Richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht [1 ed.] 9783428485703, 9783428085705


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German Pages 645 Year 1996

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Richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht [1 ed.]
 9783428485703, 9783428085705

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Schriften zum Steuerrecht

Band 50

Richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht Von

Rainer Barth

Duncker & Humblot · Berlin

RAINER BARTH

Richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht

Schriften zum Steuerrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Joachim Lang und Prof. Dr. Jens Peter Meincke

Band 50

Richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht Von

Rainer Barth

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Barth, Rainer:

Richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht I von Rainer Barth. - Berlin : Ouncker und Humblot, 1996 (Schriften zum Steuerrecht; Bd. 50) ZugJ.: Münster (Westfalen), Univ., Oiss., 1995 ISBN 3-428-08570-1 NE:GT

06 Alle Rechte vorbehalten © 1996 Ouncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0235 ISBN 3-428-08570-1 Gedruckt nuf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Ei

Meinen Eltern

Vorwort Die richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht wirft eine Vielzahl rechtstheoretischer, rechtsphilosophischer, rechtsmethodologischer und verfassungsrechtlicher Fragen auf. Aus der Perspektive der rechtsprechenden Gewalt steht die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zu lässigkeit der steuerbegrundenden oder steuerverschärfenden richterlichen Rechtsfortbildung im Mittelpunkt des Interesses. Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt deshalb auf verfassungsrechtlichem Gebiet. Die Untersuchung wurde im Wintersemester 1994/1995 abgeschlossen und im Sommersemester 1995 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westflilischen Wilhelms-Universität zu Münster als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis September 1994 berücksichtigt werden. Herrn Professor Dr. Dieter Birk danke ich sehr herzlich fur die Betreuung während der Bearbeitung und rur die Förderung, die ich in den letzten Jahren erfahren habe. Mein besonderer Dank gilt des weiteren Herrn Professor Dr. Werner Hoppe, der die Erstellung des Zweitgutachtens übernommen hat. Auch bedanke ich mich sehr rur die Gewährung eines Promotionsstipendiums nach dem Graduiertenförderungsgesetz Nordrhein-Westfalen. Schließlich danke ich den Herren Professoren Dr. Joachim Lang und Dr. Jens Peter Meincke rur die Aufnahme meiner Dissertation in die Schriftenreihe "Schriften zum Steuerrecht" und der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft rur die Verleihung des Albert-Hensel-Preises 1995. Diese Untersuchung wäre ohne die Unterstützung von Frau Dr. Nicola Krekeler nicht in der vorliegenden Form zustandegekommen. Ihr danke ich nicht nur sehr herzlich fur die wertvollen Korrekturhinweise, sondern auch fur die stete Gesprächsbereitschaft, die über manche Selbstzweifel hinweggeholfen hat, und das freundschaftliche Verständnis während der Ausarbeitung des Themas. Als Zeichen meiner Dankbarkeit ist die Arbeit meinen Eltern gewidmet. Münster, im September 1995

Rainer Barth

Inhaltsverzeichnis

Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 21

Erster Teil

Grundlagen und Voraussetzungen der richterlichen Rechtsfortbildung durch Analogie im Steuerrecht

25

§ I Die richterliche Rechtsfortbildung

25

I.

Die Begriffe "richterliche Rechtsfortbildung" und "Richterrccht" . . . . . . . . . . . . . .. I. Der Begriff "richterliche Rechtsfortbildung" .......................... a) "Richterliche Rechtsfortbildung" im weiteren Sinne ................... aal Rechtsanwendung als Subsumtion ........................... bb) Gründe rur die "Verabschiedung" des Subsumtionsmodells ........... (I) Die Interpretationsbedürftigkeit sprachlich gefaßter Normen ........ (2) Die Überbrückung der "Kluft" zwischen Norm und Sachverhalt ..... b) "Richterliche Rechtsfortbildung" im engeren Sinne. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aal Das historische und rechtsvergleichende Rechtfertigungsargument . . . . . .. bb) Das erkenntnistheoretische und soziologische Rechtfertigungsargument ... 2. Der Begriff "Richterrccht" ......................................

26 27 27 28 30 31 33 34 35 37 41

11.

Typologien "richterlicher Rechtsfortbildung" ............................ 43 I. Das klassische Drei-Ebenen-Modell der Rechtsgewinnung . . . . . . . . . . . . . . . .. 44 2. Die Unterscheidung zwischen gesetzesimmanenter und gesetzesübersteigender richterlicher Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 48 3. Typen des Richterrcchts ........................................ 51

111. Die methodologischen Voraussetzungen der richterlichen Rechtsfortbildung im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Zur Existenz von Lücken ....................................... a) Die begriffsjuristische Geschlossenheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . .. b) Der positivistische "allgemeine negative Satz" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Die funktionelle Geschlossenheit der Rechtsordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Das Vorliegen einer Lücke im Gesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Der Begriff der Lücke ............................... . ....... aal Die Unvollständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Die Planwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

54 55 56 57 62 63 64 65 69

10

Inhaltsverzeichnis b) Die Maßstäbe der LUckenfeststeliung und -ausftlllung . . . . . . . . . . . . . . . . .. 74 aa) LUckenfeststeliung und -ausftlllung aufgrund des positiven Rechts i. V. m. dem Rechtsverweigerungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 74 bb) LUckenfeststeliung und -ausftlllung aufgrund von Wertungen des positiven Rechts und des Gleichheitsgrundsatzes ......................... 75 cc) LUckenfeststeliung und -ausftlllung aufgrund allgemeiner Rechtswerte und Rechtsprinzipien ........................................ 76 c) Die Arten der LUcken ....................................... 77

IV. Die Methoden der LUckenfeststeliung und -ausftlllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Die Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Erscheinungsformen des Analogieschlusses in der Jurisprudenz ........... b) Die logische Struktur der Analogie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . aa) Die logische Struktur der Analogie im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Die Darstellung einer juristischen Analogie ...................... c) Die Voraussetzungen eines Analogieschlusses ....................... 2. Die anderen Methoden der gesetzes immanenten richterlichen Rechtsfortbildung .. a) Die "Erst-recht-SchIUsse" ..................................... b) Der Umkehrschluß ("argumentum e contrario") ..... . ........... . . . .. c) Die teleologische Reduktion ................................... d) Die anderen FlI1le einer teleologisch begründeten Korrektur des Gesetzestextes. 3. Die Methoden der gesetzesUbersteigenden richterlichen Rechtsfortbildung ......

§ 2 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der obersten Bundesgerichte zur richterlichen Rechtsfortbildung au8erhalb des Steuerrechts

78 78 80 84 84 87 89 94 94 95 96 98 99

100

I.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur richterlichen Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

11.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen zur richterlichen Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

III. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen zur richterlichen Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 IV. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur richterlichen Rechtsfortbildung .. 110 V.

Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur richterlichen Rechtsfortbildung . . . 114

VI. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur richterlichen Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 VII. Zusammenfassung ............................ . .. . .. . .. . .. . ..... 122

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

123

I.

Die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs zur richterlichen Rechtsfortbildung im Steuerrecht ................................................... 123

11.

Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur richterlichen Rechtsfortbildung im Steuerrecht ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 I. Fallgruppen richterlicher Rechtsfortbildung in der RechtspreChung des Bundesfinanzhofs ............................................ 130 a) LUckenftlllung und entsprechende Anwendung gesetzlicher Vorschriften . . . . . 131

Inhaltsverzeichnis

11

b) Die teleologisch begründete Korrektur des Gesetzestextes ............... aa) Die vom Wortlaut des Gesetzes abweichende Auslegung bei sinnwidrigem Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die teleologische Reduktion bzw. Extension ..................... . 2. Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs .............................. a) Die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Verbot steuerbegründender oder -verschärfender richterlicher Rechtsfortbildung .......................................... aa) Die Entwicklung des Verbots steuerverschärfender Analogie .......... bb) Die richterliche Rechtsfortbildung zugunsten des Steuerpflichtigen ...... cc) Die "zweischneidige" richterliche Rechtsfortbildung ................ dd) Fälle richterlicher Rechtsfortbildung zuungunsten des Bürgers ......... (I) Rechtsfortbildung zuungunsten des Bürgers außerhaJb des Steuerschuldrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die "verkappten" steuerverschärfenden Analogien . . . . . . . . . . . . . . (3) "Offene" steuerverschärfende Analogie ..................... ee) Die Entwicklung nach dem 20.10.1983 ................. . .......

13 7 139 142 144 144 147 149 156 157 158 158 159 162 164

111. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur richterlichen Rechtsfortbildung im Steuerrecht .................................... 166 IV. Zusammenfassung ............ . .. . .............................. 172

Zweiter Teil

Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung 175 im Steuerrecht § 4 Richterliche Rechtsfortbildung als Verfassungsproblem

175

I.

Einfachrechtliche Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht? .... . . . . 175 I. Das Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung (§ 3 Abs. I AO) ... . . . . 175 2. Das Verhältnis zwischen analoger Rechtsanwendung und § 42 AO . . . . . . . . . . . 176

11.

Die "herrneneutisch-verfassungsrechtliche" Theorie der richterlichen Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Begründung der "herrneneutisch-verfassungsrechtlichen Theorie richterlicher Rechtsfortbildung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Richterliche Rechtsfortbildung als Problem des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . b) Richterliche Rechtsfortbildung als Problem der Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen den Staats gewalten ........................... aa) Grundlagen der verfassungsrechtlichen Funktionenordnung ........... bb) Richterliche Rechtsfortbildung als potentieller Eingriff in den Vorbehaltsbereich der Gesetzgebung ........................... (I) Eingriff in den Vorbehalts bereich aufgrund des schöpferischen Charakters richterlicher Rechts(fort)bildung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Eingriff in die Rechtsetzungskompetenz bei überhöhtem Anteil judizieller Rechtsbildung ...............................

177 179 180 180 181 182 183 184

12

Inhaltsverzeichnis 2. Die normativen Grundlagen der verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3. Das "vierpolige Beziehungsgeftlge" bei einer richterlichen Rechtsfortbildung im öffentlichen Recht .................................. . . . . . . . . . . 189

III. Zur Vorgehensweise: Richterrecht und grundgesetzliehe Funktionenordnung

190

§ 5 LUckenßlUende Rechtsfortbildung .und Funktionenordnung

192

I.

11.

Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG als eigenstllndige Grundlage einer Aufgaben- und Kompetenzbereichsbestimmung ..................................... I. Aufgaben- und Kompetenzbereichsbestimmung durch Auslegung des grundgesetzlichen Rechtsprechungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufgaben- und Kompetenzbereichsbestimmurig durch Übernahme eines klassischen Gewaltenteilungsprinzips? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die "Kernbereichslehre" ........................................ 4. Zusammenfassung ............................................

192 193 197 204 207

Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG als Interpretationsmaxime anderer Aufgaben- und Kompetenzzuweisungen .......................................... 208 I. Aufgaben- und Kompetenzbereichsbestimmungen im Lichte der Mäßigungs- und Kontrollfunktion des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG .......................... 210 2. Aufgaben- und Kompetenzbereichsbestimmungen im Lichte des "Prinzips sachgemäßer Aufgabenzuweisung" ................................. 212 a) Grundlagen des "Prinzips sachgemäßer Aufgabenzuweisung" ............ 212 b) Die unterschiedlichen Regelungsverfahren in der Richterrechtsdiskussion . . . . . 216 aal Das Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 (I) Die Gesetzesinitiative ................................. 218 (2) Der Verfahrensablauf .................................. 220 (3) Die LeistungsOOtigkeit gesetzlicher Regelungen ................ 221 bb) Das Gerichtsverfahren .................................... 222 (I) Regelungszeitpunkt und Regelungsgegenstand ................. 223 (2) Einzelheiten des gerichtlichen Verfahrens .................... 226 ce) Das Verfahren der Regierungs- und Verwaltungsbehörden ............ 228 c) Folgerungen ftlr die Grenzen IUckenftlllender Rechtsfortbildung ........... 232 aal Der "Auftrag der rechtsprechenden Gewalt" in der Richterrechtsliteratur .. 234 bb) Das steuerrechtliche Problem: Verfahrensbedingte Grenzen ftlr das gesetzeskonkretisierende und IUckenftlllende Richterrecht? . . . . . . . . . . . . 236

III. Der Einfluß verfassungsrechtlicher Regelungsform- oder Organvorbehalte auf die Bestimmung des Aufgaben- und Kompetenzumfangs ...................... 239

§ 6 Die Bindung an "Gesetz und Recht" als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung I.

Die Bindung an das "Recht" gemäß Art. 20 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der eigenstllndige Regelungsgehalt der Rechtsbindung ................... a) Gesetz und Recht als Tautologie ................................ b) Die Gesetzesbindung gemäß Art. 97 Abs. I GG als Spezialregelung? ....... c) Der positivistische Rechtsbegriff ................................

241 242 243 243 246 249

Inhaltsverzeichnis

I3

2. Der Regelungsgehalt der Rechtsbindung .......................... . . . 252 a) Die appellative Funktion der Rechtsbindung ........................ 254 b) Die normativ-kritische oder normderogierende Funktion der Rechtsbindung ... 254 aal Rechtsbindung als Verfassungsbindung ......................... 255 bb) Rechtsbindung und Uberpositives Recht ......................... 256 c) Die komplementäre Funktion der Rechtsbindung ..................... 258 3. Die Bedeutung der komplementären Funktion der Rechts- und Verfassungsbindung rur die analoge Rechtsanwendung ........................... 260 a) Der inhaltliche Regelungsgehalt des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes ....................................... 260 aal Das WillkUrverbot und die analoge Rechtsanwendung ............... 260 bb) Die Systemgerechtigkeit und die analoge Rechtsanwendung ........... 262 b) Der funktionale Regelungsgehalt der Grundrechte und speziell des Gleichheitsgrundsatzes ........................ . . . . . . . . . . . . . . . . 266 aal Mediatisierung der Verfassungsbindung durch das einfache Gesetzesrecht? 267 bb) Die Grundrechte als individuelle Abwehrrechte ................... 269 cc) Die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte als objektiv-rechtliche Wertentscheidungen ...................................... 270 c) Die grundrechtliche Legitimation der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung ....................................... 274 aal Die sog. verfassungskonforme Auslegung ....................... 275 bb) Die verfassungskonforme Rechtsfortbildung ..................... 279 (I) Verfassungskonforme Rechtsfortbildung in ungeregelten Rechtsbereichen ..................................... 281 (2) Verfassungskonforme Rechtsfortbildung unter Mißachtung des gesetzgeberischen Willens .............................. 282 (3) Richterliche Rechtsfortbildung durch punktuelle. unmittelbare Grundrechtsdurchgriffe ................................ 283 (4) Richterliche Rechtsfortbildung durch verfassungskonforme Reduktion. 283 (5) Richterliche Rechtsfortbildung im Hinblick auf grundrechtliche Freiheitsrechte ...................................... 284 (6) Richterliche Rechtsfortbildung im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz ......................................... 285 cc) Die grundrechtliche Legitimation verfassungskonformer richterlicher Rechtsfortbildung zu Lasten des Bürgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 4. Zusammenfassung ............................ . .. . .. . ......... 289 II.

Die Bindung an das "Gesetz" gemäß Art. 20 Abs. 3 Ga .................... I. Der Regelungsgehalt der Gesetzesbindung ............... . ............ a) Gesetz i. S. d. Art. 20 Abs. 3 Ga ............................... b) Bindung i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG .............................. 2. Das Gesetzeskorrekturverbot und Anwendungsgebot als verfassungsrechtliche Grenze richterlicher Rechtsfortbildung .............................. a) Gesetzeskorrektur bei Fällen der eindeutig gebotenen Zuordnung . . . . . . . . . . b) Gesetzeskorrektur bei Fällen zweifelhafter Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesetzeskorrektur bei abschließend gestalteten gesetzlichen Regelungen ..... 3. Das Gesetzeskorrekturverbot und die juristische Methodenlehre ............. a) Bindung an den Wortsinn ..................................... aal Die Sinnerschließungsfunktion des Wortlauts ..................... bb) Die Grenzfunktion des Wortlauts .............................

293 295 295 296 300 303 303 304 308 312 313 318

14

Inhaltsverzeichnis b) Die Bindung an gesetzgeberische, gesetzesimmanente und gesetzesUbersteigende Regelungszwecke, -systeme und -wertungen ................. aa) Die Bindung an gesetzgeberische Regelungszwecke ................ bb) Die Bindung an das gesetzesimmanente System ................... cc) Die Bindung an das gesetzesUbersteigende System ................. 4. Zusammenfassung ............................................

§ 7 Die verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalte als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht I.

11.

Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungsverbot als Problem grundgesetzlicher Gesetzesvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen eines Vorbehaltsbereichs der Legislative .. a) Die verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien als rechts fortbildungsbegrenzende Verfassungsgebote ................................. b) Die verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalte als speziellere rechtsfortbildungsbegrenzende Verfassungsgebote ............................. c) Rechtsfortbildungsverbote aufgrund anderer Rechtsinstitute? ............. aa) Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Prinzip der Tatbestandsmaßigkeit der Besteuerung .............. cc) Das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot ........................ 2. Zur Prüfung der verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalte ................

323 324 327 334 339 341 341 341 341 342 345 345 346 349 350

Der Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt der "Wesentlichkeitstheorie" als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht ........................... 352 I. Die Geltung des Gesetzesvorbehalts der "Wesentlichkeitstheorie" im Steuerrecht . 354 a) Grundlagen des Gesetzesvorbehalts der "Wesentlichkeitstheorie" .......... 354 b) Die Grundrechtsrelevanz des Steuerrechts .......................... 359 aa) Die Beeinträchtigung der Eigentumsgarantie durch die Auferlegung öffentlich-rechtlicher Abgaben- und Steuerpflichten ................ 359 (I) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ............. 359 (2) Die Möglichkeiten der Einbeziehung der Besteuerung in den Eigentumsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 (3) Abgaben als Inhalts- und Schrankenbestimmung ............... 369 bb) Die Beeinträchtigung der Berufsfreiheit durch die Auferlegung öffentlich-rechtlicher Abgaben- und Steuerpflichten ................ 370 (I) Der Schutzbereich der Berufsfreiheit ....................... 370 (2) Die Beeinträchtigung des Schutzbereichs durch die Besteuerung .... 372 cc) Die Beeinträchtigung des Art. 2 Abs. I GO durch die Auferlegung öffentlich-rechtlicher Abgabepflichten .......................... 376 (I) Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. I GO .................... 376 (2) Die Betroffenheit des Schutzbereichs durch Steuemorrnen ........ 379 (3) Das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs .................... 381 c) Ergebnis ................................................. 385 2. Der Parlamentsvorbehalt der "Wesentlichkeitstheorie" .................... 385 a) Bedeutung und Funktion des Parlamentsvorbehalts ...... . .. . .. . ....... 385 b) Die Geltung des Parlamentsvorbehalts im Steuerrecht .................. 389 aa) Die Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung .................... 390 bb) Die mangelnden Sachgesetzlichkeiten des Steuerschuldrechts als Grundlage eines Parlamentsvorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 cc) Die Ineffizienz des grundrechtlichen Schutzsystems als Grundlage eines Parlamentsvorbehalts ..................................... 398

Inhaltsverzeichnis dd) Die Analogie zu Art. I IO Abs. 2 S. I 00 als Grundlage eines Parlamentsvorbehalts ..................................... ee) Die Analogie zu Art. 103 Abs. 2 GG als Grundlage eines steuerrechdichen Parlamentsvorbehalts ............................. ft) Verfassungsgewohnheitsrecht als Grundlage eines Parlamentsvorbehalts ... (1) Die Geltung eines vorkonstitutionellen gewohnheitsrechdichen Parlamentsvorbehalts ........... '. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Das stJlndische Steuerbewilligungsrecht als Grundlage eines gewohnheitsrechdichen Parlamentsvorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . (b) Das konstitutionelle Steuerbewilligungsrecht als Grundlage eines gewohnheitsrechtlichen Parlamentsvorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Geltung eines nachkonstitutionellen gewohnheitsrechdichen Gesetzesvorbehalts im Steuerrecht ......................... c) Zusammenfassung .......................................... 3. Die Rechtsfolgen des Gesetzes- und Parlamentsvorbehalts der "Wesendichkeitstheorie" ........................................ a) Die Begrenzung der offenen Delegation ........................... b) Die Begrenzung der verdeckten Delegation ......................... c) Der Gesetzesvorbehalt der Wesentlichkeitstheorie als Schranke richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht ................................ 4. Ergebnis ...................................................

15

401 405 411 413 414 416 420 421 422 423 424 426 429

III. Die grundrechdichen Gesetzesvorbehalte als Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht ................................................. 429 1. Der Gesetzes- und Rechtssatzvorbehalt der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 00) ........................................... 430 a) "Rechtsvorbehalt" oder Gesetzesvorbehalt? ....................... . . 433 b) Der Gesetzesvorbehalt der allgemeinen Handlungsfreiheit als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 aal Der kompetenzrechdiche Gehalt des grundrechdichen Gesetzesvorbehalts als Grenze der Rechtsfortbildung ........................ 437 bb) Der Rechtssatzvorbehalt der allgemeinen Handlungsfreiheit als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht .................... 443 (1) Abstrakt-generelle Rechtssätze als hinreichende Voraussetzung rur die Verwirklichung des Gleichheitsgrundsatzes ................... 444 (2) Abstrakt-generelle Rechtssätze als hinreichende Voraussetzung der Rechtssicherheit ..................................... 449 2. Der Gesetzes- und Rechtssatzvorbehalt der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. I S. I und S. 2 GG) ................................. 449 a) Der grundrechtliche Gesetzesvorbehalt des Art. 14 Abs. I S. 2 00 ........ 451 b) Der grundrechtliche Gesetzesvorbehalt der Eigentumsgarantie als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung .................................. 455 3. Der Gesetzesvorbehalt der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 S. 1 00) ........... 458 a) Die Anforderungen des grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts des Art. 12 Abs. I S. 2 GG ................................... 458 b) Der Gesetzesvorbehalt der Berufsfreiheit als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht ....................................... 461 aal Der kompetenzielle Gehalt des Gesetzesvorbehalts der Berufsfreiheit . . . . . 461 bb) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur richterlichen Rechtsfortbildung im Bereich der Berufsfreiheit ........ . . . . . . . . . . . 462 4. Zusammenfassung ............................................ 469

16

Inhaltsverzeichnis

IV. Das Demokratieprinzip als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht ... 472 I. Die Diskussion um das Demokratieprinzip als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht ....................................... 473 2. Das Demokratieprinzip als Grundlage eines Verbots richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht ....................................... 479 3. Das "Prinzip demokratischer Legitimation" der Staatsgewalten als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht ......................... 481 a) Das Prinzip demokratischer Legitimation und der Gewaltenteilungsgrundsatz als Prinzip sachgemäßer Aufgabenzuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 b) Die demokratische Legitimation der Staatsgewalten ................... 485 aal Die funktionelle und institutionelle demokratische Legitimation ........ 487 bb) Personell-organisatorische demokratische Legitimation ......... . . ... 488 (I) Die organisatorisch-personelle Legitimation der Organe der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 (2) Die organisatorisch-personelle Legitimation der Organe der vollziehenden Gewalt ................................. 489 (3) Die organisatorisch-personelle Legitimation der Richter als Organe der Rechtsprechung ................................... 491 cc) Die sachlich-inhaltliche Legitimation .......................... 494 (I) Die sachlich-inhaltliche Legitimation der Legislative ............ 495 (2) Die sachlich-inhaltliche Legitimation der Exekutive bei der Rechtsanwendung intra legern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 (3) Die sachlich-inhaltliche Legitimation der Rechtsprechung bei der Rechtsanwendung intra legern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 (4) Die sachlich-inhaltliche Legitimation der Judikative und Exekutive bei der Rechtsfortbildung praeter legern .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 dd) Ergebnis .............................................. 501 c) Folgerungen rur den Kompetenzumfang der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 aa) Der Totalvorbehalt ....................................... 504 bb) Parlamentarisches Regelungsmonopol bei demokratisch besonders wichtigen staatlichen Entscheidungen .......................... 507 (I) Die sachlich-inhaltliche Legitimation als unentbehrlicher Bestandteil der demokratischen Legitimation der Verwaltung und der Rechtsprechung ..................................... 510 (2) Die Mittel zur SichersteIlung der sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation ............................ 511 (3) Die verfassungsrechtlich gebotene Intensität des Verantwortlichkeitszusammenhangs ..................................... 514 4. Zusammenfassung ............................................ 520 V.

Das Rechtsstaatsprinzip als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht . . . I. Geltung, Verankerung und Wirkungsweise des Rechtsstaatsprinzips .......... a) Geltung und verfassungsrechtliche Verankerung des Rechtsstaatsprinzips ..... b) Rechtliche Wirkungsweise des Rechtsstaatsprinzips ................... aa) Integrales Rechtsstaatsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Summatives Rechtsstaatsverständnis ........................... cc) Das Rechtsstaatsprinzip als Konkretisierungshilfe im Bereich "offenen" Verfassungsrechts .......................................

522 523 524 525 525 526 529

Inhaltsverzeichnis

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2. Das Bestimmtheitsgebot als rechtsstaatliche Grenze richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht ......................................... 531 a) Das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot und das "Diktum des Gesetzgebers" . . 532 b) Das Bestimmtheitsgebot als Grundlage eines steuerrechtlichen Rechtsfortbildungsverbots ............................................ 535 3. Die Bestimmung der rechtsstaatlichen Anforderungen an die Ausgestaltung gesetzlicher Errnächtigungsgrundlagen .............................. 539 a) Die Rechtssicherheit als rechtsfortbildungsbegrenzendes rechtsstaatliches Verfassungsgebot .......................................... 540 aa) Grundlagen des Rechtssicherheitsprinzips ....................... 540 bb) Verfassungsrechtliche Geltung des Rechtssicherheitsprinzips ..... . .... 543 (I) Orientierungssicherheit als individuelle Verhaltenssicherheit ....... 544 (2) Orientierungssicherheit als "Allgemeine Verkehrssicherheit" ....... 546 cc) Orientierungssicherheit als rechtsfortbildungsbegrenzendes Verfassungsgebot ........................................ 547 b) RechtsfortbildungsbegfÜndende rechtsstaatliche Verfassungsgebote ......... 548 aa) Rechtsfortbildung durch Analogie und materiale Gerechtigkeit . . . . . . . . . 549 bb) Rechtsfortbildung, Gewaltenteilung und Justizgewahrungspflicht ........ 552 c) Der Ausgleich gegenläufiger rechtsstaatlicher Verfassungsgebote .......... 553 aa) Die Auflösung von Kollisionsflllien durch GUterabwlgung ............ 554 (I) Abwlgung zwischen rechtsfortbildungsbegfÜndenden und rechtsfortbildungsbegrenzenden Verfassungsgeboten ................... 555 (2) Die Tauglichkeit des Abwlgungskonzepts ................... 557 bb) Die Auflösung von Kollisionsflllien im Einzelfall durch die Herstellung praktischer Konkordanz ................................... 559 d) Konkordanzmuster im Bereich richterlicher Rechtsfortbildung ....... . .... 561 aa) "Bewahrte" Konkordanzmuster .............................. 561 (I) Konkordanzmuster im Bereich richterlicher Rechtsfortbildung contra legern ............................................ 561 (2) Konkordanzmuster bei richterlicher Rechtsfortbildung intra legern ... 563 (3) Konkordanzmuster im Bereich richterlicher Rechtsfortbildung extra legern ............................................ 564 bb) Konkordanzmuster im Bereich der Rechtsfortbildung praeter legern ...... 565 (I) Das aus dem Bestimmtheitsgebot abgeleitete Rechtsfortbildungsverbot als Konkordanzmuster? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 (2) Grundlagen eines "Konkordanzmusters" im Bereich richterlicher Rechtsfortbildung praeter legern .......................... 568 (a) Die Relativierung der individuellen Verhaltenssicherheit ....... 571 (aa) Vertrauensschutz und richterliche Rechtsfortbildung ...... 572 (bb) Vertrauensschutz bei "ersten Fällen" und geänderter Rechtsprechung ............................... 578 (b) Die Relativierung der "allgemeinen Verkehrssicherheit" ....... 585 4. Zusammenfassung: Die Prinzipien- und Regelsicherheit als Konkordanzmuster im Bereich der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung .............. 587 VI. Zusammenfassung: Die gesetzesimmanente richterliche Rechtsfortbildung als "unwesentliche" Entscheidung ...................................... 589 Zusammenfassung ................................................. 597 Literaturverzeichnis ................................................ 6 I3

2 BItth

Abkürzungsverzeichnis a. A. Abs. a. E. a. F. Alt. Anm. AO

AöR ARSP Art. Aufl. BAG BayVBI. BB Bd. BGH BFH BGB BSG BVerfG BVerwG bzw.

OB

dens. ders. d. h.

DÖV

DVBI. E

EStG

f.

ff. Fn. GG h. M. Hrg. Hs. i. V.m. JA Jura JuS

anderer Ansicht Absatz am Ende alte Fassung Alternative Anmerkung Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Archiv ftlr Rechts- und Sozialphilosophie (Zeitchrift) Artikel Auflage Bundesarbeitsgericht Bayerische Verwaltungsbilltter (Zeitschrift) Betriebsberater Band Bundesgerichtshof Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundessozialgericht Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise Der Betrieb (Zeitschrift) denselben derselbe das heißt Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Entscheidung, Entscheidung des BVerfG. BFH usw. Einkommensteuergesetz folgende (Singular) folgende (Plural) Fußnote Grundgesetz ftlr die Bundesrepublik Deutschland herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz in Verbindung mit Juristische Arbeitsbilltter (Zeitschrift) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis JZ MDR m.w.N. n. F. NJW Nr. NVwZ Rn. S. sog. StOB StVj u. a. Urt. v. VBIBW VerwArch. VGH vgl. z. B. ZIP ZPO ZRP

19

Juristenzeitung (Zeitschrift) Monatsschrift rur Deutsches Recht (Zeitschrift) mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Nummer Neue Zeitschrift rur Verwaltungsrecht Randnummer Satz oder Seite sogenannt(e) Strafgesetzbuch Steuerliche Vierteljahresschrift (Zeitschrift) unter anderem, und andere Urteil vom Verwaltungsbilltter rur Baden-Württemberg (Zeitschrift) Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Verwaltungsgerichtshof vergleiche zum Beispiel Zeitschrift rur Insolvenzpraxis Zivilprozeßordnung Zeitschrift rur Rechtspolitik

Für weitere Abkürzungen wird auf Kirchner. Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl Berlin, New York 1993, verwiesen.

2*

Einleitung Zu den verfassungsmäßigen Aufgaben und Befugnissen der Gerichte gehört die Auslegung der Gesetze und die Fortbildung des Rechts. Auslegung ist "ein vermittelndes Tun, durch das sich der Auslegende den Sinn eines Textes, der ihm problematisch geworden ist, zum Verständnis bringt.,,1 Unter richterlicher Rechtsfortbildung ist die - insbesondere durch den Gleichheitsgrundsatz, den Sinn und Zweck des Gesetzes oder andere Rechtsgrundsätze gerechtfertigte Weiterentwicklung der gesetzlichen Vorgaben über ihren möglichen Wortsinn hinaus zu verstehen. Richterliche Rechtsfortbildung kann praeter legern oder contra legern erfolgen. Bei der Rechtsanwendung praeter legem, auch Gesetzesergänzung genannt, kann dem Wortlaut des Gesetzes unmittelbar keine Entscheidung entnommen werden (Unvollständigkeit oder Schweigen des Gesetzes), obwohl der zu entscheidende Lebenssachverhalt - nach der dem Gesetz immanenten Teleologie, dem Rechtsverweigerungsverbot, dem Gleichheitsgrundsatz oder anderen Rechtsgrundsätzen - einer Entscheidung bedarf, so daß der Richter gezwungen ist, die fehlende gesetzliche Norm durch Übertragung ähnlicher gesetzlicher "Interessenbewertungen" (Analogie) oder auf anderem Wege selbst zu bilden2 • Die richterliche Rechtsfortbildung contra legem ist hingegen die Norm- oder Gesetzesberichtigung. Während die richterliche Rechtsfortbildung contra legem allgemein für unzulässig gehalten wird, gehört die richterliche Rechtsfortbildung praeter legem grundsätzlich zu den anerkannten Aufgaben und Befugnissen der Gerichte, sofern eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes (sog. Lücke) vorliegt. Im Steuerrecht hat es der Bundesfinanzhof aber bis zum Jahre 1983 unter Hinweis auf das Rechtssicherheitsprinzip und die Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung ausdrücklich abgelehnt, eine richterliche Rechtsfortbildung praeter legern im Steuerrecht zuzulassen, wenn sich eine solche zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirkt (sog. Verbot steuerbegründender oder -verschärfen-

I

Larenz, Methodenlehre6 , S. 312.

2 Vgl. Gusy, DÖV 1992, S. 461 [463]; Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 33 f.; Hess, Analogieverbot und Steuerrecht, S. 9 ff.; Koller, Theorie des Rechts, S. 204; Engisch, Einftlhrung", S. 138 ff.; Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 24 f.; Beger, Methodenlehre, S. 51. - Man spricht hier auch von offener Rechtsfortbildung (Larenz, Methodenlehre", S. 367; Koller, Theorie des Rechts, S. 206).

Einleitung

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der Analogiei. Erst in einer Entscheidung vom 20. 10. 1983 hat sich der Vierte Senat des Bundesfinanzhofs "offen" zur Zulässigkeit einer steuerverschärfenden richterlichen Rechtsfortbildung bekannt·. Nach seiner Auffassung besteht ein Analogieverbot im Steuerrecht ebensowenig wie im übrigen Verwaltungsrecht; insbesondere steht weder das Rechtssicherheitsprinzip noch das Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung einer steuerverschärfenden richterlichen Rechtsfortbildung entgegen.

Die Frage, ob die steuerbegründende oder -verschärfende richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht zulässig ist, ist nach der Entscheidung des Vierten Senats des Bundesfinanzhofs vom 20. 10. 1983 bisher offen geblieben: Einerseits läßt sich seit diesem Zeitpunkt in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs keine Entscheidung nachweisen, die sich die vom Vierten Senat vertretene Rechtsauffassung zu eigen gemacht hat. Auf der anderen Seite hat sich seit der Entscheidung vom 20. 10. 1983 aber kein anderer Senat des Bundesfinanzhofs zu einem Verbot steuerbegründender oder -verschärfender richterlicher Rechtsfortbildung bekannt. Vielmehr hat der Bundesfinanzhof in seinen Entscheidungen die Zulässigkeit steuerverschärfender Analogien dahingestellt sein lassen ll:nd die Vornahme einer richterlichen Rechtsfortbildung meist mit dem Argument abgelehnt, es liege keine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes vors. Da auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bisher keine klare Antwort entnommen werden kann 6 , ist die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der steuerverschärfenden Analogie höchstrichterlich nicht abschließend geklärt. Auch in der Literatur ist die Zu lässigkeit einer steuerverschärfenden richterlichen Rechtsfortbildung umstritten? Während ein Teil des Schrifttums die Analogie zuungunsten des Steuerbürgers aus verfassungsrechtlichen, insbesondere rechtsstaat lichen Gründen für verfassungsrechtlich bedenklich erachtetS, halten W Flume, H. W Kruse und andere Autoren das Steuerrecht

, Vgl. etwa BFH, Urt. v. 14.2. 1958, BFHE 66,539 [541 f.]; BFH, Urt. v. 11. 12. 1964, BFHE 81,222 [224]; BFH, Urt. v. 28. 11. 1967, BStB1. 1968 III, S. 216 [217]; BFH, Urt. v. 30. I. 1968, BFHE 91, 511 [513 f.]; BFH, Urt. v. 21. 10. 1969, BStBl. 196911, S. 736 [737]; BFH, Urt. v. 2. 12. 1969, BStBl. 197011, S. 119 [120]; BFH, Urt. v. 21. 5. 1970, BStBl. 1970 11, S. 747 [749]; BFH, Urt. v. 9. 2. 1972, BStBl. 1972 11, S. 455 [457]; BFH, Urt. v. 16. 12. 1975, BStBl. 197611, S. 246 [248]; BFH, Urt. v. 28. 4. 1982, BStBl. 1982, S. 556 [559). 4

BFH, Urt. v. 20. 10. 1983, BStBl. 1984 11, S. 221 [224).

5

Vgl. dazu ausfUhrlich unten § 3 11. 2. b).

6

Vgl. dazu ausfUhrlieh unten § 3 1Il.

7

Vgl. dazu den Überblick von Tipke, Die Steuerrechtsordnung, S. 211 ff.

• So etwa Beger, Methodenlehre, S. 64; Beisse, INF 1977, S. 433 [436], der aber die Zu1lssigkeit der sog. "zweischneidigen LUckenfUllung" annimmt; Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung, S. 155 undöfter;ders., BB 1984, S. 1377 [1380]; Friedrich, in: FestschriftfUrWailis, S. 151 [152 ff.]; ders., DB 1985, S. 1105 f.; Friauf, StbJb. 1977/78, S.39 [58 f.]; ders., in: Tipke,

Einleitung

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mangels analogiefilhiger "Sachgesetzlichkeiten" tUr analogieunfilhig und lehnen deshalb die steuerverschärfende Analogie als unzulässig ab9 • Der andere Teil der Literatur spricht sich hingegen filr eine Analogiefilhigkeit des Steuerrechts und tUr eine verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer richterlichen Rechtsfortbildung zuungunsten des Steuerpflichtigen aus 10 • Die vorliegende Untersuchung soll einen Beitrag zur Lösung dieser (verfassungsrechtlichen) Streitfrage, die als die "Gretchenfrage unseres rechtsstaatlichen Steuerrechts" bezeichnet worden istlI, leisten. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen deshalb die verfassungsrechtlichen Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung im Steuerrecht. Es wird untersucht, inwieweit verfassungsrechtliche Prinzipien und Grundentscheidungen einer richterlichen Rechtsfortbildung im Steuerrecht entgegenstehen. Nicht erörtet wird im Rahmen dieser Arbeit die Problematik der richterlichen Rechtsfortbildung im allgemeinen, insbesondere nicht ihre rechtsphilosophischen und rechtstheoretischen Implikationen. Bewußt wird auch darauf verzichtet, die zahlreichen methodologischen Probleme der

Grenzen der Rechtsfortbildung, S. 53 [60 f.]; Göhrlich, Vertragsgestaltungen zwischen Angehörigen, S. 85 ff.; Hellwig, in: 75 Jahre Reichsfinanzhof- Bundesfinanzhof, S. 255 [259]; Hegelau, Analogie im Steuerrecht, S. 87 und öfter; Hess, Analogieverbot und Steuerrecht, S. 163 fT.; Kirchhof, in: KirchhoflSöhn, EStG, § 2 Rn. A 503, wonach nur das gesetzeskonkretisierende Richterrecht zulässig ist; Kruse, in: 75 Jahre Reichsfinanzhof - Bundesfinanzhof, S. 239 [253]; Knobbe-Keuk, in: 75 Jahre Reichsfinanzhof - Bundesfinanzhof, S. 303 [305]; o'fforhaus, BB 1985, S. 993 [995 ff.]; Pelka, in: Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung, S. 209 [213 ff.]; Spitaler, StbJb. 1949, S. 267 [198]; Thiel, StbJb. 1963/64, S. 161 [179 ff.]; Völker, DStZ 1989, S. 235 [240]. Skeptisch auch Felix, in: Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung, S. 99 ff.; Stolterforth, in: Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung, S. 271 [281 f.]. 9 Vgl. dazu Flume, StbJb. 1964/65, S. 55 [68 f.]; dens., StbJb. 1967/68, S. 63 [65 f.]; dens., StbJb. 1985/86, S. 277 [294]; Kruse, in: TipkelKruse, AO, § 42 Rn. 8 und öfter; dens., DB 1985, S. 1077 ff.; dens., Jahrbuch der Fachhanwälte rur Steuerrecht 1985/86, S. 13 ff.; dens., in: Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung, S. 72 ff.; dens., Steuerrecht 1, 1991, S. 90 ff.; Seuffert, DStR 1985, S. 5 [9]; Klein, Die nicht "angemessene rechtliche Gestaltung", S. 25 ff.; Danzer, Die Steuerumgehung, S. 60 ff., 76 ff.; Brinckmann, Tatbestandsmäßigkeit, S. 94 ff., 109 ff., 120 ff. Dazu auch Knobbe-Keuk, in: 75 Jahre Reichsfinanzhof - Bundesfinanzhof, S. 303 [307 f.].

'" So etwa Birk, Steuerrecht I, § 11 Rn. 27 ff.; ders., Allgemeines Steuerrecht, S. 44 ff.; v. Bomhaupt, DStR 1983, S. 11 [12]; Fischer, StuW 1979, S. 347 [361 ff.]; ders., StVj 1992, s. 3 [25 ff.]; Herzog, Steuerberaterkongreß-Report 1994, S. 23 [25]; ders., StbJb. 1985/86, S. 27 [43 f.]; Vogel, HStR IV, § 87 Rn. 73; Woerner, in: Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung, S. 23 [43 f.]; ders., BB 1984, S. 523 f.; ders., FR 1992, S. 226 ff.; Weber-Grellet, DStR 1991, S. 438 [442 ff.]; ders., StuW 1993, S. 195 [200]; Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, S. 142 ff.; Tanzer, StuW 1981, S.201 [216]; Tipke, Steuergerechtigkeit, S. 122 fT.; ders., StuW 1981, S. 189 fT.; ders., in: Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung, S. 1fT.; ders., in: Festschrift rur Wallis, S. 133 fT.; ders., StuW 1990, S. 246 ff.; ders., Die Steuerrechtsordnung, S. 223 fT.; Tipke/Lang, Steuerrecht", S. 39 fT. Anders aber noch Tipke, StuW 1972, S. 264 [269]; ders., Steuerrecht', S. 43 f. 11

Flume, StbJb. 1985/86, S. 277 [289 f.].

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Einleitung

richterlichen Rechtsfortbildung im einzelnen darzustellen. Vielmehr wird in dieser Arbeit von der Methode der richterlichen Rechtsfortbildung ausgegangen, die von der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur angewandt wird. Die Untersuchung beginnt im ersten Teil mit der Darstellung dieser herrschenden Methode der Rechtsanwendung und -fortbildung (dazu § 1) und zeigt die Rezeption dieser Methode durch die obersten Bundesgerichte in den Rechtsgebieten außerhalb des Steuerrechts (dazu § 2) und im Steuerrecht (dazu § 3) auf. Der zweite Teil der Untersuchung ist den verfassungsrechtlichen Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung im Steuerrecht gewidmet. Nach einem Überblick über die Problematik der "Richterlichen Rechtsfortbildung als Verfassungsproblem" (dazu § 4), wird überprüft, ob und inwieweit das Prinzip der Funktionentrennung (dazu § 5), die in Art. 20 Abs. 3 GG normierte Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (dazu § 6) und die verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalte, insbesondere die Wesentlichkeitstheorie, die Grundrechte, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip (dazu § 7) die richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht zu begrenzen vermögen.

Erster Teil

Grundlagen und Voraussetzungen der richterlichen Rechtsfortbildung durch Analogie im Steuerrecht § 1 Die richterliche Rechtsfortbildung In der demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes ist es grundsätzlich Aufgabe des (parlamentarischen) Gesetzgebers, die für das Gemeinwesen nötigen Entscheidungen durch die Weiterentwicklung der Rechtsordnung zu treffen. Die deutsche Rechtsordnung wird aber nicht nur durch den Gesetzgeber, sondern auch durch die Rechtsprechung weitergebildet; die Weiterbildung ist nicht beim (parlamentarischen) Gesetzgeber monopolisiert, sondern ist ein arbeitsteiliger Vorgang, der sich unter Beteiligung der rechtssetzenden und der rechtsanwendenden Gewalten vollzieht'. Schon 1885 schrieb 0. Bü/ow in seiner berühmten Rektoratsrede: "Nicht das Gesetz, sondern Gesetz und Richteramt schafft dem Volk sein Recht.,,2 Daß die Richter, denen gemäß Art. 92 Hs. 1 GG die rechtsprechende Gewalt anvertraut ist, einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Rechtssystems leisten, ist inzwischen "Allgemeingut"J

I Vgl. etwa Schneider, DÖV 1975, S. 443 [447]; Krey, ZStW 101 (1989), S. 838; dens., Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 80 ff., 101 ff. und öfter; Goutier, Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre, S. 27 ff.; Rüthers, Wir denken die Rechtsbegriffe um ... , S. 36 ff.; Lamers, Rechtsfortbildung als Prozeßzweck, S. 3 ff., 7 ff.; Fikentscher, Methoden IV, S. 331 ff.; lpsen, Richterrecht und Verfassung, S. 231; Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis der parlamentarischen Gesetzgebung, S. 147; Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 4 m. w. N. - Damit ist aber nicht gesagt, daß der Richter auch orginär "politische" Entscheidungen triffi. Das Bild vom Richter als "Sozialingenieur" vermittelt eine - schon aus verfassungsrechtlichen GrUnden - unzutreffende Vorstellung. 2 Bülow, Gesetz und Richteramt, S. 48. Dazu näher Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 65 f., 80.

, Kirchhof, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 11 [15].

26

Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

jeder modemen juristischen Methodenlehre4 • Die richterliche Weiterentwicklung der Rechtsordnung gilt als normaler und notwendiger Vorgang; nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört die Auslegung von Gesetzen und die Fortbildung des Rechts zu "anerkannten Aufgaben und Befugnissen der Gerichte"s. Speziell rur die mit dem Steuerrecht befaßten Senate des Bundesfinanzhofs bestimmt § 11 Abs. 4 FGO, daß der "erkennende Senat ... eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen (kann), wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.,,6

I. Die Begriffe "richterliche Rechtsfortbildung" und "Richterrecht" Zur Umschreibung des richterlichen Anteils an der Weiterbildung der Rechtsordnung waren früher Begriffe wie "Gerichtsgebrauch", "Juristenrecht", "richterliches Recht", "richterliche Rechtsgewinnung" und "freie Rechtsfindung" gebräuchlich7 • In der Gegenwart werden vor allem die Begriffe "richterliche Rechtsfortbildung"S und "Richterrecht,,9 verwendet. Da diese Begriffe mit

• Vgl. Larenz, Methodenlehre·, S. 366 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 472 ff.; Pawlowski, Methodenlehre 2, Rn. 453 ff.; Engisch, Einfilhrung', S. 138 ff.; Fikentscher, Methoden IV, S. 313; Zippelius, Juristische Methodenlehres, S. 58 ff.; Koch/Rüßmann, Juristische BegrUndungslehre, S. 246 ff.; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, passim; Blasius/Büchner, Verwaltungsrechtliche Methodenlehre', S. 167 ff.; Schwacke/Uhlig, Juristische Methodik " S. 49 ff.; Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 3 ff.; Locher, Grenzen der Rechtsfindung, S. 71 ff.; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, passim; Ipsen, Richterrecht und Verfassung, passim; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, S. 1296 ff.; Hassemer, in: KaufmannlHassemer. Einfilhrung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie s, S. 214. Einschränkend aber Müller, Juristische Methodik s, S. 90 f. - Teilweise wird die Legitimation der Gerichte zu Rechtsfortbildung auch auf Gewohnheitsrecht gestutzt (so etwa Schack, in: Festschrift filr Laun, S. 275). Einen Überblick über andere Auffassungen gibt Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 67 ff. S So etwa BVerfG, NJW 1992, S. 1219. Vgl. weiterhin BVerfGE 34, 269 [286 ff.]; 37, 61 [81]; 49,304 [318]; 54, 100 [111]; 65, 182 [190 f.]; 66, 116 [138]; 71,354 [362]. 6

Ebenso die §§ 132 Abs. 4 GVG, 45 Abs. 2 ArbGG, II Abs. 4 VwGO und 43 SGG.

Vgl. die Überblicke bei Fikentscher, Methoden III, S. 701 ff.; Müller, Richterrecht, S. II ff.; Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 50 f.; Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat, S.176ff. 1

8 Vgl. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, passim; Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 57 f.; Larenz, Methodenlehre", S. 366 ("Methoden richterlicher Rechtsfortbildung"). Ähnlich Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 472 ff. ("Ergänzende Rechtsfortbildung"). 9 Vgl. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, passim; Biaggini, Verfassung und Richterrecht, passim; Müller, Richterrecht, passim.

§ I Die richterliche Rechtsfortbildung

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abweichendem Inhalt gebraucht werden lO, ist es nötig, den hier zugrundegelegten Inhalt näher zu umschreiben.

I. Der Begriff "richterliche Rechtsfortbildung" Mit dem Begriff "richterliche Rechtsfortbildung" werden verschiedene richterliche Verfahren der Rechtsanwendung bezeichnet. Aus Gründen terminologischer Klarheit ist es daher geboten, zwischen der richterlichen Rechtsfortbildung im weiteren und im engeren Sinne zu unterscheiden. a) "Richterliche Rechtsfortbildung" im weiteren Sinne Jede richterliche Tätigkeit, auch die "schlichte Subsumtion eines Sachverhalts unter einen gesetzlichen Tatbestand", enthält ein schöpferisches Elementli, weil die Auswahl der einschlägigen Rechtsnormen, das Verständnis der in ihnen enthaltenen sprachlichen Begriffe und die Würdigung des Sachverhalts nach den in den Normen angegebenen Kriterien nicht so gen au vorausprogrammiert sein kann, daß der Richter seine Entscheidung nur aus dem Gesetz abzulesen hätte, wie aus einer Tabelle 12 • Auch diese "schlichte" Subsumtion eines bisher nicht entschiedenen und zweifelhaften Sachverhalts unter den Tatbestand einer Norm kann als "punktuelle Rechtsfortbildung" erscheinen 13; der Richter wird stets normvollendend tätig l4 . Ist aber die Zuordnung eines bisher nicht entschiedenen und zweifelhaften Falles in den Kreis der bisher der Norm zugeordneten

10

Vgl. den instruktiven Überblick bei Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 51 ff.

Starck, in: VVDStRL 34 (1976), S. 44 [49] m. w. N.; Friauf, in: Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung, S. 53 [55 f.]; Hassemer, in: KaufinannlHassemer, Einfilhrung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie', S. 214; Goutier, Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre, S. 23. Das Bundesverfassungsgericht hat davon gesprochen, daß Rechtsanwendung Interpretation und Konkretisierung der Rechtssatze filr den Einzelfall sei, die nicht ohne einen "Akt bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen" (BVertGE 34, 269 [287]), auskommen kann. 11

12

So Larenz, Festschrift filr Huber, S. 291 [292]; Starck, in: VVDStRL 34 (1976), S. 44 [59].

Wieacker, Gesetz und Richterkunst, in: ders., Ausgewahlte Schriften 11, S. 41 [46]. Vgl. auch Larenz, Methodenlehre", S. 367; Vallendar, Die Auslegung des Steuerrechts, S. 165 ff.; Badura, in: Rechtsfortbildung durch die sozialgerichtliche Rechtsprechung, S. 40 [45]; Zippe[ius, Methodenlehre, S. 9 und 72 ff.; Ebsen, DVBI. 1987, S. 389; ders., Gesetzesbindung, S. 37 ff.; Merten, DVBI. 1975, S. 677 [682 f.]; Redecker, NJW 1972, S. 409 [411]; Starck, in: VVDStRL 34 (1976), S. 43 [70]; Rüthers, Wir denken die Rechtsbegriffe um ... , S. 36 ff.; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 146; Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 59 f; Friauf, in: Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung, S. 53 [54 ff.]. - Streitig ist nur, ob ein gewisses Maß eigener richterlicher Wertung, ein gewisser Neuigkeitswert, eine gewisse "Innovationshöhe" (Biaggini, Richterrecht und Verfassung, S. 58) erreicht sein muß, damit von einer "richterlichen Rechtsfortbildung" gesprochen werden kann (vgl. dazu etwa Lerche, NJW 1987, S. 2465 [2466]). 13

I
32S Der "Erst-rechtSchluß" ist deshalb ein methodisches Mittel, den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zur Geltung zu bringen.

Fall betreffenden Gesetzesvorschrift schUtzen wollte ('Schutzzweck'). Bei einer solchen Betrachtungsweise wUrden die Interessen der anderen Beteiligten in ungebUhrlicher Weise vemachUlssigt werden. Es muß vielmehr geprUft werden, ob der Gesetzgeber bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie beim Erlaß der entsprechend anzuwendenden Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen AbWägungsergebnis gekommen wäre."); BGH, ZIP 1993, S. 1614. m Vgl. zum Verhllltnis zwischen dem Analogieschluß und den "Erst-recht-SchIUssen" Koch! RUßmann, Juristische BegrUndungslehre, S. 259; Zippelius, Methodenlehres, S. 63; Koller, Theorie des Rechts, S. 217; Hlasius/Hüchner, Verwaltungsrechtliche Methodenlehre2 , S. 180 f.; Schwacke/ Uhlig, Juristische Methodik2 , S. 58 f.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 479 f.; Larenz, Methodenlehre6, S. 389. m Vgl. etwa Geweils mit Beispielen) Larenz, Methodenlehre6, S. 389; Klug, Juristische Logik" S. 247 f.; Canaris, Die Feststellung von LUcken im Gesetz, S. 78 ff.; Koller, Theorie des Rechts, S. 216 f.; Hlasius/Hüchner, Verwaltungsrechtliche Methodenlehre', S.l80 f.; Schwacke/Uhlig, Juristische Methodik', S. 58 f.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 479; Heger, Methodenlehre, S. 66 f.; Schmalz, Methodenlehre', Rn. 336; Zippelius, Juristische Methodenlehres, S. 63. m Larenz, Methodenlehre6 , S. 390. Vgl. auch Heger, Methodenlehre, S. 66; Canaris, Die Feststellung von LUcken im Gesetz, S. 78.

§ I Die richterliche Rechtsfortbildung

95

Beispiel326 : "Wenn es auf öffentlichen Wegen (sogar) verboten ist, zu zweit auf einem Fahrrad zu fahren, dann ist es erst recht verboten, zu dritt auf einem Fahrrad zu fahren." Dieser Schluß weist folgende Struktur auf: (I) (2) (3) (4)

Es ist verboten, zu zweit auf einem Fahrrad zu fahren. Das Fahren zu dritt ist gefllhrlicher als das Fahren zu zweit. Wenn es verboten ist, zu zweit auf dem Fahrrad zu fahren, und wenn das Fahren zu dritt gefllhrlicher ist als das Fahren zu zweit, dann ist es verboten, zu dritt auf dem Fahrrad zu fahren. Es ist verboten, zu dritt auf dem Fahrrad zu fahren.

Dieser Schluß327 leuchtet aber nur dann ein, wenn die nicht genannte empirische und rechtliche Prämisse als wahr unterstellt wird. Die empirische Prämisse, die als wahr unterstellt werden muß, ist in dem Beispiel die Tatsache, daß das Fahren zu dritt gefllhrlicher ist als das Fahren zu zweit. Die rechtliche Prämisse ist in Satz (3) enthalten. Dieser ist nämlich nur schlüssig, wenn der Grund fUr das Fahrverbot zu zweit gerade die Gefllhrlichkeit ist und dieser Grund auch fUr den gesetzlich nicht geregelten Fall des Fahrens zu dritt zutrifft. Insofern stellen sich die gleichen Probleme, die fUr die Induktion und Deduktion bei der Analogie charakteristisch sind.

b) Der Umkehrschluß ("argumentum e contrario") Dem Analogie- und "Erst-recht-Schluß" ist der Umkehrschluß gegenüberzustellen. Dieser besagt: Weil das Gesetz die Rechtsfolge R nur an den Tatbestand A geknüpft hat, gilt R fUr den Tatbestand B und alle anderen Tatbestände eben nicht328 • Der Umkehrschluß beschränkt die Rechtsanwendung auf den möglichen Wortsinn der Norm. Er dient gerade nicht der Feststellung oder Ausfiillung von Gesetzeslücken, sondern im Falle eines berechtigten Umkehrschlusses ist bereits das Vorliegen einer Gesetzeslücke ausgeschlossen 329 • Der Umkehrschluß ist aber nur dann berechtigt, wenn dargelegt werden kann, daß nach der gesetzlichen Regelung die Verknüpfung des geregelten Tatbestandes mit dieser Rechtsfolge abschließend gemeint ist. Das kann sich etwa aus der Verwendung des Wortes "nur", aus der Teleologie des Gesetzes, aber auch aus

326 Im Anschluß an Koch/Rüßmann, Juristische Begrtlndungslehre, S. 259; Klug, Juristische Logik', S. 148.

327 Eine allgemeine Darstellung der logischen Struktur findet sich bei Klug, Juristische Logik" S. 149 ff., und bei Koch/Rüßmann, Juristische Begrtlndungslehre, S. 259.

m Vgl. Larenz, Methodenlehre6, S. 390; Schmalz, Methodenlehre', Rn. 336; Beger, Methodenlehre, S. 63; Fikentscher, Methoden IV, S. 285 f.; Pawlowski, Methodenlehre', Rn. 488; Schwacke/ Uhlig, Juristische Methodik', S. 59 f.; Blasius/Büchner, Verwaltungsrechtliche Methodenlehre', S. 177 f.; Koller, Theorie des Rechts, S. 215. Einen (logisch unberechtigten) allgemeinen Umkehrschluß haben - wie gesagt - die Vertreter des "allgemeinen negativen Satzes" vorgenommen. m Larenz, Methodenlehre6, S. 390; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 44 ff.; Schwacke/Uhlig, Juristische Methodik', S. 59 f. Vgl. auch Koch/Rüßmann, Juristische Begrtlndungslehre, S. 260 f.

96

Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

einem verfassungsrechtlichen Verbot der Rechtsfortbildung, nicht aber aus rein logischen Erwägungen ergeben 330 • c) Die teleologische Reduktion Die teleologische Reduktion 33J ist das methodische Mittel zur Feststellung und Ausfilllung verdeckter Lücken. Verdeckte Lücken liegen vor, wenn der Wortsinn des Gesetzes Fälle erfaßt, die nach seinem Regelungszweck, seinem Sinnzusammenhang usw. einer abweichenden Regelung bedurft hätten. Eine solche verdeckte Regelungslücke, bei der der Wortsinn der gesetzlichen Regelung einer Einschränkung bedarf, wird durch die HinzufUgung einer im Gesetz nicht enthaltenen einschränkenden Vorschrift ausgefUllt332 • Die Rechtfertigung der teleologischen Reduktion liegt "in dem Gebot der Gerechtigkeit, Ungleiches ungleich zu behandeln, d. h. die von der Wertung her erforderlichen Differenzierungen vorzunehmen."m Deshalb läßt sich die teleologische Reduktion ebenso wie die Analogie - als spezieller Anwendungsfall des (negativen) verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) auffassen. Die teleologische Reduktion ist in vielfacher Hinsicht problematisch: Unklar ist zunächst ihre Abgrenzung zur einschränkenden Gesetzesauslegung. Die Rechtsprechung erweckt oft den Eindruck, daß sich die von ihr getroffenen Entscheidungen mit einer einschränkenden Auslegung des Gesetzeswortlauts begrUnden lassen, obwohl schon eine (rechtsfortbildende ) teleologische Reduktion vorliegt"'. Oft wird auch verkannt oder jedenfalls nicht ausdrUcklich hervorgehoben, daß auch

330 Larenz, Methodenlehre", S. 390; Beger, Methodenlehre, S. 63 f.; Fikentscher, Methoden IV, S. 286; Paw/owski, Methodenlehre', Rn. 489; Schwacke/Uh/ig, Juristische Methodik', S. 59; B/asius/Büchner, Verwaltungsrechtliche Methodenlehre', S. 179; Koller, Theorie des Rechts, S. 215 f.

331 Teilweise wird auch von teleologischer Restriktion gesprochen (so Fikentscher, Methoden IV, S. 286 f., 311 f.). Umfassend zur teleologischen Reduktion Brandenburg, Die teleologische Reduktion, passim.

m Vgl. nur Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 82 ff.; Paw/owski, Einftlhrung in die Juristische Methodenlehre, Rn. 168 f.; Aoi, in: Festschrift ftlr A. Kaufmann, S. 21 [25 f.]; BVerwGE 75, 53 [56 f.]. 333 Larenz, Methodenlehre", S. 392; BAG Großer Senat, BAGE 13, I [14 f.]. Vgl. auch Byd/inski, Juristische Methodenlehre, S. 481 ("Vorausgesetzt ist stets der Nachweis, daß eine abstrakt umschreibbare Fallgruppe von den Grundwertungen oder Zwecken des Gesetzes entgegen seinem Wortlaut gar nicht betroffen wird und daß sie sich von den 'eigentlich gemeinten' Fallgruppen so weit unterscheidet, daß die Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre."). Den Bezug zum negativen Gleichheitsgrundsatz stellen auch heraus B/asius/Büchner, Verwaltungsrechtliche Methodenlehre', S. 61; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 82. A. A. wohl Brandenburg, Die teleologische Reduktion, S. 65 ff. 334 Vgl. Larenz, Methodenlehre", S. 391; Schwacke/Uh/ig, Juristische Methodik', S. 182; Paw/owski, Methodenlehre', Rn. 500 ff. m. w. N. Als Beispiel kann BGHZ 116,233 [240] herangezogen werden, wo der Bundesgerichtshofvon einer restriktiven Auslegung spricht, obwohl- wie das

§ I Die richterliche Rechtsfortbildung

97

die teleologische Reduktion letztlich durch den negativen Gleichheitsgrundsatz gerechtfertigt wird und sich dadurch von den anderen Fällen teleologisch begrUndeter richterlicher Rechtsfortbildung unterscheidd 35 • Ungeklärt ist auch, ob die teleologische Reduktion ausschließlich ein Verfahren der gesetzes immanenten Rechtsfortbildung ist. K. Larenz ist der Auffassung, daß die teleologische Reduktion durch den negativen Gleichheitsgrundsatz gerechtfertigt und "durch Sinn und Zweck der einschrllnkenden Norm selbst oder durch den insoweit vorrangigen Zweck einer anderen Norm, der andernfalls nicht erreicht würde, durch die 'Natur der Sache' oder durch ein fUr eine bestimmte Fallgruppe vorrangiges, dem Gesetz immanentes Prinzip" geboten sein kann 336 • Jedenfalls der Rückgriff auf die "Natur der Sache" überschreitet die Grenze der gesetzes immanenten Rechtsfortbildung und ist als gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung anzusehen. Zweifelhaft ist schließlich, ob "sich die Reduktion gegen den auf einer bewußten Entscheidung des Gesetzgebers beruhenden Gesetzeswortlaut" wendet und deshalb hier der Bereich beginnt, "in dem Gesetzgeber und Gesetz korrigiert werden.,,337

Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 88, 145 [167] = ZIP 1993, S.838 [843]) zutreffend erkannt hat - eine verdeckte Regelungslücke vorliegt. 335 Vgl. etwa Brandenburg, Die teleologische Reduktion, S. 65 ff. So soll die teleologische Reduktion Anwendung finden, "wenn eine gesetzliche Regelung ihrem Wortsinn nach, gemessen an vernünftigen Zwecken und allgemein akzeptierten Werten des Rechts, zu weit ist und daher einer Einschrllnkung bedarf' (Koller, Theorie des Rechts, S. 217); auch wird die teleologische Reduktion - was von der Bezeichnung her naheliegt - als "das Gegenstück zur teleologischen Extension" bezeichnet und daher fUr Fälle verwendet, in denen die rechtsfortbildende Einschrllnkung des Gesetzestextes im Gesetzeszweck selbst ihre ausschließliche Grundlage findet (vgl. Beger, Methodenlehre, S. 68). Vgl. auch BFH v. 21. 2. 1964, BStBl. 111 1964, S. 188 [189 f.]: "Da eine solche Einschrllnkung im Gesetzeswortlaut nicht enthalten ist, liegt eine verdeckte Regelungslücke vor, die auszufUllen die Rechtsprechung nicht nur berechtigt, sondem verpflichtet ist. Die AusfUllung einer verdeckten Regelungslücke geschieht in der Weise, daß dem Gesetz die vom Sinn und Zweck geforderte Einschrllnkung hinzugefUgt wird. Die im Gesetz enthaltene, im Wortlaut zu weit gefaßte Regel wird auf den nach dem Zweck und Sinnzusammenhang des Gesetzes notwendigen Anwendungsbereich zurUckgefUhrt. Diese sogenannte teleologische Reduktion oder Restriktion ist eine in der Rechtslehre und Praxis anerkannte Methode der Auslegung und Anwendung der Gesetze .... Lücken, die bei der Auslegung eines Steuergesetzes hervortreten, haben die Steuergerichte nach dem ihnen in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes erteilten verfassungsmäßigen Auftrag so auszufUllen, wie der Gesetzgeber unter BerUcksichtigung des Sinnzusammenhangs des Gesetzes und seines sonst erkennbaren Willens die Frage, wenn sie in seinen Gesichtskreis getreten wäre, wahrscheinlich geregelt hätte." ))6

Larenz, Methodenlehre", S. 392. Vgl. auch Aoi, Festschrift fUr Kaufmann, S. 23 [27].

m So Schmalz, Methodenlehre\ Rn. 342. Vgl. auch Koller, Theorie des Rechts, S. 219 ("Im übrigen bewegt sich die teleologische Reduktion hart an der Grenze zu einer Rechtsfortbildung contra legern, weil sie daraufhinausläuft, die gesetzliche Regel durch Ausnahmen einzuschrllnken, die, streng genommen, mit dem möglichen Wortsinn in Widerspruch stehen. Man kann diese Konsequenz aber vermeiden, indem man annimmt, daß immer dann, wenn sich der Wortsinn und der Zweck gesetzlicher Vorschriften offensichtlich widersprechen, der Wortsinn zurUcktreten muß und deswegen eine Rechtsfindung praeter legem vorliegt."); Aoi, Festschrift fUr Kaufmann, S. 23 [24 f.]. Die h. M. erkennt die teleologische Reduktion aber als zulässige Methode richterlicher Rechtsfortbildung praeter legem an (vgl. Larenz, Methodenlehre", S. 391 ff.; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 82 ff.; Fikentscher, Methoden IV, S. 311 f.; Beger, Methodenlehre, S. 68 f.; Pawlowski, Methodenlehre', Rn. 493 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 480 f.; Brandenburg, Die teleologische Reduktion, S. 55 ff). Auch das Bundesverfassungsgericht 7 Barth

9S

Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

d) Die anderen Fälle einer teleologisch begründeten Korrektur des Gesetzestextes Die bisher erörterten Methoden der gesetzesimmanenten richterlichen Rechtsfortbildung fanden ihre Rechtfertigung in dem positiven bzw. negativen Gleichheitsgrundsatz. Im Schrifttum werden darüber hinaus noch Fälle der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung angefUhrt, bei denen die Lückenfeststellung und -ausfUllung nicht durch den Gleichheitsgrundsatz, sondern durch den Gesetzeszweck selbst, die ratio legis unmittelbar gerechtfertigt werden 338 • Ist der Wortlaut einer Gesetzesnorm, gemessen an ihrem Zweck, in sich zu weit und wird deshalb der Anwendungsbereich dieser Gesetzesnorm aufgrund der ratio legis eingeschränkt, dann spricht man auch hier von einer teleologischen Reduktion339 ; ist der Wortlaut einer Gesetzesnorm, gemessen an ihrem Zweck, in sich zu eng und wird deshalb der Anwendungsbereich dieser Gesetzesnorm aufgrund der ratio legis erweitert, dann spricht man von einer teleologischen

hat eine teleologische Reduktion (im Fall Konkursordnung) ftlr verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten (BVerfG, ZIP 1993, S. S3S [S43]=BVerfGE SS, 145 [167]). Ebenso BVerwG 75,53 [57]. Ausftlhrlich dazu auch BAG Großer Senat, BAGE 13, I [13 f.]: "Der Große Senat hat sorgfliltig geprüft, ob die Restriktion, diese abändernde Rechtsfindung mit der Bindung des Richters an das Gesetz und dem Grundsatz der Trennung der Gewalten vereinbar, also verfassungsrechtlich zul!lssig ist (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. I GG). Diese Frage ist zu bejahen. Der Richter ist nach Art. 20 Abs. 3 GG an 'Gesetz und Recht' gebunden. Das bedeutet, daß der Richter an das Gesetz insoweit gebunden ist, als es sich als ein Teil in das ganze Sinngeftlge des Rechts einftlgen läßt mit Einschluß seiner ungeschriebenen Grundsätze und immanenten Wirkungsprinzipien. Zu diesen Grundsätzen gehört der Satz, daß der Richter nicht Diener am Wort des Gesetzes, sondern an seinem Sinn und Zweck ist. Ihm ist 'denkender Gehorsam' aufgegeben. Die Gerichte haben - ... - Befehle und Aufträge nicht nur nach den vom Gesetz erteilten Weisungen auszuftlhren, sondern sind berechtigt und verpflichtet, bei eintretenden, nicht vorhergesehenen Fällen und Folgen von diesen Weisungen abzuweichen und das zur Ausftlhrung zu bringen, was den erstrebten Zwecken und der Denkweise des Anordnenden entspricht und bei Kenntnis der jetzigen Sachlage also vermutlich und verständigerweise von ihm angeordnet sein wUrde .... Es gilt also folgender Grundsatz: Sofern eine Vorschrift Fälle umfaßt oder Folgen herbeiftlhrt, die vom Gesetzgeber nicht erkannt oder bedacht sind und, wenn er sie erkannt oder bedacht hätte, vernUnftigerweise nicht in dieser Weise geordnet sein wUrden, sind die Gerichte berechtigt, das Gesetz nach seinen eigenen Grundgedanken und Zwecken unter Berücksichtigung der anerkannten Grundsätze richterlicher Rechtsfindung fortzuentwickeln, es sei denn, daß das Erfordernis der Rechtssicherheit entscheidend dagegen spricht." m Grundlegend Canaris, Die Feststellung von LUcken im Gesetz, S. SS ff. Vgl. auch Larenz, Methodenlehre", S. 397 ff.; Beger, Methodenlehre, S. 67 f.; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehhre, S. 257 f. 139 So etwa Canaris, Die Feststellung von LUcken im Gesetz, S. S9; Beger, Methodenlehre, S. 6S f. Zutreffend aber Larenz, Methodenlehre", S. 397 ff., der den Ausdruck ftlr diese Fallgruppe vermeidet.

§ 1 Die richterliche Rechtsfortbildung

99

Extension 340 • Im Interesse der Methodenehrlichkeit wäre es wünschenswert, wenn die Gerichte klar herausstellten, ob sie eine richterliche Rechtsfortbildung auf die Rechtsähnlichkeit der Fälle oder unmittelbar auf die ratio legis der Gesetzesnorm stützen. 3. Die Methoden der gesetzesübersteigenden richterlichen Rechtsfortbildung

Die Gerichte haben sich nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland nicht auf die gesetzesimmanente richterliche Rechtsfortbildung beschränkt, sondern haben auch Rechtsfortbildungen über den Plan des Gesetzes hinaus - extra legern, sed intra ius - (gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung) betrieben. Bekanntestes Beispiel ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Ersatz immaterieller Schäden bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entgegen § 253 BGB341 . K. Larenz und mit ihm die h. M. unterteilt die gesetzesübersteigende richterliche Rechtsfortbildung in "Rechtsfortbildung mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs", "Rechtsfortbildung mit Rücksicht auf die 'Natur der Sache'" und "Rechtsfortbildung mit Rücksicht auf ein ethisches Prinzip"342. Ungeklärt ist allerdings die Abgrenzung zur (grundsätzlich) unzulässigen richterlichen Rechtsfortbildung contra legem343 .

'40 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 90; Larenz, Methodenlehre", S. 397; Beger, Methodenlehre, S. 67 f.; Pawlowski, Methodenlehre', Rn. 497; Schwacke/Uhlig, Juristische Methodik', S. 60 f.

'4' Vgl. BGHZ 13,334 [338]; 26,349 [354 f.]; 35, 363 [367 f.]; 39, 124 [130 fI.]. Zu der Frage, ob dadurch die verfassungsrechtlichen Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung überschritten sind BVerfUE 34, S. 369 ff. '42 Larenz, Methodenlehre", S. 413 ff. Ähnlich Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 93 ff., der aber die Methoden in die Lückendogmatik integriert (dazu kritisch Larenz, Methodenlehre", S. 376 f.); Schmalz, Methodenlehre', Rn. 357 ff., der aber (mißverständlicherweise) von "Rechtsfortbildungen contra legern, aber intra ius" spricht; Koch/Rüßmann, Juristische BegrUndungslehre, S. 248, 261 f.; Schwacke/Uhlig, Juristische Methodik', S. 63 f. Vgl. auch Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 481 ff. (zur richterlichen Rechtsfortbildung aufgrund von "AIIgemeinen ('natürlichen') Rechtsgrundsätzen"); Engisch, Einftlhrung8, S. 153.

'4' Vgl. dazu Schmalz, Methodenlehre', Rn. 354; Müller, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 73 [83 f.]; Gusy, DÖV 1992, S. 464 ff.; Larenz, Methodenlehre", S. 426 ff., der allerdings die verfassungsrechtlichen Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung vernachlässigt.

100

Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

§ 2 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der obersten Bundesgerichte zur richterlichen Rechtsfortbildung außerhalb des Steuerrechts I. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur richterlichen Rechtsfortbildung Das Bundesverfassungsgericht hat sich oft mit der Zulässigkeit und den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung auseinandersetzen müssen!. Nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, das sich erstmals im Urteil vom 18. 12. 1953 2 mit der richterlichen Lückenftlllung und Rechtsfortbildung befaßt hat, ist die "schöpferische Füllung weiter Lücken auf der Grundlage einer richtungsweisenden Klausel ... eine herkömmliche und stets bewältigte richterliche Aufgabe"3. Zwar stellt diese richterliche Tätigkeit "besondere Anforderungen an die Kraft richterlicher Interpretation und Gesetzesergänzung. Doch ist diese Art der rechtsfindenden Lückenftlllung im modemen Rechtsstaat mehr und mehr zu einer echten richterlichen Aufgabe geworden.,,4 Es gehört nach der Ansicht des Gerichts zur "legitimen richterlichen Aufgabe, den Sinn einer Gesetzesbestimmung aus ihrer Einordnung in die gesamte Rechtsordnung zu erforschen, ohne am Wortlaut des Gesetzes zu haften."s Unter Berufung auf die

I Vgl. BVerfDE 3, 225 [237 ff.]; 8, 210 [218 ff.]; 22, 28 [37]; 25, 167 [181 ff.]; 34, 293 [301 f.]; 34, 269 [286 ff.]; 35, 263 [279]; 37,67 [81 f.]; 38, 175 [185 f.]; 49, 304 [320 f.]; 56, 99 [107 f.]; 57, 220 [247 ff.]; 59, 330 [334 f.]; 61, 68 [72 f.]; 65, 182 [190 ff.]; 67, 245 [248 ff.]; 69, 315 [369 ff.]; 71, 354 [362 f.]; 74,129 [152]; 75, 223 [237] = JZ 1988, S. 191 m. Anm. Rupp; 84, 197 [199] = NJW 1991, S. 2272: 87, 270 [279 ff.]; 88, 145 [166 f.]; BVerfD, NJW 1991, S. 2550; BVerfD, NJW 1993, S. 2600. Vgl. dazu auch den Überblick bei Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, S. 394 ff.

2

BVerfDE 3, 225 ff.

l

BVerfDE, 3, 225 [243].

4

BVerfDE 3, 225 [242]. Ebenso BVerfDE 25, 167 [181].

s BVerfDE 8, 210 [221]. Vgl. auch BVerfDE 35, 263 [279]: "Am Wortlaut einer Norm braucht der Richter nicht haltzumachen. Seine Bindung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 00) bedeutet nicht Bindung an dessen Buchstaben mit dem Zwang zu wörtlicher Auslegung, sondern Gebundensein an Sinn und Zweck des Gesetzes." - Vgl. auch BVerfDE 38, 175 [185]: "Steht damit fest, daß Art. 14 00 dem Enteigneten grundsätzlich das Recht gibt, sein früheres Eigentum zurückzuverlangen, wenn der Enteignungsgrund wegflillt, weil der Begünstigte das Vorhaben nicht verwirklicht, dann durfte das Bundesverwa/tungsgericht dem Beschwerdefilhrer diesen Anspruch nicht deshalb versagen, weil sein Inhalt und die Voraussetzungen seiner Geltendmachung von der Rechtsprechung nicht umrissen werden können. Art. 14 00 enthält freilich keine Fixierung von Entstehungszeitpunkt und der Frist zur Ausübung des Rückübertragungsanspruchs oder eine Regelung über die Auswirkungen von Verwendungen. Es wäre angezeigt, daß der Gesetzgeber die

§ 2 Die Rechtsprechung zur richterlichen Rechtsfortbildung

101

Bindung der Rechtsprechung an "Gesetz und Recht" (Art. 20 Abs. 3 GG) hat das Bundesverfassungsgericht die Befugnisse der Gerichte zur Rechtsfortbildung in der sog. Soraya-Entscheidung besonders extensiv beschrieben6 : "Die traditionelle Bindung des Richters an das Gesetz, ein tragender Bestandteil des Gewaltentrennungsgrundsatzes und damit der Rechtsstaatlichkeit, ist im Grundgesetz jedenfalls der Formulierung nach dahin abgewandelt, daß die Rechtsprechung an 'Gesetz und Recht' gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG). Damit wird nach allgemeiner Meinung ein enger Gesetzespositivismus abgelehnt. Die Formel hält das Bewußtsein aufrecht, daß sich Gesetz und Recht zwar faktisch im allgemeinen, aber nicht notwendig und immer decken. Das Recht ist nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch. Gegenüber den positiven Satzungen der Staatsgewalt kann ein Mehr an Recht bestehen, das seine Quelle in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen besitzt und dem geschriebenen Recht gegenüber als Korrektiv zu wirken vermag; es zu finden und in Entscheidungen zu verwirklichen, ist Aufgabe der Rechtsprechung. Der Richter ist nach dem Grundgesetz nicht darauf verwiesen, gesetzgeberische Weisungen in den Grenzen des möglichen Wortsinns auf den Einzelfall anzuwenden. Eine solche Auffassung würde die grundsätzliche Lückenlosigkeit der positiven staatlichen Rechtsordnung voraussetzen, ein Zustand, der als prinzipielles Postulat der Rechtssicherheit vertretbar, aber praktisch unerreichbar ist. Richterliche Tätigkeit besteht nicht nur im Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers. Die Aufgabe der Rechtsprechung kann es insbesondere erfordern, Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu realisieren. Der Richter muß sich dabei von Willkür freihalten; seine Entscheidung muß auf rationaler Argumentation beruhen. Es muß einsichtig gemacht werden können, daß das geschriebene Gesetz seine Funktion, ein Rechtsproblem gerecht zu lösen, nicht erftlllt. Die richterliche Entscheidung schließt dann diese Lücke nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den 'fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft' (BVerfGE 9,338 [349]). Diese Aufgabe und Befugnis zu 'schöpferischer Rechtsfindung' ist dem Richterjedenfalls unter Geltung des Grundgesetzes - im Grundsatz nie bestritten worden (vgl. etwa R. Fischer, Die Weiterbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe, Heft 100 [1971], und dazu Redecker, NJW 1972, S. 409 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen). Die obersten Gerichtshöfe haben sie von Anfang an in Anspruch genommen (vgl. etwa BGHZ 3,308 [315]; 4, 153 [164]; BAG 1,279 [280 f.]). Das Bundesverfassungsgericht hat sie stets anerkannt (vgl. etwa BVerfGE 3, 225 [243 f.]; 13, 153 [164]; 18, 224 [237 ff.]; 25, 167 [183]). Den Großen Senaten der Obersten Gerichtshöfe des Bundes hat der Gesetzgeber selbst die Aufgabe der 'Fortbildung des Rechts' ausdrücklich zugewiesen (so z. B. § 137 GVG). In manchen Rechtsgebieten, so im Arbeitsrecht, hat sie infolge des Zurückbleibens der Gesetzgebung hinter dem Fluß der sozialen Entwicklung besonderes Gewicht erlangt. Fraglich können nur die Grenzen sein, die einer solchen schöpferischen Rechtsfindung mit Rücksicht auf den aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbaren Grundsatz der Gesetzesbindung der Rechtsprechung gezogen werden müssen. Sie lassen sich nicht in einer

Modalitäten dieses verfassungsrechtlichen Anspruchs regelt. Solange dies nicht geschieht, ist aber - jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art - der richterlichen Rechtsfindung keine unüberwindliche Schranke gesetzt (vgl. BVerfGE 34, 269 [286 ff.]; 37, 67 [81 f.])." " BVerfGE 34, 269 [286 ff.]. Die Argumentationsstruktur der Soraya-Entscheidung hat der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 48, 122 [136 ff.]) weitgehend übernommen.

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Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

Formel erfassen, die rur alle Rechtsgebiete und alle von ihnen geschaffenen oder beherrschten Rechtsverhattnisse gleichermaßen gatte."

Am Beginn der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu diesen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung stand noch die Frage im Vordergrund, ob die richterliche Rechtsfortbildung das Prinzip der Rechtssicherheit oder der Gewaltenteilung verletzt: Nach Auffassung des Gerichts verletzt die Ausfilllung von Gesetzeslücken nur dann den Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn eine zur Lösung herangezogene Norm keinen "rur die Lösung konkreter Rechtsstreitigkeiten verwendbaren Rechtssatz bietet" oder wenn es sich "nur um einen Programmsatz, einen politischen Begriff oder eine leere Formel, jedenfalls also um eine Bestimmung ohne greifbaren rechtlichen Gehalt handelt."1 Auch der Grundsatz der Gewaltenteilung wird durch die richterliche Rechtsfortbildung nicht verletzt, weil auch im Grundgesetz "gewisse Überschneidungen der Funktionen und Einflußnahmen der einen Gewalt auf die andere gebräuchlich sind."s Um eine unzulässige Interpretation handelt es sich nur dann, wenn "einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigem Gesetz ein entgegengesetzter Sinn gegeben würde, mit der das Gericht also in verfassungsrechtlich unhaltbarer Weise in die Kompetenz des Gesetzgebers eingriffe."9 Die Voraussetzungen, unter denen das Bundesverfassungsgericht eine Überschreitung der verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung annimmt, sind vom Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren erheblich präzisiert worden, wobei das Gericht insbesondere - wenn auch nicht ausschließlich - auf Art. 20 Abs. 3 GG zurückgegriffen hat. Nach dieser Rechtsprechung hat das Grundgesetz "dem Bundesverfassungsgericht nicht die Aufgabe übertragen, Gerichtsentscheidungen auf ihre Übereinstimmung mit einfachem Recht in letzter Instanz zu überprüfen. Insofern begnügt es sich, auch soweit Grundrechte betroffen sind, grundsätzlich mit dem Schutz, den die Fachgerichte gewähren. Das Bundesverfassungsgericht greift erst ein, wenn sich ein Richterspruch über die aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Gesetzesbindung hinwegsetzt. Das ist der Fall, wenn die vom Gericht zur Begründung seiner Entscheidung angestellten Erwägungen eindeutig erkennen lassen, daß es sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben hat, also objektiv nicht bereit war, sich Recht und Gesetz zu unterwerfen. So verhält es sich beispielsweise im Fall der unzulässigen Rechtsfortbildung."lo

7

BVerfGE 3, 225 [247 f.]. Ebenso BVerfGE 25, 167 [182, 183 f.].

8

BVerfGE 3, 225 [247 f.].

9

BVerfGE 8, 28 [33,34]. Ähnlich BVerfGE 57, 330 [334].

BVerfGE 87, 273 [279 f.]. Ähnlich auch BVerfG, NJW 1993, S. 2600. Zum Umfang der verfassungsrechtlichen Kontrolle einer fachgerichtlichen Beurteilung auch BVerfGE 82, 6 [13]: "Die Beantwortung der Frage, ob eine GesetzeslUcke oder eine abschließende Regelung vorliegt, 10

§ 2 Die Rechtsprechung zur richterlichen Rechtsfortbildung

103

Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts schließt Art. 20 Abs. 3 GG eine richterliche Rechtsfortbildung "praeter legern" nicht grundsätzlich aus, knüpft sie aber an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen und setzt ihr Grenzen 11. Eine unzulässige richterliche Rechtsfortbildung liegt beispielsweise vor, wenn der Gesetzgeber eine "eindeutige Entscheidung" getroffen hat, die der Richter ,,nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen (darf), die so im Parlament nicht erreichbar war."12 Ferner liegt eine unzulässige richterliche Rechtsfortbildung vor, wenn "die gesetzliche Regelung, an welche die Rechtsprechung ... anknüpft, nach Wortlaut, Systematik und Sinn abschließend gestaltet" ist und die Fachgerichte diese abschließende Entscheidung mißachten \3, wenn die Fachgerichte "ohne das Vorhandensein einer sich aus Systematik und Sinn des Gesetzes ergebenden Lücke allein unter Berufung auf allgemeine Rechtsprinzipien, die eine konkrete rechtliche Ableitung nicht zulassen, oder aus rechtspolitischen Erwägungen neue Regeln oder Rechtsinstitute schaffen"14, wenn einem "eindeutigen Gesetz ein

erfordert im gleichen Maße eine rechtliche Wertung wie die Lösung des Problems, in welcher Weise die Lücke zu schließen ist (vgl. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. 1983 § 84 a. E.). Sie setzt eine Betrachtung des einfachen Gesetzesrechts voraus, zu der das Bundesveryassungsgericht nicht berufen ist (BVerfUE 18, 85 [93]). Es darf daher die fachgerichtliche Wertung grundsätzlich nicht durch eine eigene ersetzen. Die Beantwortung der Frage, ob sich die tatsächlichen Verhältnisse seit Schaffung der Norm in einer deren analoge Anwendung rechtfertigenden Weise verändert haben, obliegt zunächst ebenfalls den Fachgerichten. Auch wenn sich bei der Rechtsfortbildung in verstärktem Maße das Problem des Umfangs richterlicher Gesetzesbindung stellt, ist die verfassungsrechtliche Kontrolle darauf beschränkt, ob das Fachgericht in vertretbarer Weise eine einfachgesetzliche Lücke angenomen und geschlossen hat und ob diese Erweiterung des Normbereichs Wertungen der Verfassung, namentlich den Grundrechten widerspricht." 11 Vgl. etwa aus neuerer Zeit BVerfUE 88, 145 [166 ff.]: "Das Amtsgericht vertritt zwar in seiner Ergänzung zum Vorlagebeschluß die Auffassung, ein Richter verletze seine Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 00) durch jede Auslegung, die nicht im Wortlaut des Gesetzes vorgegeben ist; damit wird jedoch die Aufgabe der Rechtsprechung zu eng umrissen. Art. 20 Abs. 3 00 verpflichtet die Gerichte, 'nach Gesetz und Recht' zu entscheiden. Eine bestimmte Auslegungsmethode (oder gar eine reine Wortinterpretation) schreibt die Verfassung nicht vor. Eine Rechtsfortbildung 'praeter legem' bedarf zwar sorgfllltiger Begründung, ist jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl. BVerfUE 82,6 [li ff.]; zur älteren Rechtsprechung Seidl, ZGR 1988, S. 296 [303 ff.])." 12 BVerfUE 82, 6 [12] unter Hinweis auf BVerfUE 69, 315 [372], und Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 236. 13

BVerfUE 69, 188 [204]. Vgl. auch BVerfUE 65, 182 [191]; BVerfU, NJW 1993, S. 2600.

BVerfUE NJW 1992, S. 1219. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Gerichte bei der Feststellung einer planwidrigen Unvollständigkeit mangels konkreter rechtlicher Ableitungsmöglichkeiten nicht an gesetzliche oder verfassungsrechtliche Grundentscheidungen anknüpfen können (vgl. BVerfUE 69, 315 [369 ff.]; 65,182 [191 f.]; 57, 220 [248 f.]; 35, 263 [279 f.]). Damit im wesentlichen übereinstimmend Larenz, Methodenlehre6 , S. 426 f. 14

104

Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

entgegengesetzter Sinn verliehen" wirdIs oder wenn Rechtspositionen, die der Gesetzgeber im Interesse oder zur Verwirklichung verfassungsrechtlicher Grundentscheidungen gewährt hat, verkürzt werden l6 • Neben diesen aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung hat das Bundesverfassungsgericht in einigen Entscheidungen auch zur Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung im Bereich des grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG) Stellung genommen 17.

11. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen zur richterlichen Rechtsfortbildung Im Zivilrecht stammen die gesetzlichen Grundlagen zum großen Teil noch aus dem 19. Jahrhundert. Da sich seitdem die tatsächlichen Verhältnisse erheblich gewandelt haben, verwundert es nicht, daß der Bundesgerichtshof das Zivilrecht in einem erheblichen Ausmaß über die Grenzen des möglichen Wortsinns der Gesetze hinaus weiterentwickelt hat l8 • In dem Jahresbericht 1966 fUr den

l' BVerfGE 57, 330 [334]. Vgl. auch BVerfGE 35, 263 [280]; 54, 277 [299]. 16

Vgl. zu dieser Fallgruppe BVerfGE 49, 304 [320 f.]; 71, 354 [362 f.].

17

Vgl. etwa BVertDE 34, 293 [301]. Dazu ausftlhrlich unten § 7 III. 3. b) bb).

Vgl. zur richterlichen Rechtsfortbildung im Zivilrecht etwa BGHZ 2,331 [333 ff.]- rechtsähnliche Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift; 3, 34 [40 f.] - entsprechende Anwendung wegen Gleichheit der Interessenlage; 3, 156 [159] - Schließung einer GesetzeslUcke durch entsprechende Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift; 3,321 [337 f.]- rechtsähnliche Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift; 3, 308 [315 f.] zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung richterlicher Rechtsfortbildung; 4, 5 [7 f.] - rechtsähnliche Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift; 4, 153 [157 f.] zu einer "abändernden, aber zweckgetreuen Enschränkung einer Verbotsnorrn"; 5, 62 [65] - Gesetzesanalogie; 6, 248 [257 f.] - LUckenftlllung durch entsprechende Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift; 6, 296 [303 f.]- entsprechende Anwendung von Ausnahmevorschriften; 19, 185 [191] - Schließung einer GesetzeslUcke; 25, 369 [376 und 380 f.] - entsprechende Anwendung einer Gesetzesvorschrift; 35, 53 [59]- Voraussetzungen einer rechtsähnlichen Anwendung; 79, 163 [168]- analoge Anwendung von Ausnahmevorschriften; 95, 238 [244]- analoge Anwendung von Gesetzesvorschriften; 98, 235 [237 f.]- entsprechende Anwendung von Gesetzesvorschriften; 98, 382 [387 - zur Aufgabe der Rechtsprechung, das Recht fortzubilden; \05, 324 [340] - analoge Anwendung bei gesetzgeberischem Unterlassen; 108, 82 [88] - zur analogen Anwendung von Ausnahmevorschriften; 108, 305 [309] - zur analogen Anwendung von zivilrechtlichen Regelungen im öffentlichen Recht; BGH, JZ 1993, S. 950 [951 f.] mit Anm. Medicus - zur Anwendung des § 569a Abs. 2 BGB auf den Uberlebenden Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft; BGH, NJW 1992, S. 967 [968 f.], wonach es dem Richter untersagt ist, in ein geschlossenes gesetzgeberisches Konzept einzugreifen; BGH, ZIP 1993, S. 1614. Zur richterlichen Rechtsfortbildung im Konzernrecht vgl. etwa BGH, JZ 1992, S. 728 ff. (dazu Sonnenschein! Holdorf, JZ 1992, S. 715 ff.); BGH, NJW 1993, S. 1200 ff. (dazu Mutter, JuS 1993, S. 999 ff.); BVertD, NJW 1993, S. 2600. Zur richterlichen Rechtsfortbildung im Gesellschaftsrecht siehe etwa Ulmer, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 389 ff.; Stimpel, in: Richterliche Rechtsfortbildung l'

§ 2 Die Rechtsprechung zur richterlichen Rechtsfortbildung

105

Bundesgerichtshofheißt es: "Darüber ist jedenfalls unter Juristen kein Zweifel möglich, daß in allen übersehbaren Zeiträumen das verwirklichte Recht eine Mischung von Gesetzesrecht und Richterrecht gewesen ist und daß dasjenige Recht, das sich in den Erkenntnissen der Gerichte verwirklicht hat, sich niemals in allem mit demjenigen Recht gedeckt hat, das der Gesetzgeber gesetzt hatte.,,19 Schon zu Beginn seiner Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof anerkannt, daß "die Auslegung von Gesetzen - ... - nicht am Wortlaut haften darf, sondern daß sie unter Anwendung der Grundsätze des § 133 BGB den wirklichen Willen des Gesetzes sowie den Sinn und Zweck des Gesetzes zu erforschen hat (RGZ 89, 187; 96, 327; 117, 429; 139, 112). 'Höher als der Wortlaut des Gesetzes steht sein Zweck und Sinn. Diesen im Einzelfall der Rechtsanwendung nutzbar zu machen und danach unter Berücksichtigung von Treu und Glauben den Streitfall einer billigen und vernünftigen Lösung zuzuführen, ist Aufgabe des Richters' (RGZ 142, 40 [41]). Demgemäß ist die Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes auch gegenüber einem sprachlich unzweideutigem Wortlaut nicht ausgeschlossen; denn die Worte sind nur der möglicherweise unvollkommene Ausdruck der maßgebenden Gedanken."20 Eine richterliche Rechtsfortbildung (durch entsprechende Anwendung einer (Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe Heft 87/88), S. 15 ff.; Müht, in: Festschrift fUr Fischer, S. 509 ff.; Wank, ZGR 1988, S. 314 [339 ff.]. Zur richterlichen Rechtsfortbildung im Urheber-, Patent- und Geschmacksmusterrecht v. Gamm, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 323 ff.; Ti/mann, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 380 ff. Zur richterlichen Rechtsfortbildung im Wettbewerbsrecht Hefermeht, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 331 ff.; Pehte, in: Richterliche Rechtsfortbildung (Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe Heft 87/88), S. I ff. Zur richterlichen Rechtsfortbildung im Anlegerschutzrecht Assmann, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 299 ff. Wichtig auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum (gesetzlich weitgehend ungeregelten) Staatshaftungsrecht, das man auch als "gesetzesvertretendes Richterrecht" bezeichnen könnte (vgl. dazu etwa BGHZ 91, 20 [26 ff.]; 99,24 [29] Begründung des enteignungsgleichen Eingriffs unter Rückgriff auf einen allgemeinen Rechtsgedanken; BGH, DVBI. 1992, S. 1158 [1159]- analoge Anwendung des § 39 Abs. la OBG NW (mit zustimmender Anm. Götz); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht" S. 173 ff. und öfter; ders., DVBI. 1994, S. 977 ff. Einen kurzen Überblick über die ältere Rechtsprechung und Literatur gibt Hegelau, Analogieverbot und Steuerrecht, S. 46 ff. 19

NJW 1967, S. 816.

BGHZ 2, 176 [184 f.]. Vgl. auch RGZ 97, 43 [44] zur Anwendung allgemeiner Rechtsgedanken im Beamtenrecht; BGHZ 2, 176 [187]; 3,82 [84 und 89 f.]; 17,266 [275]; 17,266 [176]. Wegweisend auch BGHZ 3, 308 [315]: "Der Grundsatz der Unterwerfung des Richters unter das Gesetz hat nicht die Bedeutung einer Bindung des Richters an das Gesetz als eine nicht mehr fortbildungsbedürftige Norm. Die richtige, d. h. dem Rechte gemäße Anwendung des positiven Rechts gestattet dem Richter nicht nur, das Recht im Sinne seiner Weiterbil 20 dung durch Auslegung des gesetzten Rechts fortzubilden, sondern sie verpflichtet ihn sogar hierzu, wenn die Findung einer gerechten Entscheidung dies erfordert. Im Grundgesetz selbst, nämlich in Art. 20 Abs. 3, ist diese Aufgabe der Gerichte mit besonderer Klarheit zum Ausdruck gekommen, denn dort wird hervorgehoben, daß die Rechtsprechung an 'Gesetz und Recht' gebunden sei. Von einer Eingrenzung der richterlichen Befugnisse gegenüber dem gesetzten Recht durch das Grundgesetz kann also nicht die Rede sein." 20

106

Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

gesetzlichen Bestimmung) "ist zulässig, wenn das positive Recht eine ausfüllungsbedürftige Lücke aufweist. Eine derartige Lücke besteht dort, wo das Recht 'planwidrig unvollständig' ist."21 Die Ausfüllung einer derartigen Lücke erfolgt durch analoge (entsprechende) Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift, "wenn der zur Beurteilung stehende Sachverhalt mit dem vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat. Dazu genügt nicht, daß ... das gleiche Interesse vorliegt, das der Gesetzgeber in einer einen anderen Fall betreffenden Gesetzesvorschrift schützen wollte (Schutzzweck) .... Es muß vielmehr geprüft werden, ob der Gesetzgeber bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen, wie beim Erlaß der entsprechend anzuwendenden Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen wäre.,,22 Der Bundesgerichtshof hat auch zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung Stellung genommen. So hat er unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 20 Abs. 3 GG ausgefUhrt, "daß ein Gericht sich auch nicht durch Auslegung über einen eindeutigen Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen darf (vgl. z. B. BVerfGE 8, 28, 33 ff.; 9, 109, 118; 18, 97, 111; 19, 248, 253). Das Gericht darf insbesondere auch dann nicht vom Gesetz abweichen, wenn es meint, der Gesetzgeber habe rechtspolitische Gesichtspunkte nicht ausreichend erwogen oder berücksicktigt, oder wenn es Zweifel an der Richtigkeit der vom Gesetzgeber vorgenommenen Interessenabwägung

21 BOHZ 72, 23 [28] unter Hinweis auf BOHZ 65, 300 [302]; BAO, NJW 1969, S. 74 [75]; Larenz, Methodenlehre', S. 358; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 19 fr., 23. Vgl. auch BOHZ 11, [88']; 108, 268 [271]. - Eine richterliche Rechtsfortbildung kommt nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (BOHZ 17,266 [275 f.]) - trotz "einem sprachlich eindeutigen Wortlaut" - auch bei Lücken in Betracht, die erst infolge einer Veränderung der tatsächlichen Verhllltnisse entstehen: "Entgegen der Auffassung der Beklagten muß auch gegenüber einem sprachlich eindeutigen Wortlaut eine Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes Platz·greifen, wenn der zur Entscheidung stehende Interessenkonflikt bei Erlaß des Gesetzes noch nicht ins Auge gefaßt werden konnte, weil er erst durch die Veränderung der tatsächlichen Verhllltnisse nach diesem Zeitpunkt in Erscheinung getreten ist. Die Bindung des Richters an Gesetz und R e c h t (Art. 20 Abs. 3 GO) gestattet dem Richter nicht nur, das Recht im Sinne seiner Weiterentwicklung durch Auslegung des gesetzten Rechts fortzubilden, sondern verpflichtet ihn sogar dazu, wenn die Findung einer gerechten Entscheidung dies erfordert (BOHZ 3, 308 [313]) .... Sollen neue Tatbestandsgruppen, die bei Erlaß des Gesetzes noch nicht bekannt waren, dem Gesetz eingeordnet werden, so ist zu prUfen, ob eine Oesetzesbestimmung, die ihrem buchstäblichen Sinn nach diesen neuen Sachverhalt nicht erfaßt, auf ihn auch nach dem ihr zugrunde liegenden Rechtsgedanken angewendet werden kann. Auszugehen ist hierbei von dem Interessenausgleich, den sie herbeiftlhren wollte." Vgl. dazu auch BOHZ 18, 44 [49]; 33, I [16]. 22

BOHZ 105, 140 [143].

§ 2 Die Rechtsprechung zur richterlichen Rechtsfortbildung

107

hat.,,23 So ist eine richterliche Rechtsfortbildung ausgeschlossen, "wenn der Gesetzgeber die fragliche Rechtsmaterie lückenlos geregelt hat. Dies gilt insbesondere, wenn der Gesetzgeber die enge Fassung einer gesetzlichen Bestimmung, durch die nur einem eindeutig abgegrenzten Personenkreis bestimmte Rechte zugebilligt werden, absichtlich gewollt hat.,,24 Außerdem setzt eine richterliche Rechtsfortbildung voraus, "daß die Rechtsordnung, wie sie sich unter Einschluß des Rechtsprechungsrechts und allgemeiner Rechtsüberzeugungen darstellt, Wertentscheidungen, sei es auch in unvollkommener Form, rur eine Lösung in einem bestimmten Sinne ergibt.,,25

m. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen zur richterlichen Rechtsfortbildung

Gemäß Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Stratbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Diese Bestimmung normiert neben einem Rückwirkungsverbot, einem Verbot gewohnheitsrechtlicher StratbegrUndung oder -schärfung und einem Bestimmtheitsgebot auch ein Verbot strajbegründender oder strafschärfender Analogie2 6 • Die richterliche Rechtsfortbildung durch Analogie spielt deshalb in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen zum materiellen Straf2) BGHZ 46, 74 [85]. Vgl. zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung auch BGHZ 90, 145 [152 f.]; 102,350 [354 f.] ("Mit dem Grundsatz der richterlichen Rechts- und Gesetzesbindung ist eine den Rahmen der Analogie überschreitende Ausdehnung und Umgestaltung einer Vorschrift unvereinbar, die im Widerspruch zu dem Willen des Gesetzgebers und dem Regelungszweck einer Bestimmung steht."); 116,319 [325 tT.]; 116,233 [239 f.]. Zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im Bereich inhalts- und schrankenbestimmender Regelungen (Art. 14 Abs. I S. 2 GG) BGHZ 102, 350 [360).

24

BGHZ ll, [85'] LS. 1.

25

BGHZ 108,305 [309] unter Hinweis auf BVertGE 65,182 [190 f., 194 f.], 69, 315 [371 f.].

26 Vgl. etwa BVertGE 71 108 [114 f.]; wörtlich übernommen in BVertGE 73, 206 [234 ff.]). Vgl. weiterhin BVertGE 14, 174 [I85]; 25,269 [285]; 26,31 [42]; 29,183 [196]; 47,109 [120 f. und 124]; 64, 389 [393 ff.]; 71, 108 [114 ff.]; 73,206 [234 ff.]; 75, 329 [340 ff.] = NJW 1987, S. 3175; BVertGE 78, 374 [381 ff.]; 81, 298 [309]; 82,236 [269]; 87, 209 [223 f.]; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 115 ff.; dem., ZStW 101 (1989), S. 838 ff. m. w. N.; dem., Festschrift rur Blau, S. 123 [127 ff.]; Kirchhof, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 11 [22]; dem., Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 26 ff, 199 fund öfter; Grünwa/d, Festschrift rur Kaufmann, S. 433 [440 ff.]; EserlBurckhardt, Strafrecht 14 , S. 18 ff.; Seid/, ZGR 1988, S. 296 [300 f.]; Rüping, in: Bonner Kommentar, Art. 103 Abs. 2 Rn. I, 44 ff. und öfter; Hili, HStR VI, § 156 Rn. 58 ff. Vgl. dazu weiterhin Schick, Festschrift rur Walter, S. 625 ff.; Schmidhäuser, Gedächtnisschrift rur Martens, S. 232 ff.; Lackner, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 39 ff., vor allem S. 58 ff.; Küper, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 451 ff.; weitere Nachweise auf das deutsche Schrifttum bei Locher, Grenzen der Rechtsfindung, S. 40 Fn. 69. A. A. etwa Sax, Das strafrechtliche Analogieverbot, passim.

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Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

recht nur eine geringe Rolle. Von Interesse ist aber die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen zum Strafverfahrensrecht, das die öffentliche Gewalt zu Grundrechtseingriffen ermächtige. Auch im Strafverfahrensrecht ist die richterliche Rechtsfortbildung durch Analogie als zulässiges hermeneutisches Verfahren anerkannt2s. Da die Freiheit der Person aber gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG i. V. m. Art. 104 Abs. 1 GG nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes beschränkt werden darf, ist zwischen strafprozessualen Zwangsmaßnahmen mit Freiheitsentzug und sonstigen strafprozessualen Grundrechtseingriffen zu unterscheiden. Zwar hatte der Bundesgerichtshof in Strafsachen in einem Beschluß vom 7. 2. 1968 einen Haftbefehl auch dann rur rechtmäßig gehalten, wenn eine Lücke im Gesetz vorliegt, die durch eine analoge Anwendung des Gesetzes geschlossen werden kann 29 ; das Bundesverfassungsgericht hat diese Entscheidung aber mit der Begründung aufgehoben, eine analoge Anwendung des Gesetzes genüge nicht den Anforderungen des förmlichen Gesetzesvorbehalts des Art. 104 Abs. 1 GG: "Aus der Verschärfung des schon in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalts durch Art. 104 Abs. 1 GG, der noch unterstützt wird durch die formalen Garantien des Art. 104 Abs. 2 GG, ist zu entnehmen, daß es dem Grundgesetz im Bereich der Freiheitsentziehungen auf eine besonders rechtsstaatliche, förmliche Regelung ankommt. Der Gesetzgeber soll gezwungen werden, Freiheitsentziehungen in berechenbarer, meßbarer und kontrollierbarer Weise zu regeln. Ebenso wie aus diesem Grunde Gewohnheitsrecht als 'gesetzliche Grundlage' ausscheidet, gilt dies auch fUr die analoge Heranziehung von Normen. Denn diese sind nach der Intention des Gesetzgebers zur Zeit ihres Erlasses nicht auf die Fälle gerichtet gewesen, auf die sie durch Analogie angewendet werden sollen. Nur der Gesetzgeber aber soll nach Art. 2 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 1 GG darüber entscheiden, in welchen Fällen Freiheitsentziehungen zulässig sein sollen.,,30 Auch wenn es danach Entscheidungen gegeben hat, die dieses Analogieverbot rur strafprozessuale Zwangsmaßnahmen mit Freiheitsentzug nicht beachtet ha-

27

Vg!. zu den strafjlrozessualen Grundrechtseingriffen etwa Amelung, JZ 1987, S. 737 ff.; v.

Hippel/Weiß, JR 1992, S. 316 ff.

21 Vg!. dazu ausftlhrlich BOr, Der Zugriff auf Computerdaten im Strafverfahren, S. 69 ff. (zur Diskussion in der Literatur), S. 72 ff. (zur Rechtsprechung); weiterhin Welp, JR 1991, S. 265 [267]; Loos, in: AK-StPO, Ein!. III Rn. 2 f., 20 ff.; Kleinknecht/Meyer-Großner. StPO·t, Ein!. Rn. 198, 202.

2.

BGHSt 22, 58 [65 f.].

30

BVerfDE 29. 183 [195 f.].

§ 2 Die Rechtsprechung zur richterlichen Rechtsfortbildung

109

ben 31 , besteht weitgehend Einigkeit, daß in diesem Bereich die richterliche Rechtsfortbildung durch Analogie ausgeschlossen ist32 • Dagegen ist im Bereich der sonstigen strafprozessualen Grundrechtseingriffe, fUr die nur der allgemeine öffentlich-rechtliche Gesetzesvorbehalt gelten kann, die Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung durch Analogie nicht abschließend geklärt. Zwar hat sich der Bundesgerichtshof in Strafsachen in den letzten Jahren näher mit dem Gesetzesvorbehalt des öffentlichen Rechts befaßt, dabei aber - nach dem Urteil von V. KreJ3 - "keine klare Linie zur Frage des Analogieverbots tUr solche Eingriffe gefunden." So hat der Bundesgerichtshof in Strafsachen zur Zulässigkeit einer heimlichen Tonbandaufnahme ausgefUhrt: "Eine Ermächtigungsgrundlage fUr die heimliche Herstellung von Tonbandaufnahmen ergibt sich auch nicht aus einer analogen Anwendung der §§ lOOa ff. StPO. Diese Vorschriften betreffen die Befugnis, unter den dort genannten Voraussetzungen den Fernmeldeverkehr auf Tonträger aufzunehmen. Rechtsähnlichkeit zwischen solchen Eingriffen und denen der beanstandeten Art besteht zwar insofern, als es auch zum Wesen der in § IOOa StPO zugelassenen Telefonüberwachung gehört, daß sie zur Selbstbelastung des Beschuldigten fUhren kann, ohne daß dieser davon weiß. Jedoch sind die jeweils beeinträchtigten Rechtsgüter nicht identisch. Die §§ IOOa ff. StPO regeln die materiellen und formellen Voraussetzungen des durch Art. 10 Abs. 2 S. 1 GG zugelassenen Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis. Nur in diesen Grenzen lassen sie eine Einschränkung des Rechts am eigenen Wort zu. Das heimliche Abhören eines nichtöffentlichen Gesprächs außerhalb des Fernmeldeverkehrs greift dagegen in das sich aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG ergebende Recht am gesprochenen Wort ein. Die Entscheidung darüber, ob ein solcher Eingriff unter den in den §§ IOOa ff. StPO genannten oder ähnlichen oder anderen Voraussetzungen zulässig sein soll und ggf. welche organisatorischen und verfahrensrechtlichen Vorkehrungen zum Schutze dieses Rechtsgutes getroffen werden sollen, muß dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben, der den Umfang solcher Grundrechtsbeschränkungen fUr den Bürger klar erkennbar regeln muß. Dies erfordert der

JI

So etwa OLG Hamm, NJW 1974, S. 1667.

Vgl. Welp, JR 1991, S. 265 [267]; Krey, ZStW 101 (1989), S. 838 [855 f.]; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar zur StPO, Vorbemerkung vor § 94 Rn. 26 f. 32

II Krey, ZStW 101 (1989), S. 838 [857). Vgl. auch Btir, Der Zugriff auf Computerdaten im Strafverfahren, S. 84: Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird "eine allgemein geltende, methodisch begrUndete Auffassung ... nicht erkennbar." Zum Gesetzesvorbehalt im Strafprozeßrecht aus letzter Zeit vor allem Rogall, ZStW 103 (1991), S. 907 ff.; ders., Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozeßrecht, passim.

110

Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

allgemeine Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes.,,34 Bei diesen AusfUhrungen wird jedoch nicht hinreichend deutlich, ob der Bundesgerichtshof eine Analogie von vornherein wegen des strafprozessualen Gesetzesvorbehalts filr unzulässig hält oder im konkreten Fall nur das Vorliegen einer hinreichenden Ähnlichkeit verneint wird. Da die Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung durch Analogie auch im Schrifttum umstritten ise s, wird man annehmen können, daß sich der Bundesgerichtshof noch nicht abschließend festlegen wollte.

IV. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur richterlichen Rechtsfortbildung Im Arbeitsrecht hat das Bundesarbeitsgericht eine weitreichende Kompetenz zur richterlichen Rechtsfortbildung in Anspruch genommen und dabei nicht nur lückenfilllendes, sondern sogar gesetzesvertretendes Richterrecht geschaffen36 .

3. BGHSt 34, 39 [50 fl Vgl. auch BGHSt 33, 196 [205], wo der Bundesgerichtshof eine analoge Anwendung des § 23 Abs. 1 EGGVG rur zulässig gehalten hat; weiterhin BGHSt 31, 296 [297 f.], wo der Bundesgerichtshof die "Ausdehnung der Anwendbarkeit des § 100a StPO" auf die Aufzeichnung eines Gesprächs ablehnt, weil "diese Bestimmung einer erweiternden Auslegung unzugänglich wäre" (vgl. zu dieser Entscheidung Amelung, JR 1984, S. 256 f.; Gössel, JZ 1984, S. 361 ff.). Vgl. weiterhin BGHSt 5, 332 [333 f.]; BGH, VRS 39 S. 184 ff.; BGH, NJW 1972, S. 2140 [2141]; BGHSt 26,298 [303]; 30, 34 [35 f.]. Weitere umfangreiche Nachweise bei Bar, Der Zugriff auf Computerdaten im Strafprozeß, S. 72 ff. 35 Für zulässig halten die Analogie KleinknechtiMeyer-Großner, StPO·t, Einl. Rn. 198, 202; Henkel, Strafverfahrensrecht", S. 69; Rüping, Das Strafverfahren", S. 14; rur unzulässig hingegen Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 240 ff.;ders.,ZStW 101 (1989),S. S. 838[856 ff.];ders., Festschrift rur Blau, S. 147 ff.; ders., JA 1983, S. 233 [235]; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar zur StPO, Vorbemerkung vor § 94 Rn. 27; Welp, JR 1991, S. 265 [267]; Bar, Der Zugriff auf Computerdaten, S. 122 ff., insbesondere S. 164 ff.; Wolter, GA 1988, S. 49 [60]. Die Frage bleibt dahin gestellt bei Loss, in: AK-StPO, Einl. III Rn. 22. Differenzierend Bottke, Jura 1987, S. 356 [362 f.]: "Die analoge Anwendung einer einzelnen Befugnisnorm (im Wege der EinzeIanalogie) ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn es um die Vollstreckung eines auf Grund gesetzlicher Ermächtigung zulässig angeordneten 'Grundrechtseingriffs' bei gleichem Eingriffsgut und gleicher Eingriffstypik geht. Hingegen ist die 'Einzelnormanalogie' ein Verstoß gegen das Prinzip des allgemeinen Gesetzesvorbehalts und damit unzulässig, wenn sie Befugnisse rur den Eingriff in eine grundrechtlich verbürgte Rechtsposition erstmals schafft." Außderden ist der Bereich zulässiger Rechtsfortbildung durch Analogie dort überschritten, "wo eine Vielzahl von Befugnistatbestllnden im Wege einer exessiven Gesamt- oder Rechtsanalogie wortlautsprengend auf eindeutig nicht erfaßte, anders gelagerte Sachverhaltsgruppen angewandt werden." 36 Als Beispiele rur richterliche Rechtsfortbildungen seien nur genannt: Der Kündigungsschutz aus § 242 BGB vor Erlaß des Kündigungsschutzgesetzes; die Entwicklung der Prinzipien rur die betriebliche Altersversorgung, die der Gesetzgeber dann im Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung kodifIZiert und fortentwickelt hat; die Arbeitnehmerhaftung; das Arbeitskampfrecht. Vgl. zur richterlichen Rechtsfortbildung - aus dem kaum mehr zu übersehbaren Schrifttum - Kissel, OB 1987, S. 1485 [1488]; Canaris, Festschrift rur Dietz, S. 199 ff.; v.

§ 2 Die Rechtsprechung zur richterlichen Rechtsfortbildung

111

Diese ausgedehnte richterliche Rechtsfortbildung beruht nicht wie im übrigen Zivilrecht auf veralteten gesetzlichen Grundlagen, sondern insbesondere auf einer im Arbeitsrecht besonders ausgeprägten gesetzgeberischen Untätigkeit. Jedenfalls in dem Fall, daß "der Gesetzgeber nicht korrespondierende, in jeder Hinsicht zeitnahe und sachgerechte, umfassende Regelungen rur alle eintretende Konfliktsfälle triffi" , hat das Bundesarbeitsgericht eine Ermächtigung zur richterlichen Rechtsfortbildung angenommen, weil "bei gesetzgeberischer Untätigkeit (auf welchen Gründen sie auch immer beruhen mag) und bei gleichzeitigem Unterbleiben richterlicher Rechtsfortbildung .. sich leicht soziale und andere Ungerechtigkeiten auf Dauer einstellen (werden) mit Störungen des sozialen, ja des gesamten inneren Friedens - es entsteht leicht ein Freiraum für Faustrecht, für das Ausüben unkontrollierter und ungehinderter Macht, für das Setzen von unwiderruflichen Fakten, rur das vielzitierte 'Recht des Stärkeren'.'037 Aus diesen Gründen hat das Bundesarbeitsgericht auf der Ebene unterhalb der Verfassung - freilich teilweise unter Rückgriff diese - zahlreiche richterliche Rechtsfortbildungen vorgenommen. Ein weiterer Grund filr die ausgedehnte Kompetenz zur richterlichen Rechtsfortbildung ist die Verfassung selbst und speziell Art. 9 Abs. 3 GG, der die Gerichte zwingt, eine Frage, die in den Regelungsbereich dieses Grundrechts fällt, trotz fehlender gesetzlicher Normierung zu entscheiden38 • Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind "Lücken des Gesetzes (grundsätzlich) im Wege der ergänzenden Auslegung durch die Gerichte zu schließen."39 Voraussetzung einer richterlichen Rechtsfortbildung durch

Hoynigen-Huene, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 353 ff.; Scholz, DB 1971, S. 1771 ff.; Wank, RdA 1987, S. 129 ff.; Müller, JuS 1980, S. 627 ff.; Lerche, NJW 1987, S. 2465 ff. m. w. N. in Fn. 2; Picker, OB 1989, Beilage 16; Preis, RdA 1989, S. 327 ff. 31

Kissel, DB 1987, S. 1485 [1488).

Zu diesen GrUnden rur die erweiterte Kompetenz zur richterlichen Rechtsfortbildung paßt weitgehend die von P. Lerche vorgeschlagene Unterteilung der richterlichen Rechtsfortbildung auf dem Gebiet der Koalitionsfreiheit in 1. "Richterliche Verdeutlichung der Koalitionsfreiheit als Verfassungsnorm", 2. "Richterliche Fortbildung der - die Koalitionsfreiheit realisierenden - einfachrechtlichen Rechtsordnung" und 3. "Richterliche Erzeugung von Rechtsinstituten zur Effektuierung der Koalitionsfreiheit" (vgl. Lerche, NJW 1987, S. 2465 ff.). 38

39 BAGE 38, 166 [171). Vgl. auch BAGE 13, 1 [11 ff.]. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ist Richterrecht fallbezogen und "läßt sich daher kaum in einzelnen Urteilen entwickeln. Vielmehr bedarf es im Laufe einer fortschreitenden Rechtsprechung der ständigen Harmonisierung und Systematisierung" (BAGE 27, 59 [71]). Richterrecht ist nach Auffassung des Gerichts keine Rechtsquelle eigener Art; bei seiner Entwicklung geht es vielmer "nur um die Anwendung und Fortentwicklung gesetzlicher Normen" (BAGE 54, 96 [l01]). Vgl. auch BAGE 58, 138 [149]: "Auch rechts fortbildendes Richterrecht ist im wesentlichen Rechtsauslegung; die Gerichte bilden das Recht fort, indem sie es anwenden (Larenz, NJW 1965, S. 1). Auch die rechtsfortbildende Entscheidung bleibt also Richterspruch eines Einzelfalles und wird nicht zur Rechtsquelle rur kUnftige Entscheidungen."

112

Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

Lückenschließung ist, "daß sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben"40, daß also die "bisherige Anwendung und Auslegung auf später überholten Rechtsanschauungen beruht, mit den neuen Grundsätzen nicht vereinbar ist und zu nicht mehr zu rechtfertigenden Ergebnissen fUhrt, die deshalb im Interesse der Rechtseinheit und Rechtsgleichheit mit dem neueren Recht in Übereinstimmung zu bringen sind."41 Richterliche Rechtsfortbildung durch AusfUllung einer Regelungslücke "ist dann möglich, wenn in der vom staatlichen Gesetzgeber erlassenen Rechtsordnung Ansätze fUr eine solche Rechtsfortbildung gegeben sind."42 Zur Ermittlung solcher Ansätze hat das Bundesarbeitsgericht auch Verfassungsgrundsätze herangezogen. So hat es fUr die Bell{ltwortung der Frage, ob gekündigte Arbeitnehmer einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder - bei einer fristlosen Kündigung - über den Zugang hinaus bis zum Abschluß des Kündigungsprozesses habe, das in Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG normierte allgemeine Persönlichkeitsrecht herangezogen43 ; markantestes Beispiel fUr diese "richterliche Erzeugung von Rechtsinstituten zur Effektuierung von Verfassungsgrundsätzen,,44 ist die Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 13. 12. 1978 über die konkursrechtliche Einordnung der Abfindungsansprüche aus Sozialplänen in eine durch Richterrecht geschaffene Rangstelle vor Nr. 1 des § 61 Abs. 1 K04S . Das Bundesarbeitsgericht hatte gemeint, daß die Unterbringung derartiger Ansprüche "in den Auffangtatbestand des § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO als einfache Konkursforderung ... angesichts ihrer sozialen Bedeutung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) unvereinbar wäre und daß deshalb durch das neue Betriebsverfassungsrecht mit

40 BAGE 8, 194 [198]. Vgl. zu den nachträglich entstandenen offenen RegelungslUcken BAGE 22, 125 [133 ff.]; 24, 204 [192] .

.. BAGE I, 279 [280]. 42 BAGE 4, 176 [179 f.]. Vgl. auch BAGE 38, 166 [174] ("Da die LUcke des Gesetzes auf verschiedene Weise geschlossen werden könnte, eine Auswahl mit den Mitteln der Auslegung nicht hinreichend klar getroffen werden kann, muß der Gesetzgeber die fehlende Entscheidung nachholen. "); I, 179 [280] ("Vorbedingung ftlr eine solche abändernde Auslegung ist jedoch, daß objektive Grundlagen ftlr die Wandlung der Rechtsanschauung und des Rechts vorhanden sind, sei es eine von der früheren Anwendung abweichende allgemeine, insbesondere tarifliche Übung, seien es neuere Gesetze, Verwaltungsvorschriften und Verwaltungsmaßnahmen auf gleichen ober ähnlichen Rechtsgebieten, die die neuen Rechtsgedanken schon verwirklicht haben."). Speziell zur Ausftlllung von RegelungslUcken in Tarifverträgen BAGE 49, 21 [30]; 36, 218 [225]. 4)

BAG Großer Senat, BAGE 48, 122 [138 f.].

44 So könnte man die Fallgruppe in Anlehung an die Einteilung von Lerche, NJW 1987. S. 2465 [2470 ff.] bezeichnen.

45 BAGE 31, 179 ff. Zur Rechtslage nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die diese Rechtsprechung ftlr verfassungswidrig erklärt hatte, BAGE 45, 357 ff.

§ 2 Die Rechtsprechung zur richterlichen Rechtsfortbildung

113

seiner erstmaligen Begründung von Sozialplanabfindungen eine Lücke in der gesetzlichen Rangordnung der Konkursforderungen entstanden sei, die die Rechtsprechung zu schließen habe und die sachgerecht nur im Wege der Rechtsfortbildung durch Schaffung einer neuen, allen anderen vorangehenden Rangstelle fUr Sozialplanabfindungen geschlossen werden könnte."46 Diese Rechtsprechung verstieß aber nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts47 gegen Art. 20 Abs. 3 GG, da eine abschließende gesetzliche Regelung vorliege. Das Bundesarbeitsgericht könne - so hat das Bundesverfassungsgericht gemeint - aus dem Sozialstaatsprinzip keine Regelungslücke ableiten, weil "das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes infolge seiner Weite und Unbestimmtheit regelmäßig keine unmittelbaren Handlungsanweisungen enthält, die durch die Gerichte ohne gesetzliche Grundlage in einfaches Recht umgesetzt werden könnten."48 Das Bundesarbeitsgericht hat darüber hinaus auf einigen Rechtsgebieten beispielsweise im Arbeitskampfrecht und im Recht der betrieblichen Altersversorgung - "gesetzesvertretendes Richterrecht"49 geschaffen, ohne sich auf eine gesetzgeberische Entscheidung stützen zu können. Diese Entscheidungen des Gerichts lassen sich ohne weiteres mit denen des Gesetzgebers vergleichen; das Bundesarbeitsgericht ist jedenfalls auf dem Gebiet des Arbeitskampfrechts "an die Stelle des untätigen Gesetzgebers" getreten 50 • Dazu war das Gericht

46 47

So die Zusammenfassung der Gründe in BAGE 45, 357 [359]. BVerfGE 65, S. 182 ff.

48 BVerfGE 65, 182 [193]. Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Versorgungsanspruch eines Arbeitsnehmers gegen eine betriebliche Unterstutzungskasse wegen eines Verstoßes gegen das Verhllltnismäßigkeitsprinzip und das Prinzip des Vertrauensschutzes fUrverfassungswidrig erklärt (BVerfGE 65, S. 196 [215 ff.]). Wegen einer nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV erforderlichen, aber fehlenden gesetzlichen Grundlage hat das Bundesverfassungsgericht außerdem die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum gewerkschaftlichen Zutrittsrecht zu kirchlichen Einrichtungen fUr verfassungswidrig erklärt (BVerfGE 57, 220 [241 ff.]). 49 BAG Großer Senat, BAGE 23,292 [320]. Vgl. zum gesetzesvertretenden Richterrecht Schofz, DB 1971, S. 1771;/psen, Richterrecht und Verfassung, S. 80 ff. und öfter; Ossenbühf, Richterrecht im demokratischen Rechtsstaat, S. 9 f. KlarsteIlend BAGE 33,140 [159]: "Auch die Bezeichnung 'Richterrecht' darf nicht zu dem Trugschluß verfUhren, als könnten die Gerichte Normen setzen. Grundsatzentscheidungen bilden zwar eine RechtserkenntnisqueIle, begründen aber keine Normen. Soweit der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Beschluß vom 24. 4. 1971 von ,gesetzesvertretendem Richterrecht' gesprochen hat, ging es um eine andere Problematik. Das Gericht hatte die Frage zu klaren, ob die von ihm entwickelten Grundsätze rückwirkend angewendet werden dUrfen. In diesem Zusammenhang mußte der rechtsschöpferische Charakter der Grundsatzentscheidung aus rechtsstaatlichen Gründen beachtet werden. Das Bundesarbeitsgericht hat immer dann, wenn neue Rechtserkenntnisse fUr die Praxis nicht vorhersehbar waren, RUckwirkungsregeln entwickelt." '" Scholz, DB 1971, S. 1771 f. m w. N.

8 Borth

114

Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

nach seiner Auffassung befugt, weil "die Untätigkeit des Gesetzgebers '" so zu verstehen war, daß die Wahrung des Rechts den Gerichten überlassen sein sollte. Ohne die gebotenen rechtsfortbildenden Entscheidungen wären ungerechte Ergebnisse erzielt worden, die im Rahmen der Wertentscheidungen der Gesamtrechtsordnung nicht hingenommen werden konnten."51 Bei einer solchen Kompetenzausweitung erscheint es zur Wahrung des Regelungsprimats des parlamentarischen Gesetzgebers nötig, die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung genau zu beachten. Insbesondere muß bei dem Vorliegen neueren Gesetze "im Interesse der Rechtssicherheit davon ausgegangen werden, daß ihr klarer Wortlaut eindeutige Entscheidungen trifft. Der Richter kann daher die eindeutig getroffene Regelung nicht ausdehnen, weil nach seiner Ansicht der im Gesetz zum Ausdruck gekommene Rechtsgedanke eine allgemeine Anwendung erfordere.,,52 Eine richterliche Rechtsfortbildung ist außerdem unzulässig, wenn eine neue gesetzliche Regelung vorbereitet wird 53.

v. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur richterlichen Rechtsfortbildung

Auch im Sozialrecht ist die richterliche Rechtsfortbildung ein geläufiges Phänomen. Während aber die richterliche Rechtsfortbildung im bürgerlichen Recht, dessen Gesetze bald ein Jahrhundert unverändert geblieben sind, durch den Wandel der tatsächlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse begründet wird und die richterliche Rechtsfortbildung im Arbeitsrecht durch eine weitgehende Untätigkeit des parlamentarischen Gesetzgebers gerechtfertigt wird, ist die richterliche Rechtsfortbildung im Sozialrecht, das seit den ersten Sozialgesetzen im ausgehenden 19. Jahrhundert ebenfalls einem tiefgreifenden sozialem Wandel unterworfen war, gerade wegen der vielfältigen und häufigen Gesetzesanpassungen notwendig. Denn die Entwicklung des Sozialrechts "vollzog sich nicht nach einer von vornherein festliegenden Gesamtkonzeption, die ihren Niederschlag in einem geschlossenen Gesetzeswerk gefunden hätte (wie z. B. das BGB mit seiner vorbildlichen systematischen Geschlossenheit und begriff-

51 BAGE 38, 166 [174]. Vgl. auch BAGE 33, 140 [160]: "Damit soll die rechtsfortbildende Funktion der Rechtsprechung nicht bestritten werden. Sie liegt gerade im Arbeitskampfrecht offen zutage. Aber der Richter, der eine ungeregelte Frage entscheiden muß, ist nicht in dem Ausmaße wie der Gesetzgeber frei, sondern an die Wertentscheidungen der Rechtsordnung gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Er muß seine Erkenntnisse auf der Grundlage geltender Normen legitimieren."

'2 BAGE 1,279 [280]. 53 Vgl. BAGE 25, 398 [405 f.]; 27, 59 [70]; 62, 338 [345], wo in diesem Fall ein Verstoß gegen die in Art. 20 Abs. 2 GO enthaltene Trennung von Gesetzgebung und Rechtsprechung angenommen wird.

§ 2 Oie Rechtsprechung zur richterlichen Rechtsfortbildung

115

lichen Genauigkeit), sondern in rascher Entwicklung, etappen- und stufenweise, wobei die vorgenommenen Neuregelungen vielfach wenig abgewogen und nicht immer aufeinander abgestimmt waren."S4 Von der Zivil- und Arbeitsgerichtsbarkeit unterscheidet sich die Sozialgerichtsbarkeit zudem durch ihre Kontrollfunktion gegenüber der Verwaltung, die sie mit der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit gemeinsam hat. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind also nicht als erste staatliche Instanz mit den gesetzlichen Vorgaben zur Lösung der Lebenssachverhalte befaßt, sondern prüfen nach, ob die Erstadressaten der sozialgesetzlichen Vorgaben - die Behörden der Sozialverwaltung - diese Vorgaben beachtet haben. Das Bundessozialgericht hat seit dem Beginn seiner Rechtsprechung die Befugnis zur richterlichen Rechtsfortbildung in Anspruch genommen. Als Voraussetzung hat es aber stets gefordert, daß eine Lücke im Gesetz bestehtSs :

54 Wannegat, in: Rechtsfortbildung durch die sozialgerichtliche Rechtsprechung, S. 16 [20 f.]. Vgl. zur richterlichen Rechtsfortbildung im Sozialrecht auch Wannegat, in: Festschrift rur Hilger - Stumpf, 1983, S. 687 ff.; Mayer-Maly, JZ 1986, S. 557 ff.; Stober, OVBI. 1987, S. 269 [271]; Ecker, in: FG aus Anlaß des 100jllhrigen Bestehens der soziaigerichtIichen Rechtsprechung, S. 299 ff. Speziell zu den verfassungsrechtlichen Grenzen des Richterrechts im Sozialrecht Badura, in: Rechtsfortbildung durch die soziaigerichtIiche Rechtsprechung, S. 40 ff. - Bekanntes Beispiel rur die richterliche Rechtsfortbildung im Sozialrecht ist der soziairechtIiche Herstellunganspruch (vgl. dazu Ladage, Der soziairechtIiche Herstellungsanspruch, passim; Bieback, OVBI. 1983, S. 159 ff.; Ebsen, OVBI. 1987, S. 389 ff.; Wallerath, DÖV 1987, S. 505 ff.; Brugger, AöR 112 (1987), S. 389 ff.; Frohn, Jura 1989, S. 523 ff.).

ss Die Zahl der Flllle, in denen es um eine richterliche Rechtsfortbildung ging, ist kaum zu übersehen; vgl. etwa BSGE I, 134 [143]; 6, 19 [22]; 6, 204 [210 f.]; 9, 36 [37 f.]; 10,97, [100]; 10, 64 [67]; 10,244 [247]; 11, 234 [236]; 13,6 [8 f.]; 13,240 [242]; 14,238 [241 f., 243,245] mit der Differenzierung zwischen absichtlichem und unbewußtem Schweigen des Gesetzgebers; 16, 38 [42 f.] zu einer reduzierenden Interpretation; 17, 295 [298]; 18, 215 [218]; 20, 293; 20, 41 [43 ff.]; 20, 233 [236] zu einer einschränkenden Auslegung; 21, 95 [96 f.]; 21, 287 [291]; 21,68 [71]; 22, I [3 f.]; 22, 196 [198]; 22, 150 [153 ff.]; 22, 226 [227 f.]; 22, 13 [14 f.] zu einer erweiternden Auslegung; 22, 261 [262] zu einer entsprechenden Ergänzung; 23, 283 [287]; 23, 147 [150]; 23, 69 [72]; 23, 105 [115] zu einer erweiternden Auslegung; 24, 207 [211]; 24, 106 [111 f.]; 24,103 [ 104]; 25, 217 [218]; 25,6 [8]; 25,165 [167]; 25,142 [145]; 27, 96 [100]; 27,139 [140] zu einem Redaktionsversehen; 28, 92; 29, 173 [175] zur Ermittlung der gesetzesimmanenten Teleologie; 30, 135 [137] zur einschränkenden Auslegung; 31, 100 [101]; 31, 190 [195]; 31, 168 [169]; 31, 226 [232]; 31,134 [135]; 32,13 [15]; 32,136 [138]; 32, 21 [23 f.]; 33, 52 [54]; 34, 221 [223 f.]; 34,22 [25]; 35,60 [64]; 35, 220 [221]; 36,229 [230]; 37, 46 [48]; 37, 100 [103]; 37,93 [94]; 37, 216 [219]; 37, 55 [59] zur ergänzenden Auslegung; 38, 160 [165]; 38,149 [150]; 38, 242 [244]; 38, 160 [166]; 39, 63 [69 f.]; 39, 207 [210]; 39, 239 [240]; 39, 91 [93 f.]; 39, 98 [100]; 39, 130 [132]; 40, 117 [118 f.]; 40, 155 [157]; 40, 34 [36] zur einengenden Auslegung; 41, 166 [168]; 42,20 [23]; 42, 172 [176]; 42,28 [32 f.]; 42,244 [247 f.]; 43, 107 [110]; 43,128 [129]; 46, 108 [111 f.]; 47, 109 [111]; 48,61 [62]; 49, 232 [234]; 52, 6 [10]; 53, 273 [274]; 55, 224 [226]; 56, 287 [291]; 56, 20 [21 f.]; 58, 110 [114]; 57, 195 [196]; 58, 83 [85]; 59, 190 [192]; 59, 253 [257 f.]; 59, 216 [218]; 60, 39 [42 f.]; 60,176 [179 f.]; 60, 245 [247 f.]; 60, 239 [240]; 60, 287 [291]; 61, 146 [147]; 62, I [3]; 62, 43 [46]; 62, 246 [249]; 63, 282 [286]; 63, 120 [13l f.]; 63. 254

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Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

"Ausgangspunkt fUr Erörterungen über Rechtsfortbildung muß der das deutsche Rechtsleben beherrschende Grundsatz der Gewaltenteilung in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung sein (vgl. Art. 20 Abs. 2 GG). Der Gesetzgeber setzt das Recht, die Verwaltung wendet es an, das Gericht überprüft in strittigen Fällen die Anwendung. Unvereinbar mit diesem Grundsatz würde es sein, wenn sich der Richter an die Stelle des Gesetzgebers setzen und Aufgaben übernehmen wollte, die den gesetzgebenden Körperschaften vorbehalten sind. Dadurch wird der Richter allerdings nicht gehindert oder auch nur seiner Verpflichtung ledig, in dem zulässigen Rahmen des Recht fortzubilden, zumal nach Art. 20 Abs. 3 GG die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden ist und deshalb Wandlungen Rechnung tragen muß, die durch wesentliche VerIInderungen der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse eintreten. Rechtsschöpferisch kann der Richter dagegen nur tätig sein, sofern Lücken im Gesetz vorhanden sind und soweit der Gesetzgeber seiner Verpflichtung, Recht zu setzen, nicht nachgekommen ist, wie auf dem Gebiet der Gleichberechtigung der Geschlechter nach Art. 3 Abs. 2 GG."S6

Nach Auffassung des Gerichts liegt eine Lücke im Gesetz vor, "wo es , gemessen an seiner eigenen Absicht und Teleologie' - unvollständig und damit ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht; es muß sich dabei um eine dem Plan des Gesetzgebers widersprechende, also eine 'planwidrige Unvollständigkeit' handeln"s7. Bei der AusfUllung einer Regelungslücke "ist darauf abzustellen, welche Regelung der Gesetzgeber fUr den Fall getroffen haben würde, wenn er ein Bedürfnis hierfUr erkannt hätte."sB Wird hingegen durch Auslegung "eine bestimmte Vorschrift bereits eindeutig [257]; 63, 10 [12]; 63, 246 [250]; 63, 140 [142 f.] zu einer berichtigenden Auslegung wegen "systematischer Unvereinbarkeit der beiden Vorschriften"; 63, 99 [101]; 64, 153 [155]; 64, 225 [226]; 65, 8 [18]; 65,256 [257]; 65,181 [182]; 66,129 [131] zur Grenze zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung; 67, 143 [156]; 67, 138 [140] zur erweiternden Auslegung; 68, 139 [142]; 68, 171 [178]; 68, 24 [28]; 68, 1 [3]; 68, 283 [287]; 69, 91 [94]; 71, 135 [160 tf.]; 71, 285 [288). 56 BSGE,2, 164 [168]. Vgl. auch BSGE 25,55 [58]; 6, 204 [211], wonach zu den Aufgaben des Richters "auch, neben der Auslegung des anzuwendenden Rechts, die ergIInzende und - in bestimmten Grenzen - die berichtigende (abllndernde) Rechtsfindung (gehört), wobei die AusfUllung der - vorgefundenen oder durch sog. restriktive Interpretation 'geschaffenen' - Rechtslücke in der Regel im Wege der Analogie erfolgt."

" BSGE 25, 150 [151). Vgl. auch BSGE 63, 120 [131). - Das Bundesozialgericht hat sich auch öfter mit einer "abllndernden" oder "berichtigenden" Auslegung beschäftigt. Nach dieser Rechtsprechung ist eine abllndernde oder berichtigende Auslegung möglich, "wenn die bisherige Anwendung und Auslegung eines Gesetzes auf inzwischen überholten Rechtsanschauungen beruht, die mit neuen Rechtsgrundsätzen nicht vereinbar ist und zu nicht mehr zu rechtfertigenden Ergebnissen fUhrt" (BSGE 9, 165 [168] mit Hinweis auf BSGE I, 134 und 144; 2, 164 [168]; 6, 205 [211]; übereinstimmend BSGE 10,97 [101]; 11,278 [286]; 25,150 [151)). Vgl. auch BSGE 14,292 [294]; 18, 225 [227]; 25, 41 [43]; 14, 238 [239] ("Rechtsanwendung findet jedoch nicht ihre Grenze in der Subsumtion eines bestimmten Sachverhalts unter den Gesetzeswortlaut, vielmehr ist der Wortlaut auch an dem Sinnzusammenhang der Gesetzesvorschrift zu messen. Ergibt sich aus dem im Gesetz erkennbar gewordenen Sinn und Zweck einer Regelung, daß der Gedanke des Gesetzes einen zu engen oder zu weiten und deshalb unrichtigen Ausdruck gefunden hat, so ist eine berichtigende Auslegung geboten."); ähnlich BSGE 21, 279 [280]; 24, 251 [252 f.). 58

BSGE 31, 100 [101).

§ 2 Die Rechtsprechung zur richterlichen Rechtsfortbildung

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und läßt sie den Willen des Gesetzgebers klar erkennen, so ist fUr eine weitere ergänzende, ausdehnende oder abändernde Rechtsfindung kein Raum mehr."S9 Eine LückenfUllung ist dem Richter "nur gestattet, wenn es nicht im Plan des Gesetzgebers gelegen hat, Fälle wie den hier zu entscheidenden bewußt ... auszuschließen. Nur wo das Gesetz mit Absicht schweigt, weil es der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht zu finden, oder das Schweigen des Gesetzes auf einem Versehen oder darauf beruht, daß sich der nicht geregelte Tatbestand erst nach Erlaß des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hat, ist der Richter zur LückenausfUllung berufen.,,60 Eine richterliche Rechtsfortbildung ist nach Auffassung des Bundesozialgerichts außerdem ausgeschlossen, wenn das Gesetz "keinerlei Anhaltspunkte bietet und insoweit verschiedenartige gesetzliche Regelungen denkbar sind."61 Hält sich eine richterliche Rechtsfortbildung innerhalb dieser Grenzen, dann verletzt sie nach Auffassung des Bundessozialgerichts auch nicht das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes: "Die hier vorgenommene Analogie verletzt nicht den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GO). Das Rechtsstaatsprinzip garantiert Rechtssicherheit, die ihrerseits filr den Bürger vor allem Vertrauensschutz bedeutet (BVerfGE 18, 429, 439; 23, 12, 32). Soweit der Gesetzgeber - was nicht geschehen ist - rückwirkend die Anwendbarkeit des § 138 Abs. I Nr. 2 AFG auf eheähnliche Gemeinschaften vor dem I. I. 1986 bestimmt hätte, wäre dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden gewesen, da ausnahmsweise belastende Regelungen auch auf zurückliegende Sachverhalte erstreckt werden dürfen, wenn das Vertrauen der Betroffenen auf das Unterbleiben einer solchen Regelung, hier auf die Nichtanrechnung des Partnereinkommens, sachlich nicht gerechtfertigt wäre. Letzteres ist der Fall, wenn der Bürger nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückverlegt wird, mit dieser Regelung rechnen mußte (BVerfGE I, 264, 280; 2, 237, 264 f.; 8,274, 304). Diese Überlegungen gelten auch filr die analoge Anwendung einer Gesetzesvorschrift auf zurückliegende Sachverhalte. Hier mußte damit gerechnet werden, daß fortan bis zu einer gesetzlichen Neuregelung § 138 Abs. I Nr. 2 AFG auch aufeheähnliche Gemeinschaften angewendet würde, weil sich die gebotene gleiche Berücksichtigung der Einkünfte des Arbeitslosen, lebt er in einer Ehe oder in einem eheähnlichen Verhältnis, angesichts des im übrigen geltenden Gesetzesrechts nicht anders herbeifilhren läßt. Soweit der Betroffene darauf vertraut haben sollte, daß entgegen

59

BSGE 23, 275 [276].

BSGE 39, 143 [145 f.]; 60, 176 [178]. Vgl. auch BSGE 10,90 [101]; 25,64 [67] ("Die Befugnis der Gerichte, das Recht (durch Auslegung der geltenden Gesetze - auch unter Berücksichtigung eines etwaigen Wandels der Anschauungen - oder durch Ausfilllung von Gesetzeslücken) fortzubilden, schließt nicht das Recht ein, von der Anwendung einer bestimmten gesetzlichen Vorschrift im Hinblick auf eine 'gewandelte Rechtsauffassung' abzusehen und damit der in dieser Vorschrift klar und eindeutig zum Ausdruck gebrachten und mit der Gerechtigkeit nicht in einem 'unerträglichen Widerspruch' stehenden rechtspolitischen Entscheidung den Gehorsam zu versagen."); BSGE 63,120 [131] ("Eine Lücke bestünde nicht, wenn der Gesetzgeber bewußt und gewollt auf eine Gleichbehandlung von Ehen und eheähnlichen Gemeinschaften bei der Bedürftigkeitsprüfung verzichtet hat."). 60

61

BSGE 56, 201 [205, 206 f.]. Vgl. auch BSGE 63, 120 [131]; 68, 139 [142].

118

Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

den Ausftlhrungen des BVerfG von der gleichen BerUcksichtigung des Partnereinkommens abgesehen wird, wäre dieses Vertrauen nicht schutzwUrdig.'>62

VI. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur richterlichen Rechtsfortbildung Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besteht ft1r die Verwaltungsgerichte eine Kompetenz zur richterlichen Rechtsfortbildung durch Lückenftlllung. Diese Kompetenz besteht insbesondere bei einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse63 und mit fortschreitendem Zeitablauf bei gesetzgeberischer Untätigkeit64 • Allerdings sind die Voraussetzungen ft1r die Annahme einer Lücke im Gesetz - wohl wegen des GesetzmäßigkeitsprinzipS6S - strenger, so daß das Bundesverwaltungsgericht das Vorliegen einer Lücke oftmals verneint hat66 • Das Bundesverwaltungsgericht hat - soweit

62 BSGE 63, 120 [133]. 63 VgI:BVerwG, NJW 1993, S. 2256 [2257]. 61

Vgl. BVerwG, NVwZ 1989, S. 260 [261].

65 Vgl. Starck, Der Gesetzesbegriff, S. 256 f. 66 Das Vorliegen einer RegelungslUcke hat das Bundesverwaltungsgericht diskutiert, aber verneint u. a. in BVerwGE 8, 239 [240]; 8,245 [249 f.]; 40, 78 [81]; 45, 85 [88]; 54, 134 [136]; 56, 102 [106]; BVerwG, NVwZ 1982, S. 189 [190]; BVerwG, NJW 1982, S. 1827 f.; BVerwG, NJW 1982, S. 300 [301]; BVerwG, NJW 1982, S. 1893 [1894]; BVerwG, NJW 1982, S. 300 [301]; BVerwG, NVwZ 1983, S. 348 [349]; BVerwG, NJW 1983, S. 833 [834]; BVerwG, NVwZ 1984, S. 42 f.; BVerwG, NJW 1985, S. 2436 - keine analoge Anwendung der §§ 818 Abs. 3 und 4,819 Abs. I BGB auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch; BVerwG, NJW 1985, S. 1655 [1656 f.]; BVerwG, NJW 1986, S. 1122 [1124]; BVerwG, NJW 1986, S. 2128 [2129]; BVerwG, NJW 1986, S. 881; BVerwG, NVwZ 1987, S. 332 [333]; BVerwG, NJW 1987, S. 793 [794]; BVerwG, NJW 1987, S. 2247 [2248]; BVerwG, NJW 1987, S. 2179 [2180]; BVerwG, NVwZ 1987, S. 332 [333]; BVerwG, NVwZ 1987, S.970 [975]; BVerwG, NJW 1988, S. 1806; BVerwG, NVwZ 1988, S. 440 f.; BVerwG, NVwZ 1988, S. 733 [734]; BVerwG, NJW 1988, S. 258 [260]; BVerwG, NVwZ 1988, S. 1128 [1129]; BVerwG, NJW 1988, S. 3017 [3019]; BVerwG, NVwZ 1990, S. 264 [265]; BVerwG, NVwZ 1990, S. 162 [163]; BVerwG, NVwZ 1990, S. 1163 [1164]; BVerwG, NJW 1991, S. 2583; BVerwG, NVwZ-RR 1991, S. 249 [250]; BVerwG, NVwZ-RR 1991, S. 313; BVerwG, NJW 1992, S. 2908; BVerwG, NVwZ 1992, S. 370 [371]; BVerwG, NVwZ 1992, S. 264 ff.; BVerwG, NVwZ 1992, S. 495 [496]; BVerwG, NVwZ 1993, S. 898 [899]; BVerwG, NVwZ 1993, S. 1195; BVerwG, NVwZ-RR 1993, S. 557 [558]. Das Vorliegen einer ausftUlbaren RegelungslUcke hat das Bundesverwaltungsgericht bejaht in BVerwGE 11, 314 [318]; 12, 87 [94]; 12, 119 [122 f.]; 14,298 [300 f.]; 37, 252 [257]; BVerwG, NJW 1981, S. 2370; BVerwG, NJW 1981, S. 538 [537]; BVerwG, NJW 1982, S. 537 [538]; BVerwG, NJW 1983, S. 2328 [2329]; BVerwG, NJW 1984, S. 1134 [1135]; BVerwG, NJW 1985, S. 1655; BVerwG, NJW 1985, S. 642 f.; BVerwG, NJW 1986, S. 796; BVerwG, NVwZ 1990, S. 772; BVerwG, NJW 1986, S.207 [208]; BVerG, NVwZ 1988, S. 441; BVerwG, NJW 1988, S. 2230 [2531 und 2532]; BVerwG, NJW 1990, S. 2400 [2401 f.]; BVerwG, NJW 1990, S. 1192 [1193]; BVerwG, NVwZRR 1990, S. 251 [252]; BVerwG, NJW 1993, S. 3087 f.

§ 2 Die Rechtsprechung zur richterlichen Rechtsfortbildung

119

ersichtlich - erstmals im Urteil vom 3. 12. 1954 eine Norm auf einen Fall angewandt, "obgleich ihr Fall vom Wortlaut des ... Gesetzes ... nicht erfaßt wird", und hat damit das Vorliegen einer "echten Gesetzeslücke" bejaht, "die durch eine sinngemäße Anwendung zu schließen ist.,,67 Sofern ein "Schweigen des Bundesgesetzgebers ... nicht als bewußte Ablehnung" einer Regelung gedeutet werden müsse, "liegt keine 'rechtpolitische Lücke' vor, sondern eine echte Gesetzeslücke, die nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen im Wege der Gesetzesergänzung durch die Rechtsprechung geschlossen werden darf.,,68 Das Bundesverwaltungsgericht nimmt eine "vom Richter ausfUllbare - echte Lücke des Gesetzes" aber nur unter der strengen Voraussetzung an, daß "der Schluß gerechtfertigt ist, der Gesetzgeber würde einen Fall, wenn er an ihn gedacht hätte, in einem bestimmten Sinne, etwa entsprechend der Regelung eines sachverhaltlich oder rechtlich vergleichbaren Falles, geregelt haben."69 Eine "analoge Anwendung einer Rechtsvorschrift auf einen von ihr nicht geregelten Sachverhalt setzt voraus, daß der nicht geregelte und der durch die Vorschrift geregelte Sachverhalt in denjenigen Merkmalen im wesentlichen übereinstimmen, die fUr die der Vorschrift zugrundeliegende rechtliche Bewertung maßgebend sind."70 Eine richterliche Rechtsfortbildung "in der Weise, daß von den Besonderheiten des Einzelfalles abgesehen und nicht nur die

67 BVerwGE 2, 10 [11 ff.]. Ebenso hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 19. 10. 1956 (BVerwGE 4, 108 [110 f.] unter Hinweis auf BVerwGE 6, 108) eine "echte Gesetzeslücke" angenommen, "die im Wege der Rechtsfindung und der Fortentwicklung der Grundgedanken und des Zwecks des Gesetzes durch einen gerechten Ausgleich auszuftlllen ist." Zu den Voraussetzungen einer "Gesetzesauslegung gegen den klar erscheinenden Wortlaut" BVerwGE 40, 78 [81]. Danach ist eine solche "Auslegung" "dann gerechtfertigt, wenn der Zusammenhang der ihrem Wortlaut nach klaren Vorschrift mit anderen Vorschriften des Gesetzes ergibt, daß die Vorschrift nicht das aussagen will, was sie ihrem Wortlaut nach auszusagen scheint."

68

BVerwGE 11,222 [228].

BVerwGE 11, 263 [264]. Vgl. auch BVerwGE 8,239 [243]; 14,298 [300]; 37, 159 [161]; 45, 85 [90]; 57, 183 [186]; BVerwG, NVwZ 1987, S. 1083. Nur selten hat das Bundesverwaltungsgericht ein weiteres Verständnis des Lückenbegriffs zugrundege1egt; vgl. aber BVerwGE 75, 53 [56]: Eine ausftlllbare "sog. Gesetzeslücke im Sinne einer Regelungslücke" ist "nach der herrschenden Rechtsauffassung anzunehmen, wenn sich das Gesetz, gemessen an der sich aus dem Gesetz selbst ergebenden Regelungsabsicht des Gesetzgebers, als unvollständig erweist. Dabei wird vor allem im jeweiligen Schrifttum zwischen offenen (oder echten) und verdeckten (oder unechten) Gesetzeslücken unterschieden. Eine offene Lücke in diesem Ssinne liegt vor, wenn das Gesetz ftlr einen bestimmten Sachverhalt, der zu beurteilen ist, keine anwendbare Regelung enthält, obgleich es nach seiner Teleologie eine solche Regelung enthalten müßte. Demgegenüber wird von einer verdeckten Lücke gesprochen, wenn das Gesetz ftlr den zu beurteilenden Sachverhalt zwar eine an sich anwendbare Regelung enthält, diese Regelung jedoch nach der Teleologie des Gesetzes auf diese Sachverhalt nicht paßt, weil sie dessen Besonderheiten außer acht läßt (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl. 1979, ... , S. 362). Die Lücke besteht darin, daß eine die Anwendung des Gesetzes einschränkende Regelung fehlt." 69

70

BVerwGE 44, 294 [296 f.].

120

Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

bestehende Regelungslücke geschlossen, sondern unter Zugrundelegung aus dem Gesetz nicht ableitbarer, durch Erfahrungssätze nicht gestUtzter, 'gegriffener' Werte eine generelle abstrakte Regel mit Allgemeingültigkeitsanspruch aufgestellt wird", stellt nach Auffassung des Gerichts inhaltlich Normsetzung dar und ist mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz (Art. 20 Abs. 2 GG) sowie der Gesetzes- und Rechtsbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) unvereinbar71 . Zu den weiteren Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung hat sich das Bundesverwaltungsgericht in einer neueren Entscheidung noch einmal grundlegend geäußert: "Eine Veränderung der Verhältnisse kann ferner dazu ruhren, daß einem damit verbundenen Wandel des Inhalts einer Norm im Wege richterlicher Rechtsfortbildung Rechnung getragen wird. Jedoch darf der Richter wegen einer von ihm angenommenen Veränderung der Verhältnisse aus eigenen rechtspolitischen Erwägungen heraus nach der bisherigen Rechtslage bestehende Ansprüche im Wege richterlicher Rechtsfortbildung jedenfalls dann nicht verkürzen, wenn es der Gesetzgeber trotz eingetretener Veränderungen erkennbar bei dem bisherigen Rechtszustand hat belassen wollen oder wenn er sich eine Lösung der dadurch aufgeworfenen Fragen rur eine künftige Regelung vorbehalten hat.'>72

In einigen Urteilen hat das Bundesverwaltungsgericht aber die Befugnis der Gerichte zur Rechtsfortbildung über den Wortlaut hinaus mit der Begründung verneint, daß bestimmte Maßnahmen "nur nach der Maßgabe eines - verfassungsmäßigen - Gesetzes" ergriffen werden dürfen. So hat das Gericht im Urteil vom 14. 5. 1964 73 unter Bezugnahme auf einen "hergebrachten Grundsatz des Gesetzesvorbehalts" erklärt, "der hergebrachte Grundsatz der Gesetzesbindung der Beamtenbesoldung und -versorgung verwehre es ... den Gerichten, einem Beamten über das durch die maßgebenden Gesetze Gewährte hinaus im Einzelfall Gehalt oder Ruhegehalt - und sei es nur dem Grunde nach zuzuerkennen."74 Auch im Urteil vom 13. 12. 198475 hat das Bundesverwaltungsgericht das Vorliegen einer Regelungslücke unter Hinweis auf den Gewaltenteilungsgrundsatz und das Gebot der Rechtssicherheit verneint. Letzlieh hat das Gericht auch im Urteil vom 15. 1. 1987 76 das Vorliegen einer Regelungslücke verneint, weil nach einer gesetzlichen Regelung die Zahlungsfiihigkeit "kraft Gesetzes" gesichert sein muß. Diese Entscheidungen weisen darauf hin, daß die Zulässigkeit einer richterlichen Rechtsfortbildung im Bereich des grundgesetzlichen oder einfachgesetzlichen Gesetzvorbehalts nicht abschließend geklärt ist.

71 BVerwG, NJW 1991, S. 442 [443]. Vgl. zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung auch BVerwGE 59, 242 [247 f.].

n BVerwG, NJW 1993, S. 2256 [2257]. 7J

BVerwGE 18,293 ff. = DVBI. 1965, S. 324 mit kritischer Anmerkung von V/e.

74

BVerwGE 18, 293 [295 f.]. Kritisch U/e, DVBI. 1965, S. 325 [326].

7\

BVerwG, NJW 1983, S. 1655 [1656 f.].

7(.

BVerwG, NJW 1987, S. 3017 [3019].

§ 2 Die Rechtsprechung zur richterlichen Rechtsfortbildung

121

Diese Problematik wird zwar im Schrifttum erörtert, jedoch wird ihr keine besonders große Aufmerksamkeit geschenkt 77 • Nach der einen Auffassung im verwaltungsrechtlichen Schrifttum sind die Gerichte (und die Verwaltungsbehörden) befugt, Lücken im Gesetz durch richterliche Rechtsfortbildung insbesondere mit Hilfe der Analogie - zu schließen78 • So verbieten nach der Auffassung von M Sachs79 Lücken im Gesetz "auch im Vorbehaltsbereich nicht von vornherein jedes Handeln der Verwaltung." Eine Erstreckung des steuerrechtlichen Analogieverbots "auf die Eingriffsverwaltung schlechthin geht wohl doch zu weit; allerdings wird eine Analogie nur in seltenen, nach dem Zweck der parallelen Gesetze unabweisbaren Ausnahmefällen in Betracht kommen können." Auch in den Lehrbüchern zum Allgemeinen Verwaltungsrecht von N. Achterberg, H.-U ErichsenlW. Martens, E. Forsthoff, E. Giemulla/N. Jawursky/R. Müller-Uri, H. P. Bull, H. Maurer, M Wallerath und H. J. Wolff/o. Bachof finden sich keine über das bisher Gesagte hinausgehenden Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung 80 • Auch die Lehrbücher zum Polizeiund Ordnungsrecht enthalten unter den einschlägigen Stichwörtern keine Hin-

77

Vgl. dazu unter § 7 1.

Vgl. etwa Schlaun, in: Festschrift rur Schack, S. 275 ff.; Bachof, JZ 1951, S. 737, der einen Beschluß des VGH Bad.-Württ. "a1s einen bedenklichen Rückfall in einen an dem Buchstaben haftenden Gesetzespositivismus" bezeichnet; Jellinek, Verwaltungsrecht', S. 151 ff., der den Analogieschluß im Verwaltungsrecht sowohl zugunsten als auch zuungunsten des Bürgers rur statthaft hält; Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre2, S. 190 ff., der sich ebenfalls rur die Zulässigkeit der Analogie ausspricht; Gern, DÖV 1985, S. 558 ff.; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 109 ff., insbesondere S. 115 f.; Schmidt-Aßmann, Festschrift rur Menger, S. 107 [119], wonach die richterliche Rechtsfortbildung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit "so wenig wie andererorts eine besorgniserregende Besonderheit dar(stellt)"; Ossenbühl, DÖV 1980, S. 545 [551]; Ipsen, OVBI. 1984, S. 1102 f.; Hamann, Juristische Methodik' , S. 28 f. (zur richterlichen Rechtsfortbildung in der VwGO); Forsthoff, Verwaltungsrecht lO , S. 167; Sandrock, OB 1973, S. 265 f.; dens., Die Einheit der Wirtschaftsordnung, S. 27 bis 32,42, 54. Vgl. zum Zusammenhang zwischen Lückenrullung und "Billigkeit und Härteklauseln im öffentlichen Recht" Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, S. 32, 54,101,111 ff., 131 f., 141, 172,557,564 ff., 587. Skeptisch haben sich aber geäußert Blasius/Büchner, Verwaltungsrechtliche Methodenlehre 2, S. 168; Brohm, NJW 1984, S. 8 [11]. 18

19 In: StelkenslBonklSachs, Vwvro', § 44 Rn. 26. Ähnlich auch Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 114 ff. 80 Vgl. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht2, § 16 Rn. 49 ff.; Ossenbühl, in: Erichsenl Martens, Allgemeines Verwaltungsreche, § 7 Rn. 77 ff., der sich sogar rur die Einordnung des Richterrechts in die Rechtsquellentheorie ausspricht; Forsthoff, Lehrbuch der Verwaltungsrechts Bd. I w, S. 167 f.; Giemulla/Jawursky/Müller-Uri, Verwaltungsrecht4 , Rn. 42; Ballis, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 19; Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht" Rn. 426 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht", § 4 Rn. 29, der die Unzulässigkeit des "gesetzeskorrigierenden Richterrechts", aber auch die Zulässigkeit und Unverzichtbarkeit des "gesetzeskonkretisierenden und gesetzesergänzenden Richterrechts" heraushebt; Wallerath. Allgemeines Verwaltungsrecht', S. 57 f.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht S. 127 ff. Oftmals wird die Problematik auch gar nicht erwähnt (vgl. etwa Faber, Verwaltungsrecht'; Koch/Rubel, Allgemeines Verwaltungsrecht2).

,9,

122

Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

weise auf spezielle Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung in diesem Rechtsgebiet81 , obwohl sich in der Rechtsprechung durchaus Fälle (belastender) richterlicher Rechtsfortbildung nachweisen lassen82 • Die Gegenmeinung hält eine richterliche Rechtsfortbildung - insbesondere wenn sie sich zu Lasten des Bürgers auswirkt - rur unzulässig83 •

VII. Zusammenfassung Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Bundesgerichtshof, das Bundesarbeitsgericht, das Bundessozialgericht und das Bundesverwaltungsgericht haben die gesetzesimmanente richterliche Rechtsfortbildung als legitime Methoden richterlicher Rechtsanwendung anerkannt. Ein Verbot richterlicher Rechtsfortbildung ist in diesem Bereich nur rur strafprozessuale Zwangsmaßnahmen mit freiheitsentziehender Wirkung anerkannt, weil es dem Grundgesetz im Bereich der Freiheitsentziehungen auf eine besonders rechtsstaatliche, förmliche Regelung ankommt. Umstritten ist die Zulässigkeit der gesetzesimmanenten richterlichen Rechtsfortbildung im Bereich der sonstigen strafprozessualen Zwangsmaßnahmen und im Verwaltungsrecht, wenn und soweit eine Entscheidung nur nach Maßgabe eines Gesetzes ergehen darf. Fallgestaltungen der gesetzesübersteigenden richterlichen Rechtsfortbildung und gesetzesvertretendes Richterrecht lassen sich nur im Zivil- und Arbeits(kampt)recht nachweisen und werden dort als verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet. Eine richterliche Rechtsfortbildung contra legem ist nach Auffassung der Gerichte in allen Rechtsgebieten unzulässig, jedenfalls solange dem geltenden Recht seine Rechtsgeltung nicht wegen eines evidenten Verstoßes gegen den Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit abgesprochen werden muß.

81 Vgl. etwa DrewsIWackelVogellMartens, Gefahrenabwehr'; Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht'; Götz, Allgemeines Polizei- und OrdnungsrechtlI; Gusy, Polizeirecht. 82 Vgl. Schwabe, OVBI. 1982, S. 655 f. zu OVG NW, OVBI. 1982, S. 653. Allerdings enthalten die meisten Gesetze dieses Rechtsbereichs außer speziellen Eingriffsbefugnissen eine Generalklausei, so daß bei Nichtvorliegen der speziellen Eingriffsbefugnisse auf die Generalklausel zurückgegriffen werden kann und deshalb oft keine richterliche Rechtsfortbildung erfolgen muß. 83 Anschütz, VerwArch. 14 (1906), S. 315 [339 ff.]; Hamann/Lenz, GO, Art. 20 Anm. B 9 c; Stree, Deliktsfolgen und Grundgesetz, S. 80; Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 33; Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 171 ff.; ders., JZ 1980, S. 608 [609]; Steiner, JZ 1980, S. I [5]; Friauj, in: Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung, S.53 [63] unter Hinweis auf Anschütz, VerwArch. 14 (1906), S. 315 [339 f.]; Zuleeg, JuS 1985, S. 106 [109]; Krey, Festschrift ftlr Blau, S. 123 [147 ff.]; ders., ZStW 101 (1989), S. 838 ff; ders., Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 240 ff.; ders., JA 1983, S. 233 [235). Skeptisch auch Schwabe, OVBI. 1982, S. 655 f.; Hutter, Die GesetzeslUcke im Verwaltungsrecht, passim. Weitere Nachweise bei Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 41 FR. 22.

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

123

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungsoder Analogieverbot I. Die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs zur richterlichen Rechtsfortbildung im Steuerrecht 1918 entstand als erstes mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestattetes Steuergericht der ReichsjinanzhoJ 1. Schon ein kurzer Überblick über die Rechtsprechung des ReichsjinanzhoJs zeigt, daß dieser kein steuerrechtliches Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot angenommen hat 2 • Der ReichsjinanzhoJhat sich - soweit ersichtlich - erstmals im Urteil vom 26. 11. 19203 zu den Möglichkeiten und Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung durch AusfUllung von Lücken in Steuergesetzen geäußert. In dieser Entscheidung ging es um die Anwendung einer Vorschrift des damaligen Umsatzsteuergesetzes, die auf AusfUhrungsbestimmungen des Reichsrats verwies. Obwohl diese AusfUhrungsbestimmungen bei Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht erlassen worden waren, war diese Vorschrift nach Auffassung des ReichsjinanzhoJs nicht unanwendbar. Nach seiner Rechtsprechung enthielt das Gesetz vielmehr eine (durch richterliche Rechtsfortbildung) zu ergänzende Lücke4 • Über die Regeln, die bei Ergänzung des Gesetzes beachtet werden müssen, enthält das Urteil grundsätzliche AusfUhrungen: "Die Abgabenordnung gibt rur die Ergänzung von Lücken zwar keine Regel, aller im § 4 5 doch einen gewissen Anhalt. Bei Beratung dieses Paragraphen hat der Regierungsvertreter erklärt, es sei nicht die Rede davon, daß durch § 4 die Gedanken der Freirechtsschule, insoweit sie den Richter über das Gesetz stellten, verwirklicht werden sollten. Auch der Satz des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, daß der Richter bei Lücken im Gesetze nach der Regel entscheiden solle, die er als Gesetzgeber aufstellen würde, dürfe dem § 4 nicht entnommen werden. Diese Vorschrift solle den Richter nur mit allem Nachdruck die Pflicht auferlegen, die in dem Steuerrecht enthaltenen Rechtsgedanken voll zu entwickeln und dabei die Zwecke der Steuergesetze und ihre wirtschaftliche Tragweite sowie die jeweilige Gestaltung der Verhältnisse zu berücksichtigen. So solle erreicht werden, was einer unserer großen Juristen gefordert halle, daß das Urteil sei: 'Gerecht und Verstandig' - vgl. die wörtlich festgelegte Erklärung im Ausschußberichte (Drucksachen der Nationalversammlung Nr. 1460 S. 3). Hiernach ist bei der Auslegung wie bei

I

Vgl. Birk, Steuerrecht I, § 17 Rn. I m. w. N.

Vgl. dazu auch Tipke, Die Steuerrechtsordnung, S. 204 ff.; Hess, Analogieverbot und Steuerrecht, S. 64 ff. 2

3

RFHE 4, 48 ff.

• RFHE 4, 48 [52]. 5 Gemäß § 4 Reichsabgabenordnung 1919 waren bei "der Auslegung der Steuergesetze ... ihr Zweck, ihre wirtschaftliche Bedeutung und die Entwicklung der Verhältnisse zu berücksichtigen."

124

Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

der Ergänzung von Lücken jedes subjektive Ermessen ausgeschlossen. Die Regel zur Entscheidung des Einzelfalles ist dem leitenden Gedanken des geltenden Rechtes, wie es sich als einheitliches Ganzes entwickelt hat, zu entnehmen. Alle Interessen sind zu berücksichtigen, und ein möglichst gerechter und verständiger Ausgleich dieser Interessen ist zu erstreben."·

Im Gutachten des ReichsjinanzhoJs vom 7. 1. 1921 7 ging es um die "Einwirkung einer Änderung der rur die Berechnung der Erbschaft- und Schenkungsteuer bei Einzelzuwendungen maßgebenden Verhältnisse auf die Berechnung der Gesamtsteuer bei der Zusammenrechnung gemäß § 38 ErbschStG. 1919."8 Das Gericht sah auch in diesem Fall den möglichen Wortlaut der gesetzlichen Vorschriften nicht als unüberwindliche Schranke der "Aus1egung" an. Vielmehr soll bei der "Auslegung" der Gesetzeszweck soweit Berücksichtigung finden, "als er mit dem Wortlaut des Gesetzes vereinbar erscheint."9 Im einzelnen folgerte der ReichsjinanzhoJ aus "der durch § 4 AO. gebotenen Berücksichtigung des Zweckes bei Auslegung des § 38 ErbschStG.", daß "die durch die unterschiedslos gebotene Zusammenrechnung begründete Härte bei der Gesetzesauslegung soweit abzuschwächen sein (wird), als es mit dem Wortlaut der Gesetzes vereinbar scheint. Das Gesetz gibt keine Vorschrift, wie die ftlr die Bemessung der Steuer relevanten Verhältnisse (persönliche Vermögensverhältnisse, Zeitpunkte der einzelnen Zuwendungen) zu behandeln sind, wenn sie zu den verschiedenen Zeitpunkten der Entstehung der Steuerpflicht ftlr die bei der jeweils letzten Zuwendung zusammenzurechnenden Einzelzuwendungen verschieden waren. Hier liegt eine Lücke des Gesetzes vor, die nicht im Wege einer Auslegung des gesetzten Rechts, sondern im Wege freier Fortbildung des Rechts durch die Rechtsprechung auszuftlllen sein wird (vgl. Urteile des Reichsgerichts in Zivilsachen E. ... , sowie das zum Ausdruck in der amtlichen Sammlung bestimmte Urteil des Reichsfinanzhofs II A 326/20 vom 26. November 1920). Diese Feststellung ist deshalb von wesentlicher Bedeutung, weil danach nicht unter allen Umständen dasselbe Verfahren bezüglich der Behandlung der einzelnen Zweifelsfragen, die das Gesetz nicht durch Aufstellung der erforderlichen Sondervorschriften gelöst hat, geboten erscheint. Die leitenden Gesichtspunkte bei der erforderlichen Ergänzung des Gesetzes werden die sein müssen, daß einerseits durch das Gebot der Zusammenrechnung grundsätzlich eine SchlechtersteIlung des Steuerpflichtigen gegenüber dem Zustand herbeigeftlhrt werden sollte, der ohne die Zusammenrechnung eintreten würde. Denn es ist von der gesetzlichen Präsumtion auszugehen, daß das Vorliegen mehrerer Zuwendungen auf das Zerlegen einer als einheitlich gewollten Zuwendung aus Steuerersparungsabsicht schließen lasse, und der Zweck der Vorschrift, die Vereitelung dieser Absicht, ist in erster Linie zu verwirklichen. Andererseits darf aber die Anwendung der Vorschrift nicht weiter ausgedehnt werden, als ihr Zweck reicht."'o

• RFHE 4, 48 [52]. 7

RFHE 4, 243 fr.

a RFHE 4, 243 (Leitsatz 2). 9

10

RFHE 4, 43 [251]. RFHE 4, 243 [251 f.].

§ 3 Das steuerrechtIiche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

125

Im Gutachten vom 23. 6. 1921 11 , in dem es vor allem um die Auslegung des § 20 ErbschStG ging, nahm der ReichsjinanzhoJ zu den Grenzen der "durch analoge Anwendung ... auszufUllenden Lücke des Gesetzes" Stellung: "Ergibt sich somit, daß keine der in Betracht kommenden Vorschriften über die als Erwerb von Todes wegen zu behandelnden Falle unmittelbar Anwendung auf den vorliegenden Erwerb findet, so ist noch zu prüfen, ob hier eine durch analoge Anwendung des § 20 Abs. I Ziff. 2 oder Ziff. 5 auszuftlllende Lücke des Gesetzes vorliegt; auch das ist abzulehnen. Gerade der Umstand • ... , ergibt, daß der Gesetzgeber ftlr diesen Fall einen Erwerb von Todes wegen nicht fingieren wollte. Wenn nun auch die Rechtsprechung bei Anwendung der Steuergesetze nicht nur auf Auslegung des gesetzten Rechts beschränkt, sondern auch dazu berufen ist, vorhandene Lücken des Gesetzes im Wege freier Fortbildung des gesetzten Rechts auszuftlllen (vgl. Gutachten dieses Senats Bd. 4 S. 252 und die dort zitierten Entscheidungen des Reichsgerichts und des Reichsfinanzhofes), so findet diese ihre Aufgabe doch ihre Begrenzung darin, daß es sich eben um Ausftlllung von Lücken des Gesetzes handeln muß. Soweit in Frage steht, ob ein bestimmter Tatbestand eine Steuerpflicht auslösen soll, kann die Ausftlllung einer Lücke des Gesetzes nur dann in Frage kommen, wenn der Gesetzgeber die Steuerpflicht ftlr den Tatbestand selbst angeordnet, aber diesen sie bedingenden Tatbestand nicht völlig genau umschrieben hat. Nicht dagegen darf der Richter einen anderen Tatbestand, der nach seiner Ansicht möglicherweise den Gesetzgeber hätte veranlassen können, die gleiche Steuer auch auf diesen Fall zu erstrecken, der Steuerpflicht unterwerfen. Das wUrde auf eine materielle Abänderung des geltenden Rechts, nicht mehr auf bloße Ergänzung durch Ausftlllung einer Lücke hinauskommen, und solche Gesetzesänderung ist jedenfalls bezüglich der grundlegenden Frage, auf welche Tatbestände die Steuerpflicht erstreckt werden soll, dem Gesetzgeber allein vorbehalten."12

In seinem Urteil vom 23. 3. 1933 13 hat sich der ReichsjinanzhoJ mit der Möglichkeit einer "ausdehnenden Auslegung" über den Wortlaut des Gesetzes hinaus befaßt, aber eine analoge Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift mit der Begründung abgelehnt, daß dem Gesetz kein analogieflthiges Prinzip zu entnehmen sei. Obwohl sich nach Auffassung des Gerichts die Meinung vertreten lasse, daß im zu beurteilenden Fall wirtschaftlich betrachtet kein Unterschied zu den gesetzlich geregelten Fällen bestehe l4 , erschien es dem Gericht ,,- mangels eines zusammenfassenden und leitenden Gedankens - geboten, die gesetzliche Bestimmung auf rechtsähnliche oder wirtschaftlich verwandte Fälle nicht auszudehnen und lediglich den Wortlaut des Gesetzes der Auslegung zugrunde zu legen."ls Ferner hat der ReichsjinanzhoJin seinem Urteil vom 24. 10. 1940 16 eine richterliche Rechtsfortbildung unter Hinweis auf das natürliche Rechtsempfinden vorgenommen.

11

RFHE 6, 292 ff.

12 RFHE 6, 292 [298 f.]. Die Grundsätze werden von RFHE 14, 321 [328] wörtlich übernommen. 13

RFHE 33, 30 ff.

14 Vgl. RFHE 33, 30 [37]. IS

RFHE 33, 30 [33].

16 RFH, RStBl. 1940, S. 931.

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Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

11. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur richterlichen Rechtsfortbildung im Steuerrecht Auch im Steuerrecht der Gegenwart existiert ein generelles Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot nicht. Vielmehr haben sich das höchste deutsche Steuergericht, der Bundesjinanzhoj7, und die Finanzgerichte lB in einer Viel-

17 Vgl. u. a. BFH, Urt. v. 16. 11. 1950, 11 z 43/50 S, BStBl. 1951 III, S. 3; BFH, Urt. v. 20. 7. 1951, 11 32/51 U, BStBl. 1951 III, S. 166 [167]; BFH, Urt. v. 23. 10. 1951, I 81/51 U, BStBl. 1951 III, S. 224 [225]; BFH, Urt. v. 13.3. 1952, IV 39/51 U, BStBl. 1953 III, S. 120 [121]; BFH, Urt. v. 30.4. 1952, BFHE 56, 420 [421 f.]; BFH, Urt. v. 13. 6. 1952, 142/51 U, BStBl. 1953 III, S. 199; BFH, Urt. v. 16. 10. 1952, IV 376/51 S, BStBl. 1953 III, S. 298 [302]; BFH, Urt. v. 11. 12. 1952, IV 384/51 U, BStBl. 1953 III, S. 92 f.; BFH, Urt. v. 5. 2. 1953 und 16. 4. 1953, IV 206/52 U, BStBl. 1953 III, S. 166 [167]; BFH, Urt. v. 10. 2. 1953, I 113/52 U, BStBl. 1953 III, S. 102 [104]; BFH, Urt. v. 16.4. 1953, IV 119/52 S, BStBl. 1953 III, S. 192 [214]; BFH, Urt. v. 17.4. 1953,11 79/52 U, BStBl. 1953 III, S. 146 f.; BFH, Urt. v. 9. 6. 1953, I 34/53 S, BFHE 57, 654 [657, 658]; BFH, Urt. v. 17.6. 1953,11166/52 U, BStBl. 1953111, S. 231 [232]; BFH, Urt. v. 18.6. 1953 und 3. 12. 1953, IV 241/52 U, BStBl. 1953 III, S. 72 [73]; BFH, Urt. v. 5.9. 1953, 157/52 U, BStBl. 1953 III, S. 344 [346 f.]; BFH, Urt. v. 17.9. 1953, V 41/53 S, BFHE 58, 41 f.; BFH, Urt. v. 25. 9. 1953, 111 102/53 U, BFHE 58, 203 [205 f.]; BFH, Urt. v. 10. 12. 1953, IV 353/52 U, BStBl. 1954 III, S. 107 [107 und 109]; BFH, Urt. v. 25. 3. 1954, IV 99/53 U, BStBl. 1954 III, S. 241 [242]; BFH, Urt. v. 13. 5. 1954, IV 300/53 U, BStBl. 1954 111, S. 199 [200]; BFH, Urt. v. 15.7. 1954, IV 399/53 U, BStBl. 1954 III, S. 251 [252]; BFH, Urt. v. 28. 8. 1954, III 157/53 S, BStBl. 1954111, S. 333 [335]; BFH, Urt. v. 28. 8. 1954,111 181/53 U, BFHE 59, 309 [311]; BFH, Urt. v. 19. 10. 1954, I 174/53 U, BFHE 60, 127 [133 ff.]; BFH, Urt. v. 9. 12. 1955, III 200/55 S, BStBl. 1956 III, S. 115 [116]; BFH, Urt. v. 12. 10. 1956, III 246/55 S, BFHE 63, 440 [442]; BFH, Urt. v. 20. 2. 1957,11 15/55 U, BStBl. 1957 III, S. 152 [153 f.]; BFH, Urt. v. 7. 5. 1957, 1285/56 U, BStBl. 1957 III, S. 264 [265]; BFH, Urt. v. 6. 9. 1957, VI 125/56 U, BStBl. 1957 III, S. 387; BFH, Urt. v. 31. 10. 1957, VI 59/55 U, BStBl. 1958 III, S. 24; BFH, Urt. v. 31. 10. 1957, V z 72/55 U, BStBl. 1957 III, S. 454 f.; BFH, Urt. v. 12. 12. 1957, IV 10/57 U, BFHE 66,401 [404 f.]; BFH, Urt. v. 7.2. 1958, III 273/57 S, BStBl. 1958 III, S. 157 [158]; BFH, Urt. v. 14.2. 1958, VI 162/55 U, BStBl. 1958 III, S. 207 f.; BFH, Urt. v. 26. 2. 1958, 11 159/57 U, BStBl. 1958 III, S. 228 [229]; BFH, Urt. v. 18. 4. 1958, III 165/57 U, BStBl. 1958 III, S. 250 [251]; BFH, Urt. v. 12. 2. 1959, IV 73/58 U, BStBl. 1959 III, S. 161 [162]; BFH, Urt. v. 13. 5. 1959, VII 35/57 U, BFHE 69, 59 [64 f.]; BFH, Urt. v. 24. 6. 1959, 11 103/59, DStlJB, S. 409; BFH, Urt. v. 30. 9. 1959,11 229/57 U, BStBl. 1959 III, S. 470; BFH, Urt. v. 17.8. 1960,11 193/58 U, BStBl. 1960 III, S. 447 [449]; BFH, Urt. v. 30. 11. 1960, VII 55/59 U, BFHE 72, 412 [414 f.]; BFH, Urt. v. 17.3. 1961, VI 115/60 S, BStBl. 1961 111, S. 346 [347]; BFH, Urt. v. 7. 7. 1961, VI 51l,61 S, BStBl. 1961 111, S. 433 [434]; BFH, Urt. v. 8. 9. 1961, III 125/61 S, BStBl. 1962111, S. 19 [21 f.]; BFH, Urt. v. 27. 2.1962, I 208/60 S, BStBl. 1962 III, S. 244 [246]; BFH, Urt. v. 25. 5. 1962, I 155/59 U, BStBl. 1962 III, S. 351 [352], BFH, Urt. v. 16. 10. 1962, VII 38/62, HFR 1983, S. 272 [273]; BFH, Urt. v. 26. 6. 1963,11 196/61 U, BStBl. 1963 III, S. 402 [403]; BFH, Urt. v. 10. 10. 1963, V 244/60 U, BStBl. 1963 III, S. 588 [589]; BFH, Urt. v. 21. 2. 1964, IV 26/62 S, BStBl. 1964 III, S. 188 [189 f.]; BFH, Urt. v. 4. 3. 1964,11 41/60 U, BStBl. 1964 III, S. 246 [247]; BFH, Urt. v. 22. 4. 1964,11 47/62 U, BStBl. 1964 111, S. 368 [369]; BFH, Urt. v. 26. 6. 1964, VI 171/63 U, BStBl. 1964 III, S. 546 [547]; BFH, Urt. v. 19. 11. 1964, V 245/61 S, BStBl. 1965 III, S. 182 [184]; BFH, Urt. v. 11. 12. 1964,111 193/60 S, BFHE 81, 222 [224]; BFH, Urt. v. 28. 1. 1965, IV 179/64 U, BStBl. 1965 III, S. 261 f.; BFH, Urt. v. 9. 6. 1965, VI 240/64

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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U, BStBl. 1965111, S. 611; BFH, Urt. v. 8. 10. 1965, 111 67/63 U, BFHE 83, 560 [562 f.]; BFH, Urt. v. 8. 10. 1965,111 279/62 U, BFHE 83, 618 [628 f.]; BFH, Urt. v. 25. 11. 1965, IV 213/60 U, BFHE 84, 303 [306 f.]; BFH, Urt. v. 3.12. 1965,111 213/60 U, BFHE 84, 508 [516 f.]; BFH, Urt. v. 28. I. 1966, VI 296/63, BStBl. 1966111, S. 222; BFH, Urt. v. 11. 2. 1966, VI 222/65, BStBl. 1966111, S. 272 [273]; BFH, Urt. v. 18.2. 1966,11 89/64, BStBl. 1966111, S. 319 [320]; BFH, Urt. v. 21. 7. 1966, IV 289/65, BStBl. 1967111, S. 59 [61]; BFH, Urt. v. 21. 12. 1966,11 R 96/66, BStBl. 1967111, S. 345; BFH, Urt. v. 9. 5. 1967,11232/65, BStBI. 1967111, S. 507 [508]; BFH, Urt. v. 18. 5. 1967, IV 187/63, BFHE 89, 202 [204 f.]; BFH, Urt. v. 28. 11. 1967, 11 110/62, BStBl. 196811, S. 216 [217]; BFH, Urt. v. 30. I. 1968,1133/63, BFHE 91,511 [513 f.]; BFH, Urt. v. 28. 5. 1968, IV R 202/67, BStBl. 196811, S. 650 [651]; BFH, Urt. v. 10.7. 1968,1195/63, BStBl. 196811, S. 829 [830]; BFH, Urt. v. 10. 12. 1968, VII 157/65, BFHE 94, 315 [319]; BFH, Urt. v. 19. 12. 1968, V S 15/68, BFHE 94,562 [563]; BFH, Urt. v. 25. 2. 1969,11142/63, BStBl. 196911, S. 400 [403, 404]; BFH, Urt. v. 12.3. 1969, I 97/65, BStBl. 196911, S. 381 [383]; BFH, Urt. v. 20. 5. 1969,1125/61, BStBl. 196911, S. 550 [551]; BFH, Urt. v. 3. 7. 1969, IV 159/64, BStBl. 1970 11, S. 54 [55]; BFH, Urt. v. 21. 10. 1969, 11 210/65, BStBl. 196911, S. 736 [737]; BFH, Urt. v. 21. 10. 1969,11 141/65, BFHE 97,320 [326 f.]; BFH, Urt. v. 31. 10. 1969, BStBl. 197011, S. 54 [55]; BFH, Urt. v. 2. 12. 1969,11 120/64, BStBl. 197011, S. 119 [120]; BFH, Urt. v. 28. 4. 1970, 11 109/65, BStBl. 1970 11, S. 600 [601]; BFH, Urt. v. 21. 5. 1970, IV 344/64, BFHE 99,469 [474 und öfter]; BFH, Urt. v. 8. 12.1970,11 R 26/67, BStBl. 1971 11, S. 255 [256]; BFH, Urt. v. 21. I. 1971, IV 93/65, BFHE 101,204 [206 C.]; BFH, Urt. v. 4.2.1971, V R 86/70, BStBl. 197111, S. 430 [432]; BFH, Urt. v. 6. 5. 1971, V R 162/70, BStBl. 197111, S. 509 [510]; BFH, Urt. v. 16. 6. 1971, 11 86/64, BStBl. 1972 11, S. 35 [36]; BFH, Urt. v. 16. 6. 1971, 11 R 45/66, BStBl. 1972 11, S. 65 [66]; BFH, Urt. v. 13. 10. 1971, I R 96/69, BStBl. 1972 11, S. 97 [99 C.]; BFH, Urt. v. 2.11. 1971, VII B 161/69, BFHE 103,314 [315 C.]; BFH, Urt. v. 7.12. 1971, VII K 16/67, BFHE 104, 129 [132 C.]; BFH, Urt. v. 9. 2. 1972, I R 205/66, BStBl. 1972 11, S. 455 [457]; BFH, Urt. v. 26. 4. 1972, 11 R 20/68, BStBl. 1972 11, S. 866 [867]; BFH, Urt. v. 28. 4. 1972,11 R 119/70, BStBl. 1972 11, S. 711 [712]; BFH, Urt. v. 19. 5. 1972,111 R 138/68, BStBl. 1972 11, S. 703 [705]; BFH, Urt. v. 19. 7. 1972, I R 164/68, BStBl. 1972 11, S. 858 [859, 861]; BFH, Urt. v. 30. 8. 1972, VI R 144/69, BStBl. 197311, S. 159; BFH, Urt. v. 30. 8. 1972,11 R 79/82, BStBl. 197311, S. 30 [31]; BFH, Urt. v. 8.11. 1972, VI R 8171, BFHE 107,444[445]; BFH, Urt. v. 14. 11. 1972, VIII R 22/68, BStBl. 197311, S. 182 [183); BFH, Urt. v. 16. 11. 1972, IV R 9/72, BStBl. 197311, S. 102 [104]; BFH, Urt. v. 6. 12. 1972, I R 182/70, BFHE 108, 159 [162]; BFH, Urt. v. 25. I. 1973, IV R 152-153/70, BFHE 108,211 [213]; BFH, Urt. v. 14. 12. 1972, IV R 12/68, BStBl. 1972 11, S. 159 ff., wo der Bundesfinanzhof zwar von einer "vom Wortlaut getragenen Entscheidung", das Bundesverfassungsgericht hingegen zutreffend von einer sogar unzulässigen - richterlichen RechtsCortbildung ausgeht (vgl. BVerfGE 71, 354 [362 ff.]); BFH, Urt. v. 19.7. 1973, I B 27/73, BStBl. 1973 11, S. 782 [783 C.]; BFH, Urt. v. 24. I. 1974, IV R 76/70, BFHE 111, 329 [332 C., 335]; BFH, Urt. v. 3. 4. 1974, 11 R 79/66, BFHE 113,63 [66]; BFH, Urt. v. 10. 7. 1974, 11 R 152/66, BFHE 113,308 [310]; BFH, Urt. v. I. 8. 1974, IV R 120/70, BStBl. 197511, S. 12 [13 C.]; BFH, Urt. v. 7. 8. 1974,11 R 130/66, BStBl. 197411, S. 88 [89]; BFH Großer Senat, Beschl. v. 7. 10. 1974, GrS 1/73, BStBl. 197511, S. 168 (zur Grenze des möglichen Wortsinns); BFH, Urt. v. 26. 11. 1974, VII R45/72, BStBI. 197511, S. 460 [461]; BFH, Urt. v. 26. 2. 1975, I B 96/74, BStBl. 1975 11, S. 449 [451]; BFH, Urt. v. 19.6. 1975, VIII R 225/72, BFHE 117, 195 [196 C.]; BFH, Urt. v. 16. 12. 1975, VIII R 3/74, BStBl. 197611, S. 246 [248]; BFH, Urt. v. 28. I. 1976,11 R 98/74, BStBl. 197611, S. 390 [392]; BFH, Urt. v. 5. 3. 1976, VI R 184/74, BFHE 118, 499 [502]; BFH, Urt. v. 23. 3. 1976, VII R 106/73, BStBl. 197611, S. 459 [460]; BFH, Urt. v. 26. 3. 1976, VI R 98/74, BStBl. 197711, S. 24 [25]; BFH, Urt. v. 27. 7. 1976, VII R 68171, BStBl. 197611, S. 779 [781]; BFH, Urt. v. 26. I. 1977, VIII R 109175, BStBl. 1977 11, S. 283 [285]; BFH, Urt. v. 18.2. 1977, VI R 177175, BStBl. 1977 11, S. 524 [525];

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Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

BFH, Urt. v. 25. 5. 1977, IR 249/74, BStBl. 1977 11, S. 670 [671]; BFH, Urt. v. 4. I I. 1977, III R 145/74, BStBl. 197711, S. 353 [354 f.]; BFH, Urt. v. 21. 12. 1977, IR 20/76, BStBl. 197811, S. 346 [347]; BFH, Urt. v. 10. 3. 1978, VI R 111/76, BStBl. 1978 11, S. 459 [460 f.]; BFH, Urt. v. 12.4. 1978,11 R 67174, BStBl. 197811, S. 436 [437 f.]; BFH, Urt. v. 26. 4. 1978, I R 97176, BStBl. 197811, S. 628 [630]; BFH, Urt. v. 16. 11. 1978, V R 22/73, BStBl. 197911, S. 347 [348 f.]; BFH, Urt. v. 13. 3. 1979, III R 20/78, BStBl. 197911, S. 578 [579]; BFH, Urt. v. 5. 12. 1979, I R 184/76, BStBl. 198011, S. 119 [120]; BFH, Urt. v. 19. 12. 1979, I R 23/79, BStBl. 1980 11, S. 368; BFH, Urt. v. 23. I. 1980,11 R 20/84, BStBl. 198011, S. 221 [222 fT.]; BFH, Urt. v. 13. 2. 1980, IR 181/76, BStBl. 198011, S. 190; BFH, Urt. v. 13.2. 1980,11 R 18/75, BStBl. 198011, S. 364 [365]; BFH, Urt. v. 21. 2. 1980, I R 95/78, BStBl. 198011, S. 465 [469]; BFH, Urt. v. 1I. 6. 1980, I R 253/78, BStBl. 1980 11, S. 577 [579]; BFH, Urt. v. 16. 7. 1980, I R 175/75, BStBl. 198011, S. 677 [679 f.]; BFH, Urt. v. 9. 4. 1981, IR 157/77, BStBl. 198211, S. 362 [364]; BFH, Urt. v. 6.5. 1981,11 R 61/77, BStBl. 1981 11, S. 688 [689]; BFH, Urt. v. 7. 5. 1981, V R 126/75, BStBl. 198111, S. 547 [550]; BFH, Urt. v. 29.7. 1981,11 R 48/78, BStBl. 198111, S. 770 [772]; BFH, Urt. v. 14. 10. 1981,11 R 47178, BStBl. 198211, S. 169 [172]; BFH, Urt. v. 21. 10. 1981, 11 R 88/79, BFHE 134,452 [455]; BFH, Urt. v. 8. 12. 1981, VIII R 125/79, BStBl. 198211, S. 618 [619]; BFH, Urt. v. 18. 12. 1981, VI R 97/81, BFHE 135,73 [76 f.]; BFH, Urt. v. 30. 3. 1982, VI R 40/80, BStBl. 198211, S. 399 [400 f.]; BFH, Beschl. v. 28. 4. 1982, I R 89/77, BStBl. 198211, S. 556 [559]; BFH, Urt. v. 2. 11. 1982, VII R 61/80, BFHE 137, 107 [110 fT.]; BFH, Urt. v. 30. 1 I. 1982, VIII R 9/80, BStBl. 1983 11, S. 187 [188]; BFH, Urt. v. 8. 12. 1982, I R 9/79, BFHE 138, 184 [187]; BFH, Urt. v. 3. 2. 1983, IV R 153/80, BStBl. 198311, S. 324 [326 f.]; BFH, Urt. v. 22. 6. 1983,11 R 64/82, BStBl. 198311, S. 747 [748]; BFH, Urt. v. 28. 6. 1983, VIII R 37/81, BStBl. 198411, S. 2 [3]; BFH, Urt. v. 8. 7. 1983, VI R 80/81, BFHE 139, 158 [160 f.]; BFH, Beschl. v. 21. 7.1983, V R3/77, BStBl. 198311, S. 742 [743 f.]; BFH, Urt. v. 9. 8.1983, VIII R 55/82, BStBl. 198411, S. 86 [87]; BFH, Urt. v. 12. 10. 1983, I S 2/81, BStBl. 198311, S. 212; BFH, Urt. v. 12. 10. 1983, 11 R 18/82, BFHE 139, 307 [309]; BFH, Urt. v. 20. 10. 1983, IV R 175/79, BStBl. 198411, S. 221 [223 f.]; BFH Großer Senat, Beschl. v. 21. 1I. 1983, GrS 2/82, BStBl. 1984 11, S. 160 [163]; BFH, Urt. v. 23. 1I. 1983, 11 R 27/82, BStBl. 1984 11, S. 225 [226]; BFH, Urt. v. 24. 1 I. 1983, IV R 14/83, BStBl. 198411, S. 431 [432]; BFH, Urt. v. 14. 12. 1983, IR 301/81, BFHE 140,26 [30]; BFH, Urt. v. 15. 12. 1983, V R 169/75, BStBl. 198411, S. 388 [391 f.]; BFH, Urt. v. 15. 12. 1983, V R 131/75, BStBl. 198411, S. 393 [394]; BFH, Urt. v. 15. 12. 1983, V R 133/76, BStBl. 198411, S. 395 [397]; BFH, Urt. v. 15. 12. 1983, V R 169/75, BStBl. 198411, S. 398 [400]; BFH, Urt. v. 22. 12. 1983, V R 35/73, BStBl. 198411, S. 400 [402]; BFH, Urt. v. 22. 12. 1983, V R 173/75, BStBl. 198411, S. 404 [405]; BFH, Urt. v. 13. I. 1984, VI R 194/80, BStBI. 198411, S. 315 [316 f.]; BFH, Urt. v. 25. I. 1984, I R 32/79, BStBl. 1984 11, S. 383 [384]; BFH, Urt. v. 16.3. 1984, VI R 174/80, BStBl. 198411, S. 433 [434]; BFH, Urt. v. 20. 3. 1984, IX R 104/82, BStBl. 198411, S. 659 [660]; BFH, Urt. v. 10. 8. 1984, III R 98/83, BStBl. 198411, S. 805 [806]; BFH, Urt. v. 17. I. 1985, IV B 65/84, BStBl. 198511, S. 299 [301]; BFH, Urt. v. 23.10.1985, VII R 187/82, BFHE 145,13 [15 f.]; BFH, Urt. v. 19. 11. 1985, VIII R 4/83, BStBl. 198611, S. 289 [292 f.]; BFH, Urt. v. 27. 1I. 1985, I R 42/85, BStBl. 198611, S. 272 [273 f.]; BFH, Urt. v. 4. 2. 1986, VII B 87/89, BFHINV 1986, S. 380; BFH, Urt. v. 5. 3. 1986, 11 R 5/86, BStBl. 198611, S. 462 [463 f.]; BFH, Urt. v. 18. 3. 1986, 11 R 36/84, BFHINV 1987, S. 531; BFH, Urt. v. 30. 4. 1986,11 R 34/84, BFHINV 1987, S. 600; BFH, Urt. v. 16.6. 1986, IV R 151/84, BStBl. 198611, S. 741 [743]; BFH, Urt. v. 28.8.1986, V R20/79, BFHE 148, 194 [198]; BFH, Urt. v. 16.9. 1986, IX R 61/81, BStBl. 198711, S. 435 [436 f.]; BFH, Urt. v. 27. I. 1987, VII R 86/86, BFHE 148,564 [567]; BFH, Urt. v. 29. I. 1987, V R 53/76, BFHE 149,295 [303]; BFH, Urt. v. 21. 5. 1987, IV R 339/84, BStBl. 198711, S. 625 [626]; BFH, Urt. v. 16. 12. 1987, I R 350/83, BStBl. 198811, S. 600 [602]; BFH, Urt. v. 22. I. 1988, V B 95/86, BFHlNV 1988, S. 648; BFH, Urt. v. 27. I. 1988, I R 241/83, BStBl. 198811, S. 574 [575]; BFH, Urt. v. 26.

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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zahl von Entscheidungen mit der richterlichen Rechtsfortbildung auseinandergesetzt. Während aber die richterliche Rechtsfortbildung im bürgerlichen Recht, in dem die Gesetze bald ein Jahrhundert lang in ihren Grundzügen unverändert geblieben sind, insbesondere durch den Wandel der tatsächlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse begründet wird und die richterliche Rechtsfortbildung im Arbeitsrecht durch eine weitgehende Untätigkeit des parlamentarischen Gesetzgebers gerechtfertigt wird, ist die richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht - ähnlich wie im Sozialrecht - erstens wegen der vielfältigen und häufigen, oftmals aber nicht bis ins letzte Detail abgestimmten Gesetzesanpassungen unersetzlich. Hinzu kommt, daß die Grundstruktur wichtiger Steuergesetze, insbesondere die des - auf dem Einkommensteuergesetz 1934 basierenden - heutigen Einkommensteuergesetzes, in sehr alten Texten festgelegt ist. Deshalb kann es der "Einfallsreichtum" der Steuerpflichtigen und ihrer Berater, die immer neue Konstruktionen erfinden, um der Besteuerung zu entgehen, 4. 1989, BStBl. 198911, S. 599 (601); BFH, Urt. v. 6. 6. 1989, VII R 112/86, BFHlNV 1990, S. 402; BFH, Urt. v. 18.7. 1989, VII R 22/87, BFHlNV 1990, S. 336; BFH, Urt. v. 26. 7. 1989, IR 56/84, BStBl. 198911, S. 1027 [1028 f.); BFH, Urt. v. 9. 8. 1989, X R 30/86, BFHE 158, 45 (46); BFH, Urt. v. 24. 8. 1989, IV R 36/86, BFHE 158, 250 [252 f.); BFH, Urt. v. 8. 11. 1989, I R 20/86, BStBl. 199011, S. 396 (397); BFH, Urt. v. 12. I. 1990, VI R 29/86, BFHE 159, 341 (349); BFH, Urt. v. 24. I. 1990, BFHE 160,284 [289 f.); BFH, Urt. v. 6. 2. 1990, VII R 86/88, BStBl. 199011, S. 523 (526); BFH, Urt. v. 15.2. 1990, IV R 13/89, BFHE 160,229 (232); BFH, Urt. v. 7. 11. 1990, I R 68/86, BStBl. 1991 11, S. 177 [178 f.); BFH, Urt. v. 12. 12. 1990, IR 43/89, BFHE 163, 162 [164 f.); BFH, Urt. v. 19. 2. 1991, VII K 28/90, BB 1991, S. 969 (nur Leitsatz); BFH, Urt. v. 26. 2. 1991, VII K 30/90, BFHlNV 1991, S. 783: BFH, Urt. v. 11. 7.1991, IV R 52/90, BFHE 165,449 (452); BFH, Urt. v. 20. 8. 1991, VII R 86/90, BStBl. 1991 11, S. 869 (871); BFH, Urt. v. 16. 10. 1991, I R 145/90, BFHE 166, 145 (147); BFH, Urt. v. 13. 11. 1991, 11 R 15/89, BFHE 166,571 [573 f.); BFH, Urt. v. 19.2. 1992,11 R 35/89, BFHlNV 1992, S. 353; BFH, Urt. v. 24. 3. 1992, VII R 39/91, BFHE 168,300 [304); BFH, Urt. v. 28. 5. 1993, VIII B 11/92, BFHE 171, S. 300 [302 f.); BFH, Urt. 25. 5. 1992, VI R 85/90, BFHE 167, 542 [549) zur Typisierung; BFH, Urt. v. 6. 7. 1993, VII K 17/92, BFHlNV 1994, S. 426; BFH, Urt. v. 14.7. 1993, I R 33/93, BFHlNV 1994, S. 438 (439); BFH, Urt. v. 15. 12. 1993, X R 158/90, BFHlNV 1994, S. 476 [477); BFH, Urt. v. 11. I. 1994, VII R 53/93, BStBl. 199411, S. 358 (359); BFH, Urt. v. 26. I. 1994, X R 57/89, BStBl. 199411, S. 557 [559); BFH, Urt. v. 14.6. 1994, X R 51/91, DStR 1994, S. 1451 [1452]. 18 Aus der Rechtsprechung der Finanzgerichte vgl. etwa Hessisches FG, Urt. v. 29. 11. 1985, EFG 1986, S. 227; FG Berlin, Urt. v. 18.3. 1986, EFG 1987, S. 119 f.; FG Berlin, Urt. v. 15. 11. 1990, EFG 1991, S. 496 [497 ff.); FG Münster, Urt. v. 29. 1991, EFG 1991, S. 502; FG Nürnberg, Urt. v. 22. I. 1991, EFG 1991, S. 421 (422); FG Kiel, Urt. v. 27.11. 1990, EFG 1991, S. 431; FG Berlin, Urt. v. 16. I. 1989, EFG 1990, S. 15 [16); FG Bad.-Württ., Urt. v. 24. 2. 1988, S. 409 (410); FG Berlin, Urt. v. 21. 9.1987, EFG 1988, S. 310 [311 f.); FG Kassel. Urt. v. 29. 11. 1985, EFG 1986, S. 227 f.; FG Kiel, Urt. v. 6. 5. 1980, EFG 1980, S. 460 (461); FG Berlin, Urt. v. 15. 11. 1979, EFG 1980, S. 281 f.; FG Kiel, Urt. v. 5. 11. 1979, EFG 1980, S. 87 [88); FG Hamburg, Urt. v. 12. 6. 1979, EFG 1979, S. 607 (608); FG Kiel, Urt. v. 26. 3. 1976, EFG 1979, S. 616 [617); FG Karlsruhe, Urt. v. I. 2.1978, EFG 1978, S. 300 (301); FG Kassel, Urt. v. I. 12. 1976, EFG 1977, S. 185; FG München, Urt. v. 13.5. 1976, EFG 1976, S. 497 (498); Hessisches FG, Urt. v. 14.3. 1972, EFG 1972, S. 463.

9 Barth

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Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

sowie der sonstige Wandel der tatsächlichen Verhältnisse notwendig machen, dem gesetzgeberischen Grundkonzept, durch das die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sichergestellt werden soll, auch mit den Methoden der gesetzesimmanenten richterlichen Rechtsfortbildung zur Geltung zu verhelfen. Schon deshalb kann es im Steuerrecht nur in AusnahmeflilIen darum gehen, gesetzesvertretendes Richterrecht zu schaffen 19; es kann nur darum gehen, die reichhaltig vorhandenen gesetzlichen Vorgaben konsequent und unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben durch Gesetzeskonkretisierung und Gesetzesergänzung im Rahmen der gesetzesimmanenten richterlichen Rechtsfortbildung zu einem stimmigen teleologischen Konzept weiterzuentwickeln. Jedes andere richterliche Vorgehen - sei es die gesetzesübersteigende richterliche Rechtsfortbildung, sei es die Schaffung von gesetzesvertretendem oder gesetzeskorrigierendem Richterrecht - verstößt im Steuerrecht, das jedenfalls die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit der Steuerbürger beeinträchtigt2°, gegen die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte und ist verfassungsrechtlich ausgeschlossen 21 • Im grundsätzlich zulässigen Bereich der gesetzesimmanenten richterlichen Rechtsfortbildung lassen sich in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs verschiedene Fallgruppen nachweisen. 1. Fallgruppen richterlicher Rechtsfortbildung in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Der Bundesfinanzhofhat - ebenso wie die anderen obersten Bundesgerichte und ein großer Teil der Literatur - die 1960 in der ersten Auflage erschienene "Methodenlehre der Rechtswissenschaft" von K. Larenz in einem erheblichen Umfang rezipiert22 • Deshalb verwundert es nicht, daß auch nach der Recht-

I. Eine Uber das Gesetz hinausgehende gesetzesUbersteigende - richterliche Rechtsfortbildung hat der BundesfinanzhoJin seinem Urteil vom 9.3.1951 (BFH, BStBl. 1951 Ill, S. 122 ff.) unter Hinweis auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung vorgenommen und einen allgemeinen Rechtsgrundsatz angenommen, nach dem ftlr die Gewinnermittlung "die Bewertung der Reichsmarkzeit und der DM-Zeit unabhängig voneinander vorzunehmen ist, weil sich die Entwicklung der Preise auf zwei völlig verschiedenen Wertebenen abspielt" (so die Zusammenfassung bei BFH, Urt. v. 23.10.1953, BStBl. 1951 Ill, S. 224 [225]). Eine "schöpferische Rechtsfindung", die Ubereine entsprechende Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift hinausgeht, hat der BundesfinanzhoJ in seinem Urteil v. 27. I. 1987, BFHE 148, 564 [567 ff.] im Subventionsrecht zugunsten des Klägers vorgenommen. 2C1

Vgl. dazu unten § 7 11. I.

Vgl. nur Tipke, Die Steuerrechtsordnung, S. 204; Goulier, Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre, S. 456. Zu "geglUckten" und "fragwUrdigen" RechtsfortbildungenjUngst KnobbeKeuk, in: 75 Jahre Reichsfinanzhof - Bundesfinanzhof, S. 303 [309 ff., 318 fT.]. 21

22 Vgl. dazu nur Weber-Grellet, DStR 1991, S. 438 [439]; Woerner, FR 1992, S. 226 [229]; Weber-Grellet, StuW 1993, S. 196 [197].

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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sprechung des Bundesfinanzhofs die zulässige richterliche Rechtsfindung in zwei zu trennende Bereiche unterfällt, nämlich die Auslegung und die richterliche Rechtsfortbildung, und daß der mögliche Wortsinn als Grenze dieser Bereiche angesehen wird23 . Außerdem unterscheidet das Gericht die Methoden der AusfUllung von Regelungslücken durch Analogie und die anderen Fälle einer teleologisch begründeten Korrektur des Gesetzestextes, wozu die teleologische Reduktion sowie die einschränkende und ausdehnende Auslegung gehört. Diese Methoden können ohne weiteres den oben dargestellten allgemeinen Methoden richterlicher Rechtsfortbildung zugeordnet werden. Hinzu tritt die weitere Fallgruppe der "vom Wortlaut abweichenden Auslegung bei sinnwidrigem Ergebnis", die zwar nicht ohne weiteres den schon dargestellten Methoden richterlicher Rechtsfortbildung zuzuordnen ist, aber letztlich ebenfalls zur teleologisch begründeten Korrektur des Gesetzestextes zu zählen isf4 • a) LückenfUllung und entsprechende Anwendung gesetzlicher Vorschriften In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur AusfUllung (offener) Regelungslücken und zur entsprechenden Anwendung gesetzlicher Vorschriften (Analogie)2s läßt sich die Rezeption der Larenz'schen Methodenlehre deutlich

23 So etwaBFH, Urt. v. 11. 12. 1964, BFHE 81,222 [224 f.]; BFH, Urt. v. 11. 12. 1964, BStB\. 1965111, S. 82 [83]; BFH, Urt. v. 8. 10. 1965, BFHE 83, 618 [628]; BFH, Urt. v. 31. 10. 1969, BStB\. 1970 H, S. 54 [55]; BFH, Urt. v. 16.6. 1971, BStB\. 1971 H, S. 65 [66]; BFH, Urt. v. 24. I. 1974, BFHE 111, 329 [331]; BFHGroßer Senat, Besch\. v. 7.10.1974, BStB\. 197511, S. 168 [170]; BFH, Urt. v. 16. 12. 1975, BStB\. 197511, S. 246 [248]; BFH, Urt. v. 21. 12. 1977, BStB\. 197811, S. 346 [347]; BFH, Urt. v. 9. 4. 1981, BStBl. 198211, S. 362 [363]; BFH, Urt. v. 8. 12. 1981, BStB\. 1982, S. 618 [619]; BFH, Urt. v. 23.11. 1983, BStB\. 198411, S. 225 [226].

24 Die Typisierung, die sich auch als eine Methode richterlicher Rechtsfortbildung auffassen läßt, wird hier nicht behandelt. Vg\. dazu etwa BFH, Urt. v. 25. 5. 1992, BFHE 167, 542 [549]; ausftlhrlich und grundlegend Osterloh, Gesetzesbindung und Typisierungsspielräume, passim. 2S Vg\. zur LUckenftlllung und Analogie außer den im folgenden genannten Entscheidungen - BFH, Urt. v. 20.7. 1951, BStB\. 1951111, S. 166 [167], wo der BundesjinanzhoJeine analoge Anwendung ftlr möglich gehalten hat; BFH, Urt. v. 13. 5. 1954, BFHE 58, 752 [756]; BFH, Urt. v. 25. 11. 1965, BFHE 84, 303 [306 f.]; BFH, Urt. v. 12. 3. 1969, BStB\. 196911, S. 381 [383]; BFH, Urt. v. 3. 7. 1969, BStB\. 1970 11, S. 54 [55]; BFH, Urt. v. 21. I. 1971, BFHE 101, 204 [206 f.]; BFH, Urt. v. 6. 5. 1971, BStB\. 1971 11, S. 509 [510]; BFH, Urt. v. 16.6. 1971, BStB\. 1972 H, S. 65 [66]; BFH, Urt. v. 13. 10. 1971, BStB\. 1972 11, S. 97 [99]; BFH, Urt. v. 2. 11. 1971, BFHE 103,314 [315 f.]; BFH, Urt. v. 26. 4. 1972, BStBl. 1972 11, S. 866 [867]; BFH, Urt. v. 19. 7. 1973, BStB\. 197311, S. 782 [783 f.]; BFH, Urt. v. 26. 11. 1974, BStBl. 1975 H, S. 460 [461]; BFH, Urt. v. 5. 3. 1976, BFHE 118, 509 [512]; BFH, Urt. v. 27. 7. 1976, BStB\. 197611, S. 779 [781]; BFH, Urt. v. 23. I. 1983, BStB\. 1980 11, S. 221 [222 ff.]; BFH, Urt. v. 30. 11. 1982, BStB\. 198311, S. 187 [188]; BFH, Urt. v. 8. 7. 1983, BFHE 139, 158 [160 f.]; BFH, Urt. v. 22. 6.1983, BStB\. 198311, S. 747 [748 f.]; BFH, Besch\. v. 17. I. 1985, BStB\. 198511, S. 299 [300,301]; BFH, Urt. v. 26. 6. 1986, BStB\. 198611, S. 741 [743]; BFH, Besch\. v. 22. I. 1988, BFHlNV 1988, S. 648.

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Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

nachweisen. Vor dieser Rezeption, die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. 1. 196226 einsetzte27 und gegen Ende der sechziger Jahre auch im Bereich der richterlichen Rechtsfortbildung zum Ausdruck kam, hat der Bundesfinanzhof zwar stets das Vorliegen einer Lücke im Gesetz als Voraussetzung einer richterlichen Rechtsfortbildung verlangt, jedoch keine einheitliche Definition des Lückenbegriffs verwandt. So liegt nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 11. 12. 195228 eine Lücke im Gesetz vor, wenn das Ergebnis der wörtlichen Auslegung dem "Sinn- und Zweckgehalt" einer Gesetzesbestimmung widerspricht. Im Urteil vom 25. 9. 1953 hat der Bundesfinanzhof eine entsprechende Anwendung gesetzlicher Vorschriften für zulässig erachtet, wenn andernfalls "eine ungleichmäßige Bewertung des kriegsbeschädigten und kriegszerstörten Grundbesitzes" eintreten würde, weil dies "nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein kann."29 Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 10. 2. 1953 ist das "Fehlen einer ausdrücklichen Vorschrift ... als eine Lücke im Gesetz anzusehen, die im Wege der Auslegung nach Sinn und Zweck des gesamten Gesetzgebungswerkes auszurullen ist"30, wenn der Wille des Gesetzgebers nur unvollständig zum Ausdruck gelangt ise l • Steht die Regelung mit dem Sinn, dem Grundaufbau und dem Grundgedanken eines Regelungswerkes nicht im Einklang, steht einer entsprechenden Anwendung der "eindeutige Wortlaut der Vorschrift" nicht entgegen32 • Vielmehr haben die Steuergerichte eine Lücke im Gesetz "gemäß dem ihnen in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) erteilten verfassungsmäßigen Auftrag so auszuftlllen ... , wie nach dem Sinnzusammenhang des Gesetzes und seinem sonst erkennbaren Willen der Gesetzgeber wahrscheinlich die Frage geregelt hätte, wenn sie in seinen Gesichtskreis getreten wäre.'>33 Nach der Auffassung des Gerichts in

26

BVerfGE 13,318 [328).

27

Vgl. Woerner, FR 1992, S. 226 [227 f.].

2. BFH, Urt. v. 11. 12. 1952, BStSl. 1953 IlI, S. 92 f. 2.

BFH, Urt. v. 25. 9. 1953, BFHE 58, 203 [205 f.].

30

BFH, Urt. v. 10. 12. 1953, BStSl. 1953 IlI, S. 107.

BFH, Urt. v. 10. 12. 1953, BStSl. 1954 IlI, S. 107 [(09). In diese Richtung zielen auch die AusfUhrungen des Bundesfinanzhofs in seinem Urteil vom 24. 6. 1959: ,.Die AusfUllung einer Lücke im Gesetz aber ist der Rechtsprechung nur möglich, wenn das Gesetz den Tatbestand, den es regeln wollte, nicht völlig genau umschrieben hat" (BFH, DStZIB 1959, S. 409). 31

32 BFH, Urt. v. 13.5. 1954, BStSl. 1954 IlI, S. 199 [200). Vgl. auch BFH, Urt. v. 21. 7. 1966, BStSl. 1967 IlI, S. 59 [61]: Bei Vorliegen von Gesetzeslücken "ist es Aufgabe des Richters, den wirklichen Sinn des Gesetzes zu ermitteln und diesem gegenüber dem Wortlaut den Vorzug einzuräumen." 33 BFH, Urt. v. 17. 3. 1961, BStSl. 1961 III, S. 346 [347). Ähnlich BFH, Urt. v. 9. 6. 1965, BStSl. 1965 III, S. 611; BFH, Urt. v. 28. I. 1966, BStSl. 1966 IlI, S. 222; BFH, Urt. v. 21. 7. 1966, BStSl. 1967 IlI, S. 59 [61]; BFH, Urt. v. 5. 3. 1976, BFHE 118,499 [502]; BFH, Urt. v. 19. 7. 1973, BStSl. 197311, S. 782 [783 f.]; BFH, Urt. v. 13.2.1980, BStSl. 198011, S. 190 [191 f.]).

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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einer Entscheidung vom 28. 8. 1954 ist es deshalb Recht und Pflicht des obersten Steuergerichts, "offensichtliche Lücken in den gesetzlichen Vorschriften auszufüllen"34. Solche Lücken sind danach insbesondere dann anzunehmen, wenn der Gesetzgeber, sofern er "bei den Beratungen zum Entwurf des Grundsteuer-Änderungsgesetzes das Problem der grundsteuerrechtlichen Behandlung des Grundbesitzes der Sozialversicherungsträger geprüft hätte, diese in irgendeiner Form in die erweiterten Befreiungsvorschriften einbezogen hätte." Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, daß die Auswirkungen und Weiterungen, die sich aus der Einführung einer Regelung ergeben mußten, "nicht in vollem Umfang übersehen werden konnten", dann ist "bei der Formulierung der Befreiungsvorschriften im Grundsteuer-Änderungsgesetz eine offensichtliche Lücke entstanden.,,35 Eine richterliche Rechtsfortbildung kann auch durch die "Einheit des Rechts" geboten sein. Diese Fallgestaltung hat der Bundesfinanzhof im Bereich der Verjährungshemmung angenommen: "Der Senat steht auf dem Standpunkt, daß es unbeschadet der unbestreitbaren Verschiedenheit der einzelnen Rechtsgebiete - im Interesse der Rechtseinheit liegt, überall da, wo es geboten ist, einer einheitlichen Rechtsauffassung Geltung zu verschaffen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich Schwierigkeiten in der Rechtspflege abzeichnen, die sich aus den Vorschriften eines speziellen Rechtsgebiets nicht lösen lassen, weil die betreffende Materie dort überhaupt nicht erschöpfend geregelt ist. Ein solches Rechtsgebiet stellt die AO mit ihren Verjährungsvorschriften dar.,,36 In einem solchen Fall haben die Finanzgerichte zu prüfen, "ob nicht zur Beseitigung dieses unerwünschten Rechtszustandes, der auf einer Lücke in den Verjährungsvorschriften der AO beruht, auf eine entsprechende Bestimmung eines anderen Rechtsgebietes, die als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens zu werten sind, zurückgegriffen werden kann (vgl. Forsthoff,

Dabei ist zu unterstellen, daß der Gesetzgeber vor allem der Wertordnung des GG Rechnung getragen hätte (BFH, Urt. v. 11. 2. 1966, BStBI. 1966 III, S. 272 [273]). 34

BFH, Urt. v. 28. 8. 1954, BStBl. 1954 III, S. 333 [335].

BFH, Urt. v. 28. 8. 1954, BStBl. 1954 III, S. 333 [335]. Der BundesfinanzhoJhatte auch über ein Gesetz zu entscheiden, das eine "sinngemäße Anwendung" gesetzlicher Vorschriften auf andere Personengruppen vorschreibt (vgl. BFH, Urt. v. 19. 10. 1954, BFHE 60,127 [133]). Darin sah der BundesfinanzhoJ ebenfalls das Eingeständnis, daß das in Frage stehende Gesetz nicht in der Lage war, "sämtliche auftretende Tatbestände in ihren Einzelheiten zu regeln. Es stellte lediglich Grundsätze rur typische in großer Masse auftretende Vorgänge auf und überließ es der Rechtsprechung, diese Grundsätze im Wege der Analogie auf gleichartig gelagerte, nicht ausdrücklich geregelte Vorgänge zu übertragen" (BFH, Urt. v. 19. 10. 1954, BFHE 60, 127 [133]). 3S

36

BFH, Urt. v. 31. 10. 1957, BStBl. 1957 Ill, S. 454.

134

Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, Allg. Teil, 6. Aufl., S. 151)."37 Eine lückenftlllende Rechtsfortbildung kann auch durch die "Entwicklung der Verhältnisse" geboten sein38 • Außerdem hat der Bundesfinanzhof einen Analogieschluß auch öfters im Hinblick auf die "gleiche wirtschaftliche Lage" zweier Fälle vorgenommen 39 . Der Bundesfinanzhof hat diese Lücken aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift geschlossen4o ; eine Lücke hat die Rechtsprechung "im Geist und Willen des Gesetzgebers, wie er im Gesetz sonst erkennbar hervorgetreten ist", auszuftUlen41 • In einem Fall, in dem der gesetzgeberische Wille zu unvollkommen zum Ausdruck gelangt ist, ,,hat die Rechtsprechung die Lücke unter Berücksichtigung des Grundgedankens und des Zwecks der Verordnung auszufUllen (§ lAbs. 2 des Steueranpassungsgesetzes).''''2 Ein Analogieschluß könne aber nicht schon damit gerechtfertigt werden, daß eine gleichartige Regelung "sinnvoll und zweckmäßig" sei. Bei Vorliegen eines klaren Wortlauts bedürfe es vielmehr des Nachweises, daß die wortgetreue Auslegung der Regelung "zu einem der wirtschaftlichen Vernunft widersprechenden Ergebnis fUhren würde.''''3 Der Bundesfinanzhof hat - im Anschluß an ein Urteil des Reichsfinanzhofs - auch einmal erörtert, ob ein Verstoß einer gesetzlichen Regelung gegen das ,,natürliche Rechtsempfinden" oder gegen "Recht und

37 BFH, Urt. v. 31. 10. 1957, BStS\. III 1957, S. 454 f. Ähnliche Argumentation bei BFH, Urt. v. 12.2. 1959, BStS\. 1959, S. 161 [162]. Zur analogen Anwendung des BUrgerlichen Rechts auf das Steuerrecht auch BFH, Urt. v. 7. 12. 1971, BFHE 104, 129 [132 f.] 38 Vg\. BFH, Urt. v. 26. 2. 1958, BStS\. 1958 III, S. 228 [229], wo aber im konkreten Fall das Bestehen einer GesetzeslUcke verneint wurde; BFH, Urt. v. 13. 10. 1971, BStSl. 1972 11, S. 97 [99]. 39 Vg\. auch BFH, Urt. v. 26. 3. 1976, BFHE 118,509 [512]. Ähnlich auch BFH, Urt. v. 23. 1. 1980, BStS\. 198011, S. 221 [22211'.], wo die Vergleichbarkeit der Fälle geprUft wird; BFH, Urt. v. 5. 3. 1986, BStS\. 198611, S. 462 [463], wo als Voraussetzung rur eine analoge Anwendung verlangt wird, daß "der geregelte und der zu entscheidende Sachverhalt im wesentlichen gleiche Strukturrnerkmale aufweisen"; BFH, urt. v. 30.4. 1986, BFHINV 1987, S. 600, wo der Bundesfinanzhof sich ausdrUcklich auf den Gleichheitsgrundsatz zur Feststellung einer Regelungslucke bezieht. Voraussetzung einer Analogie sind nach BFH, Urt. v. 16. 10. 1962, HFR 1963, S. 272 [273] "wirklich gleichgelagertc Fälle"; BFH, Urt. v. 4. 3. 1964, BStS\. 1964 III, S. 246 [247] begrUndet eine analoge Anwendung damit, daß "nur diese eine Lösung zur Wahrung der Gleichheit (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GO -) möglich" sei. Vg\. auch BFH, Urt. v. 28. 1. 1966, BStS\. 1966 III, S. 222. 40

BFH, Urt. v. 11. 12. 1952, BStS\. 1953 III, S. 92 f.

4\

BFH, Urt. v. 26. 6. 1964, BStS\. 1964 III, S. 546 [547].

42 43

BFH, Urt. v. 10. 12. 1953, BStS\. 1954 III, S.l99 [200]. BFH, Urt. v. 25. 5. 1962, BStSl. 1962 III, S. 351 [352].

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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Billigkeit" eine analoge Rechtsanwendung rechtfertigen kann, dies aber zu Recht verneint44 . Soweit ersichtlich hat der Bundesfinanzhof den von K. Larenz und c.-W Canaris geprägten Begriff der "planwidrigen Unvollständigkeit" als Definition für eine Lücke im Gesetz erstmals in einer Entscheidung vom 21. 10. 1969 übernommen. Danach setzt die entsprechende Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift eine "dem Plan des Gesetzgebers zuwiderlaufende, also 'planwidrige' Unvollständigkeit (hierzu Engisch, Einführung in das juristische Denken, 3. Aufl., S. 137 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl., S. 357)" voraus. "Das Gericht hat nicht darüber zu befinden, ob die von der Klägerin begehrte Ausnahme von der Besteuerung rechtspolitisch erwünscht ist und mit guten Gründen zu rechtfertigen wäre. In einem solchen Falle wäre die gesetzliche Regelung nicht lückenhaft, allenfalls verbesserungsbedürftig (Larenz, a. a. 0., S. 353)."45 Ausführlich hat sich das Gericht dann in den Entscheidungen vom 19. 7. 1972 und 24. 1. 1974 zum Begriff der Lücke geäußert und diese Ausführungen seither vielfach seinen Entscheidungen zugrunde gelegt46:

.. BFH, Urt. v. 16. 10. 1962, HFR 1963, S. 272 [273). - Nach Ansicht des Gerichts stand der analogen Anwendung der gesetzlichen Vorschrift auch nicht ihr Charakter als Ausnahmevorschrift (sog. singulare Rechtssätze) entgegen: "Singulare Rechtssätze eignen sich nicht zu allgemeiner analoger Anwendung, weil sie die durchbrochene höhere allgemeine Rechtsnorm nicht aufheben, vielmehr lediglich rur den besonders gearteten Fall durchbrechen wollen." Wenn jedoch der konkreten Ausnahmevorschrift ein "engeres Prinzip" zugrundeliege, dann sei die Analogie innerhalb dieses engeren Prinzips zulässig und geboten (BFH, Urt. v. 8. 9. 1961, BStB\. 111 1962, S. 19 [20 fl Ebenso BFH, Urt. v. 24. I. 1974, BFHE 111, 329 [334 f.] unter Hinweis auf c.-w. Canaris: "Gegen die hiernach gebotene Analogie läßt sich nicht, wie die Revision des FA will, einwenden, § 24 Nr. I Buchst. c EStG sei eine Ausnahmevorschrift und als solche ihrem Wesen nach einer Analogie nicht zugänglich. In der rechtswissenschaftJichen Methodenlehre ist heute allgemein anerkannt, daß auch eine Ausnahmevorschrift insoweit analog angewendet werden kann, 'als das ihr zugrunde liegende - engere - Prinzip seinem Sinn nach Anwendung auf einen nicht ausdrücklich geregelten finden kann; verboten ist dabei nur, dieses Prinzip zu einem allgemeinen zu erheben und so die Ausnahme zur Regel zur verkehren, nicht aber, einem Sondertatbestand einen zweiten rechtsähnlichen Sondertatbestand gleichzustellen." Vg\. auch BFH, Urt. v. 10. 7. 1974, BFHE 113,308 [310). 45

BFH, Urt. v. 21. 10. 1969, BFHE 97,320 [326 fl

Vg\. auch BFH, Urt. v. 10.7. 1974, BFHE 113, 308 [310], wo der Bgriff "planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts" vom Zweiten Senat übernommen wird. Ebenso BFH, Urt. v. 26. 2. 1975, BStB\. 1975 11, S. 449 [451]; BFH, Urt. v. 28. I. 1976, BStB\. 1976 11, S. 390 [392]; BFH, Urt. v. 5. 3. 1976, BFHE 118,499 (502 f.]; BFH, Urt. v. 13.3. 1979, BStB\. 197911, S. 578 [579]; BFH, Urt. v. 19. 12. 1979, BStBl. 198011, S. 368; BFH, Urt. v. 13.2. 1980, BStB\. 198011, S. 190 [191 f.]; BFH, Urt. v. 16.7. 1980, BStBl. 198011, S. 677 [679 f.]; BFH, Urt. v. 6.5. 1981, BStBl. 198111, S. 688 [689]; BFH, Urt. v. 21. 10. 1981, BFHE 134,452 [455]; BFH, Urt. v. 8.12.1981, BStBl. 198211, S. 618 [619];BFH, Urt. v. 8.12.1982, BFHE 138,184 [187]; BFH, Urt. v. 22.6. 1983, BStB\. 198311, S. 747 [748 f.]; BFH, Urt. v. 23. 11. 1983, BStB\. 1984 11, S. 225 [226]; BFH, Urt. v. 14. 12. 1983, BFHE 140,26 [30]; BFH, Urt. v. 25. I. 1984, BStBl. 46

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Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

BFH, Urt. v. 19.7. 1972, BStB\. 1972 11, S. 858 [859]: "Eine Lücke im Gesetz setzt voraus, daß das Gesetz unvollständig ist (vg\. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl., 1969, S. 351; BFH-Urteile VI 240/64 U vom 9. Juni 1965, BFH 83, 303, BStB\. III 1965,611; VI 296/63 vom 28. Januar 1966, BFH 85, 25, BStB\. 111 1966,222; IV R 202/67 vom 28. Mai 1968, BFH 92,555, BStB\. 11 1968,650; 11 141/65 vom 21. Oktober 1969, BFH 97,320, BStB\. 11 1970, 99). Das ist der Fall, wenn die Regelung eines bestimmten Sachbereichs keine Bestimmung rur eine Frage enthält, die nach dem gesetzlichen Grundgedanken und der dem Gesetz immanenten Teleologie hätte mitgeregelt werden müssen (vg\. Larenz, a. a. 0., S. 352; Paulick in 'Die Auslegung der Steuergesetze in Wissenschaft und Praxis', S. 165 [186]; Thiel, Gedanken zur Methode der Steuerrechtsfindung, Steuerberater-Jahrbuch 1963/64 S. 161 [167]). Im Gegensatz hierzu müssen die Flllie gesehen werden, in denen die vermißte Norm zwar rechtspolitisch erwünscht und mit guten Gründen zu rechtfertigen wäre, ohne daß sie das Gesetz selbst unvollständig (lückenhaft) machen. Die Grenze zwischen einer Regelungslücke und einem 'Fehler' im rechtspolitischen Sinne ist nach Larenz (a. a. 0., S. 354) danach zu bestimmen, ob die Unvollständigkeit schon vom Standpunkt der dem Gesetz immanenten Zwecksetzung gegeben ist oder nur von der Warte einer dem Gesetz gegenüber selbständigen kritischen Würdigung."47 BFH, Urt. v. 24. I. 1974, BFHE 111,329 [332 f.]: "Unabdingbare Voraussetzung der analogen Anwendung einer Rechtsnorm auf einen Sachverhalt, den diese Rechtsnorm nach ihrer durch den noch möglichen Wortsinn begrenzten Auslegung nicht mehr erfaßt, also Voraussetzung einer Rechtsfindung praeter legern ist, daß das Gesetz lückenhaft ist, d. h. keine Regelung rur den zu beurteilenden Sachverhalt enthlllt. Eine Lücke ist eine 'planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts' (Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 30). Eine Lücke des Gesetzes liegt überall, aber auch nur da vor, 'wo es gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht' (Larenz, [Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl.,] S. 357 - 358), wobei unter die immanente Teleologie des Gesetzes 'auch der - nicht aus dem Gesetz selbst, sondern aus der Rechtsidee abzuleitende - Gleichbehandlungsgrundsatz flillt' (Canaris, a. a. 0., S. 34). Den Gegensatz zum Begriff der Lücke bietet der Begriff des 'rechtspolitischen Fehlers', der dann

198411, S. 382 [384]; BFH, Urt. v. 27. 11. 1985, BStB\. 198611, S. 272 [273 f.]; BFH, Urt. v. 18. 3. 1986, BFHlNV 1987, S. 531 [532]; BFH. Urt. v. 30. 4.1986, BFHlNV 1987, S. 600; BFH, Urt. v. 28. 8. 1986, BFHE 148, 195 [198], wonach eine Rechtsfortbildung ohne das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstößt; BFH, Urt. v. 16.9. 1986. BStB\. 198711, S. 435 [437]; BFH, Urt. v. 21. 5. 1987, BStB\. 198711, S. 625 [626]; BFH, Urt. v. 9. 8. 1990, BFHE 158,45 [46]; BFH, Urt. v. 12. 1. 1990, BFHE 159,341 [345 f.]; BFH, Urt. v. 6. 2. 1990, BStB\. 199011, S. 523 [526]; BFH, Urt. v. 15.2. 1990, BFHE 160,229 [232]; BFH, Urt. v. 24.5. 1991, BFHlNV 1992, S. 270 [271]; BFH, Urt. v. 11. 7. 1991, BFHE 165,449 [452]; BFH, Urt. v. 16. 10. 1991, BFHE 166, 145 [147]; BFH, Urt. v. 13. 11. 1991, BFHE 166, 571 [573 f.]; BFH, Urt. v. 10.2. 1992, BFHlNV 1993, S. 353 [354]; BFH, Urt. v. 28.5. 1993, BFHE 171,300 [302 f.] mit folgender Erweiterung: "Für die Feststellung, ob eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes oder eine vom Gesetzgeber bewußt auf bestimmte Tatbestände beschränkte Regelung vorliegt, an die die Gerichte gebunden sind (Art. 20 Abs. 3 GG), ist vor allem die Entstehungsgeschichte des Gesetzes heranzuziehen (BFHE 111, 329,322, BStB\. 11 1974,295),,; vg\. weiterhin BFH, Urt. v. 26. I. 1994, BStB\. 199411, S. 597 [599]. Ob eine Gesetzeslücke nur vorliegt, wenn "eine entsprechende ausdrückliche Regelung nur versehentlich unterblieben ist" (so wohl BFH, Urt. v. 16. 12. 1987, BStB\. 198811, S. 600 [602]), erscheint fraglich. 47 Ebenso BFH, Urt. v. 6. 12. 1972, BFHE 108, 159 [162]; BFH, Urt. v. 25. I. 1973, BFHE 108,211 [213]; BFH, Urt. v. 9. 4. 1981, BStB\. 198211, S. 362 [364].

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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gegeben ist, wenn sich eine gesetzliche Regelung zwar rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig, aber doch nicht - gemessen an der dem Gesetz immanenten Teleologie - als planwidrig und ergänzungsbedürftig erweist (dazu Larenz, a. a. 0., S. 353; Canaris, a. a. 0., S. 33 - 34 und S.73). Die Feststellung, ob eine 'planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts' oder nur ein 'rechtspolitischer Fehler' vorliegt, kann im Einzelfall beträchtliche Schwierigkeiten bereiten, sofern die Materialien des Gesetzes keine zweifelsfreien Hinweise in die eine oder andere Richtung geben. Eine der Methoden zur Klarung dieser Frage ist der Nachweis, daß sich der ungeregelte Fall- gemessen an den Wertungen, die den filr den geregelten Fall gültigen Normen zugrunde liegen - dem geregelten Fall als rechtsahnIich erweist. Die Analogie als logischteleologisches Schlußverfahren stellt nicht nur ein Mittel zur Ausfilllung von Gesetzeslücken dar, sondern dient auch bereits ihrer Feststellung (Canaris, a. a. 0., S. 71 f.). Das bedeutet insbesondere, daß sich die planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes mit Hilfe des Gleichheitssatzes ermitteln läßt und filr den dazu erforderlichen Vergleich auf die Wertungen des Gesetzes, also die ratio legis, zurUckzugreifen ist (Canaris, a. a. 0., S. 72)."

Zur Analogie hat der Bundesfinanzhof in einer neueren Entscheidung ausgeführt: "Analogie ist die Ausdehnung der dem Gesetz zu entnehmenden Prinzipien auf Fälle, die von den im Gesetz entschiedenen Fällen nur unwesentlich abweichen (Ennecerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 58 lll; TipkelKruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 4 AO 1977, Tz. 123; BFH-Urteil vom 13. Februar 1980 II R 18/75, BFHE 130, 188, BStBl. II 1980, 364). Voraussetzung ist das Vorliegen einer Lücke im Gesetz in Form einer planwidrigen Unvollständigkeit (BFH-Urteil vom 24. Januar 1974 IV R 76/70, BFHE 111,329, BStBl. II 1974,295; TipkelLang, Steuerrecht, 12. Aufl. S. 112). Es wird unterschieden zwischen Gesetzes- und Rechtsanalogie (TipkelLang, a. a. 0.). Bei der ersten wird der Gesetzesplan aus einer einzelnen Vorschrift hergeleitet (vgl. BFH-Urteil vom 22. Juni 1983 II R 64/82, BFHE 138, 493, BStBl. II 1983, 747), bei der zweiten wird der Regelungsplan, der einer Mehrzahl von Vorschriften zugrunde liegt, zur Lückenfilllung herangezogen (vgl. BFH-Urteil vom 20. Oktober 1983 IV R 175/79, BFHE 139, 561, BStBl. II 1984,221,224)."48

b) Die teleologisch begründete Korrektur des Gesetzestextes Neben die LückenfUllung und die entsprechende Anwendung gesetzlicher Vorschriften treten die weiteren Fälle der teleologisch begründeten Korrektur des Gesetzes, die in der Rechtsprechung des BundesfinanzhofS als teleologische Reduktion bzw. Extension oder als "vom Wortlaut des Gesetzes abweichende

48 BFH, Urt. v. 15.2. 1990, BFHE 160,229 [232]. Der Bundesfinanzhofhat eine entsprechende Anwendung damit begrUndet, daß "der Gesetzgeber 'stillschweigend' von einer entsprechenden Anwendung" ausgegangen sei (BFH, Urt. v. 7. 11. 1990, BStBl. 1991 11, S. 177 [178 f.]), und hat es abgelehnt, unter Berufung auf "wirtschaftlich vernünftige Ergebnisse" eine ergänzende Rechtsfortbildung vorzunehmen (BFH, Urt. v. 29. I. 1987, BFHE 149,295 [303]).

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Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

Auslegung" bezeichnet werden49 • Bei diesen Fällen wird die richterliche Rechtsfortbildung nicht durch den positiven oder negativen Gleichheitsgrundsatz, sondern durch den Gesetzeszweck selbst, den unmittelbaren Rückgriff auf die ratio legis gerechtfertigt. Allerdings dürfte bei der Darstellung der Rechtsprechung des BundesfinanzhojS zur Ausfilllung offener Regelungslücken durch Analogie schon deutlich geworden sein, daß der BundesfinanzhoJzwischen der Lückenfilllung durch entsprechende Anwendung gesetzlicher Vorschriften, die ihre Rechtfertigung in dem Gleichheitsgrundsatz findet, und der unmittelbar teleologisch begründeten Korektur des Gesetzestextes nicht immer mit der wünschenswerten Klarheit unterscheidet. Zwar wird die entsprechende Anwendung gesetzlicher Vorschriften des öfteren mit der "gleichen wirtschaftlichen Lage" zweier Sachverhalte begründet50 ; jedoch wird bei einigen Entscheidungen zur Lückenfilllung nicht hinreichend deutlich, ob die richterliche Rechtsfortbildung durch den Gleichheitsgrundsatz gerechtfertigt oder im Rahmen der analogen Anwendung unmittelbar auf die ratio legis zurückgegriffen wird51 • Dagegen steht bei den hier darzustellenden Fällen einer teleologisch begründeten Korrektur des Gesetzes nicht der Gleichheitsgrundsatz, sondern der "Sinn und Zweck" der gesetzlichen Vorschrift im Vordergrund.

•• Die Bezeichnung "abändernde Rechtsfortbildung" (FG Nürnberg, Urt. v. 12. 9. 1989, EFG 1990, S. 65 [67]; Kruse, in: TipkelKruse, AO, § 4 Rn. 131) paßt ftlr diese Fälle nur, wenn man der oben angesprochenen Auffassung folgt, nach der hier der Bereich beginnt, "in dem Gesetzgeber und Gesetz korrigiert werden" (vg\. oben § 1 IV. 2. d». Sieht man jedoch vor allem in der teleologischen Reduktion und Extension legitime Methoden der richterlichen Rechtsfortbildung praeter legern, dann sollte diese Bezeichnung vermieden werden. Der hier vertretenen Terminologie folgt auch der Bundesjinanzhojin seinem Urteil v. 28. 10. 1983, BStB\. 198411, S. 91 [93], der unter der Bezeichnung "gesetzesändernde Rechtsfortbildung" nur die richterliche Rechtsfortbildung versteht, die unter den von G. Radbruch formulierten Voraussetzungen zulässig und deshalb als Rechtsfortbildung contra legern aufZufassen ist. so Vg\. BFH, Urt. v. 26. 3. 1976, BFHE 118,509 [512]. Ähnlich auch BFH, Urt. v. 23. 1. 1980, BStBl. 1980 11, S. 221 [222 ff.], wo die Vergleichbarkeit der Fälle geprtlft wird; BFH, Urt. v. 5. 3.1986, BStB\. 198611, S. 462 [463], wo als Voraussetzung ftlr eine analoge Anwendung verlangt wird, daß "der geregelte und der zu entscheidende Sachverhalt im wesentlichen gleiche Strukturmerkmale aufweisen"; BFH, Urt. v. 30. 4. 1986, BFHINV 1987, S. 600, wo der BFH sich ausdrUcklich auf den Gleichheitsgrundsatz zur Feststellung einer Regelungslücke bezieht; Voraussetzung fUr eine Analogie sind nach BFH, Urt. v. 16. 10. 1962, HFR 1963, S. 272 [273] "wirklich gleichgelagerte Fälle"; BFH, Urt. v. 4. 3. 1964, BStB\. 1964 III, S. 246 [247] begrUndet eine analoge Anwendung damit, daß "nur diese eine Lösung zur Wahrung der Gleichheit (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) möglich" sei. Vg\. auch BFH, Urt. v. 28. 1. 1966, BStB\. 19661II, S.222. SI Vgl. etwa BFH, Urt. v. 6. 5. 1971, BStBl. 1971 11, S. 509 [510]: "Eine Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes kommt nicht in Betracht. Dabei ist es gleichgültig, ob eine solche Auslegung im Wege der Analogie ... oder im Wege der teleologischen Reduktion (... ) durchzuftlhren wäre. In beiden Fällen müßte zuvor eine Gesetzeslücke festgestellt werden." Vg\. auch BFH, Urt. v. 28. 4. 1972, BStB\. 1972 11, S. 711 [712]; BFH, Urt. v. 25. 5. 1962, BStB\. 1962 II, S. 351 [352].

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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aa) Die vorn Wortlaut des Gesetzes abweichende Auslegung bei sinnwidrigem Ergebnis Zu den Fällen einer teleologisch begründeten Korrektur des Gesetzes zählt die schillernde Fallgruppe der "Auslegung des Gesetzes gegen seinen klaren Wortlaut". Eine Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes liegt vor, "wenn die Grenzen, die der mögliche Wortsinn einer Auslegung zieht, überschritten werden"s2. Diese ist nach der Rechtsprechung des Bundesjinanzhofs statthaft, wenn die wortgetreue Auslegung zu einern sinnwidrigen Ergebnis, zu einern wirtschaftlich nicht vertretbaren unsinnigen Ergebnis, zu einern der wirtschaftlichen Vernunft widersprechenden Ergebnis oder zu einem so unsinnigen Ergebnis führen würde, daß es vorn Gesetzgeber nicht gewollt sein kann s3 . Schon nach der Auffassung des Bundesjinanzhofs in seinem Urteil vorn 10.2. 1951 entpricht es zwar dem Wunsche des Steuerpflichtigen, "daß die Auslegung der Steuergesetze sich möglichst an den Wortlaut des Gesetzes anschließt"s4. Das Gericht hat es aber - unter Hinweis auf den Reichsjinanzhojund den Obersten Finanzgerichtshoj - fUr möglich gehalten, dem Wortlaut des Gesetzes dann nicht zu folgen, "wenn dies zu einern sinnwidrigen Ergebnis gefUhrt hätte, das

52

BFH, Urt. v. 8. 10. 1965, BFHE 83, 618 [628].

Vgl. dazu im Überblick Spanner, in: HübschmannlHepp/Spita1er, AO, § 4 Rn. 176 ff.; Kruse, in: Tipke/Kruse, AO, § 4 Rn. 131 fr. Die Formulierungen, die der Bundesjinanzhojwäh1t, wechseln (vgl. etwa BFH, Urt. v. 13.3. 1952, BStBl. 195211, S. 120 [121); BFH, Urt. v. 5. 2. 1953 und 16. 4. 1953, BStBl. 1953 III, S.l66 [167); BFH, Urt. v. 31. 10. 1957, BStBl. 1958 111, S. 24; BFH, Urt. v. 27. 2. 1962, BStBl. 196211, S. 244 [246); BFH, Urt. v. 7. 5. 1957, BStBl. 1957 III, S. 264 [265); BFH, Urt. v. 6. 9. 1957, BStBl. 1957 III, S. 387; BFH, Urt. v. 12. 12. 1957, BStBl. 1958 III, S. 154 [156]; BFH, Urt. v. 8. 8. 1958, BStBl. 1958 III, S. 437 [438); BFH, Urt. v. 15.4. 1959, BStBl. 1959 III, S. 284; BFH, Urt. v. 12.6. 1959, BStBl. 1959 III, S. 338 [339); BFH, Urt. v. 30. 11. 1960, BStBl. 1961 III, S. 151 [152); BFH, Urt. v. 22. 2.1961, BStBl. 1961 III, S. 210 [211); BFH, Urt. v. 25.5.1962, BStBl. 1962 III, S. 351 [352); BFH, Urt. v. 6.12. 1961, BStBl. 1962 III, S. 126; BFH, Urt. v. 13 11. 1962, BStBl. 1963 III, S. 69 [70); BFH, Urt. v. 14. 11. 1962, BStBl. 1963 III, S. 63 [64]; BFH, Urt. v. 8. 10. 1965, BFHE 83, 618 [628); BFH, Urt. v. 10. 11. 1970, BStBl. 1971 11, S. 251 [252); BFH, Urt. v. 21. I. 1971, BFHE 101,204 [206 f.); BFH, Urt. v. 19. 2.1971, BStBl. 1971 11, S. 428 [430); BFH, Urt. v. 14. 11. 1972, BStBl. 197311, S. 182 [183); BFH, Urt. v. 28. 11. 1972, BStBl. 1973 11, S. 385 [386); BFH, Urt. v. I. 8. 1974, BStBl. 1975, S. 12 [13 f.); BFH, Urt. v. 24. I. 1973, BStBl. 197311, S. 192 [193); BFH, Urt. v. 21. 12. 1982, BStBl. 1983 11, S. 341 [343); BFH, Urt. v. 2. 8. 1983, BStBl. 198411, S. 4 [6); BFH, Urt. v. 28. 10. 1983, BStBl. 198411, S. 91 [93) mit einem Überblick über die Formulierungen; BFH, Urt. v. 11. I. 1994, BStBl. 199411, S. 358 [359 fr.)). Vgl. auch FG Düsseldoif, Urt. v. 17. I. 1980, EFG 1980, S. 447 [448); FG Münster, Urt. v. 18.8. 1983, EFG 1984, S. 201 [202); FG Nürnberg, Urt. v. 12.9. 1989, EFG 1990, S. 65 [66); FG München, Urt. v. 19.2. 1991, EFG 1991, S. 747 [748); FG Schl.-H., Urt. v. 16. 4. 1991, EFG 1991, S. 564. 53

54

BFH, Urt. v. 10. 2. 1953, BStB1.l953 III, S. 102 [104].

140

Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein kann"ss. Ausftlhrlich hat sich der BundesfinanzhoJdann in seinen Entscheidungen vom 30. 4. 1952 und vom 7. 5. 1957 mit einer richterlichen Rechtsfortbildung, die dem "Wortlaut nicht entspricht", befaßt: BFH, Urt. v. 30. 4. 1952, BFHE 56, 420 [421 f.]: "Wie bei allen Gesetzesvorschriften muß auch bei der Auslegung des § 6 Zift'. 5 EStG die Entwicklung der Verhältnisse berücksichtigt werden. Der Wortlaut der Vorschrift fUhrt nur bei etwa gleichbleibenden Währungsverhältnissen zu einer befriedigenden Lösung. Ändern sich diese in einem Umfange, wie es in den hier streitigen Iahren der Fall gewesen ist, dann muß auch bei der Auslegung der steuerlichen Vorschriften diesen wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung getragen werden. Grundsätzlich ist und muß allerdings der klare Wortlaut des Gesetzes maßgebend bleiben. Widerspricht jedoch das Ergebnis jeder wirtschaftlichen Vernunft, und fUhrt eine wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis, dann ist es Aufgabe des Richters, den wirklichen Sinn des Gesetzes zu ermitteln und diesem gegenUber dem Wortlaut den Vorrang einzuräumen. Daß das nur in Ausnahmeflilien und mit der gebotenen Vorsicht zu geschehen hat, bedarf keiner AusfUhrung.,,56 BFH, Urt. v. 7. 5. 1957, BStBl. 1957 III, S. 264 [265]: "Der Bundesfinanzhof hat wiederholt (vgl. ... ) unter Berufung auf § lAbs. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) entschieden, daß der Wortlaut einer Bestimmung nicht maßgebend sein kann, wenn es sich um SonderflIlIe handelt, die der Gesetzgeber vermutlich bei der Regelung nicht einbeziehen wollte. Das Gesetz auslegen heißt, den Willen des Gesetzes ermitteln und vollziehen. Der Wille des Gesetzgebers kommt im allgemeinen im Wortlaut einer Bestimmung zum Ausdruck, so daß in erster Linie der Wortlaut der Bestimmung bei der Auslegung maßgebend ist. Ist aber im Einzelfall anzunehmen, daß der Wille des Gesetzgebers fUr SonderßIle im Gesetz nicht zum Ausdruck gekommen ist, so sind die Steuergerichte berechtigt und verpflichtet, dem wirklichen Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus den gesamten Umstanden, insbesondere aus dem Zweck und der wirtschaftlichen Bedeutung des Gesetzes ergibt, zu ermitteln und durchzusetzen. Es liegt auf der Hand, daß, um die verfassungsmäßigen Grenzen zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung nicht zu verwischen, bei der Abweichung vom klaren Wortlaut einer Bestimmung Zurückhaltung geboten ist. Es mUssen zuverlässige Anhaltspunkte gegeben sein, daß fUr Fälle der vorliegenden Art der Wortlaut des Gesetzes den wirklichen Willen des Gesetzgebers nicht deckt, insbesondere weil das dabei eintretende Ergebnis nicht im Sinn des Gesetzgebers liegen kann."s7

S5 BFH, Urt. v. 10.2. 1953, BStBl. 1953 III, S. 102 [104]. Vgl. dazu auch schon BFH, Urt. v. 13.3. 1952, BStBl. 1952 III, S. 120 [121]; BFH, Urt. v. 5. 2. 1953 und 16.4.1953, BStBl. 1953 III, S. 120 [121] jeweils m. w. N. 56 Vgl. auch BFH, Urt. v. 17. 9. 1953, BFHE 58, 41 f. Ähnlich auch BFH, Urt. v. I. 8. 1974, BStBl. 197511, S. 12 [13 f.] m. w. N. Vgl. auch die ähnlichen Voraussetzungen fUr eine teleologische Reduktion BFH, Urt. v. 21. 2. 1964, BStBl. 1964 III, S. 188 [189 f.] m. w. N. S7 Ähnlich BFH, Urt. v. 6. 9. 1957, BStBl. 1957 III, S. 387: "Dem Wortlaut kommt bei der Auslegung eines Gesetzes besondere Bedeutung zu. Er ist im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich maßgebend, es sei denn, daß die Wortlautauslegung im Einzelfall zu einem so unsinnigen Ergebnis fUhrt, daß der Gesetzgeber es nicht gewollt haben kann. Besondere Vorsicht ist bei der Abweichung vom Wortlaut geboten, wenn dadurch eine Verschärfung der Steuerpflicht begründet werden soll." Vgl. auch BFH, Urt. v. 13. 5. 1959, BFHE 69, 59 [64]: Eine Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes "ist zwar möglich, aber nach der standigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. IV 10/52 vom 30. April 1952, BStSl. 1952, S. 164, Sig. Bd. 56, S. 420; I 113/52 U vom 10. Februar 1953, BStSl. 1953 III, S. 102, Sig. Bd. 57 S. 254 und IV 206/52 U vom 16.

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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Diese "Auslegung" gegen den Wortsinn des Gesetzes, die richtigerweise als richterliche Rechtsfortbildung aufzufassen ist58 , wird mit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung gerechtfertigt. Das kommt vor allem in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 12. 12. 195759 zum Ausdruck: "Wie der Bundesfinanzhof aber schon wiederholt ausgesprochen hat, ist dann, wenn sich ein Ergebnis nach Auffassung der Beteiligten als unbillig erweist, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob es auch tatsächlich dem Sinn und Zweck der in Betracht kommenden Vorschrift entspricht, oder ob sich nicht bei wirtschaftlicher Betrachtung des Tatbestandes ein anderes Ergebnis als zutreffend im Sinne der vom Gesetzgeber selbst gegebenen Auslegungsregel des § 1 Abs. 2 und Abs. 3 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) erweist ( ... ). Daß hierbei ausnahmsweise und unter Beachtung der gebotenen Vorsicht eine Loslösung vom Wortlaut der Gesetzesvorschrift geboten sein kann, ist anerkannt. In seinem Urteil ... vom 23. Mai 1951 (BGHZ, Bd. 2, S. 177 ff.) hat beispielsweise der Bundesgerichtshof ausgefllhrt: 'Höher als der Wortlaut des Gesetzes steht sein Sinn und Zweck. Diesen im Einzelfall der Rechtsanwendung nutzbar zu machen und danach unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ... den Streitfall einer billigen und vernUnftigen Lösung zuzufllhren, ist die Aufgabe des Richters.' Auch der Bundesfinanzhof - insbesondere der erkennende Senat - hat wie schon der Reichsfinanzhof in ständiger Recht-

4. 1953, BStBl. 1953 III, S. 166, Sig. Bd. 57 S. 427) nur zulässig und geboten, wenn entweder anzunehmen ist, daß der Gesetzgeber tatsächlich etwas anderes gewollt habe, als er zum Ausdruck brachte - ...- , oder wenn die wörtliche Anwendung der Bestimmungen zu einem wirtschaftlich nicht vertretbaren unsinnigen Ergebnis fIlhren wUrde. ... Nicht jede sich aus einer Vorschrift ergebende nachteilige Folge fIlr den betroffenden Wirtschaftskreis ist ein dem Sinn und Zweck der Vorschriften und der wirtschaftlichen Betrachtungsweise widersprechendes Ergebnis im Sinne von § 1 Abs. 2 Steueranpassungsgesetz." Ähnlich auch BFH, Urt. v. 30. 11. 1960, BFHE 72, 412 [414 f.]: .,Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist ... die Auslegung eines Gesetzes gegen seinen Wortlaut nicht ausgeschlossen, sondern möglich, aber nur dann zulässig und geboten, wenn entweder anzunehmen ist, daß der Gesetzgeber tatsächlich etwas anderes gewollt hat, als er zum Ausdruck gebracht hat, oder wenn die wörtliche Anwendung der Bestimmungen zu einem wirtschaftlich nicht vertretbaren unsinnigen Ergebnis fIlhren wUrde." Interessanterweise ist nach Ansicht des Bundesfinanzhofs die Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes aber nicht den Gerichten vorbehalten, sondern auch der Exekutive aufgegeben: .,Wenn danach anzuerkennen ist, daß die Gerichte in solchen außergewöhnlichen Fällen das Gesetz gegen seinen Wortlaut, der als erklärter Wille des Gesetzgebers grundsätzlich als bindend anzusehen ist, auslegen dUrfen, kann es dem vom Gesetzgeber ermächtigten Verordnungsgeber nicht versagt sein, das gleiche in dem oben genannten Umfange zu tun. Auch er kann daher unter den genannten Voraussetzungen durch Rechtsverordnung dem Gesetz eine von dessen Wortlaut abweichende Auslegung geben" (BFHE 72,412 [415]). Vgl. zum Verhältnis Verwaltung und Rechtsprechung bei der Auslegung der Steuergesetze BFH, Urt. v. 14. 8. 1958, BFHE 67, 354 ff.; BFH, Urt. v. 7. 7. 1961, BStBl. 1961 III, S. 433 [434]. 58

Vg!. nur Kruse, in: TipkelKruse, AO, § 4 Rn. 131.

BFH, Urt. v. 12. 12. 1957, BFHE 66, 401 [404 f.]. Aber auch in anderen Entscheidungen nimmt der Bundesfinanzhof auf den Sinn und Zweck gesetzlicher Vorschriften Bezug (vgl. etwa BFH, Urt. v. 7. 5. 1957, BStB!. 1957 III, S. 264 [265]; BFH, Urt. v. 19.2. 1971, BStB!. 1971 11, S. 428 [430]; BFH, Urt. v. 14. 11. 1972, BStBl. 1973 11, S. 182 [183]; BFH, Urt. v. 2. 8.1983, BStBl. 198411, S. 4 [6]; BFH, Urt. v. 28. 10. 1983, BStBl. 198411, S. 91 [93]. Vgl. auch FG Düsseldorf, Urt. v. 17. 1. 1980, EFG 1990, S. 447 [448]; FG Münster, Urt. v. 18.8. 1983, EFG 1984, S. 201 [202]; FG Schl.-H, Urt. v. 16. 4. 1991, EFG 1991, S. 564. 59

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Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

sprechung ausgesprochen, daß es Aufgabe des Richters ist, den wirklichen Sinn des Gesetzes zu ermitteln und diesem den Vorrang vor dem Wortlaut einzuräumen, wenn eine wortgetreue Auslegung zu einem der wirtschaftlichen Vernunft widersprechenden, sinnwidrigen Ergebnis filhren würde (vgl. ... ). Die Lösung vom Wortlaut des Gesetzestextes kann sich - ... - aufgrund der Entwicklung der Verhältnisse als notwendig erweisen. Der Gesetzeswortlaut kann aber auch von vornherein weniger ausdrücken, als dem Zweck der Vorschrift entspricht (vgl. ... ). Er kann auch - ... - weiter gehen, als es dem Sinn und Zweck der Vorschrift entspricht."

bb) Die teleologische Reduktion bzw. Extension Wenn die "vom Wortlaut abweichende Auslegung" eines Gesetzes ihre Rechtfertigung in dem gesetzgeberischen Sinn und Zweck findet, dann sind die Methoden der teleologischen Reduktion bzw. Extension die Verfahren, den Sinn und Zweck einer gesetzlichen Regelung zur Geltung zu bringen60 • Dagegen sollten die Bezeichnungen ausdehnende bzw. einschränkende Auslegung ftlr Fälle vermieden werden, die nicht mehr mit dem möglichen Wortsinn des Gesetzes vereinbar sind61 • Denn durch sie wird nicht zum Ausdruck gebracht, 60 Vgl. zu den Begriffen schon oben § I IV. 2. d). Ungenau ist die Terminologie des BundesjinanzhojS im Urteil v. 19. 11. 1964, BStBl. 1965 III, S. 182 [184], der zwar zutreffend hervorhebt,

daß die ausdehnende Auslegung einer Vorschrift von der Analogie begrifflich zu unterscheiden sei. Sie stelle nämlich nur den Willen des Gesetzgebers gegenüber einem zu engen Ausdruck klar und sei ein anerkanntes Rechtsinstitut, das dazu diene, dem was wirklich und nicht bloß scheinbar rechtens ist, Geltung zu verschaffen. Er leugnet aber im weiteren, daß die ausdehnende Auslegung eine richterliche Rechtsfortbildung darstellt: ,,Auf die weitere Frage, ob im vorliegenden Fall zur Erreichung dieses Ziels nicht sogar eine abändernde Rechtsfindung (Restriktion) gerechtfertigt wäre, weil der Gesetzgeber, hätte er die Folgen der Rechtsnorm erkannt, eine andere Regelung getroffen hätte (richterliche Fortbildung des Rechts, Verbesserung des Gedankens, nicht nur Ausdruck einer Rechtsnorm), braucht daher nicht eingegangen zu werden." 61 Nach Auffassung des BundesjinanzhojS in seiner Entscheidung vom 19. 11. 1964 ist die ausdehnende Auslegung einer Vorschrift von der Analogie begrifflich zu unterscheiden. Sie stelle vielmehr nur den Willen des Gesetzgebers gegenüber einem sprachlich zu engen Ausdruck klar und diene dazu, dem was wirklich und nicht bloß scheinbar rechtens ist, Geltung zu verschaffen (BFH, Urt. v. 19. 11. 1964, BStBl. 1965 III, S. 182 [184]). Für eine einschränkende Auslegung hat das Gericht ausgefilhrt, daß der Wortlaut einer Gesetzesvorschrift zurücktreten müsse, "wenn er im Zusammenhang des Gesetzes zu einem systemfremden, sinnwidrigen Ergebnis filhren wUrde, und wenn die dadurch erzeugte Spannung zwischen dem scheinbaren Sinn der Einzelvorschrift und dem Gesetzeszweck ein solches Ausmaß erreicht, daß das Ergebnis nicht mehr als Wille des - objektiviert zu denkenden (BVerfUE 10,234,244; 11, 126, 130 f.) - Gesetzgebers angesehen werden darf' (BFH, Urt. v. 25. 2. 1969, BStBl. 196911, S. 400 [403]). Zur einengenden Auslegung auch BFH, Urt. v. 20. 5. 1969, BStBl. 196911, S. 550 [551 f.]. Zu den Grenzen einer solchen "Auslegung" BFH, Urt. v. 28. 11. 1967, BStBl. 1968 11, S. 216 [217] (2. Senat): Eine den Wortsinn eines Gesetzes ausdehnende Auslegung kommt nach Auffassung des Gerichts auch dann nicht in Betracht, wenn der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, daß die Bestimmung eine über den in ihr behandelten Regelfall hinausgehenden Auslegung ßlhig ist, diese Auffassung aber "weder mit dem Wortlaut der Bestimmung vereinbar (ist), noch ... sie sich mit dem durch den Wortsinn und durch die amtliche Überschrift ... zum Ausdruck gebrachten Zweck (deckt). Der vom Gesetzgeber mit dem Erlaß einer Vorschrift verfolgte Zweck ist filr die Auslegung nur insoweit maßgebend, als er im Wortlaut des Gesetzes zum Ausdruck gekommen ist (BVerfGE 13, 261, 268)."

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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daß es sich bei diesen Fallgestaltungen um eine über den möglichen Wortsinn hinaus gehende richterliche Rechtsfortbildung handelt. Der Bundesfinanzhofhat sich oftmals der juristischen Methode der teleologische Reduktion bedient, ohne allerdings im Hinblick auf die Rechtfertigung der richterlichen Rechtsfortbildung zwischen dem Gleichheitsgrundsatz und der Anwendung des Gesetzeszwecks selbst zu unterscheiden. Geht man davon aus, daß die Fälle der "teleologisch begründeten Korrektur des Gesetzestextes"62 in die Lückendogmatik einzubeziehen sind63 , ist eine teleologische Reduktion in der Tat "dann zulässig, wenn eine 'verdeckte Gesetzeslücke' anzunehmen ist. In einem solchen Fall ist das nach seinem Wortsinn zu weit gefaßte Gesetz auf seinen ihm nach dem Regelungszweck oder dem Sinnzusammenhang zukommenden Anwendungsbereich zurückzufUhren."64 Zur Ausfüllung einer verdeckten Regelungslücke konnte der Bundesfinanzhof - unter Hinweis auf die erste Auflage der Larenz 'sehen Methodenlehre - deshalb ausführen: "Die AusftUlung einer verdeckten Regelungslücke geschieht in der Weise, daß dem Gesetz die vom Sinn und Zweck geforderte Einschränkung hinzugefilgt wird (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 283 ff., 296). Die im Gesetz enthaltene, im Wortlaut zu weit gefaßte Regel wird auf den nach dem Sinn- und Zweckzusammenhang des Gesetzes notwendigen Anwendungsbereich zurUckgefilhrt. Diese sogenannte teleologische Reduktion oder Restriktion ist eine in der Rechtslehre und Praxis anerkannte Methode bei der Auslegung und Anwendung der Gesetze (vgl. Larenz, S. 283 ff., 296; Ennecerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, I. Halbband, S. 244 ff., 348 mit weiteren Nachweisen; Urteile des Bundesfinanzhofs I 285/56 U vom 7. Mai 1957, BStBl. 1957 111 S. 264, Sig. Bd. 65 S. 82; IV 10/57 U vom 12. Dezember 1957, BStBl. 1958 III S. 154, Sig. Bd. 66 S. 401) .... Es liegt insoweit eine Lücke im Gesetz vor. Lücken, die bei der Auslegung eines Steuergesetzes hervortreten, haben die Steuergerichte nach dem ihnen in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes erteilten verfassungsmaßigen Auftrag so auszurullen, wie der Gesetzgeber unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs des Gesetzes und seines sonst erkennbaren Willens die Frage, wenn sie in seinen Gesichtskreis getreten wäre, wahrscheinlich geregelt hätte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 115/60 S vom 17. März 1961, BStBl. 1961 111 S. 346, Sig. Bd. 73 S. 213) ... Gegen diese Art der Ausfilllung der vorliegenden Regelungslücke bestehen um so weniger Bedenken, als sie der künftigen Änderung des Gesetzes und der Schließung der Lücke durch den Gesetzgeber entspricht. ... Die

62

Vgl. dazu schon oben § I IV. 2. d).

63

Vgl. dazu schon oben § I III. 2. b) aa) .

.. BFH, Urt. v. 8. 11. 1989, BStBl. 198911, S. 396 [397]. Voraussetzung filr die teleologische

Reduktion ist das Vorliegen einer "verdeckten Regelungslücke", "die auszufilllen die Rechtsprechung nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet ist" (BFH, Urt. v. 21. 2. 1964, BStBl. 1964 111, S. 188 [189]). Ähnlich auch BFH, Urt. v. 8. 11. 1972, BFHE 107,444 [445]. Zur teleologischen Reduktion auch BFH, Urt. v. 4. 2. 1971, BStBl. 1971 11, S. 430 [432]; BFH, Urt. v. 6. 5. 1971, BStBl. 1971 11, S. 509 [510]; BFH, Urt. v. 19.6. 1975, BFHE 117, 195 [196 f.]; BFH, Urt. v. 4. 11. 1977, BStBl. 197811, S. 353 [354 f.]; BFH, Urt. v. 6.5. 1981, BStBl. 1981 11, S. 688 [689]. Zur teleologischen Extension auch BFH, Urt. v. 12. 10. 1983, BFHE 140, I; BFH, Urt. v. 26. 4. 1989. BStBl. 198911, S. 599 [601].

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Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

Berufung auf den Wortlaut des Gesetzes kann unter diesen Umständen zu keinem anderen Ergebnis fuhren. Dem Wortlaut des Gesetzes kommt zwar im Steuerrecht erhöhte Bedeutung zu, so daß bei der Auslegung entgegen dem Gesetzeswortlaut zuungunsten der Steuerpflichtigen besonders zurückhaltend zu verfahren ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VI 162/55 U vom 14. Februar 1958, BStBl. 1958 III S. 207, Sig. Bd. 66 S. 539). Eine vom Wortlaut abweichende Auslegung des Gesetzes ist jedoch dann geboten, wenn die Auslegung nach dem Wortlaut offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers widerspricht, erkennbar zu einem sinnwidrigen Ergebnis fuhrt und allgemein anerkannte Auslegungsgrundsätze (hier die von der Rechtsprechung und Rechtslehre entwickelte teleologische Reduktion) eine befriedigende Lösung ermöglichen, "65

2. Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Aus dem bisherigen Überblick über die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur richterlichen Rechtsfortbildung könnte sich der Eindruck ergeben, daß im Steuerrecht keine besonderen, sich von den anderen Rechtsgebieten unterscheidenden verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung zu beachten sind. Daß dieser Eindruck - sollte er denn entstanden sein - täuscht, zeigt nicht nur die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu den aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung (dazu a». Darüber hinaus hat das höchste deutsche Steuergericht in den fUnfziger und sechziger Jahren vor allem aus dem Prinzip der Rechtssicherheit ein Verbot steuerbegründender oder -verschärfender richterlicher Rechtsfortbildung abgeleitet (dazu b». a) Die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung Verfassungsrechtliche Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung ergeben sich im Steuerrecht insbesondere aus der verfassungsrechtlich normierten Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG). Den aus der Gesetzesbindung folgenden Grenzen richterlicher Auslegung und Rechtsfortbildung hat der Bundesfinanzhof - soweit ersichtlich - erstmals in seiner Entscheidung vom 16. November 1950 Geltung verschafft66 • Die rur diese Entscheidung streitentscheidende Vorschrift war vom Reichsfinanzhof in einer früheren Entscheidung unter Berufung auf § 1 StAnpG und auf die "Entwicklung der Verhältnisse" angewandt worden, obgleich dies, "wie das Urteil ... selbst

65 BFH, Urt. v. 21. 2. 1964, BStBl. 1964 III, S. 188 [189 f.]. Ähnlich BFH, Urt. v. 27. I. 1988, BStBl. 198811, S. 574 [575]. BFH, Urt. v. 27. I. 1988, BStBl. 198811, S. 574 [575] macht das Vorliegen eines sinnwidrigen Ergebnisses zur Voraussetzung einer teleologischen Extension. 66

BFH, Urt. v. 16. 11. 1950, BStBl. 1951 III, S. 3.

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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hervorhebt, dem klaren Wortlaut der Vorschrift und ... auch deren Sinn nicht entspricht.,,67 Nach der zutreffenden Ansicht des Bundesfinanzhofs enthält "diese Auffassung und besonders das bewußte und zugegebene Entscheiden gegen den klaren unzweideutigen und vom Gesetzgeber so auch gewollten Wortlaut bei Vorschriften, ftlr die der Nationalsozialismus noch nicht maßgebend war, ... , Gedankengänge, die heute abgelehnt werden. Das Urteil ... wird auch weniger durch § 1 Abs. 2 StAnpG, die Entwicklung der Verhältnisse, getragen, die schon nach § 4 AO 1919 und § 9 AO 1931 zu beachten waren und infolgedessen auch heute uneingeschränkt zu beachten sind, als vielmehr auf § 1 Abs. 1 StAnpG gestützt sein, der heute aufgehoben ist (vgl. StW 1950 Sp. 549 ff.).,,68 Nach dem Urteil vom 25. 3. 1954 ist es ebenfalls "nicht zulässig, klare gesetzliche Bestimmungen aus Erwägungen heraus, die im Gesetz keinen Ausdruck gefunden haben, allgemein nicht anzuwenden." Denn die Gerichte sind "an das Gesetz gebunden und deshalb nicht berechtigt, derartigen Anordnungen des Gesetzgebers die Wirksamkeit selbst zu versagen. Sind sie der Auffassung, daß der Gesetzgeber gegen Grundsätze des Verfassungsrechts verstoßen hat, ... , so müssen sie nach Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen."69 Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht sei aber unnötig, wenn von der Rechtswirksamkeit einer Bestimmung ausgegangen werden könne, weil der Gesetzgeber bestimmte Fälle "nicht treffen wollte".

67

BFH, Urt. v. 16. 11. 1950, BStBl. 1951 III, S. 3.

BFH, Urt. v. 16. 11. 1950, BStBl. 1951 III, S. 3. Nach § 4 RAO 1919 und § 9 RAO 1931 sind bei "der Auslegung der Steuergesetze ... ihr Zweck, ihre wirtschaftliche Bedeutung und die Entwicklung der Verhältnisse zu berücksichtigen." An seine Stelle trat der berüchtigte § 1 des Steueranpassungsgesetzes vom 16. 10. 1934 (RGBl. 1934, S. 925 ff.), der folgende Fassung hatte: (1) Steuergesetze sind nach der nationalsozialistischen Weltanschauung auszulegen. (2) Dabei sind die Volksanschauung, der Zweck und die wirtschaftliche Bedeutung der Steuergesetze und die Entwicklung der Verhältnisse zu berücksichtigen. (3) Entsprechendes gilt rur die Beurteilung von Tatbestltnden. § 1 Abs. 1 StAnpG ist nach dem zweiten Weltkrieg wegen dessen Bezug zur nationalsozialistischen Weltanschauung durch Art. 1 des Kontrollratgesetzes Nr. 12 vom 11. 2. 1946 aufgehoben worden (Steuer- und Zollblatt 1946, S. 1: "Alle Steuergesetze sind ohne Unterschied der Rasse, des Glaubens, der Staatsangehörigkeit oder der politischen Einstellung anzuwenden. Alle gesetzlichen Bestimmungen, die mit diesem Grundsatz unvereinbar sind, werden aufgehoben, insbesondere diejenigen, die vorschreiben, daß die deutschen Steuergesetze im nationalsozialistischen Sinne zu verstehen und auszulegen sind."); die übrigen Absätze blieben bis zum Inkrafttreten der AO 1977 in Kraft. 68

69 BFH, Urt. v. 25. 3. 1954, BStBl. III 1954, S. 241 [242]. Eine richterliche Rechtsfortbildung ist auch möglich, wenn "weder angenommen werden kann, daß der Gesetzgeber das sich aus der gesetzlichen Regelung ergebende Rechtsproblem übersehen oder nicht richtig erkannt hat, noch festgestellt werden kann, daß die vom Gesetzgeber angeordnete Beschrllnkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf Anfechtungsklagen widersinnig und unverstltndlich wäre" (BFH, Urt. v. 28. 4. 1972, BStBl. 1972 11, S. 711 [712]). Ebenso BFH, Urt. v. 19.5. 1972, BStBl. 1972 11, S. 703 [705].

10 Barth

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Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

Wenn die Gerichte an Stelle des Gesetzgebers eine von diesem nicht bestimmte Regelung zulassen, können sie aber dadurch auch "die Grenzen überschreiten, die ihnen durch den verfassungsmäßigen Grundsatz der Gewaltenteilung gesetzt sind." Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs, der sich dabei insbesondere auf die Bindung der Rechtsprechung an das Recht i. S. des Art. 20 Abs. 3 GG bezieheo, gehört zwar "die rechtsschöpferische Ausfilllung von Lücken in Gesetzen und die entsprechende Anwendung von Bestimmungen, insbesondere auf der Grundlage richtungsweisender Generalklauseln ... von jeher zu den richterlichen Aufgaben. Niemals dürfen dabei aber die Gerichte gegen den eindeutig erklärten Willen des Gesetzgebers verstoßen.'>7I Ergibt sich aus dem Wortlaut einer gesetzlichen Bestimmung und ihrer Entstehungsgeschichte ein solcher eindeutig erklärter Wille des Gesetzgebers, dürfen die Gerichte nicht gegen den "im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers" eine entsprechende Anwendung gesetzlicher Vorschriften vornehmen72 • Auch bei einer "abschließenden Aufzählung" ist eine analoge Rechtsanwendung nicht möglich?3. Außerdem ist eine Lückenfilllung ausgeschlossen,

70 Vgl. etwa BFH, Urt. v. 17.3. 1961, BStBl. 1961 IIl, S. 346 [347]: "Es liegt wohl eine Lücke im Gesetz vor, die die Steuergerichte gemäß dem ihnen in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GO) erteilten verfassungsmäßigen Auftrag so auszuftlilen haben, wie nach dem Sinnzusammenhang des Gesetzes und seinem sonst erkennbaren Willen der Gesetzgeber wahrscheinlich die Frage geregelt hätte, wenn sie in seinen Gesichtskreis getreten wäre." - BFH, Urt. v. 28. 1. 1976, BStBl. 1976 11, S. 390 [392]: ,,zutreffend hat es das FG ftlr rechtmäßig erachtet, daß das FA die Feststellungsbescheide ... geändert und ftlr die Zukunft ... festgesetzt hat. Die Befugnis hierzu läßt sich zwar nicht auf eine Norm des geschriebenen, wohl aber auf eine des ungeschriebenen, durch Ausftlllung einer Gesetzeslücke gefundenen Rechts stUtzen (Art. 20 Abs. 3 letzter Satzteil GO). Eine Lücke, d. h. eine planwidrige Unvollständigkeit, enthält das Gesetz insofern, als es nicht regelt, ob das FA von sich aus und ohne Zustimmung des Steuerpflichtigen einen Fehler, dessen Beseitigung die Festsetzung einer höheren Kraftfahrzeugsteuer rechtfertigen würde, mit Wirkung ftlr die Zukunft zu beseitigen hat. Auf diese Frage wäre eine Antwort des Normgebers zu erwarten gewesen, .... " Auf Art. 20 Abs. 3 GO letzter Satzteil bezieht sich auch BFH, Urt. v. 22. 6. 1983, BStBl. 1983 11, S. 747 [748]. 71

BFH, Urt. v. 20. 2. 1057, BStBl. 1957 IIl, S. 152 [154].

Vgl. BFH, Urt. v. 20. 2. 1957, BStBl. 1957 IIl, S. 152 [153 f.). Vgl. auch BFH, Urt. v. 8. 12. 1970, BStBl. 1971 11, S. 255 [256] m. w. N.: "Das ändert jedoch nichts daran, daß andererseits die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit und die Finanzverwaltungsbehörden nicht befugt sind (Art. 20 Abs. 3 GO), einen im Gesetz nicht vorgesehenen Befreiungstatbestand von sich aus zu schaffen bzw. einen genau umrissenen gesetzlichen Tatbestand - auch einen Befreiungstatbestand aufgrund eigener Wertvorstellungen auszuweiten." Ebenso BFH, Urt. v. 16.6. 1971, BStBl. 1972 11, S. 35 [36]; BFH, Urt. v. 16.6. 1971, BStBl. 1972 11, S. 65 [66] m. w. N.; BFH, Urt. v. 30. 8. 1972, BStBl. 197311, S. 30 [31]; BFH, Urt. v. 14. 11. 1972, BStBl. 197311, S. 182 [183]; BFH, Urt. v. 7. 8. 1974, BStBl. 1975 11, S. 88 [89]; BFH, Urt. v. 29. 7. 1981, BStBl. 1981 11, S. 770 [772]; BFH, Urt. v. 14. 10. 1981, BStBl. 198211, S. 169 [172]. 72

73 Vgl. BFH, Urt. v. 10. 10. 1963, BStBl. 1963 IIl, S. 588 [589]; BFH, Urt. v. 28. 5. 1968, BStBl. 1968 ll, S. 650 f.; BFH, Urt. v. 31. 10. 1969, BStBl. 1970 ll, S. 54 [55]; BFH, Urt. v. 6. 12. 1972, BStBl. 197311, S. 159; BFH, Urt. v. 24. 8. 1989, BFHE 158,250 [253 f.].

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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wenn der Gesetzgeber eine Frage bewußt nicht geregelt hae4 • Hat "der Gesetzgeber seinen Willen klar zum Ausdruck gebracht", können "die Steuergerichte in die Entschließungsfreiheit des Gesetzgebers nicht eingreifen ... , weil sie dadurch die Grenzen der richterlichen Gewalt überschreiten und sich selbst an die Stelle des Gesetzgebers setzen würden.'07S Ist eine Frage im Gesetz aber weder ausdrücklich verboten noch geboten, widerspricht es den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, die rur das Gebiet des Steuerrechts in § 1 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes ihren Niederschlag gefunden haben, aus dem Schweigen des Gesetzes einen Vorrang einer Regelungsaltemative zu entnehmen. Vielmehr müsse in Fällen dieser Art "unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, ihrer steuer- und wirtschaftspolitischen Zwecksetzung, ihrer Stellung im System des Einkommensteuerrechts und der Rechtsentwicklung bis zu ihrem Erlaß geprüft werden, welche Bedeutung dem Schweigen des Gesetzes wahrscheinlich zukommt."76

b) Das Verbot steuerbegründender oder -verschärfender richterlicher Rechtsfortbildung Während es nach Auffassung des Bundesfinanzhofs verfassungsrechtlich zulässig ist, unbestimmte Rechtsbegriffe (im Rahmen des möglichen Wortsinns)

7. Vgl. BFH, Urt. v. 9. 6.1965, BStBl. 1965 IIl, S. 611; BFH, Urt. v. 11. 2.1966, BStBl. 1966 IIl, S. 272 [273). 7S BFH, Urt. v. 17. 8. 1960, BStBl. 1960 IIl, S. 447 [449). Vgl. auch BFH, Urt. v. 7. 2. 1958, BStBl. 1958 IIl, S. 157 [158]: "Der nachweisbare Inhalt einer Vorschrift ist ... rur ihre Auslegung maßgebend; die Vorschrift muß nach ihrer Fassung und dem ihr zugrunde liegenden Zweck auch angewendet werden, wenn Gr1lnde ft1r eine Änderung sprechen sollten." - BFH, Urt. v. 30. 9. 1959, BStBl. 1959 IIl, S. 470: "Nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes ist die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden. Es ist ihr nicht gestattet, sich an die Stelle des Gesetzgebers zu setzen und Steuerbefreiungen zu gewllhren, die im Gesetz keine Stütze finden". Vgl. auch BFH, Urt. v. 20. 8. 1991, BStBl. 1991 11, S. 869 [871]: "Die Entscheidung des Gesetzgebers muß abgewartet werden. Der Senat ist nicht befugt, im Wege richterlicher Rechtsfortbildung bevorstehende gesetzgeberische Entscheidungen vorweg zu nehmen (ebenso Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 6. Februar 1991 4 AZR 348/90, zur Veröffentlichung in BAGE bestimmt)." 76 BFH, Urt. v. 7. 7. 1961, BStBl. 1961 IIl, S. 433 [434]. Nicht überzeugend BFH, Urt. v. 4.2. 1971, BStBl. 1971 11, S. 430 [432]: "Eine derart komplizierte Bestimmung der auszuscheidenden Fälle ist nicht mehr Aufgabe der Rechtsprechung. Fallgruppen, die bei einer Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes in eine vorhandene Regelung einbezogen werden sollen (Analogie) oder aus ihr ausgeschieden werden sollen (teleologische Reduktion), müssen eindeutig und leicht bestimmbar sein. Andernfalls würde die Rechtsprechung unter Verletzung des Art. 20 Abs. 3 GG Aufgaben der Gesetzgebung übernehmen." 10*

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Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

"weit" zu Lasten des Bürgers auszulegen77, hat das höchste deutsche Steuergericht in den ftlnfziger und sechziger Jahren vor allem aus dem Prinzip der Rechtssicherheit ein Verbot steuerbegründender und -verschärfender richterlicher Rechtsfortbildung (über den möglichen Wortsinn hinaus) abgeleitet. Ein ähnliches Verbot richterlicher Rechtsfortbildung findet sich zwar auch in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, sofern eine bestimmte Regelung ,,nach Maßgabe eines Gesetzes" erfolgen muß 7•• Auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts zur richterlichen Rechtsfortbildung im Strafprozeßrecht läßt sich ein Analogieverbot ft1r strafprozessuale Zwangsmaßnahmen mit Freiheitsentzug nachweisen 79 • In keinem anderen Rechtsgebiet ist aber das Verbot richterlicher Rechtsfortbildung zuungunsten des Bürgers von der Rechtsprechung des jeweiligen Fachgerichts eingehender begründet worden als im Steuerrecht. Da sowohl im Verwaltungs77 Vgl. etwa BFH, Urt. v. 28. 1. 1965, BStBl. 1965111, S. 261 [262]: "Die angeftlhrte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Gewerbesteuerpflicht der Besitzgesellschaft überschreitet nicht die Schranken, die den Gerichten im Verhältnis zum Gesetzgeber gezogen sind (Art. 20 Abs. 3 GO). Sie hält sich im Rahmen der Auslegung des Gesetzes .... Die in den einkommen- und gewerbesteuerrechtlichen Vorschriften verwendeten BegritTe "Gewerbebetrieb" (§ 2 Abs. 1 S. 1 GewStG), "gewerbliches Unternehmen" (§ 2 Abs. 1 S 2 GewStG) und "Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr" (§ 1 Abs. 1 GewStDV) stellen keine festumrissenen RechtsbegritTe dar. Ihre inhaltliche Bestimmung ist eine Aufgabe der Steuergerichte. Die Steuergesetze, die die Steuerpflicht an bestimmte wirtschaftliche Sachverhalte knüpfen, müssen der Vielfalt wirtschaftlicher Gestaltungsmöglichkeiten Rechnung tragen und können ohne unbestimmte RechtsbegritTe und Generalklauseln nicht auskommen. Diese weitgefaßten Normen können das Gebot materieller Gerechtigkeit überhaupt erst erftlllen, wenn der Richter Lücken schöpferisch ausftlllt und Zweifels fragen so beantwortet, daß er den objektiven Willen des Gesetzgebers im Einzelfall verwirklicht (vgl. auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - Bd. 13 S. 164). Steuergerichte sind berechtigt, die Steuergesetze nicht nur eng, sondern - mit der gebotenen Vorsicht - auch weit, d. h. bis zur Grenze des möglichen Wortsinns, auszulegen, und zwar auch zuungunsten des Steuerpflichtigen. Der Charakter der Auslegung wird dadurch nicht verändert, daß die Rechtsprechung dabei Rechtsgrundsätze entwickelt. Darin allein liegt kein Verstoß gegen die Rechtsstaat1ichkeit. Denn die Herausbildung fester RechtsgrundSätze ist eine der wichtigsten Aufgabe, die die letztinstanzlichen höchsten Gerichte im Interesse gleichmaBiger Rechtsanwendung zu erftlllen haben (...). Hiergegen können auch aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 13 S. 318 (328 f.) keine Bedenken hergeleitet werden. Dort ist zwar ausgeftlhrt, daß Rechtsgrundsätze, die von der Rechtsprechung im Wege schöpferischer Interpretation entwickelt und in der Weise angewendet werden, daß der Einzelfall ihnen wie einer Norm subsumiert werde, verfassungsrechtlichen Bedenken unterlägen, wenn sie im Ergebnis eine Ausweitung des Steuertatbestands bedeuteten. Von einer Ausweitung des Steuertatbestands kann jedoch hier keine Rede sein. Die Grenze zwischen weiter Gesetzesauslegung und ergänzender Rechtsfortbildung laBt sich zwar im einzelnen nur schwer ziehen (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswisssenschaft, S. 260, 273 tT.). Entscheidend ist, daß es sich hier um die nähere Bestimmung des im gesetzlichen Tatbestand gebrauchten BegritTs des Gewerbebetriebs handelt. Sie ergibt sich aus der wirtschaftlichen Betrachtung und stellt eine mögliche Auslegung des Gesetzes dar." 7. Vgl. oben § 2 VI. 79

Vgl. oben § 2 111.

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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recht sowie im Bereich strafprozessualer Grundrechtseingriffe ohne freiheitsentziehende Wirkung als auch im Steuerrecht nicht abschließend geklärt ist, ob und unter welchen Voraussetzungen die richterliche Rechtsfortbildung über den möglichen Wortsinn hinaus vorgenommen werden darf, ist die Entwicklung des steuerrechtlichen Analogieverbots in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht nur für die hier interessierende Frage nach den verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht, sondern auch für das Verwaltungs- und Strafprozeßrecht von Bedeutung. aa) Die Entwicklung des Verbots steuerverschärfender Analogie Die Entwicklung des Verbots steuerbegrUndender oder -verschärfender richterlicher Rechtsfortbildung über den möglichen Wortsinn hinaus hat mit dem Urteil des Ersten Senats des Bundesfinanzhofs vom 10.2. 1953 80 begonnen, in dem das Gericht zur Bedeutung des Wortlauts ausgeführt hat: "Dem Wunsche des Steuerpflichtigen entspricht es, daß die Auslegung der Steuergesetze sich möglichst an den Wortlaut des Gesetzes anschließt (siehe ...). Das Gefühl der Rechtssicherheit wird dadurch erhöht. Der Steuerpflichtige ist besser in der Lage, sich entsprechend einzurichten. Die Rechtsprechung hat diesen Grundsätzen nach dem Zusammenbruch in erhöhtem Maße Rechnung getragen.,,81 Nach dieser mit dem Rechtssicherheitsprinzip begründeten "positivistischen" GrundeinsteIlung des Bundesfinanzhofs kommt dem Wortlaut "bei der Auslegung eines Gesetzes besondere Bedeutung zu. Er ist im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich maßgebend, es sei denn, daß die Wortlautauslegung im Einzelfall zu einem so unsinnigen Ergebnis führt, daß der Gesetzgeber es nicht gewollt haben kann. Besondere Vorsicht ist bei der Abweichung vom Wortlaut geboten, wenn dadurch eine Verschärfung der Steuerpflicht begründet werden soll.,,82

BFH, Urt. v. 10.2. 1953, BStSl. 1953 111, S. 102 [104]. BFH, Urt. v. 10.2. 1953, BStSl. 1953111, S. 102 [104]. Vgl. auch zum Rechtssicherheitsprinzip BFH, Urt. v. 9. 6. 1953, BStSl. 1953 I1I, S. 250 [251]. Der Bundesfinanzhofverweist in diesem Zusammenhang auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. 5. 1952 (BVerfUE 1, 299 [312]), in dem sich das Bundesverfassungsgericht rur die objektive Theorie der 80 &1

Rechtsanwendung ausgesprochen hatte (vgl. dazu ausftlhrlich unten § 6 11. 2. c) bb) (2». Vgl. zur Bedeutung der Rechtssicherheit ftlr die Rechtsanwendung und zum Verhaltnis Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung auch BFH, Urt. v. 9. 6. 1953, BFHE 57, 654 [655 ff.] zur Rückwirkung gesetzlicher Vorschriften; BFH, Urt. v. 14. 8. 1958, BFHE 67, 354 [357 ff.] zur Bedeutung von Ministerialerlassen. 82 BFH, Urt. v. 6. 9. 1957, BStSl. 1957111, S. 387. Vgl. auch (zur "Loslösung vom Wortlaut einer Gesetzesvorschrift") BFH, Urt. v. 12. 12. 1957, BFHE 66, 401 [404 f.]; BFH, Urt. v. 7. 5. 1957, BStSl. 1957111, S. 264 [265).

ISO

Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

Zwar fmden sich auch Entscheidungen des BundesfinanzhofS, in denen diese streng am Wortlaut orientierte Auffassung nicht geteilt wird. So hat der Erste Senat des Bundesfinanzhofs ebenfalls ausgeftlhrt: "Der Senat hat ... auf die Notwendigkeit einer dem klaren Wortlaut des Gesetzes entsprechenden Rechtsprechung eindringlich hingewiesen. Sie ist Ausdruck rechtsstaatlichen Denkens. Es ist hierbei jedoch folgendes zu beachten: Die Steuergesetze befassen sich mit wirtschaftlichen Vorgllngen und verfolgen teilweise wirtschaftliche Ziele .... Soweit die wirtschaftlichen Ziele im Gesetz zum Ausdruck kommen, widerspricht es aber auf Grund des § 1 Abs. 2 und Abs. 3 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG - (... ) den oben dargestellten Grundsätzen ftlr die Auslegung von Gesetzen nicht, wenn insbesondere zugunsten des Steuerpflichtigen bei einem Sonderfall in Fragen untergeordneter Bedeutung eine freiere Auslegung des Gesetzes im Sinne seines wirtschaftspolitischen Zieles erfolgt, ........ Rechtsprechung und Verwaltung müssen den Gesetzesbefehl, wie er sich aus dem Wortlaut in Verbindung mit der Einreihung der Vorschrift in den Gesetzesrahmen klar ergibt, durchftlhren. Wie in der Entscheidung des BulUksverfassungsgerichts ... zum Ausdruck kommt, sind die Gerichte nicht berechtigt, den Gesetzesbefehl allgemein aus Erwägungen, die in der Vorschrift keinen Ausdruck gefunden haben, im Ergebnis in einer abgellnderten Fassung anzuwenden .... Es ist aber denkbar, daß in einem SolUkrfall die formale Anwendung der Vorschrift zu einem Ergebnis ft1hrt, das dem Gesetzeszweck widerspricht, wie er sich aus dem Inhalt des Gesetzes ergibt, also zu einem Ergebnis, das vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann. Die Fülle der verschiedenartigen Tatbestllnde, auf die die Steuergesetze anzuwenden sind, zwingt mit Rücksicht auf die natürlich gegebenen Grenzen ftlr die Möglichkeiten ihrer Regelung durch formelle Gesetze und Rechtsverordnungen dazu, daß Rechtsprechung und Verwaltung der in § 1 Abs. 2 StAnpG erteilten Weisung des Gesetzgebers bei der Auslegung in erhöhtem Maße Beachtung schenken müssen .... Bei der Auslegung des § 1 Abs.2 StAnpG, früher § 9 AO 1931, handelt es sich nicht um Entscheidungen gegen den Gesetzesbefehl, sondern um eine Auslegung ft1r das Steuerrecht aufgrund des Gesetzesbefehls. Der Gesetzgeber will durch eine elastische Auslegung der Gesetze im Rahmen des § 1 Abs. 2 und Abs. 3 StAnpG von ihm nicht gewollte wirtschaftlich unvernünftige und unbillige Ergebnisse verhindern, die in besonders gelagerten Flllien auftreten können. Berücksichtigt man, daß die Verwaltung auf Grund ihrer Mitwirkung bei der Gesetzgebung im allgemeinen in der Lage ist, ihre Belange bei der Fassung des Gesetzes in ausreichendem Maße zu wahren, so wird das Anwendungsgebiet des § 1 Abs. 2 und Abs. 3 StAnpG besonders dort zu suchen sein, wo es sich um die Auslegung von Gesetzen und Verordnungen zugunsten des Steuerpflichtigen handelt."13

Auch wenn danach trotz der positivistischen GrundeinsteIlung des Gerichts der Sinn und Zweck steuerrechtlicher Vorschriften in Sonderfällen eine richterliche

., BFH, Urt. v. 8.9. 1953, BStBl. 1953 III, S. 344 [346 f.]. Ähnlich BFH, Urt. v. 7. 5. 1957, BStBl. 1957 III, S. 264 [265]. Noch entschiedener hat sich der Vierte Senat in der Entscheidung vom 15. 7. 1954 (BStBl. 1954 III, S. 251 [252]) geäußert: "Nach § 1 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) sind bei der Auslegung von Steuergesetzen unter anderem der Zweck und die wirtschaftliche Bedeutung zu berücksichtigen. Die Auslegung darf nicht formal am Wortlaut einer Bestimmung haften, sondern hat die steuerpolitische sowie die volks- und betriebswirtschaftliche Zielsetzung des Gesetzgebers mit in Erwägung zu ziehen. In GrenzflIlIen ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber, wenn er die Grenzflllie in seine Überlegungen einbezogen hatte, sie entsprechend dem Zweck und der wirtschaftlichen Bedeutung des Gesetzes geregelt hatte. Es ist Aufgabe der Steuergerichte, in zweifelhaften GrenzflIlIen, die unvermeidlich auftreten, dem wirklichen Willen des Gesetzes Geltung zu verschaffen."

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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Rechtsfortbildung ZU rechtfertigen vennag, hat sich der Bundesfinanzhof in der Folgezeit zu einem Verbot steuerverschärfender bzw. -begründender Analogie bekannt. Dies zeigen die Urteile des Sechsten Senats des Bundesfinanzhofs vom 14. 2. 1958, des Dritten Senats vom 11. 12. 1964, des Zweiten Senats vom 28. 11. 1967,30. 1. 1968,21. 10. 1969 und vom 2. 12. 1969, des Vierten Senats vom 21. 5. 1970, des Ersten Senats vom 9. 2. 1975 und 28.4. 1982 sowie des Achten Senats vom 16. 12. 197584 : BFH, Urt. v. 14.2. 1958, Sechster Senat, BFHE 66,539 [541 f.): "Ein Gesetz ist grundsätzlich nach seinem Wortlaut auszulegen, es sei denn, daß diese Auslegung dem Willen des Gesetzgebers offensichtlich widersprechen und zu einem sinnwidrigen Ergebnis fUhren würde. Der Bundesfinanzhof hat wiederholt ausgesprochen, daß bei der Abweichung vom Wortlaut eines Gesetzes besondere ZurUckhaitung geboten ist, wenn andernfalls eine Verschllrfung der Besteuerung eintreten WUrde (Urteile des Bundesfinanzhofs VI 125/56 U vom 6. September 1957 - Slg. Bd. 65 S. 403, BStBl. 1957111, S. 387 - , VI 59/55 U vom 31. Oktober 1957 - BStBl. 1958 111 S. 24 - , 1285/56 U vom 7. Mai 1957 - Slg. Bd. 65 S. 82, BStBl. 1957 111 S. 286). Die Steuerpflichtigen dürfen darauf vertrauen, daß die Steuergesetze so gefaßt sind, daß sie den wirklichen Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck bringen. Es mag Falle geben, in denen die Auslegung eines Gesetzes gegen seinen Wortlaut so zwingend ist, daß bei vernünftiger Überlegung eigentlich niemand das Gesetz anders auffassen kann. Diese Falle werden aber selten sein. Würde die Rechtsprechung allzu leicht vom Wortlaut einer Bestimmung abweichen, so könnte das zur Rechtsunsicherheit fUhren. Die Abweichung wäre besonders bedenklich, wenn möglicherweise Steuerpflichtige im Vertrauen auf den Wortlaut eines Steuergesetzes Dispositionen getroffen haben. Wenn die Steuergerichte sich bei der Auslegung der Steuergesetze, vor allem zuungunsten der Steuerpflichtigen, zu leicht vom Wortlaut lösen würden, so könnte darunter auch das Vertrauen in die Gesetzgebung und in die Objektivität der Rechtsprechung leiden. Es entspricht einer vernünftigen Interessenabwägung, in einem demokratisch-parlamentarischen Staat, in dem die Gesetzgebung und die Verwaltung die Gesetze und DurchfUhrungsverordnungen erlassen, das Risiko unklarer Fassung nicht durch leichtherzige Abweichung vom Wortlaut einseitig auf die Steuerpflichtigen zu verlagern. Bringt die Fassung eines Gesetzes das, was gesagt werden soll, nicht zum Ausdruck, so muß in der Regel der Gesetzgeber das Gesetz ändern und es so fassen, daß es fUr die Zukunft seinen Willen klar wiedergibt."85

84 Vgl. außer den folgenden Entscheidungen auch BFH, Urt. v. 21. 2. 1980, BStBl. 11 1980, S. 465 [469), wonach "eine analoge Anwendung des § 73 AO 1977 ... als haftungsbegrUndende Analogie unzulässig" wäre. BFH, Urt. 11. 6. 1980, BStBl. 198011, S. 577 [579), wonach es "im Einkommensteuerrecht nicht möglich ist, einen den Steuerpflichtigen belastenden Tatbestand im Wege der Gesetzes- oder Rechtsanalogie zu schaffen." BFH, Urt. v. 7. 5. 1981, BStBl. 1981. S. 547 [550). wonach eine steuerbegrUndende Analogie im Umsatzsteuerrecht unzulässig ist. BFH. Urt. v. 8. 12. 1981. BStBl. 1982. S. 618 [619). wonach es im "Einkommensteuerrecht unzulässig ist, einen den Steuerpflichtigen belastenden Besteuerungstatbestand im Wege der Gesetzes- oder Rechtsanalogie zu schaffen."

85 BFH, Urt. v. 14. 2. 1958. BFHE 66. 539 [541 f.). Grundsätzlich hat sich also der Sechste Senat dem Verbot richterlicher Rechtsfortbildung durch Analogie angeschlossen. wenn sie sich zu Lasten des Steuerpflichtigen auswirkt (BFH. Urt. v. 18. 2. 1977. BStBl. 197711. S. 524 [525)), davon aber eine wichtige Ausnahme zugelassen: .;Zwar widerspricht es rechtsstaatlichen Grundsätzen. wenn ein Gericht eine Gesetzeslücke des Steuerrechts im Wege der Analogie zu Lasten des Steuerbürgers schließt; jedoch bleibt es dem Gesetzgeber unbenommen. die entsprechende Anwen-

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Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

BFH, Urt. v. 11. 12. 1964, Dritter Senat, BFHE 81, 222 [224]: "Eine Auslegung von Gesetzen gegen ihren Wortlaut ist nur ausnahmsweise möglich. Dies muß besonders ftlr Steuergesetze gelten, wenn die Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes zu einer Verschllrfung der Besteuerung oder zur Versagung einer BegUnstigung ftlhren wUrde. Die Steuerpflichtigen mUssen darauf vertrauen können, daß die Steuergesetze so gefaßt sind, daß sie den wirklichen Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck bringen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs VI 162/55 U vom 14. Februar 1958, BStBl. 1958 III S. 207, Slg. Bd. 66 S. 539; 11 196/61 U vom 26. Juni 1963, BStBl. 1963 III S. 402, Slg. Bd. 77 S. 227). Die Auslegung eines Gesetzes gegen seinen Wortlaut kann ausnahmsweise nur dann in Frage kommen, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem so unverständlichen Ergebnis ftlhrt, daß ein verständiger Steuerpflichtiger das Gesetz so nicht auffassen konnte (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs VI 162/55 vom 14. Februar 1958, a. a.O.; 1208/60 S vom 27. Februar 1962, BStBl. 1962 IlI, S. 244, Slg. Bd. 74 S. 662). Die vorstehenden, der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs entsprechenden Grundslltze bedeuten allerdings nicht, daß es bei der Auslegung von Steuergesetzen allein auf deren Wortsinn ankommt und andere Auslegungsmethoden gegenUber der Wortauslegung zurücktreten mUssen. Auch ftlr die Auslegung von Steuergesetzen gilt, daß der in einer Vorschrift zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers mit Hilfe verschiedener Auslegungsmethoden, z. B. nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift und ihrer systematischen Stellung innerhalb des Gesetzes ermittelt werden kann. Wesentlich ist jedoch immer, daß die Auslegung ihre Grenze im möglichen Wortsinn der Vorschrift findet (vgl. Larcnz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1960, S. 243). Je eindeutiger der Wortsinn einer Vorschrift ist, desto enger ist diese Grenze. Ist der Wortsinn einer Vorschrift mehrdeutig, so ist innerhalb des möglichen Wortsinns eine Auslegung mit Hilfe anderer Auslegungsmethoden zullissig und geboten. Eine Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes liegt vor, wenn die Grenzen, die der mögliche Wortsinn der Auslegung zieht, Uberschritten werden.,,116 BFH, Urt. v. 28. 11. 1967, Zweiter Senat, BStBl. 1968 IlI, S. 216 [217]: "Die angefochtene Entscheidung kann auch nicht mit RUcksicht auf die Änderung der VerhIIltnisse (§ 1 Abs. 2 StAnpG) unter dem Gesichtspunkt der Rechtsfortbildung im Wege der LUckenftlllung bestehen bleiben. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob sich die dem § 4 KVStG zugrunde liegenden tatsllchlichen Verhllltnisse in dem Sinne gewandelt haben, daß im Wirtschaftsleben nach Erlaß des Gesetzes Gestaltungsformen gefunden und gebrlluchlich wurden, die - ohne unter § 6 StAnpG zu fallen - den vom Gesetz mit Steuer belegten wirtschaftlichen Erfolg ermöglichen, ohne indessen die im Gesetz fixierten Tatbestandsmerkmale zu erftlllen. In § 1 AO wird der Grundsatz der Tatbestandsmllßigkeit der Besteuerung zum Ausdruck gebracht (vgl. ... ); diese Norm spricht u. a. von der Erftlllung des Tatbestandes, an den das Gesetz eine Steuer knUpft. Die Fixierung der Tatbestandsmerkmale, die eine Steuer auslösen, ist dem Gesetzgeber vorbehalten.

dung anderer gesetzlicher Vorschriften anzuordnen." Ähnlich schon BFH, Urt. v. 27. 2. 1962, BStBl. 1962 IlI, S. 244 [246]. 116 BFH, Urt. v. 11. 12. 1964, BFHE 81 222 [224] (Dritter Senat). Ebenso BFH, Urt. v. 3. 12. 1965, BFHE 84, 508 [516 f.] (Dritter Senat): "Eine Auslegung von Gesetzen gegen ihren Wortlaut ist jedoch nur ausnahmsweise möglich. Die Beschrllnkung muß ganz besonders ftlr Steuergesetze gelten, wenn die Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes zu einer Verschllrfung der Besteuerung oder zur Versagung einer BegUnstigung ftlhren wUrde. Die Auslegung eines Gesetzes gegen den Wortlaut kann nur dann in Frage kommen, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem so unverständlichen Ergebnis ftlhren wUrde, daß ein verständiger Steuerpflichtiger das Gesetz so nicht auffassen konnte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 193/60 S vom 11. Dezember 1964, BStBl. 1965 IlI, S. 82, Slg. Bd. 81, S. 222 und die dort angeftlhrte Rechtsprechung)."

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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§ lAbs. 2 StAnpG, wonach bei der Auslegung der Steuergesetze auch die Entwicklung der Verhältnisse zu berücksichtigen ist, kann jedenfalls insoweit, als es sich um die Begründung einer Steuerpflicht handelt, nur in dem Sinne verstanden werden, daß sich der das Gesetz Auslegende im Rahmen des möglichen Wortsinnes zu halten hat. Wird dieser Rahmen der Auslegung im engeren Sinne nicht mehr eingehalten, so liegt in Wahrheit eine Ausweitung des Steuertatbestandes durch den Auslegenden vor. Die Ausweitung des im Gesetz zum Ausdruck gebrachten Tatbestandes über den Wortsinn hinaus ist jedoch nicht statthaft. Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten, den Kreis der steuerbaren Tatbestande zu bestimmen (vgl. hierzu BVerfGE 13, 318, 328 unter III. 3.). In diesem dem Gesetzgeber vorbehaltenen Bereich wUrden die Verwaltung und die Gerichte eingreifen, wenn sie einen Steuertatbestand über die im Gesetz - durch den möglichen Wortsinn begrenzt - zum Ausdruck gebrachten Wertvorstellungen hinaus ausweiten. Dies wäre weder mit dem Rechtsstaatsprinzip noch mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der die Exekutive auf die Ausftlhrung der Gesetze beschränkt, vereinbar (BVerfGE 13, 153 [161], vgl. auch BVerfGE 13,318 [328])."87 BFH, Urt. v. 30. I. 1968, Zweiter Senat, BFHE 91, 511 [513 f.]: "Nach dem Urteil 11 110/62 vom 28. 11. 1967 (BFH 91, 132) kann § lAbs. 2 StAnpG hinsichtlich der Berücksichtigung der Entwicklung der Verhältnisse, soweit es sich um die Begründung einer Steuerpflicht handelt, nur in dem Sinne verstanden werden, daß sich der das Gesetz Auslegende im Rahmen des möglichen Wortsinns zu halten hat. Diese Ansicht muß auch ftlr die Anwendung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise gelten. Es ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, zwar bei der Auslegung unter Berücksichtigung der Entwicklung der Verhältnisse im Sinne des § lAbs. 2 StAnpG den möglichen Wortsinn als Schranke ftlr die Gesetzesinterpretation anzusehen, dies jedoch bei der Auslegung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung der Steuergesetze nicht zu tun. Wenn in Fällen, in denen es sich um die BegrUndung einer Steuerpflicht handelt, mit Hilfe der wirtschaftlichen Betrachtungsweise das Gesetz in einer Weise gedeutet wird, die mit dem möglichen Wortsinn nicht mehr vereinbar ist, wird das Gesetz nicht mehr ausgelegt, sondern der in ihm fixierte Steuertatbestand durch den Rechtsanwender ausgedehnt. Eine solche Ausdehnung des Steuertatbestandes ist nicht statthaft, weil es allein dem Gesetzgeber vorbehalten ist, den Kreis der steuerbaren Tatbestande zu bestimmen (vgl. BVerfGE 13,318,328 unter III. 3.). Den Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung bringt § I der Reichsabgabenordnung zum Ausdruck. In dieser Norm ist u. a. von der Erftlllung des Tatbestandes, an den das Gesetz die Steuer knüpft, die Rede. In den dem Gesetzgeber vorbehaltenen Bereich wird eingegriffen, wenn der Steuertatbestand über die - durch den möglichen Wortsinn abgegrenzten - im Gesetz selbst zum Ausdruck gebrachten Wertvorstellungen hinaus ausgeweitet wird. Dies ware weder mit dem Rechtsstaatsprinzip noch mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der die Verwaltung auf die Ausftlhrung der Gesetze beschränkt, vereinbar (BVerfGE 13, 153, 161).

87 BFH, Urt. v. 28. 11. 1967, BStBl. 1968 I1I, S. 216 [217]. Vgl. auch BFH, Urt. v. 16.2. 1966, BStBl. 1966 I1I, S. 319 [320] (Zweiter Senat): "Bei der Anwendung eines Steuergesetzes ist besondere Zurückhaltung geboten, wenn ein Abweichen vom Wortlaut eine Verschärfung der Besteuerung bedeuten würde." BFH, Urt. v. 26. 6. 1963, BStBl. 1963 III, S. 402 [403] (Zweiter Senat): "Bei der Anwendung eines Gesetzes ist grundsätzlich von dessen Wortlaut auszugehen (vgl. ... ). Besondere Zurückhaltung ist geboten, wenn ein Abweichen vom Wortlaut eine Verschärfung der.Besteuerung bedeuten würde ( ... )." Ebenso BFH, Urt. v. 22. 4. 1964, BStBl. 1964 I1I, S. 368 [369] (Zweiter Senat).

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Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

"BFH, Urt. v. 21. 10. 1969, Zweiter Senat, BStB\. 196911, S. 736 [737]: "Für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille maßgebend, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt. Der vom Gesetzgeber mit dem Erlaß einer Vorschrift verfolgte Zweck ist rur die Auslegung nur insoweit maßgebend, als er im Wortlaut des Gesetzes zum Ausdruck gekommen ist (BVerfGE 11, 126 [130]; 13, 261 [268)). Die Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt fiIr deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach diesen Grundsatzen ermittelten Auslegung bestatigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeraumt werden können (BVerfGE 1,299 [312]; ll, 126 [BI)). Im Bereich des Steuerrechts ist die Rechtsfindung auf die Anwendung dieser allgemeinen Auslegungsgrundsatze beschrankt, soweit es sich um die Vollziehung steuerbegründender oder steuererhöhender Normen handelt. Der in § 1 AO zum Ausdruck gebrachte Grundsatz der Tatbestandsmaßigkeit der Besteuerung schließt die Deutung solcher Normen in einem Sinne aus, der mit dem möglichen Wortsinn nicht mehr vereinbar ist (Urteile des BFH 11 1l0/62 vom 28. November 1967 und 11 33/63 vom 30. Januar 1968, BFH 91, 132,511, BStB\. 11 1968,216; vg\. auch Urteil des BFH 11 25/61 vom 20. Mai 1969, BFH 96, 129, BStBl. 11 1969, 550, 552). Eine Ausdehnung des Steuertatbestandes über den möglichen Wortsinn hinaus ist nicht statthaft, weil es allein dem Gesetzgeber vorbehalten ist, den Kreis der steuerbaren Tatbestande zu bestimmen (BVerfGE 13, 318,328; 21, 1,4)." BFH, Urt. v. 2. 12. 1969, Zweiter Senat, BStBl. 197011, S. 119 [120): "Jedenfalls ist eine den wahren Willen des Gesetzgebers zugunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigende Auslegung nicht nach den gleichen Grundsatzen gebunden, wie es krafi des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und um der Rechtssicherheit willen rur eine Auslegung zu Lasten des Steuerpflichtigen zu fordern ist (vg\. Urteile 11 110/62 vom 28. November 1967, BFH 91, 132, BStB\. 11 1968,216; 11 33/63 vom 30. Januar 1968, BFH 91, 511 [513 f.)). Denn der Bürger, der vom Staate in Anspruch genommen werden soll, kann erwarten, daß dieser sich in dem verkündeten Wortlaut (vg\. Art. 2 Satz 2 der Verfassung des Deutschen Reiches 1871, Art. 70 der Weimarer Verfassung 1919, Art. 82 Abs. 2 Satz 1 GG) seiner Gesetzgebung klar und verstandIich ausdrückt; er wird nur nach Maßgabe des Gesetzes verpflichtet (Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG) und ist nicht genötigt, aus ihm ohnehin kaum zuganglichen Materialien einen im Gesetz selbst nicht ausgedrückten Willen des Gesetzgebers zu erforschen. Soweit dagegen der Gesetzgeber den Bürger begünstigen will, laufen dessen Interessen und die Interessen des Staates konform. Daher genügt insoweit - auch im Sinne der Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG - , daß der Befreiungswille des - allerdings auch hier objektiv zu verstehenden (vg\. BVerfGE 1,299 [312]; 10, 234 [244]; 11, 126 [130 f.)) - Gesetzgebers sich nachweisbar aus dem Sinnzusammenhang des Gesetzes ergibt (vg\. Urteil 11 R 96/66 vom 21. 12. 1966, BFH 88, 250 [252], BStB\. III 1967, 345), wahrend allenfalls durch ein buchstabliches Verstandnis des Wortlauts gedeckte, dem Sinnzusammenhang und dem wahren Wortsinn des Gesetzes widersprechende Motive außer . Betracht bleiben müssen (vg\. ... )."81 BFH, Urt. v. 21. 5. 1970, Vierter Senat, BStB\. 197011, S. 747 [749]: "Diese Auslegung des Gesetzes verstößt nicht gegen anerkannte AuslegungsgrundslItze. Neben dem Gesetzeswortlaut spielen auch der Sinn und Zweck des Gesetzes eine entscheidende Rolle, wobei es hier dahingestellt bleiben kann, ob der objektiven oder der subjektiven Theorie zu folgen ist. Jedenfalls kann nicht anerkannt werden, daß schon das Fehlen eines ausdrücklichen Gesetzeswortlauts dazu ruhren müßte, daß ein bestimmter Sachverhalt nicht zu einer Einkommensteuer ruhren könne oder dürfe. Zwar ist es unzuillssig, den Kreis der Steuertatbestande durch die Rechtsprechung auszuweiten. Dies würde gegen die Grundsatze der Tatbestandsmaßigkeit der Besteuerung sowie der

81 Ebenso BFH (Zweiter Senat), Urt. v. 28. 4. 1970, BStB\. 197011, S. 600 [601] m. w. N.

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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Gleichheit der Besteuerung verstoßen. Auch würde ein Verstoß gegen das Gebot der Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) vorliegen. Davon kann jedoch im Fall der Besteuerung der in einem auf den Erben übergegangenen Betriebsvermögen enthaltenen stillen Reserven beim Erben nicht die Rede sein .....".' BFH, Urt. v. 9. 2. 1972, Erster Senat, BStBl. 1972 11, S. 455 [457]: "Eine Aufdeckung stiller Reserven kann auch nicht damit begründet werden, daß die Vorschriften über die Betriebsaufgabe oder die Entnahme entsprechend angewandt werden (Gesetzesanalogie). Es gibt auch keinen allgemeinen Grundsatz des Einkommensteuerrechts. nach dem die stillen Reserven eines Wirtschafts guts dann aufzudecken sind, wenn das Wirtschaftsgut künftig nicht mehr in die Gewinnermittlung einzubeziehen ist (Rechtsanalogie). Zwar ist die Analogie eine zulässige Methode richterlicher Rechtsfortbildung zur Ausftlllung offener Lücken (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl., S. 359 f.). Jedoch sind der richterlichen Rechtsfortbildung dann Grenzen gesetzt, wenn sie zu einer Verschllrfung der Besteuerung ruhren wUrde. Steuern dürfen nur erhoben werden, wenn der Tatbestand erft1l1t ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (§ 1 Abs. 1 AO). Nach dem Verfassungsprinzip des Rechtsstaates (Art. 20 GG) ist es bedenklich, wenn das Gericht einen Steuertatbestand über seinen möglichen Wortsinn hinaus ausweitet. Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten, den Kreis der steuerbaren Tatbestände und den Umfang der Besteuerung zu bestimmen (BVerfUE 13,318,328; BFH-Urtcil 11 25161, [vom 20. Mai 1969, BFH 96, 129, BStBl. 11 1969, S. 550] mit weiteren Hinweisen)."90 BFH, Urt. v. 16. 12. 1975, Achter Senat, BStBl. 197611, S. 246 [248]: "Damit wird die Auffassung abgelehnt, daß es im Einkommensteuerrecht möglich sei, einen Steuertatbestand im Wege der Gesetzes- oder der Rechtsanalogie zu schaffen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschluß des Großen Senats GrS 1173 [= BStBl. 1975 11, S. 168 ff.]. Dort war die Frage nach der Zulässigkeit, neue Steuertatbestände im Wege der Rechtsfortbildung durch Analogie zu bilden, mangels Entscheidungserheblichkeit nicht zu behandeln; im Vordergrund stand die Frage nach den Grenzen einer ausdehnenden Auslegung von gesetzlich geregelten Steuertatbeständen. In

•• Ähnlich BFH, Urt. v. 21. 2. 1964, BStBl. 1964 III, S. 188 [190] (Vierter Senat): "Dem Wortlaut des Gesetzes kommt zwar im Steuerrecht erhöhte Bedeutung zu, so daß bei der Auslegung entgegen dem Gesetzeswortlaut zuungunsten der Steuerpflichtigen besonders zurückhaltend zu verfahren ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VI 162/55 U vom 14. Februar 1958, BStBl. 1958 III S. 207, Sig. Bd. 66 S. 539). Eine vom Wortlaut abweichende Auslegung des Gesetzes ist jedoch dann geboten, wenn die Auslegung nach dem Wortlaut offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers widerspricht, erkennbar zu einem sinnwidrigen Ergebnis ft1hrt und allgemein anerkannte Auslegungsgrundsätze (hier die von der Rechtsprechung und Rechtslehre entwickelte teleologische Reduktion) eine befriedigende Lösung ermöglichen" (BFH, Urt. v. 21. 2. 1964, BStBl. 1964 III, S. 188 [189 f.]). 90 Vgl. auch BFH (Erster Senat), Urt. v. 21. 12. 1977, BStBl. 197811, S. 346 [347], wo eine Analogie zuungunsten des Steuerpflichtigen rur unzulässig erklärt wird; BFH (Erster Senat), Urt. v. 26. 4. 1978, BStBl. 197811, S. 628 [630] (,,§ lAbs. 2 StAnpG stellt Verwaltung und Gerichte nicht über das Gesetz und gibt ihnen nicht die Befugnis, neue Besteuerungstatbestände zu schaffen. Bei der Auslegung der Steuergesetze sind ihr Zweck und ihre wirtschaftliche Bedeutung sowie die Entwicklung der Verhältnisse nur zu 'berücksichtigen'. Die Schaffung neuer Steuertatbestände durch Analogie ist im Steuerrecht nicht möglich (BFH-Urteile vom 10. Februar 1972 I R 105166, BFHE 105, 15, BStBl. 11 1972,455; vom 16. Dezember 1975 VIII R 3174, BFHE 117,563, BStBl. 11 1976,246; vom 18. Februar 1977 VI R 177175, BFHE 121, 572, BStBl. 11 1977,524, und vom 21. Dezember 1977 I R 20176, BFHE 124, 317, BStBl. 11 1978, 346)." Von der Unzulässigkeit steuerverschärfender Analogien geht wohl auch der Fünfte Senat aus (vgl. BFH, Urt. v. 16. 11. 1978, BStBl. 1979 11, S. 347 [348 f.]).

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Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

Übereinstimmung mit den Entscheidungen I R 205/66 [= BStBl. 1972 11, S. 455 t1] und GrS 1/73 [= BStBl. 1975 11, S. 168 ff.] ist auch der erkennende Senat der Auffassung, daß im Einkommensteuerrecht zwar im Rahmen des möglichen Wortsinns einer Vorschrift deren weite Auslegung, nicht aber die Schaffung neuer Steuertatbestande durch Analogie möglich ist. "BFH, Beschl. v. 28. 4. 1982, Erster Senat, BStBl. 1982 11, S. 556 [559]: "Die Schließung einer Gesetzeslücke ist nicht allein rechtspolitische Aufgabe des Gesetzgebers. Zur Lückenftlllung sind auch die Gerichte bei der Entscheidung der an sie herangetragenen Streitfhlle berufen. Jedoch muß sich der Richter im Bereich des Steuerrechts bei der Ausftlllung von Gesetzeslücken Zurückhaltung auferlegen. Er kann allenfalls durch Rechtsfortbildung den Steuertatbestand und damit die Steuerpflicht begrenzen (BVerfG-Urteil vom 24. Januar 1962 1 BvR 232/60, BVerfGE 13,318, BStBl. III 1962, 506). Nach dem BFH-Urteil vom 24. Januar 1974 IV R 76/70 (BFHE 111, 329, BStBl. 11 1974, 295) ist die Schließung einer Lücke im Wege der Analogie dann zulässig, wenn dies zu einer günstigeren Behandlung des Steuerpflichtigen ftIhrt. Unter dem Verfassungsprinzip des Rechtsstaats ist es aber bedenklich, wenn der Steuertatbestand vom Richter neu geschaffen oder ausgeweitet wird. In der Entscheidung in BVerfGE 13,318 (328) wird unter Bezugnahme aufBUhlerlStrickrodt (Steuerrecht, 3. Aufl., S. 658) daraufhingewiesen, daß das Steuerrecht von der primären Entscheidung des Gesetzgebers über die Steuerwürdigkeit bestimmter generell bezeichneter Sachverhalte getragen wird und dementsprechend aus dem Diktum des Gesetzgebers lebt."91

bb) Die richterliche Rechtsfortbildung zugunsten des Steuerpflichtigen Wenn sich eine richterliche Rechtsfortbildung, insbesondere durch Analogie, hingegen zugunsten des Steuerpflichtigen auswirkt, steht das Erfordernis der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung nach der Auffassung des Bundesjinanzhofs der richterlichen Rechtsfortbildung nicht entgegen92 • So hat der Bundesjinanzhof(Zweiter Senat) ausgeft1hrt: "Die den Wortlaut einengende Auslegung ist mit der Rechtsprechung des Senats vereinbar, die dem Wortlaut entscheidende Bedeutung beigemessen hat (Urteile des BFH 11 19/58 S; 11 110/62; 11 33/63 vom 30. Januar 1968, BFH 91, 511). Nach dieser Rechtsprechung ist es nicht statthaft, eine Vorschrift mit Rücksicht auf den Zweck, die sogenannte wirtschaftliche Betrachtungweise und die Entwicklung der Verhältnisse (§ 1 Abs. 2 StAnpG) über den möglichen Wortsinn hinaus - also ausdehnend - auszulegen, wenn es sich um eine steuerbegrUndende Norm handelt. Diese Ansicht

91 Vgl. auch BFH, Urt. v. 8. 12. 1982, BFHE 138, 184 [187], wonach die Gerichte zur Füllung offener Regelungslücken berufen sind, "soweit dadurch nicht der gesetzliche Steuertatbestand in unzulässiger Weise ausgedehnt wird." 92 Vgl. etwa BFH, Urt. v. 25. 2. 1969, BStBl. 196911, S. 400 [404]; BFH, Urt. v. 21. 10. 1969, BFHE 97, 320 [326 f.]. V gl. zur Lückenftlllung zugunsten des Steuerpflichtigen etwa BFH, Urt. 23. 11. 1983, BStBl. 198411, S. 225 [226 f.]; BFH, Urt. v. 20. 3. 1984, BStBl. 198411, S. 659 [660], wonach aber "kein durch das Gesetz nicht belegter Begünstigungstatbestand geschaffen werden kann (vgl. ... )"; BFH, Urt. 7. 11. 1990, BStBl. 199111, S. 177 [178 ff.] zur entsprechenden Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG 1977 auf Gewinnanteile, die aus einer zu einem Betriebsvermögen gehörenden Beteiligung erzielt werden. Skeptisch aber BFH, Beschl. v. 28. 4. 1982, BStBl. 1982 11, S. 556 [559).

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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beruht auf dem Gedanken, daß es dem Gesetzgeber vorbehalten ist, den Kreis der steuerbaren Tatbestände und deren Umfang zu bestimmen (BVerfGE 13, 318, 328; Urteile des BFH 11 19/58 S, 11 110/62 und 11 33/63). Danach ist es aber nicht ausgeschlossen, steuerbegOnstigende Normen ausdehnend und steuerbegründende oder steuererhöhende Vorschriften restriktiv auszulegen.,,93 Daß auch das Rechtssicherheits- und Vertrauensschutzprinzip eine Analogie zugunsten des Steuerpflichtigen nicht ausschließen können, fUhrt der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 24. l. 1974 aus: "Schließlich vermag auch das Prinzip der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes eine Analogie nicht auszuschließen. Auch wenn man davon ausgeht, daß einer Analogie, die den Steuerpflichtigen begünstigt und den Fiskus benachteiligt, das Prinzip der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (in der Ausprägung einer Sicherung eines bestimmten Steueraufkommens) entgegenstehen kann, so muß das Prinzip der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes doch gegenüber dem Gebot der gerechten und gleichmäßigen Besteuerung mindestens dann zurücktreten, wenn die analoge Anwendung einer - nicht etwa auf wirtschaftspolitischen Zielen, sondern allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen beruhenden Sondervorschrift auf einen Sondertatbestand in Frage steht.,,94 cc) Die "zweischneidige" richterliche Rechtsfortbildung Auch wenn die Ablehnung der steuerbegründenden oder -verschärfenden richterlichen Rechtsfortbildung in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs klar überwiegt, lassen sich doch Urteile nachweisen, in denen der Bundesfinanzhof - jedenfalls unter gewissen Voraussetzungen - eine steuerverschärfende richterliche Rechtsfortbildung zugelassen hat. Das trifft vor allem für die Entscheidung des Vierten Senats des Bundesfinanzhofs vom 28. 5. 1968 zu, der eine sog. "zweischneidige" LückenfUllung zugelassen hat: ,.zur Füllung offener Regelungslücken sind die Gerichte berufen, soweit dadurch nicht der gesetzliche Tatbestand in unzulässiger Weise ausgedehnt wird (vg\. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 287 ff.; BVerIDE 3, 225 [243]; BVerIDE 13, 153 [162]; 13,318 [328 f.]) .

•3

'4

BFH, Urt. v. 20. 5. 1969, BStB\. 196911, S. 550 [552].

BFH, Urt. v. 24. I. 1974, BFH 111, 329 [335]. Vg\. auch BFH, Urt. v. 6. 5. 1981, BStB\. 1981 11, S. 688 [689]: "Im Rahmen der dem Richter gestatteten Rechtsfortbildung ist eine solche Lücke durch die Einfilgung der fehlenden Einschrllnkung zu schließen (vg\. ...) .... Die Lückenausfilllung ist auch nicht etwa im Hinblick darauf unzulässig, daß sich die Finanzbehörden auf eine am Wortlaut der Vorschrift haftende Auslegung eingerichtet und dementsprechend möglicherweise die abschließende Bearbeitung gewisser Steuerfll1le zurückgestellt haben, in denen sich eine Verjährung ergeben könnte. Es ist nicht ersichtlich, daß hierwegen das finanzbehördliche Interesse an Rechtssicherheit und RechtsbestlIndigkeit größere Beachtung verdiente als in anderen Fällen, in denen sich ebenfalls eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Vorteil des Steuerpflichtigen ergibt."

Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

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Eine Ausweitung des Steuertatbestandes liegt nicht vor. Die von der Rechtsprechung und der Verwaltungspraxis entwickelten Grundsätze über Gewinnzu- und -abschläge wegen Wechsel der Gewinnermittlungsart können sich zugunsten wie zuungunsten der Steuerpflichtigen auswirken. Sie bilden ein System von Einzelregeln, dessen Teile nicht getrennt voneinander betrachtet werden dUrfen. In ihrer steuerlichen Auswirkung heben sich diese Regeln gegenseitig auf. Im Einzelfall allerdings ftlhrt ihre Anwendung im Ergebnis je nachdem zu einer Gewinnerhöhung oder zu einer Gewinnminderung. Das ist jedoch nicht entscheidend. Es kommt darauf an, ob die abstrakten Rechtsgrundsätze als Ganzes genommen eine Erweiterung des (abstrakten) Steuertatbestandes darstellen. Das ist nicht der Fall. Es wurde daher zu einem unzutreffenden und ungerechtfertigten Ergebnis ftlhren, nur den Teil der Grundsätze, der den Ansatz von Gewinnzuschlägen betrifft, ftlr sich zu sehen, um ihn als unzulässige Ausweitung des Steuertatbestandes zu betrachten.,,9S

dd) Fälle richterlicher Rechtsfortbildung zuungunsten des Bürgers Trotz des scheinbar eindeutigen Bekenntnisses zum Verbot richterlicher Rechtsfortbildung zuungunsten des Bürgers gibt es sogar eine Reihe von Entscheidungen, in denen der Bundesfinanzhof eine Analogie zu Lasten des Bürgers vorgenommen hat. Diese Entscheidungen sind unterschiedlich motiviert. (1)

Rechtsfortbildung zuungunsten des Bürgers außerhalb des Steuerschuldrechts

Kein Verbot richterlicher Rechtsfortbildung zuungunsten des Bürgers brauchte der Bundesfinanzhof in seinen Entscheidungen zum Investitionszulagen- und Subventionsrecht, das materiell Verwaltungsrecht ist, anzunehmen. Deshalb hat der Achte Senat des Bundesfinanzhofs in einer Entscheidung vom 19. 6. 1975 eine teleologische Reduktion im Investitionszulagenrecht und der Sechste Senat in einer Entscheidung vom 2. 11. 1982 eine Analogie im Subventionsrecht zugelassen, obwohl sie sich zuungunsten des Bürgers ausgewirkt haben96 : BFH, Urt. v. 19.6. 1975, BFHE 117, 195 [196 f.]: "Der Wortlaut des § 19 Berlin-Förderungsgesetz sieht zwar die Beschränkung auf einen geringeren Betrag als die tatsächlich entstandenen Anschaftbngskosten nicht vor. Dabei kommt dem Wortlaut des Gesetzes wie im Steuerrecht auch im Investitionszulagenrecht eine besondere Bedeutung zu, so daß mit einer Entscheidung entgegen dem Wortlaut zuungunsten des Steuerpflichtigen bzw. Antragstellers Zurückhaltung zu üben ist. Eine vom Wortlaut abweichende Auslegung des Gesetzes ist jedoch dann geboten, wenn die Auslegung nach dem Wortlaut offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers widerspricht, erkennbar zu einem widersinnigen Ergebnis ftlhrt und allgemein anerkannte AuslegungsgrundSätze eine befriedigende Lösung ermöglichen, die dem Sinn und Zweck der Vorschrift gerecht wird. Der Senat ist der Auffassung, daß diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind ....

95 BFH, Urt. v. 28. 5. 1968, BStBl. 196811, S. 650 [651]. Zustimmend zur Zulässigkeit "zweischneidiger Lückenftlllung" etwa Beisse, StuW 1981, S. 1 [9]. 96 Eine Analogie, die sich zuungunsten des Bürgers auswirkt, findet sich auch in einer Entscheidung zum Verfahrensrecht (vgl. BFH, Urt. v. 28. 1. 1976, BStBl. 1976 H, S. 390 [392]).

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

159

Der Gesetzgeber kann ein derartiges Ergebnis nicht gewollt haben. Es liegt eine sogenannte verdeckte RegelungslUcke vor, die nach der Rechtsprechung in der Weise zu flllien ist, daß dem Gesetz die vom Sinn und Zweck geforderte Einschränkung hinzugeftlgt wird (vgl. ... )."97 BFH, Urt. v. 2. 11. 1982, BFHE 137, 197 [112]: "Der vom erkennenden Senat ftlr richtig gehaltenen Auffassung kann auch nicht entgegengehalten werden, eine LUckenausftlllung zu Lasten des Rechtsunterworfenen sei unzulässig. Es bedarf keines Eingehens auf die Frage, ob im Steuerrecht der LUckenausftlllung im Wege der Analogie Grenzen gezogen sind, da das Steuerrecht hier nicht berührt ist. Ausfuhrerstattungen und die Gewährung von Währungsausgleichsbeträgen sind, ..., keine SteuervergUnstigungen, sondern Subventionen mit wirtschaftspolitischer Zielsetzung. Daß insoweit die Analogiejedenfalls hinsichtlich des Verzinsungsanspruchs rechtlich zulässig ist, belegt die oben zitierte Rechtsprechung des BVerwG zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch und dem damit zusammenhängenden Nutzungsausgleich .... Auch die Ubrigen Einwendungen der Klägerin gegen diese Auffassung halten einer näheren Prüfung nicht stand. Der Vorrang des Gesetzes (vgl. Art. 20 Abs. 3 00), nach welchem jede der beiden anderen Staatsgewalten die im Gesetz abstrakt getroffenen Entscheidungen zu beachten und zu vollziehen, auf keinen Fall aber durch ihre eigenen zu ersetzen hat (vgl. MaunzlDUriglHerzoglScholz, Grundgesetz, 18. Lieferung, Art. 20 111 Rn. 35), ist nicht verletzt. Es bedarf keiner Begründung, daß dieser Grundsatz der Ausftlllung von GesetzeslUcken im Wege der Analogie nicht entgegensteht. Er wäre nur dann verletzt, wenn das Gericht eine Gesetzesvorschrift außer acht ließe, die der durch Analogie gewonnenen Rechtsnorm entgegenstünde. ... Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auch auf die Grundsätze der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Auch aus diesen Grundsätzen ergibt sich nichts gegen die Zulässigkeit der LUckenausftlllung durch Analogie."

(2)

Die "verkappten" steuerverschärfenden Analogien

Eine weitere Fallgruppe richterlicher Rechtsfortbildungen zuungunsten des Steuerpflichtigen sind die sog. "verkappten" Analogien. Als "verkappte" Analogien werden solche Fälle richterlicher Rechtsfortbildung bezeichnet, bei denen der Rechtsanwender die Feststellung einer Lücke im Gesetz und die ftlr die Analogie notwendige Ähnlichkeitsfeststellung unterläßt und "die in Rede stehende Vorschrift ohne oder durch Vortäuschung einer Subsumtion" anwendet, obwohl der zu beurteilende Sachverhalt vom möglichen Wortsinn der Vorschrift nicht erfaßt wird98 • Bei den "verkappten" Analogien ist nicht nurwie bei den "offenen" Analogien - problematisch, ob das Rechtssicherheitsprinzip und andere verfassungsrechtliche Prinzipien verletzt werden. "Bei der verkappten Analogie kommt", wie G. Crezelius zu Recht sagt, "erschwerend hinzu, daß der Bürger durch die Rechtsprechung - bewußt oder unbewußt über die Einschlägigkeit der Ermächtigungsgrundlage getäuscht wird. Das hat gerade im Bereich des Steuerrechts, in dem auch Nichtjuristen beratend tätig sind, schwerwiegende, rechtsschutzverkürzende Konsequenzen. Die Entscheidung, die Analogiefragen offen erörtert, sensibilisiert den Steuerpflichtigen, eine verkappte Analogie dagegen vernebelt die wirklichen EntscheidungsgrOnde und

'7

Ebenso BFH, BStBl. 1978 11, S. 353 [354 f.].

•• Vgl. Crezelius, StuW 1981, S. 117 [118].

160

Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung iin Steuerrecht

verhindert dadurch die Revision bzw. die Verfassungsbeschwerde."99 Die "verkappten" Analogien sind deshalb eine erhebliche Gefahr fUr den Rechtsstaat, die es unbedingt zu venneiden gilt; das Verbot steuerverschärfender Analogie, durch das die Freiheitssphäre des Bürgers geschützt werden soll; wird zu einer Gefahr fUr eben diese Freiheit, wenn die Rechtsprechung dieses Verbot durch schwer erkennbare "verkappte" Analogien unterläuft. "Verkappte" Analogien werden vor allem durch die methodischen Argumentationsmuster der Auslegung gegen den Wortlaut, der extensiven Auslegung, der wirtschaftlichen Betrachtungsweise und der Typisierung sowie unter Berufung auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung vorgenommen lOO • Als "verkappte" Analogien im besonderen Steuerrecht werden beispielsweise die sog. Liebhaberei, der Veräußerungsgewinn bei negativem Kapitalkonto, die Betriebsverpachtung, die Betriebsaufspaltung, die Geprägetheorie bei der GmbH & Co. KG sowie der Mantelkauf genannt lOI • In diesem Zusammenhang ist es nicht nötig und möglich, die Frage zu untersuchen, ob sich diese Fälle noch durch die Auslegung des einfachen Gesetzesrechts rechtfertigen lassen oder ob nicht vielmehr ("verkappte") richterliche Rechtsfortbildungen vorliegen. Es ist vielmehr ausreichend, auf einige Entscheidungen hinzuweisen, deren Urteilsgründe

99 Crezelius, StuW 1981, S. 117 [119]. Vg\. dazu auch dens., Steuerrechtliche Rechtsanwendung, S. 162 ff., 170 ff. Vg\. dazu auch Beger, Methodenlehre, S. 62 ff.; HartmannlWalter, Auslegung und Anwendung von Steuergesetzen, S. 262 ff. 100 Vg\. Crezelius, StuW 1981, S. 117 [119 ff.]. Eine bekannte "verkappte" richterliche Rechtsfortbildung enthält BFH, Urt. v. 14. 12. 1972, IV R 12/68, BStB\. 1972 H, S. 159 ff., wo der BundesfinanzhoJzwar von einer "vom Wortlaut getragenen Entscheidung", das Bundesverfassungsgericht hingegen zutreffend von einer - sogar unzulassigen - richterlichen Rechtsfortbildung ausgeht (vg\. BVerfGE 71, 354 [362 ff.]). Vg\. auch Hellwig, 75 Jahre Reichsfinanzhof - Bundesfinanzhof, S. 255 [263 ff.].

101 Vg\. Crezelius, StuW 1981, S. 117 [121 ff.]. Weitere Beispiele bei Beger, Methodenlehre, S. 60 f.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, S. 1299 ff.; ausfIIhrIich auch Goutier, Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre, S. 54 bis 91. Verkappte Analogie wohl auch bei BFH, Urt. v. 12. 4. 1978, BStB\. 1978 H, S. 436 [437 f.]; BFH, Urt. v. 10. 11. 1985, BStB\. 1986 H, S. 289 [292 f.], wonach die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs "auf einer Fortbildung des geltenden Einkommensteuerrechts durch die Gerichte" beruht; vg\. auch BFH, Urt. v. 26. 7. 1989, BStB\. 198911, S. 1027 [1028 f.], wo der BFH keine "Gesetzeslilckenausfllllung" annimmt, gleichzeitig aber betont, daß er - unter "Bindung an Wertungen des Gesetzgebers, die der getroffenen Regelung erkennbar zugrunde liegen" - einen unvollkommen formulierten Tatbestand entsprechend der Regelungsabsicht versteht; BFH, Urt. v. 12. 12. 1990, BFHE 163, 162 [164], wo der BundesjinanzhoJeine Entscheidung aus dem "Gesamtwortlaut" ableitet; BFH, Urt. v. 15. 12. 1993, BFHINV 1994, S. 476 [477] zu einem "anschaffungsllhnlichen Vorgang"; BFH, Urt. v. 23. 10. 1985, BFHE 145, 13 [15 f.] zur Haftung kraft Gesetzes i. S. des § 191 Abs. I AO 1977, wenn die zivilrechtliche Haftung ohne eine ausdrtlckliche Vorschrift im BGB begrtlndet wird. Vg\. auch BFH, Urt. v. 16. 11. 1972, BStB\. 197311, S. 102 [104]; BFH, Urt. v. 26. l. 1977, BStB\. 1977, S. 283 [285]; BFH, Urt. v. 9. 8. 1983, BFHE 139, 187 [l89]; BFH, Urt. v. 15. 12. 1993, BFHINV 1994, S. 476 [477].

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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allein schon die Annahme nahelegen, daß hier eine richterliche Rechtsfortbildung über den möglichen Wortsinn der gesetzlichen Bestimmungen hinaus vorgenommen worden ist. Problematisch ist beispielsweise, ob sich die Entscheidung des Sechsten Senats des Bundesfinanzhofs vom 10. 3. 1978 noch durch Auslegung rechtfertigen läßt 102 • Diese Entscheidung erwähnt zwar die Analogie oder sonstige Methoden richterlicher Rechtsfortbildung mit keinem Wort, nimmt aber der Sache nach eine richterliche Rechtsfortbildung durch Analogie zuungunsten des Steuerpflichtigen vor, indem es fUr die Frage, ob ein Wirtschaftsgut ein Arbeitsmittel i. S. des § 9 Abs. 1 S. 1 i. V. m. S. 3 Nr. 1, 6 und 7 EStG 1974 ist, auf eine Regelung im Bereich der Gewinnermittlung zurückgreift. Dies wird durch folgende AusfUhrungen deutlich: "Die vom Senat zu beurteilenden Rechtsfragen zeigen Berührungspunkte mit § 4 Abs. 5 S. 2 EStG 1974 und ihrer Auslegung im Urteil des IV. Senats vom 4. August 1977 IV R 157/74 (BFHE 123, 158, BStBl. 11 1978, 93). Diese Vorschrift sieht vor, daß bestimmte Aufwendungen, die die Lebensftlhrung des Steuerpflichtigen oder anderer Personen berühren, bei der Gewinnermittlung insoweit ausscheiden, als sie nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als unangemessen anzusehen sind. Sie betrifft zwar - anders als im Streitfall, in dem über die grundsätzliche Zuordnung von Aufwendungen zu den Werbungskosten zu entscheiden ist- Aufwendungen, die dem Grunde nach als Betriebsausgaben anzusehen sind, bezieht sich aber zugleich auf die auch vom Senat zu beurteilende Frage der Abgrenzung zu den Kosten der Lebensftlhrung. Die Vorschrift ist Ausdruck eines allgemeinen auch bei der Abgrenzung der Werbungskosten von den Lebenshaltungskosten zu beachtenden Rechtsgrundsatzes. Zur Auslegung hat der IV. Senat entschieden, daß in die Beurteilung, inwieweit Betriebsausgaben als unangemessen anzusehen sind, alle Umstände des Einzelfalles einzubeziehen sind; insbesondere ist zu prüfen, inwieweit die Betriebsausgaben zweckmäßig, zur Verfolgung des mit der jeweiligen Maßnahme erstrebten Zieles erforderlich und durch wirtschaftliche Gründe zu rechtfertigen sind. Durch diese besonderen Gesichtspunkte wird der allgemeine Grundsatz, daß der Steuerpflichtige selbst bestimmen kann, welche Ausgaben er im beruflichen Interesse tätigen will, bei der Abgrenzung solcher Aufwendungen von den Kosten der allgemeinen Lebensftlhrung eingeschränkt."lol

Auch bei den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs vom 5. 12. 1979 und vom 19. 11. 1985 könnte es sich um richterliche Rechtsfortbildungen handeln: BFH, Urt. v. 5. 12. 1979, BStBl. 198011, S. 119 [120]: "Rechtsfehlerfrei hat das FG auch die Ausschüttungen der GmbH als Sonderbetriebseinnahmen der Kläger zu 1 und 2 in die einheitliche Feststellung der gewerblichen Einkünfte ft1r die KG einbezogen. Die Rechtsauffassung des FG beruht nicht auf einer unzulässigen Auslegung des Einkommensteuerrechts. Sie widerspricht nicht dem rechtsstaatlichen Erfordernis (...), daß sich der Steuertatbestand, d. h. das Ausmaß des steuerlichen Eingriffs, aus dem Gesetz selbst ergeben muß. Wie der erkennende Senat ... aus geftlhrt hat, läßt sich die Zuordnung der Dividenden der Komplementär-GmbH zu den gewerblichen Einkünften der Kommanditisten zwar nicht ausdrücklich dem Gesetz entnehmen; doch ergibt sie sich zwingend aus dem Sinnzusammenhang und Zweck der Vorschriften der §§ 15 Nr. 2 und 16 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Grenze zur unzulässigen Lückenausftlllung durch eine Analogie zuungunsten des Steuerpflichtigen ist somit nicht überschritten. Das

102

BFH, Urt. v. 10.3. 1978, BStBl. 197811, S. 459 ff.

103

BFH, Urt. v. 10. 3. 1978, BStBt. 1978 11, S. 459 [460 f.].

11 Banh

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Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

Einkommensteuergesetz enthalt hier - im Gegensatz zur echten Gesetzeslücke - bereits eine Regelung im grundsätzlichen (vgl. zur Gesetzeslücke und Analogie auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl., 1979, S. 354 f., 388). Welche Folgerungen sich daraus im einzelnen ergeben, ist einer Konkretisierung durch die Rechtsprechung zuganglich. Eine derartige Konkretisierung ist noch Auslegung, nicht Lückenftlllung. "BFH, Urt. v. 19. 11. 1985, BStBl. 198611, S. 289 [292]: "Unbegründet ist schließlich der Einwand der Kläger, die angefochtene Entscheidung verletze Verfassungsrecht (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes). Die Kläger machen zu Unrecht geltend, die Rechtsprechung des Reichsfmanzhofs und des BFH zur sog. Liebhaberei verstoße gegen die Bindung des Richters an das Gesetz. Die Rechtsprechung, die den Ausgleich von Verlusten aus einer Tatigkeit versagt, die zur Erzielung eines Totalgewinns weder bestimmt noch geeignet ist, beruht auf einer Fortbildung des geltenden Einkommensteuerrechts durch die Gerichte. Das Bundesverfassungsgericht hat die Aufgabe und Befugnis der Gerichte zur Rechtsfortbildung stets bejaht (vgl. Beschlüsse vom 14. Februar 1975 1 BvR 112/65, BVerfOE 34,269,287 f., und vom 11. Oktober 1978 1 BvR 84n4, BVerfOE 49, 304, 318, m. w. N.). Die Grenzen zulRssiger richterlicher Rechtsfortbildung werden nur dann überschritten, wenn die Rechtsprechung im Widerspruch zum möglichen Wortsinn der gesetzlichen Regelung steht, an die sie anknüpft (vgl. Kruse, BB 1985, 1077, 1081, m. w. N.). Entgegen der Ansicht der Kläger ergibt sich das Erfordernis der Gewinnerzielungsabsicht als Merkmal des Gewerbebetriebes aus dem Gesetz (§ 15 EStG, § 2 Abs. I, § 1 GewStDV 1968). Das angefochtene Urteil beruht deshalb nicht auf einer unzulässigen gesetzesüberschreitenden Rechtsfortbildung, sondern auf einer möglichen Auslegung einkommensteuerrechdicher Vorschriften, hier des § 2 Abs. 3 Nr. 1 und § 15 EStG (SchmidtlSeeger, Einkommensteuergesetz, 4. Aufl., § 2 Anm. 8 c)."

(3)

"Offene" steuerverschärfende Analogie

Da von den sog. "verkappten" Analogien Gefahren rur den Rechtsstaat ausgehen, erscheint es konsequent und im Interesse der Methodenehrlichkeit nachahmenswert, daß sich der Vierte Senat des BundesfinanzhojS in einer Entscheidung vom 20. 10. 1983 "offen" rur die Zulässigkeit einer richterlichen Rechtsfortbildung zuungunsten der Steuerpflichtigen ausgesprochen hat lCJ04 : "a) Einem Gericht ist es zwar grundSätzlich verwehrt, Recht zu setzen; denn nach dem Grundgesetz (00) wird das Recht grundsätzlich von den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes und der Lllnder gesetzt. Die Gerichte sind dagegen 'an Gesetz und Recht gebunden' (Art. 20 Abs. 3 00). Sie haben in erster Linie die Aufgabe, den abstrakten Aufgabentext durch Auslegung zu konkretisieren.

104

BFH, Urt. v. 20. 10. 1983, Vierter Senat, BStBl. 198411, S. 221 [224].

§ 3 Das steuerrechdiche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

163

Darüber hinaus ist es aber auch Aufgabe der Gerichte, ungewollte Unvollständigkeiten des Gesetzes durch Schließung der Lücken zu beheben. Die bloßen Gesetzeswortc bringen das teleologische Konzept eines Gesetzes nicht selten nur bruchsUickhaft zum Ausdruck. Die Vervollkommnung des unvollständigen Gesetzes zu einem stimmigen Konzept liegt im Aufuag der Rechtsanwendung (Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung und Verwaltungsvorschriften im Steuerrecht, S. 13 ff.). Mit der LÜckenausftlllung durch Analogie wird dem Gesetzgeber nicht der Vorrang streitig gemacht; insoweit wird vielmehr lediglich 'nachbessernd' im Sinne der Vorstellungen des Gesetzgebers gehandelt (Tipke, Steuerrecht, 9. Aufl., S. SO). Ein Analogieverbot besteht im Steuerrecht ebensowenig wie im Übrigen Verwaltungsrecht. Auch fllr das - außerhalb des Steuerrechts liegende - Eingriffsverwaltungsrecht wird aus dem Grundsatz der Gesetzmll8igkeit der Verwaltung kein LÜckenausftlllungs- und Analogieverbot abgeleitet (vgl. hierzu Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl., S. 167; Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung und Verwaltungsvorschriften im Steuerrecht, S. 3). b) Werden LÜcken durch Analogie geschlossen, so kann das im Einzelfall steuermindernde oder steuerverschllrfende Wirkung haben; die Wirkung kann auch 'zweischneidig' - also teils steuermindernd, teils steuerverschllrfend - sein. Wahrend die Möglichkeit, LÜcken durch Analogie mit steuermindernder Wirkung zu fllllen, von der Rechtsprechung des BFH ständig praktiziert wird (vgl. BFHE 111, 329, BStBl. 11 1974, 295), werden gegen die Lückenfllllung mit zweischneidiger oder gar einseitig belastender Wirkung rechtsstaatliche Bedenken gellußert (vgl. z. B. Friauf, Kruse, Felix, in Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung und Verwaltungsvorschriften im Steuerrecht, S. 53 ff., 71 ff., 99 ff.). Diese Bedenken werden vor allem damit begrUndet, daß die steuerverschllrfende Analogie gegen das gerade im Steuerrecht besonders zu beachtende Gebot der Rechtssicherheit verstoße. Bei der Anwendung von Steuerrecht dürfe der mögliche Wortsinn von Rechtsnormen nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen Überschritten werden; denn es sei allein dem Gesetzgeber vorbehalten, den Kreis der steuerpflichtigen Tatbestände zu bestimmen. Der Steuerpflichtige mÜsse sich darauf verlassen können, daß ihn keine stärkere Steuerbelastung treffe, als aus dem möglichen Wortsinn des Gesetzes herauszulesen sei. Der Senat vertritt demgegenÜber die Auffassung, daß das Gebot der Rechtssicherheit in EinzelfIIllen eine LÜckenfllllung durch steuerverschllrfende Analogie nicht ausschließt. Ergibt sich einwandfrei, daß eine LÜcke im Gesetz vorliegt, und ist andererseits aus dem Gesetzeswortlaut und aus den Gesetzesmaterialien eindeutig zu entnehmen, daß es Rechtsprinzipien gibt, nach denen diese Lücke zu schließen ist, so ist eine LÜckenfllllung auch zum Nachteil des Steuerpflichtigen möglich (in diesem Sinne auch Wocmer, in Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung und Verwaltungsvorschriften im Steuerrecht, S. 23; Tipke, Steuerrecht, 9. Aufl., S. 48 ff.; Paulick, Lehrbuch des allgemeinen Steuerrechts, 3. Aufl., S. 123 ff. Anm. 290; Fischer, Steuer und Wirtschaft - StuW - , 1979, 347; Tanzer, StuW 1981, S. 102 ff.; Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, Hamburg 1980, S. 142 ff.). Das Vertrauen der BÜrger in die bestehende Gesetzeslage wird dadurch nicht in unzulässiger Weise berührt. Der 'Wortsinn' des Gesetzes bietet schon deswegen keine hinreichende Grundlage fllr den Vertrauensschutz, weil innerhalb des möglichen Wortsinns meistens mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kommen. Entscheidender Anknüpfungspunkt fllr einen etwaigen Vertrauensschutz kann deshalb nur der im Gesetz zum Ausdruck gekommene Sinnzusammenhang - der gesetzgeberische Plan - sein (in diesem Sinne auch Tipke, Steuerrecht, 9. Aufl., S. SO; Woemer, a. a. 0., S. 42 ff.). Rechtssicherheit in diesem Sinne ist - wie Tipke zutreffend ausfllhrt - 'Prinzipien- oder Regelsicherheit' . Daß die Rechtsprechung des BFH auch bisher schon steuerverschllrfende Analogien als prinzipiell gerechtfertigt angesehen hat, Il18t sich durch eine Reihe von Beispielen belegen (vgl. hierzu im einzelnen Woemer, a. a. 0., S. 23, 36 ff., und Tanzer, StuW 1981,201,206)." 11·

164

Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

ee) Die Entwicklung nach dem 20.10.1983 Die Frage, ob die steuerbegrUndende oder -verschärfende richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht zulässig ist, ist nach der Entscheidung des Vierten Senats des Bundesfinanzhofs vom 20. 10. 1983 offen geblieben: Einerseits läßt sich seit diesem Zeitpunkt in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs keine Entscheidung nachweisen, die sich die vom Vierten Senat vertretene Rechtsauffassung zu eigen gemacht hat. Auf der anderen Seite hat sich seit der Entscheidung vom 20. 10. 1983 aber kein anderer Senat des Bundesfinanzhofs zu dem Verbot steuerbegrUndender oder -verschärfender richterlicher Rechtsfortbildung bekannt. Der Bundesfinanzhof hat in seinen Entscheidungen vielmehr die Zulässigkeit steuerverschärfender Analogien dahingestellt sein lassen. Das Gericht hat die Vornahme einer richterlichen Rechtsfortbildung aber meistens abgelehnt und sich dabei auf die gesicherte methodologische und verfassungsrechtliche Erkenntnis gestützt, daß eine richterliche Rechtsfortbildung nur dann zulässig ist, wenn das Vorliegen einer Regelungslücke nachgewiesen werden kann lOS • Kennzeichnend filr diese Vorgehensweise ist das Urteil des Sechsten Senats des Bundesfinanzhofs vom 13. 1. 1984 106, in dem er es offen gelassen hat, ob er der Rechtsprechung des Vierten Senats zu folgen vermag und - filr die Frage, ob § 4 Abs. 5 Nr. 1 EStG auf die Werbungskosten anwendbar ist - das Vorliegen einer Regelungslücke verneint hat:

lOS Vgl. etwa BFH, Urt. v. 15. 12. 1983, BStBl. 198411, S. 388 [391], wo das Vorliegen einer RegelungslUcke verneint und daraufhingewiesen wird, daß die dort diskutierte steuerverschllrfende Analogie "selbst von demjenigen Schrifttum nicht gedeckt (ware), das eine gewisse Lockerung des steuerverschllrfenden Analogieverbots berurwortet (vgl. Woerner, in Tipke [Herausgeber], Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung und Verwaltungsvorschriften im Steuerrecht, Köln 1982, S. 23, 42 ff., mit weiteren Nachweisen)." Ähnlich auch BFH, Urt. v. 15. 12. 1993, BStBl. 1984, S. 393 [394]; BFH, Urt. v. 15. 12. 1983, BStBl. 1984, S. 395 [397]; BFH, Urt. v. 15. 12. 1983, BStBl. 1984, S. 398 [400]; BFH, Urt. v. 22. 12. 1983, BStBl. 198411, S. 400 [402]; BFH, Urt. v. 22. 12. 1983, BStBl. 198411, S. 404 [405]. 106 BFH, Urt. v. 13. 1. 1984, BStBl. 198411, S. 315 [316]. Ebenso BFH, Urt. v. 24. 3. 1992, BFHE 168,300 [304] (Siebter Senat): "Daher hlllt es der Senat nicht rur vertretbar, diese Vorschrift - wie es die Vorinstanz getan hat - im Gegensatz zu ihrem klaren Wortlaut analog auf die Änderung der Steueranforderung anzuwenden, ... . Denn auch in bezug auf die Erhebung von Säumniszuschlägen hat das Steuerrecht Eingriffscharakter mit der Folge, daß eine strenge Gesetzesund Tatbestandsmäßigkeit ft1r den Eingriff zu fordern ist, die eine Analogie zumindest dann ausschließt, wenn sich nicht aus dem Gesamtzusammenhang und den Gesetzesmaterialien ergibt, daß der Gesetzgeber auch den nach dem Wortlaut nicht geregelten Fall tatsächlich entsprechend hat regeln wollen (vgl. BFH-Urleil vom 20. Okttober 1983 IV R 175/79 BFHE 139, 561, BStBl. 11 1984,221,224; KUhnlKutterlHoffinann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., Anhang zu § 4 AO 1977 Anm. 1b; zum Meinungsstand: TipkelKruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 4 AO 1977 Tz. 121)."

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

165

"Die insoweit bestehende 'Deckungsgleichheit' des Betriebsausgabenbegriffs mit dem der" Werbungskosten kann jedoch nicht dazu ruhren, nunmehr auch die ihrem Wortlaut nach nur rur Betriebsausgaben geltende Vorschrift des § 4 Abs. 5 Nr. I EStG zur Begrenzung des Werbungskostenabzugs i. S. des § 9 Abs. 1 S. 1 EStG heranzuziehen (anderer Ansicht FG MUnchen, Urteil vom 24. Januar 1980 VII 2038n8 E, EFG 1980,327). Nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit oder Tathestandsmäßigkeit der Besteuerung ist die Heranziehung zu einer Steuer nur zuillssig, sofern und soweit dies durch das Gesetz angeordnet ist, sofern also ein gesetzlicher Tatbestand erftlllt ist, an den als Rechtsfolge eine Steuer geknUpft ist (vgl. Tipke, Steuerrecht, 9. Aufl., S. 41). Dementsprechend können Aufwendungen, die ihrer Natur nach als Werbungskosten abziehbar sind, zur Ermittlung der EinkUnfte aus nichtselbstllndiger Arbeit vom Abzug grundsätzlich nur ausgeschlossen werden, wenn das Gesetz dies ausdrUcklich angeordnet hat. Anders als bei den Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 5 Nr. 1 EStG) enthält das Gesetz jedoch hinsichtlich der Werbungskosten keine den Abzug von Geschenken ganz oder teilweise ausschließende Norm. Soweit des EStG allerdings RegelungslUcken aufweist, die als planwidrige Unvollkommenheit des Gesetzes anzusehen sind (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl., 1983, S. 359, m. w. N.), ist die Rechtsprechung nach dem Urteil des BFH vom 20. Oktober 1983 IV R 175n9 (BFHE 139, 561, BStBl. 11 1984, 221) unter gewissen Voraussetzungen zur LUckenausrullung berechtigt, selbst wenn sich dies zu Lasten des Steuerpflichtigen, also steuerverschärfend, auswirkt (vgl. dazu auch Woerner, Die Steuerrechtsprechung zwischen Gesetzeskonkrctisierung, Gesetzesfortbildung und Gesetzeskorrektur, in Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung und Verwaltungsvorschriften im Steuerrecht, Köln 1982, S. 23 ff., insbesondere S. 35 ff.). Der Senat kann offenlassen, ob er der vorstehenden Rechtsauffassung des IV. Senats zu folgen vermöchte; denn im Streitfall ist eine dem Gesamtplan des EStG widersprechende Unvollkommenheit nicht darin zu erblicken, daß das Gesetz rur den Bereich der Werbungskosten kein dem § 4 Abs. 5 Nr. I EStG entsprechendes Abzugsverbot enthält. Ein solcher Gesamtplan ergibt sich insbesondere nicht aus dem allgemeinen Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 S. 2 EStG..... Der Gesetzgeber wollte mit § 4 Abs. 5 Nr. I EStG kein Gesamtkonzept verwirklichen, sondern nur eine Einzelfrage rur den Bereich der Betriebsausgaben regeln. Er wollte durch das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Nr. 1 EStG den Mißbrauch bei dieser Art von Betriebsausgaben verhindern, ... Der Umstand, daß - ... - auch Ausnahmen vorliegen können, läßt noch nicht den Schluß zu, daß eine von der Rechtsprechung zu schließende RegelungslUcke im Gesamtplan des Gesetzgebers vorliegt....."107

\07 Ebenso BFH, Urt. v. 16. 3. 1984, BStBl. 198411, S. 433 [434]; BFH, Urt. v. 12. 1. 1990, BFHE 159, 341 [345 f.] zur analogen Anwendung des § 4 Abs. 5 Nr. 1 EStG auf die Werbungskosten. Die Zuillssigkeit steuerverschärfender Analogie wird ebenfalls von BFH, Urt. v. 26. 4. 1989, BStBl. 198911, S. 599 [601] offengelassen. Ebenso lehnt BFH, Urt. v. 27. 11. 1985, BStBl. 198611, S. 272 [273 f.] (Erster Senat) das Vorliegen einer LUcke ab: "Ein anderes Ergebnis kann auch nicht darauf gestutzt werden, daß § 4 KVStG auf den vorliegenden Fall analog angewandt wird. Dies gilt ungeachtet der Streitfrage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine steuerverschärfende Analogie auch im Steuerrecht als Eingriffsrecht zuillssig ist (BFH-Urteile vom 21. Dezember 1977 I R20n6, BFHE 124, 317, BStBl. 11 1978,346; vom 16. Novemver 1978 V R 22/73, BFHE 127,243, BStBl. 11 1979,347; vom 8. Dezember 1981 VIII R 125n9, BFHE 135,426, BStBl. 11 1982,618; vgl. aber auch vom 20. Oktober 1983 IV R 175n9, BFHE 139,561, BStBl. 11 1984, 221). Denn jedenfalls ist eine steuerverschärfende Analogie im Steuerrecht dann unzuillssig, wenn sie einen steuerbegrUndenden Tatbestand schaffen wUrde (BVerfG-BeschIUsse vom 24. Januar 1962 1 BvR 232/60, BVerfGE 13, 318, 328, und vom 30. Januar 1985 1 BvR 279/83, Neue Juristische Wochenschrift 1985, 1891). Ausgeschlossen ist eine steuerverschärfende

166

Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

m. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur richterlichen Rechtsfortbildung im Steuerrecht

Da das Verbot richterlicher Rechtsfortbildung vorwiegend aus dem Verfassungsrecht abgeleitet wird, ist die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zur richterlichen Rechtsfortbildung im Steuerrecht von besonderem Interesse. Das Bundesverfassungsgericht hat sich - soweit ersichtlich - erstmals in seinem Beschluß vom 10. 10. 1961 mit den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Ausgestaltung gesetzlicher Grundlagen ft1r die Erhebung von Steuern beschäftigtloB . Nach Auffassung des Gerichts fordern die Grundsätze des Rechtsstaats, daß "die Norm, die eine Steuerpflicht begründet, nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt ist, so daß die Steuerlast meßbar und in gewissem Umfang ft1r den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar wird."I09 Diese Grundsätze verwehren es dem Gesetzgeber nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts aber nicht schlechthin, "Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden. Gerade im Bereich des Wirtschafts- und Steuerrechts kommt der Gesetzgeber nicht ohne sie aus. ... Der rechtsstaatliche Grundsatz der gleichen steuerlichen Belastung und damit der Steuergerechtigkeit kann eher verwirklicht werden, wenn Steuerverwaltung und Finanzgerichte den Besonderheiten des Einzelfalles durch Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs gerecht werden können, als wenn sie gezwungen werden, jeden Fall in eine starre, enumerativ-kasuistisch gestaltete Norm zu pressen. Hinzu kommt, daß die Verwendung des in § 3 Abs. 1 KVStG enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffs dazu dient, den Steuertatbestand einzuengen und damit die Steuerpflicht zu begrenzen, nicht aber sie zu erweitern. Die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs soll hier also eine möglichst vollkommene Steuergleichheit und Steuergerechtigkeit erreichen."IIO Dem Einwand des vorlegen-

Analogie vor allem dann, wenn eine Vorschrift den Anspruch des Gesetzgebers erkennen läßt, durch eine rechtspolitische Entscheidung den Umfang der Besteuerung abschließend zu regeln. In einem solchen Fall fehlt es bereits an einer Lücke (planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes; vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. S. 354 ff.). So liegen die Dinge hier." 101 BVerfUE 13, 153 [160 ff.). Zuvor hat sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 24. 7. 1957 (BVerfUE 7, 89 [94 f.)) zur analogen Anwendung des Art. 103 Abs. 2 00 auf das Steuerrecht nur im Rahmen der Rückwirkungsproblematik geäußert. Danach kann es aber keinesfalls angehen, "Art. 103 Abs. 2 00, der sich ausdrücklich nur auf Strafgesetze bezieht, analog auf eine ftlr den einzelnen Steuerpflichtigen verhältnismäßig belanglose steuerrechtliche Bestimmung wie § 27 Abs. 2 des Hundesteuergesetzes anzuwenden." 109 BVerfUE 13, 153 [160). Ebenso BVerfUE 19,253 [267); 34, 348 [365); 49, 343 [362). Diese Formulierung übernimmt das Gericht aus der Preisgesetz-Entscheidung (BVerfUE 8, 274 [325 f.)). Vgl. dazu ausftlhrlich unten § 7 V. 2. a). Später hat das Gericht auf die Gewichtigkeit der Grundrechtsrelevanz hingewiesen (vgl. BVerfUE 48, 210 [222)). 110

BVerfUE 13, 153 [161 f.).

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

167

den Gerichts, daß die fragliche Bestimmung den Richter überfordere, hält das Bundesverfassungsgericht entgegen, daß "selbst die schöpferische Füllung weiter Lücken auf der Grundlage einer richtungsweisenden Generalklausel eine herkömmliche und stets bewältigte richterliche Aufgabe ist (BVerfGE 3, 225 [243 f.)). Dieser Grundsatz ist keineswegs auf das Zivilrecht und auf die Zivilgerichte beschränkt. Die Steuergesetze, die die Steuerpflicht an bestimmte wirtschaftliche Sachverhalte knüpfen, müssen der Vielfalt wirtschaftlicher Gestaltungsmöglichkeiten Rechnung tragen und können ohne unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln nicht auskommen. Diese weit gefaßten Normen können das Gebot materieller Gerechtigkeit überhaupt erst erftlllen, wenn der Richter Lücken schöpferisch ausfUllt und damit den objektiven Willen des Gesetzgebers im Einzelfall verwirklicht."··· In der bekannten Entscheidung vom 24. 1. 1962 ging es dann um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von "allgemeinen Rechtsgrundsätzen" mit "normähnlichem Charakter", die der Bundesfinanzhof im Wege schöpferischer Interpretation "im Hinblick auf den besonderen Charakter, die besondere Prägung von Arbeitsverhältnissen zwischen Ehegatten entwickelt und durch die er die Möglichkeit steuerlicher Berücksichtigung solcher Verträge so sehr eingeschränkt hat, daß sie 'kaum jemals' (BFHE 71, 307 [310)) praktisch werden kann."··2 Auch wenn die Begriffe Analogie oder richterliche Rechtsfortbildung in der Entscheidung nicht benutzt werden und der Bundesfinanzhof seine Auffassung mit einzelnen Bestimmungen des Einkommensteuerrechts begründet hat ll3 , hat sich das Bundesverfassungsgericht bei dieser Entscheidung der Sache nach mit einer richterlichen Fortbildung des geltenden Einkommensteuerrechts über dessen möglichen Wortsinn hinaus, und zwar zuungunsten des Steuerpflichtigen, beschäftigt. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar grundlegende AusfUhrungen zur Zu lässigkeit einer solchen Rechtsfindung gemacht, hat indes die "Frage der Rechtsstaatlichkeit" offengelassen, weil die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs aus anderen Gründen gegen die Verfassung verstoßen hat: "Die Entwicklung von Rechtsgrundsätzen gehört zwar auch im Steuerrecht zu den herkömmlichen Aufgaben des Richters, zumal wenn es darum geht, den Steuertatbestand und damit die Steuerpflicht zu begrenzen (vgl. dazu die Entscheidung vom 10. Oktober 1961 - 2 BvL 1/59 [BVerIDE 13, 153 ff. (160 ff.)]). Doch kann es unter dem Verfassungsprinzip des Rechtsstaats bedenklich sein, wenn der Steuertatbestand vom Richter neu geschaffen oder ausgeweitet wird; denn das Steuerrecht wird von der Idee der 'primären Entscheidung des Gesetzgebers Ober die Steuerwurdigkeit bestimmter generell bezeichneter Sachverhalte' getragen und lebt dementsprechend 'aus dem Diktum des Gesetzgebers' (BOhlerIStrickrodt, Steuerrecht, 3. Aufl S. 658).

111

BVerIDE 13, 153 [164].

112

BVerIDE 13,318 [328].

113

Vgl. BVerIDE 13,318 [326].

168

Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

Diese rechtsstaatlichen Bedenken können nicht ohne weiteres durch den Hinweis auf die fllr Steuerverwaltung und Steuerrechtsprechung an sich legitime wirtschaftliche Betrachtungsweise (§ 1 StAnpG) ausgeräumt werden. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise hat ihren Platz dort, wo 'ein Steuergesetz zwar bestimmte rechtliche Sachverhalte nennt, dabei aber nicht deren spezielle rechts-technische Einkleidung, sondern ihre rechtliche Wirkung meint'; an 'diese rechtlichen Wirkungen und die dabei herbeigeftlhrten wirtschaftlichen Ergebnisse im Bereich der Steuerpflichtigen' hat dann die Besteuerung anzuknUpfen. Doch darf die wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht 'dazu verleiten, die rechtliche Methode durch auBerrechtliche Gesichtspunkte und Begriffe aufzulösen' (BuhlerIStrickrodt, aaO S. 158/159).""4

Ob sich das Bundesverfassungsgericht mit diesen Ausftlhrungen zu einem steuerrechtlichen Analogieverbot bekannt hat, ist umstritten geblieben llS • Dagegen spricht, daß das Bundesverfassungsgericht die Rechtsfindung im Steuerrecht an das "Dictum des Gesetzgebers", nicht aber an das "Skriptum des Gesetzgebers" geknüpft hat und in anderen Entscheidungen die Aufstellung allgemeiner Rechtsgrundsätze durch den Bundesfinanzhof gebilligt hat. Außerdem spricht das Gericht vage von "es kann bedenklich sein", und es hat die Zu lässigkeit der richterlichen Rechtsfortbildung unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten letztlich dahingestellt sein lassen. Schließlich kann auch die analoge Rechtsfindung vom "Dictum des Gesetzgebers" getragen sein 1l6 • Auch wenn sich der Bundesfinanzhof bei der Ableitung des Verbots steuerverschärfender Analogie häufig auf diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts berufen hat, sind die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht letztlich offen geblieben. In der Entscheidung vom 11. 11. 1964 hat das Bundesverfassungsgericht zu einer Auslegung des Bilanzsteuerrechts Stellung genommen, die mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar gewesen ist ll7 • Das Gericht hat die Aufstellung allgemeiner Rechtsgrundsätze durch den Bundesfinanzhof gebilligt, weil es "in der Natur der Tätigkeit der höheren Gerichte (liegt), daß sie bei der Entscheidung der ihnen unterbreiteten Einzelflllle das Prinzipielle hervorheben und zur Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze zu gelangen suchen, an die die unteren Gerichte und die Verwaltungspraxis sich kUnftig bei der Behandlung gleichgelagerter Fälle halten können. Damit dienen sie der Einheit des Rechts (vgl. §§ 136 ff. GVG) und so der Rechtssicherheit; sie üben keine Gesetzgebung aus, sondern erftlllen eine legitime richterliche Aufgabe."IIB Ferner hat das Bundesverfassungsgericht die vom Bundesfinanzhofaus § 33 EStG abgelei-

114 BVerfGE 13, 318 [328 f.]. 115 Vgl. dazu etwa Tanzer, StuW 1981, S. 201 [208]; Fischer, StVj 1992, S. 3 [17 ff.]; dem., StuW 1979, S. 347 [361 ff.].

116 So der Einwand von Tipke, Die Steuerrechtsordnung, S. 208. 111 So BVerfGE 18,224 [236]. 118 BVerfGE 18,224 [237 f.]. Ähnlich auch BVcrfGE 25, 28 [40]; 26, 327 [337].

§ 3 Das steuerrechdiche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

169

tete "Gegenwertlehre" verfassungsrechtlich nicht beanstandet, obwohl man hier von einer richterlichen Rechtsfortbildung zuungunsten des Steuerpflichtigen ausgehen könnte: "Gegen die vom BundesjinanzhoJbei der Auslegung des § 33 EStG in stllndiger Rechtsprechung vertretene und dem angegriffenen Urteil zugrundeliegende sogenannte Gegenwerttheorie bestehen ebenfalls keine rechtsstaatlichen Bedenken. Sie stellt keine richterliche Neuschaffung oder Ausweitung eines gesetzlichen Steuertatbestandes dar (vgl. BVerfGE 13, 318 [328]); die an ihr orientierte Auslegung des § 33 EStG durchbricht deshalb die der Rechtsprechung durch ihre Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GO) gezogene verfassungsrechtliche Schranke nicht. ... Die Konkretisierung der Tatbestandsmerkmale durch allgemeine Richtlinien in der Rechtsprechung dient der Rechtssicherheit und Steuergleichheit. Sie begegnet auch auf dem Gebiet des Steuerrechts grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfGE 13, 153 [162]; 13,318 [328]; 18,224 [237]). Das Rechtsstaatsprinzip wird auch nicht dadurch verletzt, daß die Anwendung der Gegenwertlehre zu einer einschränkenden Auslegung des § 33 EStG fUhrt." 119

Ferner ist nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14.3. 1967 der notwendigen Bestimmtheit, die das Rechtsstaatsprinzip besonders bei belastenden Vorschriften verlangt, "auch bei Steuerrechtsnormen genügt, wenn der Gesetzgeber die wesentlichen Bestimmungen über die Steuer oder Abgabe mit hinreichender Genauigkeit trifft; er braucht nicht jede einzelne Frage zu entscheiden und ist hierzu angesichts der Kompliziertheit der zu erfassenden Vorgänge vielfach auch gar nicht in der Lage (vgl. BVerfGE 3, 225 [243]). Vielmehr ist es Sache der Verwaltungsbehörden und Gerichte, die bei der Gesetzesanwendung mangels ausdrücklicher Regelungen auftauchenden Zweifelsfragen mit Hilfe der anerkannten Auslegungsmethoden zu beantworten (vgl. BVerfGE 11, 126 [130]). Eine solche Auslegungsbedürftigkeit nimmt einer gesetzlichen Regelung noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit (BVerfGE 19, 166 [177]; 3, 225 [242 f.])."120 In seiner Entscheidung vom 17. 10. 1973 121 hat es eine Analogie zugunsten des Steuerpflichtigen sogar tllr verfassungsrechtlich geboten gehalten. Auch nach Auffassung eines Vorprüfungsausschusses des Ersten Senats des

Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 30. 1. 1985 kann zwar

"die rechtsprechende Gewalt durch Analogie keine Steuertatbestände schaffen oder verschärfen ... ; denn das Steuerrecht lebt aus dem Dictum des Gesetzgebers (BVerfGE 13, 318 [328])."122 Ob sich das Bundesverfassungsgericht jedoch damit dem Verbot steuerverschärfender richterlicher Rechtsfortbildung praeter legem angeschlossen hat, erscheint fraglich. Der Ausschuß läßt nämlich

119

BVcrfGE 21, 1 [4]

120

BVerfGE 21, 209 [215].

121

BVerfGE 36, 126 [136 f.].

122

BVerfG, NJW 1985, S. 1891.

170

Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

in seiner Entscheidung zu, daß auch bei freiberuflich tätigen Personengesellschaften Sonderbetriebsvennögen angenommen worden ist, obwohl es § 18 Abs. 5 EStG, der nunmehr auf §§ 15 Abs. 1 Nr. 2, 15 Abs. 2 Sätze 2 und 3 und § 15a EStG verweist, noch nicht gegeben hat. Außerdem hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 12.3. 1985 ebenfalls die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Betriebsaufspaltung gebilligt, die er als eine "grundsätzlich zulässige richterliche Rechtsfortbildung" angesehen hat l23 : "Das Bundesverfassungsgericht hat die Aufgabe und Befugnis der Gerichte zur richterlichen Rechtsfortbildung stets bejaht (vgl. BVertUE 34, 269 [287 f.]; 49, 304 [318] jeweils m. w. N.). Rechtsfortbildung war in der deutschen Rechtsgeschichte nicht nur seit jeher eine anerkannte Funktion der Rechtsprechung; sie ist im modemen Staat geradezu unentbehrlich. Gewichtige Regelungen des gegenwärtigen bürgerlichen wie öffendichen Rechts beruhen auf ihr. Das geltende Recht - vgl. § 11 Abs. 4 FGO - anerkennt sie zumal fl1r die hOchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. BVertUE 65, 182 [190 f.]). Der finanzgerichdichen Rechtsprechung ist es insbesondere nicht von vornherein verwehrt, im Wege der Rechtsfortbildung verllnderten wirtschaftlichen Situationen Rechnung zu tragen (vgl. BVertUE 18,224 [241]), zumal Unternehmer und ihre Berater immer um die jeweils günstigste Gestaltung bemüht sein werden, solange es keine wirklich rechtsformunabhlngige Unternehmensbesteuerung gibt (vgl. Knobbe-Keuk, Die Betriebsaufspaltung - ein 'Rechtsinstitut'?, in: StbJb. 1980/81, S. 335 [355]). In der Literatur ist dem BundesfinanzhoJvorgehalten worden, er habe unter Überschreitung der richterlichen Kompetenz einen neuen Gewerbesteuertatbestand geschaffen (Roellecke, Rechtsstaatliche Grenzen der Steuerrechtsprechung arn Beispiel der Betriebsaufspaltung, in: Festschrift fl1r Duden, S. 481 ff.; Knobbe-Keuk, a. a. 0., S. 349). Weder das Gewerbesteuergesetz noch das Einkommensteuergesetz gaben eine allgemeine Handhabe, die Einkünfte des Besitzunternehmens der Gewerbesteuer zu unterwerfen (Roellecke, a. a. 0., S. 498); die wirtschaftliche Betrachtungsweise dOrfe allein keine gesetzliche Grundlage fl1r die Besteuerung sein (Roellecke, a. a. 0., S. 494); im Ergebnis erspare sich die Rechtsprechung durch die Annahme einer Betriebsaufspaltung den Nachweis einer Steuerumgehung im Einzelfall (Roellecke, a. a. 0., S. 498 f.; Knobbe-Keuk, a. a. 0.). Die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung wllren aber erst dann überschritten, wenn die gesetzliche Regelung, an welche die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs anknüpft, nach Wortlaut, Systematik und Sinn abschließend gestaltet wllre und die Gewerbesteuerpflicht des Besitzunternehmens dazu in Widerspruch stunde (vgl. BVertUE 65, 182 [191]). Das ist indessen nicht der Fall."124

Damit hat das Bundesverfassungsgericht die aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung auch fllr das Steuerrecht übernommen 125, ohne daß es fllr dieses Rechtsgebiet noch zusätzliche rechtsstaatliehe Anforderungen aufgestellt hat. Diese Entscheidung macht - wie K. Tipke zu Recht Sagt126 - deutlich, wie tolerant das Bundesverfassungsgericht gegen12] So BVerGE 69, 188 [205]. 124 BVertUE 69, 188 [203 f.]. l2S Vgl. dazu schon oben § 2 I. und ausftlhrlich unten § 6 11. 126 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, S. 210.

§ 3 Das steuenechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

171

über der richterlichen Rechtsfortbildung auch im Steuerrecht ist. Dies bestätigt auch die Entscheidung vom 20. 5. 1988, die eine teleologische Reduktion im Steuerrecht127 anerkannt hat: "Die einkommensteuenechtlichen Gewinnennittlungsvorschriften genügen den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Bestimmtheit eines Steuergesetzes. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Gewinnverwirklichung eintritt, Illßt sich mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln und einer jahrzehntelangen Bilanz-Rechtsprechung hinreichend sicher erkennen. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und ihre Auslegungsbedürftigkeit kann überhaupt nur ausnahmsweise zur Feststellung mangelnder Bestimmtheit eines Steuergesetzes ruhren (vgl. BVerfGE 59, 36 [52]). Die rechtsstaatlichen Grundsätze der Normenklarheit und Justitiabilität erfordern zwar, daß der Steuerpflichtige die Rechtslage erkennen und sein Verhalten danach einrichten kann. Das Ausmaß der Bestimmtheit wird jedoch mitbestimmt von der Eigenart des geregelten Sachbereichs. Es muß nicht von vornherein jeder Zweifel ausgeschlossen sein. Es genügt, wenn die Gerichte in der Lage sind, die gesetzgeberischen Entscheidungen zu konkretisieren (vgl. BVerfGE 31, 255 [264]).... Die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und die Befugnis zur Rechtsfortbildung gehoren zu den anerkannten Aufgaben der Rechtsprechung (vgl. § 11 Abs.4 FGO; BVerfGE 13, 153 [164]; 69, 188 [204]; 71, 354 [362]). Die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung sind erst dann überschritten, wenn Steuertatbestände ausgeweitet oder gar erst neu geschaffen werden (vgl. BVerfGE 13,318 [328 f.]; 21, 1 [4]; 69, 188 [203 f.])."128

Es spricht demnach vieles dafUr, daß das Bundesverfassungsgericht in Zukunft der Überprüfung richterlicher Rechtsfortbildung insbesondere durch Analogie im Steuerrecht ausschließlich an Art. 20 Abs. 3 GG messen und deshalb folgende Formel zugrunde legen wird: "Die Auslegung von Gesetzen und die Fortbildung des Rechts gehören zu den anerkannten Aufgaben und Befugnissen der Gerichte (vgl. BVerfGE 34, 269 [287 f.]; 49, 304 [318 f.]; 71,354 [362 f.]). Es ist allerdings erforderlich, sie gegenüber einer dem Gesetzgeber vorbeha1tenen Gesetzeskorrektur abzugrenzen. Die vom Verfassungsrecht gezogene Grenze verläuft im a11gemeinen dort, wo die Gerichte ohne das Vorhandensein einer sich aus Systematik und Sinn des Gesetzes ergebenden Lücke allein unter Berufung auf allgemeine Rechtsprinzipien, die eine konkrete rechtliche Ableitung nicht zulassen, oder aus rechtspolitischen Erwägungen neue Regeln oder Rechtsinstitute schaffen (vgl. BVerfGE 34, 269 [290]; 65, 182 [194])."129 Das Bundesverfassungsgericht hat - soweit ersichtlich - nur in einer Entscheidung vom 14. 1. 1986 eine (verkappte) richterliche Rechtsfortbildung im 127 Es ging um die Einschränkung eines ebenfalls rechtsfortbildend gewonnenen Rechtsgrundsatzes, der sich zugunsten des Bürgers auswirkte. Ob hier eine richterliche Rechtsfortbildung zugunsten oder zuungunsten vorliegt, ist kaum zu entscheiden.

128 BVerfG, BB 1988, S. 1716. Ähnlich auch BVerfG, NJW 1990, S. 2375, wo das Bundesverfassungsgericht die zulässige richterliche Rechtsfortbildung von der verfassungswidrigen Ausweitung eines gesetzlichen Steuertatbestandes und der unzulässigen Analogie anhand des Art. 20 Abs. 3 GO abgrenzt. 129

BVerfG, NJW 1992, S. 1219.

172

Teil I: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

Steuerrecht beanstandet, weil diese nach Auffassung des Gerichts gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen hat: "Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. I GG) gebietet Rechtsanwendungsgleichheit als eine Grundforderung des Rechtsstaates. Das bestehende Recht ist ausnahmslos ohne Ansehen der Person zu verwirklichen; jeder wird in gleicher Weise durch die Nonnierungen des Rechts berechtigt und verpflichtet. Es ist den Gerichten verwehrt, bestehendes Recht zugunsten oder zu Lasten einzelner Personen oder Personengruppen nicht anzuwenden (vgl. BVerfUE 66, 331 [335 f.]). Das schließt nicht aus, daß die Gerichte das Recht fortbilden. Das Bundesverfassungsgericht hat ihre Befugnis zur Rechtsfortbildung stets anerkannt (vgl. BVerfUE 34, 269 [287 f.]; 49,304 [318] jeweils m. w. N.; ferner BVerfUE 65, 182 [190 f.]). Die Grenzen dieser Befugnis werden aber jedenfalls dann überschritten, wenn der an Gesetz und Recht gebundene Richter eine Vergünstigung, die der Gesetzgeber nach dem Wortlaut des von ihm erlassenen Gesetzes verschiedenen Personengruppen im Interesse ihrer Gleichbehandlung zugebilligt hat, einer Personengruppe allgemein verweigert, und zwar mit Gründen, die ihm nach dem gleichen Gesetz nur im Einzelfall zur Verweigerung berechtigen.... Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen gegen diesen verfassungsrechtlichen Grundsatz.,,130 Damit hat das Bundesverfassungsgericht aber nicht die richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht generell als verfassungsrechtlich unzulassig gerügt, sondern nur der Regelungsprtirogative des Gesetzgebers Geltung verschafft l31 .

IV. Zusammenfassung In der Rechtsprechung des Reichsfinanzhojs zum Steuerrecht läßt sich kein Verbot richterlicher Rechtsfortbildung nachweisen. Ein generelles Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot existiert auch im Steuerrecht der Gegenwart nicht. Vielmehr haben sich das höchste deutsche Steuergericht, der Bundesfinanzhof, und die Finanzgerichte in einer Vielzahl von Entscheidungen mit der richterlichen Rechtsfortbildung auseinandergesetzt. Schon aus der Tatsache, daß es im Steuerrecht reichhaltige - aber in ihren Grundzügen seit langer Zeit unveränderte - gesetzliche Grundlagen gibt und diese in Randbereichen häufig geändert werden, ergibt sich, daß es in diesem Rechtsgebiet nur darum gehen kann, die reichhaltig vorhandenen gesetzlichen Vorgaben konsequent und unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben durch Gesetzeskonkretisierung und Gesetzesergänzung im Rahmen der gesetzesimmanenten richterlichen Rechtsfortbildung zu einem stimmigen teleologischen Konzept weiterzuentwickeln. Jedes andere richterliche Vorgehen - sei es die gesetzesübersteigende richterliche Rechtsfortbildung, sei es die Schaffung von gesetzesvertretendem oder gesetzeskorrigierendem Richterrecht - verstößt im Steuerrecht, das jedenfalls die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit der Steuerbürger beeinträchtigt, gegen die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte und ist verfassungsrechtlich ausgeschlossen.

130 BVerfUE 71, 354 [362 f.]. I3l

Vgl. zu dieser Entscheidung unter § 6 11. 2. c) bb) (2) a. E.

§ 3 Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungs- oder Analogieverbot

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Im Bereich der gesetzes immanenten richterlichen Rechtsfortbildung lassen sich in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zwei Fallgruppen nachweisen, nämlich die Ausftlllung offener Regelungslücken durch Analogie und die anderen Fälle einer teleologisch begründeten Gesetzes(text)korrektur. Im Bereich der Ausfüllung offener Regelungslücken durch Analogie ist nach nunmehr gefestigter, ständiger Rechtsprechung das Vorliegen einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes Voraussetzung einer richterlichen Rechtsfortbildung. Im Bereich der anderen Fälle einer teleologisch begründeten Gesetzes(text)korrektur ist die vom Wortlaut des Gesetzes abweichende ,,Auslegung" des Gesetzes bei einem sinnwidrigen Ergebnis, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann, zulässig. Da diese Gesetzes(text)korrektur ihre Rechtfertigung im Sinn und Zweck des Gesetzes findet, sind die Methoden der teleologischen Reduktion bzw. Extension die einschlägigen methodologischen Verfahren, dem Willen des Gesetzgebers Geltung zu verschaffen. Die Bezeichnung ,,Auslegung" sollte ft1r diese Fallgestaltungen vermieden werden. Verfassungsrechtliche Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung ergeben sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zunächst aus Art. 20 Abs. 3 GG. Danach gehört zwar die schöpferische Ausftlllung von Lücken in Gesetzen und die entsprechende Anwendung gesetzlicher Bestimmungen, insbesondere auf der Grundlage einer richtungsweisenden Generalklausel, von jeher zu den richterlichen Aufgaben. Den Gerichten ist es aber verwehrt, gegen den eindeutig erklärten Willen des Gesetzgebers zu verstoßen oder seine abschließende oder bewußte Entscheidung zu mißachten. Während es nach Auffassung des Gerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, daß die Finanzgerichte unbestimmte Rechtsbegriffe im Rahmen des möglichen Wortsinns weit zu Lasten des Steuerbürgers auslegen, hat das Gericht - vor allem aus dem Rechtssicherheitsprinzip und dem Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung - ein Verbot steuerbegründender oder -verschärfender richterlicher Rechtsfortbildung zuungunsten des Steuerpflichtigen abgeleitet. Dieses Verbot ist bis zum Jahr 1983 ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gewesen, auch wenn sich in der Rechtsprechung des Gerichts Entscheidungen nachweisen lassen, in denen es sich nicht an diese Vorgabe gehalten hat und in der Sache offen oder "verkappt" das Gesetz über seinen möglichen Wortsinn hinaus fortgebildet hat. "Offen" hat sich nur der Vierte Senat des Bundesfinanzhofs in seiner Entscheidung vom 20. 10. 1983 zur Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung - auch zu Lasten des Steuerbürgers - bekannt. Die Frage, ob die steuerbegründende oder -verschärfende richterliche· Rechtsfortbildung im Steuerrecht zulässig ist, ist nach dieser Entscheidung des Vierten Senats des Bundesfinanzhofs vom 20. 10. 1983 offen geblieben: Einerseits läßt sich seit diesem Zeitpunkt in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs keine Entscheidung nachweisen, die sich die vom Vierten Senat vertretene Rechtsauffassung zu eigen gemacht hat. Andererseits hat sich seit der Entscheidung vom 20. 10. 1983 kein anderer

174

Teil 1: Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht

Senat des Bundesfinanzhofs zu dem Verbot steuerbegrUndender oder -verschärfender richterlicher Rechtsfortbildung bekannt. Der Bundesfinanzhof hat in seinen Entscheidungen vielmehr die Zulässigkeit steuerverschärfender Analogien dahingestellt sein lassen. Das Gericht hat die Vornahme einer richterlichen Rechtsfortbildung aber meistens abgelehnt und sich dabei auf die gesicherte methodologische und verfassungsrechtliche Erkenntnis gestützt, daß eine richterliche Rechtsfortbildung nur dann zulässig ist, wenn das Vorliegen einer Regelungslücke nachgewiesen werden kann. Demnach lautet die zu beantwortende Frage: Ist es im Steuerrecht verfassungsrechtlich zulässig, daß die Finanzgerichte das Steuerrecht über den möglichen Wortsinn hinaus gesetzesimmanent, d. h. gestützt auf den Sinn und Zweck der Norm sowie den Gleichheitsgrundsatz, fortbilden? Die weiteren Fälle einer richterlichen Rechtsfortbildung, insbesondere diejenigen, die ihre Rechtfertigung in dem Rechtsverweigerungsverbot und in anderen (verfassungsrechtlichen) Rechtsgrundsätzen finden, sind demgegenüber kaum Gegenstand der Diskussion. Auf die filr diese Fallgruppen angezeigte Vorgehensweise kann daher nur am Rande eingegangen werden.

Zweiter Teil

Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht § 4 Richterliche Rechtsfortbildung als Verfassungsproblem I. Einfachrechtliche Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht? 1. Das Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung (§ 3 Abs. 1 AO)

Gemäß § 3 Abs. 1 AO ist Begriffsmerkmal der Steuern u. a., daß die Geldleistungen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an dendas Gesetz eine Leistungspflicht knüpft. Nach wohl einhelliger Meinung bringt diese Vorschrift den Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung zum Ausdruck l . Soweit sich der Bundesfinanzhof in seinen Entscheidungen zu einem Verbot richterlicher Rechtsfortbildung zuungunsten des Bürgers bekannt hat, hat er oft auf das in § 3 AO zum Ausdruck kommende Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung verwiesen2 • Trotzdem kann die Problematik der richterlichen Rechtsfortbildung im Steuerrecht nicht als Problem des § 3 AO aufgefaßt werden. Denn schon § 4 AO bestimmt: "Gesetz ist jede Rechtsnorm." Steuergesetze im Sinne dieser Vorschriften können also förmliche Gesetze, aber auch Rechtsverordnungen oder Satzungen sein. Bei wörtlicher Auslegung der AO wäre danach dem Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung genüge getan, wenn ein Steuertatbestand erftlllt wäre, an den irgendeine Rechtsnorm im Range eines Gesetzes, einer Rechtsverordnung oder I Vgl. Birk/&khoff, in: HUbschmannlHepp/Spitaler, AO, § 3 Rn. 84, 89 ff.; Kruse, in: Tipkel Kruse, AO, § 3 Rn. 25 ff.; KühniKutterlHojmann, AO I6, § 3 Anm. 2. b) cc); KleiniOrlepp, AO\ § 3 Anm. 5 b). Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung kann nicht aus § 38 AO abgeleitet werden (vgl. dazu abe:r Pelka, in: Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung, S. 209 [211 f.]), da diese: Nonn nach ihrem Wortsinn und ihrer systematischen Stellung nur "technisch regelt", wann de:r Steue:ranspruch entsteht (so Kruse, in: TipkelKruse:, AO, § 3 Rn. 25).

2

Vgl. oben § 3 11.

176

Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

Satzung eine Leistungspflicht knüpfte. Aus dem Verfassungsrecht, insbesondere aus Art. 2 Abs. I und Art. 20 Abs. 3 GG, ergibt sich aber heute, daß der materielle Gesetzesbegriff des § 4 AO, der alle Arten der Rechtsnormen erfaßt, filr das Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung nicht gelten kann 3 • Die Anforderungen, die das Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung an die Ausgestaltung gesetzlicher Grundlagen im Steuerrecht stellt, lassen sich deshalb nicht allein durch die Auslegung der genannten einfach-rechtlichen Vorschriften, sondern nur unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts lösen. Der Geltungsumfang des Prinzips der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung ist ebenso wie das Verbot richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht ein Problem des Verfassungsrechts.

2. Das Verhältnis zwischen analoger Rechtsanwendung und § 42 AO Teilweise wird angenommen, daß § 42 AO die steuerbegrOndende oder -verschärfende Analogie im Steuerrecht legitimiert4 • Nach Ansicht der Autoren, die das Steuerrecht filr analogiefllhig und die Analogie zu Lasten des Steuerbürgers auch filr verfassungsrechtlich unbedenklich halten, hat § 42 AO in dieser Hinsicht allerdings nur eine deklaratorische Funktion. Nach Ansicht der Autoren aber, die das Steuerrecht zwar filr analogiefllhig halten, aber die richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht aus rechtsstaatlichen Gründen ablehnen, ist § 42 AO eine konstitutive Norm, die in den Fällen des Gestaltungsmißbrauchs die Analogie gesetzlich zuläßt und so das Analogieverbot durchbrichts. Für die Vertreter der Auffassung, die das Steuerrecht mangels Sachgesetzlichkeiten und anderer teleologischer Argumente filr analogieunfllhig halten, ist es dagegen sinnlos, daß § 42 AO die Analogie erlaubt6, da diese aus methodologischen , Vgl. nur Birk/Eckhojf, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 3 Rn. 90. 4

Skeptisch aber Pelka, in: Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung, S. 209 [212 f.].

Vgl. dazu den instruktiven Überblick von Kruse, in: TipkelKruse, AO, § 42 Rn. 6 f. Vgl. weiterhin Fischer, in: HübschmannlHepp/Spitaler, AO, § 42 Rn. 76; Klein, Die nicht "angemessene rechtliche Gestaltung", S. 37 ff. 5

6 So Kruse, in: TipkelKruse, AO, § 42 Rn. 7; im Anschluß daran etwa Danzer, Die Steuerumgehung, S. 88. Nach dieser Auffassung, die sich auf den Wortlaut der Vorschrift berufen kann, hat § 42 S. 2 AO das Problem der methodischen Einordnung der Vorschrift mit der Fiktion eines den wirtschaftlichen Vorgdngen angemessenen Sachverhalts gelöst (vgl. Kruse, in: TipkelKruse, AO, § 42 Rn. 8). Ähnlich BFH, Urt. v. 13.2. 1980, BStBl. 198011, S. 364 [365]: "Aufgrund der im Schuldrecht herrschenden Vertragsfreiheit ist es möglich und zullissig, bürgerlich-rechtliche Gestaltungsformen zu wahlen, durch die der als steuerwürdig angesehene Erfolg unter Umgehung des an typische bürgerlich-rechtliche Gestaltungsformen anknüpfenden Steuertatbestandes erreicht wird. Ist die sich als Umgehung erweisende Gestaltungsform zur Erzielung des beabsichtigten Erfolgs unangemessen, so greift § 6 StAnpG (jetzt § 42 AO 1977) in der Weise ein, daß er einen Sachverhalt, der von dem an typische bürgerlich-rechtliche Gestaltungsformen anknüpfenden Wortlaut des Gesetzes nicht erfaßt wird, aufgrund des Gesetzeszwecks der Besteuerung unterwirft.

§ 4 Richterliche Rechtsfortbildung als Verfassungsproblem

177

GrUnden im Steuerrecht nicht angewandt werden könne. Dieser kurze Überblick zeigt, daß die methodische Einordnung des § 42 AO und ihr Verhältnis zur Analogie nur mit Blick auf die verfassungsrechtliche Zu lässigkeit der steuerverschärfenden Analogie beurteilt werden kann. Die Problematik der richterlichen Rechtsfortbildung im Steuerrecht kann deshalb auch nicht eine - von den verfassungsrechtIichen Grenzen analoger Rechtsanwendung - isolierte Auslegung des § 42 AO gelöst werden, so daß der Blick auf die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsanwendung gerichtet werden muß.

11. Die "hermeneutisch-verfassungs rechtliche" Theorie der richterlichen Rechtsfortbildung Die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung im Steuerrecht ergeben sich - im Steuerrecht wie auch im sonstigen Recht - aus der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Diese heute weitgehend anerkannte These ist in der Vergangenheit nicht immer beachtet worden. Im Vordergrund der Erörterungen stand lange Zeit die sog. ,,hermeneutische Theorie der richterlichen Rechtsfortbildung"7. Nach dieser Theorie ist die Zulässigkeit von Richterrecht ein reines Interpretationsproblem, das durch ein methodengerechtes Vorgehen zu lösen istB• Noch im Jahre 1969 stellte H-P. Schneider fest, daß "das Kern-

§ 6 StAnpG bewirkt damit, daß in den von ihm erfaßten AusnahmeflIlIen eine steuerbegrtlndende Analogie zulässig ist (vgl. auch Tipke, Steuerrecht 7. Aufl. S. 101 und Steuerberatungs-Jahrbuch 1972173, S. 510,526 f. - ... -). Wahrend die Analogie darin besteht, daß die rur einen bestimmten Sachverhalt gegebene Regelung auf einen anderen, ihm wertungsmllßig gleich zu erachtenden übertragen wird (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl., S. 368 f.), ordnet § 6 StAnpG (jetzt § 42 AO 1977) an, daß die mißbräuchliche, oder anders ausgedruckt, unangemessene Gestaltung gedanklich durch die angemessene ersetzt wird. Mit dieser technischen Lösung des Konflikts zwischen dem Wortlaut einer Rechtsnorm und der ihr zugrunde liegenden Wertung wird aber dasselbe Ergebnis erzielt wie mit der analogen Anwendung des Steuertatbestandes (vgl. Tipke, a. a. 0.). Die Begriffe 'Mißbrauch' und 'Umgehung des Steuergesetzes' sind so gesehen nicht moralische Wertungen eines bestimmten Verhaltens, sondern sie dienen der Einengung der zulässigen steuerbegrundenden Analogie. Aus ihrem Sinnzusammenhang ergibt sich, daß ungewöhnliche Wege zur Erzielung eines Erfolgs unter der weiteren Voraussetzung, daß dieser Erfolg den Wertungen eines bestimmten Steuertatbestandes entspricht, so behandelt werden dürfen, als wäre der Steuertatbestand verwirklicht worden (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. Mai 197011 R 98/69, BFHE 99, 550, 552, BStSl. 11 1070, 757)." 1 Der Ausdruck wird von Wank, ZGR 1988, S. 314 [319], und Fischer, StVj 1992, S. 3 [15 Fn. 88] gebraucht. Zu der hermeneutischen Position und ihren Folgen Zimmer, Funktion - Kompetenz - Legitimation, S. 104 f.

• Ob diese Theorie in dieser Form heute noch vertreten wird, erscheint zweifelhaft (anders aber wohl in der Schweiz; vgl. Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 103 f). Auch bei den als Vertreter dieser Theorie genannten Autoren K. Larenz, K. Engisch und! Bydlinski (vgl. Wank, ZGR 1988, S. 314 [319 Fn. 25]; Fischer, StVj. 19921, S. 3 [15 Fn. 88]] wird die verfassungs12 BIU'Ih

178

Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

problem des 'Richterrechts': die funktionellrechtliche Abgrenzung und Zuordnung von Rechtsprechung und Gesetzgebung im demokratischen Gemeinwesen, ... nur selten in den Blick genommen und expressis verbis behandelt"9 wird und "die verfassungsrechtliche Problematik der richterlichen Rechtsfortbildung bisher in erstaunlichem Maße verkannt oder vernachlässigt worden"lo ist. Spätestens aber seit der "Soraya-Entscheidung" des Bundesverfassungsgerichts vom 14. 2. 1973 11 , in der die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Ersatz von immateriellen Schäden entgegen § 253 BGB verfassungsrechtlich überprüft worden ist, hat man erkannt, daß der Bereich des legitimen Richterrechts nicht nur durch die methodologisch ermittelten Grenzen der Gesetzesinterpretation, sondern auch durch die verfassungsrechtlichen Schranken der Rechtsprechung gekennzeichnet und abgesteckt werden muß. Diese sog. "kombiniert hermeneutisch-verfassungsrechtliche Theorie"12 kritisiert die "hermeneutische Theorie der Rechtsfortbildung" als Verengung des Legitimationsproblems auf das Auslegungs- und Interpretationsproblem und fordert, den Blick auch auf die Frage zu lenken, unter welchen Umständen und Voraussetzungen die Verwaltung und die Rechtsprechung nach der Verfassung berechtigt sind, eine Entscheidung des Sachverhalts ohne formell-gesetzliche Grundlage oder nach Ergänzung einer gesetzlichen Regelung rechtliche Problematik jedenfalls angedeutet (vgl. Larenz, Methodenlehre6 , S. 368 f.; Engisch, Einftlhrung8 , S. 171, 175 f.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 470 f, 503, bei dem allerdings die hermeneutischen Probleme klar im Vordergrund stehen). - Skeptisch hat sich aber Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 35, zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung geäußert: "Der Verweis auf das Grundgesetz gibt uns also zunächst nur wenig Anhalt zur Entscheidung der Streitfrage, wie weit die Macht des Richters eingegrenzt werden kann und soll." Soweit damit auf die Auslegung und Anwendung der Verfassung Bezug genommen werden soll, muß man in der Tat einräumen, daß "das Grundgesetz nichts eindeutiges über die Methode (bestimmt)", sondern "im Gegenteil ... die Methode bestimmt, welche Ergebnisse man bei der Auslegung des Grundgesetzes gewinnen wird." Vgl. dazu auch lpsen, Richterrecht und Verfassung, S. 47 ff.

• Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht und Verfassungsrecht, S. 8. \0 Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht und Verfassungsrecht, S. 9. Davor aber schon Forsthoff, DÖV 1959, S. 41 ff.; Arndt, NJW 1963, S. 1273 ff.; Stein, NJW 1964, S. 1745 ff. u. a.; vgl. dazu auch Bachof, Grundgesetz und Richtermacht, S. 6 ff. - Vgl. zu den Grunden, aus denen die verfassungsrechtliche Problematik außer acht gelassen wurde, Zimmer, Funktion - Kompetenz -Legitimation, S. 201 f. 11

BVerfUE 34,269 ff.

Der Ausdruck wird von Wank, ZGR 1988, S. 314 [320] gebraucht. Davon wird teilweise noch die "verfassungsrechtliche Theorie der Rechtsfortbildung" unterschieden, nach der das Richterrecht "nicht in erster Linie ein Erkenntnisproblem, sondern ein Problem der Kompetenzverteilung zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung im Hinblick auf eine Änderung des geltenden Rechts" ist (Wank, ZGR 1988, S. 314 [320]). Zweifelhaft ist aber, ob überhaupt ein Unterschied zur "kombiniert hermeneutisch-verfassungsrechtlichen Theorie" besteht, denn beide Formulierungen bringen zum Ausdruck, daß neben hermeneutischen auch verfassungsrechtliche Probleme zu beachten sind. Sie können deshalb als Synonyme benutzt werden (vgl. etwa Fischer, StVj 1992, S. 3 [15 Fn. 88]). 12

§ 4 Richterliche Rechtsfortbildung als Verfassungsproblem

179

zu fällen 13. Für die Bestimmung der Grenzen des Richterrechts sind demnach methodologische und verfassungsrechtliche Aspekte heranzuziehen: Einmal ist zu fragen, ob eine Rechtsfortbildung methodologisch begrUndet werden kann, und zum anderen, ob das methodologisch gerechtfertigte Vorgehen auch verfassungsrechtlich zulässig ist. Bei der Beantwortung der ersten Frage stehen methodologische Aspekte im Vordergrund, die aber durch das Verfassungsrecht beeinflußt werden. Die zweite Frage richtet sich vor allem an die Verfassung, in der die funktionellen Grundstrukturen des jeweiligen Gemeinwesens festgelegt sind. Dieser kombiniert herrneneutisch-verfassungsrechtliche Ansatz zur Lösung der Rechtsfortbildungsproblematik hat weitgehend Zustimmung gefunden l4 und ist auch im Steuerrecht zu beachten.

1. Zur Begründung der "hermeneutisch-verfassungsrechtlichen Theorie richterlicher Rechts/ortbildung" Auch wenn sich "in neuerer Zeit immer mehr eine realistische Betrachtungsweise durch(setzt), die von dem Faktum ausgeht, daß sich das geltende Recht niemals nur aus dem Gesetz erschließen läßt, sondern stets die Rechtsprechung hinzugezogen werden muß, ja, daß vielfach das genaue Studium der Judikatur wichtiger ist als die Gesetzeskenntnis", und man es vorn verfassungsdogrnatischen Standpunkt "unter dem Aspekt der Gewaltenteilung und der Rechtsunterworfenheit des Richters schwerer haben (wird), zur Anerkennung des Richterrechts zu gelangen"IS, besteht die Notwendigkeit, die richterliche Rechtsfortbildung als Verfassungsproblem aufzufassen. Die Probleme, die die richterlichen Rechtsfortbildung aufwirft, stellen sich auf zwei verfassungsrechtlichen Ebenen.

13 Vgl. Fischer, StVj 1992, S. 3 [15 Fn. 88]; Wank, ZGR 1988, S. 314 [319 f.]; ders., Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 82; ders., Jura 1991, S. 622 [625].

.. Verfassungsrechdiche Ansätze finden sich - außer bei den schon genannten - insbesondere bei Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 82 ff.; Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 117 ff.; Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 16 ff., 204 ff., 278 ff., 410 ff.; Neuner, Rechtsfmdung contra legern, S. 5 ff., 85 ff.; Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. 149 ff.; Hess, Analogieverbot und Steuerrecht, S. 104 ff.; Locher, Grenzen der Rechtsfmdung im Steuerrecht, S. 31 ff., 53 ff. Vgl. weiterhin Birk, Steuerrecht I, § 11 Rn. 30 f. ("Frage nach dem Geltungsgrund und dem Geltungsumfang des Vorbehalts des Gesetzes"); Fischer, StVj 1992, S. 3 [15 Fn. 88] m. w. N.; Gusy, DÖV 1992, S. 461 [462]; Schmalz, Methodenlehre), Rn. 354; Beger, Methodenlehre, S. 51 ff.,62 ff.; Pawlowski, Methodenlehre', Rn. 639 ff.,668 ff.; Blasius/Büchner, Verwaltungsrechdiche Methodenlehre', S. 167 f.; Zippelius, Juristische Methodenlehre 5, S. 60 f.; Koch/Rüßmann, Juristische BegrUndungslehre, S. 266 ff.; Tipke/Lang, Steuerrecht13 , S. 41; Tipke, Festschrift rur Wallis, S. 133 [142 ff.]; Ossenbühl, in: ErichsenIMartens, Allgemeines Verwaltungsrecht9 , § 7 Rn. 77 ff. 15

12'

Ossenbühl, in: ErichsenIMartens, Allgemeines Verwaltungsrecht9, § 7 Rn. 81 a. E.

180

Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

a) Richterliche Rechtsfortbildung als Problem des Vertrauensschutzes Zunächst einmal betriffi die richterliche Rechtsfortbildung das Verhältnis des Bürgers zum Staat. Auf dieser Ebene ist die richterliche Rechtsfortbildung ein Problem der Rechtsstaatlichkeit, der Rechtssicherheit, der Rechtsklarheit, des Vertrauensschutzes sowie der Berechenbarkeit, Meßbarkeit und Vorausehbarkeit staatlichen Handelns l6 • Bei der Feststellung und Ausftlllung einer Gesetzeslücke ist nämlich fraglich, ob die durch Analogie gewonnene Rechtsregel fUr den Bürger in ausreichendem Maße voraussehbar und berechenbar ist, ob also unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten darauf vertraut werden kann, daß der Richter keine Entscheidung flmt, die er nicht mit dem (möglichen) Wortlaut des Gesetzestextes begründen kann 17. b) Richterliche Rechtsfortbildung als Problem der Aufgabenund Kompetenzverteilung zwischen den Staatsgewalten Auf der zweiten Ebene betriffi die richterliche Rechtsfortbildung das Verhältnis zwischen Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung im gewaltengeteilten Staat l8 • Ist die richterliche Rechtsanwendung durchweg kein rational begründbarer Vorgang mit objektiv verifizierbaren Resultaten, sondern enthält sie auch "willenshafte Elemente" und damit Bestandteile einer eigenbestimmten "Rechtsetzung", stellt sich die Frage, wie diese richterliche Tätigkeit gegenüber der gesetzgebenden Aufgabe des Parlaments zu legitimieren ist l9 • Die Frage, ob die richterliche Rechtsfortbildung (praeter legem) ein Fall der Funktionenverschränkung ist und deshalb (auch) unter dem Geischtspunkt des Gewaltenteilungsprinzips zu würdigen ist, wurde bis in die jüngste Zeit überwiegend positiv

16

Vgl. Birk, Steuerrecht I, § 11 Rn. 30; dem., Allgemeines Steuerrecht, S. 45.

Vgl. zu dieser Fragestellung zunächst nur BVerfGE 3, 225 [237 f.]; Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 178; dem., in: Friauf, SteuerrechtundVerfassungsrecht, S. 61 [66 f.]; Friedrich, Festschrift rur Wallis, S. 151 [153]; dem., OB 1985, S. 1105 f.; Hess, Analogieverbot und Steuerrecht, S. 165; Wagner, NJW 1981, S. 316 [318]; VogeVWalter, in: Bonner Kommentar, Art. 105 Rn. 135; Göhrlich, Vertragsgestaltungen unter Angehörigen, S. 92 ff. 17

11 Vgl. Birk, Steuerrecht I, § 11 Rn. 30; dem., Allgemeines Steuerrecht, S. 45; Fischer, StVj 1992, S. 3 [15 f.]. I' Vgl. Ossenbühl, in: ErichsenIMaretens, Allgemeines Verwaltungsrecht', § 7 Rn. 81; Fische,., Die Weiterbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, S. 19 ff.; Redecker, NJW 1972, S. 409 ff.; Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht, Verfassungsrecht, S. 30 ff.; Kruse, Das Richterrecht als Rechtsquelle des innerstaatlichen Rechts, S. 12 ff.; Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 149 ff.; Scholz, OB 1972, S. 1771 [1777]; lpsen, Richterrecht und Verfassung, S. 24 ff; Kirchhof, HStR V, § 125 Rn. 16,24 und 26.

§ 4 Richterliche Rechtsfortbildung als Verfassungsproblem

181

beantwortefO. Die in letzter Zeit von J. Neuner l vorgetragenen Bedenken gegen diese Sichtweise geben aber Anlaß, dieser Frage erneut nachzugehen. Dazu ist es erforderlich, sich die Grundlagen der verfassungsrechtlichen Funktionenordnung zu vergegenwärtigen. aa) Grundlagen der verfassungsrechtlichen Funktionenordnung Die verfassungsrechtliche Problematik der richterlichen Rechtsfortbildung ergibt sich aus der Art und Weise, in der das Grundgesetz in Art. 20 die Staatsgewalt konstituiert. Diese Konstituierung der Staatsgewalt erfolgt in drei Stufen 22 • Auf der ersten Stufe wird die gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG vom Volk ausgehende Staatsgewalt in funktionaler, organisatorischer und personeller Hinsicht geteilf3 • Die Teilung in funktionaler Hinsicht ergibt sich aus Art. 20 Abs.2 S. 2 GG, nach dem die Staatsgewalt vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird. Auf der zweiten Stufe erfolgt die Zuordnung der die Staatsgewalten ausübenden Organe (sog. Funktionsträger). Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ist indes nur die Gliederung staatlicher Gewalt in die Funktionen Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung sowie eine organisatorische und personelle Trennung der Funktionsträger zu entnehmenn, während die Zuordnung der den Funktionsträger bildenden Organe und die Bestimmung des Aufgaben- und Kompetenzumfangs der jeweiligen Funktion dort nicht vorgenommen wird24 • Die Zuordnung der den Funktionsträger bildenden Organe ergibt sich vielmehr aus der Verfassung als Ganzem und speziell rur die Judikative aus Art. 92 GG, wonach die rechtsprechende Gewalfs den Richtern anvertraut ist und durch das Bundesverfassungsgericht, die in Art. 95 und Art. 96 GG vorgesehenen Bundesgerichte sowie die Gerichte der Länder ausgeübt wird. Im Rahmen der von ihm wahrzunehmenden Funktion wird jedem Organ auf der dritten Stufe ein Aufgabenbereich zugewiesen, und 20 So etwa Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 47 ff., 133 ff.; ders., DVBI. 1984, S. 1102 [1104 ff.]; ders., in: Achterberg, Rechtsprechungslehre, S. 435 [441 ff.]; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 82 ff., 113 ff.; ders., Jura 1991, S. 622 [625]; Raiser, ZRP 1985, S. 111 [115 ff.]; Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 382 ff.

2'

Neuner, Rechtsfindung contra legern, S. 54 ff.

Vgl. zur Konstituierung der Staatsgewalt Hesse, Verfassungsrecht'9, Rn. 484 ff.; Jarass, Politik und BUrokratie als Elemente der Gewaltenteilung, S. 13 f. Zur vergleichbaren Rechtslage in der Schweiz Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 231 ff.; Vallendar, Die Auslegung des Steuerrechts, S. 126 ff. 22

23

Vgl. Jarass, Politik und BUrokratie als Elemente der Gewaltenteilung, S. 13 f.

24

Schmidt-Aßmann, HStR I, § 24 Rn. 47; Stern, Staatsrecht 11, S. 534, 537.

Das Grundgesetz gebraucht die Begriffe "Rechtsprechung" und "rechtsprechende Gewalt" synonym (vgl. nur Bettermann, HStR III, § 73 Rn. I f.). 2S

182

Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

es werden dem Organ Machtbefugnisse und damit Kompetenzen anvertraut, die zur ErfUllung der Aufgaben erforderlich sind26 • Kompetenz ist also "die staatlichen Stellen und Organen der drei Staats' funktionen' eingeräumte und zugeteilte Handlungsmacht, in Verfolgung des staatlichen Gemeinwohlauftrags und in ErfUllung zugewiesener staatlicher Aufgabe(n), hoheitliche Akte festgelegter und genau bezeichneter Art zu setzen.'>27 Die Bestimmung des Aufgaben- und Kompetenzumfangs kann - idealtypisch gesehen - durch positive Umschreibung der Zuständigkeiten oder negativ durch Ausschluß bestimmter Organe von der Aufgabenbewältigung erfolgen28 • Allerdings ist die Frage nach der Verteilung der Machtbefugnisse auf die "besonderen Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung" (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) und damit die Frage, wer im einzelnen über welche Angelegenheit entscheidet, weitgehend ungelöst, wie etwa die Probleme der Verwaltungsvorschriften, der Ermessenkontrolle, des Gesetzesvorbehalts und der Verfassungskonkretisierung zeigen29 • bb) Richterliche Rechtsfortbildung als potentieller Eingriff in den Vorbehaltsbereich der Gesetzgebung Bei der Beantwortung dieser Frage, welcher Zweig der Staatsgewalt fUr welche Aufgabe zuständig ist, ist aber die Unterscheidung zwischen dem Vorbehaltsbereich einer Staatsgewalt und dem Zugriffsbereich hilfreich30 : Der Vorbehaltsbereich umfaßt denjenigen Aufgaben- und Kompetenzbereich, der einer Staatsgewalt durch die Zuteilung von Kompetenzen zugewiesen ist und den die Funktionsträger dieser Staatsgewalt nur selbst unter Ausschluß der anderen Staatsgewalten wahrnehmen dürfen31 • Dagegen umfaßt der Zugriffsbereich die Summe derjenigen Aufgaben, welche die drei Staatsgewalten ohne einen Eingriff in den Vorbehaltsbereich einer anderen wahrnehmen dürfen. Ein Tätigwerden in diesem Bereich steht jedem Zweig der Staatsgewalt zu, sofern

26

Vgl. Hesse, Verfassungsrecht l9, Rn. 27. Dazu auch Kirchhof, HStR III, § 59 Rn. 19.

Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 35 (vgl. auch zusammenfassend S. 439). Vgl. zum Verhältnis Kompetenz - Befugnis auch [sensee, HStR III, § 57 Rn. 140 ff.; Kirchhof, HStR III, § 59 Rn. 17 ff. 27

28

Vgl. Hesse, Verfassungsrecht l9, Rn. 490.

So Zimmer, Funktion - Kompetenz Achterberg, Funktionenlehre, S. 1. 29

30

Legitimation, S. 19 m. w. N. in Fn. 1; i. E. auch

Vgl. Gusy, DÖV 1992, S. 461 [462].

Vgl. Zimmer, Funktion- Kompetenz- Legitimation, S. 217 und S. 233; Gusy, DÖV 1992, S. 461 [462]; Schneider, DÖV 1975, S. 443 [448 ff.). 31

§ 4 Richterliche Rechtsfortbildung als Verfassungsproblem

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kein Ausschluß durch spezielle Vorschriften erfolge z. Fraglich ist daher, ob die richterliche Rechtsfortbildung unzulässig ist, weil sie in den Vorbehaltsbereich der Gesetzgebungsorgane eingreift. Nach der grundgesetzlichen Funktionenordnung, wie sie sich vor allem aus Art. 20 Abs. 3 GG, aber auch aus Art. 20 Abs. 2, Art. 92, Art. 97 und Art. 76 bis 82 GG ergibt, ist die Ordnung gesellschaftlicher Lebensbereiche durch Rechtsetzung grundsätzlich dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten, während Rechtserkenntnis und -anwendung den Regierungs- und Verwaltungsbehörden sowie den Gerichten obliegen33 • Unzweifelhaft ist deshalb, daß die Rechtserzeugung primär zum Aufgaben- und Kompetenzbereich der (parlamentarischen) Gesetzgebung gehört34 • Richterliche bzw. behördliche Rechtsfortbildung ist deshalb unzulässig, wenn es sich um Rechtsetzung handelt, die in den Vorbehaltsbereich der Gesetzgebung - die Rechtsetzungskompetenz der Legislative - flillt. (1)

Eingriff in den Vorbehaltsbereich aufgrund des schöpferischen Charakters richterlicher Rechts(fort)bildung?

Ein Eingriff in den Vorbehaltsbereich der Legislative könnte zunächst mit dem schöpferischen Charakter richterlicher Rechtsfortbildung begründet werden. Herkömmlich wird der Unterschied zwischen Rechtsetzung und Rechtsanwendung durch die Antithese voluntativ - kognitiv beschrieben: Danach ist Rechtsetzung freies und voluntatives Handeln, Rechtsanwendung hingegen kognitives und abgeleitetes Handeln. Haben die Gerichte und die Regierungsund Verwaltungsbehörden als rechtsanwendende Gewalten im strengen Sinne nur den Willen des Gesetzgebers zu erkennen, auszusprechen und umzusetzen, nicht jedoch eigene schöpferische Leistungen zu erbringen, könnte schon wegen des schöpferischen Charakters der richterlichen Rechtsfindung3S ein Eingriff in den Vorbehalts bereich der Gesetzgebung vorliegen. Die Rechtsanwendung kann jedoch nicht durch ihren angeblich kognitiven Charakter von der Rechtsetzung abgegrenzt werden. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde der schöpferische Anteil jeder Rechtsanwendung erkanne 6 • Trotz aller dogmatischen Be-

32 Gusy, DÖV 1992, S. 461 [462 f., 464]. Vgl. etwa zum Zugritfsrecht der Exekutive auf die Verwaltungsorganisation Krebs, HStR 111, § 69 Rn. 86. 33 Schneider, DÖV 1975, S. 443 [448]; Birk, Allgemeines Steuerrecht, S. 45; Stern, Staatsrecht 11, S. 583. 34 Vgl. die Nachweise bei Stern, Staatsrecht 11, S. 583 Fn. 106; Schuppert, Der Staat 15 (1976), S. 114 [115]. 35 Vgl. dazu schon oben § I 1. 1. a).

36 Vgl. Zimmer, Funktion Kompetenz - Legitimation, S. 43 f.; Magiera, Parlament und Staatsleitung, S. 242 tf.; Müller, Inhalt und Formen der Rechtsetzung, S. 54 f. Bekannt ist vor allem das Werk von O. BUlow, Gesetz und Richteramt.

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Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

mühungen ist es nicht gelungen und konnte es aus erkenntnistheoretischer Sicht auch nicht gelingen, in dieser Hinsicht prinzipielle Unterschiede zwischen gesetzgeberischer Vorausbestimmung und exekutiver bzw. judikativer Rechtsanwendung zu finden. Denn der vielschichtige Prozess der gerichtlichen "Rechtsanwendung" erschöpft sich nicht im "Nachvollzug vom Vorgedachtem"; die Gerichte sind nicht "Sprachrohr des Gesetzes", sondern der Rechtsanwender ist stets rechtschöpferisch tätig37 • Ein Eingriff in den Vorbehaltsbereich der Gesetzgebung kann deshalb nicht mit den voluntativen Elementen, die jeder richterlichen Rechtsfortbildung immanent sind, begründet werden38 • (2)

Eingriff in die Rechtsetzungskompetenz bei überhöhtem Anteil judizieller Rechtsbildung

Kann ein Eingriff in den Vorbehaltsbereich der Staatsfunktion "Gesetzgebung" nicht mit dem schöpferischen Charakter judizieller Entscheidungen begründet werden, so müssen rur die Annahme einer Funktionenverschränkung besondere Veraussetzungen gegeben sein. Die erste Möglichkeit, eine Funktionenverschränkung zu begründen, folgt aus der Stellung des Richters zum Gesetz im Rahmen der konkreten Streitentscheidung39 • Diese Stellung kann jedoch sehr unterschiedlich ausgestaltet sein: Die Möglichkeiten reichen von einem starken, vielleicht sogar abschließenden Einfluß des Gesetzestextes auf die richterliche Entscheidung40 bis hin zu einer verschwindend geringen Determination, wie sie etwa im Fall der sog. unbestimmten Rechtsbegriffe gegeben sein kann. Zwar unterscheidet sich die richterliche Tätigkeit "von der gesetzgebenden dadurch, daß der Gesetzgeber ... das Recht - wenn auch unter Bindung an die Verfassung - aus eigenen Vorstellungen schöpfen und selbst gestalten darf, der Richter dagegen ausschließlich an rechtlich vorgegebene Maßstäbe gebunden und gezwungen ist, seine Entscheidungen rational auf diese zurOckzuftlhren."41 Der Anteil der Gesetzgebung an der konkreten richterlichen Entscheidung hängt aber von dem Ausmaß der Steuerungsfähigkeit der sprachlich gefaßten gesetzli-

37 V gl. etwa Hilf, HStR VII, § 161 Rn. 3 und 11; Wieacker, Gesetz und Richterkunst, in: ders., Ausgewählte Schriften 11, S. 41 [44 ff.]; Badura, in: Rechtsfortbildung durch die sozialgerichtliche Rechtsprechunng, S. 40 [45 f.]; Kirchhof, HStR V, § 125 Rn. 16,24,26; Ossenbühl, in: Erichsenl Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht9 , § 7 Rn. 79; Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 24 ff.; Starck, Der Gesetzesbegriff, S. 143; Schatz, OB 1973, S. 1771 (1777).

38

Vgl. etwa Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 27; Achterberg, Funktionenlehre, S. 150.

39

Vgl. zu dieser Fallgruppe Neuner, Rechtsfindung contra legern, S. 56 f.

Z. B. bei Gesetzesvorschriften, die aus Zahlen oder Farben bestehen, wie bei Art. 2200: "Oie Bundesflagge ist schwarz-rot-gold." 40

41

Achterberg, Funktionenlehre, S. 152.

§ 4 Richterliche Rechtsfortbildung als Verfassungsproblem

185

ehen Vorgaben ab42 • Diese Steuerungsfllhigkeit der gesetzlichen Vorgaben ist (fast) nie so hoch, daß der Rechtsanwender die Lösung des tatsächlichen Falles "wie aus einer Tabelle" aus dem Gesetz ablesen kann. Immer ist der Rechtsanwender an der Herstellung der individuellen Norm beteiligt; er wird stets normvollendend tätig; die individuelle Norm, durch die ein tatsächlicher Fall behördlich oder gerichtlich entschieden wird, wird nicht nur durch den Gesetzgeber geschaffen; die Rechtsanwender bringen nicht nur den "Willen des Gesetzgebers" zur Geltung, sondern die individuelle Norm wird in einem arbeitsteiligen Verfahren geschaffen43 , an dem die Gesetzgebung durch Erlaß abstrakt-genereller Gesetze sowie die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung durch Auslegung und Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben beteiligt sind; jedes gesetzesanwendende Urteil kann eine "punktuelle Rechtsfortbildung" (F Wieaeker) sein. Der Anteil des Rechtsanwenders an der Herstellung der individuellen Norm und der Verwirklichung von "Recht" steigt mit"abnehmender Steuerungsfähigkeit und Bestimmtheit der gesetzlichen Vorgaben an und kann letztlich weit überwiegen, wenn - wie im gesetzesvertretendeil. Richterrecht - gesetzliche Vorgaben größtenteils fehlen. Durch eine lückenfUllende Rechtsfortbildung kann ein Steuertatbestand geschaffen werden, der dem Wortsinn des Gesetzes nicht zugeordnet werden kann und dem deshalb aus der Sicht des Steuerpflichtigen eine gesetzesgleiche Wirkung zukommen kann44 • Bei dieser Sichtweise kann die Annahme, ein Eingriff in den Vorbehaltsbereich der Legislative könne aufgrund der Stellung des Richters zum Gesetz von vornherein nicht eintreten4S , nicht überzeugen. In einer Verfassung, die an zahlreichen Stellen die Entscheidung "wichtiger" bzw. "wesentlicher" Fragen dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehält, kann der verfassungsrechtlich gebotene Anteil der Legislative an diesen Entscheidungen nicht in das Belieben des Parlaments gestellt werden, indem es ihm überlassen wird, von seiner Regelungsprärogative Gebrauch zu machen. Der verfassungsrechtlich den Gerichten und Verwaltungs- und Regierungsbehörden zugewiesene Anteil am Rechtserzeugungsverfahren muß vielmehr durch Aufstellung besonderer Anforderungen an die Ausgestaltung der gesetzlichen Grundlage ermittelt werden. Die verfassungsrechtliche Problematik des Richterrechts muß in diesem Bereich folgen-

42 Vgl. nur Ossenbühl, HStR 111, § 62 Rn. 23: "Unbestimmtheit der Gesetzgebung bedeutet der Sache nach Verlagerung der Entscheidungsmacht auf die Exekutive, ...." 43 Vgl. dazu Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 191; Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht und Verfassungsrecht, S. 16 f. (Fn. 18); ders., DÖV 1975, S. 443 [449); Starck, VVDStRL 34 (1975), S. 43 [58 tT.]; dens., Der GesetzesbegritT, S. 257 f., 260 tT.; Kirchhof, HStR V, § 125 Rn. 16, 24, 26; lpsen, Richterrecht und Verfassung, S. 24 tT:; Scholz, OB 1972, S. 1771 [1773].

.. Gern, DÖV 1985, S. 558 [561]. 41 So Neuner, Rechtsfindung contra legern, S. 56 f. Dazu auch Achterberg, Funktionenlehre, S. 152 tT.

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Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

dermaßen formuliert werden: Wie muß die gesetzliche Grundlage einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung ausgestaltet sein, damit die von der Verfassung gewollte Kompetenzverteilung zwischen Gesetzgebung einerseits und den rechtsanwendenden Gewalten andererseits bei der Hervorbringung von Recht erhalten bleibt? Wann hat der Gesetzgeber einen interpretationsfähigen Tatbestand geschaffen, der als Grundlage rur die Auslegung durch die rechtsanwendenden Gewalten dienen kann?,6 Wieviel muß vom gesetzgeberischen Werk bereits geschaffen worden sein, daß es sich um eine Nachbesserung des Rechts und nicht um eine Herstellung handelt?,7 Welche Entscheidungen müssen vom Gesetzgeber mit hinreichender Deutlichkeit selbst getroffen werden, welche Entscheidungen dürfen die rechtsanwendenden Organe ohne gesetzliche Vorausbestimmung dagegen selbst treffen, ohne den Vorbehaltsbereich der Gesetzgebung zu verletzen? Da schon aus diesem Grunde nicht ausgeschlossen erscheint, daß die richterliche Rechtsfortbildung in den Vorbehaltsbereich der Legislative eingreift, handelt es sich bei der Richterrechtsproblematik um ein Problem der Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen den grundgesetzlich vorgesehen Staatsfunktionen Legislative, Exekutive und Judikative. Richterliche Rechtsfortbildung, also die Änderung oder Ergänzung von gesetzlichen Regelungen, ist problematisch, weil die Staatsgewalt nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG nicht von einem allmächtigen Staatsorgan, sondern von mehreren Organen verschiedener Staatsgewalten, nämlich den Organen der Legislative, der Exekutive und der Judikative, ausgeübt wird, und es nicht ausgeschlossen erscheint, daß die Organe der Judikative und der Exekutive bei einer Rechtsfortbildung (Rechtsetzungs)Kompetenzen wahrnehmen, die verfassungsrechtlich der Legislative vorbehalten sind. Richterrecht ist damit ein Problem der Kompetenzverteilung zwischen der Judikative und Exekutive auf der einen sowie die Legislative auf der anderen Seite, ein "Kernproblem der grundgesetzlich balancierten Gewaltenteilung,,48 .

.. Birk, Allgemeines Steuerrecht, S. 45 . •7

Tipke, StuW 1981, S. 189 [192] .

.. Ossenbühl, Richterrecht im demokratischen Rechtsstaat, S. 5: "Richterrecht ist damit von

vornherein ein Kernproblem der grundgesetzlich balancierten Gewaltenteilung. Aussagen zum Richterrecht lassen sich nur dann plausibel treffen, wenn die richterliche Funktion in den Zusammenhang der Funktionenteilung gestellt und die Kompetenzbereiche der Gerichte gegen die des Parlaments, der Regierung und Verwaltungsbehörden abgezirkelt werden." Ähnlich auch Fischer, StVj 1992, s. 3 [15 f.]; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 89 ff.; Gusy, DÖV 1992, S. 461 [462]; Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 47 ("ein Problem der Zuordnung zweier Staatsfunktionen"); Zimmer, Der Staat Bd. 18 (1979), S. 161 [174 Fn. 57].

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2. Die normativen Grundlagen der verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

Ist die richterliche Rechtsfortbildung aus verfassungsrechtlicher Perspektive ein Problem des Vertrauensschutzes sowie der Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen den Staatsfunktionen, dann kommen als normative Grundlagen der verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung alle grundgesetzlichen Normen in Betracht, durch die der Vertrauensschutz des Bürgers gewährleistet und die Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen den Staatsfunktionen ausgestaltet wird. Die rur die Ausgestaltung der Aufgaben- und Kompetenzordnung neben Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG entscheidende und in allen Rechtsgebieten zu beachtende Vorschrift ist Art. 20 Abs. 3 GG. Die in dieser Bestimmung normierte Gesetzes- und Rechtsbindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung enthält nicht nur grundlegende Aussagen über die verfassungsrechtliche Funktionenordnung, sondern gewährleistet nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts "als Element des Rechtsstaatsprinzips zugleich das Maß an Rechtssicherheit, das im Interesse der Freiheitsrechte unerläßlich ist.''''9 Auch wenn die richterliche Rechtsfortbildung prinzipiell anerkannt ist und methodologisch gerechtfertigt werden kann, ist immer zu überprüfen, ob die der richterlichen Rechtsfortbildung durch den Grundsatz der Gesetzes- und Rechtsbindung gezogenen Grenzen eingehalten sind. Damit sind aber die möglichen normativen Grundlagen einer verfassungsrechtlichen Begrenzung richterlicher Rechtsfortbildung noch nicht erschöpfend aufgezählt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überwiegend aus Art. 20 Abs. 3 GG heraus bestimmt; es hat aber stets betont, daß neben den aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden, filr alle Rechtsgebiete geltenden Grenzen auch noch bereichsspezifische Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung zu beachten sind50 • Diese lassen sich nach der Rechtsprechung des Gerichts nicht auf eine allgemeingültige Formel bringen, sondern hängen von den Besonderheiten des in Rede stehenden Rechtsgebiets ab. Die entscheidende Besonderheit des öffentlichen Rechts und damit auch des Steuerrechts ist, daß staatliche Maßnahmen in diesem Rechtsgebiet in grundrechtlieh geschützte Freiheiten des Bürgers eingreifen können und die richterliche Rechtsfortbildung den formellen und materiellen Anforderungen entsprechen muß, die die Grundrechte an hoheitliche Grundrechtseingriffe stellen. Welche bereichsspezifischen Anforderungen die richterliche Rechtsfortbildung speziell im Steuerrecht erftlllen muß, hängt also davon ab, ob das Steuerrecht den Staat zu

49 BVerfGE 82, 6 [12). Vgl. auch BVerfGE 7, 89 [92); 7, 194 [196); 13, 261 [271); 49, 304 [318).

so BVerfGE 34, 269 [288].

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Eingriffen in grundrechtlieh geschützte Bereiche legitimiert. Nach der zutreffenden Auffassung des Bundesverfassungsgerichts stellt die Auferlegung von öffentlich-rechtlichen Abgabepflichten Gedenfalls s1 ) einen Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit dar, so daß die Erhebung von Steuern nur aufgrund der "verfassungsmäßigen Ordnung" i. S. des Art. 2 Abs. 1 GG erfolgen darf'2. Auch die Erhebung von Steuern aufgrund einer richterlich fortgebildeten Norm ist deshalb nur zulässig, wenn sie mit der "verfassungsmäßigen Ordnung" im Einklang steht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehören dazu "nicht nur die vom Normgeber gesetzten verfassungsmäßigen Vorschriften, sondern auch deren Auslegung durch den Richter und ebenso die im Wege zulässiger Rechtsfortbildung getroffenen Entscheidungen. Indessen sind der anerkannten Befugnis der Gerichte zur Rechtsfortbildung (...) Grenzen gezogen, und zwar nicht nur durch den Grundsatz der Gesetzesbindung in Art. 20 Abs. 3 GG. Legt der Richter offene Rechtsbegriffe in einem Gesetz aus oder bildet er Recht fort, stehen die sich daraus ergebenden Einschränkungen des Grundrechts nur mit der Verfassung in Einklang, wenn sie den Grundentscheidungen des Grundgesetzes, vornehmlich dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit entsprechen."SJ Damit stellt sich die Frage, ob die richterliche Rechtsforbildung mit diesen elementa-

SI Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß durch die Festsetzung und Erhebung von Steuern als spezielle Grundrechte vor allem das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 S. 1 00), die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 00), die Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 S. 1 00) und das Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 00) beeinträchtigt werden. Eine Beeinträchtigung dieser Grundrechte ist jedoch teilweise nur unter gewissen Umständen möglich, teilweise wird die Möglichkeit sogar ganz bestritten. An dieser Stelle kommt es nur darauf an, daß eine Verletzung eines Grundrechts möglich ist und deswegen die verfassungsrechtlichen Grenzen der Rechtsfortbildung zu beachten sind. Deshalb reicht es hier aus, auf die mögliche Verletzung des Art. 2 Abs. 1 00 durch eine richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht einzugehen. 52 Vgl. BVerfGE 25, 371 [407 f.]; 50,260 [266]; 65, 196 [210]; 74, 129 [152]; Stern, Staatsrecht 11, S. 1l06. 53 BVerfGE 74, 129 [152]. Das Bundesverfassungsgericht ist schon in anderen Entscheidungen davon ausgegangen, daß die Überschreitung der richterlichen Kompetenz Art. 2 Abs. 1 00 verletzen kann (vgl. etwa BVerfGE 18,224 [236]; 19, 166 [174 fr.]; 31, 145 [173 fr.]). -Zustimmend Kunig, in: v. MünchlKunig, ooK, Art. 2 Rn. 23; Starck, in: v. MangoldtIKlein, 00, Art. 2 Abs. 1 Rn. 17. - Eine weitergehende Wirkung weist Friauj, in: Grenzen der Rechtsfortbildung (Diskussionsbeitrag), S. 161, dem Art. 2 Abs. 1 00 zu: "Jede Steuerbelastung greift in einen grundrechtsgeschützten Raum ein, in die Eigentumsgarantie oder zumindest in den Schutzbereich des allgemeinen Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 00, das G. Wacke einmal plastisch als 'Grundrecht auf Nichtzahlung von Steuern' gekennzeichnet hat. Den Zugang in diesen grundrechtlich geschützten Raum kann nur der Gesetzgeber eröffnen. Die Grundrechte stehen prinzipiell unter entsprechenden Regelungsvorbehalten; im Fall des Art. 2 Abs. 1 00 muß es sich um ein Gesetz handeln, das zur verfassungsmäßigen Ordnung gehört. Dieses Gesetz, das unabdingbar ist, kann nur vom parlamentarischen Gesetzgeber ausgehen bzw. auf seiner Ermächtigung beruhen, nicht auf autonomer Schöpfung des Normanwenders."

§ 4 Richterliche Rechtsfortbildung als Verfassungsproblem

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ren Entscheidungen des Grundgesetzes rur den Rechtsstaat und die gewaltengegliederte mittelbare Demokratie, insbesondere mit dem Vorbehalt des Gesetzes, dem Prinzip demokratischer Legitimation, dem Vertrauens- und Rechtssicherheitsprinzip usw. vereinbar ist.

3. Das "vierpolige Beziehungsgejüge" bei einer richterlichen Rechtsfortbildung im öffentlichen Recht Im öffentlichen Rechts geht der gerichtlichen Entscheidung das Verwaltungshandeln voraus. Denn soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, werden Steuern gemäß § 155 Abs. 1 S. 1 AO durch Steuerbescheid festgesetzt. Der Bürger hat die Möglichkeit, gegen den Steuerbescheid außergerichtlich im Wege des Einspruchs (§ 348 AO) bzw. der Beschwerde (§ 349 AO) vorzugehen und nach Erfolglosigkeit dieser Rechtsbehelfe den Finanzrechtsweg zu beschreiten (§ 33 FGO). Nach dem Einspruchsverfahren kann der Steuerbescheid durch finanzgerichtliche Anfechtungsklage (§ 40 Abs. I Altn. 1 FGO) angefochten werden. Diese ist begründet, wenn der von der Verwaltung erlassene Steuerbescheid rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 FGO). Demnach kontrollieren die Gerichte im Steuerrecht und im gesamten öffentlichen Eingriffsrecht als Organe der Rechtsprechung (Art. 92 GG) die Rechtmäßigkeit des (finanz)behördlichen Handeins; die Rechtsprechung hat bei der Auferlegung einer öffentlich-rechtlichen Geldleistungspflicht, die ein Eingriff in der Schutzbereich des Art. 2 Abs. I GG darstellt, gemäß Art. 19 Abs. 4 GG die Aufgabe, die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung (vgl. Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 und Art. 100 Abs. 1 GG) sowie die Verfassungsmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit des exekutivischen Handeins zu kontrollieren; sie überprüft im Steuerrecht und im gesamten öffentlichen Eingriffsrecht die Rechtmäßigkeit des vorausgegangenen Verwaltungshandeins. Diese Rechtmäßigkeit ist nur dann gegeben, wenn auch die Exekutive befugt ist, ihr Handeln auf ein fortgebildetes und ergänztes Gesetz zu stützen. Daraus folgt - und das ist aber auf jeden Fall festzuhalten - , daß die Legitimität der Rechtsfortbildung ft1r die Organe der Rechtsprechung und der vollziehenden Gewalt überprüft werden muß und diese Legitimität nur einheitlich festgestellt werden kann. "Freiheiten der Rechtsanwendung" müssen deshalb im Steuerrecht in vollem Umfang auch der rechtsanwendenden Verwaltung zukommen 54 • 54 Hege/au, Analogie im Steuerrecht, S. 35 f.; Friauj, in: Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung, S. 53 [68]: "Aufgrund einer Rechtsfortbildung per analogiam könnte das Finanzgericht einen Steuerbescheid nur dann 'bestätigen', wenn zuvor die Finanzverwaltung selbst zu einer entsprechenden (tatbestandsbegründenden) Rechtsfortbildung kompetent gewesen wäre." Vgl. weiterhin Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 172: Es geht "um die Zulässigkeit auch der exekutiven, richterlich UberprDtbaren Fortbildung des Rechts"; Offerhaus, BB 1984, S. 993 [996]; Herzog, in: MaunzlDUrig, GG, Art. 20 Abschn. VI Rn. 36; Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, S. 405 f.

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Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

Diese verfahrensrechtliche Situation, bei der die Verwaltung der "Erstadressat", die Gerichte der ,,zweitadressat" des Gesetzes is~5, fUhrt bei der "richterlichen" Rechtsfortbildung im öffentlichen Recht und damit auch auch im Steuerrecht, zu einer terminologischen Ungereimtheit: Herkömmlich wird nur von einer "richterlichen" Rechtsfortbildung gesprochen. Diese Terminologie stammt aus der Diskussion um das Richterrecht im Zivilrecht. Dort ist es nämlich in der Tat der Richter, der erstmals - mit staatlicher Autorität ausgestattet - eine zivilrechtliche Norm fortbildet, so daß der Ausdruck "richterliche" Rechtsfortbildung in diesem Bereich zutreffend ist. Im öffentlichen (Eingriffs)Recht dagegen prüfen die Gerichte lediglich vorausgegangenes Verwaltungshandeln nach56 • Ist ein Steuerbescheid nach einem finanzgerichtlichen Urteil rechtmllßig, obwohl sich das gefundene Ergebnis nicht durch Auslegung einer Norm, sondern nur durch Rechtsfortbildung gewinnen 11lßt, dann bedeutet dies fUr die Verwaltung, daß auch sie ihr Handeln auf diese fortgebildete Norm stützen konnte. Die "richterliche" Rechtsfortbildung findet im öffentlichen Recht in einem" vierpoligen Beziehungsgefoge", nämlich zwischen dem Bürger, der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung, statt. Demzufolge müßte im Steuerrecht statt von "richterlicher" Rechtsfortbildung eigentlich von "richterlicher und behördlicher" Rechtsfortbildung oder "Rechtsfortbildung durch die rechtsanwendenden Gewalten" gesprochen werden; der Ausdruck "richterliche" Rechtsfortbildung hat sich aber eingebürgert, so daß er in der vorliegenden Untersuchung beibehalten wird.

ill. Zur Vorgehensweise: Richterrecht und grundgesetzliehe Funktionenordnung Den Gerichten ist zwar die Kompetenz zur Weiterbildung des Rechts auch über den Wortlaut des Gesetzes hinaus im Grundsatz nie bestritten worden57 • Es geht also nur um die Frage, ob und in welchen Fällen und Rechtgebieten sowie unter welchen Voraussetzungen richterliche oder behördliche Rechtsetzung neben oder an die Stelle gesetzgeberischer Rechtsetzung treten darf oder sogar muß. Unter Zugrundelegung des kombiniert hermeneutisch-verfassungsrechtlichen Ansatzes, der die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im Grundsatz des Vertrauensschutzes und in der verfassungsrechtlichen Aufgaben- und Kompetenzordnung sucht, heben die Betllrworter eines Rechtsfortbildungs- und

55 Vgl. zu dieser Terminologie Kirchhof, HStR V, § 125 Rn. 26 und öfter. 56 Vgl. nur Papier, HStR VI, § 154 Rn. 5: "Die gerichtlichen Beurteilungs- und Prüfungsmaßstäbe sind identisch mit den Verhaltensnormen der Exekutive. Es ist mit anderen Worten Aufgabe und Kompetenz des Normgebers, die Macht der Exekutive zu begrenzen." Vgl. auch Kirchhof, HStR V, § 125 Rn. 19.

57 Vgl. Stern, Staatsrecht fl, S. 800 m. w. N. in Fn. 218; lpsen, Richterrecht und Verfassung, passim; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, passim. Besonders deutlich BVerfGE 35, 263 [278 f.]: "Am Wortlaut einer Norm braucht der Richter aber nicht haltzumachen. Seine Bindung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 00) bedeutet nicht Bindung an dessen Buchstaben mit dem Zwang zu wörtlicher Auslegung, sondern Gebundensein an Sinn und Zweck des Gesetzes. Die Interpretation ist Methode und Weg, auf dem der Richter den Inhalt einer Gesetzesbestimmung unter Berücksichtigung ihrer Einordnung in die gesamte Rechtsordnung erforscht, ohne durch den formalen Wortlaut des Gesetzes begrenzt zu sein."

§ 4 Richterliche Rechtsfortbildung als Verfassungsproblem

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Analogieverbotes im Steuerrecht hervor, daß die Bindung des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG), der rechtsstaatliche Bestimmtheitsgrundsatz, die ftlr das Eingriffsrecht geltende Lehre vom Gesetzesvorbehalt, der Gewaltenteilungsgrundsatz, das Rechtsstaatsprinzip, das Demokratieprinzip und das Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung einer Rechtsfortbildung praeter legern im Steuerrecht entgegenstünden. Die entscheidende Frage ist indes, ob sich aus diesen Verfassungsnormen und -prinzipien tatsächlich ein Vorbehaltsbereich der Legislative und damit ein Rechtsfortbildungsverbot im Steuerrecht ableiten läßtS8 • Das Grundgesetz gibt auf die Frage, welche Aufgaben und Befugnisse die Verfassung welchen Organen zur alleinigen oder zur arbeitsteiligen Ausübung zugewiesen hat, teilweise durch explizite Zuweisungen selbst eine Antwort. Dem Text des Grundgesetzes ist über die hier in Frage stehende Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht aber keine solche explizite Aussage zu entnehmen, so daß in der Tat die soeben genannten allgemeinen Vorschriften und Grundsätze herangezogen werden müssen. Die Diskussion über Zulässigkeit und Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung hat jedoch gezeigt, daß jedes isolierte Vorgehen zur Bestimmung des Aufgabenund KOD!petenzumfangs der Staatsgewalten zu keiner einvernehmlichen Lösung filhren kann. Das gilt vor allem rur die Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG, dessen Aussagewert rur die Richterrechtsproblematik wegen der Unbestimmtheit der Begriff "Gesetz und Recht" teilweise bestrittenS9 oder in dem die Lösung der Richterrechtproblematik gesehen wird60 • Nur eine Betrachtungsweise, die von der isolierten Betrachtung einzelner Vorschriften Abstand nimmt und diese in den Gesamtzusammenhang der in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG angelegten verfassungsrechtlichen Funktionenordilung und der darin enthaltenen Kompetenzen, Verfahren und Institutionen stellt6 1, wird zur Lösung der umstrittenen Richterrechtsproblematik beitragen können.

,. Diesen Ansatz wählt auch Fischer, StVj 1992, S. 3 [16].

'9 So etwa Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 117 ff; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 88 f. 60 So wohl BVerfUE 34, 269 ff.; Stern, Staatsrecht 11, S. 582: ,,Als grundlegender Ansatzpunkt zur Lösung ist Art. 20 Abs. 3 GG mit der Formel 'Gesetz und Recht' erkannt worden." 61 Vgl. dazu zunächst Zimmer, Der Staat Bd. 18 (1979), S. 161 [174]; Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 12 f. Zur Funktion des Gewaltenteilungsprinzips in diesem Zusammenhang Jarass, Politik und Bürokratie als Elemente der Gewaltenteilung, S. 8 f.

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Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

§ 5 Lückenf"tillende Rechtsfortbildung und Funktionenordnung Bei der Frage, ob und wann gerade die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung zur Rechtsfortbildung berechtigt sind, handelt es sich um ein Problem der grundgesetzlichen Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen den in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG normierten Staatsgewalten, um ein "Kernproblem der grundgesetzlich balancierten Gewaltenteilung". Daher liegt die Annahme nahe, daß die Aufgaben- und Kompetenzabgrenzung zwischen den Staatsgewalten auch durch Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG bestimmt, jedenfalls aber beeinflußt wird l . Bei der Beantwortung der Frage, ob und in welchem Umfang der Aufgabenund Kompetenzumfang durch Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG bestimmt wird, sind zwei rechtliche Wirkungsweisen dieser Norm zu unterscheiden: Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG könnte zum einen selbst Grundlage einer Aufgaben- und Kompetenzbereichsbestimmung sein, und zum anderen könnte die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG angelegte Funktionenordnung als grundgesetzliche Strukturentscheidung rur die Interpretation anderer Aufgaben- und Kompetenzzuweisungen von Bedeutung sein.

I. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG als eigenständige Grundlage einer Aufgaben- und Kompetenzbereichsbestimmung Fraglich ist, ob Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG als eigenständige Grundlage einer Aufgaben- und Kompetenzbereichsbestimmung der Staatsgewalten herangezogen werden kann und sich daraus Grenzen ft1r die richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht ergeben. Zur eigenständigen Festlegung des Aufgaben- und Kompetenzbereichs der Staatsgewalten könnte eine materielle Definition der in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vorgesehenen Staatsgewalten herangezogen werden, könnten die Aufgaben der Staatsgewalten durch Übernahme eines apriorischen Gewaltenteilun~prinzips oder durch eine aus einem apriorischen Gewaltenteilungsprinzip abgeleitete Kernbereichslehre bestimmt werden.

I Möglich wäre es auch, zunächst andere speziellere Vorschriften auf ihre Relevanz rur das Richterrecht zu überprUfen (so etwa Wank, Grenzen der Rechtsfortbildung, S. 87 ff.; Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 117 ff.). Als solche Vorschriften kämen vor allem Art. 20 Abs. 3 GO und die grundgesetzlichen Gcsetzcsvorbehalte in Betracht. Für die hier gewählte PrUfungsfolge spricht vor allem die Tatsache, daß die Auslegung dieser Normen ohne die aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GO folgenden Grundsätze kaum möglich ist.

§ 5 LUckenftlllende Rechtsfortbildung und Funktionenordnung

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J. Aufgaben- und Kompetenzbereichsbestimmung durch Auslegung des grundgesetzlichen Rechtsprechungsbegriffs Zunächst könnte man versuchen, den Begriff "Rechtsprechung" (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) bzw. "rechtsprechende Gewalt" (Art. 92 GG)2 als Staatsfunktion zu definieren und dann aus dieser Definition den Aufgaben- und Kompetenzumfang der Gerichte sowie die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung abzuleiten 3 • Das Bundesverfassungsgericht hat hinsichtlich des Rechtsprechungsbegriffs in Art. 92 GG ein materielles Verständnis zugrundegelegt4. Danach ist das entscheidende Merkmal des Rechtsprechungsbegriffs die durch die Verfassung oder den Gesetzgeber vorgenommene Qualifizierung bestimmter Aufgaben als Rechtsprechungsaufgaben s. Daraus folgt, daß der Richter nur dann die Aufgabe hat, Recht zu sprechen, wenn die Verfassung oder das parlamentarische Gesetz ihn dazu ermächtigen, und daß der Begriff der rechtsprechenden Gewalt nicht anhand von Art. 20 Abs. 2 S. 2 oder Art. 92 GG, sondern nur anhand der jeweiligen Zuweisungsnormen bestimmbar ist6 • Aber auch wenn man mit K. Hesse annimmt, daß die Rechtsprechung durch "die Aufgabe autoritativer und damit verbindlicher, verselbständigter Entscheidung in Fällen bestrittenen oder verletzten Rechts in einem besonderen Verfahren" charakterisiert ise, folgen aus dem Rechtsprechungsbegriff keine Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung. Aus diesem Rechtsprechungsbegriff ergibt sich nämlich nur, daß die Rechtsanwendung intra legem zum Aufgaben- und Kompetenzbereich und - genauer - zum Vorbehaltsbereich der Rechtsprechung gehört, der

2 Das Grundgesetz gebraucht diese Begriffe offenbar als Synonyme (vgl. Achterberg, in: Bonner Kommentar, Art. 92 Rn. 60; Herzog, in: MaunzIDUrig, GO, Art. 92 Rn. 20). 3 Diese Art der Aufgaben- und Kompetenzbereichsbestimmung, die ebenso ftlr die Organe der Gesetzgebung und der vollziehenden Gewalt durchgeftlhrt werden könnte und nicht nur ftlr die Richterrechtsproblematik von Bedeutung ist, wird auch diskutiert von Ossenbühl, DÖV 1980, S. 545 [548]; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 187; Stetmer, JöR Bd. 35 (1986), S. 57 [69]; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 87; Zimmer, Funktion - Kompetenz - Legitimation, S. 200; Gusy, DÖV 1992, S. 461 [463]; Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 232 f.; Neuner, Rechtsfindung contra legern, S. 52 ff.

• Vgl. zu den verschiedenen materiellen Rechtsprechungsbegriffen Vosskuhle, Rechtsschutzgegen den Richter, S. 72 ff.; Achterberg, in: ders., Rechtsprechungslehre, S. 3 [6 ff.]; dens., in: Bonner Kommentar, Art. 92 Rn. 60 ff. S Vgl. BVerfUE 22, 49 [74 ff.]; Vosskuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 82 ff.; Achterberg, Festschrift ftlr Menger, S. 125 [129 f.]. 6

Vgl. Neuner, Rechtsfindung contra legern, S. 52 f.

Hesse, Verfassungsrecht l9, Rn. 548 m. w. N. Im Anschluß daran etwa Gusy, DÖV 1992, S. 461 [463]. Vgl. zum Rechtsprechungsbegriff Pieroth, in: Jarass/Pieroth, G02, Art. 92 Rn. 2; Herzog, in: MaunzIDurig, GO, Art. 92 Rn. 27 ff.; Achterberg, in: Bonner Kommentar, Art. 92 Rn. 92 ff.; Stern, Staatsrecht 11, S. 894 ff.; Bettermann, HStR 111, § 73 Rn. 17 ff.; EI/wein, in: Hdb. d. VerfR, S. 1203; Starck, Der Gesetzesbegriff, S. 106. 7

13 Bar1h

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Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

den Organen der anderen Staatsgewalten nicht offen steht·. Demgegenüber ist diese Definition des Rechtsprechungsbegriffs nicht zur Bestimmung des Aufgaben- und Kompetenzbereichs der Gerichte in den eigentlich problematischen Fällen der Rechtsanwendung praeter legern geeignet. Denn außerhalb der Rechtsanwendung intra legern ist gerade fraglich, wann es nach dem Grundgesetz geboten ist, eine autoritative und damit verbindliche, verselbständigte Entscheidung in einem besonderen Verfahren zu treffen 9 • Mit einer verbreiteten Auffassung könnte das Charakteristikum der rechtsprechenden Gewalt auch in der konkret-individuellen Entscheidung des Einzelfalles, das der Gesetzgebung in der Erzeugung abstrakt-genereller Regelungen gesehen werden 1o • Legt man diese Auffassung zugrunde, dann verstößt weder die - nur zwischen den Parteien wirkende - Rechtsfortbildung praeter legern noch die Rechtsfortbildung contra legern gegen Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG; dafUr aber ist es der Rechtsprechung verwehrt, eine über den Einzelfall hinausgehende abstrakt-generelle Regelung zu erlassenlI. Wenn die Gerichte bei der "Fallö-

• Die autoritative und damit verbindliche, verselbständigte Entscheidung in Flllien bestrittenen oder verletzten Rechts in einem besondere Verfahren und in Bindung an das gesetzte Recht (Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. I 00) setzt notwendig voraus, daß die Auslegung und Anwendung, die Interpretation, die Konkretisierung sowie alle anderen Feststellungen, die der Anwendung des gesetzten Rechts auf den zu entscheidenden Fall dienen, zum Aufgaben- und Kompetenzbereich der Gerichte gehören (Gusy, DÖV 1992, S. 461 [463]; Kirchhof, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 11 [16 ff.]; Herzog, in: MaunzIDUrig, 00, Art. 92 Rn. 28), auch wenn durch die Auslegung und Anwendung des Gesetzesrechts (Richter-)Recht gesetzt wird (Send/er, DVBI. 1988, S. 828 [832 f.]; Herzog, in: MaunzIDUrig, 00, Art. 92 Rn. 26). • So treffend Gusy, DÖV 1992, S. 461 [463]. Vgl. auch Wank, Jura 1991, S. 622 [625]: "Wenn man die Kompetenzen der beiden Teilgewalten [Judikative und Legislative] gegeneinander abgrenzen will, so hilft der unmittelbare Schluß vom Organ auf die Kompetenz nicht weiter. Man kann nicht nach dem Kriterium vorgehen: Alles was der Richter in einem gerichtsfllrmigen Verfahren tut, ist Rechtsprechung, alles, was das Parlament gemäß seinen Verfahrensvorschriften tut, ist AusUbung der Legislative. Denn dann könnte der einfache Gesetzgeber beliebig einer Teilgewalt Aufgaben entziehen oder zuweisen, solange er nur ftlr eine verfahrensmäßige Übereinstimmung sorgt." 10 Vgl. Neuner, Rechtsfindung contra legern, S. 53 f. m. w. N.; Scholz, DB 1971, S. 1771 [1776]; Meyer, in: v. MUnch, ooK, Art. 92 Rn. 8, wonach Rechtsprechung die "letztverbindliche Entscheidung in konkreten und umstrittenen oder zweifelhaften Rechtsverhllltnissen" ist; Starck, Der Gesetzesbegriff, S. 234 ff. 11 Neuner, Rechtsfindung contra legern, S. 54, 59 ff. Ob dazu die Wallraff-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfUE 66, 116 [138]) in Widerspruch steht - wie Neuner, Rechtsfindung contra legern, S. 64 f., annimmt - , erscheint fraglich. Danach ist es Aufgabe des ergänzenden Richterrechts, die Rechtsfindung normativ zu leiten. Diese Aufgabe ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zwar nicht gleichbedeutend mit einer einzelfallbezogenen GUter- und Interessenabwägung, weil eine solche Abwägung zwar in besonderem Maße der Einzelfallgerechtigkeit, nicht aber dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtssicherheit gerecht werden kann. Man wird aber aus diesen Ausftlhrungen keine Berechtigung zu einer abstrakt-generel\en Rechtsetzung,

§ 5 Lückenfllllende Rechtsfortbildung und Funktionenordnung

195

sung ohne Stütze in den Ergebnissen der Legislative, den Nonntexten," judizieren, wenn der Legislative "explizit oder implizit ein Nonntext untergeschoben (wird), der mangels kompetentieller Berechtigung als Quasi- oder PseudoNonntext bezeichnet werden muß"12, dann kann ein solches Vorgehen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden. Wenn jedoch ein Judikat auf ein Nonntext rUckfUhrbar ist - und das gilt auch ftlr die Analogie 13 - dann verstößt die richterliche Rechtsfortbildung (nach dieser Auffassung) nicht gegen das Grundgesetz. Deshalb ergeben sich auch aus dieser Rechtsprechungsdefmition keine Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht. Die Liste der Auffassungen über die Abgrenzung des Aufgaben- und Kompetenzumfangs der Rechtsprechung von den anderen Staatsfunktionen ließe sich beliebig verlängem l4 , ohne daß damit ftlr die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung ein Erkenntnisgewinn erzielt werden könnte. Weder aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG noch aus den Abschnitten VII. ("Die Gesetzgebung des Bundes"), VIII. ("Die AusfUhrung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung") und IX. ("Die Rechtsprechung") des Grundgesetzes ergibt sich eine - in Grenzbereichen - hinreichend sichere Aussage über Inhalt und Aufgabe der einzelnen Gewalten, so daß es filr die Staatsfunktionen nach wie vor an einer eindeutigen Abgrenzung fehltlS . In diesen Regelungen wird vielmehr ein bestimmter Inhalt

sondern nur einen Hinweis auf die Pflicht der Gerichte zur Aufstellung allgemeiner Rechtsgrundsätze fllr die Fallösung entnehmen können (vgl. Lerche, NJW 1987, S. 2465 [2472]; Neuner, Rechtsfindung contra legem, S. 65). 12

Müller, Richterrecht, S. 120.

So Müller, Richterrecht, S. 126 Fn. 322: "Das gilt auch fllr die Analogie. Soweit sie nicht durch einen begrUndbaren Umlrehrschluß unzulässig wird, solange die analog erzeugte Rechts- und Entscheidungsnorm auf (einen oder mehrere) Normtexte methodisch rUckfllhrbar sind ('Gesetzes-' bzw. 'Rechtsanalogie'), handelt es sich nicht um richterrechtliche Setzung, sondern um erlaubte Konkretisierung. Die dafllr typischen Argumente sind systematische, nonnbezogen-dogmatische und rechtspolitische Konkretisierungselemente; .... - Im Fall des echten Richterrechts wird - um an Formulierungen v. Savignys (Juristische Methodenlehre, hrsg. von Wesenberg, 1951, S. 39 ff., 42) zu erinnern - 'von außen etwas (sc. neue Normtexte) hinzugetan'. Bei der (auf Normtexte rUckft1hrbaren) Analogie ist dagegen 'die Gesetzgebung aus sich selbst ergänzt'." Il

14 Vgl. dazu etwa Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 34 ff.; Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 232 f.; Vosskuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 69 ff.; Achterberg, in: Festschrift fllr Menger, S. 125 ff.; dens., in: ders., Rechtsprechungslehre, S. 2 [5 ff.]; dens., Funktionenlehre, S. 85 ff.

15 Vosskuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 38,66 ff.; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 188; Zimmer, Funktion - Kompetenz - Legitimation, S.23, 104, 200 f.; Ossenbühl, DÖV 1980, S. 545 [548] mit der zutreffenden Feststellung, die Abgrenzungsprobleme seien "ungelöster denn je"; Stettner, JöR Bd. 35 (1986), S. 57 [69 ff.] spricht vom "Kümmernis der inhaltlichen Ungeklärtheit". Speziell zum Begriff der Rechsprechung treffend Gusy, DÖV 1992, S. 461 [463]; Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 232 f.

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Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

der Funktionen Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung vorausgesetzt I 6. Das spricht daftlr, daß aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG nur die Unterscheidung der Staatsgewalt in funktionaler, organisatorischer und personeller Hinsicht, nicht aber der Umfang der den Funktionen zugewiesenen Aufgaben zu entnehmen ist 17 • Aus Art. 92 Hs. 1 GG könnten sich zudem nur dann Schranken ft1r die Rechtsprechung ergeben, wenn diese Vorschrift den Sinn hätte, den Gerichten jede Tätigkeit auf dem Gebiet der anderen Funktionen zu verbieten l8 • Sinn des Art. 92 Hs. 1 GG ist es indes, ein "Rechtsprechungsmonopol" der Richter zu normieren, nach dem die Aufgaben der rechtsprechenden Gewalt ausschließlich durch Richter und Gerichte, nicht aber durch Organe der Legislative oder Exekutive ausgeübt werden dürfen I9. Die Frage nach den Grenzen des Richterrechts zielt aber, wie R. WanJilo zu Recht sagt, in die umgekehrte Richtung: Fraglich ist, ob die Rechtsprechung Aufgaben wahrnehmen darf, die herkömmlich zum Aufgabenbestand der anderen Gewalten gerechnet worden sind. Art. 92 GG beantwortet hingegen nur die Frage, ob die Organe der Legislative und der Exekutive Aufgaben der Rechtsprechung wahrnehmen dürfen. Art. 92 Hs. 1 GG beschränkt daher die Richter jedenfalls im Grundsatz nicht auf die Wahrnehmung der Aufgaben der Rechtspechung21 , so daß ihnen beispielsweise auch Aufgaben der Exekutive übertragen werden dürfen, solange das Grundgesetz deren Wahrnehmung nicht einer anderen Gewalt vorenthält22 •

16 Hesse, Verfassungsrecht l9, Rn. 500; GuS}', DÖV 1992, S. 461 [462]; Schmidt-Aßmann, HStR I, § 24 Rn. 52 und 47. Ähnlich Herzog, in: MaunzlDUrig, GO, Art. 92 Rn. 8; Vosskuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 38, 66 ff.

17 Vgl. Vosskuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 38 f.; Schmidt-Aßmann, HStR I, § 24 Rn. 47, wonach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GO keine Aussage Uber die "gleichfalls elementare Gewaltenzuordnung" enthlllt; Herzog, in: MaunzlDUrig, GO, Art. 20, Abschn. V Rn. 38 f. 18 Vgl. Schlüter, Das Obiter dictum, S. 10 (dort zu den Uber die konkrete Einzelfallentscheidung hinausgehenden Rechtsausftlhrungen und Leitsatzbildungen, den sog. Obita dicta). 19 Schlüter, Das Obiter dictum, S. 10 mit Hinweisen auf das IIltere Schrifttum; Pieroth, in: JarasslPieroth, G4°O Deshalb ist fraglich, ob der Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt der "Wesentlichkeitstheorie" neben der offenen und verdeckten Delegation auch die Ausftlllung planwidriger Unvollständigkeiten (= Lücken im Gesetz) durch Analogie begrenzt. a) Die Begrenzung der offenen Delegation Eine Entscheidungsweitergabe oder Delegation401 auf die Exekutive kann einmal durch offene Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen erfolgen, indem der parlamentarische Gesetzgeber die Exekutive ausdrücklich zum Erlaß von Rechtsverordnungen, zur Ausübung von Satzungsgewalt und - sofern man eine partielle Außenwirkung annimmt - zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften ermächtigt402. Der Parlamentsvorbehalt steuert hier zunächst nur die verfassungsrechtlich gebotene Regelungsebene403 • Daraus folgen zwar direkt keine verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, jedoch nicht, daß die in diesem Bereich verfassungsrechtlich gebotene Aufteilung der Regelungslast fU.r die Rechtsfortbildung gänzlich ohne Bedeutung ist. Denn das Grundgesetz enthält mit der Vorschrift des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG eine Norm, die das verfassungsrechtlich gebotene Ausmaß formell-gesetzlicher Regelungsdichte und -bestimmtheit in diesem Bereich regelt. Diese Norm ist zwar nach gesicherter Erkenntnis nicht analog auf andere Bereiche anwendbar, könnte aber

400

Ossenbühl, HStR 111, § 62 Rn. 48.

Zum Begriff der Delegation Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 34 ff.; Busch, Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, S. 55 f. 401

402 Vgl. Busch, Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, S. 56 ff.; Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 42; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 128 f.; Heussner, Festschrift rur Stein, S. 111 [120 ff.]. 403

Vgl. dazu ausfilhrlich Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 129 ff.

424

Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

trotzdem filr andere Bereiche beispielhaft sein404 . Sinn des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG ist es, "das Parlament daran zu hindern, sich seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft zu entäußern. Es soll nicht einen Teil seiner Gesetzgebungsmacht der Exekutive übertragen können, ohne die Grenzen dieser Befugnis bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, daß schon aus der Ermächtigung erkennbar und voraussehbar ist, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll ( ... ).'>405 Deshalb ist Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG verletzt, wenn "eine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen so unbestimmt ist, daß nicht mehr vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können.,,406 Auf diese Formulierung hat das Bundesverfassungsgericht auch im Bereich der verdeckten Delegation des öfteren zurückgegriffen. b) Die Begrenzung der verdeckten Delegation Der Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt kann nicht nur ein Verbot offener Übertragung von Rechtsetzungskompetenzen enthalten; er soll vielmehr bewirken, "daß dem parlamentarischen Gesetzgeber jeder Ausweg versperrt wird, der ihm verfassungsrechtlich zukommenden Gesetzgebungsaufgabe auszuweichen, sei es durch offene, sei es durch verdeckte Delegation in Gestalt von GeneralklauseIn und unbestimmten Rechtsbegriffen.,,407 Die durch den Gesetzesvorbehalt begrenzte Entscheidungsweitergabe kann deshalb auch durch verdeckte Delegation erfolgen. Eine verdeckte Delegation liegt vor, wenn es ohne einen ausdrücklichen gesetzlichen Übertragungsakt zu einer Kompetenzverlagerung zugunsten der rechtsanwendenden Gewalten kommt, die sich im Ergebnis nicht von den Fällen der ausdrücklichen Entscheidungsweitergabe unterscheidet40B . Zu dieser Art der Delegation ist zunächst die Formulierung von Ermessenstatbeständen zu zählen. Denn mit der Gewährung von Ermessen verleiht der Gesetzgeber der Verwaltung auf der Rechtsfolgenseite einer gesetzlichen Bestimmung einen Spielraum zu eigener und eigenverantwortlicher Entscheidung,

404 Zum Verhältnis zwischen Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG und der Wesentlichkeitstheorie Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 142 ff.; Busch, Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, S. 79 ff.; Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalf, S. 395 ff. 40S

BVerfGE 78, 29 [272]. Vgl. auch BVerfGE 58, 257 [277] m. w. N.

406

BVerfGE 23, 62 (72).

Ossenbühl, HStR I1I, § 62 Rn. 42. Vgl. dazu auch Kloepfer, in: Hili, Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, S. 187 [192]; Ossenbühl, Festschrift rur Bosch, S. 751 [754 f.]; dens., in: GötzlKleinlStarck, Die öffentliche Verwaltung, S. 9 [22]. 407

400 Vgl. Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 37 f.; Busch, Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, S. 59; Kloepfer, in: Hili, Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, S. 187 [193 f.].

§ 7 Die Gesetzesvorbehalte als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung

425

in dem mehrere unterschiedliche Verhaltensweisen rechtmäßig sein können409 . Der Verwaltung wird durch die Gewährung von Ermessen eine gewisse Wahlfreiheit eingeräumt und damit die Kompetenz zur Setzung der Rechtsfolge im Einzelfall übertragen, so daß es gerechtfertigt erscheint, auch in diesem Fall von einer (partiellen) Delegation zu sprechen. Außerhalb des Steuerrechts werden rechtsstaatliche Bedenken gegen die Einräumung von Ermessen allerdings kaum erhoben, jedenfalls solange die Ermächtigungen zum Erlaß belastender Verwaltungsakte "nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt werden, so daß Eingriffe meßbar und in einem gewissen Umfang fUr den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar werden,,4IO, und keine substanzlose Blankettermächtigung vorliegt, die dem Parlamentsvorbehalt zuwider läuft411 . Die zweite Art der verdeckten Delegation wird in der Verwendung von sog. unbestimmten Rechtsbegriffen gesehen4l2 • Durch die Verwendung von Begriffen wie "Gemeinwohl", "öffentliches Interesse", "öffentliche Sicherheit und Ordnung", ,,zuverlässigkeit", "Stand von Wissenschaft und Technik", "volkswirtschaftliche GrUnde"(§ 34c Abs. 3 EStG) USW.413 werden Wertungen in das Normprogramm inkorporiert, die sich nicht aus der Norm selbst ergeben, sondern vom Rechtsanwender im Rahmen der Individualisierung und Konkretisierung dem Normprogramm hinzugefilgt werden müssen414 . In dieser der Verwaltung auferlegten Normprogrammergänzung ist - auch bei Beachtung der Wertvorgaben der Verfassung - "ein Verzicht des Gesetzgebers zugunsten der Verwaltung,,4lS zu sehen. Das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage fUr ein Verwaltungshandeln würde seinen Sinn verlieren, wenn der Gesetzgeber 409 Vgl. BVerwG, NJW 1990, S. 787 [788]; Erichsen, in: ErichsenIMartens, Allgemeines Verwaltungsrecht9, § 10 Rn. 14; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht9, § 7 Rn. 7. 410 BVertUE 8, 274 [325]. Vgl. auch BVertUE 8, 274 [326]; 9, 137 [146 ff.]; 13, 153 [160 f.] rur das Steuerrecht; 22, 330 [345 f.]; 48, 210 [221 f.] rur entlastende Maßnahmen im Steuerrecht; 50, 57 [93]. Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der Errnessensausübung BVertUE 69, 161 [169]; Erichsen, in: ErichsenIMartens, Allgemeines Verwaltungsrecht9 , § 10 Rn. 17 ff. 411 Erichsen, in: ErichsenIMartens, Allgemeines Verwaltungsrecht9 , § 10 Rn. 23. Dagegen soll das Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung Errnessensvorschriften entgegenstehen (vgl. oben § 7 I).

412 Vgl. etwa Busch, Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, S. 59 fT.; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 37 f.; Erichsen, in: ErichsenIMartens, Allgemeines Verwaltungsrecht9 , §1O Rn. 7 Fn. 13; ders., DVBI. 1985, S. 22 [26 ff.]. 413 Weitere Beispiele bei Erichsen, in: ErichsenIMartens, Allgemeines Verwaltungsrecht9, § 10 Rn. 4; Busch, Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, S. 61; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht9, § 7 Rn. 28. 414 Vgl. Erichsen, in: ErichsenIMartens, Allgemeines Verwaltungsrecht9, § 10 Rn. 7; Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 488. 41S Ule, Gedächtnisschrift rur Jellinek, S. 309 [314].

426

Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

die Verwaltung lediglich fonnal gesetzlich ennächtigen würde416 , ohne diese inhaltlich zu nonnieren. Deshalb ist auch in der Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen eine verdeckte Delegation zu sehen, die durch den Parlamentsvorbehalt begrenzt wird4l7 . Die Frage nach einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage stellt sich also auch dann, wenn dem parlamentarischen Gesetz infolge seiner Offenheit, Vagheit oder Unbestimmtheit keine oder nur ganz geringe gesetzliche Vorgaben zu entnehmen sind, so daß das Verwaltungshandeln und die richterliche Entscheidung in Wahrheit ganz in das Belieben der Exekutive und der Judikative gestellt wird. Hier liegt zwar nach dem möglichen Wortsinn der gesetzlichen Nonnierung eine Regelung des zu entscheidenden Falles vor; diese ist aber so fonnuliert, daß die Entscheidung nicht nach inhaltlichen Vorgaben des parlamentarischen Gesetzgebers getroffen wird, sondern die Organe der rechtsanwendenden Gewalten praktisch nach eigenen Maßstäben entscheiden können. Da jedoch nach dem Vorbehalt des Gesetzes ein selbständiges Vorgehen der Exekutive in bestimmten Sachbereichen ausgeschlossen, also der Legislative "vorbehalten" ist, und die Maßnahmen der Exekutive im Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts auf eine gesetzliche Ennächtigungsgrundlage ,,rUckfUhrbar" sein müssen, kann das Ausmaß inhaltlicher Vorgaben kein beliebiges sein. Die entscheidende Frage bei dieser Fallgruppe ist dann, welches Ausmaß fonnell-gesetzlicher Regelungsdichte und Bestimmtheit im Geltungsbereich des Vorbehalts des Gesetzes verfassungsrechtlich geboten ist. c) Der Gesetzesvorbehalt der "Wesentlichkeitstheorie" als Schranke richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht Während die Begrenzung der bisher genannten Delegationsmöglichkeiten durch den Gesetzes- bzw. Parlamentsvorbehalt der "Wesentlichkeitstheorie"

416

Vgl. BVerfUE 41, 251 [263 f.].

Eine verdeckte Delegation kann jedoch nicht nur in der Verwendung von sog. unbestimmten Rechtsbegriffen gesehen werden. Da nämlich jede sprachlich gefaßte Regelung wegen der geringen Präzision menschlicher Sprache in einem gewissen Maße unbestimmt ist und dem Rechtsanwender einen Anwendungsspielraum eroffitet, über den die tlIgliche Auseinandersetzung um den Inhalt von Rechtsbegriffen und den Regelungsgehalt von Normen ein deutliches Zeugnis ablegt, ist die vielfach vorgenommene kategoriale Unterscheidung zwischen unbestimmten und bestimmten Rechtsbegriffen zweifelhaft (gegen die Unterscheidung etwa Erichsen, in: ErichsenIMartens, Allgemeines Verwaltungsrecht9 , § 10 Rn. 4 m. w. N.). Die Unbestimmtheit verschiedener Begriffe läßt sich vielmehr nur in quantitativer Hinsicht nach dem Ausmaß der jeweiligen inhaltlichen Steuerungsintensitllt und -dichte rur die Einzelfallentscheidung unterscheiden. Der Parlamentsvorbehalt begrenzt deshalb nicht nur die Verwendung der sog. unbestimmten Rechtsbegriffe, sondern schreibt dem Gesetzgeber auch im übrigen die verfassungsrechtlich gebotene Regelungsdichte und Bestimmtheit vor (vgl. Busch, Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, S. 61 f.; Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 139 f.). 417

§ 7 Die Gesetzesvorbehalte als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung

427

weitgehend anerkannt ist, wird in der Literatur418 und Rechtsprechung419 die Frage kaum erörtert, ob dieser Gesetzesvorbehalt zu einem Verbot der richterlichen Rechtsfortbildung praeter legern ftlhren kann. Da die Rechtsfolge des Gesetzes- und Parlamentsvorbehalts indes in einem Delegationsverbot und damit dem "Gebot verstärkter Regelungsdichte"420 besteht, erscheint es nicht ausgeschlossen, daß der Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt auch die richterliche Rechtsfortbildung verfassungsrechtlich beschränkt. Dies gilt auf jeden Fall fUr die bewußten Gesetzeslücken421 , bei denen der parlamentarische Gesetzgeber die Regelung bewußt an die Rechtsprechung und Wissenschaft delegiert. Denn dort eröffenet der parlamentarische Gesetzgeber der Rechtsprechung gerade die Möglichkeit, Entscheidungen an seiner Stelle zu treffen, obwohl diese Übertragung von Entscheidungsbefugnissen durch den Gesetzesvorbehalt gerade verfassungsrechtlich begrenzt wird. Da zudem der Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt aus demokratischen und rechtsstaatlichen Gründen ein "Gebot verstärkter Regelungsdichte" enthält und es in bestimmten Sachbereichen dem unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber vorbehalten sein könnte, eine gesetzliche Regelung zu treffen, die wegen ihrer textlichen Fixierung am ehesten geeignet ist, fUr den Bürger voraussehbare und berechenbare Entscheidungen zu ermöglichen, erscheint es ebenfalls nicht ausgeschlossen, daß der Parlamentsvorbehalt auch die Ausftlllung unbewußter Gesetzeslücken422 beschränkt. Die Frage, ob die Vornahme einer Rechtsfortbildung Sache des Richters oder des

411 Eine Ausnahme gilt ftIr Fischer, StVj 1992, S. 3 [21 tT.], der zur Anwendbarkeit der "Wesentlichkeitsheorie" auf die richterliche Rechtsfortbildung Stellung nimmt. Ebenso wird die Anwendbarkeit des Gesetzes- und Parlamentsvorbehalts der "Wesentlichkeitstheorie" auf das Arbeitskampfrecht diskutiert (vgl. Kloepfer, NJW 1985, S. 2497 tT.; Friauj, RdA 1986, S. 188 [191 tT.]; Ipsen, DVBI. 1984, S. 1102 tT.). 419 Eine Ausnahme gilt rur das (gesetzesvertretende) Arbeitskampfrccht (vgl. BVerfGE 84, 212 [226 f.]; 88, 103 [115 f.]). 420 Ossenbühl, HStR I1I, § 62 Rn. 42 im Anschluß an Staupe, Parlamentsvorbehalt, S. 30 f., 136 tT. 421 Tipke/Lang, Steuerrcchtll , S. 39: "Bewußte GesetzeslUcken entstehen, wenn der Gesetzgeber bewußt keine gesetzliche Regelung triffi, insbesondere weil er die Materie nicht rur gesetzesreifhalt und die Rechtsfolgenbestimmung einstweilen Rechtsprechung und Literatur Uberlassen möchte."

m Tipke/Lang, Steuerrcchtll, S. 39: "Unbewußte GesetzeslUcken bestehen in planwidrigen, mit dem Gesetzeszweck nicht zu vereinbarenden Unvollständigkeiten des Gesetzestextes: Der Gesetzgeber hat einen Plan gehabt, einen bestimmten Zweck realisieren wollen; es ist ihm dies aber nicht gelungen. Das Gesetz oder einzelne Gesetzesvorschriften sind, gemessen an dem zugrundeliegenden systematischen Plan oder Zweck, unbewußt IUckenhaft geblieben; der verfolgte Zweck ist durch den Gesetzestext nicht oder nicht voll abgedeckt. Es handelt sich um eine Panne bei der Umsetzung des Plans oder Zwecks in gesetzliche Tatbestände, sei es, daß der Gesetzgeber nicht alle Sachverhalte bedacht hat, sei es, daß er sie nicht bedenken konnte, weil sie zur Zeit des Gesetzcsbeschlusses nocht nicht bekannt waren, sei es, daß es ihm sprachlich nicht gelungen ist, seinen Plan umzusetzen."

428

Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

parlamentarischen Gesetzgebers ist, stellt sich demnach immer dann, wenn dem Wortlaut des parlamentarischen Gesetzes keine Vorgaben für eine richterliche Entscheidung zu entnehmen sind, also wenn der parlamentarische Gesetzgeber einen mehr oder weniger großen Sozialbereich ungeregelt gelassen hat (gesetzesvertretendes Richterrecht), wenn ein zu entscheidender Fall in einem Gesetz, das nach seiner Intension den in Rede stehenden Regelungsbereich vollständig normiert, keine Entscheidungsvorgaben enthält und das Gesetz deshalb eine (planwidrige) Unvollständigkeit aufweist (lückenftUlendes Richterrecht) oder wenn eine gesetzliche Regelung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht angewandt werden kann und deshalb keine gesetzlichen Entscheidungsvorgaben existieren. Die entscheidende Frage ist, ob den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts nur dann genügt ist, wenn der fragliche Fall durch den möglichen Wortsinn einer gesetzlichen Regelung erfaßt wird, oder auch dann, wenn zwar der Fall nicht vom möglichen Wortsinn der Regelung erfaßt wird, aber die ratio legis i. V. m. dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) die analoge Anwendung vorliegender gesetzlicher Bestimmungen fordert. Ob der Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt der "Wesentlichkeitstheorie" einer richterlichen Rechtsfortbildung praeter legern im Steuerrecht tatsächlich entgegensteht, ist allerdings durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht geklärt. Von den bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen, die sich mit der richterlichen Rechtsfortbildung im Steuerrecht auseinandersetzen, nehmen nämlich die meisten unmittelbar auf das Rechtsstaatsprinzip nicht dagegen auf den Gesetzesvorbehalt - Bezug423 ; in der Entscheidung vom 12. 3. 1985 424, in der es um die "Fortentwicklung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Betriebsaufspaltung"42S und damit um eine "richterliehe Rechtsfortbildung,,426 ging, werden sogar keine rechtsstaatlichen Anforderungen an die richterliche Rechtsfortbildung gestellt, die über die Grundsätze des Art. 20 Abs. 3 GG hinausgehen. Dagegen hat ein VorpTÜfungsausschuß des Ersten Senats der Bundesverfassungsgerichts in einem Beschluß vom 30. 1. 1985 festgestellt, "daß die rechtsprechende Gewalt durch Analogie keine neuen

423 So etwa BVertUE 13, 319 [328] mit der bekannten Formulierung, daß es unter Grundsätzen des Rechtsstaates bedenklich sein kann, "wenn der Steuergegenstand vom Richter neu geschaffen oder ausgeweitet wird; denn das Steuerrecht wird von der 'primären Entscheidung des Gesetzgebers über die Steuerwürdigkeit generell bezeichneter Sachverhalte getragen' und lebt dementsprechend 'aus dem Diktum des Gesetzgebers' (BühlerIStrickrodt, Steuerrecht, 3. Auf!. S. 658)." Die Berurworter einer Analogie atestieren dieser Entscheidung, daß sie keine Klarheit geschaffen habe, während die Vertreter eines Analogieverbots diese Formulierung rur ihre Position in Anspruch nehmen (vgl. oben § 3 III.). 424

BVertUE 69, S. 188 ff.

425

BVertUE 69, S. 188 (Leitsatz I).

426

BVertUE 69, 188 (205).

§ 7 Die Gesetzesvorbehalte als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung

429

Steuertatbestände schaffen oder verschärfen kann; denn das Steuerrecht lebt aus dem Dictum des Gesetzgebers."427 Außerhalb des Steuerrechts hat sich das Bundesverfassungsgericht zwar mit der richterlichen Rechtsfortbildung im Geltungsbereich eines (grundrechtlichen) Gesetzesvorbehalts - nämlich im Rahmen des Gesetzesvorbehalts der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) beschäftigt428, jedoch auch hier das Verhältnis zwischen der "Wesentlichkeitstheorie" und der richterlichen Rechtsfortbildung nicht präzisiert. Weil eine grundlegende Auseinandersetzung mit den Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung, die sich aus dem Gesetzesvorbehalt der "Wesentlichkeitstheorie" ergeben, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in der Literatur bisher fehlt, läßt sich die Frage nach der Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung auf der Basis der - richterrechtlich konstituierten - "Wesentlichkeitstheorie" nicht beantworten. 4. Ergebnis

Das steuerrechtliche Rechtsfortbildungsverbot ist zwar als ein Problem der verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalte auzufassen; der zunächst naheliegende Rückgriff auf die "Wesentlichkeitstheorie" des Bundesverfassungsgerichts fUhrt indes nicht weiter. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat es nämlich bisher versäumt, die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung anhand der "Wesentlichkeitstheorie" zu erörtern. Insofern ist eine Weiterentwick/ung der " Wesentlichkeitstheorie" im Hinblick auf die richterliche Rechtsfortbildung anhand der ihr zugrundeliegenden Verfassungsgrundsätze - nämlich anhand der Grundrechte. des Demokratieprinzips und des Rechtsstaatsprinzips - geboten. Bisher hat die "Wesentlichkeitstheorie" im Bereich der richterlichen Rechtsfortbildung nur den Charakter einer "Lösungsskizze".

ill. Die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte als Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im Steuerrecht Zur Begründung eines aus dem Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt abgeleiteten Delegationsverbots, das zu einem steuerrechtlichen Rechtsfortbildungsverbot filhren könnte, muß - wie gesagt - auf die Grundrechte, das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip zurückgegriffen werden. Da die grundgesetzlichen Strukturprinzipien in höhem Maße der konkretisierenden Entfaltung

427

BVerfG, NJW 1985, S. 1891.

m Dazu ausftlhrlich unten § 7 III. 3.

430

Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

durch weitere grundgesetzliche Regelungen bedürfen429 und die Grundrechte zahlreiche Sondervorbehalte aufweisen, die teilweise besondere Voraussetzungen fUr die Einschränkung der grundrechtlichen Freiheit enthalten430 , ist zunächst zu überprüfen, ob den Grundrechten ein steuerrechtlicher Gesetzesvorbehalt zu entnehmen ist, der zu einem Rechtsfortbildungsverbot durch Analogie ft1hrt431. Vorliegend ist vor allem von Interesse, ob sich aus Art. 2 Abs. 1 GG oder aus den in Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalten Schranken rur die richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht ergeben. 1. Der Gesetzes- und Rechtssatzvorbehalt der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) Nach herkömmlicher und auch noch heute richtiger Grundrechtsdogmatik kann der grundrechtliche Gesetzesvorbehalt im Steuerrecht nur gelten, wenn durch die Auferlegung öffentlich-rechtlicher Abgaben- und Steuerpflichten in den Schutzbereich eines Grundrechts eingegriffen wird. Die Auferlegung öffentlich-rechtlichen Abgaben- und Steuerpflichten stellt einen Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 GG gew!lhrleistete allgemeine Handlungsfreiheit dar432 • Der Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit ist nur rechtmäßig, wenn er sich innerhalb der verfassungsrechtlich vorgegebenen Schranken hält433 • Gemäß Art. 2 Abs. 1 GG hat jeder das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit nur insoweit, als er nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstößt. Die Erhebung von Steuern verletzt also nur dann die allgemeine Handlungsfreiheit, wenn die Normen des Steuerrechts nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung i. S. des Art. 2 Abs. 1 GG gehören434 • Das weite Verständnis des Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Handlungsfreiheit hat

429 Vgl. dazu Krebs, Jura 1979, S. 304 [308]; dens., Vorbehalt des Gesetzes, S. 12 f.; Erichsen, Staatsrecht 11 2, S. 103. 430 Vgl. Papier, in: GötzlKleinlStarck, Die öffentliche Verwaltung, S. 36 [46 f.]; dens., Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 29 f.; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 318 ff.; Vogel, VVDStRL 24 (1966), S. 125 [149 ff.]. 43' Das ist die Konsequenz der von Krebs, Jura 1979, S. 304 [309] vertretenen These: "Vor dem unmittelbaren Rückgriff auf grundlegende Verfassungsprinzipien ist ... die interpretatorische Ausschöpfung konkreter grundgesetzlicher Kompetenznormen 'im Lichte' der grundlegenden Verfassungsentscheidungen geboten. Diese Überlegung richtet die Betrachtung auf die in vielen Einzelbestimmungen niedergelegten grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte." 432

Siehe oben § 7 11. I. b) cc).

433

Vgl. zu dieser Prufungsfolge nur Isensee, HStR V, § 111 Rn. 38.

434 Vgl. BVerfUE 25,371 [407 f.]; 50, 290 [266]; 65, 196 [210]; 74, 129 [152]: Die allgemeine Handlungsfreiheit schützt die "Freiheit im wirtschaftlichen Verkehr" nur in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung.

§ 7 Die Gesetzesvorbehalte als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung

431

zur Folge, daß auch der in dieser Vorschrift verwendete Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung weit verstanden wird43S • Folglich ist darunter die allgemeine Rechtsordnung zu verstehen, die in formeller und materieller Hinsicht mit der Verfassung übereinstimmt, also die "der Verfassung gemäße Ordnung''''36. Zu der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Handlungsfreiheit gehört demnach "auch das Recht des. Bürgers, nur aufgrund solcher Rechtsvorschriften zur Steuer herangezogen zu werden, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind und deshalb zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören.,,·31 Aus dieser Verfassungsrechtslage ergeben sich fUr die richterliche Rechtsfortbildung materielle und formelle Grenzen: In materieller Hinsicht muß die durch eine richterliche Rechtsfortbildung geschaffene Regelung vor allem dem Übermaßverbot und dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. I GG), aber auch allen sonstigen Verfassungsgrundsätzen entsprechen. Dem Richter ist es also verwehrt, durch Rechtsfortbildung eine Regelung zu schaffen, die auch der Gesetzgeber nicht schaffen könnte, weil sie unter materiellen Gesichtspunkten verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht standhielte. Diese Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung unterscheiden sich aber nicht von den allgemein zu beachtenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an steuerrechtliche Regelungen, so daß auf sie hier nicht näher einzugehen ist. Für die richterliche Rechtsfortbildung bedeutsamer sind die Grenzen, die sich informeller Hinsicht ergeben. Fraglich ist zunächst, ob das durch richterliche Rechtsfortbildung geschaffene Richterrecht überhaupt Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung ist. Sollte das nicht der Fall sein sollte, wäre eine Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 90 ff. BVerfGG), die mit der Begründung erhoben würde, der (Finanz-)Richter habe durch die Schaffung von Richterrecht seine Kompetenzen überschritten, in jedem Fall begründet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das ungeschriebene Richterrecht jedoch Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung, wenn es sich innerhalb der (formellen) verfassungsrechtlichen Grenzen hält: Zur verfassungsmäßigen Ordnung "gehören nicht nur die vorn Normgeber gesetzten verfassungsmäßigen Vorschriften, sondern auch deren Auslegung durch den Richter und ebenso die im Wege zulässiger Rechtsfortbildung getroffenen Entscheidungen. Indessen

os Zustimmend etwa Kunig, in: v. MUnchlKunig, GGK, Art. 2 Rn. 22; Starek, in: v. Mangoldtl Klein, 00, Art. 2 Abs. I Rn. 16. Der Begriff "verfassungsmäßige ordnung" wird auch in anderen grundgesetzlichen Vorschriften verwendet und kann dort einen anderen Inhalt haben (vgl. BVertDE 6, 32 [38]). 436

So etwa BVertDE 6, 32 [37 f.]; 50, 256 [262].

BVertDE 9, 3 [11]. So oder ähnlich auch BVertDE 19,206 [215 f.]; 19,253 [257]; 21, 1 [3]; 25, 371 [407]; 42, 223 [227]; 42, 374 [385]; 44, 59 [69]; 44, 216 [223 f.]; 48, 102 [115 f.]; 50, 256 [262]; 72, 200 [245). m

432

Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

sind der anerkannten Befugnis der Gerichte zur Rechtsfortbildung ( ...) Grenzen gezogen, und zwar nicht nur durch den Grundsatz der Gesetzesbindung in Art. 20 Abs. 3 GG. Legt der Richter offene Rechtsbegriffe in einem Gesetz aus oder bildet er Recht fort, stehen die sich daraus ergebenden Einschränkungen des Grundrechts nur mit der Verfassung in Einklang, wenn sie den Grundentscheidungen des Grundgesetzes, vornehmlich dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit entsprechen."438 Diese Formulierung legt die Vermutung nahe, die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung verweise nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auf einen bestimmten Bestand positiv-rechtlicher Regelungen439 - insbesondere auf das Rechtsstaatsprinzip - und besitze keinen eigenständigen kompetenzrechtlichen Gehalt. Das Bundesverfassungsgericht ermittelt deshalb die verfassungsrechtlich gebotene Regelungsform und -bestimmtheit vornehmlich durch den aus Art. 20 Abs. 3 GG sowie dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip hergeleiteten allgemeinen Gesetzesvorbehalt440 . Nach dem Spezialitätsgrundsatz ist aber vor dem Rückgriff auf die grundgesetzlichen Strukturprinzipien "die interpretatorische Ausschöpfung konkreter grundgesetzlicher Kompetenznormen 'im Lichte' der grundlegenden Verfassungsentscheidungen geboten"441. Ergibt sich ein Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt direkt aus Art. 2 Abs. 1 GG, dann ist der Rückgriff auf grundgesetzliche Strukturprinzipien im Bereich grundrechtsbeschränkender staatlicher Maßnahmen nicht statthaft,

m BVerfGE 74, 129 [152]. Das Bundesveifassungsgerieht ist schon in anderen Entscheidungen davon ausgegangen, daß die Überschreitung der richterlichen Kompetenz Art. 2 Abs. I 00 verletzen kann (vgl. etwa BVerfGE 18, 224 [236]; 19, 166 [174 ff]; 31, 145 [173 ff.]). Zustimmend Kunig, in: v. MUnchlKunig, OOK, Art. 2 Rn. 23; Starek, in: v. MangoldtIKlein, 00, Art. 2 Abs. I Rn. 17. - Eine weitergehende Wirkung weist Friauf, in: Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung (Diskussionsbeitrag), S. 161, dem Art. 2 Abs. I 00 zu: "Jede Steuerbelastung greift in einen grundrechtsgeschUtzten Raum ein, in die Eigentumsgarantie oder zumindest in den Schutzbereich des allgemeinen Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. I 00, das G. Waeke einmal plastisch als 'Grundrecht auf Nichtzahlung von Steuern' gekennzeichnet hat. Den Zugang in diesen grundrechtlich geschUtzten Raum kann nur der Gesetzgeber eröffnen. Die Grundrechte stehen prinzipiell unter entsprechenden Regelungsvorbehalten; im Fall des Art. 2 Abs. I 00 muß es sich um ein Gesetz handeln, das zur verfassungsmäßigen Ordnung gehört. Dieses Gesetz, das unabdingbar ist, kann nur vom parlamentarischen Gesetzgeber ausgehen bzw. auf seiner Ermächtigung beruhen, nicht auf autonomer Schöpfung des Normanwenders." Fraglich ist jedoch, ob die Rechtsfortbildung durch Analogie wirklich "autonome" Rechtsetzung ist. m Vgl. Lerehe, HStR V, § 122 Rn. 22 und § 121 Rn. 44; Starek, in: v. MangoldtIKlein, 00, Art. 2 Abs. I Rn. 13 .

..., Ebenso wa{fing, Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte, S. 42 ff., derauf das Rechtsstaatsprinzip zurUckgreift, weil die meisten Grundrechte "die Frage nach dem zu Grundrechtseingriffen kompetenten Entscheidungsträger ja selbst nicht zu beantworten" vermögen. «I Krebs, Jura 1979, S. 304 (309). Ähnlich ders., Vorbehalt des Gesetzes, S. 111. Kritisch zur Vorgehensweise des Bundesveifassungsgeriehts schon Jeseh, Gesetz und Verwaltung, S. 137 f.

§ 7 Die Gesetzesvorbehalte als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung

433

jedenfalls aber überflüssig«2. Fraglich ist deshalb, ob Art. 2 Abs. 1 GG selbst einen Gesetzesvorbehalt enthält. a) "Rechtsvorbehalt" oder Gesetzesvorbehalt?

Art. 2 Abs. 1 GG enthält - im Gegensatz zu den meisten anderen Grundrechten - keinen ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt, sondern nur drei materielle Schranken441 , so daß sich aus der Formulierung des Art. 2 Abs. 1 GG selbst nicht ergibt, welches Rechtsetzungsorgan fUr die Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit zuständig ist. Daraus ist teilweise der Schluß gezogen worden, daß Art. 2 Abs. 1 GG keinen Gesetzesvorbehalt, sondern nur einen "schlichten Rechtsvorbehalt" enthält, nach dem "Grundlage exekutiver Eingriffsakte ... jedes Gesetz im materiellen Sinne, also in einem dem Gesetzesbegriff der Einfilhrungsgesetze entsprechenden Sinne sein (kann).'>444 Einschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit brauchen danach also nicht notwendigerweise durch den parlamentarischen Gesetzgeber, sondern können auch durch originäre Rechtsetzungsakte der Exekutive vorgenommen werden, so daß neben dem Richterrecht«s "in erster Linie gewohnheitsrechtliche Ermächtigungen, zum anderen aber auch die generell-abstrakten Regelungen im Rahmen besonderer Gewalt-, einschließlich der Anstaltsbenutzungsverhältnisse, die sogenannten Sonderverordnungen, nicht hingegen die (eigentlichen) Verwaltungsvorschriften"446 in Betracht kommen. Nach dieser Auffassung hat Art. 2 Abs. 1 GG praktisch keinen kompetenzrecht-

4-12 Für eine Prüfung der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte vor dem RUckgriff auf das Rechtsstaats- oder Demokratieprinzip hat sich etwa auch Erichsen, VelWArch. 69 (1978), S. 397 [405], ausgesprochen. 4-13 So Starck, in: v. MangoldtIKlein, 00, Art. 2 Abs. 1 Rn. 13 .

.... Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 31, mit ausftlhrlicher Begründung auf S. 31 ff. Ebenso wohl Kunig, in: v. MUnchlKunig, OOK, Art. 2 Rn. 32 ("Rechtsvorbehalt"); Jarass, in: JarasslPieroth, W, Art. 2 Rn. 23 ("Gesetzes- bzw. Rechtsvorbehalt"); Merten, JuS 1976, S. 345 [346] ("Rechtsvorbehalt"); v. Münch, in: ders., OOK, Art. 2 Rn. 31 ("Rechtsvorbehalt"). 4-IS SO ausdrücklich BVerfUE 74, 129 [152]; Kunig, in: v. MUnchlKunig, OOK, Art. 2 Rn. 23; Jarass, in: JarasslPieroth, W, Art. 2 Rn. 17. 4016 Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 33. Zurückhaltender jetzt ders., in: GötzlKleinlStarck, Die öffentliche VelWaitung, S. 36 [46 f.]. - Kunig, in: v. MUnchlKunig, OOK, Art. 2 Rn. 23, nennt neben dem Richterrecht und dem Gewohnheitsrecht die "Außenrechtssätze (nicht also VelWaitungsvorschriftcn) aller Kategorien, also Parlamentsgesetze, Rechtsverordnungen und Satzungen." 28 Barth

434

Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

lichen Gehalt447 und kann deshalb weder die verfassungsrechtlich gebotene Regelungsfonn noch die Regelungsbestimmtheit steuern448 • Der Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung in Art. 2 Abs. I GG ist in sprachlicher Hinsicht jedoch nicht nur ft1r ein Verständnis als "schlichter Rechtsvorbehalt", sondern auch fllr ein Verständnis als Gesetzesvorbehalt offen, so daß der Inhalt dieses Begriffs insbesondere durch systematische und teleologische Interpretation bestimmt werden muß. Gegen ein Verständnis des Begriffs "verfassungsmäßige Ordnung" als "schlichter Rechtsvorbehalt" spricht, daß sich ein gesetzesunabhängiges originäres Rechtsetzungsrecht der Exekutive im Bereich der grundrechtlichen Freiheiten nicht mit dem hohen Stellenwert der Grundrechte in der gesamten Verfassungsordnung449 und der verstärkten Sicherung der Grundrechte, die vor allem in Art. 19 Abs. 4 GG zum Ausdruck kommt450 , verträgt. Die Ausgestaltung und Begrenzung grundrechtlicher Freiheit hat das Grundgesetz grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen, indem es den meisten Grundrechten in sehr differenzierter Weise Ausgestaltungs-, Regelungs- oder Eingriffsvorbehalte beigefllgt hat. Die Annahme, bei einem fehlenden oder nicht ausdrücklich fonnulierten Regelungsvorbehalt zugunsten des Gesetzgebers bestehe eine subsidiäre Kompetenz der Exekutive, verkennt, daß auch diese Grundrechte nicht "interpretatorischer Beliebigkeit" ausgesetzt sein dürfen, sondern zu ihrem Schutz eine "verfahrensrechtliche Absicherung" benötigen451 . Den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten ist deshalb eine "übergreifende Kompetenzaussage,,4S2 zu entnehmen, nach der die verfahrensrechtliche Absicherung der Grundrechte "in erster Linie der Gesetzgebung wegen ihrer hervorgehobenen demokratischen Legitimation, der Öffentlichkeit des Ver-

«7 Ausgeschlossen sollen aber die Verwaltungsvorschriften sein, die nur rur den Innenbereich des Staates Geltung haben (so Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 41 f.).

«. Der naheliegende Hinweis auf Art. 80 Abs. I S. 2 00 greift wohl nicht durch, weil diese Nonn nach hemchender - freilich zweifelhafter (vgl. Birk, Steuerrecht I, § 5 Rn. 7) - Ansicht in erster Linie Anforderungen an die Bestimmtheit der Delegationsnonn enthält und es als fraglich angesehen wird, ob ihr eine Aussage darüber entnommen werden kann, welche Sachentscheidung vom Gesetzgeber selbst getroffen werden muß (vgl. Krebs, Jura 1979, S. 304 [311]; dens., Vorbehalt des Gesetzes, S. 106 ff.; Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 67 ff.; Vogel, WDStRL 24 (1966), S. 125 [163 f.]; Eberle, DÖV 1984, S. 486 [487]).

••• Vgl. dazu etwa Starck, in: v. MangoldtIKlein, 00, Art. lAbs. 1 Rn. 103 f. •so Vgl. etwa Wü{fing, Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte, S. 43. 489 Deshalb schließt die formale Rechtsanwendungsgleichheit nach der zuteffenden Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht aus, daß die Gerichte das Recht fortbilden 490 . Es kann heute nicht mehr zweifelhaft sein, daß abstrakt-generelle Regelungen allein die

.86 BVerfUE 71, 354 [362]; Schach, OVBI. 1988. S. 863 [868, 873]; Gubelt, in: v. Müoch! Kunig, GOK, Art. 3 Rn. 8; PierothiSchlink, Grundrechte 'O, Rn. 471; Rupp, in: BVerfU und GO 11, S. 364 [365 f.]; Kloepfer, Gleichheit als Verfassungsftage, S. 25 ff.; Kirchhof, StuW 1984, S. 297; ders., HStR V, § 125 Rn. 4; Starck, in: v. MangoldtIKlein, GO, Art. 3 Abs. 1 Rn. 178, 190; Dürig, in: MaunzlDUrig, GO, Art. 3 Abs. 1 Rn. 378 und 398 ff.; Gusy, JuS 1982, S. 30 [33 f.]. W Vgl. BVerfUE 66, 331 [335 f.]; 71, 354 [362]; Hesse, Verfassungsrecht'9, Rn. 430; Schach, OVBI. 1988, S. 863 [869]; Kirchhof, StuW 1984, S. 297; dem., HStR V, § 125 Rn. 4 und öfter; Gubelt, in: v. MünchlKunig, GO, Art. 3 Rn. 44. Im Ergebnis ftIhrtdie Rechtsanwendungsgleichheit ebenso wie die Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GO) zu einem gesetzlichen Anwendungsgebot und Abweichungsverbot (vgl. zum Verhaltnis zwischen dem Gesetzmllßigkeitsprinzip und dem Gebot formaler Rechtsanwendungsgleichheit Schoch, OVBI. 1988, S. 863 [871]; Kloepfer, Gleichheit als Verfassungsfrage, S. 26; RUjner, in: Bonner Kommentar, Art. 3 Abs. 1 Rn. 170; Kirchhof, HStR V, § 124 Rn. 167,270 und öfter; Starck, in: v. MangoldtIKlein, GO, Art. 3 Abs. 1 Rn. 178; Sachs, NWVBL 1988, S. 295 [300». ... Diese Sichtweise war zu Beginn des demokratischen Parlamentarismus im aufkommenden 19. Jahrhundert vorherrschend. Nach damaliger Auffassung war die Wahrung des Gleichheitssatzes durch das formale Erfordernis einer abstrakt-generellen Regelung gewährleistet (vgl. Schach, DVBI. 1988, S. 863 [869]; Kirchhof, StuW 1984, S. 297 [302 f.».

m

Kirchhof, in: Richterliche Rcchtsfortbildung, S. 11 [29).

.90 BVerfUE 71, 354 [362).

446

Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

materiale Gleichheit nicht in ausreichendem Maße zu sichern vermögen491 und daß deshalb das Erfordernis eines abstrakt-generellen Rechtssatzes keinen hinreichenden Schutz vor willkürlichen Grundrechtseingriffen der Staatsgewalt gewährleisten kann. Die formale (Rechtsanwendungs-)Gleichheit muß vielmehr durch die materiale Gleichheit, die eine ungleiche Regelung gleicher Sachverhalte verbietet, in Rechtsetzung und Rechtsanwendung ergänzt werden. Um die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu wahren, kann sich das Problem der Verwirklichung der materialen Gleichheit bei der Rechtsanwendung aber nur dann stellen, wenn Verwaltung und Rechtsprechung einen Wertungs-, Entscheidungs~ oder Handlungsspielraum haben492 ; ist nämlich die Rechtsanwendung durch einen Rechtssatz in dem Maße abschließend determiniert, daß nur eine Entscheidung möglich ist, dann könnten die Organe der Rechtsprechung und Verwaltung nur durch die Nichtanwendung der im Rechtssatz vorgesehenen Rechtsfolgen und d. h. unter Verstoß gegen die formale Rechtsanwendungsgleichheit den materialen Gleichheitsgrundsatz verwirklichen493 • Sobald aber die Gesetze Beurteilungs- oder Ermessensspielräume enthalten oder die Verwaltung nicht rechtssatzmäßig in den genannten Ausmaß gebunden ist, wird der Gleichheitsgrundsatz unmittelbar auch ft1r die Verwaltung und die Rechtsprechung relevant und greift insoweit über die Anforderungen des Gesetzmäßigkeitsprinzips hinaus494 • Eine selbständige Bedeutung hat der Gleichheitsgrundsatz als Rechtsanwendungsgleichheit demnach bei Vorliegen gesetzlicher Bewertungsspielräume. Solche Spielräume sind bei abstrakt-generellen Rechtssätzen die Regel: "Denn kaum ein Rechtssatz ist so eindeutig, daß es nur eine richtige Auslegung gäbe. Bereits die Rechtssprache ist ft1r eine inhaltliche Vormeinung offen, der Rechtssatz sodann ft1r verschiedene juristische Auslegungsmethoden zugänglich; er muß vom Rechtsanwender in einer nicht ganz vermeidbaren Subjektivität aufgenommen und ft1r den jeweiligen individuellen, konkreten und gegenwärtigen Fall verstanden werden. Jeder Rechtssatz eröffnet innerhalb des Bedeutungsrahmens seines Textes einen Spielraum des Vertretbaren, der durch das

.91 Vgl. etwa Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 230 f.; [)Urig, in: Maunz/DUrig, GO, Art. 3 Abs. 1 Rn. 398 ff. • 92 Pieroth/Schlink, Grundrechte lO , Rn. 546; Gubelt, in: v. MUnchIKunig, GOK, Art. 3 Rn. 37. Vgl. auch Kirchhof, HStR V, § 125 Rn. 20; Gusy, NJW 1988, S. 2505 [2509 f.]. .93 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte lO , Rn. 546; Rüjner, in: Bonner Kommentar, Art. 3 Abs. 1 Rn. 169; Gubelt, in: v. MUnchIKunig, GOK, Art. 3 Rn. 37; Storck, in: v. MangoldtIKlein, GO Art. 3 Abs. 1 Rn. 164; Kirchhof, HStR V, § 125 Rn. 29. • 94 Kirchhof, HStR V, § 125 Rn. 16. Vgl. dazu auch Rüjner, in: Bonner Kommentar, Art. 3 Abs. 1 Rn. 169;Starck, in: v. MangoldtIKlein, GO, Art. 3 Abs. 1 Rn. 178. Dazu auch BVertUE 70, 230 [239 ff.], wo die Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung ruhrte.

§ 7 Die Gesetzesvorbehalte als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung

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anwendungsbefugte Organ ausgefUllt werden muß.'>495 Räumt also jeder offene Rechtssatz dem Adressaten einen Bereich eigener Wertung und Entscheidung ein und zeichnet dieser Rechtssatz das Handeln des Adressaten nicht exakt vor, kann auch die Gleichheit nicht allein durch die formale Rechtsanwendungsgleichheit und abstrakt-generelle Regelungen gewährleistet werden. Sie muß durch eine dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende Wertung des Rechtsanwenders erst hergestellt werden. Die Rechtsanwendungsgleichheit fordert deshalb vom Richter, die Rechtsanwendungsgleichheit, also die Sachgerechtigkeit, Systemgerechtigkeit und Folgerichtigkeit, seines Urteils - im Binnenbereich gesetzlicher Vorgaben - herzustellen496 . Jedenfalls bei Gesetzen mit Wertungsspielräumen ist das Vorliegen eines abstrakt-generellen Rechtssatzes keine hinreichende Voraussetzung fUr die Wahrung der Rechtsgleichheit, so daß in diesem Bereich der abstrakt-generelle Rechtssatz seine rechtsgleichheitsverbtlrgende Funktion nicht in einer dem (materiellen) Gleichheitsgrundsatz entsprechenden Weise erfUllen kann497 • Die rechtsgleichheitsverbtlrgende Funktion des Rechtssatzvorbehalts steht einer richterlichen Rechtsfortbildung deshalb nicht entgegen, wenn einsichtig gemacht werden kann, daß der zu entscheidende Fall - insbesondere wegen seiner atypischen und bei Erlaß der Regelung nicht vorhersehbaren Eigenschaften durch den abstrakt-generellen Rechtssatz nicht in einer mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren Weise gelöst werden kann49B • Da die am häufigsten

"S Kirchhof, HStR V, § 125 Rn. 16. Vgl. dazu auch Müller, Inhalt und Formen der Rechtsetzung, S. 101 f.; Dürig, in: MaunzlDUrig, 00, Art. 3 Abs. I Rn. 399 ff.; Starck, in: v. MangoldtIKlein, Art. 3 Abs. I Rn. 190; Gusy, NJW 1988, S. 2505 [2511 f.]; Vogel, VVDStRL 24 (1966), S. 125 [161 f.). A. A. aber wohl Rüjner, in: Bonner Kommentar, Art. 3 Abs. I Rn. 169, der "regelmäßig" das Vorliegen detaillierter Gesetze annimmt, so daß "die Gleichheitsprobleme rur die Exekutive (Verwaltung) vielfach weniger dringlich" erscheinen. 496 Kirchhof, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. Il [29]; ders., HStR V, § 125 Rn. 41 (rur die Exekutive). 497 Dagegen könnte eingewandt werden, daß der Gesetzgeber Rechtsslltze schaffen muß, die das Verwaltungshandeln eindeutig determinieren. Eine solche Forderung wllre allerdings angesichts der Vielzahl der möglichen Falle nicht nur unrealistisch; sie stößt auch an das erkenntnistheoretisch Mögliche.

m Ähnlich Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 347: ,,zumindest in a11 denjenigen Fallen, in denen die rechtssatzförmige Normierung im Vergleich zur 'richterrechtlichen' kein mehr an Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit mit sich bringt, dUrfte der 'Rechtssatzvorbehalt' kein Hindernis rur die Rechtsfortbildung durch den Richter darstellen." Siehe auch Kirchhof, HStR V, § 124 Rn. 40: "Die Rechtsprechung hat im Rahmen ihrer Kontrollfunktion die Verbindlichkeit des Gesetzesrechts und die Vertretbarkeit von Gesetzeskonkretisierungen durch den Erstadressaten im Binnenbereich offener Tatbestande oder Ermessensermächtigungen zu wahren. Auf dieser Grundlage unterscheidet sich die - rechtssatzanwendende - Auslegung und die - rechtssatzerweiternde - Analogie nur graduell. Auch die Analogie findet eine positivrechtliche Grundlage in einem

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Teil 2: Die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

angewendete Methode der richterlichen Rechtsfortbildung prater legern die Analogie ist und diese nur angewandt werden kann, wenn eine dem Gleichheitsgrundsatz nicht entsprechende Regelung vorliegt, steht die rechtsgleichheitsverbürgende Funktion des Rechtssatzvorbehalts auch der richterlichen Rechtsfortbildung durch Analogie nicht entgegen. Fraglich ist aber, ob die rechtsgleichheitsverbürgende Funktion des Rechtssatzvorbehalts der richterlichen Rechtsfortbildung, die sich auf den Sinn und Zweck des Gesetzes, die ratio legis unmittelbar stützt, also insbesondere der teleologischen Reduktion bzw. Extension entgegengehalten werden kann. In diesen Fällen richterlicher Rechtsfortbildung läßt sich nicht sagen, daß der vom Gesetz geregelte Fall dem geregelten ähnlich sei und ihm in allen ftlr die Wertung wesentlichen Hinsichten gleiche. Vielmehr hätte der nicht gereglte Fall deshalb in die Regelung einbezogen werden müssen, damit der Sinn und Zweck der Regelung überhaupt erreicht wird499 • In diesen Fallgestaltungen wird also der gesetzgeberischen Intension Geltung verschafft, ohne daß das Gebot der formalen oder materialen Gleichheit eine solche richterliche Rechtsfortbildung fordert. Die abstrakt-generelle Regelung erfüllt also ihre rechtsgleichheitsverbürgende Funktion, so daß die rechtsgleichheitsverbürgende Funktion des Rechtssatzvorbehalts der teleologischen Reduktion bzw. Extension entgegenstehen könnte. In ihren Auswirkungen kommt eine solche teleologische Reduktion oder Extension aber einer Analogie sehr nahe. In beiden Fällen wird eine Regelung auf einen Sachverhalt erstreckt, den sie nach ihrem möglichen Wortsinn nicht mit umfaßt, und in beiden Fällen geht es um die volle Verwirklichung des Zwecks der gesetzlichen Regelung und die Vermeidung von Wertungswidersprüchens0o . Da außerdem die richterliche Rechtsfortbildung unter Berufung auf den Sinn und Zweck einer Regelung dazu dient, dem Willen des Gesetzgebers Geltung zu verschaffen, kann an der grundsätzlichen Zulässigkeit einer teleologisch begründeten Gesetzestextkorrektur auch in Anbetracht der rechtsgleichheitsverbürgenden Funktion des Rechtssatzvorbehalts kein Zweifel bestehen. Man wird jedoch die Verwirklichung der ratio legis durch eine richterliche Rechtsfortbildung wegen der rechtsgleichheitsverbürgenden Funktion des Rechtssatzvorbehalts nur mit Zurückhaltung vornehmen dürfen und deshalb einen unmittelbaren Rückgriff auf die ratio legis nur dann ftlr zulässig halten können, wenn "der Gesetzeszweck eindeutig ermittelt ist und ohne die Korrektur der Zweck in einem Teil der Fälle verfehlt würde, ein schwerwiegender Wertungswider-

Gesetzestatbestand, dem Gleichheitssatz und seiner Anlehnung an entsprechend anzuwendende Regelungen." ... Vgl. Larenz, Methodenlehre", S. 398; Canaris, Die Feststellung von LOcken im Gesetz, S. 88 ff. soo Larenz, Methodenlehre", S. 398 f.

§ 7 Die Gesetzesvorbehalte als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung

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spruch oder eine offenbare Ungerechtigkeit nicht zu venneiden wären."SOt Unter diesen Voraussetzungen haben die Gerichte die gesetzlichen Vorgaben unter Berücksichtigung der ratio legis konsequent zu Ende zu denken und insbesondere bei atypischen und vom Gesetzgeber nicht vorausgesehenen Fällen mit den methodischen Hilfsmitteln der teleologischen Reduktion und Extension die gesetzgeberische Intension unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes zu verwirklichen.

(2)

Abstrakt-generelle Rechtssätze als hinreichende Voraussetzung der Rechtssicherheit

Fraglich ist weiterhin, ob ausschließlich durch abstrakt-generelle Regelungen und die Bindung der rechtsanwendenden Gewalten an diese Regelungen die Verwirklichung des Rechtssicherheitsgebots sichergestellt werden kann. Im Steuerrecht wird die durch den abstrakt-generellen Rechtssatz vennittelte Rechtssicherheit überwiegend als unüberwindliche Schranke der richterlichen Rechtsfortbildung angesehen und aus Rechtssicherheitsgründen ein Rechtsfortbildungs- und Analogieverbot vertreten. Auch die Beantwortung der Frage, ob die rechtssicherheitsverbürgende Funktion des Rechtssatzvorbehalts zu einem Verbot richterlicher Rechtsfortbildung fUhrt, hängt indes vom nonnativen Gehalt des Rechtssicherheitsgebots ab. Da das Rechtssicherheitsgebot im Grundgesetz keine eigenständige Regelung erfahren hat, kann dieser nonnative Gehalt nur anband der grundgesetzlichen Gesamtregelung ennittelt werden. Auch hier ist deshalb zur Präzisierung des grundrechtlichen Rechtssatzvorbehalts der Rückgriff auf die grundlegenden Verfassungsprinzipien, in diesem Fall auf das Rechtsstaatsprinzip, nötig So2 .

2. Der Gesetzes- und Rechtssatzvorbehalt der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG) Nach Art. 14 Abs. 1 GG werden das Eigentum und das Erbrecht gewährleistet sowie Inhalt und Schranken des Eigentums durch die Gesetze bestimmt. Da bei einer abstrakt-generellen Festlegung der Eigentümerrechte und -pflichten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Inhalts- und Schrankenbestimmung vorliegt und es sich nur bei dem Entzug konkreter, d. h. bestimmter oder bestimmbarer, Eigentumsrechte um eine Enteignung handelt, sind Steuergesetze, die die Pflichten der Eigentümer abstrakt-generell regeln,

~I Larenz, Methodenlehre", S. 400, fIIr die Fälle einer teleologisch begründeten Gesetzeskorrektur im allgemeinen. ~2 Dazu unten § 7 V. 29 Barth

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Teil 2: Die verfassungsrechdichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

den Inhalts- und Schrankenbestimmungen i. S. des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG zuzuordnenS03 • Diese inhalts- und schrankenbestimmenden Gesetze und soweit in fonneller Hinsicht zulässig - die aufgrund dieser Gesetze ergehenden staatlichen Maßnahmen müssen in materieller und fonneller Hinsicht mit dem Grundgesetz in Einklang stehens04 • Als materielle Anforderungen sind vor allem die Institutsgarantie des Eigentums, die Sozialptlichtigkeit und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten50s , so daß eine richterliche Rechtsfortbildung - auch wenn sie in fonneller Hinsicht zulässig sein sollte - verfassungswidrig ist, wenn sie diese materiellen Anforderungen mißachtet. In fonneller Hinsicht müssen die fönnlichen Gesetze den Kompetenz- und Verfahrensvorschriften des Grundgesetzes entsprechens06 • Die aufgrund eines Gesetzes ergehenden Maßnahmen müssen den Anforderungen der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) entsprechen. Fraglich ist, ob diese Maßnahmen darüber hinaus einem (allgemeinen) Vorbehalt des Gesetzes entsprechen müssenS07 oder ob sich aus Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG selbst ein Vorbehalt des Gesetzes ergibt.

SOl Das ist allgemein, wenn auch mit unterschiedlicher Begr1lndung, anerkannt; vgl. Erichsen, Staatsrecht IP, S. 137 f.; Bryde, in: v. MUnchlKunig, ooK, Art. 14 Rn. 66 (Stw. "Steuer- und Abgabenrecht"); Papier, in: MaunzIDurig, 00, Art. 14 Rn. 162; ders., DVBI. 1980, S. 787 [791]; Kirchhof, HStR IV § 88 Rn. 75,93 ff.; dens., Jura 1983, S. 505 [508]; Weber-Fas, Jura 1980, 337 [344]; Birk, StuW 1980, S. 361; Tipke, SteuerrechtlI. S. 45; Klein, BayVBI. 1980, S. 527 [529]; v. Arnim, in: WDStRL 39 (1980), S. 286 [308]; Kimminich, in: Bonner Kommentar, Art. 14 Rn. 62; VogellWalter, in: Bonner Kommentar, Art. 105 Rn. 140 f., 143; Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 408 f.; Friauf, in: ders., Steuerrecht und Verfassungsrecht, S. 3 [24]. Abweichend allerdings Draschka, Steuergesetzgebende Staatsgewalt, S. 128 f.: Steuernormen sind nur "schrankenziehende Gesetze". SO