engen Kontakt zum Park nie, selbst wenn er sich im klimatisch geschützten Bereich bewegt. Die Schwellenraum-Sequenzen werden durch eine Abfolge von vertikalen Schichten gebildet. Es wechseln sich Schichten von Bäumen und Glasscheiben ab. Die Raumzonen werden zwischen den Glasscheiben organisiert und somit der Schichtung einbeschrieben (Abb. 85). Es entsteht ein Wechsel von Architektur und Natur. Lücken in der Rahmung der Glasscheiben und eine Öffnung der Glaselemente im Erdgeschoss lösen die klaren Grenzen auf und generieren einen zusätzlichen Übergang. Die Abfolge der drei Glasschichten mit den Bäumen bildet folgenden Rhythmus: B – G – B – G – B – G – B.

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2 — Schwellenraum-Analysen

Geometrie Der Schwellenraum besitzt durch die aufeinanderfolgenden Zwischenräume eine geordnete Staffelung (Abb. 86). Die Abfolge der Glasschirme, deren Geometrie auf Quadraten basiert, bildet in der Ausdehnung wachsende Zwischenzonen aus (Abb. 87). Die stetige Zunahme der Zwischenräume bezüglich der Tiefen- und der Höhendimension lässt einen perspektivischen Effekt entstehen. Die räumliche Staffelung arbeitet mit einem quadratischen Modul. Der vordere Schirm steht als Vermittler zwischen der angrenzenden Bebauung und den beiden kommenden 31 Meter hohen Schirmen. Die zunehmende Tiefe gleicht geschickt die perspektivische Sicht aus und lässt den Rhythmus als gleichmäßigen, angenehmen Takt wahrnehmen. Die annähernd dreieckige Form des Grundstücks bildet einen virtuellen Fluchtpunkt, der den beschriebenen Effekt zusätzlich verstärkt (Abb. 88). Die geometrische Anordnung der Glasscheiben lässt eine gewisse Sogwirkung für den Schwellenraum entstehen. Die Schiebetür liegt nicht in der Spiegelachse des H-förmigen Grundrisses, sondern ist leicht nach rechts versetzt und schwächt die Spiegelsymmetrie (Abb. 89). Diese Verschiebung betont die Scheibenwirkung, indem sie die starke Symmetrie des Grundrisses auflöst. Die Raum bildenden Flächen lassen sich in quadratische Teilflächen zerlegen. Die eindeutige geometrische Form wird somit erkannt und lässt die Geste der Öffnung klar erscheinen. Die Öffnung des vorderen Schirms wirkt wie eine Konsequenz der beiseitegeschobenen linken und rechten Verglasung. Die Zeder füllt genau ein solches Quadrat. Abb. 85: Parallelität der Baumreihen

Abb. 86: Räumliche Staffelung des Schwellenraumes mit quadratischen Modulen

Abb. 87: Quadratisches System der Scheiben

Abb. 88: Achsen und Fluchten des Schwellenraumes

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Fondation Cartier — 2

Die Glaselemente sind bei allen Glasschirmen in gleiche Module gerastert und unterstützen so die Zusammengehörigkeit der räumlichen Sequenz (Abb. 89). Die strenge räumliche Ordnung findet in der Anordnung der Bepflanzung der Baumreihen ihre Fortsetzung. Die Bäume sind hinter dem Straßenschirm als Reihe angelegt, die sich parallel auf die Bepflanzung im Straßenraum bezieht. Teilweise ist ein exaktes Spiegelbild gepflanzt worden (Abb. 85), welches die in Abschnitt „Sequenz“ beschriebene Folge entstehen lässt. Topographie Der Schwellenraum liegt, im vertikalen Schnitt betrachtet, mitten im Gebäude. Er liegt zwischen den höher liegenden Bürogeschossen und den niedriger liegenden Parkgeschossen. Im horizontalen Schnitt betrachtet füllt er das gesamte Grundstück aus und durchkreuzt das Gebäude. Die mögliche Öffnung des Galerieraumes im 8 Meter hohen Erdgeschoss lässt diese Durchdringung besonders bewusst werden. Der Park und die besondere Zeder waren als Ort schon markiert und sollten erhalten werden (Abb. 90). Jean Nouvel verleiht diesem Ort mit Hilfe der Rahmung eine noch stärkere Fixierung. Der Ort wird inszeniert, wie es im Umgang mit der Zeder besonders deutlich wird. Die Raum bildenden Elemente umspielen die Zeder und schaffen so einen besonderen Ort. Die Zeder scheint die vordere Glasfront zu öffnen und sich Raum zu schaffen. Die hinter der Zeder liegende zweite, aber deutlich höhere Glasscheibe bildet einen Hintergrund. Die Zeder wird als starkes Motiv wahrgenommen, das von den Glas-Stahl-Konstruktionen einerseits gerahmt und in zweiter Ebene als Figur aufgefangen wird. Der Bildeffekt mit den tageszeitlichen Veränderungen bei unterschiedlicher Lichtstimmung wurde in der von Philippe Ruault 93 veröffentlichten Fotoreihe festgehalten. Das Bild ist aus einer erhöhten Perspektive aufgenommen und stellt sich als plane Ansicht dar. Es spiegelt nicht die menschliche Perspektive aus dem Stadtraum wider und kann auch nicht erlebt werden, sondern präsentiert eine idealisierte Situation. Durch seine häufige Veröffentlichung ist das Bild zum Symbol für das Gebäude geworden. Die Zeder vor dem changierenden Glasschirm wird als Ort und Motiv erkannt und erinnert. Abb. 89: Rasterung der Fassade

Abb. 90: Zeder markiert den Ort

Ansicht

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Grundriss

Philippe Ruault, „Fondation Cartier“ [zugegriffen 18. März 2014].

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2 — Schwellenraum-Analysen

Materialität Die Materialität des Schwellenraumes wird durch das Material Glas geprägt und definiert. Die Stahlkonstruktion tritt in den Hintergrund und bildet die feine Fassung für die Glasscheiben. Das bedeutet, dass der Schwellenraum von der Zweideutigkeit des Materials profitiert und diese als Verstärkung seiner Zweideutigkeit nutzen kann. Glas suggeriert Offenheit, Transparenz und Einblick, dennoch bildet Glas eine starke, glatte, kristalline, Raum begrenzende Fläche aus, die innen und außen stark trennen kann. Jean Nouvel schafft mit der freien Positionierung der drei Glasscheiben eine wirkliche Durchsicht und nutzt außerdem noch die Spiegelungen aus, die mit ihren Reflexionen eine Verdoppelung projizieren. Als weiterer wichtiger Aspekt für das Gelingen der visuellen Transparenz werden Öffnungen in die Glasfassade gesetzt. Diese direkte Verknüpfung löst die starke Begrenzung auf und verbindet den Raum. Als Resultat schaffen die drei Glasschichten mit den dazwischen liegenden Baumschichten einen Schwellenraum, der innen und außen stark miteinander verknüpft. Der Benutzer wird bewusst im Unklaren gelassen, ob er sich außerhalb oder innerhalb befindet, er soll sich dazwischen befinden, im Schwellenraum. Wichtig für die unterschiedlichen Atmosphären sind die jahreszeitlichen Veränderungen der Bäume. Im belaubten Zustand erzeugen sie durch das satte Grün eine Waldatmosphäre. Die grünen Äste, die durch die Öffnungen der Glasschirme wachsen, verwischen die scheibenartige Raumbildung und schaffen ein zusammenhängendes Volumen. Im Winter dagegen wirken die Äste fragil und lassen das Glasgebäude stark und hart wirken. Die Schichten schwächen diese Wirkung ab. Des Weiteren funktionieren die Glasflächen wie Projektionsflächen, welche die unterschiedliche Farbigkeit und Lichtsituation der Umgebung aufnehmen. Die Glasschirme werden so wie ein überdimensionales Bild inszeniert (Abb. 91). Einrichtung Es wurde versucht, die Apparaturen des Schwellenraumes in die Gestaltung zu integrieren (Abb. 92). Sie wurden in der offenen Konzeption untergebracht, wie zum Beispiel der Aufzug für Autos, der unauffällig als kleiner Kasten in Erscheinung tritt. Die Problematik der umständlichen Ein- und Ausfahrt wurde in Kauf genommen, um den Zwischenraum nicht durch eine Tiefgaragenabfahrt räumlich zu trennen. Das freie Raumerlebnis für den Besucher ist wichtiger und bestimmt die Wegeführung. Ähnlich wurde mit den Verschlüssen umgegangen. Das Tor wurde als unscheinbare, halbdurchlässige Wand ausgebildet, die nicht in Konkurrenz mit den Raum bildenden Elementen tritt. Sie wird als Tor erkannt und kann zur Seite geschoben werden. Durch die klare Struktur des Gebäudes entsteht im Schwellenraum eine gewisse Leere. Der Raum scheint der Kunst vorbehalten zu sein. Die Bäume im Schwellenraum unterstreichen die Atmosphäre des Draußen, die im Schwellenraum omnipräsent ist. Abb. 91: Schwellenraum als Bild

Abb. 92: Schwellenraum-Apparaturen Ansicht

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Grundriss

Fondation Cartier — 2

Im Gegensatz dazu steht die Windfanganlage, die geschickt in die Gestaltung der scheibenartigen Glasschirme eingepasst wurde. Bei der Öffnung der seitlichen, überdimensionalen Glasscheiben kann die Windfanganlage geschlossen bleiben und bildet ein fest fixiertes Element. Zusammenfassung Die Materialität der Raum bildenden Elemente zusammen mit der dazwischen liegenden Vegetation definiert den Charakter und die Atmosphäre des Schwellenraumes. Das durchsichtige Material Glas kreiert in diesem Projekt einen starken, visuell wahrnehmbaren Übergang. Es ermöglicht Durchblicke, um dem Benutzer einen Eindruck von dem ihm Vorliegenden zu vermitteln; er wird zum Wandeln animiert. Die Spiegelungen zielen auf eine feine Irritation hin, die visuell innen und außen miteinander verbindet.94 Das Entstehen dieses Effekts erläutert Jean Nouvel im Gespräch mit Jean Baudrillard wie folgt: „[...] Wenn ich mir dann den Baum durch die drei Glasflächen hindurch ansehe, weiß ich niemals, ob ich den durchscheinenden Baum vorne oder hinten oder das Spiegelbild des Baumes sehe. Und wenn ich zwei Bäume parallel pflanze, wie zufällig im Verhältnis zu einer Fensterfläche, so kann ich nicht wissen, ob ein zweiter Baum vorhanden ist oder ob es sich um einen realen Baum handelt.“ 95 In der Ausarbeitung des Projektes wird versucht, das Material Glas auf der Basis seiner bautechnischen Eigenschaften einzusetzen und in extremer Weise zu nutzen. Der filigrane Glasschirm als auch die großen Schiebeelemente präsentieren das Vermögen des Materials. Außerdem werden die Mehrdeutigkeit, die Interpretierbarkeit und die Unschärfe von Glas genutzt, um den Schwellenraum zu organisieren. Als Leitmotiv gilt für dieses Gebäude die Ambiguität des Materials im Schwellenraum und das Spiel mit ihr. Nouvel geht im Gespräch mit Baudrillard auf das Leitmotiv ein: „Meine Gebäude versuchen mit den Effekten der Virtualität, des Scheins zu spielen; man fragt sich, ob die Materie präsent ist oder nicht, man erzeugt Bilder, die virtuell sind, man erzeugt Ambiguitäten.“ 96 Diese Mehrdeutigkeiten sind kein Zufall, sondern feinfühlig geplant und lassen den Benutzer bewusst in einem Zwischenzustand. Er ist wach und in Erwartung auf das Kommende. Es entsteht ein schichtenartiger Schwellenraum, der zum Eintreten einlädt, da er jeweils Einblicke in die Tiefe zulässt. Nouvel bezeichnet seine Architektur selbst als „Phantom im Park“ 97. Der Park selbst fungiert als Übergangselement, er gibt dem Projekt eine öffentliche Aura, die jedoch durch die Glasfassade gebremst wird. Die gläsernen Schichten erreichen mit der beschriebenen Sequenz eine logische Abfolge, die zwischen Eintreten und Wandeln vermittelt. Die mögliche Öffnung der Glasfassade im Erdgeschoss setzt die Konzeption des schichtenhaften Übergangs auch technisch um. Die Raum bildenden Elemente sind für Nouvel keine massiven, unpassierbaren Wände, sie sind flexibel und transparent und ermöglichen so eine Öffnung. Das Wandeln wird somit überwiegend vom Licht, den Bäumen und der ausgestellten Kunst bestimmt.

Baudrillard und Nouvel, s. Anm. 5, S. 17–20. Ebd., S. 20. 96 Ebd., S. 98. 97 Jean Nouvel, „Fondation Cartier“ [zugegriffen 18. März 2014]. 94 95

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2 — Schwellenraum-Analysen

Casa da Música Porto, OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999–2005 Die Stadt Porto konnte sich im Jahre 2001 als Kulturhauptstadt Europas präsentieren und veranstaltete in diesem Rahmen einen Architekturwettbewerb für die Casa da Música.98 Das Gebäude beherbergt drei Orchester und bietet Raum für Amateurdarbietungen und Musikerziehung. Das Konzerthaus wird von einem scharfkantigen Baukörper aus lichtgrauem Sichtbeton gebildet und ist mittig auf dem Baugrundstück positioniert (Abb. 93). Von der geometrischen Form her entspricht der Baukörper einem unregelmäßigen Vielflächner, der von unterschiedlich großen, geschlossenen Flächen begrenzt wird. Ein länglicher Quader ist der komplexen Geometrie einbeschrieben und bildet eine kaum erkennbare Mittelachse aus. Unterstützt wird die Lesbarkeit des „durchgesteckten Körpers“ durch den Materialwechsel an der Fassade in Form von zwei grünlich schimmernden Glasflächen. Im Kontrast zum schlichten und homogenen Äußeren steht das schrille und facettenreiche Innere. Das Auditorium ist an seiner Schmalseite visuell mit dem Außenraum verknüpft, das heißt, die Zuschauer können hinter dem Orchester die Stadt als Hintergrund wahrnehmen. Das Gebäude beinhaltet zwei Konzertsäle, einen großen mit 1200 und einen kleinen mit 350 Plätzen. Außerdem bietet es Platz für diverse Einrichtungen, wie Studios, Aufnahmeräume, einen Kindersaal, ein Cybergelände für Experimentalmusik, VIP-Bereiche, Gastronomie und eine Tiefgarage.

Abb. 93: Kubatur der architektonischen Gestalt

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Gerrit Confurius, „Endlosräume und grobe Schachtel“, in: Bauwelt, Nr. 21, 2005, S. 24.

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Casa da Música — 2

Begrenzungen Die Plaza, die den Baukörper umgibt, erfüllt die Funktion eines städtischen Platzes und öffnet sich an den Rändern des Grundstücks mit einer klaren Kante zur Umgebung. Dieser Effekt wird durch das Auflösen des Bürgersteigs erreicht, indem das Material des Platzes bis zur Bordsteinkante ausgeführt wurde. Das bedeutet, der außenliegende Schwellenraum bietet umlaufend eine offene Grenze. Begrenzt wird der innenliegende Schwellenraum nach außen durch die komplexe, scharfe Kubatur des Baukörpers (Abb. 94) und innen durch die Außenseite der beiden quaderförmigen Säle (Abb. 95). Die Unterseite setzt sich aus rechteckigen und trapezförmigen, teilweise gestuften Flächen zusammen. Der innenliegende Bereich des Schwellenraumes kann nicht als Ganzes wahrgenommen werden, er liegt im Verborgenen (Abb. 96). Dennoch bereitet die aufregende Form auf das Raumerlebnis vor. Somit bildet die Fassade eine Kontaktstelle zwischen dem Außen und dem Schwellenraum. Im Inneren des Schwellenraumes kann man die Schaleninnenseite erkennen. Der Schwellenraum setzt sich aus Treppenräumen, einer Passage und zwei Vitrinen zusammen. Im Bewegungsablauf kann dieser Raum als ein zusammenhängender Raum wahrgenommen werden. Die Vitrinen fungieren als Schnittstelle zwischen Schwellenraum und außen. Jeweils zwei große, mächtige Glasflächen begrenzen den schmalen, hohen Raum zwischen Außenraum und Innenraum. Die außenliegende Treppe entwickelt sich aus der Logik des Inneren heraus. Sie wird als Zeichen des Eingangs erkannt und ist gestalterisch als ausgeklapptes Schwellenelement ausgeführt. Abb. 94: Raumkörper der Casa da Música, äußere Schwellenraum-Begrenzungen

Abb. 95: Innere Schwellenraum-Begrenzungen

Saal 2 Saal 1

Abb. 96: Schwellenraum-Körper

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2 — Schwellenraum-Analysen

Sequenz Das erste Ankommen wird durch die einladende Fläche der ringförmigen Plaza ermöglicht (Abb. 97). Dieser umlaufende Bereich stellt klar den Bezug zum mittig liegenden Baukörper her und gibt dem Benutzer einen Überblick mit der nötigen Würde. Man fühlt sich bereits in der Sphäre des Baukörpers, da sich der Boden aus dem gelben Naturstein wie eine Hutkrempe oder eine edle Halskrause um den Baukörper legt. Das ringförmige Band ermöglicht ein Ankommen aus allen Richtungen. Beim Umkreisen entdeckt der Besucher das einzige ausladende Element, eine seitliche, unscheinbare Treppe. Sie führt ihn als minimales Übergangselement direkt ins Innere des Baukörpers. Danach kann er schwellenlos, und ohne eine Tür öffnen zu müssen, ins Innere eintreten. Das spektakuläre Foyer als innenliegender Schwellenraum eröffnet dem Besucher zwei Blicke und Wege. Der eine Weg führt den Besucher in einer Passage quer durch das Gebäude unter den Hauptsaal, der andere steigt direkt weiter an und führt ihn an der Innenseite der Schale zu den Konzertsälen. Der großzügigere Weg führt unmittelbar nach oben und lässt die Schwere des großen Saales spüren, der rechts vor einem liegt. Der Besucher wird weiter unter dem kleinen Saal und zwischen Fassade und Konzertsaal aufsteigend mit Blick nach oben geleitet.99 Die Treppenläufe enden in dem einen der beiden Höhepunkte des Schwellenraumes. Dieser schmale, hohe Raum wird von den beiden transparenten Flächen, der einen Stirnseite des Konzertsaales und der Außenfassade, begrenzt. Man befindet sich nun genau zwischen Stadt und Konzertsaal. Die beiden Glasflächen sind gleich groß und ermöglichen tiefe Ein- beziehungsweise Ausblicke. Die Passage leitet den Besucher, wiederum eng geführt, auf die gegenüberliegende Seite. Anschließend wird er durch eine Rechtsdrehung auf einzelnen Treppenläufen zur anderen Stirnseite des Auditoriums gelenkt. Äquivalent zur anderen Stirnseite befindet sich der Besucher wiederum zwischen Stadt und Konzertsaal, diesmal mit Blick auf den Platz. Geschlossen werden die beiden Wege zu einem Ring mit Hilfe von unscheinbaren Passagen, die zwischen weiteren offenen Räumen liegen. Die Sequenz bildet ein Raumkontinuum, das den schachtelförmigen, großen Saal dramatisch umspielt. Abb. 97: Schwellenraum-Sequenz

1

2

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Confurius, s. Anm. 98.

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Geometrie Im Prinzip stellt sich der Schwellenraum als Ring dar, der sowohl in der Breite als auch in der Höhenausdehnung starke Transformationen besitzt. Seitlich ist dieser Ring mit der Außentreppe radial an den Platz angebunden (Abb. 98). Die Geometrie des Schwellenraumes ist sehr komplex und kann geometrisch nicht ohne Hilfe von räumlichen Darstellungen entschlüsselt werden. Die komplexe Form der zusammenhängenden Zwischenräume ergibt sich aus einem Spiel der unterschiedlich geneigten Außenflächen und dem schachtelförmigen Konzertsaal (Abb. 99). Die Ordnung des Schwellenraumes besteht eher in der dramatischen Sequenz der Raumfolge als in einer nachvollziehbaren geometrischen Operation. Beide Wege verlaufen jeweils mit einer klaren Rechtsdrehung zu den zwischen Saal und Stadt liegenden Vitrinen (Abb. 100). Die geometrische Formfindung könnte man als Facettenschliff eines Diamanten lesen. Die Auditorien als geometrisch festgelegte Quader bilden in ihrer Addition das innere Grundgerüst und die äußeren Eckpunkte der Figur. Der Schwellenraum windet sich als äußerer Körper um die regelmäßigen Boxen. Seitlich bilden unregelmäßige Vielecke die Begrenzung, indem sie die äußeren Punkte der Säle verbinden. Abb. 98: Ringförmiger Schwellenraum

Abb. 99: Rechteckiger Konzertsaal

Abb. 100: Geometrie des Schwellenraumes

Vitrine

Vitrine

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2 — Schwellenraum-Analysen

Topographie Der Schwellenraum stellt eine eigene, ansteigende Landschaft dar und vermittelt mit einem dramatischen Weg, aufsteigend zwischen dem ebenen Niveau der Stadt und den angehobenen Positionen des Musiksaales. Das Niveau des Ankommens ist das Niveau der Stadt, das durch den umlaufenden Platz hergestellt wird (Abb. 101). Von diesem Niveau wird der Besucher bewusst durch die einladende Treppe des Schwellenraumes abgehoben und direkt ins Innere geleitet. Die beiden beschriebenen Wege leiten den Besucher zu den beiden Stirnseiten mit den Vitrinen des großen Saales, die in einer Höhe von 12 Metern an der vorderen Stirnseite und 16 Metern an der hinteren Stirnseite zwei Orte schaffen. Die Vitrinen lassen Rückblicke in die Ferne der Stadt zu und verknüpfen diese sehr direkt mit dem großen Auditorium (Abb. 102). Man befindet sich an einem Ort zwischen Musik und Stadt. Der Schwellenraum bildet einen Ort der Bewegung. Er fordert und lässt einen kontinuierlichen Bewegungsfluss beim Durchwandern spüren. Damit steht er im starken Kontrast zum Saal, der als ruhender Raum zum Sitzen einlädt. Die komplexe Geometrie des Schwellenraumes lässt den Besucher den trichterförmigen Raum durchwandern. Die stark fluchtenden Kanten des Raumes animieren zum Laufen und lassen starke Perspektiven erleben (Abb. 103). Abb. 101: Städtebauliche Lage

Abb.102: Vitrinen im Schwellenraum

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Abb. 103: Topographie des Schwellenraumes

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Materialität Sowohl die besonderen Räume im Inneren des Baukörpers als auch die Plaza fallen auf durch ihre besondere Farbigkeit und starke Textur. Der städtische Platz ist aufwendig mit gelben Travertinplatten verlegt und bietet sich als Ort für Konzerte im Außenraum an (Abb. 104). Er hebt sich von seiner Umgebung ab. Die Innenverkleidung des Saales als auch die der anderen Räume ist sehr individuell, farbig und aufwendig gestaltet. Im starken Kontrast zu diesen sehr komplex definierten Raumatmosphären steht der Schwellenraum mit seiner grauen, schlichten Gestaltung. Das Materialkonzept definiert so im Besonderen den Schwellenraum als indifferente Zone des Dazwischen. Er kann sich verändern durch die unterschiedlichen Lichtstimmungen. Besonders die Vitrinen können vom Sonnenlicht oder vom Inneren des Konzertsaales stark beeinflusst werden (Abb. 105). Dieser Bereich des Schwellenraumes kann also in die jeweilige Lichtstimmung gehüllt werden. Tagsüber kann das natürliche Licht den Schwellenraum definieren. Während der Vorstellungen verändert sich diese Zone, da sie aus dem Inneren heraus mit Kunstlicht versorgt wird. Die Atmosphäre des Konzertsaales bestimmt während der Vorstellung auch die dieser Zwischenzone. Die Vitrinen bilden die beiden hell in Szene gesetzten Bereiche des Schwellenraumes (Abb. 106). Auch die Ausstattung mit künstlicher Beleuchtung bestätigt das Prinzip des Kontrastes zu den Funktionsräumen. Es sind kostengünstige Leuchtstoffröhren, die hinter Lochblechen verdeckt angebracht sind. Diese einfache Ausführung verstärkt den Effekt des Flüchtigen und Dienenden. Abb. 104: Materialität des Schwellenraumes

Abb. 105: Atmosphärische Verknüpfung Vitrinen und Großer Saal

Vitrine

Konzertsaal

Abb. 106: Helligkeitsverteilung im Schwellenraum

Vitrine

Einrichtung Verschiedene Theken sind im Inneren des Schwellenraumes unauffällig organisiert. Als einfache Boxen in transluzentem, mattem Acrylglas bieten sie sich als Projektionsobjekte an, indem sie in verschiedener Lichtstimmung unterschiedliche Farbigkeit und Helligkeit aufnehmen und reflektieren können. Sie sind in den Bewegungsfluss integriert und folgen somit der Hauptaufgabe des Schwellenraumes. Die besonderen Stationen sind über die ganze Länge des Raumes verteilt und bespielen somit den Raum unauffällig und beiläufig. Besonders interessant ist die Auflösung der Eingangstür als Schwellenraumverschluss Die Schiebetür wird beiseitegeschoben und lässt die Außentreppe frei nach innen laufen.

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2 — Schwellenraum-Analysen

Zusammenfassung Der zusammengesetzte Schwellenraum ist eine komplexe Raumfolge aus mehreren Teilräumen, die sich linienförmig im Kreis organisieren. Es entsteht ein räumlicher, offener Ring. Dieses Konzept erinnert an das der Niederländischen Botschaft in Berlin. Dort verläuft die innere Erschließung, inszeniert als dramatischer Weg, mit verschiedenen Windungen nach oben. Diese „promenade architecturale“ endet auf der Dachterrasse. Koolhaas bezeichnet sie bei diesem Projekt als Trajekt. Die Casa da Música kann im Gegensatz zur Botschaft sein Trajekt für die öffentliche Nutzung vollkommen öffnen. Dieses Konzept macht das Gebäude speziell außerhalb der Vorführungszeiten komplett erlebbar. Der Schwellenraum bietet sich direkt als Vermittler für die Musik an und organisiert die Zugänglichkeit zu ihr. Als einer der wichtigsten Aspekte für die Ausbildung des Schwellenraumes ist hier seine Materialität zu nennen. Sie bringt in ihrer Unterschiedlichkeit und ihrem Kontrast das Dazwischen sehr stark zum Ausdruck. Der Platz aus Naturstein wird mit seiner aufwendigen Oberfläche, seiner Topographie und seinem geplanten Bezug zum Gebäude zu einem Ort der Musik. Der Außenraum als weiterer Konzertraum ist als offen gestalteter Raum konzipiert, der einerseits im Kontrast zu der Umgebung steht und im Besonderen für den Schwellenraum die Grundfläche ausbildet. Der Schwellenraum ist schlicht, hell und rational ausgeführt. Im Gegensatz dazu steht wiederum die aufwendige, verspielte und farbige Verkleidung der Auditorien und der anderen Aufenthaltsräume. Ungewöhnlich ist die starke Begrenzung des innenliegenden Schwellenraumes, die eine gewisse Distanz zum Ankommenden aufbaut. Das Innen und Außen wird durch die glatte Fassade stark voneinander getrennt. Das Büro OMA versucht aber genau mit dieser Distanz Neugierde aufzubauen. Als Vergleich könnte man von einem Flugzeug oder einem Schiff sprechen, das gelandet oder gestrandet ist und den Ort nicht mehr verlassen kann. Die relativ kleine Treppe gehört sowohl in ihrer Gestaltung als auch ihrer Konzeption zum Schwellenraum und lässt diesen gestalterischen Zusammenhang im Außenraum erkennen. Sie wird als scheinbar herausgeklapptes Element wahrgenommen, das am Gebäude hängt. Als reduzierte, hindernisartige Schwelle vermittelt sie in ihrer Einfachheit und Kürze zwischen innen und außen. Die Schiebetür öffnet das „Raumschiff“ am Morgen und verknüpft dann schwellenlos das Innen und Außen. Während der Öffnungszeiten gibt es keine Tür, die geöffnet werden muss. Im Winter wird ein transparenter Vorhang eingeschoben, um eine Öffnung beizubehalten. Die Öffnung ins Gebäude könnte man als offenes Schlüsselloch verstehen, das zum Eintreten auffordert und in die spektakuläre Form des Raumkontinuums einlädt. Der innenliegende Schwellenraum stellt sich im Gegensatz zu dem offenen, freien Platz und dem Auditorium als dunkel dar. Der Raum verengt sich und lässt den Zugang als Erlebnis leiblich spüren. Man wird sich seiner Position des Dazwischen-Seins stark bewusst. Weiterhin ist die Sogwirkung des Schwellenraumes herauszustellen. Sie bringt den Ankommenden dazu, sich intuitiv nach oben zu bewegen und sich der Musik anzunähern. Der Schwellenraum verliert räumlich nie den Kontakt, die Nähe und die Orientierung zum Musiksaal. Er umfängt den Konzertsaal als Weg und hebt ihn als Ort der Musik in die Höhe.

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SchwellenraumEntwurfswerkzeuge Ausgleichende Gegensatzpaare Phasen und Organisation Sensible Steuerung Wesen und Vermögen Anwendung und Ausblick

3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Ausgleichende Gegensatzpaare Bei jeder der beschriebenen Architekturen geht es um einen besonderen Schwellenraum, der seine eigene Konzeption besitzt, die sich aus der Anwendung der angeführten sechs Raumparameter herleiten lässt. In einem ersten Schritt werden hinsichtlich der ausgewählten Architekturen die Ergebnisse der Betrachtung der einzelnen Parameter gegenübergestellt. Die Anwendung der Raumparameter konnte in den Beschreibungen jeweils extreme Charakteristika aufweisen, die Analogien in den Entwurfsstrategien zeigen. In der folgenden Darstellung und Gegenüberstellung soll versucht werden, die Raumparameter mit Hilfe von Gegensatzpaaren zu beschreiben. Die Beschreibungen beziehen auch die Funktionsweise der verschiedenen technischen Schwellen mit ein und klären, ob die bautechnischen Ausführungen den Schwellenraum in seiner Konzeption stützen. Dieses Vorgehen soll helfen, die festgestellten Unterschiede zu verallgemeinern und dem Wesen des Schwellenraumes näherzukommen. Außerdem scheint dieses Wechselspiel zwischen Extremen besonders charakteristisch für den Schwellenraum und ermöglicht ihm seine Sonderstellung durch die ihm innewohnende Ambiguität. Es wird versucht zu klären, wie geöffnet und gleichzeitig geschlossen werden kann. In einem zweiten Schritt werden die Gegenüberstellungen der jeweiligen Ambiguitäten in Beziehung gesetzt, bewertet und in einem übergeordneten Kontext als Ergebnisse präsentiert. Es wird ein Ausgleich der Ambiguitäten aufgezeigt, der in einem dynamischen, ausgeglichenen Kräftefeld der analysierten Schwellenräume sichtbar wird. Danach wird die zeitliche Abfolge einzelner Phasen als dem Schwellenraum innewohnende Struktur vorgestellt und ein System angeboten. Schließlich werden Anwendungsgebiete dargelegt und Ausblicke formuliert. Offen – geschlossen Mit jedem der Schwellenraum-Parameter werden die einzelnen Analyseobjekte nach Analogien bezüglich der Strategie untersucht, und es wird eine Zuordnung bezüglich der Pole „offen“ und „geschlossen“ ermittelt. Für diese Sortierung muss das übergeordnete Gegensatzpaar „offen“ und „geschlossen“ für die jeweiligen Raumparameter angepasst und definiert werden. Folgende Gegensatzpaare lassen sich für die verschiedenen Schwellenraum-Parameter ableiten: Begrenzung: geöffnet – gefasst Sequenz: selbst wählbar – geführt Geometrie: frei – geordnet Topographie: selbständig – eingebettet Materialität: neutral – auffällig Einrichtung: unscheinbar – eigenständig Begrenzung In Verbindung mit den Analysen zur Raumbildung lassen sich Erkenntnisse zum Öffnen und Schließen des Raumes gewinnen. Der Schwellenraum öffnet sich auf unterschiedliche Art und Weise, mehr oder weniger, einerseits visuell und schließlich auch räumlich zu seiner Umgebung. Die Begrenzungen können den Schwellenraum eher geöffnet erscheinen lassen, oder im Gegensatz dazu kann sich der Schwellenraum gegenüber seiner Umgebung verschließen und gefasst präsentieren (Abb. 107). Die räumliche Gefasstheit hat im Besonderen Auswirkungen auf die Energieeffizienz, da die Hülle einfacher geschlossen werden kann. Geöffnete Raum-Körper können

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Ausgleichende Gegensatzpaare — 3

als untemperierte Außenbereiche Übergänge generieren. In Regionen ohne tiefe Temperaturen können Außenbereiche einfacher ins Innere gestülpt werden. Deutlich wird dies im Vergleich zwischen Carpenter Center und Mill Owners’ Association Building von Le Corbusier. Die Begrenzungen des Schwellenraumes kann man auch als Reaktion auf die unterschiedlichen klimatischen Bedingungen in Ahmedabad und Cambridge verstehen. Die Neue Nationalgalerie zeigt zum Beispiel einen nach allen Seiten geöffneten, flächigen Schwellenraum, der erst im Inneren klar gefasst werden kann (Abb. 108). Ähnlich stark öffnet sich das Museu de Arte in São Paulo (MASP) mit seinem Außenraum zur Stadt und bildet einen klar begrenzten Schwellenraum-Körper, der seitlich großzügig zum Eintreten einlädt. Der angebotene offene Raum wird sowohl bei der Neuen Nationalgalerie als auch beim MASP klar als öffentlicher Raum gelesen, verstanden und in dieser Weise genutzt. Abb. 107: Begrenzung: geöffnet – gefasst

Abb. 108: Geöffneter Schwellenraum: Neue Nationalgalerie

Im Prinzip verfolgt Le Corbusier eine vergleichbare Strategie in Cambridge, auch wenn der Schwellenraum kleiner ist und von der Geometrie her Unterschiede aufweist. Der Schwellenraum des Carpenter Centers verschiebt auch die Grenze des Stadtraumes, verbindet sich stark mit dem öffentlichen Raum und wird als solcher wahrgenommen. Beim Carpenter Center dagegen wird mit Hilfe der räumlichen Durchdringung eine totale Durchwanderung des Gebäudes auf der S-förmigen Rampe im Außenraum ermöglicht. Eine vergleichbare Strategie zeigt sich beim Museum für angewandte Kunst (MAK) in Frankfurt. Dort ist der Schwellenraum-Körper porös gestaltet und durch die Portale mit dem Stadtraum verknüpft. Der Park ist aber stärker durch die niedrigen Mauern gefasst und wird als geschützter, öffentlicher Raum klar begrenzt. Die Vegetation kann außerhalb des Parks extrem wahrgenommen werden und wird nicht von der Mauer gerahmt. Kontrollieren lässt sich der Park kaum; der öffentliche Raum kann seine Sicherheit aus der sozialen Kontrolle heraus beziehen. Die Gründung des Vereins „Freunde des Museumsparks“ 100 in Frankfurt spiegelt dieses Verantwortungsbewusstsein für den öffentlichen Raum wider. Die Casa da Música in Porto öffnet sich zwar großzügig mit ihrem vorgelagerten, ringartigen Platz, ähnlich wie die Nationalgalerie, nach allen Seiten, versteckt aber den im Inneren liegenden Teil des Schwellenraumes und kündigt diesen relativ unauffällig mit der kleinen Freitreppe an. Die Casa da Música öffnet ihren innenliegenden Schwellenraum nur punktuell. So können Wärme oder Kühle gut kontrolliert im Inneren gehalten werden. Die Eingangskontrolle lässt sich effizient durchführen. Bei der Fondation Cartier in Paris wird der Besucher zwar visuell nah an den Schwellenraum und dessen Aura herangeführt, aber körperlich „schichtenartig“ auf Abstand gehalten. 100 Freunde des Museumsparks e.V., „Unsere Forderungen:“ [zugegriffen 18. März 2014].

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Der Schwellenraum suggeriert eine starke räumliche Öffnung. Jean Nouvel verfolgt als Strategie die Bildung eines offenen Raumes. Dieser existiert als offenes Bild und ist nur punktuell mit einem kontrollierten Zugang geöffnet. Diese rein visuelle Öffnung und räumliche Geschlossenheit ermöglicht eine leicht organisierbare Zugangskontrolle. Sequenz Vergleicht man die Sequenzen des Schwellenraumes, welche die verschiedenen Raumfolgen in der Bewegung beschreiben, kann zwischen dem selbst wählbaren und dem geführten Weg unterschieden werden. Diese Betrachtung klärt, inwieweit die Architekturerlebnisse in einer festgelegten Reihenfolge durchwandert werden und ob eine einzige Bewegungslinie vorgegeben ist (Abb. 109). Des Weiteren lassen sich neben diesen Unterschieden aber auch Analogien zwischen den einzelnen Schwellenraum-Sequenzen feststellen. Abb. 109: Sequenz: selbst wählbar – geführt

Abb. 110: Geführte Sequenz: Carpenter Center

Mies van der Rohe und Lina Bo Bardi planten bei ihren hier betrachteten Projekten eine für den Besucher selbst wählbare Zugänglichkeit. Der Schwellenraum der Neuen Nationalgalerie als auch der des MASP lassen die Besucher aus verschiedenen Richtungen ankommen und geben keinen bestimmten Weg vor. Der Besucher kann sich durch mögliche Reize führen und leiten lassen. Das Sicherheitskonzept der Neuen Nationalgalerie unterstützt dieses Vorgehen, indem die Videoüberwachung gut versteckt ist und das Sicherheitspersonal ähnlich dem Besucher im Schwellenraum wandelt. Der ungeplante Weg bietet Raum und Zeit für Unvorhergesehenes in Bezug auf die räumliche Wahrnehmung. Der gesuchte und gewählte Weg wird von Menschen, die sich im Schwellenraum befinden, stark verändert und neu strukturiert. Richtungen im Schwellenraum werden nur im geringen Maße vorgegeben. Dadurch wird Freiraum eröffnet. In der Fondation Cartier kann, nach der Erfahrung von räumlicher Geschlossenheit beim Ankommen und dem punktuellen Zugang im Inneren, der Schwellenraum frei erlebt werden. Der privatisierte öffentliche Raum bietet zwar ein Wegenetz im Park an, dieses ermöglicht aber eine große Flexibilität und freie Wahl des Weges. Die Konzeption der Wegführung im Park des MAK in Frankfurt bestimmt klar die Antizipation der architektonischen Erlebnisse im Schwellenraum. Diese erreicht zwar eine Varianz durch mehrere Portale, vermittelt aber dem Besucher deutlich eine Zugänglichkeit und weist ihm den Weg. Die Portale fungieren als Rahmung des Weges und führen den Besucher in die „richtige“ Achse. Das Carpenter Center bestimmt in eindeutiger Weise den Weg des Ankommenden und lässt dem Besucher keine Wahl (Abb. 110). Die Passage schafft eine starke Führung ähnlich einer Schienenstrecke der Eisenbahn. Die räumlichen Erlebnisse sind im Schwellenraum wie bei einer Prozession vorgedacht, geplant und immer wieder nachvollziehbar. Diese Konzeption ist nicht aus dem Gedanken entstanden, Kontrolle auszuüben, sondern um die räumliche Wahrnehmung zu schärfen.

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Ausgleichende Gegensatzpaare — 3

Deutlich wird dies dadurch, dass sich die Rampe trotz der klaren Wegeführung schwer für Sicherheitskontrollen nachrüsten ließ. Der Zugang nach innen sollte sich frei und unmittelbar anschließen. Der Schwellenraum der Casa da Música könnte als Verbindung der Konzepte der Neuen Nationalgalerie und des Carpenter Centers verstanden werden. Rem Koolhaas benutzt eine freie Art für das erste Ankommen, indem er mit einem umlaufenden, ringförmigen Platz die Besucher aus den verschiedenen Richtungen kanalisiert. Der Schwellenraum im Inneren der Casa da Música gibt, wie die Passage des Carpenter Centers, den Weg extrem vor und leitet den Besucher direkt zu den Musiksälen. Auch Rem Koolhaas lässt dem Besucher wenig Spielraum in Art und Weise der Reihenfolge der räumlichen Erlebnisse. Der Weg drängt sich ihm auf und endet in einem besonderen Ort. Entlang des Weges bieten sich Gelegenheiten zum Kaufen und Verweilen an. Diese Stationen schaffen auch eine Art sozialer Kontrolle, ohne dass eine Sicherheitsfirma hier operieren muss. Die Cafés, der Ticketverkauf und der Shop übernehmen beiläufig Kontrollfunktionen. Unabhängig, ob der Weg stärker geführt oder stärker selbst wählbar ist, meist ist der Zugang von Weitem erkennbar. Bei der Neuen Nationalgalerie, der Casa da Música, dem MASP und dem Carpenter Center bietet der Belag eine kaum wahrnehmbare Schwelle. Es ist eine einfache Zugänglichkeit, von Weitem sichtbar. Eine ebenfalls starke Zeichenwirkung üben beim MAK die Portale oder bei der Fondation Cartier die Tür aus. Der Schwellenraum-Körper breitet sich vor dem Ankommenden aus. Alle genannten Beispiele lassen ein mehr oder weniger freies Ansteuern zu. Das erste Ankommen ist bei der Neuen Nationalgalerie und der Casa da Música großzügig durch einen ringförmigen Platz organisiert. Das Carpenter Center schafft eine vergleichbare Situation des ersten Ankommens mit dem geländerlosen Stück der Rampe. Bei der Fondation Cartier und dem MAK wird der Besucher räumlich gefasst und kann so das erste Ankommen besonders erleben. Die Bewegung wird durch verschiedene räumliche Mittel verlangsamt, sei es durch eine Verengung, wie bei den Portalen des MAK, oder den Anstieg der Treppe der Casa da Música und der Rampe des Carpenter Centers. Diese Verlangsamung der Geschwindigkeit ermöglicht einen guten Überblick und lässt die sich eröffnenden Wege erkennen. Die neueren Beispiele lassen eine Zugangskontrolle einarbeiten. Schwierig stellt sich eine derartige Organisation beim Carpenter Center dar. Die erfolgte Umplanung der Eingangssituation macht das Dilemma sichtbar. Bei der Neuen Nationalgalerie werden der Schwellenraum und die im Raum ausgestellten Kunstwerke aufwendig durch Sicherheitspersonal kontrolliert. Als letzte Stufe kann bei allen Architekturbeispielen die Vorankündigung und Wahrnehmung der zu erreichenden Räume gesehen werden. Bei der Casa da Música spürt man förmlich die Masse der Säle, wenn man den Schwellenraum durchsteigt. Ein ähnlich stark körperlicher Bezug entsteht bei dem MASP: Der „fliegende“ Museumskörper schwebt über dem Besucher. Le Corbusier kündigt auch eindeutig die Atelierräume an, indem er die Kurven der Raum-Körper durch den Verlauf der Rampe antizipiert. Mies van der Rohe und Richard Meier führen den Besucher zwar unscheinbarer ins Innere zu den weiteren Funktionen, lassen aber keinen Zweifel aufkommen, was erwartet werden kann. Geometrie Die räumliche Geometrie bestimmt im Wesentlichen als Struktur die Ordnung des Schwellenraumes. Im extremen Fall kann die Schwellenraum-Geometrie kaum erkennbar sein und sich als freie Geometrie darstellen. Im entgegengesetzten Fall ist die Struktur sehr streng und geordnet (Abb. 111). Die räumliche Ordnung lässt sich hier auf erkennbare geometrische Formen zurückführen. Bei der Casa da Música setzt sich der Schwellenraum aus einer komplexen Geometrie zusammen.

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Sie ist kaum für den Wahrnehmenden erfassbar. Die aufsteigende Treppe, die sich räumlich weitet und verjüngt, stellt eine Kontinuität dar. Dennoch ist keine gleichmäßige geometrische Form erkennbar, die wiederholend eingesetzt ist. Abb. 111: Geometrie: frei – geordnet

Abb. 112: Strenge Geometrie: MASP

Die freie S-Form der Rampe beim Carpenter Center lässt den Besucher scheinbar flüssig und geschwungen durch den Raum gleiten. Sie passt sich individuell an die gegebene Ordnung des Straßensystems an und vermittelt auch die verschiedenen Höhen. Strenger arbeitet Richard Meier mit der Geometrie des Parks und der Villa Metzler und überträgt diese auf den Schwellenraum und lässt die strenge Ordnung von der Weichheit der Vegetation überlagern. Es lassen sich wiederholt Raumabschnitte erkennen, die auf der quadratischen Struktur der Villa Metzler basieren. Auch der Schwellenraum der Fondation Cartier stellt sich als ein Park dar, dessen Grundriss durch die schichtenhaft gestaffelte Raumbildung des Baukörpers streng strukturiert wird. Der Schwellenraum der Neuen Nationalgalerie wird durch eine alles bestimmende würfelartige Struktur streng und eindeutig gerastert. Die Raum bildenden Elemente ordnen sich der quadratischen Lesbarkeit in Ansicht und Grundriss unter. Lina Bo Bardi übertrifft zwar in der Klarheit ihrer Schwellenraum-Struktur nicht die Neue Nationalgalerie, aber in der Einfachheit der räumlichen Form. Der Quader des Schwellenraumes bildet ein einfaches Pendant zum quaderförmigen Museumskörper (Abb. 112). Beide Architekturen arbeiten mit der klaren Lesbarkeit von kubischen Volumen. Interessanterweise sind sowohl das Dach der Neuen Nationalgalerie als auch der Museumskörper des MASP um circa 8 Meter angehoben und verleihen dem jeweils darunterliegenden Raum seine klare Kubatur. Topographie Betrachtet man die Topographie des Schwellenraumes, könnte man räumlich gesehen zwischen selbständigen und eingebetteten Orten unterscheiden (Abb. 113). Im einen Fall kreiert der Schwellenraum in Bezug zur Architektur einen eigenen, selbst bestimmten Ort, der auch als Abb. 113: Topographie: selbständig – eingebettet

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Abb. 114: Eingebetteter Ort: Casa da Música

Ausgleichende Gegensatzpaare — 3

solcher benutzt und wahrgenommen wird. Im Gegensatz dazu kann der Schwellenraum als Ort in die Architektur eingebettet und weniger stark als eigenständiger Ort präsent und lesbar sein. Ungewöhnlich ist die Ausbildung des Voids beim MASP. Dieser ungewöhnliche Raum besitzt als besonderer Ort der Stadt wahrscheinlich im Vergleich zu den anderen Analyseobjekten die höchste Flexibilität beziehungsweise Eigenständigkeit und kann stets neu öffentlich besetzt werden. In seiner früheren Geschichte stellte sich dieser Ort als zurückgezogener, privater Raum dar. Diese Exklusivität schwingt widersprüchlich noch heute mit. Der Ort besitzt seinen eigenen Namen: Vão do Masp. Vergleichbar ist der Schwellenraum der Neuen Nationalgalerie; er präsentiert sich öffentlich als Bühne der Stadt. Entscheidend für seine Kraft ist selbstverständlich seine zentrale Lage. Der Besucher wird mitten in der Architektur begrüßt. Ähnlich führt der Schwellenraum des Carpenter Centers den Besucher ins Zentrum der Architektur. Mit der Rampe des Carpenter Centers gelingt beides. Sie schafft zunächst einen eignen Ort, der mit Hilfe der Form und erhöhten Lage seine Eigenständigkeit erzielt. Trotzdem passt sich die Rampe gut im städtebaulichen Kontext des Campus ein und bezieht sich nicht ausschließlich auf sich selbst, sondern fungiert als eingebettete Passage. Auch die Casa da Música bietet den Schwellenraum tagsüber der Öffentlichkeit als Stadtraum an. Aufgrund seiner inneren Lage (Abb. 114) muss er aber entdeckt werden und ist in die Architektur integriert. In Frankfurt erzählt der Schwellenraum als zurückgezogener Ort von der Geschichte Frankfurts und bildet einen städtischen Park, der in enger Verbindung mit dem MAK steht. Der Park bietet sich in jeder Ebene als Vermittler an und erhält seine Identität aus den Fundstücken und seiner Umgebung. Auch wenn der Schwellenraum der Fondation Cartier unmittelbar sichtbar ist, kennzeichnet ihn die Raumlage eher als gefangen und eingebettet hinter den Glasscheiben. Er ist nicht ohne Weiteres zugänglich. Materialität Die Materialität des Schwellenraumes nutzt im Besonderen das Spannungsfeld zwischen offen und geschlossen beziehungsweise neutral und auffällig (Abb. 115). Es wird meist versucht, dem Schwellenraum eine nicht eindeutig zuzuordnende Materialität zuzuweisen. Es wird mit dem Effekt des Changierens gearbeitet, der sich aus dem tageszeitlichen oder jahreszeitlichen Wechsel ergibt. Das bedeutet, die Extreme der Raumgestaltung bewegen sich beim Schwellenraum zwischen neutral unauffällig, dem Gesamtkonzept unterordnend bis hin zu auffällig dominant. Das MASP und die Neue Nationalgalerie bilden bei dieser Beschreibung bezüglich ihrer Schwellenräume die Extreme. Lina Bo Bardi wählt für den Void unauffällige Materialien, die sich in den umgebenden Straßenraum einpassen. Es wird kein Wechsel zum Stadtraum wahrnehmbar. Abb. 115: Materialität: neutral – auffällig

Abb. 116: Zweideutige Materialität: Fondation Cartier

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Bei der Neuen Nationalgalerie lässt sich ein Spiel mit der Materialität eines klassischen Innenraumes, wie zum Beispiel Holz, Naturstein und Leder, erkennen. In dieser Weise kann mit der Auffälligkeit der Materialität ein Kontrast erzeugt werden. Der Schwellenraum ist selbst als Raum auffällig ausgebildet und emanzipiert sich von seiner Umgebung. Die Glasfassade wurde als durchsichtige, offene Schicht ausgeführt. Mies van der Rohe lässt Glas wirklich transparent sein und ermöglicht echte Durchblicke. Das Spiel mit dem Material des Dazwischen wird besonders anschaulich im Umgang mit Glas. Die Fondation Cartier zum Beispiel spielt mit den Möglichkeiten von Glas, Raum zu schließen und zu öffnen, gleichzeitig (Abb. 116). Starke Transparenzen und Spiegelungen können den Schwellenraum als geöffneten oder gefassten Raum-Körper erscheinen lassen. Die Casa da Música schafft mit ihrer grauen, silbrigen Farbigkeit auch eine zweideutige Materialität, die verschiedene Atmosphären auffangen kann. Diese neutrale Qualität unterstützt den Schwellenraum in seiner Konzeption, indem er zwischen den einzelnen Funktionsräumen mit ihrem ausdifferenzierten Material liegt. Es entsteht ein wahrnehmbarer Kontrast, indem das Material des Schwellenraumes zurücktritt. Der Schwellenraum wird als Vermittler möglichst unauffällig und neutral gestaltet, um die anderen Räume in Szene zu setzen. Beim MAK und beim Carpenter Center gibt es konsequenterweise keinen Unterschied in der Materialität des Schwellenraumes in Bezug auf die gesamte Konzeption. Es wird jedoch die wechselnde Wirkung als Außenraum in die Planung einbezogen. Die Vegetation des Parks in Frankfurt verändert sich sehr stark, ebenso ist das Wechselspiel im Schwellenraum des Carpenter Centers beeindruckend. Einrichtung Die Schwellenraum-Einrichtung kann sich einerseits durch die Möglichkeit integriert und unscheinbar zu sein oder andererseits durch Eigenständigkeit charakterisieren lassen (Abb. 117). Die Konzepte der Einrichtung pendeln zwischen in Raum bildenden Elementen versteckten Einbauten und sichtbaren Objekten. Integrierte Systeme ermöglichen freie Schwellenräume und lassen unterschiedliche Nutzungen zu. Eigenständige Objekte bilden selbst Raum und definieren die jeweiligen Funktionen in einem stärkeren Maß. Technische Schwellen, wie zum Beispiel Videoüberwachung, Gegensprechanlage und Briefkasten lassen sich in eigenständigen Objekten zusammenfassen. Dies bietet aus technischer Sicht Vorteile für Installation und Produktion der Geräte. Außerdem kann an einem festen Ort Information gebündelt vermittelt werden und Kommunikation stattfinden. Abb. 117: Einrichtung: unscheinbar – eigenständig

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Abb. 118: Unscheinbare Einrichtung: MASP

Ausgleichende Gegensatzpaare — 3

Der Void des MASP besitzt als besonderer Raum der Stadt wahrscheinlich im Vergleich die höchste Flexibilität durch seine Leere beziehungsweise totale Öffnung. Es existieren keine Einrichtungen (Abb. 118) außer der unscheinbaren Treppe, die sich von oben herunterklappt. Die nachträglich eingebauten, sichtbaren Sicherheitskameras stören. Es können verschiedenste Aktivitäten in diesem Raum stattfinden; die klimatischen Verhältnisse in São Paulo begünstigen das. Der Raum ist vor der Sonne geschützt und verfügt über verhältnismäßig gute Luft durch den angrenzenden Park. Die Schwellenräume des Carpenter Centers, des MAK und der Fondation Cartier bieten sich überwiegend als Bewegungsräume an. Sie kommen fast ohne Einrichtung aus und laden so zum freien Sichbewegen, zum Flanieren und Beobachten ein. Auch der Schwellenraum der Nationalgalerie weist auf der Terrasse einen freien Raum auf, der zum Beispiel für Skulpturen, Rauminstallationen oder Performances genutzt werden kann. Die Einrichtungen liegen im Inneren und sind auf ein Minimum reduziert. Ihre Raum bildende Wirkung ist aufgrund der überwältigenden Ausmaße der Halle vernachlässigbar. In der Casa da Música gibt es Möbel für die hauptsächlichen Funktionen, die objekthaft in den Raum gestellt sind. Der Bewegungsraum wird in diesen Bereichen durch zusätzliche Nutzungen, wie zum Beispiel ein Café, erweitert. Ausgleich der Ambiguität Mit den erarbeiteten Gegensatzpaaren lassen sich die einzelnen Raumparameter klarer definieren und in einer neuen Form gegenüberstellen. Inhaltlich sind die Parameter der SchwellenraumBetrachtung eng miteinander verbunden, besonders deutlich wird das am Beispiel von Sequenz und Geometrie. Die Parameter sind als Hilfsmittel anzusehen, um Teilaspekte der Architekturund Raumkonzeption besser verstehen zu können; sie wirken zusammen und ermöglichen das besondere Raumverständnis und Raumerlebnis. Aus den beschreibenden Analysen lassen sich zusätzlich für jeden Parameter Attribute herauslesen. Die gewonnenen Einblicke lassen sich in abstrahierter Form gegenüberstellen. Die sehr unterschiedlichen Architekturen zeigen bezüglich der ihnen innewohnenden Logik und Strategie, bezüglich der zu kombinierenden Ebenen der Raumparameter – Begrenzung, Sequenz, Geometrie, Topographie, Materialität und Einrichtung – Analogien auf. Betrachtet man die Schwellenräume der untersuchten Architekturen separat, kann man feststellen, dass bezogen auf die Raumparameter immer eine „offene“ Situation eine „geschlossene“ Situation ausgleicht. Das bedeutet, einem Raumparameter steht ein anderer Raumparameter mit konträrer Ausprägung gegenüber. Vereinzelt lässt sich ein solches konträres „Attributepaar“ auch für denselben Raumparameter benennen. Es gibt für jedes Attribut des Schwellenraumes einen Gegenspieler Entweder gleichen sich ergänzende Parameter aus oder die Gegensätze werden innerhalb eines Teilaspektes ausgeglichen. Sehr anschaulich lässt sich die Paarbildung der Attribute bei der Betrachtung der Parameter Geometrie und Sequenz beobachten. Der streng geordneten Geometrie kann oft die selbst wählbare Sequenz zugeordnet werden. Als Beispiele lassen sich die Neue Nationalgalerie und das MASP heranziehen. Das heißt, gerasterte, klar definierte Strukturen finden in der Flexibilität des Weges und der Benutzbarkeit ihr dynamisches Gleichgewicht. Demgegenüber hält sich beim Carpenter Center eine freie Geometrie mit einem geführten Weg in Balance. Der freien, komplexen Form kann der geführte Weg gegenübergestellt werden. Die geführte, genau definierte Sequenz scheint im Gegenzug eine freiere Geometrie zu erlauben. Auch bei der Casa da Música sucht die freie Geometrie, die kaum vom Benutzer entschlüsselt werden kann, einen beruhigenden

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Gegenpart. Der geführte Weg als auch die stark gefasste Begrenzung, mit dem „Loch“ als Eingang, stellen sich ausgleichend der komplexen Form des Schwellenraumes gegenüber. Hinsichtlich der Materialität lässt sich am Beispiel der Fondation Cartier an sich schon eine starke Zweipoligkeit feststellen. Das bedeutet, dass der Raumparameter Materialität keinem anderen Raumparameter gegenübersteht, sondern bereits in seiner Ausführung beide Extreme berücksichtigt. Das Material Glas ist als diaphaner Vermittler eingesetzt, der sich scheinbar selbst ausgleicht und eine Spannung aufbaut (Abb. 119). Abb. 119: Attributepaare Fondation Cartier

selbst wählbar Sequenz

neutral – auffällig Materialität

geordnet Geometrie

gefasst – geöffnet Begrenzung

Das MAK präsentiert den Park mit den besonderen Bäumen als markanten Schwellenraum mit seichten Begrenzungen. Der Park ist von allen Seiten sichtbar und präsent, er kann nur durch die sehr eigenständigen Portale betreten werden. Sie bilden als scharfkantige architektonische Körper einen großen Kontrast zum wuchernden Naturraum (Abb. 120). Abb. 120: Attributepaare MAK

geöffnet Begrenzung

neutral – auffällig Materialität

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eigenständig Einrichtung

geführt Sequenz

frei Geometrie

Ausgleichende Gegensatzpaare — 3

Betrachtet man weitere Paarbildungen bei der Neuen Nationalgalerie, so kann man zum Beispiel der nach allen Seiten geöffneten Terrasse den exponiert liegenden Ort gegenüberstellen, der eine selbständige Topographie ausbildet. Auch die Materialität selbst beinhaltet Gegensätzliches: Das dunkle schwarze Dach und der helle weiße Sockel. Außerdem ist bemerkenswert, wie der monochromen Farbgebung der den Schwellenraum bildenden Elemente die Farbigkeit der eingestellten Einrichtungsgegenstände, wie Garderobenelemente in Holzfurnier oder die grünen Scheiben in Naturstein für Entwässerung und Haustechnik, gegenüberstehen (Abb. 121).

Abb. 121: Attributepaare Neue Nationalgalerie

geordnet Geometrie

selbst wählbar Sequenz

neutral Materialität

eigenständig Einrichtung

geöffnet Begrenzung

selbständig Topographie

Betrachtet man die Raumlage des Schwellenraumes in Bezug auf die gesamte Architektur, lässt sich zum Beispiel beim MASP eine sehr mittige, umschlossene Lage konstatieren. Dieser „Einschließung“ des Schwellenraumes steht die offene Begrenzung gegenüber. Der Vão do Masp fordert als offener Stadtraum aus der Leere heraus eine immer neue Besetzung (Abb. 122). Abb. 122: Attributepaare MASP

geordnet Geometrie

selbst wählbar Sequenz

neutral Materialität

eigenständig Einrichtung

geöffnet Begrenzung

eingebettet Topographie

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Bei der Casa da Música ist der Schwellenraum nur sehr zurückhaltend geöffnet und findet in der komplexen Geometrie des Foyerraums seinen Antagonisten, der eine fließende, ungestörte Bewegung im Inneren zulässt. Dieser Fluss wird durch die Form der Theken und anderen Einrichtungen, wie zum Beispiel dem Geländer, unterstützt, indem sie als zusätzliche Verstärkung der trichterförmigen Raumgestaltung eingesetzt werden. Sie sind zwar teilweise eigenständige Objekte, treten aber in ihrer Gestaltung zurück und sind unscheinbar. Der Schwellenraum der Casa da Música schafft durch die Materialität der grauen, silbern reflektierenden Oberflächen in Verbindung mit der Beleuchtung eine offene Atmosphäre. Diese freie, offene Materialität kontrastiert mit den stark geschlossenen Grenzflächen des Schwellenraumes, die einen eingebetteten Ort formen (Abb. 123). Abb. 123: Attributepaare Casa da Música

gefasst Begrenzung

frei Geometrie

neutral Materialität

eingebettet Topographie

geführt Sequenz

frei Geometrie

Es lässt sich also für die unterschiedlichen Extreme der einzelnen Raumparameter immer ein Gegenspieler finden (Abb. 124). Die genannte Zweipoligkeit beschreibt einen Zustand der Schwebe und der Spannung. Die einzelnen Raumparameter werden vom Benutzer meist nicht selektiv wahrgenommen und mit dem ausgleichenden Gegenspieler verknüpft, dennoch kann der Nutzer die ausgleichende Dynamik der Gegensatzpaare erfahren und so die gestalterischen Gesten besser entschlüsseln. Kehrt man an diesem Punkt zurück zur Aufgabe und Bestimmung einer Schwelle und auch eines Schwellenraumes, leuchtet die aufgezeigte Ambiguität ein. Es liegt eine Zwiespältigkeit in der Schwelle und es macht Sinn, diese im Schwellenraum auf verschiedenen Ebenen zu verankern, weiterzuentwickeln und wahrnehmbar zu machen. Von dem Planenden wird die Ambiguität intuitiv oder bewusst eingesetzt und ausgespielt. In der Planung des Schwellenraumes kann das Hin-und-her-Gezogensein zwischen den verschiedenen Polen genutzt werden, um einen attraktiven und stimmigen Schwellenraum zu entwerfen, der in die Gesamtkonzeption der Architektur eingebunden ist. Es wird eine gewisse Spannung zwischen den Widersprüchen aufgebaut und bewusst bearbeitet.

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Ausgleichende Gegensatzpaare — 3

Abb. 124: Übersicht Attributepaare Neue Nationalgalerie

geordnet Geometrie

Center for the Visual Arts

selbst wählbar Sequenz

geführt Sequenz

Museum für angewandte Kunst

Fondation Cartier

geöffnet Begrenzung

neutral – auffällig Materialität

eigenständig Einrichtung

Casa da Música

gefasst Begrenzung

frei Geometrie

Museu de Arte

frei Geometrie

geordnet Geometrie

selbst wählbar Sequenz

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Phasen und Organisation Der erwähnte Ausgleich der Ambiguität gibt Aufschluss über die dem Schwellenraum innewohnende Konzeption. Nun beschreibe ich die prinzipielle Abfolge des Durchwanderns von Schwellenräumen. Unabhängig von ihrer räumlichen Gestalt zeigen die Betrachtungen der verschiedenen Analyseobjekte bezüglich der Organisation des Schwellenraumes eine ähnliche Taktik und einen vergleichbaren Ablauf. Neben der Spannung erzeugenden Ausgewogenheit ist der Schwellenraum sehr stark von der zeitlichen Abfolge des Erlebens bestimmt. In einer groben Systematisierung kann die Sequenz in folgende Phasen gegliedert werden: Erkennen Ansteuern Erreichen Ankommen Orientieren und Informieren Kontrollieren Verlassen

Abb. 125: Erkennen

Abb. 129: Orientieren und Informieren

Abb. 126: Ansteuern

Abb. 130: Kontrollieren

Abb. 127: Erreichen

Abb. 131: Verlassen

Abb. 128: Ankommen

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Phasen und Organisation — 3

Erkennen Der Schwellenraum oder ein Teil des Schwellenraumes ist sichtbar als Zugang (Abb. 125). Bei einigen Architekturen formen die Raum bildenden Elemente des Schwellenraumes eine erkennbare Figur. Es kann auch der Raum selbst als Zugang verstanden werden, wie zum Beispiel ein Platz oder ein Parkraum. Wenn der Schwellenraum die Funktion des Zugangs übernimmt, fungiert er meist als wahrnehmbares Zeichen. Diese Zeichenwirkung kann zusammen mit dem Körper der Architektur hergestellt werden. Eindeutig wird dies, wenn in der Fernwirkung der Schwellenraum selbst oder die Raum bildenden Elemente des Schwellenraumes als Zeichen wahrgenommen werden können. Manchmal setzt sich der Schwellenraum-Körper von dem der Architektur ab. Diese Betonung zeigt Parallelen zu dem Prinzip des Portikus. Die Säulenhalle des Pantheons wird zum Vorbild für mehrere architektonische Konzepte. Schleusenartige Eingangskisten als Windfang formulieren oft dieses Prinzip in abstrahierter Form als Kubus. Bei transparenten Fassaden werden oft aus gestalterischen Gründen auch der Zugang und der Verschluss einheitlich transparent ausgeführt. Um ein Erkennen des Zugangs zu ermöglichen, müssen im Besonderen die Geometrie und/oder die Wegeführung dies zulassen. Ansteuern Nachdem der Zugang erkannt wurde, kann er angepeilt werden und stellt sich für den Ankommenden als Ziel dar (Abb. 126). Das Ansteuern des Zugangs bestimmt neben verschiedenen anderen Faktoren die Richtung des eingeschlagenen Weges. Die klare Sichtbarkeit des Schwellenraum-Körpers ist zielführend. Der Nutzer kann infolgedessen den Zugang zum Schwellenraum aus der Ferne wahrnehmen und ansteuern. Dieses Erkennen des Zugangs gibt dem Sichnähernden Orientierung und Sicherheit; der Weg der Annäherung bekommt eine Richtung. Deutlich wird dieser Vorgang beim Carpenter Center. Le Corbusier bildet den linearen Schwellenraum so stark aus, dass er als Erstes wahrgenommen werden kann. Der Schwellenraum wird zum Alleinstellungsmerkmal des Carpenter Centers. Die gegenwärtige Verlegung des Haupteingangs ins tiefer gelegte Erdgeschoss konterkariert die Zugänglichkeit des Gebäudes und lässt Nutzer, die das Gebäude nicht kennen, sich intuitiv verlaufen. Schwellenräume sind mit ihrem Gebäude so stark verknüpft, dass sie nicht verlegt werden können, ohne die Gebäudekonzeption zu verändern. Erreichen Im Anschluss an die Annäherung zum Schwellenraum hin wirkt der Schwellenraum oft wie eine „Geste des Ankommens“ (Abb. 127). Der Benutzer ist sich meist nicht darüber bewusst, dass er sich schon im Schwellenraum befindet. Dieser räumliche Erstkontakt erfolgt eher intuitiv. Die Schwelle zwischen Straßenraum und Schwellenraum wird oft kaum wahrgenommen. Im Besonderen wird durch die Forderungen des „Universal Design“ versucht, diese Schwelle aufzuheben. Der barrierefreie Zugang wird als räumliche Einladung empfunden. Diese Raumerfahrung kann durch schützende Funktionen begleitet werden, die ein erstes Ankommen angenehmer gestalten. Je nach Klima können horizontale Flächen vor Regen oder Sonne schützen. Auch vertikale Flächen können im Besonderen den Wind blockieren und die akustischen Belastungen eindämmen, die zum Beispiel der Verkehr verursacht. Sowohl beim Carpenter Center als auch bei der Fondation Cartier wurde die Anfahrt mit dem Auto in die Konzeption der Sequenz integriert, ohne das Erreichen des Schwellenraumes als Fußgänger zu stören. Der Wechsel in der Art der Fortbewegung kann im Schwellenraum stattfinden.

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Ankommen Das Ankommen ist meistens mit einer Verlangsamung der Geschwindigkeit verbunden (Abb. 128). Indem die Benutzer Stufen oder Rampen aufsteigen oder einen Materialwechsel wahrnehmen, werden sie verlangsamt. Diese Schwellen können bewusst das Ankommen verzögern. Mit der Verlangsamung des Körpers erfassen die Sinne die räumliche Situation besser. Der Nutzer kann sich auf den Raum einlassen und seine Sinne können den Raum wahrnehmen. Für die Schwellenraum-Sequenz ist dies ein sehr wichtiger Moment, da die leibliche Erfahrung des Raumes im Vordergrund steht. Der Mensch ist mit seinem Leib im Schwellenraum angekommen. Orientieren und Informormieren Meist kann der Ankommende nun die Situation komplett überblicken; er kann sich orientieren (Abb. 129). Sich im Schwellenraum befinden bedeutet sich orientieren können. Dieser Moment des Überblicks lässt den Benutzer im Dazwischen ankommen. Im Idealfall können nun die Möglichkeiten der weiteren räumlichen Angebote verstanden werden. Die sich ergebenden Wege werden erkennbar. Die Orientierung kann mit Hilfe von Informationstresen, Leitsystemen, aber auch Kunstwerken unterstützt werden. Diese Zeichen stehen im Dialog mit dem Raum und müssen sensibel integriert werden. Anzumerken ist, dass transparente Raumbegrenzungen, welche echte Durchblicke zulassen, positiv zur Orientierung beitragen können, da sie Einblicke in Kommendes und weitere Informationen wie selbstverständlich vermitteln. Kontrollieren Die verschiedenen Zugangskontrollen sind im Schwellenraum organisiert; sie sind Schwellen, die an verschiedenen Orten als Schwellenraum-Verschlüsse operieren können (Abb. 130). Je nach Konzeption können diese Kontrollen am äußeren Rand, zentral in der Mitte oder am inneren Rand des Schwellenraumes integriert sein. Auffällige technische Apparaturen wirken als Schwellen und werden bei nachgerüsteten Räumen meist als störend empfunden. Alternativ übernehmen Sicherheitsdienste und Videoüberwachungen eine Kontrollfunktion. Die Raumüberwachung hat Auswirkung auf die Atmosphäre des Raumes. Sie wird von den Nutzern sehr unterschiedlich bewertet. Es besteht bisher keine Klarheit, dass Videoüberwachung dem Benutzer wirklich ein stärkeres Sicherheitsgefühl gibt und aus diesem Grund ein erkennbares Videosystem zu bevorzugen ist. Es lenkt von der räumlichen Wahrnehmung ab und die Funktion des Schwellenraumes kann sich nicht voll entfalten. Die räumliche Einstimmung auf bevorstehende Raumerlebnisse kann verhindert werden, wenn die Sicherheitskontrolle die Atmosphäre des Raumes bestimmt. Wichtig ist noch anzumerken, dass die Zugangskontrolle auf verschiedene Weise funktionieren kann. Raumverengungen können genutzt werden, um die Gäste, in welcher Weise auch immer, zu kontrollieren. Es gibt auch die Möglichkeit, mit versteckten Überwachungskameras den gesamten Schwellenraum verdeckt von einem anderen Ort aus zu überwachen. Diese eingebauten, vermeintlich unsichtbaren Schwellenraum-Apparaturen können aber dennoch die Wahrnehmung erheblich stören, da beim Erkennen eine Ablenkung durch das Reflektieren über die Hintergründe des verdeckten Systems einsetzt. Meist empfinden Gäste es als angenehmer, von angestelltem Personal bedient oder informiert zu werden. Geschickt erweist sich aus diesem Grund das Integrieren von Verkaufsmöglichkeiten, was gleichzeitig kontrollierende und informierende Assistenz ermöglicht.

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Phasen und Organisation — 3

Verlassen Als letzte Phase kann das Eintreten in einen, den Schwellenraum angrenzenden Raum verstanden werden. Dieses Raumerlebnis kann gleichzeitig als Austritt aus dem Schwellenraum heraus begriffen werden (Abb. 131). Der Besucher verlässt den Schwellenraum und ist auf das nächste Raumerlebnis vorbereitet. Dieses Verlassen wird meist als Eintritt wahrgenommen, da sich der Schwellenraum verengt und der vorliegende Raum sich aufweitet. Auch das Verlassen der Architektur geschieht stufenweise, da meist das Verlassen in ähnlicher Weise abläuft wie das Ankommen. Selbst wenn die Sequenz beim Ankommen nicht identisch ist mit der beim Verlassen, so ist doch die Abfolge, die erlebt werden kann, vergleichbar. Der Schwellenraum dient denen, die den Raum verlassen, als Orientierung für den Übergang in den angrenzenden Raum. Die Sicherheitskontrollen müssen meist wie beim Eingang den Übergang in den Außenraum überwachen, um zum Beispiel Diebstähle zu vermeiden. Es können räumliche Verengungen als Schleusen fungieren oder es wird übergeordnet das Verlassen des Schwellenraumes mit KameraSystemen beobachtet. An dieser Stelle erfolgt meist auch die thermische Trennung zwischen innen und außen mit Hilfe von Schwellenraum-Verschlüssen.

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Sensible Steuerung Um die Aussagen bezüglich der Sequenz und der ausgleichenden Gegensatzpaare zu erweitern, bietet sich eine Auseinandersetzung mit anderen Gebäudetypologien an. Diese Erweiterung soll nicht weitere öffentliche Gebäude beinhalten, da hier zu ähnliche Bedingungen vorherrschen. Im Wohnungsbau dagegen sind aufgrund der Privatsphäre des Bewohners und der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Rollen für Gastgeber und Gast interessante, neue Erkenntnisse zu erwarten. Für das Wohnen sind Schwellenräume von besonderer Bedeutung, da sich in den Übergangszonen das Annähern zwischen Menschen vollzieht. Menschen schützen häufig ihren privaten Wohnbereich und begegnen sich gerne im Halbprivaten, weil sie somit die Eintauchtiefe des Gastes bestimmen können. Viele Rituale ranken sich um die Schwelle. Schon als Kind erweitern wir über Schwellenräume, die direkt in Verbindung mit unserem Zuhause stehen, unseren Aktionsradius. Flure, Treppenräume, Straßen oder Höfe sind die ersten Schwellenräume, die wir aktiv erkunden. Herman Hertzberger beschreibt in seinem Kapitel „Das Zwischen“ eindrucksvoll die Aufgabe der Schwelle als Raum und stellt die Verbindung zwischen öffentlichem und privatem Bereich ins Zentrum seiner Überlegungen: „Die Schwelle liefert den Schlüssel zum Übergang von Bereichen mit unterschiedlichem territorialem Anspruch und deren Verbindung; als Raum per se bildet sie die wichtigste räumliche Voraussetzung (conditio) für die Begegnung und den Dialog von Bereichen unterschiedlicher Ordnung. Die Bedeutung des Begriffs wird am deutlichsten in der eigentlichen Schwelle, dem Eingang zu einem Haus. Hier handelt es sich um die Begegnung und Versöhnung von Straße und Privatbereich.“ 101 Im Rahmen von Schwellenraum-Seminaren an der Bauhaus-Universität Weimar konnte im Hinblick auf die Typologie des Wohnungsbaus untersucht werden, wie sich der Wunsch nach Privatsphäre auf die Organisation des Schwellenraumes auswirkt. Der Master-Kurs im Wintersemester 2013–14 mit dem Untertitel „Privatsphäre aufbauen – in Privatsphäre eintauchen“ hatte die Aufgabe die unterschiedlichen Szenarios, die ein Nutzer im Schwellenraum seiner Wohnung oder seines Hauses erleben kann, zu analysieren. Fokussiert wurden dabei die Gestalt der Schwellen und die architektonischen Mittel, die eingesetzt werden, um den Übergang zu öffnen oder zu schließen. Die Eintauchtiefe kann ein privater Bauherr mit Raum bildenden Elementen und Schwellen genauer steuern. Sehr deutlich wird dies bei Einfamilienhäusern, bei denen der Schwellenraum gezielt zum Repräsentieren oder anders gesagt als Geste des Empfangens genutzt wird (Abb. 132). Gast oder Eigentümer laufen eine eindeutig geplante Sequenz ab. Entlang dieses Weges können verschiedene Schwellen integriert sein. Diese Schwellen lassen sich durch einen Materialwechsel bilden, um so ein neues Territorium abzustecken. Kies als Bodenbelag zum Beispiel erzeugt eine akustische Rückkoppelung für den Gast. Ein solcher Materialwechsel schafft zugleich auf natürliche Art und Weise eine Entschleunigung und eine Verlangsamung des Ankommenden im Schwellenraum. Der Weg zum Haus oder zur Wohnung wird aber auch beim Mehrfamilienhaus für die Gestaltung und Planung einer genau definierten Sequenz genutzt. Hier kommen verstärkt Kommunikationsanlagen mit Klingel, Sprech- und Lautsprechermodul zum Einsatz, die den Weg beziehungsweise

101

Hertzberger, s. Anm. 32, S. 30.

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Sensible Steuerung — 3

Abb. 132: Haus Zivcec

die Distanz überbrücken. Mit zusätzlicher Kamera- und Bildschirmtechnik lässt sich eine Kommunikation aufbauen, die überwiegend vom Gastgeber gesteuert wird und auf das Ankommen des Gastes ausgelegt ist. Der Gastgeber ist in der übergeordneten Position und kann vorausplanen, was vom Ankommenden zu sehen und zu hören ist. Der Gast kann sich in dieser Sequenz ausgeliefert fühlen, muss sich aber, wenn er Zugang bekommen möchte, an die Regeln des Gastgebers halten. Da jedoch die meisten Bauherrn und Architekten über die Empfindlichkeiten von Gästen nachdenken, interessieren sie sich für sensibel funktionierende Schwellen. Platzieren von Schwellen Betrachtet man die Sequenz des Schwellenraumes und ihre einzelnen Phasen, wird deutlich, dass auch für den Wohnungsbau diese Phasen ihre Berechtigung finden: Erkennen, Ansteuern, Erreichen, Ankommen, Orientieren, Informieren und Kontrollieren, Verlassen. Für die Phase des Erkennens ist wieder der Kontrast zur Umgebung entscheidend. Das Haus oder der Zugang muss vom Sich-Annähernden wahrgenommen werden können. Die Hausnummer, ein Schild, ein besonderes Merkmal oder die Farbigkeit helfen im Besonderen dem Fremden sich schnell zurechtzufinden. Der Gastgeber kann die Lesbarkeit des Zugangs bewusst verstärken oder verringern und so seine Privatsphäre eng halten oder dehnen. Architektonische Elemente wie zum Beispiel Vordächer (Abb. 133) können aufgrund der erhöhten Lage von Weitem erkannt werden und sind somit zielführend. In Städten mit einer geschlossenen Blockrandbebauung kann eine besondere Fassade diesen Prozess unterstützen. Sie kann eine Fernwirkung erzielen. Bei freistehenden Wohnhäusern können auch wie bei jeder Typologie das gesamte Haus, Bäume oder die Landschaft als Anhaltspunkt fungieren.

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Abb. 133: Hellerhofsiedlung

Das Ansteuern schließt sich meistens ohne Verzögerung und eher mit einer Beschleunigung an. Wenn der Gast eine Wegbeschreibung nutzt, helfen ihm markante Merkmale als besondere Hinweise, um Haus und Eingang anzusteuern. Dem Sich-Annähernden können auch hierbei ein Vordach oder ein räumlicher Rücksprung helfen, da das Wissen über die schützende Funktion vor Wind und Wetter die Annäherung beschleunigt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu ergänzen, dass mobile Navigationstechnik die erste und zweite Phase erheblich unterstützen kann. Diese technisch unterstützte Zielführung ist speziell für Wohnquartiere, die aufgrund ihrer annähernd homogenen Erscheinung einzelne Häuser schwer unterscheiden lassen, besonders hilfreich. Allerdings lässt die mobile Navigation dem Gast, der beim Fahren oder Gehen den Blick auf das Gerät richtet, weniger Aufnahmefähigkeit für die angebotenen Atmosphären. Die Phase des Erreichens ist durch Kommunikation und Kontrolle gekennzeichnet. Der Gast erwartet hier empfangen, abgeholt, aber auch vielleicht überwacht zu werden. Eine Überwachung ist aufgrund neuester Steuerungstechnik mit sehr kleinen Apparaturen auch ohne Sichtbarkeit für den Gast möglich. Das heißt, der Sich-Annäherde kann bewusst unsichtbar kontrolliert werden. Bei Wohngebäuden ist der Ort für Information als auch Kontrolle in der Sequenz vorgelagert. Das heißt, bei vielen Planungen wird gerade der Wegraum genutzt, um schon in einer räumlichen Distanz mit einer durch Technik gesteuerten Kommunikation zu beginnen. Dies reicht von Außenbeleuchtung, die mit Bewegungsmeldern gesteuert wird, bis hin zu fein gesteuerter Videoüberwachung. Das Ankommen ist natürlich von dieser Technik beeinflusst. Es ist zu beobachten, dass viele Nutzer eher eine diskrete Videoüberwachung, die zurückhaltend gestaltet ist, bevorzugen. Dem eingeladenen Ankommenden möchten viele Eigentümer nicht die Technik vorführen, die zu seiner Beobachtung genutzt wird. Beim Ankommen helfen architektonische Gesten des Schwellenraumes, um vor der Witterung zu schützen. Diese schützenden Maßnahmen, zum Beispiel in Form eines geöffneten Vorbaus, lassen ein angenehmes Gefühl beim Ankommen entstehen. Das Ankommen erhält eine räumliche Fassung, man könnte auch sagen, dass sich die Schwelle gedehnt hat (Abb. 134). So muss man nicht mit der Tür ins Haus fallen. Dieser Bereich des Schwellenraumes ist bei Einfamilienhäusern meist außenliegend und wird zur Aneignung genutzt. Die Aneignung vollzieht sich in Mehrfamilienhäusern oder Wohnheimen meist versetzt im Inneren. Für viele Menschen scheint es besonders wichtig zu sein, diese Zone des Schwellenraumes zu besetzen und zur Präsentation, Dekoration und Kommunikation zu nutzen. Persönliche Objekte werden

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Sensible Steuerung — 3

Abb. 134: Römerstadt

hier sichtbar platziert und erweitern die Wohnsphäre, das Zuhause, deutlich. Begrüßungsrituale finden oft hier statt. Hier kann der Bewohner seinem Gast entgegentreten und ihn empfangen. Der soziale Kontakt zu Nachbarn wird hier gepflegt. Die Kommunikation mit dem Haus schließt sich an die Phase des Ankommens an. Der Gast informiert und orientiert sich. Der Name wird gesucht, um die richtige Klingel oder Tür zu betätigen. Verschiedene technische Schwellen können diese Kommunikation unterstützen, manchmal sehr kompakt als Station oder verteilt im Schwellenraum. Die Lichtführung ist für diesen Bereich besonders wichtig. Der Nutzer ist angekommen, möchte sich schnell orientieren, gegebenenfalls auch etwas abgeben oder zuliefern. Briefkästen sollten daher in den Bewegungsablauf integriert werden. Hier ist deutlich eine Verlangsamung der Bewegung zu spüren, der Ankommende drückt die Klingel, entleert den Briefkasten, schließt die Tür auf oder spricht in die Gegensprechanlage. Diese Hand- beziehungsweise Körperbewegungen sind in der Regel die letzten im außenliegenden Schwellenraum, denn eine Tür bildet meistens einen Abschluss. Bei größeren Wohneinheiten der Moderne zieht sich der Schwellenraum tiefer in das Gebäude. Bei kleineren Einheiten setzt sich ein innenliegender Schwellenraum, ein Windfang oder ein Flur, vom außenliegenden Teil ab. Privatsphäre Zu den ausgleichenden Ambiguitäten ist zu sagen, dass sich trotz des starken Wunsches nach Privatsphäre die Bereiche nicht nur geschlossen präsentieren, sondern oft ein geöffneter Bereich als Gegenpol vorliegt. Es entsteht ein Ausgleich durch zwei sehr gegensätzliche SchwellenraumBereiche. Der eine Teil des Schwellenraumes zeigt sich eher geöffnet, der andere eher geschlossen. Beim Laubenganghaus von Hannes Meyer kann dieses Phänomen eindrücklich beobachtet werden (Abb. 135). Der Treppenhaus-Körper steht vor dem Haus und erscheint trotz großzügiger Verglasung verschlossen. Die Begrenzung dieses Raumes ist eindeutig, die Sequenz ist von der Lauflinie der Treppe her definiert und die Materialität wird durch die stark rote Farbigkeit des Backsteins klar bestimmt. Als Kontrast dazu sind die sehr offen gestalteten Laubengänge zu sehen. Leichte Gitter schaffen eine Absturzsicherung und erreichen eine fast unsichtbare Begrenzung. Die Bewegung besitzt den Freiheitsgrad der Tiefe der Laubengänge. Der Benutzer kann zwischen Wand und Reling pendeln (Abb. 136).

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Abb. 135: Laubenganghaus, Kubatur der architektonischen Gestalt

Abb. 136: Laubenganghaus Ambiguitäten

geschlossen – offen

extrovertiert – introvertiert

geführt – frei wählbar

geschützt – exponiert

Einen ähnlichen Kontrast kann man in den Übergängen der Siedlungshäuser der Römerstadt von Ernst May entdecken. Im Außenraum schaffen der Straßenraum, der Grünstreifen und der Vorbau einen stark geöffneten Sozialraum, der zur Aneignung einlädt und ein angenehmes Nebeneinander produziert. Dieser gestaffelte Schwellenraum steht im starken Kontrast zu den inneren Übergängen ins Private. Der Flur stellt sich kompakt und geschlossen dar. Er besitzt eine rechteckige Form und muss ohne natürliches Licht auskommen. Der geschützten Privatsphäre im Inneren des Hauses scheint der weit geöffnete Schwellenraum im Außenraum gegenüberzustehen. Das heißt, der Schwellenraum ermöglicht einen sukzessiven Rückzug ins Private und bildet in dieser Weise die Privatsphäre aus.

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Wesen und Vermögen — 3

Wesen und Vermögen Die Betrachtungen der einzelnen Parameter des Schwellenraumes ermöglichen Einblicke in das Wesen und Vermögen des Schwellenraumes: Die austarierten Ambiguitäten schaffen ein Verständnis für das dynamische Gleichgewicht in der Konzeption von Schwellenräumen. Die Abfolge mit den einzelnen Phasen gibt Aufschluss über das szenische Erleben des Schwellenraumes im Nacheinander. Die Analysen zeigen, dass der Schwellenraum als sensibler Ort von Architekturen mit viel Aufmerksamkeit und Genauigkeit geplant worden ist und damit unverzichtbar für die jeweilige architektonische Gesamtkonzeption ist. Der Schwellenraum als Raum der Bewegung, der Annäherung, der Orientierung, der Information und der Kontrolle dient nicht nur als physischer Zugang, sondern bietet sich dem Benutzer als Erkenntnisraum an, um die Konzeption der jeweiligen Architektur besser zu verstehen. Der Schwellenraum scheint in seiner Planung auf die Forderungen der menschlichen Sinne zu reagieren, im Besonderen auf den Bewegungssinn und die visuelle Wahrnehmung. Er bietet dem Nutzer die Möglichkeit an, stufenhaft und geführt im Gebäude anzukommen. Es gibt eine starke Abhängigkeit zwischen der Vorbereitung auf das besondere Raumerlebnis des Schwellenraumes und dem Aneignungsprozess des Gebäudes. Der Schwellenraum ist in der Kontinuität des Raumes gebildet worden und wird so zum besonderen Erlebnisraum der Architekturen der Moderne. Das Wissen um das Wesen des Schwellenraumes und sein Vermögen ermöglicht es dem Nutzer einfacher in ein Gebäude „einzusteigen“ und sich zu „verorten“. Der Nutzer kann ein Bewusstsein für die jeweilige Raumkonzeption aufbauen und es mit anderen Raumerlebnissen vergleichen. Der Schwellenraum ist Eingang, Übergang und Zugang zur Architektur zugleich. Räumliches Potenzial Das Thema des Übergangs muss bei jeder Architektur bearbeitet werden, unabhängig von der Form des Gebäudes. Das räumliche Potenzial des Schwellenraumes ist so facettenreich wie die Architektur selbst. Die Beispiele und Analysen zeigen und besprechen bewusst diese Vielfalt und geben dadurch Anregung. Der großzügige Umgang mit Raum für die Schwellenraum-Sequenzen ist bei allen Beispielen zu beobachten. Sie thematisieren und konzipieren den Übergang stufenweise und sensibel auch aufgrund des großen Raumangebotes. Die einzelnen Analysebeispiele präsentieren verschiedene Strategien der Organisation und räumlichen Erlebbarkeit des Übergangs zwischen Räumen, die als außen und innen wahrgenommen werden. Der Innenraum wird als vorliegender Raum angesteuert. Entscheidend ist bei dieser Betrachtung, dass der Innenraum nicht klimatisch getrennt sein muss, sondern vor allem das räumliche Gefühl des Innen erzeugen kann. In den ausgewählten Beispielen schafft der Schwellenraum den Zugang zum architektonischen Erlebnis und ist selbst Teil dieses Erlebnisses. In jedem einzelnen Schwellenraum wird das Außen und das Innen über die definierten Entwurfsparameter, die sich in ihrer widersprüchlichen Ausrichtung gegenüberstehen, verknüpft. Das DazwischenSein wird zu einem entscheidenden Raumerlebnis. Erhöhte Komplexität Den erhöhten Anforderungen an den Schwellenraum kann man wahrscheinlich nur mit einem angemessenen räumlichen Angebot und einem sukzessiven Abarbeiten der verschiedenen Forderungen, die sich entlang der Abfolge ergeben, begegnen. Architekten müssen bei der

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Planung der Schwellenräume mit den technischen Schwellen sehr behutsam umgehen und dabei die Integration in die Gesamtkonzeption des Schwellenraumes stark berücksichtigen. Rem Koolhaas reagiert zum Beispiel bei der Planung der Casa da Música sehr direkt auf die erhöhte Komplexität und trennt das Ankommen der Autos und das Ankommen der Fußgänger, um es dann wieder über den innenliegenden Schwellenraum miteinander zu verbinden. Die Platz-Ebene stellt sich als gewellte Schicht dar, die eine Einfahrt für die Autos zur Tiefgarage vorsieht und den Fußgängern ein Annähern ermöglicht. Der innenliegende Schwellenraum fungiert als Ankunftsort für alle Besucher und bildet damit den Auftakt zum Konzert. Das Erlebnis dieses Raumes gehört zum Konzertbesuch dazu. Zugangskontrolle – Energieeffizienz Bei Umplanungen des Zugangs in älteren Architekturbeispielen lässt sich am besten ablesen, dass meist unglücklich auf die gestalterischen Forderungen des Schwellenraumes reagiert wurde. Man braucht integrierbare Systeme, zum Beispiel elektronische Sicherheitssysteme, um die architektonischen Konzepte der Schwellenräume zu erhalten. Außerdem muss über das geschickte Einsetzen von Personal im Eingangsbereich mit der Aufgabe des Informierens und Kontrollierens nachgedacht werden. Elektronische Systeme kommen zum Beispiel in der neuen Stadtbibliothek in Stuttgart zum Einsatz, um Bücher vor Diebstahl zu schützen. Durch ein solches System wird eine direkte und freie Zugänglichkeit der Bibliothek möglich. Der Schwellenraum kann ungehindert und ungestört erlebt werden. Auch die Planung der Casa da Música erlaubt tiefe Einblicke in den Umgang mit Zugangskontrollen. Die Casa da Música kann sehr gut geschlossen und kontrolliert werden. Der Schwellenraum ist im Inneren geschützt und lässt definierte Zustände der totalen Öffnung zu. Ein zusätzlicher, durchlässiger Vorhang, der im Winter in die kleine Öffnung des Eingangs eingeschoben werden kann, stellt eine Antwort auf die Forderungen nach Energieeffizienz dar. Die großen Scheiben in den Vitrinen haben zumindest einen dämmenden Zwischenraum und bieten mit ihrer gewellten Form keine klare Durchsicht an. Potenziale der Schwellenraum-Planung Die gewählten Beispiele zeigen auf, wie sensibel der Übergang gestaltet werden kann und welche Möglichkeiten der Architekt besitzt, gegen eine Vernachlässigung des Schwellenraumes zu arbeiten. Eine Auseinandersetzung mit dem Schwellenraum muss sich mit der Vielschichtigkeit des Themas in Bezug auf die erhöhte Komplexität der Zugangskontrolle und der Energieeffizienz beschäftigen und diese in Einklang mit der räumlichen Konzeption der Architektur selbst bringen. Die räumliche Integration von Schwellen in den Schwellenraum muss eine zentrale Aufgabe beim Entwerfen sein. Die Analysen zeigen ein breites Spektrum baulicher Mittel zur Organisation der Schwellenräume auf. Das Wissen um die Vielschichtigkeit und die Ambiguität des Schwellenraumes und die ausgleichende Wirkung der vorgestellten Gegensatzpaare soll helfen den Schwellenraum sensibel zu gestalten, damit der Schwellenraum seine architektonische Aufgabe erfüllen kann. Die Anwendung des Begriffs Schwellenraum hat sich bisher bewährt. Seine Handhabung hat dazu beigetragen Übergänge, Zugänge und Eingänge neu zu sehen, zu sortieren und zu bewerten. Der Schwellenraum lebt von dem ausgeglichenen Kräftefeld, das sich zwischen Begrenzung, Sequenz, Geometrie, Topographie, Materialität und Einrichtung aufspannt in der Erwartung auf das Kommende.

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Anwendung und Ausblick — 3

Anwendung und Ausblick Abschließend stellt sich die Frage nach der Anwendung des Erarbeiteten. Inwieweit lässt sich der Begriff und die Vorstellung eines Schwellenraumes in die Praxis umsetzen? Im universitären als auch im architekturtheoretischen Kontext wird der Begriff angewendet. Im Rahmen von mehreren Seminaren konnten Schwellenräume in Architekturbeispielen durch Raumanalysen bestimmt und herausgelöst werden. Dieser Fokus konnte in ungewöhnlicher Weise den Zugang zur Gesamtkonzeption des Gebäudes ermöglichen. Das Zusammenspiel von räumlich Erfahrenem im erlebten Raum und den zeichnerisch vollzogenen Analysen im dargestellten Raum führte zu eindrucksvollen Ergebnissen in Form von Diagrammen. Das heißt, die Studierenden versuchten mit Hilfe von Recherchen sich auf ein Raumerlebnis vorzubereiten und im Anschluss daran den Abgleich zeichnerisch darzustellen. Hier wurden bewusst verschiedene Gebäudetypologien gewählt, um eine breite Anwendung des Begriffs zu testen und zu beweisen. Bearbeitung Stadtbibliothek Stuttgart, Eun Young Yi, 1999–2011 (Abb. 137) Analyse: Lukas Bartke, Julia Naumann, Michaela Bottke, Li Juanchao Altenwohnungen St. Antonius, Lederer + Ragnarsdóttir + Oei, 1998–2001 (Abb. 138) Analyse: Till Hoffmann und Xingmeng Wang Weißenhof Stuttgart Rathenaustraße 3–5, Le Corbusier, 1926–27 (Abb. 139) Analyse: Friederike Wollny Des Weiteren konnten die in der Organisation des Schwellenraumes vorgestellten Phasen des vergleichbaren Ablaufs beim Durchwandern eines Schwellenraumes als Prinzipien der Gestaltung im Entwurfsteil der Seminare genutzt werden. Die Diagramme stellten sich als Inspirationsquelle dar und konnten beim Entwerfen helfen, einen ausgewogenen und gut organisierten Schwellenraum zu konzipieren (Abb. 140–145).

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Stadtbibliothek Stuttgart, Eun Young Yi, 1999 –2011 In der Stadtbibliothek Stuttgart liegt mittig ein leerer, würfelförmiger Raum. Er ist der wichtigste Teil der Schwellenraum-Sequenz. Alle anderen Räume stehen zu ihm in Beziehung.

Abb. 137

Raumkörper

Begrenzungen

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Sequenz

Anwendung und Ausblick — 3

Geometrie

Topographie

Eingänge

Geometrie

Einrichtungen

Materialität

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Altenwohnungen St. Antonius, Lederer + Ragnarsdóttir + Oei, 1998 –2001 Form und Position des Treppenraumkörpers ordnen das Ankommen. Man folgt der konvexen Rundung des Körpers intuitiv und gelangt zum Eingang.

Abb. 138

Materialität

Sequenz

Einrichtungen

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Anwendung und Ausblick — 3

Begrenzungen

Topographie

c

c

c

c

c

d

f

b

a

e

b

c

Geometrie

b

a

b

137

3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Weißenhof, Stuttgart, Rathenaustraße 3–5, Le Corbusier, 1926–27 Der Schwellenraum ist stark von der Hanglage des Hauses geprägt. Die lange, steile Treppe führt in den halboffenen Bereich des Schwellenraumes. Die Sequenz stellt sich als S-förmige Lauflinie dar. Abb. 139

Einrichtungen

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Sequenz

Anwendung und Ausblick — 3

Topographie

Begrenzungen

Geometrie

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Schwellenraum-Entwürfe

Abb. 140: Modell „Die Schwelle als Raum“

140

Anwendung und Ausblick — 3

Die Schwelle als Raum, Teresa Riethmüller Dass Schwellen Raum bildend sind, wird bei dieser Schwellenraum-Konzeption wörtlich genommen. In einer prototypischen Weise bilden mehrere Schwellen den Zugang. Sie sind teilweise vom Bodenbelag abgelöst und betonen so einzeln die Stufen. Ein Bild und ein Ausblick im Zentrum des Schwellenraumes schaffen einen starken Kontrast zur räumlichen Verengung. Außerdem ermöglichen in die Sequenz des Schwellenraumes eingebaute Möbel Stauraum für Dinge, die abgegeben und nicht persönlich in Empfang genommen werden können.

aa

bb

Abb. 141: Zeichnungen „Die Schwelle als Raum“

Schnitt aa

Schnitt bb

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Abb. 142: Modell „Sirkel“

142

Anwendung und Ausblick — 3

Sirkel, Adriaen Unger Der drehbare Schwellenraum ist als besonderer Showroom zu nutzen. Der Raum-Körper beschreibt im Grundriss einen Halbkreis und kann in zwei Positionen mit dem öffentlichen Raum kommunizieren. Das eine Szenario lässt eine zurückhaltende Nutzung als Galerie zu, bei der matte Glasscheiben die Fassade strukturieren und einen geschlossenen Zustand präsentieren. Ist der „Rotationskörper“ herausgedreht, kann er als Raum in direkter und offensiver Weise mit dem Straßenraum in Beziehung stehen. Eine räumliche Aussparung ermöglicht den Zugang. Im Inneren öffnet dann der „leere“ Halbkreis eine neue Kommunikationsfläche. Die Operation zeichnet die geometrische Figur eines Vollkreises nach. Abb. 143: Zeichnungen „Sirkel“

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Abb. 144: Modell „Schwellenraumkarussell“

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Anwendung und Ausblick — 3

Das Schwellenraumkarussell, Julia Naumann Es gibt Dinge, die wir ablegen möchten, wenn wir nach Hause kommen, und es gibt Dinge, die wir mitnehmen müssen, wenn wir das Haus verlassen. Manchmal sind es dieselben Dinge. Ausgehend von dem Film „The Truman Show”, der in extremer Weise den Ausgang als Eingang thematisiert, trennt dieser Entwurf den Ein- und Ausgang, um das „Ablegen“ und „Mitnehmen“ zu beleuchten. Entstanden ist eine Schicht, die Ein- und Ausgang sowie ein Verbindungselement beherbergt. Das Verbindungselement wird durch einen rotierenden Zylinder gebildet, der beide sich konisch verengenden Räume bedienen kann. In ihm befindet sich ein Fach zum Ablegen und Mitnehmen für jeden Bewohner. Abb. 145: Zeichnungen „Schwellenraumkarussell“

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3 — Schwellenraum-Entwurfswerkzeuge

Vorhaben Neben der Möglichkeit des Bereitstellens einer Analysemethode gibt diese Arbeit Ausblick auf eine Neubewertung von Zugängen und räumlichen Übergängen. Die starke Verankerung des Schwellenraumes im Gesamtkonzept sollte bei der Planung und Umplanung von Gebäuden dieser Zeit mehr berücksichtigt werden. Die mehrfache Umplanung des Carpenter Centers zeigt, wie ein fehlendes Verständnis für den Übergang weitreichende Folgen haben kann. Der denkmalpflegerische Schutz konnte das Gebäude bei der Umplanung nicht genügend schützen. Es sollte konsequenterweise über einen Schutz des Schwellenraumes bei der Architektur der Moderne nachgedacht werden. Besondere Schwellenraum-Sequenzen sollten notiert und anschließend geschützt werden. Bei Neuplanungen würde sich speziell für die Eingangs- und Erschließungszonen eine Aufnahme des Schwellenraumes in das zu erfüllende Raumprogramm anbieten. Räumliche Übergänge könnten so eindeutiger mit den zusätzlich geforderten Funktionsbereichen, wie Ausstellungsflächen, Wartebereiche oder Stauräume, im jeweiligen Zusammenhang aufgelistet und abgefragt werden. Die zusätzlichen Funktionen würden sich jeweils auf die verschiedenen Bautypologien beziehen und könnten dem Schwellenraum seine spezielle Wirkungsweise zuweisen. Es wäre möglich klar zu beschreiben, in welcher Phase der Schwellenraum-Sequenz und in welchem Organisationszusammenhang die Funktionen eingeordnet werden sollen. Die Sequenz mit den einzelnen Phasen und die Schwellenraum-Apparaturen müssten entworfen werden, um einen besseren räumlichen Übergang in der Entwurfs- und Ausführungsplanung zu erarbeiten. Auch für eventuelle Umplanungen oder technische Nachrüstungen wäre eine Grundlage geschaffen. Grundsätzlich ist ein ausreichendes und angemessenes Raumangebot für den Übergang wichtig, um mögliche Änderungen vorsehen, anbieten und ausschreiben zu können. Ich hoffe, dass diese Auseinandersetzung mit dem Phänomen des architektonischen Übergangs bei neuen Entwürfen und Umplanungen als Inspirationsquelle und praktikables Werkzeug dient. Die Benutzung des Begriffs Schwellenraum, die Analysemethode und die Diagramme sollen bei der Auseinandersetzung mit dem Thema weiterführende Gedanken ermöglichen und zur Diskussion anregen. Die Diagramme und die dazugehörigen textlichen Auseinandersetzungen können als Einheit, aber auch einzeln gelesen werden, um eine Raumvorstellung aufzubauen. Bekannte und neue Schwellenräume können in der Vorstellung entstehen und dort oder in der Wirklichkeit durchwandert werden.

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Anhang Index Der Autor Dank Abbildungsnachweis

Anhang

Index

A Aktionsradius 17, 126 Ambiguität 30, 47, 49, 101, 110, 117–132 Ambivalenz 21, 44, 48, 50, 59, 68 Aneignung 128 Annäherung 21, 24, 26, 57, 68, 85, 123, 128 Antizipation 78–79, 112 Auftakt 35, 47, 48, 82, 96, 132 Aura 82, 96, 101, 111 B Benjamin, Walter 30, 35, 36, 46 Bewegungsraum 17, 19, 20, 117 Brücke 10, 92, 94 D Dazwischen 16–20, 22, 28, 30, 65, 100, 107, 124 Dazwischen-Sein 26, 35, 36, 49, 71, 77, 108, 131 Durchwandern 17, 19, 55, 93, 106, 122, 133 E Eingang 20, 47, 88, 103, 118, 125, 126, 128 Eingangsbereich 21, 26, 28, 50, 66, 132 Eingangstür 62, 64, 71, 89, 107 Eintauchen 17, 22, 33–49, 76, 82, 91, 97 Eintauchtiefe 126 Empfangen 126–129 Enge 26, 35, 48, 66, 82 Entschleunigung 126 Erwartung 24, 48, 50, 101, 132 G Gegensprechanlage 47, 49, 116, 129 H Haupteingang 51, 68, 90, 123 Hertzberger, Herman 31, 126 I Irritation 41, 96, 101 J Joedicke, Jürgen 16–19, 27, 32, 45

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K Kommunikation 59, 74, 116, 126–129

Tür 21, 26, 46–50, 97, 113, 128–129 Türspion 50

L Lederer, Arno 136–137 M Meisenheimer, Wolfgang 10 N Nebeneingang 61 Neugierde 65, 74, 108 P Portal 20, 26–27, 68, 87–94, 111–113 Portikus 20, 25–26, 44, 123 Privatsphäre 17, 50, 59, 126–127, 129–130 Promenade architecturale 32, 68, 94, 108 Prozession 112 Prozessionsweg 20, 22

V Verengung 22, 26, 32, 64, 113, 125, 141, 145 Verlangsamung 26, 113, 124, 126, 129 Videoüberwachung 47, 49, 50, 112, 116, 124, 128 Vorahnung 82 Vorbau 26, 128, 130 W Wandeln 17, 30, 78, 101 Wegeführung 20, 48–49, 63, 68, 100, 113, 123 Wegraum 19, 62, 68, 128 Windfang 61, 101, 123, 129

R Raumkontinuum 19, 32, 93, 104, 108 Repräsentation 59, 65 S Schiebetür 29, 70, 97–98, 107–108 Schlüsselloch 108 Sicherheit 68, 111, 123 Sicherheitsgefühl 50, 124 Sicherheitskamera 85, 117 Sicherheitskontrolle 50, 68 113, 124, 125 Sicherheitskonzept 86, 112 Sog 79, 91 Sogwirkung 26, 98, 108 Soziale Kontrolle 111, 113 Sozialraum 130 Sphäre 104, 129 Stadttor 84, 91 T Tor 22, 30, 49, 50, 89, 100 Toranlage 97 Torbau 22, 24 Trajekt 44, 108 Transparenz 13, 39, 42, 59, 76, 96, 100, 116 Trommeltür 89–91

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Der Autor Till Boettger ist Dozent am Lehrstuhl Entwerfen und Raumgestaltung an der Bauhaus-Universität Weimar. Promotion über Schwellenräume. Zuvor Adjunct Professor am New Jersey Institute of Technology. Eigenes Architekturbüro „at 11 atelier for architecture“ mit Tina Wallbaum in Berlin. Studium der Architektur an der RWTH Aachen, École d’Architecture Paris-LaDéfense und TU-Dresden. Vordem Ausbildung zum Tischler.

Dank Das vorliegende Buch stellt eine überarbeitete Version meiner Dissertation „Schwellenräume – Räumliche Übergänge in der Architektur“ dar, die ich an der Bauhaus-Universität Weimar im Frühjahr 2013 mit der Promotion abgeschlossen habe. Die Dissertation als auch das daraus entstandene Buch konnten nur verwirklicht werden, da ich breite Unterstützung erfahren habe. An erster Stelle danke ich Herrn Professor Dr.-Ing. habil. Egon Schirmbeck besonders herzlich für die intensive Betreuung und die Mentorenschaft meiner Dissertationsschrift. Herrn Professor Ralf Weber PhD danke ich für Hinweise im Rahmen seiner Gutachtertätigkeit. Herrn Professor Arno Lederer danke ich sehr für die hilfreichen Gespräche an der Universität Stuttgart. Herrn Professor José Mario Gutiérrez Marquez danke ich herzlich für die zahlreichen Diskussionen. Herrn Professor Dr. Gerd Zimmermann danke ich herzlich für das sehr hilfreiche Gespräch an der Bauhaus-Universität Weimar. Herrn Professor Dr.-Ing. Wolfgang Meisenheimer möchte ich sehr danken, dass ich ihn in Düren konsultieren durfte. Des Weiteren danke ich Frau Angela Böttger für ihre große Hilfe. Publiziert wurde dieses Buch mit großzügiger Unterstützung der Firma Siedle – uns verbindet das Interesse an der „Schwelle“. Herrn Peter Strobel möchte ich herzlich für hilfreiche Gespräche danken.

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Abbildungsnachweis Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16 Abb. 17 Abb. 18 Abb. 19 Abb. 20 Abb. 21 Abb. 22 Abb. 23 Abb. 24 Abb. 25 Abb. 26 Abb. 27 Abb. 28 Abb. 29 Abb. 30

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Akropolis, Außenraum-Begrenzungen, als Grundlage diente die Zeichnung in: Jürgen Joedicke, Architektur und Form, Karl Krämer Verlag, Stuttgart 1985, S. 35, Erechtheion, Parthenon, Propyläen, Nike-Tempel Akropolis, Außenraum-Körper Akropolis, Raum-Sequenz, Parthenon, Athena-Standbild, Propyläen, Nike-Tempel Musée du Quai Branly, Paris, Raum-Sequenz Pantheon, Raum-Begrenzungen, als Grundlage diente die Zeichnung in: Jürgen Joedicke, Architektur und Form, Karl Krämer Verlag, Stuttgart 1985, S. 59 Pantheon, Schwellen-Raum-Körper, Hauptraum, Piazza della Rotonda Gotisches Portal, Raum-Begrenzungen Gotisches Portal, Schwellen-Raum-Körper Japanisches Wohnhaus, Isometrie nach Skizzen von Bruno Taut, angehobenes Niveau 40 cm Schwellenraum-Körper mit Schwellenraum-Begrenzungen, Schuhablage, Eingangstür Japanisches Wohnhaus, Grundriss, Veranda, Mattenraum, Eingang Japanisches Wohnhaus, „erweiterbare Grenze“, außen, innen Passage, Raum-Begrenzungen, Häuserblock, Geschäfte, Straßenraum Passage, Schwellen-Raum-Körper Present Continuous Past(s), New York, Dan Graham, 1974, Schwellenäume im gerahmten Monitor, Kamera, Monitor, Spiegel, Vergangenheiten Passagen, Portbou, Dani Karavan, 1990–94, Schwellenraum-Begrenzungen und Schwellenraum-Körper, Schwelle, 27 m Länge, Strudel Threshold, Frankfurt, Bill Viola, 1992, Schwellenraum-Begrenzungen und Schwellenraum-Körper, Laufband, Projektionen Safely maneuvering across Lin He Road, Guangzhou, Lin Yilin, 1995, Schwellenraum-Körper, Lin He Road, 20 m Breite Fun House für Münster, Dan Graham, 1997, Schwellenraum-Begrenzungen und Schwellenraum-Körper, Zweiwegespiegelglas-Elemente, 2,5 m Höhe Fun House für Münster, Dan Graham, 1997, Erweiterung des Schwellenraumes durch Reflexion Prinzip Schwellenraummaschine, Weimar, Till Boettger, 2010, Spionspiegel, Kamera, Projektor, Schwellenraum Schwellenraummaschine, Weimar, Till Boettger, 2010, Kontext, Spionspiegel, Kamera, Projektor, Schwellenraum Passage der Schwellenraummaschine, Weimar, Till Boettger, 2010 Schwellenraummaschine, Weimar, Till Boettger, 2010 Carpenter Center for the Visual Arts, Cambridge, Le Corbusier, 1961–64, Kubatur der architektonischen Gestalt Carpenter Center for the Visual Arts, Cambridge, Le Corbusier, 1961–64, Schwellenraum-Begrenzungen und Schwellenraum-Körper Carpenter Center for the Visual Arts, Cambridge, Le Corbusier, 1961–64, Schwellenraum-Sequenz, Prescott Street Carpenter Center for the Visual Arts, Cambridge, Le Corbusier, 1961–64, Schwellenraum-Sequenz, Quincy Street Carpenter Center for the Visual Arts, Cambridge, Le Corbusier, 1961–64, Drehsymmetrie des Schwellenraumes Carpenter Center for the Visual Arts, Cambridge, Le Corbusier, 1961–64, Tangenten des Schwellenraumes, Prescott Street, Quincy Street

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Abb. 31 Abb. 32 Abb. 33 Abb. 34 Abb. 35 Abb. 36 Abb. 37 Abb. 38 Abb. 39 Abb. 40 Abb. 41 Abb. 42 Abb. 43 Abb. 44 Abb. 45 Abb. 46 Abb. 47 Abb. 48 Abb. 49 Abb. 50 Abb. 51 Abb. 52 Abb. 53 Abb. 54

Carpenter Center for the Visual Arts, Cambridge, Le Corbusier, 1961–64, Raummodul des Schwellenraumes Carpenter Center for the Visual Arts, Cambridge, Le Corbusier, 1961–64, Öffnungen des Schwellenraumes Carpenter Center for the Visual Arts, Cambridge, Le Corbusier, 1961–64, Quadrate des Schwellenraumes Carpenter Center for the Visual Arts, Cambridge, Le Corbusier, 1961–64, Eingangswürfel des Schwellenraumes Carpenter Center for the Visual Arts, Cambridge, Le Corbusier, 1961–64, städtebaulicher Kontrast des Schwellenraumes Carpenter Center for the Visual Arts, Cambridge, Le Corbusier, 1961–64, erhöhte Lage des Schwellenraumes Carpenter Center for the Visual Arts, Cambridge, Le Corbusier, 1961–64, Kontrast des Schwellenraumes im Kunstlicht Carpenter Center for the Visual Arts, Cambridge, Le Corbusier, 1961–64, Leitplanken im Schwellenraum Carpenter Center for the Visual Arts, Cambridge, Le Corbusier, 1961–64, Bepflanzung des Schwellenraumes Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, Kubatur der architektonischen Gestalt Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, Schwellenraum-Begrenzungen Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, Schwellenraum-Körper Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, Schwellenraum-Sequenz Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, Symmetrien des Schwellenraumes Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, Flächenausgleich im Schwellenraum Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, Raummodul im Schwellenraum Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, Quadrate des Schwellenraumes Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, städtebaulicher Kontext des Schwellenraumes, Potsdamer Straße, Matthäus-Kirche Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, optische Einfassung, Matthäus-Kirche Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, angehobener Schwellenraum Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, Kontrast des Materials, Ansicht, Grundriss Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, Schwellenraum im Tageslicht, Ansicht, Grundriss Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, Schwellenraum bei Nacht im Kunstlicht, Ansicht, Grundriss Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, Höhenstaffelung der Schwellenraum-Einrichtungen, Schnitt, Grundriss, Geländer, Garderobe, Technik

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Abb. 55 Abb. 56 Abb. 57 Abb. 58 Abb. 59 Abb. 60 Abb. 61 Abb. 62 Abb. 63 Abb. 64 Abb. 65 Abb. 66 Abb. 67 Abb. 68 Abb. 69 Abb. 70 Abb. 71 Abb. 72 Abb. 73 Abb. 74 Abb. 75 Abb. 76 Abb. 77 Abb. 78 Abb. 79 Abb. 80 Abb. 81 Abb. 82 Abb. 83 Abb. 84 Abb. 85

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Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, Lichtrauminstallation von Jenny Holzer, Licht MASP, São Paulo, Lina Bo Bardi, 1957–68, Kubatur der architektonischen Gestalt MASP, São Paulo, Lina Bo Bardi, 1957–68, Schwellenraum-Begrenzungen MASP, São Paulo, Lina Bo Bardi, 1957–68, Schwellenraum-Körper MASP, São Paulo, Lina Bo Bardi, 1957–68, Schwellenraum-Körper – Museumskörper MASP, São Paulo, Lina Bo Bardi, 1957–68, Schwellenraum-Sequenz MASP, São Paulo, Lina Bo Bardi, 1957–68, rechtwinklige Kubatur des Schwellenraumes, Ansicht, Grundriss MASP, São Paulo, Lina Bo Bardi, 1957–68, Raster des Schwellenraumes, Ansicht, Grundriss MASP, São Paulo, Lina Bo Bardi, 1957–68, Schwellenraum als „Belvedere“, Park, Stadt MASP, São Paulo, Lina Bo Bardi, 1957–68, Materialität des Schwellenraumes MASP, São Paulo, Lina Bo Bardi, 1957–68, Schwellenraum-Körper als Sockel MASP, São Paulo, Lina Bo Bardi, 1957–68, Treppe im Schwellenraum Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main, Richard Meier, 1979–85, Kubatur der architektonischen Gestalt, Villa Metzler, Hauptportal, kleines Portal Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main, Richard Meier, 1979–85, Schwellenraum-Begrenzungen Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main, Richard Meier, 1979–85, Schwellenraum-Körper Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main, Richard Meier, 1979–85, Begrenzungen und Raumkörper der kleinen Portale, lichte Maße in Metern Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main, Richard Meier, 1979–85, Begrenzungen und Raumkörper der Hauptportale, lichte Maße in Metern Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main, Richard Meier, 1979–85, Schwellenraum-Sequenz, Haupteingang Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main, Richard Meier, 1979–85, Ausrichtung Hauptportal und Wegesystem, Main, Villa Metzler Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main, Richard Meier, 1979–85, Hauptportal mit Modul 1,10 m × 1,10 m Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main, Richard Meier, 1979–85, Symmetrieachse, Hauptportal Museum Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main, Richard Meier, 1979–85, Modulanwendung bei kleinem Portal, Würfel 2,20 m × 2,20 m × 2,20 m, lichte Maße in Metern, Außenmaße in Metern Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main, Richard Meier, 1979–85, Park als „Brücke“ Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main, Richard Meier, 1979–85, Kontrast, Architektur Parklandschaft Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main, Richard Meier, 1979–85, Fugenbild des Schwellenraumes Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main, Richard Meier, 1979–85, Kubatur, Villa Metzler und Hof Fondation Cartier, Paris, Jean Nouvel, 1991–94, Kubatur der architektonischen Gestalt Fondation Cartier, Paris, Jean Nouvel, 1991–94, Schwellenraum-Begrenzungen Fondation Cartier, Paris, Jean Nouvel, 1991–94, Schwellenraum-Körper Fondation Cartier, Paris, Jean Nouvel, 1991–94, Schwellenraum-Sequenz Fondation Cartier, Paris, Jean Nouvel, 1991–94, Parallelität der Baumreihen

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Abb. 86 Abb. 87 Abb. 88 Abb. 89 Abb. 90 Abb. 91 Abb. 92 Abb. 93 Abb. 94 Abb. 95 Abb. 96 Abb. 97 Abb. 98 Abb. 99 Abb. 100 Abb. 101 Abb. 102 Abb. 103 Abb. 104 Abb. 105 Abb. 106 Abb. 107 Abb. 108 Abb. 109 Abb. 110 Abb. 111 Abb. 112 Abb. 113 Abb. 114 Abb. 115

Fondation Cartier, Paris, Jean Nouvel, 1991–94, räumliche Staffelung des Schwellenraumes mit quadratischen Modulen Fondation Cartier, Paris, Jean Nouvel, 1991–94, quadratisches System der Scheiben Fondation Cartier, Paris, Jean Nouvel, 1991–94, Achsen und Fluchten des Schwellenraumes Fondation Cartier, Paris, Jean Nouvel, 1991–94, Rasterung der Fassade Fondation Cartier, Paris, Jean Nouvel, 1991–94, Zeder markiert den Ort, Ansicht, Grundriss Fondation Cartier, Paris, Jean Nouvel, 1991–94, Schwellenraum als Bild Fondation Cartier, Paris, Jean Nouvel, 1991–94, Schwellenraum-Apparaturen, Ansicht, Grundriss Casa da Música, Porto, OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999–2005, Kubatur der architektonischen Gestalt Casa da Música, Porto, OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999–2005, Raumkörper, äußere Schwellenraum-Begrenzungen Casa da Música, Porto, OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999–2005, innere Schwellenraum-Begrenzungen, Saal 1 und 2 Casa da Música, Porto, OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999–2005, Schwellenraum-Körper Casa da Música, Porto, OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999–2005, Schwellenraum-Sequenz Casa da Música, Porto, OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999–2005, ringförmiger Schwellenraum Casa da Música, Porto, OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999–2005, rechteckiger Konzertsaal Casa da Música, Porto, OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999–2005, Geometrie des Schwellenraumes, Vitrine Casa da Música, Porto, OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999–2005, städtebauliche Lage Casa da Música, Porto, OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999–2005, Vitrinen im Schwellenraum Casa da Música, Porto, OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999–2005, Topographie des Schwellenraumes Casa da Música, Porto, OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999–2005, Materialität des Schwellenraumes Casa da Música, Porto, atmosphärische Verknüpfung, Vitrinen und Großer Saal, Vitrine, Konzertsaal Casa da Música, Porto, OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999–2005, Helligkeitsverteilung im Schwellenraum Begrenzung, geöffnet – gefasst Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, geöffneter Schwellenraum Sequenz, selbst wählbar – geführt Carpenter Center, Cambridge, Le Corbusier, 1961–64, geführte Sequenz Geometrie, frei – geordnet MASP, São Paulo, Lina Bo Bardi, 1957–68, strenge Geometrie Topographie, selbständig – eingebettet Casa da Música, Porto, OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999–2005, eingebetteter Ort Materialität, neutral – auffällig

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Abb. 116 Fondation Cartier, Paris, Jean Nouvel, 1991–94, zweideutige Materialität Abb. 117 Einrichtung, unscheinbar – eigenständig Abb. 118 MASP, São Paulo, Lina Bo Bardi, 1957–68, unscheinbare Einrichtung Abb. 119 Fondation Cartier, Paris, Jean Nouvel, 1991–94, ausgleichende Attributepaare Abb. 120 Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main, Richard Meier, 1979–85, ausgleichende Attributepaare Abb. 121 Neue Nationalgalerie, Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, 1962–68, ausgleichende Attributepaare Abb. 122 MASP, São Paulo, Lina Bo Bardi, 1957–68, ausgleichende Attributepaare Abb. 123 Casa da Música, Porto, OMA, Rem Koolhaas und Ellen Van Loon, 1999–2005, ausgleichende Attributepaare Abb. 124 Übersicht Attributepaare Abb. 125 Erkennen des Zugangs Abb. 126 Ansteuern des Zugangs Abb. 127 Erreichen des Schwellenraumes Abb. 128 Ankommen im Schwellenraum Abb. 129 Orientierung im Raum Abb. 130 Kontrolle im Schwellenraum Abb. 131 Verlassen des Schwellenraumes Abb. 132 Haus Zivcec, Weimar, AFF Architekten, 2005, Analyse: Johann Baumgart, Kubatur der architektonischen Gestalt, Schwellenraum-Begrenzungen, Schwellenraum-Sequenz Abb. 133 Hellerhofsiedlung, Frankfurt am Main, Mart Stam, 1929–32, Analyse: Alexander Haun, Erkennen des Zugangs Abb. 134 Römerstadt, Frankfurt am Main, Ernst May, 1927–29, Ankommen im Schwellenraum Abb. 135 Laubenganghaus, Dessau, Hannes Meyer, 1929–30, Analyse: Riccarda Cappeller, Kubatur der architektonischen Gestalt, Treppenhaus, Laubengänge, Wohnungen Abb. 136 Laubenganghaus, Dessau, Hannes Meyer, 1929–30, Analyse: Riccarda Cappeller, ausgleichende Attributepaare, geschlossen – offen, introvertiert – extrovertiert, selbst wählbar – geführt, geschützt – exponiert Abb. 137 Stadtbibliothek Stuttgart, Eun Young Yi, 1999–2011, Analyse, Lukas Bartke, Julia Naumann, Michaela Bottke, Li Juanchao, Begrenzung, Sequenz, Geometrie, Topographie, Materialität, Einrichtung Abb. 138 Altenwohnungen St. Antonius, Stuttgart, Lederer + Ragnarsdóttir + Oei, 1998–2001, Analyse, Till Hoffmann und Xingmeng Wang, Begrenzung, Sequenz, Geometrie, Topographie, Materialität, Einrichtung Abb. 139 Weißenhof, Stuttgart, Rathenaustraße 3–5, Le Corbusier, 1926–27, Analyse, Friederike Wollny, Begrenzung, Sequenz, Geometrie, Topographie, Einrichtung Abb. 140 Schwelle als Raum, Teresa Riethmüller, Modellfotos, Tobias Adam Abb. 141 Schwelle als Raum, Teresa Riethmüller, Zeichnungen Abb. 142 Sirkel, Adriaen Unger, Modellfotos, Tobias Adam Abb. 143 Sirkel, Adriaen Unger, Zeichnungen Abb. 144 Schwellenraumkarussell, Julia Naumann, Modellfotos, Tobias Adam Abb. 145 Schwellenraumkarussell, Julia Naumann, Zeichnungen

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Impressum Lektorat: Barbro Repp Projektkoordination: Alexander Felix, Odine Oßwald Layout, Covergestaltung und Satz: jens Hartmann Library of Congress Cataloging-in-Publication data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Dieses Buch ist auch als E-Book (ISBN PDF 978-3-03821-396-3; ISBN EPUB 978-3-03821-686-5) sowie in englischer Sprache erschienen (ISBN 978-3-03821-587-5). © 2014 Birkhäuser Verlag GmbH, Basel Postfach 44, 4009 Basel, Schweiz Ein Unternehmen von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Mit freundlicher Unterstützung von

Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF ∞ Printed in Germany ISBN 978-3-03821-589-9

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